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German Pages [310] Year 2022
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 484 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Josephine Doll
Persönlichkeitsschutz juristischer Personen im russischen Zivilrecht Eine Untersuchung mit rechtsvergleichenden Bezügen zum deutschen Recht
Mohr Siebeck
Josephine Doll, geboren 1992; Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg und Twer (Russland); Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Osteuropäisches Recht der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; 2021 Promotion; Rechtsreferendarin am Hanseatischen Oberlandesgericht. orcid.org/0000-0002-6256-6945
ISBN 978-3-16-161304-3 / eISBN 978-3-16-161305-0 DOI 10.1628/978-3-16-161305-0 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Osteuropäisches Recht der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel. Sie wurde vom Promotionsausschuss der Rechtswissenschaftlichen Fakultät im Juli 2021 als Dissertation angenommen. Russische, deutsche und europäische Rechtsprechung und Gesetzgebung wurden bis Juli 2021 berücksichtigt. Mit Ausnahme der nicht in Deutschland verfügbaren oder abrufbaren Werke ist die in der Arbeit verwendete Literatur auf dem Auswertungsstand von Dezember 2021. Die angegebenen Internetquellen wurden zuletzt am 04.01.2022 abgerufen. Für den erfolgreichen Abschluss meines Forschungsprojektes gebührt vielen Menschen mein Dank. Er gilt zuvörderst meinem Doktorvater Herrn Professor Prof. h. c. Dr. Dr. h. c. Alexander Trunk für seine Unterstützung und sein persönliches Engagement bei der Betreuung dieser Arbeit. Durch seine konstruktiven Anmerkungen, seine stete Diskussionsbereitschaft und nicht zuletzt seine inspirierende Begeisterung am osteuropäischen (Rechts-)Raum hat er entscheidend zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Herrn Professor Dr. Rudolf Meyer-Pritzl danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Professor Dr. Stefan Smid für die Übernahme des Vorsitzes und sein Mitwirken in der Prüfungskommission. Dem gesamten Institut für Osteuropäisches Recht danke ich für die herzliche und spannende Arbeitsatmosphäre während meiner Zeit in Kiel. Besonders möchte ich meiner Kollegin Anastasiia Rogozina к.ю.н., LL.M. sowie meinem Kollegen Dr. Nazar Panych к.ю.н., LL.M. für deren kluge Gedanken und offenes Ohr danken. Ich danke Herrn Andreas Ritter vom International Center und Frau Dr. Marina Trunk-Federova für ihre Hilfe bei der Organisation meines Forschungsaufenthaltes in St. Petersburg im Frühjahr 2019, der Juristischen Fakultät der Staatlichen Universität St. Petersburg für die Recherche- und Forschungsmöglichkeiten, den dortigen Professorinnen und Professoren, insbesondere Frau Marina Leonidovna Nochrina к. ю.н., für die Beantwortung meiner Fragen, und den fleißigen Korrekturleserinnen und -lesern Dr. Florian Wittner, Anastasiia Rogozina к.ю.н., LL.M., Dr. Marie Holst, Lisa Koßmann, Hans Kenschke, Dr. Svend-Bjarne Beil und Benedikt Pittrof. Der Stiftung der Deutschen Wirtschaft (sdw) danke ich für die ideelle und finanzielle Unterstützung meines Promotionsvorhabens. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und
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Vorwort
internationales Privatrecht in Hamburg danke ich für die Aufnahme in die vorliegende Schriftenreihe; ebenso danke ich Herrn Dr. Christian Eckl für die wertvolle redaktionelle Unterstützung. Abschließend möchte ich meiner Familie und meinen Freundinnen und Freunden für die Begleitung meiner Promotionszeit danken. Mein Dank gilt maßgeblich meinen Eltern, die meinen Werdegang – darunter meine Austauscherfahrungen und Reisen in und nach Russland – stets vorbehaltlos unterstützt und gefördert haben. Besonders möchte ich Florian danken. Ohne seine kritischen Anmerkungen, die fortwährende Bereitschaft zur Diskussion und die wunderbare promotionsfreie Zeit wäre diese Arbeit so wohl nie entstanden. Ihnen allen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Februar 2022
Josephine Doll
Nachtrag im Mai 2022 Die Drucklegung der vorliegenden Arbeit fällt in die Zeit des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Und obwohl das Manuskript bereits mehr als ein Jahr zuvor fertig gestellt wurde, kann die Veröffentlichung der Arbeit nicht erfolgen, ohne dass die derzeitigen Entwicklungen Erwähnung finden. Für die Geschehnisse – auch viele Wochen nach Kriegsbeginn – lassen sich Worte nur schwer finden. Dass die Veröffentlichung nun in eine Zeit fällt, in der jede Form des deutsch-russischen Rechtsdialogs unter dem derzeitigen Regime unmöglich scheint, ist bedauerlich, angesichts der in der Ukraine durch die russische Armee verübten Kriegshandlungen und der zunehmenden Repression in Russland aber nachgeordnet. Es bleibt zu hoffen, dass die Arbeit und ihr Beitrag, insbesondere zum Umgang mit Freiheitsrechten, in einem zukünftigen Russland Gehör findet und dort zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen kann.
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV
Kapitel 1: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Aufbau der Dissertation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Methodische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Formale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 4 6 8 8
Kapitel 2: Historische Entwicklung des russischen Persönlichkeitsrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Vorrevolutionäre Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklungen in den Jahren 1917–1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Entwicklungen in den Jahren 1922–1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Entwicklungen in den Jahren 1961–1964 und später . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation von 1994 . . . . . . . . . . . . . . . F. Entwicklungen nach 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Reform im Jahre 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 12 13 18 21 27 28 30
Kapitel 3: Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 A. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Völkerrecht – die Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . C. Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 50 60 81
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Inhaltsübersicht
Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einteilung der juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtliche Stellung der juristischen Personen im russischen Recht . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84 90 94 103
Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 A. Geschäftsreputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 B. Sonstige Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Kapitel 6: Schutzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 A. Instrumente zum Schutz der Geschäftsreputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Instrumente zum Firmenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Instrumente zum Schutz der Unternehmensgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . E. Sonstige Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141 188 252 253 254 255
Kapitel 7: Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 A. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Parallelverfahren in unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257 259 263 264 266 266
Kapitel 8: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV
Kapitel 1: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Aufbau der Dissertation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Methodische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Formale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 4 6 8 8
Kapitel 2: Historische Entwicklung des russischen Persönlichkeitsrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Vorrevolutionäre Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklungen in den Jahren 1917–1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Entwicklungen in den Jahren 1922–1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Entwicklungen in den Jahren 1961–1964 und später . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation von 1994 . . . . . . . . . . . . . . . F. Entwicklungen nach 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Reform im Jahre 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 12 13 18 21 27 28 30
Kapitel 3: Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 A. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Kollidierendes Verfassungsrecht und Abwägungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . II. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungsrechtlich verankerte Interessen der juristischen Personen . . . . . 1. Die Geschäftsreputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 34 35 35
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Inhaltsverzeichnis
2. Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleichende Betrachtung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Meinungs- und Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Eingaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der Ausgleich zwischen den Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 39 41 41 43 44 45 49
B. Völkerrecht – die Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . 50 I. Das Völkerrecht in der russischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einbezug der EMRK in das russische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz in der Europäischen Konvention für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungs- und Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönlichkeitsrecht juristischer Personen und Beziehung zur Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 53 55 56 58 60
C. Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Dogmatische Grundlagen für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Persönliche Nichtvermögensbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vermögens- und Nichtvermögensbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönliche Nichtvermögensbeziehungen mit und ohne Vermögensbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Vermögensbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Immaterielle Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Merkmale nach Art. 150 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Immaterialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kommerzialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Persönliche Nichtvermögensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Immaterielle Güter und Persönlichkeitsrechte juristischer Personen . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 62 62 63 66 67 68 68 70 72 73 74 77 80
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Gesetzliche Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II. Rechtstheorien zur juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Fiktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Inhaltsverzeichnis
2. Theorie des künstlichen Konstrukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Theorie der sozialen Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Jüngere Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
88 89 89 90
B. Einteilung der juristischen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 C. Rechtliche Stellung der juristischen Personen im russischen Recht . . . . 94 I. Rechts-, Handlungs- und Deliktsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönlichkeit(-sfähigkeit) juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wissenschaftliche Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94 96 97 98 99
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 A. Geschäftsreputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ehre und Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Geschäftsreputation natürlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Image . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der gute Name . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Goodwill . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spezifische Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Immaterialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verkehrsfähigkeit und Vermögenscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entstehungsmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Immaterielles Gut nach Art. 150 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermögenscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verkehrsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106 107 111 112 112 113 113 113 114 114 114 116 116 117 122 124 124 127 128 129 132
B. Sonstige Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Die „Existenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II. Die autonome Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
XII
Inhaltsverzeichnis
III. Das äußere Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 IV. Die Individualisierungszeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Kapitel 6: Schutzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 A. Instrumente zum Schutz der Geschäftsreputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I. Ansprüche aus dem Zivilgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht der Wahrheit entsprechende Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unterscheidung von Tatsachenbehauptung und Meinung . . . (2) Beleidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unwahrheit der Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Exkurs: Wahrheit der Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verunglimpfender Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abwägungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich zum Abwägungserfordernis in Deutschland . . . . . . . . c) Verbreitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelne Ansprüche aus Art. 152 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerruf und Löschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Widerrufsanspruch, Art. 152 P. 1 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerruf im Sonderfall der Massenmedien, Art. 152 P. 2 S. 1 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abänderungsanspruch, Art. 152 P. 3 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Löschungsanspruch, Art. 152 P. 4 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Löschungs- und Widerrufsanspruch im Internet, Art. 152 P. 5 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schadensersatz, Art. 152 P. 9, 11 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergänzende Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ansprüche aus dem Massenmediengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerrufsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegendarstellungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zu Art. 152 P. 1, 2, 10 ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142 142 143 143 144 150 152 155 159 162 166 168 169 170 171 171 171 176 176 177 177 177 178 179 181 181 182 183 184
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I. Einordnung des Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Schadensbegriff im ZGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Schaden an der Geschäftsreputation juristischer Personen . . . . . . . . . . . 194
Inhaltsverzeichnis
XIII
a) Unterscheidung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden 194 b) Einordnung des Schadens an der Geschäftsreputation . . . . . . . . . . . . 197 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Identifizierung der relevanten Schadensposten für juristische Personen . . . 198 1. Vermögensschäden wegen Verletzung der Geschäftsreputation . . . . . . . 199 a) Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Berechnungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Nichtvermögensschäden nach Verletzung der Geschäftsreputation . . . . 206 a) Moralischer Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Sonstiger Nichtvermögensschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Reputationsschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 d) Inhalt und Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 e) Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 f) Rezeption in der Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 g) Rezeption in der wissenschaftlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 h) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
C. Instrumente zum Firmenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Instrumente zum Schutz der Unternehmensgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . E. Sonstige Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
252 253 254 255
Kapitel 7: Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 A. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 B. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
C. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 II. Einzelne Klagevoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
D. Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 E. Parallelverfahren in unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . 266 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
XIV
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 8: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz AfP AfP – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Alt. Alternative Anm. Anmerkung APK Arbitrageprozessordnung APR Allgemeines Persönlichkeitsrecht Art./ Artt. Artikel Aufl. Auflage a. A. andere(r) Ansicht a. E. am Ende a. F. alte Fassung Bd. Band BeckOGK beck-online.GROSSKOMMENTAR BeckOK Beck’scher Onlinekommentar BeckRS Beck-Rechtsprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BRD Bundesrepublik Deutschland BT-Drucks. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise ders. derselbe dies. dieselbe Diss. Dissertation d. h. das heißt EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRK Europäische Menschenrechtskonvention et al. et alii (und andere) etc. et cetera Fn. Fußnote FZ Föderales Gesetz („federal’nyj zakon“) f./ff. die folgende(n) GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts gem. gemäß GeschGehG Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (BRD)
XVI
Abkürzungsverzeichnis
GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Hervorh. Hervorhebung(en) Hrsg. Herausgeber*in/Herausgeber*innen Hs. Halbsatz h. M. herrschende Meinung ibid. ibidem (ebenda) insb. insbesondere IPR Internationales Privatrecht i. S. d. im Sinne des i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit Kap. Kapitel LG Landgericht Mio. Millionen MMR Multimedia und Recht MüKo Münchener Kommentar m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJOZ Neue Juristische Online Zeitschrift NJW Neure Juristische Wochenschrift NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nr. Nummer n. F. neue Fassung OG Oberster Gerichtshof der Russischen Föderation („Verchovnyj Sud“) OK Onlinekommentar OLG Oberlandesgericht o. Ä. oder Ähnliches P. Punkt(e) RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RF Russische Föderation Rn. Randnummer RSFSR Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik („Rossijskaja Socialističeskaja Federativnaja Sovetskaja Respublika“) Rspr. Rechtsprechung Rub. Rubel Sachnr. Sachnummer sog. sogenannte(r/n) StGB Strafgesetzbuch der BRD Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch der RF RF Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjet 1926 republik von 1926 S./s. Satz/Seite(n) unv. unveröffentlicht u. a. unter anderem/und andere Var. Variante Verf. Verfasserin
Abkürzungsverzeichnis
Verf. RF Verfassung der Russischen Föderation Vfg. Verfassungsgericht vgl. vergleiche Vorbem. Vorbemerkung(en) v. von wörtl. wörtlich ZGB Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation zit. zitiert ZPO Zivilprozessordnung der Bundesrepublik Deutschland ZPO RF Zivilprozessordnung der Russischen Föderation ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik zust. zustimmend z. B. zum Beispiel
XVII
Kapitel 1
Einführung A. Relevanz „I don’t give a damn ’bout my bad reputation!“1 – dieser Ausruf lässt sich auf Wirtschaftsunternehmen nicht übertragen, sind Ruf und Ansehen eines Unternehmens doch entscheidend für ihren wirtschaftlichen Erfolg.2 Wichtiger denn je erscheinen in diesem Zusammenhang Fragen der Corporate Social Responsibility,3 insbesondere des Umweltschutzes,4 aber auch hinsichtlich des Umgangs eines Unternehmens mit Themen wie der Korruption.5 So ist ein entsprechendes Interesse und der Schutz desselben nicht nur in Deutschland,6 sondern auch in der Russischen Föderation7 Gegenstand vieler Diskussionen. Erst vor wenigen Jahren änderte sich in Russland die für das Thema relevante, im Zivilrecht geltende, gesetzliche Lage.8 1
Die Liedzeile entstammt dem Lied „Bad Reputation“ von Joan Jett, 1981. Vergleiche nur Biesalski & Company, Was ist ein guter Ruf wert?, 2018, abrufbar unter: ; so sogar schon 1966 Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (203) mit Verweis auf die „Verhältnisse in der neuen Wirtschaftspolitik“/„v uslovijach novoj chozjajstvennoj politiki“ und den Zusammenhang zwischen Reputation und Produktionsnachfrage. 3 Siehe aus der Tagespresse: Bastian Benrath, So arbeitet es sich wirklich bei Amazon, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.08.2018, abrufbar unter: . 4 Siehe aus der Tagespresse: Christoph Schlautmann, Wie Unternehmen mit Greenwashing Kunden täuschen, Handelsblatt vom 02.07.2019, abrufbar unter: . 5 Siehe aus der Tagespresse, Doug Bannerman, David Roberts, Why eliminating corrup tion is crucial to sustainability, The Guardian vom 17.01.2012, abrufbar unter: . 6 Zur Bedeutung der (Unternehmens-)Persönlichkeitsrechtsprechung und der hohen Fallzahl in der Praxis siehe Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (2). Die wissenschaftliche Diskussion um das Persönlichkeitsrecht juristischer Personen wurde in Deutschland lange und bis vor wenigen Jahren lebhaft geführt, Cronemeyer, AfP 2 (2014), 111; Koreng, GRUR 12 (2010), 1065; Holzner, MMR-Aktuell 2010, 298851; Meissner, Persönlichkeitsschutz juristischer Personen im deutschen und US-amerikanischen Recht; zuletzt stehen insbesondere Verletzungen im Internet im Fokus der Diskussion, etwa durch sog. „Deep Fakes“, dazu Lantwin, MMR 9 (2019), 574; eine Rolle spielen dann auch Fragen des IPR, siehe Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1. 7 Im Folgenden „Russland“/„Rossija“, so auch in Art. 1 P. 1 Verf. Rf. 8 Änderungsgesetz „Über die Einführung von Änderungen im Unterabschnitt 3 des Ab2
2
Kapitel 1: Einführung
Russland, das mit seinen beinahe drei Jahrzehnten Staatsgeschichte9 ein vergleichsweise junger Staat ist, öffnete mit Gesetzesreformen10 und der wirtschaftlichen Öffnung des Landes den Weg in eine freiere Wirtschaftsordnung.11 Dies hat in kürzester Zeit zahlreiche Unternehmensriesen hervorgebracht.12 Die Einführung einer freien Marktwirtschaft auf dem Fundament einer rechtsstaatlichen und demokratischen Rechtsordnung brachte erwartungsgemäß bekannte Spannungsverhältnisse und damit Rechtsfragen auf: (Wie) Kann sich ein Unternehmen auf Persönlichkeitsrechte berufen? Wie sind (legitime) Interessen der Gewinnerhaltung bzw. -steigerung mit Äußerungsfreiheiten zu vereinbaren? Und: Kann man bei einer juristischen Person überhaupt von Persönlichkeit sprechen? Bereits im Jahre 2005 – und damit nur zehn Jahre nach der Einführung des ersten Teils des Zivilgesetzbuchs13 – verklagte das Unternehmen Alfa Bank das Printmedium Kommersant auf Zahlung eines „Reputationsschadens“ in Höhe der Rekordsumme von 300 Mio. Rubel wegen Verletzung seiner Reputation aufgrund der „Veröffentlichung von Falschinformation“.14 Das Printmedium hatte einen Artikel veröffentlicht, der den Kundenandrang auf Bargeldabhebungen angesichts der prekären Lage des Finanzmarkts beschrieb.15 In der schnitts I des ersten Teils des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation“ („O vnesenii izmenenij v podrazdel 3 razdela I časti pervoj Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii“), vom 02.07.2013, Nr. 142-FZ, abrufbar unter: . 9 Zum Stand der Arbeit Ende des Jahres 2020. 10 Insbesondere das neue Verständnis von „Eigentum“ begünstigt dies, vgl. insofern Schramm, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 35 Rn. 1. 11 Zur Bedeutung der Rechtsentwicklung im Zivilrecht für die neue Wirtschaftsordnung auch Smirnov, Diskussion der Grundlagen der Zivilrechtsgesetzgebung („Obsuždenie Osnov graždanskogo zakonodatel’stva“), Teil 2, Pravovedenie, 1992, 2, S. 106. 12 Nach dem Forbes-Rating „Die 200 größten Privatunternehmen Russlands 2020“ („200 krupnejšich častnych kompanij Rossii 2020“) hatte Lukoil auf Platz 1 einen Umsatz von 7 841 Milliarden Rub. (etwa 92 Milliarden Euro, bei 1 € = 85,6 Rub. [01.12.2021]) im Jahr 2019, Ranking abrufbar unter: . 13 Einführungsgesetz „Über die Inkraftsetzung des ersten Teils des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation“ („O vvedenii v dejstvie časti pervoj Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii“), vom 30.11.1994, Nr. 52-FZ. 14 Zwar wurde die Summe durch das Föderale Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 30.03.2005, Nr. KG-A40/1052–05, auf 30 Mio. Rub. gesenkt. Dies entsprach allerdings immer noch knapp 800 000 € (nach dem Kurs zum Jahresschluss 2004, bei 1 € = 37,61 Rub.). Die Urteile sind nicht öffentlich einsehbar. Berichte finden sich online unter und ; der Fall wird auch in der Literatur zitiert, vgl. Gavrilov, ĖŽ-Jurist 18 (2014), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus; Kuzin, ĖŽ-Jurist 26 (2005), 1 (1); Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (19). 15 Der Artikel wurde widerrufen und gelöscht, Kommersant Nr. 14, „Den’ ‚Isk‘“, Artikel vom 28.01.2005, abrufbar unter: ; zu den Umständen des Falles siehe Committee to Protect Journalists, „Court reduces financial penalty against independent daily“, Artikel vom 24.03.2005, abrufbar unter: .
A. Relevanz
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Tendenz steigt die Anzahl solcher Klagen.16 Gerade zivilrechtliche Rechtsschutzmöglichkeiten sind für die betroffenen Unternehmen von höchster Bedeutung.17 Trotz der mittlerweile ergangenen Gesetzesänderungen und Kritik am geltenden Recht bleibt die Frage nach dem Umgang mit entsprechenden Klagen daher aktuell.18 Dies hängt auch – unabhängig von dem in dieser Arbeit gewählten Themenzuschnitt auf juristische Personen – mit den Fragen des Umgangs mit der Meinungs- und Pressefreiheit zusammen. Deren Beschränkung ist auch nach Jahrzehnten der Existenz einer freiheitlichen und auf demokratischen Werten aufbauenden Verfassung weiterhin Gegenstand heftiger Kritik in Russland.19 Dazu zählen auch die jüngst erlassenen Gesetze zur Bekämpfung sog. „fake news“20 sowie Berichte zu Russlands staatlich kontrolliertem Internet21 und die damit zusammenhängenden Ausweitungen der Machtbefugnisse der zuständigen Aufsichtsbehörde Rozkomnadsor.22 Auch wegen der damit verbundenen repressiven Wirkung (gerade für Akteure des Meinungs- und Pressebereichs) ist neben der zivilrechtlichen Ausgestaltung des Persönlichkeitsschutzes juristischer Personen und seinem Verhältnis 16 17
Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (12). Tarbagaev/Gliskov, Ugolovnoe pravo 3 (2011), 58 (58). 18 So ist das Thema Gegenstand auf Konferenzen, vgl. IPQuorum2019 in Kaliningrad, dazu unter ; zur mitunter kritischen Literatur Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106; Gavrilov, Jurist 16 (2016), 37; Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2018), 113; Rožkova, Zaščita delovoj reputacii. 19 Maria Snegovaya, Is Russia a new China?, 18.02.2015, abrufbar unter: ; Tatyana Beschastna, Freedom of Expression in Russia as it Relates to Criticism of the Government, Emory International Law Review Vol. 27, abrufbar unter: . 20 Föderalgesetz „Über die Einführung von Änderungen in den Artikel 15.3 des Föderalgesetzes ‚Über Informationen, Informationstechnologien und den Schutz von Information‘“ („O vnesenii izmenenij v stat’ju 15.3 Federal’nogo zakona ‚Ob informacii, informacionnych technologijach i o zaščite informacii‘“), vom 18.03.2019, Nr. 31-FZ; das Thema bleibt auch in Deutschland aktuell, dazu etwa Lantwin, MMR 9 (2019), 574. 21 Föderalgesetz „Über die Einführung von Änderungen in das Föderalgesetz ‚Über das Netz‘ und das Föderalgesetz ‚Über Informationen, Informationstechnologien und den Schutz von Information‘“ („O vnesenii izmenenij v Federal’nyj zakon ‚O svjaz’‘ i Federal’nyj zakon ‚Ob informacii, informacionnych technologijach i o zaščite informacii‘“), vom 01.05.2019, Nr. 90-FZ; zum sog. „souveränen Internet“ siehe etwa Il’ja Roždestvenskij, „Gesetz über das ‚souveräne Runet‘. Was passiert mit dem Internet in Russland nach dem 1. November“ („Zakon o ‚suverennom runete‘. Čto proizojdet s internetom v Rossii posle 1 nojabrja“), Svoboda vom 01.11.2019, abrufbar unter: . 22 Zur Internetzensur vgl. bei von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 34, der EGMR erklärte für die Fälle 10795/14 (Vladimir Kharitonov/Russia), 12468/15, 23489/15 und 19074/16 (OOO Flavus and Others/Russia), 20159/15 (Bulgakov/Russia) und 61919/16 (Engels/Russia) aufgrund des Informationsgesetzes durch Rozkomnadsor vorgenommene Handlungen für nicht mit der EMRK vereinbar, Presseerklärung vom 23.06.2020, abrufbar unter .
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Kapitel 1: Einführung
zur Meinungsfreiheit, insbesondere im Kontext der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten,23 die Haftungsausfüllung etwaiger Ansprüche von Interesse. Hierbei spielen insbesondere sog. „Reputationsschäden“ eine Rolle.24 Während Fragen des Persönlichkeitsrechtsschutzes grundsätzlich durch das Wettbewerbsrecht und den ausführlich geregelten gewerblichen Rechtsschutz25 abgedeckt werden konnten, kommt dem allgemeinen zivilrechtlichen Schutz durch die jüngsten Entwicklungen eine neue, besondere Bedeutung zu.26 Die Thematik gab in Russland Anlass zu wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Unter den erschienenen Monografien zu nennen ist insbesondere „Zaščita delovoj reputacii v slučajach eё diffamacii ili nepravomernogo ispol’zovanija (v sfere kommerčeskich otnošenij)“ von Marina Rožkova, Moskau 2015, die den Themenbereich am umfangreichsten abdeckt. Daneben sind die Dissertationen „Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii“ von Nikolaj Archiereev, Jekaterinburg 2017, und „Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica“ von Margarita Borina, Tomsk 2017, dem Thema gewidmet. Eine Betrachtung in deutscher Sprache existiert nicht. Die russischen Beiträge behandeln europarechtliche Zusammenhänge und die Thematik der Reputationsschäden zumeist gar nicht oder nur rudimentär. Die vorliegende Arbeit hat den Anspruch, diese Lücke zu schließen.
B. Gegenstand der Untersuchung Die Untersuchung behandelt den Persönlichkeitsschutz juristischer Personen im russischen Zivilrecht. Dazu im Einzelnen: Es ist anzumerken, dass „Persönlichkeit“ und „Persönlichkeitsrecht“ keine dem russischen Recht immanenten Termini sind. Die Bearbeiterin greift auf diese Formulierung auf Grundlage ihrer juristischen Ausbildung in Deutschland zurück. Das (deutsche) Persönlichkeitsrecht meint dabei all die unter dem „Schirm“ der (menschlichen) Persönlichkeit zusammengetragenen Rechte wie das Recht auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht am eigenen Bild sowie die Rechte auf den Schutz der Ehre und Integrität, der Entstellung der Identität, des privaten Bereichs, der informationellen Selbstbestimmung und vor der Ausnutzung der Persönlichkeit.27 Für juristische Personen beschränkt 23 24
Im Folgenden: Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese sind im Gesetz nicht vorgesehen, vgl. Art. 152 P. 9 ZGB. 25 Vgl. ZGB, Buch 4. 26 Anders noch Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation – Erster Teil – Textübersetzung mit Einführung, S. 33. 27 Dies entspricht einem Überblick der gängigsten Fallgruppen des Persönlichkeitsrechts,
B. Gegenstand der Untersuchung
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sich dieser Schutz im deutschen Recht – mangels Würdebezug – auf ihren „sozialen Achtungsanspruch“.28 Strittig ist, ob es ein „Persönlichkeitsrecht“ oder auch (nur) ein „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ überhaupt gibt, oder ob angesichts der Natur juristischer Personen schlichtweg etwa von „Außendarstellungsrecht“29 gesprochen werden sollte. Diese begrifflichen Fragen stellen sich im russischen Zivilrecht nicht: Ein „Persönlichkeitsrecht“ existiert weder ausdrücklich im Gesetz, noch lässt es sich der hierzu entwickelten Rechtsprechung30 entnehmen. Rechtlicher Bezugspunkt sind die immateriellen Güter der Ehre, Würde und Geschäftsreputation. Obwohl sich diesen demnach kein Überbegriff entnehmen lässt, stellen sich hier die gleichen Fragen: Hat eine juristische Person eine Möglichkeit, ihr Ansehen zivilrechtlich zu schützen? Welche Befugnisse bzw. Rechte werden ihr durch das Recht zugesprochen? Wie werden diese ausgefüllt? Welche Freiheiten werden ihr im Rahmen ihres Zwecks31 zugestanden? Wie können diese in ihren Grenzen abgesteckt werden? Trotz der fehlenden Trennschärfe seiner Begrifflichkeit wird der Einfachheit wegen im Folgenden auf den im deutschen Recht bestehenden Begriff der „Persönlichkeit“ zurückgegriffen. All die hinter diesen Fragen stehenden Rechte werden daher unter „Persönlichkeitsschutz“ adressiert. Dies gilt trotz der Zweifelhaftigkeit des Konzepts in Bezug auf juristische Personen und dient allein der begrifflichen Handhabbarkeit des Themas. Indes nimmt die Schlussbetrachtung auf die Frage Bezug, inwieweit (auch) im russischen Recht von einem (Unternehmens-)Persönlichkeitsrecht juristischer Personen gesprochen werden kann. Während „das Persönlichkeitsrecht“ Gegenstand der Betrachtung ist, wird das zu betrachtende Subjekt allein auf juristische Personen begrenzt. Hierunter legt die vorliegende Untersuchung ihr Hauptaugenmerk auf den Persönlichkeitsschutz kommerzieller juristischer Personen. Die Arbeit versteht sich als zivilrechtliche Arbeit. Die primäre Rechtsquelle ist das Zivilgesetzbuch mit den zentralen Normen des Art. 152 Zivilgesetzbuch (ZGB oder Zivilgesetzbuch).32 Dementsprechend werden strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Fragen ausgeklammert und nicht (vertieft) behanwie es dem deutschen Zivilrecht bekannt ist, vgl. Rixecker, in: MüKo, Inhaltsverzeichnis des Anhangs zu § 12, siehe Punkt B. 28 Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 225. 29 Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1070). 30 Ob bereits von Richterrecht gesprochen werden kann, ist fraglich; zur immensen Bedeutung der Rspr. siehe aber die Zusammenfassung des Kap. 6 unter E. 31 Der Zweck orientiert sich an der gewählten Organisationsform; so haben Wirtschaftsunternehmen einen anderen Zweck als private Stiftungen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich dabei auf die Betrachtung von kommerziellen Organisationen – Wirtschaftsunternehmen, siehe dazu Kap. 4. 32 Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation erster Teil („Graždanskij kodeks Rossijskoj Federacii čast’ pervaja“), vom 30.11.1994, Nr. 51-FZ, zuletzt geändert am 31.07.2020, Nr. 251‑FZ.
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Kapitel 1: Einführung
delt. Im Mittelpunkt stehen in Hinblick auf den beschriebenen Rechtsbereich die Verhältnisse Privater zueinander. Gleichwohl besteht – wie im deutschen als auch im russischen Recht – ein unmittelbarer Bezug des Themas insbesondere zur Verfassung. Die relevanten Verfassungsrechte spielen daher eine tragende Rolle. Gleiches gilt für das Völkerrecht. Die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Bindung Russlands an die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) haben entscheidenden Einfluss auf die Rechtsprechung der russischen Gerichte, weshalb Fragen des Völkerrechts insofern Gegenstand der Betrachtung sind, als sie sich auf den russischen zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz auswirken. Punktuell wird auf entsprechende Regelungen des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutzes und den Umgang mit diesen im deutschen Recht eingegangen. Es handelt sich dabei nicht um einen vollwertigen Vergleich der jeweiligen Rechtsordnungen. Vielmehr wird primär das russische Recht behandelt. An einzelnen Stellen wird der Vergleich zum deutschen Recht bemüht, um Erkenntnisse aus der Betrachtung des russischen Rechts einer (vergleichenden) Prüfung zu unterziehen. Ungeachtet der Tatsache, dass gerade Rechtsverletzungen im virtuellen Raum zur Fülle der Klagen wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten beitragen, steht auch dies nicht im Mittelpunkt der Betrachtung. Damit möchte die Bearbeiterin dem Thema nicht seine Wichtigkeit absprechen; in Anbetracht der Schwerpunktsetzung dieser Arbeit konnte auf dieses in vielerlei Hinsicht neue Thema nur in Ansatzpunkten Rücksicht genommen werden.
C. Aufbau der Dissertation In Anschluss an Kapitel 1 widmet sich Kapitel 2 einem Überblick zur historischen Entwicklung des Persönlichkeitsrechts. Hierin wird aufgezeigt, wo das heute geltende Recht seinen Ursprung hat und welche Themen und Konflikte Gegenstand der Diskussion waren. In Kapitel 3 werden Vorüberlegungen zum Thema auf der Ebene des Verfassungs-, Völker- und Zivilrechts angestellt. Dabei werden die jeweiligen Grundlagen beschrieben und analysiert. Im Bereich des Verfassungsrechts spielt der Umgang mit der Kollision von Rechten im Allgemeinen sowie der betroffenen Verfassungsrechte juristischer Personen, der Meinungs- und Pressefreiheit und des Eingaberechts im Einzelnen eine Rolle. Auf der Ebene des Völkerrechts wird sein Einbezug in die russische Verfassung dargestellt und die jeweilige Bedeutung der genannten, miteinander in einem Spannungsverhältnis stehenden, Rechte der EMRK betrachtet. Die Vorüberlegungen zum Zivilrecht widmen sich den für das Zivilrecht geltenden dogmatischen Grundlagen. Von Relevanz sind insbesondere die sog. „immateriellen Güter“, zu denen auch die Ehre,
C. Aufbau der Dissertation
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Würde und Geschäftsreputation zählen. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern juristische Personen Trägerinnen immaterieller Güter und der sich daraus ergebenden „Nichtvermögensrechte“ sind. Kapitel 4 befasst sich mit dem rechtstheoretischen Verständnis juristischer Personen. Im Mittelpunkt steht die für das Thema der vorliegenden Arbeit relevante Frage ob juristischen Personen eine Persönlichkeitsfähigkeit zugesprochen und inwiefern eine solche den bestehenden Personentheorien entnommen werden kann. Anschließend werden in Kapitel 5 die für juristische Personen persönlichkeitsrechtlich relevanten Güter betrachtet, wozu insbesondere die Geschäftsreputation zu zählen ist. Dabei wird auf deren Herleitung aus den entsprechenden Gütern natürlicher Personen sowie auf andere, juristischen Personen „immanente“, Güter eingegangen. Kapitel 6 widmet sich den Schutzinstrumenten, die sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zum Schutz der Geschäftsreputation juristischer Personen ergeben. Zentral sind hier die Normen des Zivilgesetzbuchs und des Massenmediengesetzes. Eingehend wird Art. 152 ZGB betrachtet, der in den Punkten 1–9 verschiedene Ansprüche und Rechte vorsieht. Diese werden nach Art. 152 P. 11 ZGB mit Ausnahme des Anspruchs auf Ersatz des moralischen Schadens entsprechend auf juristische Personen angewendet. Die Ausklammerung des moralischen Schadens führt zur Frage nach der Haftungsausfüllung. Das Schadensrecht wird daher, ausgehend von Art. 152 P. 9, 11 ZGB, einer genauen Betrachtung mit besonderem Fokus auf das sehr junge Institut der sog. „Reputationsschäden“ unterzogen. Dem schließt sich die Betrachtung weiterer, nicht auf die Geschäftsreputation bezogener, Schutzinstrumente an. Sodann werden einzelne Fragen der Rechtsdurchsetzung in Kapitel 7 aufgeworfen, die für juristische Personen relevant werden können. Da sich hier – insbesondere mit Blick auf die sich durch Rechtsverletzungen im Internet ergebenden Probleme – weitere Fragen auftun, die dem Umfang einer eigenständigen Dissertation gleichen, werden diese ausgeklammert. Die Behandlung konzentriert sich daher vorrangig auf die Betrachtung des Rechtswegs, der Zuständigkeit, der Beweislastverteilung und des vorläufigen Rechtsschutzes. Zuletzt erfolgt mit Kapitel 8 eine Schlussbetrachtung. Enthalten sind neben einem Fazit der Rechtsprechungsanalyse, einer Stellungnahme zu aktuellen Tendenzen und einer Bewertung des Konzepts „Reputationsschaden“ einige rechtspolitische Erwägungen.
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Kapitel 1: Einführung
D. Methodische Fragen Für die Bearbeitung der vorliegenden Thematik wurden (nach den herkömmlichen Auslegungsmethoden) die entsprechenden Normen der russischen Gesetzgebung analysiert. Die sich für das Thema ergebenden Fragen werden durch das kodifizierte Recht nur in sehr geringem Umfang beantwortet. Das sich daraus ergebende Verständnis wurde um eine Betrachtung und Auswertung der zugehörigen Rechtsprechung erweitert. Hierzu gehört insbesondere die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation33 und – für die Zeit bis 2014 – des Höchsten Arbitragegerichtshofs, welche die der Arbeit zugrundeliegenden Rechtsbereiche in einer Vielzahl von Entscheidungen fortentwickelt hat. Aufgrund seiner Knappheit ergänzen diese Entscheidungen den Gesetzestext und haben damit für das geltende Recht entsprechendes Gewicht. Das Äußerungsrecht im Allgemeinen wurde in vielen Bereichen durch die Rechtsprechung des EGMR überlagert. Auch seine Rechtsprechung und deren Rezeption durch die russischen Gerichte wurde daher bei der Bearbeitung der Thematik berücksichtigt. Daneben wurde die zugehörige rechtswissenschaftliche Literatur einer umfassenden Analyse unterzogen.
E. Formale Fragen Sprachlich ist auf folgende Übersetzungsspezifika hinzuweisen: Die Transliteration der Literaturangaben auf Kyrillisch werden entsprechend der in der Slawistik anerkannten Weise34 dargestellt. Wenn nicht anders vermerkt (wie etwa für die Übersetzungen der verwendeten Texte der Verfassung der Russischen Föderation und für die des Art. 152 Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation), wurden die Übersetzungen zitierter Textstellen aus dem Russischen ins Deutsche von der Verfasserin der Arbeit vorgenommen. In Russland existieren verschiedene Bezeichnungen für richterliche Entscheidungen (im weiteren Sinne). Dazu gehören Postanovlenie, Opredelenie und Rešenie. Daneben erlässt insbesondere der Oberste Gerichtshof zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung Zusammenfassungen und Erklärungen, sog. Obzor. Im Sinne einer einheitlichen Verwendung der Terminologie ist daher auf Folgendes hinzuweisen: Opredelenie wird im Folgenden als „Entscheidung“, Rešenie als „Beschluss“ übersetzt. Obzor wird unter „Übersicht der Rechtsprechung“ oder „Praxisübersicht“ (Obzor praktiki) geführt. Bei Postanovlenie ist zu unterscheiden: Handelt es sich um höchstrichterliche Entscheidungen zu 33 34
Im Folgenden: OG. Nach Din 1460, vgl. dazu Bruns, Einführung in die russische Sprachwissenschaft, S. 39.
E. Formale Fragen
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dem rechtlichen Verständnis einer oder mehrerer Normen und Sachverhalte, so wird dies als „Plenarbeschluss“ übersetzt. Handelt es sich um eine (oftmals instanzerledigende) Entscheidung, so wird von „Urteil“ gesprochen. Hinsichtlich der verwendeten Quellen gilt Folgendes: Sofern nicht anders vermerkt, wurden die russische und sowjetische Rechtsprechung der Onlinedatenbank Konsul’tant35 entnommen. Für die Literaturrecherche wurde auf die Bestände der Bibliothek des Instituts für Osteuropäisches Recht zurückgegriffen. Zudem konnte in einem Forschungsaufenthalt an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg in der Bibliothek der juristischen Fakultät geforscht werden. Teilweise entstammen Aufsätze und Kommentare, die ursprünglich in einer anderen (Print-)Publikation veröffentlicht wurden, der Onlinedatenbank Konsul’tant. Dies wurde mit dem Zusatz „aus: Konsul’tant Pljus“ in den Fußnoten gekennzeichnet. Die Angabe der Seitenzahl orientiert sich dann an der entsprechenden Onlineversion. Zur zeitlichen Einordnung wird dennoch das Jahr des Erscheinens und der Ort der Veröffentlichung angegeben. Wurde eine Publikation speziell für die Onlinedatenbank bereitgestellt, so findet sich hierzu ein Hinweis im Literaturverzeichnis („Juridičeskaja pressa [für: Konsul’tant Pljus]“). Internetquellen werden stets mit dem zugehörigen Link und dem Datum des letzten Abrufs angegeben. Die zitierten Gesetze der Russischen Föderation sind ebenfalls über die Onlinedatenbank Konsul’tant abrufbar.
35 Abrufbar
unter: .
Kapitel 2
Historische Entwicklung des russischen Persönlichkeitsrechtsschutzes Zum Verständnis der Besonderheiten der Dogmatik und Systematik der Kodifikation des hier zu betrachtenden Rechtsgebietes ist die geschichtliche Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes zu skizzieren.
A. Vorrevolutionäre Zeit Die ersten nennenswerten Entwicklungen im privatrechtlichen Bereich1 des immateriellen Rechtsgüterschutzes lassen sich auf die vorrevolutionäre Zeit zurückführen. Dem Begriff der „Geschäftsreputation“ wurde bereits damals Bedeutung beigemessen. Das Wort eines Kaufmannes2 zählte in Abhängigkeit der Beschaffenheit seiner Geschäftsreputation mehr als seine Unterschrift beim Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages.3 Während sich zu juristischen Personen keine entsprechenden Gesetzesentwürfe oder gesetzliche Regelungen finden lassen, wurde im Wettbewerbsrecht der „Kredit“ einer Person geschützt.4 Hier finden sich bereits viele der Überlegungen wieder, die heute der Diskussion um Persönlichkeitsinteressen zuzuordnen sind.5 Zwischen verschiedenen Schadensarten wurde dabei nicht differenziert.6 Allerdings existierten bereits Forderungen nach der Einführung eines „immateriellen Schadens“ für den Bereich des Presserechts.7 1 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 6, aus: Konsul’tant Pljus, beschreibt auch strafrechtliche Sanktionsregelungen bei Verletzung der Ehre aus dem elften Jahrhundert nach dem damals geltenden Recht der „Russkaja Prawda“ nach Jaroslaw I. 2 „Kupez“. 3 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 1, aus: Konsul’tant Pljus. 4 Für das Wettbewerbsrecht leider ohne Normnennung Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 56, 57; Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 7, aus: Konsul’tant Pljus. 5 Vgl. Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 57. 6 So Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 57; Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 6, aus: Konsul’tant Pljus. 7 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 7, aus: Konsul’tant Pljus.
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Kapitel 2: Historische Entwicklung des russischen Persönlichkeitsrechtsschutzes
B. Entwicklungen in den Jahren 1917–1922 Die Revolution und die Gründung der Sowjetunion im Jahre 1922 brachten den entscheidenden Bruch zum zaristischen Russland und die gesellschaftliche, politische wie auch wirtschaftliche Wende. Als eines der ersten Dekrete verabschiedeten die just an die Macht gelangten Bolschewiki im Jahre 1917 ein Dekret über die Presse8 und mit ihm die darin verankerte Sanktion der Verleumdung durch die Presse. Dieses politische Instrument versprach vollumfängliche Freiheit für das Ende des verwaltungsrechtlichen Einflusses auf die Presse, „sobald die neue Ordnung erstarken“ würde.9 Anzumerken ist, dass das ZGB von 192210 und die darin enthaltene Umsetzung der „Neuen Ökonomischen Politik“ (1921–1928)11 erstaunlich viele kapitalistische12 Elemente barg. Mit Einschränkungen existierte auch das Privatrecht; ebenso konnten juristische Personen Rechtsgeschäfte abschließen.13 Nach Art. 13 ZGB 1922 galten juristische Personen als Personenvereinigungen, Anstalten oder Organisationen, die als solche Vermögensrechte erwerben, Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden können.14 Dies erinnert bereits stark an das heutige Rechtsverständnis15 (privater) juristischer Personen. Berücksichtigt wurde normativ auch „die Persönlichkeit“. Gem. Art. 403 ZGB 1922 war für den Schaden der „Persönlichkeit“ jedenfalls der vermögensbezogene Schaden ersatzfähig.16
8 Dekret über die Presse („Dekret o pečati“), vom 27.10.1917, aus T. I., Dekrety Sovetskoj vlasti, 1957, zit. nach und abrufbar unter: . 9 Im Wortlaut: „[…] kak tol’ko novyj porjadok upročitsja, – vsjakie administrativnye vozdejstvija na pečat’ budut prekraščeny“. Dementsprechend ist dieses Dekret aus dem heutigen Blickwinkel wohl weniger als Wegbereiter des modernen Persönlichkeitsschutzes im russischen Recht, sondern vielmehr als erstes Zeichen der politischen Zensurbemühungen der Zeit einzuordnen. 10 Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1922 („Graždanskij kodeks Rossijskoj Sovetskoj Federativnoj Socialističeskoj Respubliki“), vom 31.10.1922 (ZGB 1922), siehe Meder, Das Sowjetrecht, S. 559. 11 Meder, Das Sowjetrecht, S. 94 ff. 12 Terminus als Gegensatz zu „sozialistisch“. 13 Meder, Das Sowjetrecht, S. 170. 14 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 20. 15 Siehe dazu infra Kap. 4. 16 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 145; vorgesehen war Naturalrestitution nach Art. 410 ZGB 1922, war diese nicht möglich, musste Schadensersatz geleistet werden. Hierunter wurde für Persönlichkeitsschäden der materielle Schadensersatz verstanden, Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 7, aus: Konsul’tant Pljus.
C. Entwicklungen in den Jahren 1922–1961
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C. Entwicklungen in den Jahren 1922–1961 Die „Neue Ökonomische Politik“ erwies sich als „Provisorium“ und wurde durch die „Politik der Rekonstruktion des Sozialismus“ (1928–1935) ersetzt.17 Mit diesem Wandel des Sozialismus verschwanden die „kapitalistischen“ Charakterzüge des ZGB der RSFSR und das Recht nahm einen „rein sozialistischen Charakter“ an.18 Der Gesetzgeber realisierte diesen Wandel zwar erst mit dem ZGB von 1964, die Praxis manifestierte ihn jedoch bereits frühzeitig zum Ende der Zwanziger- und zu Beginn der Dreißigerjahre.19 Bürgerliche Rechtsverhältnisse und private Kapitalgesellschaften verloren an Bedeutung, einzelne gesetzgeberische Akte, die diese Regeln änderten bzw. ergänzten, vor allem aber auch die Ansichten der damaligen Wissenschaft, trugen zum Bedeutungsverfall privatrechtlicher Freiheiten in der Praxis bei.20 Die Frage der Schutzbedürftigkeit immaterieller Interessen und den damit zusammenhängenden Rechtsgütern zum Persönlichkeitsschutz wurde in der juristischen Literatur bis etwa 194021 kaum diskutiert.22 Dies lässt sich womöglich damit erklären, dass individuelle Interessen aus politischer Sicht nicht im Mittelpunkt standen. Die schwache finanzielle und wirtschaftliche Lage des Staates und seiner Bürger erlaubten zudem eine solche Fokussierung nicht. Eine große Rolle spielten die von Wladimir I. Lenin erarbeiteten (und durch Josef W. Stalin weiterentwickelten) Staats- und Gesellschaftstheorien.23 Mit dem Bestreben, den „Sozialismus in einem Land“24 in der Sowjetunion durch Industrialisierung und Zwangskollektivierung umzusetzen, wandelte sich der Eigentumsbegriff von einem mehrgliedrigen25 zu einem einseitig sozialistischen Begriff, der ein sehr restriktives Verständnis des Eigentums einer einzelnen (Privat-)Person vorsah.26 17
Meder, Das Sowjetrecht, S. 94; Hildermeier, Die Sowjetunion 1917–1991, S. 25 ff. Meder, Das Sowjetrecht, S. 171. 19 Meder, Das Sowjetrecht, S. 171, 172. 20 Meder, Das Sowjetrecht, S. 172. 21 Wendepunkt war die im Jahre 1940 verteidigte Dissertation von Ekaterina Abramovna Flejšic, Ličnye prava v graždanskom prave SSSR i kapitalističeskich stran; Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 53, nimmt auf die Jahre zwischen 1930 und 1940 mit Verweis auf das Werk von Flejšic Bezug. 22 So Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 58 ff.; Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 7, aus: Konsul’tant Pljus. 23 Meder, Das Sowjetrecht, S. 96 f. 24 Entgegen Lenins anfänglichen Vorstellungen, die vollständige Erreichung des Ziels des „Sozialismus in einem Land“ sei unmöglich, während andere Länder kapitalistisch geprägt waren, so Meder, Das Sowjetrecht, S. 96; siehe etwa Hildermeier, Die Sowjetunion 1917– 1991, S. 24. 25 Kapitalistische Elemente waren in der Phase des Frühsozialismus (1921–1935) in der Gesetzgebung (bis 1964) und in der Rechtspraxis vorhanden. 26 Meder, Das Sowjetrecht, S. 178–179, neben dem enger werdenden Begriff für das Ei18
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Kapitel 2: Historische Entwicklung des russischen Persönlichkeitsrechtsschutzes
Bereits im Laufe der Zwanzigerjahre vollzogen die Rechtsprechung und die „gelebte“ Praxis eine Transformation:27 Gab es im Jahr 1922 noch „Privateigentum“, wurde dieses zu „Persönliche[m] Eigentum“.28 Der Kreis der hierunter zu fassenden Dinge wurde enger.29 Angesichts dieser Entwicklungen ist es nicht verwunderlich, dass kein Bewusstsein für die Bedeutung immaterieller Güter und damit kein Raum für den Schutz (auch) eigentumsähnlicher, absolut zu schützender Güter vorhanden war.30 Die bereits erwähnte Fokussierung auf politisch bedingte sozialistische Kollektivinteressen und die Konzentrierung auf staatlichen Rechtsgüterschutz nahm das Interesse der politischen Agenda vollständig für sich ein. Auch in der Literatur wird angeführt, dass die Interessen Privater zugunsten der Interessen des Staates im Privatrechtsbereich zunehmend an Bedeutung verloren.31 Der Schutz des Ansehens eines Unternehmens war in einer planwirtschaftlichen und nicht von freiem Wettbewerb bestimmten Wirtschaftsordnung nicht vorgesehen.32 Relevanz hatten lediglich strafrechtliche Regelungen zum Schutz der Ehre und Würde,33 während die Aufgabe des Zivilrechts in der Regelung materieller Interessen und den damit zusammenhängenden Rechtsverhältnissen gesehen wurde.34 Erklärt wird die Regelungslücke mit der geringen Fallzahl und der daraus resultierenden fehlenden Notwendigkeit der Kodifikation zivilrechtlicher Regelungen.35 gentum, das in privater Hand stand, gab es „Staatseigentum“ und „Genossenschaftliches Eigentum“; es bestand gewissermaßen ein dreiteiliger Eigentumsbegriff. 27 Meder, Das Sowjetrecht, S. 179, entscheidend war die begriffliche Zuordnung. Staatseigentum meinte alle Sachen. Genossenschaftliches Eigentum war etwas beschränkter: Gemäß § 53 ZGB 1922 gehörten der Boden, die Wälder und die Gewässer nicht dazu, da dies ausschließlich Staatseigentum war. Form nahm dies allerdings erst 1964 mit dem dann neuen ZGB der RSFR an. 28 Meder, Das Sowjetrecht, S. 180. 29 Meder, Das Sowjetrecht, S. 180. 30 Während das deutsche Reichsgericht die Existenz eines umfassenden zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts im Jahre 1908 verneinte, vollzog die Entwicklung in der Rechtsprechung mit dem Tätigwerden des Bundesgerichtshofs ab 1949 eine Kehrtwende, m. w. N. Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 1. Vgl. (m. w. N. zur reichsgerichtlichen Rechtsprechung) BGH, Urteil vom 25.05.1954 – I ZR 211/53, NJW 1954,1404, der davon ausgeht, dass „das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht angesehen werden [muss].“ 31 So etwa bei Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 58. 32 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 58. 33 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (64). 34 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 17. 35 So Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (65), der sich für eine zivilrechtliche Regelung aussprach und Kritik an der vermeintlichen „Gegenstandslosigkeit“ übte, die er als Argument nicht gelten lassen wollte. Auch Ioffe plädierte aber nur für eine allgemeine Regelung hinsichtlich der persönlichen Nichtvermögensrechte, ohne einen „ganzen Unter-
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Das Strafgesetzbuch der RSFSR36 von 1926 hingegen sah in den Artt. 159 ff. des Kapitels 6 Strafen für Beleidigung37 und Verleumdung38 vor. Die strafbewehrten Sanktionen waren jedoch niedrig, da der Rechtsgüterschutz des Einzelnen wenig ausgeprägt war und die staatliche Gefahrenabwehr als kriminalpolitische Zielbestimmung zur hindernislosen Zielerreichung des Sozialismus im Vordergrund standen.39 Die wörtliche oder schriftliche Beleidigung zog eine Geldstrafe von bis zu 300 Rubel, die durch eine Handlung beigebrachte Beleidigung „Besserungsarbeit“40 von bis zu zwei Monaten oder eine Geldstrafe von bis zu 300 Rubel mit sich, Art. 159 Strafgesetzbuch 1926. Wurde die Beleidigung verbreitet oder öffentlich ausgestellt, erhöhte sich das Strafmaß auf bis zu sechs Monaten „Besserungsarbeit“, Art. 160 Strafgesetzbuch 1926. Nach Art. 161 Strafgesetzbuch 1926 war für die Verleumdung Besserungsarbeit bis zu sechs Monate oder eine Geldstrafe von 500 Rubel vorgesehen. Erfolgte die Verbreitung „schriftlich oder auf anderem Wege“, erhöhte sich die Strafe wiederum auf ein Jahr respektive eine Geldstrafe bis 1 000 Rubel.41 Ähnliche Strafen waren in den Art. 193.5 und Art. 193.6 des Strafgesetzbuches 1926 für Beleidigungen gegenüber Vorgesetzten vorgesehen. Die Regelungsdichte im strafrechtlichen Bereich gegenüber der gesetzlichen wie auch wissenschaftlichen Lücke im zivilrechtlichen Bereich des Persönlichkeitsschutzes lässt erahnen, dass zwar die Handlungen selbst – möglicherweise aufgrund entsprechender politischer Motivation – sanktioniert werden, nicht aber die (wirtschaftlichen) Interessen des Geschädigten Berücksichtigung erhalten sollten. Zu den wenigen Verfechtern der Einführung zivilrechtlicher Regelungen zum Schutz der menschlichen Persönlichkeit ist Olimpiad S. Ioffe zu zählen.42 Als einer der Ersten verwies er auf den bis dahin kaum erforschten Bereich abschnitt des ZGB“ zu fordern; auch das Namensrecht hatte keine praktische Relevanz, siehe Genkin u. a., Sowjetisches Zivilrecht, S. 224. 36 Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1926 („Ugolovnyj kodeks Rossijskoj Sovetskoj Federativnoj Socialističeskoj Respubliki 1926 goda“), in seiner Fassung bis 1956 (Strafgesetzbuch 1926). 37 „Oskorblenie“. 38 „Kleveta“. 39 Meder, Das Sowjetrecht, S. 199. 40 „Prinuditel’nye raboty“. 41 Das durchschnittliche Monatsgehalt lag 1927 bei etwa 63 Rub. Die Strafe von 300 bis 1 000 Rub. entsprach der etwa fünf- bis sechzehnfachen Summe des Monatsgehalts, vgl. hierzu die Übersicht unter . 2020 betrug das durchschnittliche Monatsgehalt rund 52 000 Rub. (Bericht „Sozial-Ökonomische Lage der Russischen Föderation“ [„Social’no-ėkonomičeskoe položenie Rossii“], S. 6, siehe ), nach Art. 128 Strafgesetzbuch der Russischen Föderation ist für die Verleumdung eine Geldstrafe von 500 000 bis 5 Mio. Rub. vorgesehen – also etwa die elf- bis hundertelffache Summe eines Monatsgehalts. 42 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56; in Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51, geht Ioffe näher auf die entsprechende Funktion des Zivilrechts ein.
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nichtvermögensbezogener Rechtsverhältnisse.43 Er entwickelte in seinen Überlegungen die Notwendigkeit der Schaffung solcher Rechte wie die Feststellung der Verletzung der Ehre und Würde vor Gericht und einen Anspruch auf Urteilsveröffentlichung nach Ehrverletzung. Danach sollte ein Anspruch nach einer solchen Verletzung verschuldensunabhängig gewährt werden.44 Nach Ioffe sollten die Ansprüche zudem nicht der Verjährung unterliegen, denn „der sowjetische Bürger hat ein Recht auf richtige gesellschaftliche Einschätzung seiner Persönlichkeit unabhängig von einem bestimmten zeitlichen Moment“.45 Obwohl keine zivilrechtliche gesetzliche Regelung bestand, verwies Flejšic aber bereits in ihrer 1951 erschienenen Monografie auf richterliche Entscheidungen zum Schutz der Ehre bei Verbreitung unwahrer Tatsachen, insbesondere aus dem Arbeitsrecht.46 Danach konnte der Richter etwa zur Vernichtung der entsprechenden Ausgabe einer Veröffentlichung verpflichten. War ein Vermögensschaden entstanden, konnte neben seinem Ersatz die gerichtliche Feststellung der Unwahrheit beantragt werden.47 Auch die juristische Person stand weniger im Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtung. Archiereev erklärt dies mit der rechtstheoretischen Natur juristischer Personen als „Fiktion“.48 Dies führte danach auch zu der Ansicht, die Natur der juristischen Person lasse die Verletzung ihrer Geschäftsreputation mangels eigenen Reputationsvermögens nicht zu.49 Die Theorienbildung zum Verständnis der juristischen Person in der russischen Rechtswissenschaft gründet auf Werken deutscher Rechtswissenschaftler, u. a. Friedrich Carl von Savigny und Georg Friedrich Puchta.50 Als erste primär russische Strömung werden die Vertreter der „Theorie der Personifizierung“ wahrgenommen, die Ende des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts erarbeitet wurde.51 Zu den Vertretern dieser Theorie zählen Gabriel F. Šeršene43 Ioffe, Voprosy sovetskogo prava, Ob osnovnych voprosach sovetskogo graždanskogo prava, 1953, N. 151, S. 50, zit. nach Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (144 Fn. 4). 44 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (66). 45 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (66). 46 Flejšic, Objazatel’stva iz pričinenija vreda i iz neosnovatel’nogo obogaščenija, S. 21 f. 47 Flejšic, Objazatel’stva iz pričinenija vreda i iz neobosnovtel’nogo obogaščenija, S. 22. 48 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 59. 49 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 59. Diese Aussage ist mit Schmidt insofern kritisch zu sehen, als die sog. „Fiktionstheorie“ nach Friedrich Carl von Savigny nicht das Wesen der juristischen Person betrachtet, sondern nach den Voraussetzungen fragt, unter welchen eine juristische Person Rechtssubjektivität erlangen kann, Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 196, 198, von „Fiktion“ spricht Savigny daher primär in Abgrenzung zu der Natürlichkeit des Menschen; zur daher begründeten Kritik an der Verwendung des Wortes „Fiktion“ auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band/Zweiter Teil, Die juristische Person, S. 3 ff., 18. 50 Suchanov, Sravnitel’noe korporativnoe pravo, S. 7, aus: Konsul’tant Pljus; Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 106. 51 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 109.
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vič, Aleksej M. Guljaev, Evgenij N. Trubeckoj und Igor’ M. Tjutrjumov.52 In den frühen Jahren der sowjetischen Rechtslehre entwickelte sich die Theorie des staatlichen „Trusts“. Danach war die juristische Person ein staatliches Gebilde, erschien aber gleichzeitig als selbstständiges Rechtssubjekt.53 Vertreten wurde zudem im weiteren Verlaufe des zwanzigsten Jahrhunderts die „Doktrin der sozialen Realität“ – eine Strömung innerhalb der „Doktrin des realen Subjekts“. Die juristische Person wurde hier als ein reales Rechtssubjekt, welches zwar nicht als Mensch, doch aber als körperlose Person existiert, verstanden.54 Prägend war an dieser Stelle Genkin, nach dem die juristische Person soziale Realität und Trägerin eigener ziviler Rechte und Pflichten sowie Inhaberin eines getrennten Vermögens zur Wahrnehmung der ihr auferlegten Pflichten ist.55 Insbesondere im Lichte der rechtsinstrumentalisierenden Sowjetmacht ist dies als Gegenentwurf zu den vorherrschenden Theorien sowjetischer Gelehrter zu sehen. Für die Unterscheidung war die Frage nach der Subjektsqualität der juristischen Person maßgeblich. So verneinte der sowjetische Vertreter der „Theorie des Kollektivs“, Bratus’, gar eine eigenständige Bedeutung der juristischen Person als Rechtssubjekt.56 Die „Theorie des Kollektivs“ galt lange Zeit als einer der herrschenden Denkansätze.57 Dieser war ein Novum im Gegensatz zu den Ansätzen jener Theorien, die staatliche oder staatsnahe Verwaltungseinheiten als die eigentlichen willenslenkenden Figuren der juristischen Person ansahen.58 Nach der Theorie des Kollektivs war nicht der Staat, sondern die Arbeiterschaft willensgebend für die juristische Person.59 Diskutiert wurde auch die Frage des dahinterstehenden „menschlichen Substrats“.60 Die Fragen der Rechtssubjektsqualität und des willensgebenden bzw. -lenkenden 52 Ausführlich zu den einzelnen Strömungen bei Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 109. 53 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 167. 54 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 111. 55 Genkin, Problemy socialističeskogo prava, Juridičeskie lica v sovetskom graždanskom prave, 1939 Nr. 1, S. 91–92, zit. nach Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 174 Fn. 1. 56 Bratus’, Juridičeskie lica v sovetskom graždanskom prave, S. 46 ff.; beschrieben auch bei Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 174; zu Bratus’ Arbeit auch Tolstoj, in: Litovkin/Rachmilovič, Problemy sovremennogo graždanskogo prava, S. 81 ff. (85 f.). 57 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 112, 170; A. Venediktov, Staatliches sozialistisches Eigentum (russ.), Leningrad 1948, S. 664 ff., zit. nach Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation – Erster Teil – Textübersetzung mit Einführung, S. 28. 58 „Theorie des Staates“, „Theorie der Administration“, „Theorie des Direktors“; ausführlich zu den einzelnen Theorien Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 111; Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation – Erster Teil – Textübersetzung mit Einführung, S. 28. 59 Mit Verweis auf die entsprechenden Vertreter, Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 112. 60 Von Gelehrten wie M. Braginskij, D. Genkin et al., siehe hierzu Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 112; a. A. Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 178.
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Elements waren bezeichnend für die Unterschiede in den verschiedenen Ansichten. Neben dieser insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rein wissenschaftlichen Diskussion war die Realität eine andere. Die willensgebende und willenslenkende Entscheidung lag stets bei dem zentralistisch organisierten Staat.61 Kozlova versteht die sozialistische juristische Person nach ihrem Wesen als vom Staat oder auf Initiative der Arbeiterschaft gegründet.62 Eine große Rolle spielte die Frage, ob der Staat oder das Kollektiv willensgebend und lenkungsentscheidend ist.63 Revolutionär, wenngleich aufgrund der politischen Lage wissenschaftlich unvertretbar, waren Vorstöße der Kollektivtheorie, die die juristische Person selbst für willenserzeugend und willensäußernd hielten.64 Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Persönlichkeitsrecht und sein zivilrechtlicher Schutz in der Sowjetunion in den Jahren 1922–1961 zugunsten der auf das „Allgemeinwohl“ konzentrierten Realität und der fehlenden treibenden wissenschaftlichen Kraft in den Hintergrund trat. Auch juristische Personen im Sinne unabhängiger Verbandspersonen waren in jeder Hinsicht eine Randerscheinung, deren eigentliche Zweckgebung hinter der politischen Lenkkraft des Staates verschwand.65
D. Entwicklungen in den Jahren 1961–1964 und später Das Jahr 1940 markierte den Beginn einer Wende in der persönlichkeitsrechtsarmen Geschichte des sowjetischen Zivilrechts, wofür unter anderem die Arbeit der Wissenschaftlerin Flejšic66 maßgeblich war. Der Fokus auf den Schutz der „persönlichen Nichtvermögensrechte“ lässt sich jedenfalls für die wissenschaftliche Literatur konstatieren. Dies gilt nicht zuletzt, weil „der harmonische Einklang materieller und moralischer Anreize sozial nützlicher Tätigkeiten“ zu den „wichtigsten Prinzipien des Sozialismus“ gezählt wurde.67 Umstritten blieb die Frage, ob der Schutz von Persönlichkeitsrechten rein über das Straf- und Verwaltungsrecht, oder aber auch über das Zivilrecht si61 Meder, Das Sowjetrecht, S. 176, 177; auch 453 ff.; Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 43, verweist gleichwohl auf die faktische Eindimensionalität der Thematik: Zu sowjetischer Zeit gab es eine juristische Person – den Staat. 62 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 170. 63 Krasavčikov, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 1 (1976), 47 (48 ff.). 64 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 87, der auf die Arbeiten von Venediktov und Bratus’ verweist. 65 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 43. 66 Flejšic, Ličnye prava v graždanskom prave SSSR i kapitalističeskich stran. 67 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (51).
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chergestellt werden sollte.68 So sah Ioffe keinen Auftrag des Zivilrechts zum Schutz der Persönlichkeitsrechte, da das Zivilrecht seinem Sinn und Zweck nach der Regulierung vermögensbezogener Verhältnisse zugeordnet war, nicht aber jenen Rechtsverhältnissen, die lediglich dem „Güterschutz“ unterlagen.69 Flejšic begründete die Notwendigkeit der Regelung durch das Zivilrecht ebenfalls mit einem teleologischen Argument: Nur das Zivilrecht könne den ursprünglichen Zustand auf Seiten des Geschädigten voll wiederherstellen.70 Kontrovers wurde in diesem Zusammenhang auch diskutiert, ob zivilrechtliche Regelungen fahrlässig begangene Handlungen erfassen sollten. Diese hatten bzw. haben mangels Vorsatzes keine strafrechtliche Bedeutung.71 Interessant ist, dass primär nicht Opferschutzgesichtspunkte im Mittelpunkt standen, sondern die Bemühung, die bestehende Lücke der vollständigen Tätersanktionierung zu schließen.72 Der wissenschaftliche Diskurs trug Früchte. Bereits in der Veröffentlichung der „Grundlagen der zivilrechtlichen Gesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken von 1961“73 und später auch im ZGB der RSFSR von 196474 finden sich mit der Präambel75 der Grundlagen der Zivilgesetzgebung der UdSSR 68 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 19. 69 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (57), trifft danach die Bestimmung der Regelungsgegenstände eines Rechtszweigs nach dem, was dieser reguliert („Regulierung“/ „regulirovanie“) und nicht, was er schützt („Schutz“/„ochrana“); Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (199), nach welchem zum Regelungsgegenstand grundsätzlich nur vermögensbezogene und damit verbundene, nicht vermögensbezogene Rechtsbeziehungen gehören. 70 Flejšic, Ličnye prava v graždanskom prave SSSR i kapitalističeskich stran, S. 101. 71 Flejšic, Ličnye prava v graždanskom prave SSSR i kapitalističeskich stran, S. 57; a. A. A. Vyšinskij, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 1939, N. 3, „XVIII s”ezd VKP(b) i zadači nauki socialističeskogo prava“, S. 1–26 und D. Genkin, Sovetskoe gosudarstvo i pravo, Predmet sovetskogo graždanskogo prava, 1939 Nr. 4, S. 38, zit. nach Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 19 Fn. 3; Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 10 Fn. 8; Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 59, 60. 72 Flejšic, Objazatel’stva iz pričinenija vreda i iz neobosnovtel’nogo obogaščenija, S. 100, bespricht auch die Schutzlosigkeit des Opfers angesichts der Lücke. 73 „Osnovy graždanskogo zakonodatel’stva sojuza SSR i sojuznych respublik 1961“. 74 Gesetz „Zur Ratifikation des Zivilgesetzbuchs der RSFSR“ („Ob utverždenii Graždanskogo kodeksa RSFSR“), vom 01.10.1964; die Zivilgesetzgebung erging für die UdSSR und für alle Unionsrepubliken; Zivilgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik von 1964 („Graždanskij kodeks Rossijskoj Sovetskoj Federativnoj Socialističeskoj Respubliki“), vom 11.06.1964 (ZGB 1964). 75 Übersetzung entnommen Meder, Das Sowjetrecht, S. 447 f., „[…] Die sowjetische Zivilgesetzgebung regelt die vermögensrechtlichen Rechtsverhältnisse, die sich aus der Anwendung des Systems der Ware-Geld-Beziehungen beim Aufbau des Kommunismus ergeben sowie die mit diesen Beziehungen in Zusammenhang stehenden nichtvermögensrechtlichen persönlichen Rechtsverhältnisse.“
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schriftliche Belege für ein Bewusstsein für die Notwendigkeit zur Regelung76 und für die Schutzwürdigkeit nichtvermögensrechtlicher Rechtsbeziehungen. Art. 7 ZGB 1964 – der „Schutz der Ehre und Würde“ – fungierte als die erste zivilrechtliche Norm zum Schutz der genannten Güter und stellt so die Vorgängernorm des heutigen Art. 152 ZGB dar. Ein Schutz der Geschäftsreputation war in der Version des ZGB 1964 noch nicht vorgesehen, interessanterweise aber eine Gleichstellung natürlicher wie juristischer Personen.77 Damit konnten sich sowohl natürliche wie auch juristische Personen erstmals78 auf die Rechtsgüter der Ehre und Würde berufen.79 Bereits enthalten waren die Ansprüche auf Widerruf (S. 1), auf Widerruf bei Rechtsverletzung in Massenmedien (S. 2), der Anspruch auf Änderung, falls die Äußerungen in einem Dokument enthalten waren (S. 3), der Gegendarstellungsanspruch in den Massenmedien80 (S. 5) sowie ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz81 (S. 7).82 Ansprüche auf materiellen Schadensersatz existierten hingegen nicht.83 Die Tendenz dieser Sichtbarmachung der Persönlichkeitsrechte mag mitunter auch auf völkerrechtliche Verpflichtungen durch den Abschluss internationaler Abkommen zurückzuführen sein.84 76
Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (51). sind nach der Norm „Der Bürger oder die Organisation“/„Graždanin ili organizacija“. 78 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 53. 79 Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (203), spricht bereits von der „Reputation“ von Unternehmen und deren damit verbundenen Vermögensinteressen. 80 S. 5 im ZGB 1964 unterschied sich in einigen Punkten von der Version des Art. 7 S. 5 in den Grundlagen der zivilrechtlichen Gesetzgebung der UdSSR von 1961: Neben dem Bürger konnte auch dessen gesetzlicher Vertreter den Anspruch geltend machen; der Gegendarstellungsanspruch war anders als 1961 auch bei der Verbreitung unwahrer Tatsachen und nicht nur bei „die Rechte und Interessen des Bürgers verletzenden Tatsachen“ vorgesehen; daneben enthielt er die Zusätze, dass neben einer Antwort auch ein Kommentar oder eine Replik zulässig war und die Gegendarstellung entsprechend der gesetzlichen Vorgaben erfolgen musste. 81 Der Anspruch auf immateriellen Schatzersatz war im Jahre 1961 noch nicht vorgesehen. S. 7 enthielt hier die Möglichkeit der Gerichte, dem Rechtsverletzer eine Strafzahlung aufzuerlegen, die an den Staat zu zahlen war, wenn der gerichtlichen Entscheidung zur Vornahme der vorgesehenen Handlung nicht nachgekommen wurde. 82 S. 4 legte in beiden Versionen des Art. 7 fest, dass den Gerichten die Festlegung der Widerrufsvornahme vorbehalten war. Nach S. 6 war – in der Version von 1964 mit kleineren Modifikationen – für Widerrufs- und Gegendarstellungsansprüche bei Verletzung durch die Massenmedien für das gerichtliche Tätigwerden vorgesehen, dass sich das Organ des Massenmediums (1961) bzw. die Redaktion des Massenmediums (1964) weigerte, den Widerruf oder die Gegendarstellung zu veröffentlichen oder dies zu spät (1961, Monatsfrist) bzw. nicht in der vom Gesetz vorgesehenen Weise (1964) vorzunehmen. 83 Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (206), plädiert für die Ausweitung des Schutzes weiterer nichtvermögenswerter Güter der Persönlichkeit. 84 Der „UN-Sozialpakt“ (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966) und der „UN-Zivilpakt“ (Internationaler Pakt über bürgerliche und 77 Anspruchsinhaber
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Die Grundlagen zur zivilrechtlichen Gesetzgebung von 199185 verorteten den Persönlichkeitsschutz ebenfalls in Art. 7. Zum ersten Mal wurde auch die Geschäftsreputation als Schutzgut genannt. Der Terminus „Organisationen“ wich der Begriffsbestimmung „juristische Person“.86 Außerdem wurden zwei weitere Absätze hinzugefügt, die den materiellen Schadensersatz (P. 6) und eine Feststellungsklage bei Unmöglichkeit der Identifizierung des Verletzers (P. 7) normierten. Derselbe Anspruch wurde in Art. 62 im Gesetz „Über die Massenmedien“ vom 27.12.1991 verankert. Trotz dieser Entwicklungen und gesetzgeberischen Bemühungen ist die rechtliche Bedeutung der immateriellen Güter in der Sowjetunion aus heutiger Sicht wohl als Nebensache zu bewerten.87
E. Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation von 1994 Eine echte Wende brachte die Verfassung der Russischen Föderation, die am 12.12.1993 in Kraft trat.88 Gemessen am Normtext bildete sie das Grundgerüst89 für einen liberalen und demokratischen Rechtsstaat.90 Zur zuvor geltenden verfassungsrechtlichen Konstitution stellt sie eine diametrale Ausgangslage für das Persönlichkeitsrecht dar: Für einen umfassenderen und stärkeren Schutz immaterieller Güter bildet die neue Verfassung ein starkes Fundament.91 Der bis dahin bestehende zivilrechtliche Schutz über Art. 7 ZGB politische Rechte vom 16.12.1966), ratifiziert durch die UdSSR 1973 durch den Beschluss („Ukaz“) des Präsidiums des Obersten Gerichtshofs der UdSSR vom 18.09.1973, Nr. 4812VIII „Über die Ratifikation des Internationalen Abkommens über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und das Internationale Abkommen über zivile und politische Rechte“ („O ratifikacii Meždunarodnogo pakta ob ėkonomičeskich, social’nych i kul’turnych pravach i Meždunarodnogo pakta o graždanskich i političeskich pravach“). Auch wenn diese erst nach 1964 geschossen wurden, darf man doch von einer entsprechenden, schon im Jahre 1964 bestehenden, Sensibilisierung durch die Vorbereitung auf deren Abschluss ausgehen. 85 Die Grundlagen zur zivilrechtlichen Gesetzgebung der UdSSR und der Republiken („Osnovy graždanskogo zakogodatel’stva sojuza SSR i republik“), vom 31.05.1991, Nr. 2211– 1. 86 Aus „organisazii“ wurde „juridičeskoe lico“. 87 So etwa Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3 (3). 88 Verfassung der Russischen Föderation („Konstitucija Rossijskoj Federacii“), am 12.12.1993 verabschiedet und am 25.12.1993 in Kraft getreten, mit den Änderungen vom 01.07.2020. 89 Die Verfassungsreform von 2020, sog. „gesamtrussische Abstimmung“/„obščerossijskoe golosovanie“, markiert die Einleitung einer Abkehr von diesem Grundgerüst; vgl. dazu Gall, von/Jäckel, Der Wille des Volkes; Socher, Farewell to the European Constitutional Tradition: The 2020 Russian Constitutional Amendments. 90 Wieser, in: Handbuch der russischen Verfassung, Vorwort, S. VI; Luchterhandt, in: Handbuch der russischen Verfassung, Einleitung S. 2; Nußberger/Safoklov, in: Handbuch der russischen Verfassung, Präambel S. 25 f. 91 Vgl. hierzu insbesondere die unter Kapitel 2 aufgeführten „Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers“.
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1964 wurde angesichts der neuen Verfassung auch in der wissenschaftlichen Literatur der 1990er Jahre als viel zu eng angesehen.92 Der neuen Verfassungsgrundlage entsprang daher eine Neuordnung der zivilrechtlichen Regelungen. Mit dem ersten Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation Teil I von 1994 änderte sich die Systematik der Normen zum Persönlichkeitsschutz entscheidend. Zunächst wurde sie den „Allgemeinen Grundbestimmungen“ (Art. 1–8 ZGB 1964) entnommen und als Art. 152 ZGB in Kapitel 8 „Immaterielle Güter und ihr Schutz“ eingefügt. Maßgeblich fällt auf, dass die juristischen Personen in Art. 152 P. 1 ZGB nicht mehr auftauchen. Dafür statuierte der letzte P. 7 der Vorschrift eine entsprechende Anwendung der Normen für die Geschäftsreputation juristischer Personen. Diese Wortlautänderung lässt verschiedene Erkenntnisse deutlich werden: Der Schutz der Ehre und Würde steht nur natürlichen Personen zu. Der Schutz der Geschäftsreputation steht auch (nur) natürlichen Personen zu, die Normen hierzu sind aber entsprechend auf juristische Personen anwendbar. Diesen Änderungen in der Gesetzgebung der Russischen Föderation wird u. a. das Ziel zugeschrieben, die Zahlung eines moralischen Schadens als Kompensationsinstrument zum Schutz der entsprechenden Güter zu etablieren.93 Dem ist hinzuzufügen, dass die Einführung des ZGB von 1994 eine echte Norm zum Schutz der Würde, Ehre und Geschäftsreputation mit sich brachte, die, da sie auf den Festen einer neuen, demokratischen Verfassung stand, ein größeres Schutzpotential für Persönlichkeitsgüter barg, als dies bei der Vorgängernorm der Fall gewesen war. Darauf aufbauend ergingen bereits in den Folgejahren zu Art. 152 ZGB wegweisende Entscheidungen.94 Dies ist auch insofern bemerkenswert, als lange Zeit umstritten war, ob der Schutz der persönlichen Nichtvermögensrechte überhaupt Aufgabe des Zivilrechts sei. Die umfassende Regelung einer zivilrechtlichen Norm wie Art. 152 ZGB zum Schutz der Persönlichkeitsgüter war (auch) in dieser Hinsicht eine Revolution.95 Das Kernproblem war die Frage, ob Aufgabe des Zivilrechts der bloße Schutz oder auch die Regulierung der immateriellen Güter und der sich 92 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 17. 93 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (160). 94 OG, Plenarbeschluss „Einige Fragen zur Anwendung der Gesetzgebung über die Kompensation des moralischen Schadens“ („Nekotorye voprosy primenenija zakonodatel’stva o kompensacii moral’nogo vreda“), vom 20.12.1994, Nr. 10 (im Folgenden: Plenarbeschluss vom 20.12.1994, Nr. 10); Plenarbeschluss „Über einige Fragen, die sich aus der richterlichen Rspr. der Fälle über den Schutz der Ehre und Würde des Bürgers und ebenso der Geschäftsreputation des Bürgers und der juristischen Personen ergeben“ („O nekotorych voprosach, voznikšich pri rassmotrenii sudami del o zaščite česti i dostoinstva graždan, a takže delovoj reputacii graždan i juridičeskich lic“), vom 18.08.1992, Nr. 11 (im Folgenden: Plenarbeschluss vom 18.08.1992, Nr. 11), abrufbar unter: . 95 Insbesondere angesichts der beschriebenen Entwicklung und ihrer Hintergründe.
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daraus ergebenden Rechte sei. Diese Thematik wird zum Teil bis heute diskutiert.96 Mittlerweile ist anerkannt, dass das Zivilrecht sowohl Schutz- als auch Regulierungsfunktion hat.97 Inhalt der bloßen Schutzfunktion98 ist, dass rechtliche Normen nur die Androhung oder Unterdrückung möglicher oder vollendeter Rechtsverletzung vorsehen.99 Dies zeige daher die negativen Grenzen von Rechten auf.100 Suchanov formuliert dies für das moderne Zivilrecht so, dass der Schutzaspekt auf die Erhaltung des status quo der materiellen und immateriellen Interessen eines Rechtssubjekts abziele. Dieser Schutz wird mittels Wiederherstellung der verletzten Rechte oder Kompensation des entstandenen Schadens erreicht.101 Damit tritt neben den negatorischen Charakter eine wiederherstellende Komponente. Zwecke der Schutzfunktion sind neben der Kompensation auch Prävention und Erziehung.102 Die Regulierung103 hingegen bezieht sich auf die rechtliche Lenkung von Rechtsverhältnissen.104 Dabei wirkt das Recht auf gesellschaftliche Rechtsbeziehungen ein, schreibt sie durch rechtliche Institute fest und gestaltet ihre Entwicklung.105 Diese Ausgestaltung umfasst die Verleihung subjektiver Rechte, die Auferlegung rechtlicher Pflichten, die Androhung von Maßnahmen staatlichen Zwangs und die Schaffung von Voraussetzungen für die Durchsetzung staatlichen Zwangs.106 Die regulative Funktion zielt darauf ab, ein Normgerüst für die Teilhaber am Zivilrechtsverkehr zu schaffen, die diesen die „Selbstregulierung“ ermöglicht.107 Dabei hat die Ausformung dieser Regularien zum Ziel, so wenige Verbote wie nötig und so viele Gestattungen wie möglich zu enthalten.108 Normen sind danach dann als regulierend anzusehen, wenn sie ganze Verhältnisse und positive sowie negative Grenzen von Rechten und Pflichten regeln. Ihr Regelungsumfang ist zudem umfassend, betrifft also nicht nur die In96 Statt vieler vgl. m. w. N. Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 884 ff.; Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (157). 97 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 73; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 85. 98 „Schutz“ als „ochrana“, teilweise auch „zaščita“, allerdings benutzt die Wissenschaft „zaščita“ zumeist als Bezeichnung der Möglichkeiten verschiedener Schutzarten einzelner Rechtsbehelfe, siehe hierzu nur Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 420 ff. 99 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (53). 100 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (54), vgl. hier zur Unterscheidung von negativen und positiven Begrenzungen von Rechten. 101 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 73. 102 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 73. 103 „Regulirovanie“. 104 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (53), im Original „juristische Vermittlung“/„juridičeskoe oposredstvovanie“. 105 Alekseev, Teorija prava, S. 193. 106 Alekseev, Teorija prava, S. 150; Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 22. 107 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 73. 108 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 73.
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haberschaft, sondern auch die Rechtsnutzung.109 Es wird weiterhin davon ausgegangen, dass es sich hier zumeist um größere Normgebilde handelt.110 Während sich die Wissenschaft über das Nebeneinander und die Bedeutung des Schutz- und Regulierungsaspekts einig ist, besteht Uneinigkeit hinsichtlich der diesbezüglichen Aufgabe des Zivilrechts im Bereich der persönlichen Nichtvermögensrechte. Noch im Sowjetrecht war die Wissenschaft herkömmlicherweise der Ansicht, dass die immateriellen Güter nur dem Schutz durch das Recht zu unterliegen haben. So war Ioffe der Ansicht, persönliche Nichtvermögensbeziehungen ohne Vermögensbezug seien nur zu schützen, nicht aber zu regulieren.111 Die Notwendigkeit der Regulierung der persönlichen Nichtvermögensrechte durch das Zivilrecht bestehe daher nur dort, wo eine Verbindung mit Vermögensrechten vorhanden ist.112 Nach ihm bestand kein objektiv begründbarer Zweck, „persönliche Nichtvermögensgüter“ als gesonderte Kategorie ins sowjetische ZGB einzuführen.113 Bereits kurz nach Fall der Sowjetunion und in Zusammenhang mit der Kodifizierung des neuen ZGB plädierte dagegen Krasavčikova für die Anerkennung der regulierenden Funktion des Zivilrechts in Bezug auf alle zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse. Zudem stünden die Funktionen des Zivilrechts in einer Wechselwirkung – der Schutz von Gütern und Interessen würde oftmals durch die Regulierung erst möglich.114 Aufgabe des Zivilrechts sei es nicht, die Rechte dem Bürger zu verleihen, da Güter wie die Ehre oder Würde ohnehin von Geburt an bestünden. Vielmehr soll seine Aufgabe darin bestehen, die Rechte auf die entsprechenden Güter, wie auch die Freiheit, mit ihnen nach eigenem Ermessen zu verfahren, anzuerkennen.115 Insbesondere die Tatsache der Anerkennung der Güter, unabhängig von statuierten Normen, ist als zentraler Gegenentwurf zum noch in der sowjetischen Tradition vorherrschenden Verständnis aufzufassen.116 Krasavčikova widmet sich auch der Aufgabe des Zivilrechts, für einen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Agitatoren zu sorgen. Danach sei Aufgabe der regulierenden Funktion des Zivilrechts, bei der Kollision von entgegengesetzten Interessen für einen Ausgleich zu sorgen 109
Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (54). Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (54). Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (65); ebenso Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (53). 112 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (51). 113 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (52). 114 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 21–22. 115 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 23. 116 Siehe im Vergleich zu Ioffe, der für die Aufgabe des Zivilrechts nur den Schutz von Persönlichkeitsrechten vorsah; danach sollte dieser keinen Einfluss auf den eigentlichen Regelungsgegenstand des Zivilrechts, die Regulierung vermögensbezogener Rechtsverhältnisse, haben, siehe Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (57). 110 Ioffe, 111 Ioffe,
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und damit Eingriffe in Rechte im Rahmen ihrer Grenzen zuzulassen.117 Alekseev verweist auf die auch bei Krasavčikova erwähnte Wechselwirkung und betont die kaum vorhandene Trennschärfe zwischen den einzelnen Funktionen des Rechts. Danach komme es auf die Betrachtung jeder einzelnen Norm bzw. des Regelungsgegenstandes an. So dominiere teilweise die schützende Funktion, wie beim Schutz des Lebens, und teilweise die regulierende Funktion, wie etwa beim Namensschutz. Für die konkrete Beurteilung komme es auf die Regelungsdichte und dabei auf Detailliertheit, Gebotscharakter, Härte und „Dichte“ der Regelung an.118 Das Zivilgesetzbuch nennt in Art. 2 P. 1 ZGB die Regulierung der persönlichen Nichtvermögensbeziehungen. Allerdings werden nach Art. 2 P. 2 ZGB unveräußerliche Rechte und Freiheiten des Menschen sowie andere immaterielle Güter durch die zivilrechtliche Gesetzgebung „nur“ geschützt,119 sofern sich nichts anderes aus dem Wesen dieser immateriellen Güter ergibt. Daraus, so kritisiert Suchanov, habe sich fälschlicherweise die Meinung eingebürgert, dass allein materielle Güter, nicht hingegen rein immaterielle Güter reguliert werden können.120 Daneben verweist auch Suchanov auf die oben genannte Parallelität. Gleichzeitig dominiere aber im Falle der Nichtvermögensrechte der schützende Charakter, da es zuvörderst um die Gewährleistung der persönlichen Sphäre des Bürgers ohne Störung von außen ginge.121 Im Vergleich zu den Ergebnissen intellektueller Tätigkeit unterliege die Anerkennung eines solchen Rechts (etwa der Autorenschaft) dem Schutz, während, wenn die Objekte intellektueller Tätigkeit Warenwert enthalten, dies durch das Zivilrecht reguliert werden müsse. Gleichzeitig seien aber die persönlichen Nichtvermögensrechte des Urhebers untrennbar mit diesem verbunden und selbst nicht regulierungsfähig.122 Vor dem Hintergrund der Anerkennung dieser Aufgaben des Zivilrechts wird betont, dass Schutz und Regulierung der persönlichen Sphäre einer Person nicht als Gegensätze anzusehen sind.123 Danach ermöglicht die Regulierung den Schutz von Rechten. Dieser Schutz wird durch die Regulierung der entsprechenden gesellschaftlichen Beziehungen verwirklicht.124 Dass auch persönliche 117 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 24. 118 Alekseev, Teorija prava, S. 149; zust. Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 26. 119 Hier wird das entsprechende Verb zu „zaščita“ verwendet. 120 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 884, 885, mit Verweis auf die seit Ioffe bestehende Meinung des alleinigen Schutzes durch das Zivilrecht. 121 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 888. 122 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 68, 69. 123 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 884. 124 Auch Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 214, verwendet in diesem Zusammenhang „Regulierung“/„regulirovanie“.
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Nichtvermögensrechte reguliert werden, zeichnet sich nach Suchanov dadurch aus, dass die Regulierung unabhängig von einer Verletzung erfolgt.125 Betrachtet man die Frage der Aufgabe des Zivilrechts für die Geschäftsreputation, ist interessant, dass sich bereits die Rechtswissenschaftlerin Flejšic für eine Regulierung aussprach.126 Ioffe dagegen lehnte eine solche ab. Danach erschöpften sich die Regelungen des damals geltenden Art. 7 der Grundlagen der zivilrechtlichen Gesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken von 1961 in einem Verbot und dem Recht auf Schutz bei möglichen Verstößen gegen das Verbot.127 Auch im „modernen“ russischen Zivilrecht war noch Krasavčikova der Ansicht, es bedürfe keiner ausführlichen Regelung, sodass hier der Schutzcharakter überwiegen müsse.128 Der Gesetzgeber reguliere nicht den Besitz oder die Inhaberschaft von Ehre oder Würde als solche, sondern benutze lediglich Steuerungsmittel zum Schutz der Güter. Insbesondere der Widerruf habe daher diese schützende Funktion.129 In der jüngeren Literatur wird nur noch von der regulativen Funktion der diesbezüglichen Regelungen gesprochen.130 Suchanov begründet den regulativen Charakter mit den speziellen Rechtsschutzmöglichkeiten, die Artt. 150 ff. ZGB vorsehen. Die Ausgestaltung des Widerrufs als Schutzart, bei der sich der Bürger aktiv an die staatlichen Organe wenden müsse, spreche für eine „staatliche Zwangsmaßnahme131 regulativen Charakters“.132 Stützt man sich für die Bestimmung der Rechtsfunktion der persönlichen Nichtvermögensrechte auf das oben anklingende Unterscheidungskriterium der Regelungsfülle, so mag man im Falle des Art. 152 ZGB aufgrund seiner detaillierten Ausgestaltung für eine regulierende Funktion plädieren. Betrachtet man aber die Funktionen der dort geregelten Widerrufs-, Gegendarstellungs- und Schadensersatzansprüche, so lässt sich ein dem Deliktsrecht ähnlicher Abwehrcharakter erkennen. Dafür spricht auch, dass die Rechte als absolute Rechte eingeordnet werden, die den Schutz vor einem unbestimmten Personenkreis von außen zum Ziel haben.133 125 So
Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887. Flejšic, Makovskij, Sovetskoe gosudarstvo i pravo, 1963, Nr. 1, S. 89–90, zit. nach Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (54). 127 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (54), in Bezug auf das Verbot der Verbreitung verunglimpfender Behauptungen und den Widerrufsanspruch. 128 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 25. 129 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 145. 130 Polikarpov, Sovremennoe Pravo 11 (2015), 1; Archiereev, Jurist 16 (2016), 36. 131 „[…] dolžno rassmatrivat’sja v kačestve […] gosudarstvenno-prinuditel’nych mer reguljativnogo charaktera“ (Hervorh. durch Verf.). 132 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 898. 133 Eingehend hierzu Kap. 3 C. und Kap. 6. 126
F. Entwicklungen nach 2000
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F. Entwicklungen nach 2000 Der Beitritt Russlands zur Europäischen Konvention für Menschenrechte134 führte die Entwicklung der Implementierung „westlicher“ Standards in das nationale Rechtssystem fort.135 Mit Grinberg vs. Russia136 erging erstmals ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen Russland in einem Fall zum Persönlichkeitsrecht. Einige der dort und in darauffolgenden Urteilen137 angeprangerten Missstände durch den EGMR berücksichtigte der OG in seinem – im Bereich des Persönlichkeitsrechts bisher wohl wichtigsten – Plenarbeschluss von 2005 und formulierte Leitlinien zur Beachtung internationaler Standards insbesondere der EMRK für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts durch die russischen Gerichte.138 Im selben Jahr wiederholte die Parlamentarische Versammlung des Europarates die schon durch den EGMR ausgedrückte Forderung nach einer Nachbesserung des Äußerungsrechts in Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit.139 Währenddessen entwickelte sich sowohl in der russischen Rechtspraxis als auch in der Wissenschaft eine lebhafte Diskussion um den einklagbaren Schaden nach Persönlichkeitsrechtsverletzungen.140 Der OG äußerte sich in zahlreichen Entscheidungen hierzu;141 eine Stellungnahme des Verfassungsgerichts fehlt indes. 134 Föderalgesetz „Über die Ratifikation der Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der dazugehörigen Protokolle“ („O ratifikacii Konvencii o zaščite prav čeloveka i osnovnych svobod i Protokolov k nej“ im Folgenden „Ratifizierungsgesetz“), vom 30.03.1998, Nr. 54-FZ, abrufbar unter: . 135 Im Einzelnen dazu siehe infra Kap. 3 B. 136 EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia). 137 Statt vieler nur EGMR, Urteil vom 24.04.2017 – 9406/05 (Kunitsyna/Russia), Rn. 44 ff.; Urteil vom 05.01.2007 – 14881/03 (Zakharov/Russia), Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10. 2007 – 25968/02 (Dyuldin and Kislov/Russia), Rn. 46 ff.; Urteil vom 22.04.2013 – 33501/04, 38608/04, 35258/05 und 35618/05 (OOO Ivpress and Others/Russia), Rn. 72 ff. 138 OG, Plenarbeschluss „Über die gerichtliche Praxis in Fällen des Schutzes der Ehre und Würde des Bürgers, ebenso wie der Geschäftsreputation der Bürger und juristischer Personen“ („O sudebnoj praktike po delam o zaščite česti i dostoinstva graždan, a takže delovoj reputacii graždan i juridičeskich lic“), vom 24.02.2005, Nr. 3 (im Folgenden: „Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3“). Diesem wird große Bedeutung bei der „Interpretation internationaler und verfassungsrechtlicher Standards“ („interpretation of international and constitutional standards“) zugeschrieben, Article 19, The Cost of Reputation. Defamation Law and Practice in Russia, S. 47. 139 PACE, Report vom 03.06.2005, Doc. 10568 „Honouring of obligations and commitments by the Russian Federation“, wo es in P. 393 heißt „[…], we urge the Russian authorities to reform its defamation legislation, inter alia: […] to introduce a clear ban on public bodies to institute civil proceedings in order to protect their ‚reputation‘ […], to clearly establish that no one should be liable under defamation law for the expression of an opinion (‚value judgements‘), to prioritise non-pecuniary forms of redress over pecuniary remedies, […]“, abrufbar unter: . 140 Siehe dazu infra Kap. 6 B. II. 3. 141 OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015;
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G. Reform im Jahre 2013 In Reaktion auf die wachsende Fallzahl und die zahlreichen Forderungen aus dem In- und Ausland nach einer Reform142 erließ der Gesetzgeber im Jahre 2013 die jüngste Änderung143 des Artikels 152 ZGB. Dieser wurde um vier Absätze ergänzt. Neben verschiedenen kleineren Änderungen in Reihenfolge und Systematik zeigen sich folgende Neuerungen: P. 7, der zuvor die entsprechende Anwendung des Schutzes der Geschäftsreputation auf juristische Personen normierte, wurde zu P. 11. Zudem wurde die entsprechende Anwendung der Ansprüche auf Entschädigungszahlungen bei immateriellem Schaden für juristische Personen bei Verletzung ihrer Geschäftsreputation ausgeklammert. Hinzugefügt wurde P. 6, nach dem die Gerichte über das Vorgehen in sonstigen, nicht in den P. 2–5 beschriebenen Fällen entscheiden. Neu ist auch P. 10, wonach die genannten Ansprüche auch bei bloßen Falschbehauptungen ohne einen verunglimpfenden Charakter geltend gemacht werden können. Auch für diese Fälle ist der Anspruch auf Entschädigung eines immateriellen Schadens ausgeklammert. P. 4 und 5 sehen Ansprüche bei weitreichender Verbreitung der verunglimpfenden Aussagen vor. Art. 152 ZGB lautet nun folgendermaßen:144 „Art. 152. Schutz der Ehre, Würde und des geschäftlichen Rufs145 1. 1Ein Bürger kann vor Gericht den Widerruf von Mitteilungen146 fordern, die seine Ehre, seine Würde oder seinen geschäftlichen Ruf schmälern147, wenn derjenige, der diese Mitteilungen verbreitet hat, nicht beweist, dass148 sie den Tatsachen entsprechen. 2Der Widerruf soll auf dieselbe oder artverwandte Weise geschehen, auf welche die Mitteilungen über den Bürger verbreitet wurden. 3Auf Verlangen der daran Interessierten ist OG, Entscheidung vom 22.06.2015, Nr. 305-ĖS15-6197, Sachnr. A40-84964/2014; OG, Entscheidung vom 14.03.2016, Nr. 303-ĖS16-280, Sachnr. A51-6980/2015; OG, Entscheidung vom 17.08.2015, Nr. 309-ĖS-15–8331. 142 Insbesondere der EGMR verwies (siehe supra Fn. 137) auf die Insuffizienz der Regelungen, wobei das Hauptaugenmerk, die Unterscheidung zwischen Meinungen und Tatsachenbehauptungen, nicht berücksichtigt wurde; zu der die Rechtslage vor 2013 kritisch betrachtenden Literatur gehören Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3; Bakaeva, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 1 (1 ff.) aus: Konsul’tant Pljus; Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 12 f.; Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 118. 143 Änderungsgesetz vom 02.07.2013, Nr. 142-FZ, siehe supra Kap. 1 Fn. 8. 144 Die im Wortlaut übereinstimmenden Regelungen der damaligen Formulierung von 1994 wurden Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation – Erster Teil – Textübersetzung mit Einführung, S. 144–145, entnommen; eine Übersetzung der veränderten bzw. hinzugefügten Regelungen wurde durch die Erstellerin der Arbeit ergänzt (Ergänzungen sind kursiv gehalten). 145 „Delovaja reputacija“, im Folgenden zur Verwendung einer wortlautgetreuen Übersetzung entgegen der bei Solotych verwendeten Formulierung: „Geschäftsreputation“. 146 Im Folgenden: „Äußerungen“; siehe infra Kap. 6 A. I. 1. a) aa). 147 Im Folgenden: „verunglimpfen“; siehe zur Erklärung infra Kap. 6 Fn. 148. 148 Im Original „daß“.
G. Reform im Jahre 2013
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der Schutz der Ehre, Würde und des geschäftlichen Rufs eines Bürgers auch nach seinem Tod zulässig. 2. 1Wenn die Mitteilungen, die die Ehre, die Würde oder den geschäftlichen Ruf eines Bürgers schmälern, in Massenmedien verbreitet wurden, müssen sie in denselben Massenmedien widerrufen werden. 2Der Bürger, in Bezug auf welchen die Mitteilungen in den Massenmedien verbreitet wurden, hat neben dem Widerruf das Recht auf Veröffentlichung seiner Gegendarstellung in denselben Massenmedien.149 3. Sind die Mitteilungen, die die Ehre, Würde oder den geschäftlichen Ruf eines Bürgers schmälern, in einem von einer Organisation ausgegebenen Dokument enthalten, ist dieses Dokument auszutauschen oder zurückzurufen.150 4. In Fällen, in denen die Mitteilungen, die die Ehre, Würde oder den geschäftlichen Ruf eines Bürgers schmälern, weit bekannt geworden sind und es in Zusammenhang damit unmöglich ist, den Widerruf allgemein bekannt zu machen, hat der Bürger Anspruch auf Löschung der entsprechenden Information wie auch auf Beseitigung oder Verbot der weiteren Verbreitung der genannten Mitteilungen durch Beschlagnahme und Vernichtung ohne jegliche Ersatzzahlung der für die Einführung in den Rechtsverkehr hergestellten Ausfertigungen der Trägermedien, auf denen die genannten Äußerungen enthalten sind, wenn die Löschung der entsprechenden Information ohne Vernichtung der Ausfertigungen der Trägermedien nicht möglich ist. 5. Wenn die Mitteilungen, die die Ehre, Würde oder den geschäftlichen Ruf eines Bürgers schmälern, nach ihrer Verbreitung im Internet zugänglich sind, hat der Bürger Anspruch auf Löschung der entsprechenden Information wie auch auf Widerruf der genannten Äußerungen auf eine Weise, die sicherstellt, dass die Nutzer des Internets von dem Widerruf Kenntnis nehmen. 6. Die Vorgehensweise des Widerrufs von Äußerungen, die die Ehre, Würde oder den geschäftlichen Ruf eines Bürgers schmälern, in anderen als in den Absätzen 2–5 genannten Fällen dieses Artikels ist vom Gericht festzulegen. 7. Die Anwendung von Haftungsmaßnahmen gegen den Rechtsverletzer aufgrund der Nichterfüllung der gerichtlichen Entscheidung befreit nicht von der Vornahme der ihm durch das Urteil auferlegten Handlung. 8. Ist nicht zu ermitteln, wer die Mitteilungen, die Ehre, Würde oder geschäftlichen Ruf eines Bürgers schmälern, verbreitet hat, kann die Person, über die diese Mitteilungen verbreitet wurden, vor dem Gericht Feststellung ihrer Unrichtigkeit beantragen.151 9. Sind über einen Bürger Mitteilungen verbreitet worden, die seine Ehre, seine Würde oder seinen geschäftlichen Ruf schmälern, kann er neben dem Widerruf dieser Mitteilungen und der Veröffentlichung seiner Gegendarstellung den Ersatz des Vermögensschadens und Kompensation des moralischen Schadens fordern, der durch die Veröffentlichung dieser Mitteilungen zugefügt wurde.152 10. 1Die Regelungen der Absätze 1–9 des vorliegenden Artikels, mit Ausnahme der Regelungen zur Entschädigung des moralischen Schadens, können vom Gericht ebenso in Fällen der Verbreitung jeglicher nicht der Wahrheit entsprechenden Mitteilungen über einen Bürger angewendet werden, wenn der Bürger die Unwahrheit der genannten Mitteilungen darlegt. 2Die Verjährung von Ansprüchen, die im Zusammenhang mit der Ver149
Der Gegendarstellungsanspruch war ähnlich in Art. 152 P. 3 ZGB a. F. geregelt. Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB a. F. 151 Art. 152 P. 6 ZGB a. F., mit der Abänderung „lico“/„Person“, statt „graždanin“/„Bürger“. 152 Entspricht in Teilen Art. 152 P. 5 ZGB a. F. 150
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Kapitel 2: Historische Entwicklung des russischen Persönlichkeitsrechtsschutzes
breitung der genannten Mitteilungen in Massenmedien geltend gemacht werden, beträgt ein Jahr seit dem Tag der Veröffentlichung dieser Mitteilungen in den entsprechenden Massenmedien. 11. Die Bestimmungen dieses Artikels zum Schutz des geschäftlichen Rufs eines Bürgers sind, mit Ausnahme der Bestimmungen zur Kompensation des moralischen Schadens, entsprechend auf den geschäftlichen Ruf einer juristischen Person anzuwenden.153“
H. Zusammenfassung Für das derzeit geltende Recht zum Schutz der Persönlichkeit waren die Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend. Weitere Meilensteine in der Entwicklung waren die Verfassung der Russischen Föderation und das von ihr beeinflusste ZGB von 1994 (1. Teil). So ist der Persönlichkeitsrechtsschutz im ZGB 1994 kein Novum der Rechtsentwicklungen seit Bestehen der Russischen Föderation. Bereits Art. 7 des ZGB 1964 schuf eine erste gesetzliche Grundlage für die bis 2013 ergangenen Gesetzesnovellen. Heute besteht mit der Nachfolgenorm in Art. 152 ZGB eine umfassende Regelung zum Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation. Das ZGB 1994 stellte allerdings von Beginn an klar, dass die Regelungen des Art. 152 den Schutz der Geschäftsreputation juristischer Personen entsprechend bezwecken. Seit 2013 hat der Gesetzgeber hiervon die Regelung zum Ersatz des moralischen Schadens ausgenommen. Diese Gesetzeslage wird begleitet von einer Fülle an (höchst-) richterlichen Entscheidungen. Diese widmen sich der Bedeutung verfassungsund völkerrechtlicher Implikationen wie auch Einzelfragen, insbesondere dem Schadensrecht.
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Entspricht in Teilen Art. 152 P. 7 ZGB a. F.
Kapitel 3
Vorüberlegungen A. Verfassungsrecht Wie im deutschen so auch im russischen Recht haben verfassungsrechtliche Gesichtspunkte – das Grundgesetz für die BRD, respektive die Verfassung der Russischen Föderation1 für Russland – eine fundamentale Bedeutung für den Persönlichkeitsschutz.2 Sie setzen die Grundpfeiler und sind für den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz richtungsweisend. Nach Art. 15 P. 1 Verf. RF hat die Verfassung die höchste juristische Kraft. Diese Bedeutung kommt der Verfassung auch im Bereich des Persönlichkeitsschutzes zu. Die Implikation von öffentlichem Recht und Zivilrecht zeigt sich deutlich an der Wesensstruktur der Norm in Art. 152 ZGB. Diese versteht sich als einfaches Gesetz gewordenes Verfassungsrecht.3 Die Gerichte haben dafür bei der Anwendung des Art. 152 ZGB die Bedeutung der dahinterstehenden verfassungsrechtlich betroffenen Rechte zu beachten.4 Auf verfassungsrechtlicher Ebene haben verschiedene Grundrechte und Regelungen des Teils 2 der Verfassung Bedeutung für den Persönlichkeitsschutz. Die hier geregelten Artt. 17–64 Verf. RF sind den Rechten und Freiheiten des Menschen und Bürgers gewidmet. Ihre Anerkennung und die Garantien der Grundrechte sind in Art. 2 und Art. 17 P. 1 Verf. RF5 verbürgt. Danach sind die Rechte und Freiheiten des Menschen die höchsten Werte,6 Art. 2 S. 1 Verf. RF. Ihre Anerkennung, ihre Einhaltung und ihr Schutz sind staatliche Pflichten, Art. 2 S. 2 Verf. RF. Art. 17 P. 1 Verf. RF enthält den Zusatz der Anerkennung und Garantie der Rechte und Freiheiten entsprechend der allgemeinen Prinzipien und Normen des Völkerrechts und der Verfassung. 1 2
Im Folgenden: „Verfassung“. Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 17. 3 Vfg., Entscheidung vom 08.04.2003, Nr. 157-O, P. 2.; Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 23 Rn. 18; Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 222; Gadžiev, in: Zor’kin, S. 239. 4 Vfg., Entscheidung vom 08.04.2003, Nr. 157-O, P. 2. 5 Artikel der Verfassung der Russischen Föderation werden im Folgenden als „Verf. RF“ angegeben. 6 „[…] prava i svobody javljajutsja vysšej cennost’ju“.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
Relevant für die vorliegende Betrachtung sind Art. 21 P. 1 und Art. 23 P. 2 Verf. RF. Die Verfassung bestimmt in Art. 21 P. 1 den Würdeschutz und in Art. 23 das Recht auf Unantastbarkeit des privaten Lebens, des persönlichen und familiären Geheimnisses, den Schutz seiner Ehre und des guten Namens. Zudem sind nach Art. 17 P. 2 Verf. RF die Grundrechte und Freiheiten des Menschen unveräußerlich und obliegen jedem von Geburt an.7 Die in Art. 150 ZGB genannten immateriellen Güter sind als Umsetzung der in Art. 23 P. 1 Verf. RF begründeten Abwehrrechte und Schutzpflichten des Staates gegenüber Privaten zu verstehen:8 Das in Art. 17 P. 1 Verf. RF genannte „Grundkonzept“ wird vom ZGB in den Artt. 150 ff. ZGB aufgegriffen, mitunter werden die in Art. 150 P. 1 ZGB genannten immateriellen Güter den Art. 21 P. 1 und Art. 23 P. 1 Verf. RF. entnommen. Aus diesem verfassungsrechtlichen Fundament erwachsen auch für das Zivilrecht auf einfachgesetzlicher Ebene grundlegende Fragen der Abwägung (I.). Nachdem diese betrachtet worden sind, werden die verfassungsrechtliche Position juristischer Personen (II.), ihre verfassungsrechtlich geschützten Interessen (III.), die Meinungs- und Pressefreiheit (IV.), das Eingaberecht (V.) und das „Balanceverhältnis“9 zwischen diesen Interessen (VI.) skizziert. Dabei wird vordergründig die spezifisch verfassungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur untersucht. Auf ihren Einfluss auf die zivilrechtliche Rechtsprechung und die Rezeption durch die entsprechende Literatur wird in den Kapiteln zu den zivilrechtlichen Instrumenten und deren Ausgestaltung eingegangen.10
I. Kollidierendes Verfassungsrecht und Abwägungsfragen Dem Persönlichkeitsschutz stehen die Freiheiten der Meinungsäußerung und der Pressefreiheit gegenüber.11 Das dabei zuweilen eintretende Spannungsverhältnis erfordert eine vom Gesetzgeber bzw. den Gerichten vorzunehmende 7 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 17 Rn. 13, verweist auf den Unterschied zum Wortlaut in Art. 17 P. 1 Verf. RF; P. 2 beziehe sich auf einen Kern der Rechte und Freiheiten des Kapitels 2 der Verfassung. Gemeint sind jene Rechte, die gerade dem Menschen wesenseigen sind, vgl. „osnovnye“. 8 Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 23 Rn. 1. 9 Den Begriff „balans“ nutzt das Vfg. in seiner Entscheidung „Ob otkaze v prinjatii k rassmotreniju žaloby graždanina Šlafmana Vladimira Arkad’eviča na narušenie ego konstitucionnych prav punktom 7 stat’i 152 Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii“ vom 04.12.2003, Nr. 508-O (im Folgenden: Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2.), P. 2.2, abrufbar unter: , mit Verweis auf die Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 2; Entscheidung vom 18.01.2011, Nr. 8-O-P, P. 1–3.5; wie auch der Oberste Gerichtshof, vgl. OG, Übersicht der Rechtsprechung „Praxisübersicht der Bearbeitungen durch die Gerichte in den Fällen zum Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation“ („Obzor praktiki rassmotrenija sudami del po sporam o zaščite česti, dostoinstva i delovoj reputacii“), vom 16.03.2016 (im Folgenden: OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016), Präambel. 10 Siehe dazu Kapitel 6. 11 Und als Sonderfall das Eingaberecht, siehe dazu infra unter V.
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Abwägung. Für die vorliegende Arbeit wird daher der Umgang der russischen Verfassung mit den sich entgegenstehenden Verfassungsrechten und deren Abwägung betrachtet. Dies offenbart zugleich die bedeutendste Implikation des öffentlich-rechtlichen Charakters des Persönlichkeitsschutzes. Eine große Rolle spielt dabei Art. 17 Verf. RF. Nach P. 1 bekennt sich die Russische Föderation gemäß den allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und in Entsprechung mit der Verfassung zu den Rechten und Freiheiten des Menschen und garantiert diese. Nach Art. 17 P. 3 Verf. RF darf die Wahrnehmung der Rechte und Freiheiten des Menschen und des Bürgers nicht die Rechte und Freiheiten anderer Personen verletzen. Art. 17 P. 3 Verf. RF regelt damit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.12 Weiterhin ergibt sich in Zusammenspiel mit Art. 55 Verf. RF nach dem Verfassungsgericht die Anforderung an die Legislative, sich entgegenstehende Rechte in Einklang zu bringen.13 Art. 55 P. 1 Verf. RF statuiert: „Die Aufzählung der Grundrechte und Grundfreiheiten in der Verfassung der Rußländischen Föderation darf nicht als Verneinung oder Schmälerung anderer allgemein anerkannter Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers ausgelegt werden“.14 Daraus ergibt sich, dass die in Kapitel zwei der Verfassung aufgezählten Grundrechte nicht abschließend sind15 und die Gerichte befähigt sind, ihre Bedeutungskraft zu interpretieren und weitere Grundrechte durch Rechtsfortbildung anzuerkennen.16 Die in Art. 55 P. 1 Verf. RF genannte „Schmälerung“ ist als unzulässiger Eingriff in die Sphäre des Einzelnen und dessen Rechtspositionen zu verstehen.17 Erklärtes Ziel ist es, ein „Optimum an Grundrechtsschutz“18 zu erreichen. Aus diesem den Artt. 17 und 55 Verf. RF zu entnehmenden Verständnis lässt sich die Forderung der Verfassung ableiten, dass die verfassungsrechtlich garantierten Rechte und Freiheiten in ihrer Wirkung bestmöglich koexistieren können sollen. Beachtung zu schenken ist daneben der in Art. 55 P. 3 Verf. RF formulierten Vorbehaltsregelung. Danach können die Rechte und Freiheiten nur durch ein Bundesgesetz19 eingeschränkt werden. Eine solche Einschränkung darf nur erfolgen, wenn es für den „Schutz der Grundlagen der Verfassungsordnung, der Moral, der Gesundheit, der Rechte und gesetzlichen Interessen anderer sowie 12
Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 17 Rn. 18.
