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German Pages 609 Year 2011
Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 83
Patrimonium – Feudum – Territorium Zur Fürstensukzession im Spannungsfeld von Familie, Reich und Ständen am Beispiel welfischer Herrschaft im sächsischen Raum bis zum Jahre 1688
Von Gerhard Pfannkuche
Duncker & Humblot · Berlin
GERHARD PFANNKUCHE
Patrimonium – Feudum – Territorium
Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 83
Patrimonium – Feudum – Territorium Zur Fürstensukzession im Spannungsfeld von Familie, Reich und Ständen am Beispiel welfischer Herrschaft im sächsischen Raum bis zum Jahre 1688
Von Gerhard Pfannkuche
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.
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Für Francisca, Jakob, Karla, Josef und meine Eltern
Vorwort Es begann mit einem Stipendium der Ludwig-Windthorst-Stiftung. In der Beschäftigung mit dem juristischen Werk dieses gerade als Gegenspieler Bismarcks in Erinnerung gebliebenen Repräsentanten des Zentrums im Reichstag und Preußischen Abgeordnetenhaus stieß ich auf die Vermögensauseinandersetzung Preußens mit Georg V. nach der Annexion des Königreichs Hannover 1866. Hier ging es auf der Sachebene um die Kategorisierung vorgefundener Vermögens-, besser: Rechtsmassen, insbesondere des domaniums, der Kammergüter und ihrer Gefälle. Waren sie eher als „privat“ zu bewerten und damit dem Welfenhause zu belassen oder waren es „staatliche“ Rechtspositionen, die mit der Herrschaft in Hannover auf die preußische Krone übergegangen waren? Die Quelle, aus der beide Seiten gleichermaßen vorrangig ihre Argumente schöpften, das Instrument der Auseinandersetzung, waren die so genannten Hausverträge und -gesetze des Hauses Braunschweig-Lüneburg. Da sich nun die Suche nach „Ludwig Windhorst als Jurist“ als wenig ergiebig erwies – er war weniger Urheber als Umsetzer juristischer Neuerungen –, lag es nahe, dieses Instrument der hausrechtlichen Quellen und natürlich ihren Gegenstand, die Regelung der Herrschaftsnachfolge und – was oft übersehen wird – ihrer Aussagen zum Herrschaftsverständnis selbst zum Thema der Arbeit zu befördern. Damit war das 19. Jahrhundert verlassen und der lange Pfad bis zurück ins Hochmittelalter hinein angelegt. Mein besonderer Dank gilt meinem „Doktorvater“ Prof. Dr. Wolfgang Sellert, der mir insbesondere auch in der Assistentenzeit bei ihm den Freiraum für meine Forschungstätigkeit beließ. Bei ihm habe ich überhaupt erst die Rechtsgeschichte für mich entdeckt. Der Ludwig-Windthorst-Stiftung möchte ich für ihre Förderung am Beginn der langen Arbeitsphase danken, wenngleich auch ihr Stiftungszweck durch meine Arbeit letztlich nicht befördert wurde. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, des Hauptstaatsarchivs in Hannover und des Staatsarchivs in Wolfenbüttel gebührt der Dank für ihre freundliche Unterstützung und Hilfsbereitschaft. Meinem Vater Eckhard Pfannkuche sowie Dr. Meike Homann und Dr. Birgit Wolter danke ich von Herzen dafür, dass sie das umfangreiche Werk Korrektur gelesen haben. Schließlich und vor allen gilt mein Dank meiner Frau und meinen Kindern für die Freigabe in mancher Ferienwoche und an manchem Sonnabend. Berlin, im März 2011
Gerhard Pfannkuche
Inhaltsbersicht Einleitung: Gegenstand, konkrete Fragestellung, Quellen und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Fürstentum und Sukzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Gang und Quellen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter – Mobilität und Disponibilität dieser Herrschafts- und Rechtspositionen im Erbgang und unter Lebenden vor der Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 1235 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. „Landesteilungen“ als Erscheinung eines Verfallsprozesses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 III. Wandel der Herrschaftsstrukturen im 12. und 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg – Erb- und Disponibilitätsregelungen der Welfen seit 1235 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Die Zeit bis zum Lüneburger Erbfolgestreit – die Zeit der grundlegenden Teilungen 199 II. Der Lüneburger Erbfolgestreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 III. Fürstentümer und Gesamthaus – die Sukzession im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 293 IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung bis etwa 1500 . . . 343 V. Primogenitur in den Linien, Reibung zwischen den Linien und Sukzessionsordnung im Gesamthaus – die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
C. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 I. Zäsuren, Kontinuitäten und Wandel in den Bedingungen und der Gestaltung der Herrschaftsnachfolge und -weitergabe im sächsisch-welfischen Raum . . . . . . . . . . 547
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Inhaltsbersicht II. Längsschnitte: Dynastie – Reich – Stände – Hausrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 I. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 II. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 III. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
Inhaltsverzeichnis Einleitung: Gegenstand, konkrete Fragestellung, Quellen und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Fürstentum und Sukzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Gang und Quellen der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter – Mobilität und Disponibilität dieser Herrschafts- und Rechtspositionen im Erbgang und unter Lebenden vor der Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 1235 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. „Landesteilungen“ als Erscheinung eines Verfallsprozesses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Grafschaftsrechte in den Händen des sächsischen Adels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Der comitatus – Versuch einer Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 aa) Gestalt – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 bb) Erblichkeit des Komitats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 cc) Das Verhältnis von Grafschafts- zu Allodialrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 dd) Verfugung der Komitatsrechte – Kumulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 ee) Personales Verständnis der Grafschaft und Unteilbarkeit . . . . . . . . . . . . . 69 b) Die Sukzession in gräfliche und auch vogteiliche Gerechtsame . . . . . . . . . . . 71 aa) Das Dunkel um die Weitergabe der Komitatsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Hintergründe – möglicher – Integrität des comitatus im Erbfall . . . . . . . . 76 cc) Nachfolge bei Erlöschen des Geschlechts im Mannesstamm . . . . . . . . . . 78 dd) Verfügungen über Komitatsrechte unter Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Sukzession und Verfügungsbefugnis in den Allodialkomplexen sächsischer Grafengeschlechter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Die Erbfolge nach Allodialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
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Inhaltsverzeichnis b) Die Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Bindungen in Stamm und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Das Wart- und Beispruchrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (1) In den unmittelbaren Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (2) Zustimmungsrechte in den Traditionsurkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (3) Das Beispruchrecht im Spätmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Stammgut und Adelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (1) Kategorien von Adelsvermögen in der Verfassungsgeschichtsschreibung, besonders der Begriff des „Stammguts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Zum Adels- und Hausrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (3) Zum „Stammgut als Handgemal“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Das sächsische Herzogtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Sukzessionsabfolge im sächsischen Dukat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Vom Liudolfinger Otto bis zum Billunger Magnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Klimax der Erblichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 cc) Die Nachfolge Magnus durch Lothar von Süpplingenburg . . . . . . . . . . . 137 dd) Heinrich der Stolze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 ee) Heinrich der Löwe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 ff) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Rückschau und Vorschau: Hemmnisse der Dukatsteilung bis 1180 . . . . . . . . . 147
III. Wandel der Herrschaftsstrukturen im 12. und 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Im Kleinen: Bündelung von Herrschaftsrechten in festeren, flächenbezogenen Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Die Burg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Hausklöster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Allgemeiner: „Verflächung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Veränderung von Grafschaft und Vogtei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 e) Ein Fazit und die Teilung von 1202 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Im Großen: Veränderungen des Reichsverfassungsgefüges – die Einbindung der welfischen Herrschaft in dieses Gefüge – der Lehnsnexus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Die Feudalisierung der Reichsverfassung – die Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Das Delegationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Inhaltsverzeichnis
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bb) Vom Sturz des Löwen bis zur Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Welfisches Patrimonium und Lehnsnexus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Lehnrechtliche Vorgaben für die Sukzessionsbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Schwierigkeiten aus der mittelalterlichen Anschauung von Recht . . . . . . 190 bb) Die königliche Lehnrechtssetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 cc) Die Rechtsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 dd) Die Urkunde von 1235 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg – Erb- und Disponibilitätsregelungen der Welfen seit 1235 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Die Zeit bis zum Lüneburger Erbfolgestreit – die Zeit der grundlegenden Teilungen 199 1. Überblick über die Sukzessionsfälle und ihre Behandlung im Welfenhaus in der Zeit von 1235 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Die Nachfolge nach Otto dem Kind – die Teilung von 1267/69 . . . . . . . . . . . 199 b) Die Nachfolge Johanns von Lüneburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Die Nachfolge nach dem Tod Albrechts des Großen von Braunschweig – die Teilung von 1291 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Die Nachfolgeregelung in Grubenhagen nach dem Tod Heinrichs des Wunderlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 e) Die Nachfolge nach Albrecht II. von (Göttingen-)Braunschweig bis zur Teilung von 1345 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 f) Die Nachfolge Ottos des Strengen von Lüneburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Prinzipien der Nachfolge- und Nachlassregelung in dieser Zeit . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Sukzession im Dreieck Reich, Familie und „Land“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Die Berücksichtigung des Lehnsnexus bei der Sukzessionsbehandlung . . . . . 215 aa) Im Welfenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Ein Vergleich zur Beachtung des Lehnsnexus außerhalb der welfischen Lande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Familienbindungen – dynastische Räson bei der Sukzessionsbehandlung . . . . 232 aa) Bestimmungen von Söhnen für den geistlichen Stand . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Erbverschreibungen und Erbverbrüderungen – Sicherungen kollateraler Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
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Inhaltsverzeichnis c) „Land“, Rat und Stände – territoriale und personale Hemmnisse der Teilungen neben Reich und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Erfassung des Regelungssubstrates, des Teilungsgegenstandes in hausrechtlichen Bestimmungen – „Land“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 bb) Räte und Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Der Lüneburger Erbfolgestreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Der kaiserliche Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Das Verständnis des Reichs vom Fürstentum Lüneburg – die Belehnungen der Askanier 1355 und 1370 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Die lehnrechtliche Fragestellung des Erbfolgekonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Die welfische Nachfolgelösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Die Vereinbarungen zwischen Wilhelm von Lüneburg und Magnus von Braunschweig von 1355 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Magnus II. statt Ludwig als Nachfolger für Lüneburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 c) Die Erbverbrüderung Magnus II. mit Otto dem Quaden von Göttingen im Jahre 1370 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Das Aufeinandertreffen der Standpunkte nach dem Tode Wilhelms – im Brennpunkt: Der Streit um die Huldigung der Städte Lüneburg und Hannover . . . . . . . 261 a) 1370: Die Stadt Lüneburg huldigt den Welfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Die Erörterungen der Huldigungspflicht der Stadt Hannover . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Kriegshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 d) Die welfisch-askanische Sühne von 1373 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 4. Dynastische Neuordnung im Welfenhaus sowie im Verhältnis zu den Askaniern und das Ende des Erbfolgekrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Die Nachfolgeregelung für Braunschweig von 1374 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Die Neuordnung der Herrschaftsbeteilungen der Brüder Bernhard, Friedrich und Heinrich gerade im Verhältnis zu den Askaniern – die Modifizierungen der Sühne von 1373 in den Jahren 1377 und 1386 sowie ihre Aufhebung 1387 . . 270 c) Die Abgrenzung Lüneburgs von Braunschweig – die Verabredungen der Brüder Friedrich, Bernhard und Heinrich 1388 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 d) Der Rückzug der Askanier – die Einigung von 1389 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 e) Die Vereinbarungen Ottos des Quaden mit dem Landgrafen Hermann von Hessen über die Nachfolge in Göttingen aus dem Jahre 1381 und die Neuordnung des Verhältnisses dieser Linie zu den Linien Lüneburg und Braunschweig seit 1383 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
Inhaltsverzeichnis
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5. Eine Zusammenschau: Die Wirkungen und Veränderungen des Konflikts in der welfischen Sukzessionsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Kennzeichen der Versachlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 b) Gegenanzeichen zur Versachlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 III. Fürstentümer und Gesamthaus – die Sukzession im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 293 1. Einheitsversuche unter den Nachkommen Magnus II. nach dem Lüneburger Erbfolgestreit – Konsequenzen aus dem Konflikt mit dem Reich? . . . . . . . . . . . . 293 a) Die „Zusammensetzung“ der Lande Braunschweig und Lüneburg durch Friedrich, Bernhard und Heinrich 1394 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 b) Die Belehnung von 1403 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 c) Die Teilung von 1409 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 d) Die Neujustierung des Verhältnisses im Jahre 1414 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 e) Die Einigung von 1415 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 f) Die Samtbelehnung von 1420 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 g) Die (Neuver-)Teilung von 1428 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 h) Der „Verkauf“ von 1433 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 i) Das Einigungswerk von „Calenbergern“, Lüneburgern und einem Braunschweiger im Jahre 1442 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 2. Die Nachfolgebehandlung innerhalb der sich verfestigenden welfischen Fürstentümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 a) Lüneburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Grubenhagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 aa) Der Vertrag von 1402 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 bb) Die Einigung von 1481 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 c) Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 d) Braunschweig und „Calenberg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 aa) Die Teilung von 1432 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 bb) Die Regelung der Nachfolge nach Wilhelm dem Älteren bis zur Mutschierung von 1483 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 cc) Die Regelung der Nachfolge nach Wilhelm dem Jüngeren bis zum Teilungsrezess von 1495 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 e) Das Ende der Göttinger Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
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Inhaltsverzeichnis 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Das Gefüge des welfischen Gesamthauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Die Stabilität der welfischen Fürstentümer im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 336
IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung bis etwa 1500 . . . 343 1. Alienation von Herrschaftstiteln – Mobilisierung der Herrschaftsordnung . . . . . 343 a) Zum Verhältnis von Veräußerung zur Teilung der Herrschaft . . . . . . . . . . . . . 343 b) Lehnrechtliche und überkommene landrechtliche Hemmnisse der Alienation . 346 c) Erscheinungsformen der lebzeitigen Verfügungen über Herrschaft seit dem Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 2. Die Verfügungsbeschränkungen in den welfischen Erb- und Hausrechtsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 a) Bindungsabreden und Typen hausrechtlicher Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 b) Vereinbarungen aus der Zeit bis zum letzten Drittel des 14. Jahrhunderts . . . . 359 c) Regelungen aus der Zeit des letzten Drittels des 14. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 aa) Bestimmungen in den gemeinschaftserhaltenden oder -herstellenden Nachfolgeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 bb) Regelungen in den Erbverbrüderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 3. Alienation und Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 V. Primogenitur in den Linien, Reibung zwischen den Linien und Sukzessionsordnung im Gesamthaus – die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 1. Die Sukzession in den welfischen Fürstentümern des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 a) Braunschweig-Wolfenbüttel bis 1634 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 aa) Das Pactum Henrico-Wilhelminum von 1535 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 bb) Das Testament des Herzogs Julius von 1582 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 b) Calenberg-Göttingen bis 1584 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 c) Lüneburg bis 1635 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 aa) Vorausschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 bb) Die Abteilung der Harburger Nebenlinie 1527 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 cc) Die Abteilung Gifhorns 1539 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 dd) Die Regelungen der Nachfolge Herzog Ernsts des Bekenners in der Celler Hauptlinie in den Jahren 1555 und 1559 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
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ee) Die Neugestaltung der Harburger Abteilung im Jahre 1560 . . . . . . . . . . . 418 ff) Die Abteilung der Linie Dannenberg von der Hauptlinie Celle im Jahre 1569 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 gg) Die Neuregelung der Abteilung Dannenbergs von 1592 . . . . . . . . . . . . . . 422 hh) Die Regelung der Nachfolge Herzog Wilhelms des Jüngeren in der Hauptlinie von 1592 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 ii) Der Vergleich unter den Söhnen Wilhelms des Jüngeren von 1610 . . . . . . 427 jj) Die erneute Einigung der Söhne Wilhelms vom 15. April 1611 . . . . . . . . 428 d) Grubenhagen bis zu seinem Erlöschen 1598 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 e) Eine Zusammenschau: Beschreibung und Bewertung der Lösungsmodelle . . 432 2. Samtlehen und Gesamthausgefüge im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 3. Die Neuordnung im Welfenhaus 1584 – 1636 – die Verteilung der erledigten Linien Calenberg, Grubenhagen und Wolfenbüttel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 a) Die Erledigung der Linie Calenberg-Göttingen im Jahre 1584 und das Problem der Haftung des Nachfolgers für Schulden des Vorgängers . . . . . . . . . . . . . . . 448 b) Die Erledigung des Hauses Grubenhagen 1596 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 c) Die Verteilung der Verlassenschaft des 1634 erledigten mittleren Hauses Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 aa) Die Ausgangslage und das Moratorium von 1634 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 bb) Die Rechtsstandpunkte der prätendierenden Linien Celle und Dannenberg in den widerstreitenden Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 cc) Der Vergleich über die Wolfenbütteler Verlassenschaft vom 14. Dezember 1635 (Hauptteilungsrezess) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 dd) Die Behandlung der von Friedrich Ulrich hinterlassenen Schulden . . . . . 476 ee) Der Akzidenzvertrag vom 10. Dezember 1636 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 ff) Die Neufassung des Hauptteilungsrezesses vom 10. Dezember 1636 . . . . 484 gg) Die Zuordnung Calenbergs innerhalb der Celler Hauptlinie mit Vertrag vom 27. Januar 1636 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 hh) Der Abschluss der Auseinandersetzung um das Wolfenbütteler Erbe . . . . 488 d) Ein Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 4. Haus, Fürstentum und Primogenitur – die Sukzession in den welfischen Linien seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 a) Die Nachfolge im neuen Haus Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
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Inhaltsverzeichnis b) Die Nachfolge im neuen Haus Lüneburg: Die Fürstentümer Lüneburg und Calenberg-Göttingen – Primogenitur und Kurwürde in der hannoverschen Linie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 aa) Die Regelung seiner Nachfolge durch Herzog Georg von Calenberg bis zu seinem Testament von 1641 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 bb) Der Adäquationsvergleich von 1646 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 cc) Der Hildesheimer Vergleich von 1665 zwischen den Brüdern Georg Wilhelm und Johann Friedrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 dd) Der Aufstieg des späteren Kurfürsten Ernst August und das Celler Erbe (1648 – 1682) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 ee) Die Errichtung einer Primogeniturordnung im Testament Ernst Augusts von 1682 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 ff) Der Widerstand gegen die Erstgeburtsordnung durch den Zweitgeborenen 520 gg) Die Neufassung des Testaments Ernst Augusts von 1688 . . . . . . . . . . . . . 536 hh) Die zweite Widerstandswelle gegen die Primogeniturordnung bis zur so genannten Prinzenverschwörung von 1691 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 c) Eine Schlussbetrachtung: Die große Zeit der Fürstentestamente . . . . . . . . . . . 541
C. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 I. Zäsuren, Kontinuitäten und Wandel in den Bedingungen und der Gestaltung der Herrschaftsnachfolge und -weitergabe im sächsisch-welfischen Raum . . . . . . . . . . 547 1. Zäsursetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 2. Optionen und Schemata welfischer Erbfallbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 3. Stationen der Versachlichung fürstlicher Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 II. Längsschnitte: Dynastie – Reich – Stände – Hausrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 1. Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 2. König und Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 3. Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 4. Hausrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 I. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 1. Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 2. Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
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II. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 III. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 1. Aus der Zeit vor 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 2. Aus der Zeit von 1800 bis 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 3. Seit 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
Einleitung: Gegenstand, konkrete Fragestellung, Quellen und Gang der Untersuchung I. Fürstentum und Sukzession Von unterschiedlichen Standpunkten aus hat man sich seit Generationen, ja schon seit dem beginnenden 17. Jahrhundert,1 auf rechts- und verfassungsgeschichtlichen, auf landes- und reichsgeschichtlichen Wegen des Themas des (spät-)mittelalterlichen Fürstentums, der Frage nach der fürstlichen Herrschaft angenommen; teils auch polemisch wurde um Begriffe gerungen und um Antworten gestritten.2 Den zentralen, noch heute prägenden Begriff für die Erfassung des Fürstentums bildet das „Territorium“, auch und gerade in seinen Wortverbindungen „Territorialstaat“ und „Territorialherrschaft“. In der Urkundensprache des Mittelalters verschiedene Inhalte erfassend, oft nicht mehr bezeichnend als die kleinräumigen, nicht herrschaftsbezogenen Gebilde einer Gemarkung oder einer Dorfflur,3 hat das Wort auch eine spezifisch herrschaftliche Wurzel und Geschichte. In der beginnenden Publizistik, insbesondere dem aufkommenden Territorialstaatsrecht, der Lehre von der superioritas territorialis, wurde in der Tradition der Kommentatoren antikes, römisches Erbe gepflegt, die untrennbare Verbindung von Herrschaftsgewalt in Form der iurisdictio mit dem territorium; das territorium erschien dabei als Klammer und Wurzel der Hoheitsrechte.4 Damit taugte gerade dieser Ausdruck dazu, den Startschuss in die dem modernen Staat zuzuordnende Flächenhaftigkeit von Herrschaft, der gemeinhin aus der Auflösung der überkommenen Stammesherzogtümer im 12. Jahrhundert herausgehört wird,5 hervorzuheben. Bald nach 1900 wurde der herrschaftlich angereicherte Begriff Territorium, der „Territorialstaat“, dann das Etikett der mittelalterlichen Fürstentü-
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Mit dem im Jahre 1600 erschienenen Traktat „De iure territorii“ von Andreas Knichen beginnt die Behandlung und Darstellung eines Territorialstaatsrechts in einem systematischen Zusammenhang, D. Willoweit, Rechtsgrundlagen, S. 11. 2 Forschungsüberblicke bei A. Gerlich, S. 3 ff., 279 ff.; F. Graus, S. 530 ff.; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 50 ff. 3 E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 52 f.; zum Begriff territorium auch A. Gerlich, S. 281 f. 4 Zum Zusammenhang von territorium und iurisdictio bei den Kommentatoren, allen voran bei Baldus, und seiner römischen Grundlegung: W. Hamel, S. 16 ff.; zur Fortschreibung im Territorialstaatsrecht der frühen Neuzeit: D. Willoweit, Rechtsgrundlagen, S. 17 ff., bes. S. 27 ff. 5 Vgl. bes. Th. Mayer, Fürsten, S. 284.
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mer.6 Wesen und Entstehung dieses letztlich am Leitbild des modernen Staats ausgerichteten „Territorialstaats“ bildeten über Jahrzehnte ein ganz wesentliches Thema der Verfassungsgeschichte.7 Diskutiert wurde, aus welcher Wurzel – Grundherrschaft oder Grafschaft –8 und zu welcher Zeit die „Territorialstaaten“ sich gebildet hätten. Die Frage nach dem Wesen des Territoriums wurde vielfach unter der Überschrift des „deutschen Staats des Mittelalters“ erörtert.9 Das Interesse an der Staatsqualität der Territorien gerade im Verhältnis zur Staatlichkeit des Reichs beruhte auf der allgemeinen Auffassung, dass sich hier und nicht dort, im Fürstentum und nicht im Reich, der moderne Staat in Deutschland herausgebildet habe.10 Dieser Streit ist heute Wissenschaftsgeschichte, doch lebt eine kleine Schwester des „deutschen Staats des Mittelalters“ munter weiter: die Frage nach der „Staatlichkeit“ des mittelalterlichen Territoriums beschäftigt noch heute die Mediävistik.11 Zur Mitte des 20. Jahrhunderts hin verschob sich die Perspektive ein wenig: die Leitkategorie Staat wurde durch Herrschaft ersetzt.12 Der Vorteil dieser Perspektive liegt in der Vermeidbarkeit allzu offensichtlicher Anachronismen durch den Transport des modernen Staatsbegriffs in das Mittelalter. Indes wurde auch schon im 19. Jahrhundert der Begriff der Landeshoheit für die Herrschaft des Fürsten im Territorium verwandt.13 Aufgegliedert in eine ältere Landesherrschaft und eine deutlich jüngere Landeshoheit beherrscht dieses Begriffspaar heute die Betrachtung des Fürstentums, ohne dass über deren Inhalt wie zeitlichen Rahmen in der Forschung annähernd Ei-
6 E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 52. Auch das für die Entstehung der Landesherrschaft in der Forschung immer wieder in seiner Bedeutung herausgestrichene Reichsgesetz von 1232 (Statutum in favorem principum; MGH Const. II 171; L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 114) lädt mit seiner Wortwahl dominus terrae zu dieser Begrifflichkeit zur Erfassung des Fürstentums ein. 7 Th. Mayer, Fürsten, S. 276: „Das interessanteste Problem der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte Deutschlands ist die Entstehung der Territorialstaaten; keine Frage ist so oft und so eingehend untersucht, über keine ist so lebhaft gestritten worden wie über diese, handelt es sich doch um die Ausbildung jener staatlichen Struktur, die für Jahrhunderte bis in unsere Zeit hinein das öffentliche Leben des deutschen Volkes bestimmt hat.“ 8 Zu dieser langwierigen Forschungskontroverse und ihren Vertretern insbesondere E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 62 ff., 67 ff.; A. Gerlich, S. 280 ff., 289. 9 Klassisch unter dem Titel „Der deutsche Staat des Mittelalters“ die Werke von Georg von Below (1914) und Friedrich Keutgen (1918), etwas anders im Titel: Heinrich Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters“ (1. Aufl. 1940); zum Streit um diesen „Staat“: O. Brunner, Land, S. 146 ff.; G. Droege, Landrecht, S. 11 ff.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 2 ff.; H.-W. Goetz, Moderne Mediävistik, S. 180 ff. 10 O. Brunner, Land, S. 113; P. Moraw, Entfaltung, S. 73; kritisch zu dieser Auffassung K.–F. Krieger, Lehnshoheit, S. 4 f. 11 Vgl. etwa K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 4 ff.; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 80 ff., 104 ff.; H. Boldt, S. 82 ff., zur „Staatlichkeit“ des Reichs. 12 H.-D. Heimann, S. 2; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 55; H.-W. Goetz, Moderne Mediävistik, S. 174 ff. und 193 ff.; vgl. auch O. Brunner, Land, S. 113. Skeptisch: H. K. Schulze, Grundstrukturen, S. 155. 13 Statt vieler: K. F. Eichhorn, Bd. 2, § 299, 416.
Einleitung
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nigkeit besteht.14 Und schließlich blieb auch der radikale Gegenentwurf Otto Brunners, der ein vom Fürsten grundsätzlich unabhängiges Land diesem und seiner Herrschaft gegenüber stellt – ja gewissermaßen auch überordnet, wenn er sagt, fürstliche Herrschaft sei zwar die mächtigste, aber doch nur eine unter den im Lande wirkenden Kräften –,15 der mit der Staatsfixierung der herkömmlichen Auffassung ins Gericht ging und insoweit bahnbrechend wirkte, ohne Nachfolgerschaft, zu wenig erwies sich sein Landbegriff auf Zustände außerhalb Bayerns und Österreichs als anwendbar.16 Versuche, das Fürstentum des Mittelalters, allgemeingültig, kategorisch zu erfassen, die Landesherrschaft zu definieren, sind letztlich gescheitert. Eine unklare, nicht von wirklichem Konsens getragene und daher schließlich untaugliche Terminologie sind Ursache, Folge und Zeugnis dieses Scheiterns. Dieses Scheitern hat einen Hintergrund auch in dem Gegenstand seiner Beschreibung selbst. Das überkommene, streng vom Reich her gezeichnete Bild der Landesherrschaft, des Territoriums, als Produkt zunehmenden Zerfalls des Reiches – Abbau von Königsrechten auf Reichsseite und ihre spiegelbildliche Akkumulation in Fürstenhänden –17 taugte noch zur einheitlichen Definition der Landesherrschaft, war ihre Substanz demnach doch reichsweit dieselbe. Doch im Zuge eines veränderten Verständnisses der Verfassung des Reichs einerseits, eben nicht als Derivativ eines – „erträumten“ – Einheitsstaats am Anfang der deutschen Geschichte, oder gar noch unter den Staufern, sondern als seinerseits dynamisches Gebilde mit „offener Verfassung“,18 und andererseits eines weitaus vielschichtigeren Verständnisses des Ausbaus adeliger, entsprechend auch fürstlicher Herrschaft als eines auch autogenen, reichsunabhängigen Prozesses,19 musste zwangsläufig die Vielgestaltigkeit adelig-fürstlicher Macht- und Rechtsakkumulation als Bildung einer Landesherrschaft dem Versuch allgemeingültiger Beschreibungen in den Arm fallen. Das deutsche Territorium gab es nicht.20 Gerade auch eingedenk fehlender Vergleichsuntersuchungen einzelner Fürstentümer resümiert Peter Moraw für das „Phänomen des spätmittelalterlichen Reichsfürstentums“ eine Forschungslücke.21 Ernst Schubert führt diese Lücke nicht auf mangelnde, son14
Überblick bei E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 55 ff.; so auch zur Landeshoheit W. Sellert, Art. „Landeshoheit“, HRG 2, Sp. 1388 ff. 15 Land, S. 191 ff., 231 ff. 16 P. Moraw, Entfaltung, S. 76; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 59 ff.; ders., Land, S. 16 f.; E. Bünz, passim. 17 P. Moraw, Fürstentum, S. 118, spricht insoweit von einer Beschreibung des Fürstentums „ex negativo“. 18 P. Moraw, Entfaltung, S. 69, 77; weitere Belege bei E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 103. 19 H.-W. Goetz, Moderne Mediävistik, S. 175, spricht unter Berufung auf Heinrich Mitteis von einer Ersetzung der monarchischen durch die aristokratische Sicht; der Adel wird nicht mehr als „Gegen-, sondern als ,Mitspieler“ des Königs im Herrschaftssystem des Reichs betrachtet. 20 F. Hartung, Herrschaftsverträge, S. 31; P. Moraw, Entfaltung, S. 74; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 3, 52. 21 Fürstentum, S. 118.
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dern in Anbetracht der vielen, eben auch Allgemeingültigkeit beanspruchenden Untersuchungen auf eine überbordende Beschäftigung mit dem Fürstentum zurück; es bestehe Forschungskonfusion.22 Diesen Schwierigkeiten der Begriffsbildung und -verwendung, der Gefahren der Kategorisierung möglicherweise doch nur singulärer Beobachtungen und des daraus erwachsenden Gebots der Vorsicht muss sich die Rechts- und Verfassungsgeschichte, wie auch die landesgeschichtliche Forschung23 bei der Erfassung und Beschreibung der Gestalt fürstlicher Herrschaft im Mittelalter bewusst sein. Freilich wohnen jeder Beschreibung auch immer Tendenzen zur strukturellen Systematisierung und Kategorisierung inne, und sie müssen innewohnen, wenn eine Mitteilbarkeit von Ergebnissen auch über die Grenzen der Landesgeschichte, des räumlichen Untersuchungsgebietes, hinaus erzeugt und befördert werden soll. Den Ausgangspunkt für eine strukturelle Betrachtung soll – und kann auch nur – das allgemein anerkannte Modell fürstlicher Herrschaft noch bis in die frühe Neuzeit hinein als Bündel verschiedener Einzel(rechts)positionen bilden.24 Das Bündel ist gekennzeichnet von einer gewissen Beständigkeit seiner Elemente, beruhend auf der Erkenntnis, „dass alle anerkannten Möglichkeiten mittelalterlicher Herrschaft an Rechtsformen gebunden und meist in Gestalt individueller Rechte einzelnen Herren zugewiesen sind.25 Dieses Bild hat den Vorteil, dass es örtliche und zeitliche Verschiebungen und Unterschiede, Veränderungen erkennen lässt und zugleich doch zu integrieren vermag. Es zwingt nicht zu Einheitlichkeit und Zeitlosigkeit. Zudem entspricht es den Quellen für die welfischen Lande des Spätmittelalters, wenn in diesen die einzelnen Bestandteile des dominiums oder der herscap im Einzelnen, mal mehr, mal weniger auch in verbindenden Begriffen zusammengefasst, aufgezählt werden. Dieses Modell ist der Ausgangspunkt der Frage nach der Gestalt des Fürstentums, nicht schon die Antwort darauf. Zu diesem Zwecke ist der Blick auf die Klammer, den Ring, das Band zu richten, wodurch die Elemente, die für sich in der Regel 22
Fürstliche Herrschaft, S. 51. Die Aufgabenzuweisung und -abgrenzung, wie sie A. Gerlich, S. 285 f., zwischen geschichtlicher Landeskunde einerseits und Rechts- und Verfassungsgeschichte andererseits vornimmt, erscheint etwas zu schematisch. Vor allem wirft die von ihm der Landesgeschichte zugedachte Aufgabenstellung, termini technici aus der Rechts- und Verfassungsgeschichte auf ihre Anwendbarkeit „im konkreten Fall“, raumbezogen, zu überprüfen, die Frage auf, woher die Rechts- und Verfassungsgeschichte diese Begriffe denn hat: Entwickelt sie diese allein deduzierend aus klassischen Rechtsquellen? Seit Otto Brunner, spätestens aber seit Walter Schlesinger ist doch anerkannt, dass die Verfassungsgeschichte den Rahmen der Landesgeschichte braucht; so auch Frank Rexroth in seinem Nachruf auf den im März 2006 verstorbenen, „typischen“ Vertreter dieser Synthese verfassungs- und landesgeschichtlicher Perspektiven Ernst Schubert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. März 2006. 24 Zu diesem Modell: F. Merzbacher, Art. „Landesherr, Landesherrschaft“, HRG 2, Sp. 1385; P. Moraw, Entfaltung, S. 74 ff.; W. Janssen, S. 420; D. Willoweit, Verwaltung, S. 66 ff. 25 D. Willoweit, Verwaltung, S. 67, der insoweit im Anschluss an F. Kern, S. 1 ff., darauf verweist, dass mittelalterliche „Staatlichkeit“ mit dem Begriff der Rechtsbewahrung zu charakterisieren sei. 23
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keine spezifisch fürstlichen, allein einem Fürsten vorbehaltenen sind, zusammengehalten und eben zu fürstlicher Herrschaft verbunden werden. Worin besteht nun dieser Ring, diese Klammer? Die Frage scheint aus dem Modell selbst bereits, und zwar erschöpfend, beantwortet zu sein: das Bündel wird zum Bündel durch Zuordnung seiner Elemente zu einem Herrn; der Landesherr, der Fürst ist die Klammer; seine Hand ist es, die die Gerechtsame und Besitztümer zusammenhält.26 Wird die Hand – um im Bild zu bleiben – nicht aber auch umschlossen, gehalten und geführt, wenn sie sich bewegen oder öffnen will? Anerkannt ist für das Fürstentum doch zum einen, dass es ohne das Reich, ohne den Bezug auf das Reich, nicht gedacht werden kann27 – die Fürstentümer galten als Reichslehen –, und zum anderen, dass – so in der neueren Lehre – die Herrschaft nicht personal einem Fürsten gehörte, sondern Besitz seiner Dynastie sei28 – nicht vom Land, sondern vom Haus her definiere sich die mittelalterliche Fürstenherrschaft.29 Danach dürfte um den durch die Person des jeweils regierenden Landesherrn gebildeten Ring ein weiterer Ring durch seine Dynastie zu erkennen sein, jedenfalls sobald man die Betrachtung auf einen die Lebens- und Herrschaftsspanne des Fürsten überschreitenden Zeitraum ausdehnt. Zudem dürfte sich auch das Lehnsband des Reichs um die Klammer der Elemente gelegt haben. Dass dem „Land“ in einem Brunnerschen Sinne, im Sinne einer vom Fürsten unabhängigen Größe, einer Gemeinde, ein bündelndes Wirken, ein Anteil an der Klammer landesherrlicher Rechte zukommen könnte, kann nicht als These formuliert werden. Unabhängig von den Schwierigkeiten des Nachweises eines solchen „Landes“ nach Brunners Beschreibung in der außerösterreichischen Wirklichkeit ist sein Verständnismodell von vornherein nicht vereinbar mit dem Bündelungsmodell.30 Bündelt nämlich das nach Brunners Vorstellung eigenberechtigte „Land“ Rechtspositionen, Gerechtsame, so müssten diese folglich der Rechtsträgerschaft des Landesherrn, des Fürsten, oder wenigstens – unter dem Gesichtspunkt, dass nach Brunner „Land“ aus einer Addition von Landesherrn und Landständen gebildet ist31 – seiner alleinigen Rechtsträgerschaft, entzogen sein. Die Bündelung erscheint hier nur durch eine Zuordnung der Rechte denkbar. Dann wäre aber das „Land“ allein oder in einer korporativen Subjektivität mit dem Landesherrn der Rechtsträger. Der Landesherr wäre nicht einmal mehr mittelbar als Zuordnungssubjekt anzusprechen, denn das „Land“ steht nach Brunner nicht in einem Objektverhältnis zum Subjekt Landesherr; dieser ist vielmehr Herr über jenes.
26 So die Formulierungen des Bündelungsmodells bei: K. S. Bader, S. 281; F. Merzbacher, Art. „Landesherr, Landesherrschaft“, HRG 1, Sp. 1383 ff.; G. Landwehr, Mobilisierung, S. 499; D. Willoweit, Verwaltung, S. 67; P. Moraw, Entfaltung, S. 76. 27 P. Moraw, Fürstentum, S. 121; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 103. 28 P. Moraw, Entfaltung, S. 98; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 24. 29 E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 101; vgl. auch K.-H. Spiess, Erbteilung, S. 176 ff. 30 Diesen Gegensatz betont auch P. Moraw, Entfaltung, S. 76. 31 Land, S. 413: „Landesherr und Landstände zusammen sind das Land im vollen und ursprünglichen Sinn.“
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Prüfstein der Festigkeit der Verbindung der einzelnen Herrschaftsrechte, der Ausgestaltung des Rings um diese Elemente in seinen verschiedenen Schichten und damit der äußeren Stabilität des Fürstentums ist die Herrschaftsnachfolge, die Sukzession. Stirbt der jeweilige Herrschaftsinhaber, der Fürst, gerät das in seiner Hand verklammerte Bündel unter Druck.32 Hat er mehr als einen Nachkommen, werden verschiedene Erbansprüche auf seinen Nachlass, eben das Fürstentum, gerichtet.33 Fällt nun die Garbe auseinander? Unter diesem Blickwinkel tritt das Zusammenspiel der einzelnen Schichten des Rings hervor: Reich und Dynastie müssen und können sich als Haltgeber bewähren. Zugleich vermögen auch sie sich zu verändern, zu formieren, zu stabilisieren. Besonders die Dynastie entwickelt Mechanismen und Regeln, das Problem der Herrschaftsüberleitung zu bewältigen,34 Bindungen insoweit zu erzeugen und zu bewahren. In der Sukzession, zu ihrer Gestaltung, wird vielfach über Herrschaft eine individuelle Verfügung getroffen – dies klingt schon an, wenn man Sukzession etwas anders als Herrschaftsweitergabe bezeichnet. Der Erblasser verfasst ein Testament und/oder eine Teilungsanordnung; die Erben treffen Vereinbarungen zur Behandlung, insbesondere zur Auseinandersetzung, des Nachlasses – in welcher Form auch immer – oder im Hinblick auf einen zukünftigen Erbfall, etwa so genannte Erbverbrüderungen. Mit diesen Verfügungen, genauer: Entscheidungen für eine bestimmte unter mehreren Verfügungsmöglichkeiten, bildet die Dynastie Regeln heraus, um die sie sich auch immer wieder wandelnd formiert. Das Spannungsfeld individueller und kollektiver Verfügungsbefugnis erfährt jeweils aufs Neue seine Ausgestaltung. Es besteht ein sichtbares Wechselspiel von Bindungen und Verfügbarkeit. Der Dynastie kommt dabei eine doppelte Rolle zu: Einerseits wird durch ihre Mitglieder, gerade durch die Söhne des Fürsten, aber auch mitunter durch entferntere Kollaterale, der Druck auf die Verbindung der Herrschaftselemente, ihre auf Zeit errungene Einheit, erzeugt. Andererseits vermag aber auch die Familie, Bindungen individueller Verfügungsbefugnis des Fürsten zu erzeugen. Gerade zum Schutze der Erberwartungen seiner Verwandten ist der Fürst in seiner, diese gefährdenden Verfügungsgewalt beschränkt, etwa und vor allem durch das Beispruchrecht. 32 J. Kunisch, Staatsbildung, S. 69, formuliert insoweit im Anschluss an Georg Jellinek, dass der Auffassung der Teilbarkeit des Patrimoniums die Vorstellung von der „Herrschaft als Aggregat verschiedenartiger dinglicher und persönlicher Rechte“ zu Grunde gelegen habe. 33 M. Stolleis, Diskussionsbericht zu: J. Kunisch (Hrsg.), Der dynastische Fürstenstaat, S. 82, bezeichnet die Thronfolge in Monarchien als die „Achillesferse des monarchischen Systems, da stets die ,Übergänge politisch prekär sind“ und gibt insoweit einen Hinweis gerade nicht auf politische und juristische Literatur, sondern auf das Märchen: „Dort endete der soziale Aufstieg häufig damit, dass die Hauptperson am Ende die reguläre Thronfolge durchbrach und König oder Königin wurde. Der Thronwechsel war gewissermaßen die schwache Stelle des Systems, an der ein Einbruch in die alten Eliten gelingen konnte“. Solch einen Gipfel sozialen Aufstiegs kennt die welfische Sukzessionsgeschichte nicht; indes bedeutete Sukzession Wandel oder negativ: Ungewissheit und Unruhe – ein Befund, der gerade für die Motive ständischen (Mit-)Wirkens maßgeblich ist. 34 Dazu näher auch J. Rogge, 7 f.
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Eine weitere Verfügung über Herrschaft oder, um das Bild des Bündels wieder aufzugreifen, eine weitere Form der Öffnung des Rings zur Heraustrennung eines Elements, also ein Eingriff in Umfang und Zusammensetzung der Herrschaft, ist die Alienation einzelner Herrschafts- oder Besitzrechte durch den Fürsten. Auch sie, insbesondere ihre Gegenkräfte, ihre Hemmnisse, sind Signaturen der äußeren Gestalt des Fürstentums, sind Indikatoren seiner Festigkeit und des Verständnisses von fürstlicher Herrschaft in der jeweiligen Zeit. In den Bindungen, auf die die Verfügungen stoßen, wird das Verständnis von der Rechtsqualität derjenigen Elemente, derjenigen Herrschaftsrechte, erkennbar, wenn man davon ausgeht, dass lehnrechtliche, vom Reich herrührende Bindungen anderer Gestalt sind, als landrechtlich und dynastisch begründete und erzeugte. Zusammengefasst lassen sich cum grano salis zwei – im Untersuchungsgegenstand selbst angelegte – Betrachtungsweisen in der Literatur, zwei Forschungsansätze zur Erfassung der Fürstensukzession ausmachen: Zum einen wird eher herkömmlich, ja klassisch verfassungshistorisch in einer vom Reich her ausgerichteten Perspektive die Nachfolgegestaltung in den Fürstentümern vor der Folie der lehnrechtlich normierten, auch von amtsrechtlichen Vorstellungen geprägten, Verfügungsbefugnis des Fürsten betrachtet und bewertet. Dabei prägt dasselbe Grundmodell, das über Jahrzehnte die Herausbildung der Landesherrschaft, des Fürstentums oder des Fürstenstaats selbst beherrscht und getragen hat, die Beschreibung der Behandlung der Herrschaftsweitergabe von Fürst zu Fürst. Für die Entstehung der Landesherrschaft allgemein ist diese Vorstellung einer kontinuierlichen Aushöhlung, eines fortschreitenden Abbaus königlicher Rechte durch und zu Gunsten der werdenden Landesherrn, der aus Reichssicht Usurpation und Verfall bedeutete und aus fürstlicher Warte einen Emanzipationsprozess widerspiegelte, als längst aufgegeben anzusehen. In der reichsbezogenen Betrachtung der Sukzessionsgeschichte lebt sie fort: Das gerade im 13. und 14. Jahrhundert in breiter Fläche zu beobachtende Phänomen der Landesteilung, eine der Lösungsmöglichkeiten der Sukzessionsproblematik, wird – erweitert um die ebenfalls für das Spätmittelalter signifikante Erscheinung der Alienation von Herrschaftsrechten zu der Gesamterscheinung der Mobilisierung von Herrschaftsrechten –35 ausgehend von der Lehnbarkeit des Verfügungsgegenstandes als Produkt einer Vereigenrechtlichung ehedem amts- und/oder lehnrechtlicher Positionen verstanden.36 Aus dieser Sicht spiegelt sich in der Sukzes35
Dazu vor allem G. Landwehr, Mobilisierung. W. Schlesinger, Brandenburg und Meißen, S. 107, und, ihm folgend, G. Landwehr, Mobilisierung, S. 487, beziehen beide Entwicklungen, Entstehung der Landesherrschaft und Aufkommen der Landesteilungen ausdrücklich aufeinander, setzen beide Entwicklungen nahezu in eins; sie werden als Teile eines umfassenden Emanzipationsprozesses verstanden. In den Teilungen kommt die Einverleibung von Befugnissen, die ursprünglich „amtsweise auf der Grundlage des Lehnrechts ausgeübt wurden“, in die Eigenherrschaft des Belehnten zum Ausdruck. „Auf diese Weise emanzipiert sich die lehnweise übertragene Herrschaft von der lehnrechtlichen Oberherrschaft des Königtums, sie wandelt sich zur selbstständigen Landesherrschaft“ (Landwehr). 36
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sionsbehandlung ein Prozess wider, der auch als „Patrimonialisierung“ oder „Allodialisierung“ der Herrschaft bezeichnet37 und von den Stationen ihrer – schon im Hochmittelalter weithin abgeschlossenen – Erblichwerdung und dann ihrer Teilbarkeit und Veräußerlichkeit gekennzeichnet wird.38 Die gegenläufige, auf das Endziel des modernen Staates gerichtete Entwicklung der Konsolidierung, deren Beginn zeitlich überlappend mit dem Verfall in das 14. Jahrhundert gelegt wird,39 wird entsprechend als Versachlichung der Herrschaft verstanden.40 Zum anderen und demgegenüber wendet sich ein weit jüngerer Forschungsansatz von dem starren Blick auf das Territorium ab und stellt die Rolle des (Herrscher-)Hauses, die Dynastie in den Mittelpunkt der Betrachtungen.41 Gerade Moraw, aber auch 37 „Allod“, mittellateinisch allodium, bezeichnet im Allgemeinen – und so auch durchweg in dieser Arbeit – das freie Eigentum, frei verfügbar und vererbbar. Es wird im Deutschen mit Eigen wiedergegeben und so dem Lehen, dem beneficium, gegenübergestellt (W. Goez, Art. „Allod“, HRG 1, Sp. 120 f.). “Patrimonium“ wird im Fortgang der Darstellung immer im wörtlichen Sinne von „Erbgüter, Nachlass, Erbschaft“ verwandt. „Allodialisierung“ oder „Allodialismus“ (Begriff erstmals bei W. Schlesinger, Entstehung, Vorbemerkung zum Neudruck, S. XIX) ist, umfassender als „Feudalismus“ (im Sinne O. Hintzes, Wesen, S. 84 ff., d. h. gekennzeichnet durch 1. Teilung der Staatsgewalt dem Gegenstand und nicht der Funktion nach und 2. dem Übergewicht des persönlichen Moments in der Herrschaftsausübung) und „Verdinglichung“ der Herrschaft, der Gegenbegriff zur „Rationalisierung der Herrschaft“, zu ihrer „Verstaatung“; umfassend zu diesen Begriffsbildungen und ihren Gegenüberstellungen P. Fried, S. 309 – 322. In diese Antinomie von Staat oder einem auf diesen Zustand, Status, ausgerichteten Prozess auf der einen und Vereigenrechtlichung ehedem staatlicher, reichsrechtlicher Herrschaftsbefugnisse auf der anderen Seite ist auch die Lehre vom „Patrimonialstaat“ einzuordnen. Dieser Ausdruck soll einen älteren Verfassungszustand gegenüber einem jüngeren „öffentlich-rechtlichen“, nach dem der Herrscher gemeinwohlorientiertes Organ des Staates ist, kennzeichnen und abgrenzen. In der regna patrimonialia hingegen ist der Staat sein Patrimonium, sein frei verfügbares Eigentum. Der Ausgangspunkt dieser – später rein polemischen (dazu H. Krüger, S. 138) – Gegenüberstellung ist das spezifisch deutsche Problem, vor dem die Juristen seit dem aufkommenden Staatsgedanken, insbesondere seit der Rezeption des Souveränitätsgedankens Bodins im Hinblick auf das Nebeneinander von Kaiser und Fürsten im Reich standen. Der „Patrimonialstaat“ war ein Ansatz zur Erklärung der Eigenstaatlichkeit der Territorien; so K. Beyerle, S. 16 ff.; vgl. auch O. Brunner, Land, S. 147 ff.; D. Willoweit, Art. „Patrimonialstaat“, HRG 3, Sp. 1549 f. 38 Dazu näher, mit entsprechenden Literaturangaben, unten A. I. bei Anm. 1 – 6. 39 Statt vieler: G. Landwehr, Mobilisierung, S. 500. 40 Zur Abgrenzung von Verdinglichung und Versachlichung: P. Fried, S. 309 ff. 41 Genau genommen ist die Betonung der Dynastie, das völlige Zurücksetzen des Fürstentums, kein jüngerer Forschungsansatz. Den Autoren des Ancien Regimes, aber auch noch den Vertretern des so genannten Privatfürstenrechts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein, war dieser Blickwinkel, diese Abgrenzung ihres Betrachtungsgegenstandes, völlig selbstverständlich. In Geschlechtern, in Häusern und Linien war fürstliche Herrschaft eingebunden; das Fürstentum, das Territorium war bloßes Objekt. So hat Philipp Julius Rehtmeiers Chronik nicht das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, sondern die Herzöge zu Braunschweig-Lüneburg zum Gegenstand, und Anton Ulrich Eraths Behandlung der Erbteilungen bezieht er allein auf das Braunschweig-Lüneburgische Haus. Auch Hausgesetze, wie Sukzessionsordnungen, werden für Häuser und nicht Länder behandelt, etwa von J. J. Moser oder H. J. F. Schulze.
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Schubert verweisen auf die besondere Bedeutung der Dynastie für die Gestalt des Fürstentums.42 Die Herrschaftsweitergabe im Fürstentum unter dem dynastischen Blickwinkel bei weitestgehender Zurücksetzung der reichsrechtlichen Bedingungen und Vorgegebenheiten haben Heinz-Dieter Heimann für die wittelsbachischen Rheinpfalzgrafen und Jörg Rogge für die Wettiner untersucht.43 Dabei richtet Heimann seinen Blick stärker auf die Herrschaftsverfestigung, die „Staatsbildung“,44 während es Rogge eher um die Innenausleuchtung der Dynastie und ihrer Organisation geht.45 Eine spezifisch, jedenfalls vornehmlich rechts- und verfassungshistorische Untersuchung zur Fürstensukzession, die entsprechend auch das rechtlich insoweit bedeutsame Verhältnis zum Reich mit in den Blick nimmt, zugleich aber sich des Rahmens der Landesgeschichte bewusst bleibt, fehlt bislang. Diesem Vorhaben ist die vorliegende Arbeit gewidmet.
II. Aufgabenstellung Die Arbeit fragt nach der konkreten Problemstellung, vor der die jeweilige Herrschaftsnachfolge oder -weitergabe stand, und wie diese bewältigt wurde. Am Anfang und im Mittelpunkt der Betrachtung stehen also der handelnde Fürst, sofern er selbst noch zu Lebzeiten die Gestaltung seiner Nachfolge in Angriff genommen hat, und die anderen an der Nachfolge irgendwie beteiligten Familienmitglieder,46 vornehmlich
42 P. Moraw, Entfaltung, S. 98 ff.; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 100 f. Allerdings setzt das von beiden Autoren konstatierte Spannungsverhältnis zwischen Dynastie und Territorium eine hinreichende Konturierung und Stabilität des als Territorium zu bezeichnenden Herrschaftsgebildes voraus, wie sie mit den Stichworten Institutionalisierung, Herausbildung und Konsolidierung von Verwaltungsorganisation und -praxis, vor allem Formierung der Landschaft zu kennzeichnen ist. Keinesfalls darf Territorium hier als etwas Vorgegebenes, von Anfang an der Dynastie Entgegenzustellendes gedacht werden. Damit wird diese Wechselwirkung zwischen beiden Faktoren fürstlicher Herrschaft verschüttet. 43 Für den nicht-fürstlichen Adel ist zudem die Arbeit von K.-H. Spiess, Lehnsrecht, zu nennen. 44 So stellt auch der von J. Kunisch in Zusammenarbeit mit H. Neuhaus herausgegebene Sammelband „Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates“ die Frage, ob dynastische Rechtserzeugnisse den Staatsbildungsprozess beeinflusst haben, ob Hausrecht funktional Staatsrecht war. 45 Gewissermaßen eine Mittelstellung zwischen den skizzierten beiden Forschungsstandpunkten bekleiden die Arbeiten von Eduard Meyer und Albert Werminghoff. Einerseits gehen sie wie selbstverständlich von einer Staatsqualität des mittelalterlichen Fürstentums, des Gegenstandes der Teilungen, aus und setzen ihm die Dynastie und ihr Wirken als Antipoden gegenüber (nach Meyer, S. 151, etwa stehe das dynastische Erbrecht „selbstherrlich über dem Staat“). Andererseits streicht gerade Werminghoff, S. 9 f., ausgehend von dem überkommenen Ziel des splendor familiae, auch die – noch näher zu beschreibende – dynastische Problematik heraus, ihren Zielkonflikt. 46 Diese Mitglieder der fürstlichen Familie, der Dynastie werden im Folgenden verkürzend als Dynasten bezeichnet. Damit sind also nicht die nicht-fürstlichen, die edelfreien und gräf-
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die Söhne. Soweit wie möglich unbefangen von überkommenen, zunehmend insbesondere für die mittelalterlichen Verhältnisse als anachronistisch erkannten Leitvorstellungen – etwa derjenige des staatsähnlich versachlichten Territoriums, zu dem die Dynastie in ein Spannungsverhältnis treten konnte, ja im Hinblick auf die Sukzession treten musste – sollen die Zielvorstellungen und Bindungen, die Schichten des Ringes um das Bündel der landesherrlichen Rechte, der rechtliche Rahmen und entsprechend die Handlungsoptionen bei der Bewältigung des Herrscherwechsels ermittelt und dargestellt werden.47 Welche Festigkeiten wiesen die Schichten des Ringes um die Garbe der einzelnen landesherrlichen Gerechtsamen auf? An welche Grenzen der Verfügbarkeit stießen die Handelnden? Es ist ein „elementarer menschlicher Grundkonflikt“, wie Hansmartin Schwarzmaier es herausstreicht,48 vor dem der Fürst bei seinem Blick auf die Nachfolge stand: Wie transportiere ich mein Lebenswerk, das durch Erbgang erworbene, durch Heirat, Krieg und weitere Erbschaft eventuell vermehrte Fürstentum, möglichst unbeschadet in die Hände der nächsten Generation und befriedige zugleich möglichst gleichmäßig die Erberwartungen der einzelnen Glieder dieser nachfolgenden Generation? Dabei verlief die Scheide zwischen diesem einerseits auf Integrität, andererseits auf Zerriss gerichteten Polen nicht so klar, wie es auf den ersten Blick scheint: Auch die Partizipation mehrerer am fürstlichen Nachlass, dessen Summe seiner Bestandteile lange Zeit hindurch weithin kongruent mit der fürstlichen Herrschaft war, vermochte ein Mittel, ein Weg zum Ziel des Erhalts des Fürstentums in seiner Integrität, vor allem des Erhalts des Fürstentums in der Familie bedeuten. Denn eine solche Partizipation an der Herrschaft, und nur eine solche Partizipation, eröffnete die Möglichkeit der ebenbürtigen Heirat und entsprechend standesgemäßer Nachkommen, ein Aufblühen einer zweiten fürstlichen Linie, die im Fall des Erlöschens der oder einer anderen Linie herrschaftsfähig sein würde und so der Entfremdung der fürstlichen Substanzien von der Familie und auch dem Zerreißen der unter dem Vorgänger einst erreichten Einheit entgegenstehen konnte.49 Diesem Grundkonflikt von Integrität auf der einen und Vielheit von Ansprüchen, von Teilung, auf der anderen Seite, dieser augenscheinlichen Unvereinbarkeit zweier Ziele fürstlichen, wie dynastischen Handelns lassen sich auch rechtliche (Norm-)Vor-
lichen, Herrschaftsträger gemeint, wie es vielfach, so etwa bei E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 10, Sprachgebrauch ist. 47 Wer, wie etwa Eduard Meyer, von einem monolithischen, unabhängig von der Dynastie und ihrem biologischen und morphologischen Wandel schon für das Mittelalter konstruierten Fürstentum, einem Territorialstaat, ausgeht, dem muss eine Sukzession, die nach Regeln außerhalb einer festen, im Territorium selbst wurzelnden, verfassungsgleichen oder -immanenten Sukzessionsordnung verläuft, als Angriff dynastischen, patrimonialen und auch „privatrechtlich“ geheißenen Denkens auf diese letztlich staatsrechtlichen Gebilde erscheinen. Ein Spannungsverhältnis, das für spätere, mit dem 16. Jahrhundert einsetzende Zeiten durchaus darstellbar ist und sich auch in der Sukzessionsbehandlung darstellt. 48 S. 163. 49 So auch schon A. Werminghoff, S. 9.
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gaben, Aussagen von Rechtsquellen, zuordnen. Die beiden Pole des Konflikts lassen sich gewissermaßen rechtlich einkleiden. Es besteht hier kein Gegensatz zwischen einem menschlichen und einem auch rechtlichen Konflikt, wie ihn Schwarzmaier konstruiert.50 Das Ziel der Einheit lässt sich lehnrechtlich erfassen, deckt sich mit den bekannten Geboten der kaiserlichen Lehnsgesetze des Hochmittelalters und, wenngleich nicht mit der gleichen Eindeutigkeit, auch der Rechtsbücher des 13. Jahrhunderts. Gleichmäßige Erberwartung wenigstens der Söhne entspricht überkommenem, allodialem Landrecht. Dieser Gestalt rechtlich besetzter Pole bestimmt ja auch das klassische Bild der Verfassungsgeschichtsschreibung eines dynastischen, patrimonialen, allodialen Interessensogs, dem das auf Integrität ausgerichtete, gar einem Gemeinwohl gewidmete Lehen ausgesetzt ist. Die Wirklichkeit war aber durchaus komplexer, um eine Fülle von Grautönen reicher. Die Interessenlagen waren nicht so klar abzugrenzen, gar einander gegenüberzustellen, sie deckten, überlappten sich mitunter. Auch dynastischer Vorstellung und Handlung lassen sich, wie auch Spiess51 und ihm folgend Rogge52 herausstreichen, Zielsetzungen, die auf Einheitswahrung gerichtet sein mussten, entnehmen: Sicherung des Bestandes sowie Wahrung und Ausbau von Macht und Ansehen des Geschlechts passen nicht zu zersplitternder Erbauseinandersetzung. Andererseits war die Beteiligung mehrerer, eventuell aller Söhne an der Herrschaft und damit Befähigung zur Begründung einer eigenen Linie nicht nur eine gegenläufige, sondern – um diese näher ausgeführten paradox anmutenden, verschlungenen Motivgänge noch einmal zu bemühen – auch flankierende, zur Beförderung des splendor familiae durchaus taugliche Maßnahme. Das Spannungsverhältnis lässt sich also auch innerhalb der Dynastie ganz ohne Blick auf die – vermeintlichen und tatsächlichen – Widersacher, dem Reich und den Ständen, ausmachen; es ist nicht allein ein Widerstreit zweier Interessen, personell scheidbar vertreten, sondern, wenigstens auch, ein Dilemma, ein schwer zu lösender, ein schier unlösbarer Zielkonflikt.53 Diese Interessengemengelage setzt sich gleichsam nach oben fort: Auch in der Reichssphäre, bei ihrem vornehmsten Vertreter, dem Kaiser, sind dynastische Vorstellungen, die durchaus mit Reichsinteressen zu kollidieren vermochten, zu beobachten. Auch er, der „Mehrer des Reichs“, war Dynast und handelte so.54 Das ständische Streben scheint hingegen seit seinem Aufkommen einigermaßen gleich bleibend auf zwei zusammengehörige Ziele gerichtet zu sein: Einheit der Landschaft und vor allem reibungslose, konfliktfreie Nachfolge. Insofern vermochten die Stände wechselnd Parteigänger oder Gegner dynastischer Sukzessionspläne zu sein, Unterstützer dynastischer Räson oder Widersacher eines Teilungsstrebens. Dabei ist zu bedenken, dass dem – welfischen – Herzog vielfach mehr als eine Landschaft gegenüberstand.
50 51 52 53 54
Dazu näher unten B.V.3.a) in Anm. 214. Familie, S. 272 ff. S. 9 f. K.-H. Spiess, Familie, S. 273. Dazu eingehende Beispiele unten B.I.3.a).
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Zusammengefasst: Ausgehend und gegliedert nach der dargestellten und anerkannten tripolaren Einbindung des Fürstentums und entsprechend auch der fürstlichen Sukzession soll nach dem Wirken der einzelnen Pole, ihrer Wirkungsmacht und auch -weise, für sich und im Zusammenspiel, in Spannung oder Interessenkongruenz geforscht werden. Ein Hauptaugenmerk gilt dabei dem Nachlass, dem Patrimonium, seiner Zusammensetzung und entsprechend Auseinandersetzung: Was genau wurde in welcher Form geteilt oder eben ungeteilt, in welcher Gemeinschaft belassen? Aus dieser Untersuchung lassen sich Vorstellungen zur lehnrechtlichen Bindung, zur Umsetzung lehnrechtlicher Normen, zur Konstruktion der Dynastie, insbesondere dem Verhältnis vom Gesamthaus zur (Teil-)Linie ablesen. Verschmelzungen von Elementen des Bündels, wie auch ihre Diversifikation, die horizontalen Schichtungen, können sinnfällig gemacht werden. Schließlich gilt das Interesse den Instrumenten, mit denen die Sukzession rechtlich bewältigt wurde – genauer: dem materiell-rechtlichen Instrumentarium in seiner Vorgegebenheit und insbesondere auch seiner Herausbildung und Entwicklung von Erbfall zu Erbfall. Daneben stehen Verfahrensfragen, wie etwa und vor allem der Einsatz von Vermittlern und Schiedsgremien, eher am Rande der Beobachtungen. Kurzum: Die gefundene, von den Beteiligten getroffene Erbregelung soll als Rechtsquelle näher betrachtet und, soweit möglich, ihrem Charakter und ihrer Bedeutung für das Fürstentum und seiner Konsolidierung nach bewertet werden.55 Und damit sind auch die Quellen, aus denen geschöpft werden kann, weithin abgesteckt: Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die, wie sie möglichst neutral, frei von Implikationen auch im Folgenden regelmäßig bezeichnet werden sollen, hausrechtlichen Regelungen, die im Welfenhause seit dem frühen 13. Jahrhundert noch sporadisch56 und dann seit dem letzten Drittel desselben Jahrhunderts stetiger fließend schriftlich tradiert sind. Bis in das 13. Jahrhundert hinein, auch über die in Urkunden niedergelegte Teilung des Nachlasses Heinrichs des Löwen unter seinen Söhnen im Jahre 1202 hinaus,57 fehlt es an einer urkundlichen Überlieferung welfischer wie sächsischer Sukzessionspraxis. Und auch in den anderen Teilen des Reichs war es nicht anders.58 Für die Zeit davor kann sich Sukzessionsgeschichte lediglich auf chronikalische und annalistische Nachrichten und vor allem auch auf besitzgeschichtliche Zeugnisse, allen voran die Traditionsurkunden zu Schenkungen an Klöster und Kir55
Dieser Fragestellung sind, allerdings vornehmlich bezogen auf die frühneuzeitlichen Verhältnisse, auch die Beiträge in: J. Kunisch (Hrsg.), Der dynastische Fürstenstaat, gewidmet. 56 Die Urkunden zur Erbteilung unter den Söhnen Heinrichs des Löwen aus dem Jahre 1202 stehen hier allein, sieht man von dem pactum investiturae von 1235 ab, das man als eine hausrechtliche Bestimmung in einem sehr weiten Sinne bezeichnen kann, so etwa H. J. F. Schulze, Hausgesetze, Einl., S. V ff. 57 Etwa: Die Erbfolgeregelung Heinrichs des Pfalzgrafen von 1223 oder die auf 1291 zu datierende Teilung unter den Söhnen Herzog Albrechts II. von Braunschweig. 58 H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 45 f.; W. Barfuss, S. 4 f.; A. Erler, Art. „Hausgesetze (Hausverträge)“, HRG 1, Sp. 2026 ff.; J. Weitzel, Hausnormen, S. 35, 42; D. Willoweit, Art. „Privatfürstenrecht“, HRG 2, Sp. 1966 ff.
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chen stützen, aus denen Vermögenszuordnungen und in Zusammenschau längerer Zeiträume auch Besitznachfolgen ersichtlich sind. Und: Besitznachfolge, wie überhaupt Rechtsnachfolge, beruht vielfach auf Erbfolge. Genauere Mechanismen, gar rechtliche Instrumentarien zur Erbfolgeregelung lassen sich indes auf diese Weise bestenfalls rudimentär erschließen, ablesen und näher beschreiben lassen sie sich sicherlich nicht. Dieser Befund spiegelt allerdings nicht, jedenfalls nicht allein, ein Überlieferungsproblem wider, sondern gründet auch in der Sache selbst: Steuerung, instrumentierte Gestaltung der Erbfolge ist eine jüngere Erscheinung. Sie ist Kern des seit dem Spätmittelalter vordringenden Haus- und Adelsrechts. Unter diesem Blickwinkel erscheinen die hausrechtlichen Regelungen, ihre Zeugnisse, nicht mehr nur als Mittel der Erkenntnisgewinnung, sondern werden ihrerseits selbst Untersuchungsgegenstand. In der Literatur werden diese Zeugnisse zumeist ganz unbefangen unter dem Ausdruck „Hausgesetze“ zusammengefasst.59 Dieses Wort ist als Selbstbezeichnung einer hausrechtlichen Regelung indes erst aus dem Jahre 1803 überliefert.60 In den Quellen zuvor begegnen vielfältige andere Namen.61 In der Sache ist allgemein anerkannt, dass Haus- oder auch Adelsrecht ein seit dem 13. und 14. Jahrhundert sich herausbildendes, in seinen einzelnen Akten bewusst geschaffenes Sonderrecht des hohen Adels zur Erbfolge, zur Ehe und zu anderen das Recht der Familie, des Hauses, betreffenden Fragen ist; ein, wie Jürgen Weitzel es aufbauend auf den Forschungen des 20. Jahrhunderts, etwa von Wilhelm Ebel62 und Hermann Krause63, zum Wesen und Begriff des mittelalterlichen Rechts formuliert hat, „von dem auf das Ge59 Vgl. die bei A. Erler, ebd., und J. Weitzel, ebd., angegebene Literatur. Dazu etwa von den älteren Arbeiten: O. Posse, Titel; aus der jüngeren Zeit: R. Sprandel, Verfassung, S. 170. H. J. F. Schulze, Hausgesetze, Einl., S. V ff. gebraucht den Ausdruck „Hausgesetz“ in einem noch weiteren Verstande – jedenfalls als Kriterium zur Auswahl für sein „Repertorium der gesammten Hausgesetzgebung“: Er zieht „selbst Lehnbriefe (z. B. der erste für das Haus Braunschweig-Lüneburg von 1235) und Reichsgesetze, welche auf die Hausverfassung eines Fürstenhauses von Einfluss geworden sind“ (VII), hinzu; vgl. zu Schulzes Begriff vom „Hausgesetz“ J. Weitzel, ebd., S. 37 Anm. 12. Vielfach findet man den Ausdruck „Hausgesetze“ als Wortpaar mit dem Ausdruck „Hausverträge“: Im HRG erscheinen die „Hausverträge“ als Klammerzusatz zu den „Hausgesetzen“; vgl. auch E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 25; W. Barfuss, Titel. Darin deutet sich schon die Diskussionsbedürftigkeit des Begriffsteils „-gesetz“ an; zu dieser Frage des Charakters fürstlicher Haus- und Erbfolgeregelungen, ihrer Einordnung in eine Rechtsquellenlehre, vor allem J. Weitzel, ebd. 60 J. Weitzel, Hausnormen, S. 35, mit Bezug auf das kurfürstliche Hausgesetz von Württemberg vom 13. Dezember 1803 und dem Hinweis darauf, dass das von A. Erler, Art. Hausgesetze“, HRG 1, Sp. 2026, mit dem Datum 1766 angeführte bayerische Zeugnis nicht diese Bezeichnung erwähnt. 61 J. Weitzel, Hausnormen, S. 35, hat eine, wie er selbst bemerkt, keineswegs erschöpfende Liste anhand der bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, abgedruckten eben als solche zusammengefassten Quellen zusammengestellt: erbeinigung, verdracht und eynung, teylung, tailbrief vertrag, Hauß-Vertrag, pactum gentilicium, pactum successorium, testament, dispositio, ordnung, verordnung, verrichtung, beliebung, gesetze und ordenung, satzung, statutum familiae, constitutio, sanctio pragmatica, Stammeinigung, Geschlechtsrecess, Patent. 62 Willkür, aber auch Geschichte der Gesetzgebung. 63 Vor allem die Artikel „Aufzeichnung des Rechts“, HRG, Bd. 1, Sp. 256 ff., und „Gesetzgebung,“ HRG, Bd. 1, Sp. 1606 ff.
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richt bezogenen ,Recht“ abgelöstes Haus- und Erbfolgerecht des Hochadels.64 Weitzel war es auch, der, soweit ersichtlich, erstmals die weitere Beschreibung, genauer: die Qualifizierung und Kategorisierung des Hausrechts durch die Juristen des 19. Jahrhunderts, wie sie bis in das ausgehende 20. Jahrhundert vielfach fortgeschrieben wurde,65 näher und kritisch beleuchtet hat.66 Die meisten Vertreter der Rechtsund Verfassungsgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, die solche Regelungen vielfach noch als aktuell geltendes Recht vor Augen hatten,67 qualifizierten die hausrechtlichen Regelungen als Rechtsnormen und schließlich auch für die Zeit des Mittelalters als Gesetze; nur der Art und Weise ihrer Erzeugung, ihrer Form nach, habe man sich des Rechtsgeschäfts, des Testaments, des Erbvertrags und dergleichen mehr, bedient.68 Das Fundament dieser Auffassung – so Weitzel – lieferte Georg Beseler 1840 mit seiner Beschreibung der Autonomie.69 Danach vermochten väterliche Disposition und Vertrag als gewillkürtes Recht der Familie, diese „als Genossenschaft in ihrer Gesamtheit“ zu ergreifen und das einzelne Familienmitglied eben als solches zu verbinden. Beseler nähert sich dem Gedanken der Autonomie der hochadeligen Familie als Grundlage, als Wurzel des Hausrechts von der Feststellung einer – so könnte man sie überspitzt nennen – legislativen Lücke her, die durch eben diese Befugnis zur 64 Literatur wie Anm. 58 f. Dieses Adelsrecht mag man auch Fürstenrecht nennen, mit dem so genannten Privatfürstenrecht ist es indes nicht – restlos – deckungsgleich. Der inhaltliche Schwerpunkt dieser sich im 18. Jahrhundert herausbildenden wissenschaftlichen Disziplin liegt zwar auch im Erb- und Familienrecht der hochadeligen Häuser. Jedoch beschränkt sie sich nicht auf die Beschreibung und Systematisierung dieser auch in den Zeugnissen der Praxis des Hausrechts behandelten Materien. Vielmehr gehört zum Privatfürstenrecht auch die Auseinandersetzung mit der Frage der Einordnung der Person des Fürsten in die Regeln des ius publicum einerseits und des ius privatum andererseits; die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen aus der zunehmend klareren Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht gerade für die Person des Fürsten. Johann Stephan Pütter fragt etwa in einem Abschnitt seiner Abhandlung „Kurzer Begriff des Teutschen Staatsrechts“ (2. Aufl. 1768) „nach welchen Gesetzen ein regierender Herr in Privat-Sachen zu beurtheilen sey?”. Darin wird deutlich, dass das Privatfürstenrecht an sich der Gegenbegriff bzw. die Ausnahme zum Grundsatz ist, der Fürst sei legibus solutus. Man könnte auch sagen, das Privatfürstenrecht verdankt seine Entstehung einerseits der Unterscheidung von publizistischen Handlungen bzw. einer publizistischen Sphäre des Regenten gegenüber einer privaten – oder auch der Entdeckung der persona publica gegenüber einer persona privata – und andererseits dem Widerstreben dagegen, den Fürsten hinsichtlich seiner privaten Handlungen den allgemeinen Gesetzen zu unterwerfen. Damit erhebt sich die Frage, nach welchen Normen denn dann diese „Privathandlungen“ des Regenten zu beurteilen seien. Insofern ist das Privatfürstenrecht gewissermaßen auf Kompensation der Konsequenzen des Erkennens einer „Privatrechtssphäre“ des Regenten gerichtet, nämlich der Privatrechtsunterworfenheit oder aber einer völligen Rechtsfreiheit des Regenten, aus dem Wege zu gehen. Vgl. vor allem D. Willoweit, Art. „Privatfürstenrecht“, HRG 2, Sp. 1966 ff. 65 W. Barfuss, 4 f.; A. Erler, Art. „Hausgesetze (Hausverträge)“, HRG 1, Sp. 2026 ff.; R. Sprandel, S. 170. 66 Hausnormen, S. 36 ff. 67 Das letzte Hausgesetz der Welfen etwa datiert auf den 19. November 1836 (abgedruckt bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, Nr. XV). 68 Nachweise bei J. Weitzel, Hausnormen, S. 36 Anm. 4. 69 Erbverträge, S. 1 – 106, bes. S. 14 ff.
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eigenständigen Rechtssetzung gleichsam gefüllt wird. Ausgehend einerseits von der Annahme einer Notwendigkeit, die individuelle Verfügungsbefugnis einzelner Mitglieder der hochadeligen Familie zu begrenzen, andererseits von der Beobachtung, dass dies auch eben seit dem beginnenden 14. Jahrhundert geschah, dass das Hausrecht von Anbeginn an gekennzeichnet ist von einer kollektiven Vernunft, die Sonderinteressen Einzelner den Interessen der Familie unterzuordnen, fragt er nach dem Rechtsgrund der hausrechtlichen Verfügungen und Vereinbarungen und stellt fest, dass diese durch die Rechtssätze der Zeit, seien sie allodialer, seien sie feudaler Natur, weder geboten, noch überhaupt mit diesen vereinbar waren.70 Diese Erkenntnis bildet den Ausgangspunkt für die Formulierung der Lehre von der Autonomie bei Beseler. Sie zielt darauf, diese Kollision der – rechtlichen – Instrumente hochadeliger Familienpolitik mit überkommenen Rechtssätzen aufzulösen, indem sie den verfügenden und paktierenden Dynasten ihrerseits gleichsam eine Rechtssetzungsbefugnis beimisst, ihnen eine Norm gebende Kompetenz oberhalb der lediglich rechtsgeschäftlichen Ebene einräumt. Grundlage und Legitimation dieser normativen Kompetenz war Beseler, wie auch v. Gierke, der genossenschaftliche, der korporative Charakter der Familie, der aus altgermanischer Zeit (Beseler) überkommen sei, sich aber ebenso auch als Reaktion, Gegenbewegung gegen die fortschreitende Individualisierung entwickelt habe.71 Gerade Otto v. Gierke betonte diese genossenschaftliche Grundlegung des Hausrechts; er pointierte Beselers Ausführungen und setzte damit die Autonomie mit der Gesetzgebungsbefugnis im modernen Sinne nahezu in eins.72 Und Otto Stobbe fügte – wenngleich zeitlich ein wenig vor v. Gierke – gewissermaßen den Schlussstein in ein zeitloses und daher anachronistisches Modell vom Hausrecht mit seiner Auffassung, „dass der Charakter der Hausgesetzgebung in den verschiedenen Jahrhunderten im Allgemeinen derselbe ist und dass die Hausgesetze des 14. Jahrhunderts sich nicht wesentlich von denen des neunzehnten Jahrhunderts unterscheiden“,73 gemeint ist ein Charakter im Sinne Beselers und v. Gierkes, ein normativer Charakter. Gegen diese Auffassung trat im Wesentlichen nur CarlFriedrich von Gerber auf, für den das Hausrecht allein eine Summe von Rechtsverhältnissen rechtsgeschäftlicher Natur war.74 70
Bes. S. 27. O. v. Gierke, S. 416: „Zunächst verstand es sich nach dem Wesen der Familie, daß der freie Wille weniger auf die Existenz, als auf die rechtliche Geltung und die besondere Form der Verbindung gerichtet war: Die bewußte Konstituierung eines adeligen Hauses als Genossenschaft ist schwerlich irgendwo vorgekommen, und vergeblich würde man, sei es in einer einseitigen Verfügung, sei es in einem Vertrag, nach einer Stiftungsurkunde suchen, welche in dem Sinne, wie es die Brüderschaften, Gilden, Zünfte, wie selbst bei den Kommunen älterer Bildung geschah, die Körperschaft selbst geschaffen, sie aus dem Nichts ins Dasein gerufen hätte. Vielmehr war der Entwicklungsgang der, daß man mehr und mehr sich der vorhandenen natürlichen, historisch, politisch, social längst wirksamen Familieneinheit bewußt ward und mehr und mehr die rechtlichen Konsequenzen daraus zog“. 72 S. 413 ff., bes. S. 419. 73 S. 99. 74 S. 36 ff., 45 ff., 64 ff. 71
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Nach den schon erwähnten Forschungen zur mittelalterlichen Rechtsauffassung von Ebel, Krause und anderen ist die Autonomie von einer Gesetzgebungsbefugnis abgerückt worden. Schon insofern muss die Bindung derjenigen, die der gewillkürten, vorgeblich „in Autonomie“ gesetzten Norm unterworfen sein sollen, genauer geprüft und begründet werden, wie überhaupt dann für augenscheinlich in rechtsgeschäftlicher Form, etwa Vereinbarungen zwischen auch umfangreicheren Personenmehrheiten, begründeter „Normen“ deren Normativität75 besonders festgestellt werden muss. Die noch von Adalbert Erler im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte referierte Gleichung: weil die adelige Familie einen genossenschaftlichen Charakter hatte, kommt ihr Autonomie zu, ist sie zur Selbstrechtssetzung befugt, und daher handelt es sich bei den hausrechtlichen Regelungen unabhängig von ihrer – äußeren – Form um Rechtsnormen,76 ist so wohl kaum mehr aufrecht zu erhalten. Vielmehr ist der Blick offen zu halten zum einen darauf, dass der Charakter der hausrechtlichen Regelungen nicht unabhängig von ihren Gegenständen und über alle Jahrhunderte hinweg derselbe gewesen sein muss, dass insoweit nicht Einschränkungen von einem „Princip der Lehre“ (Beseler) zu machen sind, sondern von vornherein ein differenzierteres Bild zugelassen wird; zum anderen darauf, dass der Charakter der Familie nicht jeweils der hausrechtlichen Regelung vorgegeben sein muss, sondern diese ebenso auch Zeugnis des Selbstverständnisses der hochadeligen Familie sowie auch Konstitutivum des dynastischen Verbandes, der „Genossenschaft“, gewesen sein dürfte.77 Die Beschreibung, Charakterisierung und der Versuch einer Typisierung sollten keine fest gefügte, genossenschaftliche, autonome Dynastie als vorgegeben voraussetzen, deren Selbstzeugnisse diesen Charakter dann zwangsläufig teilen. Vielmehr ist von einer Wechselwirkung von Hausrechts- und Dynastieentwicklung und -formierung auszugehen. Ganz praktisch und nahe liegend bedeutet dies, allein von dem Inhalt der hausrechtlichen Regelung her, die zunächst als Lösung eines Sukzessionsfalls, eines Sukzessionsproblems, als Option für eine Lösungsmöglichkeit zu verstehen ist, ihren Charakter zu erfassen, zu beschreiben, zu typisieren und, soweit möglich, zu kategorisieren. 75 Dazu K. Kroeschell, Verfassungsgeschichte, bes. in der Aussprache dazu, S. 84; J. Weitzel, Hausnormen. 76 Art. „Hausgesetze (Hausverträge)“, HRG I, Sp. 2027: „Hausgesetz ist nicht nur eine Sammelbezeichnung für eine Summe von Privatdispositionen und Einzelverträgen [so Gerber], sondern ein Vollrecht als notwendige innere Folge der korporativen Verfassung; der hohe Adel hat also nicht nur Rechtsverhältnisse, sondern Rechtsnormen geschaffen, an welche mithin auch ein jedes Mitglied des Hauses gebunden war – nicht als Kontrahent oder Rechtsnachfolger eines Vertragsverhältnisses, sondern kraft Zugehörigkeit zum Geschlecht.“ (Beseler, Gierke) 77 O. v. Gierke, S. 416 f., verneint nicht jegliches Wechselspiel von Hausrechtszeugnis und Hausverfassung: „Deshalb sind sowol die einseitigen Dispositionen des Familienhaupts unter Lebenden und von Todes wegen, als die Familien- und Stammverträge der sämmtlichen Geschlechtsgenossen, welche die Geschichte jedes einzelnen Hauses des hohen Adels so zahlreich ausweist, weit mehr Ausdruck als Grundlage der genossenschaftlichen Einheit; sie konstatirten, modificirten, entwickelten die Verfassung des Gesammthauses, aber sie setzen die Existenz einer Genossenschaft, je schärfer sie die Familieneinheit betonen, desto unzweideutiger als bereits vorhanden voraus.“
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Dabei gilt einer Frage, deren Entwicklung durch Annahme einer aprioristisch befundenen gleich bleibenden Normativität des Hausrechts völlig verschüttet wird, ja, die gar nicht mehr sinnvoll gestellt werden kann, ein Hauptaugenmerk: dem Problem der Kontinuität und Stabilität hausrechtlicher Regelungen. Dieses ist aufgeworfen, sobald eine hausrechtliche Bestimmung sich nicht in der Lösung eines Einzelfalls erschöpft, insbesondere wenn Dritte, nicht am Zustandekommen der Regelung unmittelbar Beteiligte, etwa künftige Generationen, verbunden werden sollen, wenn also Normativität beansprucht wird. Wie vermochte die Regelung selbst den Generationswechsel zu überstehen, dem ändernden Zugriff der Nachkommen entzogen zu werden? Weitzel hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass es sich selbst in der „Epoche des Entstehens des absoluten Staates“ bei den dynastischen Haus- und Erbfolgeregelungen nicht um „Recht“ in der zeitgenössischen Vorstellung handelte. Die in Einung oder „kraft Ordnungsgebots“ erwachsenden Normen wuchsen auch in ihrer Summe nicht dem auf das Gericht bezogenen „Recht“ wieder zu, noch bildeten sie einen eigenen Korpus von „Recht“. Anders als etwa bei den Stadtrechten wuchs Hausrecht nicht durch immer neue Einungen an, die beim Stadtrecht in ebendieses einschmolzen. Von daher musste sich gewissermaßen jedes hausrechtliche Zeugnis selbst Durchsetzung verschaffen, auf die individuelle Beständigkeit drängen und diese sichern. Hierzu bedurfte es, wie es Krause formuliert, eines „archimedischen Punktes außerhalb der Urkunde, richtiger außerhalb der Person des Rechtsschöpfers“,78 bei Verträgen und Einungen: der rechtsbegründenden Personenmehrheit. Ein transpersonaler, eben von Personen abgelöster, Staat als Bezugs-, ja Ausgangspunkt des Rechts fehlte. Hier zeichnet sich ein Wechselspiel – anders gewendet auch als Dilemma zu erfassen – ab: Konsolidierung und Versachlichung fürstlicher Herrschaft, zu der elementar das Gebot ihrer Unteilbarkeit, dem der Anspruch auf Dauerhaftigkeit wesensmäßig innewohnt, gehört, waren einerseits Voraussetzung, Bausteine des modernen Staats, Ausdrucksformen des Staatsgedankens. Auf der anderen Seite bedurften diese Elemente der Staatlichkeit, im Sinne einer Transpersonalität der Herrschaft, ihrerseits dessen, was sie doch erst erzeugen sollten, nämlich eines Bezugspunktes, der ihren Bestand über den Tod des Erzeugers hinaus zu garantieren vermochte. Hier treten die Stände und der Kaiser auf den Plan. Sie sind nicht nur Träger eigener Interessen bei der Sukzessionsfrage, der Kaiser als Lehnsherr, die Stände als teils Lehnsmänner, teils als Herrschaftsunterworfene, vor allem aber als Pforte zu den Steuerquellen. Vielmehr taugten beide, Stände wie Kaiser und Reich, als Garanten des Bestandes hausrechtlich gefundener Regelungen und Normen. Ihrerseits als Institutionen von generativer Erneuerung unabhängig ließen sie sich instrumentalisieren. Ihr Einbezug schuf eine stärkere Verbindlichkeit für die unmittelbar beteiligten Dynasten, schuf mehr Stabilität. Dieses Wechselspiel, dieses vielstrebige Gerüst in den Bahnen vorstaatlicher Herrschaft löst sich bis zum Ende der Betrachtungen am Ausgang des 17. Jahrhunderts nicht gänzlich auf; es behält seine Bedeutung.
78
Dauer, S. 223.
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III. Gang und Quellen der Untersuchung In einem ersten Abschnitt soll auf das Hochmittelalter zurückgeschaut werden, soll den Bausteinen der Herrschaft, die sich vielfach jedenfalls nominal in dem Bündel der spätmittelalterlichen Landesherrschaft wieder finden, nachgespürt werden. Dabei sollen ganz allgemein Behandlungsmuster, überkommene Rechtsgrundsätze der Sukzession und ihrer Bewältigung ermittelt und dargestellt werden. Bindungsinstitute können in ihrem Herkommen erfasst und Entwicklungen der Verfügungsbeschränkungen und ihrer Institute in späteren Zeiten entsprechend besser bewertet werden. Insbesondere kann mit diesem weiten zeitlichen Ausholen die Frage des Aufkommens der Landesteilungen und, in einem umfassenderen Verstande insofern um die Alienationen, die Veräußerungen von Herrschaftsrechten unter Lebenden ohne Bezug auf den Erbfall, ergänzt, die Frage der Mobilisierung der Herrschaftsordnung als eine wesentliche Signatur des spätmittelalterlichen Fürstentums, näher beleuchtet werden. Hier gilt das Augenmerk vor allem der nach wie vor immer wieder bemühten reichsperspektivischen Verfallsvorstellung. Bei dieser Rückschau auf das Hochmittelalter werden die Verhältnisse des sächsischen Herzogtums sowie der sächsischen Grafengeschlechter, der Billunger, der Stader/Udonen, der Brunonen, der Northeimer, der Katlenburger, der großen Adelsgeschlechter in dem Raum, in dem später das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg errichtet wurde, in den Blick genommen. Die ersten Anfänge der Welfen, dieses ursprünglich süddeutschen Geschlechts, in Sachsen fallen in die Zeit um 1100: Heinrich der Schwarze, der Großvater Heinrichs des Löwen, heiratete die Billungerin Wulfhild.79 Ihr Sohn Heinrich der Stolze erwarb zu einem nicht näher geklärten Zeitpunkt unter König Lothar III. die sächsische Herzogswürde. Ausgehend von der Frage der Sukzession im 1235 errichteten welfischen Herzogtum Braunschweig-Lüneburg retrospektiv auf die sächsischen Grafen und Herzöge aus anderen Geschlechtern als „Vorgeschichte“ zurückzugreifen, erscheint gleichwohl nicht als unzulässiger Anachronismus. Dieser gleichsam versetzt verlaufende Pfad in die Vergangenheit ist unabhängig von dem heute feststellbaren objektiv gegebenen räumlich-besitzgeschichtlichen und genealogischen Zusammenhang der Welfen zu einigen der großen sächsischen Adelsgeschlechtern80 aus der welfischen Rückschau selbst gerechtfertigt. Die Verlagerung welfischer Herrschaft von Süd- nach Norddeutschland im Tatsächlichen verschob auch das Bewusstsein. Um 1230 wies die Chronik des Klosters St. Michael zu Lüneburg noch Herzog Otto (das Kind) als einen Spross „jenes hochedlen Ge79
Schon der Vater Heinrichs des Schwarzen, Welf IV., war mit den vor allem um Stade herum begüterten Udonen verwandt; näher zu den Anfängen der Welfen in Sachsen: E. Schubert, Niedersachsen, S. 383 f. 80 Als Urenkel des letzten Billungers, Herzog Magnus, war Heinrich der Löwe an dessen Nachlass beteiligt und als Enkel Lothars von Süpplingenburg vereinigte er Erbe der Grafen von Süpplingenburg, der Grafen von Haldensleben, der Grafen von Katlenburg, der Brunonen und Teile des Northeimer Allodiums in seiner Hand. Weitere Erwerbungen, wie diejenigen des Stader, des Asseler und des Winzenburger Besitzes waren weniger verwandtschaftlich denn durch Macht begründet.
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schlechts, das von Altdorf und Ravensburg genannt wird“, aus. Schon Ende desselben Jahrhunderts verdrängten, wie es Schneidmüller pointiert, „im norddeutschen Erinnerungswissen die sächsischen Mütter die welfischen Väter. Den Billungern, den Brunonen, den Süpplingenburgern verdankten die welfischen Herzöge ihre Herrschaft im Land (…) In St. Blasius/Braunschweig oder St. Michael/Lüneburg traten Heinrich der Stolze oder Heinrich der Löwe mit ihren Familien in die Kontinuität ihrer sächsischen Vorfahren ein“.81 Auch die in den letzten Dekaden des 13. Jahrhunderts entstandene Braunschweigische Reimchronik betont die mütterlich sächsische Wurzel der welfischen Braunschweiger Fürsten.82 Der zweite, der Haupt-Abschnitt ist dann der Sukzession im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg zwischen 1235 und der Einführung einer umfassenden Primogeniturordnung im neuen Haus Lüneburg, der später kurfürstlichen, dann königlichen Linie Hannover im Jahre 1682, bestätigt 1688, gewidmet. Die Darstellung folgt hier nicht streng den genealogischen Verzweigungen des Welfengeschlechts; nicht die Linien, auch Häuser genannt, geben den Aufbau vor. Maßgeblich für den Gang der Betrachtungen sind vielmehr vorrangig die Fürstentümer der Welfen. Die personale Betrachtungsweise, wie sie naturgemäß den Stammtafeln der Welfen83 und etwa auch der Darstellung bei Hermann Schulze84 zu Grunde liegt, ist gewissermaßen „richtiger“. Sukzediert wird in Verwandtschaftslinien, in Stämmen, also personalen Verbindungen. Und auch die Zeitgenossen dachten insoweit in „Linien“ und „Häusern“, nicht in der Kategorie „Fürstentum“. Diese waren für die Fürsten bloße Objekte. „Nicht vom Land, sondern vom Haus her (wurde) die mittelalterliche Fürstenherrschaft definiert“.85 Entsprechend vermochten hausrechtliche Regelungen nur in den Linien Geltung zu beanspruchen; sie konnten allenfalls in den Erbfolgen Verbindlichkeit erzeugen; sie waren nicht an – gar als Staaten im modernen Sinne gedachte – Fürstentümer, Territorien gebunden. Und dennoch soll nicht streng an den Häusern entlang gezeichnet werden. Dies würde zu Unübersichtlichkeiten führen, zudem würde – und dies ist entscheidend – der Blick auf systematische Veränderungen und Entwicklungen verstellt. Wenn etwa der Grubenhagener Zweig des alten Hauses Braunschweig kontinuierlich in seiner Sukzessionsabfolge dargestellt würde, müssten gut 300 Jahre (1291 – 1596) in den Blick genommen werden. Die Vermeidung solcher allein genealogischer Längsschnitte ist zudem insofern zu verschmerzen, als die Genealogie auch in der gewählten, vornehmlich am Objekt des Fürstentums haftenden Darstellung hinreichend verständlich wird. Haus und Fürstentum stehen nicht unverbunden, beziehungslos nebeneinander. So erzeugt der Erwerb 81
Welfen, S. 286. Zu dem genealogischen Selbstverständnis in diesem Sinne: H. Patze/K.-H. Ahrens, Braunschweigische Reimchronik, und B. Schneidmüller, Landesherrschaft. 83 Siehe etwa die Tafeln bei: G. Pischke, Landesteilungen, o. S.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 713; Ch. Van den Heuvel und M. von Boetticher (Hrsg.), Niedersachsen, nach 891. 84 Hausgesetze, S. 366 ff. 85 E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 100 f., 22, 24; J. Rogge, S. 372 f. 82
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eines Fürstentums den Namen des Hauses, den Wechsel darin: Als etwa der Dannenberger Zweig des mittleren Hauses Lüneburg 1635 das erledigte Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel erhielt, wurde aus diesem Zweig das Neue Haus Braunschweig und aus den übrigen Lüneburger Linien das neue Haus Lüneburg; und dies sogar gewissermaßen rückwirkend: Die Begründung dieses Hauses wird auf den Zeitpunkt der Abteilung der Dannenberger Linie datiert, dies war 1569. Der abgesteckten Weite des Untersuchungszeitraums ist geschuldet, dass viele Einzelheiten nicht weiter vertieft, viele Hintergründe nicht erschöpfend ausgeleuchtet und Vergleiche zu anderen Geschlechtern und Fürstentümern kaum gezogen werden können. Indes werden so und nur so länger dauernde Entwicklungen sinnfällig und erklärbar; vor der Knüpfung vordergründig plausibler, jedoch zu kurzfristiger Kausalverbindungen wird geschützt. Möglich wird diese Untersuchungsbreite dadurch, dass ganz überwiegend auf gedruckte Quellen zugegriffen werden kann.86 Zudem kann sich die vornehmlich besitzgeschichtlich rekonstruierte Sukzession der sächsischen Grafen in Komitats- und Allodialrechte auf die detaillierten Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens stützen.87 Hinsichtlich der Bearbeitung der Sukzession nach 1235 muss die in ihrem praktischen Nutzen kaum zu überschätzende landesgeschichtliche Arbeit Gudrun Pischkes zu den Landesteilungen der Welfen im Mittelalter hervorgehoben werden. Mag auch gegenüber dem Untersuchungsgegenstand der „Landesteilungen“ Skepsis angezeigt sein – zum einen ist der Begriff gerade im Hinblick auf den Bestandteil „Land“ zweifelhaft, zum anderen wird so eine der möglichen Handlungsoptionen, das Sukzessionsproblem zu bewältigen, isoliert mit der Folge, dass der Gesamtzusammenhang, der Problemzusammenhang zerrissen wird –, so vermittelt der Faktenreichtum und die anschauliche Darstellung dem Buch den Charakter eines Nachschlagewerks der territorialen sowie auch genealogischen Entwicklung der Welfen zwischen 1200 und 1500. Den Forschungsstand zur Landesgeschichte markiert – zusammenfassend – vor allem die umfangreiche von Hans Patze begründete „Geschichte Niedersachsens“.
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Für die Zeit bis zum beginnenden 15. Jahrhundert steht das von Hans Sudendorf herausgegebene Urkundenbuch zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg zur Verfügung. Eine Reihe von Sukzessionsurkunden gerade des 15. Jahrhunderts sind bei Anton Ulrich Erath abgedruckt. Daneben sind als Fundstellen gedruckter Sukzessionsurkunden noch Philipp Julius Rehtmeiers Chronik sowie die Sammlungen der Landtagsabschiede von Andreas Ludolph Jacobi und Johann Georg Friedrich Kleinschmidt zu nennen. 87 Vornehmlich die Arbeiten Hans-Joachim Freytags zu den Billungern, Karl-Heinz Langes zu den Northeimern, aber auch Richard G. Huckes zu den Stadern und Gudrun Pischkes zu den Billungern, Stadern, Northeimern und Lothars von Süpplingenburg.
A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter – Mobilität und Disponibilität dieser Herrschafts- und Rechtspositionen im Erbgang und unter Lebenden vor der Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 1235 I. „Landesteilungen“ als Erscheinung eines Verfallsprozesses? Die „Landesteilungen“ werden in der Literatur allgemein als Phänomen des Spätmittelalters behandelt.1 Zuvor – so wird gemeinhin vertreten – sei der Amtscharakter der Herzogtümer und Grafschaften gewahrt worden und habe die Teilung dieser Lehen verhindert. Mitte des 13. Jahrhunderts seien dann die Fürstentümer und Grafschaften „endgültig in die nach Landrecht übliche Teilung der Allodialgüter einbezogen“2 worden; das Reichslehen, das ursprünglich Amt gewesen wäre, sei allodialisiert worden.3 1 Siehe nur H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 228; R. Härtel im Titel; G. Pischke, Landesteilungen, S. 1; D. Willoweit, Rezeption, S. 41. 2 J. Weitzel, Art. „Primogenitur“, HRG 3, Sp. 1951. 3 G. Pischke, Landesteilungen, S. 1; H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 228: „der vollständige Sieg des privatrechtlichen Theilungssystems“ (ähnliche Formulierungen noch bei G. Pischke, ebd., S. 1 f.); K.-H. Spiess, Erbteilung, S. 159 f. G. Landwehr, Mobilisierung, S. 484 ff., bes. S. 486 f., und K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 74 ff., stellen die aufkommende Teilbarkeit von „Herrschaft“ in einen umfassenderen Prozess ein: Erb- oder Herrschaftsteilung als Symptom zunehmender Mobilität im Rechtsverkehr, zunehmender Verfügbarkeit über Sachen und Rechte; ähnlich auch R. Härtel, S. 179: „Anwendung landrechtlicher Grundsätze auf Gerechtsame von letztlich amts- oder lehnrechtlicher Herkunft. Ein Allodialisierungsprozess hatte das möglich gemacht, und die Kommerzialisierung von Herrschaftsrechten erleichterte Spaltungen und Teilungen um ein weiteres“. D. Willoweit, Art. „Landesteilung“, HRG 2, Sp. 1417, erhebt Bedenken gegen die – allerdings „im Kern zutreffende“ – einhellige Lehre, da sie eine für das mittelalterliche Rechtsdenken höchst fragwürdige Unterscheidung einer öffentlichen und privaten Rechtssphäre vornehme. Von daher ergebe sich „eine die Rechtsentwicklung allzu stark vereinfachende zeitliche Zäsur“. Die von ihm formulierte Gegenposition weicht aber letztlich kaum von dieser Lehre ab. Er betont lediglich stärker – zutreffend –, dass der Teilungsgedanke auch schon vor dem 13. Jahrhundert gegenwärtig gewesen ist. Dafür genügt schon der Hinweis auf die Reichsteilungen Pippins d. J. und Karls d. G. (Sp. 1415). Allerdings steht dem die herkömmliche Lehre auch nicht unbedingt entgegen: Dass der Teilungsgedanke im 13. Jahrhundert nicht gleichsam aus dem Nichts aufgetaucht ist, sondern schon zuvor sich Teilung eines Nachlasses unter mehrere Erben wenigstens als Möglichkeit der Nachfolgeregelung angeboten hatte, schimmert auch in ihren Formulierungen durch (H. J. F. Schulze, ebd.; J. Weitzel, ebd.). Auch nach D. Willoweit wurden „Territorien“ bis ins Spätmittelalter nicht geteilt, weil sie „Pertinenz bestimmter, insbesondere gerichtsherrlicher Amtsfunktionen, die
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
Diese Beschreibung des Prozesses einer Wandlung des Amtes mit dazugehörigem Territorium zum „Patrimonium“, der Wandlung der lehnsweise übertragenen Herrschaft und ihrer territorialen Pertinentien in Eigenherrschaft des Belehnten, der regelmäßig markiert durch die Stationen Erblichkeit, dann Teilbarkeit der Amtslehen und überhaupt Verfügbarkeit über diese mit der Vorstellung des Verfalls oder gar der „Entartung“4 belegt wird,5 weckt aber in zweifacher Hinsicht Zweifel, ja Unbehagen. In einer eher allgemeinen Hinsicht: Hinter der Bewertung als Verfall und „Entartung“ schimmert allzu sehr das überkommene Modell des in der Karolingerzeit verwirklichten Staates, der durch fortschreitende Feudalisierung, entsprechender Erblichkeit, überhaupt Vereigenrechtlichungen zunehmend zerstört worden sei.6 Zudem reklamiert diese Vorstellung einer Verfallsklimax eine Kontinuität der Herrschaftsgebilde, der Grafschaften und Herzogtümer, über die Nomenklatur hinaus auch dem Inhalt und Wesen nach und lässt kaum den Blick darauf frei, dass etwa der Teilungsgegenstand einer Landesteilung des 13. oder 14. Jahrhunderts mit dem Komitat oder Dukat des 11. oder 12. Jahrhunderts strukturell nicht mehr viel gemein hat; jedenfalls nicht so viel Gemeinsamkeit, um Veränderungen in der Disponibilität sinnvoll als Verfall zu bewerten. Und in einer konkreten Hinsicht: Die Aufgabe dieses Grundmotivs älterer Verfassungsgeschichtsschreibung in den letzten Jahrzehnten erfasste selbstverständlich auch die Bausteine des vermeintlichen karolingischen Staatsgebäudes – ja gerade die Behandlung dieser Bausteine in vertiefender landesgeschichtlicher Forschung brachte das klassische Lehrgebäude zum Einsturz. Wesens- und Inhaltsbestimmung von Grafschaft und Herzogtum in sächsischer und salischer Königszeit gerieten – zurückhaltend formuliert – in Fluss;7 bisher konsentierte Kontinuitäten erscheinen nun gebrochen.8 Die jüngere Forschung zur Grafschaft hat sich von deren überkommener Deutung als „Amt“, das von einem neuzeitlichen Kompetenzbegriff ausgehend den „Amtsträgern“ mehr oder minder genau abgegrenzte Funktionen und bestimmte Rechte und selbst nicht teilbar sind“, waren. Im Spätmittelalter sei „die Landesherrschaft nun eher umgekehrt eine Folge des Territorialerwerbs“, der zuvor „Pertinenz der Amtsfunktionen“ war. 4 F. L. Ganshof, S. 44 f. 5 Eine negative, an dem Bild des Verfalls orientierte Bewertung dieses Prozesses findet sich besonders in der älteren Literatur; abgesehen von D. Willoweit, Art. „Landesteilung“, und ders., Rezeption, S. 41, beherrscht diese Bewertung aber auch durchweg die jüngeren Arbeiten. Deutlich wird dieses Vorstellungsbild des Verfalls etwa bei G. Landwehr, Mobilisierung, passim, und bei R. Härtel, S. 205. 6 Beispielhaft seien hier nur H. Mitteis, Lehnrecht, passim, bes. S. 1 ff., 11, und ders./ H. Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 252 („Ansätze zur Bildung von ,Staaten im Staate“), Th. Mayer, Ausbildung, S. 294, genannt; dagegen etwa K. S. Bader, S. 267 f.; D. Willoweit, Rezeption, S. 29 f. 7 Vgl. nur für die Grafschaften: H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 15 ff., bes. S. 18 ff.; für das Herzogtum: K. Jordan, Herzogtum, S. 1 ff.; H.-W. Goetz, „Dux“, passim, bes. S. 50 ff. Einen nicht auf Sachsen beschränkten Überblick über die Forschung zu Herzogtum und Grafschaft bietet A. Gerlich, S. 263 ff. 8 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 19.
I. „Landesteilungen“ als Erscheinung eines Verfallsprozesses?
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Pflichten zuweist, verabschiedet.9 Ebenso überholt ist die ältere Vorstellung von gräflichen Amtsbezirken, die „modernen Landkreisen ähnlich“ das Reich flächendeckend einteilten.10 Unbestritten bleibt aber, dass sich die gräfliche Gewalt wenigstens bis ins 11. Jahrhundert hinein „rechtlich“ vom König ableitete.11 Das „Grafenamt“ wird nun aber zumindest stärker als in der älteren Lehre – so es denn nicht gänzlich verworfen wird – eher als ein Programm des Königtums, das sich schon in karolingischer Zeit mit der adeligen Herrengewalt auseinander zu setzen hatte, verstanden.12 Es wird also weit deutlicher und vor allem als ein ursprünglicher, vom ersten Zusammentreffen an wirkender „hochadeliger Interessensog“13 herausgestrichen. Aber nicht nur von der Konsistenz des Komitats als zunächst noch „Unteilbares“ her erhält der von Willoweit geäußerte Zweifel Nahrung, die Zäsursetzung in der Phänomenologie der „Landesteilungen“ und seiner Hemmnisse im Früh- und Hochmittelalter sei zu stark vereinfachend.14 Eine weitere, vielleicht noch schwerer wiegende Problematik in der Beurteilung der „Landesteilungen“ liegt in der Überlieferung zur Behandlung der Sukzession in Grafschaften. Wir wissen nur sehr wenig über die Nachfolge in Grafschaftsrechte verstorbener – sächsischer – Grafen des 9. bis 12. Jahrhunderts; aufgrund der Quellenlage sind nur sehr bedingt einigermaßen fundierte Aussagen zu treffen. „Belehnungen seitens des deutschen Königs, sowie alle sonstigen Akte dieser Art vollzogen sich durch symbolische Handlungen, die noch im hohen Mittelalter nicht von einem urkundlichen Zeugnis über Vorgang und materiellen Gegenstand begleitet waren“.15 Ebenso wenig verfügen wir bis 1202 – sieht man einmal von dem so genannten Testament Heinrichs des Löwen ab – über Urkunden zu Nachlassregelungen sächsischer Adliger oder der Welfen, sei es in Form von Teilung, sei es in Form einer Übertragung einer Grafschaft von dem Vater auf einen oder mehrere seiner Söhne.16
9 O. Merker, S. 1 ff., 24 f.; H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 18 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 151 ff., 154. 10 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 25 m.w.N. 11 D. Willoweit u. E. Wadle, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1775 – 1795; E. Schubert, Niedersachsen, S. 153. 12 O. Merker, S. 16 ff., 18; W. Schlesinger, Bemerkungen, S. 227 ff. 13 E. Schubert, Niedersachsen, S. 154. 14 Oben Anm. 3. 15 J. Schultze, S. 53. 16 Auch die Erbregelungen Welfs VI. sind nicht unmittelbar, sondern nur in Berichten der Chronisten überliefert; zu diesen und dem Testament des Löwen unten unter A.II.2.c)bb)(2), Anm. 406. Diese Überlieferungsschwierigkeit zur Sukzession wird in der Literatur bei der Beschreibung des Phänomens „Landesteilung“ weitgehend unterschlagen; Hinweise darauf finden sich – soweit ersichtlich – allein bei D. Willoweit, Art. „Landesteilung“, HRG 2, Sp. 1415, und G. Pischke, Landesteilungen, S. 1. Insofern lassen sich auch Aussagen wie von J. Weitzel, Art. „Primogenitur“, HRG 3, Sp. 1951, bis etwa 1250 hätten die Lehnserben unter sich den vom Herren zu bestellenden Nachfolger ausgewählt, – wenigstens für die Nachfolge sächsischer Grafen – kaum belegen.
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
Hinsichtlich des Herzogtums – konkret das der Liudolfinger und vor allem das der Billunger – sieht und sah sich die Forschung seit jeher weniger vor der Aufgabe, ein Spannungsverhältnis von „Amt“ und adeligen Eigeninteressen im Sinne eines Patrimonialisierungs- oder Allodialisierungsprozesses herauszustreichen. Vielmehr bildet hier den Gegenbegriff zum „Amtsherzogtum“ das „Stammesherzogtum“.17 Die Schwierigkeiten der Erfassung des „Wesens und der Aufgabe der sächsischen Herzogsherrschaft“ besteht gerade darin, dass sie nicht wie die Grafschaft gleichsam in einem bipolaren Spannungsverhältnis zwischen König und adeligem Grafschaftsinhaber erfolgen kann, sondern als dritter „Spannungspol“ hier der Stamm hinzutritt.18 Insofern eröffnet sich für die Frage der Teilbarkeit des sächsischen Dukats im Hochmittelalter auch die Möglichkeit, in der Stammesbindung ein Teilungshemmnis zu erblicken. Im Verhältnis zum König darf die Auffassung vom hochmittelalterlichen Herzogtum als „Amt“ wohl als einhellige Meinung gelten, soweit man darauf abstellt, dass dieses von jenem verliehen wurde.19 Und: Ganz offensichtlich ist das Herzogtum der Billunger, Lothars von Süpplingenburg und Heinrichs des Löwen niemals geteilt, sondern jedes Mal auf nur einen Herzogsnachfolger übergegangen.20 Mögen auch die hier nur angedeuteten Erkenntnisse jüngerer Komitats- und Dukatsforschung zur Vorsicht bei der Verwendung des Begriffes „Amt“ und der Vorstellung eines „Amtsbezirks“ zur Beschreibung von Komitat und Dukat gemahnen,21 so wäre es völlig verfehlt, sie gänzlich zu verwerfen und so der herkömmlichen Auffassung zur Entwicklung des Phänomens „Landesteilung“ und seiner Determinanten 17 Siehe nur K. Jordan, Herzogtum, S. 4; G. Althoff, Billunger, S. 309 ff.; H.-W. Goetz, Herzogtum, S. 253 ff. 18 H.-W. Goetz, „Dux“; ders., Herzogtum; ders., Billunger, jeweils passim; G. Althoff, Billunger, S. 309 ff., bes. S. 310. 19 H.-W. Goetz, Billunger, S. 180. G. Althoff, Billunger, S. 309, meint, die Herzogswürde hätte „ihren Amtscharakter nicht zuletzt dadurch weitgehend eingebüßt, dass sie wie ein Erbe innerhalb des billungischen Geschlechts weitergegeben worden war“. Konsequenterweise könnte man, ließe man das Kriterium der Erblichkeit allein gelten, kaum einem Komitat seit der spätkarolingischen Zeit einen Amtscharakter zusprechen. Allerdings heben sich gerade die Billunger von anderen Herzögen im Reich ab; bei diesem Geschlecht erscheint die Tendenz zur Erblichkeit des Dukats weit deutlicher ausgeprägt (vgl. die Übersicht über die Herzogsfolge in den „Hauptherzogtümern“ des Reiches bei G. Tellenbach, S. 203 ff.). Kritisch zur Sonderstellung der Billunger in der Frage der Erblichkeit: H.-W. Goetz, ebd., S. 174 f. 20 Anders in Lothringen. Allerdings ist insoweit zu beachten, wer dort geteilt hat; es war der König selbst, H.-W. Goetz, Billunger, S. 175. 21 Zur mittelalterlichen Vorstellung vom „Amt“ siehe nur K. Kroeschell, Art. „Amt“, HRG 1, Sp. 151 ff.; stärker auf das Spätmittelalter bezogen: P. Moraw, Entfaltung, S. 82 f.; D. Willoweit, Verwaltung, S. 81 ff., der davor warnt, dem mittelalterlichen Amtsbegriff Elemente des Staatlichen und Hoheitlichen, ja nur des Herrschaftlichen beizumischen; unter „Amt“ wird demnach „eine durch überlieferte Tätigkeitsmerkmale fest umrissene Aufgabe verstanden, die Stellung, die ihre Autorität nicht eigenem Recht oder Anspruch verdankt, sondern einem Dauerauftrag, eine nach bestimmten Normen festgelegte Reihe von Pflichten und Privilegien in gewohnheitsmäßig fixierten und sanktionierten sozialen Zusammenhängen“.
I. „Landesteilungen“ als Erscheinung eines Verfallsprozesses?
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von vornherein jegliche Grundlage zu entziehen. Es kann im Folgenden auch nicht darum gehen, ein auch nur halbwegs abschließendes Urteil über die seit Jahrzehnten kontrovers diskutierten Kernfragen nach Wesen und Inhalt von Komitat und Dukat finden zu wollen – ein solches Ansinnen wäre vermessen. Vielmehr soll versucht werden, die Erkenntnisse dieser jüngeren, besonders landesgeschichtlichen Forschung zu Komitat, Dukat und „Adel“ auf die Frage nach ihrer Teilbarkeit, nach der Phänomenologie der „Landesteilungen“, nach dem Spannungsverhältnis von Teilung und Gemeinschaft bei Erbfolge in die genannten „Ämter“ und ihrer Parameter hin zu ordnen und so das recht holzschnittartige Modell einer scheinbar linear verlaufenden, vermeintlich nur in einer erkennbaren Zäsur – um 1250 – gebrochenen Entwicklung der Teilbarkeit und Teilung von Amtslehen einer differenzierenden Betrachtung zugänglich zu machen. Dabei ist es sinnvoll und hilfreich, den Blick nicht allein auf die „Landesteilungen“ zu richten, sondern diese in den weiteren Fragenzusammenhang nach der Verfügbarkeit über Rechtspositionen – auch unter Lebenden – zu stellen.22 Denn durch diese Erweiterung können auch die „adelsherrschaftliche Komponente“23 und – allgemeiner – die Bindungen der gleichermaßen in Erbteilungen wie Veräußerungen von Gerechtsamen sinnfälligen Verfügungsbefugnis im adeligen Familienverband erfasst werden.24 Von dem Versuch einer Zusammenschau amts- bzw. lehnrechtlicher einerseits und „familienrechtlicher“ Bindungsfaktoren andererseits aus ist nicht allein die Frage nach der Entwicklung des Phänomens der „Landesteilungen“ und überhaupt der „Mobilisierung von Herrschaft“ und nach möglichen Zäsursetzungen zu beantworten. Zugleich sollen damit die auf das Spätmittelalter überkommenen Vorstellungen von Bindung der „Herrschaftsrechten“, seien sie feudaler oder allodialer Natur, die trotz allen – möglichen – Wandels diesen zu überdauern vermochten, eruiert werden.
22 Auch dieser weitere Fragenkreis, der im Anschluss an W. Schlesinger, Landesherrschaft, S. 107, 111, 121, als „Mobilisierung und Kommerzialisierung“ (von Herrschaft) zu einem feststehenden Topos der Verfassungsgeschichtsschreibung geworden ist, wird nahezu ausschließlich für das Spätmittelalter erörtert; G. Landwehr, Mobilisierung, S. 484 ff., bes. S. 486 f.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 74 ff.; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 19 ff.; ders., Niedersachsen, S. 611 ff. 23 O. Merker, S. 24 f. 24 Dazu die in Anm. 22 genannten Arbeiten.
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter 1. Grafschaftsrechte in den Händen des sächsischen Adels a) Der comitatus – Versuch einer Beschreibung aa) Gestalt – Grundlagen Die Frage nach der Teilbarkeit des früh-, vor allem hochmittelalterlichen comitatus – in einem breiteren Ansatz: nach der Mobilisierung von Komitatsrechten –, die natürlich ebenso gut eine Frage nach deren Hemmnissen ist, kann der verfassungsgeschichtlichen Kontroverse um das Wesen des comitatus kaum ausweichen. Die Auffassung, dass eine karolingische Grafschaftsorganisation sich gleichmäßig über das Reich, also seit 782 auch Sachsen,25 erstreckte, die als praktiziertes königliches Verwaltungsnetz entfaltet dann dem Eigennutz des örtlichen Adels und damit dem Verfall ausgesetzt war, wird heute nicht mehr vertreten.26 Gleichwohl hält sich beharrlich die Vorstellung eines fortschreitenden Verfalls von der – überspitzt formuliert – fremdnützigen königlichen Grafschaftsverfassung hin zu eigennützig betrachteten Grafschaftsrechten in der Hand des Adels. Unbestritten ist nach wie vor, dass die Grafschaft einen „fränkischen Import“ in Sachsen darstellt.27 Nur ist die Beschreibung ihres Amtscharakters und ihrer räumlichen Struktur heute von der Vorstellung eines Durch- bzw. Umsetzungsprozesses dieses Importes gegenüber älteren Verfassungszuständen in Sachsen beherrscht.28 Diese Auffassung verlagert das Gegeneinander von fränkischem Grafschaftsamt und Eigeninteressen des örtlichen Adels gleichsam vor. Werden dementsprechend Letztgenannte sinnfällig, scheinen sie gar zu überwiegen, ist dies nicht mehr zwingend als Verfall des Reichsanspruchs zu begreifen, sondern können durchaus originärer Natur sein. Das Aufeinandertreffen fränkisch-karolingischer Grafschaft und altsächsischer Verfassungsvorgegebenheiten spiegelt sich – vereinfachend ausgedrückt – auch in der Quellenlage wider. Diese bildet ein Informationsgefälle ab: Über den fränkischen Import gibt – neben der annalistischen und chronikalischen Überlieferung, den Volksrechten, den Königs- und Privaturkunden und den Formularen – vor allem die „Kapitulariengesetzgebung“ Auskunft.29 Diese enthalten gewissermaßen das Graf25
Auf dem Reichstag von Lippspringe in diesem Jahr wurde die Einführung der Grafschaftsverfassung bei den Sachsen verkündet; H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 278 f.; M. Last, Niedersachsen, S. 591. 26 Vgl. nur H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 19 ff. 27 E. Schubert, Niedersachsen, S. 151. 28 Vgl. nur W. Schlesinger, Entstehung, S. 141; ders., Bemerkungen, S. 226 f.; O. Merker, S. 17; H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 15 ff., 289 ff.; M. Last, Niedersachsen, S. 599 ff. 29 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 29; vgl. auch die Quellenangaben bei D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1778 – 1781.