13 Vfg., Urteil vom 15.01.2002, Nr. 1-P, P. 3; Entscheidung vom 18.01.2011, Nr. 8-O-P. 14 Deutsche Übersetzung vom Lehrstuhl Prof. Dr. Martin Fincke, Passau, abrufbar unter:
. 15 Ėbseev, in: Zor’kin, S. 491. 16 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 2. 17 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 5. 18 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 7. 19 Formulierung als „Bundesgesetz“ nach Fincke, siehe supra Fn. 14.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
zur Gewährleistung der Landesverteidigung und Staatssicherheit“20 unerlässlich ist. Dabei handelt es sich um einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt.21 Die Einschränkung ist nur zulässig, wenn sie den Kern des betroffenen Verfassungsrechts unberührt lässt und dessen grundsätzliche Ausübung möglich bleibt.22 Die Maßnahme darf nicht unverhältnismäßig sein und muss sich eng am anvisierten Zweck orientieren.23 Die vorgenommene Einschränkung muss zudem erforderlich sein.24 Unklar ist, was unter „gesetzliche Interessen anderer“ zu verstehen ist, wobei davon ausgegangen wird, dass damit nur verfassungsrechtliche Positionen gemeint sein können.25 Das Verfassungsgericht geht in seinen zu Art. 55 P. 3 Verf. RF ergangenen Entscheidungen aber nicht explizit auf die Bedeutung dieser Interessen ein.26 Für Einschränkungen des Rechts auf den Schutz der Geschäftsreputation gilt ebenfalls Art. 55 P. 3 Verf. RF.27 Zu berücksichtigen sind hier der hohe Bezug zur Menschenwürde28 wie auch die Bedeutung der Meinungsfreiheit. Letztere darf ihrerseits nicht entgegen der in Art. 17 P. 3 und Art. 55 P. 3 Verf. RF normierten Regeln ausgeübt werden.29
II. Juristische Personen Der Begriff „juristische Person“ ist wörtlich in der russischen Verfassung nicht vorhanden. Auch eine Regelung ähnlich der in Art. 19 III GG formulierten Bestimmung zur Frage der Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen findet sich nicht. Dies bedeutet jedoch nicht die Abwesenheit verfassungsrechtlich gesicherter Rechtspositionen: Nach dem Verfassungsgericht sind die verfassungsrechtlichen Rechte natürlicher Personen in dem Grad auf juristische Personen anwendbar, in welchem das jeweilige Recht entsprechend seiner Natur auf sie angewendet werden kann.30 Diese Formulierung erinnert an die Regelung des Art. 19 III GG. Der Schutz der verfassungsrechtlichen Po20 21
Übersetzung nach Fincke, siehe supra Fn. 14. Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 19. 22 Vfg., Urteil vom 30.10.2003, Nr. 15-P. 3. 23 Vfg., Urteil vom 19.04.2010 Nr. 8-P, P. 3.1. 24 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 27. 25 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 22. 26 Vfg., Urteil vom 30.10.2003, Nr. 15-P; Vfg. Urteil vom 19.04.2010 Nr. 8-P; Vfg., Urteil vom 17.12.1996, Nr. 20-P. 27 Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 323-О-О, P. 1; OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1. 28 Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 23 Rn. 28. 29 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 2, Entscheidung vom 08.04.2003, Nr. 157-O, P. 2. 30 Vfg., Urteil vom 17.12.1996, Nr. 20-P, P. 4; Vfg., Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2.
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sition juristischer Personen ist damit zwar nicht positiv normiert. Das Verfassungsgericht macht aber offensichtlich von der in Zusammenhang mit Art. 55 P. 1 Verf. RF beschriebenen Möglichkeit Gebrauch, den persönlichen Schutzbereich der Grundrechte zu definieren (und zu erweitern). Diese Möglichkeit scheint es im Sinne einer „personellen“ Wirkung zu verstehen. Dementsprechend ist die konkrete verfassungsrechtliche Position juristischer Personen für jedes Grundrecht einzeln zu prüfen und dadurch Gegenstand (vieler) gerichtlicher Entscheidungen.
III. Verfassungsrechtlich verankerte Interessen der juristischen Personen Im Folgenden werden die für den Persönlichkeitsschutz bedeutsamen Rechtspositionen auf ihren verfassungsrechtlichen Gehalt und ihre Anwendbarkeit auf juristische Personen untersucht. Zentrale Bedeutung hat hier die Geschäftsreputation, für die die Artt. 21, 23 und 45 P. 2 Verf. RF eine Rolle spielen. Dabei ist zu beachten, dass die Geschäftsreputation juristischer Personen aus dem Verständnis der Geschäftsreputation natürlicher Personen hervorgegangen ist. Daher bilden letztere den Ausgangspunkt der Betrachtung (1.). Daneben wird die wirtschaftliche Handlungsfreiheit gem. Art. 34 Verf. RF betrachtet (2.).
1. Die Geschäftsreputation Grundlage für das Persönlichkeitsrecht natürlicher Personen bilden Art. 21 Verf. RF, die Würde, und Art. 23 Verf. RF, die Ehre und der gute Ruf.31 Die Würde32 ist der wichtigste verfassungsrechtliche Wert der russischen Verfassung.33 Sie ist unabdingbares und untrennbares Attribut des Menschen. Der Begriff der Würde ist mehrdimensional.34 Aus ihrer Funktion als Grundrecht entspringt ein subjektiver Achtungsanspruch,35 der sich aus dem „Menschsein als solches“36 ableitet.37 Zudem normiert sie den positiv besetzten Wert
31 Weiterhin ist auch Art. 24 P. 1 Verf. RF zu beachten. Dieser gilt auch zwischen Privatpersonen, Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 24 Rn. 14, spielt aber als Recht auf Schutz der „Privatsphäre einer Person“ keine Rolle für juristische Personen und wird in der juristischen Praxis auch nicht erörtert. 32 Nicht zu verwechseln mit der in Art. 150 ZGB genannten Würde. Trotz begrifflicher Dopplung besteht keine Deutungsgleichheit. 33 Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 216. 34 Sie hat einen subjektiv- und einen objektivrechtlichen Teil, Baller, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 21 Rn. 7; Avak’jan, Konstitucionnoe pravo, S. 579–580. 35 Vfg., Urteil vom 28.06.2007, Nr. 8-P, P. 2. 36 Baller, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 21 Rn. 5. 37 Avak’jan, Konstitucionnoe pravo, S. 579; Vfg., Urteil vom 03.05.1995, Nr. 4-P, P. 4, die Würdegarantie verleiht dem Menschen gegenüber dem Staat einen gleichberechtigten Status und verbietet seine Behandlung als bloßes Objekt staatlichen Handelns.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
des menschlichen Wesens.38 Die „Menschenwürde“39 wird auch verstanden als die Inhaberschaft bestimmter moralischer und intellektueller Qualitäten.40 Daher werden zur Würde zumeist auch die Ehre und das Persönlichkeitsrecht gezählt.41 Dies verdeutlich die Ausschließlichkeit der Würde als menschliches Attribut. Aufgrund ihres Wesens ist die juristische Person daher keine Trägerin der in Art. 21 Verf. RF normierten Würde.42 Gleichzeitig wird die der juristischen Person obliegende Geschäftsreputation als „äußerst ungefähres Äquivalent“43 und „Analogie“44 zur menschlichen Würde verstanden. Daneben tritt Art. 23 Verf. RF. Dieser enthält das Recht auf Unverletzlichkeit des Privatlebens, auf Personen- und Familiengeheimnis und auf Schutz seiner Ehre und seines guten Rufes.45 Die Unversehrtheit dieser Güter ist dabei das verbindende Element.46 Neben den genannten Elementen gehören auch der Schutz privater Daten und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dazu.47 Dies zeigt bereits die immense Spannweite des sachlichen Schutzbereichs. Dabei wird der Schutz der Ehre und des guten Namens von der Rechtsprechung als selbstständiges Grundrecht verstanden.48 Es ist vom Schutz des Privatlebens unabhängig zu lesen.49 Dafür wird als unmittelbarer Ausfluss der Menschenwürde nach Art. 21 Verf. RF gefolgert, dass rechtliche und gerichtliche Möglichkeiten zum Schutz der Ehre und des guten Rufs geschaffen und gewährleistet werden müssen.50 Die Geschäftsreputation juristischer Personen ist in ihrer Bedeutung nicht mit der Ehre oder dem guten Ruf gleichzusetzen. Zwar bleibt offen, welchen konkreten Bedeutungsgehalt die Geschäftsreputation hat, sie ist jedoch in ihrem Gehalt begrenzt und orientiert sich am künstlichen Wesen der juristischen Person.51 38
Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 218–219. „Dostoinstvo ličnosti“. Avak’jan, Konstitucionnoe pravo, S. 579. 41 Baller, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 21 Rn. 3. 42 Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 216, 223, sprechen nur von der „menschlichen Würde“ und verweisen auf S. 223 darauf, dass die juristische Person nur im Rahmen ihrer Geschäftsreputation aus Art. 152 ZGB Schutz erfährt. 43 Wörtl. „[…] ves’ma uslovn[yj] ėkvivalent[]“, Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 223, nur kursorisch betrachtet wird hier der Gedanke, inwiefern sich personelle Vereinigungen auf ihre kollektive Würde berufen können. 44 Ledovskich, Vestnik Voronežskogo gosudarstvennogo universiteta 2 (2006), 141 (142). 45 Formulierung nach Fincke, siehe supra Fn. 14. 46 Gadžiev, in: Zor’kin, S. 234; Šapovalova, in: Startilov, Pravovoj režim zakonnosti: obespečenie i zaščita, S. 131. 47 Gadžiev, in: Zor’kin, S. 237, 238. 48 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 2. 49 Gadžiev, in: Zor’kin, S. 239. 50 Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 323-O-O, P. 2; Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 23 Rn. 18. 51 Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 223, mit Verweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und auf dessen Verweis auf den EGMR (Große Kammer), Urteil vom 06.04.2000 – 35382/97 (Comingersoll/Portugal). 39 40
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Unklar bleibt, ob sich die Geschäftsreputation juristischer Personen aus Art. 21 P. 1 oder aus Art. 23 P. 1 Verf. RF ableitet.52 Unabhängig von der normativen Verankerung ist eine gewisse Gleichstellung mit der verfassungsrechtlichen Position natürlicher Personen zu konstatieren. Dies zeigt sich in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zur Rechtsschutznorm des Art. 45 P. 2 Verf. RF. Das hier verankerte verfahrensähnliche Selbsthilferecht wird auch als „Recht auf Verteidigung“ beschrieben.53 Diese Norm hat insofern grundlegende Bedeutung, als Art. 45 P. 2 Verf. RF nach dem Verfassungsgericht juristischen Personen verfassungsrechtlichen Rechtsschutz für ihre Geschäftsreputation eröffnet.54 Art. 45 P. 2 Verf. RF entnimmt das Verfassungsgericht zudem eine gewisse Gleichstellung mit natürlichen Personen im Bereich des Schadensrechts und bei immateriellen Nachteilen.55 Die verfassungsrechtlich begründete Gleichstellung bewirkt dadurch ein Mehr an Schutzmöglichkeiten der juristischen Person in zivilrechtlich-materieller Hinsicht.56 Erklären lässt sich dies womöglich durch den Zusammenhang zwischen Art. 45 P. 2 Verf. RF und dem Würdeschutz. Die Würde der Persönlichkeit, die ihren Ausdruck nicht nur in ihrer verfassungsrechtlich sichergestellten Garantie findet, erlangt über Art. 45 P. 2 Verf. RF eine verfahrensbezogene Komponente: Sie soll durch alle gesetzlich nicht verbotenen Wege zu schützen sein.57 Betrachtet man die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts hierzu in ihrer Gesamtheit, so lässt sich annehmen, dass sich juristische Personen durch die Formel der wesensmäßigen Begrenzung einerseits und ihrer „verfahrensbezogenen“ Gleichstellung andererseits auf entsprechende Rechte natürlicher Personen zum Schutz der Geschäftsreputation berufen können. Neben Art. 45 zitiert das Verfassungsgericht auch Art. 46 P. 1 Verf. RF in Zusammenhang mit juristischen Personen und deren Persönlichkeitsschutz. Art. 46 P. 1 Verf. RF wird als „umfassender und effektiver Justizgewährleistungsanspruch“ verstanden.58 Art. 46 P. 1 Verf. RF verleiht ein subjektives Recht auf gerichtlichen Schutz59 und stellt die Einrichtung einer Gerichtsbarkeit sicher.60 Seine Garantie ist ebenfalls Ausfluss der Menschenwürde in Art. 21 Verf. RF.61 Er fungiert als Garantie der Rechte und Freiheiten des zweiten Kapitels. Dies gilt für juristische Personen ebenso.62 Die so begründete 52 Gadžiev, in: Zor’kin, S. 239, verweist im Rahmen von Art. 23 P. 1 Verf. RF auf den Schutz des guten Namens juristischer Personen des Privatrechts. 53 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 45 Rn. 18. 54 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2. 55 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2. 56 Siehe dazu insbesondere im Schadensrecht, infra Kap. 6 B. 57 Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 222. 58 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 46 Rn. 1. 59 Vfg., Urteil vom 29.04.1998, Nr. 13-P; Žilin, in: Zor’kin, S. 438–439. 60 Vfg., Urteil vom 16.03.1998, Nr. 9-P, P. 4, 6. 61 Vfg., Urteil vom 14.07.2011, Nr. 16-P, P. 2. 62 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
Rechtsposition (und daraus abgeleitete subjektive Rechte) ist unter Heranziehung dieser Artikel der Verfassung bemerkenswert. Die der juristischen Person damit verschaffte Rechtsposition ist in Art. 152 ZGB verankert. Die Realisierung der verfassungsrechtlich verbürgten Persönlichkeitsrechte erfolgt daher durch das einfache Recht.63 Art. 152 ZGB wird dabei als „Bestandteil des allgemeinen Systems der verfassungsrechtlichen Regulierung und Garantie dieses Grundrechts“ verstanden.64 Nach dem Verfassungsgericht kommt es für die Frage der konkreten Anwendbarkeit der dortigen Regelungen jeweils auf die Natur der juristischen Person an.65 Das Verfassungsgericht erkennt damit ein Recht auf gerichtlichen Schutz der Ehre und des guten Namens aus Art. 21 P. 1, Art. 23, Art. 45 und Art. 46 P. 1 Verf. RF an. Während das Verfassungsgericht daran anschließend ein – wenn auch in seinem rechtlichen Rahmen begrenztes – Verfassungsrecht juristischer Personen auf Schutz der Geschäftsreputation anerkennt, verfolgt der OG einen anderen Ansatz. Er formuliert, dass in Unterschied zu natürlichen Personen, die aus der Verfassung ein Recht auf Schutz von Ehre, Würde und Geschäftsreputation ableiten, die Geschäftsreputation juristischer Personen nur eine Bedingung ihres erfolgreichen Tätigwerdens ist.66 Diese Formulierung begrenzt das Interesse juristischer Personen auf ihr Tätigsein, die Funktion und einen reibungslosen Ablauf, kurz: auf ihre wirtschaftliche Tätigkeit. Dieser alleinige Bezug auf die Ausübungsfreiheit entfernt das Verständnis der Interessen juristischer Personen von den würdeähnlichen Rechten in Art. 23 oder gar Art. 21 Verf. RF und rückt vielmehr ihre Berufs- bzw. tätigkeitsbezogene Handlungsfreiheit in den Vordergrund.
2. Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit Keine Rolle im Persönlichkeitsschutz spielt die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, Art. 34 Verf. RF.67 Während sie als Ausprägung des Art. 2 I GG Grundlage für den sozialen Geltungsanspruch einer juristischen Person des Privatrechts im deutschen Recht ist,68 findet sie in der russischen Rechtsprechung keine, in der 63 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 146, damals noch zur Vorgängernorm Art. 7 der Grundlagen der Zivilgesetzgebung der UdSSR; Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 222, Art. 152 ZGB als Konkretisierung von Art. 46 P. 1 Verf. RF, der jedem die Garantie seiner Rechte und Freiheiten vor Gericht sicher stellen soll. 64 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 2; Entscheidung vom 08.04.2003, P. 2; Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 23 Rn. 18. 65 Vfg., Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2, so heißt es im Originalwortlaut „Primenimost’ togo ili inogo konkretnogo sposoba zaščity narušennych graždanskich prav k zaščite delovoj reputacii juridičeskich lic dolžna opredeljat’sja ischodja imenno iz prirody juridičeskogo lica“. 66 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P.1. 67 Bezeichnung nach Wedde, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 34. 68 Allerdings ist die normative Verortung auch in den deutschen Rechtswissenschaften
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Literatur nur vereinzelt Erwähnung.69 Dennoch werden im zivilrechtlichen Bereich Schutzgüter der juristischen Person erörtert,70 die aber nicht in einen Zusammenhang mit entsprechenden Verfassungsrechten gebracht werden.
3. Vergleichende Betrachtung und Zwischenergebnis Für den im Folgenden punktuell vorgenommenen Vergleich ist auch wegen der bereits erwähnten Verklammerung zwischen Verfassungs- und einfachem Recht auf verfassungsrechtliche Grundlagen des deutschen Rechts einzugehen. Im deutschen Grundgesetz wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Artt. 1 I und 2 I GG entnommen.71 Für juristische Personen gelten die Grundrechte nach Art. 19 III GG insoweit, als sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Grundrechtlichen Schutz genießen juristische Personen demnach dann, wenn das einzelne Grundrecht in Inhaberschaft und Ausübung mit dem Wesen einer korporativen Organisation vereinbar ist.72 Zu unterscheiden ist demnach zwischen juristischen Personen des Privat- und solchen des öffentlichen Rechts. Letztere sind keine Träger des Persönlichkeitsrechts.73 In der deutschen Rechtsprechung ist das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ zwar vom BGH, nicht aber vom BVerfG anerkannt.74 Für eine Heranziehung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht für juristische Personen dient Art. 2 I GG, nicht dagegen Art. 1 I GG.75 Das BVerfG entnimmt Art. 2 I GG das Recht eines Unternehmens auf seine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit.76 Ebenso hat es das Recht einer juristischen Person am gesprochenen Wort auf Grundlage des nicht abschließend geklärt, siehe zu den vielfältigen Herangehensweisen m. w. N. Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 224. 69 Eine kurze Erwähnung findet sich in der Entscheidung des Vfg., Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2; aus der Literatur: Archiereev, Jurist 11 (2018), 47 (47). 70 Siehe dazu infra, Kap. 5 A–B. 71 BGH, Urteil vom 25.05.1954 – I ZR 211/53, NJW 1954, 1404; BGH, Urteil vom 14.02.1958 – I ZR 151/56, GRUR 1958, 408; das BVerfG übernahm die BGH-Rspr. etwa in BVerfGE, Beschluss vom 03.06.1980 – 1 BvR 185/77, BVerfGE 54, 148 (153 f.). 72 BGH, Urteil vom 08.02.1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281, 1282, Brändel/Schmitt, in: Götting, § 31 Rn. 1, 5. 73 Lang, in: BeckOK Grundgesetz, Art. 2 Rn. 50; auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann sich aber zivilrechtlich gegen beleidigende Äußerungen (§§ 185–187 StGB) wehren, siehe BGH, Urteil vom 16.11.1982 – VI ZR 122/80, NJW 1983, 1183. 74 Zur BGH-Rspr. vgl. BGH, Urteil vom 08.02.1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281 (1282); BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110 (2111); zuletzt BGH, Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587 (1589); Holzner, MMR-Aktuell 2010, versteht die BVerfG-Rechtsprechung als Anerkennung des APR durch das BVerfG in dem Beschluss vom 03.05.1994 – 1 BvR 737/94, NJW 1994, 1784 (1784 f.) als gegeben, obwohl die erste Kammer die Anerkennung ausdrücklich offenlässt. 75 BVerfG, Beschluss vom 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619, 3622; Brändel/Schmitt, in: Götting, § 31 Rn. 5; Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 224; Hillgruber, in: BeckOK Grundgesetz, Art. 1 Rn. 6. 76 BVerfG, Beschluss vom 03.05.1994 – BvR 737/94, NJW 1994, 1784 (1784).
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Art. 2 I GG anerkannt.77 Aufgrund der Bedeutung des Art. 2 I GG für die freie wirtschaftliche Entfaltung der juristischen Person, verschwimmen die Grenzen zur Berufs- und Eigentumsfreiheit in Art. 12 und Art. 14 GG.78 Klargestellt hat das BVerfG, dass zwar nicht der Ruf eines Unternehmens, aber das Recht auf Außendarstellung zum Eigentumsrecht nach Art. 12 GG gehört.79 Dieses allerdings ist weder ein ausschließliches Recht, noch stellt es ein Äquivalent zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht dar. Auch letzteres gibt einem Unternehmen kein Recht auf ausschließliche (Selbst-)Bestimmung seines Bildes am Markt.80 Entscheidend ist auch, dass sich juristische Personen mangels Würdebezug nicht auf Art. 1 GG berufen können, woraus ein „abgesenkter“ Persönlichkeitsschutz abgeleitet wird.81 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass insbesondere seitens des BGH verschiedenste Facetten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verfassungsrechtlich begründet werden und dadurch dieses in Teilgehalten auf juristische Personen Anwendung findet.82 An dieser Stelle ist daneben auf eine entscheidende Gemeinsamkeit beider Rechtsordnungen hinzuweisen: Sowohl im russischen als auch im deutschen Recht besteht eine Verflechtung der verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Bestimmungen. So stellen die Gerichte in beiden Fällen bei entsprechenden Entscheidungen verfassungsrechtliche Überlegungen mit ein.83 Beiden Rechtsordnungen ist daneben gemein, dass eine gewisse Distinktion zwischen dem Persönlichkeitsschutz natürlicher und juristischer Personen bereits auf Verfassungsebene erfolgt. Dem ist hinzuzufügen, dass dies im deutschen Recht in zweierlei Hinsicht eindeutiger erfolgt: Zwar kann der grundrechtliche Schutz über Art. 19 III GG juristischen Personen zugesprochen werden, es erfolgt aber gleichzeitig eine Begrenzung mangels Heranziehens des Art. 1 GG. 77 BVerfG, Beschluss vom 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619 (3622). 78 Brändel/Schmitt, in: Götting, § 31 Rn. 5; insbesondere auch in den Fragen zum Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vgl. Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1065). 79 BVerfG, Beschluss vom 26.06.2002 – 1 BvR 558/91, NJW 2002, 2621. 80 BVerfG, Beschluss vom 26.06.2002 – 1 BvR 558/91, NJW 2002, 2621 (2622). 81 Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 224. 82 Sozialer Geltungsanspruch eines Unternehmens nach Art. 2 I, 19 III GG in BGH, Urteil vom 16.01.2018 – VI ZR 498/16, NZG 2018, 797; BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85, GRUR 1986, 759; BGH, Urteil vom 03.06.1975 – VI ZR 123/74, GRUR 1976, 210; zum Schutz des Namensrechts vgl. BGH, Urteil vom 26.06.1981 – I ZR 73/79, GRUR 1981, 846; zur Ehre einer juristischen Person BGH, Urteil vom 16.11.1982 – VI ZR 122/80, NJW 1983, 1183. 83 So zu Recht schon Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (313 f.), der von „wechselseitige[r] Durchdringung“ für den deutschen Rechtsbereich spricht; danach konnte zum damaligen Zeitpunkt eine ähnliche Entwicklung für das russische Recht nicht ausgemacht werden.
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Abgesehen von dem oben skizzierten verfassungsrechtlichen Schutz der Geschäftsreputation juristischer Personen im russischen Recht bleiben viele Fragen offen, darunter, ob sich diese aus Art. 21, Art. 23 Verf. RF oder gar aus einer gemeinsamen Lesart dieser Artikel ableiten lässt. Möglich ist auch eine Herleitung aus Art. 23 i. V. m. Art. 45 P. 2 Verf. RF. Zu beachten ist dabei, dass eine juristische Person keine Trägerin des grundrechtlichen Würdeschutzes ist. Zudem stellt Art. 45 P. 2 Verf. RF ein verfassungsrechtlich verankertes Verfahrensrecht dar und trifft weder eine Aussage über die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen noch über die wesensmäßige Anwendbarkeit der Grundrechte auf diese.
IV. Meinungs- und Pressefreiheit Nach Art. 29 P. 1 Verf. RF wird jedem die Freiheit des Gedankens und des Wortes garantiert. Art. 29 P. 4 S. 1 Verf. RF schützt die Freiheit der Verbreitung von Information. P. 5 garantiert die Freiheit der Masseninformation. Damit enthält Art. 29 Verf. RF neben der Meinungs- (und Informations-) auch den Schutz der Pressefreiheit. Im Folgenden sollen diese wichtigsten, dem Persönlichkeitsrecht gegenüberstehenden, Verfassungsrechte untersucht werden.84
1. Meinungsfreiheit Die in Art. 29 P. 1 und 4 Verf. RF verankerte Meinungsfreiheit schützt das Recht, bei der Meinungsbildung und -äußerung frei vor Einmischung des Staates zu sein.85 Zwar steht dabei der Schutz vor staatlichem Handeln im Vordergrund, geschützt wird aber auch vor der Einmischung durch Private.86 Zusammenfassend wird von „der Freiheit des Gedankens und des Wortes“87 gesprochen.88 Unklar ist der Bezug der einzelnen Bestandteile des Schutzbereichs zueinander.89 Obwohl diese gleich gewertet und als Teil eines Ganzen bezeichnet werden, ist designiertes Ziel des Art. 29 Verf. RF der Schutz politischer Äußerungen.90 Dies führt dazu, dass der Schutz sonstiger, nicht politischer Äußerungen 84 Obwohl zwischen den einzelnen Schutzbereichen des Art. 29 Verf. RF nicht klar differenziert wird, lässt sich die Rspr., insbesondere bezüglich ihrer Bedeutung für den Persönlichkeitsschutz, strukturell logisch in die Bereiche Meinungs- (und Informations-) und Pressefreiheit einordnen, vgl. zum Schutzbereich und dessen Unklarheit auch von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 11. 85 von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 22. 86 Kazancev, in: Zor’kin, S. 273; die Meinungsfreiheit ist ein Abwehrrecht, von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 22. 87 „Svoboda mysli i slova“. 88 Kazancev, in: Zor’kin, S. 273; Konjuchova, in: Konstitucija Rossijskoj Federacii, S. 81, aus: Konsul’tant Pljus; Šachraj, Konstitucionnoe pravo, S. 163. 89 Kazancev, in: Zor’kin, S. 273. 90 Kazancev, in: Zor’kin, S. 273, 275; anders Avak’jan, Konstitucionnoe pravo, S. 615,
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
primär über andere Grundrechte erreicht werden soll.91 Dennoch hat das Verfassungsgericht ausdrücklich bestätigt, dass zu dem in Art. 29 P. 4 Verf. RF statuierten Recht, „auf rechtmäßige gesetzliche Weise Informationen frei zu beschaffen, entgegenzunehmen, weiterzugeben, hervorzubringen und zu verbreiten“,92 auch Werbung zu zählen ist.93 Diese ist gleichzeitig über Art. 34 Verf. RF geschützt.94 Weiterhin umfasst sind Äußerungen im Internet95 und beleidigende und schockierende Äußerungen.96 Ungeklärt ist, inwiefern etwa Boykottaufrufe gegen Unternehmen geschützt sind.97 Auch das geschützte Ausdrucksmedium wird weit verstanden. Die Auffassung kann daher nicht nur verbal, sondern auch etwa durch eine Pose, den Gesichtsausdruck, Symbole etc. ausgedrückt werden.98 Persönlichkeitsrechte können daher auf unterschiedliche Weise und Äußerungsformen berührt sein: So gehören zum sachlichen Schutzbereich die Freiheit des Wortes, der Gedanken, der Propaganda, Agitation, Meinungen, Überzeugungen, Informationen, Masseninformationen und die Freiheit von der Zensur.99 Dabei entfaltet im Rahmen der Abwägung die Meinungsfreiheit unmittelbare Geltung100 und muss von den Gerichten auch in dieser Weise beachtet werden.101 Hinzuweisen ist auch auf bekannte inhaltliche Voraussetzungen der Meinungen, die wiederum für das Tatbestandsmerkmal „Äußerung“ in Art. 152 ZGB relevant werden: Geschützt wird die Meinung, welche wertmäßigen Charakter102 hat.103 Ausgenommen davon sind Lügen.104 Erstmals verwies der OG im Jahre 2005 – vermutlich aufgrund zahlreicher Hinweise des EGMR –105 auf die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Meinungen und Tatsachenbehauptungen.106 Obwohl diese Notwendigkeit durch die Gerichte mantraarnach dem die Meinungsfreiheit vor allem vor dem gesellschaftlichen Druck auf die Person schützt, auf ihre Wahrnehmung, auf ihre Lebensweise (dies erinnert weniger an die Meinungsfreiheit als an die Freiheit der individuellen Entfaltung der Persönlichkeit). 91 Kazancev, in: Zor’kin, S. 275. 92 Übersetzung nach Fincke, siehe supra Fn. 14. 93 Vfg., Urteil vom 04.03.1997, Nr. 4-P, P. 4. 94 Kazancev, in: Zor’kin, S. 275. 95 Vfg., Urteil vom 09.07.2013, Nr. 18-P, P. 2. 96 Kazancev, in: Zor’kin, S. 280. 97 Vgl. dagegen die Rspr. des BVerfG: BVerfGE 25, 256 (26.02.1969 – 1 BvR 619/63); BVerfG, Beschluss vom 08.10.2007 – 1 BvR 292/02, NJW-RR 2008, 200; zur Rspr. des BGH siehe etwa Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, ZUM 2016, 750. 98 Kazancev, in: Zor’kin, S. 274; Avak’jan, Konstitucionnoe pravo, S. 615. 99 Kazancev, in: Zor’kin, S. 273. 100 Vfg., Urteil vom 09.07.2013, Nr. 18-P, P. 2. 101 Vgl. von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 10. 102 „Ocenočnyj charakter“. 103 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 6. 104 Kazancev, in: Zor’kin, S. 276. 105 Eingehend dazu das folgende Kapitel; vgl. zur Kritik des EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), P. 29; Urteil vom 05.10.2006 – 14881/03 (Zakharov/Russia), Rn. 29; Urteil vom 14.12.2006 – 29372/02 (Karman/Russia), Rn. 38. 106 Erste Stellungnahme bei OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9.
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tig repetiert wird,107 bleibt die korrekte Distinktion eine Herausforderung.108 Anerkannt ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR, dass unter den Schutzbereich nicht nur wahre, sondern auch „doppeldeutige“109 Informationen, „absurde und falsche Ideen“ und Meinungen, die „beleidigend und schockierend“ sein können, fallen.110 Weiterhin existiert auch eine Form der negativen Meinungsfreiheit, die davor schützt, zum Ausdruck einer Meinung gezwungen zu werden. Im persönlichkeitsrechtlichen Bereich hat dies zur Folge, dass über Art. 152 ZGB keine Entschuldigung verlangt werden kann.111
2. Pressefreiheit Art. 29 P. 5 Verf. RF regelt die Garantie der Freiheit der Masseninformation. Dazu gehört nicht nur die Freiheit der Presse, sondern auch das Recht eines jeden Einzelnen, „individuell, kollektiv und professionell Informationen zu suchen, zu erhalten, herauszugeben und zu verbreiten“ und Inhaber eines privaten Massenmediums zu sein.112 Zweck des Art. 29 P. 5 Verf. RF ist ausdrücklich der Schutz der Journalisten.113 Auch ihre Unabhängigkeit wird – ob einzeln oder im Kollektiv – durch Art. 29 P. 5 Verf. RF geschützt. Dies gilt für alle Journalisten, gleich, ob sie einem staatlichen Medium angehören oder nicht.114 Die Bedeutung der Freiheit der Massenmedien, die die Verfassung und ihre Organe ihr zumessen (sollten), ist offenbar: Sie ist Ausdruck der ideologischen und politischen Vielfalt, die Art. 13 Verf. RF festlegt und anerkennt.115 Auch die Rechtsprechung nimmt an, dass sie Grundlage der Entwicklung einer modernen Gesellschaft und eines demokratischen Staates ist.116 Eine besonders diskutierte Kategorie von Äußerungen ist die der Diffamierung.117 Definiert wird sie als Verbreitung von Äußerungen, die eine Person verunglimpfen, in der Regel durch ein Massenmedium.118 Unterschieden wer107
Siehe dazu infra Kap. 6 A. I. 1. a) aa) (1). OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 6.
108 Feststellung des 109 „Somnitel’nyj“.
110 Kazancev, in: Zor’kin, S. 279–280. 111 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005,
Nr. 3, P. 18, siehe infra Kap. 6 A. I. 2. a) aa). Kazancev, in: Zor’kin, S. 282. Kazancev, in: Zor’kin, S. 282. 114 Kazancev, in: Zor’kin, S. 284. 115 Kazancev, in: Zor’kin, S. 284. 116 OG, Plenarbeschluss „Über die gerichtliche Anwendungspraxis des Gesetzes der Russischen Föderation ‚Über die Massenmedien‘“ („O praktike primenenija sudami Zakona Rossijskoj Federacii ‚O sredstvach massovoj informacii‘“), vom 15.06.2010, Nr. 16 (im Folgenden: Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16), Präambel; dies wird auch aus „westlicher“ Sicht so beschrieben, stellvertretend dafür von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 57, danach bietet Art. 29 Verf. RF „umfassenden Schutz journalistischer Betätigung“, „verbietet […] Zensur“ und „jede andere Beschränkung der Medientätigkeit“. 117 Siehe hierzu infra Kap. 6 A. I. 1. a) bb). 118 Kazancev, in: Zor’kin, S. 278; da die Diffamierung nach o. g. Definition insb. als Äu112 113
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den verschiedene Arten der Diffamierung: die beabsichtigte unwahre Diffamierung, die nicht beabsichtigte unwahre Diffamierung und die wahre Diffamierung119 (also Äußerungen, die zwar wahr sind, aber dennoch verunglimpfen120). Während die nicht beabsichtigte und die wahre Verbreitung verunglimpfender Aussagen von der Pressefreiheit gedeckt sind, ist es die beabsichtigt unwahre nicht.121 Für Einschränkungen gelten die Schrankenregelungen nach Art. 55 und 56 Verf. RF.122 Es bestehen vielfältige gesetzliche Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit. Diese werden in ihrem Wirkungsgrad als „sehr weit“ beschrieben.123
V. Eingaberecht Nach Art. 33 P. 1 Verf. RF haben die Bürger „das Recht, sich persönlich an die Organe der Staatsgewalt und an die Organe der örtlichen Selbstverwaltung zu wenden sowie individuelle und kollektive Eingaben an sie zu richten“.124 Dieses Eingaberecht125 ist nach dem OG ebenfalls in einen Ausgleich mit dem Persönlichkeitsrecht zu bringen.126 Daher darf die Wahrnehmung dieses Eingaberechts nicht zum Nachteil der in Art. 152 ZGB geschützten Güter werden. Das entstehende Spannungsverhältnis ist durch die Vorgaben der prozessrechtlichen Regelungen, der Prüfpflicht durch den Staatsanwalt bzw. des Richters bei Eingabe durch den Bürger, vorgesehen.127 Nach dem OG ist daher eine Anzeige oder eine Information der Behörden bezüglich einer Straftat, die fälschlicherweise vorgebracht wird, nicht per se Haftungsgrund nach Art. 152 ZGB.128 Das Spannungsverhältnis wird durch die Rechtsprechung somit dadurch aufgelöst, dass die gutgläubige Wahrnehmung des Eingaberechts ermöglicht wird.
ßerung in den Massenmedien verstanden wird, wird sie in diesem Teil des Unterpunktes IV. besprochen, obwohl sie auf alle Bereiche des Art. 29 Verf. RF im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit Anwendung findet. 119 Kazancev, in: Zor’kin, S. 278. 120 Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 161. 121 Kazancev, in: Zor’kin, S. 278. 122 von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 60. 123 Nußberger u. a., Verfassungsrechtsprechung in der Russischen Föderation, S. 74. 124 Übersetzung nach Fincke, siehe supra Fn. 14. 125 Begrifflichkeit nach von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 33. 126 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1. 127 Vfg., Entscheidung vom 08.04.2003, Nr. 157-O, P. 2. 128 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 10.
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VI. Der Ausgleich zwischen den Rechten Die Meinungs- und Pressefreiheit stehen dem Persönlichkeitsschutz grundsätzlich gleichrangig gegenüber.129 Mit dem Ausgleich zwischen der Meinungsund Pressefreiheit und dem „Schutz der Ehre und der Würde“ befasste sich das Verfassungsgericht erstmals im Jahre 1995.130 Nach dem Verfassungsgericht ist der Ausgleich zwischen dem Persönlichkeitsschutz und der Meinungsfreiheit eine Frage der Einzelfallbetrachtung.131 Dabei fordert es nicht nur den OG auf, im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Richtkompetenz132 zu wirken, sondern spricht den einfachen Gerichten das Recht und die Pflicht zu, einen Ausgleich zwischen den Verfassungsrechten herzustellen.133 Es hält zudem fest, dass die Ausübung des einen, nicht die Wahrnehmung des anderen Rechts blockieren soll.134 Gleichzeitig betont das Verfassungsgericht die besondere Bedeutung der Persönlichkeit (und ihrer damit verbundenen Rechte) auch gegenüber der Meinungsfreiheit.135 Zwar ist dabei wohl nicht die grundsätzliche Prävalenz der die Persönlichkeit schützenden Grund- und Menschenrechte gemeint; die besondere Betonung kann retrospektiv dennoch als Vorzeichen einer Abwägungstendenz zugunsten des Persönlichkeitsschutzes bewertet werden.136 Art. 29 Verf. RF beinhaltet eine konkrete Schrankenregelung137 mit den allgemeinen Regelungen der Artt. 55, 56, 17 P. 3 Verf. RF.138 Demnach darf die Meinungsfreiheit nach Art. 55 P. 3 Verf. RF „nur in dem Maße eingeschränkt werden, wie dies zum Schutz der Grundlagen der Verfassungsordnung, der Moral, der Gesundheit, der Rechte und gesetzlichen Interessen anderer sowie zur Gewährleistung der Landesverteidigung und Staatssicherheit notwendig ist“.139 Die Meinungsfreiheit ist nach dem OG Grundlage der Entwicklung der modernen Gesellschaft und eines demokratischen Staates. Gleichzeitig kann 129
Ledovskich, Vestnik voronežskogo gosudarstvennogo universiteta 2 (2006), 141 (141). Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O. 131 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 3. 132 „Verchovnyj Sud Rossijskoj Federacii možet ispol’zovat’ svoe konstitucionnoe pravomočie“. 133 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 3. 134 Vfg., Entscheidung vom 08.04.2003, Nr. 157-O, P. 2. 135 Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 323-O-O mit Verweis auf Urteil vom 03.05.1995, Nr. 4-P und vom 25.04.2011, Nr. 6-P.: „[…] Konstitucija Rossijskoj Federacii vozlagaet na gosudarstvo objazannost’ ochranjat’ dostoinstvo ličnosti, čem utverždaetsja prioritet ličnosti i ee prav, pričem ėta ochrana dolžna osuščestvljat’sja vo vsech sferach“. 136 Hierauf wird in Kap. 6 A. eingegangen. 137 Nußberger, in: Einführung in das russische Recht, S. 50; „qualifizierter Gesetzesvorbehalt“ bei Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 19. 138 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 2; Entscheidung vom 08.04.2003, Nr. 157-O, P. 2; von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 24, verweist auf die Schrankenregelung aus Artt. 55, 56 Verf. RF trotz der schrankenlosen Formulierung im Wortlaut des Art. 29 Verf. RF. 139 Übersetzung nach Fincke, siehe supra Fn. 14. 130
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ihre Wahrnehmung in der Weise begrenzt werden, als es nach dem Gesetz vorgesehen und für eine demokratische Gesellschaft unumgänglich ist.140 Das Verfassungsgericht hält fest, dass die Wahrnehmung der Freiheiten und Rechte spezielle Pflichten und Verantwortung mit sich einher bringt. Die Einschränkung durch Gesetz hat zudem inter alia die Reputation anderer zum Schutz.141 Eine solche Einschränkung142 stellen Artt. 151, 152 ZGB dar,143 die den Schutz der Ehre, Würde und der Geschäftsreputation als kollidierendes Verfassungsrecht einfachgesetzlich verankern. Explizit sieht das Verfassungsgericht den in Art. 152 ZGB verankerten Schutz der Ehre und Würde und die Pflicht des Beklagten, die Wahrheit der Behauptung zu beweisen, nicht als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit an.144 Diese Entscheidung wird nur selten in ihrer Gesamtheit kritisiert,145 in der Regel werden einzelne Teilregelungen oder Nuancen des Rechtsverständnisses seitens der Gerichte einer (kritischen) Betrachtung unterzogen.146 Eine bedeutende verfassungsgemäße147 Schranke der Pressefreiheit zum Persönlichkeitsschutz ist nach Art. 48 P. 5 des Gesetzes zu den Massenmedien148 der Verlust der Akkreditierung, wenn persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen verbreitet werden. Die Verletzung muss gerichtlich bestätigt worden sein.149 Bedeutung haben überdies neben Art. 152 P. 2 ZGB auch Art. 46 Massenmediengesetz und die dort geregelten Gegendarstellungsansprüche. Für die Abwägung ist nicht nur die Wahrheit, sondern auch die Art der Aussage zu berücksichtigen.150 Eine Rolle spielt auch der Inhalt der Äußerung. Die Gerichte sind angehalten, zwischen der Verbreitung von Falschinformation und politischen Bewertungen zu unterscheiden.151 Auch für den Bereich kommerzieller Information spielt der politische Charakter der Äußerung eine Rolle. Je weniger dieser ausgeprägt ist, desto höher ist die Möglichkeit der Rechts140
OG, Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, Präambel. Urteil vom 09.07.2013, Nr. 18-P, P. 2, daneben Rechte anderer, die staatliche Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die öffentliche Gesundheit und die Moral der Bevölkerung. 142 Weitere wichtige Einschränkungen sind die strafrechtlichen Vorschriften des Art. 128.1 Strafgesetzbuch der Russischen Föderation zur Verleumdung. 143 von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 25, daneben zählen auch Schutzbestimmungen im Strafrecht dazu, vgl. etwa Art. 128.1 Strafgesetzbuch RF. 144 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 2. 145 Harsche Kritik nur durch Ledovskich, Vestnik voronežskogo gosudarstvennogo universiteta 2 (2006), 141 (142). 146 Vgl. etwa in den Beiträgen von Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157; Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2018), 113; Nochrina, Pravovedenie 3 (2014), 244. 147 von Gall, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 29 Rn. 64. 148 Föderalgesetz „Über die Massenmedien“ („O sredstvach massovoj informacii“), vom 27.12.1991 (in der Fassung vom 18.04.2018), Nr. 2124–1, abrufbar unter: , im Folgenden: „Massenmediengesetz“. 149 Vfg., Urteil vom 31.07.1995, Nr. 10-P, P. 8. 150 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 3. 151 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 3. 141 Vfg.,
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einschränkung qua Gesetz.152 Eine differenzierte Rechtsprechung zum Maßstab bei der Abwägung zwischen den sich entgegenstehenden Rechten existiert nicht.153 Vereinzelte Hinweise des OG geben der Meinungsfreiheit Gewicht bei Kritik an Amtsträgern und Politikern.154 Grundsätzlich stellt auch der Schutz der Geschäftsreputation ein legitimes Ziel der Einschränkung von Art. 29 Verf. RF dar. Dies zeigt schon ihre Verankerung in Art. 152 ZGB. Obwohl unklar ist, inwiefern der Schutz auf den Grundrechten der Art. 21, 23 Verf. RF fußt, stellt die Geschäftsreputation juristischer Personen wohl jedenfalls ein „gesetzliches Interesse“155 dieser i. S. v. Art. 55 P. 3 Verf. RF dar. Mit der einfachgesetzlichen Normierung in Art. 152 P. 11 ZGB findet diese verfassungsrechtliche Position Eingang in das die Meinungsfreiheit einschränkende einfache Recht. Es ist zu bemerken, dass die Abwägung zwischen dem Schutz der Ehre und Würde – teilweise unter explizitem Einschluss der Geschäftsreputation juristischer Personen – und der Meinungs- und Pressefreiheit von einem „generischen“ Abwägungsverhältnis auszugehen scheint. Es scheint für die Abwägung demnach keinen Unterschied zu machen, ob es sich auf Klägerseite um eine natürliche oder eine juristische Person handelt. Es soll dabei nicht unterstellt werden, der russischen Verfassung wäre die Möglichkeit der unterschiedlichen Behandlung nicht zu entnehmen. Es scheint aber so, als spiele diese Unterscheidung – jedenfalls bislang – für die Rechtsprechung keine Rolle. In Bezug auf juristische Personen betonte allein der OG, dass der Schutz deren Geschäftsreputation „nur“ eine Bedingung ihres erfolgreichen Tätigwerdens darstellt (und kein verfassungsrechtlich verankertes Grundrecht wie dies für natürliche Personen der Fall ist156).157 Mit Verweis auf Art. 17 P. 3 Verf. RF, nach dem die Wahrnehmung der Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers die Rechte und Freiheiten anderer nicht verletzen darf, sind die Gerichte angehalten, ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen sich gegenüberstehenden Rechten zu wahren.158 Die Meinungsfreiheit wird in der Literatur als entgegenstehendes Recht ge152 Kazancev, in: Zor’kin, S. 276, unter Verweis auf Rspr. des EGMR. 153 Vfg., Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O, P. 3, äußerte sich auch
zur Bedeutung der „Wahlagitation“. Trotz seiner immensen allgemeinen Bedeutung wird das Thema hier mangels Relevanz für die Fragen der vorliegenden Arbeit ausgeklammert. 154 Gilt für Art. 29 Verf. RF insgesamt, OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9; OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 8; als gesetzliches Interesse auch bezeichnet in 5. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 04.08.2015, Nr. 05AP-6500/2015, Sachnr. A51-6980/2015. 155 „[…] zakonnych interesov drugich lic“, OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1; die konkrete Bedeutung und das Gewicht der Geschäftsreputation im verfassungsrechtlichen Kontext bleiben weiterhin unklar. 156 Oder zwar ein Grundrecht, das aber in seiner „Wertigkeit“ einen abgeschwächteren Schutz bietet. 157 Siehe supra Fn. 66. 158 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
nannt und für schützenswert erachtet. Nur selten wird ihr aber in Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsschutz ein hohes Gewicht und die entsprechende Notwendigkeit ihres Schutzes attestiert.159 Betont wird u. a. der „Missbrauch“ des Rechts auf Meinungsfreiheit und Pressefreiheit insbesondere durch Journalisten.160 Dennoch wird auch in der Literatur auf einen Ausgleich der Rechte hingewiesen.161 Insbesondere in der Diskussion zum Schutz unternehmerischer Betätigung wird zumeist der Ausbau des Schutzes in den Mittelpunkt der Forderung gestellt,162 ohne die womöglich schwächere verfassungsrechtliche Position juristischer Personen in der Abwägung zu berücksichtigen oder überhaupt zu adressieren. Die verfassungsrechtliche Position wäre dabei eigentlich zentral. So spielt es auch im russischen Verfassungsrecht eine Rolle, welches Gewicht die sich gegenüberstehenden Rechte haben.163 Wie bemerkt, ist die entsprechende verfassungsrechtliche Position juristischer Personen weder verfassungsrechtlich statuiert noch durch Rechtsfortbildung abschließend gesichert worden.164 Die Legitimation zum Ausbau des Schutzes bleibt daher offen. Angeführt werden könnte die Tatsache, dass der Persönlichkeitsschutz Ausfluss der Würdegarantie ist. Da ein solcher Würdebezug bei juristischen Personen fehlt und ihre Position „nur“ auf ihre Geschäftsreputation begrenzt ist, gibt die russische Rechtsprechung eigentlich bereits eine Antwort auf die Frage des verfassungsrechtlichen Stellenwerts. Daran ändert auch die Bezeichnung als „Analogie“ oder „Äquivalent“ nichts. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung165 ergibt sich daraus folgende Lesart: Das Pendant zum aus der Menschenwürde abgeleiteten Recht der Ehre und des guten Namens für juristische Personen ist der Schutz ihrer Geschäftsreputation. Diese Entsprechung begrenzt sich aber auf seine begrifflichen Parallelen und ist lediglich Illustrationshilfe.166 Es bedeutet daher nicht, dass der juristischen Person eine in Bedeutung und Gewicht natürlichen Personen entsprechende verfassungs159 Trotz der oben beschriebenen Bedeutung der Meinungsfreiheit in der Verfassung; ausdrücklich aber Ledovskich, Vestnik voronežskogo gosudarstvennogo universiteta 2 (2006), 141 (143). 160 Stebleva, Justicija 4 (2007), 58 (59). 161 Ledovskich, Vestnik voronežskogo gosudarstvennogo universiteta 2 (2006), 141 (143 f.); nach dems., S. 144, bestehen hier auch keine Gegenmeinungen; Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 100. 162 Afanas’eva/Belova, Jurist 8 (2002), 29 (33); Ali/Dmitrenko, Vestnik Arbitražnogo suda Moskovskogo okruga 4 (2016), 1 (7) aus: Konsul’tant Pljus; Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica; Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii; Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30; Bass, Biznes v zakone 2 (2008), 218 (219). 163 Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 27 f. 164 Jedenfalls nicht überzeugend, zu den Ausführungen infra Kap. 6 B. II. 3. h). 165 Die der OG bereits formuliert hat, vgl. supra Fn. 66. 166 So wie auch im deutschen Recht vom „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ gesprochen wird (siehe supra Fn. 74), ohne dass von einer Deckungsgleichheit ausgegangen wird.
A. Verfassungsrecht
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rechtliche Position zukommt. An dieser Stelle wäre es für das Verfassungsgericht denkbar, zwischen der Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit gegenüber natürlichen und juristischen Personen zu unterscheiden – sofern dies gewollt ist. Eben diese Distinktion trifft das deutsche Recht.167 Auch hier ist unklar, auf welchem normativen Fundament das „Unternehmenspersönlichkeit“ fußt168 – und ob es ein solches überhaupt gibt.169 Der anerkannte soziale Achtungsanspruch hat, da aufseiten der für die juristische Person einzustellenden verfassungsrechtlich geschützten Positionen gewichtgebende Würdebezug fehlt, regelmäßig hinter der Meinungsfreiheit zurück zu stehen.170
VII. Zwischenergebnis Auch in Russland ist das (zivilrechtliche) Persönlichkeitsrecht verfassungsrechtlich (vor-)geprägt. „Das“ oder „ein“ Persönlichkeitsrecht juristischer Personen existiert aber weder in der russischen Verfassung noch nach dem Verständnis der Rechtsprechung oder der wissenschaftlichen Literatur. Das Recht des Schutzes der Ehre und des guten Namens natürlicher Personen wird als eigenständiges Grundrecht im Rahmen des Art. 23 P. 1 Verf. RF verstanden. Für juristische Personen wird das Recht zum Schutz der Geschäftsreputation seitens des Verfassungsgerichts und der verfassungsrechtlichen Literatur anerkannt. Die rechtliche Grundlage bilden dabei jedenfalls Art. 23 und Art. 45 P. 2 Verf. RF; teilweise wird die Geschäftsreputation als das verfassungsrechtliche Äquivalent zu und Ausfluss von der Würde nach Art. 21 Verf. RF gesehen. Angesichts des Fehlens der juristischen Personen im Wortlaut der Verfassung ist die Zuschreibung dieser Grund- und Menschenrechte zu deren grundrechtlichen Schutz höchst zweifelhaft. Ungeachtet dessen berufen sich die Gerichte auf die genannten Artikel zugunsten juristischer Personen. Art. 55 P. 3 Verf. RF gibt dabei einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt vor, nach dem die in Artt. 21 ff. Verf. RF genannten Rechte eingeschränkt werden können. Der nach Art. 17 und Art. 55 P. 3 Verf. RF notwendige Ausgleich und die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gelten insbesondere für Fälle, in denen die Meinungs- und Pressefreiheit des Art. 29 Verf. RF berührt wird. Relevant wird dies besonders für Art. 152 ZGB, bei dessen Anwendung die entsprechenden Verfassungsrechte zu berück167 168
Siehe zu den Ausführungen supra III. 3. Vertreten wird Art. 2 I, Art. 12, Art. 14 GG. 169 Dafür Cronemeyer, AfP 2 (2014), 111, siehe insb. S. 116 für das Fazit; dagegen Koreng, GRUR 12 (2010), 1065; Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 47. 170 Vgl. etwa zur Zulässigkeit der Verbreitung rechtswidrig gedrehter Filmaufnahmen in Unternehmen BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877; außerdem BGH, Urteil vom 03.02.2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872; Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 47 f.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
sichtigen sind. Obwohl bei der hier vorzunehmenden Abwägung schon die Verankerung der verfassungsrechtlichen Position juristischer Personen unklar ist, plädiert insbesondere die Literatur für eine Ausweitung des (einfachgesetzlichen, aber durch die Verfassung vorgegebenen) Schutzes, worauf in Kapitel 6 eingegangen wird.
B. Völkerrecht – die Europäische Menschenrechtskonvention Neben der Verfassung spielt die Europäische Menschenrechtskonvention eine erhebliche Rolle im Bereich des Persönlichkeitsschutzes. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis zur Meinungsfreiheit.171 Die Bedeutung der EMRK kommt dabei durch die völkerrechtsfreundliche Ausgestaltung der russischen Verfassung172 aber auch durch eine entsprechende Rechtsprechung zum Ausdruck. Das gilt für die höchstrichterliche Rechtsprechung im Allgemeinen,173 wie auch für die Persönlichkeitsrechtsprechung im Speziellen.174 Eine wichtige Rolle spielt die EMRK für den Rechtsschutz der Bürger in der Praxis. Über 25 % der anhängigen Verfahren bei dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurden zum Stand des Jahres 2019 von russischen Bürgern eingereicht.175 Seit der Ratifikation176 im Jahre 1998 stellte der EGMR in 2551 von insgesamt 2699 gegen Russland ergangenen Entscheidungen mindestens eine Rechtsverletzung fest.177 Betrachtet man nur die Fälle aus dem Bereich der Meinungsfreiheit, Art. 10 EMRK, ergibt sich ein anderes Bild. Von allen Urtei171 Dies gilt auch für den Persönlichkeitsschutz juristischer Personen. Dieser kann vor dem EGMR nach der allgemeinen Regel des Art. 34 S. 1 EMRK geltend gemacht werden. Die russischen Gerichte treffen in der Berücksichtigung der Rspr. des EGMR keine Unterscheidung zwischen natürlichen oder juristischen Personen, vgl. Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O; OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1, 8, 9. 172 Schon die Präambel zeigt dies, daneben Art. 15 P. 4, 17, 63, 69 Verf. RF, Ėbzeev, in: Zor’kin, S. 166; Nußberger, in: Einführung in das russische Recht, S. 62; Haak, Die Wirkung und Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, S. 134; weiterhin ist Art. 15 P. 4 Verf. RF als „Grundsatz der verfassungsmäßigen Ordnung“ Teil der Normen, die nur in einem von der Verfassung vorgesehenen Verfahren abgeändert werden können, vgl. Art. 16 P. 1; Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 P. 4. 173 Vfg., Urteil vom 13.04.2012, Nr. 8-P; OG, Plenarbeschluss vom 27.06.2013, „Über die Anwendung der Menschenrechtskonvention vom 04.11.1950 und ihrer Protokolle durch die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit“ („O primenenii sudami obščej jurisdikcii Konvencii o zaščite prav čeloveka i osnovnych svobod ot 4 nojabrja 1950 goda i Protokolov k nej“), Nr. 21 (im Folgenden: OG, Plenarbeschluss vom 27.06.2013, Nr. 21). 174 Hier insbesondere die Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O. 175 Stand 2019, Statistik des EGMR, Analysis of statistics 2019 S. 8, abrufbar unter: . 176 Am 28.02.1996 trat die Russische Föderation dem Europarat bei und am 29.02.1996 unterzeichnete sie die EMRK, vgl. Art. 1 Ratifizierunsgesetz. Am 30.03.1998 wurde die EMRK qua Gesetzeserlass ratifiziert. 177 Stand 2019, Statistik des EGMR, Violations by Article and by State, abrufbar unter:
B. Völkerrecht – die Europäische Menschenrechtskonvention
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len ergingen bis 2019 „nur“ 72 wegen eines Verstoßes gegen Art. 10 EMRK.178 Dennoch ist auch diese Anzahl nicht außer Acht zu lassen, betrachtet man sie in Relation zu anderen Staaten. So verstieß gegen Art. 10 EMRK auch hier allein die Türkei öfter.179 Gleichzeitig erweist sich die russische Rechtsprechungspraxis geradezu übermütiger Zitationswut bei der Beachtung der Praxis des EGMR.180 Dabei spielen nicht nur Urteile, die gegen Russland ergehen, eine Rolle. Die Rechtsprechung orientiert sich daneben – insbesondere auch durch die vermehrte wissenschaftliche Untersuchung des Themas181 – an Urteilen des EGMR, die gegen andere Staaten ergehen.182 Die Rezeption der EGMR-Rechtsprechung zum Verhältnis des Persönlichkeitsrechts juristischer Personen und der Meinungsfreiheit durch die russische Rechtsprechung und die wissenschaftliche Lehre wird jeweils in den entsprechenden Abschnitten der Arbeit thematisiert. Im folgenden Kapitel sollen nur die Grundlagen für diese Untersuchung erläutert werden. Dazu wird kurz auf die grundsätzliche Verankerung des Völkerrechts in der russischen Verfassung eingegangen (I.), um dann die Rolle der EMRK für das russische Recht zu beleuchten (II.) und zuletzt deren Verständnis von der Meinungs- und Pressefreiheit zu betrachten (III.).
; nur die Türkei weist eine höhere Verurteilungssumme auf, die Russische Föderation steht an zweiter Stelle. 178 Absteigend wird die Liste der meisten verletzten Artikel der EMRK angeführt von Art. 5 EMRK, dem Recht auf Freiheit und Sicherheit (1121 Urteile); Art. 6 EMRK, dem Recht auf ein faires Verfahren (881 Urteile); Art. 3 EMRK, Verbot der Folter (875 Urteile). 179 Mit 321 Fällen; für die Türkei sei zudem bemerkt, dass diese die EMRK bereits 1954 ratifizierte, vgl. EGMR Press Country Profile, abrufbar unter: . 180 Arbitragegericht der Murmansker Oblast, Beschluss vom 22.07.2013, Sachnr. A422512/201; Arbitragegericht der Stadt Moskau, Beschluss vom 01.10.2014, Sachnr. А40102076/14; Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 12.03.2009, Nr. KGA40/1300–09, Sachnr. А40-19457/08–5-206; Arbitragegericht der Stadt Sankt-Petersburg und der Leningrader Oblast, Beschluss vom 11.11.2015, Sachnr. А56-58502/2015; Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 24.07.2017, Nr. F07-6274/2017, Sachnr. A56-31083/2016; Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 13.07.2016, F07-5393/2016, Sachnr. A56-77509/2015; Föderales Arbitragegericht des VolgoVjatskyj Okrug, Urteil vom 20.12.2012, F01-6303/2012, Sachnr. A17-550/2012. 181 Grin’, Arbitražnye spory 3 (2016), 1 (1 f.), aus: Konsul’tant Pljus; Gavrilov, Prava čeloveka 4 (2009), 34; Rožkova, in: Jarošenko, Kommentarij sudebnoj praktiki, S. 1 (1 f.), aus: Konsul’tant Pljus. 182 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2; Arbitragegericht des Murmansker Okrug, Beschluss vom 16.02.2012, Sachnr. A42-4904/2011; siehe etwa bei Grin’, Arbitražnye spory 3 (2016), 1 (2 f.), aus: Konsul’tant Pljus.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
I. Das Völkerrecht in der russischen Verfassung Die russische Verfassung ist völkerrechtsfreundlich183 ausgestaltet. Dies wird Art. 15 P. 4, Art. 17 P. 1 und Art. 46 P. 3 Verf. RF entnommen.184 Nach Art. 15 P. 4 S. 1 Verf. RF sind die „allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die völkerrechtlichen Verträge der Rußländischen Föderation […] Bestandteil ihres Rechtssystems“.185 Nach S. 2 der Vorschrift haben im Falle eines Widerspruchs allein die völkerrechtlichen Verträge186 Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht, wozu sowohl die föderalen Gesetze als auch die Gesetze der einzelnen Subjekte zu zählen sind.187 Damit bleibt die Verfassung weiterhin an der Spitze der Normhierarchie stehen.188 Die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts sind von dieser Vorrangstellung ausgenommen. Die völkerrechtlichen Verträge werden in Art. 2 lit. a) des Völkerrechtsgesetzes189 definiert als
183 Inwiefern diese Aussage und die (uneingeschränkte) Geltung der folgenden Normen weiterhin Bestand haben werden, darf zum derzeitigen Zeitpunkt (Dezember 2021) bezweifelt werden: Die Verfassungsänderung, die im Jahre 2020 beschlossen und über eine Volksabstimmung „abgesichert“ wurde (die Verfassungsänderung ist am 04.07.2020 in Kraft getreten, vgl. P. 1 des Beschlusses des Präsidenten der Russischen Föderation vom 03.07.2020, Nr. 445 „Über die offizielle Veröffentlichung der Verfassung der Russischen Föderation“ mit den in sie eingebrachten Änderungen [„Ob oficial’nom opublikovanii Konstitucii Rossijskoj Federacii s vnesennymi v nee popravkami“]), legt eine diesbezügliche Änderung nahe. Über Art. 79 S. 2 Verf. RF n. F. müssen Entscheidungen internationaler Institutionen wie dem EGMR, die auf der Grundlage völkerrechtlicher Verträge wie der EMRK ergehen, dann nicht mehr ausgeführt werden, wenn sie in ihrer Auslegung der russischen Verfassung widersprechen. Mit Art. 125 P. 5.1 lit. b) Verf. RF n. F. erhält die Überprüfungsmöglichkeit des Verfassungsgerichts (Art. 85 des Gesetzes über das Verfassungsgericht der Russischen Föderation [„O Konstitucionnom Sude Rossijskoj Federacii“] vom 21.07.1994, Nr. 1-FKZ) Verfassungsrang. Diese Entwicklung wird auch in den russischen Medien besprochen, vgl. etwa die Artikelsammlungen der Zeitung Vedomosti, abrufbar unter: . 184 Vgl. nur VfG, Urteil vom 25.01.2001, Nr. 1-P (zuletzt allerdings in Frage gestellt durch VfG, Urteil vom 14.06.2015, Nr. 21-P, siehe dazu insbesondere unter P. 2.2); Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 46 Rn. 32; zudem wird nach Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 17 Rn. 6, aus Art. 17 P. 1 Verf. RF gefolgert, dass die Regeln der internationalen Gemeinschaft eine Art Maßstab bilden; was aber nach Ėbzeev, in: Zor’kin, S. 166, nicht zu einem monistischen, sondern entsprechend der expliziten Trennung in Art. 15 P. 4 Verf. RF zu einem klar dualistischen System vom Zusammenspiel von nationalem Recht und Völkerrecht führt; Karasev, Gosudarstvo i pravo 4 (2016), 122 (122). 185 Übersetzung nach Fincke, siehe supra Fn. 14. 186 Welche Verträge im Einzelnen (alle, oder nur ratifizierte und in Kraft getretene Verträge) darunter zu verstehen sind, ist strittig, vgl. Nußberger, in: Einführung in das russische Recht, S. 62; für die EMRK hat diese Frage allerdings, da die EMRK ratifiziert wurde und in der Russischen Föderation als Vertrag in Kraft getreten ist, keine Bedeutung. 187 Ėbzeev, in: Zor’kin, S. 171. 188 Ėbzeev, in: Zor’kin, S. 167, 168, 171. 189 Föderalgesetz „Über die völkerrechtlichen Verträge der Russischen Föderation“ („O meždunarodnych dogovorach Rossijskoj Federacii“), vom 15.07.1995, Nr. 101-FZ.
B. Völkerrecht – die Europäische Menschenrechtskonvention
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„völkerrechtliche Vereinbarung in Schriftform, die Völkerrecht reguliert, ungeachtet dessen, ob eine solche Vereinbarung Inhalt eines Dokuments oder mehrerer zusammengehöriger Dokumente ist, und ungeachtet der konkreten Benennung, abgeschlossen durch die Russische Föderation mit einem anderen Staat (oder Staaten), mit einer völkerrechtlichen Institution oder einer anderen Einrichtung, die das Recht besitzt völkerrechtliche Verträge abzuschließen“.190
Art. 46 P. 3 Verf. RF sichert hierfür die Anrufung völkerrechtlicher Institutionen verfassungsrechtlich ab. Danach kann jeder die in von Russland unterzeichneten völkerrechtlichen Verträgen vereinbarten Institutionen zum Schutz der Rechte und Freiheiten des Menschen anrufen, sofern innerstaatliche Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Daneben ist auf den bereits oben genannten Art. 17 Verf. RF zu verweisen, der die Rechte und Freiheiten des Menschen und des Bürgers in Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts sichert.191
II. Einbezug der EMRK in das russische Recht Durch die Ratifikation192 der EMRK wurde diese Teil der russischen Rechtsordnung.193 Die EMRK steht als völkerrechtlicher Vertrag194 über den Föderalgesetzen, aber unter der Verfassung.195 Völkerrechtlich ergibt sich aus Art. 46 I 190 OG, Plenarbeschluss „Über die Anwendung der allgemeinen Prinzipien und Normen des Völkerrechts der Russischen Föderation durch die ordentlichen Gerichte“ („O primenenii sudami obščej jurisdikcii obščepriznannych principov i norm meždunarodnogo prava i meždunarodnych dogovorov Rossijskoj Federacii“), vom 10.10.2003, Nr. 5 (im Folgenden: Plenarbeschluss vom 10.10.2003, Nr. 5), P. 2; völkerrechtliche Verträge, die in der Russischen Föderation als solche offiziell veröffentlicht wurden und „self-executing“ sind, sind unmittelbar anwendbar. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bedarf es eines separaten Rechtsaktes; siehe dazu OG, Plenarbeschluss „Über einige Fragen der Anwendung der Verfassung der Russischen Föderation durch die Gerichte bei der Ausübung der Rechtsprechung“ („O nekotorych voprosach primenenija sudami Konstitucii Rossijskoj Federacii pri osuščestvlenii pravosudija“), vom 31.10.1995, Nr. 8, P. 5; OG, Plenarbeschluss vom 10.10.2003, Nr. 5, P. 3; Ėbzeev, in: Zor’kin, S. 171. 191 Nußberger, in: Einführung in das russische Recht, S. 62 f. 192 Siehe supra Kap. 2 Fn. 134. 193 OG, Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, P. 2; VerfG, Urteil vom 14.07.2015, Nr. 21-P, abrufbar unter: . 194 Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Einleitung, Rn. 15. 195 Zur Feststellung des Vorrangs der Verfassung und der ausschließlichen Kompetenz des Vfg. bzgl. der Überprüfung von EGMR-Entscheidungen hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der russischen Verfassung, VfG, Urteil vom 14.06.2015, Nr. 21-P, P. 2.2. Diese Kompetenz ist mittlerweile für alle völkerrechtlichen Verträge in Art. 106 des föderalen Verfassungsgesetzes „Über das Verfassungsgericht der Russischen Föderation“ („O Konstitucionnom Sude Rossijskoj Federacii“), vom 21.07.1994, Nr. 1-FKZ mit dem föderalen Verfassungsgesetz „Über die Einführung von Änderungen in das Föderalgesetz ‚Über das Verfassungsgericht der Russischen Föderation‘“ („O vnesenii izmenenij v Federal’nyj konstitucionnyj zakon ‚O Konsti-
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
EMRK der verpflichtende Charakter der Konvention. Danach ist die Staatsgewalt an die Normen der EMRK gebunden.196 Dies schließt die Rechtsprechung des EGMR197 und damit auch die Auslegung und die Anwendung durch den EGMR ein.198 Inwiefern gegen andere Staaten ergangene Urteile199 Rechtswirkung entfalten, ist zumindest strittig.200 Sowohl das Verfassungsgericht201 als auch der OG202 orientieren sich aber an entsprechender Rechtsprechung des EGMR.203 Dies gilt insbesondere im Bereich der Meinungsfreiheit,204 ist aber auch für das Persönlichkeitsrecht205 vorgekommen. Ist ein Urteil206 konventionswidrig, besteht eine Pflicht zur Wiederaufnahme nationaler Gerichtsverfahren. Eine solche Pflicht ergibt sich gerade nicht aus der EMRK selbst, sondern besteht nach dem Verfassungsgericht für Russland in Anlehnung an Art. 15 P. 4 und Art. 46 P. 3 Verf. RF.207 tucionnom Sude Rossijskoj Federacii‘“), vom 14.12.2015, Nr. 7-FKZ gesetzlich abgesichert; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, Teil 1, § 3, I. 2. Rn. 3. Die Neufassung der Verfassung RF sieht dies entsprechend auch im Verfassungstext vor, Art. 125 P. 5.1 lit. b) Verf. RF. 196 VerfG, Urteil vom 26.02.2010, Nr. 4-P, P. 2. 197 Dazu gehört nach Art. 1 Ratifizierungsgesetz die „Auslegung und Anwendung der Konvention und die dazugehörigen Protokolle“. 198 Vgl. Art. 1 Ratifizierungsgesetz. 199 Diese sind im Umkehrschluss aus Art. 46 I EMRK nicht bindend. 200 Haak, Die Wirkung und Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, S. 174. Der OG, Plenarbeschluss vom 27.06.2013, Nr. 21, P. 2, formuliert dagegen deutlich, dass allein gegen die RF ergangene Entscheidungen verbindlich seien, aus Gründen des effektiven Schutzes sollen aber Urteile, die gegen andere Staaten ergehen, berücksichtigt werden, „S cel’ju éffektivnoj zaščity prav i svobod cheloveka sudami učityvajutsja […]“. 201 Vfg., Urteil vom 05.02.2007, Nr. 2-P, P. 2.1; Entscheidung vom 12.02.2019, Nr. 274-O, P. 1.1; Urteil vom 09.07.2013, Nr. 18-P, P. 4.1. 202 OG, Entscheidung vom 07.12.2016, Nr. 310-ĖS16-10931. 203 Haak, Die Wirkung und Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, S. 175, spricht daher etwa von einer „Präzedenz- oder Orientierungswirkung“. 204 OG, Entscheidung vom 16.12.2016, Nr. 309-ĖS16-10730, Sachnr. А07-12906/2015; OG, Entscheidung vom 18.12.2018, Nr. 305-ĖS18-11112; OG, Entscheidung vom 28.03.2018, Nr. 305-ĖS17-19225. 205 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, mit Verweis auf EGMR (Große Kammer), Urteil vom 06.04.2000 – 35382/97 (Comingersoll/Portugal). 206 Der EGMR stellt für Individualbeschwerden die Verletzung der Rechte durch die innerstaatliche Entscheidung fest, vgl. Art. 34, 35 EMRK. Abgesehen von der Festsetzung von Entschädigungszahlungen ordnet der EGMR demnach grundsätzlich keine weiteren Maßnahmen an, wenngleich der EGMR von dieser Praxis in jüngerer Zeit häufig abweicht, siehe Meyer-Ladewig/Brunozzi, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 46 Rn. 4. In Bezug auf das russische Persönlichkeitsrecht machte der EGMR wiederholt deutlich, dass Art. 152 ZGB als Verstoß gegen Art. 8 EMRK zu sehen ist, vgl. etwa EGMR, Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), Rn. 46, ebenso etwa Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 29. 207 So etwa Vfg., Urteil vom 05.02.2007, Nr. 2-P, P. 2 f.
B. Völkerrecht – die Europäische Menschenrechtskonvention
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Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und des OG stellt sich grundsätzlich als der EMRK und dem EGMR zugewandt dar. Dabei übernimmt insbesondere der OG eine bestimmende Rolle für die einfache Gerichtsbarkeit, indem er konkrete Angaben macht, welche die ordentlichen Gerichte bei der Auslegung und Anwendung von Föderalnormen zu beachten haben.208 In jüngerer Zeit verzeichnet die Rechtsprechung einen Bruch mit der bisherigen Linie. Mit Urteil vom 14.07.2015209 stellte das Verfassungsgericht klar, dass Urteile des EGMR dann nicht zu beachten sind, wenn bei einer Umsetzung eine Verletzung der grundlegenden Prinzipien und Normen der Verfassung der Russischen Föderation drohen würde.210 Begründet wird dies mit der Souveränität, der höchsten juristischen Kraft der Verfassung und ihrer damit einhergehenden Priorität.211 Inwiefern sich die Tendenz212 der Umsetzungsverweigerung für den Bereich des Persönlichkeits- und Meinungsfreiheitsschutzes bewahrheitet, bleibt abzuwarten.213
III. Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz in der Europäischen Konvention für Menschenrechte In den Artt. 1–18 EMRK sind die „Rechte und Freiheiten“ geregelt. Zu diesen Rechten und Freiheiten gehört die Freiheit der Meinungsäußerung, Art. 10 EMRK.214 Daneben beinhaltet das in Art. 8 EMRK geregelte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens die Ausprägung des Schutzes des guten 208 OG, Plenarbeschluss vom 27.06.2013, Nr. 21; OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3; OG, Plenarbeschluss vom 10.10.2003, Nr. 5, P. 13. 209 Vfg., Urteil vom 14.07.2015, Nr. 21-P, siehe supra Fn. 193, dem Urteil lag ein Normkontrollantrag u. a. bzgl. des Art. 1 Ratifizierungsgesetz zugrunde. 210 Siehe supra Fn. 195; diese Änderung hat mittlerweile nicht nur den Rang eines föderalen Verfassungsgesetzes, sondern gar Verfassungsrang; die praktischen Folgen für den Bereich der Meinungsfreiheit wie auch für das Verhältnis zum Völkerrecht und insbesondere zum Europarat und dem EGMR bleiben abzuwarten. 211 P. 2 des Urteils; kritisch hinsichtlich der eigenen Verbindlichkeitsverpflichtung Russlands gegenüber den Entscheidungen des EGMR äußert sich Nußberger, Interview vom 10.03.2016 im Rahmen der Assistententagung in Mainz 2016, abrufbar unter: . 212 In Anlehnung an das Urteil vom 14.07.2015 (siehe Fn. 193) und das entsprechende föderale Verfassungsgesetz (siehe Fn. 183, 195), weigert sich die Russische Föderation zur Zahlung der Summe i. H. v. knapp 1,9 Milliarden Euro Schadensersatz und entsprechend zur Umsetzung des einen Rechtsverstoß durch die Russische Föderation feststellenden Urteils des EGMR vom 20.11.2011 – 14902/04 (OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos/Russia) und der konkreten Festsetzung der Summe in der Entscheidung des EGMR, Urteil vom 31.07.2014 – 14902/04 (OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos/Russia). 213 Bisher ist eher ein als positiv zu bewertender Trend festzustellen, vgl. dazu Kap. 6 A. I. 1. a) aa). 214 Übersetzung der verbindlichen Fassungen des französischen und englischen Originals entsprechend der Übersetzung durch den EGMR, abrufbar unter: .
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
Rufs und der Ehre.215 Für die Rechtsprechungspraxis der russischen Gerichte zu den Regelungen des inländischen Persönlichkeitsrechts hat die Rechtsprechung des EGMR zur Freiheit der Meinungsäußerung besondere Bedeutung erlangt.
1. Meinungs- und Pressefreiheit Art. 10 EMRK schützt alle Arten von Werturteilen,216 deren Inhalt, aber auch den Mittel und Zweck, diese zu äußern.217 Der Schutzbereich des Art. 10 I EMRK ist weit zu verstehen. So gehören dazu neben Werturteilen und Meinungen auch Tatsachen.218 Art. 10 EMRK umfasst zudem neben der Meinungsfreiheit auch die Pressefreiheit.219 Bedeutendes Gewicht nimmt Art. 10 EMRK als politisches Grundrecht ein.220 Stets wiederholt der EGMR die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit für eine lebendige Demokratie, Meinungspluralismus und eine freie Presse.221 Dabei hat die Presse die Aufgabe eines „öffentlichen Wachhundes“.222 Sie darf gerade nicht nur als Vermittlerin von Information, sondern insbesondere als aktive Beitragende zur öffentlichen Meinungsbildung wahrgenommen werden.223 Auch gegenüber Russland betont der EGMR die erschwerte Beschränkbarkeit politischen Inhalts und solcher Inhalte, die von öffentlichem Interesse sind.224 Von großer Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinung.225 Zunächst ist dabei die Tendenz einer sehr liberalen Rechtsprechung zugunsten der Annahme einer Meinung des EGMR zu konstatie215 Das Recht auf Schutz der Ehre und des guten Rufs ist Teil des sachlichen Schutzbereichs von Art. 8, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 8 Rn. 42–45; EGMR (Große Kammer), Urteil vom 07.02.2012 – 39954/08 (Axel Springer AG/ Germany), Rn. 83. 216 Siehe nur EGMR, Urteil vom 18.10.2011 – 10247/09 (Sosinoswka/Poland), Rn. 68. 217 Siehe nur EGMR, Urteil vom 19.02.2013 – 40397/12 (Neij and Sunde Kolmisoppi/ Sweden). 218 Inwiefern dazu auch unwahre Tatsachen zählen, ist unklar, bejahend Daiber, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 10 Rn. 14. 219 EGMR, Beschluss vom 18.07.2011 – 2777/10 (Ehrmann and SCI VHI/France); EGMR, Urteil vom 08.06.2010 – 44102/04 (Sapan/Turkey), Rn. 34. 220 EGMR (Große Kammer), Urteil vom 08.07.1986 – 9815/82 (Lingens/Austria). 221 Zum Ganzen siehe nur EGMR, Urteil vom 14.02.2006 – 28793/02 (Parti Populaire Démocrate-Chrétien/Moldova), Rn. 62–70; EGMR, Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), Rn. 39; zur Presse daneben siehe nur EGMR, 10.07.2014 – 48311/10, (Axel Springer AG/Germany), Rn. 55 ff. 222 „Public watchdog“, EGMR, Urteil vom 25.06.1992 – 13778/88 (Thorgeir Thorgeirson/ Island), Rn. 63. 223 EGMR (Große Kammer), Urteil vom 26.04.1979 – 6538/74 (The Sunday Times/The United Kingdom), Rn. 65, 66. 224 EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 25. 225 Statt vieler nur EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 28; Urteil vom 30.03.2010 – 20928/05 (Petrenco/Moldova), Rn. 66; Urteil vom 22.04.2013 – 33501/04, 38608/04, 35258/05 und 35618/05 (OOO Ivpress and Others/Russia), Rn. 72 ff.
B. Völkerrecht – die Europäische Menschenrechtskonvention
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ren.226 So können insbesondere auch offensive und schockierende Äußerungen erlaubt sein. Der Schutzbereich ist auch für Übertreibungen, Provokationen und die freie Wahl der Form der Kritik offen.227 Als unzulässig erachtet der EGMR Gesetzeslagen, die vom Äußernden den Wahrheitsbeweis einer Meinung verlangen. Der Wahrheitsbeweis einer Meinung kann gerade wegen ihres wertenden Charakters nicht erbracht werden.228 Gleichzeitig muss die Meinung auf einer validen faktischen Grundlage basieren. Inwiefern dies der Fall ist, unterliegt einer Einzelfallbetrachtung in Abhängigkeit der konkreten Umstände.229 Dem Eingriffsbegriff in Art. 10 II EMRK liegt ein weites Verständnis zugrunde.230 Explizit verbindet die EMRK in Art. 10 II die Ausübung der in Absatz I genannten Freiheiten mit „Pflichten und Verantwortung“. Eingriffe in „Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen“ sind zulässig, sofern diese „gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung“.
Hieraus ergibt sich eine dreistufige231 Prüfung zur Frage der Rechtmäßigkeit einer Einschränkung: das Vorliegen eines klar formulierten Gesetzesvorbehaltes, ein legitimes Ziel und Notwendigkeit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs angesichts des Ziels.232 Dem von Art. 10 II EMRK geforderten Gesetzesvorbehalt wird im russischen zivilrechtlichen Persönlichkeitsrecht über Art. 152 ZGB entsprochen. Damit genügt Art. 152 ZGB dem in Art. 10 II EMRK geforderten legitimen Zweck des Schutzes der Reputation und des Rufes anderer.233 Gegenstand einer ausführlicheren Prüfung durch den EGMR ist zumeist die Frage der „Notwendigkeit“ des konkreten Eingriffs „in einer demokratischen Gemeinschaft“.234 226 EGMR, Urteil vom 12.07.2001 – 29032/95 (Feldek/Slovakia), Rn. 86; Article 19, The Cost of Reputation. Defamation Law and Practice in Russia, S. 14. 227 Dies gilt insbesondere für den journalistischen Bereich, EGMR (Große Kammer), Urteil vom 08.07.1999 – 23168/94 (Karatas/Turkey), Rn. 50–54. 228 Insbesondere in seiner Rspr. gegenüber Russland, siehe dazu EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 31. 229 EGMR, Urteil vom 12.07.2001 – 29032/95 (Feldek/Slovakia), Rn. 86. 230 Daiber, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 10 Rn. 23. 231 Daiber, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 10 Rn. 27. 232 Daiber, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 10 Rn. 27. 233 Vgl. dafür EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 26. 234 EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia); EGMR, Urteil vom 14.12.2006 – 29372/02 (Karman/Russia); anders dagegen in EGMR, Urteil vom 05.10.2006 – 14881/03 (Zakharov/Russia), Rn. 25 ff.; hier missachteten die Gerichte, dass die Äußerung in einer privaten Beschwerde in einem Brief an einen Dienstherrn geäußert wurde und der
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Für diese Notwendigkeitsprüfung kommt es nach dem EGMR darauf an, ob der Eingriff auf ein dringliches soziales Bedürfnis235 antwortet. Daneben muss er verhältnismäßig sein. In Hinblick auf die Bestimmung, inwiefern ein soziales Bedürfnis „dringlich“ genug ist, um die Meinungsfreiheit einzuschränken, ist den Vertragsstaaten eine gewisse Einschätzungsprärogative gewährt, die wiederum durch den EGMR überwacht wird.236 Bei der Betrachtung der Rolle des EGMR ist bedeutend, welche Aufgabe ihm im Rahmen seiner Kontrollfunktion zukommt. So ist das Gericht weder Superrevisionsinstanz, noch gibt es einen klar festgelegten Rahmen für das Rechtsverständnis oder dessen Verletzung vor.237 Vielmehr überprüft das Gericht, ob sich die Mitgliedsstaaten bei der Rechtssetzung und -anwendung in den Grenzen ihres Handlungsspielraumes befinden. Diese Prärogative hat sich ihrerseits an Art. 10 EMRK zu orientieren.238
2. Persönlichkeitsrecht juristischer Personen und Beziehung zur Meinungsfreiheit Gem. Art. 34 EMRK sind auch juristische Personen im Falle einer Verletzung ihrer durch die Konvention oder deren Protokolle zugesicherten Rechte antragsberechtigt239 und können daher die Verletzung eigener Rechte der EMRK geltend machen.240 Das Recht auf Schutz der Ehre und des guten Rufs ist von Art. 8 EMRK erfasst.241 Es umfasst auch die Reputation.242 Der persönliche Schutzbereich ist auch für juristische Personen eröffnet.243 Die konkrete Geltungsweite des Artikels bestimmt das Gericht in seinen Entscheidungen im Einzelfall.244 GrundRuf oder die Ehre durch die Wahl des Äußerungsmittels des späteren Klägers nicht gefährdet war; zum Einzelnen siehe infra Kap. 6 A. I. b) aa); EGMR, Urteil vom 08.10.2019 – 15449/09 (Margulev/Russia), Rn. 42 ff.; EGMR, Urteil vom 31.05.2016 – 38010/05 (Nadtoka/Russia), Rn. 41 ff.; dies spielt nicht nur in Russland eine Rolle, vgl. etwa EGMR, Urteil vom 10.07.2014 – 48311/10 (Axel Springer AG/Germany), Rn. 55 ff. 235 „Pressing social need“. 236 EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 27. 237 EGMR, Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), Rn. 39; EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 27. 238 Ibid. 239 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, Teil 2, 2. Kapitel, § 13, II. 1b), Rn. 11. 240 Statt vieler nur EGMR, Beschluss vom 21.10.1998 – 33298/96 (Pinnacle Meat Processors Company and others/The United Kingdom). 241 Siehe supra Fn. 215. 242 EGMR, Urteil vom 02.02.2016 – 22947/13 (Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete and Index.hu Zrt/Hungary), Rn. 57. 243 Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 8 Rn. 9; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, Teil 3, 2. Kapitel, § 22, I. 2, Rn. 4. 244 EGMR, Urteil vom 02.02.2016 – 22947/13 (Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesüle-
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sätzlich gilt, dass die Verletzung der Persönlichkeitsrechte vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung der Meinungsfreiheit ein bestimmtes Niveau erreicht haben muss.245 Der EGMR prüft dann, ob der Vertragsstaat bzw. seine Behörden eine „faire Balance“ zwischen den verschiedenen Rechten geschaffen hat.246 Dabei gebührt weder dem Persönlichkeitsrecht noch der Meinungsfreiheit grundsätzlich Vorrang.247 Sofern der Staat einen Ausgleich zwischen den Rechten entsprechend der Leitlinien des EGMR gefunden hat, sieht der Gerichtshof nur wenig Raum für Widerspruch gegenüber der staatlichen Entscheidung.248 Eine eindeutige Stellungnahme des EGMR zur Ausgestaltung der „Persönlichkeitsrechte“ juristischer Personen besteht nicht. Ausdrücklich betont der Gerichtshof, dass sich eine juristische Person nicht wie eine natürliche auf „persönliche Rechte“ berufen könne.249 Dennoch ist es nach dem Gerichtshof interessengerecht, auch juristischen Personen für deren wirtschaftlichen Erfolg und im Sinne eines „größeren ökonomischen Wohls“250 einen Schutz ihrer Reputation zuzugestehen. Diese hat keine aus der Würde abgeleitete Komponente, sondern ist nur Teil ihrer wirtschaftlichen Interessen.251 Die Mitgliedstaaten haben zum Schutz der Reputation von Unternehmen einen Spielraum hinsichtlich der Ausgestaltung des Schutzes vor rufschädigenden Äußerungen und dem dabei entstehenden Schaden.252 Der EGMR spricht explizit nicht von einer „moralischen“ Komponente der Reputation und preist allein das kommerzielle Interesse in die Abwägung zwischen den Rechten ein.253 te and Index.hu Zrt/Hungary), Rn. 67, lässt das hinter der juristischen Person stehende Substrat ausreichen und damit die Frage nach dem Schutz der Reputation einer juristischen Person über Art. 8 EMRK offen; EGMR, Urteil vom 16.04.2002 – 37971/97 (Société Colas Est and Others/France), Rn. 41, zur Frage, inwiefern das „Zuhause“/„home“ einer juristischen Person betroffen sein kann. 245 EGMR, Urteil vom 02.02.2016 – 22947/13 (Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete and Index.hu Zrt/Hungary), Rn. 57; Urteil vom 09.04.2009 – 28070/06 (A./Norway). 246 EGMR (Große Kammer), Urteil vom 07.02.2012 – 39954/08 (Axel Springer AG/Germany), Rn. 74, 83. 247 EGMR, Urteil vom 02.02.2016 – 22947/13 (Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete and Index.hu Zrt/Hungary), Rn. 59. 248 Ibid. 249 „Personality rights“, siehe EGMR, Urteil vom 02.02.2016 – 22947/13 (Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete and Index.hu Zrt/Hungary), Rn. 66. 250 „Wider economic good“, ibid. 251 EGMR, Urteil vom 02.02.2016 – 22947/13 (Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete and Index.hu Zrt/Hungary), Rn. 66, 84; Urteil vom 06.10.2009 – 27209/03 (Kuliś and Różycki/Poland), Rn. 35. 252 Ibid.; EGMR, Urteil vom 15.02.2005 – 68416/01 (Steel and Morris/The United Kingdom), Rn. 94. 253 EGMR, Urteil vom 06.10.2009 – 27209/03 (Kuliś and Różycki/Poland), Rn. 35; EGMR, Urteil vom 02.02.2016 – 22947/13 (Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete and Index.hu Zrt/Hungary), Rn. 84.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
IV. Zwischenergebnis Die EMRK genießt als völkerrechtlicher Vertrag Vorrang vor dem einfachen Gesetzesrecht der Russischen Föderation, Art. 15 P. 4 S. 2 Verf. RF. Für den Einfluss auf den russischen Persönlichkeitsrechtsschutz juristischer Personen hat die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK entsprechend große Bedeutung. Durch sie erhielten die Meinungs- und Pressefreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrechtsschutz besonderes Gewicht.
C. Zivilrecht Der Begriff „Persönlichkeitsrecht“ taucht im russischen ZGB und auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht auf. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass Persönlichkeitsrechte dem russischen Zivilrecht fremd wären. Vielmehr sind sie durch verschiedene Normen und Einzelansprüche abgebildet.254 In der Wissenschaft werden sie der Kategorie der persönlichen Nichtvermögensrechte255 zugeordnet, die als Grundlage der Persönlichkeitsrechte dienen. Hierauf wird im Folgende näher eingegangen. Dabei werden die persönlichen Nichtvermögensrechte, die in Art. 150 ZGB geregelten immateriellen Güter und die sog. persönlichen Nichtvermögensbeziehungen in einen Kontext gestellt (I.). Anschließend ist danach zu fragen, inwiefern diese dogmatische Verankerung von Persönlichkeitsrechten auch für juristische Personen gilt (II.).
I. Dogmatische Grundlagen für natürliche Personen Die einschlägigen256 Normen zum Persönlichkeitsschutz, namentlich Artt. 2 P. 1 S. 1, P. 2, 128 a. E., 150 und 152 ZGB sind in dem seit dem 01.01.1995 geltenden ersten Teil des ZGB geregelt. Zentral ist Art. 152 ZGB, der das Recht auf den Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation regelt.257 Bereits am Anfang des ZGB nennt Art. 2 ZGB die vom Zivilrecht geregelten Rechtsbeziehungen. Nach P. 1 S. 1 a. E. gehören dazu auch die sog. persönlichen Nichtvermögensbeziehungen258. Das ZGB kennt verschiedene Arten von Rechtsbeziehungen.259 Unter „zivilrechtliche Rechtsbeziehungen“ werden 254 Zum Versuch eines einheitlichen Verständnisses von Persönlichkeitsansprüchen mit Würdebezug siehe Maleina, Zakon 12 (2009), 100 (100 ff.). 255 „Ličnye neimuščestvennye prava“. 256 Das anwendbare Schadensrecht wird an dieser Stelle ausgeklammert, siehe dazu Kap. 6 A. I. 2. c). 257 Siehe dazu bereits supra Kap. 2 E. und F. 258 „Ličnye neimuščestvennye otnošenija“. 259 Der hier im ZGB verwendete Terminus „otnošenie“ könnte zu deutsch mit „(Rechts-) Verhältnis“ übersetzt werden. An anderer Stelle wird allerdings oftmals von „pravootnošenie“
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Rechtsbeziehungen verstanden, die auf den Normen des Zivilrechts fußen, sich aus den materiellen und immateriellen Gütern ergeben und deren Teilnehmer rechtlich autonom und gleichgestellte Träger von Rechte und Pflichten sind.260 Art. 2 P. 1 ZGB stellt klar, dass die zivilrechtliche Gesetzgebung diese Rechtsbeziehungen „reguliert“. Zu diesen vom Zivilrecht regulierten Rechtsbeziehungen gehören „vermögensbezogene und persönliche nichtvermögensbezogene Rechtsbeziehungen […]“. Die dort genannten Beziehungen basieren auf der Gleichberechtigung der einzelnen Rechtssubjekte, ihrem freien Willen und ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit, vgl. Art. 2 P. 1 a. E. ZGB. Inhalt dieser Rechtsbeziehungen sind subjektive Rechte und Pflichten der Rechtssubjekte in Bezug auf die Objekte.261 Art. 2 P. 2 ZGB statuiert daneben, dass nichtveräußerliche Rechte und Freiheiten des Menschen und andere immaterielle Güter durch die Zivilgesetzgebung geschützt werden, wenn sich nichts anderes aus dem Wesen dieser immateriellen Güter262 ergibt.263 Die immateriellen Güter finden sich in Art. 128 a. E. ZGB unter den „Objekten der Zivilrechte“. Art. 150 ZGB regelt die immateriellen Güter. Darauf aufbauend regelt Art. 152 ZGB eine Vielzahl konkreter Ansprüche zum Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation.264 Die im Gesetz verwendeten Begrifflichkeiten „(persönliche) Nichtvermögensbeziehungen“, „persönliches Nichtvermögensrecht“ und „immaterielles Gut“ werden vom Gesetzgeber sehr uneinheitlich benutzt.265 Oftmals ist ihre Abgrenzung nicht klar.266 Obwohl teilweise vertreten wird, dass sich die Begriffe des (persönlichen) Nichtvermögensrechts und des immateriellen Guts decken,267 ist die überwiegende Literatur der Ansicht, dass es sich um gesprochen, was in der vorliegenden Arbeit mit „Rechtsverhältnis“ übersetzt wird. Diese Unterscheidung wird durch die Verwendung des Wortes „Rechtsbeziehung“ verdeutlicht. 260 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 76. 261 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 110; insbesondere Boryčeva, Graždanskopravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 19, betont, dass Inhalt der Rechtsverhältnisse gerade nicht die Güter selbst, sondern die Erlangung, Veräußerung und Nutzung der Güter und das hierauf bezogene, geregelte menschliche Verhalten seien. 262 „Nematerial’nye blaga“. 263 Lange Zeit umstritten war die Frage, inwiefern das Zivilrecht überhaupt für den Schutz immaterieller Güter zuständig ist. Siehe dazu bereits supra ab Kap. 2 C. 264 Daneben regeln Art. 152.1 ZGB den Bildnisschutz und Art. 152.2 ZGB den Schutz des privaten Lebens des Bürgers. Mangels Relevanz für juristische Personen wird hierauf nicht weiter eingegangen. 265 Vgl. Art. 128 ZGB, der von „Gütern“, Art. 151 ZGB dagegen von „Rechten“ spricht. Auch in der Literatur findet sich keine einheitliche Begriffsanwendung. Während etwa Andreev, Žurnal rossijskogo prava 3 (2014), 27 (27 ff.) die uneinheitliche Bezeichnung kritisiert, verwendet er die Begriffe „Gut“ und „Recht“ ebenfalls synonym; ebenso Lesnych/Fedorova, Vektor nauki TGU. Serija: Juridičeskie nauki. 1 (2015), 29 (30). 266 So auch die russische Literatur Michajlova/Pčelinceva, Graždanskoe pravo 2012, 19 (19–24). 267 Etwa bei Andreev, Žurnal rossijskogo prava 3 (2014), 27 (27), der davon spricht, dass die Güter sich als die Rechte darstellen und zusätzlich deren Objekte sind: „Nematerial’nye
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jeweils eigenständige Begriffe handelt.268 Auch die im Jahre 2013 ergangene Änderung269 durch den Gesetzgeber hat keine abschließende Klarheit verschafft.270 Das Gesetz kennt alle drei Begriffe: Die Nichtvermögensrechtsbeziehungen (Art. 2 P. I a. E. ZGB), die immateriellen Güter (Art. 2 P. 2, Art. 128 a. E., Art. 150 ZGB) und die Nichtvermögensrechte271 (Artt. 150 P. 2, 151 ZGB). Im Folgenden werden die persönlichen Nichtvermögensbeziehungen (1.), die immateriellen Güter (2.) und die Nichtvermögensrechte (3.) genauer betrachtet.
1. Persönliche Nichtvermögensbeziehungen Allgemeinhin wird zwischen Vermögens- und Nichtvermögensbeziehungen unterschieden (a)), wobei letztere in solche mit und solche ohne Vermögensbezug aufgeteilt werden (b)). Daneben tritt die Frage nach der Bedeutung des „Vermögensbezugs“ (c)).
a) Vermögens- und Nichtvermögensbeziehungen Die Einteilung in vermögens- und nichtvermögensbezogene Rechtsbeziehungen272 erfolgt durch die jeweiligen (Bezugs-)Objekte.273
blaga ne tol’ko javljajutsja ličnymi neimuščestvennymi pravami, no i vystupajut v kačestve ob”ektov graždanskich prav“; kritisch angesichts der fehlenden Differenzierung Maleina, Zakon 10 (1995), 102 (102). 268 So ausdrücklich bei Michajlova/Pčelinceva, Graždanskoe pravo 1 (2012), 19 (19–24); Maleina, Gosudarstvo i pravo 7 (2014), 1 (1 f.) aus: Konsul’tant Pljus; Andreev, Žurnal rossijskogo prava 3 (2014), 27 (27). Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887, verweist darauf, dass die immateriellen Güter die Objekte der Nichtvermögensrechte darstellen. 269 Änderungsgesetz vom 02.07.2013, Nr. 142-FZ, siehe Kap. 1 Fn. 8. 270 Die Gesetzesnovelle 2013 betraf mitunter Art. 150 ZGB. Aus einer Aufzählung der immateriellen Güter „Leben und Gesundheit, persönliche Würde, persönliche Unantastbarkeit, Würde und guter Name, Geschäftsreputation, Unantastbarkeit des persönlichen Lebens, Unantastbarkeit des Wohnraums und persönliches und familiäres Geheimnis“ mit der darauffolgenden Aufzählung von Nichtvermögensrechten „Recht auf Freizügigkeit, Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes und des Wohnsitzes, Recht auf einen bürgerlichen Namen und Recht auf Autorenschaft“ (Hervorh. durch Verf.), wurde eine reine Aufzählung von Gütern. Der Terminus „Recht“ im zweiten Teil wurde jeweils gestrichen. Der enumerativen Aufzählung folgte vor der Änderung 2013 zudem ein Generalverweis auf „andere immaterielle Güter und (andere) Nichtvermögensrechte“. Die Änderung von 2013 strich den Passus „und (andere) Nichtvermögensrechte“. Zur Kritik nach der Gesetzesänderung siehe etwa Maleina, Gosudarstvo i pravo 7 (2014), 1 aus: Konsul’tant Pljus; Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30. 271 Wobei Andreev, Žurnal rossijskogo prava 3 (2014), 27 wiederum davon ausgeht, dass die immateriellen Güter des Art. 150 in Art. 151 ZGB schlichtweg anders – nämlich als Nichtvermögensrechte – bezeichnet werden. 272 Diese Formulierungen entstammen sowjetischer Rechtstradition Egorov, Vestnik graždanskogo prava 4 (2012), 42 (51). 273 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 82.
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Nach Gongalo befassen sich die Vermögensbeziehungen mit den materiellen Objekten.274 Suchanov fasst es genauer, indem er zu den vermögensbezogenen Rechtsbeziehungen die Zugehörigkeit von Eigentum oder dessen Übergang zählt.275 Mit „Eigentum“ kann auch das geistige Eigentum gemeint sein.276 Dem gegenüber stehen die persönlichen Nichtvermögensbeziehungen. Teilweise werden die persönlichen nichtvermögensbezogenen Rechtsbeziehungen nur als Untergruppe der nichtvermögensbezogenen Rechtsbeziehungen (im Generellen) gesehen.277 Andere278 unterscheiden von den vermögensbezogenen Rechtsbeziehungen nur die persönlichen nichtvermögensbezogenen Rechtsbeziehungen.279 Das Gesetz selbst nennt Vermögens- und persönliche Nichtvermögensbeziehungen, vgl. Art. 2 P. 1 ZGB.280 Die Unterscheidung wird im Bereich der Schutzmaßnahmen virulent: Bei Verletzung von Vermögensrechten und -pflichten kommen Schutzmaßnahmen mit Vermögenscharakter zur Anwendung; bei der Verletzung im nichtvermögensbezogenen Bereich kommen daneben spezifische Maßnahmen von rechtsschützendem Charakter zur Anwendung (wie etwa der Widerruf o. Ä.).281 Die Persönlichkeitsrechte werden den Rechtsbeziehungen zugeordnet, die keinen Bezug zum Eigentum oder dessen Übergang haben: den persönlichen Nichtvermögensbeziehungen.
b) Persönliche Nichtvermögensbeziehungen mit und ohne Vermögensbezug Noch zu sowjetischer Zeit fand ein reger Diskurs zur Bedeutung der persönlichen Nichtvermögensbeziehungen statt.282 Teilweise wurde vertreten, dass sich die Rechtsverhältnisse durch die ihnen zugrundeliegenden Rechtsgüter definieren ließen.283 Dem wird mit der Begründung widersprochen, nicht alle den per274
Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 82. Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 123, 124. 276 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 123; auch Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 82, der die den Ergebnissen geistiger Tätigkeit abgeleiteten Ausschließlichkeitsrechte ebenso zu den Vermögensbeziehungen zählt; insofern widersprüchlich, als er letztlich von seiner eigenen, engeren Definition abweicht. 277 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 124, kennt jedenfalls den alleinstehenden Terminus „Nichtvermögensbeziehung“; Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 8; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 82. 278 Wohl eine Art h. M., die Unterscheidung scheint aber letztlich ohne weitere Relevanz zu sein. 279 Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 12 ff.; Sitdikova, Juridičeskij mir 7 (2015), 27 (27 ff.). 280 Die Unterscheidung im Einzelnen erscheint als rein dogmatisches Problem. 281 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 124. 282 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (52 f.); Diskurs dargestellt bei Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 14 ff. 283 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 12. 275
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sönlichen Nichtvermögensgütern zugrundeliegenden Beziehungen seien ihrerseits persönlich und ohne Vermögensbezug.284 Die Diskussion erscheint auch aus heutiger Sicht nicht als abgeschlossen,285 entfaltet aber für die vorliegend zu betrachtenden Fragen keine unmittelbare Relevanz. Zumeist werden in Zusammenhang mit diesen Beziehungen zwei Eigenschaften hervorgehoben: dass sie im Hinblick auf nichtvermögensbezogene – geistige – Güter entstehen und dass sich durch sie die individuellen Besonderheiten der beteiligten Personen äußern.286 Unumstritten ist der dichotomische Charakter der persönlichen Nichtvermögensbeziehungen. Sie werden unterteilt in Nichtvermögensbeziehungen, die Vermögensbezug haben und jene, die diesen nicht haben.287 Den persönliche Nichtvermögensbeziehungen mit Vermögensbezug liegen geistige Tätigkeiten wie das Urheberrecht oder das Namensrecht zugrunde. Entscheidend ist, dass die hieraus entstehenden Ausschließlichkeitsrechte Geldwert haben und zum Gegenstand schuldrechtlicher Beziehungen gemacht werden können.288 So hat etwa allein der Urheber nach seinem Willen die Inhaberschaft von Ausschließlichkeitsrechten an seinem Werk in Hinblick auf dessen Nutzung(-sweise).289 Für die persönlichen Nichtvermögensbeziehungen ohne Vermögensbezug sind die immateriellen Güter wie das Leben, die Gesundheit, die Menschenwürde, die Ehre oder der gute Name gegenständlich.290 Dazu gehört auch 284 Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 15. 285 Allerdings datieren wichtige, zu diesem Thema erschienene Arbeiten auf die Anfänge des 21. Jahrhunderts, siehe dazu Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija; Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi. 286 Egorov, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 2 P. 2, S. 9. 287 Für das sowjetische Zivilrecht so schon Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (52); Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 6; kritisch Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (199); ausführlich dazu für das moderne russische Zivilrecht das Werk von Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija. 288 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 123; ebenso Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (52); die Unterteilung bestätigend, dieser aber kritisch gegenüberstehend und mit weiteren Verweisen Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (199). 289 Interessant ist, dass die Ausschließlichkeitsrechte an den Ergebnissen geistiger Tätigkeit oder an Individualisierungszeichen zu den Vermögensbeziehungen gezählt werden, während die Schaffung der Ergebnisse geistiger Tätigkeit – also das Recht der Urheberschaft, das Namensrecht – zu den Nichtvermögensbeziehungen gezählt werden, Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 82; die Unterteilung erfolgt demnach in Ergebnisse geistiger Tätigkeit und den hieran bestehenden Ausschließlichkeitsrechten auf der einen und das originäre Schaffensrecht auf der anderen Seite. 290 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (52).
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die Geschäftsreputation.291 Im Rahmen von persönlichen Nichtvermögensbeziehungen, die nicht mit Vermögensbeziehungen verbunden sind, kann kein Recht auf Vergütung entstehen. Auch kann Gegenstand des Rechtsverhältnisses nicht die Weitergabe der zugrunde liegenden Güter sein.292 Die Geschäftsreputation juristischer Person kann indes Gegenstand eines Konzessionsvertrags sein oder auch in eine Gesellschaft eingebracht werden. Dies macht sie zu einem „besonderen“ immateriellen Gut, worauf noch einzugehen sein wird.293 Die jeweiligen Ausgleichszahlungen – etwa die Zahlung für die Nutzung eines Werkes und demgegenüber die Kompensationszahlung für die Zufügung von einem sog. moralischen Schaden – haben einen unterschiedlichen Ursprung: Erstere stellen ein rechtmäßiges Äquivalent für den Gebrauch dar. Die persönlichen Nichtvermögensbeziehungen, die mit den Vermögensbeziehungen verbunden sind, zeichnen sich demnach dadurch aus, dass das Entgelt eine Entsprechung der Quantität und Qualität des Werks darstellt. Die Kompensationszahlung für den moralischen Schaden hingegen ist bloße Entschädigung für eine unerlaubte Handlung.294 Die Entschädigungszahlung wird daher, da das betroffene Gut nicht in Geld erfasst werden könne, nicht als Äquivalent angesehen. Nach Krasavčikova gehe es nicht um die Wiederherstellung einer beschädigten Vermögenssphäre und den exakten Ausgleich. Die Kompensationszahlung sei vielmehr von hypothetischer, ungefährer Natur.295 Krasavčikova erkennt die unterschiedliche Betrachtung von schuldrechtlicher und deliktsrechtlicher Beziehung und fügt hinzu, dass auch bei unrechtmäßigem Gebrauch des Werkes eine Lizenzgebühr und Schadensersatz fällig werden könne – auch diese seien aber äquivalente Zahlungen für das Werk.296 Weiterhin wird eine unterschiedliche Zwecksetzung vorgebracht: Während die persönliche Nichtvermögensbeziehung ohne Vermögensbezug präventiv und bedingt wiederherstellend wirken soll,297 sei Schwerpunkt der persönlichen Nichtvermögensbeziehung mit Vermögensbezug die Vergütung und Förderung der Schaffenssphäre.298 Krasavčikova definiert die persönlichen Nicht291
Vgl. Art. 150 ZGB. Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 8. 293 Siehe dazu Kap. 5 A. IV., diese hier angedeutete Verkehrsfähigkeit macht aber deutlich, dass die Geschäftsreputation aus der Systematik der „persönlichen Nichtvermögensbeziehungen“ fällt. 294 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 8. 295 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 8. 296 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 8. 297 „Uslovno-vosstanovitel’no“. 298 Wenn es etwa um Werke o.Ä geht. 292
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vermögensbeziehungen, die nicht mit Vermögensbeziehungen verbunden sind, danach als gesellschaftliche Beziehungen, die sich in Hinblick auf geistige immaterielle Güter ergeben, die nichtwirtschaftlicher Natur sind, einen eigenen Wert für ihren Träger verkörpern, sich funktional durch fehlende Marktfähigkeit auszeichnen, die der Persönlichkeit als solche obliegen und von dieser untrennbar sind.299 Konstatieren lässt sich, dass die persönlichen Nichtvermögensbeziehungen ohne Vermögensbezug stets in Verbindung mit den immateriellen Gütern des Art. 150 ZGB gebracht werden.300
c) Der Vermögensbezug Ein „Vermögensbezug“ liegt dann bei Nichtvermögensbeziehungen vor, wenn diese einen vermögenswerten Kern haben.301 Daran richten sich entsprechende Rechtsbehelfe aus.302 Persönliche Nichtvermögensbeziehungen, die einen Vermögensbezug haben, liegen daher dann vor, wenn sich persönliche und materielle „Momente“ vereinen. Ein solches Moment ist gegeben, wenn ein Sachverhalt sowohl nicht- wie auch vermögensbezogene Züge aufweist und sich dabei auf das gleiche Objekt bezieht,303 z. B. auf das Werk eines Autors, nicht aber auf die Ehre. In der älteren russischen Rechtslehre wurde die – wohl noch in der sowjetischen Zeit begründete304 – Ansicht vertreten, das ZGB umfasse mit Art. 2 P. 1 die persönlichen Nichtvermögensbeziehungen ohne Vermögensbezug als Regelungsgegenstand nicht.305 Danach seien nur die Vermögensbeziehungen und Nichtvermögensbeziehungen mit Vermögensbezug Gegenstand des Zivilrechts. Begründet wurde dies damit, dass nur jene Beziehungen Regelungsgegenstand des Zivilrechts sein könnten, die einen Sachbezug aufweisen. Nur dieser lasse wiederum die Regelung menschlichen Verhaltens durch das Recht (durch die Auferlegung von Rechten und Pflichten) zu. Fehle ein solcher Sachbezug, gebe 299 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 12; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 82, definiert diese Beziehungen als solche, die sich in Bezug auf persönliche, immaterielle Güter ergeben, die untrennbar von der Persönlichkeit sind und nennt die Güter des Art. 150 ZGB. 300 Der Terminus „Beziehung“ ist hier möglicherweise schon kontraindiziert, da dem Konstrukt grundsätzlich gerade keine zweiseitige Komponente zugrunde liegt. 301 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (52); Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 45 ff.; Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3 (7). 302 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 7 (1966), 51 (52); Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 45 ff. 303 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (59). 304 So jedenfalls Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (199). 305 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 7 f.