II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter
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schaftsprogramm; sie stecken den Anspruch des fränkisch-karolingischen Königtums – unter anderem – in Sachsen ab.30 Nach der wohl wichtigsten Quelle der fränkischen Expansion, der Capitulatio de partibus Saxoniae, erscheint der Graf als Beauftragter, als absetzbarer Amtsträger des Königs, dessen Rechte und Pflichten „ziemlich genau bestimmt“ waren und dessen Amtsausübung kontrolliert wurde.31 Sein Amtsbereich, der als comitatus oder ministerium bezeichnet wird, dürfte als mit festen Grenzen versehen „normale Gliederung des Landes gedacht“ gewesen sein.32 Zur altsächsischen Verfassung hingegen sind ebenso wie zum Aufeinandertreffen mit dem fränkischen Grafschaftsprogramm nur sehr wenige Quellen überliefert,33 so dass die Neigung besteht, fränkisches Programm und tatsächliches Produkt allzu schnell in eins zu setzen. Aus dem Dunkel des Aufeinandertreffens lassen sich nur wenige – weitgehend negative – Aussagen herausschälen: Der aus vielen Quellen der Karolingerzeit hervorscheinende Zusammenhang von Grafschaft und Königsgut,34 von dem aus formuliert worden ist, dass diese Güter vielfach Grundlage, Stütze oder Gerüst der Grafschaft seien – bis hin, dass eine Theorie der „Königsgutsgrafschaften“ entwickelt worden ist –,35 dürfte in Sachsen keine wesentliche Rolle gespielt haben. Jedenfalls ist allgemein anerkannt, dass in diesem an karolingischem Reichsgut vergleichsweise armen Raum36 – das liudolfingische Hausgut unterstand überdies keiner gräflichen Kompetenz – das Reichsgut nicht Grundlage der Grafschaft war, seine Verwaltung nicht als Kern der gräflichen Amtsgewalt anzusehen ist.37 Auch die „neuen Grafschaften“ der sächsischen, der Ottonenzeit,38 werden zwar in einem engen Zusammenhang mit der Neuordnung sächsisch-thüringischen Hausguts der Liudolfinger und – davon wenigstens heute kaum mehr abzuschichtenden – des Reichsguts gesehen, doch darf dieser Zusammenhang nicht überbetont werden – gar 30 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 29 f., mit Bewertung dieser Quellengruppe in der Literatur. 31 Ebd., S. 289 ff., 326 ff., mit einer Fülle an Einzelnachweisen; O. Merker, S. 17. 32 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 290. 33 Ebd., S. 274 ff., mit Einzelnachweisen. 34 Vgl. nur die Quellenangaben bei D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1778 – 1781. 35 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 23 f., 339. 36 Zum Reichsgut in Sachsen: W. Metz, Reichsgutsforschung; ders., Karolingisches Reichsgut; ders., Staufische Güterverzeichnisse; S. Wilke, Goslarer Reichsgebiet; E. Wadle, Reichsgut; W. Schlesinger, Entstehung, S. 142. 37 O. Merker, S. 16; D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1781, 1782; E. Schubert, Niedersachsen, S. 153. 38 Zu diesen allgemein: O. Merker, S. 20 ff.; D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1783.
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
dahingehend, sie als „Königsgutsgrafschaft“ anzusprechen.39 „Man sollte vor allem das einzig Sichere herausstellen, dass Grafen – in den Königsurkunden erkennbar – in neuer engerer Beziehung zum Reich erscheinen und eine Königsgutsrevindikation zu erkennen ist“.40 So stellen die Maßnahmen der sächsischen Könige einen Beleg für den fortlebenden Anspruch des Reichs auf die Verfügungsgewalt über die Grafschaften dar, nicht aber für eine Determination des gräflichen Gewaltbereichs durch die räumlichen Ausmessungen von Reichsgut, das diesen übertragen worden ist. Lange Zeit hindurch galt der Forschung der altsächsische Gau, die hinter der Sammelbezeichnung pagus stehenden verschiedenartigen Raumgebilde,41 als räumliche Grundlage des Komitats.42 Für die Karolingerzeit lässt sich der Zusammenhang von Gau und Grafschaft aufgrund des dürftigen Quellenmaterials nicht erschöpfend erhellen.43 Die in den Königsurkunden seit Mitte des 9. Jahrhunderts verwendete Formel in pago NN in comitatu NN comitis deutet zwar einen gewissen räumlichen und inhaltlichen Zusammenhang ebenso an,44 wie Hans K. Schulzes Beobachtung, dass die ding- und heerbannpflichtigen Bewohner einer Grafschaft in merowingischen und karolingischen Quellen als pagenses bezeichnet werden.45 Von daher ist es vertretbar, den Gau als Substrat der Grafschaft zu bezeichnen.46 Dass Grafschaft und Gau in Sachsen aber räumlich übereinstimmten, wird heute einhellig auch für die Karolingerzeit abgelehnt.47
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Wie voranstehende Anm. O. Merker, S. 21 Anm. 76. 41 Zu den sächsischen Gauen vgl. R. Werneburg, S. 12 ff.; J. Prinz, S. 66 ff.; W. Schlesinger, Entstehung, S. 150 ff.; S. Krüger, S. 16 ff., 24 ff.; P. v. Polenz, S. 2 ff. 42 Diese Auffassung ist seit K. F. Eichhorn, Bd. 2, § 222, 58, die klassische Lehre der Rechtsgeschichte, D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1779 f.; vgl. auch H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 71; weitere Nachweise der älteren Auffassung bei W. Metz, Karolingisches Reichsgut, S. 171 ff. 43 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 294, 317 f.; M. Last, Niedersachsen, S. 601. 44 Zu dieser Formel W. Metz, Karolingisches Reichsgut, S. 173 f.; O. Merker, S. 16 f. Der Schluss aus dem Auftreten dieser Formel in der Urkundenpraxis des 9. Jahrhunderts auf eine „Tendenz der räumlichen Fixierung der alten Comitate, einer zuweilen als ,Territorialisierung bezeichneten Verbindung der Grafschaft mit bestimmten geographischen Bereichen“ (D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1781), bedürfte einer Bestimmung der „alten Comitate“ als eben räumlich nicht fixiert. 45 Grafschaftsverfassung, S. 342. 46 H. K. Schulze, Art. „Gau“, HRG 1, Sp. 1398; vgl. auch ders., Grafschaftsverfassung, S. 343. Dagegen hatte W. Schlesinger, Entstehung, S. 159, 180, festgestellt, dass der „Gau nicht das Substrat, sondern das Korrelat der Grafschaft“ gewesen sei. 47 R. Werneburg, S. 22 ff.; S. Krüger, S. 33 ff.; O. Merker, S. 16; D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1780; H. K. Schulze, Art. „Gau“, HRG 1, Sp. 1398, 1399 ff.; ders., Grafschaftsverfassung, S. 294 f. („es führt offenbar kein direkter Weg von den altsächsischen Gauen zur fränkischen Grafschaft. Es ist denkbar, dass Karl der Große sogar bewusst darauf verzichtet hat, den altsächsischen Pagus zur räumlichen Grundlage der Komitate zu machen“, S. 295), S. 317 f. 40
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Aufbauend auf älteren Lehren in der Literatur zum Verhältnis des fränkischen Komitatsprogramms zu den überkommenen altsächsischen Verfassungsverhältnissen, die schon deren Fortbestand betonten,48 hat vor allem Krüger den Versuch eines – gegenüber den voranstehenden negativen Aussagen – positiven Modells unternommen.49 Karl der Große habe „die schon bestehenden Herrschaftsbezirke“ sächsischer Herren bei Einrichtung der Grafschaften in Sachsen als Grundlage benutzt.50 Diese Grundlage stellten aber keine geschlossenen Räume dar. Zusammenfassend definiert Krüger den comitatus „als ein Gebilde, das, sich an gräfliches Eigengut anlehnend, keinen geschlossenen Herrschaftsbezirk darstellte, sondern dessen einzelne Teile sich um im wesentlichen gräfliche Burganlagen kristallisierten“.51 Zumindest in karolingischer Zeit lägen dazwischen „die Gebiete geistlicher Immunität, zunächst auch Königsgutkomplexe, ungerodetes Land und zu anderen Grafschaften gehörige Gebiete“; erst in den folgenden Jahrhunderten seien diese „Streugrafschaften“ zu kompakteren Herrschaftsräumen verdichtet worden. Dieses Modell ist teils heftig abgelehnt worden,52 und tatsächlich steht es für das 9. Jahrhundert auf tönernen Füßen – zu dünn ist die Quellenüberlieferung zu Umfang und Verbreitung von adeligem Allodialbesitz und zur Lage adeliger Komitatsausübung bis weit ins 10. Jahrhundert hinein.53 Ganz überwiegend ist es aber gleichwohl auf Zustimmung gestoßen54 – ja, man kann sagen, dass es das Bild der Grafschaften im sächsischen Stammesgebiet seit der Karolingerzeit in der heutigen Vorstellung bestimmt.55 Ein wesentlicher Ausgangspunkt Krügers Lehre56 ist unbestreitbar: Annalistisch und chronikalisch ist überliefert, dass schon Karl der Große die Grafen aus den vornehmsten Geschlechtern des sächsischen Adels entnommen hat;57 und Krüger kann 48
Beispielsweise bei H. Dannenbauer, S. 49 f.; vgl. auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 29, 35. 49 S. Krüger, S. 30 ff. 50 Ebd., S. 36. 51 Ebd., S. 43. 52 Neben Albert K. Hömbergs Rezension der Arbeit von S. Krüger (RhVjbll. 15/16 (1950/ 51), S. 518 f.) vor allem durch H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 281 ff. Dessen Kritik zielt vornehmlich auf methodische Schwächen in der Begründung des Modells Krügers: quellenmäßige Unerweislichkeit von „Herrschaftsbereichen“ des altsächsischen Adels (Schulze, S. 287), keine Kristallisation um Burgen (S. 287 f.). Sein Gegenmodell (S. 289 ff.) kann aber nicht überzeugen: Die unternommene Beweisführung der Realisierung des fränkischkarolingischen Komitatsprogramms gelingt ihm nicht. 53 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 281 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 151 ff. Dies lässt auch die Verteidigung Krügers gegen Hömberg durch W. Schlesinger, Bemerkungen, S. 227, erkennen, wenn er zur Bestätigung Krügers Feststellungen Freytags Erkenntnisse zur Streuung billungischer Herrschaftsrechte, die vornehmlich auf Quellen des 11. Jahrhunderts basieren, heranzieht. 54 H.-J. Freytag, S. 24; O. Merker, S. 16 f.; K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 5 f. 55 Wie voranstehende Anm. und D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1781 f. 56 So schon bei H. Dannenbauer, S. 49 ff. 57 Nachweise bei H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 280 Anm. 44.
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ausgangs des 9. Jahrhunderts nur noch einen Grafen aufgrund seines Namens als Franken bestimmen.58 Damit trat – zurückhaltend formuliert – der Komitat von Anfang an in ein Verhältnis zum einheimischen Adel. Die auf Krüger zurückführbare, heute herrschende Lehre geht gewissermaßen noch einen Schritt weiter: das adlige Allod59 bildete „auch die eigentliche Grundlage der Grafschaft“ in Sachsen.60 Überspitzt lässt sich formulieren, die heutige Lehre zeichne das Bild einer nahezu originären Allodialisierung des fränkischen Komitatsimports – wenigstens in räumlicher Hinsicht: Die verstreut lagernden Allodialbesitzungen des sächsischen Adels bilden seit dem Beginn der Grafschaft in Sachsen den Raum der vom König übertragenen gräflichen Gewalt. Konsequenterweise wäre jegliche Vorstellung eines Verfalls nach anderen räumlichen Mustern durch die fränkischen Eroberer organisierter gräflicher Amtsbezirke zu verwerfen. Die Folgerung einer „Umformung der Comitate“ durch „hochadeligen Interessensog“ aus ihren „völlig unterschiedlichen Größen“61 ist im Grunde mit dem heute herrschenden, von Krüger begründeten Bild nicht mehr vereinbar. Nach diesem sind Raum und Größe der Grafschaften durch die Verbreitung des adeligen Allodialbesitzes vorgegebene Formen, also eben keine „Umformungen“. Es sei noch einmal betont: Für das 9. Jahrhundert liegen keine direkten Nachrichten über die Struktur sächsischer Grafschaften vor. Die hier so genannte originäre räumliche Allodialisierung des fränkischen Grafschaftsprogramms kann also nicht überprüft werden. Indes ist der Blick nunmehr gelenkt auf den für die Frage nach Teilbarkeit oder Unteilbarkeit des Komitats entscheidenden Aspekt seines Verhältnisses zum adeligen Inhaber, zu Familie und Allod oder – prozesshafter ausgedrückt – auf seine „Patrimonialisierung“ und „Allodialisierung“.
58 S. 60. Ob Karl der Große bei der Einsetzung der Grafen den sächsischen Adel deshalb berücksichtigte, weil er „wohl Widerstand gegen die Einführung der Grafschaftsverfassung erwartet“ hatte (H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 280), oder ihn „der relativ geringe Umfang der königlichen Besitzungen“ in Sachsen dazu zwang (D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1781), ist kaum zu erhellen; immerhin hat auch schon Karl der Große Grafen aus sächsischem Adel mit Königsgut ausgestattet (Nachweise bei H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 287 Anm. 98). 59 Nach S. Krüger, S. 43: an Allod angelehnte „Herrschaftsbezirke“; nach O. Merker, S. 17: „alte Herrschaftsrechte“; dabei bleibt unklar, ob nicht beide Allod und „Herrschaftsbezirk“ bzw. „Herrschaftsrechte“ letztlich in eins setzen. Eine solche weitgehende Identifikation von „Allod“ und „Herrschaft“ ist keinesfalls völlig zu verwerfen. Ohne auf den seit langem kontrovers diskutierten, mit dieser Frage aufs engste verknüpften Fragenkreis um die „Grundherrschaft“ (dazu u. a. O. Brunner, Land, S. 240 ff.; W. Schlesinger, Herrschaft, S. 9 ff., 40 ff.; K. Kroeschell, Haus, passim; K. Schreiner, passim; H. K. Schulze, Grundstrukturen, S. 95 ff., 152 ff.) näher einzugehen, lässt sich doch wenigstens festhalten, dass „Allod“ – zunehmend in „Grundherrschaften“ organisiert – sicher nicht mit der Vorstellung modernen Grundbesitzes zu erfassen ist, sondern auch herrschaftliche Elemente in sich trug, vgl. W. Schlesinger, ebd., S. 37 f. 60 D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1781 f.; O. Merker, S. 17. 61 So E. Schubert, Niedersachsen, S. 154.
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bb) Erblichkeit des Komitats Mit den in der Literatur weitgehend synonym verwendeten Ausdrücken „Patrimonialisierung“ bzw. „Allodialisierung“ wird ein teils mehrschichtig verstandener, teils auch weitgehend zusammengefasster Prozess beschrieben, der die Phänomene Erblichkeit bzw. Erblichwerdung und – zumeist zeitlich versetzt festgestellter – Teilbarkeit von Ämtern und Lehen umfasst. Grundlage dieses Vokabulars ist die herkömmliche Vorstellung, dass die dem Amts- und Lehnrecht fremde Erblichkeit nur aus dem allodialen Bereich stammen könne,62 sich die Behandlung von Amt und Lehen derjenigen von Allod und Patrimonium angepasst habe. Diese Anpassung habe sich durch Vermischung der verschiedenen Rechtspositionen, die sich in der Hand eines Grafen befanden: Komitatsrechte, Amtsgut, Lehen und eben Allod, im Erbgang vollzogen.63 Diese Auffassung ist aber nicht so ohne Weiteres mit der schon von Hermann J. F. Schulze64 erkannten und seither vornehmlich vertretenen Herleitung der Erblichkeit 62 W. Schlesinger, Entstehung, Vorbemerkung zum Neudruck, S. XIX; H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 333. 63 W. Schlesinger, Bemerkungen, S. 228. Einer Vermischung von Rechtspositionen wurde auch – gar im Sinne einer Gütervermischung – herkömmlich die „Verlehnrechtlichung des Ämterwesens” (H. Conrad, Bd. 1, 109) zugeschrieben; das Grafschaftsgut sei der Punkt gewesen, an dem die Vermischung von Amt und Lehen eingesetzt habe (H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 335). Dass für die Überführung des Amtes in die Vasallität in fränkischer Zeit das Amtsgut das Bindeglied gewesen sei, wird im Anschluss an H. Mitteis, Lehnrecht, S. 9 f., 198 ff., Erkenntnis, das Amt sei selbstständiger Lehnsgegenstand, nicht mehr vertreten (K. Kroeschell, Art. „Amt“, HRG 1, Sp. 151; W. Ebel, Leihegedanke, S. 12). Die Einkleidung des Amtes in lehnrechtliche (Übertragungs-)Formen kann also keinesfalls als Verdinglichung, gar als „Privatisierung“ desselben und mithin als erster Schritt eines Allodialisierungsprozesses angesprochen werden (so auch H. Mitteis, ebd., und W. Ebel, ebd., sowie schon G. Tellenbach, S. 224), wie es in der älteren Literatur sich teilweise andeutet (H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 79 f.). Amt und Lehen stehen sich nicht – wie es für den gleichsam umgekehrten Prozess der Entfeudalisierung des Ämterwesens im Spätmittelalter immer wieder betont wird (dagegen D. Willoweit, Verwaltung, S. 83) – als Gegensatz gegenüber, wobei Amt mit Absetzbarkeit und Lehen mit Erblichkeit etikettiert wird. Nach der Überführung der Ämter in die Vasallität werden diese Amtslehen weitgehend von den allgemeinen Entwicklungen des Lehnswesens ergriffen (vgl. K. Kroeschell, ebd.). Die Vermischung von Amtsgut und anderen Lehen in Grafenhand lässt sich ohnehin kaum nachzeichnen. So ist zwar den Quellen der fränkischen Zeit eine klare Scheidung von res comitatus und den übrigen beneficia des Grafen zu entnehmen (H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 334 f.; H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 60 ff.; weniger deutlich noch bei Thietmar VI 50: Rex comitatum super Merseburg et beneficium adhuc pertinens Burchardo concessit). Auch begegnen in den Urkunden des 11. Jahrhunderts zur Übertragung von Grafschaften an die Kirche vielfach Wendungen, die auf ein Grafschaftsgut abzielen dürften (vgl. u. a. MGH DH IV, 112; MGH DK II, 178). Doch lässt sich ein Grafschaftsgut bei den sächsischen Grafen nicht näher konkretisieren, gar lokalisieren (vgl. etwa H.–J. Freytag, S. 49 ff.). So stehen wir seit 11. Jahrhundert dann gleichsam unvermittelt vor dem Produkt des Verschmelzungsprozesses: Die Forschung zu den Herrschaftsbereichen der Billunger, Stader, Northeimer usw. kann keine Differenzierung von Grafschaftsgut und anderen Lehen mehr herausarbeiten. 64 Erstgeburt, S. 62 f., 82 f.
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von Amts- und anderen Lehen65 zu harmonisieren: ursprünglich fiel das Lehen beim Tod des Vasallen heim an den Lehnsherren. Doch bereits in der Karolingerzeit wurde es üblich, das Lehen an den – tüchtigen66 – Sohn des verstorbenen Vasallen wieder auszugeben.67 Entsprechend erschien es dann den Chronisten und Annalisten des 9. und 10. Jahrhunderts als etwas Außergewöhnliches und Unbilliges, wenn der Kaiser dem Sohn nicht das erledigte Amtslehen des Vaters verlieh.68 So ist es gerechtfertigt, von einem Anspruch der Söhne auf die Lehen der Väter zu sprechen.69 Goez spezifiziert diesen Anspruch und entsprechend den Prozess der Erblichwerdung: „Erblich wird der Anspruch auf Investitur, nicht das Lehnsobjekt selbst“; dies ist mit dem Bild eines „Leihezwangs“, der die Erblichkeit vermittelt, auszudrücken.70 Insofern besteht ein Unterschied zur Erblichkeit der Allodia; diese sind unmittelbar Nachlassgegenstand.71 Erkennbar wird dieser „Umweg des Erbganges“ des comitatus vom verstorbenen Inhaber über den königlichen Lehnsherrn auf den neuen Grafen noch Anfang des 11. Jahrhunderts – allerdings in einem Falle fehlender Deszendenz: 1017 wurden die Grafenrechte des 1016 verstorbenen Stader Grafen Heinrich II. auf seinen Bruder Siegfried von Kaiser Konrad II. übertragen.72 Die Annahme, die Erblichkeit der (Amts-)Lehen stamme aus dem Allodialrecht, ist also wenigstens unerweislich. Deshalb bleibt festzuhalten: Erblichkeit und Teil65
H. Conrad, Bd. 1, S. 255; W. Goez, Leihezwang, S. 20 ff.; auch H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 333, übernimmt weitgehend diese Herleitung. 66 Belege für die Voraussetzung der Tüchtigkeit des Sohnes bei H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 62 ff.; H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 333. 67 Ausgangspunkt und hauptsächliche Quellenstütze dieser Lehre bildet das berühmte Capitulare Carisiacense (MG Capit. II 281 cap. 9), W. Goez, Leihezwang, S. 20 ff.; wobei in der Literatur immer wieder die besondere Situation dieses für den westfränkischen Bereich erlassenen Kapitulars betont wird; F. L. Ganshof, S. 45; H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 333 Anm. 152. 68 Nachweise bei H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 63 ff. 69 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 333. 70 S. 21, im Anschluss H. Brunner, Leihezwang, in: Abh. zur RG 2, S. 416. Ob diese juristisch einleuchtende Distinktion tatsächlich die Anschauung bis zum Ende des Alten Reichs beherrschte, soll dahinstehen. Das Reich mag von ihr ausgegangen sein. Innerhalb einer fortlebenden Deszendenz findet aber nach dem Mannfall keineswegs regelmäßig eine formale, eine ausdrückliche, eine tatsächliche Investitur des Sohnes statt, so dass sich diese Anschauung einer die königlichen Rechte wahrenden mittelbaren – den Umweg über die Erblichkeit des Anspruchs wählende – Erblichkeit zumindest nicht in den Quellen niederschlägt. Bei einigen Annalisten und Chronisten schimmert sie durch (Widukind von Corvey, I. 21; Helmold von Bosau, I. cap. 22), bei anderen tritt diese distinktive Anschauung zurück (Lampert von Hersfeld ad 1073). F. L. Ganshof, S. 45 f., führt zwar die Erblichkeit des Lehen auch auf einen Anspruch auf Neubelehnung zurück, hält aber gleichwohl den entsprechenden Leihezwang für „eine andere (…) Entartung“. 71 W. Goez, Leihezwang, S. 21. 72 R. G. Hucke, S. 118. Thietmar VII, S. 54, spricht von „beauftragen“ (commendare); der kaiserliche Notar von regimen committere.
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barkeit von Ämtern und Lehen, die Schlesinger regelmäßig in einem Atemzug nennt, sie auf die gleiche Wurzel, das Vorbild des Allodialrechts zurückführt, und als Stationen eines gleichsam linearen Assimilierungsprozesses vorstellt,73 sind scheidbare Phänomene. Teilbarkeit setzt zwar Erblichkeit voraus; und Erblichkeit der Lehen mag auch durch deren Assimilierung mit dem Allod befördert werden.74 Ein solcher Allodialisierungsprozess kann aber nicht als Auslöser der Erblichkeit belegt werden. Eine reichsrechtliche Fixierung erfuhr die „faktische Erblichkeit“ des Lehens in dem Lehnsgesetz Konrads II. von 1037.75 Diesem Lehnsgesetz ist aber für die Frage nach dem Aufkommen der Erblichkeit der Lehen kaum Bedeutung beizumessen. Zum einen fixiert es lediglich eine Usance, die wenigstens einige Dekaden, wahrscheinlich aber schon Jahrhunderte lang gepflegt worden war76. Zum anderen zielte die rechtspolitische Intention dieses Gesetzes vor allem auf Stärkung – namentlich italienischer – Untervasallen zu Lasten der Kronvasallen ab, die meisten Bestimmungen berührten das Verhältnis zwischen König und Kronvasallen höchstens mittelbar.77 Ihre Bedeutung entfalteten die Erbregelungen dieses Gesetzes erst im Spätmittelalter; eingefügt in die Rechtssammlung der Libri Feudorum78 wurde es (mit-)bestimmend für die territoriale Lehnspraxis wie auch die Lehnfolgeordnung der größeren Reichslehen.79 Konkrete Aussagen zur Vererbungspraxis, zur „faktischen Erblichkeit“ von Grafschaften im sächsischen Raum sind bis weit ins 10. Jahrhundert hinein aufgrund erheblicher Überlieferungslücken und angesichts der damals noch genealogisch offenen Struktur hochadeliger Familienverbände, die Stammfolgen kaum erkennbar werden lässt, weitgehend unmöglich.80 Erst im 11. Jahrhundert ist dann die Erblichkeit der sächsischen Grafschaften eindeutig fassbar. Sie tritt uns etwa in einer Urkunde aus dem Jahre 1051 entgegen: Heinrich III. überträgt dem Bischof von Hildesheim den bisher vom Reich zu Lehen gehenden comitatum quem Brvn eiusque filius scilicet noster frater Livtolfvs necnon et eius filius Echbreht comites ex imperiali auctoritate in beneficium haberunt in pagis (…) situm.81 Danach ist die Grafschaft des Brun vor 1051 schon zweimal vom Vater auf den Sohn übergegangen.82 73
Bemerkungen, S. 228. W. Goez, Leihezwang, S. 21 Anm. 6, weist darauf hin, „dass die immer weiter fortschreitende faktische Allodifikation der Lehen endlich zu einem faktischen Erbrecht geführt hat“. 75 MGH Const. I 45 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 26). 76 So besonders auch für die Lombardei selbst: N. Iblher v. Greiffen, S. 136, 139ff, 143. 77 H. Mitteis, Lehnrecht, S. 399 ff.; W. Goez, Leihezwang, S. 21 f.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 487; H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 84 ff. 78 Vgl. I F 1 § 1; II F 34. 79 K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 487. 80 E. Schubert, Niedersachsen, S. 151. 81 MGH DH III, 279. 1057 bestätigt Heinrich IV. diese Übertragung: MGH DH IV, 22. 82 Die Brunonen, wohl ein Seitenzweig der Liudolfinger, treten mit Brun 1002 erstmals in Erscheinung, E. Schubert, Niedersachsen, S. 189. 74
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cc) Das Verhältnis von Grafschafts- zu Allodialrechten Das Verhältnis von Komitat bzw. Komitatsrechten zu Adel und Allod – nur in diesem kann sich ja der Allodialisierungs- oder Assimilierungsprozess des Grafenamtes vollzogen haben – lässt sich erst seit dem ausgehenden 10., vor allem 11. Jahrhundert einigermaßen konturiert nachzeichnen. Zum einen wird das Quellenfundament breiter. Hier sind vornehmlich die nun reichlicher überlieferten Belege von Allodtradierungen des Adels an kirchliche Institutionen83 und die Kaiser- und Königsurkunden, die mit ihrer Formel in pago NN in comitatu NN comitis eine Lokalisierung von Grafschaftsrechten ermöglichen, zu nennen. Weitgehend aus diesen Quellen schöpfen die landesgeschichtlichen Arbeiten zu den Herrschaftsbereichen der Billunger, der Northeimer und der sächsischen Udonen.84 Zum anderen: Gerade in der Fragestellung dieser Arbeiten spiegelt sich der gleichsam innere Grund wider, warum erst seit der Wende zum 11. Jahrhundert die Frage nach dem Wesen des comitatus – eingebunden in das Spannungsverhältnis zwischen Reich und Adel – auf besser belegte Antworten hoffen kann: erst im Verlauf des 10. Jahrhunderts wird ein Prozess erkennbar, den Althoff als „Formierung“ von Adelsgeschlechtern gekennzeichnet hat.85 Ausgangslage war die „offene Sippenstruktur der frühmittelalterlichen Verwandtengruppen“; gleichsam den Zielpunkt dieser Entwicklung bildete das „geschlossene, agnatisch orientierte Adelsgeschlecht des Hochmittelalters“.86 Von den großen sächsischen Grafengeschlechtern begegnen „die Billunger“ und „die Udonen“ schon im 9. bzw. 10. Jahrhundert. Doch sind – mit Althoff – für diese Zeit damit andere Verwandtschaftsstrukturen angesprochen als späterhin.87 Um 1000 treten die „neuen“ Grafengeschlechter der Brunonen, der Northeimer und Katlenburger auf. Sie stammen alle von älteren Geschlechterverbänden ab.88 „Neu“ sind sie aber eben deshalb, weil sie „eigene Traditionen und das heißt: eigene familiäre Orientierungen sowohl genealogischer als auch besitzrechtlicher Art“ entwickelten;89 sie können nun genauer in dieser Hinsicht beschrieben werden. Die urkundlichen Nachweise von Allodialbesitz und Komitatsausübungen, die naturgemäß immer nur punktuelle Zeugnisse darstellen,90 treffen nun auf besser bestimmbare genealogische Zusammenhänge. Kontinuitäten, Nachfolge in Allod und 83
R. G. Hucke, S. 6 f.: Tradierungsurkunden an und von weltliche Herren sind – wenigstens für die Udonen – nicht überliefert. 84 H.-J. Freytag zu den Billungern; R. G. Hucke zu den Stadern (Udonen); K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, und ders., Stellung, zu den Northeimern; Quellenverzeichnis zu diesen Grafen und auch den bei Lothar von Süpplingenburg nachweisbaren Herrschaftsrechten und Besitzungen dessen Rechtsvorgängern (Haldenslebener, Brunonen und Katlenburger) bei G. Pischke, Herrschaftsbereiche. 85 Adels- und Königsfamilien, S. 77. 86 G. Althoff, Verwandte, S. 53. 87 Adels- und Königsfamilien, S. 77, vgl. auch S. 14 f. 88 O. Merker, S. 20 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 188. 89 E. Schubert, Niedersachsen, S. 188. 90 H.-J. Freytag, S. 57; E. Schubert, Niedersachsen, S. 184.
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Komitat innerhalb sich „formierender“ Adelsgeschlechter können sinnfälliger gemacht werden, überhaupt erst erfasst werden.91 Die Kartierung adeliger Herrschaftsbereiche zeigt eine weite Streuung von Allodialbesitz und Komitatsorten in bestimmten Räumen, aber auch Konzentrationen.92 Dieses rasterförmige Streubild ist nicht allein auf die punktuelle Überlieferung, aufgrund derer es gezeichnet ist, zurückzuführen. Auch der Chronist Adam von Bremen etwa berichtet schon von Streuung und Massierung des udonischen Komitats in der Bremer Diözese: Alter comitatus erat Udonis, qui per omnem parrochiam Bremensem sparsim diffunditur, maxime circa Albiam.93 Das Nebeneinander von Allodien verschiedener Geschlechter in einem Raum ist möglicherweise auf Erbteilungen zurückzuführen. Im Gebiet des Gaus Wigmodien beispielsweise, zwischen Unterweser und Unterelbe gelegen, zeigt sich zu Beginn des 11. Jahrhunderts zwar eine deutliche Konzentration udonischer Allodialbesitzungen, aber auch Billunger, Northeimer und Katlenburger verfügen hier über bedeutende Güter. Und: alle vier genannten Geschlechter lassen sich verwandtschaftlich auf die Liudolfinger zurückführen.94 In Betracht kommt freilich auch, ein solches Nebeneinander auf Erheiratung einer Mitgift zu begründen. Otto von Northeim etwa erhielt – so hält es Lange für wahrscheinlich –95 ausgedehnte Liegenschaften in Westfalen und Nordsachsen bei seiner Heirat mit Richenza als Mitgift aus dem ezzonisch-liudolfingischen Güterkomplex. Mag gestreute Lage von Grundbesitz zwar als Produkt eines – destruktiven – Zersplitterungsprozesses zu bewerten sein, mag sie überdies organisatorische Probleme mit sich gebracht haben, so ist doch nicht zu übersehen, dass die Streuung auch – gar die Nachteile überwiegende –96 wirtschaftliche Vorteile mit sich brachte. In einer Zeit vorherrschender Naturalwirtschaft war man so gegen Missernten und Fehden besser gefeit; zudem konnte man sich mit nur regional zu erzeugenden Produkten selbst versorgen. Es verwundert daher nicht, dass Güterarrondierung als Ziel einer – allerdings nicht
91 Genealogische und „besitzgeschichtliche” Forschung stehen allerdings nicht unverbunden nebeneinander – Erstere der Letzteren vorangehend; dazu besonders: K. Schmid, Problematik, S. 29 f. 92 Siehe nur die Karte im Anhang an G. Pischke, Herrschaftsbereiche. 93 III. 46. Nach R. G. Hucke, S. 120, ist aus dieser viel zitierten Stelle allerdings nicht ohne Weiteres auf das Nebeneinander mit Rechten anderer Grafen zu schließen; es müsse berücksichtigt werden, dass die Besiedlung dieses Raumes zu Adams Zeiten äußerst ungleichmäßig gewesen sei; überdies, dass die Stader Grafen in den Hauptorten ihre Gewalt mit den erzbischöflichen Vögten teilen mussten. Ein Beispiel für Besitzstreuung teilt E. Schubert, Niedersachsen, S. 184 Anm. 104, nach Lampert mit: praedia (…) quae ille (Otto von Haldensleben) a diversis dominis beneficii loco habuerat. 94 R. G. Hucke, S. 128. 95 Herrschaftsbereich, S. 103. 96 So E. Schubert, Niedersachsen, S. 184.
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überzubewertenden – Güterpolitik erst im 13. Jahrhundert deutlicher wird, in einer Zeit sich durchsetzender Geldwirtschaft.97 Zum Verhältnis von Komitat zu Allod vermag die Lokalisierung solcher Rechte in den Händen eines Adelsgeschlechtes erste Aufschlüsse zu geben. Komitatsorte und Allodialbesitz eines Geschlechtes sind zwar örtlich vielfach verzahnt, jedoch nicht durchweg. Eine örtliche Kongruenz von Allodial- und Komitatsrechten lässt sich für das Beispiel der Northeimer nur bei fünf Orten belegen.98 Für vier Räume dichteren northeimischen Allodialbesitzes lassen sich auch Komitatsrechte dieses Geschlechtes nachweisen: an der Diemel, rechts der mittleren Weser, um Northeim und links der Werra; wobei nur im Raum Northeim die Komitatsorte dichter gelagert waren. Im Werraraum haben die Northeimer den in Eschwege nachzuweisenden Komitat erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts erworben.99 Diese Beobachtungen lassen auf einen engen Zusammenhang zwischen Allod und Komitat schließen – etwa derart, dass die Grafen Komitatsrechte vor allem dort übertragen bekamen oder erwarben, wo sie selbst begütert waren. Es gibt aber auch Gegenbeispiele: In dem um Korbach gelegenen Gebiet des Ittergaus lassen sich nur Komitatsorte, jedoch keine Allodialbesitzungen der Northeimer ausmachen. Eine Reihe von Alloden, aber keine Komitatsgewalt hatten die Northeimer in dem Raum zwischen Niederweser und Niederelbe – westlich der „Seevelinie“.100 Überhaupt lässt sich in Räumen, die dichtere Konzentrationen allodialen Besitzes eines Geschlechtes neben Streubesitz anderer dort begüterter Familien aufweisen, ein – um es vorsichtig zu formulieren – Übergewicht an Komitatsrechten an jenem ausmachen. Aber auch dies lässt sich keineswegs als ausnahmslose Regel aufstellen – ein Hinweis auf den katlenburgischen Komitat über den nahe Northeim gelegenen Hof Hammenstedt mag dies beispielhaft verdeutlichen.101 Gleichzeitig darf dieses Beispiel wiederum nicht überbewertet werden, denn solche vereinzelten Streukomitatsnachweise in Allodialkonzentrationen anderer Geschlechter finden sich sehr selten.102 97 M. Last, Villikationen, S. 406 ff.; die dort für die Villikationen geistlicher Grundherren gefundenen Erkenntnisse darf man wohl mit der gebotenen Vorsicht auf diejenigen weltlicher Herren übertragen. 98 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 104 Anm. 548: Northeim (?), Medenheim, Moringen, Würgassen und Sielen. 99 Ebd., S. 22 f.; MGH DH IV 277 (1075). 100 Ebd., Karte 2; R. G. Hucke, S. 128. Ebenso hatten die Northeimer an Lippe und Ruhr sowie um die Oker herum lediglich Allode und keine Komitate. Die im Raum zwischen Niederweser und Niederelbe ebenfalls begüterten Billunger hatten dort im 10. Jahrhundert noch – in der wichmannschen Linie – Komitatsrechte ausgeübt: pago Unimoti in comitatu Wigmanni (MGH DO I, 16 (937); dann aber an die Stader verloren; R. G. Hucke, S. 113 ff., 118. 101 MGH DH II 422 (1020). 102 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Kartierung der adeligen Rechte hinsichtlich der Allode um ein Vielfaches detaillierter ausfällt als hinsichtlich der Komitate.
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Insoweit sind Schwerpunkte der einzelnen großen Adelsgeschlechter zu erkennen; lassen sich ihre Einflussbereiche einigermaßen klar abgrenzen. Man mag auch von „Amtskomplexen“, auch von einer „merklichen Übereinstimmung“ der Besitzlagerungen mit diesen sprechen103 – insofern, als Allodialkonzentrationen und Komitatsrechte weitgehend räumlich zusammenfielen; andersherum muss aber berücksichtigt werden, dass – wie es Lange für die Northeimer resümiert –104 auch „ein großer Teil ihrer Eigenbesitzungen“ außerhalb dieser „Amtskomplexe“, außerhalb des Einflussbereiches lag. Wenn Goetz aber aus der Kartierung der „Herrschafts- und Machtgrundlagen“ vornehmlich, indes nicht ausschließlich der Billunger eine „Territorialisierung der Herrschaft“ schon für das 11. Jahrhundert folgert, überspannt er die Beobachtung räumlicher Konzentration – er spricht gar von einem „geschlossenen Komplex“ der Northeimer.105 Sicherlich haben die Adelsgeschlechter der Northeimer, der Billunger und andere ihre Besitzungen und Komitatsrechte mit Erfolg auszuweiten getrachtet, wenn auch eine gezielte auf Güterarrondierung gerichtete Politik noch nicht fassbar wird. Sicherlich dürfte auch bei kaiserlichen Übertragungen von Grafschaften die räumliche Nähe des Einflussbereichs des Grafschaftsempfängers – im Sinne von Allodialund wohl auch einhergehend Komitatskonzentrationen – eine Rolle gespielt haben. So wurden die Stader 1057 mit der Markgrafschaft in der Nordmark betraut (zwischen Elbe und Ohre),106 und es ist zumindest wahrscheinlich, dass Otto von Northeim um 1075 den bis dahin Bilsteiner Komitat in der Germarmark, also in der Nähe einer nahe der oberen Werra lagernden northeimischen Besitzkonzentration, erhielt.107 Der verfassungsgeschichtliche Begriff der Territorialisierung büßt aber seine Schärfe und damit seinen Sinn weitgehend ein, wenn jeglicher Zugewinn von Allodial- und Komitatsrechten eines Adelsgeschlechtes hierunter subsumiert wird. Goetz selbst nimmt dem Begriff die Fähigkeit zur Beschreibung eines Prozesses, da er die Territorialisierung als „in den fürstlichen Machtkomplexen prinzipiell (…) von Anfang an angelegt“ sieht.108 Bei aller Diskussion um den Begriff – und Gegenstand – der Ter-
103 So H.-W. Goetz, Herzogtum, S. 177, 179; ganz ähnlich bewertet W. Schlesinger, Bemerkungen, S. 227, die Zusammenstellung billungischer Rechte durch H.-J. Freytag: „Der weit verstreute Besitz der großen sächsischen Adelsgeschlechter (…) entspricht den weit verstreuten Grafenrechten.“ 104 Herrschaftsbereich, S. 105 f. 105 Herzogtum, S. 179. Streng logisch müsste er sogar statt von „Territorialisierung“ von „Territorialität“ sprechen. Denn er macht nicht einen Konzentrationsprozess zur Grundlage seiner Behauptung – die zunehmende Arrondierung und Verdichtung von Allodial- und Komitatsrechten bei einem Grafengeschlecht, ausgehend von einer weitgehenden Streulage. Vielmehr folgert er den Prozess (!) der Territorialisierung aus dem Zustand (!) räumlicher Konzentration. 106 E. Schubert, Niedersachsen, S. 166. 107 K.-H. Lange, Stellung, S. 59 f. 108 Herzogtum, S. 179. Von einem „fürstlichen Machtkomplex“ mag Goetz deshalb sprechen können, weil sein vornehmlicher Untersuchungsgegenstand der ducatus der Billunger ist.
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ritorialisierung, bei allem berechtigtem Vorbehalt diesem gegenüber,109 beschreibt dieser doch im vorliegenden Zusammenhang einen Wandlungsprozess, der – sehr verkürzt – die Einschmelzung von ursprünglich amts- und lehnsweise erworbenen Gerechtsamen unter Aufgabe oder Verfall der „ideellen Einheit“ comitatus in das Allod im Sinne einer Einbindung in den „Institutionalisierungsprozess des adeligen Machtbereichs“; d. h. eine zunehmende Präponderanz der eigenherrschaftlichen Organisation, nicht zuletzt in räumlicher Hinsicht.110 Gleichzeitige Innehabung von Allod und Komitat in einem mehr oder minder gleichen Raum und Ausweitung dieser beiden Rechtspositionen allein schon als „Territorialisierung“ zu bezeichnen, muss zur Aufgabe dieses Begriffes führen. Die Beschreibung eines im Wesentlichen anderen Prozesses kann nicht mit demselben Begriff erfolgen – wenigstens nicht in Auseinandersetzung mit der diesen Begriff besetzenden Forschung. Einen Ansatz, über die bloße Lokalisierung von Komitatsausübungsorten und Allodialbesitz hinaus einen gleichsam inneren Zusammenhang von „eigenständiger Herren- und gräflicher Amtsgewalt“ herstellen zu können, bietet der seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts kontrovers diskutierte Fragenkreis um die „autogene hochadelige Immunität“ und die „Allodialgrafschaften“.111 Im Wesentlichen bildet diese Frage den Kern der Diskussion, ob die karolingische Grafschaftsorganisation das ganze Reich ergriffen, überall die Grundlage späterer Landesorganisation geworden war oder nicht ältere Verfassungszustände fortwirkten.112 Insofern bezeichnen diese „Allodialgrafschaften“ nicht etwa allodialisierte Amtsgrafschaften – deren Aufkommen ist ja weitgehend unumstritten (Mayer, Tellenbach) –, sondern „autogene adelige Herrschaften, die zwar Grafschaften genannt werden, in denen der Graf aber Herrschaft kraft eigenen angestammten Rechts übte“.113 Kern und Grundlage dieser Ansicht ist die Annahme, dass hochadelige – edelfreie oder gräfliche – Geschlechter über ihre Eigengüter grundsätzlich gräfliche oder grafengleiche Gewalt ausübten, unabhängig davon, ob diese ihnen vom König übertragen worden ist oder nicht.114 Welcher Art die Adelsherrschaft in altsächsischer Zeit war und inwieweit diese nach der karolingischen Eroberung Sachsens fortwirkte, die Grafschaftsübertragungen an den Adel also letzthin als deklaratorischer Akt, ja als Titulatur er-
Eine gleiche Konzentration stellt er aber ebenso für die – nichtherzöglichen – Grafen von Northeim fest. 109 Vgl. nur den Überblick bei E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 52 ff., gewissermaßen zum Produkt dieses Prozesses, dem territorium oder „Territorialstaat“. 110 Vgl. nur E. Wadle, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1787. 111 Zusammenstellung der Literatur zu diesem Fragenkreis – hervorzuheben sind hier die Arbeiten H. Aubins und O. v. Dungerns (Adelsherrschaft) – bei Th. Mayer, Fürsten, S. 278; K.–H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 7; H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 24 f. 112 Vgl. W. Schlesinger, Bemerkungen, S. 227. 113 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 25. 114 Vgl. O. v. Dungern, Adelsherrschaft, S. 12 ff, 17 ff.
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scheinen müssen,115 wird sich aus den spärlichen Quellenzeugnissen dieser Zeit heraus kaum erweisen lassen. Lässt sich aus den Kapitularien der Karolingerzeit erkennen, dass immunitates im allgemeinen nur die kirchlichen Immunitäten bezeichnen, und zeigt die einzige erhaltene Immunitätsurkunde für einen weltlichen Empfänger, „dass selbst Angehörige der adeligen Führungsschicht des Reiches für ihren Grundbesitz keine autogene Immunität besaßen“,116 insofern eine Prämisse der genannten Ansicht fragwürdig erscheinen könnte, so ist dabei doch zu berücksichtigen, dass kaum zu erwarten ist, dass in Reichszeugnissen autogene adelige Immunitäten oder Allodialgrafschaften herausgestrichen werden. Bei Annahme der Fortwirkung altsächsisch-vorkarolingischer Verfassungszustände können die nunmehr „anerkannten“ hochadeligen Herrschaftsbereiche nicht als Immunitäten innerhalb einer Grafschaft, von dieser eximiert, erscheinen; sie werden selbst zur Grafschaft – sei es auch nur in der Nomenklatur. Über diese – zugegebenermaßen hypothetische – Erwägung hinaus kann aus der Nichterweislichkeit adeliger Immunität in Karolingerzeit sicherlich nicht zwingend gefolgert werden, dass Allodkonzentrationen nicht für die Lage und auch räumliche Struktur der Komitatsbereiche in Sachsen wenigstens neben anderen – unbekannten – Faktoren eine Wirkung hatten, haben sich doch Gau und Krongut als räumliche Determinanten als unerweislich herausgestellt. Für das ausgehende 10. und vor allem das 11. Jahrhundert lässt sich feststellen, dass die Komitatsorte eines Geschlechtes gleichsam in deren Allodialkonzentrationen eingebettet erscheinen – wenn auch keinesfalls ausnahmslos. Mag auch der ursprüngliche Erwerb von Grafschaftsrechten durch den Adel kaum mehr erhellbar sein; und selbst für Fälle, in denen ein Geschlecht im 11. Jahrhundert erstmals in einem bestimmten Raum gräfliche Rechte ausübte, lassen sich nur sehr vorsichtige Schlüsse auf die Umstände des Erwerbs ziehen.117 Die Neuordnungen der Grafschaften in Sachsen zu Zeiten Kaiser Ottos I.118 und vor allem die weit besser erkennbaren vielfachen Übertragungen bis dahin unmittelbar adeliger Grafschaften an die Bischöfe seit Kaiser Otto II.119 verdeutlichen, dass die Vorstellung vorherrschte, „es handele sich bei der Grafschaft um einen Rechtsbereich des Königtums“.120 Otto I. schuf damit möglicherweise neue Grafschaften, sicher zogen er und seine Nachfolger damit aber bestehende Komitate wieder unter die Botmäßigkeit des Königtums. Welche Bedeutung kam in dieser Zeit nun aber dem Allod für den Komitat zu? Vermochte Allodialbesitz – wenigstens in dichterer Lagerung – gräfliche oder grafengleiche Befugnisse zu erzeugen, oder waren die Allode zumindest gegenüber der Komitatsgewalt anderer gräflicher Herren immun? In eine prozesshaftere Betrachtung 115 O. v. Dungern, ebd., reklamiert für die Adelsgeschlechter nur die gräfliche Gewalt, nicht den Titel. 116 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 338 f. 117 Beispiele bei K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 19, 22 f.; ders., Stellung, S. 59 f. 118 Dazu u. a. O. Merker, S. 20 ff. 119 Dazu u. a. E. Schubert, Niedersachsen, S. 242 ff. 120 D. Willoweit, Art. „Graf, Grafschaft“, HRG 1, Sp. 1783.
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eingestellt bedeutet dies zu fragen, ob aus älteren Verfassungszuständen überkommene Vorstellungen autogener Herrengewalt fortwirkten, oder ob sich erste Symptome einer sich vom Reich emanzipierenden gräflicher Eigenherrschaftsbildung des Adels abzeichneten, die – um den oben erörterten Begriff aufzugreifen – letzthin als „Territorialisierung“ anzusprechen wären. Der weitergehende, eher positive Nachweis allodialer Komitatsbildung ist weitaus schwieriger als der eher negative der hochadeligen Immunität. Zum einen verbleiben die Ursprungsmodalitäten der Komitatsausübung eines Grafen oder Geschlechtes in einem bestimmten Raum weitgehend im Dunkeln. Zum anderen dürfte eine solche autogene Komitatsbildung, soweit sie nicht Neusiedelland betraf, zumeist eine Eximierung und Verdrängung fremder, in diesem Raum geübter Komitatsgewalt vorausgesetzt haben. Von daher dürfte auch die – positive – autogene Grafschaftsbildung am ehesten an der Exemtion von fremder Komitatsgewalt erkennbar werden. Anhand der northeimischen und katlenburgischen Verhältnisse gelang Lange der Nachweis, dass auch Allode anderer, fremder gräflicher oder dynastischer Geschlechter der Grafengewalt dieser beiden Familien unterstanden.121 Güter der Immedinger unterlagen der Grafengewalt der Northeimer;122 für andere Fälle belegbar in der Komitatsgewalt Udos von Katlenburg.123 Eberschütz, der Stammsitz des nach diesem benannten edelfreien Geschlechtes, unterlag ebenfalls der Komitatsgewalt Ottos von Northeim.124 Ebenso lagen northeimische Allode im Komitat nichtnortheimischer Grafen.125 Dass Allode in gräflicher oder dynastischer Hand grundsätzlich von fremder Komitatsgewalt eximiert gewesen wären, dass es – weitergehend – zu autogener Komitatsbildung gekommen sei, lässt sich also wenigstens für die Northeimer und Katlenburger im ausgehenden 10. und 11. Jahrhundert nicht aussagen.126 So muss es für die Frage nach dem Verhältnis von Allod und Komitat in dieser Zeit mit folgenden Feststellungen sein Bewenden haben: Allod und Komitat waren aufeinander bezogen; Allod aber zeitigte noch keine Komitatsbefugnisse. Der Komitat war eine von allodialer Herrschaftsgewalt abschichtbare Befugnis – wenigstens noch im 11. Jahrhundert. Als etwa zwischen 1024 und 1033 Graf Benno von Northeim die Grafschaft des Grafen Dodico zunächst als Mainzer, dann als Paderborner Lehen er-
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Herrschaftsbereich, S. 104 f. MGH DH II, 264 (1013), DH II, 328 (1015). 123 MGH DH II, 265 (1013); dieser Beleg darf aber insofern nicht überbewertet werden, als eine cognatische Zugehörigkeit Udos von Katlenburg zum immedingischen Verwandtschaftskreis wahrscheinlich ist (E. Schubert, Niedersachsen, S. 191). 1020 überträgt ein Graf Godiza einen bei Northeim gelegenen Hof dem König, dieser Hof wird als im Komitat Graf Udos von Katlenburg gelegen bezeichnet (DH II, 422). 124 MGH DH III, 206; ein weiteres Beispiel, die Edlen von Itter betreffend, aus dem frühen 12. Jahrhundert bei K.-H. Lange, Herrschaftsbereiche, S. 105. 125 K.-H. Lange, ebd., S. 105. 126 Eine Erörterung dieser Frage für andere Adelsgeschlechter des 11. Jahrhunderts liegt – soweit ersichtlich – nicht vor. 122
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hielt, dürfte er kaum Allode aus Dodicos Besitz erworben haben.127 Ebenso wenig dürften Allode mit dem um 1075 durch Otto von Northeim erworbenem bilsteinischen Komitat verbunden gewesen sein.128 Eigengüter – so Langes Fazit zu dieser Frage – waren eine wichtige Grundlage, aber keine notwendige Voraussetzung der Grafengewalt.129 dd) Verfugung der Komitatsrechte – Kumulationen Wie waren die vom Allod abschichtbaren Komitatsrechte miteinander verfugt? Was war die Grafschaft der großen sächsischen Adelsgeschlechter, die sich als Summe von Grafschaftsrechten in der Hand dieser Grafen darstellen lässt? Bildete sie eine Einheit, und zwar – genauer – über das fassbare Moment ihrer personalen Zuordnung hinaus? Geht man von den mehr oder minder klar abgrenzbaren Kerngebieten der Einflussbereiche etwa der Billunger im Bardengau, der Udonen zwischen Niederweser und Niederelbe und der Northeimer von der oberen Leine nach Westen über das Gebiet um die Oberweser bis hin zur Ruhr aus, so könnte man formulieren: Wenn auch nur in Punkten nachweisbar, von kirchlichen Immunitäten130 und einigen Komitatsorten anderer Geschlechter durchlöchert, erscheinen diese Amtskomplexe im Großen und Ganzen als in Flächen denkbare Grafschaftsbezirke. Aber schon das Krtenbild deutet auf eine Mehrheit von Komitatskomplexen eines Geschlechts hin, räumlich – zuweilen durch die Gebiete anderer Grafenfamilien – getrennt. Die Billunger beispielsweise verfügten neben dem genannten Komplex im Bardengau über eine weit dichtere Masse von Komitatsrechten im Raum um die mittlere Weser, und für den Billunger Ekbert lässt sich ein „kleiner Grafschaftskomplex“ um die Oker herum nachweisen. Geschöpft wird dieses Kartenbild nicht zuletzt aus den Grafschaftsangaben in den königlichen Urkunden zur Stiftung und Ausstattung von Klöstern in Sachsen,131 die vielfach Grafenrechte eines Grafen in einer Vielzahl von Gauen, über einen weiten Raum sich erstreckend erkennen lassen. Mögen auch gerade die beiden für die Lokalisierung von Komitaten in Sachsen so überaus ergiebigen Urkunden über die Ausstattung des Klosters Kemnade von 1004132 und des Klosters St. Michael zu Hildesheim von 1013133 in ihren Grafschafts127
K.-H. Lange, ebd., S. 15 f., 19 f.; ders., Stellung, S. 7 ff. K.-H. Lange, Stellung, S. 59 f. 129 Herrschaftsbereich, S. 105, 116. 130 Vgl. E. Schubert, Niedersachsen, S. 246, Hinweis auf eine Urkunde von 1051 (MGH DH III, 269), nach der westfälische Herren sich beim Kaiser – erfolglos – darüber beklagten, dass kirchliche Immunitäten ihre Komitatsbereiche durchlöcherten. 131 Vgl. Urkundsangaben in der Übersicht über die Komitate sächsischer Grafschaftsfamilien bei G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 91 ff. 132 MGH DH II, 87. 133 MGH DH II, 260. 128
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angaben zweifelhaft – so 1004 – oder in ihrer Überlieferung unecht – so 1013 – sein,134 so ist doch das Bild räumlich getrennt lagernder Komitatskonzentrationen nicht grundsätzlich zu korrigieren. Dafür mag schon ein Hinweis auf die bipolare Struktur des billungischen Komitatskomplexes, die sich keineswegs nur aus den zweifelhaften Grafschaftsangaben der Urkunden von 1004 und 1013 ermitteln lässt, genügen. Überdies vermitteln die Urkundszeugnisse über die Übertragungen adeliger Komitate an die Bischöfe zu Paderborn, Hildesheim und Halberstadt ein ähnliches Bild mehrpoliger Komitatskomplexe135 – wenngleich auch nicht in so weiter Streuung wie die Klosterstiftungsurkunden. Dieser Befund wird zumeist als Kumulation mehrerer Grafschaften in der Hand eines Grafen beziehungsweise eines Grafengeschlechts interpretiert.136 Freytag erklärt seine weitergehende Beobachtung, dass in den Urkunden der comitatus eines Adeligen stets nur im Singular benannt wird, auch wenn es sich um die Vereinigung vordem getrennter Komitate gehandelt habe137, als Produkt eines Verschmelzungsprozesses, dem die Emanzipation adeliger Grafengewalt vom König einher- beziehungsweise voranging.138 Noch deutlicher in den Zusammenhang eines Patrimonialisierungsprozesses stellt Schubert die Auflösung von Grafschaftskumulation in einer „einheitlichen Gebotsgewalt“.139 Verschmelzende Kumulation und Teilung von Grafschaften sind für ihn die zwei Seiten der Medaille „hochadeliger Interessensog“. Dieser formt – so muss man wohl hinzufügen: ursprüngliche – Komitate durch Vereinigung wie durch Teilung um.140 Damit ist schon angedeutet: Die Frage nach der Kumulation von Einzelkomitaten und ihrer zunehmenden Verschmelzung zu einem nurmehr singularisch zu benennenden comitatus betrifft keineswegs nur dessen räumliche Struktur, sondern führt – mit diesem Aspekt allerdings aufs Engste verknüpft – mitten in das Problem seiner Teilbarkeit – seiner Erfassung durch das lehn- bzw. amtsrechtliche Unteilbarkeitsgebot.
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R. G. Hucke, S. 116 ff.; J. Ficker-P. Puntschart, II 3, 399 (zu 1004). MGH DH II, 225 (1011); DH II, 439 (1021); DK II, 198 (1033); DH III, 279 (1051); DH III, 281 (1052). 136 H.-J. Freytag, S. 26; E. Schubert, Niedersachsen, S. 153 m.w.N., S. 154. 137 Dies lässt sich keineswegs nur für die Billunger beobachten; sowohl in den angeführten Urkunden zur Klösterausstattung, als auch denjenigen zur Übertragung von Komitaten an die Bischöfe erscheint „comitatus“ durchweg in singularischer Form. 138 S. 12 f., 27: „Die Komitate waren zu weitgehend selbstständigen Herrschaftsgebilden herangewachsen, die infolge der Erblichkeit als dem einen oder anderen Hause zugehörig empfunden wurden und galten. Vereinigte nun ein Herrschaftsträger einen Bezirk in seinem Besitz, der vordem aus mehreren Komitaten bestanden hatte, dann verschmolzen seine Teile im Verlauf der Zeit zu einem in sich immer geschlossener werdenden Herrschaftsbereich.“ 139 Niedersachsen, S. 153 Anm. 539. 140 Ebd., S. 154. 135
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Unteilbarkeit setzt Einheit voraus. Dem – noch näher zu untersuchenden,141 hier zunächst einmal unterstellten – Gebot, nicht zu teilen, unterlagen Lehen und Amt, die Amtsbezirke, eben die Herrschaftseinheit. Entsprechend wurde, nach einhelliger Auffassung in der Forschung,142 demgegenüber die Trennung vormals selbstständiger Herrschaftseinheiten, die in einer Hand kumulierten, nicht als Teilung verstanden. Die Aufteilung einer Mehrheit selbstständiger Lehen und Ämter, also etwa Komitate, unter die Söhne desjenigen, in dessen Hand sie vereinigt waren, gilt als „legitime Möglichkeit zur Befriedigung der Erbansprüche“,143 als ein seit spätkarolingischer Zeit mögliches Verfahren der Sukzessionsregelung bei einer Mehrheit von Deszendenten.144 Als Beleg dieser Anschauung führt Schulze die viel zitierte Notiz der Continuatio Reginonis zum Jahre 949 an:145 Udo comes obiit, qui permissu regis, quidquid beneficii aut prefecturarum habuit, quasi hereditatem inter filios divisit.146 Worin für den Chronisten das Mitteilenswerte lag, ist in der Literatur unterschiedlich beantwortet worden. Nach Mitteis registriert der Fortsetzer Reginos, Adalbert von Magdeburg, mit Verwunderung „die Teilung einer Grafschaft“ – in einer Zeit, als sich in Deutschland die Unteilbarkeit zunächst gehalten habe.147 Dieses Verständnis teilen Goez und Schulze nicht. Von der Teilung einer Grafschaft ist in der Quelle auch nicht die Rede. Goez sieht das für den Chronisten Bemerkenswerte darin, „dass hier Udo selbst handelt“. Kaiser Otto I. habe es Udo gestattet, über die Lehen und Ämter testamentarisch zu verfügen. Für diese Sukzessionsmodalität habe es des permissum regis bedurft.148 Auch nach Schulzes Verständnis bezieht sich die königliche Erlaubnis, deren Notwendigkeit, nicht auf die Teilung einer Grafschaft oder wenigstens eines als Einheit hoheitlicher, reichsherkömmlicher Rechtspositionen verstandenen Nachlasses. Für ihn belegt diese Notiz, dass „Erblichkeit im strengen Sinne“ bei beneficia und prefecturae noch nicht stattfand. Das permissum regis beziehe sich demnach darauf, dass Udo seinen nicht allodialen Nachlass unmittelbar an seine Söhne weitergab – quasi hereditatem. Diese Quelle spiegele die übliche Sukzessionsbehandlung wider: Ein Mitglied aus der Sippe trat beim Tode des Grafschaftsinhabers in dessen Rechte ein, „und der König hat im allgemeinen seine Zustimmung nicht verweigert“.149 Mag sich auch Goez dagegen verwahren, dass aus der Quelle herauszulesen sei, die Grafschaften seien noch nicht völlig erblich gewesen, so geht doch seine und Schulzes Auffassung dahin, dass das permissum regis allein auf die unmittelbare Weitergabe reichsderivativer Nachlasspositionen zu beziehen sei – sei es in Form testa141 Unten unter A.III.2.b); auch die unten bei Anm. 122 behandelte Quelle deutet ein Unteilbarkeitsgebot an. 142 Vgl. nur D. Willoweit, Art. „Landesteilung“, HRG 2, Sp. 1418; H. Rall, S. 13. 143 D. Willoweit, ebd. 144 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 333 f. 145 Ebd. 146 Continuatio Reginonis, S. 164. 147 Lehnrecht, S. 668. 148 Leihezwang, S. 63. 149 Grafschaftsverfassung, S. 213.
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mentarischer Verfügung, die so eindeutig der Notiz gar nicht zu entnehmen ist, oder sei es im Wege der Verfügung unter Lebenden. Der Sukzessionsvollzug in Form der Teilung ist demnach von der königlichen Gestattung wenigstens nicht unmittelbar betroffen. Es scheint sich ja bei dem Nachlass nicht um eine Einheit, sondern um eine Vielheit von Lehen und Ämtern gehandelt zu haben. Für Schulze ist es entsprechend ausgemacht, dass Udo gleichsam in Vollzug dieser königlichen Erlaubnis seine drei Grafschaften an seine drei Söhne weitergab. Zwingend ist es aber keineswegs, das permissum regis nicht auf die Teilung zu beziehen, nachdem man aus der pluralen Form der beneficii und prefecturarum auf ein Nebeneinander abgrenzbarer Einheiten und damit auf die „Unanwendbarkeit“ des Teilungsverbots auf den diese Nachlassbestandteile – durch das permissum regis eben suspendiert – geschlossen hat. Die Einbindung der Vielheit von Lehen und Ämter in die Wendung quicquid (…) aut ebnet das selbstständige Nebeneinander weitgehend ein. Die Intention des Chronisten, die einzelnen Einheiten zum Ausdruck zu bringen, tritt hinter der Absicht, die Beliebigkeit ihrer Anzahl auszudrücken, zurück. Die gewählte Formulierung kann also auch dahingehend zu verstehen sein, die nicht allodialen Bestandteile Udos Nachlasses möglichst vollständig, und zwar weitgehend als „nivellierte“ Einheit, zu erfassen.150 Auf eine bestimmte, überhaupt nur bestimmbare Addition von Herrschaftseinheiten, gar eine Trias von Grafschaften, weist die Notiz des Adalbert keineswegs zwingend hin – mag auch eine denkbare (!) Mehrheit von Grafschaften in Udos Händen den König zu seiner Erlaubnis bewogen haben. Ein restlos überzeugendes Auslegungsergebnis, ein völlig schlüssiger Bezug des permissum regis wird kaum zu erzielen sein. Doch vermag diese Quelle, die Problematik anschaulich zu machen, Herrschafts- oder Amtseinheiten gegenüber Herrschafts- oder Ämtermehrheiten abzugrenzen, mithin die Grundlage eines zeitgenössischen Verständnisses von Unteilbarkeit – seines Bezugsobjektes – zu ermitteln. Ist gleichwohl eine Antwort auf die Frage möglich, ob der offenbar ehedem selbstständige Einzelkomitate kumulierende, nunmehr nur im Singular beschriebene comitatus sächsischer Adeliger seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert als eine Herrschaftseinheit anzusprechen ist, die als unteilbar gelten muss und auch nach zeitgenössischer Auffassung gegolten hat? Das heißt zu fragen, worin die Einheit eines comitatus überhaupt begründet sein konnte, welche Determinanten ihn von einer zu anderen comitatus abgrenzbaren Amts- oder Herrschaftseinheit haben machen können. Als weithin ausgemacht gilt, dass von den – obgleich mehr als Programm denn als Realität erkannten – karolingischen gräflichen Amtsbezirken als von mehr oder minder gleichmäßiger Größe und Gestalt auszugehen ist. Diese vom Reich geschaffenen 150 Diese einerseits ungenaue, unspezifische, andererseits allumfassende Art und Weise der sprachlichen Erfassung der nichtallodialen Rechte eines Adligen begegnet immer wieder in den Quellen: etwa in den Berichten zur Verurteilung Ottos von Northeim 1070/1 (dazu K.-H. Lange, Stellung, S. 36) oder dem Sturz des Löwen (Gelnhäuser Urkunde, MGH Const. I 279 [L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 74]). Indes ist bei den genannten Beispielen zu berücksichtigen, dass es jeweils um eine Verurteilung Ottos und Heinrichs und damit um eine personale Entscheidung ging, der Entkleidung der Vasallenstellung.
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oder wenigstens angestrebten Grafschaften sind offenbar als unteilbare Verwaltungseinheiten klar bestimmbar – bis sie durch Erbrecht, überhaupt adelige Eigeninteressen umgestaltet wurden. Diesen Ausgangspunkt wählen nahezu ausnahmslos auch diejenigen, die sich weitgehend Krügers Analyse der Grafschaft des 9. Jahrhunderts in Sachsen angeschlossen haben.151 Diese karolingischen (Einzel-)Komitate erscheinen in den vom Königtum herrührenden Quellenzeugnissen als Amtsbezirke.152 Die von Schulze mitgeteilten Aussagen der Kapitularien und auch Urkunden dieser Zeit153 helfen hier aber nicht weiter. Sie lassen Räumlichkeit, aber keine Räume, Bezirkhaftigkeit, aber keine Bezirke erkennen – wenn es heißt: unusquisque comes in suo ministerio placita et iustitias faciat.154 Dies stützt nur die Selbstverständlichkeit, dass das Gerichtsamt des Grafen ohne einen Bezirk seiner Ausübung schlechterdings nicht denkbar ist. Die Kriterien zur Grenzbildung, zur konkreten Umfassung der Herrschaftseinheit ministerium sind uns aber – wenigstens – für die Gebiete, in denen Gau und Krongut als bezirksbildende Faktoren auszuscheiden sind, unbekannt.155 Dass es gleichwohl eine wohl auch konkret abgrenzbare Recheneinheit comitatus gab, deren Mehrheit in der Hand eines Grafen – zumindest im 9. Jahrhundert – nicht zur Aufhebung ihrer Integrität, ihres selbstständigen Nebeneinanders durch Verschmelzung führte, wird auf eine Aussage Notkers des Stammlers gestützt.156 Der St. Galler Klosterbruder berichtet, dass Karl der Große klugerweise bis auf eine Ausnahme jedem Grafen nur eine Grafschaft übertragen habe, außer an den Grenzen des Reiches. Und tatsächlich bestätigt sich die von ihm angeführte Ausnahme.157 Für Sachsen aber bleibt die Einführung kleiner Einzelkomitate unter den Karolingern bloße Vermutung, in den zeitgenössischen Quellen begegnen sie uns nicht.158 Schlesinger hält es demgegenüber vielmehr für erkennbar, dass „von Anfang an“ die „Herrschaft über relativ große Gebiete in der Hand einzelner (Wala, Ekbert)“ zusammengefasst war, und diese Konzentrationen in Anbetracht der zeitlichen Nähe zu den frühen Karolingern kaum auf Kumulationen von Einzelkomitaten zurückzuführen ist.159
151 Besonders deutlich H.-J. Freytag, S. 23 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 151 ff.; Ausnahme: W. Schlesinger, Bemerkungen, S. 228 ff. 152 H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 290, 326 f. 153 Ebd., S. 326 f. 154 Capit. I 26 cap. 34 (Capitulatio de partibus Saxoniae). 155 Nachrichten über Abgrenzungen von Grafschaften in karolingischer Zeit sind ohnehin selten; die älteste Beschreibung der Grenzen einer Grafschaft stammt von Thietmar von Merseburg (VI, 50); H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 310. 156 R. Scheyhing, Eide, S. 239; H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 326 f. 157 H. K. Schulze, ebd., S. 327, 118; vgl. auch W. Schlesinger, Bemerkungen, S. 230, der die Kumulation von Einzelkomitaten in Lothringen bestätigt. 158 W. Schlesinger, Bemerkungen, S. 230. Es sei noch einmal betont: H. K. Schulze, Grafschaftsverfassung, S. 281 ff., Gegenansicht ist nicht hinreichend begründet. 159 W. Schlesinger, ebd.
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Entsprechend entbehrt die Auffassung, größere Grafschaftskomplexe in den Händen sächsischer Adeliger seit dem 10. Jahrhundert seien zunächst als Vereinigungen – dann Umformungen – karolingischer Grafschaftsbezirke, einer wesentlichen Grundlage. Die entfernte Lage von nachweisbaren Komitatsorten allein weist nicht zwingend auf ursprüngliche, auf karolingische Einzelkomitate hin. Das bedeutet natürlich nicht, dass keinerlei Vereinigungen vormals getrennter Komitate unter einem Inhaber stattgefunden haben. Die großen sächsischen Adelsgeschlechter erwarben durchaus Komitate, die zumindest im Akt ihrer Übertragung als Herrschaftseinheit angesprochen werden müssen, zu ihren Komitatskomplexen hinzu. Ein Hinweis auf die schon genannten Erwerbungen der Northeimer Grafen Benno und Otto in den Jahren 1033 und 1075 soll hier beispielhaft genügen.160 Über die entsprechenden konkreten Übertragungen auf die adeligen Erwerber sind wir urkundlich nicht unterrichtet; sie sind allein durch Nachrichten späterer Komitatsausübung zu erschließen. Doch deutet sich hier schon ein weitgehend personales Verständnis der grafschaftlichen Übertragungseinheit an: Es war die Grafschaft des Dodicos von Warburg, die 1021 von Kaiser Heinrich II. dem Paderborner Bischof Meinwerk und von Kaiser Konrad II. 1025 auf Erzbischof Aribo von Mainz übertragen worden ist und von diesem wahrscheinlich an Graf Bernhard von Werl weiterverlehnt, später aber wieder entzogen wurde. Als die Grafschaft wieder an Paderborn ging, war es die Grafschaft des Grafen Bernhard. Benno von Northeim war zunächst als Mainzer, dann Paderborner Lehnsmann mit dieser Grafschaft betraut.161 Und es war die Grafschaft des Rugger von Bilstein, die Otto von Northeim 1075 erwarb.162 Deutlich tritt uns ein vornehmlich personales Schema zur Beschreibung und entsprechend Bestimmung einer Grafschaftseinheit in den urkundlich recht dicht überlieferten Übertragungen von Komitaten an die Bischöfe entgegen. Durchweg – soweit ersichtlich – ist in all diesen Urkunden das erste Attribut der übertragenen Grafschaft der Name des letzten Inhabers. Diesem folgt zwar eine örtliche Kennzeichnung des Komitats, die aber regelmäßig nur die Gaue benennt. Die Gauangabe allein ist aber in Anbetracht dessen, dass in einem Gau vielfach mehrere Grafen – räumlich verschränkt – Komitatsrechte ausübten, ungeeignet, Grafschaftsbezirke auch nur halbwegs randscharf abzustecken. Zuweilen wird diese schon recht ungenaue örtliche Beschreibung nachgerade ins Beliebige hinein aufgelöst: comitatum (…) in pagis Hartegowe ac Derlingon partimque in Nordthuringon nec non Belchesheim (…), seu ubicumque idem comitatus terminatus vel extentus sit.163 Das – um es vorsichtig auszudrücken – Übergewicht des personalen Momentes zur Bestimmung der Übertragungseinheit kommt darüber hinaus in zwei weiteren häufiger zu beobachtenden Urkundsinhalten beziehungsweise -formulierungen zum Ausdruck: Mehrfach wird neben dem letzten Inhaber auch dessen Vorgänger – zu160 161 162 163
Oben Anm. 103 und 104. K.-H. Lange, Stellung, S. 7 ff. Ebd., S. 59 f. MGH DH III, 281 (1052).
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meist der Vater und sogar der Großvater – genannt.164 Eine nahezu explizite Bestätigung des Vorrangs der Inhaberschaft vor der örtlichen Kennzeichnung liefern Wendungen, wie sie in der Urkunde zur Übertragung einer Grafschaft an Gandersheim: talem comitatum, qualem Boto comes (…) tenuit, und des Komitats der Süpplingenburger an Halberstadt: talem comitatum, qualem Bernhardus comes (…) obtinuit, begegnen.165 Insofern scheint die bekannte Streitfrage, „ob die ,comitatus flächenmäßig definierte oder weitgehend personal orientierte Gebotsbereiche waren“,166 entscheidbar zu sein, und zwar zugunsten der zweitgenannten Auffassung. Doch sollte man die Alternativen flächenhaft definierter Bezirk und gräfliche Gewalt oder Befugnis167 nicht allzu kategorisch einander gegenüberstellen. Zum einen ist gräfliche potestas notwendigerweise auf einen wie auch immer zu bestimmenden Raum bezogen. Zum anderen werden sie auch tatsächlich auf Orte bzw. Räume in den Urkunden bezogen – nur eben nicht auf näher bestimmte. Mittelbar sind sie aber durch das personale Moment bestimmbar. Insgesamt erscheint es zu sehr modernem Denken verhaftet, nach festgelegten, an eindeutigen – etwa topographischen – Merkmalen, bestimmten Amtsbezirken zu suchen.168 Banal mag der Hinweis klingen, dass es den Zeitgenossen an Landkarten oder entsprechenden Instrumenten der Raumerfassung und -beschreibung mangelte. Ferner muss man sich vergegenwärtigen, dass gerade der sächsische Raum von Ödland, unwegsamen Waldgebieten und Mooren geprägt war, die eher Grenzräume denn scharf gezogene Grenzlinien erlaubten. Möglicherweise war mit der vorrangigen personalen und unbestimmten räumlichen Kennzeichnung eines Komitats auch eine Offenheit dieser Einheit für mögliche Zuerwerbungen des Inhabers intendiert. Dies deutet sich in der königlichen Schenkung des Komitats Hermanns von Reinhausen an die Paderborner Kirche an – allerdings nicht unmittelbar für die Komitatsrechte, sondern für die dazugehörigen predia: omnem potestatem comitatus (…) cum omnis iure ad eundem comitatum iuste ac legaliter pertinente et omnia predia in eisdem pagis ad nostras manus hactenus et postmodum acquirenda cum omnibus ad eadem merito aspicientibus.169 Festzuhalten bleibt gleichwohl: Grafschaftsbezirk war dort, wo der Amtsinhaber Grafenrechte innehatte. Vom Königtum festgelegte Grenzen des Amtsbezirkes werden nicht erkennbar. Der König setzte nicht Grafen in einer bestimmten – konsequen164
Vgl. u. a. MGH DH III, 256 (1013): comitatum (…), quem olim Thiedericus palatinus comes, posteaque filius eius Sirus habuerat; DH III, 279 (1051); DH IV 112 (1063): comitatum Udonis marchionis quem pater suus habebat. 165 MGH DH III, 444 (1021); DH III, 281 (1052). Vgl. auch eine bei J. Ficker-P. Puntschart, II 3, 443, mitgeteilte Urkunde über die Übertragung einer Grafschaft an den Bischof zu Hildesheim aus dem Jahre 1069: comitatus (…), qemadmodum illi prenominati comites scilicet Friderich et Chonradus habuerunt. 166 E. Schubert, Niedersachsen, S. 151. 167 Vgl. W. Schlesinger, Entstehung, S. 159, 176 ff. 168 Vgl. Th. Mayer, Ausbildung, S. 292. 169 MGH DK II, 178 (1032).
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terweise nahezu transpersonal vorzustellenden – Grafschaft ein, sondern betraute Personen oder kirchliche Institutionen mit Grafschaftsrechten oder anders ausgedrückt: mit gräflicher Gewalt in – bewusst oder unbewusst – nicht genau bestimmten Räumen. Entsprechend wurde etwa Otto von Northeim nicht seines Grafschaftsamtes oder seiner Grafschaftsämter 1070 in einer Fürstengerichtsverhandlung enthoben, sondern verlor alle seine Lehen,170 also – so muss man hinzufügen – auch seine gräfliche potestas. Das Herzogtum Bayern wird hingegen von dem Annalisten als Herrschaftseinheit benannt.171 Findet die Einheit comitatus ihre Grenzen weithin in der Person des Inhabers, in dem Patrimonium des Geschlechtes, muss das Vorstellungsmodell einer Kumulation im Sinne einer Addition von Grafschaftsbezirken, die erst späterhin zum „comitatus im Singular“ (Freytag) verschmolzen, in den Hintergrund treten. Die hinzuerworbenen, ihrerseits personal determinierten Komitate schmolzen sofort und unmittelbar in den bestehenden allein singularisch zu erfassenden comitatus ein; der comitatus des Grafschaftserwerbers – wenngleich auf einen Raum oder Räume bezogen – weitete sich lediglich aus. Als dem Unteilbarkeitsgebot unterliegende Einheiten erscheinen keine Einzelkomitate, die nach dem Tod desjenigen, in dessen Hand sie kumulierten, unter seine Söhne aufzuteilen waren. So müssten die gräflichen Bestandteile des Patrimoniums eines Grafen, also die durch die gräfliche dignitas verklammerten Gerechtsame in summa die Einheit gebildet haben, auf die sich das Unteilbarkeitsgebot bezog. Betrachtet man nun, dass in den Urkunden zu Komitatsübertragungen vielfach nicht nur auf den letzten Inhaber, sondern auf eine Filiationskette von Inhabern, also eine Erbfolge in der Grafenfamilie abgestellt wird, kann man nicht bloß von einem personalen, sondern muss gar von einem patrimonialen Verständnis von der Grafschaft sprechen. Das Patrimonium des Grafengeschlechtes determinierte die Einheit comitatus; sein Umfang, seine Gestalt deckte sich mit den gräflichen Bestandteilen des Patrimoniums, das in der Filiationskette vererbt wurde. Vom Reich bestimmter Amtsbezirk, -umfang und -gestalt sowie Patrimonium des Adels – gleichsam als Verkörperung dessen „Interessensogs“ – stehen sich also nicht unbedingt antithetisch gegenüber. Vielmehr scheint ein Wechselspiel stattgefunden zu haben: Das Reich überträgt Grafschaftsrechte, gräfliche potestas an eine Person und dessen Deszendenz, formt mithin gewissermaßen das adelige Patrimonium, und dieses Patrimonium verleiht seinerseits dem Komitat Gestalt. Dieses wechselseitige Verhältnis könnte man als Produkt einer Entwicklung vom Früh- zum Hochmittelalter hin, die mit dem Attribut des Verfalls belegbar wären, auffassen, als eine Personalisierung und – die Erblichkeit berücksichtigend – Patrimonialisierung der Grafschaft. Die personale und patrimoniale Erfassung der Grafschaft in den königlichen Urkunden wäre entsprechend ein Reflex dieses Prozesses. 170
K.-H. Lange, Stellung, S. 34 ff. Annales Altahenses maiores 1070, 79: et in regis potestatem redacto ducatu (zitiert nach K.-H. Lange, ebd., S. 37). 171
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Dieses Verständnis deckt sich mit der Bewertung der Neuordnung der sächsischen Grafschaften seit den Ottonen: weitgehend dem Reich entfremdete – emanzipierte wie patrimonialisierte – Grafschaften wurden wieder unter die Botmäßigkeit des Königtums gezogen. Die – mögliche – Neuschaffung von Grafschaften im Harzraum kann in diesem Zusammenhang außer Acht gelassen werden. Sie sind Neugründungen und daher als Indikator eines Verfallsprozesses untauglich. Überdies hängen sie aufs Engste mit der Einbindung gerade um den Harz gelegenen liudolfingischen Hausguts in das Reichsgut und seiner Verwaltung zusammen. Aber gerade die seit Kaiser Otto II. zu beobachtenden Übertragungen bis dahin unmittelbar adeliger Grafschaften an die Bischöfe schufen keineswegs neue Komitatseinheiten. Die gräflichen Adelsgeschlechter verblieben in ihren angestammten Komitatsstellungen; diese erfuhren keine Umgestaltung. Dass hier keine einseitige Umgestaltung der Grafschaftsorgansiation durch den König auch nur intendiert war, geht aus einer Äußerung Kaiser Ottos III. deutlich hervor: sed quia ad perfectum nostrae voluntatis sine magistratorum nostrorum consilio pervenire prohibiti sumus.172 Vielmehr wurden die adeligen Komitate der Aufsicht der Bischöfe im königlichen Namen unterstellt.173 Eine königliche Reaktion auf eine im Wege einer Personalisierung und Patrimonialisierung erfolgten Umgestaltung von Grafschaftsbezirken ist in den Maßnahmen der Ottonen also nicht zu sehen. Sie bestätigen eher das „personale Amtsverständnis“: Die Person des Grafen bzw. das Grafengeschlecht werden unter Aufsicht der Bischöfe gestellt. Einen Prozess vom königliche determinierten Amtsbezirk zu einer nurmehr personal beziehungsweise patrimonial erfassbaren Komitatseinheit, der nichts anderes vorstellt als die Auflösung transpersonal verstandener Grafschaftsämter im adeligen Patrimonium, kann für Sachsen also nur derjenige behaupten, der den Ausgangspunkt dieses Prozesses zu erweisen vermag. Demgegenüber sei aber ein weiteres Mal betont: Der karolingische Amtsgrafschaftsbezirk bleibt ein Ideal der Verfassungsgeschichte. In den Quellen findet er keine Stütze. Als Gegensatzpaar zur Beschreibung der Verhältnisse der hochmittelalterlichen Grafschaft taugen die Begriffe Territorium – im Sinne eines vom neuzeitlichen Kompetenzbegriff her gedachten, vom Königtum geschaffenen Amts-, hier Grafschaftsbezirks – und Patrimonium – als degenerierte Form des Amtes – offensichtlich nicht. ee) Personales Verständnis der Grafschaft und Unteilbarkeit Was folgt aus dem dargelegten Verständnis von comitatus für das Gebot der Unteilbarkeit von Amtslehen, von Grafschaften? Über die zeitgenössische, vor allem imperiale Vorstellung von Bezugsobjekt und mithin der Reichweite eines Teilungs-
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MGH DO III, 390 (1001). E. Schubert, Niedersachsen, S. 243. Das Motiv des Handelns Ottos III. lässt sich wiederum DO III, 390 entnehmen: quia nostre rei publicae statum nostrumque vivere et imperare per longa terrarum spacia visitare non piguit. 173
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verbots gibt uns keine Quelle unmittelbar Auskunft. Und dies gilt auch für die folgenden zwei Jahrhunderte. Der oben angeführte Bericht der Continuatio Reginonis zum Jahre 949 könnte, wenn man denn das permissum regis auf die Teilung der beneficii und prefecturarum beziehen möchte, als Stütze der Auffassung, eben diese seien als Einheit gedacht dem – hier suspendierten – Unteilbarkeitsgebot unterworfen gewesen, herangezogen werden. Diese Notiz ist ohnehin eine der wenigen Quellen, die zur Teilung von Lehen und Amt sowie deren Verbot – wenn auch spärlich – Zeugnis geben.174 Hinzuzufügen ist kaum mehr als das Lehnsgesetz Kaiser Konrads II. von 1037, das von einer Vererbung auf nur einen Sohn ausging, also eine Teilung offenbar ausschloss. Als Objekt der Vererbung und Unteilbarkeit benennt es allerdings nur ganz allgemein ein/das beneficium des Verstorbenen. Ein explizit für die großen Reichs-, Amtslehen – ducatus, marchia, comitatus – formuliertes Teilungsverbot lässt sich erst dem ronkalischen Lehnsgesetz Kaiser Friedrichs I. von 1158 entnehmen.175 Es fällt – wie noch aufzuzeigen sein wird –176 in eine Zeit, in der sich Herrschaftsverdichtungen deutlicher erkennen lassen; eine Zeit, in der die Parameter der Herrschaftseinheit andere, vor allem besser erkennbare waren als im 11. Jahrhundert. Und: Mehr als dieses Verbot, u. a. comitatus zu teilen, halten wir auch für das 12. Jahrhundert nicht in den Händen. Ein Bezug zu konkreten Objekten intendierter Teilung, aus dem allein die Reichweite ihres Verbots erkennbar werden kann, lässt sich erst herstellen, seit Rechtssprüche und überhaupt urkundliche Nachrichten über Teilungen von Amtslehen überliefert sind, also seit dem 13. Jahrhundert. Können wir daraus folgern, dass Einheit und Teilung von Amtslehen, vor allem der comitatus, im 11. Jahrhundert noch eine weithin offene Frage war, derer sich der König als Lehnsherr der Amtsträger nicht, wenigstens nicht erkennbar annahm? Denkbar erscheint jedenfalls, dass eben nicht ein räumlich definiertes, ursprünglich vom König so verliehenes Herrschaftsgebilde Gegenstand des Unteilbarkeitsgebotes war, sondern die in ihrer – man möchte sagen: tatsächlichen – Reichweite personal, ja patrimonial abgesteckte gräfliche dignitas, wie sie der jeweilige Graf auf Zeit innehatte. In diesem Zusammenhang ist auf eine von Hucke177 aufgestellte und von Lange178 aufgegriffene These hinzuweisen: Dem „ursprünglichen Bedeutungsinhalt der Bezeichnung ,comitatus als verfassungsgeschichtlichen Begriff“ – von dem aber weder Hucke, noch Lange in diesem Kontext die Allode abschichten, wenigstens nicht hinreichend deutlich – entsprächen in Sachsen „vermutlich Anschauungen (…), die ursprünglich dem Bereich des Sippen- und Familienrechtes entstammen“. Danach sei der senior de cognatione für die Verwaltung der gräflichen Gerechtsame 174
Vgl. H. Mitteis, Lehnrecht, S. 668 f. MGH Const. I Nr. 177 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 66); allgemein zur königlichen Lehnsgesetzgebung K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 486 ff. 176 Unten A.III. 177 S. 202 f. 178 Herrschaftsbereich, S. 7 f., 117. 175
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in ihrer Gesamtheit verantwortlich gewesen. Für jegliche Veräußerung habe es der Zustimmung aller Angehörigen bedurft. Die Verleihung des Königsbannes und die Einsetzung als militärischer Führer seien lediglich eine königliche – „öffentlichrechtliche“ – Bestätigung der „Herrschaft eigenen Rechts“ der Sippe, repräsentiert durch ihren Ältesten, gewesen. Abgesehen davon, dass Hucke damit pointiert Krügers Standpunkt auch für das 10. bis 12. Jahrhundert verficht, ist hier von Interesse, dass er damit die amts- und lehnrechtlichen Bindungen zugunsten der „Sippenbindungen“ weitgehend in den Hintergrund drängt. Überspitzt könnte man diese These dahingehend verstehen, dass der König mit seiner Anerkennung der autogenen Adelsherrschaft die gräfliche dignitas der Sippe und ihren inneren Bindungen überantwortete. Mit anderen Worten: Der König könnte sich diese Bindungen zur Wahrung der Integrität der Grafengewalt zu Eigen gemacht haben; sie zumindest für hinreichend erachtet haben. Dieser zugegebenermaßen äußerst spekulative Gedanke erfährt nicht allein in der personalen, ja patrimonialen Beschreibung des Komitats in den Königsurkunden eine gewisse Unterstützung, sondern auch darin, dass ein lehnrechtliches Instrumentarium zur Integritätswahrung der Amts-, Reichslehen sich wenigstens im 10. und 11. Jahrhundert noch nicht erkennbar herausgebildet hatte. Nicht zuletzt Huckes These von der Einstellung des comitatus in die Sippenbindungen gilt es, nunmehr anhand der Sukzessionspraxis in den großen sächsischen Grafengeschlechtern zu überprüfen. b) Die Sukzession in gräfliche und auch vogteiliche Gerechtsame aa) Das Dunkel um die Weitergabe der Komitatsrechte Bei der Nachfolge in die Rechtsstellung eines verstorbenen Grafen kann zwischen den Alloden einerseits und den Komitatsrechten sowie der Vogteigewalt über geistlichen Besitz andererseits unterschieden werden. An der Allodialverlassenschaft war ein größerer Personenkreis grundsätzlich berechtigt: Neben den Söhnen – auch solchen, die dem geistlichen Stand beitraten – hatten auch die Ehefrau und die Töchter – wenigstens in Gestalt einer Mitgift – unmittelbar Ansprüche auf die Beteiligung an dem väterlichen Besitztum.179 Die Nachfolge in die gräflichen und vogteilichen Gerechtsame war hingegen grundsätzlich auf die männliche Linie des Geschlechtes beschränkt – vorrangig auf die Deszendenz; bei deren Fehlen trat die männliche Seitenlinie ein.180 Inwieweit darüber hinaus beim Fehlen männlicher Nachkommen in Deszendenz und Seitenlinie „üblicherweise die weibliche Erbfolge, auch bei Hoheitsrechten, Anwendung“ fand,181 wird noch näher zu untersuchen sein.
179
Dazu näher unten unter A.II.2.a). H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 94 f.; K.-H. Lange, Stellung, S. 80, formuliert diese Nachfolgeordnung als „Rechtsgewohnheit“ für die Northeimer, die Wettiner, die Grafen von Haldensleben und die Stader. 181 K.-H. Lange, Stellung, S. 80. 180
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Wie wurde nun aber die Sukzession in Grafen- und Vogteirechte bewältigt, wenn die Deszendenz aus mehreren Söhnen bestand? Vermochte sich die Komitatsgewalt, die gräfliche dignitas, nur einem Sohn oder auch mehreren mitzuteilen? In welcher Form wurde eventualiter eine mehrheitliche Berechtigung an diesen Nachlassbestandteilen verwirklicht: Teilung oder Gesamthand? Die schon vielfach angeführten königlichen Urkunden über Übertragungen von adeligen Grafschaften an die Bischöfe lassen regelmäßig gleichzeitig nur einen Inhaber des comitatus erkennen. Bekleidete dieser möglicherweise nur eine herausragende Stellung – etwa als senior de cognatione – gegenüber seinen ebenfalls gräflichen Brüdern oder gar auch Söhnen? Oder war er alleiniger Inhaber des übertragenen Komitats – vielleicht nach weiter zurückliegender Teilung eines größeren Komitatskomplexes? Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht einfach. Ist für eine Generation nur ein Mitglied des Grafengeschlechtes als Inhaber eines Komitatsortes belegbar, kann daraus nicht ohne Weiteres auf eine Individualsukzession unter Ausschluss der Brüder geschlossen werden. Dazu ist die Überlieferung zu lückenhaft. Vielfach sind für ein Glied der Filiationskette eines Geschlechtes, eine Generation, überhaupt keine gräflichen Rechte in concreto nachzuweisen – so etwa für Otto von Northeim, dessen Grafenstellung gleichwohl keinem Zweifel ausgesetzt ist.182 Im Mittelpunkt soll das Beispiel der Sukzession im Geschlecht der Northeimer stehen, wie sie Lange aufgearbeitet hat.183 Über den Ursprung der Grafen von Northeim gibt es nur Vermutungen. Der erste mit Sicherheit nachweisbare Angehörige des northeimischen Geschlechts ist Siegfried I. gewesen, der 982 bei Northeim Grafenrechte ausübte. Siegfried I. hatte zwei Söhne. Doch vermag die Gestaltung seiner Nachfolge keine verallgemeinerungsfähige, auch nur halbwegs typisierende Antwort auf die Frage, wie bei einer Mehrheit von Söhnen mit den Komitatsrechten des Vaters verfahren wurde, zu geben. Vielmehr kommt in diesem Generationswechsel im comitatus der Northeimer der Einfluss des Königtums deutlich zum Ausdruck: Der comitatus war nicht ohne Weiteres erblich, etwa wie Allod – nur beschränkt auf einen einzelnen Deszendenten. Die Würde des Sohnes und potenziellen Nachfolgers, sein Wohlverhalten, war ausschlaggebend. Der ältere von Siegfrieds I. Söhnen, Siegfried II., verlor seinen Anspruch auf die Komitatsrechte des Vaters. Zusammen mit seinem Bruder Benno und den beiden katlenburgischen Brüdern Heinrich und Udo, den Söhnen Luder-Udos von Stade, hatte er zwei Jahre vor dem Tode des Vaters den Markgrafen Ekkehard von Meißen 1002 ermordet, einen Konkurrenten des Bayernherzogs Heinrich, des späteren Königs Heinrich II., um die Nachfolge Ottos III. auf dem Königsthron. Die Kontroverse, ob und wieweit die Mörder straffrei ausgingen oder nicht,184 sei hier dahingestellt. Siegfried II., der nach Lange neben Heinrich 182 G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 45, mit den Nachweisen der – eben ausschließlich allodialen – Rechtspositionen Ottos. 183 Stellung, S. 2 ff., 10 ff., bes. S. 79 ff. 184 Gegen eine Bestrafung der Mörder spricht sich E. Schubert, Niedersachsen, S. 196 Anm. 194, 199, aus; dafür: K.-H. Lange, Stellung, S. 5 f.; uneindeutig: R. G. Hucke, S. 19 f., 77, 156.
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von Katlenburg als Hauptschuldiger galt, wurde jedenfalls nicht völlig rechtlos gestellt – wenigstens konnte er 1007 wieder als Zeuge öffentlich auftreten.185 Für ihn ist aber – und das ist hier wichtig – nicht zu belegen, dass er Grafschaftsrechte als Erbe seines Vaters ausübte. Dagegen ist für seinen jüngeren Bruder Benno eine Reihe von Komitatsausübungen nachzuweisen.186 Dass Siegfried II. seinem Vater – offensichtlich aufgrund seiner Beteiligung an der Mordtat von 1002 – nicht in dessen comitatus nachfolgte, findet seine Stütze in dem angeführten Diplom Kaiser Heinrichs II. von 1007. In der Zeugenreihe wird Siegfried ohne, Benno hingegen mit dem Titel comes bedacht.187 So darf man wohl annehmen, dass Siegfried II. seine gräfliche dignitas 1002 eingebüßt hatte und insofern als Nachfolger in den väterlichen Komitat ausschied. Dasselbe Schicksal erlitt Heinrich von Katlenburg. Auch er ist als ältester Sohn seiner Grafenrechte verlustig gegangen;188 allein sein jüngerer Bruder Udo übte zu Beginn des 11. Jahrhunderts im Rittigau, Lisgau und Hemmerfeld gräfliche Rechte aus. Auf Benno folgte sein einziger Sohn Otto.189 Der Generationswechsel nach Otto I. scheint als Einziger in den großen sächsischen Adelsgeschlechtern vom ausgehenden 10. bis zum beginnenden 12. Jahrhundert keine Individualfolge in den comitatus aufzuweisen, sondern zu einer gleichzeitigen Berechtigung mehrerer Söhne an diesem geführt zu haben.190 Völlig eindeutig ist diese Sukzessionsform der drei Söhne in Ottos gräfliche Gerechtsame allerdings nicht zu belegen. Konkret nachweisen lässt sich nur eine Komitatsausübung Heinrichs des Fetten, des ältesten Sohnes Ottos.191 Heinrich ist lange schon zu Lebzeiten Ottos, 1075, mit der Verwaltung des Komitats in der Germarmark betraut worden.192 Diese Aufgabe dürfte er über den Tod des Vaters hinaus behalten haben. Für den zweiten Sohn, Siegfried III., nimmt Lange eine Mitberechtigung am väterlichen comitatus an: Zum einen aufgrund der Nachfolge in die Vogtei über das 185
MGH DH II, 255. Zusammenstellung bei G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 43 f. 187 Udo (von Katlenburg) comes, Sigifrid, Bernherd comes; auch in einer Urkunde Heinrichs II. von 1015 (DH II, 332a), nach der er ein Gut, das er von Sigefridus Sigefridi filius erhalten hatte, dem Kloster Hersfeld übertrug, erscheint Siegfried ohne den Titel „comes“. Dass er in der um 1150 verfassten Vita Meinwerci häufiger als „comes“ bezeichnet wird, erlaubt nicht den Schluss auf eine Komitatsausübung, so zutreffend K.-H. Lange, S. 6. 188 Allerdings verlor der Katlenburger offensichtlich nicht den Anspruch auf, sondern tatsächlich ausgeübte Komitatsrechte, DO III, 248 (997). 189 Zu Otto von Northeim umfassend: S. Borchert. 190 Vgl. die nach Filiationsketten geordnete Zusammenstellung der Herrschaftsrechte und Besitzungen dieser Geschlechter bei G. Pischke, Herrschaftsbereiche, und die ähnlich geordnete Übersicht über die Herzogs- und Grafenfamilien in den Gauen Sachsens bei ders., Heinrich der Löwe, S. 91 ff. 191 Lediglich zu vermuten ist ein sicher früh verstorbener älterer Bruder Otto (II.), K.-H. Lange, Stellung, S. 82. 192 K.-H. Lange, ebd., S. 59 f.; das Verfahren, Söhne schon zu Lebzeiten des Vaters mit honores, wenigstens mit einer hereditas auszustatten (dazu K. J. Leyser, S. 100 f.), fand noch bis ins ausgehende Mittelalter vielfach Berücksichtigung. 186
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Kloster Korvei;193 zum anderen aufgrund eines Zeugnisses, dass 1126 sein gleichnamiger Sohn, Siegfried IV., im Ittergau die gräfliche Gewalt ausgeübt hat. Die zweitgenannte Nachricht stützt indes die Annahme nicht hinreichend, Siegfried III. sei seinerseits im Ittergau mit Grafenrechten als Erbe seines Vaters betraut gewesen. Siegfried IV. war 1126 der letzte lebende männliche Northeimer. Heinrich der Fette war 1101 gestorben, dessen einziger Sohn Otto III. 1115/17 und der dritte Sohn Ottos I., Kuno von Beichlingen, verstarb 1103. So ist es ebenso gut denkbar, dass Siegfried IV. in den benannten Komitatsrechten nicht seinem Vater, sondern Otto III. – Erbe Heinrichs des Fetten – nachfolgte. Allerdings mag für eine – sogar über den Ittergau hinausgehende, sich über den gesamten von Dodico herstammenden, von Paderborn zu Lehen gehenden Grafschaftskomplex erstreckende – Komitatsgewalt Siegfrieds III. als Nachfolger seines Vaters sprechen, dass er 1107 im Zusammenhang mit dem im Sächsischen Hessengau gelegenen Kloster Helmarshausen als illius regionis princeps nominatissimus bezeichnet wird.194 Für Kuno von Beichlingen kann eine Beteiligung am väterlichen comitatus allenfalls vermutet werden.195 Ebenso fehlt jegliche Nachricht darüber, wer von den drei Söhnen in den übrigen Räumen northeimischer Komitatsgewalt nach 1083, Ottos I. Todesjahr, diese ausgeübt hat. Folgt man bei allen Vorbehalten gleichwohl Lange in der Annahme einer gleichzeitigen, mehrheitlichen Berechtigung am gräflichen Nachlass Ottos I., wenigstens durch Heinrich den Fetten und Siegfried III., so stellt sich um so mehr die Frage, ob es sich dabei um eine singuläre, zumindest auf die Northeimer beschränkte Sukzessionsbewältigung handelte. Eine brüderliche Gemeinschaft an Grafschaften deutet sich schon in Urkunden für das 10. Jahrhundert an.196 Klar geht sie aus einem königlichen Diplom von 1001 hervor: in comitatu filiorum Ekbrathi comitis;197 Ekbert der Einäugige war ein Billunger Graf aus der Linie Wichmanns. Für die Nachfolge des Stader Grafen Heinrich I. – um 976 gestorben – gilt eine Individualsukzession in die Komitatsrechte als ausgemacht: Heinrich II. folgte ihm; nach dessen Tod (1016) wurde die Grafschaft 1017 auf seinen jüngeren Bruder Siegfried übertragen. Siegfried wurde aber schon lange vorher – erstmalig 979 – in den Urkunden als comes bezeichnet.198 Möglicherweise ist diese Titulatur – vor 1017 – darauf zurückzuführen, dass Siegfried für oder im Bereich seines Schwieger-
193
Stellung, S. 81, 91; ders., Herrschaftsbereich, S. 39 ff. Translatio Sancti Modoaldi MG SS XII cap. 45, 47, 310 (zitiert nach K.-H. Lange, Stellung, S. 80 Anm. 3). 195 Für ihn ist allein die Vogtei über das Kloster Oldisleben nachweisbar; dieses ist aber eine Gründung seiner Gemahlin Kunigunde von Beichlingen und deren Schwester Adelheid; K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 38 f. 196 MGH DO I, 27, 85. 197 MGH DO III, 390. 198 R. G. Hucke, S. 78 f. mit Nachweisen. 194
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vaters Gero von Alsleben Grafschaftsrechte wahrgenommen hatte.199 Ganz undenkbar erscheint es aber – in Anbetracht dessen, dass für Heinrich II. sich einzelne Komitatsrechte gar nicht belegen lassen – auch nicht, dass sich der comes-Titel Siegfrieds aus einer – wie auch immer gearteten – Teilhabe an väterlichen Komitatsrechten herleiten könnte. Dann wäre die Übertragung von 1017 so zu verstehen, dass Siegfried den Anteil seines Bruders am väterlichen Komitat, die gräfliche Komitatsgewalt des Bruders (mit) übernommen hätte. Nachweisen lässt sich diese Annahme allerdings nicht, sie bleibt Möglichkeit. Dass sich wenigstens der comes-Titel mehr als nur einem Sohn mitzuteilen vermochte, könnte das Beispiel der Billunger belegen: Die jüngeren Brüder des jeweiligen Herzogs wurden regelmäßig in den Quellen als Grafen bezeichnet.200 Eine Aufteilung derart, dass der ältere Sohn den ducatus, der jüngere den comitatus des Vaters erhalten hätte, der ältere also dux, der jüngere comes geworden wäre, ist gewiss nicht anzunehmen.201 Für Herzog Ordulf etwa sind Komitatsausübungen belegt, für seinen mehrfach als comes bezeichneten202 Bruder Hermann hingegen keine einzige.203 Allerdings beschränken sich die Nachweise für Ordulf auf zwei Komitatsorte, so dass aus dieser lückenhaften Überlieferung kaum gefolgert werden kann, dass Hermann auf jeden Fall von jeglicher Komitatsausübung ausgeschlossen gewesen sein muss.
199
So R. G. Hucke, S. 78. G. Althoff, Billunger, S. 317 f. 201 Dazu unten A.II.3. Die Erkenntnis, dass hinter jedem billungischen Herzog jeweils der jüngere Bruder – als comes tituliert – stand, hinter Bernhard I. Graf Liudger, hinter Bernhard II. Graf Thietmar, hinter Ordulf Graf Hermann, führt G. Althoff, Billunger, S. 318, zu der Annahme, „dass diese jüngeren Söhne deshalb mit einer eingeschränkten Herrschaftsstellung bedacht wurden, um in dem Fall einzuspringen, in dem dem älteren Bruder etwas zustoßen sollte“. Es sind jeweils Brüderpaare. Und wenn man die – wenngleich spärlichen – Zeugnisse denkbarer mehrheitlicher Berechtigungen an väterlichen Rechtspositionen hinzuzieht, so lassen sich auch dort vornehmlich Brüderpaare erkennen: Die filii Ekbrathi sind vermutlich zwei, Wichmann und Ekbert; bei den Stadern könnten Heinrich II. und sein Bruder Siegfried eine Erbengemeinschaft gebildet haben; und bei den Northeimern lässt sich in der Nachfolge Ottos I. nur für Heinrich den Fetten und Siegfried III. eine mehrheitliche Berechtigung wenigstens halbwegs wahrscheinlich machen. Hier deutet sich eine mit aller Zurückhaltung als Prinzip zu formulierende Beobachtung an, die sich über das gesamte Mittelalter – mit vielen Ausnahmen allerdings – machen lässt: Die Sukzession in comitatus, ducatus und andere Herrschaftspositionen wurde vielfach auf die Schultern zweier Söhne gelagert; offensichtlich aus dem von Althoff angeführten Motiv heraus: Sicherung der Sukzession für den Fall, dass der primär Berufene frühzeitig sterben sollte. Für diesen Fall sah man sich wohl nicht hinreichend durch die längst anerkannte Erbordnung, dass das Amtslehen auf den Bruder übergehen konnte, abgesichert. Der jüngere Bruder sollte schon von Anfang an mit in die politische Verantwortung eingebunden werden, um im Fall des Falles nicht unerfahren oder anderweitig versorgt, insgesamt also unvorbereitet die Geschäfte des Bruders übernehmen zu müssen. Vgl. auch K. J. Leyser, S. 100 f., zu dem funktional vergleichbaren Verfahren, Söhne schon zu Lebzeiten des Vaters mit honores auszustatten. 202 Vgl. Ann. Saxo, S. 692; Vita Meinwerci, cap. 197. 203 G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 20 f. 200
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Ist schon recht unklar, ob sich wenigstens der comes-Titel auf eine Mehrheit von Söhnen verteilte oder auch die Komitatsgewalt, so bleibt die Form mehrheitlicher Berechtigung erst recht im Dunkeln. Im Falle der Söhne Ekberts scheint eine ungeteilte Gemeinschaft am väterlichen comitatus bestanden zu haben. Folgt man Langes Belegen, dass auf Otto I. von Northeim wenigstens zwei seiner Söhne in seine Komitatsgewalt sukzedierten, so scheint eine räumliche Teilung, wenigstens in Form einer Nutzungs- bzw. Verwaltungsteilung, vorgenommen worden zu sein. Zu berücksichtigen ist in diesem Fall aber, dass für Heinrich den Fetten lediglich die Nachfolge in der Germarmark wahrscheinlich, für Siegfried III. im Ittergau oder sogar in der von Paderborn zu Lehen gehenden ehemaligen Grafschaft des Dodico von Warburg möglich ist. Bei beiden Erbportionen handelt es sich um abgrenzbare Komitatskomplexe, die trotz der personalen, gar patrimonialen Auffassung von comitatus den Zeitgenossen noch als Einheit erschienen sein dürften. Die Komitatsgewalt in der Germarmark hatte Otto I. erst 1075 erworben; Heinrich der Fette hatte sie sofort in seine Verwaltung genommen. Der Siegfried III. von Lange zugedachte Komitatsbereich war wenigstens dadurch abgrenzbar, dass er – anders als die übrigen Komitatsbereiche der Northeimer – nicht vom Reich, sondern vom Bischof zu Paderborn zu Lehen ging. Über die unmittelbare Nachfolge auf Otto I. im Kerngebiet seines comitatus wissen wir nichts. Auch bei den Billungern besteht die Möglichkeit, dass es schon im 10. Jahrhundert eine Teilung des comitatus gegeben hat. Neben der Linie Hermanns verfügte auch die Wichmannsche Linie über Komitatsrechte. Und die für Ekbert den Einäugigen nachweisbaren Komitatsrechte liegen auffallend dicht um die Oker und von dort zur Leine hin, ohne dass Komitatsrechte anderer Billunger dort zu belegen sind. Allein Allode des „exlex Thiemo“ aus der Hermannschen Linie lagen in der Nähe.204 Mit Lange205 ist von daher der Feststellung Huckes, „dass die einmal erworbene ,Herrschaft durch äußeren Eingriff oder interne Vereinbarung nie unter den Söhnen geteilt wurde“,206 entgegenzutreten; in dieser allgemeinen Form ist sie nicht aufrechtzuerhalten. Für sie, wie für ihr Gegenteil, fehlt es an hinreichenden Belegen. bb) Hintergründe – möglicher – Integrität des comitatus im Erbfall Hintergrund dafür, dass mehrheitliche Beteiligungen, Teilungstendenzen und erst recht weitreichende Komitatszerlegungen kaum hervortreten, ist auch ein recht banaler, ein biologischer wie auch sozialer: schmale Mannesstämme in den Grafengeschlechtern.207 Die Wahrung der Integrität eines comitatus, der ohnehin – zumindest bis ins 12. Jahrhundert hinein – nur als Komitat eines Grafen NN erfassbar ist, dürfte 204
Vgl. Karte im Anhang zu G. Pischke, ebd. K.-H. Lange, Herrschaftsbereiche, S. 117. 206 R. G. Hucke, S. 202. 207 Grafen und ihre Söhne starben im 10. und 11. Jahrhundert vornehmlich einen gewaltsamen Tod im Krieg und Fehde; dazu K. J. Leyser, S. 82 ff., 97 ff. 205
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nicht zuletzt auf die hohe Mortalität – kurze Lebensspanne, hohe Kindersterblichkeit – der männlichen Nachkommen des Grafen NN zurückzuführen sein. Dies lässt sich exemplarisch wiederum an dem Northeimer Grafengeschlecht darstellen: Der comitatus Ottos I., der möglicherweise unter seinen Söhnen aufgeteilt war, befand sich bei Siegfried IV. wieder in einer Hand vereinigt. So man denn Komitatsportionen – seien es Beteiligungen an einer Gesamthand, seien es Teilungsprodukte – in den Händen der Söhne Ottos I. annehmen darf, sind diese folgendermaßen vererbt worden:208 Otto III. folgte als einziger Sohn in die gräfliche Gewalt seines 1101 verstorbenen Vaters Heinrich. Sofern Kuno überhaupt am comitatus Ottos I. beteiligt war, wofür allerdings keine greifbaren Anhaltspunkte bestehen, dürfte diese Position nach seinem Tod 1103 auf Siegfried III. oder Otto III. übergegangen sein – einen Sohn hatte Kuno nicht. In die – anzunehmende – gräfliche Gewalt Siegfrieds III. folgte nach seinem Tod 1107 sein einziger Sohn Siegfried IV. Als Otto III. ohne Nachkommen zwischen 1115 und 1117 verstarb, gingen dessen hoheitlichen Gerechtsame auf Siegfried IV. über. Vor der Gefahr einer weiteren Aufteilung, wenigstens in Form der Ausweitung des Kreises der an ihm Berechtigten, standen also der comitatus Ottos I. oder – dessen Gestalt eine Generation später betrachtend – die Komitatspositionen seiner Söhne nicht. Zu dünn war der jeweilige Mannesstamm dieses Geschlechts in den einzelnen Linien. Die Söhne Ottos I. hatten entweder nur einen Sohn oder keinen. So wurde unter seinen Enkeln nicht nur die Integrität nicht weiter beschädigt, es kam vielmehr zu ihrer vollständigen Wiederherstellung in dem Umfang, wie sie zu Ottos I. Zeiten bestanden hatte. Die Biologie bewirkte hier gleichsam auf natürlichem Wege eine Einheitswahrung des northeimischen – besser: Ottos I. – comitatus. Mit den Enkeln – der letzte war Siegfried IV. – starb dann das Geschlecht der Northeimer aus. Das durchaus verallgemeinerungsfähige Bild der Sukzessionsabfolge im Geschlecht der Northeimer gibt der Möglichkeit, den Amtscharakter als vornehmsten Faktor der Integritätswahrung hochmittelalterlicher Komitate festzustellen, einen Dämpfer. Keine „Rechts“-Vorstellung oder im Bilde traditioneller Verfassungsgeschichtsschreibung gar „Rechtsreue“ drängt sich als vorrangiges Teilungshemmnis auf. Vielmehr eröffnet sich der Blick darauf, dass die Integrität zumeist nicht, wenigstens nicht dauerhaft, gefährdet war durch eine Mehrheit zur gleichzeitigen Nachfolge drängender Grafensöhne. Vielfach war der sukzedierende auch der einzige Sohn. Von den vier Generationswechseln, die etwa im Northeimer Geschlecht namhaft gemacht werden können – von Siegfried I. auf Benno, von diesem auf Otto I., von diesem auf Heinrich den Fetten und Siegfried III. (und Kuno) sowie von Heinrich auf Otto III. und zugleich von Siegfried III. auf Siegfried IV. – stand man wenigstens zweimal gar nicht vor der Möglichkeit, den comitatus zu teilen: Beim ersten Sukzessionsfall schied Siegfried II. als unwürdig aus; und Otto I. war einziger Sohn. Zwischenzeitliche horizontale Breite des northeimischen Mannesstammes fiel kaum eine Generation, nachdem sie ihren Anfang genommen hatte, wieder in sich zusammen. Dies lässt 208
K.-H. Lange, Stellung, S. 79 ff.