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es auch kein Verhalten, das durch das Zivilrecht reguliert werden könne.306 Nach dieser Ansicht liege ein solcher Sachbezug daher bei Nichtvermögensbeziehungen mit Vermögensbezug vor, etwa bei dem Werk eines Autors, dagegen aber nicht bei persönlichen Nichtvermögensbeziehungen ohne Vermögensbezug, die immaterielle Rechtsgüter zum Gegenstand haben, wie z. B. die Ehre. Wegen ihrer Höchstpersönlichkeit verneint diese Ansicht daher die Regulierungsmöglichkeit der immateriellen Güter307 und damit auch des Persönlichkeitsrechts. Aufgabe des Zivilrechts sei in diesem Zusammenhang lediglich der unmittelbare Schutz308 durch die Statuierung von Nichtvermögensrechten.309 Egorov vertritt die Ansicht, dass der Schutz der immateriellen Güter ohne Vermögensbezug durchaus dem Zivilrecht zuzuordnen sei und dies auch durch die Anordnung in Art. 2 P. 2 ZGB durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht werde. Allerdings lehnt er das Konzept der sich in Bezug auf diese Güter ergebenden Rechtsverhältnisse ab, da sich aufgrund der Höchstpersönlichkeit keine gesellschaftlichen Rechtsverhältnisse ergeben könnten. Auch der Parameter des Vermögensbezuges sei irrelevant für die Frage, ob eine Materie Gegenstand eines Rechtsgebiets sei oder nicht.310 In der jüngeren Literatur dagegen wird diese Ansicht mit dem Wortlaut des Art. 2 P. 2 ZGB abgetan. Art. 2 P. 2 ZGB spreche nicht von „Schutz“ in diesem Sinne, sondern verwende einen anderen Schutzbegriff.311 Die Formulierung biete keinen Grund zur Annahme, das ZGB würde die persönlichen Nichtvermögensbeziehungen, die keinen Vermögensbezug haben, nicht auch – jedenfalls in irgendeinem Umfang – regulieren.312 Hinzu tritt, dass auch Art. 2 P. 1 ZGB die persönlichen Nichtvermögensbeziehungen nicht spezifiziert, sondern sie grundsätzlich zum Gegenstand des Zivilrechts macht.313
2. Immaterielle Güter Nach Art. 150 P. 1 ZGB obliegen die immateriellen Güter dem Bürger von seiner Geburt an oder werden durch Gesetz verliehen. Die Formulierung und die Anknüpfung an „den Bürger“ weist die Güter dem Wortlaut nach allein natürlichen Personen zu. Inwiefern Art. 150 ZGB dennoch auf juristische Personen anwendbar ist, soll durch eine Betrachtung des Begriffs (a)), der Charakteristika (b)) und der faktischen Kommerzialisierung der Güter (c)) ermittelt werden. 306
Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 7. Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 8. 308 „Ochrana“. 309 Egorov, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 2 P. 3, S. 10; Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 12. 310 Egorov, Vestnik graždanskogo prava 4 (2012), 42 (55). 311 „Zaščita“. 312 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 885. 313 Zur „Aufgabe“ des Zivilrechts und seiner Regulierungs- oder Schutzfunktion vergleiche Kap. 2. 307
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a) Begriff aa) Allgemeines Eine feststehende Definition des Terminus „Gut“ existiert in den russischen Rechtswissenschaften nicht.314 Teilweise wird „Gut“ sehr weit verstanden. So werden dafür Synonyme wie „Wert“, „Möglichkeit“, „Arbeit“, „Dienst“, „Modalität“ oder „Produkt“ verwendet.315 Suchanov versteht unter den Gütern nur die „Objekte ziviler Rechte“ nach Art. 128 ZGB.316 Grundsätzlich werden von den immateriellen die materiellen Güter unterschieden. Zu den materiellen Gütern zählen (bewegliche und unbewegliche) Sachen,317 vermögenswerte Rechte, Arbeitserträge oder Dienstleistungen.318 Den materiellen Gütern ist gemeinsam, dass sie wirtschaftlicher Natur sind und zu (Handels-)Waren gezählt werden.319 Die immateriellen Güter sind nach Art. 128 a. E. ZGB „Objekte der bürgerlichen Rechte“, von denen einige in Art. 150 P. 1 ZGB genannt werden.320 Zu ihnen gehören „das Leben, die Gesundheit, die Würde der Person, die persönliche Unversehrtheit, die Ehre und der gute Name, die Geschäftsreputation, die Unversehrtheit des Privatlebens, die Unversehrtheit der Wohnung, das persönliche und familiäre Geheimnis, die Bewegungsfreiheit, die Freiheit der Wahl des Aufenthalts und Wohnsitzes, der Name des Bürgers, die Autorenschaft und andere immaterielle Güter“, Art. 150 P. 1 ZGB.321 Diese Auflistung ist zwar nicht abschließend,322 gleichwohl ist sie 314 Was ein Gut ist und ob es sich bei den in Art. 150 P. 1 ZGB genannten um Güter im Rechtssinne handelt, wird eingehend diskutiert, vgl. etwa die Beiträge von Nochrina, Pravo 5 (2013), 143; Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3; Veškurceva, Aktual’nye problemy rossijskogo prava 2 (2014), 1, aus: Konsul’tant Pljus. 315 Veškurceva, Aktual’nye problemy rossijskogo prava 2 (2014), 1 (33); kritisch sieht dies Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 30, nach der „Gut“ zu weit verstanden wird und darunter alles zu zählen ist, was menschliche Bedürfnisse befriedigt; ebenso Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (158). 316 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 297. 317 Geregelt in den Artt. 129 ff. ZGB. 318 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 79. 319 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 300. 320 So auch Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113 (113); Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (154 f.), kritisiert die Auswahl der in Art. 150 ZGB genannten Güter. Insbesondere das Leben gehöre gerade nicht dazu. Aus Art. 150 ZGB sei zu folgern, dass sich aus den genannten Gütern darauf bezogene Rechte ergeben. (Rechts-)Handlungen und daraus entstehende gesellschaftliche Beziehungen in Bezug auf das Leben oder auch auf die Gesundheit seien aber gerade nicht möglich. Das Leben sei vielmehr Voraussetzung für Interaktion jeder Art. Die Autorin versagt den genannten Gütern daher einen inneren Zusammenhang und gemeinsamen Regelungskontext. 321 Für den Fortgang der vorliegenden Arbeit ist mit „immaterielles Gut“ dasjenige des Art. 150 ZGB gemeint. Geht es um immaterielle Güter im Generellen, so wird dies entsprechend gekennzeichnet. 322 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887; Veškurceva, Aktual’nye problemy rossijskogo prava 2 (2014), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus, vgl. auch Wortlaut „[…] inye nema-
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entscheidend für die Betrachtung der sich daraus ergebenden Rechte des Persönlichkeitsschutzes.323 Anerkannt ist, dass die in Art. 150 ZGB genannten immateriellen Güter die Objekte der persönlichen Nichtvermögensrechte darstellen.324 Es wird daher vom „Recht auf ein immaterielles Gut“ gesprochen.325 Dementsprechend ist auch die Rechtsnatur der Artt. 150 ZGB zu verstehen. Der Gesetzgeber entschied sich dafür, diese Güter nicht zu regulieren,326 sondern allein Schutzmöglichkeiten im Gesetz vorzusehen. Für die Geschäftsreputation ist dies das in Art. 152 ZGB vorgesehene „Recht auf Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation.“327 Das Gesetz gibt damit kein subjektives Recht auf (Schaffung der oder gar einer bestimmten) Geschäftsreputation, sondern schafft „lediglich“ Mechanismen zu ihrem Schutz. Während weitgehend Einigkeit bezüglich der Einordnung der materiellen Güter besteht, existieren zu den immateriellen Gütern Meinungsverschiedenheiten. Michajlova versteht darunter Werte ohne Vermögensinhalt.328 Suchanov unterteilt die Güter in „immaterielle Objekte mit Warencharakter“ und „persönliche Nichtvermögensgüter“.329 Zu ersteren zählen die Ergebnisse kreativer Betätigung (z. B. wissenschaftliche Werke, Literatur und Kunst, uvw.) und Individualisierungszeichen (Geschäftsbezeichnung, Warenzeichen, usw.).330 Unter „persönliche Nichtvermögensgüter“ versteht Suchanov jene Güter ohne wirtschaftlichen Charakter wie die Ehre, die Würde, der Name, usw.331 Für die Unterteilung entscheidend ist die Tatsache, dass die erste Untergruppe gleicherterial’nye blaga, prinadležaščie graždaninu ot roždenija ili v silu zakona […]“, Art. 150 P. 1 ZGB. 323 Für die Frage des Zusammenhangs zwischen Art. 150 ZGB und dem Persönlichkeitsschutz ist auf Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (313 f.), zu verweisen, nach dem einige dieser Güter als „Konkretisierung der immateriellen Rechte der Persönlichkeit“ zu verstehen sind. 324 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 886; Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 12; a. A. Egorov, Vestnik graždanskogo prava 4 (2012), 42 (50), nach ihm können nur manche der immateriellen Güter Objekte darstellen. Die persönlichen immateriellen Güter dagegen haben nach ihm keine Objektsfähigkeit aufgrund ihrer Höchstpersönlichkeit; Fedorova, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 150 P. 2, S. 338. 325 Maleina, Gosudarstvo i pravo 7 (2014), 1 (1) aus: Konsul’tant Pljus; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 211 ff.; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 886; kritisch Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158), der diese Formulierung (bezogen auf die Geschäftsreputation) insofern für falsch hält, als es kein „Recht auf die Geschäftsreputation“ gebe, sondern diese per se existiere. Ein Recht müsse demnach nicht (in dem Fall durch die Rspr.) geschaffen werden. 326 D. h., kein „Recht auf die Geschäftsreputation“ zu verankern. 327 Egorov, Vestnik graždanskogo prava 4 (2012), 42 (46). 328 Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3 (8). 329 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 301. 330 Hierzu schon Genkin u. a., Sowjetisches Zivilrecht, S. 224. 331 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 300.
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maßen von wirtschaftlichem Warenwert sein kann. Daher können diese Güter Gegenstand von Vermögensbeziehungen sein.332 Dies gilt nicht für „persönliche Nichtvermögensgüter“, oder, wie sie im Gesetz genannt sind, die immateriellen Güter nach Art. 150 ZGB. Diese Unterscheidung entspricht der oben erörterten Differenzierung zwischen Nichtvermögensbeziehungen mit und ohne Vermögensbezug. Diese Trennung findet sich auch bei Egorov. Er unterscheidet zwischen persönlichen immateriellen Gütern, die untrennbar von der Persönlichkeit ihres Trägers sind und anderen immateriellen Gütern, die von ihrem Subjekt getrennt werden können.333 Egorov reduziert die Funktion des Zivilrechts auf den Schutz der persönlichen immateriellen Güter, wie dies in Art. 2 P. 2 ZGB geregelt ist.334 Gongalo unterscheidet nicht zwischen materiellen und immateriellen Gütern, sondern trifft nur eine Unterscheidung innerhalb der Objekte des Zivilrechts nach Art. 128 ZGB. Danach zählt er zu den immateriellen Gütern nur jene aus Art. 150 ZGB, die keinen Vermögenswert haben, wie „das Leben, die Gesundheit, die Ehre, die Unantastbarkeit der Person und weitere“.335 Von ihnen unterscheidet er u. a. das Eigentum, Arbeit und Dienste und das geistige Eigentum.336
bb) Merkmale nach Art. 150 ZGB Eine Person hat die immateriellen Güter von Geburt an inne oder bekommt diese durch das Gesetz verliehen. Die Güter sind gem. Art. 150 P. 1 ZGB unübertragbar und unveräußerlich. Daraus wird die unwiderrufliche Bindung der Güter an ihren Träger abgeleitet.337 Die immateriellen Güter sind höchstpersönliche Güter, dienen der Individualisierung der Persönlichkeit338 und sind damit nur solche natürlicher Personen.339 Krasavčikova verweist daher auf das Fehlen ihres ökonomischen Charakters, ihrer „Handelbarkeit“340 und auf ihre Zugehörigkeit zur Persönlichkeit und Untrennbarkeit von dieser.341 332 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 883; unklar ist, ob hier persönliche Nichtvermögensbeziehungen mit Vermögensbezug oder tatsächlich Vermögensbeziehungen gemeint sind. Letzteres würde konträr zur Annahme stehen, Vermögensbeziehungen behandelten nur rechtliche Beziehungen in Bezug auf materielle Güter. 333 Egorov, Vestnik graždanskogo prava 4 (2012), 42 (42–65); sich diesem anschließend Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (155). 334 Egorov, Vestnik graždanskogo prava 4 (2012), 42 (51). 335 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 213. 336 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 201, 202. 337 Zur Frage, inwiefern dies auch auf die Geschäftsreputation zutrifft, siehe infra Kap. 5 A. 338 Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 24. 339 Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 215, beschreibt ihren Charakter als „unnachahmliche, individuelle Färbung“; ähnlich auch Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 27. 340 „Netovarnost’“. 341 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 12.
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Es stellt sich die Frage, inwiefern die genannten Merkmale den in Art. 150 ZGB enumerierten Gütern zu eigen sind. Der Wortlaut in Art. 150 P. 1 ZGB suggeriert eine gewisse Gleichförmigkeit der Güter und damit auch deren Vergleichbarkeit. Krasavčikova spricht von der „Qualität sozialer Werte einer342 Ebene“, auf der sich die Güter Leben, Gesundheit, persönliche Unantastbarkeit, Name, Ehre, Würde und andere geistige Güter befänden.343 Die vom Gesetzgeber genannten Kriterien der Untrennbarkeit und Immaterialität kombinieren dagegen nach Nochrina die einzigen Topoi, die sämtlichen in Art. 150 ZGB genannten Gütern gemein und den materiellen Güter dagegen fremd sind.344 Nach ihr gibt es über die gesetzliche Definition hinaus kein einheitliches Verständnis der Charakteristika der immateriellen Güter.345 Einig ist sie sich mit Egorov, nach dem die immateriellen Güter in zwei Kategorien einzuteilen sind.346 Dazu gehören die Güter wie das Leben, die Gesundheit, Ehre, Würde, Geschäftsreputation, die höchstpersönlich und damit untrennbar mit dem Träger verbunden, und diejenigen Güter, wie der Name, das Warenzeichen, das Werk, die von ihrem Subjekt mithilfe eines materiellen Trägers vom Trägersubjekt zu trennen sind.347 Die in Art. 150 ZGB genannten Güter sind nach Nochrina daher nicht vergleichbar. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Auswahl der genannten „Güter“ in Art. 150 ZGB willkürlich und aus der fehlenden Vergleichbarkeit kein zielführender Schluss zu ziehen sei.348 Sie unterscheidet daher in Güter, denen eine äußere Form gegeben werden kann349 und sonstige Güter. Bei ersteren soll danach Vermögenscharakter gegeben sein, der die Marktfähigkeit und damit die Existenz subjektiver Ausschließlichkeitsrechte an den Gütern ermöglicht.350 Die sonstigen Güter bezeichnet Nochrina als gesetzliche Interessen, deren Regelung in Art. 150 ZGB überflüssig ist. Diese seien über andere, von Art. 150 ZGB unabhängige Regelungen geschützt. So verweist sie für das Leben und die Gesundheit auf die Generalklausel in Art. 1064 ZGB. Den Schutz der persönlichen Unantastbarkeit leitet sie unmittelbar aus Art. 22 Verf. RF ab,351 für die Ehre, Würde und Geschäftsreputation nennt sie Art. 152 342
Hevorhebung durch die Verfasserin der vorliegenden Arbeit. „V kačestve social’nych cennostej odnogo urovnja“, Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 11. 344 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (149). 345 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (152). 346 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (157). 347 Egorov, Vestnik graždanskogo prava 4 (2012), 42 (48). 348 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (158). 349 Wozu sie die Aufzeichnung der Stimme, den Namen, Abbildungen und Informationen über das Privatleben, die auf einem materiellen Träger festgehalten wurden, zählt. 350 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (158). 351 Nicht klar wird hier das Verhältnis der Verfassung zum einfachen Recht. Denn auch das Leben und die Gesundheit, ebenso wie die Ehre und die Würde, sind in der Verfassung geregelt, dennoch gibt es einfachgesetzliche Ausformungen dieses verfassungsrechtlichen Schutzes. 343
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ZGB.352 Diesen gesetzlichen Interessen sei gemeinsam, dass sie keinen Vermögenscharakter hätten, sodass nur zu deren Schutz der Anspruch auf Kompensation des moralischen Schadens geltend gemacht werden könne.353 Mit anderer Begründung, aber zum selben Ergebnis kommt Michajlova.354 Auch Veškurceva355 und Bakaeva zeigen auf, dass die Güter sehr unterschiedliche Ausprägungen haben und die in Art. 150 ZGB genannten Merkmale teilweise nicht, oder nur eingeschränkt, auf die genannten Güter zutreffen. So sei insbesondere die Geschäftsreputation für Unternehmen ein feststellbarer Buchwert.356
cc) Immaterialität Ebenfalls wird in der wissenschaftlichen Lehre die gesetzgeberische Intention bei der Bezeichnung der Güter als „immateriell“ thematisiert.357 Vielerorts wird „immateriell“ so verstanden, dass dadurch das Fehlen des wirtschaftlichen Inhalts der Güter und ihre Unwägbarkeit in Geld ausgedrückt werden sollen.358 Ihnen könne kein „Vermögensäquivalent“ gegenübergestellt werden.359 Egorov hingegen stellt allein auf das Vorhandensein oder Fehlen von Materie und damit auf die Frage der Körperlichkeit ab. Es gebe persönliche Güter, die in „äußerlichen Gegenständen“ nicht zum Tragen kommen. Dazu seien das Leben, die Gesundheit, Ehre, Würde und die Geschäftsreputation zu zählen. Die andere Gruppe zeichne sich durch ihre Trennbarkeit vom Träger auf. Diese Trennung werde durch die Verkörperung in einem materiellen Objekt realisiert.360 Anerkannt ist, dass die immaterielle Werthaltigkeit der Güter im Sinne geistiger Güter nicht von der immateriellen, also unstofflichen Charakterisierung herrührt, sondern 352 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (159, 160); die Autorin verweist auf das gesetzgeberische Ziel bei der Kodifizierung des ZGB 1994. Danach sei es damals gerade darum gegangen, Vermögensgüter von Nichtvermögensgütern zu trennen und den Kreis der Güter abzustecken, nach deren Verletzung die Kompensation eines moralischen Schadens zulässig sei. 353 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (160). 354 Sie verweist auf die unterschiedlichen Dimensionen: Leben und Gesundheit – biologischer, physiologischer Charakter; Ehre, Würde und Geschäftsreputation – sozial-psychologischer Charakter; persönliches und familiäres Geheimnis – persönlich-informationeller Charakter, Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3 (6). 355 Die bei Art. 150 ZGB auftretenden Widersprüche werden teilweise mit der 2013 ergangenen Gesetzesreform erklärt, vgl. hierzu die rückblickende Darstellung bei Veškurceva, Aktual’nye problemy rossijskogo prava 2 (2014), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 356 Veškurceva, Aktual’nye problemy rossijskogo prava 2 (2014), 1 (8 f.), aus: Konsul’tant Pljus; Bakaeva, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 1 (5), aus: Konsul’tant Pljus. 357 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (150). 358 Maleina, Zakon 10 (1995), 102 (102); Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 35. 359 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (151); Maleina, Zakon 10 (1995), 102 (102); daneben Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 12, die das Fehlen der Marktfähigkeit beschreibt. 360 Egorov, Vestnik graždanskogo prava 4 (2012), 42 (48), nennt hier u. a. den Namen, die Bezeichnung einer juristischen Person oder auch das Warenzeichen (und weitere).
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ihre Begründung in der Interpretation als persönliches und soziales Gut findet.361
b) Kommerzialisierung Für den Namen oder das Bild (Art. 152.1 ZGB) können durch den unrechtmäßigen Gebrauch oder im Rahmen von Nutzungsverträgen Fragen des Geldwertes aufkommen. Dies führt zur Frage der Kommerzialisierung der immateriellen Güter. Diese Frage stellt sich in vergleichbarer Weise auch für den Ruf eines Unternehmens, wenn dessen Wert über seine materiellen Vermögenswerte hinausgehend bewertet werden soll. Maleina stellt auf den geistigen Wert der Güter des Art. 150 ZGB ab und sieht dies als entscheidendes Unterscheidungskriterium zu durch Vermögenswert geprägten Gütern. Danach sind immaterielle Güter nicht durch die für bewegliche Sachen gängigen Merkmale wie Gewicht, Größe, Volumen, Qualitätsstandarte und technische Bestimmungen für Werke und Dienstleistungen, geprägt. Sie sollen vielmehr eine soziale, gesellschaftliche und individuelle Werthaltigkeit haben. Eine Kommerzialisierung der immateriellen Güter erkennt sie nicht.362 Gongalo schließt aus der Unveräußerlichkeit und Untrennbarkeit von der Persönlichkeit die fehlende Eingebundenheit der Güter in den Handelsverkehr. Sowohl Gongalo als auch Nochrina verweisen in diesem Zusammenhang auf den absoluten Charakter der mit den Gütern zusammenhängenden Rechte.363 Nochrina schließt dementsprechend eine Nutzungsdimension der immateriellen Güter und folglich auch deren Kommerzialisierung aus.364 Diese Annahme erscheint vor dem Hintergrund der Praxis viel zu kategorisch. Längst werden Attribute von Künstlern wie die Stimme, das Bild oder der Name zum Gegenstand von Lizenzverträgen gemacht und damit unmittelbar bepreist.365 Schon Suchoverchij will in Anlehnung an Pokrovskij den Grund in der „Geburt“ des Namensrechts in der Notwendigkeit verstanden wissen, materielle Interessen zu schützen.366 Dem entsprechen auch einige Stimmen der zu361 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 54–55. 362 Maleina, Gosudarstvo i pravo 7 (2014), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 363 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 213. 364 Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 25; später maßvoller, aber ohne näher darauf einzugehen bei Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (152), danach sei die Eigenschaft des Fehlens des wirtschaftlichen Inhalts und die Unmöglichkeit der Werteinschätzung nicht charakterisierend für „absolut alle immateriellen Güter“. 365 Ähnlich Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3 (8). 366 Pokrovskij, Osnovnye problemy graždanskogo prava, 1917, S. 102, zit. nach Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (202).
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meist jüngeren Literatur, die an der pauschalen Unveräußerlichkeit nicht festhalten wollen.367 Sie konstatieren daher eine „Kommerzialisierung“368 einiger immaterieller Güter. So habe insbesondere der Name „Vermögenscharakter“.369 Während teilweise nur von Tauglichkeit zur Marktfähigkeit mancher immaterieller Güter gesprochen wird,370 sehen andere die Entwicklung einiger der immateriellen Güter hin zu materiellen Gütern als bewiesen an.371 Die Frage der Kommerzialisierung wird auch in Bezug auf die – für juristische Personen bedeutsamere – Geschäftsreputation erörtert. So befürwortet Slipčenko die potentielle Messbarkeit der immateriellen Güter in Geld, ihre Marktfähigkeit und begründet damit den vermögenswerten Gehalt entsprechender Rechte.372 Dabei wird exemplarisch die Geschäftsreputation angeführt. Diese stellt nach Bakaeva für gewerblich Handelnde mehr als nur ein immaterielles Gut dar. Vielmehr sei sie ein „reales Aktivum“.373 Auf den kommerziellen Wert der Geschäftsreputation wird im Einzelnen noch einzugehen sein.374
3. Persönliche Nichtvermögensrechte Wie bereits erwähnt kennt das ZGB sog. „persönliche Nichtvermögensrechte“.375 Diese werden nicht in einer mit Art. 150 ZGB vergleichbaren Norm explizit geregelt, ihre Anerkennung ist aber den Artt. 150 P. 2 und 151 ZGB zu entnehmen, in denen sie erwähnt werden.376 So kann der Schutz der dem Bürger obliegenden immateriellen Güter durch gerichtliche Feststellung der Verletzung des persönlichen Nichtvermögensrechts oder Unterlassung der Verlet367 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (152); Slipčenko, Civilist 2 (2011), 42; Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3 (7 f.). 368 Veškurceva, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 38. 369 Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (158); anders noch Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 19, die Autorin betonte hier, dass u. a. das Namensrecht nicht Gegenstand „gesellschaftlicher Beziehungen“ sein könne: „[…] ne mogut byt’ priznany ob”ektami obščestvennych otnošenij takie blaga, kak pravo na izobraženie, pravo na žizn’ i zdorov’e, na imja, čest’ i dostoinstvo, telesnuju neprikosnovennost’ i neprikosnovennost’ ličnoj sfery graždan, pravo na svobodnoe peredviženie i svobodnoe izbranie mesta žitel’stva, neprikosnovennost’ ličnoj dokumentacii, neotčuždaemye prava i svobody čeloveka.“ 370 Slipčenko, Civilist 2 (2011), 42 (43), „[…] nematerial’nye ob”ekty obladajut potencial’noj sposobnost’ju učastvovat’ v oborote“. 371 In Bezug auf die Stimme, das Bild, Ereignisse des privaten Lebens, Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3 (8): „[…] čto v nastojaščee vremja pravovaja priroda, pravovaja suščnost’ otdel’nych nematerial’nych blag transformirovalis’ v prjamo protivopoložnuju substanciju – blag material’nych“. 372 Slipčenko, Civilist 2 (2011), 42 (43); Bakaeva, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 1 (5) aus: Konsul’tant Pljus; in Bezug auf den Namen Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (158). 373 Bakaeva, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 1 (5), aus: Konsul’tant Pljus. 374 Siehe dazu infra Kap. 5 A. IV. 375 Gemeint sind jene, die keinen Vermögensbezug haben. 376 Vor der Gesetzesreform von 2013 sah Art. 150 P. 1 ZGB diese noch expliziter vor.
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zungshandlung erfolgen, Art. 150 P. 2 ZGB. Nach Art. 151 ZGB hat Anspruch auf moralischen Schaden, wessen persönliche Nichtvermögensrechte verletzt werden.377 Grundsätzlich ist eine Vielzahl von persönlichen Nichtvermögensrechten denkbar. Zu den ausdrücklich Normierten zählt das für die vorliegende Arbeit bedeutsame Recht auf Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation nach Art. 152 ZGB. Anders als bei den immateriellen Gütern bestehen kaum Meinungsverschiedenheiten zum Inhalt der persönlichen Nichtvermögensrechte. Nach Suchanov sind darunter subjektive Rechte zu verstehen, die sich aus persönlichen Nichtvermögensbeziehungen, die keinen Vermögensbezug haben, ergeben.378 Suchanov unterscheidet dabei zwischen den Rechten, die die physische Existenz absichern (das Recht auf Leben, Gesundheit, günstige Umwelt,379 Freiheit und persönliche Unantastbarkeit) und den Rechten, die das soziale Dasein absichern (das Recht auf den Namen, die Ehre, Würde, Geschäftsreputation, Privatleben und die Freiheit der Fortbewegung).380 Im Ergebnis ähnlich definiert sie Gongalo. Danach beziehen sich die persönlichen Nichtvermögensrechte auf die persönlichen immateriellen Güter, die der Person als solcher obliegen und von dieser nicht trennbar sind.381 Ihnen kommt der Inhalt eines subjektiven Rechts des Bürgers auf die Freiheit zu, sein Verhalten und seine individuelle Lebenstätigkeit nach seinem Ermessen zu bestimmen.382 Ähnlich klingt dies auch bei Maleina an. Die Persönlichkeitsrechte haben demnach zum Ziel, die Ausprägung, Entwicklung und Sicherung der persönlichen Individualität zu schützen.383 Dieser Persönlichkeitsschutz besteht ohne die Zulässigkeit einer Einmischung von außen, sofern sie nicht vom Gesetz vorgesehen ist.384 Der hier anklingende Ausschluss der Einwirkung von außen spiegelt sich auch in der Rechtsnatur der persönlichen Nichtvermögensrechte wider. Diese sind absolute Rechte.385 Ihnen liegen zwei grundlegende Rechtsbehelfe zugrunde: das Recht, von jedem Zurückhaltung zu verlangen (die Unterlassung der 377 Auch an dieser Stelle trägt der Gesetzgeber nicht zur Klarheit des Verhältnisses von immateriellen Gütern und persönlichen Nichtvermögensrechten bei: Während zum Schutz des Guts nach Art. 150 P. 2 ZGB die Verletzung eines persönlichen Nichtvermögensrechts durch Gericht festgestellt werden kann, ist der Ersatzanspruch für den erlittenen moralischen Schaden entweder wegen der Verletzung eines Nichtvermögensrechts oder eines immateriellen Guts vorgesehen, Art. 151 P. 1 S. 1 ZGB. 378 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 886, 887. 379 „Pravo na blagoprijatnuju okružajuščuju sredu“. 380 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 889. 381 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 214 ff., spricht allerdings sowohl von Rechten als auch von Rechtsverhältnissen, ohne hier eine klare Trennung zu ziehen; ebenso Maleina, Gosudarstvo i pravo 7 (2014), 1 (1) aus: Konsul’tant Pljus. 382 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 216, 217. 383 Maleina, Gosudarstvo i pravo 7 (2014), 1 (1) aus: Konsul’tant Pljus. 384 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 216, 217; Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 15, 113. 385 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887; Erdelevskij, Kompensacija mo-
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Rechtsverletzung) und das Recht, im Falle einer Verletzung die durch das Gesetz zur Verfügung gestellten Schutzmaßnahmen wahrzunehmen.386 Sie werden daher auch als negative Rechte beschrieben.387 Konkret nennt Art. 150 P. 2 S. 2 ZGB einen Anspruch auf Feststellung der Rechtsverletzung durch Gericht, die Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidung und die Unterlassung und das Verbot von Verletzungshandlungen. Weiterhin haben die persönlichen Nichtvermögensrechte „streng persönlichen Charakter“.388 Hieraus wird die Untrennbarkeit von der Persönlichkeit abgeleitet.389 Ausnahmen sind nur qua Gesetz zulässig.390 Diesem höchstpersönlichen Charakter wird auch entnommen, dass nur Bürger – natürliche Personen – Träger der persönlichen Nichtvermögensrechte sein können.391 Traditionell wird angenommen, dass die persönlichen Nichtvermögensrechte auf Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation keine Verbindung zu Vermögensrechten und damit keinen wirtschaftlichen Bezug haben.392 Daraus wird gefolgert, dass sie nicht Gegenstand schuldrechtlicher Beziehungen sein können.393 Zudem existiert bei ihrer Verletzung der Anspruch auf Zahlung eines moralischen Schadens, vgl. Artt. 151, 1100 ZGB, da die den Rechten gegenständlichen Güter nicht in Geld wägbar sind394 und nur eine ungefähre kompensatorische Zahlung in Betracht kommt.
ral’nogo vreda, S. 15; Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 44. 386 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 888; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 215. 387 Egorov, Graždansko-pravovoe regulirovanie obščestvennych otnošenij, Leningrad 1988, S. 120, zit. nach. Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 43. 388 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 215; a. A. wohl bei Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 44. 389 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 287. 390 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887, dies ist etwa bei Versterben des Trägers der Fall, wenn die Erben Rechte des Verstorbenen wahrnehmen können. 391 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887. 392 Die immateriellen Güter sind keine Objekte des Rechtsverkehrs, Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 15,16; Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 1966, 51 (51); kritisch Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199 (200); Michajlova, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 4 (2012), 3 (7), regt ein Umdenken diesbezüglich an. 393 Nochrina, Graždansko-pravovoe regulirovanie ličnych neimuščestvennych otnošenij, ne svjazannych s imuščestvennymi, S. 25. 394 D. h., ihnen kein Äquivalent gegenübergestellt werden kann, Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 215.
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II. Immaterielle Güter und Persönlichkeitsrechte juristischer Personen Weder Persönlichkeitsrechte noch immaterielle Güter juristischer Personen sind ausdrücklich im Gesetz geregelt.395 Ihre wissenschaftliche Betrachtung ist nur „fragmentarisch“396 vorhanden.397 Der Terminus „persönlich“398 ist zudem ausschließlich natürlichen Personen vorbehalten.399 Gleichzeitig erklärt Art. 152 P. 11 ZGB die für natürliche Personen geltenden Regeln zur Geschäftsreputation für auf juristische Personen anwendbar. Was dies bedeutet, bleibt offen. Offen bleibt auch, inwiefern Art. 150 ZGB auf juristische Personen Anwendung finden soll. Teilweise wird die Anwendbarkeit des Art. 150 ZGB auf juristische Personen ausdrücklich verneint.400 Gleichwohl ist unumstritten, dass auch juristische Personen immaterielle Güter innehaben können.401 Boryčeva unternimmt als eine von Wenigen den Versuch, den Begriff „immaterielles Gut“ juristischer Personen zu definieren. Sie versteht darunter ein Objekt des Zivilrechts, das keine Form hat, die objektiv ausgedrückt werden kann, dessen Inhalt sich aus einer Kombination von Informationen (Daten) zusammensetzt, die es ermöglichen, eine juristische Person nicht nur zu identifizieren, sondern sie auch auf positive Weise als Teilnehmerin des Zivilrechtsverkehrs zu charakterisieren und damit zu einer effektiven unternehmerischen oder sonstigen gewinnbringendem Tätigkeit beizutragen.402 395 Ausgenommen werden hier die Rechte juristischer Personen auf Zeichen der Individualisierung von Waren, Arbeit, Diensten und Unternehmen des Kapitels 76 des vierten Teils des ZGB. 396 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 155. 397 So existieren ausführliche Arbeiten etwa zur Geschäftsreputation, kaum aber zu den (persönlichen) Nichtvermögensrechten oder gar Persönlichkeitsrechten juristischer Personen insgesamt. Einige Überlegungen zu den immateriellen Gütern juristischer Personen finden sich bei Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113 (113 ff.); ebenso überblicksmäßig Sitdikova, Juridičeskij mir 7 (2015), 27 (27 ff.); ebenso Bass, Biznes v zakone 2 (2008), 218 (218 ff.). 398 „Ličnyj“. 399 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 143 ff., benutzt in Zusammenhang mit juristischen Personen nur den Terminus „Nichtvermögensbeziehung“. 400 Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113 (113), verweist darauf, dass es sich bei den Gütern des Art. 150 ZGB nur um solche natürlicher Personen handele; Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (157); Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus; Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 58 f., vertritt die Notwendigkeit zur Gleichstellung natürlicher und juristischer Personen in Bezug auf den Schutz ihrer immateriellen Güter. 401 Statt vieler nur Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic; Bass, Biznes v zakone 2 (2008), 218; Peshkova, Pravovye voprosy svjazi 1 (2005), 18; Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113. 402 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 58, „[…] nematerial’noe blago juridičeskogo lica – ėto ob”ekt graždanskogo prava, ne imejuščij ob”ektivno vyražennoj formy, soderžaniem kotorogo javljaetsja sovokupnost’ svedenij (dannych), pozvoljajuščich ne tol’ko identificirovat’ juridičeskoe lico, no i položitel’no charakterizovat’ ego kak učastnika graždanskogo oborota, i tem samym sposobstvujuščich ėffektivnoj predprinimatel’skoj ili inoj prinosjaščej dochod dejatel’nosti ėtogo juridičeskogo lica.“
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
Charakteristisch sei für die auf juristische Personen bezogenen Güter entweder die individualisierende oder die bestandsschützende403 Komponente.404 Zu den immateriellen Gütern juristischer Personen, die sich auf das Persönlichkeitsrecht beziehen, zählen einige Vertreter die Firma, die Geschäftsbezeichnung, das Erscheinungsbild, die Geschäftsreputation, die Autonomie, die Unantastbarkeit, die Vertraulichkeit und Güter, die die Geschäftstätigkeit schützen.405 Andere halten die Geschäftsreputation für das einzig maßgebliche immaterielle Gut juristischer Personen,406 was der Realität in der Praxis entspricht.407 Damit zusammen hängt die Frage, ob auch juristische Personen Inhaberinnen von persönlichen Nichtvermögensrechten sein können. Fraglich ist dies insbesondere angesichts des menschenzentrierten Charakters der persönlichen Nichtvermögensrechte und deren Untrennbarkeit von der menschlichen Persönlichkeit. Weniger problematisch ist es, juristischen Personen bloße Nichtvermögensrechte zuzusprechen, ohne dass diese mit der (menschlichen) Persönlichkeit in Zusammenhang gebracht würden. Teilweise wird die Inhaberschaft persönlicher Nichtvermögensrechte juristischer Personen daher verneint. Da eine juristische Person ein künstliches Konstrukt sei, könne sie keine persönlichen Rechte haben.408 Suchanov konstatiert konsequenterweise für die Geschäftsreputation, dass diese, da sie unmittelbar mit den Vermögensrechten einer juristischen Person verbunden sei, daher nicht als Nichtvermögensrecht gezählt werden könne.409 Andere Stimmen bejahen die Inhaberschaft.410 Teilweise wird von Nichtvermögensrechten411 juristischer Personen gesprochen,412 die gerichtliche Praxis 403 404
„Obespečivajuščie suščestvovanie“. Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 72. 405 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 72 f.; Maleina, Ličnye neimuščestvennye prava graždan: ponjatie, osuščestvlenie, zaščita, 2000, S. 12–13, zit. nach Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 8. 406 Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 134; so bereits Suchoverchij, Sverdlovskij juridičeskij institut: Sbornik aspirantskich rabot po voprosam gosudarstva i prava 6 (1966), 199, der sich nur auf die „Reputation“ bezieht. 407 In den Entscheidungen der russischen Gerichte taucht allein die Geschäftsreputation als immaterielles Gut juristischer Personen auf; die Diskussion um weitere Güter erscheint als auf die wissenschaftliche Lehre beschränktes Phänomen; zu den Überschneidungen mit dem Firmenschutz siehe infra Kap. 5 B. IV. und Kap. 6 B. 408 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 216; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 123, 887. 409 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887, offen bleibt aber, ob juristische Personen danach nur Vermögensrechte haben, oder ob sie nicht (zumindest) irgendwelche Nichtvermögensrechte geltend machen können. 410 Sitdikova, Juridičeskij mir 7 (2015), 27 (30); in Bezug auf immaterielle Güter Trofimova, Vestnik Omskogo universiteta 3 (2009), 244 (244); Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113 (113). 411 Teilweise ist in der Diskussion um diese Frage nicht immer ganz klar, ob persönliche oder bloße Nichtvermögensrechte gemeint sind. 412 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 143 ff., der aber später auch
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spricht sogar von persönlichen Nichtvermögensrechten.413 Genannt werden darunter das Recht auf Bestehen, das Recht auf autonome Tätigkeit, das Recht auf Auftritt nach außen, das Recht auf die Wahl der Bezeichnung bzw. Kennzeichnung und das Recht auf Geschäftsreputationsschutz.414 In Bezug auf die immateriellen Güter juristischer Personen versteht Boryčeva deren immaterielle Werthaltigkeit als Ausdruck der sozialen und humanitären Seite einer juristischen Person.415 Nuždin nennt für jedes der in Art. 150 ZGB genannten Güter das entsprechende Äquivalent für juristische Personen und entnimmt diesen Beispielen das Bestehen eines „Instituts immaterieller Güter“ juristischer Personen.416 Teilweise werden die Güter auch in Gruppen eingeteilt. So unterscheidet etwa Nuždin die Rechtssubjektsgüter (Firma, Geschäftsbezeichnung, usw.), Informationsgüter (z. B. das Geschäftsgeheimnis), Reputationsgüter (die Geschäftsreputation) und die Güter des geistigen Eigentums (z. B. Patente). Hinsichtlich des Rufs ist jedenfalls anerkannt, dass die juristische Person ein durch das Gesetz sichergestelltes Recht haben soll, das die Bewertung ihrer Persönlichkeit allein aufgrund wahrer Tatsachen sicherstellt und vor Verleumdungen schützt.417 Daher fokussiert sich die Wissenschaft zumeist auf die Geschäftsreputation – auch aufgrund der expliziten Nennung in Art. 152 ZGB.418 Damit stehen für die vorliegende Arbeit vor allem die von Nuždin als solche bezeichneten „Reputationsgüter“ im Mittelpunkt der Betrachtung – die Geschäftsreputation.419 Art. 152 P. 11 ZGB nimmt von den sonst auf juristische Personen anwendbaren Rechten die Ersatzmöglichkeit zur Kompensation des moralischen Schadens aus. Dem ist zu entnehmen, dass juristische Personen Anspruchsinhaberinnen der Widerrufs-, Gegendarstellungs- und Schadensersatzansprüche sein können. Jedenfalls insofern verfügen sie qua Gesetz über reputationsschützende Nichtvermögensrechte. Richtigerweise ist aber Art. 150 ZGB, der gerade auf von persönlichen Nichtvermögensrechten juristischer Personen spricht; Maleina, Ličnye neimuščestvennye prava graždan: ponjatie, osuščestvlenie, zaščita, 2000, S. 12–13, zit. nach Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 8. 413 13. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 03.08.2016, Nr. 13AP-31291/2015, Sachnr. А42-5481/2015; 15. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 10.05.2017, Nr. 15AP1871/2017, Sachnr. А32-33195/2016. 414 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 3, 143 ff.; Sitdikova, Juridičeskij mir 7 (2015), 27 (27–31). 415 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 55. 416 Dazu zählt er die Geschäftsreputation von Organisationen, das Geschäfts- und Dienstgeheimnis, das Recht zur Ortswahl, das Recht auf eine Firma und Geschäftsbezeichnung, Ausschließlichkeitsrechte und Mittel der Individualisierung, Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113 (113). 417 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 148. 418 Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113 (113), bezeichnet diese als einziges immaterielles Gut, das eindeutig als solches der juristischen Person anerkannt wurde. 419 Auf weitere „persönlichkeitsbildende“ Güter und Rechte wird neben der Geschäftsreputation an entsprechender Stelle eingegangen, siehe dazu infra Kap. 5 B.
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Kapitel 3: Vorüberlegungen
die immateriellen Güter abstellt, die „dem Bürger“ obliegen, nicht auf juristische Personen anwendbar. Mithin sind auch die in Art. 150 P. 2 S. 2 ZGB genannten Nichtvermögensrechte keine Rechte, die juristische Personen geltend machen können. Dafür spricht, dass Art. 152 P. 11 ZGB die in den Artt. 1–10 genannten Rechte lediglich „entsprechend“ auf juristische Personen anwendet, diesen aber keinen originären, in Zusammenhang mit Art. 150 stehenden Anspruch gewährt.
III. Zwischenergebnis Das russische Recht unterscheidet im Rahmen der (persönlichen) Nichtvermögensgüter grundsätzlich zwischen solchen, die Vermögenscharakter haben (Ausschließlichkeitsrechte an Immaterialgütern und deren gewerbliche Nutzungsrechte) und jenen, die diesen nicht haben (das Recht auf Schutz der Geschäftsreputation). Für die fortlaufende Betrachtung der Frage nach der zivilrechtlichen Ausgestaltung des Persönlichkeitsrechts bzw. der Persönlichkeitsrechte ist nur das letztere Verständnis relevant. In Art. 150 ZGB sind verschiedene immaterielle Güter geregelt, die weder vergleichbar sind, noch widerspruchsfrei den dort genannten Kriterien zugeordnet werden können. Ein Grund hierfür ist die (Teil-)Kommerzialisierung einiger Güter. Insbesondere die Geschäftsreputation deckt die Antiquiertheit der Regelung auf, die den Bedürfnissen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht (mehr) entsprechen kann. Auf die einzelnen, für juristische Personen relevanten Güter wird noch einzugehen sein. Es ist daneben unstreitig, dass auch juristische Personen immaterielle Güter (im Generellen, nicht im Sinne des Art. 150 ZGB) innehaben und sich daraus Nichtvermögensrechte ergeben können. Auch diese Nichtvermögensrechte sind im ZGB, anders als die persönlichen Nichtvermögensrechte natürlicher Personen, nicht geregelt. Zu trennen sind letztere von den „persönlichen“ Nichtvermögensrechten natürlicher Personen, da diese über speziell auf natürliche Personen zugeschnittene Merkmale verfügen. Persönlichkeitsrechtlich relevant sind die rufschützenden Güter der Ehre, Würde und Geschäftsreputation. Deren Schutz ist als persönliches Nichtvermögensrecht ausdrücklich in Art. 152 ZGB statuiert. Ihr Schutz gilt der Entfaltung und Entwicklung der individuellen Persönlichkeit. Anerkannt sind daneben weitere Nichtvermögensrechte, die diese und vergleichbare Interessen abbilden. Diese sind im übernächsten Kapitel einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.
D. Zusammenfassung
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D. Zusammenfassung Verfassungsrechtlich ist kein Persönlichkeitsrecht juristischer Personen verankert. Auch entbehrt die Verfassung einer Norm zur Regelung der verfassungsrechtlichen Stellung juristischer Personen. Dass der Schutz der Geschäftsreputation juristischer Personen dennoch Teil eines verfassungsrechtlichen Mindeststandards zu sein scheint, kann nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts als allgemein gültig verstanden werden. Unklar ist, auf welche Artikel – Art. 21 oder Art. 23 Verf. RF – sich eine juristische Person im Einzelnen berufen kann. Daneben ist die Bedeutung von Art. 45 P. 2 Verf. RF hervorzuheben, dem das Verfassungsgericht trotz seines prozessrechtsschützenden Charakters ein Instrument zur Gleichstellung des Rechtsschutzes juristischer und natürlicher Personen im persönlichkeitsrechtlichen Bereich entnimmt. Zivilrechtlich geschützt ist die Geschäftsreputation über Art. 152 ZGB, eine Norm, die als einfaches Recht gewordenes Verfassungsrecht zu verstehen ist. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung sind hier die Verfassungsrechte zum Schutz der Persönlichkeit und Meinungs- sowie Pressefreiheiten in einen Ausgleich zu bringen. Hinsichtlich der Grenzen der Ausübung dieser Rechte ist das russische Recht in vielen Bereichen stark von der EMRK, die nach Art. 15 P. 2 Verf. RF Vorrang vor innerstaatlichem einfachen Recht genießt, und der Rechtsprechung des EGMR beeinflusst und geprägt. Daneben lässt sich auch für den Persönlichkeitsschutz in den letzten Jahren eine Tendenz verzeichnen, die auf eine Abkehr der gleichförmigen Übernahme der EGMR-Rechtsprechung durch die russischen Gerichte hindeutet.
Kapitel 4
Rechtssubjekt: Die juristische Person Dass auch juristische Personen berechtigt sind, ihren Ruf zu schützen, ist sowohl in Deutschland als auch in Russland anerkannt.1 Umstritten ist allerdings die Reichweite des Schutzes. Während der Streit in Deutschland auf wissenschaftliche Überlegungen der vergangenen Jahrzehnte beschränkt bleibt,2 behält die Frage in Russland sowohl für die wissenschaftliche Lehre als auch in der Rechtspraxis Relevanz.3 Dabei ist für die juristischen Personen4 zu untersuchen, inwiefern ein von den einzelnen Personen losgelöster Organisationskomplex Träger geistiger Werte sein kann. Zwar spricht das russische Recht nicht von Persönlichkeitsschutz, die damit verbundenen Fragen stellen sich aber gleichermaßen: Achtungsansprüche setzen eine Person voraus, die als Trägerin entsprechender Güter wie Würde, Ehre und Reputation infrage kommt. Der russische Gesetzestext beantwortet diese Frage nicht. Art. 150 ZGB bezieht sich allein auf die immateriellen Güter natürlicher Personen. Gleichzeitig gilt Art. 152 ZGB aber entsprechend (mit gewissen Einschränkungen) auch für juristische Personen.5 Treffend formuliert Boryčeva, dass jedes Rechtssubjekt die ihm durch das Recht verliehenen Mittel für sich nutzen kann, solange diese mit seiner Natur vereinbar sind.6 Inwiefern dies bei der juristischen Person der Fall ist und man – den Rechtsgedanken aus dem deutschen Recht übertragend – von einer „Persönlichkeit“ juristischer Personen sprechen kann, wird im 1 Für die BRD siehe nur aus der jüngeren Rspr. BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877, 2879; für Russland ausdrücklich nach Art. 152 P. 11 ZGB. 2 Zentral geht es um die vieldiskutierte Frage, ob hier der Begriff des „(Unternehmens-) Persönlichkeitsrechts“ überhaupt verwendet werden sollte, vgl. dazu Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1065); daneben siehe etwa die Arbeit von Meissner, Persönlichkeitsschutz juristischer Personen im deutschen und US-amerikanischen Recht; Cronemeyer, AfP 2 (2014), 111; Holzner, MMR-Aktuell 2010; zuletzt hinsichtlich des IPR betrachtet bei Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1. 3 Vgl. hierzu insbesondere infra Kap. 6 B. 4 Dies ist im engeren Sinne zu verstehen. Nicht gemeint ist „juristische Person“ im weiteren Sinne als „Rechtsperson“, also jene Subjekte, denen Rechtssubjektivität durch das Recht verschafft wird. 5 Siehe hierzu bereits Kap. 2 G. 6 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 39–40.
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Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person
Folgenden zu ermitteln sein (C.). Dafür ist zunächst auf den Begriff der „juristischen Person“ im russischen Recht einzugehen (A.). Werden die persönlichen Nichtvermögensrechte juristischer Personen betrachtet, wird nie innerhalb der verschiedenen Erscheinungsformen juristischer Personen differenziert. Es ist fraglich, ob sich der Reputationsschutz wirtschaftlich agierender Unternehmen nicht von dem nicht-wirtschaftlicher Organisationen wie Stiftungen oder Parteien7 zu unterscheiden hat.8 Während zudem im Gegensatz zum deutschen Recht die juristischen Personen des öffentlichen Rechts im russischen Recht zu einer eigenen Rechtssubjektskategorie gehören,9 zählen die Personengesellschaften zu den juristischen Personen.10 Um das zu betrachtende Rechtssubjekt zu bestimmen, ist im Folgenden auch die Einteilung der einzelnen Organisationsformen nach dem russischen Recht zu betrachten (B.)
A. Begriff Zur Erfassung des Begriffsverständnisses der juristischen Person sind die im Gesetz vorzufindenden Bestimmungen zu betrachten (I.). Anschließend werden die wichtigsten Theorien dargestellt (II.).
I. Gesetzliche Bestimmungen Zu den Subjekten des Zivilrechts zählen natürliche und juristische Personen11 und öffentlich-rechtliche Gebilde (die Russische Föderation, ihre Subjekte und 7 Können u. a. als juristische Person gegründet werden, vgl. . 8 So wäre dies im deutschen Recht entscheidend für die Frage, welche Rechtsbehelfe eine juristische Person geltend machen kann. Dies wird relevant, wenn es etwa um das Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geht, das nur auf Gewerbeinhaber angewendet werden kann, Wagner, in: MüKo, § 823 Rn. 316 ff.; Förster, in: BeckOK BGB, § 823 Rn. 179. 9 Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 1, S. 284, 286 f., staatliche und kommunale Einrichtungen gelten als eigenständige, besondere Rechtssubjekte, hier bezeichnet als Subjekte „sui generis“; Ostinstitut Wismar, Rechtsform der juristischen Person des öffentlichen Rechts eingeführt, spricht dagegen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wenngleich diese von dem deutschen Äquivalent in einigen Punkten zu unterscheiden seien; eine strenge Unterscheidung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts gibt es in Russland so nicht, vgl. Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation – Erster Teil – Textübersetzung mit Einführung, S. 30. 10 Šitkina u. a., Korporativnoe Pravo, S. 13; vgl. auch die Aufzählung und Unterscheidung bei Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 221 f. Ausgenommen ist die „einfache Genossenschaft“/„prostoe tovariščestvo“, Artt. 1041 ff. ZGB, die insofern vergleichbar ist mit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, §§ 705 ff. BGB. 11 Der Begriff „juristische Person“, der im Russischen mit „juridičeskoe lico“ eine wört-
A. Begriff
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die Kommunen), geregelt in den Artt. 17, 48, 124 ff. ZGB. Das Institut der juristischen Person wird im vierten Kapitel des ZGB in den Artt. 48–123 ZGB geregelt. Nach der Legaldefinition in Art. 48 P. 1 ZGB ist eine juristische Person eine Organisation, die über ein eigenes Vermögen12 verfügt und damit für ihre Verbindlichkeiten haftet.13 Sie kann in ihrem Namen zivilrechtliche Rechte erwerben, wahrnehmen, zivilrechtliche Pflichten tragen und Klägerin oder Beklagte vor Gericht sein. Zu ihren Merkmalen zählt die Literatur ihre organisatorische Einheit, ihr abgesondertes Vermögen, ihre eigenständige Vermögensverantwortung und das Auftreten im eigenen Namen im Zivilverkehr.14 Obwohl zu den juristischen Personen nicht nur kommerzielle Organisationen zu zählen sind, wird der Begriff der juristischen Person vielerorts mit dem kommerzieller Organisationen gleichgesetzt.15 So wird auf die unternehmerische und vermögensbezogene Ausrichtung, die Profiterzielung, die Vermögensabsonderung und die Risikominimierung der juristischen Person abgestellt.16 Oftmals wird sowohl in der Literatur17 als auch im Gesetz18 von „Organisation“ statt juristischer Person gesprochen.19 Unter den sowjetischen Wissenschaftlern wurde vertreten, die Begriffe seien deckungsgleich.20 Teilweise mag die Verwendung des Terminus Ergebnis fahrlässiger Ungenauigkeit sein, erscheint richtigerweise aber eher als Oberbegriff aller organisatorischen Strukturen. Die wissenschaftliche Untersuchung des Begriffs der „Organisation“ und der „Organisiertheit“ spielt vereinzelt eine Rolle, wird aber nicht als ausschlagliche Entsprechung darstellt, ist dem deutschen Recht entlehnt, Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 18. 12 Wörtl. „abgesondertes Vermögen“/„obosoblennoe imuščestvo“. 13 „Otvečaet im po svoim objazatel’stvam“. 14 Eliseev, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 48 P. 1, S. 111; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 184; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 115 f. 15 Vgl. etwa die Beiträge von Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17; Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12; Gavrilov, Jurist 16 (2016), 37; Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7; Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157. 16 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 52; Suchanov, Sravnitel’noe korporativnoe pravo, S. 5 f., aus: Konsul’tant Pljus, der die kommerziellen Gesellschaften behandelt, gleichzeitig aber juristische Personen im Allgemeinen definiert und dann die Notwendigkeit der Unterscheidung zu nichtkommerziellen Personen erkennt. 17 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, aus: Konsul’tant Pljus; Gleichsetzung mit „Kollektiv“ und „Organisation“ bei Kutafin, Sub”ekty konstitucionnogo prava Rossijskoj Federacii kak juridieskie i priravnennye k nim lica, S. 20. 18 Vgl. darunter nur Art. 43 das Massenmediengesetz, Föderalgesetz „Über die Massenmedien“ („O sredstvach massovoj informacii“), vom 27.12.1991 (in der Fassung vom 18.04.2018), Nr. 2124–1, abrufbar unter: . 19 Demgegenüber kritisch auch Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (84). 20 Krasavčikov, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 1 (1976), 47 (47 ff.); Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 111, bezeichnet dies als die „Theorie der Organisation“.
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gebend betrachtet.21 Gleiches gilt für die Abgrenzung zu den „Subjekten unternehmerischer Tätigkeit“.22 Unter diese fallen sowohl natürliche als auch juristische Personen.23
II. Rechtstheorien zur juristischen Person Die Verfassung und die Gründung der Russischen Föderation mit einem liberalisierten marktwirtschaftlichen System bewogen eine Änderung im Verständnis der juristischen Person. Zum einen wurde die Frage aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung von (Privat-)Unternehmen zunehmend aktueller. Zum anderen verschob sich die Diskussion von der Frage, wer hinter der juristischen Person steht, zur Frage der konkreten Ausgestaltung und der Rechte und Pflichten der juristischen Person.24 Ein entscheidender Unterschied innerhalb der verschiedenen Theorien zeigt sich bei der Frage, ob das Recht die Rechtssubjektivität verleiht, oder ob diese unabhängig von gesetzlichen Normierungen besteht. An dieser Stelle soll keine umfassende Betrachtung der Theoriebildung der juristischen Person erfolgen.25 Betrachtet werden sollen im Folgenden die für das heutige Verständnis bedeutsamsten Theorien.26
1. Fiktionstheorie Die sog. Fiktionstheorie27, die insbesondere auf Savigny28 zurückgeht,29 betrachtet die juristische Person als fiktiv durch das Gesetz geschaffenes Sub21 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 10, hält die Auseinandersetzung mit der Frage für wichtig, beklagt jedoch eine abnehmende Beachtung der Frage in der jüngeren Literatur. 22 „Sub”ekty predprinimatel’skoj dejatel’nosti“; so betrachtet dies etwa Mordochov, Sposoby zaščity delovoj reputacii sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 70, nach dem die Geschäftsreputation ein ausschließliches Rechtsgut dieser Subjekte sein soll, während alle anderen Rechtsverkehrsteilnehmer über eine „professionelle“ Reputation verfügen sollen; vgl. auch bei Archiereev, Jurist 11 (2018), 47. 23 Das gemeinsame Merkmal ist die unternehmerische Tätigkeit, die sowohl kommerzielle Organisationen, Einzelunternehmer, selbstständige Erwerbstätige und unternehmerische Vereinigungen innehaben können, Mordochov, Sposoby zaščity delovoj reputacii sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 11. 24 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 8, 9 beschreibt die sich aus der politischen Veränderung ergebenden Herausforderungen für die Wissenschaft. 25 Dies würde wohl dem Umfang einer separaten Monografie entsprechen. 26 Ausgelassen werden an dieser Stelle insbesondere einige Theorien sowjetischer Rechtsgelehrter. Verwiesen werden soll hier auch auf die Ausführungen in Kap. 2 C. 27 „Teorija fikcija“. 28 Nach Savigny ist die Rechtsfähigkeit der juristischen Person streng von der des Menschen zu unterscheiden und setzt voraus, dass sie explizit etwa durch Gesetz zugewiesen wird, Savigny, System des heutigen Römischen Rechts II, 1840, § 85 S. 236, zit. nach Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 198, 199. 29 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 109, 152, 182.
A. Begriff
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jekt.30 Die Registrierung der juristischen Person ist dafür Bedingung ihrer rechtlichen Wahrnehmung.31 Die Fiktionstheorie bleibt bis heute Grundlage des gesetzgeberischen Ansatzes.32 Auch in der Literatur findet sie weiterhin Unterstützung.33 Zentral ist, dass die juristische Person ein eigenes, abgesondertes Vermögen besitzt, zu dessen Verwaltung sie speziell für die Teilnahme am Rechtsverkehr gegründet wird.34 Suchanov bezeichnet dies als „personifiziertes Vermögen“.35 Demnach ist die juristische Person aufgrund ihrer Vermögensinhaberschaft selbstständiges Subjekt ziviler Rechtsverhältnisse.36 Dem legt Suchanov das Bild eines Schilds zugrunde, das den eigentlichen Zweck der Konstruktion der juristischen Person darstellt: der Schutz der an ihr teilnehmenden Personen vor persönlicher Haftung.37 Die juristische Person wird hier allein auf ihre Art und Weise der Organisation wirtschaftlicher Tätigkeit reduziert.38 Dabei wird das Vermögen unabhängig von den Gründern durch die juristische Person personifiziert.39 Die Inhaberschaft dieses Vermögens erscheint hier als wichtigste Grundvoraussetzung.40 Die juristische Person stellt in Hinblick auf ihr künstliches Entstehen das Gegenstück zur natürlichen Existenz des Menschen dar.41
30 An dieser Stelle ist mit Schmidt und Flume darauf zu verweisen, dass „fiktiv“ nach Savigny keinesfalls als realitätsnegierend zu verstehen ist. Vielmehr begründet sich die Fiktion oder die Künstlichkeit durch die Betrachtung der juristischen Person als Gegensatz zur natürlichen Person, die aufgrund Ihres „Seins“ subjektive Rechte innehat und diese nicht staatlicherseits verliehen bekommen muss, Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 194 ff.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band/Zweiter Teil, Die juristische Person, S. 3 ff. 31 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 180. 32 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 182; Andreev, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 6 (2015), 1 (4), aus: Konsul’tant Pljus; Zaboev, Zakon 3 (2015), 1 (6), aus: Konsul’tant Pljus. 33 Bogdanov, Sovremennoe pravo 11 (2011), 89 (89 ff.); ähnlich auch Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 174; Šeršenevič, Učebnik russkogo graždanskogo prava (po izdaniju 1907 g.), S. 89–91, zit. nach Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 174. 34 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 174. 35 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 176, 177; Suchanov, Sravnitel’noe korporativnoe pravo, S. 6, aus: Konsul’tant Pljus; eng mit der Fiktionstheorie verwoben ist daher die „Theorie der Personifizierung“/„teorija olicetvorenija“, Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (71). 36 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 175. 37 Suchanov, Sravnitel’noe korporativnoe pravo, S. 6, aus: Konsul’tant Pljus. 38 Auch Savigny versteht die Vermögensfähigkeit als bestimmenden Inhalt der Rechtsfähigkeit der juristischen Person, siehe hierzu Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 198 Fn. 45. 39 Vgl. bei Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 175 ff. 40 Genkin u. a., Sowjetisches Zivilrecht, S. 173; Kozlova, Pravosub”ektnost’ juridičeskogo lica, S. 183, die Autorin selbst vertritt aber eine andere Ansicht, zu dieser siehe dies. S. 186. 41 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (71).
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2. Theorie des künstlichen Konstrukts Die Annahme der Künstlichkeit der juristischen Person teilt auch die Theorie des künstlichen Konstrukts.42 Diese übt allerdings gleichzeitig Kritik an der Fiktionstheorie hinsichtlich der Bezeichnung der juristischen Person als „fiktiv“. Boryčeva verweist auf die künstliche Schaffung der juristischen Person, deren Rechtsfähigkeit sich alleine aus dem Gesetz ergebe.43 Kozlova hält der Begriffsbezeichnung „fiktiv“ zudem entgegen, dass es sich um ein reales Subjekt handele, das nicht von externen Faktoren wie der Registrierung abhänge. Der Begriff „fiktiv“ sei daher verfehlt.44 Es handele sich bei der juristischen Person vielmehr um ein reales Subjekt, dessen Handlungen auch ohne formale Rechtsvergabe wirkten.45 Danach sei die juristische Person nicht mit dem Vermögen gleichzusetzen oder alleine durch dieses bestimmt. Sie habe lediglich die Fähigkeit, Vermögen innzuhaben; dies entspringe der Rechtssubjektivität.46 Kozlova wendet sich entschieden gegen die Annahme der Fiktionstheorie, die Inhaberschaft von Vermögen führe zur Rechtssubjektivität.47 Diese Annahme verkenne, dass die juristische Person auch andere Qualitäten wie die Arbeitgeberschaft innehaben könne.48 Sie versteht die juristische Person daher als objektive gesellschaftliche Erscheinung, die durch eine selbstgegebene Notwendigkeit49 und nicht durch Fiktion begründet ist.50 Die Künstlichkeit ergebe sich in Abgrenzung zum Menschen als von diesem erschaffene Person.51 Das Recht nehme dabei die Rolle ein, eine rechtliche Rahmenbedingung zu schaffen, die der Natur der juristischen Person als künstlichem Konstrukt entspreche. Die juristische Person sei demnach nicht Fiktion, sondern „Analogie“ (zur natürlichen Person).52
42 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 186; Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 137; Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 52. 43 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 52. 44 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 186; zur Kritik an eben dieser Folgerung bereits supra, Fn. 30, darauf verweist Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 196; ebenso Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band/Zweiter Teil, Die juristische Person, S. 3 ff. 45 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 186; dies erinnert stark an die Genossenschaftstheorie Gierkes, siehe hierzu Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band/Zweiter Teil, Die juristische Person, S. 17 f. 46 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 186. 47 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 187. 48 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 187, 188. 49 „Estestvennaja neobchodimost’“. 50 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 192. 51 Und entspricht damit der eigentlichen Aussage Savignys, vgl. supra Fn. 28 und 30. 52 Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 192, 193.
A. Begriff
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3. Theorie der sozialen Realität Eine eigene Kategorie bilden die sog. „realistischen Theorien“.53 Näher einzugehen ist dabei auf die Theorie der sozialen Realität. Die auf Otto von Gierke zurückgehende Genossenschaftstheorie54 wurde für das sowjetische Recht maßgeblich von Genkin geprägt.55 Im Vordergrund steht dabei, dass die Verbandsperson als reales Rechtssubjekt anzusehen ist. Dies war vor dem Hintergrund des Sowjetrechts neu, da die juristische Person als eigenständige Person in der Realität hinter dem Staat oder seinen leitenden Verwaltungseinheiten zurückzustehen hatte. Bemerkenswert ist es daher, dass Genkin, wie auch Krasavčikov, die juristische Person als eigenständige Trägerin von Rechten und Pflichten mit eigenem Vermögen verstanden.56 Dabei wurde auch auf das hinter der juristischen Person stehende personelle Substrat verwiesen, dessen Verbindungen zueinander das eigentliche Wesen der juristischen Person ausmachten.57
4. Jüngere Theorien In jüngerer Zeit existieren vereinzelt Ansätze eines weniger formalistischen Verständnisses der juristischen Person. Archipov versteht die juristische Person als Rechtssubjekt, für welches menschliche Qualitäten, Eigenschaften und andere Elemente der menschlichen Persönlichkeit gebündelt und den jeweiligen organisatorischen Einheiten (dem Staat, den Gemeinden, privaten Unternehmen und anderen sozialen Gebilden) angegliedert werden, die für sich willensfähig sind.58 Hier wird – ohne zwischen dem sozialen Gebilde einerseits und der technischen Rechtsfigur andererseits zu unterscheiden – das menschliche oder personelle Substrat in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Diese Betrachtung unterscheidet sich daher besonders insofern von den obigen Herangehensweisen, als die juristische Person zumeist getrennt und unabhängig von den bei ihr beschäftigten Personen betrachtet wurde. Zudem steht der Vermögensfokus bei diesem Verständnis nicht an erster Stelle.59 53
Kozlova, Pravosub”ektnost’ juridičeskogo lica, S. 174 ff. Siehe hierzu die Darstellung bei Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 195, auch: die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit, S. 196. 55 Genkin, Problemy socialističeskogo prava, 1939 Nr. 1, Juridičeskie lica v sovetskom graždanskom prave, S. 91–92, zit. nach Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 174 Fn. 1; ebenfalls zit. in Genkin u. a., Sowjetisches Zivilrecht, S. 173. 56 Genkin, Problemy socialističeskogo prava, 1939 Nr. 1, Juridičeskie lica v sovetskom graždanskom prave, S. 91–92, zit. nach Kozlova, Ponjatie i suščnost’ juridičeskogo lica, S. 174 Fn. 1. 57 Krasavčikov, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 1 (1976), 47 (49–50); ähnlich auch heute bei Šitkina u. a., Korporativnoe Pravo, S. Kap. 2, § 1; die juristische Person wird hier als „soziale“ Organisation beschrieben. 58 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (78). 59 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (86 f.), nennt dieses nicht als zentrales Merkmal. 54
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Suchanov fasst den modernen wissenschaftlichen Erkenntnisstand so zusammen, dass nicht die Künstlichkeit, sondern die Konstruktion der juristischen Person als zivilrechtliche Figur in den Vordergrund der Betrachtung zu stellen ist. Hierfür führt er ihren Hauptzweck an: die technische Nutzung zur Minimierung privater Haftung.60 Damit gilt für den russischen Rechtsbereich derselbe Befund, wie ihn Schmidt für den deutschen Bereich formuliert: Die Anerkennung der juristischen Person als Trägerin von Rechten und Pflichten ist eine „technische Selbstverständlichkeit“61; die Relevanz des Theorienstreits bleibt eine Frage der Wissenschaft, für positivistisches Recht spielen die Ansätze in ihren Einzelheiten eine geringere Rolle.62
5. Zwischenergebnis Für die russische Rechtswissenschaft ist im Bereich der juristischen Personen zu konstatieren, dass verschiedene Theorien nebeneinander bestehen, denen jeweils Geltung zuerkannt wird. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass die juristische Person als komplexe Erscheinung aufgefasst wird, der eine Theorie alleine nicht gerecht wird.63 Gleichwohl ist eine gewisse Nähe des Gesetzes und eine entsprechende Positionierung der wissenschaftlichen Literatur zur Fiktionstheorie nicht von der Hand zu weisen.
B. Einteilung der juristischen Personen Die juristischen Personen im russischen Recht lassen sich in kommerzielle und nichtkommerzielle Organisationen einteilen, vgl. Art. 50 P. 1 ZGB. Juristische Personen des öffentlichen Rechts existieren (so) nicht; die entsprechenden Rechtssubjekte wie staatliche und öffentlich-rechtliche Einrichtungen haben eine eigene Rechtssubjektsqualität und sind nicht den juristischen Personen zuzuordnen.64 Gleichwohl haben auch sie als Subjekte des Zivilrechts Geschäfts60 61
Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 178. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 194. 62 Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 193 f.; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band/Zweiter Teil, Die juristische Person, S. 21. 63 Suchanov, Sravnitel’noe korporativnoe pravo, S. 7 f., aus: Konsul’tant Pljus, stellt ebenfalls das Fehlen eines einheitlichen Verständnisses fest; ebenso Boryčeva, Graždanskopravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 47; Kozlova, Pravosub”ektnost’ juridičeskogo lica, S. 5, hält die Ermittlung des Wesens der juristischen Person sogar für perspektivlos; bzgl. der letztgenannten Ansicht ist a. A. Tarikanov, Juridičeskaja ličnost’ kommerčeskich organizacij v graždanskom prave Rossii, S. 7 f., der gerade die tiefe wissenschaftliche Auseinandersetzung für entscheidend hinsichtlich des rechtlichen Umgangs mit der juristischen Person hält. 64 Siehe bereits supra Fn. 9; die Schaffung der öffentlich-rechtlichen Gesellschaften ist
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und Rechtsfähigkeit. Auf sie werden, wenn sich nichts anderes aus dem Gesetz ergibt, die für juristische Personen geltenden Regeln zur Teilnahme am Rechtsverkehr angewendet, Art. 124 P. 2 ZGB.65 Der Begriff „Organisation“ wird grundsätzlich als Hyperonym verwendet.66 Die kommerziellen Organisationen zeichnen sich dabei insbesondere dadurch aus, dass die Gewinnerzielung Hauptzweck ihrer Tätigkeit ist.67 Dies ist bei nichtkommerziellen Organisationen nicht der Fall, zudem wird hier der erzielte Gewinn nicht unter den Mitgliedern aufgeteilt, Art. 50 P. 1 ZGB. Dabei liegt den Organisationsformen ein numerus clausus zugrunde.68 Zwar beinhaltet das ZGB keine abschließende Aufzählung der nichtkommerziellen Organisationen, es bestehen jedoch konkrete Formvorgaben, die eine freie Formwahl verbieten.69 Zu den nichtkommerziellen Organisationen gehören nach Art. 50 P. 3 ZGB insbesondere Verbraucherkooperativen, gesellschaftliche und religiöse Vereinigungen, Stiftungen, Fonds und Behörden70. Weiterhin sind die (nicht im ZGB genannte) nichtkommerzielle Gesellschaft71 und die nichtkommerzielle Partnerschaft dazu zu zählen.72 Zu den kommerziellen Organisationen gehören nach Art. 50 P. 2 ZGB insbesondere Personengesellschaften,73 Kapitalgesellschaften74 und Produktionsgenossenschaften.75 Daneben zählen auch staatliche und kommunale Einheitsunternehmen zu den kommerziellen Organisationen.76 Letztere sind Rudimente aus der sowjetischen planwirtschaftlichen Organisationsstruktur.77 eine Novelle aus dem Jahre 2016, Föderalgesetz „Über öffentlich-rechtliche Gesellschaften in der Russischen Föderation und über die Einführung von Änderungen in einzelnen gesetzgeberischen Akten der Russischen Föderation“ („O publično-pravovych kompanijach v Rossijskoj Federacii i o vnesenii izmenenij v otdel’nye zakonodatel’nye akty Rossijskoj Federacii“), vom 03.07.2016, Nr. 236-FZ, abrufbar unter: . 65 Nach Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 286, darf Art. 124 P. 2 ZGB nicht als Analogie jedweder Norm zu juristischen Personen verstanden werden (etwa die Errichtung oder die Liquidation von Gesellschaften); vielmehr eröffnet Art. 124 P. 2 ZGB die Möglichkeit, öffentlich-rechtliche Personen in den persönlichen Anwendungsbereich aufzunehmen, wenn es um die gesetzliche Regelung bestimmter Rechtsverhältnisse geht, an denen auch juristische Personen teilnehmen. 66 Vgl. dazu bereits supra A. I. dieses Kap. 67 Vgl. auch Wedde/Göckeritz, Das neue russische GmbH-Recht, S. 10. 68 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 120; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 181. 69 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 182. 70 „Učreždenie“. 71 „Nekommerčeskoe tovariščestvo“. 72 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 257. 73 „Chozjajstvennoe tovariščestvo“. 74 „Chozjajstvennoe obščestvo“. 75 „Proizvodstvennyj kooperativ“. 76 „Gosudarstvennye i municipal’nye predprijatija“. 77 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 178.
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Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person
Unter den (sowjetischen) Einheitsunternehmen waren reine Produktionsgebilde zu verstehen, die aus einem vermögenswerten Güterkomplex bestanden, ohne aber über eine darüberstehende Rechtsperson als Eigentumsinhaberin zu verfügen, da die volle Kontrolle des Eigentums dem „staatlichen Geschäftsführer“78 oblag.79 Während diese rein objektgeprägten Gebilde keinen eigenständigen Rechtssubjektswert hatten, stellt das heutige Verständnis einen Gegenentwurf dar. Suchanov führt aus, dass sich die reine Objektbezogenheit auf die Fabriken, Betriebe oder auch Läden bezieht, vgl. Art. 132 ZGB.80 Daneben besteht eine eigene Rechtssubjektivität der juristischen Person. Die heute bestehenden Einheitsunternehmen unterscheiden sich dabei in der Rolle der Rechtsinhaberschaft der Gesellschafter von den sonstigen kommerziellen Organisationen. So sehen die kommerziellen Organisationen schuldrechtliche Anspruchsrechte der Gesellschafter, teilweise auch als „Gesellschafterrechte“81 bezeichnet, vor. Daneben ist die juristische Person selbst Eigentümerin ihrer Vermögenswerte. Die Einheitsunternehmen haben dagegen kein Eigentum. Dieses liegt nach wie vor bei ihren Gesellschaftern.82 Eingehende Regelungen zu den Personen- und Kapitalgesellschaften finden sich unter § 2 in den Artt. 66 ff. ZGB als „kommerzielle Körperschaften“.83 Sie vereinen verschiedene Gemeinsamkeiten, darunter nach Art. 66 P. 1 ZGB, dass die Gründer jeweils Kapitalanteile halten. Das erlangte Vermögen verbleibt dabei bei der Personen- oder Kapitalgesellschaft. Die Personengesellschaften sind wiederum unterteilt in „volle“84 Personengesellschaften, Artt. 69 ff. ZGB, und in die Kommanditgesellschaft,85 Artt. 82 ff. ZGB. Diese Unterteilung entspricht auch derjenigen der Personengesellschaften im deutschen Recht, mit dem großen Unterschied, dass die Personengesellschaften dort gerade nicht zu den juristischen Personen zählen86 und jedenfalls die GbR in Form ihrer Handlungen nach außen (teil-)rechtsfähig ist.87 Zu den Kapitalgesellschaften zählen die Gesellschaft mit beschränkter Haftung,88 geregelt in den Artt. 87 ff. ZGB, 78
„Gosudarstvo-učreditel’“. Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 178–179. Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 180. 81 „Korporativnye prava“, vorzugswürdig nach Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 183. 82 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 183, hier macht sich der insofern anhaltende Einfluss der Planwirtschaft bemerkbar. 83 „Korporativnaja organizacija“. 84 „Polnoe“. 85 „Tovariščestvo na vere“. 86 Auch sie können sich aber ähnlich den Kapitalgesellschaften auf das (Unternehmens-) Persönlichkeitsrecht berufen, siehe BGH, Urteil vom 08.07.1980 – VI ZR 177/78, GRUR 1980, 1090 (1092). 87 BGH, Urteil vom 29.01.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 (1058); Stürner, in: Jauernig, § 705 Rn. 1. 88 „Obščestvo s ograničennoj otvetstvennost’ju“. 79 80
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und die Aktiengesellschaft89, Artt. 97 ff. ZGB. Der auffälligste Unterschied zwischen den Personen- und Kapitalgesellschaften besteht im Verhältnis der einzelnen Gesellschafter zueinander: Während die Personengesellschaften durch ein persönliches Vertrauensverhältnis geprägt sind, existiert ein solches Element zwischen den Mitgliedern der Kapitalgesellschaft nicht. Dieser Unterschied wird bei Fragen zum Reputationsschutz indes nicht beachtet.90 Die juristischen Personen werden insofern alle gleichbehandelt.91 Die kommerziellen juristischen Personen kennzeichnet zudem das Merkmal der unternehmerischen Tätigkeit.92 Diese setzt Gewinnerwirtschaftung als Gesellschaftszweck voraus.93 Die Rechtsanwaltstätigkeit wird nicht dazu gezählt.94 In der Literatur findet sich die Position, nicht alle juristischen Personen könnten sich auf die Geschäftsreputation berufen. Zu trennen sei nach der Art der Tätigkeit. Für die Geschäftsreputation sei eine unternehmerische Tätigkeit Voraussetzung.95 Für die juristischen Personen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen und damit schutzlos dastünden, müssten weitere Rechtsgüter, wie die „professionelle Reputation“ oder die „Reputation für Dienste“, geschaffen werden.96 Die Rechtsprechungspraxis hat dies nicht übernommen. Die vorliegende Arbeit legt ihren Schwerpunkt auf die kommerziellen Organisationen.97 Stellenweise wird punktuell auch auf den Reputationsschutz anderer juristischer Personen eingegangen.
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„Aktionernoe obščestvo“. nur Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 96; Afanas’eva/Belova, Jurist 8 (2002), 29 (29); Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, passim; anders Mordochov, Sposoby zaščity delovoj reputacii sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 69 ff. 91 Dies gilt für alle juristischen Personen, so kann sich auch eine Universität auf ihre Geschäftsreputation berufen, OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015. 92 „Predprinimatel’skaja dejatel’nost’“. 93 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 1; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 181. 94 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 1. 95 Nach Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 36, soll die Geschäftsreputation beschränkt sein auf die „Business-Sphäre“/„biznes-sredа“; Mordochov, Sposoby zaščity delovoj reputacii sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 70; a. A. Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 116. 96 „Služebnaja reputacija“, Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 36. 97 Diesen kommt die größte praktische Bedeutung zu, vgl. Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 223. 90 Vgl.
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Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person
C. Rechtliche Stellung der juristischen Personen im russischen Recht Das Institut der juristischen Person steht exemplarisch für das noch vergleichsweise junge zivilrechtliche Rechtssystem der Russischen Föderation. So kam es im Jahre 2014 zu einer umfassenden Gesetzesnovelle, die insbesondere organisatorische Fragen der juristischen Person und die nichtkommerziellen Organisationen betraf.98 Keine Änderungen erfuhren dagegen die Regelungen zu den immateriellen Gütern und Rechten. In der Literatur wird dies in Anbetracht des erklärten gesetzgeberischen Ziels der Festigung und Ausweitung der Anerkennung des rechtlichen Status juristischer Personen kritisiert.99 Im Folgenden sollen daher der Status, den die juristische Person im Rahmen ihrer Rechtssubjektivität innehat, und die Ausgestaltung ihrer rechtlichen Persönlichkeit im Hinblick auf Rechts- und Geschäftsfähigkeit (I.) und Persönlichkeit(-sfähigkeit) (II.) betrachtet werden.
I. Rechts-, Handlungs- und Deliktsfähigkeit Mit dem Moment der Registrierung erlangt die juristische Person Rechtsfähigkeit,100 Art. 49 P. 3, Art. 51 P. 2, 8 ZGB.101 Grundsätzlich entspricht die Rechtsfähigkeit der Inhaberschaft der Rechte, die den Zielen der Tätigkeit entsprechen, die in den Gründungsdokumenten vorgegeben ist, Art. 49 P. 1 ZGB. Die Rechtsfähigkeit wird bei kommerziellen Organisationen als umfassende Rechtsfähigkeit102 verstanden, d. h. die juristische Person ist nicht auf die durch Gesetz und durch ihre eigene Zwecksetzung verliehenen Rechte beschränkt. Dies ergibt sich aus Art. 49 P. 1 S. 2 ZGB. Eine spezielle Rechtsfähigkeit gilt dennoch in dem Fall, in dem kommerzielle juristische Personen eine bestimmte Zweck-
98 Änderungsgesetz „Über Änderungen im Kapitel vier des ersten Teils des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation und über die Anerkennung von außer Kraft getretenen Regelungen der Gesetzgebung der Russischen Föderation“ („O vnesenii izmenenij v glavu 4 časti pervoj Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii i o priznanii utrativšimi silu otdel’nych položenij zakonodatel’nych aktov Rossijskoj Federacii“), vom 05.05.2014, Nr. 99-FZ. 99 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 51. 100 Die Begriffe der Rechts-, Handlungs-, Geschäfts-, und Deliktsfähigkeit wie auch ihr Verhältnis zueinander sind umstritten, siehe dazu etwa Tarikanov, Juridičeskaja ličnost’ kommerčeskich organizacij v graždanskom prave Rossii, S. 10. 101 Vor der Registrierung wird eine Teilrechtsfähigkeit durch die Gerichte anerkannt. 102 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 189, 190; Eliseev, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 48 P. 1, S. 116, 117; oder auch „universelle“, Pashchenko, in: Einführung in das russische Recht, S. 217.
C. Rechtliche Stellung der juristischen Personen im russischen Recht
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festsetzung in den Gründungsdokumenten103 veranlassen oder bei denen die Zweckfestsetzung durch hoheitlichen Akt festgelegt wird.104 Für den Ansehensschutz stellt sich auch die Frage des Schutzes vor Eintragung. Das Ansehen erscheint im Moment der Statuslosigkeit als besonders schutzwürdig. Anerkannt ist, dass auch vor der Rechtsfähigkeit durch Eintragung bestimmte Vermögens- und Gesellschaftsrechte bestehen.105 Damit steht jedenfalls grundsätzlich die fehlende Rechtsfähigkeit dem Persönlichkeitsschutz auch vor Eintragung nicht entgegen.106 Die juristische Person formiert sich entsprechend dem Willen ihrer Gründer.107 Sie erlangt mit der Rechtsfähigkeit auch ihre Handlungsfähigkeit, Art. 49 P. 3, Art. 51 P. 2 ZGB.108 Laut Suchanov ist Art. 53 P. 1 ZGB zu entnehmen, dass die juristische Person selbst handlungsfähig ist.109 Bogdanov tritt dem entgegen und hält die juristische Person nur durch ihre Organe und damit nicht selbst für handlungsfähig.110 Vor dem Hintergrund der Frage der rechtlichen Stellung ist auch an die Frage der Deliktsfähigkeit der juristischen Person zu denken. Grundsätzlich ist, ausgehend vom Schuldprinzip, das Vorliegen der Schuld und damit die Verschuldensfähigkeit Voraussetzung der deliktsrechtlichen Haftung.111 Art. 56 ZGB regelt die Verantwortlichkeit der juristischen Person. Danach haftet diese in P. 1 der Vorschrift mit ihrem Vermögen für ihre Verbindlichkeiten. Dies sagt allerdings nichts über die Deliktsfähigkeit der juristischen Person, sondern nur über ihre Verantwortlichkeit aus. Der Literatur ist indes zu entnehmen, dass sich die „Deliktsfähigkeit“ der juristischen Person allein „aus fremder Schuld“ ergibt,112 103 Dies wird durch Pashchenko, in: Einführung in das russische Recht, S. 218, als „statutarische Selbstbeschränkung“ bezeichnet; insbesondere für kommerzielle Organisationen wurde diese Bestimmung „missbraucht“, indem zur Erweiterung und Sicherstellung des eigenen Rechtespektrums der Tätigkeitskatalog extrem weit gefasst wurde, so Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 190. 104 Eliseev, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 48 P. 1, S. 116; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 190; Tarikanov, Juridičeskaja ličnost’ kommerčeskich organizacij v graždanskom prave Rossii, S. 63, 64, führt auch aus, dass die Rechtsfähigkeit gespalten sei, da sie nur durch die dahinterstehenden Personen und deren Kapitalübertragung entstehen könne. Mit der Ausstattung von Vermögen erlange die juristische Person aber eine eigene Rechtsfähigkeit (Tarikanov meint hier vermutlich nicht die technische Erlangung der formalen Rechtsfähigkeit). 105 Andreev, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 6 (2015), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus. 106 Vertiefend zum Reputationsschutz vor Eintragung, siehe Kap. 5 A. III. 107 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 196. 108 Genannt ist hier nur die Rechtsfähigkeit, nach Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 189, gehört hierzu aber auch die Handlungsfähigkeit. 109 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 192. 110 Bogdanov, Sovremennoe pravo 11 (2011), 89 (94 f.); ebenso Vlasova u. a., Pravo i Ėkonomika 9 (2015), 1 (5). 111 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 462; Tarikanov, Juridičeskaja ličnost’ kommerčeskich organizacij v graždanskom prave Rossii, S. 158. 112 Tarikanov, Juridičeskaja ličnost’ kommerčeskich organizacij v graždanskom prave
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Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person
mutatis mutandis zugerechnet wird.113 Die juristische Person ist damit nicht selbst deliktsfähig.
II. Persönlichkeit(-sfähigkeit) juristischer Personen Ebenso wie im deutschen Recht nutzt das russische Recht den Begriff „Person“114 kategorieübergreifend für alle Teilnehmer am Rechtsverkehr. So gibt es neben den juristischen Personen begrifflich auch natürliche Personen.115 An vielen Stellen findet sich daneben die Verwendung des Terminus „Persönlichkeit“116 juristischer Personen. Dies ist allerdings nicht mit dem Begriff der Persönlichkeit als Ausdruck der Individualität eines Menschen und dessen Charaktereigenschaften zu verwechseln. Vielmehr wird „Persönlichkeit“ als Ersatz für das Wort „Kategorie“ (juristischer Personen) verwendet und ist mehr Typenbezeichnung als Adressierung der geistig-seelischen Komponente der juristischen Person.117 Auch die oben dargestellten Theorien zeigen, dass die Fragen zur Natur juristischer Personen besonders deren (Teil-)Rechtsfähigkeit und ihren Ent- bzw. Bestehensgrund betreffen.118 Diese Schwerpunktsetzung lässt sich vermutlich historisch mit der Vormachtstellung des sowjetischen Staates erklären und ist Folge der Ausbildung eines auf westlichen Überlegungen basierenden Gegenmodelles, das seine Schwerpunkte in der Selbstständigkeit der juristischen Person und ihrer vermögensmäßigen Unabhängigkeit sieht. Dabei spielen die vermögensbezogenen Interessen und die Betonung des abgesonderten Vermögens eine entscheidende Rolle. So ist heute zweifellos anerkannt,119 dass die juristische Person als selbstständiges Rechtssubjekt eigene Rechten und Pflichten innehat und diese als ordentliche Teilnehmerin am Zivilrechtsverkehr wahrnehmen kann. Dies beantwortet nicht die Frage nach einem eigenen Persönlichkeitswert der juristischen Person. Zwar ist die juristische Person eine „Rechtspersönlichkeit“ im soeben beschriebenen rechtssubjektsbezogenen Sinne, für die Frage Rossii, S. 187: „[…] deliktosposobnost’ […] osnovana isključitel’no na otvetstvennosti za čužuju vinu“. 113 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 194. 114 „Lico“. 115 „Fizičeskoe lico“, wörtl. „physische Person“, wird in der Regel „Bürger“/„graždanin“ genannt. 116 „Ličnost’“. 117 Vgl. etwa Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 221, der die unterschiedlichen Typen von Organisationen entsprechend ihrer gesetzlich vorgegebenen Merkmale unter dem Stichwort „Persönlichkeit“ beschreibt. 118 Siehe supra A. 119 So formuliert auch Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 194, die juristische Person sei „zu einer handhabbaren Kategorie geworden“.
C. Rechtliche Stellung der juristischen Personen im russischen Recht
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ihres Persönlichkeitsschutzes ist aber zu erforschen, inwiefern ein eigenes „Persönlichkeitssubstrat“ der juristischen Person im russischen Recht besteht.120 Im deutschen Recht behandeln Rechtsprechung und Wissenschaft die Frage der Persönlichkeit oder des Persönlichkeitswertes juristischer Personen ausgiebig.121 Die Ausgestaltung der Rechte ergibt sich in Abhängigkeit von der Antwort dieser Frage. Das Schutzniveau hängt entscheidend davon ab, ob ihrem Wesen und ihrer Funktion nach ein solcher Schutz zugutekommt (zugutekommen soll).122 Forderungen123 in der russischen Wissenschaft nach einer Gleichsetzung der Rechtsstellung der juristischen mit den natürlichen Personen und der damit verbundenen Ausdehnung des Persönlichkeitsschutzes juristischer Personen werfen die Frage nach der rechtlichen Legitimation einer Ausdehnung auf. Eine solche Legitimation setzt voraus, dass die juristische Person gleichermaßen schutzbedürftig ist, oder andere Gründe bestehen, die eine Gleichstellung rechtfertigen können. Diese Überlegungen werden im russischen Recht nicht thematisiert.124 Die Gleichstellung könnte ihren Begründungsansatz im Wesen der juristischen Person finden. Die Schlüsse, die sich aus dem Gesetz (1.), der Rechtsprechungspraxis (2.) und der wissenschaftlichen Literatur (3.) im Hinblick auf eine „Persönlichkeit“ der juristischen Person abseits ihrer rein technischen und konstruierten Natur ziehen lassen, sollen daher im Folgenden betrachtet werden.
1. Gesetzliche Regelungen In den Artt. 17–64 Verf. RF sind die Rechte und Freiheiten des Menschen und des Bürgers geregelt. Einen Art. 19 III GG vergleichbaren Artikel enthält die Verfassung der Russischen Föderation nicht.125 Dem Wortlaut der Verfassung 120 Um in den folgenden Kapiteln zu erörtern, inwiefern sich daraus Schutzansprüche ergeben. 121 Ob es ein Persönlichkeitsrecht juristischer Personen oder jedenfalls ein „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ gibt, ist dagegen umstritten. Erwähnung findet es bei Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 46; Cronemeyer, AfP 2 (2014), 111 (111); anerkannt auch in der Rspr. von BGH, Urteil vom 03.06.1986 – I ZR 102/85, NJW 1986, 2951 (2951), BGH, Urteil vom 08.02.1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281 (1282); abgelehnt von Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1065). 122 Für Personengesellschaften, BGH, Urteil vom 08.07.1980 – VI ZR 177/78, GRUR 1980, 1090 (1092); für Kapitalgesellschaften BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85, GRUR 1986, 759 (761); BGH, Urteil vom 08.02.1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281 (1282). 123 Statt vieler nur Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (106 ff.); Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2011), 44 (44 ff.); im Ergebnis auch Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (159 f.). Siehe zu den Stimmen, die für eine Ausweitung des Rechtsschutzes im Bereich der Schadensersatzansprüche plädieren infra Kap. 6 Fn. 550. 124 Angedeutet ohne tiefere Auseinandersetzung bei Zacharov, ĖŽ-Jurist 9 (2014), 1 (2 f.), aus: Konsul’tant Pljus. 125 Vgl. dazu supra Kap. 3 A.
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Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person
lässt sich die Anerkennung oder der Schutz von Eigenschaften wie der Würde, Ehre oder Reputation juristischer Personen nicht entnehmen. Auf einfachgesetzlicher Ebene wird einer etwaigen „Persönlichkeit“ juristischer Personen ebenfalls keine Beachtung geschenkt. Anerkannt ist die Geschäftsreputation als Eigenschaft juristischer Personen, Art. 152 ZGB. Teilweise wird die juristische Person auch nicht vom Schutz der „Ehre“ oder „Würde“ ausgenommen, vgl. Art. 57 Massenmediengesetz. Anerkannt ist aber, dass dies keine Eigenschaften juristischer Personen sind.126 Die in diesem Zusammenhang erfolgte Nennung der juristischen Person ist als gesetzgeberisches Versehen zu werten.127 Im Gegensatz zur an dieser Stelle konkret benannten Eigenschaft schützt Art. 1064 P. 1 ZGB die „Persönlichkeit“ der natürlichen Person. Der juristischen Person wird dagegen nur Vermögensschutz zugesprochen, Art. 1064 P. 1 ZGB. Ein ausdrücklicher Schutz lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
2. Rechtsprechungspraxis Auch in der Rechtsprechung findet sich keine Ausführung zu einer sich aus dem Gesetz ergebenden eigenschaftsbezogenen Persönlichkeit oder Identität juristischer Personen. Die Gerichte orientieren sich stets an der vom Verfassungsgericht entwickelten Formel, die der Formulierung in Art. 19 III GG ähnelt: Das Verfassungsgericht befindet alle Rechte und Freiheiten des Menschen insoweit auf juristische Personen anwendbar, als das Recht seiner Natur nach auf die juristische Person Anwendung findet.128 In diesem Urteil verweist das Verfassungsgericht auf die unterschiedliche Bedeutung von Eigentum und der Eigentumsfreiheit.129 Natürliche Personen verfügen danach über kein getrenntes Vermögen. Das Vermögen hat für sie nicht nur wirtschaftlichen Charakter, sondern eine eigene, persönliche Komponente, die unabdingbar für die Wahrnehmung ihrer unveräußerlichen Rechte ist. Die juristische Person dagegen genießt Eigentumsfreiheit allein in Bezug auf ihre unternehmerische Tätigkeit. Der Aussage „Das Vermögen des Bürgers ist in diesem Sinne juristisch nicht begrenzt“130 lässt sich im Umkehrschluss entnehmen, dass eine Begrenzung bei den juristischen Personen vorliegt. Diese Begrenzung zeigt sich in der Wahrnehmung des Eigentums als Mittel zur Umsetzung unveräußerlicher, persönlicher Rechte. Zwar werden diese Rechte nicht genauer spezifiziert. Den Ausführungen lässt sich aber entnehmen, dass die Ver126 127
Eingehend zu den Schutzgütern juristischer Personen siehe infra Kap. 5. Siehe dazu infra Kap. 5 A. I. 1. 128 Vfg., Urteil vom 17.12.1996, Nr. 20-P, P. 4; das Urteil erging in Bezug auf die Eigentumsfreiheit, Art. 35 Verf. RF. 129 Ibid. 130 „Imuščestvo graždanina v ėtom slučae juridičeski ne razgraničeno“.
C. Rechtliche Stellung der juristischen Personen im russischen Recht
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fassung die juristische Person allein in ihrer materiellen, wirtschaftlichen Ausrichtung schützt und sie auf diese begrenzt. Auffällig ist zudem, dass die Gerichte juristischen Personen nur die Geschäftsreputation zusprechen131 – die wiederum keine explizite Grundlage in der Verfassung findet.132 Die Rechtsprechung nutzt Art. 45 P. 2 Verf. RF zur Gleichstellung juristischer Personen im Persönlichkeitsschutz.133 So wird zwar ein entsprechendes Ergebnis erreicht, dies lässt aber nicht auf eine vergleichbare Ausgangslage schließen: Eine (geistige) Persönlichkeit juristischer Personen, die der Würde zugeschrieben werden kann, besteht deswegen nicht.
3. Wissenschaftliche Literatur Wie sich den obigen Ausführungen134 entnehmen lässt, stellen die wissenschaftlichen Behandlungen bei der Bestimmung der Natur der juristischen Person insbesondere die Unterschiede des Verständnisses zwischen dem sowjetischen und dem heutigen Recht heraus. Aus der Feststellung dieser „Emanzipation“ lässt sich aber nicht ableiten, dass juristischen Personen eine eigene geistig-seelische Komponente zugesprochen wird. Dargestellt wird in der Regel die Veränderung eines bloßen Organisations- und Verwaltungskörpers ohne selbstbestimmte Rechtsfähigkeit hin zu einem selbstständigen Rechtsträger. Begründet wird dies stets mit der Entwicklung des (kapitalorientierten) Marktes.135 Dabei geht das Verständnis über die Erscheinung der juristischen Person als reiner Rechtsverkehrsteilnehmerin hinaus und wendet sich ihr als selbstständige Führungs-, Leitungs- und Verwaltungseinheit zu.136 Gleichzeitig ist mit Solotych darauf hinzuweisen, dass der juristischen Person traditionell keine aus sich heraus entstehende Rechtsfähigkeit, sondern eine ausschließlich durch den Staat verliehene (und daher auch durch diesen beschränkbare) Rechtsfähigkeit zuerkannt wird.137 Ganz grundsätzlich kann festgehalten werden, dass eine juristische Person nach russischem Rechtsverständnis nicht über eine mit der menschlichen Persönlichkeit vergleichbare Persönlichkeit verfügt. Wenn von Persönlichkeit ge131 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3; dem folgend bis heute, siehe nur Entscheidung vom 02.05.2017, Nr. 48-КG17-4; Entscheidung vom 18.07.2018, Nr. 305-ĖS183354; 305-ĖS18-3354; Entscheidung vom 30.09.2019, Nr. 310-ĖS18-13120. 132 Auch nicht für natürliche Personen, geschützt ist für diese verfassungsrechtlich nur die Würde (Art. 21 P. 1 Verf. RF), die Ehre und der gute Name (Art. 23 P. 1 Verf. RF). 133 Siehe supra Kap. 3 A. 134 Siehe supra Kap. 2 und Kap. 4 A. II. 135 Andreev, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 6 (2015), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus; Suchanov, Sravnitel’noe korporativnoe pravo, S. 7, aus: Konsul’tant Pljus. 136 Andreev, Zakony Rossii: opyt, analiz, praktika 6 (2015), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 137 Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation – Erster Teil – Textübersetzung mit Einführung, S. 30.
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Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person
sprochen wird, dann ist die Stellung im Rechtsverkehr als eigenständige Person, die unabhängig von den dahinter stehen natürlichen Personen ist, gemeint.138 Auch die von Suchanov entwickelte Begrifflichkeit des „personifizierten Vermögens“ bezieht sich auf die Besonderheit des abgesonderten Vermögens als Haftungsmasse der juristischen Rechtspersönlichkeit. Diese begründet das Fehlen persönlicher Nichtvermögensrechte, da selbst die Geschäftsreputation allein auf der Teilnahme an Vermögensbeziehungen beruht.139 Krasavčikov unterscheidet die „juristische Person“ von der „juristischen Persönlichkeit“.140 Erstere umfasst danach die hinter der Person stehende Organisation, in der das Vermögen und ihr Rechtsstatus zusammengefasst werden und die dadurch als Rechtssubjekt des Zivilrechts tätig werden kann. Die Persönlichkeit dagegen betrachtet er als Beschreibung des Rahmens, der die Möglichkeit der Teilnahme am Rechtsverkehr absteckt.141 Die juristische Person ist damit vielmehr ein rechtliches Mittel142 und verfügt nicht über eine Persönlichkeit, die ihr bestimmte (menschliche) geistige Eigenschaften verschaffen könnte. Ebenso ergibt sich nicht etwa eine „kumulierte Persönlichkeit“ aus den einzelnen, hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen. So wird betont, dass sich das Rechtsinstitut der juristischen Person über seine Vermögensinhaberschaft sowie die Fähigkeit zur Inhaberschaft eines abgesonderten Substrats143 definiert und gerade nicht durch das „personelle Substrat“.144 Dieses „personelle Substrat“ ist eine Folge der Kollektivtheorie der sowjetischen Rechtswissenschaft und bezieht sich auf die Willensbildung durch alle Arbeiter und Angestellten der Organisation.145 Die juristische Person ist als Organisationskomplex gerade getrennt von diesen zu betrachten. Nicht gemeint ist also die rechtsgutsbezogene Überlegung, dass sich aus der Gesamtheit der 138
Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 60. Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 17; Popondopulo, Pravovoj režim predprinimatel’stva, Sankt-Petersburg, 1994, S. 94–96, zit. nach Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (78). 140 „Juridičeskoe lico“ und „juridičeskaja ličnost’“. 141 Krasavčikov, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 1 (1976), 47 (55). 142 Šitkina u. a., Korporativnoe Pravo, Kapitel 2, § 1. 143 So schon Genkin u. a., Sowjetisches Zivilrecht, S. 172 f. 144 Suchanov, Sravnitel’noe korporativnoe pravo, S. 7, aus: Konsul’tant Pljus; Rachmilovič V., „O tak nazyvaemom substrate juridičeskogo lica“, in: Problemy soveršenstvovanija sovetskogo zakonodatel’stva: Trudy VNIISZ, 29. Ausgabe, Moskau 1984, S. 116–118, zit. nach Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 178, Trägerin der Rechte und Pflichten sei allein die juristische Person, auf ein dahinterstehendes menschliches Subtrat komme es demnach nicht an. 145 Suchanov, Sravnitel’noe korporativnoe pravo, S. 8, aus: Konsul’tant Pljus; die Theorie des Kollektivs lieferte eine gute Erklärung für die Zurechnung deliktsrechtlich relevanter Handlungen der Arbeiter einer juristischen Person als Handlungen der juristischen Person selbst, Tarikanov, Juridičeskaja ličnost’ kommerčeskich organizacij v graždanskom prave Rossii, S. 176. 139
C. Rechtliche Stellung der juristischen Personen im russischen Recht
101
hinter der juristischen Person stehenden Personen eine Kollektivwürde ergibt, die als Grundlage von Rechten und Ansprüchen sowie als gewichtiges Interesse in der Abwägung gegenüber der Meinungsfreiheit dienen könnte. Als Theorie sowjetischer Rechtsgelehrter kann sie wohl spätestens zum Übergang in eine marktwirtschaftlich organisierte Wirtschaftsordnung der Russischen Föderation nicht mehr überzeugen. Vereinzelt klingen gleichwohl Überlegungen hinsichtlich der Stärkung des personifizierten Verständnisses juristischer Personen an. So vertritt Archipov die These der juristischen Person als selbstständige soziale Erscheinung.146 Dabei unterstreicht er zwei Wesenskerne: einen „gesamtsozialen“ und einen „gesamtrechtlichen“.147 Während Letzterer auf die Gesamteinbettung in das rechtliche System als Fortsetzung der juristischen Persönlichkeit des Menschen148 zu verstehen ist,149 beinhaltet die gesamtsoziale Komponente den Gedanken des gesamtgesellschaftlichen Zwecks der juristischen Person, durch die die natürliche Person ihre sozialen Fähigkeiten ausübt.150 Danach sei die juristische Person die „institutionalisierte Sozialität“ des Menschen,151 durch die – als getrennte Persönlichkeit – Interessen ausgeübt werden können.152 Im Unterschied zu den Theorien, die das personelle Substrat hervorheben,153 erkennt Archipov einen unabhängig davon bestehenden Willen und Fähigkeiten an, die nur der juristischen Person zu eigen sind.154 Diese Überlegungen sind aber vor dem Hintergrund der Ablehnung der Fiktionstheorie durch Archipov zu verstehen. Archipovs Kritik an dieser ist als Befürwortung der selbstständigen und als Verneinung der rein technisch-konstruktiven Rechtsnatur juristischer Personen zu verstehen. Gleichzeitig unterscheidet so auch Archipov trennscharf zwischen der „rechtlichen Maske“ einer juristischen Person, die verschiedenen Trägern zukommen kann (privat- wie auch öffentlich-rechtlichen Gebilden) und den natürlichen Personen, die psychische, physische und andere Fähigkeiten besitzen.155 Dementsprechend spricht er ihr zwar ähnliche Rechts- und Handlungsqualitäten zu, zählt aber gerade nicht die Würde, Ehre oder sonstige menschliche Empfindungen zu ihren Eigenschaften.156 146 147
Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (78 f.). „Obščesocial’naja suščnost’“ und „obščepravovaja suščnost’“, Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (78 f.). 148 „Prodolženie, vtoraja storona juridičeskoj ličnosti čeloveka“. 149 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (81). 150 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (78). 151 „V širokom smysle juridičeskoe lico – ėto oformivšajasja, institucionalizirovannaja social’nost’ čeloveka“. 152 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (79). 153 Siehe dazu bereits supra Kap. 2 Fn. 20. 154 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (82). 155 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (85–86). 156 Archipov, Pravovedenie 5 (2004), 71 (86–87).
102
Kapitel 4: Rechtssubjekt: Die juristische Person
Auch unabhängig von der Persönlichkeitsfrage werden nur vereinzelt menscheneigene Güter und Eigenschaften juristischen Personen zugeschrieben, aus denen sich eine eigene Art der Persönlichkeit ergeben könnte. Dazu zählt der sog. „Existenzanspruch“. Der Kern dieses „Rechts auf Bestehen“ ist aber gerade nicht ihr Selbstzweck, sondern die Inhaberschaft von Befugnissen, die mit dem (wirtschaftlichen) „Funktionieren“ zusammenhängen.157 An anderer Stelle wird von sozialen und humanitären Komponenten juristischer Personen gesprochen und vor dem Hintergrund der gesetzlichen Festigung des Instituts die soziale, politische und kulturelle Bedeutung als Rechtssubjekte betont.158 Die immateriellen Güter geben der juristischen Person danach eine bestimmte Werthaltigkeit, die die juristische Person als solche individualisieren und ein unverwechselbares Bild entstehen lassen.159 Eine solche Formulierung erinnert stark an das sich aus der Würde ergebende verfassungsrechtliche Verständnis des Menschen als individuelles Rechtssubjekt. Dies wird aber nicht auf juristische Personen übertragen. So stehen auch hier alle Bezugspunkte der juristischen Person in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer unternehmerischen und ertragsbezogenen Tätigkeit.160 Diese Überlegungen begründen die Forderung nach einer Erhöhung des Schutzniveaus immaterieller Güter juristischer Personen. Dies ist aber nicht etwa damit zu erklären, dass der juristischen Person eine eigenständige, menschengleiche Persönlichkeit zukommen soll. Vielmehr werden Wirtschaftsinteressen als ausreichende Rechtfertigung für eine Gleichstellung im immateriellen Rechtsgüterschutz angesehen.161 Auch weitere Stimmen in der Literatur sehen die Erlangung und das Bestehen als Teil des Prozesses der „Persönlichkeitswerdung“ der juristischen Person an, betrachten dies aber vor einem wirtschaftlich-funktionalen und monetären Hintergrund.162 Zusammenfassend lässt sich Bogdanov anführen, der gezielt die anthropomorphische Betrachtungsweise der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnis kritisiert.163 Die juristische Person sei bloßes Mittel zur Ausführung wirtschaftlicher Zwecke.164 Auch dem kann entnommen werden, dass der juristischen Person eine eigene Persönlichkeit abgesprochen wird.165 157
Sitdikova, Juridičeskij mir 7 (2015), 27 (27). Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 52. 159 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 56, 58. 160 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 52. 161 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 60, ist der Auffassung, dass sowohl in Art. 2 P. 2 ZGB als auch in Art. 48 P. 1 ZGB ausdrücklich die Inhaberschaft bzw. der Schutz der immateriellen Güter juristischer Personen aufgenommen werden sollte; das Bedürfnis nach einer Erhöhung des Schutzniveaus sei aufgrund des sich verändernden und modernisierten Wirtschaftslebens gegeben. 162 Vlasova u. a., Pravo i Ėkonomika 9 (2015), 1 (insb. 8 f.). 163 Bogdanov, Sovremennoe pravo 11 (2011), 89 (90 ff.). 164 Bogdanov, Sovremennoe pravo 11 (2011), 89 (95). 165 Bogdanov, Sovremennoe pravo 11 (2011), 89 (95), will der juristischen Person sogar die Rechtssubjektsfähigkeit absprechen. 158
D. Zusammenfassung
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D. Zusammenfassung Die Arbeit befasst sich mit den juristischen Personen, die den kommerziellen Organisationen zuzuordnen sind. Die juristische Person wird schwerpunktmäßig über ihre Vermögensinteressen definiert. Das Spezifikum des abgesonderten Vermögens als alleinige Haftungsmasse entscheidet über die Natur des Status der juristischen Person. Sie ist über ihre Organe handlungsfähig und damit selbstständig nach außen im Rechtsverkehr vertreten. Ersteres ist für die Charakterisierung entscheidend: Willensgebend sind die Organe der juristischen Person, ein eigener willensgebender „Geist“ wird ihr gerade nicht zugesprochen. Dies gilt ebenso wenig für eine eigene Persönlichkeit.166 Diese wird auch so nicht thematisiert. Dahingehende Erwägungen der Literatur nehmen bloß wirtschaftliche Interessen in den Blick ihrer Betrachtung. Über ihre Rechts-, (spezielle) Handlungs- und Geschäftsfähigkeit hinaus hat eine juristische Person damit keine Persönlichkeit, die ihr menschliche Eigenschaften zuschreibt.
166 Nicht gemeint ist die Rechtspersönlichkeit, sondern eine geistige, aus der menschlichen Würde ableitbare Persönlichkeit.
Kapitel 5
Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen Was im deutschen Recht schlank1 unter „Persönlichkeit“ und der hierauf bezogenen zu schützenden Interessen juristischer Personen zusammengefasst ist,2 findet sich im russischen Recht so nicht wieder. Aber auch eine juristische Person russischen Rechts hat ein Interesse daran, weder in einem falschen Licht dargestellt zu werden, noch daran, dass unwahre3 Informationen über sie preisgegeben werden, die ihr Ansehen beeinträchtigen. Sie hat ebenso ein Interesse daran, dass ein bestimmtes Bild ihrer „Person“ in der öffentlichen Wahrnehmung vorherrscht, wie auch, dass verschlossene Informationen nicht nach außen gelangen. Diese Interessen entfalten sich auf rechtlicher Ebene durch den Schutz einzelner Rechtsgüter, die wiederum Ausprägungen der „Persönlichkeit“ insgesamt sind. Als Rechtsgüter, die Interessen schützen, die sich auf die „Persönlichkeit“ beziehen, benennt das russische Recht in Art. 150 ZGB die Rechtsgüter: Würde, Ehre, der gute Name, die Geschäftsreputation, der Name und andere immaterielle Güter. Daraus wird allerdings nicht ersichtlich, ob und welche dieser Güter Gegenstände des Persönlichkeitsschutzes juristischer Personen sind. Es stellt sich die Frage, welche Interessen das russische Recht für ein künstliches Konstrukt überhaupt als schützenswert ansieht und wie diese im russischen Recht abgebildet sind. Zentral ist hier die Geschäftsreputation (A.). Daneben werden weitere Rechtsgüter und sich aus diesen ableitende Rechte thematisiert (B.).
A. Geschäftsreputation Die Geschäftsreputation4 stellt das zentrale Rechtsgut im zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz juristischer Personen dar. Dem ist vorauszuschicken, dass sich das Verständnis der Geschäftsreputation einer juristischen Person entwicklungshistorisch aus dem Verständnis der Geschäftsreputation natürlicher Person 1
Nur vermeintlich. Siehe zu den einzelnen Fallgruppen supra Kap. 1 Fn. 27. bei juristischen Personen nach deutschem Recht ist allerdings umstritten, ob der Terminus „Persönlichkeitsrecht“ überhaupt passt, vgl. Kap. 1 Fn. 6, Kap. 3 Fn. 169. 3 Gegebenenfalls aber auch wahre. 4 „Delovaja reputacija“. 2 Auch
106 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen ergeben hat. Wie gesehen,5 wurden über Jahrzehnte persönlichkeitsschützende Rechtskonstrukte entwickelt und an die entsprechenden Stellen im ZGB eingepflegt. Diese Überlegungen waren zuvorderst an natürlichen Personen ausgerichtet. Die entsprechenden Normierungen zum Persönlichkeitsschutz juristischer Personen wurden lediglich an die bestehenden Regelungen angefügt und sukzessive angeglichen. Damit stellt sich die Frage, ob die Geschäftsreputation im System der Artt. 150–152 ZGB unverändert auf juristische Personen übertragen werden kann. Dafür spricht, dass sich die Geschäftsreputation als schützenswertes Gut juristischer Personen aus der Begrifflichkeit für natürliche Personen entwickelt hat.6 Dagegen spricht aber, dass das immaterielle Gut gerade durch seinen Rechtsträger geprägt und definiert wird. Auch Aussagen des OG hinsichtlich der rechtlichen Verankerung des (jeweiligen) Guts stützen eine solche Sichtweise: Für natürliche Personen ist die Geschäftsreputation Verfassungsrecht, für juristische Personen dagegen nur „eine der Bedingungen ihrer erfolgreichen (Geschäfts-)Tätigkeit“.7 Im Folgenden wird daher auf die Herleitung der Geschäftsreputation eingegangen (I.). Anschließend wird thematisiert, welcher Inhalt ihr zugrunde liegt (II.), wann sie entsteht (III.) und wie sie charakterisiert ist (IV.).
I. Herleitung Art. 152 P. 11 ZGB überträgt alle sich für natürliche Personen aus der Geschäftsreputation ergebenden Rechte aus Art. 152 P. 1–10 ZGB auf juristische Personen. Dabei werden die einem immateriellen Gut zugehörigen Ansprüche auf einen künstlichen Rechtsträger übertragen. Art. 150 ZGB allerdings nennt die Geschäftsreputation juristischer Personen nicht. Die Formulierung „die Geschäftsreputation, […] die dem Bürger von Geburt an oder kraft Gesetzes angehör[t]“ zeigt, dass jedenfalls der Gesetzgeber die Anwendung des Art. 150 ZGB nur für natürliche Personen vorgesehen hat. Da Art. 152 ZGB in systematischem Zusammenhang mit Artt. 150, 151 ZGB steht, stellt sich die Frage, auf welches Rechtsgut sich die Ansprüche juristischer Personen beziehen. Dabei ist zu prüfen, ob die Definition der Geschäftsreputation unabhängig von ihrem Rechtsträger Gültigkeit besitzt und sich die Begriffe der Geschäftsreputation natürlicher und juristischer Personen decken.