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sich aus vielen Stammbäumen sächsischer Adelsgeschlechter herauslesen. Und: um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert starben die großen sächsischen Grafengeschlechter alle im Mannesstamm aus: die Brunonen 1090, die Billunger und Katlenburger 1106, die Northeimer und Udonen 1144. Mag auch dieser plötzliche agnatische Geschlechtertod durch die Kämpfe in Sachsen seit 1073 befördert worden sein;209 gewaltsamer und früher Tod war auch vor wie nach den Kriegen gegen Kaiser Heinrich IV. ein häufiges Schicksal adeliger Männer. Als Beispiel: Heinrich der Fette wurde erschlagen, als er 1101 die ihm übertragenen Komitate in Friesland in Besitz nehmen wollte. Kuno von Beichlingen ist von zweien seiner Lehnsleute ermordet worden. So blieben adelige Stammbäume in agnatischer Linie dünn und vielfach gebrochen.210 Muss man auch deshalb nicht den Amtscharakter als Teilungshemmnis verabschieden, so dürfen diese biologischen Vorgegebenheiten sicherlich nicht zu gering veranschlagt werden. „Die Biologie gestaltet die deutsche Herrschaftswelt“ – wie Schubert211 es für das Spätmittelalter formuliert, hat gewiss auch für das Hochmittelalter seine Berechtigung. cc) Nachfolge bei Erlöschen des Geschlechts im Mannesstamm Was geschah mit dem comitatus eines im Mannesstamm erloschenen Grafengeschlechts? Damit ist die oben bereits angedeutete Frage aufgeworfen, ob in diesem Fall „üblicherweise die weibliche Erbfolge, auch bei Hoheitsrechten, Anwendung“ fand (Lange). Traten nun aber die überlebenden Ehefrauen, Töchter oder Schwestern des letzten männlichen Mitglieds des Grafengeschlechts in dessen Komitatsrechte ein – wurden diese Frauen Gräfinnen? Mit den spärlichen normativen Quellen zur lehnrechtlichen Sukzession aus dieser Zeit scheint das unvereinbar. Das Lehnsgesetz Konrads II. von 1037 etwa handelt durchweg nur von einer männlichen Nachfolge durch Sohn, Enkel oder Bruder. Auch das Lehnrecht späterer Zeit schließt regelmäßig Frauen von der Erbfolge in Lehen und Grafschaftsrechte aus.212 Und doch spielten die Töchter, Witwen und Schwestern des letzten Komitatsinhabers eine gewichtige Rolle für das weitere Schicksal dessen comitatus. Schon Schulze erkannte die regelmäßige Ausgestaltung dieser Rolle: Auch „die Töchter der Reichsfürsten (wurden) insoweit berücksichtigt, als der Kaiser dem Gemahl einer Tochter bei der Beleihung mit dem erledigten Fürstenthum vor andern Bewerbern den Vorzug gab“.213 Ebenso vermochten Witwen und Schwestern die Belehnung mit dem comitatus an ihre Ehemänner zu vermitteln.214
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Vgl. E. Schubert, Niedersachsen, S. 192. Dazu vor allem: K. J. Leyser, S. 82 ff., bes. S. 97 ff. 211 Fürstliche Herrschaft, S. 23. 212 Vgl. nur H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 35 ff.; W. Goez, Leihezwang, S. 29 ff. 213 Erb- und Familienrecht, S. 35. 214 Ebd.; W. Goez, Leihezwang, S. 31 ff. 210
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Als Erbinnen des Allodialkomplexes215 bestimmten die genannten Frauen gleichsam die Nachfolge in das Amtslehen vor. War die Verleihung an den Schwiegersohn, Schwager oder neuen Gatten der Witwe auch eine königliche Handlung ex nova gratia, erschien es – wie Goez zutreffend feststellt –216 machtpolitisch meist sehr vernünftig, Allodialbesitz und Amtslehen nicht auseinanderzureißen. Denn ein landfremder, allodial nicht begüterter Graf dürfte Schwierigkeiten gehabt haben, sich gegen die größten Grundbesitzer in seinem gräflichen Gebotsbereich durchzusetzen. Als Beispiel dieser hier zunächst typisierten Sukzessionspraxis ist für den sächsischen Raum der Lebensweg der Gertrud von Braunschweig gewählt.217 Diese Brunonin war in erster Ehe mit Graf Dietrich II. von Katlenburg, in zweiter Ehe mit dem Northeimer Heinrich dem Fetten und schließlich mit dem Wettiner Markgrafen Heinrich I. von Eilenburg verheiratet. Nach dem Tod Dietrichs II. von Katlenburg, 1085, verwaltete Gertrud zunächst dessen Nachlass, allodialen wie wohl auch gräflichen, für den einzigen, noch unmündigen Sohn aus dieser Ehe, Dietrich III., ohne dass dieser katlenburgische Herrschaftsbereich in demjenigen Heinrichs des Fetten, den Gertrud kurz nach 1085 geheiratet hatte, aufging. Der katlenburgische Nachlass ist demgemäß „nicht als northeimisch im engeren Sinne, sondern als spezifisch ,gertrudisch anzusprechen“.218 Noch vor dem Tod Heinrichs, 1101, ging dieser Nachlass auf Dietrich III. über. Als dieser nachkommenslos 1106 starb, fiel zumindest das katlenburgische Allod vollständig an Gertrud. So gelangte dieser Besitzkomplex nach ihrem Tod, 1117, über ihre Tochter aus der Ehe mit Heinrich, Richenza, an deren Gemahl Lothar von Süpplingenburg – möglicherweise in Teilen auch im Kaufwege über Richenzas Schwester Gertrud an Lothar.219 Katlenburgische Komitatsrechte sind weder für Gertrud – die Mutter – noch Lothar zu belegen. Erst 1158 hören wir wieder etwas von Grafschaftsrechten im Zentrum ehemals katlenburgischer Komitatsgewalt um Einbeck: Kaiser Friedrich Barbarossa verlieh Heinrich dem Löwen und dessen Gemahlin die Grafschaft im Lisgau und den Forst im Harz, nachdem der Löwe eine Urkunde vorgelegt hatte, gemäß derer schon Kaiser Konrad II. diese Lehen dem Grafen Udo von Katlenburg und seiner Gattin Beatrix gemeinsam verliehen hätte.220 Daraus lässt sich aber nicht zwingend schließen, dass die Komitatsgewalt in diesem ehemals katlenburgischen Gebotsbereich Heinrich dem Löwen erstmals verliehen wurde, allein präjudiziert durch seine cognatische Erbverbindung zu Udo von Katlenburg, dass also die katlenburgischen Komitatsrechte nicht mit dem Allod verbunden über Ger215
Dazu unten A.II.2.a). Leihezwang, S. 33. 217 Zu ihr und ihrer zeitgenössischen Wertschätzung: E. Schubert, Niedersachsen, S. 349 ff.; ferner: R. Hildebrand, S. 6 ff. 218 K.-H. Lange, S. 82 ff., 84 Anm. 23. 219 G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 71,73. 220 MGH DF I, 200; vgl. zur Sache: J. Ficker/P. Puntschart, II 3, S. 450 f.; H. Mitteis, Lehnrecht, S. 420; L. Hüttebräuker, S. 48; K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 110; S. Wilke, S. 98 f.; W. Goez, S. 98 Anm. 11, der die Vermutung äußert, die inserierte Urkunde Konrads II. könne sehr wohl eine Fälschung auf Anweisung des Löwen sein. 216
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trud und ihre Tochter Richenza an Lothar und weiter an die Welfen vererbt wurden. 1088 ist der letzte männliche Brunone, Ekbert II., der Bruder Gertruds, geächtet worden; seine Lehen und Eigengüter unterfielen der Verfügungsgewalt des Reichs. Spätestens nach dem Tod des Geächteten, 1090, kamen seine Eigengüter an Gertrud und nahmen von dort einen den katlenburgischen Alloden vergleichbaren Erbgang – über Richenza an Lothar von Süpplingenburg.221 Das Schicksal der brunonischen, ekbertinischen Komitatsrechte in Friesland bestätigt gewissermaßen Schulzes und Goez Vermittlungsmodell: Zwar hatte der Kaiser diese nach der Ächtung Ekberts dem Hochstift Utrecht übertragen,222 doch gelang es Heinrich dem Fetten, als Gemahl Gertruds den Kaiser dazu zu bewegen, ihm 1100 die friesischen Komitate zu übertragen.223 Der brunonische Komitatskomplex, den Kaiser Heinrich III. 1051 der Hildesheimer Kirche übertragen hatte, ist offenbar auf Gertrud persönlich übergegangen. 1112 urkundet Gertrud als Inhaberin von Grafschaftsrechten224 – „ein Unikum der mittelalterlichen Geschichte“.225 Als comitissa wird allerdings auch in einer Ausstattungsurkunde für das Kloster Kemnade von 1004 die Billungerin Imma bezeichnet.226 Und es ist anzunehmen, dass sich diese Benennung nicht in bloßer Titulatur eines weiblichen Mitglieds eines Grafengeschlechts erschöpft, sondern die Benannte als Inhaberin einer königlichen Gebotsgewalt ausweist.227 Doch sind die unmittelbare 221
K.-H. Lange, Stellung, S. 83 ff.; G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 65. K.-H. Lange, Stellung, S. 87 Anm. 37. 223 E. Schubert, Niedersachsen, S. 303; K.-H. Langes, Stellung, S. 87, Ansicht, Heinrich habe in diesem Fall keinerlei erblich begründete Ansprüche durch seine Gemahlin erheben können, weil – so ist Lange wohl zu verstehen – diese Komitatsrechte der Utrechter Kirche übertragen worden waren, geht gerade am Kern des Vermittlungsmodells: Der Gemahl der Allodialerbin hatte keinen Anspruch auf die Komitatsrechte eines Mitglieds des Geschlechts seiner Frau; vielmehr bot er sich lediglich als geeigneter Empfänger solcher Rechte dem Reich an. Dass der Kaiser den comitatus zwischenzeitlich der Utrechter Kirche unterstellt hatte, steht diesem Verständnis nicht entgegen. 224 UB Hochstift Halberstadt I, S. 136; vgl. auch Nachweise bei G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 65 f. Nach ders., Heinrich der Löwe, S. 99, bestreitet W. Heinemann, Das Bistum Hildesheim im Kräftespiel der Reichs- und Territorialpolitik vornehmlich des 12. Jahrhunderts, Quelle und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens S. 32, Hildesheim 1968, S. 65, abgesehen vom Derlingau, den Übergang der gräflichen Rechte an Gertrud. 225 R. Hildebrand, S. 19; inwieweit die dort geäußerte Annahme, Gertrud habe diesen Komitat für ihren Sohn aus der Ehe mit Heinrich dem Fetten, Otto III., als dessen Erbe gehütet, zutrifft, dürfte kaum zu klären sein. 226 MGH DH II, 87. 227 Vgl. E. Schubert, Niedersachsen, S. 153, der wohl auf DH II, 87 abzielt – er zitiert diese Urkunde allerdings nicht ausdrücklich. Seine Bewertung der comitissa-Bezeichnung als eines Indizes dafür, wieweit die rechtlich vom König abgeleitete gräfliche Gewalt „in einen bis zur Verfügungsgewalt reichenden Einfluss der großen Geschlechterverbände geraten“ war, die er damit begründet, dass ein solches Amt eine Frau „nur aufgrund ihrer Stellung in einem adeligen Geschlechterverband erlangen“ konnte, vermag allerdings nicht zu überzeugen – vorausgesetzt, er bezieht sich auf DH II, 87. Denn die von Schubert für Imma reklamierte Gebotsgewalt leitete sich aus ihrer Stellung zum Kloster Kemnade her. In dem angeführten Privileg ordnete Heinrich II. an, dass die potestas über die Abtei bei der Äbtissin Friderun und ihrer Schwester Imma comitisse verbleiben sollte: Ad hec statuimus, ut in prefatae abbatisse suaeque sororis comitisse 222
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weibliche Nachfolge in die ostsächsischen Komitatsrechte Ekberts und das billungische Beispiel rare Ausnahmen von dem Vermittlungsmodell, wie auch die Nachfolge in den Komitat Siegfrieds IV., des letzten Northeimers, zeigt:228 Richenza, die Witwe Siegfrieds, konnte sich gegenüber Guda, der Tochter aus ihrer Ehe mit Siegfried, und dessen Schwester Richeza, die grundsätzlich auch Erbansprüche anmelden konnten, den größten Teil von Siegfrieds Nachlass vorbehalten. Zur Sicherung ihrer Erbposition bedurfte sie allerdings des Schutzes eines mächtigen Herren; sie heiratete Graf Heinrich von Winzenburg. Den weitaus größten Teil des Nachlasses Siegfrieds vermochte jedoch Heinrichs Bruder Hermann II. von Winzenburg mit Zustimmung Richenzas käuflich zu erwerben. So verwundert es denn auch nicht, dass die Winzenburger Brüder gemeinsam mit den Lehen von Mainz und Hildesheim und – wie es Lange glaubhaft macht –229 durch Konrad III. mit den vom Reich zu Lehen gehenden gräflichen und vogteilichen Gerechtsamen Siegfrieds investiert worden sind. Im Großen und Ganzen bestätigen also die angeführten Beispiele das von Schulze und Goez entworfene Modell der gleichsam präjudiziellen Wirkung der weiblichen Allodialnachfolge für die Nachfolge in die Amtslehen. Keine Regel ohne Ausnahme: Als mit Magnus 1106 die Billunger im Mannesstamm erloschen, erhielt keiner seiner beiden Schwiegersöhne, Graf Otto von Ballenstedt und Herzog Heinrich der Schwarze von Bayern, sondern Lothar von Süpplingenburg den ducatus.230 Die billungischen Allode erwarb Lothar nicht. Sie wurden über die Töchter Magnus in den askanischen und welfischen Erbgang getragen. Der Annalista Saxo bemerkt nur, Lothar habe den ducatus erhalten. In diesen wohl inbegriffen,231 gelangten aber auch die billungischen Komitats- und Vogteirechte in die Hand des Süpplingenburgers.232 Die Nachfolge in diese Rechte wurde also nicht über den Erbgang des Allods an die Schwiegersöhne Magnus vermittelt. Hier entfaltete offensichtlich der Dukat die stärkere Gravitation als das Allodium. Dieser auch von Goez angeführte Ausnahmefall, in dem lehnsfähige Schwiegersöhne bei der Neuausgabe des Amtslehens übergangen wurden, bestätigt dessen Wertung, „dass es sich bei der Nachfolge des Schwiegersohnes nur um einen königlichen Gnadenakt handelt und nicht um einen lehnrechtlichen Erbanspruch, wenn auch dieser Hulderweis beim Fehlen männlicher Nachkommenschaft im Hochmittelalter häufig vorkam“.233 Und diese gratia erschien dem jungen Kaiser potestate predictum monasterium et abbacia nostro persistat concessu diebus vite eorum, post obitum vero utrarumque earum ad nostrum publicum eadem abba(ci)a ius perpetuum pertineat. 228 Dazu K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 125 ff. 229 Ebd., S. 127. 230 Ann. Saxo, S. 744: Magnus … obiit, … genuitque … duas filias Wilfhildem et Eilicam. Eilica nupsit Ottoni comiti de Ballenstide, … Wilfhildis nupsit Heinrico duci …; Ann. Saxo, S. 745: Ducatum Saxonie post Magnum ducem suscepit Lotharius … de Suplingeburch. 231 Dazu unten A.II.3.b) bei Anm. 557. 232 So etwa O. Merker, S. 34; kritisch: G. Althoff, Billunger, S. 329 Anm. 105; G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 74 f., kann aber einige Komitats- und Vogteirechte Lothars nachweisen, die auf die Billunger zurückzuführen sind; so auch dies., Heinrich der Löwe, S. 90. 233 Leihezwang, S. 33.
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1106 politisch nicht opportun.234 Musste er auch bedacht sein, dass der von ihm Investierte Anerkennung bei den Großen im Lande fand, war eine Trennung der riesigen Allodialmasse Magnus von ducatus und comitatus zur Verhinderung zu großer Machtballung in Sachsen – beziehungsweise in der Hand Heinrichs des Schwarzen, der schon Herzog in Bayern war – aus Reichssicht sinnvoll. Als Fazit können wir hier festhalten: Der comitatus war bis ins 12. Jahrhundert hinein ein vom Allod eindeutig scheidbarer Nachlassbestandteil im Patrimonium eines Grafen. Unverschmolzen waren sie verschiedenen Nachfolgebehandlungen zugänglich. Unverbunden standen sie jedoch nicht nebeneinander. Solange eine Grafenfamilie im Mannesstamm fortlebte, verblieben diesem die Komitats- und Vogteirechte ebenso wie er die vorrangige Erbenstellung am Allod bekleidete. Allerdings kann von einem Gleichlauf von comitatus und Allod nur sehr bedingt die Rede sein. Zum einen waren am nachgelassenen comitatus – zurückhaltend ausgedrückt – weniger männliche Nachkommen berechtigt als am Allod. Zum anderen war der Kreis der an den Eigengütern Beteiligten um die Töchter des Erblassers – allerwenigstens in Form eines Mitgiftanspruchs – erweitert. Andererseits lässt sich auch über das Aussterben des gräflichen Mannesstammes hinaus eine gewisse Spur eines Gleichlaufs von Allod und comitatus erkennen: Wenigstens eine von vielfach mehreren Allodialerbinnen des Grafengeschlechts vermochte üblicherweise das erledigte Amtslehen ihrem Ehemann zu vermitteln. Aber schon dieser Regelfall – Heimfall des Lehens und anschließende Neuausgabe unter Auswahl zwischen eventuell mehreren angeheirateten Nachfolgeprätendenten – verdeutlicht, dass das Königtum zumindest im Falle des Erlöschens eines Grafengeschlechts in männlicher Linie seine Verfügungsgewalt über Amtslehen wahren konnte. Umso mehr wird dies durch den Ausnahmefall von 1106 bestätigt. dd) Verfügungen über Komitatsrechte unter Lebenden Neben der Sukzession durch eine Personenmehrheit in gräfliche und vogteiliche Gerechtsame und entsprechende Teilungstendenzen stellt die Alienation solcher Rechtspositionen einen weiteren Indikator des Allodialisierungsprozesses, der Assimilierung dieser Rechte durch das Allodialrecht dar. Wer zu diesem Phänomen die normativen Quellen wie auch diejenigen der Rechtspraxis befragt, stößt bis ins 12. Jahrhundert hinein auf breites Schweigen. Das Lehnsgesetz Konrads II. von 1037 verbot lediglich dem Lehnsherrn, nicht dem Vasallen, ohne dessen Zustimmung einen Tausch, eine Landleihe oder einen Pachtvertrag abzuschließen. Erst die Reichsgesetzgebung seit 1136235, besonders die ronkalische von 1154236 und 1158237 schritt 234
Vgl. E. Schubert, Niedersachsen, S. 346 ff., 351. Lehnsgesetz Lothars III., MGH Const. I, 120 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 52). 236 Lehnsgesetz Friedrichs I., MGH Const. I, 148. 237 Ronkalischer Landfrieden, MGH Const. I, 176 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 65), und ronkalisches Lehnsgesetz Friedrichs I., MGH Const. I, 177 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 66). 235
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gegen die Veräußerung von beneficia sowie districtum et iurisdictionem imperatoris durch den Vasallen ein.238 In der Rechtspraxis können wir schon lange vor dem 12. Jahrhundert eine Fülle von Vergabungen, Alienationen, von Eigengütern feststellen. Allerdings sind diese kaum als Kommerzialisierung zu begreifen. Es handelte sich dabei vor allem – zumindest für das Geschlecht der Stader sogar durchweg – um Schenkungen an die Kirche; Traditionen von und an weltliche Herren sind kaum beziehungsweise nicht überliefert.239 An diesen vergabten Allodialgütern hingen sicherlich auch Gerechtsame, die man heute als hoheitlich ansprechen müsste: die Niedergerichtsbarkeit oder bei Übertragungen von Eigenklöstern die Vogtei.240 Zeugnisse aber darüber, dass eines der sächsischen Adelsgeschlechter der Billunger, Brunonen, Katlenburger, Stader, Süpplingenburger oder Northeimer gräfliche Gerechtsame verkauft, vertauscht, verpfändet oder sonst wie veräußert oder von einem anderen als dem König erworben hatte, sind nicht ersichtlich. ee) Fazit Das herkömmliche Bild, der Amtscharakter der gräflichen (und herzoglichen) Würde habe bis ins Spätmittelalter die Teilung dieser Lehen, der zugehörigen Territorien verhindert, bis sie sich dann zum Patrimonium wandelten, erfährt durch die Befunde zur Sukzession in den sächsischen Grafengeschlechtern des 10. bis 12. Jahrhunderts, vornehmlich den Northeimern, einerseits eine Bestätigung, andererseits aber auch deutliche Kratzer. Auf der einen Seite bleiben die Komitatsrechte vom Allod des Grafen inhaltlich, vor allem auch in Alienation und Sukzession, nicht nur retrospektiv scheidbar, sondern auch tatsächlich geschieden. Insofern kann noch nicht von einer Allodialisierung der Grafschaft im Sinne eines Verschmelzungsprozesses gesprochen werden. Auch ist der königlichen Einfluss auf die Nachfolge in Grafenrechte noch sichtbar. Allerdings scheint sich seine Ausübung auf Ausnahmefälle beschränkt zu haben. Hier ist der Fall des Northeimers Siegfried II. zu nennen, der durch eine Mordtat aus der Sukzession in die Grafenwürde ausschied. Schließlich blieb im Hochmittelalter die Individualsukzession in den comitatus das Übliche. Dafür stehen die schon mehrfach angeführten Urkunden zur Übertragung vormals adeliger Komitate auf Bischöfe, in denen regelmäßig nur Einzelne als letzte Inhaber benannt werden. Diese Benannten könnten indes eventuell im Einzelfall lediglich den senior de cognatione gleichsam als Gewährsmann des Reichs für den comitatus der cognatio bezeichnen. 238
Im Einzelnen dazu unten B.IV.1.b). R. G. Hucke, S. 7. Ob dieses Bild wenigstens auch auf Überlieferungslücken – welcher weltliche Adelige hatte schon eine Kanzlei in dieser Zeit? – zurückzuführen ist, kann freilich nicht aufgehellt werden. Zur Beweglichkeit des Grundbesitzes schon im Frühmittelalter: W. Schlesinger, Herrschaft, S. 41 f. 240 1124 schenkte Richardis, die Witwe des Stader Markgrafen Rudolf I. dem Mainzer Erzstift monasterium in Gerodia situm cum tota villa et foro populari inibi constituti (Mainz. UB I, 527; zitiert nach R. G. Hucke, S. 190 Anm. 1206). 239
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Auf der anderen Seite lässt sich jedenfalls in Sachsen nur schwer ein mit der gräflichen Würde verbundenes Territorium – als Teilungsgegenstand – ausmachen. Fassbare Amtslehen oder Reichsgut taugen hier nicht, eine Fläche abzustecken. Was die Fläche des comitatus bestimmt, ist nicht einfach zu sagen. Einerseits mögen die Streuungen der Komitatsrechte einen rein gräflichen Bezirk umreißen. Andererseits decken sich diese Flächen vielfach mit denjenigen durch die Allodialgütermassen der gräflichen Familien abgegrenzten. Jedenfalls sind Umfang, Gestalt und Fläche des comitatus keine königliche Vorgegebenheit. Der gräfliche Gebotsbereich war vornehmlich personal, ja patrimonial bestimmt. Das steht allerdings seinem Amtscharakter nicht zwingend entgegen. Personal oder patrimonial bedingte Veränderungen der äußeren Form der Grafschaft zerschneiden nicht das Mandatsverhältnis zum König. Vor allem aber lassen sich der üblichen Singularsukzession synchrone Beteiligungen mehrerer Söhne allermindestens am comes-Titel, wohl aber auch an den Komitatsrechten aus der Praxis der Northeimer, der Billunger und der Stader bereits im 11. und beginnenden 12. Jahrhundert gegenüberstellen.241 Daraus mussten sich Teilungstendenzen ergeben, die sich möglicherweise auch realisiert haben.242 Als Widerlager einer Zerlegung verdichteter und kumulierter gräflicher Komplexe mag der Amtscharakter anzusprechen sein. Sehr deutlich drängt sich hier aber auch als Erklärung die fehlende Gefahr aus breiten Generationen im Mannesstamm des Grafengeschlechts auf. Vielleicht erklärt sich aus dieser geringen Gefahrenlage auch das breite Schweigen des Königtums zur Unteilbarkeit der großen Amtslehen bis zu den so genannten Lehnsgesetzen aus dem 12. Jahrhundert. Bei dem nun im 12. Jahrhundert verstärkt einsetzenden Allodialisierungsprozess, der nicht von ungefähr auch als Auflösung der Grafschaft in ihrer überkommenen Gestalt verstanden wird, darf gleichwohl der Blick nicht allein auf die – gemeinhin als Verfall verstandenen – Veränderungen des Amtslehens gerichtet werden. Nur angedeutet sei hier, dass der Allodialisierung des Lehens wenigstens synchron vielfach eine Feudalisierung des Allods einherging, die Ausdehnung des Lehnsnexus auf die autogenen Herrschaftspositionen des Adels. Dies wird unter der Chiffre „Veränderungen der Signatur hochadeliger Herrschaft seit dem 12. Jahrhundert“ zu behandeln sein.243 Überdies ist zu bedenken, dass Assimilierung immer auch ein wechselseitiger Prozess ist. So wie das Allodialrecht die integritätsfeindlichen Momente der Teilbarkeit und Alienabilität in das Amtslehen hineinzutragen und damit die Auffassung dessen Verfalls zu begründen vermochte, trug es zugleich und untrennbar davon auch die allodialen Bindungselemente in das Lehnrecht. Zu den vertikalen Bindungen (Verbot von Teilungen und Alienationen, ggf. unter Dispensvorbehalt des Lehns241 Die Feststellung E. Schuberts, Niedersachsen, S. 371, deutlicher S. 535, dass der Grafentitel vor dem 12. Jahrhundert allein von dem Geschlechtsältesten geführt worden sei, trifft in dieser allgemeinen Formulierung jedenfalls nicht zu. 242 Diese Möglichkeit näher zu untersuchen, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. 243 Unten A.III.
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herrn) traten die gleichsam horizontalen des Allodialrechts, der Familie hinzu. Solange Amts- und Lehnrecht auf Individualsukzession gerichtet waren und besonders, solange die Sukzession des Sohnes gar als Neuausgabe eines heimgefallenen Lehens betrachtet wurde, spielten Familienbindungen kaum eine Rolle. In dem Maße aber, in dem sich der Kreis der am Lehen Folgeberechtigten ausweitete und die Kommerzialisierung von lehnbaren Rechtspositionen fortschritt, mussten die Bindungen des Lehens gegenüber den Mit- und Folgeberechtigten stärker in den Mittelpunkt rücken. Das Lehnrecht der Libri Feudorum und des Sachsenspiegels kennen dann diese Bindungsinstitute.244 Es ist mehr als nur wahrscheinlich, dass diese dem älteren Lehnrecht fremden horizontalen Bindungen dem allodialen Bereich entstammten245 – waren sie doch bis zur Allodialisierung schlicht überflüssig. Ließ sich ein wechselseitiger Zusammenhang von Amt und Grafengeschlecht, seinem Patrimonium, schon für die äußere Gestalt des comitatus feststellen, so richtet sich nun der Blick auf die – gleichsam inneren – Bindungen der Familie246 : Die hochadelige Familie als formgebender und nicht nur integritätsfeindlicher, sondern auch integritätsstiftender Faktor. Anhand der Sukzession in hochadelige Allodialkomplexe werden im Folgenden die Familienbindungen im Einzelnen untersucht – ausgehend von einer Zeit, in der Allod und Amtslehen eben noch weitgehend unverschmolzen waren. Auf diese Weise dürften sich die ehedem rein allodialen Bindungsinstitute deutlicher herausschälen lassen. 2. Sukzession und Verfügungsbefugnis in den Allodialkomplexen sächsischer Grafengeschlechter a) Die Erbfolge nach Allodialrecht Es ist schon mehrfach angedeutet worden, dass am Allodialnachlass vor allem die Söhne des Erblassers berechtigt waren. Sie erbten gleichmäßig; weder die Quellen sächsischen Landrechts247 noch die Zusammenstellung der Besitztitel der großen sächsischen Adelsgeschlechter lassen einen Vorzug etwa des Ältesten erkennen. Ursprünglich gehörten die Enkel nicht zum Kreis der Erben; der Sohn eines vorverstorbenen Sohnes wurde von den Brüdern des Vaters verdrängt. Erst in fränkischer Zeit wurde Repräsentations- oder Eintrittsrecht der Enkel formuliert. In Sachsen aller-
244
Dazu unten B.IV.1.b). So auch schon L. Zimmerle, Einl. S. XXI. 246 Dies ist der Kern der oben genannten These R. G. Huckes von der sippenrechtlichen Konsistenz des comitatus. 247 Vgl. nur Sachsenspiegel Landrecht (Ssp. Ldr.) I 5 § 1; H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 42 f.; H. Dannenbauer, S. 107 f. Inwieweit diese Nachfolge von Todes wegen begrifflich als Erbgang oder aufgrund einer gesamthänderischen Bindung des Allods noch als Anwachsung zu bezeichnen ist, sei hier dahingestellt (vgl. W. Ogris, Art. „Hausgut“, HRG 1, Sp. 2028 ff., bes. 2029). 245
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dings wurden erst 938 die Söhne verstorbener Söhne mit den überlebenden Söhnen gleichgestellt.248 Die Stellung der Frauen als Erbinnen ist hingegen nicht so einfach zu beschreiben. Allgemein wird davon ausgegangen, dass in germanischer Zeit die Töchter von der Gesamthand, der die Liegenschaften des verstorbenen Hausgenossen anwuchsen, ausgeschlossen waren.249 Und auch die unmittelbaren Rechtsquellen aus Früh- und spätem Hochmittelalter räumten Töchtern nur eine gegenüber den Söhnen subsidiäre Erbenstellung ein: Sowohl die Lex Saxonum als auch der Sachsenspiegel sahen vor, dass das väterliche wie mütterliche Erbe an den Sohn beziehungsweise die Söhne fiel, und nur wenn diese nicht vorhanden waren, erbten die Töchter.250 Die Töchter wurden gar von den Sohnessöhnen verdrängt.251 Etwas besser war ihre Stellung – jedenfalls nach dem Sachsenspiegel – dann, wenn ihr einziger Bruder geistlichen Standes war. In diesem Fall teilten sich der – geistliche – Bruder und die Schwester Erbe und Aussteuer.252 Eine stärkere Erbenstellung hatten die Töchter aber gegenüber dem Bruder des Erblassers.253 Überhaupt verdrängte die auf- und absteigende Linie unabhängig vom Geschlecht die Seitenlinie: Väter, und wenn diese nicht mehr lebten, Mütter nahmen das Erbe eines kinderlos verstorbenen Sohnes mit besserem Recht als dessen Bruder.254 Dieses Bild weiblicher Erbfolge in den normativen Quellen bestätigt sich nicht ausnahmslos in der Praxis. Der Vorrang rein weiblicher Deszendenz vor den männlichen – freilich auch weiblichen – Kollateralen wurde etwa im Northeimer Adelsgeschlecht durchweg beachtet. Als beispielsweise Kuno von Beichlingen starb, gelangte sein Allodialbesitz nicht an seinen ihn überlebenden Bruder Siegfried III. oder dessen Sohn Siegfried IV., sondern an seine Gemahlin und seine vier Töchter255 – worüber die umfangreiche Ausstattung seiner Tochter Adela zugunsten des Klosters Kat248 Für die vorfränkische Zeit führt man den Ausschluss der Enkel vom Erbe darauf zurück, dass das Gut innerhalb der Hausgemeinschaft vererbt wurde und die Enkel zu dieser Gemeinschaft nicht gehörten; H. Conrad, Bd. 1, S. 160. Der Franke Childebert II. verfügte im Jahre 596 für den austrasischen Teil das Eintrittsrecht der Enkel (MGH Capit. I. 15 no 7 c. 1). Widukind von Korvey berichtet in seiner Sachsengeschichte (II. 10), dass auf einer Stammesversammlung unter Otto dem Großen 936 durch ein im Wege des Zweikampfes gefundenes Gottesurteil die Entscheidung zu Gunsten der Repräsentation der Enkel fiel. Im Sachsenspiegel heißt es dann zum Eintrittsrecht: Nimt der son wip bi des vater libe, de im ebenbortig iz, unde gewinnet her son bi i runde stirbit her dar nach er sime vater unbeteilet von deme erbe, sine sone nehmen teil an ires eldirvaters erbe geliche iren vetteren (=Onkel) an des vaters stat, abir alle nehmen si enes mannes teil (Ssp. Ldr. I 5 § 1). 249 H. Conrad, Bd. 1, S. 41. 250 Lex Saxonum cap. XLI, XLIV; Ssp. Ldr. I 17 § 1. 251 Lex Saxonum cap. VII. 8; Ssp. Ldr. I 5 § 1. 252 Ssp. Ldr. I 5 § 3. 253 So Lex saxonum cap. XLI, XLIV und Ssp. Ldr. I 17 § 1 zu entnehmen. 254 Ssp. Ldr. I 17 § 1; solange Deszendenz vorhanden war, verdrängte diese Aszendenz und Kollaterale – unabhängig vom Geschlecht (ebd.). 255 K.-H. Lange, Stellung, S. 96.
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lenburg256 beredtes Zeugnis ablegt. Hingegen vermochte der 1017 verstorbene Wettiner Graf Friedrich nicht, wunschgemäß seinen gesamten Nachlass seinen drei Töchtern zu hinterlassen, sondern er sah sich gezwungen, seinen Neffen daran zu beteiligen, weil – wie Thietmar von Merseburg bemerkt – „er doch sein Erbe war und weil es auf andere Weise rechtlich nicht möglich gewesen wäre“.257 Hinsichtlich des in Lex Saxonum und Sachsenspiegel formulierten Primats der Söhne vor den Töchtern ist zu berücksichtigen, dass diese bei ihrer Heirat mit Liegenschaften ausgestattet wurden, was – gerade in Anbetracht des teilweise nicht unerheblichen Umfangs dieser Mitgift –258 eine Abgrenzung zur hereditas nicht einfach macht.259 Dabei erscheint es als möglich, dass die hereditas sowohl das Erbe als auch die Mitgift zu bezeichnen vermochte. Bei den Billungern hat es gar den Anschein, als seien die Töchter neben den Söhnen zur Erbfolge berufen gewesen. Nach einer Auffassung zur billungischen Genealogie wäre hier der Fall der Schwestern Imma und Frederuna (Friderun) anzuführen, die 1004 das Kloster Kemnade mit einer Fülle von Gütern ausstatteten.260 Als Mitgift kann diese Gütermasse nicht angesprochen werden, da beide Frauen unverheiratet blieben; sie waren Gründerinnen und Herrinnen des genannten Klosters. Freytag und Pischke sehen in den Schwestern Töchter des 944 gestorbenen älteren Wichmanns.261 So genealogisch zugeordnet, hätten Imma und Frederuna aber mit Wichmann dem Jüngeren, Ekbert dem Einäugigen und Bruno, dem Bischof von Verden, drei Brüder gehabt. Diese waren zwar alle zum Zeitpunkt der Klosterausstattung schon verstorben, aber wenigstens Ekberts Sohn, ebenfalls Wichmann geheißen, lebte 1004 noch. Danach müsste der große Güterbesitz der Schwestern auf eine – den Brüdern gleichberechtigte – Stellung als Erbinnen am Nachlass Wichmanns des Älteren zurückgeführt werden. Nach einer anderen Ordnung der billungischen Genealogie gelten Imma und Frederuna aber als Töchter des jüngeren Wichmanns.262 Danach wären sie dessen einzige Nachkommen und infolgedessen auch seine Erbinnen, so dass an dem Primat der Sohnesfolge kein Zweifel aufkäme. Mag dieser Fall auch im Unentschiedenen verharren, so kann die Gütervergabe Godestis, der Tochter Herzog Bernhards I. (†1011), an das Kloster Sancta Maria ad crucem iuxta Herfordiam die Annahme stützen, dass im Geschlecht der Billunger 256
Vgl. dazu G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 45 ff. VII, S. 35; Übersetzung nach K. J. Leyser, S. 100; allerdings ist diese vielfach interpretierte Aussage Thietmars in Anbetracht dessen, dass Friedrich seinem Neffen gerade seinen Hauptsitz, die Eilenburg, übertrug, auch einem anderen Verständnis durchaus zugänglich; vgl. H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 48, der hier einen Vergleich mit den Agnaten, die von dem Kaiser mit dem Grafenamt beliehen wurden, zu Gunsten der Töchter sieht, um diesen den väterlichen Grundbesitz zu erhalten. 258 Die Mitgift ist von der Aussteuer deutlich zu unterscheiden; Letztere besteht regelmäßig nur in Mobilien, vgl. etwa Ssp. Ldr. I 24 § 3. 259 Vgl. K. Schmid, Problematik, S. 29. 260 MGH DH II, 87. 261 H.-J. Freytag, S. 48; G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 2 und nach S. 26. 262 K. J. Leyser, S. 94. 257
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Töchter neben den Söhnen erbten. Die Ausstattungsmasse wird denn auch allgemein als Erbe Godestis angesehen.263 Mitgift konnte sie auch nicht sein – Godesti war Äbtissin des Klosters Herford. Zum Zeitpunkt der Vergabe, 1011, einen Monat nach dem Tod des Vaters, Bernhards I., lebten aber auch ihr Bruder Bernhard II. sowie ihr (Stief-)Bruder Thietmar. Godesti hat also offensichtlich in größerem Umfang neben ihren Brüdern Allodialbesitz vom Vater geerbt. Töchter waren demnach in der Praxis auch neben den Söhnen – in welcher Form auch immer – am väterlichen Patrimonium beteiligt.
b) Die Erbengemeinschaft Zu einer ersten Aufspaltung des elterlichen Allodialbestandes konnte es schon vor dem Erbfall kommen: Bei der Heirat der Töchter und aufgrund der vielfach zu beobachtenden Gepflogenheit, auch Söhne schon zu Lebzeiten der Eltern mit einer hereditas auszustatten.264 Im Erbfall kam es zunächst zu einem Anfall des Nachlasses an die gesamthänderisch verbundene Erbengemeinschaft, die Ganerben.265 Die Erbengemeinschaft war aber grundsätzlich auf baldige Teilung angelegt. Dafür, dass alsbald geteilt wurde, sprechen schon die vielen chronikalischen Nachrichten über Sukzessionen in hochadelige Verlassenschaften; immer wieder stellen die Chronisten der Individualsukzession in das Amtslehen die Teilung der hereditas beziehungsweise des patrimoniums gegenüber.266 Auch die Erbengemeinschaft des Sachsenspiegels trug das Ziel der Teilung ganz selbstverständlich in sich.267 In welcher Form geteilt wurde, lässt sich diesen Nachrichten allerdings nicht entnehmen. Als Beispiel für Zersplitterung und Wiedervereinigung eines Allodialnachlasses in den Generationswechseln eines Geschlechtes sollen wiederum die Northeimer herangezogen werden. Bis zu Otto I. ist über das Schicksal northeimischen Allods kaum etwas auszusagen – zu unverzweigt ist der überlieferte Stammbaum der Zeit vor ihm.268 An Ottos Allodialnachlass waren seine drei Söhne und in Form der Ausstattung auch die Töchter269 beteiligt.270 Dieses kaum mehr namhaft zu machende Aus263
G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 8; K. J. Leyser, S. 112 Anm. 24. Diese Ausstattungen dürften aber nach dem Erbfall in der Auseinandersetzung Anrechnung gefunden haben, vgl. Ssp. Ldr. I 13. 265 Vgl. K. J. Leyser, S. 115, mit einem Beispiel aus dem 10. Jahrhundert; H. Conrad, Bd. 1, S. 415 f. 266 Helmold, cap. 22, zur Nachfolge des Billungers Bernhard II.: Cujus hereditatem Ordulfus et Hermannus filii ejus inter se partiti sunt et quidem Ordulfus ducatum suscepit gubernandum. Weitere Beispiele bei H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 43 f. Auch die schon mehrfach angeführte Nachricht des Continuator Reginonis zu 949 weist deutlich auf die Üblichkeit der Allodialteilungen hin. 267 Siehe nur Ssp. Ldr. I 5; III 29. 268 Stammtafel bei K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, im Anhang. 269 Drei Töchter sind namhaft zu machen. 270 K.-H. Lange, Stellung, S. 81 f. 264
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stattungsgut ging dem Geschlecht der Northeimer dauerhaft verloren; es wurde fortan in den durch die Heirat der Töchter begründeten, anderen Geschlechtern zuzuordnenden Linien vererbt. Der an Heinrich den Fetten gefallene Anteil an Ottos Allodium vererbte sich auf seine Gemahlin Gertrud und die drei Kinder, Otto III., Richenza und Gertrud. Als Gertrud, die Gattin, starb, fielen an die beiden Töchter – Otto III. war vor der Mutter kinderlos verstorben – der väterlich-northeimische wie auch der mütterliche Allodialbesitz aus katlenburgischem – Gertruds Sohn aus erster Ehe mit Dietrich II. von Katlenburg war ebenfalls vor ihr verstorben – und brunonischem Erbe. Auch diese Eigenbesitzungen waren den Northeimern mit der Geburt von Nachkommen durch Richenza und Gertrud, der Tochter, verloren. Den Anteil Ottos dritten Sohnes, Kuno von Beichlingen, erbten bei seinem Tod seine Frau und seine vier Töchter. Auch dieser Komplex gelangte nicht wieder in die Hände eines männlichen Northeimers; er wurde in neuen Linien vererbt oder – im Falle Kunos Tochter Adela – einem Kloster geschenkt. In Siegfrieds IV. Besitz fiel allein das Allod seines Vaters Siegfried III., des zweiten Sohnes Ottos I. Während Siegfried IV. als letzter Northeimer die Komitatsrechte seines Großvaters Otto I. weitgehend ungeschmälert auf sich vereinigen konnte, war sein Allodialerbe nurmehr ein stark verminderter Ausschnitt der großväterlichen Besitzungen. Erst dem Welfen Heinrich dem Löwen, der nach 1152 alle northeimischen Komitatsrechte innehatte, war es vergönnt, zumindest die Besitzanteile aus Heinrichs des Fetten Linie über dessen Schwiegersohn Lothar von Süpplingenburg und aus Siegfrieds III. Linie durch den Erwerb der Winzenburger Grafschaft 1152 in seiner Hand zu vereinigen.271 Der voranstehende Überblick über das Schicksal des northeimischen Allodialkomplexes lässt so nur eine von Erbfall zu Erbfall fortschreitende Zersplitterung erkennen. Er ist aber insofern unvollständig, als er Formen der Erbauseinandersetzung vernachlässigt. Dazu ist die bei vielen Geschlechtern zu beobachtende Gepflogenheit zu berücksichtigen, die einzelnen Besitztitel in sich aufzuteilen und weniger den Gesamtbesitz in Komplexe zu trennen.272 Diese Form der Beteiligung Mehrerer ist auch für die Northeimer bei bestimmten Objekten überliefert: Bei der villa Northeim, wie auch der dortigen curtis, der villa Dinkelburg und dem Lüer Wald.273 Aber eben nur für bestimmte Objekte. Nicht allein im Umkehrschluss wird man folgern dürfen, dass der übrige Besitz eher in Komplexe geteilt worden ist. Dafür spricht auch die Fülle von Allodia, mit denen Adela 1104/5 das Kloster Katlenburg ausstattete; diese vornehmlich im nordsächsischen Raum gelegenen Güter wiesen keine Berechtigungen anderer Northeimer auf. Man kann für die Sukzession im Geschlecht der Northeimer also eine Mischform aus Teilung und punktueller Integrität feststellen, die die Frage aufwirft, warum überhaupt und warum gerade an diesen drei Objekten eine Besitzquotelung stattfand. Für die villa Dinkelburg ist ein Motiv kaum zu erklären. Die Gemeinschaft am Lüer Wald – er entspricht weitgehend dem heutigen Arnsberger Wald – 271 272 273
Ders., Herrschaftsbereich, S. 131. Vgl. K. Schmid, Problematik, S. 29, 38. K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 68 f., 83, 87 f.; ders., Stellung, S. 88 f.
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dürfte insofern, als auch die Stader und Werler an diesem mitberechtigt waren, auf einen weiter zurückliegenden Erbfall in einem diesen drei Geschlechtern vorangegangenen Verband zurückzuführen sein; und hinsichtlich der northeimischen Gemeinschaft wohl auf die entfernte, vereinzelte Lage dieser Besitzung – außerhalb der Allodialkonzentrationen der Northeimer. Der Grund dafür, dass die 1117 zum ersten Mal genannte villa Northeim unter den Söhnen Ottos I. geviertelt274 und nicht einem von ihnen allein zugewiesen wurde, dürfte mit den Stichworten „Geschlechterbewusstsein“ – beziehungsweise Begründung einer eigenen Tradition – und „Zentralörtlichkeit“ zu kennzeichnen sein. Zwar wies Northeim nicht wie die Herrschaftsmittelpunkte der Brunonen, Billunger und Stader das im Verlauf des 11. Jahrhunderts sich abzeichnende „zentralörtliche“ Merkmal einer Burg auf.275 Northeim war aber der Stammsitz,276 nach dem die Northeimer Grafen in den Annalen seit dem 12. Jahrhundert benannt werden.277 An diesem Ort gründeten die Northeimer Ende des 11. Jahrhunderts ein zwischen 1103 und 1117 zum Kloster umgewandeltes Stift278 – der signifikanteste Ausdruck der Herausbildung „eigener Traditionen“ in einem Geschlecht: Mit einer Klostergründung gab sich das „Geschlecht einen Mittelpunkt nicht nur der kirchlichen Memoria, sondern auch im Sinne weltlicher Repräsentation im kirchlichen Gewand“.279 Und in den um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert bei vielen großen sächsischen Adelsgeschlechtern zu beobachtenden Klostergründungen gerade und besonders an den Stammsitzen verbindet sich das Moment der „Zentralörtlichkeit“, das den Weg in die Herrschaftskonzentration im 12. Jahrhundert weist, mit dem Moment des „Hortes der Geschlechtertradition“.280 Es ist anzunehmen, dass keiner der Söhne Ottos I. von diesem exponierten, mit dem Kloster Northeim aufs Engste – wenigstens räumlich – verbundenen Besitztitel der villa und curtis Northeim ausgeschlossen sein wollte – und sollte.281 Denn diese Gemeinschaft an der villa bedeutete deren festere Bindung in dem northeimischen Geschlecht. Unabhängig davon, ob diese Gemeinschaft – nach heutigen Maßstäben – als Gesamthand oder als Bruchteilsgemeinschaft zu qualifizieren ist, war doch wenigstens die Gefahr verringert, dass diese villa schon in einem der nächsten Erbgänge 274
Otto I. hatte mutmaßlich vier Söhne. Vgl. E. Schubert, Niedersachsen, S. 184. 276 Zur Bedeutung des Stammsitzes eines Geschlechts vgl. K. Schmid, Problematik, S. 32 ff., 35 ff., und vor allem unten A.II.2.c)bb) (Zum Stammgut als Handgemal). 277 Nachweise bei K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 29, 68 f. 278 Zur räumlichen Lage von villa, Marktflecken und Kloster vgl. ebd., S. 28 f., 68 f. 279 E. Schubert, Niedersachsen, S. 189. 280 Vgl. ebd., S. 323. 281 Auch die eigenkirchenrechtliche Verfügungsgewalt über das Stift bzw. Kloster Northeim lag zunächst in den Händen der drei Söhne Ottos I. gemeinsam; nach dem Tod Kunos ging sie auf Siegfried III. und nach dessen Tod auf Siegfried IV. über; beide Letztgenannten werden auch ausdrücklich als Vögte der Stiftung genannt; K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 29; bei den anderen Vogteien der Northeimer lässt sich gemeinschaftliche Innehabung nicht beobachten. 275
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komplett und eben nicht nur in Bruchteilen den Northeimern entfremdet würde – etwa durch weibliche Erbfolge mit anschließender Heirat, wie es das Schicksal vieler ehedem northeimischer Besitztitel war. Mit diesem Befund punktuellen Gemeinschaftsbesitzes – vornehmlich an exponierten, „zentralörtlichen“ Rechtspositionen – ist aber kaum mehr als ein erster Anhalt zur Beantwortung der vielen oben aufgeworfenen Fragen, vor allem nach den „Sippenbindungen trotz beziehungsweise nach Teilungen“, gewonnen. Dafür ist etwa die Qualifizierung dieser punktuellen Besitzgemeinschaften als Gesamthand oder aber Bruchteilsgemeinschat eben nicht hintanzustellen. Eine Möglichkeit von Bindungen in der „Sippe“ sei hier schon genannt, dass nämlich gerade in den Objekten gemeinschaftlichen Besitzes Bindungen in größeren Gemeinschaften angelegt waren. Denn der Kreis der an ihnen Mitberechtigten wandelte sich von Generation zu Generation; aus einer Familie im engeren Sinne wurden schon nach wenigen Erbgängen weitläufige Angehörige. Darauf weist bereits das Beispiel des Lüer Waldes hin, an dem eine mehrere Geschlechter umfassende Personengruppe Berechtigungen hatte. Die – horizontalen – Familienbindungen und ihre Institute, die sich vom allodialen dem feudalen Bereich zunehmend mitgeteilt haben dürften und die in ihrer Wirkungsmächtigkeit für die Geschichte der Sukzession in und Alienation von Herrschaftsrechten weit über das Hoch-, ja Spätmittelalter hinaus kaum zu überschätzen sind, näher herausschälen und sie mithin einer Bewertung im verfassungsgeschichtlichen Kontext zugänglich machen zu können, sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. c) Bindungen in Stamm und Familie Hemmnisse der Verfügbarkeit von Rechten, Bindungen derselben werden regelmäßig erst bei Vornahme von Verfügungen spürbar. Die für die spätmittelalterliche Verfassungsentwicklung so signifikante Mobilität der Herrschaftsrechte, auf der deren Kommerzialisierung fußte, wird entsprechend gemeinhin auf einen – schon weit früher einsetzenden – allgemeineren, „nahezu alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens“ umfassenden historischen Entwicklungsprozess zurückgeführt, der zumindest als begünstigender Faktor anzusprechen sei: die „allgemeine Lockerung des Familienverbandes“,282 den „Verfall der ursprünglichen Bindungen allen Herrenrechts in Stamm und Familie“.283 Eine konkretere Bestimmung dieses Individualisierungsprozesses nimmt in diesem verfassungsgeschichtlichen Zusammenhang284 – soweit ersichtlich – nur Landwehr vor,285 auf dessen Gedanken sich jüngere Arbeiten durchweg stützen. Auch wenn eine zunehmende Individualisierung von 282
K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 74. D. Willoweit, Verwaltung, S. 72. 284 Allgemeiner: H. Hattenhauer, Entdeckung; vgl. aus der älteren Literatur auch L. Zimmerle, passim; H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 50 ff., bes. S. 53. 285 Mobilisierung, S. 484 ff., hier bes. S. 488 ff. 283
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Rechtspositionen hier nicht grundsätzlich bestritten werden soll, erreicht Landwehrs – allerdings recht knappe – Beschreibung der „Auflösung sozialer und rechtlicher Herrschafts- und Gemeinschaftsformen und ihre allmähliche Ersetzung durch individuelle Rechte und Rechtsbeziehungen“ doch gewissermaßen ihr zeitliches Ziel nicht. Es verbleibt eine deutliche Lücke zwischen den von ihm beschriebenen Auflockerungen des Familienverbandes und der offen zu Tage tretenden Mobilität von Herrschaft; es fehlt ein großes Glied in der vorgeblichen Kausalkette. Ausgehend von „Zeiten einer autarken Naturalwirtschaft“, in der „es weder ein Erbrecht noch unmittelbare dingliche Rechte am Grund und Boden und dessen Zubehör“ gab, beschreibt er zwei Entwicklungsstufen des Individualisierungsprozesses. Die erste wird durch die spätestens seit der fränkischen Zeit nachweisbare Grundherrschaft datiert. In dieser Wirtschaftsform erfolgte die für die rechtlichen Beziehungen allein entscheidende Nutzung des Bodens nicht mehr wie zuvor unmittelbar durch die Angehörigen der familiären Hausgemeinschaft; Anweisungen an die Grundholden konnte praktischerweise nur einer geben. Dadurch habe sich „die feste Bindung des Grund und Bodens schon alsbald gelockert und zu einem Erbenlaub verflüchtigt“. Diese individualisierte Rechtsposition des einzelnen Grundherrn habe sich allerdings „hauptsächlich in einem unbeschränkten und ungebundenen Nutzungsrecht“ geäußert, während seine „dinglichen Rechtsbefugnisse“ jedoch durch das Erbenlaub der nächsten Verwandten beschränkt blieben. Es gilt festzuhalten: Diese Entwicklungsstufe der Entstehung individualisierter Rechtspositionen ist schon Jahrhunderte vor dem Spätmittelalter erreicht, und zwar für Liegenschaften, die in Grundherrschaft bewirtschaftet wurden; und das wurden Grundbesitzungen – wenigstens des höheren – Adels durchweg. Die Momente und Faktoren des von Landwehr beschriebenen zweiten Entwicklungsabschnitts können nicht zuletzt deshalb weithin für den verfassungsgeschichtlichen Kontext der Mobilisierung von Herrschaftsrechten, ja überhaupt „nur“ für die Mobilisierung von adeligem Allod, keine entscheidende Bedeutung entfaltet haben. Diese Phase sei nach Landwehr gekennzeichnet durch die allmähliche „Umwandlung der ursprünglich völlig autarken landwirtschaftlichen Haus- und Hofwirtschaft in eine arbeitsteilige und marktorientierte Wirtschaftsform“, durch die sich „der Kreis derjenigen Rechtsobjekte, an denen bislang ein völlig unbeschränktes dingliches Recht bestanden hat“, erweiterte. Besonders durch Prozesse in der städtischen Wirtschaft habe sich das unbeschränkte Nutzungsrecht zu einem die Substanz der Sache ergreifenden, unbeschränkten Verfügungsrecht gewandelt; ein Wandel, der durch „Anwachsen der Bevölkerung, der Ausbreitung der Geldwirtschaft und der damit verbundenen sozialen Mobilität der Gesellschaft“ auch auf dem Lande zur Lockerung der „festen Bindungen des Grundeigentums an den Familienverband“ geführt habe. Um es noch einmal zu betonen: Es soll nicht bestritten werden, dass sich grundsätzlich die Vorstellung von der Individualität von Rechtspositionen zunehmend durchsetzte. Die von Landwehr sicherlich zutreffend beschriebenen Veränderungen der zweiten Phase betreffen nur nicht die Verfügungsbefugnis über adeliges Allod, den vermeintlichen Verfall der adeligen Familienstruktur als Moment der Verfügungsbeschränkung – wenigstens nicht unmittelbar. Und nur die adeligen Familienstrukturen sind für die Mobilisierung von Herrschaftsrechten,
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die nun einmal allein – sieht man von der Kirche und den Verhältnissen in den Städten ab – in der Hand des Adels lagen, von Belang. Für den adeligen Grundbesitz samt seinem ebenfalls von der grundherrschaftlichen Verwaltung erfassten sachlichen wie personalen Zubehör hat Landwehr ja selbst eine schon längst vollzogene Individualisierung konstatiert. Natürlich hat auch für den Adel die Ausbreitung der Geldwirtschaft Bedeutung gehabt. Doch ist damit lediglich ein Motiv zur Intensivierung des Güter- und Rechtsverkehrs und folglich zur Lockerung des Familienverbandes benannt, aber noch nicht die Lockerung selbst. Ausgangspunkt für die Frage nach den Bindungen und ebenso gut nach der Mobilität der Zuordnung jedenfalls allodialer und möglicherweise auch feudaler und regalischer Rechtspositionen ist zunächst der Befund zur Sukzession sächsischer Adelsgeschlechter im Hochmittelalter: Es ist von einer individuellen dinglichen Zuordnung der Rechtspositionen und einem individuellen Erbrecht auszugehen. Dieses verwirklichte sich indes zunächst, da zumeist auch Geschwister zur Erbfolge berufen waren, in der Gesamthand der Erbengemeinschaft. Diese Gemeinschaft war grundsätzlich auf Teilung, also Individualisierung, angelegt. Für die Frage nach den allodialrechtlichen Bindungen des Güterbesitzes in der Familie ist das Ob, vor allem das Wieweit der Auseinandersetzung des Gutes im Erbfall oder im Hinblick auf diesen von entscheidender Bedeutung. Wie konnten nach einer Erbteilung Bindungen der Verfügungsbefugnis des einzelnen Erben bestanden haben? Blieb etwa neben oder hinter der Teilung eine Gemeinschaft bestehen, wurde also der Nachlass nicht gänzlich geteilt beziehungsweise: waren die Teilungsprodukte derjenigen, die im konkreten einzelnen Erbfall zur Erbschaft berufen waren, trotz Teilung dieser Erbengemeinschaft im engeren Sinne eingebunden in die Berechtigung einer umfassenderen Gemeinschaft – sei sie als „Sippe“ oder Familie zu bezeichnen? Wie konnten Familienbindungen fortbestehen, wenn eine wesentliche Grundlage dieser Gemeinschaft, eben der gemeinschaftliche Besitz, – immer wieder – aufgehoben wurde? Wie konnten sich gar „Sippenbindungen“, Bindungen des Allods in größeren Besitzgemeinschaften, die Verwandte und Angehörige väterlicher- und mütterlicherseits umfassend als „Sippe“ bezeichnet werden,286 bei der Teilungspraxis erhalten? Lassen sich entsprechende Personenkreise und die eventuelle Rechtsgrundlage ihrer bindungserzeugenden Berechtigung umreißen? Auf der Suche nach Antworten ist freilich zunächst an das Beispruchrecht der Erben zu denken. Dieses wird als Produkt eines Lockerungsprozesses, als rudimentäres Bindungsinstitut angesehen. Es ist Rudiment „einer ursprünglich festen Bindung an den Personenverband der Familie“, die sich quellenmäßig unmittelbar nicht belegen lässt, auf die aber eben aus „rudimentären Rechtsinstituten wie dem Erbenlaub und dem Beispruchrecht der Verwandten bei Verfügungen unter Lebenden geschlossen werden“ kann.287 Konsequenterweise müsste sich der vielfach auch 286
Vgl. dazu K. Schmid, Problematik, S. 29. G. Landwehr, Mobilisierung, S. 489 Anm. 48. Zu den unterschiedlichen Auffassungen zum Herkommen des Erbenlaubs in der älteren Literatur: L. Zimmerle, S. 91 ff. 287
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für das Hoch- und Spätmittelalter reklamierte Verfall der Bindungen des Familienvermögens dann auch in einem weiteren Verblassen dieses Instituts niederschlagen. Das ist allerdings – soviel sei vorweggenommen – wohl nicht der Fall. Die etwa bei den Northeimern beobachtete Sukzessionspraxis, bedeutsame, zentrale Rechtspositionen nicht einem Erben allein zuzuteilen, sondern sie in einer – wie auch immer ausgestalteten – Berechtigung einer Personenmehrheit zu belassen, deutet auf eine weitere mögliche Bindung von Gütern in der Familie hin: die Ausbildung von Sondervermögen mit einer besonderen Behandlung in Sukzession und Disposition unter Lebenden. Dieser Strukturierung und Segmentierung des Patrimoniums, die auf die Bildung punktueller Integrität hinzuweisen scheinen, sei das Stichwort (Herausbildung von) Stammgut gleichsam als These hinzugefügt. Diese beiden – durchaus aufeinander bezogenen – Familienbindungen sollen nun näher beleuchtet werden. aa) Das Wart- und Beispruchrecht (1) In den unmittelbaren Rechtsquellen Aus den unmittelbaren Rechtsquellen des Früh- und Hochmittelalters kennen wir das Institut des Wart- und Beispruchrechts und seine Ausgestaltung.288 Die Lex Saxonum formuliert ein Einspruchrecht des proximus heres bei Veräußerung von Grundbesitz sowie ein Vorkaufsrecht desselben im Falle echter Not des Veräußerers, in dem die Veräußerung ohne Zustimmung erlaubt war, nur musste der Gegenstand eben zunächst dem nächsten Erben zum Kauf angeboten werden. Ausgenommen von diesem Vorbehalt sind Veräußerungen an den König und die Kirche.289 Dem Sachsenspiegel ist explizit nur das Erbenlaub als bei jeglicher Veräußerung, also nicht nur der Vergabe von Gütern besonderer Qualität, etwa Gemahlinnengut, zu beachtende Verfügungsbeschränkung zu entnehmen: Ane erben gelobde (…) en muz nimant sin eigen noch sine lute vergeben.290 Die vielfach in der älteren Literatur als „ursprüngliche Eigenthümlichkeit“ des deutschen Rechts,291 in der neueren Literatur
288 Die Bezeichnung „Wartrecht“ zielt eher auf die Wurzel, das Herkommen dieses Rechts: Das Anwartschaftsrecht des Hausgenossen, die Exspektanz der Anwachsung weiterer Anteile beim Tod eines anderen Hausgenossen. Der Ausdruck „Beispruchrecht“ drückt hingegen den Inhalt dieses Rechts, die Folge der Anwartschaft, aus. Der Begriff „Erbenlaub“ verbindet gewissermaßen beide Sichtweisen. 289 Lex Saxonum cap. LXII, LXIV; vgl. dazu L. Zimmerle, S. 39 ff.; eine weithin freie Verfügungsbefugnis wird hingegen in der Capitularia regum Francorum, Bd. 1, 282, 378, formuliert: Ut omnis homo liber potestatem habeat, ubicunque uoluerit, res suas dare. Si quis res pro salute animae suae uel ad aliquem uenerabilem locum uel propinquo suo uel cuilibet alteri tradere uoluerit (…), es folgen Formvorschriften, aber kein Hinweis auf ein Erbenlaub. 290 Ssp. Ldr. I 52 § 1. 291 Vgl. u. a. L. W. Pernice, S. 18.
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hingegen als jüngere Entwicklung292 festgestellte Differenzierung zwischen ererbtem und damit gebundenem und erworbenem und damit frei verfügbarem Gut macht der Sachsenspiegel hier nicht. Das Erbenlaub bezieht sich ganz allgemein auf eigen, obwohl dem Sachsenspiegel sehr wohl eine differenzierte Behandlung von ererbtem eigen einerseits und gekauftem oder geschenktem eigen andererseits zu entnehmen ist.293 Und damit „spiegelt“ Eike von Repgow tatsächlich die Praxis wider. Weder für das Hoch- noch für das Spätmittelalter lässt sich eine freiere Verfügungsbefugnis über erworbenes Gut beim Hochadel feststellen. Das erben gelobde schützt die Exspektanz des Erben auf ungeschmälerten Nachlass. Über den Terminus erben gelobde hinaus wird diese Bezogenheit auf den Erbfall, die Bindung des Gutes an den Erbgang, gerade in der Sanktion zustimmungsloser Veräußerung deutlich; der Erbfall wird fingiert: Gibit herz wider recht sunder erben gelob, der erbe undirwint sichz mit orteilen, alse ab her tot si, iener, der ez da gap, do herz nicht geben mochte. Inwieweit mit dem erben gelobde Bindungen des Gutes in einem größeren Familienverband – größer als der Kreis, der jeweils konkret zur Erbschaft Berufenen – begründet waren, ist aus den Worten des Sachsenspiegels kaum zu klären. Anders als noch in der Lex Saxonum wird im Sachsenspiegel kein proximus heres als zum Erbenlaub Berufener hervorgehoben; der Kreis der zum Erbenlaub Berechtigten wird nicht weiter als auf den Kreis der Erben begrenzt. Zur Erbschaft ist grundsätzlich die Verwandtschaft bis zum siebten Grade berufen: Die sippe went an deme sibende gelide erbe zu nemende.294 Insofern liegt die Annahme nahe, dieser recht umfassende Verwandtenkreis, die sippe, habe Veräußerungen zustimmen müssen. Darauf scheint auch der Wechsel im Numerus in Ssp. Ldr. I 52 § 1 hinzudeuten: Haben die Erben nicht zugestimmt, kann der Erbe das veräußerte Gut vom Erwerber herausverlangen. Jedoch ist dabei zum einen zu berücksichtigen, dass die plurale Form der erben im Zusammenhang mit gelob als ein feststehender Terminus erscheint, so dass der grammatischen Form der erben nicht zu viel Gewicht beigemessen werden sollte. Zum anderen und besonders steht die Sanktion der Herausgabeklage allein dem unmittelbar verletzten Erben zu – wobei auch hier die grammatische Form insoweit nicht überbetont werden darf, als es sich auch um eine Mehrheit von konkret verletzten Erben handeln kann – und nicht den abstrakt berechtigten Erben in ihrer ausufernden Weite. Von daher kommt der Zustimmung des oder der im Grade nächsten Erben zumindest eine besondere Bedeutung zu.295 Im Ergebnis wird man sagen können, der Kreis der zum Erbenlaub Berechtigten bleibt im Sachsenspiegel recht vage bestimmt und deutet eine gewisse Rechtsunsicherheit in der Praxis schon an. 292
H. Conrad, Bd. 1, S. 417. Ssp. Ldr. II 43 § 2. 294 Ssp. Ldr. I 3 § 3. 295 So auch L. Zimmerle, S. 171 ff., 175 f. Dass H. Conrad, Bd. 1, S. 417, das Erbenlaub des Ssp. Ldr. I 52 § 1 allein einem aus der „älteren sippenrechtlichen Gebundenheit des Bodens“ herzuleitenden „Beispruchrecht“ und nicht dem aus der Hausgemeinschaft herzuleitenden „Wartrecht“ zuordnet, überzeugt nicht. Denn gerade die Fiktion des Erbfalls als Grundlage der Herausgabeklage bei zustimmungsloser Veräußerung deutet auf eine anwartschaftsrechtliche Vorstellung als Wurzel des Erbenlaubs und mithin auf die Verwandtschaft zum Wartrecht hin. 293
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Überdies ist bei der Nennung der Zustimmenden bei Veräußerungen in der Praxis zu berücksichtigen, dass deren Zustimmungsrecht auch aus anderen Wurzeln als dem Erbenlaub herrühren konnte – beispielsweise etwa dem ehelichen Güterrecht.296 Ein in der Erbengemeinschaft wurzelndes Zustimmungsrecht der Ganerben297 formuliert der Sachsenspiegel nicht, wenigstens nicht explizit. Möglicherweise verstand es sich von selbst, dass bei einer für die Ganerben gemeinhin angenommenen Gesamthand der einzelne Miterbe nicht über Bestandteile des Nachlasses allein verfügen konnte.298 Dass gemeinschaftliche – gesamthänderische – Rechtsträgerschaft neben dem Erbenlaub als zweites wesentliches „horizontales“ Bindungsinstitut, als zweiter Rechtsgrund für Zustimmungsvorbehalte anzusprechen ist, lässt sich dem Sachsenspiegel entnehmen.299 Neben der lebzeitigen ehelichen Gütergemeinschaft300 spricht Eike dies besonders deutlich für die Gesamtbelehnung aus: „Solange sie ein Gut miteinander haben und gesamthaft belehnt sind, kann keiner von ihnen ohne den andern einen Teil davon weiterverleihen oder auflassen und ihn so dem andern entziehen. Denn wenn der Mann keinen Teil davon empfangen hat, so kann er auch keinen Teil verleihen oder auflassen“.301 Mit der – ohne Zustimmung des Lehnsherrn zulässigen – Teilung des Gesamtlehens endet diese Bindung an die Mitberechtigten.302 Nicht zuletzt diese letztgenannte Regelung gibt den Hinweis darauf, warum wohl Eike für die allodiale Ganerbengemeinschaft kein Zustimmungsrecht der einzelnen Miterben formuliert hat. Diese Rechtsgemeinschaft war von Anfang an auf Teilung angelegt, wie es der Spiegler an einigen Stellen seines Werks erkennen lässt.303 Und auch für diese allodiale Gesamthand dürfte gelten, dass nach der Teilung die Miterben nurmehr insoweit zustimmungsberechtigt sind, als sie auch Erben im Sinne des Ssp. Ldr. I 52 § 1 – des ehemaligen Miterben – sind. Der Sachsenspiegel lässt also Bindungen individueller Verfügungsgewalt in aufhebbaren Gemeinschaften und das in seiner subjektiven Reichweite recht vage bestimmte Erbenlaub erkennen.
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Vgl. Ssp. Ldr. I 31, I 45. Ssp. Ldr. I 17 § 1; diese Stelle ist nicht so zu verstehen, dass Ganerbengemeinschaften nur unter entfernteren Erben als Schwestern und Brüdern entstehen konnten; die Betonung ist vielmehr auf die gleiche Nähe zum Erblasser zu legen, und die bestand etwa ja auch unter zwei Brüdern zum Vater. 298 Vgl. H. Conrad, Bd. 1, S. 416. 299 Etwa Ssp. Ldr. I 12. 300 Ssp. Ldr. I 31, I 45. 301 Übertragung von Ssp. Lehnr. 32 § 3 durch C. Schott. Sanktioniert wird dieser Zustimmungs- beziehungsweise Mitwirkungsvorbehalt der anderen Gesamthänder durch ein diesen zugebilligtes Revokationsrecht. 302 Ssp. LehNr. 32 § 1 u. § 3. 303 Im 1. Buch des Landrechts mehrfach, bes. Ssp. Ldr. I 13; Ldr. III 29 § 2. 297
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(2) Zustimmungsrechte in den Traditionsurkunden Der Praxis der Traditionsurkunden lässt sich selbstverständlich kein einheitliches Bild von Umfang und jeweiliger Funktion des Personenkreises, der zur Zustimmung zugezogen wurde, entnehmen. Huckes Annahme aber, dass zur Veräußerung „das Einverständnis aller Angehörigen (der ,coheredes …) erforderlich“304 gewesen sei, passt schon nicht recht mit dem Befund zu den Zustimmungsinstituten aus der Lex Saxonum und dem Sachsenspiegel zusammen. Die von ihm aus dem Stader Bereich angeführten Urkundszeugnisse – von Lange im Rahmen seiner Zustimmung zu Huckes Auffassung um solche aus den northeimischen Verhältnissen ergänzt –305 stützen diese Annahme aber auch nicht in der Praxis. Vielmehr erscheint diese Auffassung subjektiv so weitreichender Bindungen als ein Anachronismus, eine wenigstens für die Zeit seit dem Hochmittelalter nicht mehr gerechtfertigte archaisierende Fortsetzung der gerade in der älteren germanistischen Literatur so beliebten Wirkungen der Sippe. Um es vorweg zu schicken: Die coheredes sind nicht „alle Angehörigen“. Schon die von Hucke und Lange zusammengetragenen Quellen lassen es durchaus zu, das Zustimmungsrecht einzelner subjektiv – heredes und coheredes – wie auch hinsichtlich der erfassten Objekte näher zu bestimmen und damit den Bindungen der Verfügungsbefugnis einzelner, wie sie noch weit über das Hochmittelalter hinaus Bedeutung behalten, näher zu kommen. Grundsätzlich lassen sich die Zustimmungserteilungen in den Traditionsurkunden in zwei Kategorien, die freilich vielfach auch vermischt anzutreffen sind, einteilen: eine subjektive – die Zustimmung war aufgrund eines Rechtsverhältnisses des Zustimmenden zum Verfügenden erforderlich – und eine objektive – der Zustimmende stand in einem Rechtsverhältnis zu dem Verfügungsgegenstand. In einer der von Hucke angeführten Quellen aus dem Jahre 1124, die hier beispielhaft für die erste Kategorie stehen soll, heißt es: Notum fieri quemadmodum domna Riggardis post obitum felicis memorie Rodolfi mariti sui et filius eius Udo necnon frater eius Rodolfus cum reliquis liberis eius et coheredibus (…) monasterium in Gerodia situm (…) libera voluntate ecclesiae Mogontine tradiderunt.306 Unzutreffend ist Huckes Feststellung, dass Richardis „mit Zustimmung ihrer Söhne Udo und Rudolf“ das Kloster verschenkte. Die Söhne erscheinen ebenso wie auch die reliqui liberi und coheredes – diese allerdings durch das cum ein wenig abgesetzt – selbst als Verfügende neben Richardis. Mag es auch zumeist übertrieben sein, Mitverfügung und Zustimmungserteilung kategorial gegeneinander abgrenzen zu wollen, so ist diese Distinktion hier nicht ohne Belang: Es verfügte kein einzelner Rechtsinhaber über eine ihm individuell zustehende Rechtsposition, allein eingebunden in die noch nicht näher konkretisierten, durch den Zustimmungsvorbehalt geschützten beziehungsweise ver304
S. 202. Herrschaftsbereich, S. 117. 306 Mainz. UB I, S. 527; diese hier interessierende Passage findet sich auch in der Bestätigung der Übergabe des Klosters durch Erzbischof Heinrich von Mainz aus dem Jahre 1143, R. G. Hucke, S. 190 f. 305
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körperten Rechtsbeziehungen zu anderen Personen. Vielmehr ist es mehr als nur wahrscheinlich, dass die vorliegende Urkunde die Verfügung einer ungeteilten Erbengemeinschaft enthält, die Ausübung eines gesamthänderisch gebundenen Rechts durch die Ganerbengemeinschaft des erst kurz zuvor verstorbenen Rudolf I. Wer verbirgt sich nun aber hinter den nicht namhaft gemachten, aufgrund des grammatischen Anschlusses mit cum in ihrer Funktion nicht ohne weiteres den verfügenden Gesamthändern zuzurechnenden reliqui liberi und vor allem den coheredes? Die Wendung reliqui liberi, die „übrigen Kinder“, erfasst mindestens Rudolfs I. weiteren Sohn Hartwig; daneben hinterließ Rudolf noch zumindest zwei Töchter.307 Wenigstens denkbar ist es, dass die coheredes keinen anderen Personenkreis als die reliqui liberi kennzeichnen, sondern ein Attribut derselben sind. Und diese „übrigen Kinder“, mindestens Hartwig – auch als Geistlicher –, waren Mitglieder der Ganerbengemeinschaft, so dass sie zwar nicht Initiatoren der Schenkung gewesen sein mussten, ihre Mitwirkung daran aber aus dieser Ganerbeneigenschaft heraus unerlässlich war. Die coheredes könnten auch Nachkommen „aktueller“ Ganerben bezeichnen, die im Falle des Todes dieser zum Eintritt in die Ganerbengemeinschaft grundsätzlich berechtigt waren.308 Diesen beiden Auslegungsalternativen ist auch eine northeimische Urkunde zugänglich, nach der Otto I. Güter dem Kloster Helmarshausen übertrug mit Zustimmung seiner Söhne und Erben:309 Benannte in concreto erb- und entsprechend beispruchberechtigte Söhne und unbenannte, möglicherweise subsidiär zur Erbschaft berechtigte Erben. Dies könnten „noch ungeborene“ weitere Söhne, aber auch mitgiftsberechtigte Töchter gewesen sein. Und schließlich ist es möglich, dass in der Urkunde von 1124 die coheredes nicht subjektiv zu erfassen, sondern Personen begriffen sind, die an dem Verfügungsgegenstand, dem Kloster Gerode irgendwelche Berechtigungen hatten. Als fundatores von Gerode werden Widelo comes et filius eius Rudigerus in genannter Urkunde bezeichnet. Möglicherweise waren dieser mit den Stadern verwandten „Familie“ Rechte an Gerode verblieben, die nicht hereditario jure auf die Udonen übergegangen sind. Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Neben benannten Verfügenden – Stader Beispiel – beziehungsweise Zustimmenden – Northeimer Beispiel – erscheinen unbenannte heredes und coheredes. Für deren Bestimmung gibt es zwar denkbare Möglichkeiten, von denen aber keine zwingend erscheint. Behalten wir die Möglichkeit im Auge, dass die coheredes, überhaupt der Kreis der Zustimmenden in den Traditionsurkunden bewusst unbestimmt gehalten wurden, stellen eine nähere Erklärung aber hinter die Betrachtung der zweiten Kategorie des Zustimmungserfordernisses zunächst zurück. Für diese zweite Kategorie, bei der das Zustimmungserfordernis auf einer Berechtigung des Zustimmenden am Verfügungsobjekt beruhte, kann beispielhaft eine auf die Jahre 1101 – 1107 zu datierende Helmarshäuser Traditionsnotiz herangezogen werden, nach der Otto III. mit Zustim307 Ob auch weibliche Deszendenten von dem Ausdruck „liberi“ erfasst wurden, ist kaum zu klären, vgl. H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 191 f. 308 Vgl. Ssp. Ldr. I 5 § 1. 309 Wenck II UB 51; 82, 68. K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 83.
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mung seiner Mutter Gertrud und seines Onkels Siegfried III. dieser Kirche Hufen in Dinkelburg übergab.310 Die Zustimmung Gertruds dürfte entweder darin gründen, dass Otto aus ungeteilter Erbengemeinschaft heraus verfügte – der Vater beziehungsweise Gemahl, Heinrich der Fette, war erst kurz zuvor verstorben (1101) –, oder in der Erbenstellung Gertruds im Verhältnis zu Otto. Es ist vielfach belegt, dass die Mutter eines Schenkers in traditiones als heres iustissima oder heres primitiva an erster Stelle ihre Zustimmung zur Schenkung erteilt hat.311 Ist also die Zuziehung Gertruds subjektiv zu erklären, ist die Zustimmung Siegfrieds III. mit Lange darauf zurückzuführen, dass er gewisse Rechte an den Liegenschaften der villa Dinkelburg hatte. Eine Exspektanz auf das Erbe seines Neffen Ottos verbindet ihn nicht mit diesem. Die villa Dinkelburg war einer der Besitztitel des northeimischen – genauer: Ottos I. – Patrimoniums, die im Erbgang nicht einem allein, sondern einer Erbenmehrheit zugewiesen wurden. Eine Wirkung dieser Gemeinschaft ist oben bereits dargelegt worden: die Verringerung der Gefahr der Entfremdung schon in einem der nächsten Erbgänge. Bei der Schenkung einiger zur villa Dinkelburg gehörigen Hufe scheint sich eine weitere Wirkung der Gemeinschaft abzuzeichnen, und zwar ein Schutz gegen Entfremdung unter Lebenden. Es ist aber nicht nachweisbar, dass Siegfried III. gerade an den veräußerten Teilen der villa Rechte innehatte. Und Verfügungen über Güter anderer Orte „punktueller Integrität“ des northeimischen Patrimoniums zeigen deutlich, dass es sich nicht um eine – modern gesprochen – gesamthänderische Verbundenheit der Rechtsträger an diesen Objekten handelte, sondern um Bruchteilsgemeinschaften. Als Kunigunde, die Witwe und eine der Erbinnen Kunos von Beichlingen, 1117 dem Kloster Northeim einen Teil der villa Northeim schenkte, wurde dieser Teil als Bruchteil, nämlich Viertel, ausgewiesen.312 Zugestimmt haben dieser Schenkung auch nicht die Inhaber der übrigen Viertel, sondern Kunigundes Erben. Diese sind sicherlich unter ihren Nachkommen zu suchen, nicht unter den übrigen im Jahre 1117 noch lebenden Deszendenten Ottos I. Ebenso verhielt es sich mit Verfügungen Heinrichs des Fetten, 1093, Gertruds, 1102, und Kunos, ca. 1102, über Teile des Lüer Waldes. Auch diese vergabten Teile wurden als Bruchteile des Waldes – etwa: terciam partem silve que dicitur Lur – gekennzeichnet, und die Zustimmung anderer Portionsinhaber lässt sich nicht erkennen.313 Warum ist dann aber Siegfrieds III. Zustimmung zur Verfügung Ottos III. eingeholt worden? Der Antwort können wir uns annähern durch Betrachtung eines weiteren Urkundszeugnisses, wiederum aus dem Bereich der Stader. Zu dem Vorhaben Kaiser Heinrichs III., dem Bremer Erzbischof Adalbert den Forst in pago Lara vel Steiringa zu übertragen – diese Übertragung ist nicht vollzogen worden –, heißt es in der darüber 1049 ausgestellten Urkunde, die Schenkung sei geschehen cum consensu Berenhardi ducis et Udonis comitis et aliorum cohere-
310 Wenck II UB 51; 68, 67. Zur Sache: K.-H. Lange, Stellung, S. 88 f.; ders., Herrschaftsbereich, S. 83. 311 K. J. Leyser, S. 101, mit den Nachweisen. 312 Reg. Thur. I 1125. 313 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 87 f., mit den Nachweisen.
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dum.314 Hucke schließt aus der gleichzeitigen Zustimmung des Billungers, des Udonen und unbenannter aliorum coheredum, „dass gewisse königliche Rechte einer verwandtschaftlich gebundenen Gruppe (Sippe?) überlassen worden waren, deren sämtliche Mitglieder nun (wie beim Verkauf von Eigengut) ihre Zustimmung zur Veräußerung geben mussten“.315 Lassen wir einmal die anschließende, äußerst merkwürdige Folgerung Huckes, der Kaiser wäre bei Verfügungen über Krongut an sippenrechtliche Verfügungen gebunden gewesen, und überhaupt den Aspekt, dass es sich hier eben nicht um eine Verfügung über Allod handelte, beiseite, so liegt folgendes – schon von Ficker vertretene – Verständnis der Zustimmungserteilung in der Urkunde doch weit näher: Es handelte sich nicht um spezifisch „herzoglichen und gräflichen Konsens“, also die Zustimmung der bis 1049 unmittelbar und konkret an der durch den Kaiser vergabten Rechtsposition Berechtigten; vielmehr um die Zustimmung der bisher im Gebiet des Forstes „irgendwie Berechtigten“.316 Und das waren nun eben vornehmlich die Billunger und Udonen317 sowie die unspezifizierte Gruppe der aliorum coheredum. Coheredes sind hier keine Miterben im verwandtschaftlichen, im technischen Sinne. Der Bedeutungsgehalt dieses Ausdrucks darf nicht allein in ein – überdies diffuses – Sippenverständnis eingeordnet werden; vielmehr deckt er sich hier mit anderen Ausdrücken, die der Bezeichnung von irgendwie in der Nähe Berechtigten, etwa den comprovinciales sowie den compagenses.318 Dies belegt schon durchaus hinreichend Ficker319 mit dem Vorhaben von 1049 durchaus ähnlichen Schenkungen – etwa einer aus dem Jahre 991 an die Mindener Kirche, zu der die Zustimmung des Herzogs, seines Bruders, des Grafen Egilhard aliorumque comprovincialium suorum eingeholt worden war;320 ferner der Schenkung eines Forstes an Fulda von 1059: Consenserunt autem huic traditioni A. Wirziburgensis episcopus, E. comes, S. comes, G. comes, F. comes (…) ceterique (…) quicunque aliquod praedium aut beneficium sive advocationem in his praescriptis terminis possederunt;321 und schließlich einer Schenkung an Hildesheim von 1065: collaudantibus duce Ottone, E. comite, item G. comite ceterisque, qui infra predictos terminos predium possident.322
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MGH DH III, 235; zur Sache auch: E. Schubert, Niedersachsen, S. 245. S. 122 f. 316 J. Ficker-P. Puntschart, II 3, S. 399 f. 317 So auch R. G. Hucke, S. 122, zu den Verhältnissen im „Lara- oder Steiringau“ in der Zeit vor 1049. 318 Zu diesen: Mainz. UB I, 424 (1104/5); Graf Dietrich III. von Katlenburg schenkte dem Kloster Katlenburg u. a. omnem silvam, quam ibi singulariter habuit et quam communem cum aliis compagensibus possedet. Hinter diesen compagenses vermutet K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 73, die Northeimer. 319 J. Ficker-P. Puntschart, II 3, 400. 320 MGH DO II, 73. 321 Zitat ebd. 322 MGH DH IV, 157. 315
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Mit der Andeutung, dass „irgendwie Berechtigte“ zur Zustimmung einer traditio berufen waren, ist der Blick auf den entscheidenden Punkt gelenkt: Für den Übergabekonsens ist es keineswegs allein bedeutsam, wer ein Zustimmungsrecht tatsächlich hatte, vielmehr, wer die Veräußerung irgendwie anfechten oder beeinträchtigen könnte, sich also eines solchen Zustimmungsrechts berühmen könnte. Von daher ist es die Sicht des Erwerbers, aus der heraus der Kreis der Konsentierenden sich bestimmt haben dürfte und entsprechend ex post zu bestimmen ist. Dieser Aspekt wird in der Literatur auf der Suche nach „horizontalen“ Bindungen in Stamm und Familie nahezu durchweg vernachlässigt. Einseitig normativ ist der Blick ausgerichtet auf a priori angenommene Bindungen aus „sippenrechtlichen Vorstellungen“ heraus, die in rudimentären Rechtsinstituten zusammenschmolzen. Freilich steht das Empfängerinteresse nicht beziehungslos neben rechtlichen Familienbindungen; ohne ein wie auch immer geartetes, aber im Kern anerkanntes Beispruchrecht konnte gar kein Interesse des Erwerbers auf Zustimmungserteilung aus dem Verwandtenkreis entstehen. Der Schluss von der Zustimmungspraxis auf Umfang, Reichweite und Ausgestaltung des Zustimmungsrechts – gleichsam als Konkretisierung der keineswegs eindeutigen Bestimmung des Kreises der Zustimmungsberechtigten in den unmittelbaren Rechtsquellen – ist aber kaum möglich. Denn der Erwerber musste sich, sollte die unangefochtene Nutzung des Erworbenen gewährleistet sein, wie gegen berechtigte ebenso auch gegen unberechtigte Ansprüche und Beeinträchtigungen vonseiten Dritter schützen. Schon die Bestimmung derer, die berechtigt einer traditio entgegentreten konnten, deren Zustimmung der Erwerber also de jure benötigte, dürfte in vielen Fällen kaum möglich gewesen sein. Das Erbenlaub verwies den Erwerber an eine nicht nur für ihn ungewisse Erbfolge nach dem Tode des Veräußerers. Ein etwa primär zur Zustimmung berufener Erbe konnte nach deren Erteilung versterben, und Erben, an die zuvor niemand gedacht hatte, konnten nunmehr hervortreten. Und auch der Erwerbsgegenstand bot für den Erwerber seine Tücken; an ihm konnten Zustimmungsrechte haften. In einer Zeit ohne Grundbuch und Kataster dürfte die Kennzeichnung des zu tradierenden Gegenstandes nicht immer so exakt gelungen sein, dass nicht zumindest die Möglichkeit bestand, dass Rechtspositionen miterfasst wurden, die dem Veräußerer gar nicht zustanden. Bei komplexen Veräußerungsgegenständen dürften überdies die rechtlichen Verhältnisse einzelner Bestandteile durch viele – getrennte – vorangegangene Erbgänge und traditiones kaum jemals völlig unstreitig gewesen sein. Neben dieser Unklarheit über die Berechtigten hatte der Empfänger sich vor den unberechtigten Prätendenten zu schützen. Hier sind an erster Stelle die coheredes der Frauen zu nennen. Frauen vermochten im Hochmittelalter, aufgrund ihrer diejenige der Männer erheblich übersteigenden Lebensdauer durch Erbschaft erhebliche Reichtümer anzuhäufen;323 nicht von ungefähr bilden die Klosterausstattungen durch Töchter und Witwen der Adeligen einen Gutteil der überlieferten traditiones. Leyser betont in diesem Zusammenhang zutreffend, dass die Gründung eines Klosters „wahrscheinlich die beste Sicherheit“ für ausgestattete oder erbende Töchter und erbende Witwen bot „gegen die Zudringlichkeit ihrer cohere323
K. J. Leyser, S. 99 ff.
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des“.324 Die Witwen konnten ihr Erbe auch durch erneute Heirat schützen. Die adeligen Brüder und weitere coheredes nahmen den Reichtum ihrer Schwestern, Mütter und Schwägerinnen nicht neidlos hin, sondern trachteten danach, diesen Besitz – notfalls mit Gewalt – an sich zu bringen, da „sie es permanent nötig hatten, ihren Besitz zu vergrößern, damit sie ihre Söhne selbstständig machen und zumindest einige ihrer Töchter verheiraten konnten“.325 Vor diesen auf äußerst vager erbrechtlicher Grundlage fußenden Ansprüchen und Beeinträchtigungen mussten sich auch die Erwerber schützen; zumal der Adel solche vermeintlichen Erbrechte auch militärisch durchzusetzen vermochte.326 Nach alledem liegt es auf der Hand, dass der Erwerber darauf drängen musste und drängte, dass ein möglichst weiter Kreis von verwandtschaftlich Berechtigten oder vermeintlich Berechtigten wie auch vermeintlich oder tatsächlich am Objekt Berechtigten der traditio zugezogen wurde. Diese Zuziehung musste nicht unbedingt in Form einer expliziten Zustimmungserklärung erfolgen, auch das Testat der Rechtshandlung in der Traditionsurkunde verband den Zugezogenen.327 Und so lässt sich – wie Peters im Einzelnen darlegt – beobachten, dass neben zustimmenden Verwandten als Urkundszeugen regelmäßig solche Geistlichen, Edelfreien und Ministerialen herangezogen wurden, die zum übertragenden Besitztitel eine besitzrechtliche Beziehung hatten oder Herrschaftsrechte in der Umgebung des Besitztitels ausübten.328 Kehren wir noch einmal zurück zu Huckes These, dem „ursprünglichen Bedeutungsinhalt der Bezeichnung comitatus als verfassungsgeschichtlichen Begriff“ hätten Anschauungen entsprochen, „die ursprünglich dem Bereich des Sippenund Familienrechtes entstammen“, und ziehen zugleich ein Fazit zu den sippenund familienrechtlichen Anschauungen, sprich Bindungen für die Zeit bis ins 12. Jahrhundert hinein. Zwar mag die Erkenntnis, dass Gestalt und Umfang des comitatus vornehmlich personal wie patrimonial bestimmt waren, ebenso wie die nicht durchweg festzustellende Individualsukzession, gar die sich andeutenden Teilungstendenzen für eine „familienrechtliche“, also allodialrechtliche Anschauung, wenigstens tatsächliche Behandlung von Komitatsrechten sprechen.329 Aber trotz personal-patrimonialer Konturen, in einem Wechselspiel mit diesen bleibt der Amtscharakter über eine bloß deklaratorische Qualität im Sinne einer Anerkennung autogener 324
S. 105, 112 ff. K. J. Leyser, S. 118. 326 Vgl. I. M. Peters, S. 101. 327 I. M. Peters, S. 102. 328 S. 89 ff., bes. S. 100, 104 f., 108 f.; dies belegen auch die oben A.II.1.a) unter Anm. 111 angeführten Quellen zu den Schenkungen von Rechten an die Kirche, denen regelmäßig Große der Umgebung zustimmten. 329 R. G. Hucke, S. 202, folgert allerdings seine Ansicht der sippenrechtlichen Konsistenz des comitatus nicht zuletzt aus der „Feststellung, dass die einmal erworbene ,Herrschaft durch äußeren Eingriff oder interne Vereinbarung nie unter den Söhnen geteilt wurde“. Dies ist aber ebenso gut ein Argument gegen eine sippenrechtliche und für eine amts- oder lehnrechtliche Anschauung von comitatus. 325
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Adelsherrschaft hinaus erkennbar. Anders als Allod wurden Komitatsrechte in dieser Zeit nicht alieniert – auch nicht unter Zustimmungsvorbehalt der „Sippe“. Überdies ist die Sukzession in den comitatus von der Sukzession in den Allodialkomplex unterscheidbar. In Letzteren sukzedierten, wenigstens subsidiär, auch Frauen. Besonders deutlich wird das unterschiedliche Sukzessionsschicksal von comitatus und Allod beim Aussterben des Grafengeschlechts im Mannesstamm. Insofern sind comitatus und Allod scheidbar und zu scheiden. Dies übersieht Hucke – und ihm folgend Lange.330 Für die Integrität des Komitats und seiner Bindung an den Mannesstamm eines Geschlechts bedarf es keiner Reklamation sippen- und familienrechtlicher Bindungen; diese verbietet sich geradezu in Anbetracht des wenigstens näher liegenden Amtsgedankens. Zudem ist kaum zu begründen, warum das grundsätzlich auch weibliche Familienmitglieder erfassende Institut des Beispruchrechts die Komitatsrechte gebunden haben soll, also Rechtspositionen, von denen Frauen – bis auf singuläre Fälle – ausgeschlossen waren. Darüber hinaus und vor allem erscheint schon die Grundlage von Huckes Konstruktion, die Bindung aller Rechtspositionen – zutreffender auf die Allodia zu beschränken – in einem umfassenden Sippenverband als ein für das Hochmittelalter äußerst zweifelhafter Anachronismus. Dagegen spricht zunächst, dass es in der Praxis kaum durchführbar gewesen sein dürfte, die Zustimmung der Mitglieder eines so diffusen Personenkreises – „alle Angehörigen“ – zu einzelnen traditiones einzuholen. Soweit Hucke gar auf eine die Udonen übersteigende Bindung der Verfügungsbefugnis des Einzelnen abzielt,331 ist zu berücksichtigen, dass aus einer Besitznachbarschaft genealogisch verknüpfter „Familien“ nicht auf ein wechselseitiges Zustimmungsrecht aufgrund eben dieser genealogischen Verknüpfung geschlossen werden kann. Die Annahme riesiger ungeteilter „,Erbengemeinschaften (Gemeinderschaft der Sippe)“ – also Gemeinschaften, die sich insofern aus verschiedenen „Geschlechtern“332 zusammensetzten, als diese spätestens seit dem 11. Jahrhundert durch ein eigenständiges Traditionsbewusstsein gegeneinander abgrenzbar waren –, in denen grundsätzlich ein subjektiv begründetes Zustimmungsrecht wurzelte, ist allerwenigstens nicht verallgemeinerungsfähig. Ein nachweisbarer genealogischer Zusammenhang erzeugt noch keine „Erbengemeinschaft“. Diese müsste in ihrem Bestand, also und vor allem in ihrer Wirkung, belegt werden. Sofern Hucke den Ausdruck beziehungsweise die Verkörperung dieser Gemeinschaft in einer den Stadern durch die Gemeinschaft aufgetragenen Verwaltung sieht, überzieht er bei weitem den Zusammenhang von Komitat und Allod, als er „Verwaltung“ im Sinne „gräflicher Gerichtsausübung“ versteht.333 Vielmehr sind aus subjektiven Gründen nur Erben in einem weit engeren, konkreten Sinne, also primär die Deszendenz, zur Zustimmung belegbar berufen gewesen. Werden in Seitenlinie Verwandte 330
Herrschaftsbereich, S. 117. Vgl. etwa S. 131. 332 Zur Terminologie näher: K. Schmid, Problematik, bes. S. 14 f. 333 S. 131 Anm. 902; für seine dort geäußerte Vermutung, dass auch die Bewirtschaftung der Allode dieser Gemeinschaft durch die Stader überwacht worden sei, bleibt er einen Beweis schuldig. 331
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zur Veräußerung zugezogen, ist dies zum einen auf eine ungeteilte Erbengemeinschaft zurückzuführen. Zum anderen werden sogar unabhängig vom Verwandtschaftsgrad solche Personen zur Zustimmungserteilung herangezogen, die am Traditionsobjekt irgendwie berechtigt waren oder sein konnten. Maßstab zur Umreißung dieses Personenkreises dürfte hier vornehmlich das Empfängerinteresse gewesen sein. Eine „Sippenbindung“ – als die eine Zustimmungserteilung eines so recht umfassenden Kreises auf den ersten Blick erscheinen könnte – ist dies nicht. (3) Das Beispruchrecht im Spätmittelalter Auch bis weit in das Spätmittelalter hinein gilt für die „horizontalen“ Bindungen der Veräußerungsbefugnis von Rechtspositionen durch Mitglieder von Adelsfamilien:334 an den Tatbeständen, die ein Zustimmungsrecht zu erzeugen vermochten, änderte sich in subjektiver Hinsicht im Grundsatz nichts. Auch weiterhin findet sich in den Traditionsurkunden der consensus heredum, der vulbord unser eruen.335 Teils bleiben die Erben unbenannt, teils wird ein konkreter Erbe allein oder neben unbenannten namhaft gemacht.336 Ebenso band die ungeteilte Erbengemeinschaft die Verfügungsbefugnis ihrer Mitglieder an die Zustimmung beziehungsweise Mitwirkung der coheredes.337 Fand der Ausdruck coheredes seine Verwendung in den Urkunden neben konkreteren Kennzeichnungen der Mitglieder einer Erbengemeinschaft, bieten sich auch hierfür die schon angeführten Verständnismöglichkeiten an. Als 1258 Herzog Albrecht I. die von seiner Mutter 1257 den Einwohnern Lüneburgs erteilten Salinenprivilegien338 – dass es sich bei diesen um kein hergebrachtes Allod, sondern ein Regal handelte, soll zunächst außer Acht bleiben – bestätigte, heißt es: et consilio est indultum et ipsius dilectionis munimine stabilitum, vna cum fratribus et coheredibus nostris, firmum et ratum in omnibus obtinentes, ac idem factum nostri consensus be-
334 Bei den Standesniederen mag – ebenso wie beim Adel – eine zunehmende Mobilität von Gütern zu beobachten sein; aber auch bei diesen blieben die Familienbindungen der Verfügungsgewalt des Einzelnen gewahrt: Herzog Albrecht II. (seit 1291 von Göttingen) erkannte 1311 vor seinen „Dienstmannen und Getreuen“ an, dass jeder, welchem Stand er auch angehöre, seine Güter mit der Erlaubnis der nächsten Erben veräußern dürfe; H. Spangenberg, S. 60. 335 Eine genaue Bemessung des Verhältnisses von traditiones, in deren Beurkundung das Erbenlaub erwähnt wird, zu solchen ohne dessen Erwähnung ist in Anbetracht der Fülle dieser Urkunden hier nicht möglich. Eine Durchsicht etwa des von H. Sudendorf bearbeiteten Urkundenbuchs zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg lässt aber ein starkes Übergewicht konsentierter Veräußerungen, jedenfalls solcher Urkunden, die eine Konsenserteilung erwähnen, erkennen. 336 Vgl. UB Braunschw. II, 261 (1274); Sud. I, 279, 281, 371; Sud. II, 496, 510, 513; Sud. IV, 13, 15, 16; Sud. V, 157; Nachweise aus dem 13. Jahrhundert bei F. Busch, S. 61. 337 Vgl. MGH Const. II, 17 (1198); Reg. Imp. V, 1 (1881), Nr. 216; Sud. I, 47, 48. 338 Sud. I, 44; dort hatte Mechtildis Ducissa de Brunswic. ac domina in Lvn. die Zustimmung ihrer Nachkommen zugesagt. Diese Zustimmung war aber nicht deshalb erforderlich, weil Mechthild hier als Mitglied der Erbengemeinschaft am Nachlass Ottos des Kindes oder als Vormund ihrer Söhne verfügt hätte; Lüneburg war ihre Leibzucht, sie war domina in Lvn.; die Zustimmung war also nötig für den Rückfall der Leibzucht an die Söhne beim Tode Mechthilds.
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neplacito confirmantes, sigilli nostri impressione duximus muniendum.339 Die fratres sind Albrechts coheredes; 1258 war der Nachlass des 1252 verstorbenen Vaters, Otto das Kind, noch ungeteilt. Dass Albrecht allein als Verfügender erscheint und die Brüder anonym bleiben, ist darauf zurückzuführen, dass Albrecht ungefähr bis zu dieser Zeit die Regierung, die Geschäfte allein führte; sein Bruder Johann war noch nicht mündig; die anderen Brüder, Otto und Konrad, hatten sich in diesen Jahren entschlossen, in den geistlichen Stand zu treten.340 Gleichwohl könnten sich hinter den coheredes auch an der Saline irgendwie Mitberechtigte oder heredes Albrechts oder der fratres, also Personen, deren Berechtigung erst später virulent würde – sei es durch Eintritt in die Erbengemeinschaft, sei es durch Erbschaft einer Erbportion –, verbergen. Dieses letztgenannte Nebeneinander von aktuell mitberechtigten coheredes und anwartschaftsberechtigten heredes kommt in einer Schenkung Albrechts an das Kloster Lilienthal aus dem selben Jahre zum Ausdruck: Hinc est quod ad cunctorum noticiam tam presentium quam futurorum cupimus peruenire, quod nos de communi nostrorum fratrum et heredum consensu.341 Deutlich tritt in diesen Urkunden das Interesse des Erwerbers an Dauerhaftigkeit der erworbenen Rechtsposition hervor. Der Erwerber trachtete danach, diejenigen einzubeziehen, von denen jetzt oder in Zukunft irgendeine Beeinträchtigung ausgehen könnte. Geradezu als Zusammenfassung der denkbaren Gefahren, vor denen sich ein Erwerber schützen sollte und wollte, erscheint der Kreis der Konsentierenden, als 1323 die Brüder Anno und Balduin von Bodendike Herzog Otto dem Strengen und dessen Söhnen Otto und Wilhelm ihren Teil des Schlosses und Weichbildes Bodenteich mit Zubehör verkauften und resignierten: Quod de consensu et uoluntate nostrorum fratrum, werneri et johannis, nec non omnium heredum nostrorum, ac omnium quorum interest aut interesse poterit in futuro vendidimus.342 Seit 1202 sind wir regelmäßig über die Nachlassbehandlung bei Generationswechseln im Welfenhaus unterrichtet. Teilungen sind seither – bis auf wenige Ausnahmen –343 urkundlich überliefert. Das bedeutet, dass wir das Ende von zustimmungsrechtsbegründenden Erbengemeinschaften bestimmen können. Überdies lassen sich die heredes leichter konkretisieren: Verwandte aus abgeteilter Seitenlinie sind auf jeden Fall lediglich subsidiär erbberechtigt gewesen. Entsprechend finden sich nach Teilungen unter namentlich benannten Zustimmenden auch regelmäßig keine abgeteilten Kollateralen. Nach der Teilung unter den Söhnen Heinrichs des Löwen etwa verfügte Wilhelm 1209 dilecta coniuge nostra Helena et filio nostro Ottone compromittendibus.344 Nach dem Tod Albrechts des Großen (1279), dessen Nachlassverteilung nicht in einer Urkunde überliefert ist, wiesen seine Söhne Al339
Sud. I, 47. Vgl. E. Mertens, S. 114 f., m.w.N. 341 Sud. I, 48. 342 Sud. I, 371; vgl. auch Sud. I, 282 (1316): cum consensu Lutgardis filie mee et omnium quorum interest. 343 1291, 1322 – 1337 (näher unten B.I.1.). 344 F. Busch, S. 18, 61. 340
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brecht und Wilhelm bei der Verpfändung Uslars an den Grafen von Everstein ausdrücklich darauf hin, dass eine Zustimmung des Bruders Heinrich zu diesem Geschäft nicht nötig sei;345 zwischen den Brüdern hatte es eine Zuordnung von Nachlasskomplexen gegeben, die Albrecht und Wilhelm einerseits von Heinrich andererseits teilte.346 Von dieser Regel gab es Ausnahmen. Nach der Teilung von 1202: Um den Magdeburger Erzbischof im Kampf um die Königskrone für sich zu gewinnen, vereinbarte Otto IV. 1208 mit diesem: Item, nos et fratres nostri renuntiabimus omni iuri, quod duximus nos habere in castro Sommerischinburg et in omnibus attinentiis ipsius.347 Das castrum Somerscenburch war 1202 Otto zugewiesen worden.348 Dass gleichwohl seine „abgeteilten“ Brüder zustimmten, dürfte auf die Kinderlosigkeit des 1209 zum Kaiser gekrönten Ottos IV. zurückzuführen sein, die die Brüder und deren Nachkommen zu seinen Erben machte. Überdies haben nach der Teilung von 1202 auch mehrmals Brüder über Gebiete eines anderen Bruders Verfügungen getroffen, so dass ein Schutzinteresse des Erzbischofs deutlich zutage tritt.349 Die Kinderlosigkeit Ottos IV. und das Schutzinteresse der Erwerber kennzeichnen auch Verfügungen der Jahre 1218/27 und 1225. Otto IV. hatte in seinem Testament von 1218 einige in seinem Anteil belegene Güter dem Stift St. Blasius in Braunschweig vermacht und dazu seinen Bruder Heinrich – Wilhelm war schon 1213 verstorben – gebeten, ut hanc nostram ordinationem firmam et inconvulsam teneas.350 Noch zu Lebzeiten des Pfalzgrafen Heinrich verlangte das Stift von Otto dem Kind, dem Sohn von Ottos Bruder Wilhelm, die Bestätigung der Schenkung, war doch Otto das Kind seit 1223 testamentarisch eingesetzter Erbe des Pfalzgrafen. Otto das Kind bezeichnete dann auch in der Erteilung der geforderten Bestätigung Otto IV. und Heinrich den Pfalzgraf als seine praedecessores und sich selbst – dem Wortlaut des Testaments Heinrichs351 gemäß –: nos tanquam eorum heredes et successores.352 Entsprechend wurden 1225 zu einer Schenkung des Pfalzgrafen zugunsten des Klosters Walkenried nicht nur Agnes, die Tochter Heinrichs, sondern auch Otto das Kind, sein testamentarischer Erbe, zur Zustimmung herangezogen.353
345
Wenck II UB, S. 213. G. Pischke, Landesteilungen, S. 52 ff. 347 OG III, 294; zur Sache: S. Zillmann, S. 295 ff. 348 OG III, 145. 349 In derselben Urkunde von 1208 etwa verfügte Otto zugunsten des Erzbischofs auch über Haldensleben, das 1202 zu Wilhelms Anteil gelegt worden war, OG III, 351; eine Übersicht über diese brüderlichen Übergriffe gibt G. Pischke, Landesteilungen, S. 31. 350 MGH Const. II, 42 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 93). 351 UB Braunschw. II, 60: (…) tanquam heredi nostro et legitimo successori (…). Näher zu dem Testament des Pfalzgrafen unten bei Anm. 387 ff. 352 OG IV, 105. 353 OG III, 699. 346
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Nach der Teilung von 1267354 kommt in einer Verfügung Johanns von Lüneburg der dauerhafte Schutz des Empfängers als tragendes Motiv dafür, auch abgeteilte, in Seitenlinie Verwandte zur Zustimmung heranzuziehen, deutlich zum Ausdruck: Johann erkennt an, dass bei dem Verkauf der neuen Saline in Lüneburg an die in der alten Saline Begüterten versprochen worden sei, dass die Urkunde, die über diese Vereinbarung angefertigt worden ist, mit den Siegeln seiner Brüder der Herrn Otto, Bischof zu Hildesheim, und Konrad, postulierter Bischof zu Verden, und Albrecht, Herzog von Braunschweig, seiner Brüder und des edlen Herrn Graf Gerhard von Holstein, und seines eigenen bekräftigt werden müsse, damit niemals der so vernünftige Vertrag von ihm oder seinen Erben oder Sukzessoren gebrochen werde, und weil er diese Siegel seiner genannten Brüder nicht habe erhalten können, habe er mit Rücksicht darauf entschieden, dass seine Vögte und Burgverwalter von Lüneburg, Thune, Harburg, Lichtenberg und Hannover sämtliche versprechen sollten, dass wenn er und seine Kinder (heredes nostros carnis = Deszendenz) gestorben seien, sie die benannten Schlösser an niemanden herausgeben würden, ohne dass die Siegel der benannten Brüder an die Urkunde, die er ihnen über den Verkauf der neuen Saline gegeben habe, geheftet seien.355 Die Siegel – eine Form der Zustimmung – schützten also den Erwerber vor dem Bruch des Vertrages durch Johann selbst, seine Leibeserben – Johann hatte Kinder – und durch die successores, die im Falle des Aussterbens zur Nachfolge der Linie Johanns berufenen Kollateralen. Solch wichtiges, weil einkunftsträchtiges Objekt wie die Saline zu Lüneburg musste die Erwerber auf intensivste Schutzmaßnahmen drängen lassen: Da die Brüder nicht zur Vertragsabsicherung für die Zukunft zu bewegen waren, ersann Johann das genannte Druckmittel; andernfalls – so dürfen wir annehmen – wären die Erwerber wohl kaum zur Entrichtung des Kaufpreises bereit gewesen.356 Das Erbenlaub diente natürlich nicht nur dem Schutz des Erwerbers vor Ansprüchlichkeiten berechtigter oder unberechtigter Dritter. In diesem Schutz spiegeln sich die subjektiv wie objektiv begründeten Bindungen des Verfügenden wider. Erwerberinteresse und Schutz von Rechten Dritter sind die zwei Seiten einer Medaille. Für das Jahr 1219 ist uns ein Zeugnis der Bedeutung des Erbenlaubs auf Veräußererseite, auf Seiten der Familie überliefert. Im Streit der Welfen mit dem Bremer Erz354
Zu dieser Teilung näher unten B.I.1. Sud. I, 77 (1273). 356 Auch 1279 (Sud. I, 89) verfügten die zwei 1267 voneinander abgeteilten Linien gemeinsam – genauer: Albrecht verzichtete als Vormund Ottos, des Sohnes seines Bruders Johann (gestorben 1277), zusammen mit seinen Erben auf bestimmte Objekte zugunsten des Erzbischofs von Bremen und bekräftigte zugleich den Vertrag, den sein Vater, Otto das Kind, 1236 mit der Bremer Kirche geschlossen hatte (Sud. I, 19). 1279 verfügte gleichsam ein nicht auseinander gesetzter Rest einer Erbengemeinschaft. Bei der Teilung von 1267 waren die Objekte des jetzigen Verzichts nicht behandelt, d. h. einem der Teilenden zugewiesen worden. Ebenso wenig war die Rechtsnachfolge in die Stellung des Vaters bzw. Großvaters als Partei des Vertrages von 1236 behandelt worden. Insofern musste dem Erzbischof an Bekräftigung dieses Vertrages durch alle, nunmehr abgeteilten Linien der Nachkommenschaft Ottos des Kindes gelegen sein. Otto, der Neffe Albrechts, bestätigte den Verzicht 1280 (Sud. I, 91). 355
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
bistum um Stade kam es zu einem – wenn auch nur vorübergehenden – Ausgleich in einem Vertrag zwischen Heinrich dem Pfalzgraf und Erzbischof Gerhard II. In diesem übertrug Heinrich sein ganzes Erbe, das er in der Grafschaft Stade besaß, zusammen mit der Propstei Wildeshausen der Bremer Kirche in proprium und empfing sodann das Erbgut und die Grafschaft Stade vom Erzbischof als Lehen, allerdings nur auf Lebenszeit. Zudem musste Heinrich auf Zoll, Münze und Vogtei in der Stadt Bremen und auf die Vogtei im „Neuenland“ (nove terre) verzichten.357 Heinrichs Neffe Otto das Kind pochte gegenüber dieser Vereinbarung auf sein Erbenlaub; er beanspruchte das Stader Erbe, über das Heinrich ohne seine Zustimmung nicht habe verfügen dürfen. Die Sächsische Weltchronik berichtet dazu von einem nicht unstreitigen Rechtsspruch: Do lech ime de bischop wider dat selve egen unde de denestman unde de grafschap to Staden. Do spraken ettelike lude, dat het nicht don ne machte ane erven lof (…) .ettelike, dat het don mochte sunder erven lof. Dar ward enes ordeles umbe gevraget; do vant men to rechte: were he en Swavei, he mochtit wol don. Dat is wol witlic, dat he nen Swavei ne was, wane en recht Swaf van allen sinen alderen.358 In praxi konnte Otto mit dieser für ihn günstigen Rechtsansicht nicht durchdringen; nach dem Tode des Pfalzgrafen (1227) gelang es Erzbischof Gerhard II., das Stader Gebiet zu besetzen. Zur Rechtsansicht: Otto war nur der nächste männliche Erbe; unabhängig vom Geschlecht standen ihm die beiden Töchter des Pfalzgrafen in der Erbfolge – wie sie der Sachsenspiegel formuliert – voran. Die Erbeinsetzung Ottos im Testament Heinrichs erfolgte erst 1223. Und darin setzte Heinrich Otto ausdrücklich auch zum Erben in die Grafschaft Stade ein. Zu bedenken ist aber, dass der in der Sächsischen Weltchronik überlieferte Rechtsspruch keineswegs „allodial begründet“ – ausformulierte Entscheidungsgründe enthält der Spruch natürlich zeittypisch nicht – gewesen sein muss. Zwar hatte Heinrich auch sein egen in der Grafschaft Stade dem Erzbischof zu Lehen aufgetragen, doch auch die grafschap to Staden. Gerade diese war aber bei der Teilung des Patrimoniums Heinrichs des Löwen 1202 als einzige konkrete Rechtsposition ausdrücklich als feudaler Rechtsnatur herausgehoben worden: comitia quoque Stadii successit ei (Heinrich), sed haec iure feodali.359 Insofern war das Geschlecht Ottos nicht ohne Belang; Otto das Kind war der nächste Feudalerbe des Pfalzgrafen. Eine Veränderung gegenüber der Zeit bis in das 12. Jahrhundert hinein, wie sie sich beispielsweise dem Rechtsspruch zu 1219 und auch einigen anderen der angeführten Quellen entnehmen lässt, sei im Zusammenhang mit den Familienbindungen nur angerissen: Das Beispruchrecht umfasste nunmehr offensichtlich nicht mehr allein allodiale Rechtspositionen, die Familienbindungen dehnten sich auf Objekte anderer Rechtsnatur aus.360 1257/58361 und 1273362 etwa wird über Rechte an einer Sa357
S. Zillmann, S. 134; E. Schubert, Niedersachsen, S. 511 ff. Cap. 360, S. 242. 359 OG III, S. 144. 360 L. Zimmerle, S. 248, datiert ganz allgemein den Einzug des Einspruchsrechts auch in das Lehnrecht auf den Beginn des 13. Jahrhunderts. Im Sachsenspiegel ist ein Beispruchrecht der 358
II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter
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line unter Zustimmung der (Mit-)Erben verfügt, also über regalische Rechte, die das Königtum spätestens seit der ronkalischen Definition von 1158363 für sich reklamierte. Im Bericht der Sächsischen Weltchronik über den Rechtsspruch zu 1219 sind Verfügungen über egen, denestman und grafschap gleichermaßen vom erven lof erfasst. Mag auch Ottos des Kindes Beispruchberechtigung gerade daher rühren, dass er als nächster männlicher Angehöriger des Pfalzgrafen dessen Feudalerbe war, wandte er sich doch ebenso auch gegen Heinrichs Vergabe von Allod. Mögen also Nachfolge in Allod und Nachfolge in Lehen nicht vollends deckungsgleich gewesen sein, mochte also die beispruchrechtsbegründende Nachfolgexspektanz verschiedenen Rechtskreisen erwachsen,364 so ist das Beispruchrecht grundsätzlich ein neutrales, keinem Rechtskreis spezifisches Institut. Gleichfalls auf Objekte verschiedener Rechtsnatur war die Zustimmung der Brüder und zu diesem Zeitpunkt unabgeteilten Miterben Ottos IV. bezogen, als dieser 1198 der Kölner Kirche gewährte: Ducatum, allodia, feoda sive ministeriale, quos nunc Coloniensis ecclesia vel alii eius nomine possident, cum bona voluntate nostra et fratrum nostrorum Heinrici palatini Reni et Wilhelmi de Brunswich – archiepiscopus et eius successores in perpetuum possidebunt.365 Dass nunmehr auch feudale und regalische Rechtspositionen vom Beispruchrecht erfasst wurden, deutet darauf hin, dass auch sie jetzt Verfügungen ihrer Inhaber unterlagen. Tatbestände, aus denen sich ein Beispruchrecht ergeben konnte, waren auch zuvor schon gegeben: Erblichkeit und – wenigstens teilweise erkennbar – gesamthänderische Innehabung solcher Rechtspositionen; nur wurde bis weit ins Hochmittelalter hinein über Komitats- und Vogteirechte nicht verfügt, so dass Bindungen nicht virulent wurden. Dass mit der – zuvor allein dem Allod eigenen – Mobilität dieser Bestandteile des Patrimoniums sich die patrimonialen Bindungsinstitute auch hier zeigten, dass Erben, Mitberechtigte und Erwerber solcher Rechtspositionen ihren Schutz suchten, erscheint demnach mehr als nahe liegend. Damit sind die Signifikanten eines Prozesses, der Mobilisierung auch von feudalen und regalischen Rechtspositionen wenigstens angedeutet, seine Faktoren und Wirkungen sollen an späterer Stelle näher erörtert werden.366 Söhne für einen konkreten Fall der Verfügung über Lehen formuliert: Für die Bestellung eines Leibgedinges am Lehensgut durch den Vasallen (LehNr. 31). 361 Sud. I, 44, 47. 362 Sud. I, 77. 363 MGH Const. I, 175 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 64). 364 Nicht von ungefähr wird etwa in Sud. I, 77 (1273) zwischen den heredes und successores geschieden; aber von beiden war die Zustimmung einzuholen, sollte dem Vertrag ein dauerhafter Bestand sicher sein. 365 MGH Const. II, 17. In der Bestätigung dieses Verzichts, 1201 (Reg. Imp. V, 216), ist der Dukat nicht mehr unmittelbar Objekt des Vertrags: universailla(!) bona, que Philippus quondam Coloniensis achiepiscopus de ducatu quondam patris nostri illustris ducis Saxonie (…) optinuit; die zur Zustimmung durch Otto bewogenen Brüder (dilectos fratres nostros […] ad hoc induximus) stellten Geiseln als Sicherheit für die Einhaltung des Vertrags. 366 Unten A.III.
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
bb) Stammgut und Adelsrecht (1) Kategorien von Adelsvermögen in der Verfassungsgeschichtsschreibung, besonders der Begriff des „Stammguts“ Anhand der Gestalt der jeweiligen Bindungen in der Verwandtschaft und damit aufs Engste verschränkt mit der dinglichen Zuordnung bildet die Verfassungsgeschichtsschreibung schon seit Jahrhunderten Kategorien von Vermögensmassen: Familiengut, Hausgut, Erbgut, Stammgut und Familienfideikommissgut. Die Begriffe „Hausgut“ und „Familiengut“ beschreiben Bindungen älterer, vorund frühmittelalterlicher Zeit – einer Zeit kaum entwickelter Individualität an Rechtspositionen: „Soweit das unbewegliche Gut nicht noch Eigentum der Sippe als Siedlungsverband war, stand es im Eigentum des Hausherrn“ beziehungsweise der „Hausgemeinschaft“.367 Diese Kategorien sind spätestens mit dem Aufkommen grundherrschaftlicher Bewirtschaftungsformen im Adel kaum mehr zu beobachten und können mithin hier außer Acht gelassen werden. Der Begriff Stamm- oder Familienstammgut kennzeichnet, darin decken sich seine im Einzelnen variierenden Beschreibungen, eine jüngere und auf den Adel beschränkte Entwicklung.368 Der Begriff der Erbgüter hingegen berücksichtigt keine Standesunterschiede. Diese Güter tragen als Signatur lediglich die weitere Entwicklung des überkommenen, jegliches Allod erfassenden Veräußerungshemmnisses des Erbenlaubs. Die Bindung des Stammguts an die adelige Familie hob sich davon vor allem insofern ab, als dieses Gut anknüpfend an ältere Bindungsinstitute, geordnet durch ausdrückliche hausrechtliche Regelung – es wird hier zumeist der erst Jahrhunderte später belegbare Begriff „Hausgesetze“ verwendet – oder Herkommen allen Agnaten vererbt wurde. Gerade dieses Prinzip der ausschließlichen Sukzession im Mannesstamm wird seit jeher in der Literatur als das wesentliche Merkmal des „neuern Adelsrechtes“369 und entsprechend der durch dieses erzeugten Güterkategorie herausgestrichen; der Stamm der Stammgüter war der Mannesstamm.370 Im Übrigen variieren die Merkmale der Kategorie Stammgut. Während etwa Erler offenbar auch das vertraglich begründeten Ganerbschaften zugeordnete Gut unter diesen Begriff fassen will,371 formuliert Conrad kategorisch, d. h. zeitlos, eine Definition, wie sie nach Erler erst einen späteren Zustand beschreibt: Hochadelige Stammgüter „waren in der Familie gebundene Güter, die ungeteilt im Wege der Einzelerbfolge, 367
H. Conrad, Bd. 1, S. 40; W. Ogris, Art. „Hausgut“, HRG 1, Sp. 2028 ff. Auch für das Folgende: L. Zimmerle, S. 263 ff.; H. Conrad, Bd. 1, S. 418 f.; W. Ogris, Art. „Hausgut“, HRG 1, Sp. 2028 ff.; A. Erler, Art. „Familienstammgüter“, HRG 1, Sp. 1073 f. 369 L. Zimmerle, S. 265. 370 Schon deutlich in Philipp Knipschilds Traktat De fideicommissis familiarum nobilium, Cap. 1, RdZiff. 36 ff., etwa 39. Hoc loco familiae nomen agnatos tantum continet masculos oder: 64. Vocabulum Stamm masculos tantum comprehendit; ferner: H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 45 ff.; A. Erler, ebd., Sp. 1073. 371 Sp. 1073. 368
II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter
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also unter Ausschaltung der Ganerbschaft, auf den nächsten männlichen Erben übergingen“.372 In solchen Variationen der Beschreibung des Stammguts, die einer Bedeutungsverschiebung offensichtlich nicht begrifflich Rechnung tragen, tritt das Problematische des Festhaltens an dieser der überkommenen Lehre entsprungenen Begriffsbildung überhaupt hervor: „Stammgut“ ist kein zeitgenössischer (Rechts-)Terminus, sondern eben eine literarische Beschreibung; der Begriff, Ausdruck wie Inhalt, ist nicht quellenkonform. Mag sich hinter gleich bleibenden Vokabeln der Quellen immer wieder ein anderer Inhalt verbergen – die Grafschaft des 11. Jahrhunderts ist ein anderes Herrschaftsgebilde als die Grafschaft des beginnenden 13. Jahrhunderts –373 wird mit der Retroprojektion dieses Begriffs in das Mittelalter ein Jahrhunderte währender, vielschichtiger, komplexer Prozess unter ein Wort gezwängt. Ein Festhalten an dieser nahezu zeitlos formulierten Begriffsbildung ist Stilblüte einer auf Systematisierung und Kategorisierung ausgerichteten, Jahrhunderte von der Verfassungsrechtswissenschaft ja nicht abgekoppelten, Verfassungsgeschichtsschreibung. In vielen Arbeiten des 18. und 19. Jahrhunderts tritt indes die Betonung der Stammgüter als ein Spezifikum neueren – d. h. spätmittelalterlichen – Adelsrechts, das sie aus den bloßen Erbgütern heraushob, in den Hintergrund. Besonders bei Autoren des Ancien Rgimes erscheint „Stammgut“ vielfach als Synonym für das Allodium schlechthin; das agnatische Prinzip wird entweder nicht näher problematisiert, sondern gleichsam vorausgesetzt,374 oder überhaupt als schon seit jeher gegeben betrachtet.375 Die staatsrechtlichen Fragestellungen dieser Zeit, deren Beantwortung den Blick in die Geschichte lenkte, zielten teils noch auf die Gewinnung von Rechtsprinzipien, aus denen die Frage nach der Veräußerlichkeit von adeligen Rechtspositionen und die sich anschließende Frage nach der Nachfolgerverbindlichkeit, grundsätzlich, nachgerade allgemeingültig beantworten ließe,376 teils aber schon auf die Gewinnung von Argumenten für die Sonderung von Staats- und Privatgut in Fürstenhand.377 Diese Sonderung, die von einer vornehmlich akademischen zu einer höchst politischen Frage geworden war, prägte die Erörterung des Stammguts in der Staatsrechtslehre des Konstitutionalismus. Ihre literarischen Vertreter verwandten die als Stammgutsprinzipien oder Fideikommiss qualifizierten Dispositionsbeschränkungen im Hochadel als Argumentationstopos für oder gegen die Staatsgutsqualität des Kammer- oder Domanialvermögens der Dynastien, also als Maßstab für dessen Zuordnung zu den von den Konstitutionen rechtlich fixierten Kategorien: Staatsgut
372
Bd. 1, S. 418 f. Dazu unten A.III.1. 374 J. J. Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, S. 124 f., 219 ff.; A. F. H. Posse, Sonderung, S. 41 ff.; C. Ch. A. H. v. Kamptz, Verbindlichkeit, S. 15 f., 174 ff. 375 Dazu: L. Zimmerle, S. 265 ff. 376 Bes. bei J. J. Moser, ebd. 377 Bes. bei A. F. H. Posse, ebd., und C. Ch. A. H. v.Kamptz, ebd. 373
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einerseits, Privatgut des Fürsten und seines Hauses andererseits.378 In dieser rechtspolitisch bestimmten Geschichtsbetrachtung stand besonders das Verhältnis von älterem Stammgut und jüngerem Familienfideikommiss, in dessen Einkleidung sich das hochadelige Vermögen zum Ende des Alten Reichs weithin befand, im Mittelpunkt. Rückte man das Fideikommiss möglichst nahe an die alten Stammgutsprinzipien heran und qualifizierte diese zugleich – aufgrund ihres unbestreitbaren Herkommens aus dem allodialen Bereich – als „geltende Grundsätze des einheimischen deutschen Rechts“, war ein plausibles Indiz für die Privatgutsqualität des Kammervermögens gewonnen – die „Fortdauer der Grundsätze des ältesten deutschen Privatrechts“ im Hinblick auf dieses Vermögen erkannt.379 Von daher kann es nicht verwundern, dass allein die Vertreter der Ansicht, das Domanialvermögen habe seit jeher die Qualität eines Staatsguts gehabt oder habe zumindest „dem Landesherrn als solchem“ zugestanden, besonders die Abkoppelung des Adelsguts vom „allgemeinen Güterrecht“ mittels besonderer, nicht mehr ohne weiteres als „Privatrecht“ zu klassifizierender Normierung betonen.380 Das Festhalten an dem „Stammgut“ als einer rechtlich fest umrissenen Kategorie von Vermögensbestandteilen für die Zeit des Mittelalters bis in die frühe Neuzeit hinein381 erscheint nicht nur ohne erkennbaren Vorteil, sondern birgt sogar einen greifbaren Nachteil in sich: Die Erfassung des Stammguts eben als Güter-Masse verdeckt die spezifisch verfassungshistorische Dimension der mit diesem Begriff angesprochenen Strukturen und Entwicklungen, die einerseits aus der Qualität der gebundenen Rechtspositionen, andererseits aus eben dieser Bindung selbst herrührt; die herrschaftsgeschichtliche Perspektive tritt zurück. Das Substrat der gebundenen Rechtspositionen waren nicht nur Äcker und einige Zehnte oder dergleichen mehr. In die Rechtstitel war – zunehmend –382 Herrschaft eingeschmolzen; und ihre Verbindung
378 Ein auch nur halbwegs repräsentativer Überblick über die Fülle staatsrechtlicher Arbeiten dieser Zeit kann hier nicht gegeben werden; gleichwohl sollen hier wenigstens die Namen der wohl vornehmsten Vertreter des literarischen Streits um die Rechtsnatur des Kammervermögens im 19. Jahrhundert genannt werden: H. A. Zachariae, Deutsches Staatsund Bundesrecht, 3 Bde., in 3 Aufl. zwischen 1841 und 1867 erschienen; ders., Das rechtliche Verhältniß des fürstlichen Kammergutes, insbesondere im Herzogtum Sachsen-Meiningen, 1861; ders., Das Eigentumsrecht am deutschen Kammergut. Gegen A. L. Reyscher, die Rechte des Staates an den Domänen etc., 1863/1864; und A. L. Reyscher, Die Rechte des Staats an den Domänen und Kammergütern nach dem deutschen Staatsrecht und den Landesgesetzen, insbesondere der sächsischen Lande, 1863; ders., Der Rechtsstreit über das Eigenthum an den Domänen des Herzogthums Sachsen-Meiningen. Gegen Zöpfl, Zachariä und eine anonyme Regierungsschrift, 1865. 379 So deutlich bei L. W. Pernice, S. 18, aber auch bei H. A. Zachariae, Fürstliches Kammergut, S. 33 ff. 380 Deutlich bei A. L. Reyscher, S. 111 ff., 140. 381 Von einer solchen Umreißung geht A. Erler, ebd., Sp. 1073 f., aus, wenn er formuliert: „Immer freilich konnte von Rechts wegen neben dem Familienstammgut noch freies allodiales Vermögen vorhanden sein“. Welches Recht ist hier der Maßstab? 382 Dazu näher unten A.III.1.