5
Siehe dazu supra Kap. 2. werden Überlegungen stets entlang der Geschäftsreputation natürlicher Personen entwickelt. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die Regelungen für juristische Personen den für natürliche Personen geltenden Regelungen aus Art. 152 ZGB entnommen werden, vgl. dazu Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 6 ff.; Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (21 f.); Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (12 ff.). 7 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1. 6 So
A. Geschäftsreputation
107
Die Geschäftsreputation natürlicher Personen hat sich nachrangig aus der Ehre und Würde ergeben. Da sie, wie bereits festgestellt, Ursprung der Geschäftsreputation juristischer Personen ist, sind in einem ersten Schritt die Güter der Ehre und Würde (1.) und anschließend die Geschäftsreputation natürlicher Personen (2.) zu untersuchen.
1. Ehre und Würde Art. 152 ZGB nennt nebeneinander die Ehre, Würde und Geschäftsreputation. Nach Art. 150 ZGB gehören diese Schutzgüter zu den immateriellen Gütern eines Bürgers. Zu den Verhältnissen der Begriffe zueinander lassen sich im Gesetz allerdings keine Aussagen finden. Auch in der Literatur finden sich hierzu nur vereinzelte Bemerkungen.8 Die wissenschaftlichen Ansichten lassen sich inhaltlich grundsätzlich in jene unterteilen, die die Begriffe als unterschiedliche Kategorien auffassen9 und jene, die – jedenfalls die Ehre und die Geschäftsreputation – als Synonyme10 betrachten. Erdelevskij geht davon aus, dass die Geschäftsreputation in der Ehre aufgeht und setzt sie mit dieser jedenfalls für natürliche Personen inhaltlich gleich.11 Innerhalb anderer Ansichten lassen sich hinsichtlich der Unterscheidungskriterien keine Strömungen oder Gemeinsamkeiten festhalten; vielmehr werden unterschiedlichste Kriterien zur Abgrenzung herangezogen. So wird teilweise in rein positiv bzw. positiv und negativ besetzte Begriffe unterschieden. Danach können die Geschäftsreputation negativ wie positiv, die Güter der Ehre und Würde dagegen nur rein positiv sein.12 Andere sehen den Persönlichkeitsbezug als entscheidend an: Die Geschäftsreputation habe – im Gegensatz zur Ehre – keinen unmittelbaren Persönlichkeitsbezug, sondern beziehe sich nur auf deren Bewertung in der öffentlichen Wahrnehmung und Meinung.13
8
Eingehend hierzu Maleina, Zakon 12 (2009), 100. Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 48; Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 186; Bazylev u. a., Ponjatie česti, dostoinstva i delovoj reputacii, S. 35. 10 Etwa Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 165; Fedorova, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 152 P. 1; ähnlich auch Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 196. 11 Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 165; so auch Fedorova, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 152 P. 1, S. 343, wonach Eingriffe in die Würde zumeist mit Eingriffen in die Ehre einhergehen würden, weswegen eine gemeinsame Begrifflichkeit verwendet werde. 12 Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 48; Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 186. 13 Bazylev u. a., Ponjatie česti, dostoinstva i delovoj reputacii, S. 35. 9
108 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen In der Literatur wird die Würde einhellig14 als die „bestimmte Selbsteinschätzung“15 des Trägers in Hinblick auf eigene „sozial bedeutsame und moralische Qualitäten“ verstanden. Diese Selbsteinschätzung basiert danach auf der Einschätzung durch die Öffentlichkeit.16 Teilweise wird auch von moralischethischen Eigenschaften17 eines Menschen gesprochen, auf die sich Wertschätzung und Stolz hinsichtlich der eigenen Person beziehen.18 Das Vorhandensein eines solchen Selbstwertgefühls setzt Bewusstsein und Psyche voraus.19 Dieses Verständnis macht offensichtlich, dass juristische Personen nicht Träger der Würde sein können.20 Etwas anderes könnte sich vermeintlich aus dem geltenden Gesetz ergeben. Art. 33 Steuergesetzbuch RF21 regelt die „Pflichten der Beamten der Steuerbehörden“. Nach P. 3 der Pflichten eines Steuerbeamten hat dieser es zu unterlassen, die Ehre und Würde der Steuerpflichtigen herabzuwürdigen.22 Eine Unterscheidung hinsichtlich der steuerpflichtigen Personen in natürliche oder juristische Personen wird nicht vorgenommen. Durch die Formulierung entsteht der Eindruck, die Würde jeder steuerpflichtigen Person könnte beeinträchtigt werden, mithin wäre jede steuerpflichtige Person, auch juristische Personen, Würdenträger.23 Noch deutlicher drängt sich diese Annahme im Massenmediengesetz auf. Art. 43 des Massenmediengesetzes verleiht natürlichen wie juristischen Personen gleichermaßen einen Widerrufsanspruch bei Verbreitung unwahrer Informationen, die ihre Ehre oder Würde verunglimpfen. An dieser Stelle wird nicht nur keine Unterscheidung hinsichtlich des geschützten Personenkreises wie in Art. 33 Steuergesetzbuch RF vorgenommen, es wird sogar unmittelbar davon ausgegangen, juristische Personen könnten in der Würde oder der Ehre verletzt werden. Auch Art. 48 Massenmediengesetz, 14 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 146; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 234; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896; Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 47; ähnlich auch bei Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 10, 65, aus: Konsul’tant Pljus; Šapovalova, in: Startilov, Pravovoj režim zakonnosti: obespečenie i zaščita, S. 131; Maleina, Zakon 12 (2009), 100 (102). 15 „Izvestnaja samoocenka“. 16 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 146–147; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 234. 17 „Kačestva“. 18 Gavrilov, ĖŽ-Jurist 24 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus. 19 Gavrilov, ĖŽ-Jurist 24 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus. 20 So ausdrücklich Gavrilov, ĖŽ-Jurist 24 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896; Baller, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 21 Rn. 11. 21 Steuergesetzbuch der Russischen Föderation Teil 1 (Nalogovyj kodeks Rossijskoj Federacii [čast’ pervaja]), vom 31.07.1998, Nr. 146-FZ. 22 „[…] ne unižat’ ich čest’ i dostoinstvo“. 23 Gavrilov, ĖŽ-Jurist 24 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus.
A. Geschäftsreputation
109
der die Akkreditierung von Journalisten regelt, spricht von der „Würde einer Organisation“.24 Danach verliert ein Journalist dann die Akkreditierung, wenn er unwahre Informationen verbreitet, die die „Ehre und Würde einer Organisation“ verunglimpfen. Gleiches gilt für Art. 49 Massenmediengesetz, der inter alia in P. 10 S. 3 die Pflicht des Journalisten zur Achtung der „Würde von […] Organisationen“ regelt. Auch Art. 57 Massenmediengesetz enthält eine solche Formulierung. In Art. 152 P. 11 ZGB dagegen – der zentralen Norm zum zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz juristischer Personen – ist seit 201325 ausdrücklich geregelt, dass sich eine juristische Person bei der Geltendmachung der dort genannten Ansprüche und Rechte allein auf ihre Geschäftsreputation stützen kann. Ähnliches lässt sich Art. 5.1326 Ordnungswidrigkeitengesetz,27 Art. 56 Wahlgarantiengesetz,28 Art. 10.429 in P. 8 des Informationsgesetzes30 entnehmen. Die Verfassung spricht in Art. 21 Verf. RF von der „Würde der Persönlichkeit“.31 Art. 21 ist aber Teil der Verfassungsrechte, die die Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers betreffen. Obwohl Art. 150 ff. ZGB eng mit den Grundrechten verflochtene Regelungen darstellen, sind die Würdebegriffe des Art. 150 ZGB und des Art. 21 Verf. RF nicht gleichzusetzen.32 So ist die in Art. 21 Verf. RF genannte „Herabwürdigung der Würde“ auch nicht mit den Gefahren gleichzusetzen, vor denen Art. 150 ZGB schützen soll: der Diffamierung. Kruss und Bondar’ befinden die Gleichbenennung in Art. 21 Verf. RF und Art. 150 ZGB als unglücklich.33 Wie oben erörtert finden die Rechte und Freiheiten des Menschen nur insoweit auf juristische Personen Anwendung, wie es ihrer Natur entspricht. Dies ist für die Würde nicht der Fall.34 24
„Dostoinstvo organizacii“. Siehe dazu supra Kap. 1 Fn. 8. Dieser trennt zwischen der Ehre, Würde und Geschäftsreputation einer natürlichen Person, hier einer bei einer Wahl Kandidierenden, und der Geschäftsreputation einer Wählervereinigung. 27 Föderalgesetz der Russischen Föderation über Ordnungswidrigkeiten („Kodeks Rossijskoj Federacii ob administrativnych pravonarušenijach“), vom 30.12.2001 (in der Fassung vom 03.08.2018), Nr. 195-FZ. 28 Föderalgesetz „Über die grundlegenden Garantien von Wahlrechten und des Rechts auf Teilnahme am Bürgerreferendum der Russischen Föderation“ („Ob osnovnych garantijach izbiratel’nych prav i prava na učastie v referendume graždan Rossijskoj Federacii“), vom 12.06.2002, Nr. 67-FZ. 29 Klare Trennung in Ehre, Würde und Geschäftsreputation des Bürgers einerseits und Geschäftsreputation von „Organisationen“ andererseits. 30 Föderalgesetz „Über Informationen, Informationstechnologien und über den Schutz von Information“ („Ob informacii, informacionnych technologijach i o zaščite informacii“), vom 27.07.2006, Nr. 149-FZ. 31 „Dostoinstvo ličnosti“. 32 Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 222. 33 Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 222; anders Šapovalova, in: Startilov, Pravovoj režim zakonnosti: obespečenie i zaščita, S. 132. 34 Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 223. 25 26
110 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen In der Rechtsprechung finden sich vereinzelt Definitionsansätze der Würde als „Selbsteinschätzung [bestimmter] Eigenschaften“.35 Bei der Anwendung der Termini findet sich keine einheitliche Linie. So wird zuweilen von der Würde (und Ehre) juristischer Personen gesprochen.36 In anderen, insbesondere höchstrichterlichen Entscheidungen wird dagegen zwischen der Ehre und Würde des Bürgers und der Geschäftsreputation natürlicher und juristischer Person getrennt.37 In der Literatur wird die Formulierung des Art. 57 Massenmediengesetz als Widerspruch zu Art. 152 ZGB und als „Fehler“ bewertet. Die Ehre und Würde seien moralische Rechtskategorien, die Eigenschaften voraussetzten, über die eine juristische Person nicht verfüge.38 Die fehlende Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen als Würdenträger mag Nachlässigkeit des russischen Gesetzgebers gewesen sein. Unmissverständlich wird aber schon – allein der Normhierarchie wegen – aus der Verfassung39 und aus der Zentralnorm Art. 152 ZGB deutlich: Das unter Würde verstandene persönliche Achtungsgefühl ist der natürlichen Person vorbehalten. Eine juristische Person kann nach dem Verständnis des russischen Rechts keine Würde haben. Überlegungen zu einer Summierung der Würde(n)40 der einzelnen hinter der juristischen Person stehenden Personen existieren nicht.41 Die Würde ist daher kein persönlichkeitsrechtliches Rechtsgut einer juristischen Person. Für die Ehre lassen sich entsprechende Fragen stellen. Sie wird in der russischen Rechtswissenschaft als die positive gesellschaftliche Einschätzung sozial bedeutsamer und moralischer Eigenschaften, die dem Menschen zu eigen sind, 35 OG, Entscheidung vom 13.09.2016, Nr. 77-KG16-2. 36 Föderales Arbitragegericht des Ostsibirischen Okrug,
Urteil vom 19.06.2017, Nr. F022817/2017, Sachnr. А19-18125/2015; Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 19.06.2017, Nr. F07-5618/2017, Sachnr. А56-60425/2016. 37 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3; OG, Entscheidung vom 02.05.2017, Nr. 48-КG17-4; OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016. 38 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 31. 39 Art. 21 Verf. RF unter „Rechte und Freiheiten des Menschen“, siehe supra Kap. 3 A. III. 1. 40 Die Frage der „Summierung“ im deutschen Recht behandelt etwa Remmert, in: Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 19 Abs. 3 Rn. 9. 41 Vgl. dazu in Deutschland die Rechtfertigung der wesensmäßigen Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen, Art. 19 III GG, aufgrund des „Durchgriffs“ auf die juristische Person, BVerfG, Beschluss vom 02.05.1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411 (1412); in Russland wird aber teilweise thematisiert, ob einer gesamten, unspezifizierten Personengruppe eine (gemeinsame) Würde zugeordnet werden kann, vgl. Maleina, Vestnik graždanskogo prava 10 (2010), 173 (177 f.), so kann die gesammelte Würde vieler Menschen etwa Grundlage für ein Vorgehen gegen diffamierende Werbung sein, die Verbraucherschutzvereinigungen dann für die gesamte Gruppe geltend machen können. Dies führt aber nicht zu einer separaten Würde der Vereinigung, sondern betrifft insbesondere prozessrechtliche Fragen der Geltendmachung des Gruppeninteresses.
A. Geschäftsreputation
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definiert.42 Betont wird gerade die ethische43 und teilweise sogar geistig-seelische44 Seite der Ehre. In der Literatur finden sich Parallelen zur Würde, die Übergänge der Definitionen sind zumeist fließend.45 Für die Ehre wird angeführt, dass sie die positive Bewertung des Handelns eines Menschen darstelle und den von anderen Menschen erwiesenen Respekt begründe. Im Gegensatz zur Würde erwachse die Ehre aus der Bewertung durch die Außenwelt.46 Erdelevskij hält die Ehre für deckungsgleich mit der Reputation47 und will sie daher aus Artt. 150 ff. ZGB streichen.48 Die Rechtsprechung lässt zur Ehre keine von der Würde gesonderte Behandlung erkennen.49 Auch die Gesetzeslektüre zeigt keine Unterschiede zur Würde. Die enge Verzahnung der Ehre mit der Würde zeigt, dass auch sie in ihrer Definition und ihrem Wesen von rein menschlichen Kategorien geprägt ist.50
2. Die Geschäftsreputation natürlicher Personen Die Geschäftsreputation (natürlicher Personen) wird im Folgenden definiert (a)). Da sie vielerorts synonym zu verschiedenen anderen Gütern, die teilweise 42 „Obščestvennaja ocenka social’no značimych i moral’nych kačestv, prisuščich graždaninu“, Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 235; Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 45; Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 134; Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 146; Šapovalova, in: Startilov, Pravovoj režim zakonnosti: obespečenie i zaščita, S. 133; vereinzelt wird auch in eine „objektive“ und eine „subjektive“ Seite, also nach Bewertungen durch die Außenwelt und den inneren Gedanken einer Person, unterschieden, so etwa bei Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 9, aus: Konsul’tant Pljus, weswegen eine solche Differenzierung nützlich ist, wird aber nicht offenbar. 43 Gavrilov, ĖŽ-Jurist 24 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus. 44 Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 45. 45 Baller, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 21 Rn. 3, kritisiert eine Vermischung und fehlende Trennschärfe zwischen Menschenwürde, Würde und Ehre und allgemeinem Persönlichkeitsrecht. 46 Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 45 ff.; Rudyj, Jurist 3 (2008), 9 (11). 47 „Reputacija“. 48 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2018), 113 (114). 49 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, siehe Präambel, in ständiger Rspr., siehe etwa OG, Entscheidung vom 20.09.2016, Nr. 77-KG16-8, ihm folgend Föderales Arbitragegericht des Nordöstlichen Okrug, Urteil vom 19.06.2017, Nr. F07-5618/2017, Sachnr. А5660425/2016; Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 11.07.2018, Nr. F07-7267/2018, Sachnr. A26-6578/2017. 50 Juristische Personen sind nur hinsichtlich ihrer Geschäftsreputation geschützt, Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, Gadžiev, in: Zor’kin, S. 239; Gavrilov, ĖŽ-Jurist 24 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus, nachdem die Ehre ausdrücklich kein Rechtsgut juristischer Personen ist.
112 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen nicht in Art. 150 ZGB genannt werden, behandelt wird, ist ihr Bedeutungsgehalt in Abgrenzung zu diesen zu untersuchen (b)).
a) Definition Eine Legaldefinition der Geschäftsreputation existiert nicht. In der Literatur ist die Reputation51 die öffentliche Meinung hinsichtlich des Ansehens52 oder der Mängel über jemanden, der dadurch eine öffentliche Bewertung erfährt.53 Artt. 150 ff. ZGB erfassen aber nur die geschäftliche Reputation,54 also den Teil der öffentlichen Meinung, der sich bezüglich der professionellen, gewerblichen, geschäftlichen, kommerziellen Tätigkeit bzw. hinsichtlich Tätigkeiten im Beratungs- und Dienstleistungswesen eines Bürgers oder einer juristischen Person gebildet hat.55 Die Geschäftsreputation entsteht demnach durch „unternehmerische Qualitäten“ eines Bürgers.56 Setzt er diese zur Erfüllung „gesellschaftlicher Aufgaben“ oder „Bedürfnisse“ ein, wird ein bestimmtes Bild seines Handelns hervorgerufen, was wiederum zu einer bestimmten Einschätzung des Handelns durch die Öffentlichkeit führt.57 Aus diesem Gut ergibt sich das „Recht auf die Geschäftsreputation“,58 nach dem das Gesetz die Möglichkeit schafft, von einem unbestimmten Personenkreis zu verlangen, jegliche Handlungen zu unterlassen, die auf die Herabsetzung der Geschäftsreputation abzielen, wie auch die Gerichte um den Schutz seiner Rechte anzurufen.59
b) Abgrenzung Oftmals werden neben der Geschäftsreputation synonym die Begriffe Image,60 der gute Name61 und Goodwill62 verwendet. Diese gilt es in Kontext zu setzen. 51 „Reputacija“.
52 In der russischen Version „dostoinstvo“, was auch die Übersetzung für das dt. Wort „Würde“ darstellt. 53 Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 235; nach Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2018), 113 (115), kann sich eine juristische Person in Anbetracht ihres geschäftlichen Tätigkeitszwecks nur auf ihre „Geschäftsreputation“/„delovaja reputacija“, nicht aber auf ihre „Reputation“/„reputacija“ berufen. 54 „Delovaja reputacija“. 55 Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 148; Gongalo, Graždanskoe pravo, S. 235; Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 6, aus: Konsul’tant Pljus; Erdelev skij, Chozjajstvo i pravo 4 (2018), 113 (114); ähnlich auch Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896. 56 Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 165. 57 Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 165. 58 Vgl. nur Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896. 59 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896, 897. 60 „Imidž“. 61 „Dobroe imja“. 62 „Gudvill“.
A. Geschäftsreputation
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aa) Image Der Begriff „Image“ wird in Bezug auf wirtschaftlich tätige Unternehmen gebraucht.63 Es wird als das Unternehmensbild beschrieben, das bei der Öffentlichkeit durch Verhalten, Emotionen und durch Beziehungen innerhalb des Unternehmens entsteht. Die Geschäftsreputation lässt sich im Gegensatz dazu durch zwei Aspekte beschreiben: Zum einen der beschreibende Teil einer juristischen Person, der durch die Gesamtheit aller Äußerungen und Informationen über die Person geprägt wird und zum anderen der bewertende Teil, der die wirtschaftliche Tätigkeit der juristischen Person betrifft.64 Während die Geschäftsreputation nur eine bestimmte gesellschaftliche Einschätzung betrifft, umfasst das Image auch einen bestimmten Rang im Verhältnis zu Konkurrenten.65 „Image“ ist zudem kein vom Gesetz oder der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang verwendeter Terminus und kann daher vernachlässigt werden.
bb) Der gute Name Neben der Ehre wird auch der gute Name in Art. 150 ZGB genannt. Ihm wird keine eigenständige Bedeutung zugemessen.66 Teilweise wird er als Synonym67 der Reputation im Allgemeinen verstanden.68
cc) Goodwill Der Goodwill wird teilweise als deckungsgleich mit der Geschäftsreputation verstanden.69 Verbreiteter ist die Auffassung, dass der Goodwill einen Überbegriff insbesondere aus dem Bereich der Buchhaltung darstellt. Er bezeichnet einen immateriellen Vermögensposten eines Unternehmens, der durch Faktoren
63 Etwa von Dmitrieva, Graždanskoe pravo 4 (2016), 20 (20 ff.), aus: Konsul’tant Pljus; Gavrilov, Jurist (2016), 7 (9–10). 64 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 15, aus: Konsul’tant Pljus. 65 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 15, aus: Konsul’tant Pljus. 66 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2018), 113 (114), plädiert für seine Streichung; Polikarpov, Sovremennoe Pravo 11 (2015), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus, hält das Gut dennoch für wichtig und spricht sich für einen gesonderten Schutz neben der Ehre, Würde und Geschäftsreputation aus, ohne jedoch darzulegen, was Schutzregelungen zum „dobroe imja“ bewirken würden und inwieweit es sich hier (so auch der Titel des Aufsatzes) um eine Lücke handelt. 67 Bazylev u. a., Ponjatie česti, dostoinstva i delovoj reputacii, S. 36; Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896, der die „Ehre“, den „guten Namen“ und die „Reputation“ als Synonyme betrachtet. 68 Teilweise wird versucht, den „guten Namen“/„dobroe imja“ eigenständig zu definieren. So etwa bei Polikarpov, Sovremennoe Pravo 11 (2015), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus, dessen Definition des guten Namens als „einen gewissen durch eine Person erlangten Wert, der in der Person leibhaftig wird“ wenig stichhaltig ist und keine bedeutsamen Unterschiede zu der Ehre oder Würde aufzeigt. 69 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 8, aus: Konsul’tant Pljus.
114 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen wie die Geschäftsreputation, für das Unternehmen eingetragene Marken oder Kundenstämme bestimmt wird.70
c) Spezifische Charakteristika Dem Wortlaut des Art. 150 P. 1 ZGB lassen sich die wichtigsten Charakteristika der Geschäftsreputation entnehmen. Danach ist sie zu den immateriellen Gütern zu zählen, gehört dem Bürger durch Geburt oder kraft Gesetzes an und ist unveräußerlich und unübertragbar. Auf die Immaterialität (aa)) und die Unübertragbarkeit und Unveräußerlichkeit (bb)) ist im Folgenden einzugehen.
aa) Immaterialität Hinsichtlich der Immaterialität der Geschäftsreputation wird vorgebracht, dass diese ihr einen nichtvermögensrechtlichen Charakter bescheinige.71 Immateriell bedeute auch, dass die Güter des Art. 150 P. 1 ZGB keinen wirtschaftlichen Gehalt aufweisen und der wertmäßigen Bewertung nicht zugängig sind.72 Daneben wird in „immateriell“ die Untrennbarkeit von ihrem Träger gelesen.73 Inwiefern dies für die Geschäftsreputation weiterhin Gültigkeit behält, wird im Folgenden betrachtet.
bb) Verkehrsfähigkeit und Vermögenscharakter Nach Art. 150 P. 1 ZGB ist die Geschäftsreputation weder übertragbar noch veräußerlich. Daraus könnte die Verkehrsunfähigkeit zu folgern sein. Dies ist nicht unumstritten. Teilweise wird gerade der Geschäftsreputation eine begrenzte Verkehrsfähigkeit zugesprochen und dies mit ihren vermögensähnlichen Zügen begründet.74 Auch wird angeführt, die Geschäftsreputation sei bewertbar.75 Das Gesetz ist an dieser Stelle nicht eindeutig. Einerseits statuiert Art. 150 ZGB mitunter für die Geschäftsreputation Unübertragbarkeit und Unveräußerlichkeit. So hält Erjomenko die Geschäftsreputation in Anlehnung an Art. 150 ZGB für unübertragbar und unveräußerlich.76 Gleichzeitig bestehen mit 70 Ali/Dmitrenko, Vestnik Arbitražnogo suda Moskovskogo okruga 4 (2016), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus; Rožkova, in: Rožkova, Objazatel’stva, voznikajuščie ne iz dogovora: Sbornik statej, S. 62, aus: Konsul’tant Pljus. 71 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus. 72 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 29–30 Fn. 2, aus: Konsul’tant Pljus. 73 Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (21), kritisch ist hier allerdings anzumerken, dass dies mittelbar eine Doppelung mit der in Art. 150 P. 1 ZGB genannten Unübertragbarkeit darstellt: Was unübertragbar ist, verbleibt (untrennbar) bei seinem Träger. 74 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus. 75 Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 12. 76 Erjomenko, Jurist 2 (2017), 1.
A. Geschäftsreputation
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Art. 1027 und Art. 1042 ZGB77 Regelungen, die die Geschäftsreputation ähnlich wie die Ausschließlichkeitsrechte behandeln.78 Das Gesetz sieht vor, dass so – z. B. durch die Gebrauchsüberlassung eines Markenzeichens oder Knowhow (z. B. Geschäftsgeheimnisse) gem. Art. 1027 P. 1 a. E. ZGB – auch die Nutzung der Geschäftsreputation eingeräumt wird, vgl. Art. 1027 P. 2 ZGB.79 Nach Art. 1027 P. 2 ZGB kann die Geschäftsreputation Gegenstand eines Konzessionsvertrages sein, nach dem der Rechtsinhaber dem Rechtserwerber gegen Bezahlung für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit die Benutzung der Geschäftsreputation einräumen kann. Ist eine natürliche Person als Einzelunternehmerin tätig, kann sie Partei eines solchen Vertrages sein, Art. 1027 P. 3 ZGB. Ein solcher Vertrag wird genutzt, um auf unerschlossenen Märkten das eigene Unternehmenskonzept einzuführen und zu etablieren. Für die Konzessionsnutzer steht die lukrative Geschäftsführungsmöglichkeit unter einer „bekannten Marke“ im Vordergrund.80 Das Gesetz spricht von einer Gesamtheit von Rechten bzw. Gütern, die eingeräumt werden, vgl. Art. 1027 P. 1, 2 ZGB. Falsch wäre daher die Annahme, die Existenz des Art. 1027 ZGB bezeuge die Möglichkeit der isolierten Übertragung der Geschäftsreputation. Vielmehr geht es um die Einräumung von umfassenden Nutzungsrechten, unter Firmierung des Rechtsinhabers. Einige Stimmen halten daher den Schluss für falsch, Art. 1027 ZGB ändere etwas an der Unübertragbarkeit und Unveräußerlichkeit der Geschäftsreputation. Vielmehr sei sie dadurch eingeschränkt verkehrsfähig.81 Nach Art. 1042 P. 1 ZGB kann die Geschäftsreputation als Einlagevermögen in eine Gesellschaft82 eingebracht werden. Nach P. 2 S. 2 der Vorschrift einigen 77 Diese sind im zweiten Teil des ZGB geregelt, siehe dazu das Föderalgesetz „Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation zweiter Teil“ („Graždanskij kodeks Rossijskoj Federacii čast’ vtoraja“), vom 26.01.1996, Nr. 14-FZ, zuletzt geändert durch Föderalgesetz vom 27.12.2019, Nr. 489-FZ. 78 Dies spricht nach Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (95), für die Bewertbarkeit und den damit einhergehenden Vermögenscharakter; vgl. auch Erdelevskij, Zakon 12 (2009), 76 (77). 79 „Dogovor […] predusmatrivaet ispol’zovanie […], delovoj reputacii […]“, wörtlich „Handelskonzessionsvertrag“/„Dogovor kommerčeskoj koncessii“. Nach Nikiforov, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ vtoraja, Art. 1027 P. 1, 2, S. 884– 886, ist dies ein konsensualer, entgeltlicher und gegenseitiger Vertrag, der die Einräumung von Ausschließlichkeitsrechten vermittelt und die Ergebnisse geistiger Tätigkeit und Individualisierungsmittel umfasst. Der Autor nutzt zur Erklärung den „in westlichen Ländern bekannten Terminus des Franchising“; ders., P. 2: anders als beim Lizenzvertrag, der dem russischen Recht im Patent und Markenrecht bekannt ist, umfasst der Konzessionsvertrag zudem auch das Recht, den Firmennamen und Geschäftsbezeichnungen des Rechtsinhabers zu nutzen. 80 Nikiforov, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ vtoraja, Art. 1027 P.1, S. 884. 81 Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 29–30; ähnlich Nochrina, Pravo 5 (2013), 143 (155). 82 Art. 1041 ZGB behandelt den Vertrag über die russische „prostoe tovariščestvo“. Diese ist eine russische Gesellschaftsform, welche mit der deutschen GbR vergleichbar ist.
116 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen sich die Gesellschafter über den Wert der eingebrachten Gegenstände. Auch hieraus folgert ein Teil der Literatur einen Widerspruch mit den Eigenschaften der immateriellen Güter nach Art. 150 ZGB.83 Andere halten diese Schlussfolgerung aus Art. 1042 ZGB nicht für zwingend. Einlagegegenstand kann danach jedes Objekt ziviler Rechte nach Art. 128 ZGB sein,84 damit auch immaterielle Güter. Da diese nicht übertragbar und bewertbar sind, erfolge die Einlage durch das schlichte Eintreten des Trägers in die Gesellschaft.85 Die Geschäftsreputation verbleibt demnach bei ihrem Träger, sodass in diesem kein Widerspruch zu Art. 150 ZGB festzustellen wäre. Durch den Eintritt „strahlt“ auch hier der Ruf auf die anderen Gesellschafter bzw. die Gesellschaft insgesamt aus.
d) Rechtsnatur Die Geschäftsreputation zählt zu den immateriellen Gütern. Das hierauf bezogene Recht auf Schutz der Geschäftsreputation ist ein persönliches Nichtvermögensrecht, das nicht mit Vermögensrechten verbunden ist.86 Dennoch ist der Geschäftsreputation aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutsamkeit und ihrer (Teil-)Öffnung für die Teilnahme am Rechtsverkehr eine Art „Janusköpfigkeit“ zwischen immateriellem Gut und Vermögensobjekt zu attestieren. Dies führt dazu, dass die Geschäftsreputation oft als „besonderes immaterielles Gut“87 beschrieben wird. Im Hinblick auf ihre normative Verortung geht eine „radikalere“ Ansicht davon aus, die Geschäftsreputation lasse sich nicht uneingeschränkt den Gütern in Art. 150 ZGB zuordnen.88 Sie habe daher eine „ambivalente Rechtsnatur“.89
e) Zwischenergebnis Unter „Geschäftsreputation“ wird weithin das im Rechtsverkehr bestehende Bild hinsichtlich der geschäftlichen Tätigkeiten und Qualitäten einer Person (im weiteren Sinne) verstanden. Sie ist zwar nach Art. 150 ZGB nicht übertragbar 83 Erdelevskij, Zakon 12 (2009), 76 (77 f.); Markina, Konkurentnoe pravo 2 (2016), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus; Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 8, aus: Konsul’tant Pljus. 84 Ljubimov, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii, S. 923 P. 3. 85 Ljubimov, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ vtoraja, S. 923 P. 3; Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 62, sieht daher gerade keine Abweichung, sondern lediglich einen „Zusatz“ im Bereich der Verkehrsfähigkeit. 86 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896. 87 Archiereev, Jurist 15 (2015), 1 (1); Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 11. 88 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (1 f.), aus: Konsul’tant Pljus. 89 „[…] obladaet dvojstvennoj pravovoj prirodoj“, Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus.
A. Geschäftsreputation
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und veräußerlich. Wie gezeigt, hat sie dennoch einen begrenzten vermögenswerten Charakter und entspricht damit nicht allen Merkmalen der immateriellen Güter nach Art. 150 ZGB. Bereits die Geschäftsreputation natürlicher Personen reiht sich demnach nicht uneingeschränkt in die Reihe der in Art. 150 ZGB genannten Güter entsprechend ihrer Merkmale ein.
II. Inhalt Dem schließt sich die Frage an, inwiefern sich die Geschäftsreputation juristischer Personen von derjenigen natürlicher Personen unterscheidet. Es existiert keine feststehende Definition der Geschäftsreputation juristischer Personen. Teilweise werden die Begriffe der Geschäftsreputation natürlicher und juristischer Personen für identisch gehalten.90 Zwar hat das Rechtsgut der Geschäftsreputation natürlicher Personen begrifflich eine gewisse Musterfunktion, die Reputation juristischer Personen ist aber immer nur geschäftlicher Natur.91 Der Inhalt der Geschäftsreputation juristischer Personen setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen. Archiereev trennt diese in innere und äußere Faktoren. Zu ersteren zählt er strategische Pläne und Wachstumsstrategien, Liquidität, finanzielle Sicherheit, Mitarbeiterbesetzung, Qualität des Managements, Qualität des Produkts bzw. der Dienstleistung, Vertriebsqualität, Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation, Umgang mit (IT-)Technologien und den Informationsfluss des Unternehmens zu Geschäftspartnern und Kunden.92 Die äußeren Faktoren setzen sich aus der gesellschaftsrechtlichen Strukturierung der juristischen Person, der (Selbst-)Darstellung der juristischen Person gegenüber Dritten und in (sozialen) Massenmedien93 und dem Standort des Unternehmens zusammen.94 Andere zählen zu den Faktoren die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Gewinneinfuhren, einen (beständigen) Kundenstamm, den Ruf hinsichtlich der (Produkt-)Qualität und die Qualität von Marketing und Vertrieb.95 Deutlich abstrakter versteht eine andere Ansicht unter der Ge90 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 136. 91 So wird im Zusammenhang mit juristischen Personen nie von Reputation, sondern nur von Geschäftsreputation gesprochen, vgl. Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (94); anders Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 187, der beide Formulierungen nutzt, ohne diese jedoch voneinander abzugrenzen. 92 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 36, 37. 93 Nicht nur das Auftreten in den Massenmedien, sondern auch Häufigkeit und Aktualität der Angaben. 94 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 36, 37, nennt dies entscheidend für die Positionierung auf dem bzw. die Adaption zum relevanten Markt. 95 Mordochov, Sposoby zaščity delovoj reputacii sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 84.
118 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen schäftsreputation das Ergebnis von Vorstellung und Einschätzungen, die für die Öffentlichkeit einsehbar sind (oder öffentlich wurden). Die damit einhergehende Bewertung basiere auf dem Handeln oder Nichthandeln der juristischen Person.96 Auch ergebe sich aus der Geschäftsreputation das Recht der juristischen Person, sich auf eine adäquate Bewertung ihrer Tätigkeiten durch andere Teilnehmer des Rechtsverkehrs zu verlassen und die Möglichkeit, auf diese Bewertung durch entsprechende Handlungen Einfluss zu nehmen.97 Weiterhin soll die Geschäftsreputation durch die Verbreitung von Reklame und anderer Informationen entstehen.98 Nach einer weiteren Ansicht setzt sich die Geschäftsreputation aus dem Zusammentun der einzelnen bei ihr beschäftigen Spezialisten und der Geschäftsführung sowie der Organisation selbst zusammen.99 Erdelevskij vertritt eine Auffassung, die gewissermaßen einer Kombination oben genannter Beschreibungen darstellt: Die Geschäftsreputation sei die Meinung der Gesellschaft bezüglich einer bestimmten juristischen Person und ist damit das Produkt sowohl der Tätigkeit der Person selbst als auch die hierauf bezogene Bewertung durch die Gesellschaft.100 Da all diese Faktoren sowohl positiv als auch negativ sein können, kann auch die Geschäftsreputation insgesamt positiv oder negativ sein.101 Dies ergibt sich aus P. 43 der Verordnung über die Buchführung.102 Betont wird auch, dass eine negative Geschäftsreputation – etwa, weil ein Unternehmen in einem ethisch verwerflichen Bereich agiert (bspw. Tabakunternehmen, Waffenunternehmen) – noch „negativer“ werden kann. Auch eine negative Geschäftsreputation sei daher durch Art. 152 ZGB geschützt.103 Die Rechtsprechungspraxis äußert sich kaum zu dem rechtlichen Inhalt der Geschäftsreputation. Allerdings können einzelnen gerichtlichen Streitigkeiten Hinweise auf ihren rechtlichen Inhalt entnommen werden. Dazu gehört die Frage, ob sich eine juristische Person auch auf die Reputation ihrer Führungsorgane berufen kann. 96 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 136. 97 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 187. 98 Ivanenko, Rossijskaja justicija 10 (2000), 24 (24). 99 Mordochov, Sposoby zaščity delovoj reputacii sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 84. 100 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (96); ähnlich auch Maleina, Zakon 10 (1995), 102 (104). 101 Rudyj, Jurist 3 (2008), 9 (10); Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 9; Sitdikova, Juridičeskij mir 7 (2015), 27 (30). 102 „Položenie po buchgalterskomu učetu ‚Učet nematerial’nych aktivov‘“ (PBU 14/2007). Danach ist die Geschäftsreputation immaterielles Aktivum. Nach P. 42 der Verordnung wird sie durch die Wertdivergenz zwischen dem Kaufpreis eines Unternehmens und ihrem eigentlichen Wert nach den Zahlen der Buchhaltung bemessen. 103 Archiereev, Jurist 11 (2018), 47 (51 ff.).
A. Geschäftsreputation
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Dies bestätigt der OG.104 Danach kann die Reputation eines ausführenden Organs der juristischen Person dann auf diese ausstrahlen, wenn die natürliche Person in ihrer beruflichen Funktion für die juristische Person tätig wird. Eine juristische Person kann sich dagegen dann nicht auf ihre Geschäftsreputation berufen, wenn sich die Äußerung auf andere natürliche Personen bezieht, die keine spezifischen Führungsaufgaben ausführen.105 Parallel dazu kann ein Konzern nicht nur die Verletzung der eigenen, sondern auch der Geschäftsreputation jedes einzelnen Tochterunternehmens geltend machen. Begründet wird dies mit dem inneren Zusammenhang der Unternehmen und ihrer sich gegenseitig bedingenden Reputationen.106 Der behaupteten Verletzung liegen so in der Praxis etwa der Angriff auf die Art und Weise der Ausübung der Tätigkeit,107 die Warnung vor der Zusammenarbeit mit einem Unternehmen,108 darunter auch die unrechtmäßige Aufnahme in eine behördlich geführte Liste unlauterer Lieferanten,109 die Behauptung der Nichterfüllung vertraglicher Pflichten110 oder die Anrufung einer Behörde zur Information über nichtrechtmäßiges Verhalten eines Unternehmens111 zugrunde. 104 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 12; Entscheidung vom 26.10.205, Nr. 307-ĖS15-5345, ebenso sieht dies wohl das Föderale Arbitragegericht des Okrug Ural, Übersicht der Rechtsprechung vom 31.07.2009 „Praxisübersicht der Streitigkeiten zum Schutz der Geschäftsreputation“ („Obzor praktiki rassmotrenija sporov o zaščite delovoj reputacii“), P. 4, nach dem sich eine juristische Person nicht auf die Geschäftsreputation ihres Geschäftsführers berufen kann, wenn die verunglimpfenden Äußerungen den Geschäftsführer „in Person“ (im Wortlaut „über den Geschäftsführer wie als natürliche Person“/„O rukovoditele organizacii kak o fizičeskom lice“) betreffen. Daher ist die Geschäftsreputation der juristischen Person nicht betroffen, wenn die Äußerungen das Familienleben des Direktors betreffen, siehe Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 29.09.2015, Nr. F07-6927/2015, Sachnr. А56-75017/2014; a. A. Föderales Arbitragegericht des Nordkaukasischen Okrug, Urteil vom 16.01.2014, Nr. F08-8821/2013, Sachnr. А01-368/2013, das strikt zwischen der Geschäftsreputation der beim Unternehmen angestellten natürlichen Person und der Geschäftsreputation der juristischen Person trennt; ganz ähnlich auch die deutsche Rspr., siehe BGH, Urteil vom 08.07.1980 – VI ZR 177/78, GRUR 1980, 1090 (1092). 105 Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 03.02.2015, Nr. F0516333/2014, Sachnr. A40-33496/14. 106 Mordochov, Sposoby zaščity delovoj reputacii sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 89; die Thematik soll an dieser Stelle nicht vertiefend betrachtet werden. 107 OG, Entscheidung vom 28.06.2018, Nr. 303-ĖS18-7977, Sachnr. A73-9769/2017; Entscheidung vom 21.05.2018, Nr. 303-ĖS18-4786, Sachnr. A04-2275/2017, letztinstanzlich erfolglos wegen Bewertung der Äußerung als Meinung; Entscheidung vom 06.06.2016, Nr. 304ĖS16-5187, Sachnr. 304-ĖS16-5187. 108 OG, Entscheidung vom 26.10.205, Nr. 307-ĖS15-5345, Sachnr. A56-17708/2014. 109 Arbitragegericht der Oblast Novosibirsk, Beschluss vom 05.10.2017, Sachnr. A4510107/2017, letztinstanzlich abgewiesen wegen des fehlenden Beweises der Formierung einer bestimmten Geschäftsreputation und der Schadenshöhe, OG, Entscheidung vom 03.07.2019, Nr. 304-ĖS19-9441, Sachnr. A45-10107/2017. 110 OG, Entscheidung vom 17.12.2018, Nr. 305-ĖS18-16547, Sachnr. A41-67196/2017. 111 2. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 20.12.2018, Nr. 02AP-9795/2018, Sachnr. А28-7098/2018, abgewiesen wegen der notwendigen Berücksichtung des sog. Ein-
120 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen Im deutschen Recht finden sich für Unternehmen verschiedene Möglichkeiten, sich gegen Äußerungen zur Wehr zu setzen. Dabei ist nicht abschließend geklärt, ob und wenn ja, inwieweit auch zugunsten juristischer Personen ein Persönlichkeitsrecht existiert. Der BGH hat ein solches Recht angenommen,112 das BVerfG hat sich hierzu nicht positioniert.113 Dem Reputationsschutz entsprechende Interessen werden sowohl von dem Begriff der „Unternehmenspersönlichkeit“114 und dem im Rahmen des § 823 BGB entwickelten Begriffs des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs abgedeckt. Allgemein anerkannt ist, dass sich juristische Person auf einen sozialen Geltungsanspruch115 stützen können, wenn ihr Ansehen oder ihr Ruf beeinträchtigt wird.116 Dabei besteht ein nicht nur eindimensionaler Schutz, sondern ein Bündel an zuerkannten Rechtspositionen, zusammengefasst oftmals unter dem zivilrechtlichen Terminus „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“.117 Im Bereich des deliktsrechtlichen Vermögensschutzes gehört hierzu ihre Kreditwürdigkeit.118 Teilweise wird auch in der deutschen Rechtsprechungspraxis119 von der (Geschäfts-) Ehre gesprochen. Ob eine juristische Person über eine Ehre verfügt, ist jedenfalls strittig.120 Sie existiert jedenfalls in Ausformung ihres sozialen Geltungsanspruchs.121 Die unter dem „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ gebündelten Rechtsgüter beziehen sich in der Regel auf den Schutz gegen Rufschädigung.122 Nicht vom Persönlichkeitsrecht umfasst ist der Bildnisschutz. Dieser besteht gaberechts, Art. 33 Verf. RF, das in diesen Fällen regelmäßig überwiegt, siehe supra Kap. 3 A V. 112 BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85; GRUR 1986, 79; BGH, Urteil vom 26.01.2017 – I ZR 217/15, GRUR 2017, 918. 113 BVerfG, Beschluss vom 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, NJW 2002, 3619 (3622); siehe hierzu bereits Kap. 3 A. III. 3. 114 In der Rspr. wörtlich zuletzt etwa bei BGH, Urteil vom 16.01.2018 – VI ZR 498/16, NZG 2018, 797 (799) (hier: „Unternehmerpersönlichkeitsrecht“); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2020 – Kart 1/20 (V), BeckRS 2020, 9817; OLG Hamburg, Urteil vom 21.05.2019 – 7 U 109/18, NJW-RR 2019, 1059 (1061); in der Literatur ablehnend Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1065). 115 BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85, GRUR 1986, 759 (761). 116 So in ständiger Rspr. der BGH, z. B. BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877 (2879); in der Literatur Brändel/Schmitt, in: Götting, § 31 Rn. 9; m. w. N. Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 46; Bamberger/Förster, in: BeckOK BGB, § 12 Rn. 167. 117 Siehe dazu Cronemeyer, AfP 2 (2014), 111 (111 ff.); Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1065 ff.). 118 § 824 BGB. 119 BGH, Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 19/08, NJW 2009, 3580 (3580); BGH, Urteil vom 16.11.2004 – VI ZR 298/03, NJW 2005, 279 (282). 120 Vgl. Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1068, 1069); ablehnend Brändel/Schmitt, in: Götting, § 31 Rn. 9; Regge/Pegel, in: MüKo zum StGB, Vor. § 185 Rn. 45 ff., bejahend dagegen BGH, Urteil vom 16.11.1982 – VI ZR 122/80, NJW 1983, 1183 (1183). 121 BGH, Urteil vom 27.02.2018– VI ZR 489/16, GRUR 2018, 642, 643; BGH, Urteil vom 19.01.2016 – VI ZR 302/15, NJW 2016, 1584; Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, Vor. §§ 185 ff. Rn. 3; Valerius, in: BeckOK StGB, § 185 Rn. 11. 122 Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1065); Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 48.
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mangels fehlender Abbildungsmöglichkeit nicht.123 Körperlichen Sachen wie etwa Unternehmensgebäuden fehlt es an der gesamtheitlichen Abbildungsmöglichkeit der die „Persönlichkeit“ formenden Bestandteile. Namensschutz genießen juristische Personen ebenso, bei Kapitalgesellschaften besteht dieser in Form des Firmenschutzes.124 Schutz findet auch der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisschutz.125 Überschneidungen können auftreten mit dem Datenschutzrecht, hinter die die persönlichkeitsrechtlichen Regelungen regelmäßig zurücktreten.126 Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb stellt neben dem von der Rechtsprechung in den genannten Grenzen anerkannten „Persönlichkeitsrecht“ den zweiten,127 sog. „offenen“ Tatbestand dar, der im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung den „sonstigen Rechten“ des § 823 I BGB zugeordnet wird.128 Im Rahmen der Abwägung mit den entgegenstehenden Rechten wird die Frage der Rechtswidrigkeit des Eingriffes hier gesondert geprüft.129 Die Rechtsprechung lässt die konkrete Abgrenzung beider Tatbestände und ihr Verhältnis zueinander offen.130 Teilweise wird indes vertreten, ein Schutz des Rufs einer juristischen Personen könne hinlänglich über den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb erreicht werden; eines „Unternehmenspersönlichkeitsrechts“ bedürfe es daher nicht.131 Ohne diese Frage zu beantworten, zählt die Rechtsprechung zu den geschützten Positionen die „Ehre“ eines Unternehmens,132 ihren sozialen Geltungsanspruch133, ihr Recht auf Außendarstellung134 und den Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse135 und verweist dabei zumeist sowohl auf das Persönlichkeitsrecht als auch auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.136 Eine Parallele zum russischen Recht kann insbesondere 123
Brändel/Schmitt, in: Götting, § 31 Rn. 14. BGH, Urteil vom 24.10.1990 – XII ZR 112/89, GRUR 1991, 157. BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877. 126 Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 12. 127 Und dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht nachgeordneten, Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (5). 128 LG Stuttgart, Urteil vom 09.10.2014 – 11 O 15/14, BeckRS 2014, 23571, bestätigt durch OLG Stuttgart, Urteil vom 08.07.2015 – 4 U 182/14, BeckRS 2015, 12149. 129 Ibid. 130 Ibid.; ebenso etwa OLG Dresden, Urteil vom 08.09.2011 – 4 U 459/11, BeckRS 2011, 27291. 131 Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 48; Koreng, GRUR 12 (2010), 1065, (1065). 132 BGH, Urteil vom 02.12.2008 – VI ZR 219/06, NJW 2009, 915 (916); „Geschäftsehre“ bei OLG Hamburg, Beschluss vom 29.06.2006 – 3 U 12/06, BeckRS 2007, 3174. 133 BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877 (2879); BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85, NJW 1986, 2951 (2951); BGH, Urteil vom 03.06.1975 – VI ZR 123/74, GRUR 1976, 210 (211). 134 BVerfG, Beschluss vom 26.06.2002 – 1 BvR 558/91, NJW 2002, 2621 (2622); BVerfG, Beschluss vom 29.10.2002 – 1 BvR 525/99, NJW 2003, 879 (879); OLG Hamburg, Urteil vom 26.03.2019 – 7 U 94/13, ZUM-RD 2019, 572 (noch nicht rechtskräftig). 135 BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877 (2881). 136 OLG Köln, Urteil vom 19.12.2006 – 15 U 110/06, NJW-RR 2007, 698; OLG Ham124 125
122 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen in Hinblick auf die Analyse der Stoßrichtung der bestehenden Schutzgüter erkannt werden: Der Schwerpunkt des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes juristischer Personen liegt auch in Deutschland bei der „Abwehr“ und dem „Ausgleich materieller Beeinträchtigungen“.137 Im Ergebnis sind demnach im russischen Recht die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens sowie der Schutz ihrer Außendarstellung zentrale Bestandteile des rechtlichen Schutzes der Geschäftsreputation. Dies erinnert in seiner Gesamtheit an das Schutzgut des § 824 BGB, das den Schutz der gewerblichen Tätigkeit,138 den „Erwerb und [das] Fortkommen“ eines Unternehmens139 beinhaltet und weniger an einen sozialen Achtungsanspruch oder gar eine Geschäftsehre.140
III. Entstehungsmoment Teilweise wird das besondere Entstehungs- und Formierungsmoment der Geschäftsreputation einer juristischen Person sogar als eigenständiges Merkmal141 derselben verstanden. Dies muss insofern von der Hand gewiesen werden, als auch die Geschäftsreputation natürlicher Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt „be- oder entsteht“. Das besondere Moment liegt daher nicht in der Entstehung als gesondertes Merkmal der Geschäftsreputation einer juristischen Person, sondern vielmehr im konkreten Zeitpunkt der Entstehung. Dieser konkrete Zeitpunkt wird unterschiedlich bestimmt. Relevant ist er für die Frage, ab wann eine juristische Person persönlichkeitsschützende Ansprüche geltend machen kann. Unstimmigkeit herrscht darüber, ob die Geschäftsreputation mit Entstehung der juristischen Person selbst142 oder erst mit der Zeit ab Aufnahme der Geschäftstätigkeit gebildet wird.143 Eine Mindermeinung geht davon aus, dass es überhaupt keinen konkreten Zeitpunkt gebe.144 burg, Urteil vom 18.01.2012 – 5 U 51/11, GRUR-RS 2012, 02275; im Ergebnis beide Tatbestände verneint bei BGH, Beschluss vom 15.07.2005 – GSZ 1/04, NJW 2005, 3141; BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, ZUM 2018, 519. 137 Brändel/Schmitt, in: Götting, § 31 Rn. 19. 138 Teichmann, in: Jauernig, § 824 Rn. 1. 139 Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 3. 140 OLG Hamburg, Beschluss vom 29.06.2006 – 3 U 12/06, BeckRS 2007, 3174. 141 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 32. 142 Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113 (114); Ivanenko, Rossijskaja justicija 10 (2000), 24 (24). 143 Maleina, Zaščita česti, dostoinstva i delovoj reputacii predprinimatelja, S. 18, zit. nach Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 32. 144 Kilinkarov, Pravo na delovuju reputaciju sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 30, zit. nach Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 32.
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Die Vertreter der ersten Meinung bringen als Zeitpunkt der Entstehung der juristischen Person zumeist die Registrierung der juristischen Person an.145 Der Zeitpunkt der Registrierung ist nach Art. 49 P. 2 ZGB entscheidend für die Erlangung der Rechtsfähigkeit. Ab diesem Moment soll sich die juristische Person auf „ihre Geschäftsreputation“ berufen können.146 Andere sehen in der Registrierung keine notwendige Bedingung, vielmehr könne sich die juristische Person auch davor auf ihre Geschäftsreputation berufen. So habe jedes Objekt vor Beweis des Gegenteils eine positive Reputation.147 Eine juristische Person, die noch nicht tätig geworden ist, habe danach eine positive Reputation in dem Sinne, dass ihr nichts Negatives anhaftet.148 Hier stellt sich die Frage, welche konkrete Reputation zu diesem Zeitpunkt bestehen soll. So kann es vorkommen, dass eine Meinungsbildung bereits stattgefunden hat. In den meisten Fällen aber wird eben diese Meinungsbildung erst stattfinden. So will Archiereev die Rechtsposition der Geschäftsreputation – das Recht auf Geltendmachung der Geschäftsreputation – die jede juristische Person ab dem Zeitpunkt ihrer Registrierung innehabe, vom konkreten Gut Geschäftsreputation trennen. Letzteres spricht er der juristischen Person erst mit voranschreitendem Zeitablauf und Tätigwerden der juristischen Person zu.149 In Betracht zu ziehen ist die praktische Relevanz dieser Überlegungen. Diese besteht zum einen aus der Frage des Bestehens der Geschäftsreputation und ihrer konkreten Beschaffenheit im Moment der Verletzung bzw. der Frage nach einer möglichen Verletzung und dem daraus resultierenden Schaden. Zu diesem Zeitpunkt hat die juristische Person das Recht, die Verletzung ihrer in diesem Moment bestehenden Geschäftsreputation geltend zu machen. Bereits zu Beginn der Tätigkeit – nach Registrierung – hat die juristische Person eine Geschäftsreputation inne, auf die sie sich berufen kann – nur wird ihr Ausformungsgehalt ein geringer sein. Hierin liegt die bereits oben beschriebene Dynamik des öffentlichen Ansehens einer juristischen Person. Das Berufen auf die Geschäftsreputation wird damit determiniert durch die konkrete Ausformung im Zeitpunkt der Schädigung und ist durch diese begrenzt. Zum anderen ist der Zusammenhang zwischen einer entstandenen Geschäftsreputation und der Rechtsfähigkeit zu betrachten. Tritt beides mit dem Moment der Registrierung ein, besteht der rechtliche Persönlichkeitsschutz ab diesem Zeitpunkt. Will man den Zeitpunkt der Entstehung nach vorne verschieben, bestehen prozessrechtliche Hindernisse, da die juristische Person als nichtrechts145
Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 29, aus: Konsul’tant Pljus. Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 29, aus: Konsul’tant Pljus. Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (100); Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (111). 148 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (100). 149 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 33. 146 147
124 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen fähige Person nicht prozessfähig ist.150 So können etwa auch Firmenschutzrechte erst nach dem Zeitpunkt der Eintragung geltend gemacht werden.151 Gleichzeitig kann auch eine Gesellschaft in Gründung ein Interesse an einem entsprechenden Persönlichkeitsschutz haben. Zwar wird in dem Fall selten eine Geschäftsreputation in einem bestimmten positiven oder negativen Sinne bestehen, durch abwertende Äußerungen kann aber ein neutraler Ruf verschlechtert werden oder ein negativer Ruf überhaupt erst entstehen. Entsprechender Schutz könnte dann über die einzelnen Gründer und deren Geschäftsreputation denkbar sein.152 In der gerichtlichen Praxis wird auf die Frage des Entstehens so nicht eingegangen. Thematisiert wird vielmehr, welche konkrete Reputation zum Schädigungszeitpunkt bestand, um so für schadensrechtliche Fragen den Zustand vor der Rechtsgutsverletzung festzustellen. Die Gerichte verlangen dafür den Nachweis einer entwickelten Geschäftsreputation.153
IV. Charakteristika Artt. 150, 151 ZGB betreffen die immateriellen Güter, die sich wie festgestellt durch ihre Verbundenheit mit der Person und durch ihre fehlende Kommerzialisierung auszeichnen. Daneben wurde auf die Unterschiede zwischen einer juristischen und einer natürlichen Person für die für das vorliegende Thema bedeutsamen Fragen eingegangen. Insofern stellt sich die Frage, inwiefern die Geschäftsreputation der juristischen Person von Art. 150 ZGB repräsentiert wird. Dies läge dadurch grundsätzlich nahe, da juristische Personen die Anwendung der auf die Geschäftsreputation bezogenen Ansprüche aus Art. 152 P. 11 ZGB ableiten können, eine Norm, welche wiederum in systematischem Zusammenhang mit Art. 150 ZGB steht. Im Folgenden sollen daher die Charakteristika der Geschäftsreputation juristischer Personen mit den Charakteristika der Geschäftsreputation nach Art. 150 P. 1 ZGB abgeglichen werden.
1. Immaterielles Gut nach Art. 150 ZGB Auch die Geschäftsreputation juristischer Personen ist gegenstandlos.154 Wie gesehen wird der Immaterialität nach Art. 150 P. 1 ZGB daneben die Eigenschaft der Vermögenslosigkeit zugesprochen. Die Geschäftsreputation ju150 Art. 43 P. 1 APK (Art. 398 der ZPO RF) i. V. m. Artt. 48 ff. ZKB; Jarkov, Graždanskij process, S. 75. 151 Siehe dazu infra Kap. 5 B. IV. 152 Das russische Recht kennt die „Vorgesellschaft“ nicht. Haftungsfragen werden nach Art. 89 P. 2 ZGB gesamtschuldnerisch gelöst, Galander, Russisches Wirtschaftsrecht, S. 70. 153 OG, Entscheidung vom 03.07.2019, Nr. 304-ĖS19-9441, Sachnr. A45-10107/2017; OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015, siehe eingehend dazu infra Kap. 6 B. II. 3. c). 154 Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (21).
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ristischer Personen wird gleichzeitig nach den P. 42 ff. der Verordnung zur Buchführung Nr. 14/2007 zu den immateriellen Aktiva gezählt. Die fehlende Gegenständlichkeit habe daher keine Auswirkung auf ihre Verkehrsfähigkeit.155 Dieser Gegensatz ist insofern bedeutsam, als immaterielle – geistige – Güter im Sinne des Art. 150 ZGB keinen Vermögensbezug haben, immaterielle Aktiva dagegen zum Vermögen zu zählen sind.156 Die Gerichte stellen grundsätzlich auf die Zugehörigkeit zu Art. 150 ZGB ab,157 ohne weiter auf mögliche Besonderheiten einzugehen. In der wissenschaftlichen Literatur wird dies eingehender untersucht. Vereinzelt wird die Zugehörigkeit zu Art. 150 ZGB mit der Begründung bejaht, auch die Geschäftsreputation juristischer Personen sei durch immaterielle Faktoren begründet, namentlich die öffentliche Meinung, der fehlende materielle Ausprägung, die Trägerzentriertheit und seine Individualisierung, die Unabhängigkeit vom Sachenrecht, die fehlende Fähigkeit, alleiniger Gegenstand eines Rechtsgeschäfts zu sein und die mit ihr zusammenhängenden Möglichkeiten des Rechtsschutzes.158 Die zuletzt aufgezählte Begründung ist ein Zirkelschluss – schließlich bestimmen die mit der Geschäftsreputation zusammenhängenden Rechtsschutzmöglichkeiten nicht über ihren Gehalt. Die wohl überwiegende Meinung in der Literatur ist sich zwar darüber einig, dass die Geschäftsreputation juristischer Personen nicht Art. 150 ZGB zuzuordnen ist,159 sie findet aber keinen gemeinsamen Nenner bei der Frage nach ihrer eigentlichen Natur. Erdelevskij zählt die Geschäftsreputation als materielles Gut160 zum „anderen Vermögen“161 nach Art. 128 ZGB.162 Archipov spricht von der „faktischen“ 155 Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (21); Trofimova, Vestnik Omskogo universiteta 3 (2009), 244 (245), die vom „gebundenen Aktivum“ spricht. 156 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 8, aus: Konsul’tant Pljus. 157 Föderales Arbitragegericht des Moskauer Orkug, Urteil vom 11.09.2008, Nr. KGA40/8303–08, Sachnr. А40-32184/07-15-181; Föderales Arbitragegericht des Okrug Ural, Urteil vom 14.07.2010, Nr. F09-7703/09-S6, Sachnr. А60-33583/2008-CR; Föderales Arbitragegericht des Fernöstlichen Okrug, Urteil vom 05.03.2018, Nr. F03-468/2018, Sachnr. A739769/2017; auch in höchstrichterlichen Entscheidungen, siehe etwa OG, Entscheidung vom 18.07.2018, Nr. 305-ĖS18-3354. 158 Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 14; auch Trofimova, Vestnik Omskogo universiteta 3 (2009), 244 (245), lenkt mit dem Hinweis ein, die Geschäftsreputation sei zwar ein Aktivum der juristischen Person, dennoch aber an diese gebunden. 159 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. Kozlova, Pravosub”ektnost’ juridičeskogo lica, S. 31, aus: Konsul’tant Pljus; Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (157); Rybina, in: Vitruka/Nudnenko, Konstitucionnye prava i svobody ličnosti v kontekste vzaimodejstvija graždanskogo obščestva i pravovogo gosudarstva, S. 283 (288). 160 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (134), so jedenfalls für kommerzielle Organisationen. 161 „Inoe imuščestvo“. 162 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus; auch Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (95–96); ohne sonstige Einordnung
126 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen Verkehrsfähigkeit der Geschäftsreputation als Aktivum und verweist auf ihren Vermögenscharakter, lehnt eine Verbundenheit mit Art. 128 ZGB aber ab.163 Teilweise wird von einer vollständigen Kommerzialisierung ausgegangen. Die Geschäftsreputation juristischer Personen sei daher ein Vermögensgut.164 Danach sei das „Recht auf Schutz der Geschäftsreputation“ unmittelbar mit den Vermögensrechten verbunden und könnte nicht als Nichtvermögensrecht angesehen werden.165 Auch Vlasov zählt die Geschäftsreputation zu den materiellen, veräußerbaren Objekten und zieht einen Vergleich zu den Objekten der Ausschließlichkeitsrechte.166 Dem lässt sich entnehmen, dass diese Vertreter der juristischen Person kein Nichtvermögensrecht in Hinblick auf die Geschäftsreputation zuerkennen. Andernorts wird daher auch ausschließlich von Vermögensrechten gesprochen.167 Andere gehen davon aus, das „Recht auf eine Geschäftsreputation“ sei ein Nichtvermögensrecht, das mit den Vermögensrechten „verbunden“ ist.168 Ähnlich findet sich dies bei Vertretern der Ansicht, die Geschäftsreputation juristischer Personen sei ein Konstrukt, das zwischen die immateriellen Güter von Art. 150 ZGB und die Objekte des geistigen Eigentums tritt.169 Daher wird konstatiert, die Geschäftsreputation sei zwar im traditionellen Sinne ein immaterielles und unveräußerliches Gut, habe aber mit der (eingeschränkten) Übertragbarkeit eine nur ihr obliegende Besonderheit.170 Die Geschäftsreputation juristischer Personen ist damit durch ihre vollkommene Kommerzialisierung nicht mit dem in Art. 150 ZGB angelegten Konzept immaterieller Güter zu vereinen. Die Charakteristika der Geschäftsreputation natürlicher Personen können nicht mit den Charakteristika der Geschäftsreputaverneint auch Rybina, in: Vitruka/Nudnenko, Konstitucionnye prava i svobody ličnosti v kontekste vzaimodejstvija graždanskogo obščestva i pravovogo gosudarstva, S. 283 (289), die Zugehörigkeit zu Art. 150 ZGB. 163 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (157). 164 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 29, aus: Konsul’tant Pljus. 165 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 887, irritierend ist hier aber, dass später (S. 896 Fn. 1) vom persönlichen Nichtvermögensrecht, das mit den Vermögensrechten verbunden ist, gesprochen wird. 166 Vlasov, Problemy sudebnoj zaščity česti, dostoinstva i delovoj reputacii, Moskau 2000, S. 23, zit. nach Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (22); Džabaeva verweist hier in diesem Zusammenhang auch auf das weite Verständnis des Eigentumsbegriffs und der entsprechend weiten Auslegung durch den EGMR; Ivanenko, Rossijskaja justicija 10 (2000), 24 (25). 167 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 40; in der Tendenz wohl auch Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (22); Rybina, in: Vitruka/Nudnenko, Konstitucionnye prava i svobody ličnosti v kontekste vzaimodejstvija graždanskogo obščestva i pravovogo gosudarstva, S. 283 (289), stellt den Charakter der Geschäftsreputation juristischer Personen als „vollständig materiell“ dar. 168 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 896 in Fn. 1. 169 Gusalova, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii, S. 58, bezeichnet diese Stellung als „promežutočnyj“/„dazwischenliegend“; Smolina, Zaščita delovoj reputacii organi zacii, S. 8, aus: Konsul’tant Pljus; ebenso Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (22). 170 Ivanenko, Rossijskaja justicija 10 (2000), 24 (25).
A. Geschäftsreputation
127
tion juristische Personen gleichgesetzt werden. Zwar stellt die Geschäftsreputation ein immaterielles Gut dar, nicht jedoch eines, das den Voraussetzungen des Art. 150 ZGB entspricht. Sie sollte daher nicht als bloß „besonderes immaterielles Gut“, sondern als Fremdkörper im System der Art. 150–152 ZGB verstanden werden. Dementsprechend sind die Begrifflichkeiten der Geschäftsreputation natürlicher Personen und der juristischen Person nicht deckungsgleich.
2. Bewertbarkeit Wie oben bereits betrachtet sind die immateriellen Güter nicht in Geld wägbar und daher unbezifferbar. Die Geschäftsreputation juristischer Personen ist jedoch ein immaterielles Aktivum in unternehmerischen Bilanzen.171 Dem wird ihre wertmäßige Einschätzbarkeit entnommen.172 Dieser Tatsache entspringt auch der Vergleich mit den Rechten des geistigen Eigentums.173 In absoluten Größen gesehen führt eine positive Reputation demnach zur Erhöhung in der Bewertung des Preises bzw. des Werts, sodass sich bei einem hypothetischen Verkauf der Preis erhöht, während eine negative Reputation den Kauf günstiger macht.174 Es wird auch von „Preisrabatt“ gesprochen.175 Archiereev unterscheidet qualitative Bewertung und quantitative Bewertung. Erstere meint den Ruf der juristischen Person im Vergleich zu Konkurrenten, letztere den Wert der juristischen Person als Erfassungsgröße innerhalb der Aktiva.176 Spricht man allerdings von der Bewertbarkeit der juristischen Person nach mathematischen Grundsätzen ist gerade nur das berechenbar, was Archiereev als „quantitativ“ beschreibt, nämlich der Wert der Geschäftsreputation als immaterielles Aktivum. Der Autor deckt damit das Problem der Bezifferbarkeit auf: Als unmittelbare Folge der möglichen „dynamischen“177 Veränderungen178 einer Geschäftsreputation ergibt sich das Problem der schwierigen Verifikation einer bestimmten Geschäftsreputation und ihres Wertes.179 Die bereits im Rahmen der „immateriellen Güter“ besprochene Frage der Wägbarkeit dieser 171 Die Geschäftsreputation juristischer Personen ist nach den Punkten 27–29 der Verordnung über die Buchführung ein immaterielles Aktivum, siehe dazu bereits supra Fn. 102. 172 Ivanenko, Rossijskaja justicija 10 (2000), 24 (25), spricht von „ungefährer“ Einschätzbarkeit. 173 Ivanenko, Rossijskaja justicija 10 (2000), 24 (25). 174 Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 9, aus: Konsul’tant Pljus; Markina, Konkurentnoe pravo 2 (2016), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 175 Markina, Konkurentnoe pravo 2 (2016), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus. 176 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 39. 177 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 22. 178 Fedorova, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 152 P. 1, S. 343, spricht von „sich herausbilden“. 179 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 36.
128 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen Güter zeigt sich auch bei der Geschäftsreputation. Eine einheitliche Bezifferungsmethode der Geschäftsreputation existiert dabei nicht.180 Dennoch werden entsprechende Versuche unternommen. So soll der Wert an der Preiserhöhung eines Unternehmens zum Wert ihrer Aktiva nach der buchhalterischen Bilanz und der Gesamtheit der in die Erhaltung der Geschäftsreputation investierten Ausgaben, oder nach der Werthaltigkeit aller Teile der immateriellen Aktiva des Unternehmens bemessen werden.181 Daneben tritt die nicht wertmäßig greifbare „Meinung“ der Gesellschaft oder des Marktes zu einer juristischen Person. Diese kann lediglich etwa aus Wertschwankungen bzw. -entwicklungen abgeleitet werden. Konkreter ist sie dem entsprechenden Posten der Bilanz zu entnehmen, auch hier handelt es sich aber um einen Näherungswert.182
3. Vermögenscharakter Der „wirtschaftliche Charakter“ wird zumeist als das Kriterium der Geschäftsreputation juristischer Personen angeführt, zuweilen sogar als „überwiegendes“ Charakteristikum bezeichnet.183 Rožkova beschreibt das „Verständnis der Geschäftsreputation gerade als Vermögen“.184 Für den wirtschaftlichen Charakter wird immer wieder darauf verwiesen,185 dass die Geschäftsreputation zu den immateriellen Aktiva eines Unternehmens gezählt wird.186 Aus der hieraus folgenden Bewertbarkeit wird wiederum der Vermögenscharakter gefolgert.187 Dies ist allerdings nur eine Folge des eigentlichen Grundes: Die Abhängigkeit des wirtschaftlichen Erfolges des Unternehmens und die Frage seines (wirtschaftlichen) Überlebens. Die Bekanntheit eines Unternehmens sowie Investitions- und Zusammenarbeitsbereitschaft von Investoren, Geschäftspartnern und Kunden hängen auch vom Ruf des Unternehmens ab. Dies wiederum hat Einfluss auf den Absatz und auf Marktanteile – welche essentiell für das Überleben des Unternehmens sind. Die wirtschaftliche Bedeutung der Geschäftsreputation juristischer Personen zeigt sich demnach gerade bei Handlungen, die die 180
Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (22). Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (22). In der Praxis ergeben sich daraus insbesondere Fragen für die Beweisführung, worauf in Kap. 6 B. II. 1. a) und 3. e) einzugehen sein wird. 183 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 31; Markina, Konkurentnoe pravo 2 (2016), 1 (1 f.), aus: Konsul’tant Pljus. 184 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 29, „[…] ponimanija delovoj reputacii imenno kak imuščestva“. 185 Darunter Markina, Konkurentnoe pravo 2 (2016), 1 (2 f.), aus: Konsul’tant Pljus; Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 37. 186 Erlass des Ministeriums für Finanzen der Russischen Föderation vom 27.12.2007, Nr. 153 „Ob utverždenii Položenija po buchgalterskomu učetu ‚Učet nemateri al’nych aktivov‘ (PBU 14/2007)“, P. 45, siehe auch supra Fn. 102. 187 Džabaeva, Jurist 3 (2006), 21 (22). 181 182
A. Geschäftsreputation
129
Geschäftsreputation verletzen. Diese Verletzungshandlungen kann das Ansehen eines Unternehmens so mindern, dass nicht mehr tragbare Umsatzeinbrüche Folge sein können.188 Interessen wie das Ansehen, das öffentliche Bild und die Selbstdarstellung sind auf Umsatzinteressen zurückzuführen. Weil die Geschäftsreputation juristischer Personen zwar einige Eigenschaften mit den immateriellen Gütern aus Art. 150 ZGB teilt, aber wertmäßig bezifferbar ist und ihr daher „ein großes Maß an Verkehrsfähigkeit“189 zuzusprechen ist,190 hat sie in hohem Maße Vermögenscharakter.191
4. Verkehrsfähigkeit Aufgrund dieses Vermögenscharakters ergibt sich nach Meinung vieler ein bestimmter Grad an Verkehrsfähigkeit, vergleichbar – jedoch wohl mit graduellen Unterschieden – mit der eingeschränkten Verkehrsfähigkeit der Geschäftsreputation natürlicher Personen. Während so teilweise die vollständige Kommerzialisierung vertreten wird,192 spricht sich der wohl überwiegende Teil der herrschenden Lehre für eine jedenfalls eingeschränkte Verkehrsfähigkeit aus.193 Danach sei auch die Übertragbarkeit der Geschäftsreputation juristischer Personen selbst zwar nicht möglich, ihre Übertragbarkeit in Zusammenhang mit der Rechtsträgerin allerdings schon. Archiereev spricht hier vom Ausschluss der „faktischen Übertragbarkeit“.194 Dem oben angeführten Argument aus Art. 1027 P. 2 ZGB wird von den Vertretern dieser vermittelnden Ansicht entgegengehal188 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 13.04.2010, Nr. 09AP-3401/2010-GK, Sachnr. A40-61576/09-67-476, bezüglich eines entgangenen Gewinns aus Vertragsabbruch in Millionenhöhe; Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung vom 22.08.2011, Nr. VAS11384/11, Sachnr. А40-117059/2009: eingeklagt waren 300 Mio. Rub., im Ergebnis blieb die Klage aber erfolglos; Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 31; zur Bedeutung der Geschäftsreputation insofern auch Morkova/Kosorukova, Imuščestvennye otnošenija v Rossijskoj Federacii 9 (2018), 18 (18 ff.). 189 „Očen’ nebol’šoj ob”ёm graždanskoj oborotosposobnosti“. 190 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (95–96). 191 In der Literatur nicht erörtert wird die Tatsache, dass staatliche Behörden oder Organe der kommunalen Selbstverwaltung ebenfalls Klagen aus Art. 152 ZGB unter der Voraussetzung anstrengen können, dass die Äußerungen das wirtschaftliche Tätigwerden der Behörden betreffen, Föderales Arbitragegericht des Okrug Ural, Übersicht der Rechtsprechung vom 31.07.2009 „Praxisübersicht der Streitigkeiten zum Schutz der Geschäftsreputation“ („Obzor praktiki rassmotrenija sporov o zaščite delovoj reputacii“), P. 10. Auch hier ist demnach die Geschäftsreputation allein dann betroffen, wenn das Rechtssubjekt wirtschaftlich tätig geworden ist. 192 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158). 193 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 49 f.; Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (96); Morkova/Kosorukova, Imuščestvennye otnošenija v Rossijskoj Federacii 9 (2018), 18 (23). 194 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 52.
130 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen ten, die Geschäftsreputation sei selbst nicht Gegenstand der Übertragung des Konzessionsvertrages. Durch die Nutzungsübertragung an den Ausschließlichkeitsrechten erhöhe sich lediglich der Wert der Geschäftsreputation des neuen Nutzungsrechteinhabers.195 Andere unterscheiden zwischen der Unmöglichkeit der Übertragung des Guts selbst und der Möglichkeit der Übertragung des Nutzungsrechts des Guts.196 Danach bedeute die Übertragung nicht den Verlust der einen Seite, sondern nur das Recht auf Erlangung des daraus entstehenden Gewinns auf der Empfängerseite.197 So gelten Art. 1027 ZGB wie auch der bereits oben besprochene Art. 1042 ZGB zwar auch für juristische Personen, was für die Übertragbarkeit spricht. Allerdings wird angeführt, dass der Unterschied zur Übertragbarkeit von Sachen oder von Vermögensrechten sei, dass die Geschäftsreputation auch hier nie separat, sondern nur in Zusammenhang mit der juristischen Person selbst Gegenstand des Vertrags sein könne, oder aber zusammen mit einem anderen Aktivum (wie dem Markenzeichen) übertragbar sei.198 Dies ist insofern richtig, als sich die öffentliche Meinung und ihre Bewertung der Geschäftsreputation stets auf ein konkretes Subjekt beziehen.199 Daraus wird der Schluss gezogen, dass auch die Geschäftsreputation juristischer Personen nach Art. 129 P. 1 ZGB einer bestimmten Begrenzung ihrer Verkehrsfähigkeit unterliegt.200 Interessant ist dieser Gesichtspunkt bei der Unternehmensumwandlung201 nach Artt. 57, 58 ZGB. So befand ein Gericht, dass sich im Falle der Liquidierung des einen Rechtsträgers sein juristischer Nachfolger nicht auf die Geschäftsreputation seines Vorgängers berufen könne.202 Dieser Rechtsprechung 195 Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 48. 196 Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 11; Boryčeva, Graždanskopravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 56 f.; Lysenko, Problemy v rossijskom zakonodatel’stve 4 (2009), 355 (357). 197 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 57. 198 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 199 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. Das Argument Erdelevskijs wirkt sachfremd: Eine mit dem Sachenrecht vergleichbare Übertragbarkeit könne nicht zulässig sein, da dies hieße, eine bestimmte Meinung in Hinblick auf ein neues Subjekt abzuverlangen – was Erdelevskij als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit sieht. So hat dies weniger mit der Meinungsfreiheit (und damit verbundenen öffentlich-rechtlichen Pflichten) zu tun, als viel mehr mit etwaigen Fragen des unlauteren Wettbewerbs (und damit privatrechtlichen Fragen), wenn sich etwa eine bestimmte Reputation durch unrechtmäßige Verwendung angeeignet wird. 200 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 201 „Reorganizacija“. 202 Föderales Arbitragegericht des Okrug Ural, Übersicht der Rechtsprechung vom 31.07.2009 „Praxisübersicht der Streitigkeiten zum Schutz der Geschäftsreputation“ („Obzor praktiki rassmotrenija sporov o zaščite delovoj reputacii“), P. 14.
A. Geschäftsreputation
131
widersprach der OG.203 Danach gingen Rechte und Pflichten und auch das Recht, sich auf die Geschäftsreputation zu berufen, entsprechend der Regelungen des Art. 58 ZGB auf den neuen Rechtsträger über. Er führte aus, dass die Geschäftsreputation eines reorganisierten Rechtsträgers unmittelbar mit der Bildung der Geschäftsreputation des neuen Rechtsträgers verbunden sei, wenn die Tätigkeit sich in derselben Geschäftssphäre bewegt und das Vermögen des reorganisierten Rechtsträgers genutzt wird.204 Dies wird auch in der Literatur so gesehen. Danach assoziiere der Rechtsverkehr grundsätzlich den neuen mit dem alten Rechtsträger.205 Auch diese Rechtsprechung spricht für eine jedenfalls eingeschränkte Verkehrsfähigkeit der Geschäftsreputation juristischer Personen. Die Verkehrsfähigkeit hängt sodann davon ab, ob mit ihr ein anderes Gut – etwa eine Marke – übergeht oder – für den Fall der Umstrukturierung – der Rechtsträger zwar neu strukturiert, aber für die Öffentlichkeit als Gesamtheit auftritt. Zuzustimmen ist den Vertretern der vermittelnden Ansicht daher insofern, als durch die Übertragung ausschließlicher Rechte, wie in Art. 1027 P. 1 ZGB vorgesehen, nicht Wert und Bedeutung der die Geschäftsreputation ausmachenden Faktoren selbst übertragen wird, sondern das Rechtsgeschäft zur Folge hat, dass sich die Geschäftsreputation des neuen Rechteinhabers als eine Art „Kopie“ darstellt. Weniger überzeugend ist das Argument aus Art. 1042 ZGB. So spricht Art. 1042 P. 1 ZGB neben der Einbringung von Vermögen auch von Wissen, Fertigkeiten und geschäftlichen Kontakten. Damit wird nicht ipso iure die Geschäftsreputation dem verkehrsfähigen Vermögen gleichgesetzt. Das Gesetz zählt an dieser Stelle lediglich all jene Faktoren auf, die eine Einlage darstellen. Vielmehr ist danach zu fragen, was der eigentlichen „Übertragung“ zu Grunde liegt, inwiefern tatsächlich Reputation „übertragen“ wird. So wird beim Konzessionsvertrag nicht die Geschäftsreputation per se übertragen, sondern Marken- oder Firmen(nutzungs-)rechte eingeräumt. Ob man in diesem Zusammenhang überhaupt von der Übertragung der Reputation sprechen kann, ist zumindest fraglich. Diese scheint vielmehr ein „Annex“ der eingeräumten Rechte zu sein. Es überzeugt daher, die Übertragbarkeit und Veräußerbarkeit insofern zu bejahen, als die Geschäftsreputation zusammen mit dem gesamten sonstigen Bestand materieller und immaterieller Güter der juristischen Person auf einen neuen Rechtsträger zu übertragen. Demnach ist die Geschäftsreputation subjektgebunden „übertragbar“ bzw. „veräußerlich“.
203
OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 13.
204 Ibid.
205 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 57, ggf. unter Einschränkung, je nach Art und Weise der Umwandlung; Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (96).
132 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen
V. Zwischenergebnis Da für juristische Personen der Wert der Reputation in Hinblick auf den Kundenstamm, die Kreditvergabe, Gewinneinfuhren und die damit verbundenen monetären Exspektanzen eine wirtschaftlich größere Rolle spielt, hat der Vermögenscharakter ihrer Geschäftsreputation eine graduell andere Bedeutung als für natürliche Personen. Die Reputation natürlicher Personen hängt auch mit deren Würde zusammen und kann nur in engen Grenzen einer Bezifferung zugänglich gemacht werden. Der Grad an Kommerzialisierung auf der Seite der juristischen Person dagegen wandelt das Wesen der Geschäftsreputation von einem Gut ohne Vermögensbezug zu einem Vermögensgut. Ihr geistig-seelischer Bezug erschöpft sich in der Summe der dahinterstehenden Würdenträger – die allerdings grundsätzlich hinter die juristische Person zurücktreten bzw. rechtstechnisch unabhängige Rechts- und Anspruchsinhaber sind. Auch ihre separate Unübertragbarkeit und Unveräußerlichkeit ändert hieran nichts – es handelt sich hierbei lediglich um eine Besonderheit der Geschäftsreputation juristischer Personen als Vermögensgut. Danach ist die Geschäftsreputation juristischer Personen nach der hier vertretenen Ansicht kein Gut im Sinne des Art. 150 ZGB. Allein dieses Ergebnis entspricht auch dem Ineinandergreifen von Verfassung und Zivilrecht: Wie beschrieben ist Art. 150 ZGB eine unmittelbare Umsetzung der verfassungsrechtlichen Regelungen in Art. 17 P. 2 und Art. 23 P. 1 Verf. RF, die Menschen- und Bürgerrechte betreffen. Die Geschäftsreputation juristischer Personen ist demnach die in der Öffentlichkeit gebildete, veränderbare Meinung hinsichtlich des Ansehens der Person. Die Meinung bildet sich durch öffentlich zugängliche Informationen hinsichtlich sämtlicher vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger unternehmensbezogener Faktoren, sowie durch die Selbstdarstellung des Unternehmens. Dabei sind zwei Seiten der Geschäftsreputation zu unterscheiden. Die eine Seite ist der in Zahlen ausdrückbare und damit monetär materialisierte Wert in der Bilanz. Dieser ist ausschließlich bei wirtschaftlichen Unternehmen von Relevanz. Die andere, viel komplexere Seite bildet das Unternehmensbild in der allgemeinen Anschauung ab. Diese Diffusität drückt sich durch ihre Dynamik, Subjektivität und durch die verschiedenen Faktoren206 aus, die mit dem Geltungsanspruch einer juristischen Person im öffentlichen Meinungsbild zusammenhängen. Nichtsdestotrotz steht im Falle von Wirtschaftsunternehmen das Interesse an einer positiven Reputation ausschließlich mit Vermögensinteressen in Zusammenhang. Diese bilden die wirtschaftliche Lebensgrundlage für das Unternehmen.207 206 Selbstsicht eines Unternehmens, Unternehmensstrategien, politische Interessen, 207 Sie entscheidet mit über die Attraktivität eines Unternehmens als Arbeitgeber.
etc. Je attraktiver der Arbeitgeber, umso höher sind die Chancen, leistungsstarke Mitarbeiter anzuziehen und desto höher wiederum die Chance auf wirtschaftlichen Erfolg. Gleiches gilt für poten-
B. Sonstige Rechtsgüter
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Festzuhalten ist aber, dass mit der Geschäftsreputation explizit ein Rechtsgut geschaffen wurde, das Unternehmen gezielt vor verunglimpfenden Äußerungen schützt. Diese Festlegung kann als Gegenentwurf zur Lösung des BGB verstanden werden, wo der soziale Geltungsanspruch von Unternehmen nur mühsam durch die Fortentwicklung richterlicher Rechtsprechung über das umstrittene Unternehmenspersönlichkeitsrecht oder das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt wird, ohne dass hier explizit genannte Rechtsgüter bestünden, denen eine rechtliche Eindeutigkeit zu entnehmen wäre. Die Geschäftsreputation ist daher ein anerkanntes Rechtsgut juristischer Personen, das zwar rechtshistorisch aus den Gütern der Würde, Ehre und Geschäftsreputation nach Art. 150 ZGB entwickelt wurde, richtigerweise aber als eigene Kategorie verstanden werden muss. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Persönlichkeitsschutz juristischer Personen insgesamt von der Systematik und dem Verständnis der Artt. 150 ff. ZGB losgelöst zu betrachten.
B. Sonstige Rechtsgüter Im Rahmen des Ansehensschutzes juristischer Personen dominiert das Rechtsgut der Geschäftsreputation.208 In der wissenschaftlichen Diskussion finden sich daneben weitere also solche bezeichnete „Güter“,209 die eine Grundlage für „Persönlichkeitsrechte“ juristischer Personen bilden könnten. Behandelt wird die „Existenz“, die ein Recht auf Bestehen einräumt (I.), die Handlungsfreiheit als „autonome Tätigkeit“ (II.), und die nah beieinanderliegenden Güter der äußeren Erscheinung und Individualisierung (III., IV.).
I. Die „Existenz“ Vielerorts wird in der Literatur das Recht der juristischen Person auf Bestehen beschrieben, welches dort als Teil der Nichtvermögensrechte juristischer Personen anerkannt wird.210 Hierunter wird das rechtliche Institut der Regelungen tielle Vertragspartner, die Lobbyfähigkeit eines Unternehmens und seinen politischen Einfluss. All dies steht in einer stetigen Wechselwirkung mit der Position des Unternehmens am Markt, seinem Absatz, der Beliebtheit seines Produkts oder seiner Dienste. 208 Vergleiche dafür etwa Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113, der seine Überlegungen dem Thema „Immaterielle Güter juristischer Personen“ widmet. Trotz der Feststellung, es gebe viele weitere immaterielle Güter (den Firmennamen oder das Geschäftsgeheimnis), geht er alleine auf aktuelle Fragen der Geschäftsreputation ein; daneben Archiereev, Jurist 11 (2018), 47; Ali/Dmitrenko, Vestnik Arbitražnogo suda Moskovskogo okruga 4 (2016), 1; Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157; Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2011), 44. 209 Die Ausführungen zu den „Gütern“ und den (sich daraus ergebenden) „Rechten“ scheint oftmals unklar und ist fließend. 210 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 3, 143 ff.; Sitdikova, Juridičeskij
134 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen verstanden, die die Registrierung, Rechtsfähigkeit und Auflösung juristischer Personen behandeln. So wird eine juristische Person erst mit der Registrierung zu einer solchen und kann Rechte und Pflichten begründen.211 Kern des Rechts auf Existenz ist die Tatsache, dass eine juristische Person nicht einfach „verboten“ werden kann, sondern das Ende ihrer Existenz allein auf ihren Willen zurückzuführen ist.212 Das Recht auf Bestehen sichert demnach nicht vor Einmischung in die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens von außen oder statuiert gar ein „Recht auf Leben“. Es ist allein Garant für die der juristischen Person obliegende Möglichkeit, frei über ihre Tätigkeit als Rechtssubjekt zu entscheiden.213 Damit sind die den Art. 48 ff. ZGB zugrunde liegenden Regelungen lediglich die konsequente einfachgesetzliche Ausformung der Institutsgarantie, als (kommerzielle wie nichtkommerzielle) Organisation tätig zu werden. Diese Konsequenz ergibt sich nicht zuletzt aus dem mit der Verfassung von 1993 gewählten Modell einer freien Marktwirtschaft.214 So mag es zwar vertretbar sein, dies nach der vorherrschenden Dogmatik den Nichtvermögensrechten zuzuordnen, eine Funktion zum Persönlichkeitsschutz im Sinne des Rufschutzes kommt der Thematik dabei aber nicht zu.
II. Die autonome Tätigkeit Das Recht auf autonome Tätigkeit ist ähnlich wie das Recht auf Bestehen so nicht geregelt. Es ergibt sich nach der Literatur aus Art. 2 P. 1 ZGB, nach dem die Subjekte gleichgesetzte, freie und hinsichtlich ihres Vermögens unabhängige Teilnehmer des Rechtsverkehres sind. Dementsprechend leitet die Literatur hieraus das Recht einer juristischen Person ab, ihre „inneren“ und „materiellen“ Tätigkeiten frei zu bestimmen und zu verwalten.215 Tolstoj zählt hierzu auch die Unantastbarkeit der inneren Tätigkeit der Organisation.216 In diesem Zusammenhang fragt sich, ob dies auch den Geheimnisschutz umfasst. Der Geheimnisschutz wird per se nicht als Nichtvermögensrecht juristischer Personen genannt. Gleichwohl ist es im Interesse von Unternehmen, bestimmte Informationen verdeckt zu halten, um ein gewünschtes Bild in der Öffentlichkeit herzustellen und zu erhalten. Diesen Zweck erfüllt das Institut des Geschäftsgeheimnisses.217 In Art. 150 ZGB wird das Geschäftsgeheimnis im Gegensatz zum persönlichen oder familiären Geheimnis nicht genannt. mir 7 (2015), 27 (27–31); daneben nennt Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 54, dieses Recht „Lebenstätigkeit“. 211 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 157. 212 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 157. 213 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 158. 214 Kettler, in: Einführung in das russische Recht, S. 119. 215 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 158. 216 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 159. 217 „Kommerčeskaja tajna“.
B. Sonstige Rechtsgüter
135
Art. 139 ZGB, der das Dienst- und Geschäftsgeheimnis betraf, ist seit 2006 außer Kraft getreten, die „Information“ wurde als Rechtsgut von Art. 128 ZGB ausgeschlossen.218 Das Geschäftsgeheimnis wird seither geschützt durch das Geschäftsgeheimnisgesetz.219 Danach haben juristische Personen das Recht, den Zugang zur Informationen zu verbieten bzw. zu regulieren, Art. 6.1 P. 2 lit. 3) Geschäftsgeheimnisgesetz. Daneben haben sie nach lit. 4) und 5) Vertraulichkeitsansprüche wie auch Schadensersatzansprüche220 bei Enthüllung oder rechtswidrigem Gebrauch, lit. 6).221 Unklar ist das Verhältnis zum ZGB.222 Dort regeln Artt. 1465–1472 ZGB223 den Schutz des Knowhow.224 Der Begriff des Knowhow soll gleichbedeutend sein mit dem des Geschäftsgeheimnisses.225 Nach Art. 1472 ZGB besteht ebenso wie im Geschäftsgeheimnisgesetz ein Vertraulichkeitsanspruch wie auch ein Schadensersatzanspruch226 mit Haftungsausschluss bei fehlender Verantwortlichkeit nach P. 2 der Vorschrift, sodass ein Gleichlauf mit den Regelungen des Geschäftsgeheimnisgesetzes besteht. Ähnliches lässt sich auch Art. 14 Geschäftsgeheimnisschutzgesetz entnehmen, der bei Verstößen gegen das Gesetz auf die bestehende zivilrechtliche Verantwortlichkeit verweist. In der Literatur findet sich dazu der Verweis auf Art. 17 P. 2 Informationsgesetz.227 Danach können bei rechtswidriger Verbreitung von Information auch Ansprüche aus Art. 152 ZGB geltend gemacht werden.228 Die Geltendmachung von Art. 152 ZGB in diesen Fällen ist zweifelhaft. Art. 152 218 Föderalgesetz „Über die Inkrafttretung des vierten Teils des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation“ („O vvedenii v dejstvie časti četvertoj Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii“), vom 18.12.2006, Nr. 231-FZ. 219 Föderalgesetz „Über das Geschäftsgeheimnis“ („O kommerčeskoj tajne“), vom 29.07.2004 (in der Fassung vom 18.04.2018), Nr. 98-FZ. 220 Bei Fehlen der Verantwortlichkeit begrenzen sich die Ansprüche auf die Einhaltung der Vertraulichkeit, Art. 14 P. 4, 5 Geschäftsgeheimnisgesetz. 221 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 160, verweist zudem auf die Grenzen der Tätigkeitsautonomie. Diese liegen dort, wo eine juristische Person bestimmte öffentliche Funktionen erfüllt, wie die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Übernahme sozialpolitischer Aufgaben. Daher könne ein Unternehmen nicht vollständig verschlossen vor dem Einblick von außen sein. Nach Art. 5 Geschäftsgeheimnisgesetz gibt es daher eine Reihe von Informationen, die nicht geheim gehalten werden dürfen. Dazu gehören Informationen über Registereinträge der juristischen Person, Bestätigungen über das Recht zur Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit oder auch Informationen über das Vermögen. 222 Vgl. Nuždin, in: Pravovoe prostranstvo Rossii: opyt i sovremennost’, S. 128. 223 Föderalgesetz „Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation vierter Teil“ („Graždanskij kodeks Rossijskoj Federacii čast’ četvёrtaja“), vom 18.12.2006, Nr. 230-FZ, zuletzt geändert durch Föderalgesetz vom 31.07.2020, Nr. 262-FZ. 224 „Sekret proizvodstva (Nou-Chau)“. 225 So Nuždin, in: Pravovoe prostranstvo Rossii: opyt i sovremennost’, S. 127, der dies allerdings kritisch zurückweist und für eine Unterscheidung plädiert. 226 In beiden Fällen hinsichtlich materieller Schäden. 227 Siehe supra Fn. 30. 228 Danilin, Kommentarij k zakonu „O kommerčeskoj tajne“, S. 30, Art. 17, aus: Konsul’tant Pljus.
136 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen ZGB verlangt das Vorliegen „unwahrer Tatsachen“.229 Dies wäre mit der Offenlegung geschützter Informationen nicht gegeben. Art. 152 ZGB wäre also allenfalls als Rechtsfolgenverweisung anwendbar. Der Blick in die Rechtsprechungspraxis vermittelt hier kein eindeutiges Ergebnis. Bei paralleler Betrachtung derselben Frage zum Firmen- und Markenschutz, muss der Vorschlag aus der Literatur zur Anwendung des Art. 152 ZGB abgewiesen werden: Die Fachgerichte verneinen das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 152 ZGB und damit den Anspruch insgesamt.230 Nicht erörtert wird indes das Recht auf Unantastbarkeit der Unternehmensräumlichkeiten.231 Zusammenfassend kann das Recht auf autonome Tätigkeit als eine Art Überbegriff bezeichnet werden, der allerdings in der Praxis leerläuft. So bestehen keine konkreten Rechte zum Schutz der autonomen Tätigkeit. Dagegen existieren aber bestimmte Ansprüche zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse, die u. a. die autonome Tätigkeit schützen. Im Verhältnis zur Geschäftsreputation ist ein Nebeneinander der Ansprüche anzunehmen. Die Analyse der Rechtsprechung gibt im Bereich von Überschneidungen mit dem zivilrechtlichen Schutz der Geschäftsreputation keinen Aufschluss.
III. Das äußere Erscheinungsbild Das Einflussrecht darauf, ob und auf welche Weise nach außen vor dem Rechtsverkehr in Erscheinung zu treten, wird aus dem Recht auf autonome Tätigkeit abgeleitet. Es nimmt aber weder gesetzlich, wissenschaftlich,232 noch in der Praxis233 einen eigenen Platz ein. Verstanden werden unter dem „Außenauftritt“234 die nach außen tretenden Kennzeichen, die der juristischen Person insbesondere im sachlichen Sinne zugehörig sind, wie das Gebäude oder die (materielle) Wirkstätte.235 Das Recht darauf umfasst dementsprechend die Auswahl, Erhaltung und Änderung dieser Zugehörigkeiten.236 Dazu gezählt werden teilweise237 auch Fragen des Markenrechts. Ein eigenständiger Rechtsbehelf existiert hier allerdings nicht.238 Da das Markenrecht den „Individuali229
Siehe dazu infra Kap. 6 A. I. 1. a). Siehe dazu infra Fn. 249, 250. Vgl. hierzu den Schutz der räumlichen Sphäre als Teil des „Persönlichkeitsrechts“ eines Unternehmens, OLG Stuttgart, Urteil vom 08.07.2015 – 4 U 182/14, BeckRS 2015, 12149. 232 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 166. 233 Es finden sich keine Urteile, die Fragen des Rechts auf das äußere Erscheinungsbild einer juristischen Person behandeln. 234 „Vnešnij oblik“. 235 Sitdikova, Juridičeskij mir 7 (2015), 27 (28). 236 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 165, 166. 237 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 166. 238 Sitdikova, Juridičeskij mir 7 (2015), 27 (30), fordert einen solchen für alle von ihr genannten Nichtvermögensrechte für juristische Personen. 230 231
B. Sonstige Rechtsgüter
137
sierungszeichen“ zuzuordnen ist und die einzelnen Rechte nur unscharf voneinander zu trennen sind, wird darauf unter (IV.) eingegangen.
IV. Die Individualisierungszeichen Weitere Überschneidungen mit den Persönlichkeitsrechten des Art. 152 ZGB treten im Bereich der Individualisierungszeichen auf. In Analogie zu Art. 152.1 ZGB – Schutz des Bildes des Bürgers – wäre an das Bild einer juristischen Person zu denken. Allerdings gibt es kein einem Menschen vergleichbares Bild einer juristischen Person,239 auch finden sich hierzu keine spezifischen Regelungen. In Betracht kommt zum einen aber die Firma,240 die in Art. 54 P. 1, 4, 5 ZGB geregelt ist. Weitere konkretere Schutznormen finden sich in den Artt. 1473– 1476, Kapitel 76 ZGB. Nach Art. 1474 P. 3 ZGB ist die Benutzung der Firma einer anderen juristischen Person oder die Benutzung einer ähnlichen Firma verboten, wenn die juristischen Personen in ähnlichen Tätigkeitsfeldern wirtschaften. Die Rechtsinhaberschaft bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Eintragung in das staatliche Einheitsregister.241 Bei Verstoß können nach Art. 1474 P. 4 ZGB Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden, nach denen der Rechtsverletzer zwischen der Unterlassung der Firmennutzung und der Änderung seiner Firma wählen kann.242 Ebenso sind entstandene materielle Schäden zu ersetzen, Art. 1474 P. 4 ZGB.243 Dem Recht auf Wahl der Firma wird auch Bedeutung für die Unternehmensreputation zugesprochen, insbesondere im Falle einer Änderung der Firma zur Anhebung oder Rettung einer negativ konnotierten Reputation.244 Daneben wird der Firmenschutz als eigenständiges Persönlichkeitsrecht mitunter hervorgehoben.245 Dies reicht allerdings über entsprechende Erwähnungen in der Wissenschaft nicht hinaus; der Firmenschutz bleibt in der russischen Rechtspraxis ein dem Reputationsschutz nachgeordnetes Instrument im Bereich der Persönlichkeitsrechte.246 Aus den Rechten auf autonome Tätigkeit und das äußere Erscheinungsbild wird zudem das Recht gefolgert, vor anderen unter einem frei gewählten Zeichen aufzutreten.247 Dazu gehört die Bezeichnung und Kennzeichnung der ei239 Außer vielleicht das Bild der materiellen Vermögensgüter, wie Fabriken etc. Diese unterliegen aber wohl insofern keinem Schutz. 240 „Firmennoe naimenovanie“. 241 „Edinyj gosudarstvennyj reestr“. 242 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 169. 243 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 169. 244 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 169. 245 Sergeev, Prava intellektual’noj sobstvennosti v RF, S. 29, zit. nach Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 139. 246 Indes sind die Übergänge fließend, vgl. Gericht für Geistiges Eigentum, Entscheidung vom 26.05.2017, Nr. A55-19280/2016 und Urteil vom 14.04.2017, Nr. A60-27733/2016. 247 Tolstoj, Ličnye neimuščestvennye pravootnošenija, S. 167.
138 Kapitel 5: Persönlichkeitsrechtlich relevante Rechtsobjekte juristischer Personen genen Produkte, die Veröffentlichung von Informationen, die eigene Präsentation der juristischen Person durch Waren und Dienste. Geschützt sind diese Rechte ebenfalls in Kapitel 76 des ZGB. So gibt es ein Recht auf das Markenund Dienstzeichen, Artt. 1477–1515 ZGB, das Recht auf Benennung des Herstellungsortes der Ware, Artt. 1516–1537 ZGB, das Recht auf die Geschäftsbezeichnung, Artt. 1538–1541 ZGB und das Nutzungsrecht der Ergebnisse geistiger Tätigkeit im Rahmen der sog. einheitlichen Technologie, Artt. 1542– 1551 ZGB. Überschneidungen der genannten Ausschließlichkeitsrechte mit den Rechten aus Art. 152 ZGB finden sich bei Schadensersatzansprüchen. Neben Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüchen, etwa der Unterlassung der Verwendung einer Firma oder eines Markenzeichens, werden oftmals Ansprüche auf Schadensersatz248 geltend gemacht und auf Art. 152 P. 9, 11 ZGB gestützt.249 Dabei prüfen die Gerichte allerdings stets alle Voraussetzungen des Art. 152 P. 9, P. 11 ZGB.250 Inwiefern die Rechtsinstitute darüber hinaus zusammenhängen, lässt sich der Rechtsprechung nicht entnehmen.
C. Zusammenfassung Rechtsinteressen hinsichtlich der Schaffung und Wahrung eines bestimmten Bildes und seiner Rezeption in der Öffentlichkeit werden im russischen Recht über das Rechtsgut der Geschäftsreputation geschützt. Neben der Geschäftsreputation werden in der Literatur weitere Rechte und Rechtsgüter diskutiert. Teilweise werden diese sehr extensiv auf juristische Personen übertragen und so fast sämtliche Äquivalente der entsprechenden Güter natürlicher Personen zugesprochen. Dabei scheint es, als versuche ein Teil der wissenschaftlichen Literatur für juristische Personen eine Art umfassendes Äquivalent zum Persönlichkeitsschutz natürlicher Personen zu schaffen. Dies findet allerdings nur vereinzelt Anerkennung, es ist insofern keine herrschende Meinung auszumachen. Zudem lässt sich diese Ansicht weder auf eine gesetzliche Grundlage stützen, noch trägt die Rechtsprechung dies in Auslegung und Anwendung mit. Neben den aus der die Geschäftsreputation betreffenden Schutzansprüche des ZGB existieren weitere Ansprüche aus dem Marken-, Firmen- und Geschäftsgeheimnisschutz, deren Übergänge zum Teil fließend sind. Nicht immer eindeutig ist dabei das Verhältnis zum ZGB. Einiges deutet darauf hin, dass 248
Sog. „Reputationsschaden“, siehe dazu infra Kap. 6 B. II. 3. für Geistiges Eigentum, Urteil vom 30.11.2016, Nr. S01-980/2016, Sach nr. А71-14895/2015; Urteil vom 22.07.2016, Nr. S01-377/2016, Sachnr. А40-128923/2015; Urteil vom 07.12.2016, Nr. S01-1044/2016, Sachnr. А76-29144/2015. 250 Siehe zu den Voraussetzungen infra Kap. 6 A. I. 1., die in der Regel nicht vorlagen bzw. nicht bewiesen werden konnten, vgl. die zitierten Entscheidungen in Fn. 249. 249 Gericht
C. Zusammenfassung
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diese zwar nebeneinander geltend gemacht werden können, die Ansprüche nach Art. 152 ZGB aber nur dann gegeben sind, wenn die Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Darüber hinaus ist der Rechtsprechung kein von wirtschaftlichen Interessen losgelöstes Interesse daran, ein persönlichkeitsbezogenes Verständnis der juristischen Person – geprägt durch Führungsebene bzw. leitende Verantwortliche und Mitarbeiter – zu schaffen, zu entnehmen. Die Geschäftsreputation indes ist – bei streng wortlautgemäßem Verständnis – ein immaterielles Gut, welches weder übertragbar noch veräußerlich ist. Für juristische Personen kann dem nur begrenzt gefolgt werden, weswegen die Geschäftsreputation juristischer Personen nicht der Geschäftsreputation natürlicher Personen gem. Art. 150 P. 1 ZGB entspricht. Zwar lassen russische Gesetze stellenweise anderes vermuten, die Verfassung und der einfachgesetzliche Wortlaut des Art. 152 P. 11 ZGB ergeben aber in einer Gesamtschau, dass juristische Personen keine Rechte aus dem Schutzgut „Würde“ geltend machen können. Somit ist der persönlichkeitsrechtliche Schutz juristischer Personen gemessen an seiner normativen Verankerung in der Verfassung und den zivilrechtlichen Regelungen den natürlichen Personen nachgebildet, allerdings von begrenzterem und konzeptionell schutzärmeren Rang. Dies ähnelt grundsätzlich der Einstufung im deutschen Recht.251
251 So auch Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 1 Abs. 1 Rn. 72, 84, der für juristische Personen auch auf Grundrechtsebene einen „gestufte[n] Grundrechtsschutz mit einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht minderen Ranges“ im deutschen Recht sieht. Zum verminderten Schutz auch OLG Köln, Urteil vom 19.12.2006 – 15 U 110/06, NJW-RR 2007, 698 (701); zust. OLG Dresden, Urteil vom 08.09.2011 – 4 U 459/11, BeckRS 2011, 27291.
Kapitel 6
Schutzinstrumente Die persönlichkeitsrechtsbezogenen Interessen können mithilfe verschiedener rechtlicher Instrumente geschützt werden. Im Folgenden werden diese entsprechend ihrer Bezugsobjekte betrachtet und analysiert. Hierbei spielt, wie oben ausgeführt, die Rechtsprechung des EGMR eine entscheidende Rolle, worauf an den entsprechenden Stellen eingegangen wird. Schwerpunktmäßig wird im Folgenden unter (A.) auf den Schutz der Geschäftsreputation eingegangen. Der Übersichtlichkeit wegen wird hinsichtlich des die Geschäftsreputation schützenden Schadensersatzanspruches dessen Ausgestaltung gesondert unter (B.) betrachtet. Zu den weiterhin zu betrachtenden Objekten gehören der Schutz der Firma (C.), der Unternehmensgeheimnisse (D.) und sonstiger Interessen (E.).1
A. Instrumente zum Schutz der Geschäftsreputation Das russische Recht schützt die Geschäftsreputation an verschiedenen Stellen im Gesetz. So enthält das ZGB eine Reihe von Ansprüchen, die die Geschäftsreputation der juristischen Person schützen. Die wichtigsten werden in Art. 152 ZGB gebündelt geregelt. Diese wird auch als Spezialnorm bezeichnet, die speziell dem Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation gewidmet ist.2 Daneben bietet das Massenmediengesetz einen Widerrufs- wie auch einen Gegendarstellungsanspruch. Ziel der Ansprüche ist die Wiederherstellung der Geschäftsreputation,3 daneben wird auch die Unterdrückung und Folgenbeseitigung4 genannt.5 1 Ausgeklammert wird der Datenschutz der juristischen Person, auch wenn dieser insbesondere im deutschen Recht für natürliche Personen weitreichende Überschneidungen mit dem Persönlichkeitsschutz aufweist. So ist das Recht zu informationeller Selbstbestimmung nach BGH, Urteil vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, NJW 2009, 2888 (2891), eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Für juristische Personen spielt der Datenschutz aber mangels unmittelbarem Würdebezug und fehlender Notwendigkeit zur integren Behandlung der Daten eine geringere Rolle. Auch werden diese Fragen weder in der russischen Rechtsprechung noch in der Literatur gemeinsam behandelt. 2 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 151. 3 So schon Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (66); Stebleva, Justicija 4 (2007), 58 (63); a. A. Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158), der der Ansicht ist, die Geschäftsreputation lasse sich nicht wiederherstellen.
142
Kapitel 6: Schutzinstrumente
Im Folgenden werden die Ansprüche des Art. 152 ZGB (I.) und die Ansprüche des Massenmediengesetzes (II.) einer näheren Betrachtung unterzogen.
I. Ansprüche aus dem Zivilgesetzbuch Art. 152 ZGB enthält verschiedenste Ansprüche und Regelungen. Diese sind nebeneinander anwendbar.6 Nach Art. 152 P. 11 ZGB sind alle in Art. 152 ZGB geregelten Ansprüche entsprechend7 auf juristische Personen anzuwenden.8 Die einzige Ausnahme bildet der Entschädigungsanspruch für immaterielle Schäden, Art. 152 P. 9 Alt. 2 ZGB. Diesen schließt Art. 152 P. 11 ZGB explizit von der Anwendbarkeit auf juristische Personen aus.
1. Grundvoraussetzungen Nach dem OG enthält Art. 152 ZGB drei Grundvoraussetzungen, deren Vorliegen Bedingung für eine erfolgreiche Klage9 aus Art. 152 ZGB ist.10 Liegt eine dieser drei Voraussetzungen nicht vor, kann einer Klage nicht stattgegeben werden.11 Zu ihnen gehören Äußerungen, die nicht der Wahrheit entsprechen (a)), verunglimpfenden Charakter haben (b)) und vom Beklagten verbreitet wurden (c)).12 Diese drei Voraussetzungen werden im Folgenden untersucht. Anschließend wird auf die Verschuldensfrage (d)) eingegangen.
4 5
Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 126. Ivanenko, Rossijskaja justicija 10 (2000), 24 (25), die Schutzansprüche richten sich nur auf eine positive Geschäftsreputation. Wie gesehen ist die Geschäftsreputation dynamisch und kann im Unterschied zur Ehre auch negativ sein – eine negative Reputation kann allerdings nicht geschützt werden. 6 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 16, 18, der dies für den Widerrufs- und den Schadensersatzanspruch klarstellt. Für den Gegendarstellungsanspruch ergibt sich die Anwendbarkeit neben den genannten Ansprüchen aus dem Wortlaut „narjadu s oproverženiem“ in Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB. 7 „Sootvetstvenno“. 8 Die dogmatische Natur der Norm ist nicht Gegenstand größerer Diskussion, nach Bass, Biznes v zakone 2 (2008), 218 (218), gibt Art. 152 P. 11 ZGB eine gesetzliche Anordnung zur analogen Anwendung der einzelnen Regelungen des Art. 152 ZGB für juristische Personen vor. 9 Streng genommen müsste von „Anspruchsvoraussetzungen“ gesprochen werden. Der Begriff Klage („isk“) wird hier allerdings vom OG verwendet und daher an dieser Stelle übernommen. 10 Mit Ausnahme von Art. 152 P. 10 ZGB; ob dies auch für Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB gilt, ist str., siehe dazu infra in diesem Kap. unter II 2., 3. 11 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7. 12 Diese Voraussetzungen gelten auch für Ansprüche wegen Verletzung der Ehre und Würde. Da diese jedoch nicht zu den Schutzgütern gehören, auf die sich eine juristische Person stützen kann, wird darauf im Folgenden nicht mehr eingegangen.
A. Instrumente zum Schutz der Geschäftsreputation
143
a) Nicht der Wahrheit entsprechende Äußerungen aa) Äußerungen Unter „Äußerungen“13 versteht die Rechtsprechung „Presseinformationen, Übertragungen über Radio und Fernsehen, Vorstellungen in Kinotheatern und anderen Mitteln der Massenmedien“, „Äußerungen im Internet und anderer Telekommunikationsmedien“ und „amtliche Äußerungen, öffentliche Auftritte, Erklärungen an Amtsträger“.14 Die Äußerung kann auch mündlich ergehen. Entscheidend ist, dass sie mindestens einer anderen (dritten) Person gegenüber ergeht.15 Der Terminus „Äußerung“ ist nicht wörtlich als (Wort-)Äußerung im herkömmlichen Sinne zu verstehen, sondern sollte entsprechend der von der Rechtsprechung gewählten Formulierung weit zu fassen sein. Die Analyse der gerichtlichen Praxis zeigt, dass neben wörtlichen Äußerungen auch Bilder16 und insbesondere Äußerungen der journalistischen Presse17 das Tatbestandsmerkmal erfüllen. Entsprechend dem Urteil des OG von 2005 können Äußerungen, die in gerichtlichen Entscheidungen, Urteilen und anderen prozessualen oder offiziellen Dokumenten enthalten sind, nicht als „nicht der Wahrheit entsprechend“ angesehen werden. Gegen sie kann nicht nach Art. 152 P. 1 ZGB mittels Widerrufsanspruch vorgegangen werden; vielmehr muss dann Beschwerde gegen die Entscheidung als solche eingereicht werden.18
13 Im Russischen „svedenija“. Die Übersetzung mit „Äußerung“ wurde aufgrund der Neutralität des Wortes verwendet: So lässt sich dem nicht entnehmen, ob es sich um eine wertende (Meinungs-)Äußerung oder eine Tatsachenbehauptung handelt. Diese Entscheidung erklärt sich auch vor dem Hintergrund, dass es im Russischen spezielle Wörter für „Werturteile“/ „ocenočnye suždenija“ und „Tatsachenbehauptung“/„utverždenie o faktach“ gibt. Dies erkennt auch der EGMR, der eben diese Tatsache – die im Gesetz verwendete Formulierung „svedenija“ – kritisch sieht, vgl. statt vieler nur EGMR, Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), Rn. 21; Urteil vom 22.01.2013 – 33501/04 (OOO Ivpress and Others/Russia), Rn. 52; Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 61, verwendet „Information“/„Informazija“ synonym zu „Äußerung“. 14 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7 definiert die Äußerung hier als „Verbreitung von Äußerungen“, im Original: „Pod rasprostraneniem svedenij, […], sleduet ponimat’ opublikovanie takich svedenij v pečati, transljaciju po radio i televideniju, demonstraciju v kinochronikal’nych programmach i drugich sredstvach massovoj informacii, rasprostranenie v seti Internet, a takže s ispol’zovaniem inych sredstv telekommunikacionnoj svjazi, izloženie v služebnych charakteristikach, publičnych vystuplenijach, zajavlenijach, adresovannych dolžnostnym licam, ili soobščenie v toj ili inoj, v tom čisle ustnoj, forme […]“. 15 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7. 16 OG, Entscheidung vom 07.12.2016, Nr. 310-ES16-10931; insbesondere auch Karikaturen, vgl. Arbitragegericht der Stadt Moskau, Beschluss vom 10.08.2011, Sachnr. A4034837/1126–267. 17 OG, Entscheidung vom 20.09.2016, Nr. 77-KG16-8; OG, Urteil vom 29.11.2016, 41KG16-39. 18 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
(1) Unterscheidung von Tatsachenbehauptung und Meinung Im russischen Recht wird mittlerweile19 innerhalb des Tatbestandsmerkmals der Äußerung zwischen Meinungen und Tatsachenbehauptungen unterschieden.20 Danach sind Tatsachenbehauptungen auf ihre Übereinstimmung mit der Realität hin überprüfbar, Meinungen hingegen als subjektive Äußerung und Sichtweisen sind dies grundsätzlich nicht.21 Mit Verweis auf Art. 10 EMRK („Freiheit der Meinungsäußerung“) und auf Art. 29 Verf. RF („Freiheit der Meinung, des Wortes, auf Information und der Massenmedien“22) hält der OG fest, dass lediglich Tatsachenbehauptungen Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle sein können. Mangels Beweisbarkeit seien Werturteile von dieser Kontrolle ausgenommen.23 Angreifbar ist eine Äußerung auf Grundlage von Art. 152 ZGB daher nur, wenn es sich um eine Tatsachenbehauptung handelt. Ein Werturteil kann nur dann Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle und damit Grund für einen Anspruch aus Art. 152 ZGB sein, wenn es sich um eine Beleidigung24 handelt.25 Nach dem OG kann dann auch die Pflicht zum Ersatz des moralischen Schadens bestehen.26 Die Rechtsprechung wie auch die Literatur betrachten zur Unterscheidung die Semantik27 und den Gesamtkontext der Aussage in Zusammenhang mit der Nutzung von Satzzeichen.28 Die Gerichte haben bei der Bestimmung, ob eine 19 Rügender Hinweis bzgl. der Notwendigkeit zur Unterscheidung durch den EGMR, Urteil vom 22.01.2013 – 33501/04 (OOO Ivpress and Others/Russia), Rn. 78–79; Urteil vom 26.01.2017 – 25147/09 (Terentyev/Russia), Rn. 23; Urteil vom 14.10.2010 – 4260/04 (Andrushko/Russia), Rn. 50–52; Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), P. 46; Zusammenfassung aller Entscheidungen diesbezüglich durch den EGMR in Urteil vom 13.12.2016 – 9406/05 (Kunitsyna/Russia), P. 44; später begrüßte der EGMR den Plenarbeschluss des OG, vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9, der den einfachen Gerichten die Notwendigkeit der Unterscheidung nun vorgibt; der EGMR stellte in einem jüngeren Urteil fest, dass den Gerichten jedenfalls die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung bekannt war, EGMR, Urteil vom 03.10.2017 – 45083/06 (Novaya gazeta and Milashina/Russia), Rn. 70. 20 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9; OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 6; auch auf unterinstanzlicher Ebene finden sich Urteile, die auf diese Frage ausführlich eingehen, siehe etwa Arbitragegericht der Oblast Lipezk, Beschluss vom 26.10.2018, Sachnr. A36-2639/2018; die Entscheidungen werden auch in der Literatur nicht angezweifelt, statt vieler siehe nur Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (133 ff.); Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 60 ff.; Kazancev, in: Zor’kin, S. 279. 21 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. 22 Zusammenfassung des Normtextes. 23 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. 24 „Oskorblenie“, manchmal auch „beleidigender Charakter“/„oskorbitel’nyj charakter“. 25 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9 a.E; OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 6. 26 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. 27 OG, Entscheidung vom 08.10.2018, Nr. 302-ĖS18-15243, Sachnr. A10-6234/2015; Entscheidung vom 16.05.2017, Nr. 4-KG17-6; OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 5; Stebleva, Justicija 4 (2007), 58 (59–60). 28 Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 69-O-O, P. 2.2; Arbitragegericht der Oblast Kaluga, Beschluss vom 26.07.2013, Sachnr. A23-571/2013.
A. Instrumente zum Schutz der Geschäftsreputation
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Äußerung Meinung oder Tatsachenbehauptung ist, in Grenzfällen fachliche Expertise (etwa mittels sprachwissenschaftlicher Begutachtung) einzuholen.29 Bei der Erörterung der Frage stellen die Gerichte zumeist schlicht fest, ob eine Äußerung dem Beweis zugänglich ist (dann Tatsachenbehauptung), oder nicht (Meinung). Dennoch ist die Unterscheidung regelmäßig streitentscheidend. Ihre Missachtung führt häufig zur Aufhebung der Entscheidung.30 So ging es in einem Fall31 um die Frage der Qualität von Benzin. Der Klagegegner hatte einen Zeitungsartikel zur Qualität des in der Stadt Tula angebotenen Benzins veröffentlicht. Darin war in einer Bildunterschrift zu lesen, das Öl der Klägerin, ein Ölunternehmen, entspreche nicht den Anforderungen an die Höchstmenge des Schwefelanteils im Benzin. Die Klägerin sah sich durch den Artikel und die Aussage, das Benzin sei „mangelhaft“, in ihrer Reputation verletzt. Der Klagegegner war, wie auch die Vorinstanzen, der Auffassung, bei der Aussage handele es sich um eine Meinung. Maßstab der Benzinqualität war allein die Frage der Zusammensetzung nach den gesetzlichen Vorgaben. Dies wurde vom OG als dem Beweis zugänglich erachtet, mithin das Vorliegen einer Meinung verneint. Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Zwar ist die Verwendung „Qualität“ in Zweifel zu ziehen – denn gerade die Qualität einer Sache unterliegt oftmals subjektiver Einschätzung und lässt sich nur schwer generisch als „gut“ oder „schlecht“ bewerten. Die Qualität von Benzin aber (oder besser: das Übereinstimmen mit den gesetzlichen Anforderungen) lässt die Behauptung, das Benzin sei „gut“ (entspricht den gesetzlichen Bestimmungen) oder „schlecht“ (entspricht nicht den gesetzlichen Bestimmungen) zu, solange es nur um die Frage der Bestandteile geht.32 Schwieriger gestaltet sich die Frage in einem anderen Fall.33 Hier klagte eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gegen eine überregionale gesellschaftliche Bewegung von Bauern. Diese Bauern waren Mitglieder der Produktionsgenossenschaft. Die Klage behandelte einen auf der Homepage der Beklagten veröffentlichten Artikel. Hierin wurde die Abhaltung einer au29 OG, Entscheidung vom 16.05.2017, Nr. 4-KG17-6, Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils, da dieses die Möglichkeit des Vorliegens einer Meinung nicht erwogen und infolgedessen auch auf die Anhörung eines Experten verzichtet hatte. 30 Nach Einlegung des jeweiligen Rechtsmittels; etwa OG, Entscheidung vom 02.05.2017, Nr. 48-KG17-4, in den Vorinstanzen Städtisches Gericht Slatoust, Urteil vom 08.04.2016, Nr. 2–58/2016, Oblastgericht Čeljabinsk (Berufungsinstanz), Urteil vom 23.06.2016, Nr. 11– 8321/2016, nach Rückverweisung durch den OG neues Urteil vom 26.07.2017, Nr. 11– 8198/2017. 31 OG, Entscheidung vom 07.12.2016, Nr. 310-ES16-10931. 32 Eine andere Frage wäre etwa, ob Benzin qualitativ hochwertig ist, wenn der Vertreiber in der Kritik stehende Geschäftspraktiken an den Tag legt. Hier könnte ohne weiteres die Meinungsfreiheit betroffen sein. 33 Föderales Arbitragegericht der Moskauer Oblast, Entscheidung vom 24.11.2008, Nr. KG-A40/10735–08, Sachnr. А40-13780/08–110–29.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
ßerplanmäßigen Mitgliederversammlung mit dem Vorwurf gegenüber der Genossenschaft begründet, Land der Genossenschaft werde „mit listigen Methoden verkauft“34, der Verkauf des Grundes sei „ohne Kontrolle“.35 Es war von Täuschung der Bauern die Rede, der Genossenschaftsvorsitzende wurde als „Manipulator“36 bezeichnet. In der erstinstanzlichen Entscheidung wurde festgestellt, dass der Artikel die Produktionsgenossenschaft wie auch die Vorsitzende des Gesetzesverstoßes beschuldige. Bei dem Leser entstehe der Eindruck, die juristische Person habe durch die „listigen Methoden“ die Bauern u. a. ausgeraubt, Art. 161 Strafgesetzbuch der Russischen Föderation37 und sie betrogen, Art. 163, 159 Strafgesetzbuch RF.38 Weder das erstinstanzliche Gericht, das Berufungsgericht39 noch das Kassationsgericht40 gingen hier entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung41 auf die Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung ein. Auch das Kassationsgericht zog lediglich den Schluss, die Geschäftsreputation der Klägerin sei verletzt, da die Beklagte den Artikel auf ihrer Seite verbreitet habe und der Artikel „Äußerungen über konkrete Fakten“ enthalte. Diese Art der Rechtsprechung rügte der EGMR des Öfteren. Mittelpunkt der Kritik war die Forderung seitens der erkennenden Gerichte gegenüber dem Beklagten, die Äußerungen zu beweisen. Dieser Forderung ging entweder keine oder nur eine unzureichende Distinktion zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung voraus.42 Ähnliches gilt für Urteile aus dem sensiblen Bereich der politischen Meinungsäußerung. So wurde in einem anderen Fall in der ersten Instanz sowie in der Kassationsinstanz öffentliche Kritik und ein Korruptionsvorwurf gerichtet an die Moskauer Regierung als Tatsachenbehauptung eingestuft.43 Das Unterlassen der Prüfung einer Meinungsäußerung eröffnet damit die Möglichkeit, die Frage der Unwahrheit und des verunglimpfenden Charakters zu bejahen: Wird eine Aussage, die bewertenden Charakter hat, als Tatsachenbehauptung eingestuft, wird der Beweis im Zweifel nicht gelingen (können);44 34
„Stali prodavat’sja s primeneniem chitrych ‚schem‘“. „Beskontrol’naja rasprodaža zemel’chozjajstva“. 36 „Fokusnik“. 37 Im Folgenden: „Strafgesetzbuch RF“. 38 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 27.05.2008, Sachnr. A40-13780/08– 110–29. 39 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 30.07.2008, Nr. 09AP-8657/2008-GK, Sachnr. A40-13780/08–110–29. 40 Föderales Arbitragegericht der Moskauer Okrug, Urteil vom 24.11.2008, Nr. F059523/2008. 41 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. 42 Statt vieler nur EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 28– 29. 43 Zit. in OG, Entscheidung vom 14.06.2011, Nr. 5-V11-49. 44 Ibid., der Beweis konnte im Fall nicht erbracht werden, der Beklagte beharrte auf dem Meinungscharakter seiner Äußerungen, was den Beweis der Wahrheit unmöglich machte; die Gerichte stuften die Äußerung als Tatsachenbehauptung ein, deren Wahrheit der Beklagte nach 35
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verunglimpfend ist die Aussage aufgrund des (indirekten) Vorwurfs des Gesetzesverstoßes.45 Diese Rechtsprechung steht – trotz des Hinweises seitens des EGMR – in Teilen exemplarisch für die angesprochene Problematik der bestehenden Probleme bei der Differenzierung zwischen Meinungen und Tatsachenbehauptungen.46 Enthält eine Aussage Teile einer Behauptung, die sich auf Fakten bezieht, wird die Aussage insgesamt als Tatsachenbehauptung eingestuft.47 Auch eine Auseinandersetzung mit „Mischaussagen“, d. h. inwiefern Tatsachenbehauptungen dann durch die Meinungsfreiheit geschützt sein können, wenn sie Teile der Meinung sind oder die Meinungsäußerung erst möglich machen, findet man in der russischen Rechtsprechung kaum.48 Diese Herangehensweise ist angesichts der Bedeutung der Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinung problematisch.49 Es wäre ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit aus der Beweislastverteilung zu beweisen hatte. Dem sei hinzugefügt: Trotz der Überzeugung des Beklagten brachten dessen gerichtliche Vertreter Beweise ein, die das Vorliegen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Korruption gegen die Kläger (die Moskauer Regierung und den Moskauer Bürgermeister Lužkov) betrafen. Das Gericht der ersten Instanz hielt diese Beweise für unglaubwürdig, das Kassationsgericht befand die Begutachtung der Beweise durch das erstinstanzliche Gericht für ausreichend. Klärung brachte erst die Entscheidung des OG. 45 Eingehend dazu infra A. I 1. b) dieses Kap. 46 Vgl. etwa Arbitragegericht des Ostsibirischen Okrug, Urteil vom 19.06.2017, Nr. F022817/2017, Sachnr. А19-18125/2015, insbesondere in den letzten Jahren häufen sich aber Entscheidungen, die eben diese Unterscheidung auch beachten, teilweise mit Verweis auf den Plenarbeschluss des OG vom 24.02.2005, Nr. 3, teilweise mit Verweisen auf die EGMRRspr., vgl. Arbitragegericht der Murmansker Oblast, Beschluss vom 22.07.2013, Sachnr. A422512/2013; dies berücksichtigend auch EGMR, Urteil vom 08.10.2019 – 29097/08 (Nadtoka/ Russia), Rn. 45. 47 Siehe z. B. Hinweis des Arbitragegerichts des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 13.07.2016, Nr. F07-5393/2016, Sachnr. A56-77509/2015 für die Vorinstanzen; in der Tendenz wird daher eine Aussage entweder insgesamt als Meinung oder insgesamt als Tatsachenbehauptung eingestuft; Tatsachenbehauptungen: OG, Entscheidung vom 18.10.2019, Nr. 306ĖS19-17775; Meinungen: Arbitragegericht Murmansk, Urteil vom 22.07.2013, Sachnr. А422512/2013, bestätigt in letzter Instanz durch das Föderale Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 26.02.2014, Nr. F07-11006/2013; Arbitragegericht der Stadt St. Petersburg und der Leningrader Oblast, Beschluss vom 19.10.2017, Sachnr. A56-46774/2017, letztinstanzlich bestätigt durch Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 28.05.2018, Nr. F07-3935/2018. 48 Das Arbitragegericht der Murmansker Oblast, Beschluss vom 22.07.2013, Sachnr. A422512/2013, sah das Fazit eines Journalisten zu einer Qualitätsmessung von Produkten als bewertende Zusammenfassung an, die als Tatsachenbehauptung ausgedrückt wurde und auf Untersuchungen von Experten basierte. Die Klage aus Art. 152 ZGB wurde abgewiesen, da das Gericht die Äußerung insgesamt als Meinung ansah. 49 Gleichzeitig ist auch eine gewisse Ironie nicht von der Hand zu weisen: Die vermehrte Kritik durch den EGMR führt zum Teil auch dazu, dass gerade Arbitrage- oder auch Appellationsgerichte vorschnell das Vorliegen von Meinungen annehmen, obwohl selbst bei einem sehr weiten Meinungsbegriffsverständnis nicht von dem Vorliegen dieser ausgegangen werden konnte, vgl. etwa OG, Übersicht der Rechtsprechung „Obzor sudebnoj praktiki Verchovnogo Suda Rossijskoj Federacii“ vom 16.02.2017, Nr. 1, P. 20.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Art. 10 EMRK, eine Meinung als Tatsachenbehauptung einzuordnen, denn der Beweis einer Meinung als „wahr“ kann gerade nicht geführt werden.50 Das deutsche Recht kennt einen ähnlichen Ansatz. Auch hier wird zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung unterschieden. Danach können Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden.51 Meinungen sind durch ein wertendes Element des „Dafürhaltens“52 gekennzeichnet. Die relevante Handlung ist im deutschen Recht dem Wortlaut nach weiter gefasst als „Äußerung“ – die Verletzungshandlung aus § 823 I BGB.53 Dies können neben bloßen Äußerungen54 auch Zeitungsartikel,55 Werbefilme,56 Interviews57 aber auch Domainnutzungen58 oder Bewertungen auf Onlineplattformen59 sein. Dem russischen Recht liegt trotz der vermeintlich engeren Formulierung ein ebenso weites Verständnis zugrunde.60 Häufig wird auch in den deutschen Rechtswissenschaften thematisiert, wie zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung zu unterscheiden ist.61 Dafür ist das Gepräge insgesamt zu betrachten. Meinungen sind in „entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt“.62 Überwiegen diese Elemente, fällt die Äußerung unter Art. 5 I GG, auch wenn sie Tatsachenbehauptungen enthält.63 Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich ein weiter Geltungsbereich der Meinungsfreiheit und damit ein entsprechend hohes Schutzniveau. So war die Klage eines Molkereikonzerns wegen der Bezeichnung der Produkte als „Gen-Milch“ durch eine Umweltschutzorganisation nicht erfolgreich, obwohl die Milch gentechnisch nicht verändert war. Diese Entscheidung des BGH64 beanstandete auch das Verfassungsgericht nicht. Indes stellte es fest, dass die Meinungsfreiheit 50
EGMR (Große Kammer), Urteil vom 08.07.1986 – 12/1984/84/131 (Lingens/Austria). Unter vielen m. w. N. BVerfG, Beschluss vom 13.02.1996 – 1 BvR 262/91, NJW 1996, 1529 (1530); BGH, Urteil vom 30.01.1996 – VI ZR 386/94, NJW 1996, 1131 (1133); EGMR, Urteil vom 07.11.2017 – 24703/15 (Egill Einarsson/Iceland), NJW 2018, 1589 (1590). 52 Schon BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415, (1415 f.); aus jüngerer Rspr. nur BVerfG, Beschluss vom 16.03.2017 – 1 BvR 3085/15, NJWRR 2017, 1003 (1004); Wanckel, in: Götting, § 20 Rn. 2. 53 § 824 I BGB beschränkt sich auf unwahre Tatsachen. 54 BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016 – 1 BvR 2646/15, NJW 2016, 2870. 55 BGH, Urteil vom 13.01.2015 – VI ZR 386/13, GRUR 2015, 293. 56 BGH, Urteil vom 18.03.1959 – IV ZR 182/58, GRUR 1959, 430; BGH, Urteil vom 19.09.1961 – VI ZR 259/60, NJW 1961, 2059. 57 BGH, Urteil vom 15.11.1994 – VI ZR 56/ GRUR 1995, 224. 58 OLG Köln, Beschluss vom 27.09.2018 – 7 U 85/1, GRUR-RR 2018, 23268. 59 Neben vieler BGH, Urteil vom 20.02.2018 – VI ZR 30/17, GRUR 2018, 636. 60 Vgl. in diesem Kapitel A. I. 1. a) aa). 61 Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 217 ff.; Bamberger/Förster, in: BeckOK BGB, § 12 Rn. 295 ff. 62 BGH, Urteil vom 25.03.1997 – VI ZR 102/96, NJW 1997, 2513 (2514). 63 Ständige Rspr, siehe nur BGH, Urteil vom 30.01.1996 – VI ZR 386/94, NJW 1996, 1131 (1133); BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – IX ZB 10/18, NJW 2018, 3254 (3256). 64 BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110. 51
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auch mehrdeutige Aussagen im Sinne „aufmerksamkeitserregender Zuspitzungen und polemisierender Pointierungen“ umfasse. Die Bezeichnung war im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit dem Herstellungsverfahren der Milch durch den Konzern daher zulässig. Das Gericht nahm zudem nicht an, dass die Aussage zu Fehlvorstellungen der Rezipienten beitrage.65 Dieses weite Verständnis setzt sich in der Rechtsprechung fort. Es überträgt sich auch auf das antizipierte Verständnis eines potentiellen Lesers. Dass auch dieses im Unterschied zum russischen Recht der Meinungsfreiheit eher zugetan ist, zeigt ein weiterer Beispielsfall. In einer Zeitschrift wurde einem Verlag vorgeworfen, er würde seine Autoren ausnutzen.66 Die kritische Auseinandersetzung mit den Arbeitspraktiken des Verlags wurde vom Gericht als Meinung gewertet. Zudem stellte das Gericht fest, dass selbst die explizite Verwendung des Wortes „Betrug“ noch nicht bedeute, der Verfasser werfe dem Rechtsinhaber eine solche strafrechtlich relevante Handlung vor. Eine Tatsachenbehauptung liege also nicht vor. Vielmehr gehen die Gerichte67 davon aus, dass der „Durchschnittadressat“ die „alltagssprach[liche]“ Aussage nicht als strafrechtliche Handlung begreifen würde. Die Gerichte ermöglichen mit dieser Rechtsprechung kritische Auseinandersetzung in einem sehr weiten Umfang. Die russische Rechtsprechung richtet ihre Prüfung an Art. 29 Verf. RF aus, was a priori über ihre Kontrollkompetenz im Rahmen des Art. 152 ZGB entscheidet. Der dogmatische Ansatz des § 823 I BGB ist ein gänzlich anderer. Für die Frage, ob im Rahmen von § 823 I BGB gegen eine Äußerung vorgegangen werden kann, kommt es darauf an, ob diese von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I GG gedeckt ist.68 Da dies für unwahre Tatsachenbehauptungen nicht der Fall ist,69 kann im Rahmen von § 823 I BGB dagegen vorgegangen werden. Auch die Kreditgefährdung nach § 824 I BGB setzt eine Tatsache voraus – dies schließt Meinungen und Werturteile von vornherein aus.70 Danach wird demjenigen ein Schadensersatzanspruch verliehen, auf dessen Kosten „der Wahrheit zuwider eine Tatsache behauptet oder verbreitet“ wird, „die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen“.71
65 BVerfG, Beschluss vom 08.09.2010 – 1 BvR 1890/08, NJW 2010, 3501 (3502). Das Kriterium der „Sachlichkeit“ der Aussage wurde deswegen nicht verneint, weil im Herstellungsprozess mit gentechnisch verändertem Futter gearbeitet wurde. 66 BGH, Urteil vom 29.01.2002 – VI ZR 20/01, NJW 2002, 1192. 67 BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 – 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439 (1440 f.) spricht auch von „Vermutung“. 68 BVerfG, Beschluss vom 28.03.2017 – 1 BvR 1384/16, NJW-RR 2017, 1001 (1001 f.); BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110 (2114). 69 BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415. 70 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, S. 184 Rn. 447. 71 Hier gilt zu Bedenken, dass § 824 BGB allein zum Schutz von Vermögensinteressen
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Im Gegensatz zum russischen Recht ist die Meinung nicht grundsätzlich von der richterlichen Kontrolle ausgenommen.72 Da Meinungen den Schutz der Meinungsfreiheit genießen, ist die Äußerung im Lichte der Meinungsfreiheit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person gegenüberzustellen. Die betroffenen Interessen sind grundsätzlich abzuwägen.73 Auch hier ist die Äußerung stets im Gesamtkontext zu betrachten. Die Grenze der wertenden Kritik ist bei Schmähungen zu ziehen.74 Eine Abwägung findet dann nicht statt, da die Meinungsfreiheit in diesem Fall hinter den Persönlichkeitsschutz zurückzutreten hat.75 „Schmähung“ wird in der richterlichen Praxis daher sehr eng verstanden76 und erst angenommen, wenn die Äußerung durch Unsachlichkeit gekennzeichnet ist77 und allein auf die Diffamierung der Person abzielt.78 Auch Tatsachenbehauptungen, die Voraussetzung für die Meinungsbildung sind oder der Meinung „dienen“,79 können den Schutz von Art. 5 I GG genießen. Zu einer bestmöglichen Wirkungsentfaltung der Meinungsfreiheit sind Äußerungen auch dann insgesamt als Meinung einzustufen, wenn sie sowohl Behauptungen wie auch wertende Elemente enthält und zwischen diesen nicht (sinnvoll) getrennt werden kann.80 Damit ist der Tatbestand des § 823 I BGB deutlich offener und flexibler in seiner Anwendung als das eher starre Verständnis, das Art. 152 ZGB zugrunde liegt.
(2) Beleidigung Das deutsche Recht lässt den Meinungsschutz grundsätzlich vollumfänglich zu. Die Grenze ist, wie dies auch in Russland durch den OG81 festgestellt wurde, bestimmt ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hingegen ist gerade nicht Gegenstand der geschützten Interessen, die Ehre wird nur in ihrer Ausprägung als Kreditwürdigkeit „mitgeschützt“, Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 3. 72 BVerfG, Beschluss vom 19.12.1991 – 1 BvR 327/91, NJW 1992, 2013. 73 Ständige höchstrichterliche Rspr., BGH, Urteil vom 25.10.2011 − VI ZR 332/09, NJW 2012, 767 (767); BVerfG, Beschluss vom 31.01.1973 – 2 BvR 454/71 NJW 1973, 891 (892); BVerfG, Beschluss vom 10.06.2009 – 1 BvR 1107/09, NJW 2009, 3357 (3357); aus der Literatur Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 206; Teichmann, in: Jauernig, § 823 Rn. 67. 74 BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 189/06; NJW-RR 2008, 913 (914); BGH, Urteil vom 05.12.2006 – VI ZR 45/05, NJW 2007, 686 (687). 75 BVerfG, Beschluss vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17, NJW 2019, 2600 (2600). 76 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2013 – 1 BvR 1751/12, NJW 2013, 3021 (3021); BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 189/06; NJW-RR 2008, 913 (914). 77 BVerfG, Beschluss vom 26.06.1990 – 1 BvR 1165/89, NJW 1991, 95; BGH, Urteil vom 18.06.1974 – VI ZR 16/73, NJW 1974, 1762 (1763 f.). 78 BVerfG, Beschluss vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17, NJW 2019, 2600. 79 BVerfG, Beschluss vom 13.02.1996 – 1 BvR 262/91, NJW 1996, 1529 (1529); BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415 (1416). 80 BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415 (1416), BVerf GE 61, 1 (9). 81 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9 a.E; OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 6.
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bei (nur unsachlichen) Formalbeleidigungen82 und solchen Aussagen zu ziehen, die die Menschenwürde angreifen.83 Die Ansprüche aus Art. 152 ZGB sind dadurch gekennzeichnet, dass für jegliche Formen der Äußerung – damit auch beleidigende Werturteile – die Unwahrheit bewiesen werden muss. Die Aussage muss also dem Beweis zugänglich sein. Die Beleidigung wird definiert als Herabsetzung der Ehre und Würde einer anderen Person, die in anstößiger Form ausgedrückt wird.84 Es stellt sich damit die Frage, wie eine Beleidigung – in der Ausdrucksform einer Missachtung durch Meinungsäußerung85 – dem Beweis zugänglich sein soll. Ob Beleidigungen Gegenstand des Art. 152 ZGB sind, ist gleichzeitig nicht unumstritten. Eine Gegenmeinung widerspricht dieser Rechtsprechung grundlegend. Sie führt an, der Terminus „Beleidigung“ sei nicht nur kein zivilrechtlicher86 Begriff, die Beleidigung als Form der Meinung könne auch nicht auf ihre Wahrheit hin überprüft werden.87 Dem ist zuzustimmen. Dogmatisch ist die Ansicht der Rechtsprechung kaum nachzuvollziehen. Zwar wäre das Tatbestandsmerkmal „Äußerung“ seiner Definition nach geeignet, auch Meinungen zu umfassen. Der Wortlaut des Art. 152 P. 1 ZGB setzt aber zweifelsohne die Unwahrheit voraus. Einem Wahrheitsbeweis ist jede wertende Stellungnahme aufgrund ihres subjektiven Elements wegen der verfassungsrechtlich verankerten Meinungsfreiheit in Art. 29 Verf. RF entzogen. Die Rechtsprechung ist insofern widersprüchlich, wenn die Meinung, geschützt von der Meinungsfreiheit, nicht verifizierbar sein soll, gleichzeitig aber die (Werturteile enthaltende) Beleidigung Gegenstand eines Anspruchs aus Art. 152 ZGB sein kann.88 Aus eben diesem Grund bezieht sich § 824 I BGB allein auf Tatsachenbehauptungen – Meinungen können mit einem Anspruch aus § 824 I BGB nicht angegriffen werden. Die Rechtsprechung der russischen Gerichte ist daneben in einem weiteren Punkt widersprüchlich: Während sie einerseits Meinungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 152 ZGB ausschließt und Beleidigungen gleichzeitig einschließt, verweist sie andererseits auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung des EGMR, nach dem auch etwa beleidigende Äußerungen zulässig sein müs82
OLG Dresden, Beschluss vom 16.05.2018 – 4 W 305/18, NJW-RR 2018, 1005 (1006). BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85, NJW 1987, 2661 (2662). OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 5. 85 Aus Sicht des deutschen Rechts sind Beleidigungen auch in der Form der Kundgabe von Missachtung durch Tatsachenbehauptung als Verleumdung und üble Nachrede möglich; die Beleidigung nach § 185 StGB (i. V. m. § 823 II BGB) erfasst vorwiegend Werturteile und Tatsachenbehauptungen dagegen nur gegenüber dem Betroffenen selbst, was wiederum im russischen Recht tatbestandlich gar nicht unter Art. 152 ZGB fiele; vgl. zu § 185 StGB Regge/ Pegel, in: MüKo zum StGB, § 185 Rn. 3 f. 86 „Oskorblenie“ als Begriff aus dem Verwaltungs- bzw. Strafrecht. 87 Gavrilov, Vestnik ėkonomičeskogo pravosudija Rossijskoj Federacii 2 (2017), 1 (3). 88 Dies erkennt letztlich auch der OG, siehe etwa Entscheidung vom 14.06.2011, Nr. 5-V11-49; rechtspolitisch ist die Schutzmöglichkeit bei Verletzung durch Beleidigung im Sinne des Ehrschutzes selbstverständlich begrüßenswert. 83 84
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sen.89 Selbstverständlich hält der EGMR nicht jede Beleidigung für zulässig. Nach seiner Rechtsprechung muss aber eine demokratische Gesellschaft auch beleidigende und schockierende Äußerungen in einem gewissen Maße ertragen können.90 Der OG hat diese Herangehensweise, das Distinguieren zwischen den einzelnen Arten der Beleidigung einerseits und den Umgang mit zulässigen Beleidigungen andererseits, bisher nicht behandelt. Daneben bleibt offen, inwiefern Art. 152 ZGB juristische Personen vor Beleidigungen schützen soll oder überhaupt schützen kann.91 Beleidigungen greifen die Ehre und Würde an. Wie gesehen können sich juristische Personen auf diese nicht berufen, weshalb richtigerweise ein Schutz aus Art. 152 ZGB nicht als möglich angesehen werden kann.
bb) Unwahrheit der Äußerung Die Äußerungen müssen unwahr sein. Dies ist der Fall, wenn es sich um Tatsachenbehauptungen oder Behauptungen über Ereignisse handelt, die in der Realität zum Zeitpunkt der Äußerung nicht stattfanden.92 Inhalte gerichtlicher Entscheidungen, Beschlüsse aus Vorverfahren93 und anderer prozessualer oder offizieller Dokumente können nicht auf ihre Unwahrheit hin überprüft werden.94 Sie können demnach nicht Gegenstand der Ansprüche aus Art. 152 ZGB sein. Zu konstatieren ist eine sehr enge Auslegung des Begriffes „unwahr“ durch die russischen Gerichte. So wird die Bezeichnung als „Neofaschist“95 deswegen für unwahr gehalten, weil die so bezeichnete Person nicht Mitglied einer entsprechenden Partei war.96 Der EGMR kritisiert oftmals die Herangehensweise der russischen Gerichte, wenn diese eine „faktische Basis“97 einer Aussage unberücksichtigt lassen um die Aussage pauschal für „unwahr“ zu halten.98 Diese undifferenzierte Herangehensweise erinnert an die bereits oben ausgeführten Probleme bei der vorgelagerten Frage der Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung. Im Bereich des Wahrheitsschutzes interessant ist eine Entscheidung aus dem Bereich des Eingaberechts, Art. 33 Verf. RF. Aus Art. 33 Verf. RF ergibt sich das 89
OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 6. EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 23. Gavrilov, Vestnik ėkonomičeskogo pravosudija Rossijskoj Federacii 2 (2017), 1 (3). 92 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7; Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (133); Smolenskij, ĖŽ-Jurist 13 (2011), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus. 93 „[…] prigovorach, postanovlenijch organov predvaritel’nogo sledstvija“. 94 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7 S. 2. 95 Die Gerichte differenzierten zudem nicht zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung, das Urteil war Gegenstand in EGMR, Urteil vom 14.12.2006 – 29372/02 (Karman/Russia), Rn. 37, 40. 96 EGMR, Urteil vom 14.12.2006 – 29372/02 (Karman/Russia), Rn. 38. 97 „Factual basis“. 98 EGMR, Urteil vom 08.10.2019 – 29097/08 (Nadtoka/Russia), Rn. 48. 90 91
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Recht eines jeden Bürgers, sich an die staatlichen Behörden zu wenden; dazu gehört auch etwa die Information über ein möglicherweise begangenes Verbrechen. Der OG stellte diesbezüglich fest, dass trotz später erwiesener Unwahrheit der Anschuldigung, in Zusammenhang mit einem möglicherweise begangenen Verbrechen ein Anspruch aus Art. 152 ZGB nicht automatisch gegeben sei. Im Gegenteil: Der OG formulierte, ein Anspruch sei allein dann gegeben, wenn die Behauptungen jeglicher Grundlage entbehrten oder der alleinige Zweck der Behauptung das Beibringen von Schaden, also Rechtsmissbrauch, war.99 Eine wortlautgetreue Auslegung des Art. 152 ZGB würde dieser Rechtsprechung widersprechen. Auch dogmatisch ist dieser Rechtsprechung nicht ohne Kritik zu begegnen. Im Nachgang der Entscheidung des OG verneinte ein Gericht das Tatbestandsmerkmal „nicht der Wahrheit entsprechend“ und „ersetzte“ es durch „Wahrnehmung der von der Verfassung gegebenen Rechte“.100 Die Frage der Wahrheit wird also ex-ante betrachtet. Steht die Unwahrheit zum Zeitpunkt der Verbreitung nicht fest, gilt diese Tatsache (die Unwahrheit) für den Klagezeitpunkt, auch wenn später feststeht, dass die Tatsachen nicht der Wahrheit entsprechen. Abgesehen von den oben genannten Kritikpunkten reflektiert diese Rechtsprechung die ebenso lautende Position des EGMR, die dieser auch in einem gegen Russland verhängten Urteil verlautbarte: Die Möglichkeit, sich über staatliche Offizielle oder Behörden – insbesondere auf privaten Kommunikationswegen – zu beschweren, trage in Hinblick auf die Einschränkung der Äußerungsfreiheit schwerstes Gewicht.101 Dem europarechtskonformen Verständnis von Art. 152 ZGB ist daher gegenüber Wortlaut und Dogmatik Vorrang einzuräumen.102 Daraus lässt sich folgern, dass das Interesse „Wahrnehmung von Verfassungsrechten“103 über den Ehrenschutz gestellt werden kann. Auf journalistische Berichterstattung wird die Rechtsprechung in dieser Entschiedenheit nicht übertragen. Hinsichtlich der Unwahrheit der Aussage enthält Art. 152 P. 1 ZGB eine Unwahrheitsvermutung.104 Äußerungen gelten solange als unwahr, bis der Beklagte, der Verbreiter der Äußerung, das Gegenteil bewiesen hat.105 Für die Frage der Unwahrheit muss die gesamte Äußerung betrachtet werden.106 Behauptet beispielsweise ein Journalist, eine juristische Per99 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 10; Vfg., Entscheidung vom 08.04.2003, Nr. 157-O, P. 2. 100 Städtisches Berufungsgericht Moskau, Urteil vom 18.10.2016, Nr. 33–39473. 101 EGMR, Urteil vom 05.10.2006 – 14881/03 (Zakharov/Russia), Rn. 26. 102 Gleichzeitig ist dies ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit einer Reform der Artt. 150 ZGB und insb. des Art. 152 ZGB. 103 Und wohl auch „(Straf-)Verfolgung“. 104 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) 2015, 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 105 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9, die Beweislast bzgl. der Unwahrheit liegt also bei dem Beklagten. 106 17. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 14.01.2016, Nr. 17AP-16948/2015-GK, Sachnr. А60-36499/2015.
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son arbeite mit unlauteren Geschäftspraktiken,107 besteht der Anspruch nach Art. 152 ZGB, solange der Journalist nicht die Wahrheit der Aussage beweisen kann. Diese Beweisführung wird für Journalistinnen und Journalisten, wenn die Beweise nicht bereits vorliegen, schwierig zu führen sein und ggf. rechtwidriges Verhalten erfordern.108 Zu beachten ist zudem der Zusammenhang mit der Differenzierung zwischen Meinungen und Tatsachenbehauptungen. So hat die Frage der Unterscheidung immensen Einfluss auf die prozessuale Pflicht der Beweisführung: Was als Meinung eingestuft wird, ist nicht zu beweisen; wird eine Äußerung jedoch einschränkungslos als Tatsachenbehauptung gesehen, trägt der Äußernde auch die Beweislast für ihre Wahrheit.109 Das Vorgehen der Gerichte, eine Meinung als Tataschenbehauptung einzustufen, mit der Folge, dass die Erfüllung dieser Beweispflicht schlichtweg unmöglich wird, wird scharf durch den EGMR kritisiert.110 Eine solche Unwahrheitsvermutung besteht im deutschen Recht nicht. Im Rahmen von § 824 I BGB hat der Geschädigte – wenn auch mit einigen Erleichterungen111 – die Beweislast zu tragen.112 Dieser Wahrheitsbeweis wird zumeist über den Erfolg der Klage entscheiden. In die Lücken, die entstehen, springt daher § 823 I BGB. Im Grundsatz hat hier der Kläger die anspruchsbegründenden Umstände zu beweisen.113 Kann die Wahrheit nicht bewiesen 107 So in einem Fall, in dem ein Journalist einer staalichen haushaltsplangebundenen Behörde („gosudarstvennoe bjudžetnoe učreždenie“) vorwarf, sie nutze ihre Position zur rechtswidrigen Mietobjektvergabe aus. Alle drei Instanzen – Arbitragegericht der Oblast Kaluga, Beschluss vom 26.07.2013, Sachnr. A23-571/2013; 12. Arbitrageappellationsgericht vom 15.10.2013, Nr. 20AP-5901/2013 und Föderales Arbitragegericht des Zentralen Okrug, Urteil vom 24.01.2014, Nr. F10-4609/2013 – sahen mangels Vorliegen von Tatsachenbehauptungen die Klage als nicht statthaft an; auch der EGMR kritisiert die hohen Hürden insbesondere für Journalisten hinsichtlich der Beweislast, Urteil vom 21.12.2010 – 27570/03 (Novaya gazeta v voronezhe/Russia), Rn. 58. 108 Etwa Hausfriedensbruch durch den Journalisten auf den Unternehmensgrundstücken, vgl. BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877. 109 Kritisch daher EGMR, Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), Rn. 46. 110 EGMR, Urteil vom 05.10.2006 – 14881/03 (Zakharov/Russia), Rn. 29 f.; Urteil vom 14.01.2009 – 37406/03 (Dyundin/Russia), Rn. 34 f.; insofern wurden Klagen aus Persönlichkeitsrecht auch als Mittel verstanden, insb. die Kritiker von Personen in öffentlichen Ämtern oder Behörden einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, siehe Article 19, The Cost of Reputation. Defamation Law and Practice in Russia, S. 2. 111 Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 66, zur Erleichterung insbesondere bei negativen Tatsachen etwa BGH, Urteil vom 20.05.1996 – II ZR 301/95, NJW-RR 1996, 1211. 112 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, S. 467–468; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.06.2001 – 4 U 213/00, NJW-RR 2002, 1427; unter Verweis auf Rspr. des Reichsgerichts, Förster, in: BeckOK BGB, § 824 Rn. 61; Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 66. 113 Allerdings mit Einschränkung, hinsichtlich des Anspruchs auf Entschädigungszahlung findet teilweise ein „Import“ der Beweisregeln aus § 186 StGB statt, so Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 407, der hieran Kritik übt; zur Anwendung der Regeln aus § 186 StGB etwa OLG Hamburg, 18.12.2007 – 7 U 85/06, ZUM-RD 2008, 602; die Regeln des § 186 StGB gelten auch für Unterlassungsansprüche, es gilt aber eine Wahrheitsvermutung zuguns-
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werden, haben die Gerichte abzuwägen, ob der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rechtswidrig ist.114 Dabei ist das Interesse des Betroffenen anderen berechtigten Interessen gegenüberzustellen.115 Zu diesen Interessen gehört insbesondere das Informationsrecht der Öffentlichkeit. Dabei werden Kriterien wie die (politische) Bedeutung der Information für den öffentlichen Meinungsbildungsprozess und die Schwere der Beeinträchtigung der Interessen des Klagenden erwogen.116 Im Bereich der Verdachtsberichtserstattung dürfen Journalistinnen und Journalisten daher solange über eine für die Öffentlichkeit relevante Frage berichten, wie sie Recherchesorgfaltspflichten beachten. Je schwerwiegender das Interesse des Betroffenen beeinträchtigt ist, desto höher werden die Anforderungen an diese Recherchepflichten zu legen sein.117 Zu verweisen ist außerdem auf § 824 II BGB, dem Rechtfertigungsgrund bei der Wahrnehmung „berechtigter Interessen“. Dieser findet allein dann Anwendung, wenn es sich um die fahrlässige Verbreitung falscher Informationen handelt.118 Stellt sich später die Unwahrheit der Tatsache heraus, wird abgewogen, ob das Verbreitungsinteresse ex ante hinter dem Persönlichkeitsrecht zurückzutreten hatte.119 Die Zulässigkeit der journalistischen Behandlung des oben beschriebenen Falles wird trotz unklarer Tatsachenlage nach deutschem Recht weitaus eher gegeben sein, als dies nach der Unwahrheitsvermutung im russischen Recht der Fall wäre.
cc) Exkurs: Wahrheit der Äußerung Das Gesetz geht in Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB nicht erneut auf die Qualifikation der Äußerungen ein. Es liegt nahe, dem Wortlaut „neben dem Widerruf“120 zu entnehmen, dass der Anspruch auf Gegendarstellung nur bei unwahren Tatsachen gegeben ist, die die genannten Güter verunglimpfen. ten des Beklagten, wenn die Frage der Wahrheit unklar ist, vgl. BGH, Urteil vom 17.11.1992 – VI ZR 352/91, NJW 1993, 525 (526). 114 BGH, Urteil vom 30.01.1996 – VI ZR 386/94, NJW 1996, 1131 (1133); Bamberger/ Förster, in: BeckOK BGB, § 12 Rn. 291. 115 BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 (103); im Falle von § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) findet im Rahmen von § 823 II BGB eine Beweislastumkehr zugunsten des Schädigers statt, BGH, Urteil vom 12.02.1985 – VI ZR 225/83, NJW 1985, 1621 (1622); dieser muss dann aber auch die Erfüllung von Prüfungs- und Recherchepflichten nachweisen, Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 58. 116 BGH, Urteil vom 18.11.2014 – VI ZR 76/14, NJW 2015, 778 (780); BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI ZR 505/14, NJW-RR 2017, 98 (103). 117 BVerfG, Beschluss vom 28.06.2016 – 1 BvR 3388/14, NJW 2016, 3360 (3361). 118 Ein berechtigtes Interesse an der vorsätzlichen Verbreitung falscher Tatsachen gibt es nicht, BGH, Urteil vom 22.04.2008 – VI ZR 83/07, NJW 2008, 2262 (2266); Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 43. 119 Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 44. 120 „[…] narjadu s oproverženiem“.
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Interessanterweise wird dennoch diskutiert, inwiefern der Anspruch auf Gegendarstellung nach Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB auch bei wahren Tatsachen und bei Meinungen besteht.121 Dies verwundert, ist doch eine der drei nicht abdingbaren Voraussetzungen der Ansprüche aus Art. 152 ZGB nach dem OG,122 dass die Unwahrheit gegeben ist, bzw. Meinungen oder Werturteile gerade nicht Gegenstand des Schutzes nach Art. 152 ZGB sind. Die Äußerungen müssen stets unwahr und verunglimpfend, im Falle von P. 10 der Vorschrift jedenfalls unwahr sein. Noch verwunderlicher ist es daher, dass der OG in selbiger Entscheidung annimmt, dass der Verletzte bei Weigerung der Veröffentlichung der Gegendarstellung123 durch den Rechtsverletzer im Falle wahrer Aussagen zu beweisen hat, dass diese seine Rechte und gesetzlich geschützten Interessen schmälern.124 Ein weiterer Fall sieht die Verbreitung der Kreditunwürdigkeit eines Unternehmens unabhängig von der Wahrheit der Tatsache als verunglimpfend an.125 Im Zuge dessen äußert sich der OG dahingehend, dass neben Art. 46 Massenmediengesetz auch im Falle von Werturteilen oder Meinungen des Verletzten ein Gegendarstellungsanspruch gem. Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB besteht. Außerdem kann, wenn die Meinung in Form einer Beleidigung erfolgt, ein Entschädigungsanspruch126 hinsichtlich des immateriellen Schadens nach Artt. 150, 151 ZGB bestehen.127 An dieser Stelle ist der Begriff der Diffamierung128 einzuordnen. In Deutschland ist die „Diffamierung“ bloß eine von vielen möglichen persönlichkeitsrechtsverletzenden Handlungen.129 Nach dem OG ist das Verständnis der Diffamierung des EGMR mit der Verbreitung unwahrer und verunglimpfender Äußerungen nach Art. 152 ZGB deckungsgleich.130 Indirekt bezeichnet der OG die Handlung des Art. 152 ZGB damit als Diffamierung. Auch in der russischen Literatur wird die Diffamierung teilweise als Synonym der nach Art. 152 ZGB erforderlichen Handlung verwendet.131 Diese 121 Ausführlich
etwa bei Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 161. Siehe bereits supra Fn. 11, OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7. 123 Art. 152 P. 3 ZGB a. F., heute Teil des Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB mit an Art. 152 P. 1 ZGB angeglichener Formulierung. 124 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. 125 Föderales Arbitragegericht des Okrug Ural, Übersicht der Rechtsprechung vom 31.07.2009 „Praxisübersicht der Streitigkeiten zum Schutz der Geschäftsreputation“ („Obzor praktiki rassmotrenija sporov o zaščite delovoj reputacii“), P. 9. 126 Zur Frage, inwiefern dieser auch von juristischen Personen geltend gemacht werden kann, siehe infra in diesem Unterkapitel 2. c) bb) bbb) (1). 127 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. 128 „Diffamacija“. 129 OLG Dresden, Beschluss vom 07.01.2019 – 4 W 1149/18, BeckRS 2019, 327; OLG Hamm, Urteil vom 03.12. 2012 – I-13 U 178/11, NJOZ 2013, 939 (941 f.); in der Literatur statt vieler nur Paal/Hennemann, ZRP 3 (2017), 76 (76 ff.); Giebel, NJW (2017), 977 (977). 130 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005 Nr. 3, P. 1; zustimmend Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (133). 131 Archiereev, Jurist 16 (2016), 36 (36 ff.); Barinov, ĖŽ-Jurist 21 (2017), 1 (1 f.), aus: Konsul’tant Pljus. 122
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Verwendung bleibt aber nicht ohne Widerspruch. So wird die Diffamierung auch gänzlich anders verstanden, nämlich als Verbreitung verunglimpfender, aber wahrer Aussagen.132 Diese sei gerade nicht vom russischen Persönlichkeitsrechtsschutz umfasst.133 An anderer Stelle wird die Diffamierung als Verbreitung verunglimpfender Aussagen hinsichtlich einer natürlichen oder juristischen Person definiert – ohne Rücksicht auf ihre Wahr- oder Unwahrheit. Danach ist die Diffamierung als eine Art Überbegriff jeglicher verunglimpfenden Aussagen zu verstehen.134 Strafrechtliche Konsequenzen hat hier nur die bewusste Verbreitung falscher, verunglimpfender Tatsachen.135 Zivilrechtlich durch Art. 152 ZGB umfasst ist die Verbreitung falscher, verunglimpfender Aussagen ungeachtet von Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Diese wird als bewusst unwahre oder fahrlässig unwahre Diffamierung136 bezeichnet. Die einzige nicht vom Zivilrecht umfasste Art der Diffamierung sei die sog. wahre Diffamierung.137 Ein Schutz vor wahren Aussagen besteht im russischen ZGB dieser Ansicht nach im Gegensatz zur Rechtsprechung des OG nicht.138 Im deutschen Recht ist für diese Fälle zu differenzieren. Zwar wäre der Rechtfertigungsaufwand bei wahren Aussagen im Hinblick auf die Darlegungslast des verletzten allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit deutlich höher.139 Dennoch existieren Fälle,140 in denen aufgrund von „Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung“ in einer Abwägung das Persön132 Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 1, S. 897; auf die Problematik hinweisend Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 161. 133 Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 161. 134 Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 161 f.; anders noch Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133, hier übereinstimmend mit dem OG und seinem Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3. 135 „Kleveta“, Art. 128 P. 1 Strafgesetzbuch RF. 136 „Umyšlennaja nedostovernaja diffamacija, neumyšlennaja nedostovernaja diffamacija“. 137 „Dostovernaja diffamacija“, Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 161 f. 138 Art. 46 Massenmediengesetz verleiht allerdings einen Anspruch auf Gegendarstellung auch bei wahren Tatsachen, sofern diese rechts- oder interessenverletzend sind, siehe dazu infra unter II. in diesem Kap.; anders könnte dies auch einem Urteil des EGMR zu entnehmen sein, EGMR, Urteil vom 14.12.2006 – 5433/02 (Shabanov und Tren/Russia), Rn. 38–39; so sieht der EGMR zwar auch im vorliegenden Fall unwahre Tatsachen als gegeben an, wenn diese verschwiegen wurden (P. 39), gleichzeitig widerspricht er der Auffassung, Art. 152 ZGB umfasse keine wahren Tatsachen (Punkte 38, 39 S. 1). Dem ist in einer Zusammenschau zu entnehmen, dass nach dem EGMR auch bei wahren Aussagen die Anwendung des Art. 152 ZGB bei Auslassung bestimmter Fakten möglich ist. Nach dem EGMR ist es aber Aufgabe der nationalen Gerichte, über die Anwendung im Einzelnen zu entscheiden, P. 39. 139 Nach Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 164, sind „wahre Tatsachen […] grundsätzlich hin[zunehmen]“. 140 Zumeist unter dem Stichwort „Informationelle Selbstbestimmung“, etwa das „Recht auf Anonymität“, OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.09.2015 – I-16 U 120/15, BeckRS 2015, 17114; BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 259/05, GRUR 2007, 350; zuletzt auch diskutiert im Rahmen der sog. „#metoo“-Debatte Mafi-Gudarzi, NJOZ 15 (2018), 521.
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lichkeitsrecht überwiegt.141 Insbesondere wegen der Schnelligkeit der Verbreitung in Onlinemedien stellt sich womöglich die Frage nach einer erhöhten Schutzbedürftigkeit vor der Verbreitung wahrer Aussagen. So kann es durchaus im Interesse einer Person sein, dass die Öffentlichkeit nicht über jedes Detail des (insbesondere Privat-) Lebens informiert wird. Auch bei einer juristischen Person stellt sich die Frage der Schutzbedürftigkeit bei wahren Aussagen. So werden juristische Personen mangels Menschenwürde in einer Abwägung der Rechtsgüter im Hinblick auf ein weites Verständnis von Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit bzw. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit gerade bei wahren Tatsachen in der Regel zurücktreten müssen. Die Gefährdungslage der „Stigmatisierung“ und „sozialen Ausgrenzung“ ist jedenfalls bei juristischen Personen niedriger.142 Im Bereich des Reputationsverlusts relevant sind zum Beispiel Veröffentlichungen zum Umgang mit Mitarbeitern,143 der Einhaltung von Mindeststandards144 oder die Einhaltung von gesetzlichen Regelungen.145 In all diesen Fällen aber wird der Persönlichkeitsschutz keine oder eine geringere Rolle spielen. Gerade bei Gesetzesverstößen hat die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran informiert zu werden. Dass die Berichterstattung dann notwendig ist und das Persönlichkeitsrecht zurückzutreten hat, liegt auf der Hand. Eine andere Frage stellt sich bei sensiblen Informationen, die die wirtschaftliche Überlebensgrundlage des Unternehmens darstellen. Die Rechtsprechung tendiert hier zur Differenzierung. Bei einer gesetzeskonformen Geschäftspraxis kann trotz rechtswidriger Beschaffung der Materialien durch den Journalisten146 das Interesse der Öffentlichkeit „überragend“ sein.147 Der offene Tatbestand des § 823 BGB erleichtert den Gerichten die Anwendung auf wahre Tatsachen im Gegensatz zu Art. 152 ZGB, dessen Tatbestand wahre Äußerungen dem Wortlaut nach ausschließt. Dabei schützt der Wortlaut des Art. 152 ZGB die Meinungsfreiheit eher, da in seinem Fall grundsätzlich nicht gegen Äußerungen vorgegangen werden kann, die nicht unwahr sind.
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BGH, Urteil vom 07.12.2004 – VI ZR 308/03, GRUR 2005, 612. ist dies vor allem in Hinblick auf die einzelnen Mitarbeiter, die dann allerdings ihrerseits Ansprüche aus Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte geltend machen können. 143 Bildberichterstattung über niedrige Tariflöhne eines großen Automobilherstellers, OLG Stuttgart, Urteil vom 08.07.2015 – 4 U 182/14, BeckRS 2015, 12149. 144 Im Fall ging es um die Frage, ob ein deutsches Unternehmen für die fehlende Einhaltung eines Zulieferers von Mindeststandards haftet, . 145 Der Abgasskandal in der deutschen Autowirtschaft, . 146 Im Fall hatte ein Journalist verbotswidrig Filmaufnahmen auf dem Gelände der Klägerin, einem Unternehmen, hergestellt. 147 So etwa „Missstände […], durch welche die Öffentlichkeit betroffen sei“, OLG Stuttgart, Urteil vom 08.07.2015 – 4 U 182/14, BeckRS 2015, 12149. 142 Denkbar
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b) Verunglimpfender Charakter Verunglimpfend148 sind nach der Rechtsprechung insbesondere Äußerungen, die Behauptungen zu Rechtsverletzungen der geltenden Rechtsordnung durch den Bürger oder die juristische Person beinhalten, Behauptungen über die Vornahme „unredlicher Taten“,149 falschen, unethischen Verhaltens im persönlichen, öffentlichen oder politischen Leben, über die Unredlichkeit bei der Ausführung gewerblicher oder unternehmerischer Tätigkeit, über den Verstoß gegen die geschäftlichen Sitten150 oder Gebräuche, die die Ehre und Würde des Bürgers oder die Geschäftsreputation des Bürgers oder der juristischen Person herabwürdigen.151 Der OG nähert sich der Definition des Wortes „verunglimpfend“ über eine exemplarische Herangehensweise, ohne jedoch allgemeingültige Maßstäbe zu bilden. Offen bleibt, in welchem Fall eine Äußerung die Geschäftsreputation herabwürdigt. Für juristische Personen stellt der OG fest,152 dass eine Aussage dann verunglimpfend ist, wenn sie Behauptungen hinsichtlich der Verletzung der geltenden Rechtsprechung durch eine Person153 oder die juristische Person selbst oder der Unlauterkeit bei der Ausführung wirtschaftlicher und unternehmerischer Tätigkeiten enthält, die die Geschäftsreputation der juristischen Person herabwürdigen.154 Auch hier geht der OG nicht 148 „Poročaščij“; „untechnisch“ gesprochen könnte man dies auch mit „verleumdend“ oder „diffamierend“ übersetzen; vgl. die Übersetzung und Verwendung des Wortes „verleumden“ bei Roggemann/Bergmann, Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation (Erster Teil) von 1994, S. 160–161. „Verleumden“ setzt aber bereits die Unwahrheit der Aussage voraus (vgl. Duden, ). Dies entspricht nicht der Bedeutung des technischen Terminus „poročaščij“, dieser kann gerade auch im Kontext wahrer Aussagen gebraucht werden. So kann eine Aussage wahr sein und dennoch zu einem Imageverlust führen. Die Diffamation setzt nicht unbedingt die Unwahrheit voraus, wird aber oftmals als Synonym zur Verleumdung benutzt (vgl. Duden, ). Daneben ist der Begriff der „Diffamierung“, welcher verschiedene rechtliche Kategorien im russischen Ehrschutzrecht unter sich vereint, ein besonders „aufgeladener“ Begriff ist. Somit fiel die Wahl der Übersetzung des Wortes auf „verunglimpfen“ (bzw. „verunglimpfend“), welches hinsichtlich der Wahrheit der Aussage neutral bleibt und keine begriffliche Sonderstellung innehat. 149 „[…] soveršenii nečestnogo postupka“. 150 „étiki“. 151 „Umaljat’“, Hervorh. durch die Verf., OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7: „Poročaščimi, v častnosti, javljajutsja svedenija, soderžaščie utverždenija o narušenii graždaninom ili juridičeskim licom dejstvujuščego zakonodatel’stva, soveršenii nečestnogo postupka, nepravil’nom, neėtičnom povedenii v ličnoj, obščestvennoj ili političeskoj žizni, nedobrosovestnosti pri osuščestvlenii proizvodstvenno-chozjajstvennoj i predprinimatel’skoj dejatel’nosti, narušenii delovoj ėtiki ili obyčaev delovogo oborota, kotorye umaljajut čest’ i dostoinstvo graždanina ili delovuju reputaciju graždanina libo juridičeskogo lica“. Diese Definition wird teilweise auch von der Literatur übernommen, siehe etwa Rabez/Chvatova, Jurist 19 (2015), 7 (7), aus: Konsul’tant Pljus. 152 OG, Entscheidung vom 07.12.2016, Nr. 310-ĖS16-10931; OG, Entscheidung vom 14.06.2011, Nr. 5-V11-49. 153 Gemeint ist wohl eine Person, die der juristischen Person angehört. 154 So auch in der Literatur, etwa Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 62, ohne den Zusatz des Herabwürdigens der Geschäftsreputation.
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genauer darauf ein, wann eine Äußerung herabwürdigend ist. Entnommen werden kann der Praxis aber, dass die Herabwürdigung nicht nur ein Nebeneffekt sein darf, sie muss gerade Mittelpunkt der Verletzungshandlung sein. Nimmt etwa der spätere Beklagte seine verfassungsrechtlich verankerten Rechte auf gerichtlichen Schutz wahr, begründet der Misserfolg vor Gericht keinen Anspruch auf Schutz der Geschäftsreputation.155 Konkret genannt werden muss die juristische Person in der Äußerung indes nicht; die Geschäftsreputation kann auch dann betroffen sein, wenn aus dem Kontext deutlich wird, welche Person mit den Äußerungen gemeint ist.156 Die Literatur widmet sich der Frage des verunglimpfenden Charakters in der Rechtsprechung durchaus detailreich. Es wird vorgebracht, die Aufzählung des OG sei nicht abschließend zu verstehen.157 Das hier vorherrschende Verständnis geht in seinem Umfang über die Definition durch den Obersten Gerichthof hinaus. Äußerungen fügten der Reputation danach Schaden zu,158 wenn sie Misstrauen hervorrufen, verwerfliche Eigenschaften aufdecken, diskreditieren, schlecht machen159 oder bestimmte Personen blamieren.160 Erdelevskij geht sogar so weit zu sagen, dass jegliche Äußerungen, die den positiven Wertgehalt der Geschäftsreputation herabsetzen, das Tatbestandsmerkmal „verunglimpfend“ erfüllen.161 Er führt an, der OG habe seine Position im Gegensatz zur bis dahin162 von ihm vertretenen Definition nur um die Worte „im Besonderen“ ergänzt. Auch sei eine unbegründete Abweisung der Klage aus Art. 152 ZGB ein Verstoß gegen Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls163 der EMRK, der die Eigentumsfreiheit schützt. Verfassungsrechtlich wird argumentiert, Art. 21 Verf. RF lasse gar kein anderes Verständnis zu. Danach dürfe nichts die Würde des Menschen herabsetzen.164 Jedenfalls in Bezug auf letzteres liegt die Frage auf 155 17. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 27.12.2016, Nr. 17AP-17209/2016, Sachnr. А60-27733/2016; hier klagte ein Unternehmen erfolglos auf Zahlung des Reputationsschadens, der seiner Ansicht nach dadurch eingetreten war, dass das beklagte Unternehmen erfolglos eine Klage wegen Verletzung seiner Ausschließlichkeitsrechte gegen das nun klagende Unternehmen angestrengt hatte. 156 Etwa weil das von der juristischen Person eingetragene Warenzeichen genannt wird, so nach OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 14. 157 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 67; Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30 (33). 158 Nicht ersichtlich ist, warum hier von „Schaden zufügen“ die Rede ist und nicht von der im Gesetz verwendeten Formulierung „verunglimpfen“. 159 „Očernjajut“. 160 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 67. 161 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (135). 162 OG, Plenarbeschluss vom 18.08.1992, Nr. 11, P. 2, siehe supra Kap. 2 Fn. 94, außer Kraft getreten mit dem Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3. 163 Erstes Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 20.03.1952. 164 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (136).
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der Hand, ob ein anderer Maßstab hinsichtlich juristischer Personen angebracht ist, da diese sich nicht auf Art. 21 Verf. RF berufen könnten. Völkerrechtlich schützt Art. 1 der EMRK die Eigentumsfreiheit – dass die Geschäftsreputation unter den Eigentumsbegriff fällt, wurde durch den EGMR bestätigt.165 Allerdings kommt es auch hier auf entsprechende Bezugspunkte an: der Maßstab für Eingriffe ist ein anderer, wenn es sich um juristische und nicht um natürliche Personen handelt.166 Dies wird hier übersehen. Dieser Meinung nach folgt aus der Formulierung durch OG die Aufteilung der möglichen verunglimpfenden Aussagen in zwei Fallgruppen. Die erste Fallgruppe bilde die vom OG genannten Fälle ab.167 Diese bedürften hinsichtlich der Frage des verunglimpfenden Charakters keiner zusätzlichen Begründung; ein gesonderter Beweis müsse nicht erbracht werden, die Behauptung führe „per se“ bereits zum Bestehen des verunglimpfenden Charakters. Danach liege der verunglimpfende Charakter auf der Hand.168 Zur zweiten Gruppe gehörten Äußerungen, die die Geschäftsreputation „auf andere Weise“169 herabwürdigen. Dass diese verunglimpfend seien, müsse gesondert bewiesen werden, da hier der Charakter nicht offensichtlich sei. Dies richte sich nach den allgemeinen Beweisregeln, sodass der Kläger den Beweis zu führen habe.170 Diese Sichtweise wird durch andere Autoren unterstützt.171 Dies wird172 bzw. wurde173 in der Praxis allerdings oftmals anders gehandhabt. Kann die Wahrheit der Tatsache nicht bewiesen werden, gilt die Äuße165 Für den Goodwill EGMR, Urteil vom 24.05.2005 – 61302/00 (Buzescu/Romania), Rn. 81; für den Kundenstamm als Teil des Goodwills, siehe EGMR (Große Kammer), Urteil vom 26.06.1986 – 8543/79; 8674/79; 8675/79; 8685/79 (Van Marle and Others/The Netherlands). 166 So in einem vergleichbaren Fall, bei dem für Art. 8 EMRK im Ergebnis keine Verletzung der Rechte der juristischen Person vorlag, da hier der Maßstab für Eingriffe gerade niedriger gesetzt werden kann, EGMR, Urteil vom 14.03.2013 – 24117/08 (Bernh Larsen Holding AS and Others/Norway), Rn. 159. 167 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (136); zustimmend Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 68. 168 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (136), noch bezogen auf Art. 152 P. 1 und 3 ZGB a. F. In der damaligen Redaktion sah P. 3 noch das Vorgehen gegen Tatsachenbehauptungen vor, die „Rechte und Interessen verletzen“. Da die Definition von „verunglimpfend“ seitens des OG aber unverändert geblieben ist, dürfte sich auch an der theoretischen Überlegung Erdelevskijs nichts geändert haben. 169 „Inym obrazom“. 170 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (137). 171 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 67 f.; Ivačev, Delovaja reputacija juridičeskogo lica i ejo graždansko-pravovaja zaščita, Finansovaja gazeta, 2006, Nr. 13, zit. nach Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 68. 172 Etwa Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 10.12.2018, Nr. А40-2791/2017. 173 In ihrer Tendenz bestand diese Rspr. so vor allem in den Jahren zwischen 2000 und 2010; im letzten Jahrzehnt ist hier eine Änderung zu verzeichnen. Grund hierfür ist wohl die zunehmende Beachtung der Rspr. des EGMR und entsprechende Hinweise darauf durch höchstrichterliche Entscheidungen in Russland, OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3 und Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16.
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rung als „verunglimpfend“.174 Danach führt die Unwahrheit direkt zum verunglimpfenden Charakter der Tatsache. Entgegenstehende Interessen werden in der Regel nicht erörtert. Die von der Literatur vorgeschlagene Ausfüllungsbedürftigkeit bei Äußerungen der zweiten Gruppe wird nicht gesehen, insofern wird im Rahmen der Äußerungen nicht differenziert.175 In Wettbewerbssituationen – wenn die Aussagen von einem Wettbewerber verbreitet werden – ist diese dann verunglimpfend, wenn die Aussage eine falsche Vorstellung über die Tätigkeit des Klägers hervorruft.176
aa) Abwägungserfordernis In der Konsequenz stellt sich die Frage, inwieweit das russische Recht eine Abwägung zwischen den entgegenstehenden Interessen vorsieht. In der Rechtsprechung wird stets darauf verwiesen, dass die verschiedenen Interessen in Einklang zu bringen sind.177 Keinem der Interessen wird grundsätzlich der Vorrang zugebilligt.178 Die Abwägung wird auch in der Literatur bei dem Schutz persönlicher immaterieller Güter mit Persönlichkeitsbezug gefordert.179 Auch der EGMR setzt eine Abwägung voraus.180 Dazu evaluiert er, inwiefern eine „objektive Verbindung“181 zwischen der Äußerung und dem Kläger besteht. Nicht ausreichend ist es daher, wenn eine Personengruppe, die zwar in ihrer Gesamtheit, nicht aber hinsichtlich der individuellen Personen, Gegenstand der Äußerungen ist. Das rein subjektive Empfinden des verunglimp174 Ebenso im oben bereits beschriebenen Fall der Produktionsgenossenschaft (Fn. 33), in letzter Instanz Föderales Arbitragegericht der Moskauer Oblast, Entscheidung vom 24.11.2008, Nr. KG-A40/10735–08, Sachnr. А40-13780/08–110–29; Föderales Arbitragegericht des Ostsibirischen Okrug, Urteil vom 07.07.2015, Nr. F02-2213/2015, Sachnr. A58-328/2014. 175 Die oben beschriebene Änderung zeigt sich nicht unbedingt in einem intensiveren Umgang mit Abwägungsfragen, jedoch wird zunehmend genauer geprüft, inwiefern die Äußerung als Meinung oder als Tatsachenbehauptung einzustufen ist, vgl. etwa Föderales Arbitragegericht des Ostsibirischen Okrug, Urteil vom 18.10.2018, Nr. F02-4613/2018, Sachnr. A1926517/2017; Föderales Arbitragegericht des Volgo-Vjatskyj Okrug, Urteil vom 07.10.2019, Nr. F01-4985/2019, Sachnr. A79-8520/2018; Föderales Arbitragegericht des Nordkaukasischen Okrug, Urteil vom 16.01.2014, Nr. F08-8821/2013, Sachnr., A01-368/2013; dies wiederum belegt die immense Bedeutung der Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung. 176 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.09.2014, Sachnr. A40-54340/14. 177 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1; unter Bezugnahme darauf auch OG, Entscheidung vom 02.05.2017, Nr. 48-KG17-4; OG, Entscheidung vom 16.05.2017, Nr. 4-KG17-6. 178 Zumindest nicht explizit. 179 Kruss/Bondar’, in: Zor’kin, S. 222. 180 So fragt der EGMR etwa danach, inwiefern ein Eingriff (im Fall war es ein die Meinungsfreiheit einschränkendes Urteil) in die Meinungsfreiheit notwendig war, sog. „necessity test“, Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), Rn. 39; Urteil vom 13.12.2016 – 9406/05 (Kunitsyna/Russia), Rn. 39. 181 „Objective link“.
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fenden Charakters reicht daher nicht aus.182 Außerdem verweist das Gericht im Rahmen der Abwägung auf die Notwendigkeit der zu treffenden Unterscheidung, ob Äußerungen von der Person selbst stammen oder nur durch diese wiedergegeben werden.183 Regelmäßig verkennen russische Gerichte nach dem EGMR zudem die Bedeutung des „öffentlichen Interesses“ einer Äußerung und damit den relevanten Gehalt der Meinungs- und Pressefreiheit.184 Für eine Abwägung der Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht ist aber bei offensichtlich verunglimpfenden „harten Fakten“185 wie gezeigt kein Raum. Entsprechend dem Verständnis der Literatur186 ist auch in den Fällen, in denen die Äußerungen die Reputation auf andere Weise schmälern, lediglich die Beweisführung ausfüllungsbedürftig. Von einer Abwägung wird nicht gesprochen.187 Eine Ausnahme wird in der Literatur im journalistischen Bereich erörtert.188 Es wird angemahnt, bei journalistischer Berichterstattung müsse zwischen Übertreibung und Provokation auf der einen und „rechtsmissbräuchlichem“ Verhalten auf der anderen Seite differenziert werden.189 Dies zeigt, dass in der Rechtswissenschaft die Notwendigkeit gesehen wird, den Maßstab des verunglimpfenden Charakters in bestimmten Bereichen zu variieren. Wie dies dogmatisch verankert sein soll, bleibt offen. Im Bereich journalistischer Recherche- und Prüfpflichten spielt zudem eine Rolle, inwiefern der Journalist eigene Aussagen trifft190 oder nur fremde Aussagen wiederholt.191 Zudem ist zu prüfen, inwiefern sich der Journalist an ethischen Grundregeln wie einer sorgsamen Recherche orientiert.192
182 183
EGMR, Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), P. 44. EGMR, Urteil vom 23.10.2008 – 14888/03 (Godlevskiy/Russia), P. 45. 184 EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 33; Urteil vom 03.10.2017 – 45083/06 (Novaya gazeta and Milashina/Russia), Rn. 73; Urteil vom 31.10.2007 – 25968/02 (Dyuldin and Kislov/Russia), Rn. 48 f.; Urteil vom 22.01.2013 – 33501/04 (OOO Ivpress and Others/Russia), Rn. 71; Urteil vom 21.12.2010 – 27570/03 (Novaya gazeta v voronezhe/Russia), Rn. 57 f.; Urteil vom 11.02.2010 – 33333/04 (Fedchenko/Russia), Rn. 42. 185 Siehe supra b). 186 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (133 ff.), spricht von Beweisführung, „dokazyvanie“; ebenso Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 68. 187 Dies beschreibt auch Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 29, für das Vfg., bei dem ebenfalls Ausführungen zur Güterabwägung häufig sehr kurz ausfallen. 188 Auch der OG erkennt dies in Anlehnung an EGMR-Rspr. an, vgl. Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, P. 28. 189 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 74, 75. 190 EGMR, Urteil vom 03.10.2017 – 45083/06 (Novaya gazeta and Milashina/Russia), Rn. 71. 191 Auch in Form eines Interviews. 192 EGMR, Urteil vom 03.10.2017 – 45083/06 (Novaya gazeta and Milashina/Russia), Rn. 57; Urteil vom 08.10.2019 – 29097/08 (Nadtoka/Russia), Rn. 48.
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Solche Ansätze finden sich auch in für die Meinungsfreiheit sensiblen Bereichen wie der politischen Äußerungsfreiheit. Hier werden in der Rechtsprechung in Anlehnung an Entscheidungen des EGMR193 Maßstäbe gebildet. Der OG verweist in seiner Entscheidung von 2005194 auf Art. 3 und 4 der Deklaration zur Freiheit der politischen Debatte von 2004195 auf die Tatsache, dass Politiker, indem sie sich und ihre Meinung in die Öffentlichkeit stellen, selbst auch Gegenstand von Meinungsäußerungen werden können. Das Gericht erkennt dies als zwingend notwendig für die Tätigkeit der Massenmedien an. Im Hinblick auf die Persönlichkeitsgüter von Politikern scheint demnach die Äußerung der Meinungsfreiheit einen höheren Stellenwert zu haben als bei Durchschnittspersonen. Der Oberste Gerichthof setzt mit dieser Entscheidung deswegen aber nicht fest, dass im Zweifel zugunsten der Meinungsfreiheit geurteilt werden müsse. Er macht die Gerichte nur auf die genannte Konvention „aufmerksam“,196 ohne jedoch den Maßstab für die Frage der Verunglimpfung dadurch festzusetzen. Ähnlich wird dies auch in einer anderen Entscheidung für staatliche Funktionsträger festgehalten.197 Danach haben diese sich öffentlicher Kritik in einem weiteren Umfang als Privatpersonen zu stellen. Richter und Staatsanwälte dagegen dürfen sich auf ein etwas höheres Schutzniveau verlassen, sofern es sich um anstößige verbale Angriffe und unbegründete Anschuldigungen handelt.198 Erhellend ist diese Rechtsprechung nicht. Die Analyse der russischen Rechtsprechungspraxis provoziert die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „verunglimpfend“ einen eigenständigen Prüfwert hat. Nach dem Wortlaut des Art. 152 P. 1 ZGB ist dies der Fall. Ebenso zählt es zu den vom OG genannten Grundvoraussetzungen. Doch wie aufgezeigt, kommen die Gerichte schon an einer früheren Stelle der Prüfung zu dem Ergebnis, ob der verunglimpfende Charakter gegeben ist oder nicht. Die entscheidende Frage scheint für die Ge193
EGMR, Urteil vom 21.07.2005 – 23472/03 (Grinberg/Russia), Rn. 32–33. vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. Europarats, Deklaration zur Freiheit der politischen Debatte in den Medien („Declaration on freedom of political debate in the media“), vom 12.02.2004, abrufbar unter: . 196 „Sudam sleduet imet’ v vidu“. 197 OG, Entscheidung vom 16.05.2017, Nr. 4-KG17-6; auch OG, Entscheidung vom 14.06.2011, Nr. 5-V11-49, in letzterer erkennt der OG den „Konventionsstandard“ an, dass es gerade in Fällen, die thematisch das Interesse der Öffentlichkeit betreffen, „gewichtige Gründe“/„vesk[ye] osnovani[ja]“ für die Einschränkung der Meinungsfreiheit gegenüber dem Reputationsschutz (u. a. einer juristischen Person) bedürfe, was insbesondere für den Eingriff in das Recht auf freie Rede eines für eine Demokratie wichtigen Politiker der Opposition zu gelten habe. 198 Der EGMR macht aber deutlich, dass sich Richter und Staatsanwälte als Beamte im Verhältnis zur Presse mehr Kritik gefallen lassen müssen, als dies bei Privaten der Fall ist, Urteil vom 03.10.2017 – 45083/06 (Novaya gazeta and Milashina/Russia), Rn. 60 ff. 194 OG, Plenarbeschluss 195 Ministerkomitee des
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richte zu sein, ob eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinung vorliegt. Ist ersteres der Fall und kann die Wahrheit der Aussage nicht bewiesen werden, stellen die Gerichte den verunglimpfenden Charakter fest. Kommt das Gericht zum Ergebnis, eine Meinung liege vor, ist ein Anspruch nach Art. 152 ZGB ausgeschlossen. Eine Abwägung durch die Gerichte erfolgt dabei nicht – und hat auch nicht zu erfolgen. Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 152 ZGB sind einer Abwägung gar nicht zugänglich – die Abwägung wurde bereits durch den Gesetzgeber vorgenommen. Der Gesetzgeber hat mit Normierung des Art. 152 ZGB entschieden, dass unwahre Tatsachen, die die Geschäftsreputation199 verunglimpfen, die Persönlichkeitsrechte verletzen. Die von der Rechtsprechung zu betätigenden „Hebel“ liegen bei der Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung. Die nach der Rechtsprechung notwendige „Abwägung“ bezieht sich also eigentlich auf die Frage, wie eng oder weit der Begriff der Meinung zu verstehen ist. Ausfüllungsbedürftig ist daneben die Frage, wann eine unwahre Tatsache verunglimpfend ist. Für die Rechtsprechung kommt es hier nur auf die Herabwürdigung der Persönlichkeitsgüter an. Dabei wird – sofern überhaupt erörtert – darauf abgestellt, welche Folge eine Aussage bei einem Rezipienten hinsichtlich seiner Wahrnehmung der betroffenen Person auslösen könnte.200 Auch hier hätte die Rechtsprechung die Möglichkeit, am Maßstab eines durchschnittlichen Rezipienten zu justieren. Diese wird bisher nicht wahrgenommen. So existiert zudem eine Entscheidung, in der das Verfassungsgericht explizit auf die Bedeutung der besonderen Notwendigkeit des Schutzes der Würde der Persönlichkeit hinweist.201 Diese Erwägungen berücksichtigen nicht, dass die Sachlage im Falle juristischer Personen anders gelagert sein könnte. Die Presse wird etwa oft über Ermittlungsverfahren und potentielle Straftaten von Unternehmen berichten wollen.202 Hier besteht neben der Pressefreiheit, Art. 29 P. 5 Verf. RF, auch ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, Art. 29 P. 4 Verf. RF. Da auch nach russischem Recht eine juristische Person keine Würde hat,203 wird sich auch hier in einer Gegenüberstellung der Rechte verstärkt die Frage stellen, ob Meinungs- bzw. Pressefreiheit und Informationsbedürfnis überwiegen. 199
Und Ehre, Würde. Etwa Föderales Arbitragegericht der Moskauer Oblast, Entscheidung vom 24.11.2008, Nr. KG-A40/10735–08, Sachnr. А40-13780/08–110–29. 201 Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 323-O-O, „[…] Konstitucija Rossijskoj Federacii vozlagaet na gosudarstvo objazannost’ ochranjat’ dostoinstvo ličnosti, čem utverždaetsja prioritet ličnosti i eё prav […]“. 202 Gilt für den Abgasskandal bei den deutschen Autoherstellern (ab 2015) ebenso wie etwa für Vorwürfe der Korruption russischer Unternehmen, vgl. . 203 Siehe dazu bereits supra Kap. 3 A. 200
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Ob bei einer juristischen Person als bloßes Konstrukt andere Maßstäbe angebracht sind und demokratische Freiheiten als „gewichtiger“ anzusiedeln sind,204 wird nicht diskutiert. Zwar wird hinsichtlich der juristischen Person allein auf ihre Geschäftsreputation rekurriert; dies hat aber keine Auswirkungen auf die Anwendung des Tatbestandsmerkmals „verunglimpfen“.205 Umso mehr stellt sich für die Ansprüche juristischer Personen aus Art. 152 ZGB die Frage, wie mit diesen Schieflagen in Hinblick auf die Verfassung und den Wortlaut des Art. 152 ZGB umzugehen ist.
bb) Vergleich zum Abwägungserfordernis in Deutschland In Deutschland findet aufgrund der Natur des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen statt.206 Daher kann zwar ein Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht gegeben sein; dieser ist aber nur dann rechtswidrig, wenn das Persönlichkeitsrecht überwiegt. Dies gilt sowohl für Unterlassungs-207 als auch für Schadensersatzansprüche. Die dogmatische Konstruktion im deutschen ist also eine gänzlich andere als im russischen Recht. Das russische Recht entscheidet die Frage des „verunglimpfenden Charakters“ bei Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB bzw. Art. 46 Massenmediengesetz im Rahmen der „Schmälerung der Rechte und gesetzlicher Interessen“208 auf der Tatbestandsebene. Im deutschen Recht ist dies eine Frage der Rechtswidrigkeit, bzw. des Ausschlusses des Anspruchs aufgrund der Duldungspflicht von § 1004 II BGB. Für die Frage der Gewichtung der einzelnen Interessen in Deutschland kann die Rechtsprechung zu natürlichen Personen hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts nicht auf juristische Personen übertragen werden. Denn die „Schutzwir204 Wie etwa im deutschen Recht, siehe zu den Begrenzungen des „Unternehmenspersönlichkeitsrechts“, BGH, Urteil vom 03.06.1986 – VI ZR 102/85, GRUR 1986, 759 (761); Schutz der Unternehmen ist verfassungsrechtlich nur über Art. 2 I GG erreichbar, vgl. etwa BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16, NJW 2018, 2877 (2879 f.). 205 Differenzierungen bei der Betrachtung zwischen dem Ansehensschutz juristischer und natürlicher Personen finden sich nur bei der Frage eines Entschädigungsanspruchs, dazu infra bei 2 c) in diesem Kap. 206 Nicht so für die vom BVerfG sehr restriktiv gehandhabte Ausnahme der „Schmähkritik“, die sich durch das Kriterium des fehlenden Sachbezugs auszeichnet, vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2012 – 1 BvR 2979/10, GRUR 2013, 193 (194), und insbesondere auch die jüngste „Klarstellung“ des BVerfG, „Klarstellung verfassungsrechtlicher Maßgaben für strafrechtliche Verurteilungen wegen ehrbeeinträchtigender Äußerungen“ in der Pressemitteilung Nr. 49/2020 vom 19.06.2020 zu den Beschlüssen vom 19.05.2020 – 1 BvR 2459/19, 1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19 und 1 BvR 362/18; siehe hier auch zu den weiteren Ausnahmen, der Verletzung der Menschenwürde sowie der Formalbeleidigung, in P. 2 der Erwägungen der Pressemitteilung. 207 Dies ist im Rahmen der Duldungspflicht nach § 1004 II BGB zu prüfen, vgl. Fritzsche, in: BeckOK BGB, Art. 1004 Rn. 108. 208 Siehe dazu infra unter II. dieses Abschnitts.
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kung dieses Rechts über natürliche Personen hinaus auf juristische Personen ist nur insoweit gerechtfertigt, als sie aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und ihren Funktionen dieses Rechtsschutzes bedürfen.“209 In einem Fall sah das Gericht das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ eines Pharmakonzerns durch die Verbreitung eines Films, der sich – in teils wahren, teils fiktiven Erzählabschnitten – kritisch mit dem vom Pharmakonzern verantworteten Arzneimittel Contergan auseinandersetzte, durchaus als betroffen an. Die Verbreitung war allerdings deswegen nicht rechtswidrig, weil das Unternehmenspersönlichkeitsrecht hinter der Kunstfreiheit zurückzutreten hatte. Es sei „Öffentlichkeitsbereich“ und habe gegenüber der Kunstfreiheit einen niedrigeren Stellenwert.210 Diese Frage wird in der russischen Rechtsprechung nicht angesprochen. Der OG hält nur fest, dass die entsprechenden Interessen für juristische Personen nicht Verfassungsrechte, sondern nur Bedingung für ihre erfolgreiche Tätigkeit sind.211 Dies führt in der Rechtsprechungspraxis allerdings nicht zur Veränderung des Maßstabs hinsichtlich der Ansprüche aus Art. 152 ZGB und dem Verständnis des Wortes „verunglimpfend“ oder „herabwürdigend“, sondern spielt (wenn überhaupt) allein im Schadensrecht eine Rolle.212 Nach der Definition „verunglimpfend“ ist dies wie oben besprochen bei dem Vorwurf des Gesetzesbruchs, der nicht nachgewiesen werden kann, gegeben.213 In Deutschland bewertet die Rechtsprechung entsprechende Äußerungen explizit gerade nicht per se als rechtswidrig. Zu bewerten sind Äußerungen wie „Lüge“, aber auch „Täuschung“ oder „Korruption“ vor dem Hintergrund des Gesamtkontexts und der Einordnung der Äußerung insgesamt als Tatsachenbehauptung oder als Meinung. Danach kann auch der Vorwurf der „Korruption“ als Meinung eingestuft und damit vor einem Vorgehen aus § 823 I BGB bewahrt werden.214 Im Vergleich des Art. 152 ZGB zu § 824 I BGB fällt auf, dass sich die Normen in ihren Anforderungen ähneln. Auch § 824 I BGB erfordert keine Abwägung und setzt die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen voraus. Ein Unterschied liegt in der weiteren Formulierung. Nach § 824 I BGB muss die Tatsache „geeignet [sein], den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen“. Art. 152 ZGB dagegen verlangt, dass die Tatsache verunglimpfenden Charakter hat, also die Behauptung enthält, der Betroffene verstoße gegen das Gesetz oder handele 209 BGH, Urteil vom 08.02.1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281 (1282); ähnlich und unter Bezugnahme auf voriges Urteil, OLG Hamburg, Urteil vom 10.04.2007 – 7 U 143/06, NJOZ 2007, 2695 (2701). 210 OLG Hamburg, Urteil vom 10.04.2007 – 7 U 143/06, NJOZ 2007, 2695 (2701). 211 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1. 212 Siehe OG, Plenarbeschluss vom 15.06.2016, Nr. 16, P. 38, dazu infra Kap. 6 B. II. 3. d). 213 Siehe supra Kap. 6 A. I. 1. b). 214 BGH, Urteil vom 03.02.2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872 (1874).
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auf andere Weise unlauter oder unethisch, sodass dessen Geschäftsreputation herabgewürdigt wird. Irrigerweise wäre anzunehmen, Art. 152 ZGB sei enger konzipiert, da nicht lediglich Geeignetheit, sondern faktische Herabwürdigung verlangt wird. § 824 I BGB fordert dagegen zwar nur die konkrete Möglichkeit der Gefährdung, ist aber allein auf die „Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Wertschätzung“ anwendbar.215 Die Rechtsprechung wendet § 824 I BGB zudem nur auf die Sichtweise von Geschäftspartnern an.216 Ein weiterer – bedeutenderer – Unterschied findet sich im Rechtfertigungsgrund des § 824 II BGB. Wie oben bereits erwähnt, scheidet ein Anspruch bei „berechtigten Interessen“ aus. Eine solche Regelung ist im russischen Recht nicht vorgesehen. Wäre sie es, könnte sie über den Widerspruch zwischen den durch den Wortlaut des Art. 152 ZGB geschaffenen Fakten und den sich abzeichnenden Forderungen des OG nach einer Abwägung hinweghelfen.
c) Verbreitet Der Kläger hat nach Art. 152 P. 1 ZGB darzulegen, dass der Beklagte die Information verbreitet hat.217 Das bedeutet, dass der Beklagte gerade die Verbreitungshandlung vorgenommen haben muss.218 Voraussetzung für die Annahme der Verbreitung ist, dass die Äußerungen mindestens einer weiteren, dritten, Person bekannt wurden. Nach dieser Rechtsprechung liegt daher keine Verbreitung vor, wenn die „Verbreitung“ allein der durch die Äußerungen betroffenen Person selbst gegenüber geschieht, solange der Urheber der Äußerungen sich ausreichend um Geheimhaltung bemüht hat.219 Klagegegner ist also der „Verbreiter“.220 Diese Formulierung scheint nur auf den ersten Blick schlüssig. Bei näherem Hinschauen lassen sich verschiedene Deutungsweisen der Verletzungshandlung „verbreiten“ erkennen. So kann eine Aussage von einer Person vorgenommen, von einer anderen verschriftlicht und in modernen Medien wie Facebook, Instagram und Twitter binnen Sekunden tausendfach geteilt werden. Dementsprechend kommen als Klagegegner neben dem Erstverfasser und -verbreiter einer Aussage der Betreiber einer Plattform, eine Redaktion, die den Speicher im Internet zur Verfügung stellende Person oder der Internetprovider selbst in Betracht. Erstmals behandelt wurde die Frage in der Entscheidung des OG aus dem Jahre 2005. Danach kann der Autor, aber auch die „Person, die die Äußerungen verbreitet“ Klagegegner sein.221 215
Förster, in: BeckOK BGB, § 824 Rn. 26. Urteil vom 07.02.1984 – VI ZR 193/82, NJW 1984, 1607 (1608); ablehnend Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 38. 217 „Esli rasprostranivšij […] ne dokažet, čto oni sootvetstvujut dejstvitel’nosti“. 218 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7. 219 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7. 220 Wörtlich „der Verbreitende“/„rasprostranivšij“. 221 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 5; OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, Präambel. 216 BGH,
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Das bedeutet für eine Verletzung in den (Massen-)Medien, dass neben dem sich konkret Äußernden, wie etwa dem Autoren, bei fehlendem Hinweis auf diesen die Redaktion belangt werden kann. Der OG stellte für den Fall, dass diese nicht als juristische Person organisiert ist, klar, dass stellvertretend der Geschäftsführer222 zu verklagen ist. Ähnliches gilt für den Fall, dass ein Angestellter in Ausführung seiner beruflichen Tätigkeit eine solche Äußerung tätigt. Verklagt wird dann die juristische Person selbst.223 Seit einem Urteil von 2013 kann neben dem Erstverbreiter auch der Betreiber der Plattform in Form eines Löschungsanspruchs haftbar gemacht werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Verletzung nach Art. 152 ZGB gerichtlich bestätigt wurde.224 Bis auf die Eingangsformel „nicht nur der Autor, sondern auch der Verbreiter“ nimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung keine weitere allgemeingültige Konkretisierung vor. Die genannten Beispiele helfen nicht über die Breite des Spektrums der (wenn auch nur mittelbar) Handelnden und damit Haftenden hinweg. Wie angedeutet, stellt sich diese Frage angesichts der Vielzahl der möglichen Verpflichteten primär im Internet.225
d) Verschulden Bis auf den Schadensersatzanspruch226 in Art. 152 P. 9 ZGB, der Verschulden voraussetzt,227 verlangen die Ansprüche aus Art. 152 ZGB kein Verschulden des Verbreiters.228 Begründet wurde dies im russischen Recht bereits zu sowjetischer Zeit vor Bestehen der ersten zivilrechtlichen Regelungen mit dem teleologischen Motiv der Regelungen: Diese sollen nicht den Rechtsverletzer „bestrafen“, sondern in erster Linie die Persönlichkeit schützen.229 Das deutsche Recht hat hier einen ähnlichen Ansatz. Auch die quasi-negatorischen Unter222
„Učreditel’“. OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 5. 224 Vfg., Urteil vom 09.07.2013, Nr. 18-P, P. 4.1, welches dies u. a. mit der Notwendigkeit des effektiven gerichtlichen Schutzes der Ehre, Würde und Geschäftsreputation begründet. 225 Insbesondere im Internet stellt sich hinsichtlich der Beteiligung von Intermediären (Internet Service Provider, Content Provider, etc.) die Frage deren (mittelbarer) Haftung. Dieses – sehr komplexe – Thema ist nicht Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit und wird daher an dieser Stelle ausgeklammert. 226 Der sog. „moralische Schaden“ wird – als Ausnahme zur Regelung bei der Verletzung anderer immaterieller Güter in Art. 151 ZGB, vgl. dazu und zur Frage des durch die unterschiedliche Regelung von Vermögens- und immateriellem Schaden entstehenden rechtspolitischen Widerspruchs Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (316) – nach Art. 1100 ZGB unabhängig vom Verschulden kompensiert. 227 Arg. e contrario ex Art. 1064 P. 2 ZGB, siehe dazu statt vieler nur Sergeev, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ vtoraja, Art. 1064 P. 5, S. 963. 228 Gehört nicht zu den in P. 7 des Plenarbeschlusses genannten Voraussetzungen des OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3; zur strittigen Frage, inwiefern das Verschulden Voraussetzung eines Anspruchs auf Kompensation des sog. „Reputationsschadens“ darstellt, siehe infra 2 c) bb) ccc) (3.). 229 Ioffe, Sovetskoe gosudarstvo i pravo 2 (1956), 56 (66). 223
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lassungs- und Beseitigungsansprüche aus §§ 823 i. V.m § 1004 I BGB im deutschen Recht setzen kein Verschulden voraus.230 § 824 I BGB verlangt dagegen seinem Wortlaut nach jedenfalls „kennen [müssen]“ und damit zumindest Fahrlässigkeit hinsichtlich der Nichtkenntnis.231
e) Zwischenergebnis Art. 152 ZGB hat drei Grundvoraussetzungen, die nach dem OG kumulativ vorliegen müssen: die Verbreitung unwahrer Äußerungen, die verunglimpfend sind. Wie auch im deutschen Recht unterscheidet das russische Recht zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen. Die Kontrolle letzterer liegt außerhalb der gerichtlichen Kontrollkompetenz, weswegen gegen sie nach Art. 152 ZGB nicht vorgegangen werden kann. In Ausnahmefällen kann aber auch die Meinung Gegenstand eines Anspruchs aus Art. 152 ZGB sein. Dafür muss sie beleidigend sein. Wie dies dogmatisch neben dem Tatbestandsmerkmal „unwahr“ verankert sein soll, bleibt offen. An dieser von der Rechtsprechung entwickelten Auslegung des Tatbestandmerkmals „Äußerung“ besteht berechtigte Kritik. Art. 152 ZGB bietet damit nach richtiger Ansicht zivilrechtlichen Schutz allein vor unwahren Tatsachenbehauptungen, die die Geschäftsreputation verunglimpfen. Die Voraussetzungen des Art. 152 ZGB ähneln damit dem ersten Absatz des § 824 BGB. Teilweise unterscheiden die Gerichte indes nicht zwischen Tatsachenbehauptung und Meinung. Vielmehr wird mit Verweis darauf der Klage stattgegeben, die Beklagte habe die Wahrheit der Tatsache nicht bewiesen.232 Differenziertere Überlegungen, inwiefern etwa Tatsachenbehauptungen Teil von Meinungen sein könnten, finden keinen Raum. Nach der Rechtsprechung der russischen Gerichte führt die Unwahrheit der Äußerung in der Regel zum verunglimpfenden Charakter. Ausnahmen werden auf höchstrichterlicher Ebene im Bereich von Äußerungen zu Politikern und Personen des öffentlichen Lebens erörtert. Es werden hier nur sehr grobe Maßstäbe gebildet. Wie die Abwägung sich auf die Anwendung des Art. 152 ZGB auswirkt (auswirken soll), bleibt offen. In der Literatur gibt es Ansätze eines alternativen Umgangs mit der Frage des verunglimpfenden Charakters, dem in der Praxis allerdings nicht gefolgt wird. Die Analyse zeigt, dass ein Bedürfnis nach einer Abwägung in manchen Fällen gesehen wird, dafür aber aufgrund der absoluten Formulierung des Art. 152 ZGB wenig Raum bleibt. Da Äußerungen oftmals vielschichtig und nur im Zusammenhang analysierbar sind, sind an ihre rechtliche Einschätzung entspre230
Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 322. Wagner, in: MüKo, § 824 Rn. 55. 232 Auf die naheliegende Schlussfolgerung, dass Art. 152 ZGB eins der vielen politischen Instrumente zur Repression oppositioneller und regierungskritischer Stimmen ist, wird angesichts des anders gelagerten Themas der vorliegenden Arbeit nicht weiter eingegangen. 231
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chend hohe Anforderungen zu stellen. Die Einschätzung hat auch im russischen Recht möglichst unter Berücksichtigung der entsprechenden Interessen und deren Ausbalancierung zu erfolgen. Dabei mangelt es an einer konsequenten Umsetzung durch die Gerichte. Gründe können hier in der Verschlossenheit der Formulierungen des Art. 152 ZGB für eine solche Abwägung, dem den Tatbestandsmerkmalen zugrundeliegenden Verständnis und der konkreten Anwendung durch die Gerichte gesehen werden.
2. Einzelne Ansprüche aus Art. 152 ZGB Der OG stellte im Jahre 2005 klar, dass für die Ansprüche aus Art. 152 ZGB grundsätzlich die drei oben erörterten Voraussetzungen vorliegen müssen.233 Die von Art. 152 ZGB vorgesehenen Rechtsbehelfe können entsprechend ihres Anspruchsziels kategorisiert werden. Danach ergeben sich Rechtsbehelfe, die auf Widerruf und Löschung (a)), auf Gegendarstellung (b)) und auf Schadensersatz (c)) gerichtet sind. Unter d) werden sonstige Ansprüche behandelt.
a) Widerruf und Löschung In den Punkten 1 bis 5 sieht Art. 152 ZGB Widerrufs-, Löschungs- oder Änderungsansprüche für verschiedene Szenarien vor. Art. 152 P. 1 ZGB regelt den „einfachen“ Anspruch auf Widerruf (aa)), Art. 152 P. 2 S. 1 ZGB den Anspruch auf Widerruf für den Sonderfall der Massenmedien (bb)), in Art. 152 P. 3 und P. 4 ZGB findet sich ein Abänderungs- bzw. Löschungsanspruch (cc)), (dd)) und Art. 152 P. 5 ZGB regelt einen Löschungs- wie auch Widerrufsanspruch bei Verletzungen im Internet (ee)). Dabei ist auch vorgegebenen, auf welche Weise der Widerruf zu erfolgen hat. Handelt es sich um Szenarien, die nicht von Art. 152 P. 1–5 ZGB vorgesehen sind, so ist die Festsetzung der Art und Weise, wie der Widerruf zu erfolgen hat, den Gerichten vorbehalten, Art. 152 P. 6 ZGB.234 Zweck des Widerrufs ist die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands.235
aa) Widerrufsanspruch, Art. 152 P. 1 ZGB Art. 152 P. 1 ZGB statuiert die Möglichkeit, gerichtlich den Widerruf236 der verunglimpfenden Äußerungen zu verlangen. Dafür müssen Äußerungen ver233 OG, Entscheidung vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 7. Ohne Erwähnung bleibt die Ausnahme in P. 10 des Art. 152 ZGB, der gerade nicht vorsaussetzt, dass die Geschäftsreputation durch verunglimpfende Aussagen verletzt wird, Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) 2015, 1 (1 f.), aus: Konsul’tant Pljus. 234 Dies betrifft etwa die (in der Praxis weniger relevante) Verbreitung von Informationen in einem Brief, Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30 (37). 235 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 132; Povarov, Civilist 2 (2012), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus. 236 „Oproverženie“.
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breitet worden sein, die die Geschäftsreputation der juristischen Person verunglimpfen, ohne dass die Unwahrheit der Äußerung bewiesen werden kann. Der Zusatz „gerichtlich“ weist auf die unmittelbare Möglichkeit der Anrufung des Gerichts hin.237 „Unmittelbar“ bedeutet in diesem Fall, dass sich der Rechtsinhaber nicht vor Anrufung des Gerichts an den (späteren) Beklagten wenden muss.238 Der Stattgabe der Klage folgt der Widerruf der Äußerungen durch den Beklagten. Nach Art. 152 P. 1 ZGB hat der Widerruf auf dieselbe oder jedenfalls ähnliche Weise wie die Veröffentlichung der beanstandeten Äußerung zu erfolgen. Nach Anordnung des OG hat das erkennende Gericht darzulegen, auf welche Weise die unwahren Behauptungen zu widerrufen sind.239 Gegebenenfalls kann es sogar den Widerrufstext vorgeben. Zu den Anforderungen zählt die Darlegung der konkreten Tatsachen als falsch und wann und wo diese verbreitet wurden. Das Gericht soll zudem eine Frist bestimmen, in welcher der Widerruf zu erfolgen hat. Diese Frist hat sich an Art. 44 des Massenmediengesetzes zu orientieren.240 Danach hat die „Redaktion“ ab Erhalt der Widerrufsaufforderung einen Monat Zeit, den Widerrufsrechtsinhaber über Text und Dauer der Veröffentlichung oder aber über die Ablehnung des Widerrufs zu informieren. Wird der Widerruf in einem Massenmedium veröffentlicht, kann als Widerrufsform auch die Veröffentlichung des Urteilstextes gewählt werden. Wiederholt wird im Rahmen des Widerrufsanspruchs diskutiert, ob hierunter auch ein „Anspruch auf Entschuldigung“ falle.241 Einen solchen kennt das russische Recht weder in Art. 152 ZGB noch in anderen Normen des Zivilrechts.242 Gerichte dürften daher, so der OG, zu einer solchen nicht verpflichten. Eine verpflichtende Entschuldigungserklärung käme dem Aufzwingen einer Meinung und damit einem Verstoß gegen die Meinungsfreiheit gleich.243 237 Vgl. dazu im Unterschied die Ansprüche aus dem Massenmediengesetz, siehe infra II. A. dieses Kapitels. 238 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 4. 239 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 17. 240 Ibid. 241 Die Frage wird mangels Aktualität und Relevanz für das Thema im engeren Sinne ausgeklammert, siehe dazu eingehend Cholodenko/Selina, Izvestija Altajskogo gosudarstvennogo universiteta (2017), 78. 242 Dass dies aber im Rahmen des Widerrufs grundsätzlich möglich wäre, bejahte wohl Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 145, noch 1994 unter Geltung des alten Art. 7 ZGB; vorgesehen ist dieser in Art. 136 der Strafprozessordnung RF, nach dem die Staatsanwaltschaft im Namen des Staates eine Entschuldigung an eine Person überbringt, gegen die zu Unrecht ein Strafverfahren durchgeführt wurde, so Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30 (44). Gegen diesen Vergleich spricht, dass dies seitens des Staatsanwaltes in dessen öffentlich-rechtlicher Funktion im Rahmen eines subordinativen Verhältnisses geschieht und insofern nicht mit den Fällen zivilrechtlicher Persönlichkeitsrechtsverletzung vergleichbar ist. 243 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 18.
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Möglich ist aber eine friedliche Einigung im Sinne eines Vertrags, der die Entschuldigung als „Leistung“ des Äußerungsurhebers vorsieht.244 Dieser Rechtsprechung wird in Teilen der Literatur entgegengetreten. Demnach könne die Entschuldigung als Surrogat für einen Anspruch auf Widerruf dienen.245 Wie dies mit dem Gesetzeswortlaut aus Art. 152 ZGB und der Befugnis der Gerichte im Hinblick auf die Meinungsfreiheit vereinbar sein soll, bleibt offen.246 Der ablehnenden Haltung des OG ist aus zwei Gründen beizupflichten: So ist einerseits der Zwang zur Entschuldigung im Rahmen von Art. 152 ZGB aus verfassungsrechtlicher Sicht unzulässig. Die Meinungsfreiheit nach Art. 29 Verf. RF verbietet das Aufzwängen einer bestimmten Meinung. Zudem ist andererseits eine Entschuldigung terminologisch kein Widerruf, weswegen die Gerichte im Rahmen ihrer Kompetenz zur Ausgestaltung des Widerrufs keine Entschuldigung fordern können. Bei dem Widerruf wird eine Aussage in ihrem Sinngehalt zurückgenommen. Ein wertendes Element des Widerrufenden fehlt jedoch. Die Entschuldigung dagegen – jedenfalls die Ernstgemeinte247 – beinhaltet die Rücknahme des Gesagten mit einem zusätzlichen wertenden Element. Der um Entschuldigung Ersuchende nimmt dabei nicht nur das Gesagte zurück, sondern drückt damit gleichsam die Fehlerhaftigkeit der einstigen Entscheidung aus, das Gesagte zu äußern.248 Auch im deutschen Recht gibt es verschiedene Instrumente, die das Persönlichkeitsrecht juristischer Personen schützen. Im Vergleich zu natürlichen Personen ergeben sich hier hinsichtlich der Anspruchsmöglichkeiten keine Un244 Ibid. 245 In Zusammenhang
mit Art. 152 ZGB und dem Gesetz „Über die Reklame“ („O reklame“), vom 13.03.2006, Nr. 38-FZ, wo in Art. 38 P. 2 ein Widerrufsanspruch hinsichtlich der Ehre, Würde und Geschäftsreputation bei diffamierender Werbung geregelt ist. Da die Gerichte hier die konkrete Ausgestaltung des Widerrufs festlegen und daneben zur Entschuldigung verpflichten (Rechtsprechungsverweise werden nicht genannt), behandelt Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 17, aus: Konsul’tant Pljus, die Möglichkeit der Entschuldigung neben dem Widerruf auch im Rahmen von Art. 152 ZGB; Bagdasarova, Aktual’nye problemy rossijskogo prava 4 (2017), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus, spricht sich dafür aus, Art. 150 ZGB um die Möglichkeiten der Entschuldigung, des Widerrufs und der friedlichen Aussöhnung („primirenie“) ebenso wie Art. 152 ZGB um die Ausgestaltung des Entschuldigungsanspruchs zu ergänzen. 246 Ebenso wird nicht darauf eingegangen, dass der OG im Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, in P. 18 gerade auf die Unvereinbarkeit einer verpflichtenden Entschuldigung mit der Verfassung verweist. Erwähnenswert ist, dass das Polizeigesetz im Kapitel zu den „Prinzipien der Tätigkeit der Polizei“ (Kapitel 2) in Art. 9 P. 3 S. 2 vorsieht, dass sich die Polizei bei Verletzung von Recht und Interessen der Bürger zu entschuldigen hat, siehe aber hierzu supra Fn. 242. 247 Und nichts anderes könnte vom OG gemeint sein, wäre doch das Vereinbaren einer ohnehin nicht ernst gemeinten Entschuldigung kein besonders effektives Mittel im Sinne des Rechtsfriedens. 248 Diese Einigkeit ist es, die die Entschuldigung gegenüber dem Widerruf zu einem wesentlich stärkeren Mittel zur Einigung macht.
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terschiede.249 Neben den besonderen Persönlichkeitsrechten250 spielt vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine wichtige Rolle. Augenfällig ist aber, dass keine dem Art. 152 ZGB entsprechende Norm existiert. Auch findet sich im BGB der Terminus „(allgemeines) Persönlichkeitsrecht“ nicht. Vielmehr dienen §§ 823 I, II251 und 824 BGB aus dem Deliktsrecht und der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch des § 1004 I 1, 2 BGB als „Hilfsnormen“ der zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutzansprüche. Während das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sog. „Rahmenrecht“252 zu den „sonstigen Rechten“ des § 823 I BGB gezählt wird, kann der auf Eigentumsschutz gerichtete § 1004 BGB in seinen Rechtsfolgen nur in einer Zusammenschau mit dem „sonstigen Recht“ des § 823 I BGB dem Persönlichkeitsschutz dienen.253 Daher wird er als „(quasi-)negatorischer“ Anspruch bezeichnet.254 Der Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf rechtswidrige Weise verletzt wird und Begehungsgefahr besteht.255 Obwohl sich dies aus § 1004 I 2 BGB nicht eindeutig ergibt, reicht auch eine Erstbegehungsgefahr aus.256 Damit kommt dem Unterlassungsanspruch eine in der Praxis relevante257 Präventivfunktion zu. Ungeachtet der Möglichkeit der präventiven Unterlassungsklage ist diese bei bereits erfolgter Rechtsgutsverletzung ein geeignetes Mittel um, ohne unnötig Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken, von den Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch zu machen.258 Ein Unterlassungsanspruch, der mit dem quasi-negatorischen Anspruch aus § 1004 I 2 BGB vergleichbar wäre, ist im russischen ZGB oder im Massenmediengesetz nicht vorgesehen. Auf den ersten Blick erscheint dies angesichts der Vielzahl der einzelnen Rechtsbehelfe nicht erforderlich – schließlich kann ein Angriff, wie die Falschbehauptung im Wege des Widerrufs abgewehrt werden. All diese Rechtsbehelfe können aber lediglich erst Abhilfe schaffen, nachdem eine Rechtsgutsverletzung erfolgt ist. Art. 152 ZGB sieht damit lediglich 249 250
recht.
Brändel/Schmitt, in: Götting, § 31 Rn. 18 f. Eingehend dazu etwa die Arbeit von Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privat-
251 Wobei im Rahmen von Abs. 2 strittig ist, inwiefern die praktisch relevanten Äußerungsdelikte nach §§ 185 ff. StGB auf juristische Personen Anwendung finden, Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1068). 252 So schon etwa BGH, Urteil vom 09.12.2003 – VI ZR 373/02, NJW 2004, 762 (764); zuletzt etwa OLG Köln, Urteil vom 13.12.2018 – 15 U 53/18, BeckRS 2018, 33085. 253 BGH, Urteil vom 10.07.2018 – VI ZR 225/17, NJW 2018, 3506; BGH, Urteil vom 12.07.1994 – VI ZR 1/94, GRUR 1994, 913; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, S. 75 Rn. 168, bezeichnet dies als „Notlösung“. 254 BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 (1290); OLG Stuttgart, Urteil vom 23.01.20194 – U 214/18, MMR 2020, 415 (417); zur Einteilung der Unterlassungsansprüche Fritzsche, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, § 8 Rn. 12. 255 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, S. 67 Rn. 406. 256 BGH, Urteil vom 19.06.1951 – I ZR 77/50, GRUR 1952, 35 (36). 257 Soehring/Hoene, Presserecht, S. 670 Rn. 30.1. 258 von Hutten, in: Götting, § 42 Rn. 2.