II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter
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nach „Stammgutgrundsätzen“ war – dies sei hier vorweggenommen –383 über Jahrhunderte nahezu kongruent mit dem Fürstentum. Fürstliche Herrschaft war die Kumulation verschiedener Rechte des Fürsten.384 Kurzum: Stammgut und Fürstentum fielen jedenfalls im Spätmittelalter weithin in eins – sieht man einmal von der Reichsstandschaft, der reichsrechtlichen Würde des Fürsten ab.385 Aus den Merkmalen des dargelegten Stammgutbegriffs ist indes eines herauszugreifen und sogleich ein anders gelagerter Bedeutungsgehalt von „Stammgut“ zur näheren Beleuchtung hinzuzufügen. Im Folgenden soll zunächst nach dem Aufkommen, den Wurzeln der – bewussten – Steuerung von Erbfolge in und Dispositionsfreiheit über Rechtspositionen spezifisch im Adel, als deren Produkt das Stammgut ja beschrieben wird, nach der Herausbildung eines Adelsrechts – zur Erhaltung überkommener oder Schaffung eines Mehr an Bindungen – gesucht werden. Damit ist der Blick nun ganz konkret auf den zentralen Gegenstand der Arbeit, die hausrechtliche Sukzessionsregelung, die zugleich die jeweiligen Bindungen widerspiegelt und auch erzeugt, gelenkt, die dann im Hauptteil, dem II. Abschnitt, für die anschließende Zeit nach der Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 1235 ausführlich behandelt wird. Hier sollen nun dem Beginn von Haus-, von Adelsrecht in Sachsen und speziell natürlich bei den Welfen nachgespürt werden. Sodann wird unter dem Stichwort „Stammgut und Handgemal“ der Frage nach einer Segmentierung des Patrimoniums, der Erfassung, eventuell erst Herausbildung, eines Ausschnitts aus dieser Rechtsmasse zum Zwecke der Sonderbehandlung, einer besonderen Integritätswahrung, nachgegangen. Hierher gehört die Beobachtung einer Sonderbehandlung einiger – zentraler – Orte in der Sukzession etwa der Northeimer. (2) Zum Adels- und Hausrecht Der Beginn eines Adelsrechts, eines spezifisch adeligen Hausrechts wird ganz allgemein in das ausgehende 13. und beginnende 14. Jahrhundert gelegt.386 Wie es Weitzel ausgehend von der vor allem im 19. Jahrhundert kontrovers diskutierten Frage nach dem rechtlichen Charakter der Haus- und Erbfolgeregelungen, der Art ihrer Erzeugung und Wirkung ihrer Normativität für diese Rechtsmaterie überhaupt näher herausgearbeitet hat, trennten sich in dieser Zeit „die fürstlichen Haus- und Erbfolgeregelungen von dem auf das Gericht bezogenen ,Recht“.387 Dieses „Recht“ ist ein vorgegebenes, nicht machbares; es rührt seinem Inhalt nach nicht vom Herrscher her,
383
Dazu u. a. unten B.V.1.e). Näher dazu oben in der Einleitung. 385 Zu dem damit angerissenen Verhältnis von Stamm- oder auch Kammergut zu Landesherrschaft näher unten A.III.2.a) und B.I.3.a). 386 H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 45 f.; A. Erler, Art. „Hausgesetze (Hausverträge)“, HRG 1, Sp. 2026 ff.; J. Weitzel, Hausnormen, S. 35, 42; D. Willoweit, Art. „Privatfürstenrecht“, HRG 2, Sp. 1966 ff., und oben Einleitung, bei und in Anm. 57 ff. 387 Hausnormen, S. 42. 384
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sondern ist den Urteilern und dem Gericht zugeordnet.388 Und diesem überkommenen „Recht“ war noch lange die gewillkürte Erbfolge, vor allem konkret die Vorstellung, „einseitig über den Tod hinaus das Schicksal von Liegenschaften bestimmen zu können“, ebenso fremd, wie das agnatische Prinzip, der Vorrang des auch entferntesten Agnaten vor den Töchtern und ihren Nachkommen.389 Wohl einhergehend mit der Ausbreitung der gewillkürten Erbfolge im Allgemeinen390 ist nun für das Adelsrecht kennzeichnend der Einsatz dieses Steuerungsinstruments zur Verengung des Kreises der Erbberechtigten auf den Mannesstamm, der Ausschluss der Kognation, um der – sich ja immer wieder realisierenden – Gefahr der Entfremdung großer Gütermassen von der Familie des Mannesstammes dadurch, dass Töchter durch Heirat oder verwitwete Gemahlinnen durch Neuheirat ihr Gut in einen stammfremden Erbgang verbrachten, entgegenzuwirken. Worin lassen sich nun bei den Welfen und den großen sächsischen Adelsgeschlechtern, die sie vielfach beerbten, erste Zeugnisse der Abweichung vom überkommenen „Recht“ durch Steuerung der Erbfolge erkennen? Urkundlich ist eine solche Steuerung auch für die Welfen erst aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert überliefert.391 Lassen sich nicht aber auch schon Ansätze zur Herausbildung eines Adelsund Hausrechts aus der Zeit davor, über die die Chronisten und Annalisten Auskunft geben, erkennen?
388 Zur mittelalterlicher Anschauung von Recht grundlegend: F. Kern/W. Ebel, Willkür; ders., Gesetzgebung; H. Conrad, Bd. 1, 345 ff.; H. Krause, Dauer; ders., Art. „Aufzeichnung des Rechts“, HRG 1, Sp. 256 ff.; ders., Art. „Gesetzgebung“, HRG 1, Sp. 1606 ff.; ders., Art. „Gewohnheitsrecht“, HRG 1, Sp. 1675 ff.; D. Willoweit, Struktur. 389 Zitat nach J. Weitzel, Hausnormen, S. 42. Zur gewillkürten Erbfolge H. Conrad, Bd. 1, S. 161 (bis zum Hochmittelalter), S. 420 f. (im Hoch- und Spätmittelalter). Zum agnatischen Prinzip, gerade auch als Kern des aufkommenden Adelsrechts: H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 45 ff. 390 Immer wieder mit Tacitus (Germania c. 20: heredes tamen successoresque sui cuique liberi, et nullum testamentum) belegt ist davon auszugehen, dass dem germanischen, deutschen Recht die gewillkürte Erbfolge ursprünglich fremd war, solange Abkömmlinge den Erblasser überlebten („das Gut rinnt abwärts wie das Blut“). In der Zeit der Volksrechte wurde dieser Grundsatz gelockert durch die Möglichkeit der Vergabe von Gut zum Seelenheil an die Kirche (Seelgerätstiftungen). Der Sachsenspiegel geht ganz selbstverständlich von einem Verwandterbrecht aus (siehe etwa nur Ldr. I 4, 5, 13, 14, 17). Ganz deutlich wird dies auch gerade in der Konstruktion und den Rechtswirkungen des Anwartschaftsrechts der Erben (Ldr. I 52, dort besonders § 2 a.E.: (…) daz herz ieneme mite entpherne, der ez wartende iz nah sime tode). Eine rechtsgeschäftlich begründete Erbfolge wird dieser Erbfolgeordnung keinesfalls gleichgeordnet. Jedoch kennt der Sachsenspiegel das „versprochene Erbe“ – indes ausdrücklich nur als Ausnahme: Wer ein erbe anspricht, nicht von der sippe halben sunder von gelobdes wegene, daz ist unrecht, ez en si, daz ez vor gerichte geschen si (Ldr. II 30). Der Schwabenspiegel erleichterte diese Formvorschrift – es war lediglich Schriftform geboten (Schwsp. Ldr. 22) –, jedoch bedurfte die Vergabe von Liegenschaften der Zustimmung der wartberechtigten Erben (ebd.). 391 Sicher als eine solche Steuerung ist der Vertrag von 1290 anzusprechen (Sud. I 117; dazu unten B.I.3.b) bei Anm. 203.
II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter
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Die Erbfolge in das Allod392 stellt sich bei den großen sächsischen Grafengeschlechtern durchaus noch dem „Recht“ konform dar – dem „Recht“, wie es in Lex Saxonum und Sachsenspiegel überliefert ist.393 Von einem agnatischen Prinzip in dem Sinne, dass der entferntere Agnat den Vorzug vor den Töchtern und ihren Nachkommen hatte, findet sich bei Billungern und Northeimern und – soweit ersichtlich – auch bei anderen großen sächsischen Adelsgeschlechtern kein Zeugnis – im Gegenteil, wie es etwa die Nachfolge in die Allode Kunos von Beichlingen belegt.394 Dem Mannesstamm kam nur – „rechts“-gemäß – innerhalb der Deszendenz eine wenigstens vorrangige Erbenstellung zu.395 Schwerlich in die Ahnenreihe – welfischer – Hausgesetze lassen sich die viel behandelten Verfügungen Welfs VI. über das süddeutsche Welfenerbe, das patrimonium Altorfensium, aus den Jahren 1175 und 1178 einordnen, über die uns die Historia Welforum, vor allem die so genannte Steingadener Fortsetzung derselben unterrichtet.396 Danach habe Welf VI. zunächst in einem Vertrag (conventio) mit seinem Neffen Heinrich dem Löwen diesem versprochen, ihm nach seinem Tode omne patrimonium suum zu überlassen. Als es dann aber zu einem scandalum dissensionis mit dem Neffen gekommen sei, habe Welf deshalb dieses Abkommen zugunsten Kaiser Friedrichs und dessen Söhnen geändert. So sei dieser lege gentium in den Besitz der hereditas gelangt. Einiges davon habe Friedrich als signum possessionis für sich zurückbehalten, das Übrige habe er Welf als Lehen gegeben und diesem auch noch einiges de suis hinzugefügt. Zwar unternahm Welf VI. demnach zweifach eine Einflussnahme auf die Erbfolge in sein Patrimonium – mag auch die Übereignung an den Staufer zu seinen Lebzeiten geschehen sein, so zielte sie auf eine Nachlassordnung ab, nachdem Welf VI. mit dem
392 Die Sukzession in den comitatus muss hier selbstverständlich außer Acht gelassen werden. Dass bei dieser – bis auf wenige nicht genau erkennbare Ausnahmen – allein der Mannesstamm Berücksichtigung fand, ist nicht haus-, sondern amts- oder lehnrechtlich begründet. 393 Zwar ist der Sachsenspiegel erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts aufgezeichnet worden, doch nicht zuletzt seine Übereinstimmungen zum Erbrecht der Lex Saxonum lassen es zu, das in ihm niedergeschriebene Erbrecht als „vorgegebenes Recht”, als schon lange geübte Rechtsgewohnheit anzusehen. 394 Zu der schon erwähnten möglichen Ausnahme, der Nachfolge des Wettiner Grafen Friedrichs von Eilenburg (oben A.II.2.a) Anm. 233) siehe weiter unten. 395 Gegen die ältere Doktrin, die in der Hausgesetzgebung einen Schutz des agnatischen Prinzips vor nivellierenden Einflüssen des römischen Rechts sah, wandte sich schon H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 46. 396 Umfassend zu Inhalt und Überlieferung der Weingartener Handschrift und der sog. Steingadener Fortsetzung: O. G. Oexle, Adliges Selbstverständnis; ders., Welfische Memoria. Zur Datierung der genannten Verfügungen: ders., Welfische Memoria, S. 77, 81; vgl. auch G. Althoff, Anlässe, S. 40 f.; die hier einschlägige Passage der Steingadener Überlieferung ist auch abgedruckt bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 369 Anm. 1.
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Tode seines Sohnes Welfs VII. keine Nachkommen mehr hatte.397 Insofern scheinen die von Weitzel herausgearbeiteten Mittel zur Trennung hochadeliger Erbfolgeregelung vom „Recht“ vorzuliegen – Einung zwischen Welf VI. und Heinrich dem Löwen, hausväterliches Gebot in der Verfügung zugunsten des Staufers. Aber von einem Hausinteresse, einer bewussten Bindung des Patrimoniums an die Familie war Welfs Verfügung von 1175 nur sehr bedingt und diejenigen von 1178 ganz sicher nicht getragen. Die Vereinbarung mit dem Löwen, über deren näheren Inhalt allerdings nur wenig bekannt ist, war sicherlich ein Erbvertrag mit einem agnatisch verwandten männlichen Familienangehörigen, dem Brudersohn. Aber wurde hier eine agnatische Erbfolge konstituiert und nicht lediglich deklariert? Wurde gar das „agnatische Prinzip“ auf Kosten cognatisch Verwandter durchgesetzt? Oder lagen nicht vielmehr Ziel und Schwerpunkt dieses Vertrages in anderen Momenten? Denn Heinrich der Löwe war dem „Recht“ gemäß ohnehin allerwenigstens einer der Erben Welfs.398 Neben dem Löwen kamen als Welfs Erben – der verstorbene Welf VII. war sein einziges Kind – seine zum Zeitpunkt der Verfügung noch lebende Schwester Mathilde, gestorben 1183, und der Sohn seiner Schwester Judith, Kaiser Friedrich I. Barbarossa, in Betracht. Keiner dieser denkbaren Erbberechtigten erbte vorrangig vor Heinrich, vermochte ihn aus der Erbfolge auszuschließen.399 Qualifiziert man das patrimonium Altorfensium gar als Stamm- oder Wohnsitz Welfs, als ansidel da der vater vffe saz, so wäre eine agnatische Erbfolge, eine Alleinerbschaft des Löwen durchaus wahrscheinlich „rechts“-konform.400 Die Darstellung der Steingadener Fortsetzung der Historia Welforum: Welfo senior post obitum filii nullatenus heredem suscepturum se de conjuge ratus, ist also insoweit „rechtlich“ mindestens ungenau;401 ist sie doch geprägt von der durch den späteren Vertrag von 1178 geschaffenen Situation des bevorstehenden Anfalls des Altorfer Welfenerbes an die Staufer. Gerade die der Historia voranstehenden Memorialbilder bringen zum Ausdruck, „dass die Geschichte des welfischen ,Hauses und Geschlechts ein staufisches Vorzeichen erhalten hat, oder besser: dass es diese ,Staufer sind, die das ,welfische Geschlecht fortsetzen“.402 Der Schwerpunkt des „innerwelfischen“ Erbvertrags, sein Motiv, dürfte vielmehr in der von Heinrich seinem Oheim versprochenen „Gegenleistung“, von der Otto von
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Dieser Bezug auf Todes- und Erbfall kommt in beiden Überlieferungen deutlich zum Ausdruck, vgl. O. G. Oexle, Welfische Memoria, S. 77. Zu den „Machtspielen“ Welfs VI. auch B. Schneidmüller, Welfen, S. 194 ff. 398 Vgl. als schwäbisches Sonderrecht im Sachsenspiegel Ldr. I 19 § 1. 399 Für den sächsischen Rechtskreis siehe insoweit: Ssp. Ldr. I 17. 400 Schwsp. 148. 401 Nach der Weingartener Überlieferung sei mit Welfs VII. Tod die nobilitas Altorfensium und die nobilitas Welforum erloschen. 402 O. G. Oexle, Welfische Memoria, S. 79 f.; vgl. zum welfischen Selbstverständnis der Historia Welforum auch: ders., Adliges Selbstverständnis, S. 71 ff.; E. Boshof, Welfische Herrschaft, S. 25.
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St. Blasien später berichtet,403 zu suchen sein, einer Geldzahlung an Welf, also: „seinen verschwenderischen Oheim mit baarem Geld zu unterstützen“.404 Welf VI. suchte sich demnach, durch die „Deklaration“ der „rechtlichen“ Erbfolge finanziell zu sanieren. Dass sich Heinrich ohnehin, das heißt auch ohne die vertragliche Abrede, als „rechts“-gemäßer Erbe wähnte, darauf gibt Otto von St. Blasien einen Hinweis: Heinrich habe nicht gezahlt, weil er mit dem baldigen Tode Welfs rechnete. Dieses Kalkül konnte doch nur darauf gründen, dass Heinrich den Empfang der ihm versprochenen Leistung Welfs nicht in Abhängigkeit von seiner Gegenleistung sah. Mit der Nichtleistung des Löwen kam es zum scandalum dissensionis mit Welf, woraufhin dieser 1178 sein Patrimonium dem Welfen ab- und dem Staufer zuwandte. Der Staufer erfüllte seinen Vertrag besser: vir in omnibus sagax et providus, in auro et argento toto nisi satisfaciens avunculo. Überdies bedeutete die in der Steingadener eigens erwähnte Feudalisierung des Patrimoniums zugleich die Erhebung Welfs VI. in den Reichsfürstenstand.405 Streicht auch die Weingartener Überlieferung heraus, dass die Übereignung an den Staufer propter innatam familiaritatem und propter consanguinitatis lineam geschehen sei, so bedeutete doch diese Verfügung das Ende der Welfen in Süddeutschland. Das patrimonium Altorfensium war dem Mannesstamm dieser Familie dauerhaft entfremdet. In Schwaben wurden aus Welfen Staufer. Auch zwei Urkundszeugnisse zur Nachfolge in das Patrimonium Heinrichs des Löwen, die im Zusammenhang mit der Frage nach dem Aufkommen einer „Hausgesetzgebung“, nach einer Steuerung der Erbfolge im Adel Erwähnung verdienen, erweisen sich spätestens bei näherem Hinsehen als Fortsetzung überkommener, „rechts“-konformer Teilungsgrundsätze. In seinem vielfach so genannten Testament, das allerdings eine Stilübung blieb, verfügte Heinrich der Löwe allein über die Art der Teilung unter seinen Söhnen: Ne hereditatis mee testimonium inter filios meos non equa portione distrahatur, ego precavens in futurum, filio meo Henrico seniori Brunsvic assigno cum patrimonio attinenti. Wilhelmus habeat lauenborg et luneborg cum prediis attinentibus. Otto habeat Haldesleve et omnia attinentia (…).406 Dass Heinrich allein seine Söhne und nicht seine Töchter bedachte, ist keinem Entdecken eines – gewillkürten – „agnatischen Prinzips“ zuzuschreiben. Zum einen war der Ausschluss der Töchter durch die Söhne in der Deszendenz im sächsischen Landrecht vorgesehen;407 zum anderen waren Heinrichs Töchter längst verheiratet und – so wird man schließen dürfen – entsprechend ausgestattet worden.408 Die Urkunden von 1202 do403
Otto von St. Blasien, Chronik, S. 28 f.; vgl. auch O. G. Oexle, Welfische Memoria, S. 81. H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 70. 405 O. G. Oexle, Welfische Memoria, S. 83. 406 1. September 1197 (Stilübung), UrkHdL, Nr. 140; vgl. auch W. Havemann, Bd. 1, S. 274; H. Kleinau, S. 13; G. Pischke, Landesteilungen, S. 12 und in Anm. 73 m. w. N.; zu den Besonderheiten der angeordneten Zuteilung siehe unten bei Anm. 447. 407 Lex Saxonum cap. XLI, XLIV; Ssp. Ldr. I 17 § 1. 408 Heinrich der Löwe wurde von drei Töchtern – soweit überliefert – überlebt: Gertrud starb 1196, sie war in zweiter Ehe mit dem dänischen König Knut VI. verheiratet; Richenza (später Mathilde) starb 1208/09, sie war seit 1189 mit Graf Gottfried II. von Perche und seit 1204 mit 404
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kumentieren dann lediglich diese Teilung unter den Söhnen des Löwen, die allerdings in Portionierung und Zuweisung von dem väterlichen Willen abwich.409 Ebenso wenig stellt das Testament des mittleren Sohnes Heinrichs des Löwen, Otto IV., aus dem Jahre 1218 eine vom „Recht“ abweichende Verfügung über die Erbfolge dar: Das Testament enthält überhaupt keine Erbeinsetzung.410 Otto scheint vielmehr wie selbstverständlich von der „gesetzlichen“ Erbfolge auszugehen, wenn er dem einzig ihn überlebenden Bruder Heinrich aufgibt, für die Übergabe der Herrschaftsinsignien an den erwählten König kein Geld anzunehmen, sondern das welfische Patrimonium zu sichern. Anders als zwei Generationen zuvor Welf VI. zeigte Heinrich der Pfalzgraf, der nach 1218 einzig noch lebende Sohn Heinrichs des Löwen, Familiensinn. In einer der verwandtschaftlichen Konstellation zu Zeiten Welfs VI. in Süddeutschland nicht unähnlichen Situation bemühte er sich seither, die Kontinuität welfischer Politik, die Integrität welfischer Besitzungen in Norddeutschland zu sichern. Und diese Kontinuität konnte nur in Person des einzigen jüngeren Agnaten, des Sohnes seines 1213 verstorbenen Bruders Wilhelm, Ottos des Kindes, gewährleistet sein. Daher setzte er 1223 eben diesen durch Urkunde und Übergabe des Herzogshutes zu seinem Erben und Nachfolger ein.411 Gleichzeitig übergab Heinrich Otto die Lehen, die er von Bremen, Verden, Minden, Magdeburg, Halberstadt, Hildesheim, Werden, Korvey, Quedlinburg und Gandersheim besaß, und bat die Herren der genannten Kirchen um Belehnung seines Neffen.412 Die Bestimmung Heinrichs von 1223 stellte eine bewusste, vom überkommenen „Recht“ abweichende Steuerung seiner Erbfolge dar. Denn Heinrich wurde zwar von keinem Sohn überlebt, aber er hatte zwei Töchter, Irmgard, die mit dem Markgrafen Hermann von Baden verheiratet war, und Agnes, die Gemahlin des rheinischen Pfalzgrafen Otto, des Herzogs von Bayern. Und nach den bisher zu beobachtenden und so auch in der Lex Saxonum und dem Sachsenspiegel niedergeschriebenen Rechtsgewohnheiten waren diese Töchter allein – unter Ausschluss ihres Vetters Ottos des Kindes – erbberechtigt an Heinrichs
Engelram III. von Coucy verheiratet, und schließlich Mathilde, sie starb vor 1219 und war seit vor 1167 mit Borwin I. von Mecklenburg verheiratet. 409 OG III, Nrn. 144, 145, 351, 352; vgl. G. Pischke, Landesteilungen, S. 12 ff. E. Schubert, Niedersachsen, S. 495 f., bewertet die Paderborner Teilung allein deshalb, weil in den Verträgen ein „brüderliches Gemeinschaftsbewusstsein“ zu Tage trete, im Kern als Hausvertrag. Irgendeine Abweichung vom gerichtsbezogenen Recht hin zu einer gesteuerten Erb- und Nachlassbehandlung lassen die Verträge von 1202 indes nicht erkennen. 410 MGH Const. II, 42 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 93). 411 UB Braunschweig II, 60: Nos (…) (Ottoni duci de Luneborch) tanquam heredi nostro et legitimo successori cupheo nostro a capite dempto porreximus et in proprium dedimus Brunswich civitatem cum universis ministerialibus et cum omnis castris et bonis pertinentibus ad eandem. Vgl. auch E. Boshof, Entstehung, S. 262. 412 (…) et supplicamus omnibus dictarum eccelsiarum dominis nostris, ut ei favorabiliter porrigant pheoda nostra, ad honores et profectus ipsum sollicite promoventes (UB II, 60); vgl. L. Hüttebräuker, S. 4; H. Patze, Welfische Territorien, S. 12; M. Garzmann, Stadtherr, S. 138.
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Portion des väterlichen Erbes,413 genauer: Heinrichs Portionen, denn nach dem Tod Kaiser Ottos IV. ist ihm auch dessen Portion zugekommen. Diese Erbansprüche hatte Heinrich 1223 dem Hausinteresse geopfert.414 Aus dem weiteren Schicksal des Nebeneinanders der „gesetzlichen“ Erbansprüche der Töchter und der „gewillkürten“ Erbansprüche Ottos des Kindes lassen sich Erkenntnisse zur zeitgenössischen Anerkennung „gesteuerter“ Erbfolgen gewinnen.415 Die Erbansprüche der Töchter Heinrichs fanden vor 1220 und zwischen 1234 und 1235 einen neuen Inhaber: Kaiser Friedrich II. Dieser hatte zunächst portionem eiusdem hereditatis (…) titulo emptionis (…) a marchione de Baden et sua coniuge erworben.416 Dass der Staufer auch den Anspruch der jüngeren Tochter Agnes von den Wittelsbachern käuflich erworben hatte, geht aus der Erhebung Ottos des Kindes in den Reichsfürstenstand, dem pactum investiturae von 1235, hervor; nachdem in einer Ur413
Ein Erbrecht der Töchter bejaht auch K. Brandi, S. 44, und streicht zugleich die politische Bedeutung der Erbregelung Heinrichs heraus. Umfassend zu den Erbansprüchen der Töchter des Pfalzgrafen gegenüber dessen Erbeinsetzung Ottos des Kindes: H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 7 ff.; dessen Ausführungen aber ganz von dem Ziel seiner Arbeit, eben den „ausschließlichen Anspruch Hannovers auf das zur Erledigung kommende Herzogthum Braunschweig“ (Fortgang des Titels) zu begründen, beherrscht sind; zu diesem Zwecke sieht er sich veranlasst – die Zusammenhänge können hier nicht näher dargelegt werden –, die rein agnatische Erbfolge als ein seit jeher im Welfenhause beachtetes Rechtsprinzip herauszuarbeiten (bes. S. 12 ff.). So schließt er u. a. ein Erbrecht der Töchter Heinrichs deshalb aus, da diese eine reichliche Ausstattung an pfälzischen Besitzungen erhalten hatten; abgesehen davon, dass dieses Argument am Maßstab des „Rechts“ gemessen nicht trägt, übersieht er, dass es sich bei diesen Besitzungen um mütterliches Erbgut gehandelt haben dürfte; Heinrich war in erster Ehe, aus der die genannten Töchter stammten, mit Agnes von der Pfalz verheiratet. 414 So auch E. Boshof, Entstehung, S. 263; H. Patze/K.-H. Ahrens, Braunschweigische Reimchronik, S. 74. 415 Es kann dabei nicht darum gehen, ob die Verfügungen der Töchter über ihre Erbansprüche „rechtlich zweifelhaft und zulässig gewesen“ sind, wie es M. Garzmann, Stadtherr, S. 139, formuliert (diese Frage allerdings unerörtert lassen will und insoweit auf weiterführende Literatur verweist) – eine Frage, die ebenso gut lauten könnte, ob die Verfügung Heinrichs zugunsten Ottos „zulässig“ war. Denn: Nach welchem Maßstab sollte diese „Zulässigkeit“ beurteilt werden? Setzt man den Maßstab des überkommenen „Rechts“ im Sinne Weitzels an, erscheint die Antwort eindeutig: „unzulässig“. Mit dieser Perspektive verbaut man sich aber, Rechtsentwicklungen erkennen zu können. Neuerungen in der Rechtspraxis müssen in Zeiten ohne geordnetes Rechtssetzungs- bzw. Gesetzgebungsverfahren immer als zunächst rechtswidrig, als „unzulässig“ erscheinen. 416 Reg. Imp. V. 3977 (1225): Heinrich (VII.) trat in seinem und seines Vaters Namen einer Schenkung des Pfalzgrafen Heinrichs an das Kloster Walkenried bei durch Verzicht auf den Anteil an den bona patrimonialia Kemnade, Hilkerode, Imbshausen, Wallshausen und am Pandelbachwald, den sie durch Kauf vom Markgrafen von Baden und seiner Gemahlin (Irmgard) aus deren Erbe erworben hatten. Zuvor hatten in Heinrichs Schenkung sowohl Otto das Kind als auch seine jüngere Tochter Agnes eingewilligt, OG III, 699 ff.) – möglicherweise Otto als „gewillkürter“ Erbe, Agnes als „gesetzliche“ Erbin. Zur Datierung des in dieser Urkunde bezeugten Kaufs auf „vor 1220“: M. Garzmann, Stadtherr, S. 139. Den Kaufpreis nennt der Kaiser in einer Urkunde von 1234: er habe dem Markgrafen Laufen, Sinsheim und Eppingen für 2.300 Mark Silber verpfändet, Ettlingen zu Lehen gegeben und Durlach zu Eigen pro bonis que sibi ex parte uxoris sue de proprietate in Brunsvic contingebant (Reg. Imp. V. 2060).
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kunde von 1234 nur des Verkaufs Irmgards Ansprüche gedacht worden war, heißt es dort: Civitatem insuper de Brunswich, cuius medietatem a duce Bawarie, dilectis principibus nostris, emimus pro parte uxorem suarum, que fuerunt quondam filie Henrici de Brunswich comitis palatini Reni, patrui dicti Ottonis.417 Aus dem Durchsetzungsversuch des „gewillkürten“ Anspruchs Ottos auf Stade – dieser Rechtsposition war eigens in der Erbeinsetzung von 1223 gedacht worden – ist dessen Verhältnis zur „rechtlichen“ Nachfolge noch nicht zu erhellen. Die Verweigerung der Ministerialen, Bürger und Einwohner Stades, auf Aufforderung Heinrichs Otto gemäß der Verfügung von 1223 als Alleinerben der Grafschaft und der in ihr liegenden Eigengüter anzuerkennen, ist nicht auf Furcht vor Inanspruchnahme durch die Inhaber der töchterlichen Erbrechte zurückzuführen. Vielmehr stand der Erzbischof von Bremen dahinter, der nach dem Vergleich mit Heinrich dem Pfalzgrafen von 1219, diesem Stade nur auf Lebzeit zu Lehen aufgetragen hatte. Die Erbeinsetzung Ottos in die Rechte an Stade war ein offenkundiger Bruch dieses Vertrages.418 Und so zog der Erzbischof beim Tode des Pfalzgrafen die Grafschaft Stade auch ein. Ebenso wenig erhellend ist das Verhalten der Braunschweiger Ministerialen und Bürger im Ringen Ottos des Kindes mit Staufern und Wittelsbachern um die Stadt, das nach dem Tod des Pfalzgrafen 1227 einsetzte. Garzmann misst dieses Verhalten an einer für Otto reklamierten Stellung als „der rechtmäßige Stadtherr“.419 Damit entscheidet Garzmann, was nicht so ohne weiteres zu entscheiden ist. Der „Rechtmäßigkeit“ Ottos Stellung muss zwangsläufig die „Unrechtmäßigkeit“ der staufischen und wittelsbachischen Ansprüche auf die Stadt Braunschweig gegenüberstehen. Dieses Gegenüber ist das Gegenüber aus „gewillkürter“ und aus „rechtlicher“ Erbfolge herrührender Ansprüche. Hierbei ex post zwischen „rechtmäßig“ und „unrechtmäßig“ zu entscheiden, setzt wenigstens voraus, dass ein tauglicher Entscheidungsmaßstab benannt wird. Worin sollte dieser aber hier liegen? Letztlich entschied sich das Verhalten der Braunschweiger wohl nicht nach einer „rechtlichen“ Beurteilung der sich gegenüberstehenden Ansprüche. Wie die Staufer den Braunschweigern Versprechungen machten, um ihre Anerkennung als Stadtherrn zu erlangen, machte Otto nichts anderes; er war nur erfolgreicher.420 Es bleibt, um sich der zeitgenössischen Anerkennung „gesteuerter“ Erbfolge zu nähern, der Erwerb der „konkurrierenden“ töchterlichen, dem „Recht“ gemäßen Erbansprüche: Mögen auch die Ziele, die der Staufer mit diesen Erwerbungen verfolgte, letztlich nicht vollends zu klären sein, eines offenbaren sie: Diese Erbansprüche der Töchter waren trotz der widersprechenden väterlichen Erbregelung zugunsten Ottos421 geldwert. Mit ihnen ließ sich argumentieren, ließen 417
MGH Const. II, 197 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120a). Vgl. S. Zillmann, S. 134 f.; E. Boshof, Entstehung, S. 263. 419 Stadtherr, S. 139 f. 420 Zu diesen Versprechungen im einzelnen M. Garzmann, Stadtherr, S. 139 f.; eine Lösung der welfisch-staufischen Auseinandersetzungen um Braunschweig wurde letztlich erst im pactum investiturae von 1235 erzielt. 421 Datiert man den staufischen Erwerb Irmgards Anspruchs auch auf vor 1220, so ist zumindest der Erwerb von Agnes Anspruch „trotz“ der Erbeinsetzung von 1223 erfolgt. 418
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sich eben überhaupt noch Ziele verfolgen. Dies war nur möglich, wenn der Erwerber wenigstens noch auf ihre Anerkennung rechnen konnte. Und dies drückte sich nicht allein in dem Versuch ihrer Realisierung aus, auch bloße Prätentionen dienten vielfach als Rechtfertigung für Inbesitznahmen; vielmehr darin, dass Friedrich sich ihren Erwerb Geld kosten ließ. Damit misst er diesen Ansprüchen einen Wert bei und – so könnte man sagen – drückt insoweit ihre zeitgenössische Anerkennung aus – trotz beziehungsweise vorrangig vor der entgegenstehenden väterlichen Disposition. Die Verfügung des Pfalzgrafen von 1223 zugunsten seines Neffens und zulasten seiner Töchter ist in ihrem Kern als das erste Zeugnis welfischer „Hausgesetzgebung“ anzusprechen. In ihr hebt sich eine „gewillkürte“ Erbfolgeregelung „von dem auf das Gericht bezogene ,Recht“ ab; im Hausinteresse wird eine rein agnatische Folge in das dann wieder vereinigte welfische Patrimonium angeordnet. Dem steht nicht entgegen, dass dieser Anordnung noch weithin die allgemeine Anerkennung versagt blieb. Denn zum einen handelt es sich um erste Ansätze, um eine Neuerung, die sich erst allmählich durchsetzen musste.422 Zum anderen wurden auch noch Jahrhunderte später gegen hausrechtliche Regelungen vonseiten Dritter Einwendungen erhoben. (3) Zum „Stammgut als Handgemal“ Von dem oben näher erörterten Inhalt des – für das Mittelalter allein literarischen – Begriffs „Stammgut“ als das durch zunehmende hausrechtliche Regelung besonders gebundene Familiengut des Adels, das indes in beliebigen Gegenständen bestehen konnte, lässt sich ein anderes Bedeutungsfeld abheben: „Stammgut“ als Übertragung des Quellenwortes „Handgemal“.423 Dieses „sehr alte, rätselhafte Wort“ (Sprandel) leitet sich wohl aus althochdeutschen mahal, mal feierliche Rede, Gerichtsverhandlung her und mag ursprünglich auch nicht, wenigstens nicht allein, zur Bezeichnung einer Liegenschaft gedient haben.424 Den im Deutschen Rechtswörterbuch zum Stichwort „Handgemahl“ aufgeführten, vornehmlich spätmittelalterlichen, Quellenbeispielen lässt sich indes bis auf wenige Ausnahmen ebendiese Bedeutung entnehmen: Es wird damit eine Immobilie bezeichnet, der ganz offensichtlich eine besondere, wohl den Stand ihres Inhabers symbolisierende Bedeutung zukommt. Mit diesem Bedeutungsinhalt begegnet das Handgemal auch im Sachsenspiegel, dessen Behandlung dieses Gegenstandes auch im Wesentlichen der Begriffsbildung zum Handgemal
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Vgl. dazu J. Weitzel, Hausnormen, S. 42. R. Schmidt-Wiegand überträgt in der von C. Schott besorgten Sachsenspiegelausgabe hantgemal durchweg mit „Stammgut“ (Ssp. Ldr. I 51, III 26 und 29). 424 Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 5, Sp. 58 ff., Handgema(h)l, Handma(h)l; dort findet sich etwa als Bedeutung auch „schützende Gemeinschaft“. R. Sprandel, Verfassung, S. 168 ff., weist darauf hin, dass auch in einem im DRW aufgeführten bayerischen Güterverzeichnis des 12. Jahrhunderts die Urkunde zur Übertragung einer Liegenschaft als Handgemal bezeichnet wird: (…) cyrographum, quod teutonica lingua hantgemahele vocatur (…). 423
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im Schrifttum zu Grunde liegt.425 Nach Eikes Wiedergabe sächsischer Rechtsvorstellungen war der Besitz eines Handgemals Kennzeichen beziehungsweise Voraussetzung der Zugehörigkeit zum Stand der Vollfreien, zu dem nach dem Sachsenspiegel – unabhängig von Hierarchie der Heerschildordnung –426 Vursten, vrie herren und schephenbare lute zählten.427 Genannt wird das hantgemal im Sachsenspiegel nur im Zusammenhang mit den Schöffenbarfreien. Ein solcher musste, um einen Standesgenossen zum gerichtlichen Zweikampf herausfordern zu können, seine vier Ahnen und sein hantgemal wissen und benennen.428 Damit tat er die Unbescholtenheit in seinem Recht und die Unbestreitbarkeit seines Geburtsrechts dar429 und damit seinen Stand wie auch seine Zugehörigkeit zu einem Rechtskreis, dem schwäbischen, dem sächsischen oder Rechten anderer Stämme. Dass diese Funktion des Handgemals auch im Hochadel Beachtung fand, zeigt sich etwa in der Gelnhäuser Urkunde von 1180 zum Verfahren gegen Heinrich den Löwen. Neben den principes des Reiches wurden Heinrichs schwäbische Standesgenossen als Urteiler herangezogen: et pro hac contumacia principum et sue condicionis Suevorum proscriptionis nostre inciderit sentenciam.430 Die Beteiligung der schwäbischen Standesgenossen verdeutlicht, dass das Verfahren nach schwäbischem Recht durchgeführt werden sollte, da der Löwe im Hinblick auf das patrimonium Altorfensium als Schwabe galt.431 Überdies bestimmte die Lage des hantgemals die örtliche Gerichtszuständigkeit.432 Sprachlich überführt in das „Stammgut“ wird für das Handgemal in der Nachfolge Homeyers vertreten, dass eine vom gemeinen Landrecht abweichende Erbfolge, ein Vorrecht nicht nur des Mannesstamms, sondern auch des Ältesten, also Unteilbarkeit und Individualsukzession stattgefunden habe, ohne jedoch die zeitlichen Grenzen dieser Beobachtung näher zu bestimmen.433 Damit wird für das dem Handgemal 425 Grundlegend: C. G. Homeyer/H. Conrad, Bd. 1, S. 301, 419 m. w. N.; H. Mitteis/ H. Lieberich, 4 I 2, 20 II 2, 30 I 3, 30 III 2. 426 Ssp. Ldr. I 3 § 2. 427 Ssp. Ldr. III 45 § 1; vgl. H. Conrad, Bd. 1, S. 299 ff.; H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 24. 428 Ssp. Ldr. I 51 § 4; III 29 § 1. 429 Ssp. Ldr. I 51 § 3; vgl. auch dessen Übertragung von R. Schmidt-Wiegand in der von C. Schott besorgten Sachsenspiegelausgabe, S. 73. 430 F. Güterbock, Die Gelnhäuser Urkunde, S. 24 – 27; MGH Const. I, 279 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 74). 431 Vgl. etwa K. Heinemeyer, Absetzung, S. 71. 432 Ssp. Ldr. III 26 § 2: In einem uzwendigen gerichte en antwertet kein schepenbare man zu kamphe, abir in deme gerichte muz her antwerten, dar sin hantgemal binnen leget. 433 S. 40; ebenso H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 56; H. Mitteis/H. Lieberich, 30 I 3a, liest aus dem Sachsenspiegel eine Erbfolge nach Anerbenrecht (Erbfolge durch einen Erben, den Anerben) in das Handgemal. Für eine ältere, die germanische Zeit ist vielfach die Ansicht vertreten worden, der Hof des Sippenältesten, der zugleich „Gerichtsstätte am Ahnengrab (Handgemal)“ gewesen sei, sei ungeteilt auf den ältesten Sohn vererbt worden, Nachweise und Ablehnung dieser heute kaum mehr vertretenen Ansicht bei H. Conrad, Bd. 1, S. 41; vgl. dazu auch – ebenfalls ablehnend – H. Dannenbauer, S. 107 f.
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der Quellen entsprechende „Stammgut“ – indes zeitlos – genau diejenige erbrechtliche Behandlung formuliert, die als Ziel und später auch erreichter Zustand der hausrechtlichen Herausbildung hochadeliger Stammgüter – später: Familienfideikommissgüter – eben ohne Bezug auf ein bestimmtes, besonders qualifiziertes Gut eines Geschlechtes in den literarischen Definitionen derselben begegnet.434 Inwieweit aber steht diese gemeinhin für spätere Zeiten angenommene, an sich über ihre erbund sachenrechtlichen Bindungen erfasste Sondervermögensmasse in einem genetischen Zusammenhang mit dem Handgemal, das seinerseits als besonderes, abgesondertes Gut anzusprechen ist? Lässt sich überhaupt ein solches Handgemal als erbrechtlich besonders behandeltes Gut beim sächsischen Adel, die Welfen eingeschlossen, feststellen? Welche Bedeutung kommt dabei der Beobachtung zu, dass tatsächlich bestimmte zentrale, bedeutungsvolle Orte in der Erbfolge eine Sonderbehandlung erfuhren? Deckten sich das wohl als singuläre Rechtsposition zu verstehende Handgemal und das spätere Familienstammgut zwar nicht, bildete Ersteres aber wenigstens den Kern letzteren Sondervermögens? Die zentrale Belegstelle für die rechtliche Erfassung des Handgemals, das Landrecht des Sachsenspiegels, lässt für die Erbfolge darin indes keine spezielle Regelung erkennen. Jedenfalls legt Eike kein Anerben- oder gar Primogeniturrecht für diese Rechtsposition nieder: In engem Zusammenhang mit dem hantgemal spricht der Spiegler zwar durchaus eine Primogeniturfolge aus. Doch bezieht sich diese allein auf den schephen stul, der vom hantgemal deutlich unterschieden wird: Hat her schephen stul da (in dem Gerichtsbezirk, in dem sein Handgemal liegt), her ist ouch dingphlichtig. Der abir schephen stules nicht en hat, der sal des hogesten richters ding sochen, wor her wonhaft iz. Dizen stul erbit der vater uf sinen eldisten son. Hat her des sones nicht, so erbet her en uf sinen nesten (unde) eldesten ebenbortigen swertmag.435 Das hantgemal seinerseits dürfte nach den von Eike ausgedrückten Vorstellungen hingegen der Teilung unterlegen haben. Er spricht dies nicht direkt aus. Jedoch wird wiederum aufs Engste mit einer Bestimmung zum hantgemal (wenne der schephenbare man sin hantgemal bewisen unde sine vier anen benomen solle)436 ein auch in den folgenden Jahrhunderten in der Erbschaftsauseinandersetzungspraxis zu beobachtender Teilungsmodus formuliert: Wor zwene man ein erbe nemen sollen, der eldeste teile unde der iungere kise.437 Der Erb- beziehungsweise Teilungsgegenstand bleibt zwar unbenannt, doch wird man aus der voranstehenden Erörterung des hantgemals auf eben dieses schließen dürfen. Ob dieses Auseinandersetzungsverfahren nur gelten sollte, wenn lediglich zwei Erben vorhanden waren,438 434 Vgl. etwa H. Conrad, Bd. 1, S. 418 f.; A. Erler, Art. „Familienstammgüter“, HRG 1, Sp. 1074. 435 Ssp. Ldr. III 26 § 2 und § 3. 436 Ssp. Ldr. III 29 § 1. 437 Ssp. Ldr. III 29 § 2. Dieser Modus dürfte weit älter als der Sachsenspiegel und zudem räumlich keinesfalls auf Sachsen beschränkt gewesen sein; schon Nithard berichtet von ihm zur Teilung des fränkischen Reichs (I c. 7). 438 So beispielsweise H. Conrad, Bd. 1, S. 416.
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oder ob hierin sogar eine Beschränkung der am Stammgut Erbberechtigten auf maximal zwei Nachkommen – gar auf zwei Söhne – zu sehen ist, lässt der Sachsenspiegel allein nicht erkennen. Auf die immer wieder in der welfischen Sukzessionspraxis anzutreffende Zahl Zwei und ihre Bedeutung wird noch näher einzugehen sein. Der gegenüber dem Sachsenspiegel jüngere Schwabenspiegel kannte für das so genannte Sedel,439 den ansidel da der vater vffe saz, den Vorzug der Söhne, aber keine Individualsukzession.440 In der Sukzessionspraxis haben sächsische – und nicht nur solche –441 Adelsgeschlechter bestimmten Orten eine besondere Bedeutung beigemessen, indem sie diese nicht im Ganzen einer Erbteilungsportion zuschlugen, sondern sie in sich teilten; diese Teilungspraxis deutet auf einen Zusammenhang mit Handgemal, mit Stammgut und -sitz hin. Gerade die Erbfolge nach Herzog Otto I. in die villa Northeim legt diesen Gedanken nahe, war doch – wie oben ausgeführt – durch diese Zuteilungsform wenigstens ein vollständiger Verlust der so behandelten Rechtsposition in der kommenden Generation vermieden. Mit dem Ort Northeim verbindet sich – jedenfalls retrospektiv – aufs Engste die Tradition dieses Geschlechts, und unter dem Namen dieses Ortes sprechen wir heute dieses Geschlecht an; vermutlich wollte auch keiner der Söhne Ottos I. auf eine Beteiligung an diesem Ort verzichten.442 So einfach ist die Frage nach dem Handgemal, dessen Begriffsinhalt vornehmlich aus Quellen gewonnen wird, die seit dem 12. Jahrhundert datieren, für Adelsgeschlechter des 11. und auch noch 12. Jahrhunderts jedoch nicht zu beantworten, überhaupt nur zu stellen. Sicherlich war Northeim ein für dieses Geschlecht wesentlicher Ort. Dafür spricht schon, dass dort seit alters her die gräfliche curtis lag,443 dass sich um diesen Punkt northeimische Allodialbesitzungen verdichteten und dass eben dort Otto I. eine Grablegung für sich und seine Nachkommen errichtete. Aber lässt sich Northeim als Hauptsitz, um den das Geschlecht und seine Herrschaft kristallisierte, ansprechen? Wir bewegen uns hier zunächst in eine Frage, die Schmid bei der Suche nach Kriterien für Adelsfamilien grundlegend erörtert hat: Die Frage nach dem „Verhältnis von Wohnsitz und Adelsfamilie“ und – erweitert – nach dem Hauptsitz unter mehreren Sitzen einer Familie.444 Und Schmids generalisierende Feststellungen fin439
Dazu H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 49. Schwsp. S. 148. 441 K. Schmid, Problematik, S. 29, stellt diese Gepflogenheit, einzelne Besitztitel in sich zu teilen, ganz allgemein ohne Bezug auf Sachsen als eine häufig zu beobachtende fest. 442 Vgl. oben A.II.2.b) bei Anm. 249 f.; H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 54 ff., 55 f., führt denn auch unter den Sukzessionsobservanzen in Adelsgeschlechtern das Beispiel der „drei Söhne Ottos von Nordheim“ an, die „bei ihrer brüderlichen Theilung die Villa Nordheim nebst der Abtei in gemeinschaftlichem Besitz“ behielten, und stellt dies ausdrücklich in einen Zusammenhang mit dem Gedanken des Handgemals und der besonderen Erbfolge in dieses. 443 K.-H. Lange, Stellung, S. 3; ders., Herrschaftsbereich, S. 28. 444 S. 30 ff., 32 ff. Nach der vielfach übernommenen Definition C. G. Homeyers, S. 35 f., war das Handgemal auch Wohnsitz des Geschlechts; es war „das freie, mit einem wehrhaften 440
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den am Beispiel der Northeimer ihre Bestätigung: Für die Suche nach einem Wohnsitz oder mehreren Wohnsitzen der Northeimer gibt es bis ins 12. Jahrhundert hinein keine wirklich sicheren Anhaltspunkte. Zeittypisch445 begegnen uns erst seit dem beginnenden 12. Jahrhundert Nennungen ihrer Wohnsitze in den Quellen. Erst der Annalista Saxo benannte die Grafen Siegfried I., Siegfried II., Benno und Otto nach Northeim.446 Die „Northeimer“ Grafen wurden aber keineswegs durchweg nach diesem Ort benannt. Siegfried III. wird bei den Annalisten als Herr der Boyneburg bezeichnet.447 Seinen Bruder Kuno benannte der Annalista Saxo nach der Burg Beichlingen, die seine Gemahlin Kunigunde mit in die Ehe gebracht hatte.448 Und Siegfried IV. erscheint auch urkundlich 1123 als Graf von Boyneburg449 und 1129 als Siegfried von Homburg450. Beide Urkundszeugnisse fallen in eine Zeit, in der Siegfried IV. der einzige und letzte männliche „Northeimer“ war und an der villa Northeim durchaus noch einen Anteil hielt; also in eine Zeit, als Siegfried die einzige noch bestehende Linie nach Otto I. repräsentierte, man von daher nicht von einer Nebenlinie sprechen kann. Dies ist insofern hervorzuheben, als mitunter formuliert wird, die Stammburg, das Handgemal, sei allein in der Hauptlinie, derjenigen des Ältesten, namensgebend, während die Seitenlinien nach anderen ihnen zugedachten Burgen benannt worden seien.451 Die Familie der „Northeimer“ hatte also – übereinstimmend mit Schmids Beobachtungen –452 mehrere Sitze, nach denen sich ihre Mitglieder seit dem 12. Jahrhundert benannten. Northeim erscheint insofern eher retrospektiv als Haupt- oder Stammsitz dieses Geschlechts. Selbst die für diese Sichtweise reklamierte Gründung der Nikolaikapelle als Kernzelle des Klosters Northeim und Grablegungsstätte durch Otto I. ist insoweit zu relativieren, als auch seine Söhne Hausklöster gründeten: Heinrich der Fette, der älteste Sohn, und seine Gemahlin Bursfelde;453 sowie Kuno und seine Gattin Oldisleben.454 Siegfried III. und Siegfried IV. sind zwar „als die eigentlichen Klostergründer“ Northeims anzusehen – sie wandelten das Stift in ein Kloster –; Siegfried IV. gründete aber darüber hinaus auch das Hauskloster Amelunxborn.455 So erscheint Northeim weniger als Haupt der „Northeimer“, denn als bevorzugter Ort Ottos I. Die Sitze, Kerne des Geschlechts blieben variabel. Keiner dieser Sitze dominierte als Hauptsitz. Wohnsitz versehene Grundstück eines Vollfreien, das praedium libertatis, welches als Hauptund Stammgut der Familie gilt“; vgl. auch H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 24, 56. 445 Vgl. E. Schubert, Niedersachsen, S. 320. 446 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 10 Anm. 3, mit Nachweisen. 447 Ebd., S. 24. 448 Ann. Saxo 1088, 725; K.-H. Lange, Stellung, S. 93. 449 Mainz. UB I, 510; K.-H. Lange, Stellung, S. 99. 450 MGH DL III, 21; K.-H. Lange, Stellung, S. 100. 451 So H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 56. 452 Bes. S. 36. 453 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 31 ff. 454 Ebd., S. 38 f. 455 Ebd., S. 29, 37.