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repressive Rechtsschutzmittel vor. Einzig nach Art. 152 P. 4 ZGB kann das Verbot der weiteren Verbreitung in Fällen von „weitem Bekanntwerden“, wenn der Widerruf allein kein taugliches Mittel darstellt, gefordert werden. Daneben bietet Art. 152 P. 8 ZGB die Möglichkeit zum Feststellungsantrag hinsichtlich der Unwahrheit einer Aussage vor Gericht. Dies allerdings wird im Hinblick auf die Einseitigkeit der Feststellung und den Genugtuungszweck keine einer präventiven Unterlassungsklage vergleichbaren Wirkungen erzielen. Die Unterlassung neuer, ähnlicher Äußerungen ist ebenso wenig möglich.259 Denkbar wäre ein Unterlassungsanspruch gestützt auf Art. 1065 ZGB für den Fall, dass die Gefahr eines Schadenseintritts besteht,260 dies findet allerdings in der Praxis keine Berücksichtigung. Neben den wohl in der Praxis bedeutsamsten Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 I 2 BGB tritt der Anspruch auf Beseitigung, § 1004 I 1 BGB. Der Beseitigungsanspruch bietet verschiedene Möglichkeiten hinsichtlich seiner praktischen Umsetzung. Der Hauptanwendungsfall zum Zwecke der Beseitigung ist der Anspruch auf Widerruf.261 Im Unterschied zum russischen Recht ist der Widerruf nur auf unwahre Tatsachenbehauptungen anwendbar.262 Dies ergibt sich aus einer insofern konsistenten Rechtsprechungspraxis, die einen erzwungenen Widerruf einer (verunglimpfenden) Meinungsäußerung als unzulässig im Sinne der Meinungsfreiheit ansieht.263 Gleiches gilt für einen etwaigen „Anspruch auf Entschuldigung“.264 In Anlehnung an die obigen Ausführungen zur Frage nach einem etwaigen „Anspruch auf Entschuldigung“265 und hinsichtlich des Anwendungsbereich des Widerrufsanspruchs ergeben sich Unterschiede zwischen den jeweiligen Rechtslagen in Deutschland und Russland. Während in Deutschland weder der Widerruf einer Meinungsäußerung noch eine Entschuldigung Gegenstand eines Anspruchs (ungeachtet der Anspruchsgrundlage) sein kann, lässt sich dem russischen Recht Entsprechendes hinsichtlich des Widerrufsanspruchs nicht entnehmen.266 Denn nach dem russischen Recht sind Meinungsäußerungen jedenfalls in Form der „Beleidigungen“ er259
Zu letzteren auch Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30 (45). und Art. 1064 ZGB ähneln dem Verhältnis von § 823 und § 1004 BGB im deutschen Recht, siehe dazu Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (315). 261 Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 334 ff. 262 BGH, Urteil vom 05.06.1962 – VI ZR 236/61, NJW 1962, 1438 (1439); Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 337. 263 BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 251/80, NJW 1982, 2246 (2246 f.); bestätigt durch BGH, Urteil vom 11.04.1989 – VI ZR 293/88, NJW 1989, 2941 (2942). 264 Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 336; Bamberger/Förster, in: BeckOK BGB, § 12 Rn. 349. 265 Siehe dazu supra zu Beginn des Abschnitts. 266 So wird der Widerrufsanspruch stets neben dem Schadensersatzanspruch ohne Einschränkungen des Anwendungsbereichs genannt, OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, insbesondere in den Punkten 15 und 18 des Beschlusses. 260 Art. 1065
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fasst.267 Damit kann der Klagegegner durchaus zum Widerruf einer solchen verurteilt werden. Hinsichtlich der Entschuldigung wird dies jedenfalls vertreten.268 So verbietet das Grundgesetz für Deutschland, und damit in der Argumentation ähnlich wie der OG, mit Art. 5 I GG das Aufzwingen einer Meinung.269 Dem Widerruf im deutschen Recht ist wie der Entschuldigung gemein, dass eine Aussage zurückgenommen270 wird. Er ist ein stärkeres Mittel als eine bloße Richtigstellung,271 da er eine Aussage in ihrer Gesamtheit als nicht der Wahrheit entsprechend beinhaltet.272 Dasselbe kann dem russischen Recht entnommen werden, denn wie bereits oben ermittelt,273 ist der Widerruf im russischen Recht durch Negation der ursprünglichen Aussage gekennzeichnet. Vor dem Hintergrund der Erläuterungen des OG zur Entschuldigung274 können eben diese Begründungen mit Verweis auf Art. 29 Verf. RF auch für den Widerruf hinsichtlich Meinungsäußerungen fruchtbar gemacht werden. Ohnehin werden Fragen zum Widerruf ausschließlich hinsichtlich Tatsachenbehauptungen geführt,275 sodass es lediglich einer diesbezüglichen Feststellung durch die Rechtsprechung bedürfte.
bb) Widerruf im Sonderfall der Massenmedien, Art. 152 P. 2 S. 1 ZGB Falls die Äußerungen in Massenmedien verbreiten werden, kann Widerruf der Äußerungen nach Art. 152 P. 2 S. 1 ZGB verlangt werden. Auch diese müssen verunglimpfend und unwahr sein.
cc) Abänderungsanspruch, Art. 152 P. 3 ZGB Nach Art. 152 P. 3 ZGB unterliegen Dokumente der Abänderung276 oder Rücknahme,277 sofern diese verunglimpfende Aussagen beinhalten.278 267
Solange man diesbezüglich dem OG folgt; a. A. Grin’, Arbitražnye spory 3 (2016), 1 (1). Siehe dazu supra Fn. 245. So ist etwa ein deutscher Fernsehsender nicht verpflichtet, eine vom Kläger als „Entschuldigung“ vorformulierte Meinungsäußerung als eigene Entschuldigung zu veröffentlichen, BGH, Beschluss vom 19.07.2018 – IX ZB 10/18, NJW 2018, 3254. 270 Bei der Entschuldigung ggf. nur indirekt. 271 Kamps, in: Götting, § 44 Rn. 54. 272 Kamps, in: Götting, § 44 Rn. 51 f., vgl. zur Terminologie, ders. § 44 Rn. 3. 273 Siehe dazu den Anfang des Abschnitts, zudem im Unterschied zum Gegendarstellungsanspruch infra unter b). 274 Siehe dazu supra Fn. 243. 275 Vgl. hierzu die Beiträge aus der wissenschaftlichen Literatur Cholodenko/Selina, Izvestija Altajskogo gosudarstvennogo universiteta (2017), 78; Potapenko, Jurist 2 (2002), 1; Michalevič, Juridičeskij mir (2013), 1. 276 „Zamena“. 277 „Otzyv“. 278 Unklar bleibt, was mit dem Zusatz, „[…] in einem von einer Organisation ausgebenden Dokument enthalten“/„[…] v dokumente, ischodjaščem ot organizacii“ gemeint ist. 268 269
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dd) Löschungsanspruch, Art. 152 P. 4 ZGB Art. 152 P. 4 ZGB behandelt den Fall, dass die Information so weit gestreut wurde, dass ein bloßer Widerruf nicht ausreichen würde, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. In diesem Fall kann die betroffene Person neben der Löschung der Information die Unterdrückung oder das Verbot der weiteren Verbreitung verlangen.
ee) Löschungs- und Widerrufsanspruch im Internet, Art. 152 P. 5 ZGB Das Gericht verleiht dem Verletzten einen Anspruch auf Löschung der Information und Widerruf nach Art. 152 P. 5 ZGB, wenn die unwahre und verunglimpfende Information nach Verbreitung im Internet zugänglich ist. Der Widerruf muss so erfolgen, dass Internetnutzer davon Kenntnis erlangen. Dies wird grundsätzlich bedeuten, dass die verunglimpfende Information auf den Seiten, auf denen sie verbreitet wurde, auch widerrufen werden muss.279 Die Norm des Art. 152 P. 5 ZGB ist als Reaktion auf die Schutzlücke zu verstehen, die insbesondere bei anonym getätigten Äußerungen im Internet bestand.280 Art. 152 P. 5 ZGB dient daher in seiner Form als Beseitigungsanspruch gegen Provider im Internet, die mangels Verantwortlichkeit nicht im Rahmen von Widerrufs- oder Schadensersatzansprüchen haftbar gemacht werden können.281 Unklar bleibt das Verhältnis zu den Regelungen aus dem Massenmediengesetz.282
b) Gegendarstellung Neben dem Widerrufsanspruch aus Art. 152 P. 2 S. 1 ZGB verleiht Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB dem Verletzten auch einen Gegendarstellungsanspruch bei Verbreitung von Äußerungen in Massenmedien. Diese Gegendarstellung darf nach dem Gesetz in denselben Medien veröffentlicht werden, wo auch die verunglimpfenden Aussagen verbreitet wurden.283 279 Mit einigen Beispielen hierzu Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 132. 280 An dieser Stelle sei auf die Rspr. des OG verwiesen, nach dem die gesamte
Redaktion für die Äußerung eines (anonymen) Autors haftbar gemacht werden kann, Plenarbeschluss vom 24.05.2005, Nr. 3, P. 5. Allerdings sagt dies nur etwas über Ansprüche gegen den Contentprovider, nicht aber gegen sonstige (etwa Access- oder Internet Service Provider) Provider aus. 281 Vfg., Urteil vom 09.07.2013, Nr. 18-P, P. 4. 282 Daneben existieren weitreichende Befugnisse der zuständigen Behörden und durch das deutsche Netz-DG inspirierte Gesetze wie das Informationsgesetz, siehe supra Kap. 1 Fn. 21. 283 Neben dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch nach § 1004 I 1, 2 BGB spielt auch im deutschen Recht der Anspruch auf Gegendarstellung eine Rolle; zuletzt OLG Hamburg, Urteil vom 06.02.2018 – 7 U 138/17, NJW-RR 2018, 1200; entgegen der in Russland schlanken Fassung in Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB hat dieser Anspruch in Deutschland keinen Weg in ein Bundesgesetz gefunden. Mitunter gibt es diverse Anspruchsgrundlagen in den einzelnen Landesmedien- oder Landespressegesetzen. In der Literatur wird von „etwa 40 gesetzliche[n] Regelungen“ gesprochen, Seitz, in: Götting, § 43 Rn. 11.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Vermehrt wird diskutiert, inwieweit sich Gegendarstellungs- und Widerrufsansprüche überschneiden.284 Der Widerruf wird in der Literatur definiert als ein spezieller Rechtsbehelf des Rechtsschutzes, gerichtet auf Negation der verunglimpfenden Äußerung durch die Person, die diese verbreitet hatte. Jedenfalls enthalten ist danach gleichzeitig die Anerkennung des die Tatsache der Unwahrheit der Aussage feststellenden Urteils.285 Es fällt auf, dass der Widerrufsanspruch lediglich die Rücknahme des Gesagten bzw. seine Kennzeichnung als nicht der Wahrheit entsprechend beinhaltet. Nicht Inhalt des Anspruchs ist dagegen, alternative oder zusätzliche Informationen im Sinne einer Berichtigung zu veröffentlichen. Es muss nur angegeben werden, dass die konkrete Tatsache unwahr ist, nicht aber, was wahr ist. Oftmals wird für die Darstellung der Wahrheit die Verbreitung der Unwahrheit der ursprünglich getätigten Aussage genügen. Dennoch sind Fälle denkbar, in denen für die „volle Wahrheit“ neue Information notwendig ist. Dies ist hier nicht vorgesehen. Insofern erstreckt sich der Widerrufsanspruch aus Art. 152 P. 1 ZGB nur in eine Richtung – die Negation. Er ist „eindimensional“ zu verstehen. „Zweidimensional“ wäre allein ein Berichtigungsanspruch, der die Falschinformation richtigstellt und dementsprechend die Rücknahme der Erstaussage beinhaltet. Ein solcher existiert im russischen Recht nicht.286 Der Gegendarstellungsanspruch indes sieht eine Handlung des Rechtsinhabers selbst vor, die Darstellung der „eigenen“ Wahrheit, vgl. Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB. Art. 46 Massenmediengesetz versteht diese auch als „Kommentar“ oder „Replik“. Der Anspruch bezieht sich darauf, diese eigene Wahrheit im entsprechenden Medium zu veröffentlichen. Der OG hat daneben zu verstehen gegeben, dass er den Gegendarstellungsanspruch als in Bezug auf die Einschränkung der Meinungsfreiheit milderes Mittel versteht.287
c) Schadensersatz, Art. 152 P. 9, 11 ZGB Art. 152 ZGB sieht auch einen Schadensersatzanspruch in P. 9 vor. Die Ansprüche des Art. 152 ZGB sind nach P. 11 mit einer Ausnahme auf juristische Personen anwendbar. 284 Siehe dazu auch infra II. 3. dieses Kapitels; diskutiert wurde auch, inwiefern der Gegendarstellungsanspruch ein Instrument „gegen“ Äußerungen sein kann, die als Meinungen einzustufen sind. Diese Frage wird hier ausgeklammert, siehe dazu Archiereev, Graždanskopravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 137 f.; Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30 (34), analysiert die damals neu verabschiedete Norm des Art. 152 ZGB und hält das Fehlen eines Gegendarstellungsanspruchs nach Meinungsäußerung für bedauerlich. 285 Potapenko, Jurist 2 (2002), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 286 Im deutschen Recht kann im Rahmen des Beseitigungsanspruchs auch Berichtigung oder Ergänzung verlangt werden; siehe BGH, Urteil vom 18.01.2012 – I ZR 187/10, MMR 2012, 307 (307 f.); Hermann, in: BeckOGK BGB, § 823 Rn. 1752. 287 OG, Entscheidung vom 14.06.2011, Nr. 5-V11-49.
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Gem. Art. 152 P. 9, 11 ZGB kann eine juristische Person bei der Verbreitung verunglimpfender Äußerungen, die ihre Geschäftsreputation verletzen, neben Widerruf und Gegendarstellung Schadensersatz verlangen. Diese Ansprüche sind nebeneinander anwendbar.288 Der ersatzfähige Schaden ist der Posten, der durch die Verbreitung der Äußerungen entstanden ist.289 Für die Ausgestaltung der Ansprüche auf Gegendarstellung, Widerruf und Löschung ergeben sich kaum Besonderheiten. Wie oben290 dargestellt, sieht das Gesetz für den Widerruf vor, wie dieser zu erfolgen hat,291 an anderer Stelle bestimmt das Gericht seine konkrete Ausgestaltung.292 Anders liegt es für den in Art. 152 P. 9 ZGB verankerten Schadensersatzanspruch. Zu dessen weiterer Ausgestaltung schweigt Art. 152 ZGB. Im Gegensatz zu den oben genannten Ansprüchen (a)–b)) ist für den Schadensersatzanspruch hinsichtlich des materiellen Schadens erforderlich, dass die allgemeinen Voraussetzungen des Schadensrechts, insb. Artt. 1064–1083 und 1099–1101, vorliegen.293 Hierzu gehört neben der sich direkt aus Art. 152 P. 9 ZGB ergebenden Anforderung der Kausalität294 das Verschulden des Rechtsverletzers.295 Dieses ergibt sich nicht direkt aus Art. 152 P. 9 ZGB, sondern aus Art. 1064 P. 2 S. 1 ZGB; eine Norm, die allgemeine Bestimmungen zum Schadensersatz enthält.296 Zudem muss das Vorhandensein eines Schadens und dessen konkrete Höhe dargelegt werden.297 Auf die konkrete Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches und insbesondere des Haftungsumfanges wird aus Gründen der Übersichtlichkeit unter „B.“ eingegangen.
d) Ergänzende Ansprüche Daneben bestehen mit der Regelung im Falle unwahrer Äußerungen, Art. 152 P. 10 ZGB, und dem gerichtlichen Feststellungsantrag, Art. 152 P. 8 ZGB, weitere, ergänzende Ansprüche. Art. 152 P. 10 ZGB regelt einen Sonderfall. Danach sind die Regelungen und die entsprechenden Rechtsbehelfe des Art. 152 P. 1–9 ZGB entsprechend auf Fälle anwendbar, bei denen bloß unwahre Tatsachen streitgegenständlich sind. 288 Vgl. den Wortlaut „neben“/„narjadu s“, dazu auch OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 18. 289 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 136. 290 Siehe dazu unter a) dieses Abschnitts. 291 Vgl. Art. 43 ff. Massenmediengesetz. 292 Vgl. etwa Art. 152 P. 6 ZGB. 293 Siehe dazu im Einzelnen ausführlicher B. II. 1. a) und 3. c). 294 „Verursacht“/„pričinёnnyj“, siehe etwa Kettler, in: Einführung in das russische Recht, S. 142. 295 Wörtlich „Schuld“/„vina“. 296 Kettler, in: Einführung in das russische Recht, S. 143. 297 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 136.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Die Tatsachen müssen die Geschäftsreputation nicht verunglimpfen.298 Über Art. 152 P. 10 ZGB können demnach sämtliche Widerrufs-, Löschungs- und Abänderungsansprüche, wie auch der Anspruch auf Gegendarstellung und Schadensersatz bei der Verbreitung bloß falscher Tatsachen geltend gemacht werden. Dabei fallen zwei Dinge auf. Zum einen kann für bloß unwahre Tatsachen kein Schmerzensgeldanspruch geltend gemacht werden. Dies wäre nach dem Gesetz für juristische Personen allerdings ohnehin nicht möglich. Offen bleibt, wie sich dies mit dem Kompensationsanspruch für Reputationsschäden verhält.299 Zum anderen gilt entgegen der Unwahrheitsvermutung aus Art. 152 P. 1 ZGB eine andere Beweislastverteilung. Nach Art. 152 P.10 ZGB obliegt dem Kläger die Beweislast der Unwahrheit der Tatsache. Nach Art. 152 P. 8 ZGB kann bei fehlender Feststellungsmöglichkeit des Autors die gerichtliche Feststellung der Unwahrheit der Aussage beantragt werden. Ein solcher Antrag wird dem OG zufolge nach dem im vierten Unterabschnitt zu „Besondere Verfahren“ in den Kapiteln 27–38 ZPO RF300 bzw. Art. 30 APK301 geregelten besonderen Verfahren behandelt.302 Dies ist aus Sicht des deutschen Rechts interessant, da ein Feststellungsanspruch mit diesem Recht nicht vereinbar ist.303 Der BGH führt dazu aus, dass prozessrechtlich lediglich Rechtsverhältnisse feststellbar seien, nicht aber die Wahrheit oder Unwahrheit von Tatsachen.304 Noch in einem vorinstanzlichen Urteil305 und auch in der Literatur306 findet sich die Meinung, aufgrund der Einseitigkeit des Widerrufsanspruchs (da nicht seitens einer „neutralen“ Partei widerrufen wird) könne allein ein Feststellungsanspruch dem Rechtsschutzbedürfnis des Verletzten Genüge tun. Dieser könne dem (erweiterten) Verständnis von § 1004 I 1 BGB unterstellt werden.307 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Störerhaftung die Beseitigung der 298
Pljus.
Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) 2015, 1 (1), aus: Konsul’tant
299 Zwar verlangt dieser eine eigene Haftungsbegründung, dies würde aber auch für den Schadensersatzanspruch nach Art. 152 P. 9 ZGB gelten, der über P. 10 gerade modifiziert wird. 300 Föderalgesetz „Zivilprozessordnung der Russischen Föderation“ („Graždanskij processual’nyj kodeks Rossijskoj Federacii“), vom 14.11.2002, Nr. 138-FZ, zuletzt geändert am 23.11.2020, Nr. 378-FZ. 301 Föderalgesetz „Arbitrageprozessordnung der Russischen Föderation“ („Arbitražnyj processual’nyj kodeks Rossijskoj Federacii“), vom 24.07.2002, Nr. 95-FZ, zuletzt geändert am 08.06.2020, Nr. 171-FZ. 302 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 2, zu Art. 152 P. 6 ZGB (a. F., P. 8 n. F.). 303 BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288. 304 BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 (1289); auch Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 28. 305 In der Vorinstanz OLG Hamburg, Urteil vom 07.02.1974 – 3 U 52/73, VersR 1975, 286; zudem etwa LG Konstanz, Urteil vom 30.04.1976 – 3 O 42/76, NJW 1976, 2353. 306 Etwa die Beiträge von Stoll, Paern, Leiphold, zit. in BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 (1290). 307 Erörtert in BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 (1290), im Ergebnis aber abgelehnt.
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Störung durch den Verletzer selbst vorsieht, dies also nicht durch das Gericht vorgenommen werden kann.308 Auch bietet der Widerrufsanspruch genügend Gestaltungsmöglichkeiten für das Gericht, um einen Widerruf zu umgehen, der die Interessen des Klägers nicht hinreichend schützen würde.309
3. Verjährung Nach der Entscheidung des OG von 2005 unterliegen die Persönlichkeitsrechtsansprüche nicht der Verjährung nach Art. 208 ZGB. Der Gerichtshof führt dazu aus, dass die Verjährung deswegen nicht in Betracht kommt, da es sich um Nichtvermögensansprüche handele.310 Der OG macht hierbei hinsichtlich der einzelnen Ansprüche keine Einschränkungen. Dem Wortlaut nach gilt diese Regelung daher für alle Ansprüche. Allerdings gilt Art. 208 ZGB für „Nichtvermögensansprüche“.311 Nach Nochrina seien daher Ansprüche nach Art. 152 P. 9 ZGB, sofern es dabei um den Ersatz materieller Schäden gehe, von dieser Regelung ausgenommen, sodass die Verjährungsregelungen anzuwenden wären.312 Unklar bleibt daneben, wie sich dies auf die nach Art. 152 P. 11 ZGB entsprechenden Ansprüche juristischer Personen auswirkt. Nicht ersichtlich ist, warum hier zulasten der Rechtssicherheit der Durchsetzbarkeit des Anspruchs der Vortritt erteilt wird. Dies mag vor dem Hintergrund von Genugtuungsgesichtspunkten bei natürlichen Personen noch nachvollziehbar erscheinen, bei juristischen Personen wiederum kann dieser Gesichtspunkt nicht mehr fruchtbar gemacht werden. Eine Modifizierung findet sich in Art. 152 P. 10 S. 2 ZGB. Danach verjähren Ansprüche, die sich auf die Verbreitung von Äußerungen in Massenmedien beziehen, nach einem Jahr nach Veröffentlichung der Äußerungen.
II. Ansprüche aus dem Massenmediengesetz In Artt. 43 ff. Massenmediengesetz313 sind mit dem Widerruf (a)) und der Gegendarstellung (b)) weitere Rechtsbehelfe bei Äußerungen in Massenmedien 308 Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 242, der dies „rechtspolitisch“ für „bedauern[swert]“ hält. 309 Ähnlich BGH, Urteil vom 03.05.1977 – VI ZR 36/74, NJW 1977, 1288 (1290). 310 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 14. 311 Darauf verweist auch der OG in P. 14. Da es sich nach diesem bei den Ansprüchen aus Art. 152 ZGB um Nichtvermögensansprüche handelt, finden nach Art. 208 ZGB die Regelungen zur Verjährung hierauf keine Anwendung („S učetom togo, čto trebovanija o zaščite česti, dostoinstva i delovoj reputacii javljajutsja trebovanijami o zaščite neimuščestvennych prav, na nich v silu stat’i 208 Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii iskovaja davnost’ ne rasprostranjaetsja.“). 312 Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30 (45). 313 Föderalgesetz „Über die Massenmedien“ („O sredstvach massovoj informacii“), vom 27.12.1991, Nr. 2124–1, zuletzt geändert am 01.03.2020, Nr. 42-FZ.
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vorgesehen.314 Außerdem sieht das Gesetz Regelungen zur konkreten Ausgestaltung des Widerrufsanspruchs vor und enthält in Art. 62 Massenmediengesetz eine Regelung zum Ersatz des moralischen Schadens.315 Damit bestehen im russischen Recht im Unterschied zum deutschen Recht spezifische für die Medien geltende Regeln, die diese Sondersituation gebührlich berücksichtigen können.316 Unter „Masseninformation“ werden Presse-, Audio- und audiovisuelle Meldungen und Materialien verstanden, die für eine unbegrenzte Anzahl von Personen bestimmt sind, Art. 2 Massenmediengesetz. Ebenso geregelt ist das Massenmedium. Dazu gehören die periodische Druckausgabe, die Internetausgabe,317 der Telekanal, der Radiokanal, das Teleprogramm, das Radioprogramm, das Videoprogramm, Kinoprogramme318 und jede andere Form periodischer Verbreitung von Masseninformation. Bedeutung hat das Gesetz hinsichtlich des Anwendungsbereichs neben den „traditionellen“ Übertragungswegen wie Fernsehen oder Radio insbesondere wegen der überwiegenden Verbreitung von Äußerungen im Internet.
1. Widerrufsanspruch Art. 43 Massenmediengesetz statuiert einen Widerrufsanspruch, dessen Ausgestaltung in Art. 44 Massenmediengesetz konkretisiert wird. Art. 45 Massenmediengesetz hält die Möglichkeiten und Grenzen des Ablehnungsrechts der Person fest, die nach Art. 43 Massenmediengesetz zum Widerruf aufgefordert wird. An zwei Stellen weist der Artikel Besonderheiten auf. Zum einen wird nicht von juristischen Personen, sondern von Organisationen gesprochen. Zum anderen geht der Artikel – wie oben bereits festgestellt319 – nicht auf das Rechtsgut der Geschäftsreputation ein. Nach Art. 43 Massenmediengesetz kann ein Widerrufsanspruch nur auf eine Verletzung der Ehre und Würde gestützt werden, wenn Tatsachen verbreitet werden, die verunglimpfenden Charakter haben. Zwar kann sich eine juristische Person nach ganz h. M.320 nicht auf die Rechtsgüter Ehre und Würde berufen, sodass für juristische Personen der Anwendungsbereichs des Art. 43 Massenmediengesetz nicht eröffnet wäre. Dennoch 314 „Medienübergreifende“ Regeln als speziellere Regelungen zum ZGB, Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (315). 315 Und auch „anderen Nichtvermögensschadens“, Art. 62 Massenmediengesetz. 316 Im Gegensatz zum russischen Recht, wo das Massenmediengesetz föderationsweit gilt, ist gerade das „Gegendarstellungsrecht“ in Deutschland wegen der Landesgesetzgebungskompetenz (Art. 70 I GG) „zersplittert“, Soehring/Hoene, Presserecht, S. 622 § 29.7, siehe etwa supra Fn. 283; vgl. im Unterschied zum russ. Recht auch Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (315). 317 „Setevoe izdanie“. 318 „Kinochronikal’naja programma“. 319 Siehe supra Kap. 5 A. I. 320 Siehe supra Kap. 3 A.
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weist der Wortlaut den Anspruch ausweislich auch Organisationen zu. Zudem schließt der OG den Schutz der Geschäftsreputation juristischer Personen im Hinblick auf Artt. 43 ff. Massenmediengesetz ein.321 Art. 44 Massenmediengesetz legt die Ausgestaltung des Widerrufs fest. Kann der Urheber der Äußerung322 die Wahrheit der Aussage nicht beweisen, hat der Verletzte einen Anspruch auf Veröffentlichung dieses Widerrufs. Diesen kann er selbst formulieren. Das Urhebermedium ist dann zur Veröffentlichung dieses Widerrufs verpflichtet, Art. 43 Massenmediengesetz. Der Widerruf muss offenlegen, welche konkreten Tatsachen falsch sind und wann und wo sie veröffentlicht wurden, Art. 44 Massenmediengesetz.323 Art. 45 Massenmediengesetz regelt fünf Fälle, in denen der Widerruf versagt werden kann. Diese fünf Fälle können hinsichtlich ihrer Rechtsfolge gruppiert werden. In den Fällen Art. 45 S. 1 Nr. 1–3 muss die Widerrufsveröffentlichung abgelehnt werden. Dies ist bei einem Missbrauch der Freiheit der Massenmedien (Nr. 1) der Fall, bei Widerspruch der Widerrufsveröffentlichung mit einem gerichtlichen Urteil (Nr. 2) und bei einer Widerrufsaufforderung durch eine anonyme Person (Nr. 3). In den Fällen der bereits erfolgten Veröffentlichung nach Art. 45 S. 2 Nr. 1 Massenmediengesetz und der Widerrufsaufforderung nach Ablauf von einem Jahr seit Veröffentlichung der unwahren und verunglimpfenden Informationen, Art. 45 S. 2 Nr. 2 Massenmediengesetz, steht es dem Urhebermedium offen, der Aufforderung Folge zu leisten oder sie abzulehnen. Lehnt das Urhebermedium die Aufforderung zur Widerrufsveröffentlichung ab, kann der Verletzte gegen die Ablehnung gerichtlich vorgehen. Nach Art. 45 S. 3 Massenmediengesetz gilt hierfür eine Frist von einem Jahr seit Veröffentlichung der fraglichen Äußerung. Nach Ablauf dieser Frist kann der Anspruch – bei Fehlen eines wichtigen Grundes324 – vom erkennenden Gericht versagt werden.325 Gleiches gilt auch für den Fall, dass der Widerruf nicht gemäß dem Verfahren der Artt. 43 ff. Massenmediengesetz erfolgt ist.
2. Gegendarstellungsanspruch Nach Art. 46 Massenmediengesetz kann der Verletzte vom Rechtsverletzer verlangen, dass seine eigene Darstellung in demselben Medium veröffentlicht 321 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 4, der OG setzt damit „Organisationen“ mit juristischen Personen gleich, siehe auch infra Fn. 513. 322 Im Massenmediengesetz stets „Redaktion“/„Redakcija“ genannt. 323 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 13: In Bezug auf Ansprüche aus Art. 152 ZGB bei Verletzungen in den Massenmedien muss der Widerruf zudem grundsätzlich auf dieselbe Weise veröffentlich werden, wie dies bei der rechtsverletzenden Aussage der Fall war. Existiert das Medium zum Widerrufszeitpunkt nicht mehr, muss das Widerrufsmedium die Veröffentlichungskosten in einem Alternativmedium tragen. Der OG nimmt dabei nicht Bezug auf das Massenmediengesetz. 324 „[…] bez uvažitel’nych pričin“. 325 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 14.
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wird. Danach hat der Bürger oder die Organisation, die von den Äußerungen betroffen ist, einen Gegendarstellungsanspruch in der Form eines Kommentars oder einer Replik. Die gilt bereits dann, wenn die Äußerungen entweder unwahr sind oder Rechte bzw. Interessen des Bürgers verletzen.326 Juristische Personen werden nicht genannt. Unklar bleibt, welche Rechte oder Interessen gemeint sind (die Ehre und Würde oder gar die Geschäftsreputation?) wie auch, warum dies hier nur für Bürger gelten soll. Die Literatur plädiert daher für eine direkte Anwendung des Gegendarstellungsanspruchs auf juristische Personen.327 In einer Entscheidung von 2010 geht der OG von der Existenz dieses Rechts für juristische Personen aus.328 Das Verfassungsgericht betont, dass die Feststellung der Wahrheit der Aussage allein nicht zu einer unmittelbaren Verneinung des rechtsverletzenden Charakters der Äußerung führen darf.329 Vielmehr sollen die Gerichte für die Bewertung des Charakters der Aussage ihren Inhalt und den Kontext, in dem sie getätigt wurde, die Möglichkeit und Weite ihrer Auslegung330 untersuchen und überprüfen, ob die wahre Aussage zur Manipulation eingesetzt werden sollte.331 Unklar bleibt, inwiefern der Gegendarstellungsanspruch in Art. 46 Massenmediengesetz für kritische Meinungsäußerungen gilt.332
3. Verhältnis zu Art. 152 P. 1, 2, 10 ZGB Nach dem OG haben sich die Gerichte bei der Prüfung von Art. 152 ZGB von den Normen des Massenmediengesetzes leiten zu lassen, wenn die Äußerungen in einem Massenmedium des Internets verbreitet wurden.333 Weder das ZGB noch das Massenmediengesetz genießen eine Vorrangstellung.334 Sowohl Art. 152 P. 1 ZGB wie auch Art. 43 Massenmediengesetz regeln einen 326 „[…] libo uščemljajuščie prava i zakonnye interesy graždanina“, Vfg., Entscheidung vom 01.03.2020, Nr. 323-О-О, P. 2.1. 327 Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2013), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus; Ayupov, Vestnik Omskogo universiteta 3 (2011), 89 (89). 328 OG, Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, P. 24. 329 Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 69-O-O, P. 2.2. 330 „[…] porjadka i polnoty izloženija“. 331 Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 69-O-O, P. 2.2; gerade diese Aussage erlangt im Zeitalter von fake news erneut Bedeutung. 332 Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30 (34 f.), bedauert, dass ein Vorgehen über Art. 152 ZGB unmöglich ist, da Art. 152 ZGB gerade nicht bei Meinungen anwendbar ist; sie betont aber, dass die Möglichkeit über Art. 46 Massenmediengesetz gegeben sei. Ähnlich ist dies auch in Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 69-O-O formuliert. In P. 2.0 der Entscheidung verweist das Gericht auf den genuinen Zweck des Gegendarstellungsanspruchs als Mittel gegen unwahre und wahre Tatsachenbehauptungen aber auch gegen Werturteile. 333 OG, Entscheidung vom 07.12.2016, Nr. 310-ES16-10931: „[…] rukovodstvovat’sja normami, otnosjaščimisja k sredstvam massovoj informacii“. 334 So jedenfalls wohl Solotych, Das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation – Erster Teil – Textübersetzung mit Einführung, S. 23 f.
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Widerrufsanspruch. Daneben finden sich Gegendarstellungsansprüche bei Äußerungen in Massenmedien in Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB wie auch in Art. 46 Massenmediengesetz. Die Ansprüche werden in Artt. 43 ff. Massenmediengesetz detailreicher geregelt. Da sich die Formulierungen im Einzelnen unterscheiden, ist das Verhältnis der Normen zueinander zu untersuchen.335 Für die Anwendung des Massenmediengesetzes legt der Oberste Gerichthofs den rechtsanwendenden Gerichten ähnliche Leitlinien in Bezug auf den Umgang mit freier Rede auf, wie dies für Art. 152 ZGB bereits erörtert wurde. So sind die Gerichte angehalten, zwischen dem „Missbrauch“ der Freiheit in den Massenmedien und einer zulässigen Äußerung zu unterscheiden. Für die Einordnung kommt es danach nicht nur auf den Wortlaut und die Formulierung an, sondern auch auf den Gesamtkontext und den Stil, ob es sich um eine zur politischen Diskussion beitragende Meinung oder die Adressierung einer für die Öffentlichkeit relevanten Frage handelt, von welcher Art die Hintergründe des Materials oder des Interviews sind (etwa auch die Beziehungen des Interviewers zum Interviewten) und wie sich die Äußerung vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen und politischen Lage im Land einfügt.336 Gleichzeitig bestehen Unterschiede und Unklarheiten337, aus denen auf die drei wichtigsten einzugehen ist. Zum einen ist auf die unterschiedliche Art des Rechtsschutzes hinzuweisen. Art. 152 P. 1 ZGB sagt ausdrücklich, dass der Widerruf „gerichtlich“ verlangt werden kann. Im Gegensatz hierzu sind die Ansprüche des Massenmediengesetzes außergerichtliche338 Rechtsbehelfe. Der Zweck wird darin gesehen, frühzeitig Abhilfe zu schaffen und so größere Schäden bei andauernder Rechtsverletzung zu vermeiden.339 Inwiefern der von den Äußerungen Betroffene sich vor Klageeinreichung aus Art. 152 ZGB an den Rechtsverletzer wenden muss, bleibt nach der Literatur unklar.340 Die Arbitrageprozessordnung enthält in Art. 4 P. 5 S. 2, 4 APK Regelungen zum Vorverfahren. Außergerichtliche Vorverfahren sind danach nur dann verpflichtend, wenn sie durch ein Föderalgesetz oder durch Vertrag vorgesehen sind.341 Artt. 43–46 Massenmediengesetz sehen ein solches „Vorverfahren“ vor: Der Kläger hat sich, bevor er sich an die Gerichte wendet, an den Beklagten zu halten und diesen zum Widerruf aufzufordern bzw. die Veröffentlichung der Gegendarstellung zu verlangen; dies kann insbesondere Art. 45 Massenmediengesetz entnommen werden. Zu einem frü335
Vielfach diskutiert, vgl. Povarov, Civilist 2 (2012), 1 (1–7), aus: Konsul’tant Pljus. OG, Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, P. 28. 337 So auch schon Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (315). 338 „Vnesudebnyj“. 339 Michalevič, Juridičeskij mir 4 (2013), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus. 340 Kritisch zur Rspr. Povarov, Civilist 2 (2012), 1 (2 f.), aus: Konsul’tant Pljus. 341 Art. 4 P. 5 S. 1 APK ordnet für einige Rechtsstreitigkeiten, etwa solche aus Vertrag oder anderen Rechtsgeschäften, ein obligatorisches Vorverfahren an. Damit sind Streitigkeiten wegen der Veröffentlichung verunglimpfender Äußerungen i. S. d. Art. 152 ZGB ausgenommen. 336
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
hen Zeitpunkt stellte der Höchste Arbitragegerichtshof aber im Verhältnis zu Art. 152 ZGB klar, dass das Vorverfahren des Massenmedienrechts keine Wirkung für Art. 152 ZGB entfalte.342 Dies unterstreicht den alternativen343 Charakter der beiden Schutzmöglichkeiten.344 Für den Kläger hat dies zur Folge, dass er sich aussuchen kann, ob er sich direkt an den Kläger wendet oder unmittelbar eine Klage vor Gericht anstrengt.345 Zweitens ist auf Fristenregelungen im weitesten Sinne einzugehen. Da Art. 152 ZGB keine Fristenregelung vorsieht und nach Art. 208 ZGB nicht der Verjährung unterliegt, stellt sich die Frage, ob die Fristenregelungen aus Artt. 43 ff. Massenmediengesetz auf die Ansprüche des Art. 152 ZGB anzuwenden sind. In der Tat bleibt dem Verletzten trotz Ablauf der Frist aus Art. 45 S. 3 Massenmediengesetz die Möglichkeit, eine Klage aus Art. 152 ZGB anzustrengen.346 Offen bleibt, welche Bedeutung Art. 43 Massenmediengesetz dann noch zukommt. Art. 152 P. 10 ZGB sieht eine einjährige Verjährungsfrist für die Ansprüche aus Art. 152 P. 1–9 ZGB im Falle unwahrer Tatsachen in Massenmedien vor. Jedenfalls für die Ansprüche auf Widerruf und Gegendarstellung, die bei unwahren (nicht auch verunglimpfenden) Aussagen geltend gemacht werden können, besteht insofern, die Regelung zur Ausschlussfrist ausgenommen, ein Gleichlauf der Ansprüche aus Art. 152 P. 10, P. 2 ZGB und den Artt. 43 ff. Massenmediengesetz. Interessant ist zudem drittens der Umgang mit und die Anwendung auf wahre Aussagen der jeweiligen Normen. Für den Gegendarstellungsanspruch aus Art. 46 Massenmediengesetz brauchen die Unwahrheit und der rechtsverletzende Charakter der Äußerung nicht kumulativ vorzuliegen.347 Es reicht aus, wenn die Äußerung entweder unwahr ist oder Rechte (wie etwa die Geschäfts342 Höchster Arbitragegerichtshof, „Übersicht der Rechtsprechung der Entscheidungen der Arbitragegerichte in Zusammenhang mit dem Schutz der Geschäftsreputation“ („Obzor praktiki razrešenija arbitražnymi sudami sporov, svjazannych s zaščitoj delovoj reputacii“), vom 23.09.1999 (im Folgenden: Übersicht der Rechtsprechung vom 23.09.1999), P. 1; ebenso der OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 4. 343 Der Rspr. des OG kann wohl entnommen werden, dass er das Verständnis der Ansprüche des Massenmediengesetzes als „alternative“ Schutzmöglichkeiten, wie es noch der Höchster Arbitragegerichtshof, Übersicht der Rechtsprechung vom 23.09.1999, P. 1, vertrat, bestätigt. 344 Siehe supra Kap. 6 A. I. 2. a) aa). 345 Bei Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 136, klingt an, inwiefern die Einführung eines obligatorischen Vorverfahrens nicht sinnvoll wäre. 346 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 14 a. E.: „bez ograničenija sroka“. Etwas widersprüchlich hier Nochrina, Notarial’nyj vestnik 12 (2013), 30 (44 f.); teilweise werden die Verjährung und Regelungen zur Ausschlussfrist vermischt: Während es sich bei Art. 208 ZGB und Art. 152 P. 10 ZGB um Verjährungsfristen handelt, sieht Art. 45 S. 3 Massenmediengesetz eine Ausschlussfrist vor. 347 Zu den beiden Alternativen dieses Anspruchs „[…] svedenija, ne sootvetstvujuščie dejstvitel’nosti (Alt. 1) libo uščemljajuščie prava i zakonnye interesy graždanina (Alt. 2) […]“.
A. Instrumente zum Schutz der Geschäftsreputation
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reputation) verletzt sind.348 Es wird daher vertreten, dass unter Art. 46 Alt. 2 Massenmediengesetz nicht nur Meinungen, sondern auch wahre Tatsachen fallen.349 Noch im Jahre 2005 ging der OG davon aus, es bestehe ein Anspruch auf Gegendarstellung aus Art. 152 P. 3 ZGB a. F. (Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB n. F.) sowohl im Falle nicht wahrer Tatsachenbehauptungen wie auch im Falle wahrer Behauptungen, die die Rechte des Bürgers verletzen.350 Auch wurde Art. 152 P. 3 ZGB a. F. der Regelung in Art. 46 Massenmediengesetz gleichgestellt, ein Gegendarstellungsanspruch bei Meinungen oder Werturteilen, die Rechte oder Interessen verletzten, sei daher nach beiden Normen gegeben.351 Im selben Zuge statuierte der OG, dass der Schutz vor Meinungen gerade kein Teil des Schutzes des Art. 152 ZGB sei. Wenn man dies nicht als rein widersprüchliche Aussage verstehen möchte, so ist daraus zu schließen, dass der Gegendarstellungsanspruch nach Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB nicht als gesetzliches Schutzinstrument zu verstehen ist. Dies lässt sich insofern verstehen, als der Gegendarstellungsanspruch kein richterliches Verbot oder eine Anordnung nach sich zieht. Der OG vermerkte 2010, dass das alternative Vorliegen von Unwahrheit bzw. Rechtsverletzung für Fälle des Art. 46 Massenmediengesetz gelte, die nicht mit dem Schutz von Ehre, Würde und Geschäftsreputation zusammenhingen.352 Nach dieser Rechtsprechung besteht der Anspruch aus Art. 46 Massenmediengesetz bei wahren und unwahren Äußerungen, die verunglimpfend sind, wie auch bei allen sonstigen Äußerungen. Der Gerichtshof betont, dass es sich hierbei um Fälle handele, die nicht mit dem Schutz der genannten Güter zusammenhängen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass dies für die Ansprüche aus Art. 152 ZGB gerade nicht gilt. Diese Rechtsprechung widerspricht der noch 2005 getätigten Aussage des OG. Dennoch findet die alte Rechtsprechung mit Verweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts auch in der Literatur Anerkennung. Eine Stimme hält den Gegendarstellungsanspruch sowohl bei falschen und verunglimpfenden, nur falschen (Art. 152 P. 10 ZGB), wahren, aber verunglimpfenden wie auch bei Meinungen353 für anwendbar.354
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OG, Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, P. 24. Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2013), 1 (3 f.), aus: Konsul’tant Pljus; Povarov, Civilist 2 (2012), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus; Ayupov, Vestnik Omskogo universiteta 3 (2011), 89 (91). 350 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. 351 Ibid. 352 OG, Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, P. 24. 353 Unabhängig von deren Charakter, vgl. OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9; Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2013), 1 (4), aus: Konsul’tant Pljus. 354 Zitiert wird Vfg., Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 323-O-O, Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2013), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus. 349
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Art. 46 Massenmediengesetz nennt zudem nicht die „Verunglimpfung von Ehre, Würde und Geschäftsreputation“, sondern spricht von der „Verletzung der Rechte bzw. Interessen“. Dies wird allerdings eher als redaktionelles Versehen gewertet, die Ansprüche sollen sich insoweit entsprechen.355 Dem könnte entgegengehalten werden, dass der Terminus poročaščij nur in Verbindung mit der Verbreitung unwahrer Tatsachen, wie bei Art. 152 ZGB, genutzt wird. Sind die Aussagen wahr, aber dennoch rechts- oder interessenverletzend, wird nicht auf poročaščij zurückgegriffen. Nach der Novellierung des Kap. 8 von 2013, von der auch Art. 152 ZGB betroffen war, wurde Art. 152 P. 2 S. 2 ZGB gerade in diesem Sinne geändert, so dass nun poročaščij verwendet wird.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches Wie bereits oben unter A. ausgeführt, enthält Art. 152 ZGB in P. 9 einen Anspruch auf Schadensersatz. Nach Art. 152 P. 9 ZGB hat ein Bürger, dessen Ehre, Würde und Geschäftsreputation durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen verletzt wurde, Anspruch auf Ersatz von Verlusten und auf Kompensation des moralischen Schadens, die ihm durch die Verbreitung der Äußerungen zugefügt wurden. Grundlage eines Anspruchs aus Art. 152 P. 9 ZGB ist die deliktische Verantwortlichkeit, die sich erst aufgrund des Vorhandenseins eines Schadens ergibt.356 Regelungen zur schadensrechtlichen Verantwortlichkeit finden sich in Artt. 1064 ff. ZGB. Während zudem Art. 15 ZGB den Ersatz von Vermögensschäden betrifft, regeln die Art. 150, 151 und Artt. 1099–1101 ZGB die Kompensation des „moralischen Schadens“357 nach Verletzung immaterieller Güter wie der Geschäftsreputation. Neben dem materiellen Schaden kann daher nach Art. 152 P. 9 ZGB auch immaterieller Schaden verlangt werden kann. Art. 152 P. 11 ZGB erklärt die Regelungen in den Punkten 1–9 für auf juristische Personen entsprechend anwendbar, macht aber eine Ausnahme hinsichtlich des in P. 9 ZGB geregelten moralischen Schadens. Nach dem Gesetzeswortlaut hat eine juristische Person daher keinen Anspruch auf Kompensation des moralischen Schadens, sondern kann lediglich Ersatzansprüche hinsichtlich ihrer materiellen Verluste geltend machen. Dennoch klagten – auf Grundlage der 355 Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2013), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus; a. A. Nochrina, Pravovedenie 3 (2014), 244 (246), nach der hier ein Widerspruch besteht. Hiernach ist Art. 46 Massenmediengesetz vorzugwürdig, da „Äußerungen, die die Rechte […] verletzen“ dieser Ansicht nach auch „negative“ Meinungen umfasse. Art. 152 ZGB sei insoweit wegen der dadurch entstehenden Schutzlücke im Persönlichkeitsrecht zu ändern. 356 Anders als im deutschen Recht gilt der Schaden als Voraussetzung der Verantwortlichkeit, Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1082, sofern man mit der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass Art. 152 P. 9 ZGB den deliktischen Ansprüchen zuzuordnen ist. 357 „Moral’nyj vred“.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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noch anderslautenden Fassung des ZGB – schon bald nach Verabschiedung des ersten Teils des ZGB zahlreiche juristische Personen auf Ersatz des moralischen Schadens bei Verletzung ihrer Geschäftsreputation. Die im Jahre 2013 ergangene Änderung, die die genannte Einschränkung nach Art. 152 P. 11 ZGB für juristische Personen mit sich brachte, vollführte auch einen Trendwechsel in der Praxis: Mangels gesetzlicher Grundlage wurden keine Klagen auf Ersatz des moralischen Schadens seitens juristischer Personen erhoben. Dafür allerdings wuchs die Anzahl an Klagen auf Ersatz des sog. Reputationsschadens. Der Chronik dieser Entwicklung könnte zu entnehmen sein, dass der Reputationsschaden für juristische Personen darstellt, was der moralische Schaden für natürliche Personen ist. Die sich scheinbar eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut ergebende Aussage für den schadensrechtlichen Persönlichkeitsschutz juristischer Personen ist daher in den Kontext der vorhandenen, zahlreichen Normen zum Schadensrecht einzuordnen (I.). Anschließend ist zu untersuchen, welche konkreten Schadensposten durch die juristische Person nach Verletzung ihrer Interessen geltend gemacht werden können (II.). Dies wird anschließend einer Bewertung unterzogen (III.). Für das deutsche Recht spielt in diesen Fragen die Unterscheidung zum UWG eine Rolle. Innerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses ist allein §§ 3, 9 UWG anwendbar.358 Wo ein solches nicht besteht, greifen § 823 I BGB (insbesondere das Recht zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb)359 und § 824 BGB.360 Insbesondere bei Rechtsverletzungen durch Journalistinnen und Journalisten wird Rechtsschutz in der Regel ausschließlich über Unterlassungsansprüche gewährt.361 Auf die jeweiligen Unterschiede des russischen Rechts zum deutschen Recht wird in den folgenden Ausführungen ebenfalls eingegangen.
I. Einordnung des Persönlichkeitsrechts Art. 152 ZGB befindet sich in Kapitel 2 „Entstehung ziviler Rechte und Pflichten, Wahrnehmung und Schutz ziviler Rechte“, im ersten Unterkapitel zu den grundlegenden Bestimmungen des ersten Teils des Zivilgesetzbuchs. Die Norm schließt sich unmittelbar an die Bestimmung über die immateriellen Güter 358 Für den Martkverwirrungsschaden auch analog § 249 II, § 251 BGB, Fritzsche, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, § 9 Rn. 81. 359 BGH, Urteil vom 09.12.1975 – VI ZR 157/73, GRUR 1976, 268. 360 Koreng, GRUR 12 (2010), 1065 (1066). 361 BGH, Urteil vom 06.04.1976 – VI ZR 246/74, GRUR 1976, 651; BGH, Urteil vom 03.12.1985 – VI ZR 160/84, NJW 1986, 981; siehe etwa zur Rspr. des BVerfG, „Die Verhängung übermäßig strenger Sanktionen, zu denen […] auch unvorhersehbar hohe Schadensersatzansprüche gehören könnten, würde allerdings die Pressefreiheit verfassungswidrig einschränken, […]“, Beschluss vom 14.02.1973 – 1 BvR 112/65, GRUR 1974, 44 (48).
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
(Art. 150 ZGB) und den hierauf bezogenen Anspruch auf Kompensation des moralischen Schadens an. Als auf die Güter der Ehre, Würde und Geschäftsreputation zugeschnittene Norm erscheint Art. 152 ZGB im Bereich des Allgemeinen Teils des ZGB überaus speziell. Zwar liegt die systematische Verortung bei Art. 150 ZGB insofern nah, als sie mit den immateriellen Gütern über einen gemeinsamen Regelungsgegenstand verfügt. Art. 152 ZGB beinhaltet aber bereits ganz konkrete Ansprüche. Diese lassen sich nicht einer Art von Anspruchskategorie zuordnen, sondern sind eine Aneinanderreihung von Ansprüchen mit verschiedensten Voraussetzungen und Anspruchszielen. Art. 152 (P. 9) ZGB wird in der russischen Literatur stets separat und gerade nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – in Zusammenhang mit den gesetzlichen Schuldverhältnissen und insbesondere dem Deliktsrecht behandelt.362 Das Deliktsrecht ist für das ZGB größtenteils in Artt. 1064 ff. ZGB geregelt. Die Normen in den Artt. 1064 ff. ZGB werden allerdings nicht als solches bezeichnet. Vielmehr behandeln die Normen die „Verantwortlichkeit aufgrund der Zufügung von Schaden“. Die in der Literatur als deliktisch bezeichneten Schuldverhältnisse363 werden ihrerseits im Sinne ihres vermögensbezogenen Charakters definiert. Zu eigen ist ihnen die Entstehung durch Gesetz, unabhängig vom Willen der betroffenen Personen.364 Voraussetzung ist zudem die Verletzung eines absoluten subjektiven zivilen Rechts.365 Inhalt ist die Verantwortlichkeit desjenigen, der Schaden zufügt.366 Da auch Art. 152 P. 9 ZGB ein Schuldverhältnis vorsieht, das den verantwortlichen Schädiger zum Schadensersatz verpflichtet, sehen einige Art. 152 ZGB als dem Deliktsrecht verwandt an.367 Auch die Rechtsprechung verweist für die haftungsbegründenden Umstände des Art. 152 P. 9 ZGB auf die „allgemeinen Voraussetzungen der deliktsrechtlichen Verantwortlichkeit“, die in Art. 1064 ZGB geregelt sind.368 Dies stützt die Annahme, Art. 152 P. 9 ZGB enthalte eine Rechtsgrundverweisung.369 Art. 8 ZGB ordnet die deliktischen Ansprüche in das System des ZGB ein.370 Danach gibt es bestimmte Umstände, die Rechte und Pflichten hervorrufen, Art. 8 P. 1 Nr. 1–9 ZGB. Nach Art. 8 P. 1 Nr. 6 ZGB entstehen Rechte 362 363
Vergleiche etwa bei Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1074 ff. „Deliktnye objazatel’stva“. 364 Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1074. 365 Sergeev, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ vtoraja, Art. 1064 P. 1, S. 961. 366 Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1074, 1075. 367 Wölk, Das Deliktsrecht Rußlands, S. 552; vom „Diffamationsdelikt“ spricht Potapenko, Jurist 2 (2002), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus. 368 Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11, „[…] pri dokazannosti obščich uslovij deliktnoj otvetstvennosti“; Gericht für Geistiges Eigentum, Urteil vom 30.11.2016, Nr. S01-980/2016, Sachnr. A71-14895/2015. 369 Wölk, Das Deliktsrecht Rußlands, S. 577, zu Art. 152 P. 5 ZGB a. F. 370 Wölk, Das Deliktsrecht Rußlands, S. 75.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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und Pflichten durch Zufügung von Schaden. Zusätzlich zählt Art. 12 ZGB die Rechtsfolgen des Schutzes ziviler Rechte auf. Wörtlich werden diese „Schutzarten ziviler Rechte“ genannt. Hierzu zählen auch die Ansprüche auf Schadensersatz und Kompensation des moralischen Schadens, wie sie in Art. 152 P. 9 ZGB geregelt sind. In Kapitel 59 finden sich mit den Artt. 1064–1101 ZGB Normen zu den „Verpflichtungen in Folge der Zufügung von Schaden“.371 Hier finden sich allgemeine Regeln zum Schadensersatz, die allerdings weder mit §§ 249 ff. BGB noch mit §§ 823 ff. BGB zu vergleichen sind. Vielmehr sind diese Normen teilweise der Haftungsbegründung wie auch der Haftungsausfüllung zuzuordnen. Nach der „Grundnorm“372 Art. 1064 ZGB gilt das Prinzip des vollständigen Schadensersatzes.373 Ob es sich bei Art. 1064 ZGB um eine (haftungsbegründende) Generalklausel374 handelt, ist umstritten.375 Unumstritten ist, dass die Normen des Kapitels 59 auf Art. 152 P. 9 ZGB anwendbar sind.376 Demnach finden auf Art. 152 P. 9 ZGB die Artt. 1064 ff. ZGB insgesamt, für den Schadensersatz Art. 15 ZGB und für die Kompensation des moralischen Schadens Artt. 1099–1101 ZGB im Speziellen Anwendung. Indes ist darauf hinzuweisen, dass für den immateriellen Schaden in den Artt. 1099 ff. ZGB Sonderregelungen geschaffen werden, die eigene Haftungsvoraussetzungen begründen, da Art. 1100 ZGB die Verschuldensvoraussetzung für den immateriellen Schaden entgegen Art. 151 ZGB entfallen lässt.377 371
„Objazatel’stva vsledstvie pričinenija vreda“.
372 Wölk, Das Deliktsrecht Rußlands, S. 75. 373 Nach Art. 1064 P. 1 ZGB ist der Schaden,
der der Persönlichkeit oder dem Vermögen eines Bürgers, ebenso wie der Schaden der dem Vermögen einer juristischen Person beigebracht wird, zu ersetzen („Vred, pričinёnnyj ličnosti ili imuščestvu graždanina, a takže vred, pričinёnnyj imuščestvu juridičeskogo lica, podležit vozmeščeniju v polnom ob”eme licom, pričinivšim vred.“). Die Norm knüpft anders als Art. 152 P. 9 ZGB nicht an Rechtsgüter wie die Geschäftsreputation an. Praktische Relevanz für den Schadensersatz bei Reputationsverletzung als separate Anspruchsgrundlage hat sie keine. 374 Sergeev, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ vtoraja, Art. 1064 P. 2, S. 962; Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (315); Šišmareva, Federal’nyj zakon „O nesostojatel’nosti (bankrotstve)“ i praktika ego primenenija, S. 39, aus: Konsul’tant Pljus. 375 Noch zu Art. 444 ZGB (a. F.) der RSFSR vom 24.12.1992 Heidemann, Unternehmenshaftung in Rußland, S. 52; Überlegungen hinsichtlich der Bezeichnung als „kleine Generalklausel“ finden sich bei Wölk, Das Deliktsrecht Rußlands, S. 76, 77. Die Behandlung dieser Frage bleibt an dieser Stelle mangels Relevanz für das Thema außer Betracht. 376 Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11, allerdings ohne Erwähnung des Kapitels 59 oder des Art. 1064 ZGB; für die Vermutung der Schuld siehe OG, Übersicht der Rechtsprechung „Obzor sudebnoj praktiki Verchovnogo Suda Rossijskoj Federacii“ vom 16.02.2017, Nr. 1, P. 21; Gericht für Geistiges Eigentum, 30.11.2016, Nr. S01-980/2016, Sachnr. А71-14895/2015; Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 68; Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 142; Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 151, aus: Konsul’tant Pljus. 377 Siehe bereits supra Fn. 226, Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (316).
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Geprägt wird das russische Delikts- und Schadensrecht durch ein besonderes Begriffsverständnis. So gibt es kein deckungsgleiches Äquivalent zum deutschen Wort „Schaden“. Die weitere Einordnung erfordert eine Betrachtung der entsprechenden Begrifflichkeiten. Im Folgenden wird daher auf den Schadensbegriff im ZGB (1.) und auf den Begriff des „Schadens an der Geschäftsreputation“ (2.) eingegangen.
1. Schadensbegriff im ZGB Anerkannt ist, dass der Schaden die Grundlage der deliktischen Verantwortlichkeit darstellt.378 Hierfür kennt das russische Recht nicht einen Begriff. Vielmehr gibt es für die aus der Verletzung resultierenden Folgen mehrere Begrifflichkeiten. Dazu gehören vred, ubytok und uščerb.379 Diese Begriffe werden oftmals synonym verwendet. Im Wesentlichen lässt sich jedoch folgende Unterscheidung feststellen: Der Begriff vred ist der weiteste Begriff und fungiert als Überbegriff.380 Eine einheitliche Definition lässt sich bereits hierfür nicht finden. Nach Art. 1064 ZGB ist der Schaden,381 der der Persönlichkeit oder dem Vermögen einer natürlichen Person oder dem Vermögen einer juristischen Person zugefügt wird, in vollem Umfang zu ersetzen. Art. 1064 P. 1 S. 3 statuiert zudem, dass zusätzlich Entschädigung zu leisten ist, wenn dies durch Gesetz oder Vertrag vorgesehen ist. Der OG ergänzt zu Art. 1064 ZGB, dass unter „Schaden“ im Sinne der Vorschrift jede Herabsetzung eines durch das Gesetz geschützten materiellen oder immateriellen Gutes, welches vermögensmäßiger oder nichtvermögensmäßiger Natur sein kann, zu verstehen ist.382 In der Literatur wird dieser Schadensbegriff häufig definiert als nachteilige383 Folge der Verletzung eines durch das Gesetz geschützten materiellen oder immateriellen Guts.384 Andere betonen die „soziale“385 Dimension.386 Danach entstehe der Schaden als Folge von Eingriffen in 378
Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1082. Teilweise finden sich zudem die Begriffe „povreždenie“ und „utrata“. Diese werden allerdings lediglich als Synonyme oder als Hilfe zur Umschreibung genutzt und bieten keine eigenständige rechtliche Bedeutung. 380 Drujinina, Die Entwicklung des Russischen Haftungsrechts, S. 157. 381 „Vred“. 382 OG, Entscheidung vom 27.01.2015, Nr. 81-KG14-19. 383 „Neblagoprijatnyj“. 384 „[…] možet byt’ kak imuščestvennym, tak i neimuščestvennym (nematerial’nym).“; ähnlich so schon für das Sowjetrecht Flejšic, Objazatel’stva iz pričinenija vreda i iz neosnovatel’nogo obogaščenija, S. 5; Erdelevskij, Rossijskaja justicija 6 (1998), 19 (19); Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 10; ähnlich auch Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1082; Krašeninnikov, in: Objazatel’stva vsledstvie pričinenija vreda, S. 20. 385 „Social’noe ponjatie“. 386 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 58; Malein, Vozmeščenie vreda, pričinёnnogo ličnosti, S. 5. 379
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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öffentliche Rechtsbeziehungen oder als Folge der Verletzung von durch das Gesetz geschützten Rechten und Interessen des Staates, Organisationen oder der Bürger.387 Teilweise wird nicht die Verletzung eines Guts, sondern eines Rechts verlangt.388 Nach ganz herrschender Meinung ist vred weit zu verstehen und kann materieller wie auch immaterieller („moralischer“) Natur sein.389 Im Gegensatz zu dem Begriff vred bietet das ZGB für ubytok eine Legaldefinition, Art. 15 P. 2 ZGB. Danach zählen zu den ubytki390 bestimmte zur Wiederherstellung der verletzten Rechte aufzuwendende Ausgaben, sog. „reale Verluste“,391 wie auch der entgangene Gewinn. Dieser Schadensbegriff bezieht sich demnach allein auf Vermögensschäden.392 Während vred als Überbegriff sowohl Vermögens- als auch Nichtvermögensschäden erfasst, meint ubytok nur erstere und hat damit ein engeres Begriffsverständnis als vred. Als uščerb werden die Teile des Vermögensschadens bezeichnet, die sich auf die realen Verluste beziehen. Uščerb nach Art. 15 ZGB ist damit gegenüber ubytki als untergeordnet einzuordnen. Teilweise finden sich allerdings abweichende Verwendungsarten in anderen Rechtsbereichen.393 Auch wird vertreten, uščerb sei ein Synonym zu vred.394 Uščerb schließt die Ausgaben ein, die zur Wiederherstellung des verletzten Rechts und des Wertes des verlustigen oder geschädigten Eigentums notwendig sind. Er umfasst zudem nicht nur die faktischen Ausgaben, sondern auch alle zukünftigen Ausgaben, die zur Wiederherstellung nötig sind.395 Dabei geht es stets um den vermögensmäßigen Charakter dieser Schadenskategorie.396 Er wird daher auch als „Eigentumsschaden“ bezeichnet.397 387 388
Malein, Vozmeščenie vreda, pričinёnnogo ličnosti, S. 5. Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1082. 389 Krašeninnikov, in: Objazatel’stva vsledstvie pričinenija vreda, S. 20; Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1082; Malein, Vozmeščenie vreda, pričinёnnogo ličnosti, S. 5; anders noch Flejšic, Objazatel’stva iz pričinenija vreda i iz neosnovatel’nogo obogaščenija, S. 5. 390 Plural, im Singular „ubytok“. 391 „Real’nyj uščerb“. 392 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 61; auch für das Zivilrecht in der UdSSR Malein, Vozmeščenie vreda, pričinёnnogo ličnosti; Degtjareva, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2020), 1 (1), aus Konsul’tant Pljus. 393 So wird „uščerb“ im Steuerrecht als Synonym zu „ubytki“ genutzt, vgl. OG, Entscheidung vom 11.09.2015, Nr. 305-KG15-6506, Sachnr. A40-84941/2014, darauf nimmt auch Degtjareva, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2020), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus, Bezug, die beschreibt, wie „uščerb“ im engeren Sinne mit dem „real’nyj uščerb“ gleichgesetzt wird, im weiteren Sinne dagegen „vred“ entspricht. 394 Krašeninnikov, in: Objazatel’stva vsledstvie pričinenija vreda: Postatejnyj kommentarij glavy 59 Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii, S. 1083. 395 OG, Plenarbeschluss vom 23.06.2015, Nr. 25, P. 13; Sergeev, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 15 P. 4, S. 44; Ageškina u. a., Kommentarij k Graždanskomu kodeksu, Art. 15, S. 22, aus: Konsul’tant Pljus. 396 Degtjareva, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2020), 1 (1 f.), aus: Kon-
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich im Gesetz drei verschiedene Schadensbegriffe finden lassen. Vred markiert den Überbegriff und bezieht sich auf jede Art von Schaden. Ubytki erfasst Vermögensschäden, wozu uščerb (der reale Verlust) und der entgangene Gewinn zu zählen sind.
2. Schaden an der Geschäftsreputation juristischer Personen Dem schließt sich die Frage nach dem Begriffsverständnis des Schadens an der Geschäftsreputation juristischer Personen an. Die Behandlung des Schadens an der Geschäftsreputation juristischer Personen nimmt einen eigenständigen Platz in den russischen Rechtswissenschaften ein.398 Einheitlichkeit bezüglich seiner Begriffsbestimmung ist nicht vorhanden. Im Wesentlichen entscheidend ist die Frage, ob der Schaden zwingend materieller Natur ist oder ob eine Verletzung der Geschäftsreputation der juristischen Person auch erstattungsfähige Nichtvermögensschäden verursachen kann.399
a) Unterscheidung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden Dazu ist zunächst grundsätzlich die Unterscheidung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden zu betrachten, um dieses Unterscheidungsverständnis im Anschluss auf den Schaden an der Geschäftsreputation juristischer Personen anzuwenden. Es wird im russischen Recht grundlegend zwischen Vermögensund Nichtvermögensschäden unterschieden.400 Schon aus Art. 1064 ZGB ergibt sich, dass Schaden am „Eigentum“401 und an der „Persönlichkeit“402 entstehen kann. Der Begriff „Vermögensschaden“403 wird einheitlich definiert als diejenigen nachteiligen Folgen einer Rechtsverletzung, die wertmäßigen Charakter haben und monetär bewertet werden können.404 Oftmals konzentriert sich das Besul’tant Pljus, die Autorin unterscheidet aber dazu noch das „weite“ Verständnis von „uščerb“, das „vred“ entspricht, dazu S. 2. 397 Drujinina, Die Entwicklung des Russischen Haftungsrechts, S. 157. 398 Darunter nur Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 133 ff.; Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal (2017), 157; Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17; Afanas’eva/Belova, Jurist 8 (2002), 29; Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106. 399 Dabei geht es im Folgenden um die Frage, was unter dem Schaden an der Geschäftsreputation zu verstehen ist; unten wird sodann auf die Frage der Reputationsschäden eingegangen und hierbei auf das konkrete Instrument, die erlittenen Verluste zu kompensieren. 400 So schon etwa Malein, Vozmeščenie vreda, pričinёnnogo ličnosti, S. 8. 401 „Imuščestvo“. 402 „Ličnost’“. 403 „Imuščestvennyj vred“. 404 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 61; ebenso Malein, Vozmeščenie vreda, pričinёnnogo ličnosti, S. 9, der zudem auf den Unterschied des Vermögens vor und nach der Rechtsverletzung abstellt; ähnlich Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 12; Suchanov, Graždanskoe pravo Tom
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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griffsverständnis auf Schaden am Eigentum. Dieser ergebe sich aus der Verletzung der Eigentumssphäre durch Schmälerung der Vermögensgüter oder durch Minderung ihrer Werthaltigkeit.405 Auch Schäden an der Persönlichkeit können Vermögensschäden herbeiführen, dazu ist etwa der Ersatz von Arztkosten zu zählen.406 Aus dem Gesetz ergibt sich aus Artt. 1064 P. 1 S. 1, 15 P. 1 ZGB unmittelbar die Grundregel des auf vollen Ersatz von Vermögensschäden gerichteten Schadensersatzes.407 Auf der Grundlage von Art. 1064 ZGB erwächst bei Beibringung von Vermögensschaden ein Anspruch gegen den Rechtsverletzer im Sinne von Art. 15 P. 1 ZGB.408 Art. 15 ZGB ist eine Norm des Allgemeinen Teils, die nach dem Klammerprinzip universal, also für die besonderen Teile des ZGB gilt.409 Sie normiert Ansprüche auf Ersatz materieller Schäden, der „Verluste“.410 Art. 15 P. 2 ZGB teilt diese Verluste in zwei Kategorien ein: den realen Verlust411 und den entgangenen Gewinn.412 Zu den realen Verlusten zählen Ausgaben,413 die die Person, deren Recht verletzt wurde, für die Wiederherstellung des verletzten Rechts aufbringen muss, sowie Einbußen oder Schädigungen414 des Vermögens. Der entgangene Gewinn wird definiert als der fehlende Eingang von Einkünften, um die die Vermögensmasse der Person bereichert worden wäre, wenn ihr Recht nicht verletzt worden wäre.415 Den Terminus „Nichtvermögensschäden“ sieht das Gesetz selbst nicht vor. Allein der „moralische Schaden“ ist in Art. 151, 1099–1101 ZGB geregelt. Dieser unterliegt nur dann der Kompensation, wenn dies durch das Gesetz bestimmt ist, Art. 151 P. 1, 1099 P. 2 ZGB. Falsch ist aber, den im Gesetz verankerten Begriff „moralischer Schaden“ mit dem Begriff „Nichtvermögensschaden“ gleichzusetzen.416 Diese Gleichsetzung mag der sowjetischen 2, S. 1082, betont die Verletzung der Vermögenssphäre durch die Schmälerung der Vermögensgüter oder ihrer Werthaltigkeit. 405 Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1082. 406 Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1082. 407 Sergeev, in: Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation Band 2, S. 962. 408 OG, Entscheidung vom 27.01.2015, Nr. 81-KG14-19. 409 Sergeev, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 15 P. 1, S. 43. 410 „Ubytki“. 411 „Real’nyj uščerb“. 412 „Upuščennaja vygoda“. 413 „Raschody“. 414 „Povreždenie“. 415 OG, Entscheidung vom 24.06.2015, Nr. 25 P. 14. 416 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 61, der dies als „Verzerrung“ des Verständnisses der verschiedenen Schadenskategorien bezeichnet (im Wortlaut: „Das Ersetzen des Begriffs ‚Nichtvermögensschaden‘ durch ‚moralischen Schaden‘ verzerrt die Korrektheit des Verständnisses“/„Zamena termina ‚neimuščestvennyj vred‘ na ‚moral’nyj vred‘ iskazit pravil’nost’ ponimanija“); ebenso Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 22, aus: Konsul’tant Pljus; Parallelen finden
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Gesetzgebung entstammen, die etwa in Art. 39 des Gesetzes „Über die Presse und andere Massenmedien“ nicht zwischen dem moralischen Schaden und dem Nichtvermögensschaden unterschied.417 Der derzeit geltende Gesetzestext bietet eine ähnliche Lesart, wenn es in Art. 62 Massenmediengesetz heißt: „Der moralische (Nichtvermögens-) Schaden, der dem Bürger beigebracht wird […] oder ein anderer Nichtvermögensschaden, […]“.418 So spricht zwar die alternative Formulierung im ersten Halbsatz für eine Gleichsetzung des moralischen und des Nichtvermögensschadens. Der Zusatz „anderer Nichtvermögensschaden“ macht aber deutlich, dass der moralische Schaden nur eine Art Nichtvermögensschaden ist.419 Heute kennt die Rechtswissenschaft beide Begriffe, wenn auch nur der moralische Schaden dem Gesetz bekannt ist. Oftmals wird der Begriff „Nichtvermögensschaden“ benutzt, ohne dass eine abstrakte Definition erarbeitet wird.420 Nach Malein sind unter dem Nichtvermögensschaden diejenigen Folgen der Rechtsverletzung zu verstehen, die keinen wirtschaftlichen Inhalt und keine werthaltige Form haben.421 Der moralische Schaden wird aber zumeist als Unterkategorie und damit als eine von mehreren Arten des Nichtvermögensschadens angesehen.422 Anzumerken ist zudem, dass, wie auch im deutschen Recht,423 Nichtvermögensschäden nur kompensiert werden können – entgegen der gesetzlichen Grundregel eines restituierenden Ersatzes bei Vermögensschäden.424 Dies ergibt sich aus der Andersartigkeit des Nichtvermögensschadens, der nach den Kriterien für die Bezifferung von Versich bei den Termini „Schmerzensgeld“ und „Nichtvermögensschäden“ im deutschen Recht, dies betrachtet auch Oetker, in: MüKo, § 253 Rn. 4. 417 Gesetz der UdSSR „Über die Presse und andere Massenmedien“ („O pečati i drugich sredstvach massovoj informacii“), vom 12.06.1990, Nr. 1552–1, außer Kraft getreten am 08.12.1991, abrufbar unter: . 418 „Moral’nyj (neimuščestvennyj) vred, pričinёnnyj graždaninu […] libo pričinivšich emu inoj neimuščestvennyj vred […]“. 419 Dies ist auch dem Plenarbeschluss des OG vom 24.02.2005 in P. 15 a. E. zu entnehmen: „dass der moralische Schaden durch das Gesetz als immaterieller Schaden (wörtlich ‚Nichtvermögensschaden‘) anerkannt wird“/„čto moral’nyj vred, […], priznaetsja zakonom vredom neimuščestvennym“; Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 64. 420 Vgl. auch Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7 (7), der auf S. 10 die Definition wagt, der Nichtvermögensschaden sei jeder Schaden, der nicht mit dem Vermögen oder Vermögensrechten verbunden ist. Es findet sich bei Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 61, die Feststellung, dass der Nichtvermögensschaden sowohl psychische wie auch physische Schäden beinhalte; Erdelevskij, Kompensacija moral’nogo vreda, S. 16, setzt den moralischen Schaden in ein Verhältnis zum Nichtvermögensschaden, ohne aber auf die Definition des Nichtvermögensschadens einzugehen. 421 Malein, Vozmeščenie vreda, pričinёnnogo ličnosti, S. 9. 422 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 64; Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7 (9). 423 Jedenfalls grundsätzlich Oetker, in: MüKo, § 253 Rn. 4, 6. 424 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158); Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 43, spricht
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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mögensschäden gerade nicht wertmäßig feststellbar ist.425 Nach Art. 1099 P. 3 ZGB stehen der Schadensersatz und der Kompensationsanspruch (auf Ersatz des moralischen Schadens) unabhängig nebeneinander. So kann aufgrund einer Körperverletzung ein Anspruch auf Schadensersatz für Arztkosten und den entgangenen Lohn und unabhängig davon ein Anspruch auf Kompensation des moralischen Schadens, Art. 1099 P. 3 ZGB, bestehen.426 Zu bemerken ist die Verwendung unterschiedlicher Termini. So wird in Zusammenhang mit dem Vermögensschaden von „Ersatz“427 und mit dem Nichtvermögensschaden von „Kompensation“428 gesprochen.429
b) Einordnung des Schadens an der Geschäftsreputation Als vermeintliche Vertreterin einer auf den Vermögensschaden begrenzten Definition erscheint die Rechtsprechung. Danach wird der Schaden an der Geschäftsreputation beschrieben als jegliche Schmälerung, welche sich insbesondere durch Schäden430 äußert, die durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen und andere nachteilige Folgen, wie dem Schwund der positiven Meinung hinsichtlich der geschäftlichen Qualitäten der juristischen Person in den Augen der Öffentlichkeit und der Geschäftsgemeinschaft, dem Schwund an Wettbewerbsfähigkeit und der Unmöglichkeit der Geschäftsplanung, verursacht werden.431 Dies ist, angesichts der bereits erwähnten Rechtsprechungspraxis zu den Reputationsschäden, überraschend. Dahinter lässt sich eine terminologische Ungenauigkeit vermuten, so dass statt ubytki etwa vred hätte gewählt werden müssen. Hierauf wird noch einzugehen sein. Dagegen versteht ein bedeutender Teil der Literatur den Schaden der Geschäftsreputation explizit weiter, nämlich als jeden möglichen Schaden432 infolge der Herabsetzung der Geschäftsreputation der juristischen Person; er auch von „Abfindung“/„voznagraždenie“; Fedorova, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ vtoraja, Art. 1099 P. 1–4, S. 1029 f. 425 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158). 426 Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1082. 427 „Vozmeščenie“. 428 „Kompensacija“. 429 Dennoch werden die Begrifflichkeiten manchmal universell benutzt, vgl. nur Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11; Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14; 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 29.12.2014, Nr. 09AP-53615/2014, Sachnr. А40-102076/14. 430 „Ubytki“. 431 OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015, vgl. im Originalwortlaut: „Pod vredom, pričinёnnym delovoj reputacii, sleduet ponimat’ vsjakoe eё umalenie, kotoroe projavljaetsja, v častnosti v naličii u juridičeskogo lica ubytkov, obuslovlennych rasprostraneniem poročaščich svedenij i inych neblagoprijatnych posledstvijach v vide utraty juridičeskim licom v glazach obščestvennosti i delovogo soobščestva položitel’nogo mnenija o ego delovych kačestvach, utraty konkurentosposobnosti, nevozmožnosti planirovanija dejatel’nosti i t. d.“. 432 „Vred“.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
kann materieller, aber auch immaterieller Natur sein. Der materielle Schaden zeichnet sich durch ungünstige Folgen vermögensmäßiger Natur aus und kann genau in Geld beziffert werden, der immaterielle Schaden dagegen ist wertmäßig gerade nicht bezifferbar, ist nachteilig und substantiell für den Geschädigten und kann seinerseits zu (materiellen) Schäden führen.433
3. Zwischenergebnis Die Hauptnorm zum Schutz der Geschäftsreputation, Art. 152 ZGB, findet sich im Allgemeinen Teil des Zivilgesetzbuchs. Ein expliziter Verweis auf das Schadensrecht fehlt. In P. 9 enthält Art. 152 ZGB eine Grundlage zur Haftung für Schäden bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Art. 152 ZGB ist zwar weder seinem Regelungsinhalt noch seiner Systematik nach einem bestimmten Rechtsbereich zuzuordnen, für das Schadensrecht enthält Art. 152 P. 9 ZGB aber weitgehende Parallelen mit dem Deliktsrecht; so werden die Normen des Deliktsrechts in Artt. 1064, 15 ZGB hierauf angewendet. Weiterhin wird im russischen Recht zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden unterschieden. Die Inhaltsdeutungen des Schadens an der Geschäftsreputation sind an dieser Stelle nicht abschließend geklärt. Diese Unschärfe findet sich wieder bei der Frage, welche Ersatzansprüche juristische Personen geltend machen können. Dies ist im Folgenden zu klären.
II. Identifizierung der relevanten Schadensposten für juristische Personen Art. 1064 P. 1 ZGB statuiert, dass der Schaden, der der Persönlichkeit oder dem Vermögen einer natürlichen Person, wie auch der Schaden, der dem Vermögen einer juristischen Person zugefügt wird, in vollem Umfang zu erstatten ist. Demnach bezieht sich Art. 1064 P. 1 ZGB nur auf das Vermögen und nicht auf die Persönlichkeit juristischer Personen. Artt. 1099 ff., 151 ZGB regeln die Kompensation des moralischen Schadens. Dieser muss nach Art. 1099 P. 2 ZGB im Gesetz konkret vorgesehen sein. Eine Norm, die die Kompensation des moralischen Schadens für juristische Person konkret anordnet, ist im ZGB nicht vorhanden. Auch eine Norm, die die Kompensation von Nichtvermögensschäden (im Generellen) für juristische Personen vorsieht, gibt es nicht. Im Folgenden sind die für juristische Personen relevanten, dem Ersatz unterliegenden Schadensposten zu untersuchen. Dazu gehören unstreitig die Vermögensschäden (1.). Unter (2.) ist zu diskutieren, inwieweit 433 Bei Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2011), 44 (47), finden sich sogar Überlegungen dazu, ob der Schaden der Geschäftsreputation als immaterielles Gut nicht ohnehin immer (primär) Nichtvermögensschaden ist und Vermögensschäden nur (sekundär) Folge dieses sind; Gorodov, Nedobrosovestnaja konkurencija: teorija i pravoprimenitel’naja praktika, S. 21 f., betont den „kumulativen“ Charakter des Schadens an der Geschäftsreputation.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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auch Nichtvermögensschäden Entschädigungsansprüchen unterliegen. Da der Reputationsschaden – wenngleich er in der Regel als Nichtvermögensschaden eingeordnet wird – eine ganz eigene Rolle spielt, wird er separat untersucht (3.).
1. Vermögensschäden wegen Verletzung der Geschäftsreputation Der Anspruch auf Ersatz eines materiellen Schadens ist im Gesetz eindeutig geregelt. Die Anspruchsgrundlage hierfür stellt Art. 152 P. 9, 11 ZGB in Verbindung mit Art. 15 ZGB dar.434 Die einzelnen deliktsrechtlichen Voraussetzungen ergeben sich wie oben erörtert aus den Artt. 1064 ff. ZGB.435 Voraussetzung dieser ist ein Schaden (und die Benennung seiner Höhe), das Vorliegen einer (rechtswidrigen) Rechtsgutsverletzung durch den Beklagten, die Kausalität zwischen Verletzung und Schaden, und das Verschulden.436 Für Art. 152 P. 9 ZGB bedeutet das, dass der Kläger inter alia437 einen Schaden sowie dessen konkrete Höhe darzulegen hat, der kausal auf der Verbreitung der Äußerungen beruht. Denkbare materielle Vermögensschäden wegen Verletzung der Geschäftsreputation juristischer Personen stellen in der Theorie die Senkung von Produktpreisen, der Absatzausfall aufgrund von Kundenabwendung, die Durchführung von Ausverkäufen und Aktionen oder die Durchführung von (weiteren) Werbekampagnen dar.438 In der Rechtsprechungspraxis findet sich allerdings 434 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 16; nach Art. 1082 ZGB ist der Schaden in Natur zu ersetzen oder Schadensersatz gem. Art. 15 ZGB zu zahlen; hierauf wird allerdings in der Praxis kaum verwiesen. Erwähnt wird dies in Gericht für Geistiges Eigentum, Urteil vom 30.11.2016, Nr. S01-980/2016, Sachnr. А71-14895/2015. 435 Vgl. Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.09.2014, Sachnr. A4054340/14; Föderales Arbitragegericht des Nordkaukasischen Okrug, Entscheidung vom 06.08.2015, Nr. F08-5582/2015, Sachnr. А63-11510/2014; Arbitragegericht der Stadt SanktPetersburg und der Leningrader Oblast, Urteil vom 11.11.2015, Sachnr. A56-58502/2015; das russische Deliktsrecht geht von einem vierstufigen Deliktsaufbau aus (Schadenszufügung, Rechtswidrigkeit, kausale Verbindung zwischen Handlung und Schaden, Verschulden), vgl. Wölk, Das Deliktsrecht Rußlands, S. 82 ff. 436 Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Entscheidung vom 30.11.2015, Nr. F07-704/2015, Sachnr. A56-81334/2014; Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Entscheidung vom 21.07.2015, Nr. F05-8820/2015, Sachnr. А40-69753/14. 437 Zu den einzelnen Beweisanforderungen siehe im Folgenden a). 438 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 137, die Aufzählung von Rožkova muss in zweierlei Hinsicht kritisiert werden: Zum einen betreffen die einzelnen Schäden unterschiedliche Kategorien. Während es bei der Senkung von Preisen, Abverkäufen und der Durchführung von Kampagnen zur Rettung der Reputation um Eigenschädigung geht, ist der Absatzausfall eine Fremdschädigung. Zum anderen bleiben Fragen der Kausalität vollkommen unklar: So sind umsatzverringernde Eigenmaßnahmen, zu denen sich das Unternehmen gezwungen sieht, in der Regel durch den bereits vorher ausbleibenden Umsatz wegen des verringerten Konsumverhaltens der Kunden zu erklären. Vor dem Hintergrund des deutschen Rechts würden hier spezifische Fragen der Kausalität erwogen werden; vgl. auch zur „Grenze des Erforderlichen“ bei Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 349, danach muss der Geschädigte das mildeste Mittel zur Abwendung des Schadens wählen; siehe zur Diskussion um die „schadensbegünstigende Reaktionen des Geschädigten“ auch bei Oetker, in: MüKo, § 249 Rn. 167 ff., insb. §§ 278 f.,
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
eine nur vergleichsweise geringe Anzahl von Urteilen, in denen der Ersatz dieser zugesprochen wird.439 Die Analyse der Rechtsprechung zeigt, dass gerade reale Verluste (Art. 15 P. 2 Alt. 1 ZGB) kaum eingeklagt werden.440 Vereinzelt finden sich Urteile, die Ansprüche zum Ersatz erhöhter Ausgaben441 und entgangener Gewinne442 zum Gegenstand haben. Auch hier stellt die tatsächliche Anspruchsrealisierung aber eine Schwierigkeit dar. So wurde ein Anspruch mangels Darlegung der Kausalität zwischen der Veröffentlichung rechtswidriger Äußerungen und dem Abbruch von Vertragsverhandlungen versagt.443 Die geringe Fallanzahl lässt sich damit begründen, dass die Kläger auf Ersatz des Vermögensschaden gerichtete Ansprüche schon nicht zum Gegenstand der Klage machen. Neben Widerrufsansprüchen wird in den meisten Fällen entweder Entschädigung für den moralischen Schaden444 oder den Reputationsschaden verlangt.445 Dies lässt sich mit den erhöhten Beweisanforderungen (a)) und den der Schadenshöhe zugrundeliegenden Berechnungsmethoden (b)) erklären, die den Gegenstand der folgenden Ausführungen bilden.
a) Beweisfragen Untersuchungen des Schadensersatzanspruchs bei Verletzung der Geschäftsreputation der juristischen Person sind in den Rechtswissenschaften eher unterrepräsentiert.446 Dies hat mit der geringen praktischen Bedeutung dieses Anspruchs zu tun. Grund dafür sind faktische Schwierigkeiten der Beweisführung. Die Beweislast von Vermögensschäden liegt bei dem Kläger. Dasselbe gilt für das Vorliegen entgangener Verluste.447 eine Ersatzpflicht besteht danach auch für schadensabwendende Maßnahmen des Geschädigten, sofern dieser diese für erforderlich halten durfte. 439 Ein Vermögensschaden wurde in Folge der Verbreitung von Äußerungen bzgl. der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen eine juristische Person angenommen, OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 15. 440 Siehe nur für eine erfolglose Klage auf materiellen Schadensersatz, Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Entscheidung vom 21.07.2015, Nr. F05-8820/2015, Sachnr. А40-69753/14; in der Regel beziehen sich Zahlungsansprüche ausschließlich auf die Kompensationsansprüche des Reputationsschadens oder des immateriellen Schadens. 441 OG, Entscheidung vom 16.12.2016, Nr. 309-ĖS16-10730, Sachnr. А07-12906/2015. 442 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.09.2014, Sachnr. A40-54340/14; Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 10.12.2018, Nr. А40-2791/2017 (bestätigt in allen Instanzen bis zum OG, Entscheidung vom 21.10.2019, Nr. 305-ĖS18-3354). 443 Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Entscheidung vom 30.11.2015, Nr. F07-704/2015, Sachnr. A56-81334/2014; ähnlich Föderales Arbitragegericht des VolgoVjatskyj Okrug, Entscheidung vom 10.04.2013, Nr. F01-7868/2013, Sachnr. A11-12243/2011. 444 Insbesondere vor 2013. 445 Etwa ab dem Jahre 2008; eine der ersten anhängigen Klagen war Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 26.02.2010, Sachnr. A40-157834/09-12-1000. 446 Und bilden damit nur die Realität der Praxis ab. 447 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (4).
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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Diese lassen sich auf Probleme bei der Darlegung der kausalen Verbindung zwischen Verletzung und Schaden448 und der genauen Bezifferung der Schadenshöhe zurückführen. Da der Schaden unmittelbar auf der Rechtsverletzung beruhen muss, stellt sich die Frage, inwiefern der konkrete Schaden gerade auf dieser beruhte. Zwar kann etwa die Tatsache des Umsatzeinbruchs bei Ausschluss anderer Gründe unmittelbar in Zusammenhang zur Äußerung gestellt werden. Dennoch scheitern die Kläger oft am Beweis der Kausalität.449 Der OG sieht die Schwierigkeit der Darlegung der kausalen Verbindung zwischen der Verbreitungshandlung einerseits und den konkreten Verlusten und der Schadenshöhe andererseits. Nach dem OG darf diese Schwierigkeit daher nicht zu einem Abfall des Schutzniveaus führen.450 Bestätigt wurde dies mit einer weiteren Entscheidung, für die auch eine Kausalitätsbeweiserleichterung erreicht werden soll. Danach muss berücksichtigt werden, ob eine vergleichbare Rechtsverletzung in anderen Fällen zu ähnlichen Folgen führte. Ist das der Fall, ist von der Kausalität auszugehen.451 Ähnliche Schwierigkeiten sind bei der konkreten Bezifferung der Vermögensschäden zu sehen.452 Nur schwer lässt sich im Rahmen der entgangenen Gewinne bestimmen, welche konkreten Einnahmen bei hypothetischem Geschäftsgang erfolgt wären – also beispielsweise mit welchen Geschäftspartnern tatsächlich Verträge abgeschlossen worden wären oder wie hoch Absatz448 449
Im deutschen Recht wäre das eine Frage der „haftungsausfüllenden“ Kausalität. Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Entscheidung vom 30.11.2015, Nr. F07-704/2015, Sachnr. A56-81334/2014; Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Entscheidung vom 21.07.2015, Nr. F05-8820/2015, Sachnr. А40-69753/14; Föderales Arbitragegericht des Volgo-Vjatskyj Okrug, Entscheidung vom 10.04.2013, Nr. F01-7868/2013, Sachnr. A11-12243/2011; Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 10.12.2018, Nr. А402791/2017 (hier wird der Reputationsschaden zugesprochen, der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns dagegen aus den genannten Gründen nicht). 450 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 19; mitunter problematisch ist, wie hier Fragen der Kausalität und der Bestimmung der Schadenshöhe vermischt werden. Die Abwesenheit dieser dogmatisch zu differenzierenden „Feinheiten“ setzt sich auch in der Diskussion bei den Problemen um den Reputationsschaden fort. 451 OG, Plenarbeschluss „Über die gerichtliche Anwendung einiger Regelungen des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation wegen der Verantwortlichkeit für Pflichtverletzungen“ („O primenenii sudami nekotorych položenij Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii ob otvetstvennosti za narušenie objazatel’stv“), vom 24.03.2016, Nr. 7 (im Folgenden: Plenarbeschluss vom 24.03.2016, Nr. 7), P. 5. 452 Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Entscheidung vom 21.07.2015, Nr. F05-8820/2015, Sachnr. А40-69753/14; Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Entscheidung vom 30.11.2015, Nr. F07-704/2015, Sachnr. A56-81334/2014; oftmals wird der Anspruch mit Verweis auf das Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen insgesamt abgelehnt, ohne dabei auf Einzelheiten einzugehen; so verneint das Föderale Arbitragegericht des Volgo-Vjatskyj Okrug, Entscheidung vom 10.04.2013, Nr. F01-7868/2013, Sachnr. A1112243/2011, etwa den Anspruch aufgrund des fehlenden Beweises des Schadens, seiner Höhe, der kausalen Verbindung wie auch der rechtsverletzenden Handlung.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
zahlen gewesen wären usw.453 Nicht ausreichend ist es nach der Rechtsprechung, wenn Briefe zum Beweis eines kurz vor dem Abschluss stehenden Vertrages mit der Angabe des Vertragsentgelts vorgelegt werden.454 Hier könnten nur Parallelen zu vergleichbaren Szenarien gezogen werden, wie etwa die Zahlen des erwirtschafteten Umsatzes aus den Vorjahren.455 Auch dies wären dann aber nur Vergleichszahlen, für den konkret zu beziffernden Schaden handelt es sich stets nur um approximative Werte. Noch schwieriger erscheint es, den vermögensmäßig erfassbaren Buchwert der Geschäftsreputation zu bestimmen. Dazu müsste der Wert der Geschäftsreputation im Rahmen einer Bewertung des Unternehmens vor der Verletzung und nach der Verletzung ermittelt worden sein und bewiesen werden können.456 Auch im deutschen Recht ist die fehlende Darlegung der Kausalität oftmals Grund der Klageabweisung.457 In der rechtswissenschaftlichen Fachöffentlichkeit ist ihre Frage eher selten Gegenstand der Diskussion. Dies liegt möglicherweise daran, dass im deutschen Recht Schadensersatzansprüche im Hintergrund stehen, während Unterlassungsansprüche das Hauptmittel zum Rechtsschutz darstellen.458 Dafür mag anzubringen sein, dass Persönlichkeitsverletzungen juristischer Personen primär durch die Presse ausgeübt werden und die Gerichte hier in der Regel (nur) Unterlassungsansprüche zusprechen.459 Die oben besprochenen Fragen sind solche der haftungsausfüllenden Kausalität, betreffen also die kausale Verbindung zwischen der Verletzungshandlung und dem eingetretenen Schaden. Zu den Voraussetzungen zählen die Adäquanz, die adäquate Kausalität und der Eintritt eines vom Schutzzweck der Norm gedeckten Schadens.460 An diese Voraussetzungen werden hohe Anforderungen gestellt. So muss der Kläger beweisen, dass gerade die (unwahre, diffamierende) Tatsache zum Schaden geführt hat.461 Ausreichend ist indes, wenn die Handlung mitursächlich ist.462 453 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 10.12.2018, Nr. А40-2791/2017 (bestätigt in allen Instanzen bis zum OG, Entscheidung vom 21.10.2019, Nr. 305-ĖS18-3354), anerkennt etwa die Vorlage von Vergleichszahlen der Monate vor Veröffentlichung der verunglimpenden Äußerungen und dem Monat nach Veröffentlichung dieser. 454 Dem lasse sich nach dem Gericht nur der vertraglich vereinbarte Preis, nicht aber die dadurch zu erzielenden Einnahmen entnehmen, Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Entscheidung vom 21.07.2015, Nr. F05-8820/2015, Sachnr. А40-69753/14. 455 Vgl. auch Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 136, die von „Schwierigkeiten der Gerichte bei der Festlegung und Bezifferung der Schäden“ spricht. 456 Dies wäre wohl nur möglich, wenn unmittelbar vor der Verletzung ein Verkaufsangebot und damit ein objektivierter Wert eingeholt werden würde. 457 LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 25.10.2018 – 11 O 9597/16, BeckRS 2018, 29264; BGH, Urteil vom 28.06.1994 – VI ZR 252/93; GRUR 1994, 915 (918); Hermann, in: BeckOGK, § 823 Rn. 1794. 458 Siehe auch Ohly, GRUR 11 (2007), 926 (926 ff.) für das Marken- und Lauterkeitsrecht. 459 Siehe bereits supra Fn. 361. 460 LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 25.10.2018 – 11 O 9597/16, BeckRS 2018, 29264. 461 BGH, Urteil vom 13.01.1987 – VI ZR 45/86, NJW 1987, 1403 (1403). 462 Grüneberg, in: Palandt, Vorb. v. § 249 Rn. 34; Seitz, in: Götting, § 45 Rn. 31.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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Fragen der Kausalität stellen sich vor allem im Hinblick auf den entgangenen Gewinn, § 252 BGB. Für den entgangenen Gewinn ist § 252 S. 2 BGB zu beachten, nach dem der Gewinn als entgangen gilt, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Das deutsche Recht setzt die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus.463 Der Klägervortrag muss an dieser Stelle hinreichend konkret und substantiiert sein.464 Der Gesetzgeber schafft dabei durch eine Beweiserleichterung Abhilfe, § 287 ZPO. Ist die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts vom Kläger genügend nachgewiesen, schätzt das Gericht nach § 252 S. 2 BGB in Verbindung mit § 287 ZPO den Mindestschaden, sofern eine Schätzung möglich ist.465
b) Berechnungsmethoden Zu den Berechnungsmethoden schweigt das Gesetz. Lediglich in Art. 15 P. 1 ZGB wird auf den vollständigen Ersatz verwiesen. Aus Art. 15 P. 2 ZGB ist zu schließen, dass die Anspruchshöhe nicht geringer ausfallen darf, als die Höhe dessen, was der Rechtsverletzer infolge der Verletzung erlangt hat.466 Berechnungshilfen bieten Beweismittel zur Darlegung von Ausgaben und Einnahmen zum Vergleich der wirtschaftlichen Lage vor und nach dem schädigenden Ereignis.467 Bezüglich der Höhe des Schadens schafft der OG für den Fall der ungenügenden Beweisführung mit der Anwendung von Art. 393 P. 5 ZGB468 mit einer Klageerleichterung Abhilfe. Daher kann eine Klage auf Ersatz des Vermögensschadens nach Art. 15 P. 1 ZGB nicht allein wegen der Unmöglichkeit der genauen Schadensbezifferung abgewiesen werden. Tritt dieser Fall ein, hat das Gericht unter Zugrundelegung aller Umstände die ungefähre Höhe des Schadens zu ermitteln.469 Dies betont die Rechtsprechung explizit für den entgangenen Gewinn.470 Diese Erleichterung erlangt hier umso mehr Bedeutung, als der entgangene Gewinn zumeist eine hypothetische Komponente hat. 463 So OLG München Endurteil vom 13.11.2018 – 18 U 1280/16, BeckRS 2018, 29195; BGH, Urteil vom 28.06.1994 – VI ZR 252/93, NJW 1994, 2614 (2616), Verweis auf BGH, Urteil vom 15.10.1992 – IX ZR 43/92, NJW 1993, 648 (653). 464 BGH, Urteil vom 28.06.1994 – VI ZR 252/93, NJW 1994, 2614 (2617). 465 Fritzsche, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, § 9 Rn. 89. 466 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 136. Ebenso Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 10.12.2018, Nr. А40-2791/2017 (bestätigt in allen Instanzen bis zum OG, Entscheidung vom 21.10.2019, Nr. 305-ĖS18-3354). 467 Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 68. 468 Art. 393 P. 5 ZGB ist eine Norm des allgemeinen Schuldrechts. 469 OG, Plenarbeschluss vom 24.03.2016, Nr. 7, P. 4; OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 19; OG, Plenarbeschluss vom 23.06.2015, Nr. 25, P. 12. 470 OG, Plenarbeschluss vom 23.06.2015, Nr. 25, P. 14.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Die Gerichte haben sich weiterhin an den Prinzipien der Gerechtigkeit471 und Verhältnismäßigkeit und an dem Ziel der Behebung der Verletzungsfolgen zu orientieren. Außerdem sind vergleichbare Verletzungen im Zivilverkehr als Maßstab zugrunde zu legen.472 Indes orientiert sich die Berechnung entgangener Gewinne an einem Vergleich zu den Gewinnzahlen regulärer Perioden. So wurde in einem Fall der Schadensbetrag, der durch das Scheitern von Vertragsverhandlungen entstanden war, durch die Berechnung der Differenz zwischen den Jahresmargen im Jahr vor und im Jahr nach der Reputationsschädigung ermittelt.473 Hinsichtlich der Höhe des entgangenen Gewinns genügt es, wenn die Gewinn- und Verlustrechnung eines Jahres, Dokumente, die Verluste während der Zeit nachweisen, in der die Äußerungen verbreitet wurden oder Informationen, die die üblichen Einnahmen darlegen, vorgelegt werden.474 Zieht man daneben Parallelen zu Fällen der rechtswidrigen Markennutzung, darf die Schadenssumme nicht zu einer einseitigen Bereicherung oder zu Verlusten475 mit Strafcharakter führen.476 Die Literatur verweist daneben auf die Berechnungsmethode des EGMR. Danach seien objektive Faktoren eines jeden einzelnen Falls entscheidend, was zu immensen Unterschieden in der Summenhöhe führen könne.477 Dieselben Probleme bei der Schadensberechnung wie das russische Recht kennt auch das deutsche Recht.478 Die Schadensberechnung erfolgt grundsätzlich nach §§ 249 ff. BGB. Im Wettbewerbs- und Markenrecht sowie für das Immaterialgüterrecht werden ergänzend die Grundsätze der dreifachen Schadensberechnung hinzugezogen. Hierzu zählt der objektive Verletzergewinn,479 eine (fiktive) Lizenzgebühr,480 und der „eigentliche“ Schaden, vgl. auch § 97 III S. 1–3 UrhG. So kann es ausreichend sein, den auf den rechtsverletzenden Mit471 Kritik an der Gerechtigkeitsrechtsprechung der russischen Gerichte als Ersatz für eine Abwägung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach Art. 55 P. 3 der Verf. RF, obwohl die Gerechtigkeit keine Abwägungsmethode, sondern „ein eigener […] Maßstab“ sei, Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 55 Rn. 30–32. 472 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 19. 473 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.09.2014, Sachnr. A40-54340/14, dem Fall lag das Scheitern von Vertragsverhandlungen nach Reputationsschädigung zugrunde. 474 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 19. 475 „[…] naznačaemaja kompensacija ne dolžna vesti k obogaščeniju odnoj iz storon i ne otnosit’sja k karatel’nym ubytkam.“ 476 Gericht für Geistiges Eigentum, Urteil vom 30.11.2016, Nr. S01-980/2016, Sach nr. A71-14895/2015. 477 Gavrilov, Prava čeloveka 4 (2009), 34 (38). 478 Fleischer, in: MüKo zum GmbHG, § 43 Rn. 263; Ohly, GRUR 11 (2007), 926 (926 ff.). 479 Nach BGH, Urteil vom 02.02.1995 – I ZR 16/9, GRUR 1995, 349 (352) kommt dieser nicht in Betracht, wenn ein Zusammenhang zwischen Schaden des Rechtsinhabers und Gewinn des Rechtsverletzers fehlt. 480 BGH, Urteil vom 12.01.1966 – Ib ZR 5/64, GRUR 1966, 375; BGH, Urteil vom 22.03.1990 – I ZR 59/88, GRUR 1990, 1008.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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bewerber „verlagerten“ Gewinn als Verlustposten vorzutragen.481 Für die nach § 287 ZPO im Bereich der Lizenzgebühr vorzunehmende Schätzung durch das Gericht spielt die „Auflagenhöhe, der Verbreitungsgrad, Art und Gestaltung der Publikation und ihre Werbewirksamkeit“ eine Rolle.482 Für persönlichkeitsrechtliche Fälle ist die Anwendung dieser Grundsätze nicht immer eindeutig gewesen.483 In jüngerer Zeit wird sie in vielen Fällen übertragen.484 Für juristische Personen spielen die persönlichkeitsrechtlichen Fälle, die sich in der kommerziellen Ausbeutung der Persönlichkeit abspielen, keine Rolle. Gegenstand sind dann vielmehr, und hierfür kann auf §§ 249 ff. BGB zurückgegriffen werden, Ansprüche auf Aufwendungsersatz geschalteter Werbeanzeigen485 und Rechtsverfolgungskosten.486 Ebenso kann im Marken- und Lauterkeitsrecht Ersatz der sog. „Marktentwirrungskosten“, die Kosten, die erforderlich sind, um die „Marktverwirrung“487 zu beseitigen,488 Werbekosten489 sowie der entgangene Gewinn490 verlangt werden. Daneben gibt es Stimmen, die im Markenund Lauterkeitsrecht auch den Marktverwirrungsschaden selbst491 für einklagbar halten.492 Der BGH hat sich allerdings dagegen ausgesprochen.493 481 BGH, Urteil vom 14.02.2008 – I ZR 135/05, GRUR 2008, 933 (935); Fritzsche, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, § 9 Rn. 88, bezeichnet dies als „Mindestschaden“. 482 Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 352. 483 Angewendet schon in BGH, Urteil vom 08.05.1956 – I ZR 62/54, GRUR 1956, 427 (429); keine Anwendung der Lizenzanalogie bei Ausschluss der vermögensrechtlichen Komponente des Schadens in BGH, Urteil vom 14.02.1958 – I ZR 151/56, GRUR 1958, 408 (409). 484 BGH, Urteil vom 01.12.1999 – I ZR 49/97; GRUR 2000, 709; BGH, Urteil vom 26.10.2006 – I ZR 182/04, GRUR 2007, 139. 485 BGH, Urteil vom 15.11.1977 – VI ZR 101/76, NJW 1978, 210; hier ist aber auch in Anbetracht des Meinungs- und Pressefreiheitsschutzes eine „Erforderlichkeitsgrenze“ zu beachten: Gegenanzeigen und deren Aufwendungsersatz sind daher nur dann erforderlich, wenn ein vorrangiger (kostenloser oder kostengünstigerer) Gegendarstellungsanspruch weniger effektiv wäre, siehe BGH, Urteil vom 06.04.1979 – I ZR 94/77, NJW 1979, 2197, 2198. 486 Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 347. 487 Etwa durch die Benutzung fremder Warenbilder im eigenen Katalog, BGH, Teilversäumnis- und Endurteil vom 23.06.02005 – I ZR 263/02, NJW-RR 2006, 184 (185 f.); unberechtigte Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke unter anderer Marke, BGH, Urteil vom 22.09.1999 – I ZR 48/97, GRUR 2000, 226 (227). 488 Fritzsche, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, § 9 Rn. 78–80. 489 Hier auch nur, was als erforderlich angesehen werden durfte. Zudem sind diese im Einzelfall subsidiär zum Gegendarstellungsanspruch – dieser sperrt den Ersatzanspruch, wenn er gleichermaßen effektiv wäre, BGH, Urteil vom 06.04.1979 – I ZR 94/77, GRUR 1979, 804 (805); zulässig ist aber die „berichtigende Werbung“, BGH, Urteil vom 15.11.1977 – VI ZR 101/76, NJW 1978, 210 (211). 490 Wegen Warenzeichenverletzung BGH, Urteil vom 12.01.1966 – Ib ZR 5/64, GRUR 1966, 375. 491 Dieser würde (dann) nicht nach Lizenzanalogie oder Verletzergewinn berechnet, sondern als eigenständiger Vermögensschaden nach § 287 ZPO geschätzt werden, BGH, Urteil vom 12.02.1987 – I ZR 70/85, GRUR 1987, 364 (365). 492 Fritzsche, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, § 9 Rn. 84; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/ Feddersen, § 9 Rn. 1.34; a. A. Ohly, in: Ohly/Sosnitza, § 9 Rn. 12. 493 BGH, Urteil vom 17.05.2001 – I ZR 291/98, GRUR 2001, 841 (845); wohl noch anders nach BGH, Urteil vom 12.02.1987 – I ZR 70/85, GRUR 1987, 364.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
c) Zwischenergebnis Gem. Art. 152 P. 9, 11 ZGB gewährt das Gesetz juristischen Personen einen Anspruch auf materiellen Schadensersatz wegen Verletzung der Geschäftsreputation. Sowohl in der deutschen wie auch in der russischen Rechtspraxis nimmt dieser Anspruch keinen nennenswerten Stellenwert in der Reihe der verschiedenen Schutzinstrumente beim Persönlichkeitsschutz ein. Dies hat in Russland vor allem mit der Beweislastanforderung an den Kläger zu tun. Dieser wird in Deutschland mit einer zivilprozessrechtlichen Erleichterung begegnet. Eine ähnliche Lösung hat der OG mit der Anwendung des Art. 393 P. 5 ZGB gefunden. Dennoch steht der Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens im Schatten anderer Zahlungsansprüche, die einen weniger substantiierten Schadensvortrag des Klägers verlangen.
2. Nichtvermögensschäden nach Verletzung der Geschäftsreputation Art. 151 in Verbindung mit 1099 ff. ZGB statuiert einen Anspruch auf „Kompensation des moralischen Schadens“ bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder Eingriffen in die diesen Rechten zugrundeliegenden Güter. Die Kategorie „Kompensation des moralischen Schadens“ ist auch von Art. 12 ZGB neben dem Ersatzanspruch für materielle Schäden als Bestandteil der zivilen Rechtsschutzmöglichkeiten vorgesehen. Obwohl Art. 152 P. 11 ZGB ausdrücklich eine Anwendung des Anspruchs auf Kompensation des moralischen Schadens auf juristische Personen ausschließt, bleibt die Frage nach einem möglichen Anspruch auf Kompensation von Nichtvermögensschäden in Rechtsprechung und Literatur Gegenstand reger Diskussion. Betrachtet man die Schadensposten, die hinter dem Begriff „Nichtvermögensschäden nach Verletzung der Geschäftsreputation“ stehen, näher, so findet man insbesondere Aufzählungen einzelner Folgen der Verletzung. Dazu gehören zumeist der Verlust von Kunden, die Abnahme von Aufträgen bzw. eingehender Bestellungen494, sinkende Kreditwürdigkeit495 und der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit.496 Es handelt sich bei all diesen Beispielen um wirtschaftlich bedeutsame Negativfolgen für Wirtschaftsunternehmen.
494
S. 21.
Gorodov, Nedobrosovestnaja konkurencija: teorija i pravoprimenitel’naja praktika,
495 Boryčeva, Graždansko-pravovaja ochrana nematerial’nych blag juridičeskich lic, S. 136. 496 Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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In der jüngeren Literatur497 erscheint der „Nichtvermögensschaden“ als Überbegriff der drei Kategorien moralischer Schaden,498 immaterieller Schaden499 und Reputationsschaden500.
a) Moralischer Schaden Der gegenüber der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen viel häufiger genutzte Zahlungsanspruch ist der Anspruch auf Kompensation des erlittenen moralischen Schadens, Art. 152 P. 9 ZGB.501 Dieser wird unstreitig als Nichtvermögensschaden kategorisiert.502 Eine Folge davon ist, dass die staatlichen Gerichtskosten als festgelegter Wert und nicht im Verhältnis zur Schadenshöhe berechnet werden.503 Im russischen ZGB findet der moralische Schaden in den Artt. 12, 151, 152, 1099–1101 ZGB Erwähnung. Art. 151 ZGB definiert den moralischen Schaden als „physisches oder psychisches Leid“,504 der gem. Art. 1099 P. 3 ZGB unabhängig von einem etwaigen Vermögensschaden kompensiert werden kann. Der OG führt aus, der moralische Schaden meine „psychisches oder physisches Leid, beigebracht durch Handlungen oder Unterlassen, die die dem Menschen von Geburt an anhaftenden oder durch Gesetz verliehenen immateriellen Güter (Leben, Gesundheit, Würde der Person, Geschäftsreputation, Unversehrtheit des Privatlebens, persönliches oder familiäres Geheimnis usw.) oder die seine persönlichen Nichtvermögensrechte (Recht auf Gebrauch seines Namens, Autorenschaft oder andere Nichtvermögensrechte im Einklang mit den Gesetzen zum Schutz der Rechte auf die Ergebnisse geistigen Eigentums) oder Vermögensrechte verletzen“.505
Die Literatur schließt sich dem an.506 Durch die Verwendung der Formulierung „Leid“ setze der Schaden voraus, dass der Verletzte die Verletzungshandlung in seinem Bewusstsein wahrnimmt, es müsse also eine konkrete psychische Reaktion bei ihm hervorgerufen werden.507 Der moralische Schaden kann das Ergebnis der Verletzung sowohl vermögens- als auch nichtvermögenswerter 497 So bei Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158); Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7 (9, 10). 498 „Moral’nij vred“. 499 „Nematerial’nij vred“. 500 „Reputacionnyj vred“. 501 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 18. 502 So bereits der OG, Plenarbeschluss vom 18.08.1992, Nr. 11, P. 11, siehe supra Kap. 2 Fn. 94; Krasavčikova, Ponjatie i sistema ličnych neimuščestvennych prav graždan (fizičeskich lic) v graždanskom prave Rossijskoj Federacii, S. 9; m. w. N. Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7 (10). 503 OG, Plenarbeschluss vom 18.08.1992, Nr. 11, P. 11, siehe supra Kap. 2 Fn. 94. 504 „Fizičeskie ili nravstvennye stradanija“. 505 OG, Plenarbeschluss vom 20.12.1994, Nr. 10, P. 2. 506 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 59; Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 2, S. 1083. 507 Erdelevskij, Rossijskaja justicija 6 (1998), 19 (19).
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Rechte sein.508 Daher ist das Beibringen von Nichtvermögensschäden, Vermögensschäden und Schäden an einem Dritten mögliche Ursache des moralischen Schadens. Dies führt physisch zu negativem Empfinden und psychisch zu negativen Vorstellungen oder Erlebnissen, wie Angst, Scham, Demütigung oder anderen psychisch abträglichen Aspekten.509 Nach dem OG ist der moralische Schaden seinem Telos nach auf die Kompensierung von physischem oder psychischem Leid begrenzt.510 Begründet wird dies mit Art. 29 Verf. RF, Art. 10 EMRK und Art. 10 ZGB.511 All dies legt nahe, dass der moralische Schaden ein den natürlichen Personen vorbehaltenes Konstrukt ist. Dennoch finden sich Versuche der Begriffsbestimmung des moralischen Schadens in Bezug auf juristische Personen. Diese definieren ihn als nachteilige Folgen, die sich aus der Verletzung des Rechts der juristischen Person auf ungehinderte Erreichung der gesetzten Ziele ergeben und sich in der Unmöglichkeit äußern, die Ziele, die sich durch die Merkmale Genauigkeit, Messbarkeit und Realisierbarkeit kennzeichnen, innerhalb des von der Organisation festgelegten Zeitrahmens und entsprechend des festgelegten Vorgehens (wörtl. Rhythmus) zu erreichen.512 Nach Art. 1099 P. 3 ZGB besteht die Möglichkeit der Kompensation des moralischen Schadens allerdings nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen. In der bis 2013 geltenden Form des Art. 152 ZGB ließen sich nach P. 7 alle für Bürger vorgesehenen Ansprüche und Regelungen hinsichtlich der Geschäftsreputation auf juristische Personen anwenden. Obwohl der moralische Schaden als „physisches und psychisches Leid“ schon rein terminologisch für juristische Personen nicht zu passen schien, befand der OG in einem Plenarbeschluss vom 20.12.1994, dass die in Art. 152 P. 6 ZGB statuierte Regelung zur Kompensation des moralischen Schadens 508 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 64. 509 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 64. 510 So für Persönlichkeitsrechtsstreitigkeiten, OG, Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, mit der Änderung durch den Plenarbeschluss „Über die Einführung von Änderungen in den Plenarbeschluss des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation vom 15.06.2010 Nr. 16 ‚Über die gerichtliche Anwendungspraxis des Gesetzes der Russischen Föderation ›Über die Massenmedien‹‘“ („O vnesenii izmenenij v postanovlenie Plenuma Verchovnogo Suda Rossijskoj Federacii ot 15 ijunja 2010 g. №16 ‚O praktike primenenija sudami Zakona Rossijskoj Federacii ›O sredstvach massovoj informacii‹‘“), vom 16.09.2010, Nr. 21, P. 38. 511 Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 96, nennt allerdings neben der kompensatorischen Funktion auch den Präventionsgedanken. 512 Afanas’eva/Belova, Jurist 8 (2002), 29 (32), im Originalwortlaut: „Moral’nyj vred, pričinёnnyj juridičeskomu licu, – ėto otricatel’nye posledstvija, nastupivšie v rezul’tate narušenija prava juridičeskogo lica na besprepjatstvennoe dostiženie postavlennych celej i vyrazivšiesja v nevozmožnosti dostiženija pri prodolženii raboty v tom že ritme v tečenie opredelёnnych organizaciej srokov celej, otvečajuščich priznakami konkretnosti, izmerimosti, real’nosti.“
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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für natürliche Personen auch auf „Organisationen“ anwendbar seien.513 Dem stand die Rechtsprechung des Höchsten Arbitragegerichtshofs514 entgegen.515 Schon damals hielt die Arbitragegerichtsbarkeit die Anwendung der Regelungen zum moralischen Schaden aufgrund ihrer definitionsgemäßen Enge nicht für auf juristische Personen übertragbar. Bestätigt wurde die Rechtsprechung des OG von 1994 durch eine Entscheidung von 2005, in der dieser – trotz des Hinweises, die Geschäftsreputation sei für juristische Personen lediglich „eine der Bedingungen ihres erfolgreichen Tätigwerdens“516 – auf die vollständige Anwendbarkeit des Art. 152 ZGB auf juristische Personen einschließlich der Regelungen zum moralischen Schaden (Art. 152 P. 7 a. F. ZGB) hinwies.517 Klärung brachte auch die Schlafman-Entscheidung des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation nicht.518 Die Entscheidung betraf die Beschwerde einer natürliche Person,519 die die Verfassungsmäßigkeit des Art. 152 P. 7 ZGB (a. F., Art. 152 P. 11 ZGB n. F.) bestritt.520 Das Verfassungsgericht hielt die Beschwerde für unzulässig.521 Dennoch ließ es sich auf einige Ausführungen zur verfassungs- und völkerrechtlich begründeten Stellung des Reputationsschutzes juristischer Personen ein.522 Unter Berufung auf Art. 45 P. 2 und Art. 46 P. 1 Verf. RF, nach denen jedem das Recht zusteht, seine Rechte und Interessen 513 OG, Plenarbeschluss vom 20.12.1994, Nr. 10, P. 5, abrufbar unter: ; interessanterweise hatte das Plenum des OG dies 1992 noch anders gesehen, Plenarbeschluss vom 18.08.1992, Nr. 11, P. 11, 12, siehe supra Kap. 2 Fn. 94, außer Kraft getreten mit dem Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3. 514 Seit 2014 bildet allein der OG die oberste Instanz, dies gilt auch für Wirtschaftsstreitigkeiten, die sonst der Arbitragegerichtsbarkeit zugeordnet sind. Die Zuständigkeit des Höchsten Arbitragegerichtshof liegt nun beim OG, Art. 2 des Gesetzes zur Änderung der Verfassung „Über den Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation und die Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation“ („O Verchovnom Sude Rossijskoj Federacii i prokurature Rossijskoj Federacii“), vom 05.02.2014, Nr. 2-FKZ. 515 Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 05.08.1997, Nr. 1509/97, abrufbar unter: . 516 Im Gegensatz zu natürlichen Personen, für die sie ein Gut von Verfassungsrang ist, OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1. 517 Ob dieses Widerspruchs kritisch Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (133 ff.), der auf die Notwendigkeit der aus dieser Formulierung resultierenden unterschiedlichen Behandlung des Reputationsschutzes natürlicher und juristischer Personen verweist. 518 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O; die Entscheidung gehört dennoch zu den bedeutenden Entscheidungen zum Schadensersatz wegen der Persönlichkeitsverletzung juristischer Personen, siehe dazu die folgenden Ausführungen. 519 Mit dem Nachnamen „Schlafman“. 520 In Hinblick auf Artt. 4, 15, 17, 18, 19, 46, 55 Verf. RF. 521 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 3, insbesondere bescheinigte das Gericht der Beschwerde rechtsmissbräuchlichen Charakter. 522 Dabei hat die Entscheidung als eine Art gerichtliche Stellungnahme rein tatsächlichen Einfluss aufgrund des Gewichts der Rspr. des Verfassungsgerichts. Da es sich lediglich um eine Entscheidung der Ablehnung zur Annahme einer Verfassungsbeschwerde handelt, hat die Entscheidung (eigentlich) keine rechtliche Verbindlichkeit, dazu Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2005), 111 (112).
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
mit allen gesetzlich nicht verbotenen Mitteln zu schützen (Art. 45 P. 2 Verf. RF) und jedem gerichtlicher Schutz zum Schutz der Rechte und Interessen zusteht (Art. 46 P. 1 Verf. RF), stellte das Verfassungsgericht fest, dass eine juristische Person sich aufgrund des ihr zustehenden Schutzes ihrer Rechte und Interessen ebenso wie eine natürliche Person auf die in Art. 152 ZGB genannten Schutzmöglichkeiten berufen könne. Die Anwendbarkeit der jeweiligen Norm sei ausgehend von der Natur der juristischen Person zu bestimmen. Wörtlich führte das Gericht dann aus: „Zudem versagt das Fehlen eines direkten Hinweises im Gesetz auf eine Möglichkeit zum Schutz der Geschäftsreputation nicht die Berufung auf Ansprüche hinsichtlich der Kompensation von Verlusten, einschließlich immaterieller, die der Geschäftsreputation durch Herabwürdigung zugefügt wurden, oder hinsichtlich eines immateriellen Schadens, der seinen eigenen Inhalt hat (sich vom Inhalt des moralischen Schadens, der dem Bürger beigebracht wurde, unterscheidend), [und]523 der aus dem Wesen des verletzten immateriellen Rechts und dem Charakter der Folgen dieser Verletzung erwächst. Diese Folgerung beruht auf der Regelung des Art. 45 P. 2 Verf. RF, nach der jeder das Recht hat, eigene Rechte und Interessen mit allen Mitteln zu verteidigen, die nicht gesetzlich verboten sind“.524
Das Verfassungsgericht geht demnach davon aus, dass juristischen Personen Kompensationsansprüche offenstehen – obwohl eine entsprechende gesetzliche Grundlage fehlt. Das Gericht spricht dabei aber nicht von moralischen Schäden, sondern von immateriellen Verlusten und Schäden.525 Diese immateriellen Schäden seien vom moralischen Schaden zu unterscheiden und von eigenem Inhalt.526 Diese Rechtsprechung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen bleibt das Verfassungsgericht bei der Verwendung der korrekten Terminologien ungenau, wenn es gleichzeitig von „Kompensation von Verlusten“ und „immateriell“ spricht. Die Worte „Nichtvermögensschaden“ und „moralischer Schaden“ kommen in der Entscheidung des Gerichts nicht vor. Diese Ungenauigkeit hätte wohl noch verziehen werden können, hätte das Verfassungsgericht nicht den Zusatz „immaterielle(r) Schaden […] eigenen In523 Anm. und Hervorh. durch die Verfasserin. 524 „Pri ėtom otsutstvie prjamogo ukazanija
v zakone na sposob zaščity delovoj reputacii juridičeskich lic ne lišaet ich prava pred”javljat’ trebovanija o kompensacii ubytkov, v tom čisle nematerial’nych, pričinёnnych umaleniem delovoj reputacii, ili nematerial’nogo vreda, imejuščego svoё sobstvennoe soderžanie (otličnoe ot soderžanija moral’nogo vreda, pričinёnnogo graždaninu), kotoroe vytekaet iz suščestva narušennogo nematerial’nogo prava i charaktera posledstvij ėtogo narušenija (punkt 2 stat’i 150 GK Rossijskoj Federacii). Dannyj vyvod osnovan na položenii stat’i 45 (čast’ 2) Konstitucii Rossijskoj Federacii, v sootvetstvii s kotorym každyj vprave zaščiščat’ svoi prava i svobody vsemi sposobami, ne zapreščennymi zakonom“, Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2. 525 Dennoch spricht das Vfg. in der Schlafman-Entscheidung von „ubytki“ in Zusammenhang mit immateriellen Verlusten „nematerial’nye ubytki“. 526 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2.
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halt[s]“ hinzugefügt. Das Verfassungsgericht führte damit nicht nur den Terminus „immaterieller Schaden“ ein, sondern ließ erkennen, dass es eine weitere Schadensart „eigenen Inhalt[s]“ anerkennt.527 In der Folge etablierte sich in Teilen der Rechtsprechung und Literatur der sog. „Reputationsschaden“.528 Nichtsdestotrotz blieb die Frage nach der konkreten Kompensationsmöglichkeit von Nichtvermögensschäden bei juristischen Personen und ihrer Ausgestaltung weiterhin offen. In diesem Zusammenhang überraschend erscheint daher auch der 2005 ergangene Plenarbeschluss des OG, nach dem auch die Regelungen zum moralischen Schaden auf juristische Personen Anwendung finden müssen.529 Partielle Klarheit brachte die Gesetzesnovelle aus dem Jahre 2013, in deren Zuge, wie bereits erwähnt, Art. 152 ZGB so abgeändert wurde, dass P. 11 die entsprechende Anwendung der Kompensation des moralischen Schadens auf juristische Personen explizit ausschließt.530 Während sich früher – vor der gesetzlichen Novelle von 2013 – einige Stimmen für eine Anwendung der Regelungen zum moralischen Schaden auf juristische Personen aussprachen,531 ist die ganz herrschende Meinung532 heute daher der Auffassung, dass eine juristische Person keinen Anspruch auf Kompensation des moralischen Schadens nach Art. 152 P. 9, 11 ZGB hat. Ebenso ist allgemein anerkannt, dass Art. 151 ZGB nur auf natürliche Personen Anwendung findet.533 Die Rechtsprechung hat dies mittlerweile – u. a. mit dem Verweis auf die fehlende Möglichkeit einer juristischen Person, Leid zu empfinden534 – übernommen.535 Der Gesetzesänderung, der darauf bezogenen wissenschaftlichen Rezeption und der Rechtsprechung kann folglich entnommen werden, dass der 527
Ohne dass dieser „eigene Inhalt“ näher ausgeführt wurde. der Rspr. schon Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 26.05.2006, Sachnr. A05-9136/2005–23; in der Literatur Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 49, aus: Konsul’tant Pljus; Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 1 f.; Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (157 f.); Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (17 f.); Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (106 f.). 529 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 15. 530 Siehe dazu bereits eingangs unter B. 531 Maleina, Zakon 10 (1995), 102 (105); Afanas’eva/Belova, Jurist 8 (2002), 29 (29 ff.), die aber von einem Unterschied im Begriff des moralischen Schadens für natürliche und juristische Personen ausgehen; vgl. auch die Zusammenfassung bei Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 95–96. 532 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (157), der den moralischen Schaden als einen „der unglücklichsten Termini des Zivilgesetzbuchs von 1994“ bezeichnet, Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (133 f.); Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii; Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (17); Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 899; Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 144. 533 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (92); Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 145. 534 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14. 535 OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015. 528 In
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
moralische Schaden naturgemäß kein auf juristische Personen anwendbares Institut ist.536 Die Absage an dessen Kompensation bedeutet zudem einen Gleichlauf mit Art. 1064 P. 1 ZGB, der sich nur auf das Vermögen juristischer Personen bezieht. Im deutschen Recht haben juristische Personen grundsätzlich keinen Anspruch auf Ersatz von Nichtvermögensschäden bei Verletzung sonstiger Rechte nach § 823 I BGB. Dies gilt für das allgemeine Persönlichkeitsrecht ebenso wie für den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Die Rechtsprechung begründet dies mit dem allein auf natürliche Personen anwendbaren Zweck der Geldentschädigung, der Genugtuung.537 Zudem nennt § 253 II BGB kein für juristische Personen geltendes Schutzgut. Die dogmatische Konstruktion über Art. 2 I, 1 I GG, wie sie für natürliche Personen entwickelt wurde, ist mangels Würdebezug der juristischen Person nicht auf diese anwendbar.538 Mangels Berufungsmöglichkeit einer juristischen Person auf Art. 1 GG539 fehlt hier von vornherein die dogmatische Grundlage.540 Konsequent verneint auch die Rechtsprechung einen solchen Entschädigungsanspruch.541 Diese Rechtsgrundsätze gelten ebenso für das Wettbewerbsrecht (§ 9 UWG)542 und das Markenrecht (§ 14 MarkenG).543 Für den Bereich des geistigen Eigentums existiert im Rahmen der Anordnung des § 253 I BGB die Norm des § 97 II 4 UrhG. Dieser ist allerdings ebenfalls nur auf natürliche Personen anwendbar.544 § 824 BGB bezieht sich ohnehin nur auf Vermögensschäden. 536 Anders noch in zwei Entscheidungen von Moskauer Gerichten, zit. in OG, Entscheidung vom 14.06.2011, Nr. 5-V11-49, ebenso sehr diffus Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 10.12.2018, Nr. А40-2791/2017, das einerseits nach der Entscheidung des OG vom 24.02.2005, Nr. 3, den Anspruch auf Ersatz des moralischen Schadens auch auf juristische Personen anwenden will, gleichzeitig aber die Schlafman-Rspr. zitiert, die gerade von der grundsätzlichen Unanwendbarkeit jedenfalls der Regelungen des Art. 152 ZGB auf juristische Personen in Bezug auf den moralischen Schaden ausgeht und vor diesem Hintergrund ihre Rspr. mit Verweis auf Art. 45 Verf. RF begründen muss, ebenso die Appellationsinstanz mit dem 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 12.03.2019, Nr. 09AP-35959/2017 (abweichend dann aber die erste Kassationsinstanz, Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 24.06.2019, Nr. F05-18214/2017). 537 BGH, Urteil vom 08.07.1980 – VI ZR 177/78, NJW 1980, 2807 (2810); anders bei Religionsgesellschaften, vgl. BGH, Urteil vom 25.09.1980 – III ZR 74/78, NJW 1981, 675 (667). 538 Explizit so seit BGH, Urteil vom 05.12.1995 – VI ZR 332/94, NJW 1996, 984 (985). 539 Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 224; Dreier, in: Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 86; Lang, in: BeckOK Grundgesetz, Art. 1 Rn. 6. 540 Nach Rixecker, in: MüKo, Anhang zu § 12 Rn. 375, soll für nichtwirtschaftliche Vereine und Gesellschaften eine Geldentschädigung wegen des zu geringen Schutzes bei alleiniger Möglichkeit von quasi-negatorischen Ansprüchen möglich sein. 541 BGH, Urteil vom 08.07.1980 – VI ZR 177/78, NJW 1980, 2807 (2810). 542 Fritzsche, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, § 9 Rn. 90a, der Entschädigungsansprüche nur insofern für denkbar hält, als es die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen betrifft. 543 Goldmann, in: BeckOK Markenrecht, § 14 Rn. 737, 752. 544 Specht, in: Dreier/Schulze UrhG, § 97 Rn. 96.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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b) Sonstiger Nichtvermögensschaden Trotz dieser expliziten Begrenzung bleibt die Diskussion um die Kompensation von Nichtvermögensschäden für juristische Personen erhalten.545 Begründet werden kann dies mit der geringen Erfolgsaussicht der Klagen auf Ersatz von Vermögensschäden. Nach Trofimova reiche die Möglichkeit zum Ersatz von Vermögensschäden schlichtweg nicht aus, um die Geschäftsreputation nach ihrer Schädigung „wiederherzustellen“.546 Eng damit zusammen hängt die Frage der Charakterisierung der Geschäftsreputation. Ob die Geschäftsreputation der juristischen Person immaterielles Gut nach Art. 150 ZGB ist oder als Teil der zum Vermögen zu zählenden Zivilrechtsobjekte i. S. v. Art. 128 ZGB zu sehen ist,547 hat unmittelbaren Einfluss auf die Frage der Haftungsausfüllung im Bereich der Nichtvermögensschäden. Dabei geht es darum, ob eine juristische Person neben dem (materiellen) Schadensersatz überhaupt Anspruch auf den Schutz von Nichtvermögensschäden hat. Nur wenige Vertreterinnen propagieren einen vollumfänglichen Ausschluss: Art. 152 P. 11 ZGB schließe nicht nur den moralischen Schaden aus, sondern beziehe sich dabei ganz grundsätzlich auf den Ausschluss von Nichtvermögensschäden.548 Der weitaus größere Teil der Stimmen spricht sich für diese Möglichkeit aus. Zwar lehnt die neuere Rechtsprechung wie auch die Literatur549 die Anwendung der Ansprüche hinsichtlich des moralischen Schadens auf juristische Personen zu Recht ab. Die Forderung nach einer festen Verankerung eines Anspruchs auf den Ersatz von Nichtvermögensschäden findet aber mehrheitlich Zustimmung.550 Kompensationsansprüche für Nichtvermögensschäden werden im Persönlichkeitsrecht auch als das wichtigste 545 Darunter nur die Beiträge von Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92; Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii; Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17; Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157; Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7; P’jankova/Gavrilov, Vestnik arbitražnoj praktiki 3 (2016), 1. 546 Trofimova, Vestnik Omskogo universiteta 3 (2009), 244 (247). 547 Siehe dazu bereits oben Kap. 5 A. IV. 548 Djubko, Zaščita nematerial’nych blag i neimuščestvennych prav graždan i juridičeskich lic v graždanskom prave Rossii, S. 119, geht davon aus, dass der Gesetzgeber juristischen Personen nur Vermögensschäden ersetzen will, spricht sich aber für das Institut des Reputationsschadens als ersatzfähigen Nichtvermögensschaden aus; angedeutet auch bei Kozlova, Pravosub”ektnost’ juridičeskogo lica, S. 31 f., aus: Konsul’tant Pljus. 549 Siehe supra Fn. 531, 532. 550 Trofimova, Vestnik Omskogo universiteta 3 (2009), 244 (244); Gavrilov, Vestnik ėkonomičeskogo pravosudija Rossijskoj Federacii 9 (2015), 18 (18 ff.); Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7 (7 ff.), plädiert für den Ersatz „immaterieller Schäden“ juristischer Personen bei Rufschädigung; schon früh plädierte für die Kompensation von „Nichtvermögensschäden“ für juristische Personen Sanžarova, Arbitražnaja praktika 11 (2005), 3 (6); Afanas’eva/Belova, Jurist 8 (2002), 29 (32), sprechen sich für eine Art „eigenen“ Anspruch juristischer Personen auf Ersatz des moralischen Schadens aus; wohl auch Smolina, Zaščita delovoj reputacii organizacii, S. 151, aus: Konsul’tant Pljus.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Schutzinstrumente verstanden.551 Das Hauptargument bildet die fehlende Deckungsgleichheit des moralischen Schadens mit dem Nichtvermögensschaden. Daher könne eine juristische Person diese durchaus geltend machen.552 So sei die Gleichsetzung von moralischem und immateriellem Schaden im Hinblick auf juristische Personen ungerechtfertigt. Das Fehlen einer gesetzlichen Verankerung eines Anspruchs für juristische Personen auf Kompensation eines immateriellen Schadens sei ein Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip im Vergleich von natürlichen und juristischen Personen.553 Ähnlich argumentiert auch die Rechtsprechung. Die explizite Nennung des „moralischen“ Schadens sperre nicht die Möglichkeit zur Kompensation sonstiger Nichtvermögensschäden.554 Indes scheinen diese Befürworter die gesetzgeberische Entscheidung von 2013 in Art. 152 P. 11 ZGB nicht zu berücksichtigen. Ebenso wenig wird diskutiert, inwiefern es sich bei den Folgen einer Verletzung der Geschäftsreputation juristischer Personen um Nichtvermögensschäden handeln kann.555 In den wenigen Ausführungen dazu wird schlicht angenommen, dass jedenfalls „immaterielle Folgen“ bestehen können.556 Diese bestünden im Verfall der positiven Meinung über eine Organisation im Hinblick auf ihre geschäftlichen Qualitäten in den Augen der Öffentlichkeit und des wirtschaftlichen Verkehrs.557 Daraus ergeben sich folgende Fragen: Welche Nichtvermögensschäden können juristische Personen überhaupt erleiden? Daran anschließend, aber davon isoliert zu betrachten: Sollen diese immateriellen Folgen kompensiert werden?558 Da das ZGB aber aus den Nichtvermögensschäden nur den moralischen Schaden kennt, stellt sich die Frage nach der dogmatischen Begründung einer solchen Schadensposition bzw. eines darauf bezogenen Ersatzanspruchs juristischer Personen. Die Annahme einer (direkten) Analogie zu Art. 152 P. 9 ZGB hinsichtlich des moralischen Schadens wäre ein Verstoß gegen die Wortlautgrenze. Mehrheitlich wird (daher) versucht, dies über den Reputationsschaden zu lösen. 551 Siehe nur Golubev/Narižnij, Kompensacija moral’nogo vreda kak sposob zaščity neimuščestvennych blag ličnosti, S. 58, bezeichnet den Anspruch auf Kompensation für immaterielle Schäden als das wichtigste Instrument zum Schutz der Persönlichkeit. 552 Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7 (9). 553 P’jankova/Gavrilov, Vestnik arbitražnoj praktiki 3 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus. 554 OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015. 555 So nur bei Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 145. 556 So führt etwa Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 145, an, dass immaterielle Schäden in Form von der Versagung von Krediten, Unattraktivität als Arbeitgeber usw. auftreten können. 557 Mit Verweisen auf verschiedene Gerichtsurteile Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (110). 558 Siehe dazu unter 3. f )–h) dieses Kapitels.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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3. Reputationsschaden Die Aussage des Verfassungsgerichts, der moralische Schaden sei gerade nicht mit jeglichem Nichtvermögensschaden gleichzusetzen, ein Anspruch auf Kompensation eines (sonstigen) Nichtvermögensschadens sei im Hinblick auf Art. 45 P. 2 Verf. RF also durchaus möglich, entfachte eine anhaltende Diskussion hinsichtlich der Anspruchsberechtigung juristischer Personen.559 Häufig wird vertreten,560 dass die derzeitige Gesetzgebung insofern eine Lücke aufweise.561 Daraus ergebe sich nach Ansicht vieler die Forderung nach der Kodifizierung eines Kompensationsanspruchs für den sog. Reputationsschaden.562 Die Bezeichnung „Reputationsschaden“ selbst ist ein Ergebnis der russischen rechtswissenschaftlichen Literatur.563 Sein Gebrauch ist mittlerweile auch in der Rechtsprechung verankert.564 Viele Unternehmen rufen die Gerichte mit dem Bestreben an, Kompensation für (nun nicht mehr moralische) Reputationsschäden zu erlangen.565 Gleichwohl ist das Konzept nicht unumstritten. Im Folgenden wird der Reputationsschaden hinsichtlich seiner Herleitung (a)), seines Begriffs (b)), der Voraussetzungen des darauf bezogenen Anspruchs (c)), seines Inhalts und seiner Berechnung (d)), der damit verbundenen beweisrechtlichen Fragen (e)) und seiner Rezeption in der Praxis (f )) und der Literatur (g)) beleuchtet. Die Erkenntnisse werden unter (h)) zusammenfassend betrachtet. 559 So auch Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1, aus: Konsul’tant Pljus, passim. 560 Ledovskich, Vestnik voronežskogo gosudarstvennogo universiteta 2 (2006), 141 (147); Bass, Biznes v zakone 2 (2008), 218 (218 f.); Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (157 ff.); Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (17 ff.); Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 73; nach Nuždin, Pravo i Ėkonomika 10 (2008), 113 (115), soll Kapitel 8 des ZGB in zwei Teile geteilt werden. Teil eins soll die geltenden Normen (mit Ausnahme des Art. 152 P. 11 ZGB) abbilden. Im zweiten Teil sollen die Nichtvermögensgüter juristischer Personen definiert werden, nach deren Verletzung die Kompensation für den erlittenen Reputationsschaden geltend gemacht werden kann. 561 Ohne dies zu vertreten sprechen Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12, von den vom Gesetz „direkt nicht vorhergesehenen […] und auch nicht definierten“ immateriellen Verluste. 562 Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (25); Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018); a. A. Nochrina, Pravovedenie 3 (2014), 244 (248), die den Reputationsschaden grundsätzlich als ersatzfähig ansieht, hierfür aber nicht die Notwendigkeit einer neuen Anspruchsgrundlage sieht; Šišenina, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 7 (2008), 24 (27). 563 So Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (12). Unklar ist, wann dieser Begriff erstmals eingeführt wurde. 564 Der OG nicht immer, siehe etwa die Definition in Fn. 431, bei der der OG von „Schaden, der der Geschäftsreputation beigebracht wird“, spricht, aber nicht ausdrücklich vom Reputationsschaden. 565 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14; Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Entscheidung vom 11.09.2008, Nr. KGA40/8303–08, Sachnr. A40-32184/07-15-181; Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Entscheidung vom 26.05.2006, Sachnr. A05-9136/2005–23.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
a) Herleitung Den Grundstein zur Entwicklung des Reputationsschadens legte das Verfassungsgericht in der Schlafman-Entscheidung.566 Hier wird erstmals vom „immateriellen Schaden“ und der Möglichkeit seiner Kompensation nach dem russischen Recht gesprochen. Primär begründet das Verfassungsgericht das Bestehen dieser mit Art. 45 P. 2 Verf. RF und dem darin verankerten Recht eines jeden, seine Rechte und Interessen mit allen nicht gesetzlich verbotenen Mitteln zu verteidigen.567 Besondere Bedeutung kommt daneben dem Verweis auf die Comingersoll-Rechtsprechung des EGMR zu.568 Der EGMR definiert dort den Nichtvermögensschaden als Entschädigung für Ängste, Unannehmlichkeiten und Unsicherheiten, die durch die Verletzung entstanden sind, und andere nicht geldwerte Verluste.569 Zudem hält er es nicht für ausgeschlossen, dass juristische Personen in bestimmten Situationen Kompensationsansprüche für immaterielle Schäden geltend machen können.570 Im Rahmen des Klagegrundes spielen nach dem EGMR die Geschäftsreputation, Planungsunsicherheiten, Unterbrechungen im Management und – zu einem geringeren Grade – Ängste und Unannehmlichkeiten der Führungsmitarbeiter eine Rolle.571 Das russische Verfassungsgericht begründet darauf aufbauend, dass juristische Personen von
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Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2. bereits supra Fn. 524, warum aus dieser weiten Formulierung gerade das Recht auf die Kompensation von immateriellen Schäden folgen soll, bleibt offen, ebenso wenig beantwortet das Gericht (in dieser oder einer anderen Entscheidung) die sich aufdrängende Frage, wie dies in Verhältnis zu den Rechten und Interessen anderer Personen steht. 568 Nach Gavrilov, Prava čeloveka 4 (2009), 34 (35), ist die Position des EGMR zur Frage des immateriellen Schadens die für russische Gerichte am schwierigsten Umsetzbare. 569 „[…] non-pecuniary damage, that is reparation for the anxiety, inconvenience and uncertainty caused by the violation, and other non-pecuniary loss.“ 570 Dies gilt für Unternehmen seit EGMR (Große Kammer), Urteil vom 06.04.2000 – 35382/97 (Comingersoll/Portugal), davor schon für Parteien, allerdings wegen des Leides der Parteimitglieder nach EGMR (Große Kammer), Urteil vom 08.12.1999 – 23885/94 (ÖZDEP/Turkey), für Vereinigungen nach EGMR, Urteil vom 19.12.1994 – 15153/89 (Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs/Österreich); anders noch in EGMR, Urteil vom 11.01.2000 – 31457/96 (News Verlags GmbH & Co. KG/Austria), hier ließ das Gericht die Frage offen, ob eine Gesellschaft für Reputationsverlust immaterielle Schäden geltend machen kann und befand die Bejahung der Verletzung durch den beklagten Staat für ausreichende Genugtuung, vgl. P. 64–66. 571 EGMR (Große Kammer), Urteil vom 06.04.2000 – 35382/97 (Comingersoll/Portugal), im Wortlaut: „Non-pecuniary damage suffered by such companies may include heads of claim that are to a greater or lesser extent ‚objective‘ or ‚subjective‘. Among these, account should be taken of the company’s reputation, uncertainty in decision-planning, disruption in the management of the company (for which there is no precise method of calculating the consequences) and lastly, albeit to a lesser degree, the anxiety and inconvenience caused to the members of the management team.“ 567 Siehe
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der Möglichkeit der Geltendmachung immaterieller Schäden572 im russischen Recht nicht ausgenommen werden können.573 Dieser Entscheidung entsprangen insbesondere in der Literatur Überlegungen zu „immateriellen Schäden“. Uneinigkeit bestand und besteht hinsichtlich der verwendeten Terminologie.574 Insbesondere von Gavrilov575 und Archipov576 wird diesbezüglich Kritik an der Schlafman-Rechtsprechung geübt. Gefolgt wird dem Verfassungsgericht nur insoweit, als es um die grundsätzliche Anspruchsberechtigung juristischer Personen geht, nicht aber in Hinblick auf die verwendeten Begrifflichkeiten. Da gem. Art. 15 P. 2 ZGB „Verluste“577 nur vermögensmäßige sein können, sei der Terminus „immaterielle Verluste“578 – gleichsam als contradictio in adiecto – abzulehnen. Daher solle im Kontext von „Schaden“579 immer von „vermögensmäßig“ oder „nicht vermögensmäßig“580 gesprochen werden. Gavrilov verweist zudem auf die begrifflichen Unterschiede zwischen dem „non-pecuniary damage“ als „Schaden, der nicht in Geld bezifferbar ist“581 und dem Begriffsverständnis des moralischen Schadens im russischen Recht. Da der Begriff im russischen Recht enger sei, müsse, um der EGMR-Rechtsprechung im russischen Recht Geltung zu verschaffen, ein weiterer Begriff für juristische Personen gewählt werden – der „immaterielle Schaden“.582 Nach Gavrilov sind der moralische und der immaterielle Schaden zwar ähnlich, aber nicht deckungsgleich. Der immaterielle Schaden habe einen anderen, von dem moralischen Schaden zu unterscheidenden Inhalt. Daher sei die Kompensation des immateriellen Schadens zulässig.583 Trotz der terminologischen Unklarheit sprachen die Gerichte juristischen Personen entweder Kompensation des moralischen Schadens oder Ersatz des immateriellen Schadens zu.584 572 Im Russischen übersetzt als „immateriell“/„nematerial’nyj“ oder „nichtvermögensmäßig“/„neimuščestvennyj“. 573 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2. 574 Gavrilov, Jurist 16 (2016), 37 (37 ff.); ablehnend gegenüber dem Begriff „immaterieller Schaden“ ohne Begründung Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (160). 575 Gavrilov, Jurist 16 (2016), 37. 576 Nach Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (157), trägt daran auch die unklare Zuordnung der Geschäftsreputation im Bereich der Artt. 150 ff. ZGB Schuld. Dies führe zur Annahme „mythischer ‚immaterieller Schäden‘“/„mifičeskich ‚nematerial’nych ubytkov‘“. 577 „Ubytki“. 578 „Nematerial’niye ubytki“. 579 „Vred“. 580 „Imuščestvennyj“ und „neimuščestvennyj“. 581 Gavrilov, Jurist 3 (2016), 7 (10). 582 Gavrilov, Vestnik ėkonomičeskogo pravosudija Rossijskoj Federacii 9 (2015), 18 (20). 583 Ohne allerdings näher auf den Inhalts des immateriellen Schadens einzugehen, Gavrilov, Jurist 16 (2016), 37 (39). 584 Ausdrücklich OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 15; 5. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 04.08.2015, Nr. 05AP-6691/2015, Sachnr. A51-6980/2015;
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b) Begriff Nach dem OG ist unter Reputationsschaden die „Schmälerung der Geschäftsreputation, die insbesondere durch das Vorliegen von materiellen Verlusten zu Tage tritt, bedingt durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen und anderer nachteiliger Folgen in Gestalt des Verlustes der positiven Meinung in Bezug auf die geschäftlichen Qualitäten in den Augen der (Geschäfts-) Öffentlichkeit, Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, Unmöglichkeit der geschäftlichen Planung“ zu verstehen.585 Die Rechtsprechung trennt in ihrer Definition nicht zwischen der Verletzungshandlung (Verbreitung) und den Folgen, die den Schaden ausmachen (wie dem gesunkenen Vertrauen und den daraus resultierenden materiellen Schäden). So nahm ein Gericht an, dass der Reputation des Klägers dadurch Schaden zugefügt worden sei, dass wegen falscher Behauptungen des Beklagten über das gesetzeswidrige Verhalten eines Mitbewerbers die gesellschaftliche Meinung negativ beeinflusst wurde.586 In der Literatur findet sich – sofern ein Definitionsversuch unternommen wird – die Definition der „Schmälerung der Geschäftsreputation einer juristischen Person und die damit verbundenen nachteiligen Folgen immateriellen Charakters, welche sich in Form der schwindenden positiven Einstellung zu dieser Person seitens der Geschäftspartner, Kunden und der Gesellschaft insgesamt äußern“.587 Zumeist versteht die Literatur den Reputationsschaden per definitionem immateriell und sieht ihn bereits darin, dass sich das Bild der Außenwelt auf negative Weise verändert.588 Dies ist, im Falle der Anerkennung Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14, bestätigt durch die Appellationsinstanz, 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 29.12.2014, Nr. 09AP-53615/2014-GK und die Kassationsinstanz, Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 21.04.2015, Nr. F05-3875/2015, dabei stützen sie sich entweder auf Art. 152 P. 9 ZGB oder schweigen sich über die konkrete Normanbindung aus; auch die Unterscheidung zwischen dem moralischen und dem immateriellen Schaden ist in der Rechtsprechung unklar. 585 OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015, „Pod vredom, pričinёnnym delovoj reputacii, sleduet ponimat’ vsjakoe eё umalenie, kotoroe projavljaetsja, v častnosti v naličii u juridičeskogo lica ubytkov, obuslovlennych rasprostraneniem poročaščich svedenij i inych neblagoprijatnych posledstvijach v vide utraty juridičeskim licom v glazach obščestvennosti i delovogo soobščestva položitel’nogo mnenija o ego delovych kačestvach, utraty konkurentnosposobnosti, nevozmožnosti planirovanija dejatel’nosti i t. d.“; in der Folge zugesprochen wegen Behauptungen, die das Ansehen eines Unternehmens wegen eines vermeintlichen Gesetzesverstoßes schmälern konnten, etwa Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 10.12.2018, Nr. А40-2791/2017 (bestätigt in allen Instanzen bis zum OG, Entscheidung vom 21.10.2019, Nr. 305-ĖS18-3354). 586 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.09.2014, Sachnr. A40-54340/14. 587 Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (17). 588 Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (17); zum Reputationsschaden als Nichtvermögensschaden bei Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 158; Archiereev, Graždansko-pravovaja zaščita delovoj reputacii juridičeskich lic v Rossijskoj Federacii, S. 150; Borina, Zaščita delovoj reputacii juridičeskogo lica, S. 77.
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des Reputationsschadens vor dem Hintergrund seiner Entstehung, die konsequentere Definition, wenn man annimmt, dass der Reputationsschaden in die Lücke tritt, die die Nichtanwendung des moralischen Schadens hinterlässt. Der auf die Geschäftsreputation bezogene Rechtsschutz wird benannt als „Möglichkeit des gerichtlichen Schutzes in Form der Geldforderung589 wegen durch die Verletzung von Vermögens- und (oder) persönlichen Nichtvermögensrechten der juristischen Person hervorgerufenen ungünstigen Folgen immateriellen Charakters, welche der genauen Wertbezifferung nicht zugänglich und nachteilig, sowie substanziell für die juristische Person sind“.590 Die Gerichte verstehen unter der Kompensation eine Form des Schutzes, die zwar in Geld ausgedrückt wird, aber kompensatorischen Charakter hat, die also kein Äquivalent des verletzten Rechtsguts darstellt.591 Teilweise wird auch die Rufschädigung selbst als Schaden eingeordnet.592 Damit verbunden ist die Frage der konkreten Bezifferung des Wertes der Geschäftsreputation. Der infolge der Verbreitung diffamierender Äußerungen entstandene Schaden an der Geschäftsreputation und dessen Festlegung wird als Frage der Kompensation von Nichtvermögensschäden betrachtet.593 Dabei ist der bezifferbare Wert der Geschäftsreputation – wie oben gesehen594 – nur für Vermögensschäden relevant. Dies hat mit dem Zweck der Schadensersatzzahlung für erlittene Vermögensschäden einerseits und den Kompensationszahlungen für Nichtvermögensschäden andererseits zu tun. Während erstere den Schaden „ersetzen“ sollen, also an die Stelle des Schadens treten,595 haben Kompensationszahlungen die Aufgabe, einen Ausgleich für den Schaden zu schaffen, der gerade nicht geldmäßig bezifferbar ist.596 Wenn aber in den russi589
„Denežnoe vzyskanie“. Gavrilov, Jurist 16 (2016), 37 (37). So Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14. 592 Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (24). 593 Arbitragegericht des Kreises Perm, Urteil vom 25.02.2009, Sachnr. A50-17593/2008, im Urteil wird durch die Verbreitung der Äußerungen die Verschlechterung der Reputation als Schaden eingeordnet. Dabei wird ohne Konkretisierung dieser auf negative Folgen verwiesen, nämlich Einkommensverluste, die sich üblicherweise an diese Schädigung anschließen. Diese wird dann nach den Normen zum moralischen Schaden geprüft. Im Ergebnis werden der Klägerin, hier einer Bank, 425 000 Rub. für „immateriellen Schaden“ zugesprochen; die Appellationsinstanz bejaht die Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts in der Folge, reduziert aber den zugesprochenen Betrag auf 50 000 Rub. vor dem Hintergrund der geringen Auflagenmenge der Zeitung der Beklagten, wegen der geringen Reichweite der Äußerung (keine Verbreitung im Internet) und wegen des selbstständigen Widerrufs der Äußerung durch die Beklagte, 17. Arbitrageappellationsgericht, 17.04.2009, Nr. 17AP- 2431/2009-GK; in der Literatur so bei P’jankova/Gavrilov, Vestnik arbitražnoj praktiki 3 (2016), 1 (6), aus: Konsul’tant Pljus; Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (106 ff.). 594 Siehe supra Kap. 5 A. IV. 3. 595 Daher werde der materielle Schaden auch grundsätzlich in voller Höhe erstattet, Sergeev, in: Kommentarij k graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 15 P. 3, S. 44. 596 Maleina, Zakon 10 (1995), 102 (103), die allerdings auch den Strafcharakter betont. 590 591
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schen Rechtswissenschaften die Frage der Bemessung thematisiert wird, liegt es in der Natur der Frage, ob der Bezugsposten auch messbar ist. Dementsprechend handelt es sich immer um eine Problematik, die im Rahmen des Ersatzes von Vermögensschäden relevant werden müsste. So vertritt auch Erdelevskij die Ansicht, dass die Schädigung der Geschäftsreputation zu den Vermögensschäden zu zählen sei. Die Schädigung stelle per se einen Teil der möglichen Schäden dar, die das Resultat der Verbreitung verunglimpfender Äußerungen sein könnten.597 Dabei sind zwei Dinge zu trennen. Zum einen stellt die Rufschädigung selbst nicht den Schaden, sondern die rechtswidrige (Verletzungs-)Handlung dar.598 Zum anderen kann die Geschäftsreputation nur als Gegenstand des Buchwertes599 Bezugspunkt eines Schadens sein. Ihre Schädigung – die alleinige Tatsache, dass das Ansehen geschrumpft, der Ruf nachteilig verändert ist – ist nur in ihren Folgen ersatzfähig, nämlich dann, wenn sich die Rufveränderung aufgrund substanzieller Einbußen (reeller Verluste, entgangener Gewinne) materialisiert.600 Jede Schädigung des Rufes ist stets dann materieller Schaden, wenn sie sich zu konkreten Verlustposten verdichtet hat. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die juristische Person Ehrgefühl hätte, die Rufschädigung also „fühlen“ könnte, was ihrem Konstrukt widerspricht.601 Diese Überlegung wird durch die entsprechende gerichtliche Praxis bestätigt. Die Schadensposten, die die Gerichte im Tenor zusprechen, sind keine Kompensationszahlungen für die erlittene Schädigung, sondern Ersatzzahlungen für nicht bezifferbare bzw. beweismäßig nicht darlegungsfähige materielle Schäden. Dieser klandestine Charakter wird auch schon in der vom OG602 entwickelten Definition deutlich, die die Unbezifferbarkeit bzw. die bloße Möglichkeit des Schadens in sich trägt. Dieselbe Frage stellte sich auch für das deutsche Lauterkeitsrecht im Bereich der „Marktverwirrungsschäden“. Nach der Rechtsprechung stellt die Rufschädigung selbst nur einen Störzustand dar, dem nur mit Unterlassungsansprüchen zu begegnen ist. Ansprüche auf Ersatz der Kosten, die zur Beseitigung der Schädigung nötig sind, können nur bei weiteren „echten“ Vermögenseinbußen geltend gemacht werden.603 597
Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (100). so auch zum „eigentlichen“ Marktverwirrungsschaden, Fritzsche, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, § 9 Rn. 77, 78. 599 Siehe dazu Kap. 5 Fn. 102; dies kann indes nur für den derivativen Firmenwert des Goodwill gelten, vgl. dazu Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 19 f.; siehe auch im deutschen Recht die Regelung in § 248 II HGB, Ballwieser, in: MüKo HGB, § 248 Rn. 14. 600 Dies stellt sogar auch die russische Rspr. selbst fest, vgl. Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 03.02.2015, Nr. F05-16333/2014, Sachnr. A40-33496/14. 601 Zur Natur der juristischen Person im russischen Recht, vgl. supra Kap. 4. 602 Siehe supra Fn. 585, der OG verweist auf die „Folgen“; noch deutlicher wird dies in der Definition, die sich in der Literatur findet, vgl. Fn. 587. 603 Nach dem BGH besteht der Schaden „[…] dabei erst in der entsprechenden Einbuße; 598 Vgl.
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c) Voraussetzungen Mit der Entwicklung des Reputationsschadens einher ging die Annahme eines „Anspruchs auf Kompensation des Reputationsschadens“.604 Teilweise sprechen die Gerichte aber auch vom „Anspruch auf Ersatz des Reputationsschadens“605 oder der „Möglichkeit der Forderung des Schadens, der der Geschäftsreputation zugefügt wurde“.606 Nach einem Leiturteil von 2012 aus der Arbitragegerichtsbarkeit607 ist das Vorliegen der allgemeinen deliktsrechtlichen Voraussetzungen gem. Art. 1064 ff. ZGB Voraussetzung für diesen Ersatzanspruch. Zu diesen Voraussetzungen gehören die rechtswidrige Handlung des Beklagten, der Eintritt nachteiliger Folgen für den Kläger infolge dieser Handlung und die Kausalität zwischen der Handlung und der Entstehung der nachteiligen Folgen. Das Arbitragegericht verlangt nicht – obwohl auch dieses zu den allgemeinen Voraussetzungen gehört – das Vorliegen des Verschuldens. Hierbei verweist es auf Art. 1100 ZGB. Dieser schließt das Verschulden für Ansprüche auf Kompensation des moralischen Schadens bei Reputationsverletzungen608 von den allgemeinen Haftungsvoraussetzungen aus. Neben diese allgemeinen Voraussetzungen treten weitere reputationsspezifische Voraussetzungen. Der Kläger muss die Tatsache einer „sich entwickelten Geschäftsreputation“609 ebenso beweisen wie die Tatsache eines Vertrauensverlustes in diese Reputation. Der Kausalitätsnachweis erfordert zudem den Nachweis der „realen Einflussmöglichkeit der Handlungen des Beklagten auf die Bildung der Meinung Dritter über den Kläger“.610 denn die Marktverwirrung stellt als solche lediglich einen Störungszustand dar, dem mit Abwehransprüchen zu begegnen ist“, BGH, Urteil vom 17.05.2001 – I ZR 291/98, GRUR 2001, 841 (845), nach BGH, Urteil vom 06.06.1991 – I ZR 234/89, GRUR 1991, 921 (923). 604 5. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 04.08.2015, Nr. 05AP-6691/2015, Sachnr. А51-6980/2015; Arbitragegericht des Stavropol’skij Kreises, Urteil vom, 13.08.2015, Sachnr. A63-5134/2015; Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14; Arbitragegericht des Primorskij Kreises, Urteil vom 16.06.2015, Sachnr. A51-6980/2015, hier als „Kompensation [des Schadens (Anm. der Verf.)], der seiner Geschäftsreputation zugefügt wurde“/„[…] kompensacii, pričinёnnoj ego delovoj reputacii“. 605 Arbitragegericht der Republik Baškortostan, Urteil vom 27.05.2015, Sachnr. A071900/2015, spricht im Tenor von „Ersatz“/„vozmeščenie“ des Reputationsschadens. 606 Föderales Arbitragegericht des Okrug Ural, Entscheidung vom 25.09.2015, Nr. F096957/2015, Sachnr. A07-1900/2015. 607 Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11, die hier genannten Voraussetzungen wurden von den Arbitragegerichten sowie den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sofern sie die Entschädigungsmöglichkeit des Reputationsschadens vorsahen, in der Regel übernommen. Abrufbar unter: . 608 Und anderen Gütern wie Leben, Gesundheit, unrechtmäßige Strafverfolgung und Ähnliches, Ehre und Würde. 609 „Sformirovannaja reputacija“. 610 Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11.
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Dieser Voraussetzungskatalog hat ein zustimmendes Echo bei den den Reputationsschaden zusprechenden Gerichten gefunden.611 Allein der OG folgte dem mit einer Entscheidung des Senats für Wirtschaftsstreitigkeiten aus dem Jahre 2016 nicht. Dies erlangt insofern Bedeutung, als der OG in seinen Entscheidungen für Wirtschaftssachen seit 2014 den Platz als höchste Instanz der Arbitragegerichtsbarkeit eingenommen hat.612 In der Entscheidung613 stellte der OG zunächst klar, dass die Gesetzesnovelle von 2013 und der mit ihr einhergehende Ausschluss der Kompensationsmöglichkeit des moralischen Schadens für juristische Personen nicht gleichermaßen den Ausschluss von „Ansprüchen hinsichtlich der Erstattung von einem Schaden,614 der der Geschäftsreputation der juristischen Person zugefügt wird“,615 mit sich ziehe. Grundsätzlich sieht der OG den Anspruch einer juristischen Person auf Kompensation des Reputationsschadens demnach als möglich an. Er argumentierte in Anlehnung an die Ausführungen des Verfassungsgerichts auf Grundlage von Art. 45 P. 2 Verf. RF. Dieser Teil des Urteilstenors empfing zunächst positiven Widerhall.616 Im Folgenden definierte der OG erstmals konkrete beweisführungsbezogene Anforderungen an den Reputationsschaden. Diese sehen vor, dass der Kläger die widerrechtliche Handlung,617 nachteilige Folgen durch diese Handlungen für den Kläger618 und die diesbezügliche kausale Verbindung619 zu beweisen hat. Damit legte der OG dem Kläger den Beweis auf, dass eine konkrete Geschäftsreputation bestand620 und diese sich durch die Verletzung nachteilig verändert hat. Der Senat ging nicht auf Art. 1100 ZGB ein. Er verwies dagegen auf die Vermutung der Schuld nach Art. 1064 P. 2 ZGB. Danach gehören zu den Voraussetzungen die rechtswidrige Handlung des Beklagten, nachteilige Folgen dieser Handlung für den Kläger, die Kausalität zwischen der Handlung und der 611 Arbitragegericht des Primorskij Kreises, Urteil vom 16.06.2015, Sachnr. A516980/2015; 5. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 04.08.2015, Nr. 05AP6691/2015, Sachnr. А51-6980/2015; Arbitragegericht der Oblast Sverdlovsk, Urteil vom 31.08.2015, Sachnr. A60-12213/2015; Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/2014; OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS168923, Sachnr. А56-58502/2015. 612 Art. 2 P. 2 des Gesetzes über die Änderung der Verfassung „Über den Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation und die Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation“ („O Verchovnom Sude Rossijskoj Federacii i prokurature Rossijskoj Federacii“), vom 05.02.2014 Nr. 2-FKZ. 613 OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015. 614 „Vred“. 615 „Trebovanija o vozmeščenii vreda, pričinёnnogo reputacii juridičeskogo lica“. 616 So zustimmend Ali, ĖŽ-Jurist 49 (2016), 1 (1 f.), aus: Konsul’tant Pljus; Gavrilov, Jurist 16 (2016), 37 (39); Nochrina, Pravovedenie 3 (2014), 244 (247–248). 617 „Protivopravnoe povedenie“. 618 „Neblagoprijatnye posledstvija ėtich dejstvij dlja istca“. 619 „Pričinno-sledstvennaja svjaz’“. 620 Ali, ĖŽ-Jurist 49 (2016), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus.
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Entstehung der nachteiligen Folgen, das Vorliegen einer „geformten“ Reputation und die Tatsache des Vertrauensverlustes in die Reputation des Klägers.621 Zustimmung findet die Position des OG in Bezug auf die Nichtanwendung von Art. 1100 ZGB bei Erdelevskij. Art. 1100 ZGB sei eine Norm zur Regelung des moralischen Schadens. Die ausdrückliche Nichtanwendung der Regelungen zum moralischen Schaden auf juristische Personen verbiete eine Anwendung des Art. 1100 ZGB.622 Weiterführend ist zu fragen, inwiefern das Verschulden Voraussetzung eines Anspruchs auf Entschädigung des Reputationsschadens sein muss. Dafür plädiert Erdelevskij,623 der dem OG folgend Art. 1064 P. 2 ZGB anwenden will. Ihre Daseinsberechtigung erlangt die aufgeworfene Frage dadurch, dass Art. 1100 ZGB für den immateriellen Schadensersatzanspruch624 eine Ausnahme macht, nach der das Verschulden als Haftungsvoraussetzung entfällt. Wäre der Reputationsschaden als immaterieller Schaden einzuordnen, wäre auch hierfür die Streichung der Verschuldensvoraussetzung denkbar. Dogmatisch hängt die Frage nach den Voraussetzungen eines Kompensationsanspruchs für den Reputationsschaden ganz grundsätzlich damit zusammen, ob ein solcher Schaden materieller oder immaterieller Natur ist, und damit als Pendant zum moralischen Schaden für natürliche Personen zu qualifizieren wäre.625 Zunächst sind dafür die Definitionen von Vermögens- und Nichtvermögensschaden zu untersuchen.626 Ein Unterscheidungskriterium ist hier die Bezifferbarkeit: Der Reputationsschaden kann unabhängig von Vermögensschäden eingeklagt und auch neben diesen geltend gemacht werden. Er lässt sich nicht konkret beziffern. Damit wäre er als Nichtvermögensschaden zu kategorisieren. Bei genauerer Betrachtung geht es aber nicht um die Unmöglichkeit der Bezifferung, weil etwa das zugrundeliegende Gut selbst nicht bezifferbar wäre. Der Reputationsschaden bezieht sich auf die Summe der verbleibenden Veränderungen, die nicht über Schadensersatzansprüche abgegolten werden können. Dabei ist zu trennen: Zum einen kann es sich um Veränderungen handeln, die eigentlich im Rahmen des Schadensersatzes oder des entgangenen Gewinns einklagbar wären. Der erfolgreichen Klage stehen hier aber wie gezeigt Kau621 Der OG bekräftigte diese Rspr. durch die Aufnahme in die Übersicht der Rechtsprechung „Obzor sudebnoj praktiki Verchovnogo Suda Rossijskoj Federacii“ vom 16.02.2017, Nr. 1; weiterhin folgend etwa Föderales Arbitragegericht des Nordsibirischen Okrug, Urteil vom 23.03.2018, Nr. F04-738/2018, Sachnr. А45-10107/2017. 622 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 9 (2018), 62 (64). 623 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 9 (2018), 62 (65). 624 Sofern man den immateriellen Schaden mit dem Terminus „Nichtvermögensschaden“ gleichsetzt. 625 Allein Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 9 (2018), 62 (65), behandelt diese Frage einmal kursorisch. Ansonsten wird sie in den russischen Rechtswissenschaften nicht diskutiert. Die Frage aber, welchen Voraussetzungen der Entschädigungsanspruch wegen eines Reputationsschadens unterliegt, ist ihr zuzuordnen. 626 Siehe dazu supra Kap. 6 B. I. 2. a).
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salitäts- oder Beweisschwierigkeiten im Wege. Es handelt sich aber unzweifelhaft um Vermögensschäden. Zum anderen bezieht er sich auf in der Tat konkret nicht bezifferbare Veränderungen, wie Ansehensverlust, Kundenabwanderung, etc. Dieser „Störzustand“627 beinhaltet für sich genommen aber noch keinen Schaden. Die Schäden, die entstehen, sind der Umsatzeinbruch, die Absage der Kreditvergabe oder erfolglose Vertragsverhandlungen – Vermögensschäden. Weiterhin ist das betroffene Rechtsgut zu betrachten. Nach Gavrilov ist die Geschäftsreputation immaterielles Gut im Sinne des Art. 150 ZGB, der Schaden selbst könne daher auch nur immateriell sein. Vermögensschäden stellten lediglich Sekundärfolgen dar.628 Nach der hier vertretenen Ansicht629 ist die Geschäftsreputation juristischer Personen gerade kein immaterielles Gut nach Art. 150 ZGB. E contrario ist anzuführen, dass der Ausschluss der Geschäftsreputation juristischer Personen aus Art. 150 ZGB und die Subsumtion unter „anderes Vermögen“ im Sinne von Art. 128 ZGB im Falle eines etwaigen Schadens einer Kategorisierung als Nichtvermögensschaden im Wege stehen. Als Zweck der Kompensationszahlung wird stets auf deren „Ersatzcharakter“ hingewiesen. Aufgrund der Schwierigkeit der Beweisführung von Vermögensschäden und der konkreten Bezifferung der Schadenshöhe betreffe die Ausgleichszahlung jedenfalls (irgend-)eine Kompensation für Nichtvermögensschäden.630 Die Nichtvermögensschäden sollen daher als Surrogat für die aufgrund von Beweiserschwerung selten erstreitbaren Vermögensschäden dienen. Dies wird unter dem Gesichtspunkt für zulässig erachtet, dass die Herabsetzung der Geschäftsreputation immer mit Sekundärfolgen, wie dem Verlust von Kunden, verbunden sei.631 Bereits aus dieser Argumentation wird die Umgehungsnatur des Reputationsschadenskonzepts ersichtlich. Anzunehmen ist, dass sich die aus einer Rufschädigung entwickelnden Schäden erst nachträglich umfänglich ermitteln lassen und diese zum Klagezeitpunkt oftmals noch nicht in ihrer Fülle vorliegen. Dies darf aber nicht bedeuten, dass ein als materieller Schaden einzuordnender Schadensposten unter den „Deckmantel“ eines immateriellen Schadens fällt. Teilweise wird daher auch von Vertretern des Reputationsschadens als Nichtvermögensschaden der de facto-Vermögenscharakter des Reputationsschadens zugegeben.632 So betont auch Archipov, dass es sich letztlich bei den Repu627 Siehe supra Fn. 603, BGH, Urteil vom 17.05.2001 – I ZR 291/98, GRUR 2001, 841 (843, 845). 628 Gavrilov, Zakonodatel’stvo i ėkonomika 12 (2011), 44 (46); ebenso Gorodov, Nedobrosovestnaja konkurencija: teorija i pravoprimenitel’naja praktika, S. 22. 629 Siehe dazu bereits Kap. 5 A. 630 Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (14). 631 Siehe bereits oben, Gorodov, Nedobrosovestnaja konkurencija: teorija i pravoprimenitel’naja praktika, S. 22. 632 Klingt an bei Gorodov, Nedobrosovestnaja konkurencija: teorija i pravoprimenitel’naja praktika, S. 22. Auch in der Rspr. scheint dies erkannt zu werden, vgl. Arbitragegericht der
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tationsschäden zumeist um entgangene Gewinne handele.633 Erdelevskij634 versteht die Schädigung der Geschäftsreputation wie eine „Schädigung eigener Art“ des Vermögens und bezeichnet dies als „eben jenen“ Reputationsschaden, von dem schon in der Schlafman-Rechtsprechung die Rede war.635 Nach der hier vertretenen Ansicht ist der Reputationsschaden Vermögensschaden.636 Dementsprechend können hier auch nur die für materielle Schäden geltenden Voraussetzungen Maßstab sein. Es ist nur als konsequent anzusehen, auf einen Rückgriff des Art. 1100 ZGB zu verzichten und wie bei sonstigen materiellen Schadensposten auch Art. 1064 P. 2 ZGB anzuwenden. Ohnehin ist fraglich, weswegen einem Anspruch auf Ersatz des Reputationsschadens verschuldensunabhängig stattzugeben sein sollte.637 Auch dem russischen Deliktsrecht liegt das Verschuldensprinzip zugrunde.638 Da eine Auseinandersetzung mit der Regelung des Art. 1100 ZGB den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, ist nur anzumerken, dass sich die Privilegierung, die Art. 1100 ZGB vornimmt, in den einzelnen Fällen stets mit dem Schutz des Geschädigten bei Verletzung seiner verfassungsmäßig als besonders hochrangig erachteten Güter wie der körperlichen Unversehrtheit, körperlichen Freiheit und den würdeähnlichen Kategorien rechtfertigen lässt. Weshalb dies im Falle einer juristischen Person, deren Tätigwerden gerade keinen besonderen Schutz von Verfassungsrang erfährt, der Fall sein soll, ist nicht ersichtlich. Wäre das Verschulden (oder jedenfalls seine widerlegbare[!] Vermutung) keine Anspruchsvoraussetzung, könnten Zahlungsansprüche ohne Berücksichtigung des Verschuldensprinzips geltend und so die austarierte Balance zwischen Verantwortlichkeit und Geschädigtenschutz zunichtegemacht werden. Dies ist im Stadt Sankt-Petersburg und der Leningrader Oblast, Beschluss vom 11.11.2015, Sachnr. А5658502/2015: Das Gericht bestätigt die vom Verfassungsgericht in der Schlafman-Rpsr. entwickelte Möglichkeit, trotz der Absage an den Ersatz des moralischen Schadens für juristische Personen, „Schäden“ und „immaterielle Schäden“ an der Geschäftsreputation einzuklagen, bezeichnet diese in der Folge der Prüfung aber als Vermögensschäden (die der Kläger in diesem Fall nicht beweisen konnte). 633 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (160). 634 Der hier nicht als Vertreter des Konzepts „Reputationsschaden“ verstanden werden soll. 635 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 9 (2018), 62 (67). 636 Der Vermögensschaden wurde oben definiert als nachteilige Folgen für das Vermögen, das wertmäßigen Charakter hat und monetär bewertet werden kann. Obwohl der Reputationsschaden oftmals nicht bezifferbar ist, heißt dies nicht, dass er keinen wertmäßigen Charakter hätte und monetär bewertet werden kann. Die Bezifferbarkeit ist lediglich immens erschwert oder gar unmöglich, weil unklar ist, welche (kausal auf die Handlung zurückführbaren) Ereignisse dem Schaden zuzuordnen sind. Dies bedeutet aber nicht, dass die Folgen der Rufschädigung einer Bewertung nicht zugängig wären. Damit wird nicht die Möglichkeit des grundsätzlichen Bestehens von Nichtvermögensschäden in Abrede gestellt. 637 Kritisch insofern schon zum moralischen Schaden und der Regelung in Art. 1100 ZGB Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (3), aus: Konsu’tant Pljus. 638 Tarikanov, Juridičeskaja ličnost’ kommerčeskich organizacij v graždanskom prave Rossii, S. 157, 158.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Hinblick auf den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit als höchst problematisch zu betrachten.639 Letztlich sieht die Dogmatik auf tatbestandlicher Ebene die Prüfung des Vorliegens eines Schadens vor.640 Eine gesonderte Prüfung des Reputationsschadens erfolgt in der Praxis kaum, zumeist wird die Frage des Vorliegens des Schadens ausgelassen und zur Prüfung der Kausalität641 oder etwaigen Beweisfragen642 übergegangen.643 Zur Frage, worauf die Gerichte, sofern eine Einlassung hierzu erfolgt, den Reputationsschaden stützen, wird im Folgenden eingegangen.
d) Inhalt und Berechnung Die die Existenz von kompensationsfähigen Reputationsschäden anerkennenden Gerichte führen zur Begründung an, es sei unmöglich, den Wert „eines solchen immateriellen Guts wie der Geschäftsreputation“644 festzulegen. Dieser Tatsache entspreche der bestimmungsgemäße Zweck des verwendeten Schutzinstruments, namentlich die Kompensation.645 Dabei gehe es nicht um einen Ersatz des Schadens und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands des Geschädigten, sondern um die Schaffung eines Ausgleichs der immateriellen Verluste.646 Der Reputationsschaden könne daher dann ersetzt werden, wenn die Schadenshöhe durch den Kläger nicht genau beziffert werden kann.647 Daraus ergibt sich die Frage nach der Berechnung der zu zahlenden Kompensationssumme. Im Bereich des moralischen Schadens finden sich Anhaltspunkte in Artt. 151, 1101 ZGB, zu der sich auch die Rechtsprechung wiederholt äußert und diese konkretisiert.648 Auch Kompensationszahlungen für den Repu639
Zur rechtspolitischen Problematik auch Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (316). Im Gegensatz zum deutschen Recht ist die Frage des Schadens eine solche der Voraussetzungen der Haftung, mithin Teil des Tatbestands, vgl. Wölk, Das Deliktsrecht Rußlands, S. 82–85; Fragen hierzu werden daher an dieser Stelle thematisiert. 641 OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923. 642 Bereits in der ersten Instanz im Fall des Arbitragegerichts der Stadt Sankt-Petersburg und der Leningrader Oblast, Beschluss vom 11.11.2015, Sachnr. А56-58502/2015; so auch die Kassationsinstanzen mit Urteilen vom 13.04.2016, Nr. F07-1147/2016 und der OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923; für weitere Fälle der Rechtspraxis siehe infra Fn. 679. 643 Extrem verkürzt auch etwa in der Enscheidung: Föderales Arbitragegericht des VolgoVjatskyj Okrug, Urteil vom 30.11.2007, Sachnr. A43-34385/2006-15-691. 644 „Obuslovleno […] nevozmožnost’ju opredelenija stoimostnoj ocenki takogo nematerial’nogo blaga kak delovaja reputacija“, Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/2014. 645 Dies widerspricht der Rspr. der Gerichte, die von „Ersatz des Reputationsschadens“ sprechen, siehe bereits supra Fn. 427–429. 646 „[…] obuslovleno […] celevym naznačeniem dannogo sposoba zaščity (kompensacija), napravlennym ne na vozmeščenie vreda i vozvraščenie poterpevšego v pervonačal’noe položenie […], a na uravnovešivanie neimuščestvennoj poteri“. 647 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/2014. 648 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 18. 640
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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tationsschaden sind Zahlungen in Geld.649 Da Nichtvermögensschäden oder gar Reputationsschäden aber weder gesetzlich normiert, noch unmittelbar aus dem Gesetz ableitbar sind, fehlen die Grundlagen für ihre Berechnung. Daher bleibt die Ausgestaltung der Haftung den Gerichten überlassen. Die Gerichte legen die Zahlungshöhe selbst fest.650 Obwohl der Reputationsschaden seit der Schlafman-Rechtsprechung als eigenständige Schadenskategorie entwickelt wurde, werden in der Berechnungspraxis die Regeln zur Kompensation des moralischen Schadens herangezogen.651 Zu den Erwägungskriterien bei der Bestimmung des moralischen Schadens gehören nach Art. 1101 P. 2 S. 1 ZGB der Charakter bzw. Grad des physischen und psychischen Leides und der Grad des Verschuldens (sofern dieses eine Haftungsvoraussetzung darstellt). Art. 151 S. 2 ZGB nennt neben dem Verschuldensgrad auch „andere berücksichtigenswerte Umstände“. Dabei haben sich die Gerichte von „Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit“ leiten zu lassen.652 Teilweise wird auch darauf abgestellt, welche Höhe nach Ansicht des Gerichts „notwendig und ausreichend“ war.653 Die festzulegende Summe hat sich nicht an den materiellen Verlusten zu orientieren. Die Gerichte begründen dies mit der Feststellung, dass die Kompensationszahlung neben den Schadensersatzanspruch (für materielle Schäden) tritt.654 Bei Äußerung in den Massenmedien kommt es auf Art und Inhalt der Publikation und den Grad der Verbreitung der Falschäußerung an. Die Summe soll im Verhältnis zum zugefügten Schaden stehen und nicht zur Beeinträchtigung der Freiheit der Massenmedien führen.655 649 So ausdrücklich: 13. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 01.02.2016, Nr. 13AP-32346/2015, Sachnr. A56-58502/2015 (durch die Kassationsinstanz aufgehoben, Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 13.04.2016, Nr. F071147/2016, Kassationsurteil bestätigt durch Entscheidung des OG vom 18.11.2016, Nr. 307ĖS16-8923). 650 Erdelevskij, Juridičeskaja pressa (für: Konsul’tant Pljus) (2017), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus. 651 Darunter nur 13. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 01.02.2016, Nr. 13AP-32346/2015, Sachnr. A56-58502/2015 (Urteil aufgehoben, siehe supra Fn. 649); Arbitragegericht des Primorskij Kreises, Urteil vom 16.06.2015, Sachnr. А51-6980/2015; Arbitragegericht der Republik Baškortostan, Urteil vom 27.05.2015, Sachnr. A07-1900/2015. 652 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 19; davor bereits Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/2014; Arbitragegericht des Primorskij Kreises, Urteil vom 16.06.2015, Sachnr. A51-6980/2015; danach etwa Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 10.12.2018, Nr. А40-2791/2017, welches, ohne die Festsetzung näher zu begründen, die angetragene Summe des Klägers übernahm und diese für gerecht hielt; die Anforderung, sich von „Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit“ leiten zu lassen, ist auch in Art. 1101 P. 2 S. 2 ZGB vermerkt. 653 „Neobchodimuju i dostatočnuju“, Arbitragegericht des Primorskij Kreises, Urteil vom 16.06.2015, Sachnr. A51-6980/2015. 654 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/2014. 655 13. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 01.02.2016, Sachnr. A56-
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Ein Gericht sprach dem Geschädigten nach Abwägung des Charakters der Verletzung, Art und Ort der Verbreitung, nach Art des Mediums, der Auflagenhöhe, dem Verschuldensgrad des Verletzers, der fehlenden Beweisführung materieller Schäden656 und dem Verhältnis der Kompensation zu den Folgen der Verletzung 1,8 Mio. Rubel zu.657 Ein anderes Gericht sprach 1 Mio. Rubel Entschädigung zu.658 In einem anderen Urteil erhielt eine Bank 50 000 Rubel.659 Berücksichtigt wurde die Bedeutung der Geschäftsreputation für die bereits 65-jährige Existenz der Bank. Das Gericht folgerte, dass die Reputation für die wirtschaftliche Existenz eine immense Rolle spielte. Es berücksichtigte den Zeitpunkt der Veröffentlichung, die Finanzkrise, die erste Seite der Zeitung als Veröffentlichungsort, die Art des Veröffentlichungsmediums als Wirtschaftsund Politikzeitung, die Rubrik, in der veröffentlicht wurde, aber auch die Auflagengröße660 und Folgehandlungen des Rechtsverletzers wie die erfolgte Widerrufsvornahme. Zudem berücksichtigen die Gerichte bei der Festlegung der Höhe die sich entgegenstehenden rechtlich geschützten Interessen661 und wollen dabei eine „gewissenhafte Balance eigener und fremder Interessen“ herstellen.662 So wurde ein Urteil des Arbitragegerichts des Kreises Perm663 in der nächsten Instanz insoweit abgeändert, als statt 450 000 nur 50 000 Rubel Kompensation zu zahlen waren. Aus Sicht des Berufungsgerichts664 wurden im erstinstanzlichen Urteil die „Umstände der Verletzung“ nicht hinreichend berücksichtigt. Der Beklagte hätte sich bei einer Summe von 450 000 Rubel in einer existenzgefährdenden Situation vorgefunden. Diese Einschränkung der Freiheit der Massen58502/2015, siehe supra Fn. 649; die eingeklagte Summe wurde hier daher als zu hoch betrachtet, Arbitragegericht des Kreises Perm, Urteil vom 25.02.2009, Sachnr. A50-17593/2008. 656 „Nedokazannost’ verojatnych ubytkov“. 657 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14, durch die Nachinstanzen bestätigt, bei einem Umrechnungskurs von 1€ = 85,6 Rub. (Stand vom 01.12.2021) ergeben sich rund 21 000 €. 658 13. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 01.02.2016, Nr. 13AP-32346/ 2015, Sachnr. А56-58502/2015, die folgenden Kassationsentscheidungen verwarfen das Urteil aufgrund von Mängeln in der Beweisführung, bejahten aber die Möglichkeit des Anspruchs und stellten die Höhe und die Berechnungsart jedenfalls nicht in Frage. 659 Das Arbitragegericht des Kreises Perm, Urteil vom 25.02.2009, Sachnr. A50-17593/ 2008, sprach noch 450 000 Rub. zu, in der Letztinstanz wurde dies auf 50 000 Rub. gesenkt, Föderales Arbitragegericht des Okrug Ural, Entscheidung vom 03.08.2009, Nr. F09-5434/09-С6. 660 Erst in der Berufungsentscheidung berücksichtigt, 17. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 27.04.2009, Nr. 17AP- 2431/2009-GК. 661 Ausführlicher behandeln dies P’jankova/Gavrilov, Vestnik arbitražnoj praktiki 3 (2016), 1 (1 ff.), aus: Konsul’tant Pljus. 662 Föderales Arbitragegericht des Zentralen Okrugs, Entscheidung vom 30.11.2011, Nr. F10-4589/2011, Sachnr. A35-3552/2011; 9. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 29.12.2014, Nr. 09AP-53615/2014, Sachnr. А40-102076/14. 663 Arbitragegericht des Kreises Perm, Urteil vom 25.02.2009, Sachnr. A50-17593/2008. 664 17. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 27.04.2009, Nr. 17AP- 2431/2009GК.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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medien sei, so das Gericht, in Anbetracht des beigebrachten Schadens nicht hinnehmbar.665 In einem weiteren Fall stellte das Gericht einen Reputationsschaden in Höhe von 500 000 Rubel fest.666 Interessant ist hier, dass der Kläger zum Beweis der Schädigung seiner Geschäftsreputation zahlreiche gescheiterte Geschäftsverbindungen und Absagen von Geschäftspartnern vorbringen konnte, die sich für den Grund ihrer Absage auf die (verunglimpfenden) Äußerungen berufen hatten. Das Gericht führte aus: „[…] unter Berücksichtigung des Beweises der Verbreitung unwahrer Äußerungen, die die Geschäftsreputation des Klägers verunglimpfen, des Charakters und des Inhalts der bestrittenen Äußerungen, der negativen Folgen im Bereich der geschäftlichen Tätigkeit und der Weigerung des Beklagten, nach Anrufung des Gerichts durch den Kläger irgendwelche Maßnahmen zur Unterlassung der verbreiteten strittigen Äußerungen zu unternehmen, hält es das Gericht basierend auf den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit zum Zweck des Interessenausgleichs für zulässig, vom Beklagten die Zahlung eines Reputationsschadens in Höhe von 500 000 Rubel einzufordern.“667
Das Gericht stellt den Reputationsschaden demnach nach eigener Schätzung und auf Grundlage der genannten Prinzipien fest. Der Schaden selbst erwächst aber mittelbar aus den entgangenen Gewinnen aus den aufgekündigten Geschäftsbeziehungen. Nach dem OG können sich die Gerichte zudem zur Bemessung der Kompensationshöhe an vergleichbaren Fällen des EGMR orientieren, in denen dieser eine angemessene Entschädigung gewährt hat.668 Der Begründungswortlaut und das Vorgehen der Gerichte erinnert stark an die Formulierung in Art. 1252 P. 3 ZGB, einer Norm zum Schutz von Ausschließ665 „[…] možet suščestvenno zatrudnit’ dejatel’nost’ gazety i eё žurnalistov. Tem samym budet uščemlena svoboda massovoj informacii.“ Die Entscheidung wurde bestätigt durch das Kassationsgericht Föderales Arbitragegericht des Okrug Ural, Entscheidung vom 03.08.2009, F09-5434/2009. 666 Arbitragegericht der Oblast Lipezk, Beschluss vom 26.10. 2018, Sachnr. A362639/2018 (in den Folgeinstanzen bestätigt, vgl. 19. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 07.02.2019, Nr. 19AP-9705/2018, Föderales Arbitragegericht des Zentralen Okrug, Urteil vom 05.06.2019, Nr. F10-1824/2019 und OG, Entscheidung vom 07.10.2019, Nr. 310-ĖS19-16768. 667 „[…], prinimaja vo vnimanie dokazannost’ fakta rasprostranenija ne sootvetstvujuščich dejstvitel’nosti svedenij, poročaščich delovuju reputaciju istca, charakter i soderžanie osparivaemych svedenij, negativnye posledstvija v sfere delovoj dejatel’nosti, ne prinjatie otvetčikom s momenta obraščenija istca v sud kakich-libo mer dlja prekraščenija rasprostranenija spornych svedenij, sud ischodja iz principov razumnosti i spravedlivosti, s cel’ju sobljudenija balansa interesov storon, sčitaet vozmožnym vzyskat’ s otvetčika reputacionnyj uščerb v razmere 500 000 rub.“ 668 OG, Plenarbeschluss vom 27.06.2013, Nr. 21, P. 9; Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (92), geht davon aus, dass seit dem Föderalgesetz vom 30.04.2010, Nr. 68-FZ sogar eine derartige Pflicht der Gerichte besteht. Dort heißt es in Art. 2 P. 2, dass die Gerichte die Kompensationshöhe für Verletzungen des Rechts auf ein gerichtliches Verfahren unter anderem unter Berücksichtigung der EGMR-Rspr. festlegen (müssen).
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
lichkeitsrechten.669 Gemäß Art. 1252 P. 3 S. 1 ZGB kann wegen Verletzung eines Ausschließlichkeitsrechts statt Schadensersatz Kompensation verlangt werden. P. 3 S. 2 der Vorschrift sieht zudem die Festlegung der Kompensationshöhe durch die Gerichte vor. Diese haben sich danach an den vom ZGB vorgegebenen Rahmen zu halten und die Höhe in Abhängigkeit vom Charakter der Verletzung und von anderen Umständen des Falls unter Zugrundelegung von Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit zu bestimmen.670 Im Unterschied zur Regelung in Art. 1252 P. 3 ZGB kann die Kompensation des Reputationsschadens nach der derzeitigen Rechtsprechung der Gerichte aber neben den Schadensersatzanspruch treten.671 Die beiden Ansprüche stehen entgegen der Regelung in Art. 1252 P. 3 ZGB also nicht in einem Alternativverhältnis. Die Unsicherheit der Gerichte über die Art und Einordnung des Reputationsschadens zeigt sich nicht nur an der Verwendung der Normen, die den moralischen Schaden betreffen. Auch die Betrachtung der Prozesskosten in Form der staatlichen Gebühr kommt zu diesem Ergebnis. Gem. Art. 333.19 Steuergesetzbuch RF wird bei Anrufung der Gerichte eine Gebühr fällig. Diese berechnet sich für Klagen mit materiellem Charakter prozentual nach dem Streitwert, Art. 333.19 P. 1 1) Steuergesetzbuch RF, für Klagen immateriellen Charakters stehen dagegen feste Summen fest, Art. 333.19 P. 3 Steuergesetzbuch RF. Der OG zieht für den moralischen Schaden als Nichtvermögensschaden Art. 333.19 P. 3 Steuergesetzbuch RF heran.672 Dabei verweist er darauf, dass diese Regelung – und nicht die prozentuale streitwertbezogene Berechnung – trotz der Tatsache gelte, dass das Gericht die Ersatzhöhe des moralischen Schadens in einer konkreten Bezifferung festmache.673 Im Fall des Reputationsschadens gehen die Gerichte explizit ebenfalls nach Art. 333.19 P. 3 Steuergesetzbuch RF vor, wie dies für Nichtvermögensschäden gelten würde.674 669 Vgl. Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (14). 670 „Razmer kompensacii opredeljaetsja sudom v predelach, ustanovlennych
nastojaščim Kodeksom, v zavisimosti ot charaktera narušenija i inych obstojatel’stv dela s učetom trebovanij razumnosti i spravedlivosti.“ 671 Zuzugeben ist, dass dieser in der Praxis aber gerade selten eingeklagt bzw. eine Klage hierauf selten erfolgreich ist. 672 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 15. 673 Ibid., „Sudam sleduet imet’ v vidu, čto moral’nyj vred, chotja on i opredeljaetsja sudom v konkretnoj denežnoj summe, priznaёtsja zakonom vredom neimuščestvennym i, sledovatel’no, gosudarstvennaja pošlina dolžna vzimat’sja na osnovanii podpunkta 3 punkta 1 stat’i 333.19 Nalogovogo kodeksa Rossijskoj Federacii, a ne v procentnom otnošenii k summe, opredelёnnoj sudom v kačestve kompensacii pričinёnnogo istcu moral’nogo vreda.“ 674 Arbitragegericht des Primorskij Kreises, Urteil vom 16.06.2015, Sachnr. A516980/2015 und auch die Appellationsinstanz ausführlich siehe 5. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 04.08.2015, Nr. 05AP-6500/2015, bestätigt durch OG, Entscheidung vom 14.03.2016, Nr. 303-ĖS16-280; Arbitragegericht der Oblast Lipezk, Beschluss vom 26.10.2018, Sachnr. A36-2639/2018; Arbitragegericht des Kreises Perm, Urteil vom 25.02.2009, Sachnr. A50-17593/2008.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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e) Beweisfragen Wie oben bereits im Rahmen der Fragen nach den Voraussetzungen erwähnt, muss der Kläger neben den allgemeinen Deliktsvoraussetzungen (rechtswidrige Handlung des Beklagten)675 „zum Beweis nachteiliger Folgen in der Form des immateriellen Schadens“676 eine entwickelte (geformte) Geschäftsreputation wie auch den Vertrauensverlust in seine Reputation nachweisen.677 Hierfür wird auf Art. 65 Arbitrageprozessordnung (APK) verwiesen.678 Das häufige Scheitern der Klagen wegen ungenügender Darlegung der geformten Geschäftsreputation belegt die Unklarheit der Ausgestaltung ihres Nachweises.679 Auch wissenschaftlich gibt es nur vereinzelte Ausführungen zu den Kriterien des Vorhandenseins oder des Fehlens der „geformten“ Reputation.680 In einem Fall genügte für den Beweis des Vorhandenseins eines Rufs im Bereich der Spitzentechnologie, dass sich Informationen über den Kläger als Entwickler auf dem Internetauftritt von iTunes Preview befanden.681 Nicht ausreichend war dagegen die Vorlage dreier binnen eines Jahres abgeschlossener Verträge. Dem Gericht fehlte hier der Nachweis einer „beständig geformten positiven Geschäftsreputation“.682 Betrachtet wird auch die Größe des Unternehmens nach seiner Mitarbeiteranzahl, der Zahl seiner Standorte sowie Absatzmärkte und der Warenqualität, die durch Auszeichnungen und die Aufnahme in eine Qualitätsrangliste erfolgte.683 675 676
Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (21). „Dlja podtverždenija […] neblagoprijatnych posledstvij v vide nematerial’nogo vreda delovoj reputacii“. 677 Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11; ebenso der OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. A56-58502/2015; Übersicht der Rechtsprechung „Obzor sudebnoj praktiki Verchovnogo Suda Rossijskoj Federacii“ vom 16.02.2017, Nr. 1, P. 21; Föderales Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 29.05.2017, Nr. F07-4245/2017, Sachnr. А56-50687/2016; Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. 40–102076/14. 678 Gericht für Geistiges Eigentum, Urteil vom 30.11.2016, Nr. S01-980/2016, Sachnr. А71-14895/2015. 679 Föderales Arbitragegericht des Zentralen Okrug, Entscheidung vom 22.07.2013, Nr. F10-1951/2013, Sachnr. А35-9483/2012; erstinstanzlich durch Arbitragegericht der Oblast Sverdlovsk, Urteil vom 31.08.2015, Sachnr. A60-12213/2015, bestätigt durch den OG in letzter Instanz, Entscheidung vom 18.07.2016, Nr. 309-ĖS16-7367; Föderales Arbitragegericht des Westsibirischen Okrug, Entscheidung vom 14.06.2017, Nr. F04-1664/2017, Sachnr. А672763/2016. 680 Überlegungen finden sich bei Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (23); Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (108 f.). 681 9. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 04.06.2018, Nr. 09АP-18775/2018, Sachnr. А40-153222/17. 682 6. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 18.08.2017, Nr. 06AP-6509/2016, Sachnr. А37-2121/2016. 683 Arbitragegericht der Oblast Lipezk, Beschluss vom 26.10. 2018, Sachnr. A362639/2018.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Der Höchste Arbitragegerichtshof konkretisierte daneben die Anforderungen an die kausale Verbindung zwischen Handlung und Schaden. Demnach müsste eine „reale Möglichkeit der Beeinflussung“ der Meinung Dritter durch die rechtsverletzende Handlung bestehen.684 Dieser Rechtsprechung kritisch gegenüber steht Erdelevskij, der den Nachweis der geformten Reputation ablehnt.685 Danach verfüge jedes Rechtssubjekt von vornherein über eine positive Reputation. Daher komme es, entgegen der Rechtsprechung des Präsidiums des Höchsten Arbitragegerichts, gerade nicht auf eine bestimmte Reputation vor der Verletzung, sondern nur auf den Zeitpunkt nach der Verletzung an. Sind verunglimpfende Aussagen verbreitet worden, sei von der Schädigung der Reputation auszugehen. Es obliege dem Beklagten zu beweisen, dass die Äußerungen gerade nicht zur Schädigung geführt hätten.686 Auch Archipov übt scharfe Kritik an der Notwendigkeit des Nachweises einer vor der Verletzungshandlung bereits bestehenden Geschäftsreputation. Die Geschäftsreputation sei gerade keine „rechtserhebliche Tatsache“,687 sondern ein Nichtvermögensgut, das nicht bewiesen werden müsse, da es als solches aufgrund der Anerkennung der Tätigkeit seines Trägers durch die Öffentlichkeit per se bestehe.688 Es handele sich dabei – anders als dies der OG formuliert689 – nicht um ein „Recht auf Geschäftsreputation“, sondern um ein bestehendes Gut, das nicht geschaffen werden müsse.690 Archipov plädiert daher für eine Vermutung zugunsten des Bestehens einer Geschäftsreputation.691 Auch weitere Vertreter692 plädieren für diese Vermutungslösung. Eine bestimmte Reputation könne stets nur „fragmentarisch“ dargelegt werden.693 684 „Naličie real’noj vozmožnosti vlijanija dejstvij otvetčika na formirovanie mnenija ob istce u tret’ich lic“, Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11, kritisch P’jankova/Gavrilov, Vestnik arbitražnoj praktiki 3 (2016), 1 (6), aus: Konsul’tant Pljus. 685 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 9 (2018), 62 (68). 686 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (100); ähnlich so auch P’jankova/Gavrilov, Vestnik arbitražnoj praktiki 3 (2016), 1 (6), aus: Konsul’tant Pljus; Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (109). 687 „juridičeski[ij] fakt[]“. 688 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158). 689 Mit Verweis auf die Übersicht der Rechtsprechung vom 16.02.2017, Nr. 1, Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158). 690 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158). 691 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (158). 692 Ali, ĖŽ-Jurist 49 (2016), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus; Archipov, Evrazijskij juridiče skij žurnal 11 (2017), 157 (158); Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (111). 693 Eine Tendenz der Gerichte, die Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (109), festgestellt haben will, insbesondere die Dauer der bisherigen Aktivität im Wirtschaftsverkehr zu berücksichtigen, kritisiert dieser vor dem Hintergrund der Gleichheit der Rechtssubjekte vor der Verfassung, Art. 19 P. 1 Verf. RF. Danach seien alle Rechtssubjekte, unabhängig von der zeitlichen Dauer ihres Wirtschaftens, gleich zu behandeln.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
233
f) Rezeption in der Rechtsprechungspraxis Das Konzept des Reputationsschadens ist nicht unumstritten. Dabei geht es mehr um die Ausgestaltung als um die Frage seiner Anerkennung. So zeichnet sich in der Rechtsprechung in den vergangene Jahren die Tendenz ab, Reputationsschäden vermehrt zu entschädigen.694 Auch der Höchste Arbitragegerichtshof ging in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2012 von der Möglichkeit eines Kompensationsanspruchs für einen immateriellen (Reputations-)Schaden aus.695 Das Gerichtskollegium für Wirtschaftsstreitigkeiten696 verwies darauf, dass der in Art. 152 P. 11 ZGB genannte Ausschluss „nicht der Möglichkeit der juristischen Person auf Anspruch auf Entschädigung für einen Schaden, der der Reputation der juristischen Person beigebracht wird, [widerspricht]“.697 In seiner Rechtsprechungsübersicht von 2017 bekräftigte der OG die Möglichkeit juristischer Personen, die Geschäftsreputation vor Verletzung zu schützen, indem Schadensersatz für den Schaden geltend gemacht werden kann, der der Geschäftsreputation zugefügt wurde.698 Dass damit nicht der Vermögensschaden gemeint ist, ergibt sich erst aus den weiteren Ausführungen, in denen der OG wiederholt, dass die Novellierung des Art. 152 ZGB aus dem Jahre 2013 einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Geschäftsreputation nicht entgegensteht. Da aufgrund der Formulierung von Art. 152 P. 11 ZGB seit 2013 unmissverständlich klar ist, dass zwar Vermögensschäden, nicht aber moralische Schäden Gegenstand von Klagen juristischer Personen sein können, kann der OG in seinen Ausführungen nur Nichtvermögensschäden meinen. Auch die Tatsache, dass es im zitierten Urteil um eine Universität ging, steht der allgemeinen Annahme der Zulässigkeit für juristische Personen insgesamt nicht entgegen, da sich der OG in seinen Ausführungen nicht nur auf Universitäten, sondern auf juristische Personen insgesamt bezieht. In einer (früheren) Entscheidung wies 694 Zustimmung findet sich etwa bei 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 29.12.2014, Nr. 09AP-53615/2014-GK, Sachnr. A40-102076/14; Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 21.04.2015, Nr. F05-3875/2015; Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 04.06.2015, Sachnr. А40-143163/14; ablehnend dagegen Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.09.2014, Sachnr. A40-54340/14; Föderales Arbitragegericht des Nordkaukasischen Okrug, Entscheidung vom 06.08.2015, Nr. F08-5582/2015, Sachnr. А63-11510/2014. 695 Höchster Arbitragegerichtshof, Entscheidung des Präsidiums vom 17.07.2012, Nr. 17528/11. 696 OG, Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015. 697 „[…] ne prepjatstvuet zaščite narušennogo prava posredstvom zajavlenija juridičeskim licom trebovanija o vozmeščenii vreda, pričinёnnogo reputacii juridičeskogo lica.“ 698 Dabei benutzt der OG gerade nicht „Reputationsschaden“ und auch nicht explizit das Wort „Nichtvermögensschaden“, sondern benutzt den weitesten Schadensbegriff „vred“, wie er auch Art. 1064 ZGB zugrunde liegt, „V slučae umalenija reputacii juridičeskogo lica ono vprave zaščiščat’ svoё pravo putem zajavlenija trebovanija o vozmeščenii vreda, pričinёnnogo reputacii juridičeskogo lica“.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
der OG allerdings darauf hin, dass die Frage eines Kompensationsanspruchs jeweils Gegenstand einer Einzelfallbetrachtung sei.699 Viele Gerichte folgen dieser Argumentationslinie.700 Sie greifen zur Bezifferung der Entschädigungssumme auf die Methode zur Festsetzung des moralischen Schadens zurück. Grundsätzlich wird zumeist nur noch von „Kompensation“ gesprochen. Diese habe ausgleichenden Charakter, stelle aber kein Äquivalent zum verletzten immateriellen Gut dar und zeichne sich durch die Unmöglichkeit der wertmäßigen Bezifferung des immateriellen Guts aus. Zudem gehe es nicht um den Ersatz des Schadens und die Restitution des Geschädigten, sondern um die Herstellung des Gleichgewichts und den Ausgleich der Verluste nichtvermögensmäßiger Art.701 Daneben liege der Berechnung das Ziel zugrunde, eine „gewissenhafte Balance“702 der entgegenstehenden Interessen zu schaffen, mit Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Rechtsverletzers und des Verhaltens des Rechtsinhabers.703 Andernorts wird die fehlende Schutzmöglichkeit der rechtlichen Interessen einer juristischen Person und die Haftungslücke zugunsten des verantwortlichen Rechtsverletzers betont. Das 9. Arbitrageappellationsgericht argumentiert hier, es dürfe keine „ungerechtfertigte Begrenzung des Schutzes“ der „gesetzlichen Interessen“ juristischer Personen geben.704 Zudem führe ein solcher Anspruch zur „Verringerung der realen Verantwortlichkeit für entsprechende Handlungen“.705 Es wird befürchtet, eine solche Lücke könnte durch die „Mediengemeinschaft“ als „negative soziale Botschaft“ im Informationsraum verstanden werden.706 Die Gerichte entnehmen der Schlafman-Rechtsprechung und der Comingersoll-Rechtsprechung die Notwendigkeit der Neuschaffung eines Anspruchs gerade aufgrund der nur 699
OG, Entscheidung vom 22.06.2015, Nr. 305-ĖS15-6197, Sachnr. A40-84964/2014. Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14, bestätigt durch die Appellationsinstanz, 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 29.12.2014, Nr. 09AP-53615/2014-GK und die Kassationsinstanz Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 21.04.2015, Nr. F05-3875/2015. 701 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14. 702 „Dobrosovestnyj balans“. 703 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 29.12.2014, Nr. 09AP-53615/2014, Sachnr. А40-102076/2014. 704 5. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 04.08.2015, Nr. 05AP-6500/2015, Sachnr. А51-6980/2015. 705 Ibid. 706 5. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 04.08.2015, Nr. 05AP-6500/2015, Sachnr. А51-6980/2015: „[…] stavila by juridičeskie lica, podvergšiesja umaleniju delovoj reputacii v svjazi s rasprostraneniem ne sootvetstvujuščich dejstvitel’nosti svedenij v situaciju neobosnovannoj ograničennosti zaščity svoich zakonnych interesov, kosvenno svidetel’stvuja ob umen’šenii ob”ema real’noj otvetstvennosti za sootvetstvujuščie dejstvija, čto po suščestvu možet byt’ rasceneno otečestvennym mediasoobščestvom kak negativnyj social’nyj posyl v sfere informacionnogo prostranstva.“; ohne Änderung in den Kassationsinstanzen nach dem Föderalen Arbitragegericht des Fernöstlichen Okrug, Urteil vom 03.11.2015, Nr. F034669/2015 und dem OG, Entscheidung vom 14.03.2016, Nr. 303-ĖS16-280. 700
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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für natürliche Personen bestehenden Möglichkeit zur Kompensation des moralischen Schadens.707 Dies ergebe sich aus dem Wesen der Geschäftsreputation und dem Charakter der Folgen der Verletzung.708 Der immaterielle Charakter des Rechtsguts bestimme die nichtvermögensmäßige Natur des Schadens und mit der Kompensation daher auch eine besondere Art des Schutzes.709 Der Reputationsschaden stellt danach das für juristische Personen geltende Pendant zum moralischen Schaden natürlicher Personen dar. In einigen Urteilen wird die Ersatzmöglichkeit eines Reputationsschadens hingegen versagt. Diese Gerichte stützen sich auf den expliziten gesetzlichen Ausschluss des Ersatzes des moralischen Schadens für juristische Personen. Der Gesetzgeber habe damit offensichtlich auch den Reputationsschaden, der dem moralischen Schaden gleiche, ausgeschlossen.710 Danach sei der ersatzfähige Schaden einer juristischen Person allein der Vermögensschaden. Ein Gericht hält eine andere gerichtliche Beurteilung der vorliegenden Frage für einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung, Art. 10 Verf. RF, da sich die Gerichte die Position des Gesetzgebers anmaßen würden. Die konkreten Schutzarten festzulegen sei danach ausschließlich dem Gesetzgeber vorbehalten.711 Auch der 707 5. Arbitrageappellationsgericht, Entscheidung vom 04.08.2015, Nr. 05AP-6691/2015, Sachnr. A51-6980/2015. 708 Schlafman-Entscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O, P. 2; Arbitragegericht der Stadt Sankt-Petersburg und der Leningrader Oblast, Urteil vom 11.11.2015, Sachnr. A5658502/2015. 709 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.10.2014, Sachnr. A40-102076/14, im Wortlaut: „Nematerial’nym charakterom dannogo blaga (prava) opredeljaetsja i neimuščestvennyj charakter vreda, […] i, sootvetstvenno, opredeljaetsja osobyj vid zaščity – kompensacija.“; auch die den Reputationsschaden befürwortenden Stimmen begründen die Zulässigkeit mit Verweis auf den EGMR, siehe etwa Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 154; Kirakosjan/Emelina, Vestnik arbitražnoj praktiki 2 (2017), 17 (20); Nochrina, Pravovedenie 3 (2014), 244 (246); Ali/Dmitrenko, Vestnik Arbitražnogo suda Moskovskogo okruga 4 (2016), 1 (4), aus: Konsul’tant Pljus; Gavrilov, Prava čeloveka 4 (2009), 34 (34 f.), bezieht sich zudem auf die Praxisdirektive des Gerichtspräsidenten des EGMR, abrufbar unter: (abgerufen am 05.12.2020). Die Praxisdirektive bezieht sich auf Kompensationszahlungen seitens der Vertragsstaaten bei Feststellung einer Rechtsverletzung durch diese. 710 In der Regel aufgrund eines kurzen Verweises auf die fehlende gesetzliche Regelung, so (interessanterweise noch) OG, Entscheidung vom 17.08.2015, Nr. 309-ĖS15-8331, abrufbar unter: , der Reputationsschaden taucht als Begriff nicht auf; der Kläger (eine juristische Person) hatte die Entschädigung des moralischen Schadens eingefordert, welcher der OG trotz der Verweise auf die Comingersoll-Rspr. ablehnte; Föderales Arbitragegericht des Okrug Ural, Urteil vom 08.09.2015, Nr. F09-5773/2015, Sachnr. А60-31099/2014; 4. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 16.01.2015, Nr. 04AP-6339/2014, Sachnr. А58-5471/2014; 3. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 05.08.2014, Nr. 03AP-2674/2014, Sachnr. А33-685/2014; Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Entscheidung vom 21.07.2015, Nr. F05-8820/2015, Sachnr. А4069753/14. 711 Föderales Arbitragegericht des Nordkaukasischen Okrug, Urteil vom 06.08.2015, Nr. F08-5582/2015, Sachnr. A63-11510/2014.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Argumentation der EGMR-Rechtsprechung wird nicht gefolgt.712 Ein anderes Gericht verweist auf die Gesetzesänderung von 2013 und auf die daher bestehende Unanwendbarkeit der Schlafman-Rechtsprechung.713 Es findet sich daneben Rechtsprechung, die den Klägerbegehren auf Kompensation des Reputationsschadens wegen fehlender Beweise zur Darlegung materieller Verluste nach Art. 15 ZGB eine Absage erteilt.714 Damit verändern die Gerichte das eigentliche Klägerbegehren und setzen die Klage anderen Voraussetzungen aus. Diese Handhabe wird insofern kritisiert, als die klagende Partei dann zum Zeitpunkt des Urteilerlasses keine Möglichkeit mehr hat, entsprechende Beweise vorzulegen.715 Dies mag zwar in Anbetracht der Schwierigkeit des Beweises eine zumeist theoretische Frage bleiben, das Vorgehen der Gerichte ist jedoch vor dem Grundsatz der Gebundenheit an das Klägerbegehren716 und dem Beweisrecht717 zweifelhaft. Das darauf zumeist folgende gerichtliche Berufungsverfahren sichert zwar den Rechtsschutz der Partei, ist jedoch finanziell aufwändig und kann unter Effizienzgesichtspunkten nicht zielführend sein. Geht man davon aus, dass mangels gesetzlicher Normierung ein Kompensationsanspruch auf den Reputationsschaden nicht besteht, genügen die Gerichte ihrer Aufgabe, dem (fehlerhaften) Klägerbegehren gerecht zu werden. Auch dann bleibt die Forderung nach der (nachträglichen) Zulassung von Beweismöglichkeiten aber bestehen.
g) Rezeption in der wissenschaftlichen Literatur Auch die die Rechtsprechung analysierende wissenschaftliche Literatur718 kommt zu sich diametral gegenüberstehenden Ergebnissen.719 So wird einerseits die künstliche Schaffung eines neuen Begriffs bemängelt, der vom Gesetz 712
Ibid., ohne Begründung. Arbitragegericht des Nordwestlichen Okrug, Urteil vom 14.06.2016, Nr. F07-3560/2016, Sachnr. A56-25777/2015. 714 Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 01.02.2016, Nr. F0518449/2015, Sachnr. A40-143163/14. 715 Ali/Dmitrenko, Vestnik Arbitražnogo suda Moskovskogo okruga 4 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus. 716 Die Richter sind an den Klagegegenstand gebunden, diesen darf nur der Kläger festlegen. Zwar korrigiert das Gericht fehlerhaft festgelegte Klagegegenstände, dies allerdings nur zur Erhöhung des gerichtlichen Rechtsschutzes, Jarkov, Graždanskij process, S. 257, 258. 717 Art. 55 ff. ZPO RF, Art. 64 ff. APK. 718 Mehrheitlich wird die Erhöhung des Schutzniveaus durch die Schaffung des Reputationsschadens aber begrüßt, siehe supra ab ccc) dieses Abschnittes. 719 Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (17); Ali/Dmitrenko, Vestnik Arbitražnogo suda Moskovskogo okruga 4 (2016), 1 (3), aus: Konsul’tant Pljus, folgert aus dem Schweigen des OG in der Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, dass die Gerichte von der ausdrücklichen Anerkennung des Reputationsschadens Abstand nehmen und belegt dies mit Urteilen; Gavrilov, Arbitražnaja praktika 9 (2018), 106 (106 ff.), dagegen nimmt die ungeschriebene Möglichkeit eines solchen Anspruchs an und belegt auch dies mit entsprechenden Urteilen. 713 Föderales
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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und nach dem gesetzgeberischen Willen nicht vorgesehen sei.720 Kritik findet die Rechtsprechung auch insofern, als sie mit ihrer Linie Beweisanforderung erhöht, was dem eigentlichen Zweck des Reputationsschadens widerspreche. Seine Einführung sollte gerade den Schwierigkeiten bei der Beweisführung eines bezifferbaren Vermögensschadens entgegenwirken. So werden die Anforderungen an die Einklagbarkeit des Reputationsschadens an die einer Schadensersatzklage angenähert. Dadurch werde der eigentliche Zweck der Kompensation, eine „reale Schutzmöglichkeit“ der Kläger zu schaffen, verfehlt.721 Der Entwicklung kritisch gegenüber steht Erdelevskij. Ihm zufolge beträfen die vom EGMR genannten und für die Definition des immateriellen Schadens gebrauchten Anhaltspunkte – Planungsunsicherheiten, Unterbrechungen im Management und Ängste und Unannehmlichkeiten der Führungsmitarbeiter – nicht den immateriellen Schaden.722 Vielmehr gehe es hierbei um entstandene oder zukünftige materielle Schäden, denen allein die Schwierigkeit der Bezifferung der genauen Schadenshöhe zu eigen sei.723 Er kritisiert daher die der EGMR-Rechtsprechung entnommene Annahme der russischen Wissenschaften, der Reputationsschaden sei als Nichtvermögensschaden zu qualifizieren. Der Verweis in der Comingersoll-Rechtsprechung auf immaterielle Schäden meine nicht, dass diese keine vermögensmäßige Komponente hätten, sondern ziele lediglich auf die Unmöglichkeit der Bezifferung der Schäden ab.724 Kritisch wird insoweit auch angemerkt, dass das Gesetz keine Möglichkeiten für die Schaffung einer neuen Schadensart biete – Art. 12 ZGB sehe die Möglichkeit der Kompensation eines „immateriellen“ Schadens gerade nicht vor.725 Auch Erdelevskij erklärt indes die Schaffung des Reputationsschadens mit dem unzureichenden Schutzniveau der bestehenden Schadensersatzinstrumente.726 720
Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (17). Ali, ĖŽ-Jurist 49 (2016), 1 (2), aus: Konsul’tant Pljus, der daher für die Vermutung der (einer) vorhandenen Geschäftsreputation plädiert. 722 Nach Emberland, British Yearbook of International Law (2003), 409 (417 f., 423), füllt auch der EGMR eine Lücke, die aufgrund der Unmöglichkeit der Bezifferung besteht. Ebenfalls kritisch betrachtet der Autor die Bemühung juristischer Personen auf Kompensation immaterieller Schäden wegen einer Konventionsverletzung durch den Staat, auch wenn es sich bei den Schäden tatsächlich gerade um solche geldmäßiger Art handelt. Der Autor nennt hier exemplarisch die geschäftliche Reputation und den Verlust von Kunden. 723 Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (13); so wird im Englischen nur von „non-pecuniary“ gesprochen, Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2005), 111 (111), bemerkt so richtig, dass die russische Übersetzung „neimuščestvennyj“ daher falsch ist. Die Verwendung des Wortes lässt sich wohl mit der Definition der Nichtvermögensschäden erklären, die im russischen Recht insbesondere durch ihre Nichtbezifferbarkeit definiert werden. 724 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 2 (2017), 92 (97); Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2005), 111 (114). 725 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2005), 111 (116). 726 Dies hänge mit der schwierigen Begründung der Kausalität und der Schadenshöhe zusammen, Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (14). 721
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Der verfassungsrechtlichen Argumentation der Schlafman-Rechtsprechung wird in der Literatur vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt.727 Die Auslegung des Art. 45 P. 2 Verf. RF und der daraus folgenden Ableitung eines Entschädigungsanspruchs wird insbesondere von Erdelevskij kritisiert. Art. 45 P. 2 Verf. RF beziehe sich nur auf eigene Handlungen. Handele es sich um einen Anspruch, der wie der Kompensationsanspruch vor Gericht geltend gemacht wird, sei Art. 45 P. 2 Verf. RF nicht anwendbar.728 Die Argumentation findet auch in der spezifisch verfassungsrechtlichen Literatur Unterstützung. Art. 45P. 2 Verf. RF bezieht sich danach auf die eigene Durchsetzung von Rechten und nicht auf staatliche wie gerichtliche, verwaltungsrechtliche oder öffentliche Mittel.729 Danach meine Art. 45 P. 2 Verf. RF Fälle, in denen sich die natürliche oder juristische Person gerade nicht an staatliche oder rechtsprechende Stellen wendet, sondern eigenständig tätig wird. Dies entspricht der gängigen Lesart des Art. 45 P. 2 Verf. RF.730 Dagegen bilden Art. 45 P. 1 Verf. RF wie auch Art. 46 P. 1 Verf. RF die Absicherung staatlicher und gerichtlicher Rechtsschutzgarantien ab.731 Dementsprechend sind Artt. 45, 46 Verf. RF vielmehr Ausdruck des verfassungsrechtlich gesicherten Verhältnisses zwischen Staat und Bürger, die Rahmenbedingungen und die Möglichkeit zur Geltendmachung subjektiver Rechte sicherzustellen732 und nicht neue Rechte zu schaffen oder zu begründen. Das Verfassungsgericht fasst Art. 45 P. 2 Verf. RF, indem es ihn als verfassungsrechtliche Grundlage eines Entschädigungsanspruchs auch für juristische Personen heranzieht, weit. Damit fallen nicht nur eigenständige Schutzmaßnahmen einer Person, sondern jegliche Rechtsschutzmittel unter Art. 45 P. 2 Verf. RF.733 In 727 Teilweise wird zur Begründung des Entschädigungsanspruchs auf die SchlafmanRechtsprechung verwiesen, so etwa bei Rožkova, in: Rožkova, Objazatel’stva, voznikajuščie ne iz dogovora: Sbornik statej, S. 31, 71, aus: Konsul’tant Pljus. 728 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2005), 111 (115), der Autor verdeutlicht: Es gehe bei Art. 45 P. 2 Verf. RF um „eigene“ Handlungen und nicht um die Anrufung des Gerichts zur Verteidigung seiner Rechte; a. A. Ali, ĖŽ-Jurist 49 (2016), 1 (1), der auf die unmittelbare Geltung des Art. 45 P. 2 Verf. RF verweist. 729 Žilin, in: Zor’kin, S. 435. 730 So auch Nosov, Konstitucionnoe pravo Rossijskoj Federacii, Kap. 3 § 3, S. 51, aus: Konsul’tant Pljus; Barchatova, Kommentarij k Konstitucii Rossijskoj Federacii, Art. 45 P. 2; Kurdanov, Gosudarstvennaja vlast’ i mestnoe samoupravlenie 4 (2017), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus; Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 45 Rn. 19–20, beschreibt den Artikel als ein Selbsthilferecht, die die friedliche Verteidigung umfasst; gemeint sind dabei insbesondere Notwehr und Nothilfe oder aber auch die Inanspruchnahme schiedsgerichtlicher Streitschlichtung. 731 Žilin, in: Zor’kin, S. 430, 437. 732 Vgl. Žilin, in: Zor’kin, S. 430, 437 ff.; vgl. zum Selbsthilferecht in Art. 45 P. 2 Verf. RF insbesondere in seiner Bedeutung als Verfahrensrecht und nicht als Grundlage materieller Ersatzansprüche, Arnold/Berger, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 45 Rn. 23 ff. 733 Ein ähnlicher Ansatz findet sich bei der Ethikkommission des Richterrats der Russischen Föderation, Komissija soveta sudej RF po ėtike, Abschlussbericht („zaključenie“), vom 31.05.2017, Nr. 1-KĖ, „O dopustimosti obraščenija sud’i v pravoochranitel’nye organy s trebovaniem o privlečenii k otvetstvennosti sotrudnikov medicinskogo učreždenija v svjazi s oka-
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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Anbetracht des von Art. 45 P. 2 Verf. RF umfassten Regelungsbereichs und seines Wortlauts scheint die Argumentation des Verfassungsgerichts jedenfalls ausfüllungsbedürftig. Ferner eignen sich auch Art. 45 P. 1 Verf. RF und Art. 46 P. 1 Verf. RF nicht, um einen Entschädigungsanspruch juristischer Personen unmittelbar verfassungsrechtlich zu begründen. Wie gezeigt sind dies bloße Rechtsschutzgarantien – geregelt ist hier nur das „Ob“ und „Wie“ des Rechtsschutzes, nicht aber sein Inhalt. Erdelevskij734 schlägt vor, einen (anderen) Kompensationsanspruch zu schaffen (ohne diesen zu den Nichtvermögensschäden kompensierenden Ansprüchen zu zählen). Dieser sei dem ZGB auch nicht fremd. So könne ein Kompensationsanspruch, entsprechend den Regelungen zu Ausschließlichkeitsrechten bereits dann bestehen, wenn der Kläger die Tatsache der Rechtsverletzung beweist, vgl. Art. 1252 P. 3 ZGB.735 Danach ist der Kläger hier auch von der genauen Bezifferung der Höhe des materiellen Schadens befreit.
h) Zusammenfassende Bewertung Trotz der Formulierung in Art. 152 P. 11 ZGB hat die Rechtsprechung in Anlehnung an die Schlafman-Rechtsprechung und die EGMR-Rechtsprechung in vielgeübter Praxis einen Anspruch auf Kompensation eines (Nichtvermögens-) Schadens kreiert, der die Lücke im Vergleich zu den Schutzmöglichkeiten natürlicher Personen schließen soll. Zumeist wird dieser als „Anspruch auf Kompensation des Reputationsschadens“ betitelt. Juristische Personen können damit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen neben Schadensersatz auch eine Kompensation für Reputationsschäden geltend machen. Diese Rechtsprechung findet vielfach positive Resonanz in der Fachöffentlichkeit. Die Frage, die sich für die Zukunft daher stellt, ist nicht mehr, ob juristische Personen trotz des Ausschlusses der Kompensation moralischer Schäden Anspruch auf Nichtvermögensschäden haben, sondern welchen Voraussetzungen diese unterliegen. Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Verankerung spricht sich ein Großteil der russischen Fachliteratur trotz punktueller Kritik für eine gesetzliche Normierung der in der Rechtsprechung anerkannten Möglichkeit zur Kompensation der „Schäden an der Geschäftsreputation“736 aus. Das Konzept „Reputationsschaden“ ist unter verschiedenen Gesichtspunkten höchst zweifelhaft. Nach der hier vertretenen Ansicht ist dies nicht nur mit der fehlenden gesetzlichen Verankerung zu begründen. zaniem nekačestvennoj medicinskoj pomošči, a takže v sud – s sootvetstvujuščim iskom“, hier wurde die Anrufung eines Gerichts durch einen Richter unter Art. 45 P. 2 Verf. RF subsumiert. 734 Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (14); ähnlich so auch Mordochov, Sposoby zaščity delovoj reputacii sub”ektov predprinimatel’skoj dejatel’nosti, S. 109. 735 Auf diesen nehmen Art. 1301, Art. 1311, Art. 1515 P. 4, Art. 1537 P. 2 ZGB Bezug. 736 Als zwingend ist es zudem nicht anzusehen, dass dies weiterhin „Kompensation des Reputationsschadens“ genannt wird; der OG selbst erkennt die Möglichkeit zwar an, nutzt aber eine andere Terminologie, vgl. Fn. 685 und auch 698.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
1. Richtig ist, dass der EGMR737 in seiner Comingersoll-Rechtsprechung Entschädigungsansprüche für Nichtvermögensschäden zugunsten juristischer Personen im Rahmen von Art. 41 EMRK738 für möglich hält.739 Dies unterliegt gleichzeitig folgender Einschränkung: Der Comingersoll-Fall behandelt einen Fall, der nicht Art. 10 EMRK, sondern Art. 6 EMRK betrifft: das Recht auf ein faires Verfahren. Dies wird auch stellenweise in der russischen Literatur erkannt.740 Das bedeutet zwar einerseits, dass in dieser Konstellation ein Entschädigungsanspruch Teil des völkerrechtlich verankerten Mindeststandards ist, gleichzeitig aber nicht, dass dies für alle Bereiche – wie Art. 10 EMRK – gelten muss. Zwar können grundlegende Entscheidungen wie die Comingersoll-Entscheidung des EGMR richtungsweisend und impulsgebend fungieren. So nimmt der EGMR hierbei jeweils eine Einzelfallbetrachtung vor.741 Dafür ist aber das Vorliegen einer vergleichbaren Situation Voraussetzung, auf die die Rechtsprechung des EGMR übertragbar wäre. Das ist hier gerade nicht der Fall. Der EGMR hält in der Comingersoll-Entscheidung einen Entschädigungsanspruch auch juristischer Personen im Bereich des effektiven Rechtsschutzes bei überlanger Dauer von Gerichtsverfahren für jedenfalls nicht ausgeschlossen.742 Dabei betrifft dies das subordinative Verhältnis zwischen einem Staat und seinen Gerichten auf der einen und der juristischen Person als privatem Akteur auf der anderen Seite. Auch weitere Entscheidungen des EGMR betreffen ausschließlich diesen Bereich.743 Die vorliegende Konstellation betrifft aber das 737 Wenn auch zögerlich, so sagt er: „Judicial practice in several of the States shows that the possibility that a juristic person may be awarded compensation for non-pecuniary damage cannot be ruled out. In the light of its own case-law and that practice, the Court cannot therefore exclude the possibility that a commercial company may be awarded pecuniary compensation for non-pecuniary damage.“ (Hervorh. durch Verf.). 738 Art. 41 EMRK regelt die „Gerechte Entschädigung“ wegen Konventionsverletzung. 739 Eingehend zur Rolle des „individual substratum“ für die Entscheidungen des EGMR, Emberland, British Yearbook of International Law (2003), 409 (429). 740 Archipov, Evrazijskij juridičeskij žurnal 11 (2017), 157 (159); wohl auch Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2005), 111 (114). 741 So heißt es im Comingersoll-Urteil: „Whether an award should be made will depend on the circumstances of each case.“ 742 Und sprach auch juristischen Personen einen Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens, weil ihnen die Inanspruchnahme der nationalen Gerichtsbarkeit verwehrt wurde, zu, EGMR, Urteil vom 10.07.1998 – 20390/92 (Tinnelly & Sons Ltd and Others and McElduff and Others/The United Kingdom). 743 Verurteilung der Vertragsstaaten zur Zahlung einer Kompensation wegen überlanger Verfahrensdauer im Zivilverfahren in EGMR, Urteil vom 16.11.2000 – 36811/97 (Bielectric Srl/Italy); wegen Durchsuchung ohne richterlichen Beschluss in EGMR, Urteil vom 16.07.2002 – 37971/97 (Société Colas Est and Others/France); wegen behördlichem Versagen in EGMR, Urteil vom 14.06.2005 – 61651/00 (Rusatommet Ltd./Russia); der vom Plenum des Höchsten Arbitragegerichtshofs der Russischen Föderation erlassene Informationsbrief „O vozmeščenii vreda, pričinёnnogo gosudarstvennymi organami, organami mestnogo samoupravlenija, a takže ich dolžnostnymi licami“ vom 31.05.2011, Nr. 145, adressiert dieses Verhältnis.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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Verhältnis zweier privater Akteure. Hier spielen sich gegenüberstehende und gleichermaßen zu berücksichtigende Interessen eine Rolle. Diese Differenzierung ist auch dem russischen Recht bekannt. Für einen Fall, bei dem einer Unternehmerin rechtswidrig Eigentum entzogen wurde, stellte der Höchste Arbitragegerichtshof fest: „Beachtet werden muss, dass die Kompensation des immateriellen Schadens eine besondere öffentlich-rechtliche Art der Ausführung öffentlich-rechtlicher Pflichten zum Ersatz des Schadens darstellt, der durch rechtswidrige Handlungen (und Unterlassungen) staatlicher Organe […] zugefügt wird, weswegen das Recht einer solchen Kompensation in zivilrechtlichen Rechtsverhältnissen, die auf der Anerkennung der Gleichstellung ihrer Teilnehmer beruht, bei Subjekten dieser Verhältnisse nicht besteht“.744
Im Rahmen ihrer Argumentation ist zudem der Verweis der Gerichte auf die EGMR-Rechtsprechung interessant, da die dortigen Urteile Art. 41 EMRK behandeln. Gem. Art. 1 EMRK sind die Vertragsparteien nur zur Zusicherung der in Abschnitt I genannten Rechte und Pflichten verpflichtet, Artt. 2–18 EMRK.745 Diese „überobligatorische“ Übernahme der Positionen des Gerichts ist vor dem Hintergrund jüngster Entwicklungen im Verhältnis Russlands zum EGMR bemerkenswert.746 Entsprechend der durch den EGMR entwickelten Rechtsprechungslinie reagierte der deutsche Gesetzgeber im Jahre 2011. Dieser führte mit § 198 I GVG747 einen staatshaftungsrechtlichen Entschädigungsanspruch ein, der bei Überlänge eines Verfahrens das Vorliegen von Nichtvermögensschäden vermutet, § 198 II 1 GVG. Nach § 198 VI Nr. 2 GVG gehören auch juristische Personen zu den Anspruchsberechtigten. Eine Abkehr vom Ausschluss der Entschädigungsmöglichkeit von Nichtvermögensschäden für juristische Personen ist deswegen nicht erfolgt. Für § 198 GVG konkretisiert die deutsche Rechtsprechung, Grund für die im Gesetz verankerte Vermutung von Nichtvermögensschäden sei – trotz potentiellem Vorliegen materieller Schäden – deren schwere Beweisbarkeit.748 Dies lässt sich auch den Gesetzesmaterialien zur Einführung des 744 Höchster Arbitragegerichtshof, Urteil des Präsidiums vom 23.11.2010, Nr. 6763/10: „Sleduet učityvat’, čto kompensacija nematerial’nogo vreda javljaetsja osobym publično-pravovym sposobom ispolnenija gosudarstvom objazannosti vozmeščenija vreda, pričinёnnogo nezakonnymi dejstvijami (ili bezdejstviem) gosudarstvennych organov […], poėtomu v graždansko-pravovych otnošenijach, osnovannych na priznanii ravenstva ich učastnikov, u sub”ektov ėtich otnošenij ne voznikaet prava trebovat’ takoj kompensacii.“ 745 Dazu schon Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2005), 111 (114). 746 Und erinnert an Rosinenpickerei, vgl. Angelika Nußberger, Interview vom 10.03.2016 im Rahmen der Assistententagung in Mainz 2016, siehe supra Kap. 3 Fn. 211, die in diesem Zusammenhang auf eine „pick-and-choose-Politik“ hinweist, zudem erscheint der Verweis auf Rspr. des EGMR oftmals als „plakativ“, ohne dass sich in der Sache mit den rechtlichen Spannungsverhältnissen auseinandergesetzt wird, Nußberger, in: Einführung in das russische Recht, S. 65. 747 Einführung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜVerfBesG) vom 24.11.2011, BGBl. 2011 I 2302. 748 LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 – L 4 P1/07, BeckRS 2010, 72766.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
§ 198 GVG entnehmen.749 Für die Einführung des § 198 GVG und die Anwendbarkeit auf juristische Personen spricht zudem der effektive Rechtsschutz. Die Auseinandersetzung zwischen Bundesrat und -regierung zeigt, dass gerade aufgrund der Comingersoll-Rechtsprechung ein effektiver Rechtsbehelf geschaffen werden sollte.750 Hierbei sind die Ausführungen zur Frage zu beachten, inwiefern dieser Anspruch mit der Tatsache vereinbar ist, dass dem zivilrechtlichen Deliktsrecht nach §§ 823 ff., 253 BGB und Art. 1, 2 I GG ein Anspruch auf Kompensation immaterieller Schäden für juristische Personen fremd ist.751 Danach sei „[d]er Entschädigungsanspruch […] nicht unter dem Blickwinkel des deutschen Schadensersatzrechts zu beurteilen, sondern stell[e] einen staatshaftungsrechtlichen Anspruch sui generis auf Ausgleich für Nachteile infolge rechtswidrigen hoheitlichen Handelns dar“.752 Dies wird auch in der deutschen Rechtsprechung aufgegriffen. Danach könne der in § 198 I GVG geregelte Entschädigungsanspruch für einen Nachteil nicht mit deliktsrechtlichen Ansprüchen verglichen werden. Die den §§ 823 ff., 249 ff. BGB unterliegende Dogmatik sei daher nicht übertragbar.753 Interessant ist, dass auch Russland ein solches Gesetz verabschiedet hat.754 Dies richtet sich sowohl an natürliche Personen wie auch „Organisationen“ und verleiht Ansprüche sowohl auf den Ersatz von Vermögens- wie auch Nichtvermögensschäden, Art. 1 P. 1 des Gesetzes. Gleichzeitig erkennt der EGMR in der genannten Entscheidung die unterschiedliche Handhabe der Vertragsstaaten bei der inländischen Rechtssetzung und Rechtspraxis zum Schutz von Unternehmen hinsichtlich ihrer Reputation und ihres wirtschaftlichen Überlebens insgesamt an.755 Für die Festlegung der 749
BT-Drucks 17/3802, S. 41. 17/3802, S. 40, 41. ist, dass das 2019 in Kraft getretene Geschäftsgeheimnis-Schutzgesetz einen Anspruch auf Entschädigung für Nichtvermögensschäden in § 10 III GeschGehG vorsieht. Diese Ermächtigung entspricht der Anordnung in § 253 I BGB. 752 BT-Drucks 17/3802, S. 40. 753 BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 1 /13 R, BeckRS 2015, 68304; falsch ist daher die Annahme in der russischen Rechtswissenschaft, der deutsche Gesetzgeber müsse, wegen Unvereinbarkeit mit der EGMR-Rspr., eine Möglichkeit zum Ersatz von Nichtvermögensschäden schaffen, vgl. Erdelevskij/Telke, Chozjajstvo i pravo 1 (2011), 12 (16); Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 155. Im Übrigen preist die Rspr. Ängste der für die juristische Person handelnden natürlichen Personen ein, wenn diese selbst diesbezüglich keinen Entschädigungsanspruch gelten machen können, vgl. das oben genannte Urteil des BSG, Rn. 37, auch dies betrifft die Effizienz des unter dem „rule of law“-stehenden Gedanken des innerstaatlichen Rechtsbehelfs natürlicher und juristischer Personen bei unangemessen langen Gerichtsverfahren. 754 Föderalgesetz „Über die Kompensation wegen der Verletzung der Rechte auf ein gerichtliches Verfahren in einer angemessenen Zeitdauer oder der Rechte auf eine richterliche Entscheidung in einer angemessenen Zeitdauer“ („O kompensacii za narušenie prava na sudoproizvodstvo v razumnyj srok ili prava na ispolnenie sudebnogo akta v razumnyj srok“), vom 30.04.2010, Nr. 68-FZ. 755 Emberland, British Yearbook of International Law (2003), 409 (421 f.), kritisiert die 750 BT-Drucks 751 Interessant
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Schadenshöhe sind aber auch danach stets die unterschiedlichen Interessen zu berücksichtigen.756 Indes besteht eine Tendenz, die Meinungsfreiheit höher zu gewichten.757 Zu betrachten ist neben diesen Aspekten die Benutzung der jeweiligen Terminologie. Der EGMR spricht von „non-pecuniary damage[s]“,758 nichtmonetäre Schäden. Diese definiert der EGMR im Comingersoll-Urteil als Wiedergutmachungsschaden, etwa für Angst, Unannehmlichkeiten und Ungewissheit.759 Dies ist durchaus gleichzusetzen mit den Begriffsverständnissen im deutschen Recht760 und mit dem Konzept des moralischen Schadens im russischen Recht761. Der Reputationsschaden hingegen, als Schmälerung einer bestimmten Reputation verstanden, meint – losgelöst von seiner formalen Definition in Wissenschaft und Praxis – die Kompensation für nicht bezifferbare Vermögensschäden und hat daher konzeptionell nichts mit „non-pecuniary damage“ gemein.762 Die Lesart des Comingersoll-Urteils763 und die sich daraus ergebende Herangehensweise der russischen Gerichte, juristischen Personen im Rahmen von Entscheidung des EGMR für die Schlussfolgerung aufgrund des gerade fehlenden Konsensus der Vertragsstaaten und will die Vorsicht der Formulierung als Beweis fehlender Substantiiertheit der Argumentation enttarnt wissen. 756 EGMR (Große Kammer), Urteil vom 06.04.2000 – 35382/97 (Comingersoll/Portugal); Urteil vom 15.02.2005 – 68416/01 (Steel and Morris/The United Kingdom), Rn. 95, der es für die Festlegung der Schadenshöhe für notwendig erachtet, dass ein „Maß an prozessualer Fairness und Waffengleichheit“/„measure of procedural fairness and equality of arms“ vorherrscht und die verschiedenen Interessen berücksichtigt werden. Dabei ging es im vorliegenden Fall um den unzureichenden Schutz durch britische Gerichte im Hinblick auf die Meinungs- und Pressefreiheit einer Kampagne gegen McDonald’s und die Notwendigkeit, deren „entgegenstehendes Interesse in die Meinungsfreiheit und eine offene Debatte zu schützen“/„to safeguard the countervailing interests in free expression and open debate“; dies klingt interessanterweise auch in der Rspr. des OG an, Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16, P. 38. 757 EGMR (Große Kammer), Urteil vom 26.04.1979 – 6538/74 (The Sunday Times/The United Kingdom); (Große Kammer), Urteil vom 27.03.1996 – 17488/90 (Goodwin/The United Kingdom); (Große Kammer), Urteil vom 08.07.1986 – 9815/82 (Lingens/Austria); interessanterweise wird diese Einschätzung geteilt von Gavrilov, Prava čeloveka 4 (2009), 34 (39). 758 Siehe supra Fn. 531, 532. 759 Comingersoll-Urteil, siehe supra Kap. 3 Fn. 51, P. 29: „[…] reparation for the anxiety, inconvenience and uncertainty caused by the violation, and other non-pecuniary loss.“ 760 Oetker, in: MüKo, § 253 Rn. 4. 761 Siehe dazu supra B. II. 2. a). 762 Auch wenn der OG die Vergleichbarkeit per definitionem bewiesen haben möchte, vgl. supra Fn. 585. 763 Das auch für sich genommen nicht unumstritten blieb: Interessant ist so der Hinweis von Emberland, British Yearbook of International Law (2003), 409 (416 f.), der unter dem Gesichtspunkt deutscher Rechtstheorie zum naturrechtlichen Hintergrund von Grundrechten und des in rechtsstaatlicher Tradition stehenden Prozessrechts auf die Kontroverse im Comingersoll-Urteil hinweist: Während die Rechtsverletzung (Art. 6 EMRK) Verfahrensrechte betreffe, sei der Rechtsbehelf aus Art. 41 EMRK Ausfluss der Menschenwürde. Übertragen werden kann dieser Gedanke im weiteren Sinne auch auf die Problematik im russischen Recht: Der moralische Schaden ist kein Institut, das auf juristische Personen anwendbar wäre.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Art. 41 EMRK immaterielle Schäden aufgrund der Verletzung der Vertragsstaaten zu ersetzen, auf Schuldverhältnisse zwischen privaten Akteuren im Bereich des nationalen Rechts zu übertragen, ist abzulehnen. Mit Ausnahme dieses Falles lässt sich ein Anspruch auf Kompensation eines Reputationsschadens im Sinne immaterieller Verluste der EGMR-Rechtsprechung nicht entnehmen. In Hinblick auf die EGMR-kritische Rechtsprechung des russischen Verfassungsgerichts vom 14.07.2015764 erscheint die russische Praxis, der ComingersollRechtsprechung im Hinblick auf die genannten Ansprüche auch Gewicht im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht einräumen zu wollen, durchaus paradox. So bestärkt sie nicht nur Ansprüche privater Wirtschaftsunternehmen, wenn sich Vermögensverluste nicht beziffern lassen. Die Angst vor der Verpflichtung zu Entschädigungszahlungen kann für Journalistinnen und Journalisten auch ein unfreies Tätigkeitsklima erzeugen. Eine solche Situation ist gerade unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit und ihrer Bedeutung in der EMRK abzulehnen. 2. Die Verfassung der RF gibt zur genannten Frage kein eindeutiges Bild ab. Art. 23 Verf. RF enthält eine Schutzpflicht, die rechtliche Schutzmechanismen zum Reputationsschutz erforderlich macht. Da Art. 23 Verf. RF765 für die Geschäftsreputation juristischer Personen (entsprechend ihrer Wesensmäßigkeit) gilt, stünde der Schaffung eines solchen Anspruchs grundsätzlich nichts im Wege. Allerdings ist diese Schutzpflicht Ausfluss der Menschenwürde nach Art. 21 Verf. RF. Hält man Art. 21 Verf. RF in seiner Ausformung als „äußerst ungefähres Äquivalent“766 der Geschäftsreputation zur Würde – entgegen der hier vertretenen Auffassung – für auf juristische Personen anwendbar, so könnte ein derart hohes Schutzniveau verfassungsrechtlich vertretbar sein. Das Verfassungsgericht sieht jedenfalls mit Art. 45 P. 2 Verf. RF eine Legitimation zur Schaffung einer persönlichkeitsschutzrechtlichen Gleichstellung juristischer Personen für gegeben an. Der OG betont indes im Plenarbeschluss vom 24.02.2005 den unterschiedlichen Rang der jeweiligen Rechte: Während es sich bei den in Art. 152 ZGB genannten Gütern für natürliche Personen um Güter von Verfassungsrang handelt, kann sich eine juristische Person lediglich darauf berufen, dass die GeDer Reputationsschaden hat mit einem Nichtvermögensschaden nichts zu tun. Auch nach dem russischen ZGB hat eine juristische Person weiterhin keine Möglichkeiten, Nichtvermögensschäden einzuklagen. In Hinblick auf die europarechtlichen Regelungen können aber Nichtvermögensschäden vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Überlegungen auch für juristische Personen angemessen sein. Im Verhältnis zu anderen privaten Entitäten dagegen darf dies nicht der Fall sein. Dem schließt sich die davon abzusondernde Frage an, welche Rolle die Reputation in der Abwägung zwischen den konkurrierenden Rechten spielen sollte. 764 Vfg., Urteil vom 14.07.2015, Nr. 21-P, abrufbar unter: . 765 Nach a. A. auch Art. 21 Verf. RF, siehe supra Kap. 3 A. 766 Siehe supra Kap. 3 Fn. 43.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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schäftsreputation eine der Bedingungen ihres erfolgreichen Tätigwerdens ist.767 Leider geht der OG – und gehen die sich auf die Entscheidung berufenden Gerichte – nie auf die Bedeutung dieser Unterscheidung ein. Denkbar wäre aber folgende Lesart der Aussage: Da die Geschäftsreputation, anders als die Ehre oder Würde, kein in der Verfassung geschütztes Gut ist, liegt dem Persönlichkeitsrechtsschutz juristischer Personen ein anderes (geringeres) Schutzniveau als das natürlicher Personen zugrunde. Entsprechend der Begrenzung, die auch im deutschen Recht besteht, wäre es erstrebenswert, dass sich die russischen Gerichte auf einen solchen Persönlichkeitsschutz juristischer Personen begrenzen, der für diese zur Ausübung ihrer Tätigkeit und zur Erfüllung ihres Zwecks notwendig, aber auch durch diesen begrenzt ist. Dementsprechend bedarf es eines substanziellen Vermögensschutzes juristischer Personen bei Rufschädigungen. Dieser darf aber im Lichte der Meinungsfreiheit und mit Berücksichtigung der „schwächeren“ Stellung der Geschäftsreputation juristischer Personen nicht über seinen originären Zweck ausgeweitet werden. Kompensationsansprüche wegen Reputationsschäden stellen eine solche Ausweitung dar. 3. Nach der aktuellen Rechtslage ist ein klarer Gesetzesvorbehalt in Art. 1099 P. 2, 151 P. 2 ZGB geregelt, nachdem die Entschädigung des moralischen Schadens durch das Gesetz festgelegt sein muss. Ein solcher Gesetzesvorbehalt findet sich in Bezug auf Kompensationszahlungen auch in Art. 1064 P. 1 S. 3 ZGB. Dies zeigt, dass eine monetäre Ausgleichsleistung bei immateriellen Verletzungen nur in den vom Gesetz geregelten Fällen zu erfolgen hat. Da eine solche Regelung für die Verletzung der Geschäftsreputation bei juristischen Personen fehlt, besteht nach der aktuellen Gesetzeslage kein Anspruch juristischer Personen auf einen Nichtvermögensschaden.768 Abgesehen vom Schweigen des Gesetzes zu einem „Reputationsschaden“ findet sich mit Art. 152 P. 11 ZGB jedenfalls ein Indiz dafür, dass ein immaterieller Schadensersatz nach der russischen Gesetzgebung nicht vorgesehen ist. Zwar ist zuzugeben, dass dies nur für den moralischen, nicht aber jeglichen Nichtvermögensschaden gilt. Nichtsdestotrotz spricht die Nichteinführung eines entsprechenden Äquivalentes für juristische Personen gegen eine entsprechende Positionierung des ZGB. Die Regelungen des Art. 152 ZGB gelten zudem nicht unmittelbar für juristische Personen, sondern werden nur entsprechend auf diese angewendet. Dieser dogmatisch nur graduelle Unterschied verstärkt aber den Befund, dass juristische 767 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 1; anzumerken ist, dass sich die Arbitragegerichte auch vor Vereinigung des Höchsten Arbitragegerichtshofs auf Positionen des OG beriefen. Dies lässt sich mit dem Fehlen höchstrichterlicher Rspr. zum Reputationsschutz juristischer Personen in der Arbitragegerichtsbarkeit erklären, vgl. Glazkova, Kontrakt (2015), 1 (1), aus: Konsul’tant Pljus. 768 Dies gilt für den Reputationsschaden, den immateriellen Schaden und den moralischen Schaden gleichermaßen.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
Personen lediglich materielle Schadensersatzansprüche geltend machen können. Dies zeigt auch der Gleichlauf mit Art. 1064 P. 1 ZGB, in dem nur das Vermögen genannt ist. Zu Art. 151 ZGB und Art. 1101 ZGB stellt der OG weiterhin fest, dass ein Anspruch auf Ersatz des moralischen Schadens nur zu dem Zweck zulässig ist, wie das Gesetz ihn vorsieht: zur Kompensation erlittener physischer oder psychischer Schäden, vgl. Art. 151 ZGB. Eine andere Zwecksetzung – wie etwa die faktische Begrenzung der Meinungsfreiheit durch entsprechende Ansprüche – verstößt nach dem OG gegen Art. 29 Verf. RF. Diese Überlegung lässt sich auch für die Reputationsschäden fruchtbar machen – sofern man sie dem Grunde nach zulässt. Derartige Schäden können dann nicht zulässig sein, wenn sie die Meinungs- und Pressefreiheit übergebührlich einschränken, was gerade im Verhältnis zwischen dem Recht auf den Schutz der Geschäftsreputation und der Meinungs- und Pressefreiheit besonders beachtet werden muss. Keine abschließende Bewertung lässt sich der Art. 12 ZGB entspringenden Argumentation entnehmen. Art. 12 ZGB listet zwar außer der „Kompensation des moralischen Schadens“ keine weiteren Ansprüche auf, wird aber auch nicht für abschließend gehalten.769 Nach Art. 12 a. E. ZGB erfolgt der Schutz ziviler Rechte daher auch auf andere, durch das Gesetz vorgesehene Weise. Dazu zählt etwa Art. 1252 P. 3 ZGB, der alternativ zum Schadensersatzanspruch einen Kompensationsanspruch normiert. Selbst Art. 1252 P. 3 ZGB sieht den Kompensationsanspruch lediglich als Alternative, nicht aber als neben den Ersatz von Schäden in Form materieller Verluste tretende Möglichkeit an. Zudem berufen sich die Gerichte beim Firmenschutz darauf, dass die Kompensationsmöglichkeit durch das Gesetz gerade nicht vorgegeben sei und verweisen allein auf Ersatzansprüche hinsichtlich des materiellen Schadens.770 Gleichzeitig müssen „sonstige“ Schutzarten, die Art. 12 ZGB grundsätzlich zulässt, durch das Gesetz vorgesehen sein, vgl. Art. 12 a. E. ZGB. Dies ist für den Reputationsschaden nicht gegeben. Die Annahme eines Anspruchs ohne gesetzliche Regelung widerspräche zudem Art. 10 EMRK, nachdem Einschränkungen in die dort geschützten Rechte dem Vorbehalt des Gesetzes genügen müssen.771 769 Sergeev, in: Kommentarij k Graždanskomu kodeksu Rossijskoj Federacii čast’ pervaja, Art. 12 P. 1, S. 35, nennt Art. 12 ZGB „unvollständig“/„nesoveršennyj“, zudem sei die Aufzählung wissenschaftlich nicht begründet und nur die „verbreiteteren Schutzarten“/„naibolee rasprostranёnnych sposobov zaščity“ aufgeführt. 770 Arbitragegericht der Oblast Samara, Urteil vom 29.12.2017, Sachnr. A55-19280/2016 (ohne Änderung des erstinstanzlichen Urteils auch in der [letztinstanzlichen] Appellationsentscheidung des 11. Arbitrageappellationsgerichts, Entscheidung vom 12.03.2018, Nr. 11AP2392/2018). 771 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 4 (2005), 111 (116). Daneben stellt sich die Frage nach der normativen Verankerung eines solchen Kompensationsanspruchs, ist doch Art. 152 P. 9, 11 ZGB dem Heranziehen gerade versperrt. Versteht man Art. 1064 P. 1 ZGB als Generalklausel, würde dieser in Betracht kommen. Dem allerdings steht entgegen, dass sich Art. 1064 ZGB lediglich auf das Vermögen juristischer Personen bezieht.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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Denkbar wäre es, den Reputationsschaden lediglich in der Haftungsausfüllung zu berücksichtigen. Da der „Reputationsschaden“ nach der hier vertretenen Ansicht Vermögensschaden ist, würde ein Anspruch auf materiellen Schadensersatz nach Art. 152 P. 9, 11 ZGB als Anspruchsgrundlage fungieren. Bei der Betrachtung des konkreten Schadenspostens wäre dann der Schaden der Reputation zu berücksichtigen. Ob man einen solchen Schadensposten anerkennt, bleibt zweifelhaft.772 Auch inwiefern eine solche Differenzierung mit dem russischen Deliktsrecht vereinbar wäre, ist fraglich, da dieses in seinem vierstufigen Deliktsaufbau die Unterscheidung zwischen Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung nicht vorsieht. Der einzige Nichtvermögensschaden des ZGB, der moralische Schaden, bezieht sich auf echte immaterielle Güter im Sinne des Art. 150 ZGB. Die Geschäftsreputation juristischer Personen ist kein immaterielles Gut im Sinne des Art. 150 ZGB.773 Ob eine juristische Person Nichtvermögensschäden erleiden kann, ist jedenfalls nicht uneingeschränkt zu bejahen.774 Für den Reputationsschaden kommt es auf diese Frage nicht an. Dieser entstand aufgrund des Bedürfnisses, einen geldmäßigen Ausgleich für materielle Verluste zu schaffen, die zwar vorhanden, aber nur schwer bezifferbar sind.775 Das Ergebnis sind pauschalisierte Vermögensschäden. Bei dem Reputationsschaden handelt es sich demnach um „typisierte“ Vermögensschäden. Unter seinem Zuspruch wird Kompensation für materielle Verluste gewährt, um dem Rechtsinhaber einen Ausgleich zu gewähren, der in seiner tatsächlichen Höhe im Wege herkömmlicher, im Gesetz geregelter Ansprüche aufgrund der erschwerten Beweisbedingungen sonst (wohl) nicht einklagbar wäre. Der Reputationsschaden ist daher als „verkappter Vermögensschaden“ einzuordnen. Das hier gefundene Ergebnis lässt sich auch in Anbetracht des Zwecks von Nichtvermögensschäden rechtfertigen. Wie oben ausgeführt, führt die Kompensationszahlung nicht zur Wiederherstellung der Geschäftsreputation, wenn diese durch die Verletzung einen Ansehensverlust erlitten hat. Aufgrund der Natur der juristischen Person als künstliches Konstrukt kann eine solche Zahlung auch nicht zur Genugtuung verhelfen,776 da eine solche die Fähigkeit voraussetzt, Genugtuung zu empfinden. Weiterhin ist der Zweck auch 772
Siehe dazu infra unter dem Aufzählungspunkt 5 dieses Abschnitts.
773 Siehe bereits Kap. 5 A. IV. 774 Das BSG geht in seinem Urteil
vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 1 /13 R, BeckRS 2015, 68304, wohl davon aus; die Anschlussrevision sah das anders. Stets zu trennen ist aber die Frage, inwiefern Rechtshandlungen immaterielle (Negativ-)Folgen für juristische Personen mit sich ziehen können, von der Frage, ob sich die juristische Person dagegen mit Ersatzansprüchen wehren kann. 775 Gleiches stellt Emberland, British Yearbook of International Law (2003), 409 (424), für die hinter dem Tenor stehende Motivation des EGMR im Comingersoll-Fall fest. 776 Was nach Maleina, Vestnik graždanskogo prava 10 (2010), 173 (176), aber der Fall sein soll.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
nicht in einem zivilrechtlichen Bestrafungsansatz zu suchen.777 Einen Platz finden würde allein die Ausgleichsfunktion. Auch hier kann es aber nicht darum gehen, eine „Empfindung“ im Sinne von seelischen Belastungen oder erlittenem Unrecht auszugleichen. Wieder wäre auf die Unterscheidung zwischen juristischen und natürlichen Personen zu verweisen. Der Ausgleichszweck kann daher nur dazu dienen, materielle Schäden zu ersetzen. Diese Praxis findet ihren Grund in der schwierigen Absehbarkeit und Bezifferbarkeit von Schäden bei Rufschädigung und in den unterschiedlichen Beweisanforderungen. Dieser in der Tat schwierigen Situation kann und sollte aber nicht durch eine Neuschaffung von Schadensposten und einer Umgehung begegnet werden. Vielmehr sind hier die Regelungen zur Einklagbarkeit von Vermögensschäden zu überprüfen. 4. Daneben ist ein rechtspolitischer Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Da auch im russischen Persönlichkeitsrecht stets eine Abwägung zwischen den verschiedenen hinter den Ansprüchen stehenden Interessen zu erfolgen hat, ist insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit den Persönlichkeitsinteressen gegenüber zu stellen. Die Zulassung von Kompensationsansprüchen bedeutet ein Einfallstor für hohe Kompensationslasten der sich äußernden Personen. Da dies in den meisten Fällen Zeitungen, Verlage sowie Journalistinnen und Journalisten sind, besteht eine Gefahr für das wirtschaftliche Überleben dieser und damit mittelbar der journalistischen Freiheit.778 Zudem könnte ein solcher Anspruch als Sanktionsinstrument dienen, was dem Recht nicht nur fremd wäre, sondern auch dem Ziel des Meinungsfreiheitsschutzes zuwiderlaufen würde.779 5. Der Reputationsschaden markiert den entscheidenden Unterschied bei der Rufverletzung juristischer Personen zwischen Deutschland und Russland. Gleichzeitig ist beiden Rechtsordnungen gemein: Eine juristische Person hat weder Würde noch Ehre, noch spürt sie Leid oder Angst. Alle wirtschaftlichen Vorgänge und darauf bezogenen Interessen orientieren sich an ihrem Gründungszweck. Jede negative Folge ist auf vermögensbezogene Interessen zurückzuführen.780 Daher messen beide Rechtsordnungen die den juristischen Personen zugestandenen Rechte stets am Zweck ihrer geschäftlichen Tätig777 Das Konzept „punitive damage“, wie es aus dem anglo-amerikanischen Recht bekannt ist, wird in der jüngeren russischen Literatur nicht vertreten, anders noch Maleina, Zakon 10 (1995), 102 (103), die vom „Strafcharakter“ des Kompensationsanspruchs für moralischen Schaden spricht. 778 Ebenfalls hinzuzuzählen ist die Gefahr, dass die Presse gerade vor kritischer Berichterstattung zurückschreckt. 779 Dementsprechend sollten im Bereich der persönlichkeitsrechtlichen Schadensansprüche juristischer Personen allein Schadensersatzansprüche auf den Ersatz materieller (Vermögens-)Schäden vortragsfähig sein. Dies hat keinesfalls die Schutzlosigkeit der juristischen Person zur Folge: Diese kann die Vielzahl an in Art. 152 ZGB genannten Ansprüche geltend machen. Hinzu treten Ansprüche aus dem Massenmediengesetz. 780 Dies gilt jedenfalls für die hier betrachteten kommerziellen juristischen Personen.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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keit.781 Etwas anderes wäre nur vorstellbar, spräche man juristischen Personen eine eigene, dem Menschen vergleichbare Persönlichkeit zu. Dies wäre denkbar im Sinne einer substanziellen „corporate identity“, die über die kollektive Würde der individuellen Träger wie Mitarbeiter und Angestellte hinausgeht. Ein solches Rechtsverständnis ist aber beiden Rechtsordnungen fremd.782 Es stellt sich die Frage, ob es eines neuen Konstruktes dann überhaupt bedarf. Im Rahmen einer Antwort ist Folgendes zu unterscheiden: Der Reputationsschaden stellt kein solches Konstrukt dar. Er füllt die Lücke, die dadurch entsteht, dass kausal auf der Rechtsverletzung beruhende Vermögensschäden kaum beweisbar sind. Angebracht wäre es daher, auf der Ebene der Kausalität wie auch im Bereich der Darlegungslast der Schadenshöhe weitere Erleichterungen zu entwickeln.783 Die sich anschließende Frage ist, ob man einen weiteren, neben den tatsächlich erlittenen materiellen Schaden tretenden Schadensposten für kompensierfähig hält. Dies wäre nur der Fall, wenn man einer juristischen Person ebenso wie einer natürlichen Person für erlittene (materielle) Verluste neben einem materiellen Ersatzanspruch einen Anspruch für die Schädigung des Ansehens zubilligen möchte. Eine Art „Schmerzensgeldäquivalent“ ist aus bekannten Gründen, solange man nicht das „menschliche Surrogat“ heranzieht, abzulehnen. Ein solcher Anspruch wäre überhaupt nur vergleichbar mit dem Marktverwirrungsschaden,784 also eine Art Ersatz für den „merkantilen Minderwert“785 des Rufes nach seiner Schädigung. Anknüpfungspunkt kann hier alleine sein, ob man es über die (materiellen) Schäden hinaus für notwendig erachtet, die Position der juristischen Person bei einer solchen Verletzung zu stärken. Dies könnte darin begründet sein, dass man die juristische Person etwa für die Beschwerlichkeit eines Prozesses entschädigt, der z. B. Unregelmäßigkeiten im alltäglichen Wirtschaftsbetrieb hervorrufen kann. All dies würde aber wiederum in den meisten Fällen auf das eigentliche Leid der Mitarbeiter abzielen. Deren (psychisches) Leid786 ist ihnen selbst und nicht der juristischen Person insgesamt zuzuordnen. Betroffen wäre also auch hier zumeist nur das hinter dem juristischen Konstrukt stehende personelle Substrat. So wäre eine Entschädigungszahlung an die juristische Person nie Kompensati781 Für Russland siehe bereits supra Kap. 3 Fn. 66, für Deutschland siehe etwa BGH, Urteil vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, NJW 2017, 2029 (2030). 782 Für Russland vgl. Kap. 4. 783 So etwa auch Vorschläge von Ali, ĖŽ-Jurist 49 (2016), 1 (1–2), aus: Konsul’tant Pljus; Gavrilov, Vestnik ėkonomičeskogo pravosudija Rossijskoj Federacii 9 (2015), 18 (18–21), als Vertreter einer Vermutungslösung, nach der die Geschäftsreputation bei der Beweisführung zu Vermögensschäden vermutet wird; P’jankova/Gavrilov, Vestnik arbitražnoj praktiki 3 (2016), 1 (1–8), aus: Konsul’tant Pljus. 784 Der aber vom BGH abgelehnt wird, siehe bereits supra Fn. 493. 785 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 9 Rn. 1.34. 786 Dass diese auftreten, kann durchaus nicht bestritten werden; so ist es wohl denkbar, dass im Unternehmen Beschäftigte unter dem sozialen Druck, der bei Rufschädigung auftreten kann, leiden.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
onsleistung für die eigentlichen Leidtragenden.787 Eine Parallele zum deutschen Lauterkeitsrecht ziehend, ließe sich mit den Stimmen für den Ersatz von Marktverwirrungsschäden für einen Anspruch auf Ersatz des Reputationsschadens argumentieren. Dieser wäre dann aber auf Wettbewerbsverhältnisse beschränkt. Auch hier müsste dem besonderen Interesse an der Meinungs- und Pressefreiheit entsprechend Rechnung getragen werden. Für alle anderen Fälle wäre ein solcher Anspruch abzulehnen. Aufgrund der Komplexität und Verfahrenslänge einer Gesetzesänderung ist derweil nicht davon auszugehen, dass Art. 152 ZGB in näherer Zukunft einer Änderung unterzogen wird.788 Gleichzeitig darf eine weitere Verfestigung der Rechtsprechung, für die die höchsten Gerichte den Weg bereits geebnet haben, erwartet werden. Zu hoffen wäre hier, dass sich zu Zwecken der Rechtssicherheit um Rechtsprechungseinheit bemüht wird. Für diesen Prozess stellt sich die Frage nach seiner „Stoßrichtung“. Die Entwicklung der Rechtslage in Russland ist daran zu messen, welcher Schutzstandard dem Ansehen und dem Ruf einer juristischen Person zukommen soll. Dies bezieht sich darauf, wie die Geschäftsreputation juristischer Personen grundsätzlich rechtlich geschützt werden sollte. Hier muss auf die Aussage des OG zurückgegriffen werden, nach dem die Geschäftsreputation nur insoweit dem Schutz unterliegt, als sie Bedingung für das erfolgreiche Tätigwerden ist. Der Reputationsschutz ist demnach kein Selbstzweck, sondern bezieht sich allein auf einen Schutzstandard, der den wirtschaftlichen Bestand der juristischen Person im Rahmen ihres gegebenen Zwecks möglich macht. Diesem Maßstab widerspricht der Gedanke, juristischen Personen zusätzliche, über das erforderliche Maß hinausgehende Kompensationszahlungen zuzusprechen. Erforderlich ist dabei lediglich das, was kausal und schuldhaft durch die Verletzungshandlung in Form eines Schadens eingetreten ist. Vorzubeugen ist Situationen, in denen der juristischen Person durch die Verletzungshandlung die Möglichkeit zum erfolgreichen Tätigwerden genommen und der Klageweg wegen der Schwierigkeiten bei der Beweisführung und der Schadensbezifferung versperrt ist. Zu denken wäre in solchen Fällen daran, entsprechend Art. 1252 P. 3 ZGB anstelle materieller Schadensersatzansprüche Kompensationszahlungen zuzubilligen.789 Hierbei haben sich die Gerichte aber von einer restriktiven Handhabe leiten zu lassen. Zur Sicherstellung dessen könnte eine 787 Anders der EGMR (Große Kammer) in seiner Comingersoll-Rspr., Urteil vom 06.04.2000 – 35382/97 (Comingersoll/Portugal). 788 Also etwa eines Art. 152 P. 12 ZGB, der neben der entsprechenden Anwendung in P. 11 einen Kompensationsanspruch statuiert, oder gar eines separaten Art. 152.3 ZGB, der unter „Schutz der Geschäftsreputation juristischer Personen“ firmiert. 789 Nicht korrekt wäre es aber – jedenfalls nach der vorherrschenden Terminologie, siehe supra unter B. I. 2. a) und II. 2. – dann von „kompensacija“ zu sprechen, da dieser Begriff nur in Zusammenhang mit Nichtvermögensschäden Verwendung findet. Art. 1252 P. 3 ZGB verwendet den Begriff allerdings auch.
B. Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches
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„Schwelle der Schwere“ dienen, so dass Ausgleichszahlungen nur in Ausnahmefällen zugesprochen werden. Auch bei der Höhe ist diese Restriktion zu berücksichtigen. Auf diese Weise kann das verfassungsrechtlich geschützte Gut der Meinungs- und Pressefreiheit hinreichend berücksichtigt werden. Etwas weniger streng könnte dies in wettbewerbsbezogenen Situationen gelöst werden. Der hohe Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit wird Konkurrenten insofern nicht zuteil, weswegen eine unterschiedliche Behandlung von Wettbewerbern und Presse gerechtfertigt ist.
III. Zwischenergebnis Das Persönlichkeitsrecht juristischer Personen in Russland bietet mit Art. 152 P. 9 ZGB einen Schadensersatzanspruch bei Verletzung der Geschäftsreputation. P. 11 der Vorschrift nimmt juristische Personen als Anspruchsinhaberinnen von Kompensationsansprüchen hinsichtlich des moralischen Schadens aus. Ebenso wie § 824 BGB in Deutschland bezieht sich der Schutz der Geschäftsreputation für juristische Personen im russischen Recht allein auf Vermögensinteressen. Der in Art. 152 P. 9, 11 ZGB normierte Anspruch ist daher lex specialis zu Art. 1064 P. 1 S. 1 Alt. 2 ZGB. In die hier als solche empfundene Lücke treten die Kompensationsansprüche für sog. Reputationsschäden. Diese werden als Nichtvermögensschäden qualifiziert. Da die Geschäftsreputation juristischer Personen aber reinen Vermögensinteressen zu dienen bestimmt ist, ist dieser Einordnung nicht zu folgen. Vielmehr sind die Kompensationsansprüche typisierte Vermögensschäden, die sich aus der Schwierigkeit der Beweisanforderungen des Klägers bei Schadensersatzforderungen ergeben. Reputationsschadenszahlungen sind daher „Pauschalsummen“ für entstandene bzw. noch entstehende materielle Verluste. Erkennt man das Konzept des Reputationsschadens trotz aller Zweifel an, sind die hohen Anspruchsanforderungen durchaus begründet. Ihre Stattgabe sollte aber nur alternativ zu Art. 152 P. 9 ZGB erfolgen und insbesondere bei der Betroffenheit höchster entgegenstehender Güter einem „Erforderlichkeitstest“ unterliegen. Indes stünde eine gesetzliche Normierung aus. Abhilfe könnte neben Beweislasterleichterungen bei der Schadensbezifferung materieller Schäden etwa ein Art. 1252 P. 3 ZGB entsprechender Alternativanspruch auf Kompensation leisten, der insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts einen Ausgleich schaffen kann.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
C. Instrumente zum Firmenschutz Auf die in Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsschutz stehenden Rechte wie etwa das Namensrecht und das Kennzeichenrecht ist bereits oben eingegangen worden.790 Neben den rechtlichen Möglichkeiten, die unmittelbar den Schutz der Geschäftsreputation bezwecken, bestehen weitere Instrumente, etwa solche des Firmenschutzes. Dabei ist anzumerken, dass der Firmenschutz in Analogie zum Namensschutz der natürlichen Person einen für juristische Personen bestehenden absoluten Schutz darstellt.791 Während die dogmatische Natur des Firmenrechtsschutzes nicht abschließend geklärt zu sein scheint792 – teilweise wird er als Ausschließlichkeitsrecht auf die Firma als Mittel zur Individualisierung gehandelt,793 andere lehnen die Zuordnung zum geistigen Eigentum ab und ordnen ihn den absolut zu schützenden Persönlichkeitsrechten zu794 – ist jedenfalls eine gewisse Überschneidung und Verflechtung zwischen Persönlichkeitsschutz und Firmenschutz nicht von der Hand zu weisen. Nach Art. 1225 P. 1 Unterpunkt 13 ZGB gehört die Firma zu den Gütern des geistigen Eigentums. Artt. 1473 ff. ZGB regeln Anforderungen an die Eintragung der Firma in die Gründungsdokumente und die Registrierung in das staatliche Einheitsregister juristischer Personen sowie „Ausschließlichkeitsrechte“ an der Firma.795 Gem. Art. 1474 P. 3 ZGB ist die Benutzung der Firma einer anderen juristischen Person unter gewissen Voraussetzung verboten. Art. 1474 P. 4 ZGB verleiht daher dem Firmeninhaber Unterlassungsansprüche. Art. 1474 P. 4 ZGB a. E. sieht zudem Schadensersatzansprüche vor. Nach Art. 1252 P. 3 ZGB kann in gesetzlich vorgesehenen Fällen statt dem materiellen Schadensersatz ein Entschädigungsanspruch für die Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums geltend gemacht werden. Eine solche Norm sehen Art. 1473 ff. ZGB für den Firmenschutz nicht vor.796 790
Siehe supra, Kap. 5 B. I–IV. Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 190 f., die zudem anmerkt, dass die Verortung des Firmenschutzes im Bereich des geistigen Eigentums im ZGB als Ausschließlichkeitsrecht verfehlt ist. 792 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 189 f. 793 Suchanov u. a., Graždanskoe pravo Tom 1, S. 187. 794 Zusammenfassend Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 190. 795 Interessanterweise verfügen nichtkommerzielle Personen über kein Ausschließlichkeitsrecht an ihrem Namen. Dennoch sei der Name nicht schutzlos, seine Benutzung wird als rechtsmissbräuchliches Verhalten nach Art. 10 P. 1 ZGB und Verletzung der Geschäftsreputation des Namensinhabers verstanden, Art. 152 P. 11 ZGB (Art. 152 P. 7 ZGB a. F.). Während Art. 10 P. 1 ZGB aber keinen Anspruch liefert, sondern nur rechtsmissbräuchliches Verhalten verbietet, sieht Art. 152 ZGB konkrete Ansprüche vor. Für nichtkommerzielle Personen stellen damit der Reputationsschutz und ein Anspruch aus Art. 152 P. 11 ZGB das Mittel der Wahl auch beim Namensschutz dar, Suchanov, Graždanskoe pravo Tom 1, S. 188; zur diesbezüglichen Rechtsprechung siehe etwa Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 194. 796 Bestätigt durch Arbitragegericht der Oblast Samara, Urteil vom 29.12.2017, Sach 791
D. Instrumente zum Schutz der Unternehmensgeheimnisse
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Die Verbindung zum Persönlichkeitsschutz entspringt daneben der potentiellen Gefährdung beider Güter durch eine Verletzungshandlung. Somit kann bei Verletzung des Firmenrechts auch die Geschäftsreputation betroffen sein.797 Ein Gericht verwies so etwa auf die Anmaßung der Geschäftsreputation durch die Nutzung der Firma.798 Die besondere Bedeutung der Firma ergibt sich auch aus dem engeren Bezug dieser zu ihrer Geschäftsreputation im Sinne eines Identifizierungszeichens, während die (Geschäfts-)Reputation einer natürlichen Person ihrer Würde entspringt und damit in weniger engen Bezug zum Namen zu setzen ist.799 Dies führt allerdings nicht zum Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 152 ZGB, sodass durch Firmenanmaßung etwa kein Schadensersatzanspruch aus Art. 152 P. 9, 11 ZGB gegeben sein kann.800
D. Instrumente zum Schutz der Unternehmensgeheimnisse Schon tatbestandlich scheidet die Veröffentlichung von Unternehmensgeheimnissen für Ansprüche aus Art. 152 ZGB aus. Es handelt sich dabei weder um „unwahre“ noch um „verunglimpfende“ Äußerungen. Die Frage aber, wie sich Unternehmen etwa vor der Veröffentlichung von Unternehmensinterna schützen können, bleibt bestehen.801 Bereits oben802 wurde auf die sonstigen Instrumente des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes und zivilrechtliche Regelungen zum Knowhow eingegangen. An dieser Stelle ist, auch bezüglich der offenen Fragen zum Verhältnis zum ZGB, auf diese Ausführungen zu verweisen. Art. 1474 P. 1 ZGB enthält dabei einen Schadensersatzanspruch gegen die Person, die gegen Vertraulichkeitspflichten zum Schutz des Knowhows verstößt. Auch Art. 1474 P. 1 ZGB sieht, ebenso wie der Firmenschutz, keinen Kompensationsanspruch vor. Einer Analogie zu Art. 152 P. 9, 11 ZGB und der Annahme eines Ersatznr. A55-19280/2016, nach Rückverweisung durch das Gericht für Geistiges Eigentum, Urteil vom 03.08.2017, Nr. C01-428/2017; in der erstinstanzlichen Entscheidung war eine Kompensation noch zugesprochen worden, Arbitragegericht der Oblast Samara, Urteil vom 26.12.2016, Sachnr. siehe o. 797 15. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 23.05.2017, Nr. 15AP-5817/2017, Sachnr. A53-34334/2016; Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 189. 798 Im Urteil wird die Firma mit dem Warenzeichen gleichgesetzt, 5. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 10.07.2017, Nr. 05AP-4390/2017, 05AP-4503/2017; Sachnr. A5125127/2016. 799 So auch Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 204. 800 Gericht für Geistiges Eigentum, Urteil vom 14.04.2017, Nr. S01-235/2017, Sach nr. A60-27733/2016. 801 Auch datenschutzrechtlich besteht kein Schutz: Das Gesetz „Über persönliche Daten“ („O personal’nych dannych“), vom 27.07.2006, Nr. 152-FZ, ist auf juristische Personen nicht anwendbar, vgl. „persönliche Daten“ einer natürlichen Person nach Art. 3 P. 1 des Gesetzes und den Zweck des Gesetzes in Art. 2, der Schutz der Rechte und Freiheiten natürlicher Personen. 802 Siehe supra Kap. 5 B. II.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
anspruchs für den Reputationsschaden bei gleichzeitiger Verletzung der Geschäftsreputation wird daher im Hinblick auf Art. 1252 P. 3 ZGB auch von den Vertretern des Reputationsschadens eine Absage zu erteilen sein.
E. Sonstige Instrumente Inwiefern die rechtswidrige Nutzung eines Markenzeichens die Reputation und damit Persönlichkeitsrechte der juristischen Person tangiert, ist fraglich. In einem Fall stellte ein Arbitragegericht die Abbildung einer Marke als rechtswidrig fest und sprach dem Kläger Kompensationsansprüche aus Art. 152 P. 9, 11 ZGB zu.803 Die Berufungsinstanz indes ließ – neben der Feststellung des Fehlens der Voraussetzungen des Art. 152 ZGB – in ihrer Erörterung erkennen, dass die Verletzung eines Markenrechts nicht die Geschäftsreputation des Rechtsinhabers verletzen kann.804 Dies hänge damit zusammen, dass Zweck des Markenrechts die Identifizierung der Ware eines Unternehmens sei, nicht aber des Unternehmens selbst. Dies sei vielmehr Aufgabe des Firmenrechts.805 Dem lässt sich entnehmen, dass allein durch den rechtswidrigen Gebrauch einer Marke grundsätzlich kein Anspruch aus Art. 152 ZGB geltend gemacht werden kann und Persönlichkeitsrechte damit nicht betroffen sind. Dieser Schluss wird durch die Rechtsprechung bestätigt.806 Die Verbreitung unwahrer Behauptungen über Warenzeichen einer juristischen Person kann dagegen Ansprüche wegen Verletzung der Geschäftsreputation aus Art. 152 ZGB erwachsen lassen.807 Weiterhin existieren wettbewerbsrechtliche Regelungen, die die Geschäftsreputation schützen. Zentral ist das Kapitel 2.1 „Verbot des unlauteren Wettbewerbs“ des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs.808 Art. 14.1 des Gesetzes sieht hier das Verbot der sog. „direkten Diskreditierung“ vor. Damit wird es als unlauter angesehen, falsche, ungenaue oder verzerrte Äußerungen zu verbreiten, die einem Wirtschaftsunternehmen Schaden zufügen oder seine Ge803 So die erstinstanzliche Entscheidung des Arbitragegerichts der Stadt Moskau, Beschluss vom 10.08.2011, Sachnr. A40-34837/11 26–267. Das Urteil wurde bereits in der Berufungsinstanz, allerdings wegen eines anderweitigen Grundes, abgeändert, 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 14.11.2011, Nr. 09AP-27262/2011; die Einlegung der Kassation (Föderales Arbitragegericht des Moskauer Okrug, Urteil vom 27.02.2012, Nr. F05-589/2012) wie auch die Einlegung einer Aufsichtsbeschwerde beim Höchsten Arbitragegerichtshof (Entscheidung vom 22.06.2012, Nr. VAS-7459/2012) blieben erfolglos. 804 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 14.11.2011, Nr. 09AP-27262/2011. 805 Ibid. 806 Gericht für Geistiges Eigentum, Urteil vom 30.11.2016, Nr. S01-980/2016, Sachnr. А71-14895/2015. 807 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 14. 808 Föderalgesetz „Über den Schutz des Wettbewerbs“ („O zaščite konkurencii“), vom 26.07.2006, Nr. 135-FZ, in der Fassung vom 24.04.2020, Nr. 140-FZ.
F. Zusammenfassung
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schäftsreputation schwächen können.809 An diese Regelung sind allerdings – anders als im deutschen Recht810 – keine zivilrechtlichen Ansprüche der Wettbewerber geknüpft. Sie sind als rein verwaltungsrechtliche Regelungen zu verstehen.811 Dabei wird aber gelegentlich der gleichzeitige Verstoß gegen das Gesetz zum Schutz des Wettbewerbs in die Frage mitaufgenommen, ob die Geschäftsreputation geschädigt wurde und damit ein Schaden entstanden ist (entstanden sein konnte).812
F. Zusammenfassung Der Persönlichkeitsschutz juristischer Personen erfolgt rechtstechnisch primär über den Schutz der Geschäftsreputation im ZGB. Mit Art. 152 ZGB hat der russische Gesetzgeber auch für juristische Personen eine verschiedenste Rechtsbehelfe umfassende Norm geschaffen, die im deutschen Recht nur konstruiert den §§ 823 I, II und 824 ggf. i. V. m. 1004 I BGB entnommen werden. Dabei sind insbesondere Widerrufs- und Beseitigungsansprüche und der Schadensersatzanspruch zentrale Bestandteile hiervon. Diese ähneln in ihren Voraussetzungen § 824 I, II BGB. Wegen des angesprochenen unterschiedlichen Verständnisses erfasst die Subsumtion auch Fälle, die im deutschen Recht unter § 823 I BGB fallen würden. Bei der Anwendung der Norm haben die Gerichte entgegenstehende Interessen zu berücksichtigen. Die Gerichte kommen dieser Anforderung entsprechend der zunehmenden Sensibilisierung für europarechtliche Vorgaben insbesondere in den Bereichen journalistischer Freiheiten zunehmend nach. Die durch Art. 152 ZGB bewirkte verfassungsrechtliche Implikation der Rechte der Artt. 21 Verf. RF führt zu Widersprüchen bei der Anwendung auf juristische Personen. Diese erlangen mangels unmittelbarem verfassungsrechtlichen Schutz über eine Konstruktion mit Art. 45 P. 2 Verf. RF eine Gleichstellung des Rechtsschutzes mit natürlichen Personen. Weder bei Abwägungsfragen der widerstreitenden Interessen noch bei der Diskussion um den sich aus ihrer rechtlichen Stellung ergebenden Rechtsbehelfen wird eine Differenzierung natürlicher und juristischer Personen erwogen. Darüber hinaus verdichtet sich die Rechtsprechung im Bereich schadensrechtlicher Ansprüche zu den als solche bezeichneten Reputationsschäden. Diese sollten ursprünglich die Lücke des Ausschlusses von Entschädigungsansprüchen für moralische Schä809 Paraščuk, Konkurentnoe pravo (pravovoe regulirovanie konkurencii i monopolii), 2002, S. 210, zit. nach Gorodov, Konkurentnoe pravo 2 (2018), 10 (10). 810 Vgl. dazu §§ 4 i. V. m. 8, 9 UWG. 811 Rožkova, Zaščita delovoj reputacii, S. 208. 812 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Urteil vom 01.09.2014, Sachnr. A40-54340/14; bestätigt durch den OG, Entscheidung vom 21.07.2015, Nr. 305-ĖS15-7351. Das erstinstanzliche Arbitragegericht der Stadt Moskau zitierte in seinem Urteil den entsprechenden Art. 14.1 des Gesetzes zum Schutz des Wettbewerbs neben den Anspruchsgrundlagen des Art. 152 ZGB.
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Kapitel 6: Schutzinstrumente
den füllen, helfen de facto aber über die Schwierigkeiten bei der Einklagbarkeit materieller Schäden als Pauschalersatzansprüche hinweg. Ein Widerrufs- und Gegendarstellungsanspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung in den Massenmedien sieht auch das Massenmediengesetz vor. Das Verhältnis zu den entsprechenden Ansprüchen des Art. 152 ZGB ist nicht abschließend geklärt. Auch juristische Personen können sich auf diese Ansprüche berufen. Insgesamt bedarf es einer Nachbesserung zum Gleichlauf der Ansprüche im Verhältnis zueinander. Neben den Regelungen zum Schutz der Geschäftsreputation existieren weitere Instrumente zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und der Firma, die Überschneidungen zur Geschäftsreputation aufweisen. Die Gesamtheit der genannten Instrumente ist in ihrer Anwendungsbreite nicht vergleichbar mit dem dehnbaren Begriff des „Persönlichkeitsrechts“ bzw. der „Persönlichkeitsrechte“ des BGB. Dennoch vermag die Rechtsprechung die Fülle der Klagen unter die vorhandenen Instrumente zu subsumieren; Rechtsschutzlücken werden – bis auf die Normierung des Ersatzanspruchs für den Reputationsschaden – nicht beklagt. Dabei ist abschließend zu betonen, dass trotz der vergleichsweise ausführlichen Regelung der Persönlichkeitsrechte auch in Russland eine Vielzahl an Entscheidungen notwendig war und ist, um die gesetzlichen Regelungen auszufüllen.
Kapitel 7
Rechtsdurchsetzung Nach Abschluss der zu betrachtenden materiell-rechtlichen Fragen bleiben solche verfahrensrechtlicher Art. Dabei soll hier keine umfassende Betrachtung erfolgen. Vielmehr sollen die relevantesten Fragen der Rechtsdurchsetzung, die sich im behandelten Bereich für juristische Personen stellen, beantwortet werden.1 Betrachtet werden der Rechtsweg (A.), die Zuständigkeit (B.), die Beweislast (C.), der vorläufige Rechtsschutz (D.) und die Beziehung zu Parallelverfahren im Strafrecht (E.).2
A. Rechtsweg In der Verfassung finden sich die allgemeine Gerichtsbarkeit und die Verfassungsgerichtsbarkeit in den Artt. 125, 126 Verf. RF. Die allgemeine Gerichtsbarkeit ist zuständig für zivil-, wirtschafts-, straf- und öffentlich-rechtliche3 Streitigkeiten, Art. 126 Verf. RF. Die speziellen Wirtschaftsgerichte4 befassen sich mit zivil- und öffentlich-rechtlichen Fragen insbesondere wirtschaftlicher Art im Bereich unternehmerischer und anderer wirtschaftlicher Tätigkeit,5 Artt. 1, 2 Nr. 2), 27 P. 1 APK.6 Der Wirtschaftsgerichtsweg ist nach Art. 27 P. 2 APK für Klagen demnach dann eröffnet, wenn eine wirtschaftliche Streitigkeit oder eine andere Streitigkeit vorliegt, die zwischen juristischen Personen und Einzelunternehmern ausgetra1 Vor allem Fragen zur Rechtsdurchsetzung bei Verletzung im Internet würden Stoff für eine separate Monographie bieten, diese sind allerdings nicht Kerninhalt der vorliegenden Arbeit. 2 Die Punkte unter C.‑D. weisen dabei keine spezifischen Probleme gerade juristischer Personen auf. 3 Eine spezielle Verwaltungsgerichtsbarkeit existiert nicht. 4 Die Gerichtsbarkeit sieht einen vierstufigen Instanzenzug aus den Wirtschaftsgerichten, den Appellationswirtschaftsgerichten, den Kassationsgerichten und dem OG als höchste Instanz vor, Schmidt, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 118 Rn. 10. 5 „V sfere predprinimatel’skoj i inoj ėkonomičeskoj dejatel’nosti“. 6 Während die Wirtschaftsgerichte („Arbitražnye sudy“) als eigenständige Gerichtsbarkeit neben der allgemeinen Gerichtsbarkeit gegründet wurden, wurden sie dem OG durch das Föderalgesetz im Jahre 2014 (siehe Kap. 6 Fn. 514) als höchste Instanz unterstellt, Schmidt, in: Handbuch der russischen Verfassung, Art. 118 Rn. 1, 2. Dies wurde in das entsprechende Verfassungsgesetz aufgenommen, Artt. 19, 24, 26 des Föderalen Verfassungsgesetzes vom 31.12.1996 „Über das Gerichtssystem der Russischen Föderation“ („O sudebnoj sisteme Rossijskoj Federacii“), Nr. 1-FKZ.
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Kapitel 7: Rechtsdurchsetzung
gen wird oder die Zuständigkeit der Wirtschaftsgerichte anderweitig durch das Gesetz vorgesehen ist. Art. 27 P. 6 APK enthält eine Liste spezieller Rechtswegzuweisungen. Der Rechtsweg der Wirtschaftsgerichtsbarkeit ist danach in bestimmten Fällen auch dann eröffnet, wenn keine schuldrechtliche Beziehung zwischen den Streitparteien gegeben ist. Zu diesen Fällen zählen nach Art. 27 P. 6 Nr. 7) APK Klagen wegen Verletzung der Geschäftsreputation im Bereich unternehmerischer oder sonstiger wirtschaftlicher Tätigkeit. Aufgrund dieser Regelungen ist die allgemeine Gerichtsbarkeit für Streitigkeiten zum Schutz der Geschäftsreputation im Bereich der unternehmerischen oder sonstigen wirtschaftlichen Tätigkeit nie eröffnet.7 Die Literatur verweist für die Frage, ob eine unternehmerische oder sonstige wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, auf den Sachgegenstand des Streites und auf den „subjektiven“ Inhalt des Streits – die streitenden Parteien.8 Daraus ergibt sich, dass sich juristische Personen oder individuelle Unternehmer, die nicht im unternehmerischen9 oder sonst wirtschaftlichen Bereich tätig sind, an die Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit wenden müssen.10 Dies schließt auch Freiberufler ein.11 Für das Vorliegen der wirtschaftlichen Streitigkeit, i. S. d. Art. 27 P. 2 APK, ist das entscheidende Kriterium demnach der wirtschaftliche Charakter des Streits.12 Dieser lässt sich danach bestimmen, ob der Streit unmittelbar in Zusammenhang mit der Ausführung unternehmerischer oder sonstiger wirtschaftlicher Tätigkeit durch den Kläger steht. Für sein Verständnis wird weiterhin der 7 Mit Verweis auf Art. 33 APK (a. F.), OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 3; die allgemeine Gerichtsbarkeit ist allerdings für juristische Personen und Einzelunternehmer dann eröffnet, wenn diese nicht im unternehmerischen oder sonstigen wirtschaftlichen Bereich tätig sind. 8 Lagvilava, in: Arbitražnyj processual’nyj kodeks Rossijskoj Federacii. Razdely I – II: Postatejnyj naučno-praktičeskij kommentarij, Art. 1, S. 3, aus: Konsul’tant Pljus; Belousov, in: Arbitražnyj processual’nyj kodeks Rossijskoj Federacii. Razdely I – II: Postatejnyj naučnopraktičeskij kommentarij, Art. 27 P. 1, S. 29, aus: Konsul’tant Pljus. 9 Sic! Der OG formuliert dies im russischen Original ebenso, trotz der Dopplung des Wortes „Unternehmer“ und auf den ersten Blick widersprüchlichen Wortbedeutung („Если сторонами спора […] юридические лица или индивидуальные предприниматели в иной сфере, не относящейся к предпринимательской и иной экономической деятельности, то такой спор подведомствен суду общей юрисдикции.“). „Individuelle Unternehmer“ muss hier daher weiter verstanden werden, so zählen etwa Freiberufler dazu, vgl. infra Fn. 11. 10 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 3; bestätigt durch OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 1. 11 So wurde die Klage eines Anwaltsbüros nicht angenommen, OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 1. 12 „Ėkonomičeskij charakter“; Belousov, in: Arbitražnyj processual’nyj kodeks Rossijskoj Federacii. Razdely I – II: Postatejnyj naučno-praktičeskij kommentarij, Art. 27 P. 1, S. 29, aus: Konsul’tant Pljus, benennt dieses im Zusammenspiel mit den anderen Gerichtsbarkeiten als das Hauptkriterium; dies entspricht auch der in Art. 22 ZPO RF enthaltenen Regelung.
B. Zuständigkeit
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Begriff der unternehmerischen Tätigkeit herangezogen.13 Die unternehmerische Tätigkeit ist nach der Legaldefinition in Art. 2 ZGB jede selbstständige, auf eigenes Risiko ausgeführte Tätigkeit, die auf systematische Gewinnerzielung durch Vermögensverwendung, den Verkauf von Waren, die Ausführungen von Arbeit oder der Anbietung von Dienstleistungen gerichtet ist. Personen, die unternehmerisch tätig sind, unterliegen dazu einer Registrierungspflicht. Für die Eröffnung des Rechtsweges nicht ausreichend erachtete ein Gericht die Klage eines Patentinhabers.14 Dieser war nicht als Unternehmer registriert. Jedoch scheiterte die Bejahung der Rechtswegeröffnung nicht an diesem formalen Mangel. Das Gericht prüfte vielmehr das tatsächliche Vorliegen einer unternehmerischen Tätigkeit. Das Arbitrageappellationsgericht sah dabei die Tätigkeit des Patentinhabers als auf die Erschaffung von geistigem Eigentum in der wissenschaftlich-technischen Sphäre gerichtet an und nicht auf die Erzeugung einer bestimmten Produktreihe. Nicht ausreichend ist daher der bloß indirekte Bezug zur Gewinnerzielung.15 In einem anderen Fall mangelte es an der wirtschaftlichen Beziehung zwischen den Beteiligten.16 Eine Seeberufsgenossenschaft verklagte eine Behörde wegen Verletzung ihrer Geschäftsreputation durch die Ausstellung eines Dokumentes, das der Genossenschaft mangelnden arbeitsrechtlichen Schutz ihrer Schiffer bescheinigte. Da die mögliche Verletzung der Geschäftsreputation nicht innerhalb eines wirtschaftlichen Verhältnisses erfolgte, verneinte das angerufene Gericht die Eröffnung des Wirtschaftsgerichtswegs.17 Für die hier zu betrachtenden kommerziellen Organisationen wird daher für Klagen wegen Verletzung ihrer Geschäftsreputation stets der Rechtsweg der Wirtschaftsgerichtsbarkeit eröffnet sein, solange die Verletzung im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit stattfindet.
B. Zuständigkeit I. Sachliche Zuständigkeit Spezielle Regelungen hinsichtlich der Zuständigkeiten für Klagen juristischer Personen wegen Verletzung ihrer Geschäftsreputation bestehen nicht. Die Zuständigkeit ist in den Artt. 34–39 APK geregelt. 13 Belousov, in: Arbitražnyj processual’nyj kodeks Rossijskoj Federacii. Razdely I – II: Postatejnyj naučno-praktičeskij kommentarij, Art. 27 P. 1, S. 29, aus: Konsul’tant Pljus. 14 9. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 14.03.2013, Nr. 09AP-41886/2012-GK, Sachnr. A40-120737/2012. 15 Bestätigt durch OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 1. 16 Höchster Arbitragegerichtshof, Übersicht der Rechtsprechung vom 23.09.1999, P. 13. 17 Beschrieben in der Entscheidung des Höchsten Arbitragegerichtshofs, Übersicht der Rechtsprechung vom 23.09.1999, P. 13.
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Kapitel 7: Rechtsdurchsetzung
Art. 34 P. 1 APK weist die sachliche Zuständigkeit den Arbitragegerichten der Subjekte der Russischen Föderation in erster Instanz zu. Zwar sieht Art. 34 APK verschiedene Ausnahmen hierzu vor, Klagen wegen Verletzung der Geschäftsreputation betreffen diese allerdings nicht.
II. Örtliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit18 richtet sich nach der Adresse oder dem Wohnsitz des Beklagten, Art. 35 APK. Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, was etwa bei Organisationen aus den Massenmedien oder Wettbewerbern der Fall sein kann, ist der „Aufenthalt“19 der juristischen Person relevant, was im Umkehrschluss Art. 36 P. 5 APK entnommen werden kann. Demnach kommt es auf den Ort an, an dem die juristische Person ihre Geschäftsadresse hat.20 Eine ausschließliche Zuständigkeit für Fälle der Verletzung der Geschäftsreputation existiert nicht, vgl. Art. 38 APK. Nach Art. 38 P. 5 APK ist für Anträge auf Feststellung rechtlich relevanter Fakten21 die Zuständigkeit des Gerichts vorgesehen, in dessen Bezirk der Kläger seine Adresse oder seinen Wohnsitz hat. Dies wird bei Reputationsverletzungen für den in Art. 152 P. 8 ZGB geregelten Fall relevant, der einen Feststellungsantrag hinsichtlich der Verunglimpfung der Geschäftsreputation vorsieht, wenn die Feststellung des Verbreiters nicht möglich ist.
III. Internationale Zuständigkeit Handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt22 – ist also die Beklagte eine natürliche oder juristische Person mit Sitz im Ausland – ist zu unterscheiden: Im Bereich der Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS) greift das Kiewer Übereinkommen23 vom 20.03.1992.24 Nach Art. 1 Kiewer Übereinkom18 Von den Regelungen der örtlichen Zuständigkeit nach Artt. 35, 36 APK kann gem. Art. 37 APK durch Vertrag abgewichen werden. 19 „Nachoždenie“. 20 Art. 36 APK enthält weiterführende Regelungen, etwa bei Unklarheit über den Ort des Beklagten (P. 1), zu mehreren Beklagten (P. 2), zu im Ausland ansässigen Beklagten (P. 3), Klagen gegen Teile einer juristischen Person wie Abteilungen oder Repräsentanzen (P. 5) und den Fall der Zuständigkeit mehrerer Gerichte, bei dessen Eintreten der Kläger das Gericht seiner Wahl anrufen kann (P. 7). 21 „Zajavlenie ob ustanovlenii faktov, imejuščich juridičeskoe značenie“. 22 Die internationale Dimension des Persönlichkeitsschutzes ist wegen der überragenden Bedeutung des Internets wohl kaum zu unterschätzen, aber auch im analogen Bereich sind/ waren diese Fragen von Bedeutung, vgl. Trunk, Osteuropa Recht 4 (1999), 313 (317). 23 Übereinkommen der Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten vom 20.03.1992 „Zum Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Geschäftstätigkeiten“ („Soglašenie stran SNG ot 20.03.1992 ‚O porjadke razrešenija sporov, svjazannych s osuščestvleniem chozjajstvennoj dejatel’nosti‘“), im Folgenden: „Kiewer Übereinkommen“. Das Übereinkommen wurde mit Unterzeichnung des Moskauer Übereinkommens
B. Zuständigkeit
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men ist dieses sachlich auf vertragliche und sonstige zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Wirtschaftssubjekten und deren Rechtsverhältnisse zu staatlichen Organen anwendbar. Wirtschaftssubjekte werden in Art. 2 Kiewer Übereinkommen als Unternehmen, ihre Zusammenschlüsse, Organisationen jeglicher Rechtsformen sowie Bürger, die den Status eines Unternehmers gemäß den im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten geltenden Rechtsvorschriften haben, und deren Zusammenschlüsse (der Bürger), definiert. Klagt demnach eine juristische Person aus Russland gegen eine natürliche Person ohne Unternehmerstatus aus Belarus wegen der Verletzung ihrer Geschäftsreputation, so findet das Kiewer Übereinkommen keine Anwendung. Es ist anzunehmen, dass dies auch gilt, wenn es sich bei der Beklagten um eine (Online-)Zeitung oder einen Nachrichtensender in der Form einer juristischen Person handelt, da die Zielrichtung des Übereinkommens die Angleichung der Rechtsschutzmöglichkeiten von wirtschaftlich tätigen Unternehmen ist.25 Art. 3 Kiewer Übereinkommen weist zudem auf die rechtliche Gleichstellung der verschiedenen Wirtschaftssubjekte in Hinblick auf ihre Vermögensrechte und gesetzlichen Interessen hin. Ungeachtet der Frage, wie die einzelnen Ansprüche aus Art. 152 ZGB zu klassifizieren sind, ist davon auszugehen, dass sich, wenn nicht schon der Formulierung „Vermögensrechte“, so spätestens dem Zusatz „gesetzliche Interessen“ entnehmen lässt, dass Klagen aus Art. 152 ZGB vom Anwendungsbereich umfasst sind.26 Ist der sachliche Anwendungsbereich eröffnet – in Fällen der Rufschädigung ist dies insbesondere für Streitigkeiten zwischen Wettbewerbern relevant – ist die Zuständigkeit der Gerichte desjenigen Staates gegeben, in welchem der Kläger seinen dauerhaften Wohn- oder Aufenthaltsort hat, Art. 4 P. 1 Nr. d) Kiewer Übereinkommen. Demnach wäre für ein Unternehmen mit Sitz in der Russischen Föderation, das eine Klage aus Art. 152 ZGB anstrengen möchte, die Zuständigkeit russischer Gerichte gegeben.27 vom 06.03.1998 „Über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen der Arbitrage-, Handels- und Wirtschaftsgerichte auf den Gebieten der Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft“ („O porjadke vzaimnogo ispolnenija rešenij arbitražnych, chozjajstvennych i ėkonomičeskich sudov na territorijach gosudarstv – učastnikov Sodružestva“) für Fragen der gegenseitigen Anerkennung abgelöst, vgl. . 24 Marenkov, in: Einführung in das russische Recht, S. 304. 25 Vgl. Präambel des Übereinkommens „[…] Zusammenarbeit bei der Beilegung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Durchführung wirtschaftlicher Aktivitäten zwischen Unternehmen in verschiedenen Staaten“ („[…] sotrudničestva v oblasti razrešenija svjazannych s osuščestvleniem chozjajstvennoj dejatel’nosti sporov meždu sub”ektami, nachodjaščimisja v raznych gosudarstvach“). 26 Nach der hier vertretenen Ansicht wären Klagen auf Ersatz des Reputationsschadens ohnehin den Vermögensrechten zuzordnen (sofern mit der herrschenden Auffassung angenommen wird, dass diese auf Art. 152 ZGB gestützt werden können, vgl. dazu Kap. 6 B.). 27 Für den Wohn- bzw. Aufenthaltsort zieht die Rspr. den Niederlassungsort der juris-
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Kapitel 7: Rechtsdurchsetzung
Art. 11 Kiewer Übereinkommen regelt daneben das anwendbare Recht.28 Nach Nr. ž) ist für Schadensersatzklagen das Recht desjenigen Staates anwendbar, in dem die Verletzungshandlung (Alt. 1) oder ein anderer die Klage begründender Umstand (Alt. 2) stattgefunden hat.29 So kann eine juristische Person Russlands ein usbekisches Unternehmen in Russland verklagen; das anwendbare Recht ist das Usbekische.30 Ist der Anwendungsbereich des Kiewer Übereinkommens nicht eröffnet, so sind die Regelungen des APK zu beachten.31 Dieser enthält in den Kap. 32–33, Artt. 247–26 APK Regelungen für die Zuständigkeit32 bei Verfahren, in denen ausländische Parteien beteiligt sind.33 Hiernach sind die russischen Gerichte dann zuständig,34 wenn nach der Regel für den allgemeinen Gerichtsstand35 der Beklagte seinen (Wohn-)Sitz in der Russischen Föderation hat, Art. 247 P. 1 Nr. 1) Alt. 1 APK. Daneben besteht ein für die vorliegende Untersuchung relevanter besonderer Gerichtsstand.36 Nach Art. 247 P. 1 Nr. 6) APK ist die Zuständigkeit für Gerichte der Russischen Föderation auch in Fällen gegeben, in denen sich der Kläger einer Klage wegen Verletzung der Geschäftsreputation im Inland aufhält.37 Nach der sog. „Tatortregel“38 richtet sich das für deliktische Ansprüche geltende Recht nach dem Ort, an dem die Rechtsverletzung erfolgte, lex loci delicti commissi,39 Art. 1219 P. 1 Alt. 1 ZGB oder nach dem Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, Art. 1219 P. 1 S. 2 ZGB. Soll die Rechtswahl tischen Person heran, 19. Arbitrageappellationsgericht, Urteil vom 18.07.2012, Nr. 19AP2684/2012, Sachnr. A08-5318/2011. 28 Die Frage des anwendbaren Rechts wird hier – obwohl es sich um prozessrechtliche Fragen handelt – aufgrund des Sachzusammenhangs mit in die Betrachtung aufgenommen. 29 Dies entspricht in seiner Formulierung Art. 1219 P. 1 S. 1 ZGB. 30 Arbitragegericht der Stadt Moskau, Beschluss vom 02.02.2009, Sachnr. A40-9774/2008. 31 Daneben existieren bilaterale Vereinbarungen, vgl. Chlestova, Vnedogovornye objazatel’stva v meždunarodnom častnom prave: Monografija, S. 13, aus: Konsul’tant Pljus. 32 Nach Stepanov, K podsudnosti kakogo suda otnosjatsja spory po iskam o zaščite delovoj reputacii juridičeskich lic (Ohne Titel), ist Art. 247 APK aber lediglich eine Norm zur Regelung der Rechtswegsfrage und betrifft nicht die Zuständigkeit (Unterscheide: „podvedomstvennost’“ und „podsudnost’“). Welches Arbitragegericht konkret zuständig ist, regelt danach bisher mangels expliziter Regelung die Praxis. 33 Marenkov, in: Einführung in das russische Recht, S. 304. 34 Freilich nach Art. 247 P. 1 APK nur für Wirtschaftsstreitigkeiten und andere Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Ausführung unternehmerischer oder anderer wirtschaftlicher Tätigkeit. 35 Marenkov, in: Einführung in das russische Recht, S. 305; „actor sequitur forum rei“, Boguslawskij u. a., Sovremennoe meždunarodnoe častnoe pravo v Rossii i Evrosojuze: Monografija, S. 160, aus: Konsul’tant Pljus. 36 Marenkov, in: Einführung in das russische Recht, S. 305. 37 Boguslawskij u. a., Sovremennoe meždunarodnoe častnoe pravo v Rossii i Evrosojuze: Monografija, S. 166, aus: Konsul’tant Pljus. 38 Marenkov, in: Einführung in das russische Recht, S. 205. 39 Boguslawskij u. a., Sovremennoe meždunarodnoe častnoe pravo v Rossii i Evrosojuze: Monografija, S. 131; Lebedev/Kabatova, Meždunarodnoe častnoe pravo, S. 211; Marenkov, in: Einführung in das russische Recht, S. 205.
C. Beweislast
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auf den Erfolgsort fallen, ist Voraussetzung, dass der Rechtsverletzer den Eintritt des Schadens vorhergesehen hat oder diesen hätte vorhersehen können. Die Beweislast hierfür liegt beim Kläger.40 Die abschließende Entscheidung über die Rechtswahl liegt bei dem erkennenden Gericht.41
C. Beweislast I. Grundsatz Die Beweislast im Arbitrageprozess regeln Artt. 64 APK ff. Nach Art. 65 P. 1 S. 1 APK hat jede Partei die Umstände darzulegen, auf die sie sich zur Geltendmachung ihres Anspruchs oder ihres Widerspruchs und ihrer Einwendung beruft.
II. Einzelne Klagevoraussetzungen Abweichend von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung besondere Beweislastregeln für die Fälle des Art. 152 P. 1 ZGB entwickelt.42 Danach hat der Kläger die Verbreitung und den verunglimpfenden Charakter der Tatsache zu beweisen, während der Beklagte die Wahrheit der Tatsache zu beweisen hat.43 Diese Pflicht des Beklagten entfällt, wenn in der Aussage enthaltene Fakten bereits durch eine in Kraft getretene gerichtliche Entscheidung bestätigt wurden.44 Die oben beschriebene Beweislastregelung gilt ebenso für den Gegendarstellungsanspruch nach Art. 152 P. 2 S. 2 (Art. 152 P. 3 a. F.) ZGB45 und lässt sich auf Art. 152 P. 1, 2, 3, 4, 5 und 9 ZGB übertragen. Allein Art. 152 P. 10 ZGB, der vor der Verbreitung unwahrer, aber nicht verunglimpfender Äußerungen schützt, legt die Beweislast der Unwahrheit der Aussage ausdrücklich dem Kläger auf. 40 Fedoseeva, in: Graždanskij kodeks Rossijskoj Federacii. Meždunarodnoe častnoe pravo. Postatejnyj kommentarij k razdelu VI, Art. 1219 P. 1, aus: Konsul’tant Pljus. 41 Fedoseeva, in: Graždanskij kodeks Rossijskoj Federacii. Meždunarodnoe častnoe pravo. Postatejnyj kommentarij k razdelu VI, Art. 1219 P. 1, aus: Konsul’tant Pljus, nach Fedoseeva ist das Gericht i. Ü. nicht an die Rechtswahl nach Art. 1219 P. 1 S. 2 ZGB gebunden, was der Formulierung „kann“/„možet byt’“ zu entnehmen ist. Gerade persönlichkeitsrechtlich relevante Delikte im Internet können wegen der Globalität von Zugang und Abrufbarkeit einen internationalen Bezug haben. Im russischen ZGB existiert für das anwendbare Recht hierfür allerdings keine spezifische Norm. In der Literatur findet sich der Vorschlag der Anwendung des Art. 1219 P. 1 ZGB, siehe Chlestova, Vnedogovornye objazatel’stva v meždunarodnom častnom prave: Monografija, S. 34, aus: Konsul’tant Pljus; zu entsprechenden Fragen im deutschen und europäischen IPR siehe Magnus, RabelsZ 84 (2020), 1 (1 ff.). 42 Hierzu auch bereits supra Kap. 6 A. I. 1. a) bb). 43 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 9. 44 Föderales Arbitragegericht des Fernöstlichen Okrug, Urteil vom 05.03.2018, Nr. F03468/2018, Sachnr. A73-9769/2017 mit Verweis auf Höchster Arbitragegerichtshof, Informa tionsbrief des Präsidiums vom 23.09.1999, Nr. 46, P. 5. 45 Ibid.; dies entspricht auch der allgemeinen Beweislastregel des Art. 56 ZPO RF.
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Kapitel 7: Rechtsdurchsetzung
Nach der Rechtsprechung genügt für den Beweis der Wahrheit der Äußerung, dass die Aussage insgesamt der Wahrheit entspricht. Für jedes einzelne Wort muss die Wahrheit dagegen nicht bewiesen werden.46 Für die Beweisführung muss sich der Beklagte auf den Wahrheitsgehalt des Wortlauts beziehen. Das Gericht selbst ist für die Bewertung der Äußerung zuständig und für die Frage, welcher Teil der Äußerung die Schlüsselrolle einnimmt.47 Erdelevskij hält die Regelung in Bezug auf den notwendigen Beweis des verunglimpfenden Charakters für praxisuntauglich, da viele Klagen an diesem scheitern.48 Mit Verweis auf die Definition der Rechtsprechung von „verunglimpfend“49 hält er eine Differenzierung zwischen den Äußerungen für angebracht. Die Beweislast treffe den Kläger nur dann, wenn es sich nicht um eine „per se“ verunglimpfende Äußerung handele. Dies treffe auf Äußerungen zu, die sich unter die Definition der Rechtsprechung subsumieren lassen. Der Beweis müsse daher nur dann erbracht werden, wenn eine Tatsachenbehauptung vorliege, die aus anderen Gründen verunglimpfend sein kann.50 Für Massenmedien ist in Art. 43 S. 2 Massenmediengesetz für den Widerrufsanspruch51 geregelt, dass der Wahrheitsbeweis der Redaktion und damit dem Beklagten obliegt. Dies ist insofern angebracht, als Journalistinnen und Journalisten ohnehin bestimmte Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der Faktenlage ihrer Recherche zu beachten haben. Für juristische Personen entscheidend ist regelmäßig die Beweisbarkeit des eingetretenen Schadens. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.52
D. Vorläufiger Rechtsschutz Neben den in Art. 152 ZGB geregelten Ansprüchen kann sich der Betroffene bei Rechtsverletzungen durch Massenmedien nach Art. 43, 45 Massenmediengesetz direkt an diese wenden und den Widerruf der Äußerung verlangen. Gegen die Weigerung oder die Verletzung der durch Gesetz vorgesehenen Vornahme des Widerrufs kann gerichtlich vorgegangen werden, Art. 45 S. 2 Massenmediengesetz.53 46 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 7, dem folgend das Urteil vom 25.01.2018, Nr. F03-5578/2017. 47 OG, Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016, P. 7. 48 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (135 f.). 49 Siehe dazu bereits supra, Kap. 6 A. I. 1. b). 50 Erdelevskij, Chozjajstvo i pravo 1 (2006), 133 (137). 51 Und damit wegen der Anordnung in Art. 46 S. 2 Massenmediengesetz auch auf den Gegendarstellungsanspruch. 52 Siehe supra Kap. 6 B. II. 1. a) und 3. e). 53 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3, P. 4; in P. 14, verweist das Gericht zudem
D. Vorläufiger Rechtsschutz
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Von dieser außergerichtlichen54 Regelung abgesehen fragt sich, inwiefern bei drohender Verletzung der Geschäftsreputation vorläufiger Rechtsschutz erlangt werden kann. Kapitel 8 des APK regelt in den Art. 90 ff. APK Sicherungsmaßnahmen des Arbitragegerichts.55 Nach Art. 90 P. 1 APK kann das Arbitragegericht auf Antrag in bestimmten Fällen zeitlich drängende Maßnahmen ergreifen, die auf die (einstweilige) Sicherung der Klage56 oder der Vermögensinteressen des Antragenden abzielen. Nach P. 2 ist dies zu jedem Zeitpunkt während des Verfahrens möglich. Ein rechtmäßiger Grund für einen solchen Antrag ist allerdings nur gegeben, wenn die Nichtvornahme der Maßnahmen die Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung unmöglich machen oder zu erheblichen Vermögenseinbußen des Antragenden führen würde. Für den vorläufigen Rechtsschutz finden sich in Art. 99 APK speziellere Regeln. Nach P. 1 der Regelung kann eine „Organisation“ einen solchen Eilantrag zur Sicherung ihrer Vermögensinteressen stellen. Die Regelungen zur Stattgabe des Antrags richten sich nach den Art. 90 ff. APK unter Berücksichtigung der leges speciales des Art. 99 APK. Art. 99 P. 4 APK enthält Bestimmungen zu den notwendigen Beweisdokumenten. Danach ist ein Dokument vorzulegen, das die Gefahr für die Vermögensinteressen in der im Antrag genannten Summe bestätigt. Nach dem Höchsten Arbitragegerichtshof ist ein Antrag ohne einen solchen Beweis nicht statthaft. Der Höchste Arbitragegerichtshof konkretisierte, dass die Inhaberschaft von Vermögensansprüchen57 hierfür Voraussetzung ist.58 Dies würde bedeuten, dass Unterlassungsansprüche keine Grundlage eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz darstellen können. Dieses „Minus“ im vorläufigen Rechtsschutz wird durch das daneben bestehende Problem des von Art. 99 P. 4 APK geforderten Beweises der Vermögensschäden verstärkt. An dieser Stelle ist aber gerade auf die außergerichtlichen Rechtsbehelfe im Massenmediengesetz hinzuweisen, die zumindest für diese Fälle Abhilfe schaffen können.
darauf, dass die Ansprüche aus Art. 152 ZGB nicht der Verjährung unterliegen; gegen die Weigerung oder die gesetzwidrige Vornahme des Widerrufs kann nur innerhalb eines Jahres seit Verbreitung der Äußerung gerichtlich vorgegangen werden. 54 Siehe supra Kap. 6 A. II. 3. und Kap. 6 Fn. 338. 55 „Obespečitel’nye mery arbitražnogo suda“. 56 „Obespečenie iska“. 57 „Imuščestvennye trebovanija“. 58 Höchster Arbitragegerichtshof, Plenarbeschluss „Über einige Fragen in Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der Arbitrageprozessordnung der Russischen Föderation“ („O nekotorych voprosach, svjazannych s vvedeniem v dejstvie Arbitražnogo processual’nogo kodeksa Rossijskoj Federacii“), vom 09.12.2002, Nr. 11, P. 13.
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Kapitel 7: Rechtsdurchsetzung
E. Parallelverfahren in unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten Nach der Rechtsprechung kann der Geschädigte bei Vorliegen der Voraussetzungen der Verleumdung (Art. 128.1 Strafgesetzbuch RF)59 Strafantrag gegen den Schädiger stellen und gleichzeitig zivilrechtlich gegen diesen vorgehen.60 Auch wenn das erkennende Strafgericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Tatbestand der Verleumdung nicht erfüllt ist, bedeutet das gleichzeitig nicht, dass der zivilrechtlichen Klage nicht stattgegeben werden kann.61 Dem ist für den Betrachtungsgegenstand der vorliegenden Arbeit nur beizugeben, dass nach der Rechtsprechung und der Literatur Art. 128.1 Strafgesetzbuch RF nur für natürliche Personen gilt.62
F. Zusammenfassung Zusammenfassend sei an dieser Stelle insbesondere auf Mängel im Eilrechtsschutz verwiesen, die sich, als Annexproblem zur oben beschriebenen Problematik der schwierigen Bezifferbarkeit von Vermögensschäden und ihres in der Zukunft liegenden Eintritts, insbesondere im Bereich der Unterlassungsansprüche auftun.
59 Art. 129 a. F. Strafgesetzbuch RF. 60 OG, Plenarbeschluss vom 24.02.2005, 61 Ibid. 62 Es existieren
Nr. 3, P. 6.
keine Urteile zu Art. 128 P. 1 Strafgesetzbuch RF wegen der Verleumdung juristischer Personen; siehe zudem auch Ivanenko, Rossijskaja justicija 10 (2000), 24 (25); a. A. Tarbagaev/Gliskov, Ugolovnoe pravo 3 (2011), 58, der sowohl die Verleumdung nach Art. 129 Strafgesetzbuch RF a. F. (Art. 128.1 n. F.) als auch die Beleidigung nach Art. 130 Strafgesetzbuch RF (außer Kraft gesetzt) auf juristische Personen anwenden will.
Kapitel 8
Schlussbetrachtung Die vorliegende Arbeit behandelt den Persönlichkeitsschutz juristischer Personen im russischen Zivilrecht. 1. Das russische Recht kennt den Begriff „Persönlichkeitsrecht“ nicht. Die dahinterstehenden Interessen werden zivilrechtlich über den Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation in Art. 152 ZGB und Artt. 43 ff. Massenmediengesetz geschützt. Juristische Personen können sich allein auf einen entsprechenden Schutz ihrer Geschäftsreputation berufen. Sie haben damit einen gegenüber natürlichen Personen begrenzteren Schutz. Die Geschäftsreputation ist als immaterielles Gut in Art. 150 ZGB geregelt. Sie ist eng mit dem Verständnis von Ehre und Würde verknüpft, gleichzeitig werden ihr vermögenswerte Bestandteile zugeschrieben. Aufgrund dieser Ambivalenz wird ihrer Rechtsnatur eine Doppelnatur zuerkannt. Die Geschäftsreputation juristischer Personen indes ist allein durch die vermögenswerten Bestandteile gekennzeichnet und insofern lediglich „eindimensional“. Sie ist nach der hier vertretenen Ansicht nicht zu den immateriellen Gütern des Art. 150 ZGB zu zählen. Der Persönlichkeitsschutz juristischer Personen und dessen Betrachtung ist daher als eigenständige Kategorie zu betrachten und unabhängig davon zu untersuchen. 2. In Hinblick auf das rechtstheoretische Verständnis juristischer Personen kann ebenfalls nicht von „Persönlichkeit“ (als Würdenträgerin) gesprochen werden. Bestimmend ist die Auffassung, die die juristische Person als rein künstliches Konstrukt sieht. Ihr Hauptzweck ist die Verwaltung von Vermögen. Über ihre Rechts- und Geschäftsfähigkeit hinaus wird ihr keine geistig-würdebezogene Komponente zugeschrieben. Die Geschäftsreputation als wichtigstes Rechtsgut zum Persönlichkeitsschutz ist dabei Teil der Rechte, die aus dem (zivilrechtlichen) Recht auf wirtschaftliches Tätigwerden juristischer Personen abgeleitet werden. Innerhalb der vorliegend untersuchten kommerziellen Organisationen, aber auch – soweit dies der Lektüre der Rechtsprechung zu entnehmen war – innerhalb der Gesamtheit juristischer Personen, wird bei dem Verständnis ihres Geschäftsreputationsschutzes nicht differenziert. Neben der Geschäftsreputation werden in den Rechtswissenschaften weitere Schutzgüter behandelt. Die diskutierten Rechte können in ihrer Gesamtheit als „Recht auf Außendarstellung“ der juristischen
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Kapitel 8: Schlussbetrachtung
Person wahrgenommen werden. In der Praxis hat diese Diskussion keine Relevanz. Relevanz in der Praxis hat dagegen insbesondere der Geschäftsreputationsschutz. Interessant ist daneben die Frage, ob die faktische Anerkennung des Reputationsschadens und seine Anwendung in der Praxis einen Einfluss auf das Wesensbild der juristischen Personen im russischen Recht haben. Die Diskussion in der russischen Rechtswissenschaft wird beherrscht durch das klare Bekenntnis zur Fiktionstheorie. Die aus der Betrachtung der Reputationsschäden gezogenen Schlüsse ändern an dieser Feststellung nichts: Diese lassen gerade nicht auf eine psychisch-moralische Komponente juristischer Personen schließen, da sie nicht als „Äquivalent“ zum moralischen Schaden verstanden werden (dürfen), sondern als Billigkeitsinstrument zur Kompensation unbezifferbarer Vermögensschäden. Die rechtspolitischen Überlegungen dahinter stärken die juristische Person in ihrer wirtschaftlichen Stellung, lassen das Wesensverständnis juristischer Personen als rein künstliches Konstrukt aber unangetastet. 3. Der konkrete Geschäftsreputationsschutz ergibt sich aus Art. 152 ZGB, einer einfaches Gesetz gewordenen Verfassungsnorm. Da die Verfassung gerade keine spezifischen Rechte juristischer Personen normiert und eine Gleichstellung auch nicht über ein Äquivalent zu Art. 19 III des deutschen Grundgesetzes erreicht werden kann, bedient sich das Verfassungsgericht zur Begründung einer Kombination aus den Artt. (21) 23 und Art. 45 P. 2 der russischen Verfassung. Die daran bestehende Kritik ist nach der hier vertretenen Auffassung begründet. Die Lösung des Obersten Gerichtshofs, die Geschäftsreputation juristischer Personen gerade nicht als verfassungsrechtlich geschütztes Gut, sondern lediglich als Bedingung ihrer erfolgreichen Tätigkeit als legitimes Interesse auf einfachgesetzlicher Ebene anzusehen, ist daher unterstützenswert. Entsprechend hat der Reputationsschutz juristischer Personen weniger Gewicht, sodass die unternehmerische Freiheit ungleich schwerer betroffen sein müsste, um den Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit zu rechtfertigen. Die tendenziell starke Gewichtung der Geschäftsreputation kann mit der besonderen Betonung der Persönlichkeitsrechte durch das Verfassungsgericht, der historisch erst nachrangig gewachsenen Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit und der starken Gewichtung unternehmerischer Interessen erklärt werden. Faktisch besteht durch die richterliche Handhabung eine verfassungsrechtlich begründete Rechtsposition juristischer Personen zum Schutz von Vermögensinteressen, die sich durch öffentliche und darunter insbesondere journalistische Äußerungen in ihrer Tätigkeit gefährdet sehen. 4. Das Völkerrecht hat Einfluss auf den vorliegend betrachteten Rechtsbereich: Die EMRK, die entsprechende Rechtsprechung des EGMR und seine Implementation durch den Obersten Gerichtshof haben die russische Rechtsprechung und das Verständnis des Art. 152 ZGB maßgeblich beeinflusst. Art. 152 ZGB unterscheidet mit „Äußerungen“ nicht zwischen Meinungen und Tatsachenbe-
F. Zusammenfassung
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hauptung. Nach erheblicher Kritik durch den EGMR ist mittlerweile anerkannt, dass sich Art. 152 ZGB nur auf unwahre Tatsachen bezieht, auf Meinungen allerdings nicht anwendbar ist. Die Rechtsprechung macht Ausnahmen für beleidigende Meinungsäußerungen. Art. 152 ZGB sieht hier eine Vielzahl von Ansprüchen vor, die insbesondere den Widerruf, die Gegendarstellung und den Schadensersatz zum Inhalt haben. All diese Ansprüche sind nach Art. 152 P. 11 ZGB entsprechend auf juristische Personen und den Schutz ihrer Geschäftsreputation anwendbar. Gesetzlich ausgenommen sind Ansprüche auf Ersatz des entstandenen moralischen Schadens. 5. Trotz des ausdrücklichen Ausschlusses der Erstattungsfähigkeit moralischer Schäden für juristische Personen nach Art. 152 P. 11 ZGB wird statt des immateriellen Schadens die Ersatzfähigkeit sog. Reputationsschäden vertreten. Da der Reputationsschaden durch die Unmöglichkeit der Bezifferung etwaiger Vermögensschäden begründet wird, ist er als pauschalisierter Vermögensschaden zu verstehen. Die Nutzung dieses Instruments begünstigt die ohnehin bestehende Tendenz der Rechtsprechung, vermehrt (auch) auf monetäre anstelle nichtmonetärer Rechtsbehelfe zurückzugreifen. Dadurch wird ein vergleichsweise hohes Schutzniveau des Geschäftsreputationsschutzes juristischer Personen im Wege eines umfassenden Vermögensschutzes erreicht. Dies ergibt sich auch aus der tendenziell hohen Gewichtung der Interessen der juristischen Person gegenüber der Meinungsfreiheit. Selbst wenn nach den aktuellen Entwicklungen die Schadenssummen gering bleiben, bleibt der nachwirkende Effekt für die Wahrnehmung der Presse- und Meinungsfreiheit. Die Verfestigung der Rechtsprechung zum Reputationsschaden trägt hierzu maßgeblich bei. Dies ist vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers, juristischen Personen gerade nur entstandene, bezifferbare Vermögensschäden zuzusprechen, höchst fragwürdig. Diese Zerrissenheit spiegelt die unbeantwortete Frage wider, ob sich die juristischen Personen zugestandenen Rechtsbehelfe vor dem Hintergrund von Grund- und Menschenrechten rechtfertigen lassen oder Ausfluss eines nur vermeintlich rechtsstaatlichen Bedürfnisses sind. Letzteres ist der Fall. Es stellt sich damit die Frage der Rechtfertigung. Diese muss, wie erörtert, vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit und ihrer überragenden Bedeutung grundsätzlich verneint werden.
Entscheidungsverzeichnis Im Folgenden finden sich die in der Arbeit zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichtshofs und des Höchsten Arbitragegerichtshofs der Russischen Föderation, die unmittelbar Fragen des Persönlichkeitsrechts betreffen.1 Die weiteren zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen zu anderen Fragen und die gesamten Entscheidungen unterer Instanzen sind in den Fußnoten der Arbeit genannt.
Verfassungsgericht Entscheidung „Über die Ablehnung der Annahme zur Beschwerdeprüfung des Bürgers Andrej Vladimirovič Kozyrev“ („Ob otkaze v prinjatii k rassmotreniju žaloby graždanina Kozyreva Andreja Vladimiroviča“), vom 27.09.1995, Nr. 69-O Entscheidung vom Entscheidung „Über die Ablehnung der Annahme zur Beschwer08.04.2003, Nr. 157-O deprüfung des Bürgers Sergej Anastasovič Serovcev wegen der Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte in Art. 152 Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, Art. 226 und des zweiten Teils des Art. 333 Zivilprozessordnung der RSFSR, der Punkte 15, 16 und 26 der Ordnung über qualifizierte Richterkollegien“ („Ob otkaze v prinjatii k rassmotreniju žaloby graždanina Serovceva Sergeja Anastasoviča na narušenie ego konstitucionnych prav stat’ej 152 Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii, stat’ej 226 i čast’ju vtoroj stat’i 333 Graždanskogo processual’nogo kodeksa RSFSR, punktami 15, 16 i 26 Položenija o kvalifikacionnych kollegijach sudej“), vom 08.04.2003, Nr. 157-O Entscheidung „Über die Ablehnung der Annahme zur BeschwerEntscheidung vom 04.12.2003, Nr. 508-O deprüfung des Bürgers Vladimir Arkad’evič Schlafman wegen (auch: „Schlafman- der Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte in Art. 152 Entscheidung“) P. 7 Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation“ („Ob otkaze v prinjatii k rassmotreniju žaloby graždanina Šlafmana Vladimira Arkad’eviča na narušenie ego konstitucionnych prav punktom 7 stat’i 152 Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii“), vom 04.12.2003, Nr. 508-O
Entscheidung vom 27.09.1995, Nr. 69-O
1 Die Zuständigkeit des Höchsten Arbitragegerichtshofs liegt seit 2014 bei dem Obersten Gerichtshof, Art. 2 des Gesetzes zur Änderung der Verfassung „Über den Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation und die Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation“ („O Verchovnom Sude Rossijskoj Federacii i prokurature Rossijskoj Federacii“), vom 05.02.2014, Nr. 2-FKZ.
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Entscheidungsverzeichnis
Entscheidung „Über die Ablehnung der Annahme zur Beschwerdeprüfung des Bürgers Anton Igorevič Uskov wegen der Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte des ersten Teils des Art. 46 des Gesetzes der Russischen Föderation ‚Über die Massenmedien‘ und Art. 152 P. 3 Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation“ („Ob otkaze v prinjatii k rassmotreniju žaloby graždanina Uskova Antona Igoreviča na narušenie ego konstitucionnych prav čast’ju pervoj stat’i 46 Zakona Rossijskoj Federacii ‚O sredstvach massovoj informacii‘ i punktom 3 stat’i 152 Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii“), vom 01.03.2010, Nr. 323-O-O Urteil vom 09.07.2013, Urteil „über den Fall zur Überprüfung der VerfassungsmäßigNr. 18-P keit der Regelungen in Art. 152 P. 1, 5 und 6 Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation in Zusammenhang mit der Beschwerde des Bürgers E. V. Krylov“ („Po delu o proverke konstitucionnosti položenij punktov 1, 5 i 6 stat’i 152 Graždanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii v svjazi s žaloboj graždanina E. V. Krylova“), vom 09.07.2013, Nr. 18-P
Entscheidung vom 01.03.2010, Nr. 323-O-O
Oberster Gerichtshof Plenarbeschlüsse Plenarbeschluss vom 18.08.1992, Nr. 11
Plenarbeschluss vom 20.12.1994, Nr. 10 Plenarbeschluss vom 24.02.2005, Nr. 3
Plenarbeschluss vom 15.06.2010, Nr. 16
Plenarbeschluss „Über einige Fragen, die sich aus der richterlichen Rechtsprechung der Fälle über den Schutz der Ehre und Würde des Bürgers und ebenso der Geschäftsreputation des Bürgers und der juristischen Personen ergeben“ („O nekotorych voprosach, voznikšich pri rassmotrenii sudami del o zaščite česti i dostoinstva graždan, a takže delovoj reputacii graždan i juridičeskich lic“), vom 18.08.1992, Nr. 11 Plenarbeschluss „Einige Fragen zur Anwendung der Gesetzgebung über die Kompensation des moralischen Schadens“ („Nekotorye voprosy primenenija zakonodatel’stva o kompensacii moral’nogo vreda“), vom 20.12.1994, Nr. 10 Plenarbeschluss „Über die gerichtliche Praxis in Fällen des Schutzes der Ehre und Würde des Bürgers, ebenso wie der Geschäftsreputation der Bürger und juristischer Personen“ („O sudebnoj praktike po delam o zaščite česti i dostoinstva graždan, a takže delovoj reputacii graždan i juridičeskich lic“), vom 24.02.2005, Nr. 3 Plenarbeschluss „Über die gerichtliche Anwendungspraxis des Gesetzes der Russischen Föderation ‚Über die Massenmedien‘“ („O praktike primenenija sudami Zakona Rossijskoj Federacii ‚O sredstvach massovoj informacii‘“), vom 15.06.2010, Nr. 16
Plenarbeschluss vom 16.09.2010, Nr. 21
Entscheidungsverzeichnis
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Plenarbeschluss „Über die Einführung von Änderungen in den Plenarbeschluss des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation vom 15.06.2010 Nr. 16 ‚Über die gerichtliche Anwendungspraxis des Gesetzes der Russischen Föderation ›Über die Massenmedien‹‘“ („O vnesenii izmenenij v postanovlenie Plenuma Verchovnogo Suda Rossijskoj Federacii ot 15 ijunja 2010 g. №16 O praktike primenenija sudami Zakona Rossijskoj Federacii ›O sredstvach massovoj informacii‹‘“), vom 16.09.2010, Nr. 21
Rechtsprechungsübersichten Übersicht der Rechtsprechung vom 16.03.2016
Übersicht der Rechtsprechung „Praxisübersicht der Bearbeitungen durch die Gerichte in den Fällen zum Schutz der Ehre, Würde und Geschäftsreputation“ („Obzor praktiki rassmotrenija sudami del po sporam o zaščite česti, dostoinstva i delovoj reputacii“), vom 16.03.2016
Entscheidungen Entscheidung vom 14.06.2011, Nr. 5-V11-49, Sachnr. -2 Entscheidung vom 22.06.2015, Nr. 305-ĖS15-6197, Sachnr. A40-84964/2014 Entscheidung vom 17.08.2015, Nr. 309-ĖS-15–8331, Sachnr. Entscheidung vom 26.10.2015, Nr. 307-ĖS15-5345, Sachnr. A56-17708/2014 Entscheidung vom 14.03.2016, Nr. 303-ĖS16-280, Sachnr. A51-6980/2015 Entscheidung vom 06.06.2016, Nr. 304-ĖS16-5187, Sachnr. 304-ĖS16-5187 Entscheidung vom 20.09.2016, Nr. 77-KG16-8, Sachnr. Entscheidung vom 18.11.2016, Nr. 307-ĖS16-8923, Sachnr. А56-58502/2015 Entscheidung vom 07.12.2016, Nr. 310-ES16-10931, Sachnr. Entscheidung vom 16.12.2016, Nr. 309-ĖS16-10730, Sachnr. А07-12906/2015 Entscheidung vom 02.05.2017, Nr. 48-КG17-4, Sachnr. Entscheidung vom 16.05.2017, Nr. 4-KG17-6, Sachnr. Entscheidung vom 21.05.2018, Nr. 303-ĖS18-4786, Sachnr. A04-2275/2017 Entscheidung vom 28.06.2018, Nr. 303-ĖS18-7977, Sachnr. A73-9769/2017 Entscheidung vom 08.10.2018, Nr. 302-ĖS18-15243, Sachnr. A10-6234/2015 Entscheidung vom 17.12.2018, Nr. 305-ĖS18-16547, Sachnr. A41-67196/2017 Entscheidung vom 03.07.2019, Nr. 304-ĖS19-9441, Sachnr. A45-10107/2017 Entscheidung vom 07.10.2019, Nr. 310-ĖS19-16768, Sachnr. A36-2639/2018 Entscheidung vom 21.10.2019, Nr. 305-ĖS18-3354, Sachnr. A40-54340/14
2 Teilweise ist die Sachnummer weder angegeben noch auffindbar. Sie wurde dementsprechend in den Fußnoten nicht zitiert.
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Entscheidungsverzeichnis
Höchster Arbitragegerichtshof Übersicht der Rechtsprechung vom 23.09.1999
Übersicht der Rechtsprechung der Entscheidungen der Arbitragegerichte in Zusammenhang mit dem Schutz der Geschäftsreputation („Obzor praktiki razrešenija arbitražnymi sudami sporov, svjazannych s zaščitoj delovoj reputacii“), vom 23.09.1999
Entscheidung des Präsidiums vom 05.08.1997, Nr. 1509/97 Entscheidung vom 22.08.2011, Nr. VAS-11384/11, Sachnr. А40-117059/2009 Entscheidung vom 17.07.2012, Nr. 17528/11
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1 Anmerkung: Der Zusatz „Konsul’tant Pljus“ bezeichnet die gleichnamige juristische Fachdatenbank, welche einen Zugang zur Sammlung von Rechtsquellen, Rechtsprechung und Literatur bietet. Der ursprüngliche Veröffentlichungsort wird für Kommentare, Monographien, Sammelwerke und Zeitschriftenartikel, die Konsul’tant Pljus entnommen wurden, entsprechend der dortigen Angaben angegeben.
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Sachverzeichnis Abwägung 45, 48, 162, 166 – juristische Person 166 außergerichtliche Rechtsbehelfe 185, 265 Äußerung 143, 148 – Diffamierung 156 – Gesamtkontext 144 – Mischaussagen 147 – politische 41, 46, 56, 146, 155, 164, 185 – Semantik 144 – verbreitende Person 168 – Verbreitung 168 – wahre 186 Beleidigung 43, 150, 170, 176 Beseitigung, siehe Widerruf Betätigungsfreiheit, wirtschaftliche 38 f. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisschutz 121, 134, 253 Beweislast 183, 263 f. – Beweiserleichterung 203 – Unwahrheitsvermutung 153, 180 Datenschutz 141 Deliktsfähigkeit, siehe Verschuldensfähigkeit Ehre 32, 35, 110, 120 Eigentum 98 – geistiges 63, 252 – -sbegriff 13, 63 – -sfreiheit 40, 160 – -sschaden 193 f. Eingaberecht 44, 152 Entschädigungsanspruch 142 Feststellungsantrag 179 Gegendarstellungsanspruch 177, 183 – bei wahren Tatsachen 156, 186
Geschäftsreputation 32, 35 – besonderes immaterielles Gut 125 f. – Betriebs- und Geschäftsgeheimnisschutz 121, 134, 253 – der gute Name 113 – Ehre 32, 35, 110, 120 – Entstehung 122 f. – entwickelte 124, 221, 231 – Firma 137, 252 – Gebrauchsüberlassung 115 – Goodwill 112, 114 – Image 113 – immaterielles Aktivum 124, 127 f. – immaterielles Gut 124, 247 – Inhalt 117 – Janusköpfigkeit 116 – Kommerzialisierung 74, 129 – Konzessionsvertrag 115 – Kreditwürdigkeit 11, 117, 156, 206 – negative 118 – Rechtsprechung 119 – Schmälerung 218 – Schutz vor Eintragung 95 – Übertragbarkeit 114, 130 – Veräußerlichkeit 114 – Verkehrsfähigkeit 114 – Vermögensbezug 66, 128 – Vermögenscharakter 114, 125, 128, 224 – Warenzeichen 137 – Würde 32, 35, 108 – Zurechnung 119 Geschäftsreputationsschutz – Beginn, siehe Geschäftsreputation, Entstehung Gewerbebetrieb, eingerichteter und ausgeübter 120 f., 133, 212 Gleichstellung – persönlichkeitsschutzrechtliche 97, 244
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– verfahrensbezogene 37 – verfassungsrechtliche 37, 268 Goodwill 112 f. Güter – immaterielle 67, 72 – kommerzialisierte 73 – materielle 68 Image 113 immaterielles Gut 114 – Ehre 107, 110 – Würde 107 f. juristische Person – Begriff 84 – Fiktionstheorie 86, 101, 268 – Organisation 21, 85, 91, 182 – Persönlichkeit 96 – Recht auf Bestehen 133 – Rechtsfähigkeit 94 – Rechtsfähigkeit, verliehene 99 – Registrierung 123, 133 Justizgewährleistungsanspruch 37, 209 Kommerzialisierung 73, 126 Löschungsanspruch 177 – im Internet 177 Lüge 42, 167 Markenschutz 137, 205, 254 Massenmediengesetz 181 Meinungen – Mischaussagen 147 – Unterscheidung von Tatsachenbehauptungen 42, 56, 144 Meinungsfreiheit 41, 45, 56, 58, 148, 163 Nichtvermögensbeziehungen 62 Nichtvermögensrecht – Recht auf Bestehen, siehe Persönlichkeitsrecht, Recht auf Bestehen Nichtvermögensrechte, persönliche 74 – juristische Personen 77 Nichtvermögensschaden – Entschädigungsanspruch, staatshaftungsrechtlicher 241
– Schaden, moralischer 207 – sonstiger 213 offener Tatbestand 121 Organisation, siehe auch juristische Person Organisationen – kommerzielle 91 – nicht kommerzielle 91 Persönlichkeitsrecht – Abwägung 121, 157 – Außendarstellung 122, 268 – Bildnisschutz 120 – Geltungsanspruch, sozialer, siehe sozialer Geltungsanspruch – offener Tatbestand 157 – Rahmenrecht 166, 174 – Recht auf Bestehen 78, 102 – Unternehmenspersönlichkeitsrecht 39, 49, 120, 167 Pressefreiheit 41, 43, 56, 163 Recht – anwendbares 261 – sowjetisches 13 Rechtsweg – wirtschaftliche Streitigkeit 258 – Wirtschaftsgerichte 257 Reputationsschaden – Begriff 215, 218 – Berechnung 226 – Bezifferung 234 – Comingersoll-Rechtsprechung 216, 240 – Geschäftsreputation, entwickelte 231 – Herleitung 213, 216 – Kritik 239 – Schlafman-Entscheidung 209, 216 Schaden – immaterieller, siehe Nichtvermögensschaden – Marktverwirrungsschaden 220 – Reputationsschaden, siehe Reputationsschaden Schadensersatzanspruch 178 – allgemeine Voraussetzungen 179
Sachverzeichnis
– allgemeine Voraussetzungen (Reputa tionsschaden) 221 sozialer Geltungsanspruch 120 Unterlassungsanspruch 173 f. Verjährung 181 Vermögen – personifiziertes 100 f. Vermögensbeziehungen 62 – persönliche 63 Vermögensbezug 66 Vermögensschaden – Berechnung 203 – Beweisbarkeit 200, 249 – Bezifferung 203 – verkappter 247 Verschulden 225 – -sfähigkeit 95 – -sgrad 227
– -svoraussetzung 169, 191 verunglimpfend 159, 164 Warenzeichen 137 Wettbewerbsrecht 212, 254 Widerruf 175 – Abänderung 176 – Abgrenzung 178 – Entschuldigung 172 – im Internet 177 – in Massenmedien 176 – -sanforderungen 172 – -sanspruch 171, 182 Würde 32, 35, 108 – kollektive 36, 110, 249 Zuständigkeit 259 – internationale 260 – örtliche 260 – sachliche 259
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