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Von einem „Adelshaus“ der „Northeimer“, um das Geschlecht und Herrschaft kristallisierten, lässt sich also weder hinsichtlich Northeims noch anderer hervorgehobener Orte sprechen; nicht einmal von einem deutlichen Bemühen, einen Ort zum Mittelpunkt auszugestalten. Es gab mehrere „Häuser“ einzelner Familienmitglieder. „Das ,Haus eines Adligen wird nur dann zum ,Adelshaus, wenn es einen eigenständigen, einen über die Zeit hinweg dauernden, das Geschlecht prägenden Kristallisations- und Mittelpunkt aufweist, von dem seine Macht ausgeht“. Diesen von Schmid beschriebenen,456 gerade im 12. Jahrhundert mächtig voranschreitenden Prozess konnten die Northeimer nicht mehr durchlaufen; sie sind „auf halbem Wege“ 1144 im Mannesstamm erloschen. Weitere Zweifel daran, die Behandlung der villa Northeim im Nachlass Ottos I. als Beleg für ein dort gelegenes Handgemal der Northeimer mit einer besonderen Erbfolgeregelung heranzuziehen, ergeben sich daraus, dass diese Teilungsform weit verbreitet war457 und entsprechend auch ganz unterschiedlich motiviert sein konnte: In Zeiten vorherrschender Naturalwirtschaft konnten auf diese Weise etwa mehrere Linien mit bestimmten, eben nicht überall zu gewinnenden landwirtschaftlichen Erzeugnissen versorgt werden, beispielsweise mit Wein. Auch bei den Northeimern lässt sich dieses Teilungsverfahren ebenso bei Besitztiteln erkennen, die kaum eine zentrierende Bedeutung für dieses Geschlecht gehabt haben dürften: die villa Dinkelburg und der Lüer Wald. Vor allem aber lassen sich die für das Stammgut – und auch konkret für die villa und die curtis Northeim –458 im Schrifttum reklamierten Merkmale einer besonderen, vom allgemeinen Landrecht abweichenden Erbfolge nicht feststellen: Ein Anerbenrecht, eine Individualsukzession fand augenscheinlich nicht statt; alle Otto I. beerbenden Linien waren an der villa Northeim beteiligt. Auch ist die Gemeinschaft an der villa – nach modernen Vorstellungen zumindest – eher Bruchteils- als Gesamthandsgemeinschaft gewesen. Denn offensichtlich vermochten die Vertreter der einzelnen Linien über ihren Anteil frei zu verfügen. Und schließlich fand das, wenngleich für die villa Northeim von Schulze nur angedeutete, im Übrigen aber zeitlos für das Handgemal/Stammgut formulierte agnatische Prinzip keine Beachtung: Kunigunde von Beichlingen war als Witwe ihre Gemahls Kuno (†1103) an der villa Northeim anteilsberechtigt; sie traf 1117 eine Verfügung über einen ganz konkret bezifferten Bruchteil, ein Viertel, der villa, den sie dem Kloster übertrug.459
456
S. 52. Vgl. K. Schmid, Problematik, S. 29. 458 So H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 55 f., oben Anm. 418. 459 Oben A.II.2.c)aa) Anm. 288; vgl. dazu auch die oben A.II.2.a) Anm. 233 angeführte Erbfolge auf Friedrich von Eilenburg in eben diese namensgebende Burg. Dort hat ein Agnat, der Neffe, die Töchter von der Sukzession in die Burg ausgeschlossen. Anders als bei der villa Northeim handelte es sich aber um eine Burg, die möglicherweise für sich oder als Bestandteil des comitatus feudaler Rechtsnatur war und mithin anderen Sukzessionsnormen unterlag. So kann hier nicht ohne Weiteres auf ein Handgemal, das dem agnatischen Prinzip gehorchte, geschlossen werden. 457
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Es bleibt festzuhalten: Northeim war sicher ein besonderer Ort für die Grafen des Northeimer Geschlechts, andernfalls hätte man vermutlich keine Spezialteilung vorgenommen. Es verblieb aber bei einer besonderen Form der Teilung, nicht der Erbfolge. Weitergehende Interpretationen anhand der vornehmlich literarisch ausgebildeten und systematisierten Begriffe Handgemal und Stammgut entbehren hier der Grundlage, sowie umgekehrt die Erbfolge in die villa Northeim diese Begriffsbildungen nicht zu tragen vermag. Für die Welfen trägt die – „bezeichnenderweise im 12. Jahrhundert verfasste“ – Historia Welforum die Merkmale eines um das Zentrum Altorf/Weingarten zentrierten „Adelshauses“ zusammen: „Sie spricht von der domus im Sinne des ,Adelshauses, nennt die Welfen potiti terra et habitatione certa confortati. Sie äußert sich über die Abstammung des Geschlechtes“.460 Aber auch bei diesem süddeutschen Stammsitz der Welfen, den man als Handgemal ansprechen könnte, lässt sich keine „erbrechtliche Sicherung“ erkennen – im Gegenteil: Dieser Besitz ist durch Welf VI. den Welfen dauerhaft entfremdet worden. Und in dem patrimonium Altorfensium sowie der Historia Welforum materialisiert beziehungsweise versinnbildlicht sich gleichsam nur ein Ausschnitt des Welfengeschlechts.461 Die Welfen hatten schon durch die Ehe Heinrichs des Schwarzen mit Wulfhild, der Tochter des letzten Billungers Magnus, Verbindungen nach Sachsen geknüpft. Heinrichs des Schwarzen Sohn, Heinrich der Stolze, verfügte im sächsischen Raum neben dem billungischen Erbe seiner Mutter über den großen Besitz- und Herrschaftskomplex seines Schwiegervaters Lothar von Süpplingenburg. Und auch Zeugnisse „genealogischer Vergewisserung“ der Welfen sind seit dem ersten Drittel des 12. Jahrhunderts aus Sachsen überliefert462 – mag in ihnen auch anders als in der süddeutschen Historia Welforum noch nicht „das adlige Haus als solches Gegenstand der Darstellung“ gewesen sein.463 Mit Heinrich dem Löwen war der Höhepunkt welfischer Geltung in Sachsen erreicht. Eine Geltung, die sich in dem einzigartigen Ausbau Braunschweigs zum Herrschaftsmittelpunkt manifestierte.464 So führte das scandalum dissensionis zwischen Welf VI. und seinem Neffen Heinrich dem Löwen und der daraus folgende Verlust des patrimonium Altorfensium zu einer Besinnung und Beschränkung der Welfen auf die terra patrum in Sachsen, auf das sächsische patrimonium mit dem Mittelpunkt Braunschweig. Dem entsprach eine neue Akzentuierung in der welfischen Memoria, im Herkunftsbewusstsein, wie es sich in dessen vornehmsten Zeugnis, dem Evangeliar Heinrichs des Löwen manifestierte. Die welfischen Vorfahren, die familia Guelforum 460
K. Schmid, Problematik, S. 50; vgl. auch O. G. Oexle, Adliges Selbstverständnis, S. 48. Zu Einzelheiten welfischer Memoria und welfischen Selbstverständnisses sei auf die allerdings überbordende, sich vielfach wiederholende Literatur zu diesem Thema verwiesen, allen voran die vielen Arbeiten O. G. Oexles. Grundlegend skeptisch gegenüber den bisherigen Forschungsergebnissen zur welfischen Memoria: W. Hechberger. 462 E. Schubert, Niedersachsen, S. 383 f. 463 Vgl. O. G. Oexle, Adliges Selbstverständnis, S. 50. 464 Zur „Residenz“ Braunschweig: O. G. Oexle, Adliges Selbstverständnis, S. 51 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 401; K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 132 ff. 461
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de Aldorfio, traten zurück, die sächsischen hervor. Aufgrund Verbindungen der brunonisch-braunschweigischen Herkunft zur stirps imperialis, zum Stamm de Caroli Magnus ordnete Heinrich der Löwe sich selbst dieser stirps zu und überhöhte damit zugleich die sächsisch-braunschweigischen Wurzeln.465 Gleichwohl – trotz dieser faktischen wie memorialen Konzentration welfischer Familie und Herrschaft auf Braunschweig – blieben die Welfen Schwaben. Mag sich auch die Beschränkung welfischer Memoria auf die terra patrum in Sachsen erst in dem nach 1185 entstandenen Evangeliar Heinrichs des Löwen manifestieren,466 so datiert doch deren realer Hintergrund, der Verlust des patrimonium Altorfensium an die Staufer auf das Jahr 1178. Und doch wurde das Verfahren gegen den Löwen 1180, wie es die Gelnhäuser Urkunde überliefert, nach schwäbischem Recht geführt. Heinrich selbst betonte seine schwäbische Herkunft, wenn er – nach den Worten Arnolds von Lübeck – gegen das Achturteil der Einwand erhob, dieses sei ungerecht, denn er stamme aus Schwaben und niemand könne geächtet werden, wenn er nicht in dem Land seiner Geburt überführt worden ist.467 Also: Nicht der tatsächliche Besitz eines Handgemals determinierte die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammesrecht, sondern die ursprüngliche Herkunft.468 Noch in der zwischen 1232 und 1234 von einem unbekannten Verfasser – jedenfalls nicht Eike – niedergeschriebenen Vorrede des Sachsenspiegels „Von der Herren Geburt“ erscheinen die Welfen als Schwaben, werden aber allein nach ihren Hauptsitzen der von Bruneswig, der von Luneburg benannt.469 Dem Bericht, den uns die wohl nach 1260 entstandene Fassung C1 der Sächsischen Weltchronik zu Ottos des Kindes Pochen auf sein Erbenlaub gegenüber der Vereinbarung Heinrichs des Pfalzgrafen mit dem Bremer Erzbischof über Stade von 1219 liefert, lässt sich entnehmen, dass unter den befragten Urteilern Uneinigkeit gerade darüber bestand, ob der Pfalzgraf Schwabe sei oder nicht.470 1219: Braunschweig war zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahrzehnten ein imposanter Herrschafts- und Geschlechtsmittelpunkt der Welfen, dessen Signifikanz überdies seinesgleichen suchte. Dennoch blieb das Bewusstsein der welfischen Herkunft aus Schwaben noch lange lebendig. Geschlechts- und Herrschaftskonzentration sowie dessen Bewusstsein determinierten 465
Zum Wandel welfischen Herkunftsbewusstseins bei Heinrich dem Löwen siehe vor allem O. G. Oexle, Adliges Selbstverständnis, S. 71 ff.; ders., Welfische Memoria, S. 85 ff.; vgl. auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 383 f., 466 f. 466 Zur Datierung der Entstehung des Evangeliars: O. G. Oexle, Adliges Selbstverständnis, S. 62 ff. 467 Lib. II cap. 10 (MGH SS XXI, 133): Dux autem iniuste de se iudicatum esse affirmabat, dicens se de Suevia oriundum, et nullum proscriptione dampnari posse, nisi convictum in terra nativitatis sue; vgl. zu der dahinter stehenden Frage, ob die 1180 beachtete Anwesenheit der Stammesangehörigen genügte oder ob das Verfahren gar im Stammesland stattfinden musste: F. Güterbock, Prozess, S. 111. 468 Dies deutet sich auch in Ssp. Ldr. III 29 § 1 an: Der man muz sich zu sime hantgemale wol mit sime eide zin, al en habe herz undir im nicht. 469 E. Freise, S. 466, zu dem seiner Ansicht nach zu diesem Diktum nur scheinbar widersprüchlichen Fortgang, der herzoge von Luneburg unde sin geslechte sint geborene Sachsen; ferner: W. Ohnsorge, Pfalzgrafenwürde, S. 160 f. 470 Zur Datierung dieser Fassung der Weltchronik: E. Freise, S. 460.
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Hauptsitz, nicht aber, wenigstens bei weitem nicht unmittelbar „rechtliche Heimat“. Aus der Frage nach dem Verhältnis von Stammgut im Sinne von Handgemal zu dem hausrechtlich herausgebildeten und literarisch erfassten Stammgut im Sinne einer besonderen Vermögensmasse kann also dieser Aspekt, diese Funktion von Handgemal ausgeschlossen werden. Inwieweit erfuhr nun aber der besonders von Heinrich dem Löwen so kraftvoll hervorgehobene welfische Hauptsitz Braunschweig eine erbrechtliche Sonderbehandlung? In dem nicht vollzogenen Testament des Löwen deutet sich eine solche Sonderrolle Braunschweigs in der Sukzession an: Darin verfügte Heinrich eine quantitativ wie qualitativ ungleiche Teilung seiner hereditas unter seinen Söhnen und gedachte ihren größten Teil mit dem Zentrum welfischer Macht, Braunschweig cum patrimonio attinenti, unter ihnen dem ältesten, wie es das Testament ausdrücklich hervorhebt, zu.471 Dass und unter wem geteilt wird, entspricht dem Landrecht. Das Wie der vorgesehenen Teilung lässt aber zumindest Ansätze einer familien- und herrschaftsorientierten Bevorzugung des ältesten Sohnes, die Herausbildung einer bevorzugten Hauptlinie gegenüber Nebenlinien erkennen. Die Söhne aber wichen von dem Willen des Vaters ab: 1202 erhielt nicht der Primogenitus, sondern der zweitgeborene Sohn, der König und spätere Kaiser Otto IV. die Stadt. Wenn Boshof darin einen „deutlichen Beweis“ dafür sieht, „dass die Familie ihre zukünftigen Geschicke ganz mit dem Königtum verband“,472 so ist dies schwerlich mit der Überlieferung der Braunschweiger Reimchronik vereinbar, dass die Zuteilung der von den zusammengerufenen Fürsten gebildeten Erbportionen durch Losentscheid erfolgt ist.473 Für das von Boshof angenommene planvolle Vorgehen, das eine Abweichung von der Verfügung des Löwen ebenso verständlich machen würde, bleibt in Anbetracht dieser Zufallsentscheidung kein Raum.474 Braunschweig erfährt 1202 keine Sonderbehandlung. In der oben als erster Ansatz welfischer Hausgesetzgebung erkannten Erbregelung des Pfalzgrafen von 1223 wird Braunschweig unter den Rechtspositionen der hereditas Heinrichs zwar besonders hervorgehoben und nahezu in einem Atemzug mit dem Herzogshut, den er Otto dem Kind als seinem Erben und Nachfolger ebenso übertrug, genannt.475 Jedoch erfährt Braunschweig in der Sache keine besondere Behandlung. Die Stadt und was ihr angehörte wurden nicht aus dem Nachlass des Pfalzgrafen ausgegliedert – etwa derart, dass Otto das Kind zwar Braunschweig erhalten sollte, Heinrichs übrige Erbschaft aber in der gewöhnlichen, nicht „gewillkürten“ Erbfolge an seine Töchter gefallen wäre. Denn Otto erhielt alles, was der Pfalzgraf in Sachsen besaß, also seine ihm direkt 1202 zugefallene Erbportion, sowie diejenige, 471
UrkHdL, Nr. 140; vgl. auch oben bei und in Anm. 382. Entstehung, S. 255. 473 Braunschw. Reimchronik, S. 530; vgl. auch G. Pischke, Landesteilungen, S. 32. H. Conrad, Bd. 1, S. 416, benennt den Losentscheid als das ohnehin für den Fall gebräuchliche Instrument der Erbteilung, dass mehr als zwei Erben – dieser Fall findet in Ssp. Ldr. III 29 § 2 seine Regelung – berufen sind; Belege führt er allerdings für diese Feststellung nicht an. 474 G. Pischke, Landesteilungen, S. 34, führt weitere Gründe gegen Boshofs Ansicht an. 475 Oben Anm. 387. 472
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die Otto IV., sein Bruder, aus dem väterlichen Erbe erhalten hatte, die nach dessen Tod 1218 auf Heinrich übergegangen war. Der Pfalzgraf setzte Otto das Kind zu seinem Universalerben ein: Assignavimus quoque et dedimus ei omnem hereditatem et proprietatem nostram tam in aliis civitatibus quam in castris et villis. So sind bei den großen sächsischen Adelsgeschlechtern und auch bei den Welfen nur Ansätze einer erbrechtlichen Sonderbehandlung der Kristallisationskerne ihrer Herrschaft zu erkennen: Bei den Northeimern in der Form der Bruchteilsgemeinschaft an der villa Northeim, bei den Welfen wohl in dem Stilübung gebliebenem Testament Heinrichs des Löwen und der wenigstens sprachlichen Heraushebung Braunschweigs im Testament seines ältesten Sohnes, des Pfalzgrafen Heinrich. Dies sind aber eben nur allenfalls allererste Ansätze – zu wenig war vor Heinrich dem Löwen die Formierung der adeligen Familie und die Zentrierung ihrer Herrschaft, gerade sinnfällig, ja verkörpert, in einem Hauptsitz, ausgebildet. Aber auch die Welfen selbst fanden – noch – keine Sonderform der Erbfolge für ihre von dem Löwen zu einer solchen ausgebauten Kapitale.476 Gab es vor und zu Beginn welfischer Hausrechtsgebung keine Sonderbehandlung einzelner Orte in der Erbfolge dürfte schon jetzt – vor näherer Erörterung der hausrechtlichen Regelungen seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert – von einem genetischen Zusammenhang zwischen einer Sondererbfolge für den Stammsitz, den Kristallisationskern oder aber auch das Handgemal und dem – späteren – Familienstammgut, der besonderen Verfasstheit adligen und fürstlichen Rechtstitelbestandes, jedenfalls für die Welfen nicht auszugehen sein. Die allerersten Ansätze eines sächsisch-welfischen Adels- und Hausrechts, die ganz allgemein in der Steuerung von Erbfolge, besonders ihrer Verengung auf die Agnaten, zu suchen sind, fallen in eine Zeit fortschreitender, ja auch schon fortgeschrittener Formierung von Familie. Sie sind zugleich ihrerseits Zeugnis eben dieses Prozesses. Sie dürften kaum als Reaktion auf einen Verfallsprozess, als Sicherung oder Wiederherstellung eines status-quo-ante festerer Familienbindungen anzusprechen sein. Denn ihre Kernaussage antwortet nicht auf ein sich zunehmend, gar erst jüngst entwickelndes, sondern ein seit Jahrhunderten stabiles Phänomen: Das Töchtererb- und/oder auch -ausstattungsrecht und die damit verbundenen Gefahren der Entfremdung von Gütermassen von der – dann allerdings notwendig agnatisch 476 Dies änderte sich – um weit auf die folgenden Kapitel vorzugreifen – einige wenige Generationen später. Vereinfacht: Braunschweig blieb bei den Erbteilungen seit 1267/9 ungeteilt. Die „Hausgesetzgebung“ erfasste – in ihren sich verändernden Erscheinungsformen und wechselnden Instrumentarien – aber ebenso die übrigen Rechtspositionen, und zwar bis weit in die Neuzeit hinein – mit nur sehr wenigen Ausnahmen – alle Rechtspositionen der an der jeweiligen hausrechtlichen Regelung Beteiligten. Braunschweig war zwar als Gemeinschaftsgut – in vielen Teilungsverträgen neben anderen in Gemeinschaft erhaltenen Rechtspositionen – gewiss ein Sondervermögen, war aber beileibe nicht das einzige gebundene Familiengut, geschweige denn füllte es allein das spätere Fideikommiss aus. Vor allem sukzedierte in dieses Stammgut Braunschweig keineswegs ein Einzelner, etwa der Primogenitus. Darauf, dass auch und gerade bei Adelsherrschaften, „die nicht zur Landesherrschaft emporgestiegen“ sind, die „Behauptung des Sitzes“ von besonderer Bedeutung war, verweist K. Schmid, Problematik, S. 35 f.
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formiert zu begreifenden – Familie gab es schon lange. Die Motive zu diesem „Mehr an Bindung“ und der Motor der Hausrechtsentwicklung auch in den folgenden Jahrhunderten dürften vor allem in einer fortschreitenden Verfestigung adeligen Familienbewusstseins477 und einem daraus resultierenden Bewusstsein für die Notwenigkeit, die materiellen Grundlagen der Familie zu erhalten, zu suchen sein – aber beileibe nicht allein. Einen weiteren Antrieb erfuhr die Hausrechtsentwicklung sicher auch in der „Verherrschaftlichung“ und Feudalisierung des Allods,478 das heißt die auch rechtlich signifikante Einbindung des Güterbesitzes in den Herrschaftsaufbau als ein wesentliches Moment der Veränderungen der „Herrschaftssignaturen“ im 12. Jahrhundert, also in einem Wandel der Grundlagen adeliger Herrschaft im Gefüge von Feudum und Amt einerseits und Allod andererseits.479 Damit fallen auch die ersten Anläufe des Adelsrechts in einen in besonderem Maße das 12. Jahrhundert kennzeichnenden Prozess, der allgemein mit den Stichwort Herrschaftskonzentration, ihrer Bündelung und Verdichtung, belegt werden kann und der nahezu alle Elemente politischer Ordnung betraf. Kaum eine verfassungsgeschichtlich bedeutsame Entwicklungslinie wäre zu benennen, die nicht in diesem Jahrhundert eine wesentliche Zäsur, Neuansätze wie Kulminationen, erkennen ließe.480 Davon konnten auch die Parameter der „Landesteilungen“ und Alienationen von „Herrschaft“ und eben die Maßnahmen ihrer Verhinderung nicht ausgespart bleiben. Doch bevor diese – gewissermaßen – Neugestaltung der auf das 12. Jahrhundert gekommenen Bausteine mittelalterlicher Verfassung und ihre veränderte Verfugung näher zu behandeln ist, muss noch einer dieser Bausteine in seiner überkommenen Gestalt betrachtet werden: das sächsische Herzogtum. 3. Das sächsische Herzogtum Das erste explizite Verbot, die großen Amtslehen zu teilen, ist in dem ronkalischen Lehnsgesetz Kaiser Friedrichs I. von 1158, formuliert: Preterea ducatus, marchia, comitatus de cetero non dividiatur.481 Daraus könnte man mit Willoweit folgern, dass es zumindest Teilungsversuche der Herzöge, Markgrafen und Grafen zuvor ge477
Vgl. A. Erler, Art. „Hausgesetze (Hausverträge)“, HRG 1, Sp. 2026. Schon L. Zimmerle, S. 270 ff., verweist auf den Einfluss des Lehnrechts bei der Herausbildung eines eigenen Adelsrechts. 479 Dass die fürstlichen Haus- und Erbfolgeregelungen sich von dem auf das Gericht bezogenen „Recht“ „als Konsequenz der aus den Fürstengesetzen Kaiser Friedrichs II. erwachsenden Landeshoheit“ getrennt hätten, wie es J. Weitzel, Hausnormen, S. 42, im Anschluss an E. Meyer vertritt, ist in Anbetracht der berechtigten Skepsis diesem Begriff gegenüber, der Unsicherheit in der Bestimmung seines Inhalts (vgl. nur E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 55 ff.), schwer zu begründen. 480 Vgl. vorab und nur ganz allgemein: Th. Mayer, Ausbildung, passim; O. Merker, S. 32 ff.; W.-D. Mohrmann, bes. S. 73 ff.; P. Moraw, Entfaltung, bes. S. 74 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 317 ff., 330 ff. 481 MGH Const. I, 177 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 66). 478
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geben hat482 – zumal der Einschub de cetero darauf hinzuweisen scheint. Für die comitatus lassen sich gemeinschaftliche Inhaberschaften durch mehrere Brüder – wenn auch nur in Einzelfällen – nachweisen. Nicht zuletzt in diesen Gemeinschaftsberechtigungen deuteten sich Teilungstendenzen an. Das sächsische Herzogtum ist sicher bis 1180 nicht geteilt worden. Dass es auch nur den Versuch einer Teilung gegeben hat, dafür lassen sich keinerlei Anhaltspunkte finden. Was lässt sich aber hinsichtlich des Herzogtums zur allgemein angenommenen Vorstufe zur Teilung, der Erblichkeit feststellen? Insbesondere dies soll im Folgenden erörtert werden. a) Sukzessionsabfolge im sächsischen Dukat aa) Vom Liudolfinger Otto bis zum Billunger Magnus Urkundliche Zeugnisse über die Ein- und Absetzung von Herzögen, aus der sich eine Sukzessionsabfolge zusammenstellen ließe, haben wir für Sachsen ebenso wenig wie für andere Dukate. Aber die zeitgenössischen Annalisten und Chronisten informieren uns hinsichtlich der Herzogtümer gerade über Tod sowie Ein- und Absetzung der Herzöge.483 Überblickt man – mit Goetz – die Darstellung der Chronisten zur Sukzessionsabfolge der duces bis ins Hochmittelalter,484 so lässt sich einerseits eine grundsätzliche königliche Kompetenz, die allgemein anerkannte Verfügungsgewalt des Königs über die Herzogtümer erkennen. Der König setzte die Herzöge ein und gegebenenfalls wieder ab. Andererseits war der König in seiner Verfügungsgewalt nicht ungebunden. Absetzungen bedurften eines Fürstenurteils. Bei den Einsetzungen berücksichtigte der König üblicherweise die Erbfolge oder zumindest verwandtschaftliche Beziehungen des Einzusetzenden zum Vorgänger. Vielfach wurden auch Herzogtümer im direkten Erbgang weitergegeben, ohne dass sich eine königliche Mitwirkung erkennen ließe und ohne dass dies die Chronisten besonders vermerkten. Ein Erbanspruch stand selbst bei entschiedenen Gegnern der Herzogsfamilie, etwa bei Adam von Bremen, außer Zweifel. Und der König tat gut daran, Prätendenten solcher Ansprüche nicht zurückzusetzen, drohten doch „Aufstände“ – angezettelt durch nicht beachtete Söhne oder durch abgesetzte Herzöge, um „ihren“ Dukat zu erlangen. Das schon oben erörterte, vornehmlich von Goez485 vorgezeichnete Bild von der „Erblichkeit“ der Reichsämter und Reichslehen im Zusammenspiel mit dem gleichzeitig im Grundsatz gewahrten Amtscharakter derselben lässt sich also – gerade in Anbetracht der gegenüber der Komitatssukzession dichteren Überlieferung – beson482
Art. „Landesteilung“, HRG 1, Sp. 1415. H.-W. Goetz, Herzogtum, S. 271; zur Quellenlage des 10. Jahrhunderts: H. Stingl, S. 22 f. 484 Umfassende Zusammenstellung und Auswertung der erzählenden Quellen zum Herzogtum für das 9. und 10. Jahrhundert: H.-W. Goetz, „Dux“, S. 93 ff.; für die Zeit der Salier: ders., Herzogtum, S. 255 ff. 485 Leihezwang, S. 20 ff. 483
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ders gut bei den Herzogtümern nachvollziehen. Und auch bei den sächsischen duces ist dieses Zusammenspiel zu beobachten.486 Stellen wir an den Anfang eines Überblicks über die Abfolge sächsischer duces den Liudolfinger Otto „den Erlauchten“.487 Dabei sei hier zunächst dahingestellt, dass Otto in Nekrologien und zeitgenössischer Annalistik nur als comes erscheint und erst von Autoren der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts als dux bezeichnet wird.488 Auf Otto folgte 912 sein Sohn Heinrich. Er starb 936. Auch nachdem er 919 König geworden war, hatte Heinrich „das sächsische Herzogtum nicht aus der Hand gegeben“; ebenso wenig wie sein Sohn und Nachfolger Otto I.489 Unmittelbar nach seiner Königskrönung schuf Otto ein neues Amt – mit den Worten Widukinds: Placuit novo regi novum principem militae constituere – und übertrug es Hermann Billung.490 Bei der nächsten Erwähnung Hermanns, zum Jahre 953, erscheint er mit der procuratio des Königs in Sachsen betraut.491 Wiederholt wurde dieser Auftrag in den Jahren 961 und 966. Stellen wir die Frage nach dem Inhalt von princeps militae und procuratio, die Frage, ob Hermann deshalb „Herzog“ war, zurück. Widukind zumindest bezeichnet in seiner Nachricht von der procuratio Hermanns diesen – abweichend vom Sprachgebrauch der kaiserlichen Kanzlei – als dux.492 Und schon in den 60er Jahren wurde Hermann auch von der kaiserlichen Kanzlei als dux tituliert, allerdings in stetem Wechsel mit comes.493 Das Geschlecht der Billunger stellte bis zu seinem Erlöschen im Mannesstamm, 1106, über fünf Generationen in Sohnesfolge den sächsischen dux. Auf Hermann folgte 973 Bernhard I., auf diesen 1011 Bernhard II., auf Bernhard II. 1059 Ordulf, auf diesen 1073 Magnus; 1106 erhielt Lothar von Süpplingenburg den „billungischen“ Dukat. Freytag, der noch immer weithin den Forschungsstand zum Herzogtum der Billunger repräsentiert,494 streicht eine stete Abnahme der königlichen Verfügungsgewalt über den sächsisch-billungischen Dukat zugunsten dessen Erblichkeit heraus. Zum Generationswechsel des Jahres 973, über den wir vergleichsweise schlecht unterrichtet sind, schließt Freytag aus der Haltung Kaiser Ottos I. Hermann gegenüber sowie 486 Zur Kontinuität zwischen sächsischem Dukat und den welfischen Herzögen zu Braunschweig-Lüneburg in der hoch- und spätmittelalterlichen Historiographie B. Schneidmüller, Landesherrschaft, bes. S. 86 f. 487 Zur Frage einer „herzoglichen“ Stellung schon Liudolfs, des Vaters Ottos, oder Bruns, Ottos Bruder, siehe K. Jordan, Herzogtum, S. 5 ff.; H. Stingl, S. 36 ff., bes. S. 40 ff., 155 ff.; H.–W. Goetz, „Dux“, S. 302 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 94 f. 488 H. Stingl, S. 42 f. 489 H. Stingl, S. 208. 490 Widukind II, 4; vgl. G. Althoff, Billunger, S. 311; E. Schubert, Niedersachsen, S. 155. 491 H.-J. Freytag, S. 10; G. Althoff, Billunger, S. 312, jeweils mit den Nachweisen aus den Chroniken. 492 III, 23: Herimannus dux Saxoniam procurabat; vgl. G. Althoff, Billunger, S. 312. 493 H.-J. Freytag, S. 11; E. Schubert, Niedersachsen, S. 159. 494 So H.-W. Goetz, Herzogtum, S. 169, im Jahre 1994.
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aus dem Umstand, dass Hermann in Quedlinburg verstarb, während Otto sich dort aufhielt, auf eine kaiserliche Zustimmungserteilung zur Nachfolge des Sohnes in die väterliche Stellung.495 Für den anschließenden Wechsel von Bernhard I. zu Bernhard II., 1011, konstatiert Freytag zwar „grundsätzlich noch ein Verfügungsrecht des Königs über die billungische Herrschaft. Es wurde jedoch abgeschwächt und praktisch bald nahezu bedeutungslos durch den sich allmählich herausbildenden Erbanspruch, nachdem die Billunger zwei Generationen hindurch in dem gleichen Bereich gewaltet hatten“.496 Und für die Nachfolge Bernhards II. durch seinen Sohn Ordulf, 1059, sieht Freytag gar einen nochmals gesteigerten Grad von Erblichkeit: diese Nachfolge sei im Erbgang erfolgt. Hatte sich 1011 bereits „ein gewisser Erbanspruch“ herausgebildet – als „Ergebnis der Aufeinanderfolge vom Vater auf den Sohn“ –, so sei nicht zuletzt wegen der Minderjährigkeit König Heinrichs IV. 1059 der Gedanke an ein königliches Verfügungsrecht gar nicht erst aufgekommen. „So war aus der Gewohnheit ein Erbanspruch, ja ein Erbrecht geworden“.497 Nimmt man Freytag beim Wort, so steht man vor der Aussage, dass zwischen 1011 und 1059 aus einem „gewissen Erbanspruch“ ein „Erbanspruch, ja ein Erbrecht“ geworden ist. Dabei sei die Frage dahingestellt, was eigentlich mit der Unterscheidung von „Erbanspruch“ und „Erbrecht“ ausgedrückt sein soll. Begrifflich sind Erbanspruch und – subjektives – Erbrecht dasselbe. Erkennbar in dem Wechsel von Ordulf auf Magnus – so beschließt Freytag seine Darstellung sich fortwährend zulasten der königlichen Verfügungsgewalt festigender Erblichkeit des Herzogtums – „setzte sich die Anschauung durch und wurde von allen, auch dem König, anerkannt, dass die Nachfolge in dem billungischen ,ducatus allein kraft Erbrechts erfolge“.498 Aber mindestens in der Abfolge der Sukzessionen 973, 1011 und 1059 ist eine solche Klimax der Erblichkeit nicht erkennbar. Schon für ihren Ausgangspunkt, 973, ist ein Wechsel der billungischen duces im direkten Erbgang keineswegs auszuschließen; eine kaiserliche Zustimmung kann Freytag ja lediglich aus gewissen Indizien folgern. Zu den Übergängen 1011 und 1059 formulieren die Chronisten knapp und neutral. So heißt es etwa in der Nachricht Helmolds von Bosau zu 1059: Cujus hereditatem Ordulfus et Hermannus filii ejus inter se partiti sunt et quidem Ordulfus ducatum suscepit gubernandum.499 Und aus einer Zusammenschau salierzeitlicher Geschichtsschreibung resümiert Goetz, dass durchaus nicht bei jedem Generationswechsel in den Herzogtümern ein königliches Verfügungsrecht erkennbar wird, ohne dass die kommentarlose Darstellung eines unmittelbaren Erbgangs die grundsätzliche Auffassung des jeweiligen Autoren von der königlichen Kompetenz in Frage gestellt habe.500 Es ist sicherlich keine zu gewagte These, dass das Fehlen chronikalischer Vermerke einer königlichen Einsetzung oder Zustimmung durchaus weithin der Praxis entsprochen haben dürfte, 495 496 497 498 499 500
H.-J. Freytag, S. 12. Ebd., S. 15. Ebd., S. 19 f. Ebd., S. 22 f. I, 22. Herzogtum, S. 270.
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dass der König also auch gar nicht jedes Mal, wenn ein Herzog starb, von seinem Verfügungsrecht ausdrücklich Gebrauch machte, sei es auch nur in der Form einer nachträglichen Zustimmung zur Sohnesfolge. Diese dürfte durchaus auch in konkludenter Form des königlichen Schweigens beziehungsweise Nichteingriffs erfolgt, möglicherweise sogar als „Normalfall“ – wenigstens in der Salierzeit – anzusprechen sein. Deshalb sind die Modalitäten der Generationswechsel der Jahre 973, 1011 und 1059 für eine Gewichtung im Spannungsverhältnis von königlicher Verfügungsgewalt zu unmittelbarer Erbfolge letztlich nicht aussagekräftig. Anders: der letzte Generationswechsel innerhalb der billungisch-herzoglichen Filiation, 1072/3. Hier trafen Erblichkeit und abweichender kaiserlicher Wille aufeinander. Hier unternahm es der Kaiser in den bisher „ungestörten“ Erbgang vom Vater auf den Sohn einzugreifen, so dass sich die jeweilige Stärke der gegenläufigen Standpunkte offenbaren musste. 1070 war Otto von Northeim durch einen von Kaiser Heinrich IV. erforderten Spruch sächsischer Fürsten nach sächsischem Stammesrecht des Hochverrats für schuldig befunden worden.501 Dadurch der Recht- und Friedlosigkeit verfallen verlor Otto alle seine Lehen, sein Allod und das Herzogtum Bayern (et in regis potestatem redacto ducatu). Der Northeimer fügte sich nicht, führte vielmehr über längere Zeit in Sachsen eine Fehde gegen den Kaiser und dessen Anhänger. Einen Verbündeten für diesen Kampf fand er in Magnus Billung, dem Sohn Herzog Ordulfs. Doch 1071 unterwarfen sie sich dem König. Der Fürsprache Adalberts von Bremen hatte Otto es zu verdanken, dass er wenigstens seine Eigengüter zurückerhielt; seine Lehen hingegen verlor er zum größten Teil. In Haft aber kamen beide Rebellen. Otto jedoch kam schon nach einem Jahr wieder frei, während Magnus, der nur ein Helfer Ottos gewesen war, in strenger Haft auf der Harzburg verblieb. Nach dem Bericht Lamperts von Hersfeld war der König nur bereit, den Billunger zu entlassen, wenn dieser auf das Herzogtum und überdies seine Erbgüter Verzicht leistete, wozu Magnus unter keinen Umständen zu bewegen war (Nisi ducatu et aliis, quae sibi ex defunctis parentibus haereditario jure competebant, in perpetuum se abdicaret; quod ille nulla ratione se facturum protestabatur).502 Diese Nachricht des Chronisten gilt als ein deutliches Zeugnis für die „Anerkennung des Erbanspruchs durch den Kaiser“.503 Ausdrücklich spricht Lampert an dieser Stelle einen erblichen Anspruch Magnus auf das Herzogtum nicht aus.504 Auf was aber sonst als der Erbfolge sollte Magnus Rechtsposition gegründet haben, derer er entsagen sollte? Deutlicher wird 501 Dazu und zum Folgenden umfassend: K.-H. Lange, Stellung, S. 31 ff.; H.-J. Freytag, S. 21 f.; W. Giese, Adel, S. 289 ff.; G. Althoff, Billunger, S. 321 ff.; E . Schubert, Niedersachsen, S. 290 ff. 502 Ad a. 1073, S. 149. 503 H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 91; dort weiter: „Wäre der Kaiser nach der Rechtsanschauung der Zeitgenossen nicht verbunden gewesen, das Erbrecht des Magnus anzuerkennen, so hätte er nach älterem Rechte das Herzogthum ohne weiteres einem andern verleihen können.“ 504 So aber H. J. F. Schulze, ebd., der die Wendung ex defunctis parentibus haereditario jure competebant im Relativsatz offensichtlich auch auf ducatu bezieht; dieser Bezug ist allerdings abzulehnen.
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Lampert im Fortgang seines Berichts: Dux Saxoniae necdum aliquis constitutus fuerat, quia, sicut supra memoratum est, dux Otto paulo ante rebus humanis excesserat, et filius ejus Magnus, cui ducatus legitima successione debebatur, adhuc in castello Hartesburg deditus servabatur.505 In den Berichten Lamperts prallen also Erblichkeit und königlicher Verfügungswille aufeinander. Lampert erkannte die Erbfolge als legitim an. Jedoch hielt er an dem königlichen Einsetzungsrecht fest, formuliert er doch: Dux Saxoniae necdum aliquis constitutus fuerat. Wer, wenn nicht der König, sollte irgendjemanden zum dux Saxoniae einsetzen? Dass auch der König den Erbanspruch Magnus „anerkannt“ habe, dass er durch die Rechtsanschauung der Zeitgenossen verbunden gewesen wäre, ist nicht so ohne weiteres zu behaupten. Natürlich verband ihn diese Anschauung faktisch. Von abgesetzten Herzögen und nicht eingesetzten Herzogssöhnen war Widerstand gegen den königlichen Akt zu erwarten. Insofern ist es nur zu gut verständlich, dass Heinrich IV. eine ausdrückliche Verzichtserklärung Magnus erzwingen wollte. Von rechtlicher Verbundenheit des Königs, überhaupt einem Anerkenntnis konnte hier, da blanke Gegengewalt dem König entgegenschlug, nicht die Rede sein: Nachdem Heinrich IV. auch das Angebot Ottos von Northeim, sich statt des Billungers in königliche Haft zu begeben, ausgeschlagen hatte, kam es zu Empörung und breiter Erhebung im Sachsenland.506 Otto führte ein militärisches Aufgebot zur Harzburg. Hermann Billung, der Bruder des 1072 verstorbenen Herzogs Ordulf, belagerte die Lüneburg, in die der König eine schwäbische Besatzung hatte legen lassen, zwang diese zur Übergabe und hielt die Burg als Pfand für die Freilassung seines Neffen. Der König musste einlenken, Magnus freilassen und aus Sachsen fliehen. Ob es danach noch irgendwann zu einer Herzogseinsetzung Magnus durch den König gekommen ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Magnus war jedenfalls nach 1073 Herzog. Im Ergebnis hatte also die legitima successio, der Anspruch Magnus auf die Nachfolge seines Vaters auch im Dukat obsiegt. bb) Klimax der Erblichkeit? Spiegelt sich nun aber in diesem Überblick über die Herzogsnachfolge in Sachsen eine stetig fortschreitende Erblichkeit wider? Ist nicht vielmehr – gleich bleibend – ein Gegenüber einer erblichen, legitimen, üblichen Nachfolge des Sohnes einerseits und der Verfügungsgewalt des Kaisers andererseits, der im „Normalfall“ die Sohnesfolge gleichsam geschehen lässt und nur im Falle einer davon abweichenden eigenen Interessenlage einschreitet, erkennbar? Er wird nicht ohne Grund und vor allem ohne Abschätzung der Machtverhältnisse eingegriffen haben. Denn kaum bestreitbar hatte die Üblichkeit der Sohnesfolge ein Bewusstsein für eben diese Üblichkeit geschaffen, 505
Ad a. 1073, 150; für die Markgrafschaft Lausitz formuliert Lampert dann ad a. 1075: (…) uxor marchionis Adal filium suum, cui hereditaria successione marcha debebatur (…). 506 Inwieweit es einen direkten Übergang von den Ereignissen um Magnus und Otto zum Beginn des sächsischen Aufstands im Jahre 1073 gegeben hat, wird in der Literatur nicht einhellig beurteilt; diesen betonend: G. Althoff, Billunger, S. 323 ff.; zurückhaltender: K.-H. Lange, Stellung, S. 39; E. Schubert, Niedersachsen, S. 263.
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das, wenn man so will, auch als Bewusstsein ihrer Legitimität, gar als Rechtsbewusstsein anzusprechen ist, und das sich in Widerstand gegen davon abweichende königliche Verfügungen ausdrücken konnte. Diese Üblichkeit und ihr Bewusstsein – und dies ist der Vorstellung einer stetig fortschreitenden Erblichkeit entscheidend entgegenzuhalten – schliffen sich aber nicht erst während der Generationsfolgen im billungischen Geschlecht und Herzogtum ein. Schon zum ersten Generationswechsel, den man als Herzogsnachfolge in Sachsen begreifen kann, der Nachfolge Ottos durch seinen Sohn Heinrich 912 lagen die Determinanten ganz ähnlich, wie sie uns bei Lamperts Beschreibung zur Nachfolge des Billungers Ordulf begegnen. Widukind von Corvey schreibt zu diesem Generationswechsel einige Jahrzehnte später: Igitur patre patriae magno duce Oddone defuncto, illustri et magnifico filio Heinrico totius Saxoniae reliquit ducatum (…) Rex autem Cuonradus cum saepe expertus esset virtutem novi ducis, veritus est ei tradere omnem potestatem patris. Quo factum est, ut indignationem incurreret totius excertitus Saxonici; ficte tamen pro laude et gloria optimi ducis, plura locutus promisit se maiora sibi daturum et honore magno glorificaturum. Saxones vero huiuscemodi simulationibus non adtendebant, sed suadebant duci suo, ut, si honore paterno eum nollet sponte honorare, regi invito quae vellet obtinere posset. Rex autem videns vultum Saxonum erga se solito austeriorem, nec posse publico bello eorum ducem conterere, subpeditante illi fortium militum manu, exercitus quoque innumera multitudine, egit, ut quoque modo interficeretur dolo.507 Mag auch der Quellenwert dieser Nachricht einigem Zweifel ausgesetzt sein,508 so spiegelt sie zumindest eine zeitgenössische Auffassung, eben des im Jahre 925 geborenen Widukinds, zum Amtscharakter des ducatus im Verhältnis zu dem darauf gerichteten Erbanspruch Heinrichs wider. Otto hinterließ seinem Sohn den Dukat; daraus spricht die Erbfolge. Der König aber musste Heinrich in die väterliche Stellung einsetzen (ei tradere omnem potestatem patris). Dieses Verfügungsrecht übte Kaiser Konrad auch zunächst gleichsam negativ aus, als er sich weigerte, Heinrich einzusetzen. Hier nun trat gewissermaßen die Breite der Anerkennung eines Erbanspruchs des Sohnes auf den Plan: Der König musste sich dem Druck des sächsischen Heeres fügen und die Erbfolge absegnen. cc) Die Nachfolge Magnus durch Lothar von Süpplingenburg Ungebundener war der König, der Salier Heinrich V., nach dem Tod des letzten Billungers Magnus 1106 in der Berufung eines Nachfolgers zum sächsischen Herzog.509 Ein legitimer Nachfolger drängt sich nicht auf; Magnus verstarb söhnelos. Aber auch die zur Nachfolge – neutral formuliert – näheren Schwiegersöhne des Magnus Billung, den Welfen Heinrich den Schwarzen, Herzog von Bayern, und den As507 508 509
I, 21. E. Schubert, Niedersachsen, S. 95; H. Stingl, S. 159. Siehe oben zu Anm. 225 ff.
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kanier Otto von Ballenstedt, überging der Salier, als er Lothar von Süpplingenburg als Herzog einsetzte; ebenso Siegfried III. von Boyneburg aus der mächtigen Familie der Northeimer.510 Dies – so folgert Schubert aus dem Umstand, dass auch außersächsische Quellen den Herzogswechsel in Sachsen 1106 für berichtenswert erachteten – löste bei den zeitgenössischen Chronisten wie auch in der Forschung Erstaunen aus; es war kein Routineereignis, keine vorhersehbare Nachfolgeregelung.511 Denn der neue Herzog gehörte nicht zu den mächtigen Dynasten in Sachsen;512 weder war er politisch besonders hervorgetreten noch war er mit reichem Allodialbesitz ausgestattet.513 Die für ihn nachweisbaren Komitatsrechte waren Lehen der Halberstädter und Hildesheimer Kirche.514 Allerdings war er „reich an erlauchten Ahnen“.515 Seine Großmutter mütterlicherseits war Gertrud von Haldensleben, die in zweiter Ehe Ordulf Billung geheiratet hatte. Er selbst war mit Richenza verheiratet, der Enkelin Ottos von Northeim, der Tochter Heinrichs des Fetten und der Brunonin Gertrud, die in erster Ehe mit Dietrich II. von Katlenburg vermählt war. Das Kalkül des Königs liegt auf der Hand: Einerseits galt es, eine Bündelung von Machtmitteln in einer Hand, den Aufbau eines Rivalen des Saliers in Sachsen, zu verhindern, indem der billungische Dukat – wohl unter Einschluss der Komitatsrechte – von der Allodialverlassenschaft getrennt wurde.516 Andererseits musste der Erwählte im Land die Anerkennung der Großen erlangen. War zwar offensichtlich, die Kompetenz des Königs, den Herzog zu bestimmen, unumstritten, so durfte seine Wahl gleichwohl nicht auf Ablehnung, musste seine Wahl und entsprechend sein Übergehen anderer möglicher Kandidaten auf Verständnis stoßen.517 Dies war mit seinen ver510 Dass der Salier auch Heinrich den Fetten und Kuno von Beichlingen übergangen habe, wie E. Schubert, Niedersachsen, S. 351 Anm. 255 angibt, ist mit deren Sterbedaten 1101 und 1103 unvereinbar. 511 E. Schubert, Niedersachsen, S. 348, mit Bezug auf die Zusammenstellung bei H. Vogt, S. 149. 512 K. Jordan, Herzogtum, S. 13; G. Althoff, Billunger, S. 329. Anders noch die ältere Forschung, die die Machtgrundlage des Süpplingenburger als bedeutender einschätzte, etwa: H. Stoob. 513 Vgl. G. Pischke, Herrschaftsbereiche, S. 62 ff. 514 Hartmut Hoffmann, S. 402 f. 515 E. Schubert, Niedersachsen, S. 348. 516 Darüber besteht Einigkeit in der Forschung: K. Jordan, Herzogtum, S. 13 f.; G. Althoff, Billunger, S. 329; E. Schubert, Niedersachsen, S. 349 ff. Ob mit dem Dukat auch ein „Herzogsgut“, also Besitztitel, die aus dem Herzogsamt erwachsen und an diesem haften, von den Billungern auf Lothar übergegangen ist, nimmt H. Vogt an; sehr einschränkend E. Schubert, Niedersachsen, S. 352 Anm. 261; ablehnend E. Wadle, Reichsgut, S. 143 Anm. 9; unmittelbar quellenmäßig fassbar ist das Herzogsgut jedenfalls nicht. 517 Dies betont besonders E. Schubert, Niedersachsen, S. 351. Darüber hinaus erblickt er eine weitere Intention des Königs: Lothar hatte aus den beschriebenen verwandtschaftlichen Beziehungen ein reichhaltiges Erbe zu erwarten. Überall gab es Miterben. Und dies bedeutete konkurrierende Ansprüche, bei denen immer der Entscheid des Königs gefordert war. Niemand konnte 1106 voraussehen, dass sich die Erberwartungen des neuen Herzogs reibungslos erfüllten. Zu den vielfältigen Erbschaften Lothars: K. Jordan, Herzogtum, S. 14 f.
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wandtschaftlichen Bindungen an die Haldenslebener, die Brunonen, die Katlenburger und die Northeimer gewährleistet. In der Nachfolgebehandlung 1106 wird wiederum die, wenn auch nicht völlig ungebundene, Verfügungsgewalt des Königs über die sächsische Herzogswürde erkennbar. Wie weit jedoch das Amt des Herzogs von der – modernen – Vorstellung, sein Inhaber habe die Aufgaben, die Interessen seines Dienstherren wahrzunehmen, wenigstens diesen nicht zuwider zu handeln, entfernt war, zeigt das Verhältnis Lothars und Heinrich V. seit 1112.518 Bis dahin schien die Rechnung des Königs aufzugehen. Lothars Ernennung erzeugte keinen Widerstand bei den Großen in Sachsen. 1111/12 nahm der sächsische Hochadel an einem Romzug Heinrichs teil. Doch schon 1112 beginnt ein Wechselspiel von Gegnerschaft und Unterwerfung, von Absetzung und Begnadigung. Lothar hatte den ungewöhnlich, ja unerklärlich mächtigen Ministerialen Friedrich519 des Stader Markgrafen gefangen genommen. Dieser stand aber rätselhafter Weise unter dem Schutz des Kaisers. Daraufhin ließ Heinrich V. Ende März 1112 in Goslar durch Fürstenspruch alle Würden aberkennen; zum Herzog wurde der Askanier Otto von Ballenstedt ernannt.520 Aber schon im Juni darauf revidierte der König seine Entscheidung, was Schubert zu der Vermutung veranlasst, der initiierte Fürstenspruch sei eher eine „Demonstration, eine Probe, wie weit die Sachsen hinter Lothar standen“ gewesen.521 Ende des Jahres 1112 standen die sächsischen Großen hinter Lothar: Mit ihm an der Spitze verweigerten sie die Teilnahme an einer Herrschaftsrepräsentation des Königs auf einem Hoftag zu Erfurt. Hintergrund der Opposition des sächsischen Adels war – vielleicht neben der von Helmold von Bosau bescheinigten aufständischen Neigung –522 das Erbe des söhnelos verstorbenen Grafen Ulrich II. von Weimar, das der König einzuziehen trachtete.523 In der Erkenntnis, allein im Bunde mit dem ostsächsischen Hochadel einen Konflikt mit dem König nicht erfolgreich bestehen zu können, unterwarf sich Lothar 1114 auf dem Hoftag zu Mainz dem Salier. Doch schon zu Weihnachten desselben Jahres verweigern die sächsischen Großen unter der Führung Lothars wiederum ihr Erscheinen auf einem Hoftag, diesmal zu Goslar. Daraufhin kam es am 11. Februar 1115 zu der für Lothar siegreichen Schlacht am Welfesholz. Danach spielte das Königtum des Saliers in Sachsen keine Rolle mehr. Als Herzog abgesetzt wurde Lothar aber nicht. Offensichtlich war ein Fürstenspruch durch ein vom König beherrschtes Fürstengericht, von Heinrich V. gegen Lothar nicht mehr zu erlangen. Auf dem Bamberger Hoftag 1124 wollte er den Sachsen verurteilen lassen. Zum Kriegszug gegen Sachsen war bereits gerüstet. Nicht zuletzt darin dürfte der Hintergrund dafür gelegen haben, dass bei der Königswahl 1125 erstmals seit ottonischer Zeit wieder die Sachsen teilnahmen. Die Folge der 518 519 520 521 522 523
Zum Folgenden vor allem: E. Schubert, Niedersachsen, S. 352 ff. Zu diesem vor allem R. Hucke, S. 92, 96 f., 104 f., 130 f. E. Schubert, Niedersachsen, S. 353; R. Hucke, S. 97 ff. Niedersachsen, S. 353. Cap. 40: „(…) rebellionum vetus consuetudo (…).“ E. Schubert, Niedersachsen, S. 353; R. Hucke, S. 39.
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Wahl Lothars zum deutschen König war, dass herzogliche und königliche Gewalt in Sachsen in einer Hand lagen. dd) Heinrich der Stolze Wann und in welcher Weise Lothar das Herzogtum Sachsen an seinen Schwiegersohn, den Welfen Heinrich den Stolzen, verliehen und welche Position er nachfolgend daran bekleidet hat, ist ungeklärt.524 Dass es sich nach dem Tod Lothars in der Hand Heinrichs des Stolzen, der seit 1126 Herzog in Bayern war, befand, ist unbestritten.525 Lothar sah in seinem Schwiegersohn seinen Nachfolger, nicht nur im Herzogtum, sondern auch im Reich. Deshalb übergab er ihm kurz vor seinem Tod die Reichsinsignien. Diese Designation erfüllte sich aber nicht. Zum deutschen König wurde im März 1138 in Koblenz der Staufer Konrad III. gewählt. Die Gründe – so nimmt die Forschung weithin einhellig an –526 dürften einerseits sachlicher, andererseits persönlicher Natur gewesen sein. Heinrich war der mächtigste Fürst im Reich. Er hielt die Herzogtümer Bayern und Sachsen inne. Darüber hinaus verfügte er über das reiche Allodialgut und die übrigen Rechts- und Besitztitel der Welfen in Schwaben, Bayern und Oberitalien – zusammen mit seinem jüngeren Bruder Welf VI. In Sachsen vereinigte er neben der Erbmasse des Süpplingenburgers die von seiner Mutter Wulfhild ererbten Besitzungen aus der billungischen Erbmasse. Nach der Beschreibung Ottos von Freising rühmte sich der Stolze eines Machtbereiches, der „von Meer zu Meer“ reiche,527 von der Nordsee bis zum Mittelmeer. Ein solcher (Haus-)Machtbereich vermochte den Königswählern Furcht einzuflößen. Otto von Freising, ein Halbbruder Konrads III., benennt auch den subjektiven Grund der Ablehnung, die Heinrich entgegengebracht wurde und in seinem schon zeitgenössischen528 Beinamen „der Stolze“ ihren Niederschlag fand: „die bekannte Überheblichkeit der Welfen“,529 sein hochfahrendes und herrisches Wesen. Viele Feinde waren die Folge.530 Der Welfe lieferte dem Staufer die Reichsinsignien aus, verweigerte ihm aber die Huldigung. Der 524 Dazu E. Wadle, Reichsgut, S. 144 Anm. 15; E. Schubert, Niedersachsen, S. 361. 1129 heißt es zur Lage eines Gutes im Harzgau: „in ducatu ducis Henrici“ (Reg. Imp. IV/1.1. 194). 1135 erwähnt Lothar „nostris et ducis Henrici ministerialibus“ (Reg. Imp. IV/1.1. 447). Allerdings weist E. Wadle, ebd., darauf hin, dass Lothar und nicht Heinrich der Stolze die herzoglichen Funktionen in Sachsen wahrgenommen hat: er lässt den in Bamberg beschlossenen Landfrieden auf einem sächsischen Hoftag zu Magdeburg beschwören; er ordnet die Gleichstellung der sächsischen Kirchenministerialen mit den Ministerialen des Herzogtums an. E. Schubert, ebd., folgert entsprechend, dass Heinrich zu Lebzeiten Lothars nur nominell Herzog von Sachsen gewesen ist. 525 K. Jordan, Herzogtum, S. 17; E. Wadle, ebd. 526 Dazu vor allem: O. Engels, Stauferstudien, S. 32 ff., 315 ff.; K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 22 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 384. 527 Chronica, S. 542. 528 E. Schubert, Niedersachsen, S. 360. 529 Wie Anm. 503. O. Engels, Stauferstudien, V43, nennt noch einen weiteren Grund: Anders als der Staufer Konrad, der Sohn einer Kaisertochter, die ihren Bruder Heinrich V. überlebt hatte, war, konnte der Welfe keine stirps regia vorweisen. 530 Zu diesen: K. Jordan, ebd.
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Konflikt brach aus.531 Im Juli 1138 wurde Heinrich auf dem Hoftag zu Würzburg nach einer sententia principum, einem Fürstenspruch, dass niemand zwei Herzogtümer innehaben dürfe, das Herzogtum Sachsen abgesprochen.532 Er verfiel, da er zu dem Hoftag nicht erschienen war, der Reichsacht. Das Herzogtum Sachsen wurde Albrecht dem Bären zuerkannt. Dieser war schon zu Beginn des Jahres als Gegner Heinrichs des Stolzen aufgetreten und hatte als Enkel des letzten Billungers „in Form einer Klage vor dem König Ansprüche auf das Herzogtum Sachsen“ erhoben.533 Im Dezember 1138 wurde Heinrich auf dem Hoftag von Goslar auch das Herzogtum Bayern abgesprochen.534 Ein Waffengang zwischen dem König und dem Welfen schien unausweichlich. Dazu kam es jedoch nicht mehr, da Heinrich im Oktober 1139 starb. ee) Heinrich der Löwe Das Schicksal des Herzogtums des Askaniers Albrecht des Bären zeigt, wie sehr die Verfügungsgewalt des Königs über das Herzogtum gebunden war. Mag er auch „rechtlich“ – im Sinne einer zeitgenössisch allgemein anerkannten grundsätzlich ihm zustehenden Kompetenz – über die Besetzung des sächsischen Dukats verfügt haben, so musste er seine Entscheidung auch faktisch-politisch durchzusetzen vermögen. Diese Durchsetzung war abhängig von der Akzeptanz des Herzogs bei den Großen im Lande. Diese wiederum wurde befördert durch die Beachtung einer legitima successio und – vor allem – hing sie von der Machtstellung des Herzogs, die auf seinen Allodial- und Komitatsrechten fußte, ab. Entsprechend scheiterte Albrecht. Er konnte zwar auf seine billungische Abstammung, seine Mutter Eilika war die Tochter des letzten Billungers Magnus, verweisen, aber verfügte nur über die eben von dieser ererbten billungischen Allodia in Sachsen. Als der Askanier nach dem Tode Heinrichs des Stolzen 1139 in Bremen seine Herzogs- und Vogteirechte wahrnehmen und sich als Herzog huldigen lassen wollte, wurde er von den welfischen Parteigängern verjagt.535 Mit Waffengewalt der Herzogsgewalt des Askaniers in Sachsen zum Durchbruch zu verhelfen, konnte Konrad III. in Anbetracht der gegnerischen Übermacht nicht wagen.536
531 Ob dabei die Huldigungsverweigerung tatsächlich den Grund abgab, wie K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 23, es annimmt, oder nur den Anlass bot, den Rivalen aus Sachsen niederzuringen, mag dahin stehen. E. Schubert, Niedersachsen, S. 384 f., betont jedenfalls die fehlende Kompromissbereitschaft, das fehlende Suchen des Staufers nach einem friedlichen Konfliktausgleich. Dies spricht eher dafür, dass die Huldigungsverweigerung nur das Startsignal für den Konflikt darstellte. 532 O. Engels, Stauferstudien, S. 315 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 386; K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 23; F. Güterbock, Prozess, S. 116 f. 533 K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 23. 534 F. Güterbock, Prozess, S. 116. 535 K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 27; E. Schubert, Niedersachsen, S. 387. 536 R. Hucke, S. 109 f.
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Die welfischen Interessen wahrte Richenza, die Witwe Lothars und Mutter Heinrichs des Stolzen, und nach ihrem Tode dessen Witwe Gertrud.537 Die zeitgenössische Identifikation des sächsischen Dukats mit dem Geschlecht der Welfen findet urkundliches Zeugnis: Gertrud wird als totius Saxonie ducissa bezeichnet; ihren noch jugendlichen Sohn Heinrich den Löwe tituliert der Bremer Erzbischof Adalbert als puer dux Saxonum.538 Albrecht der Bär gab auf; er resignierte 1141 das Herzogtum in die Hand des Königs.539 Nach ergebnislosen Verhandlungen des Seniors des welfischen Hauses Welf VI. kam es in Folge der Eheschließung Gertruds mit dem Babenberger Heinrich Jasomirgott 1142 zu einer von dem Mainzer Erzbischof vermittelten Lösung: Das nach dem Tode Herzog Leopolds 1141 ebenfalls vakante, vordem von Heinrich dem Stolzen gehaltene Herzogtum Bayern wurde an seinen nunmehr mit dessen Witwe Gertrud verheirateten Bruder Heinrich Jasomirgott ausgegeben, und ihr Sohn Heinrich der Löwe wurde auf dem Hoftag zu Frankfurt im Mai 1142 mit dem sächsischen Dukat belehnt. Auf dem Goslarer Hoftag Anfang 1143 wurde diese Frankfurter Vereinbarung noch einmal förmlich in Sachsen bestätigt.540 Der Sturz des Löwen 1180, ein Ereignis, das einen herausragenden Kulminationspunkt vieler verfassungshistorischer Entwicklungslinien darstellt, schließt auch den Überblick über die Sukzessionsabfolge sächsischer Herzöge ab. Vernachlässigt man den Dukat der Askanier nach 1180 und ein denkbares Restherzogtum bei den Welfen nach 1180, so lässt sich nur das Ende des sächsischen Herzogtums, wie es sich seit dem 10. Jahrhundert herausgebildet hatte, feststellen.541 Jedenfalls waren die folgenden Träger des Titels dux so anders gestellt, dass die Feststellung, dass nach 1180 kein welfischer dux mehr abgesetzt und in aller Regel auch nicht vom König eingesetzt worden ist, weniger erhellend denn irritierend erscheinen muss. Über die Absetzung des Löwen, über das Verfahren gegen ihn, das weithin als politischer Prozess bewertet wird, ist nur eine einzige urkundliche Quelle überliefert: die berühmte und vielfach interpretierte Gelnhäuser Urkunde.542 In ihr – genauer: 537
E. Schubert, Niedersachsen, S. 388. Beide Titel finden sich in: UrkHdL, Nrn. 1 – 3 (vor 1142 – 1143). 539 E. Schubert, Niedersachsen, S. 388. 540 Zu dem Voranstehenden: E. Schubert, Niedersachsen, S. 388 f.; K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 28 f., der vermutet, das sächsische Herzogtum sei an Heinrich und seine Mutter Gertrud gemeinsam zu Lehen gegeben worden, ohne allerdings eine Grundlage für diese Annahme zu benennen. 541 H. Conrad, Bd. 1, S. 186; R. Sprandel, Verfassung, S. 148; B. Schneidmüller, Landesherrschaft, S. 66. 542 Maßgeblicher Druck heute bei F. Güterbock, Gelnhäuser Urkunde, S. 24 – 27; danach auch abgedruckt bei L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 74. Von der vielfältigen Literatur sei nur angeführt: F. Güterbock, Prozess; ders., Gelnhäuser Urkunde; G. Theuerkauf, Prozess; O. Engels, Stauferstudien, S. 116 ff.; K. Heinemeyer; K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 197 ff.; St. Weinfurter; E. Schubert, Niedersachsen, S. 453 ff. Der Prozess gegen den Löwen wird vielfach als politisch gewertet (etwa von K. Jordan, ebd., S. 197). E. Schubert, ebd., S. 453 Anm. 548, betont dies 538
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ihrer Dispositio – ist nicht der Urteilsspruch gegen den Welfen niedergelegt. Vielmehr wird über die Neuvergabe des Herzogtums Westfalen – dieses wird nicht ausdrücklich so bezeichnet –543 disponiert: Der Kaiser hatte dieses zuvor mit Zustimmung der Fürsten durch Zweiteilung des Herzogtums Westfalen und Engern geschaffen und es dann der Kölner Kirche geschenkt und deren Erzbischof Philipp mit der kaiserlichen Fahne investiert, mit dem Einverständnis des Askaniers Bernhard, dem der andere Teil des Herzogtums überlassen wurde. Von den Sanktionen gegen Heinrich erfahren wir aus der der Urkunde vorangestellten Narratio. Es wird von zwei Verfahren berichtet, einem landrechtlichen und einem lehnrechtlichen.544 Das zeitlich vorgelagerte landrechtliche Verfahren, dessen Hintergründe und genauere Ausgestaltung hier ebenso wie diejenigen des lehnrechtlichen Verfahrens unerörtert bleiben können,545 führte zur Ächtung des Löwen. In dem sich anschließenden lehnrechtlichen Verfahren wurden Heinrich auf dem Hoftag zu Würzburg die Herzogtümer Bayern und Westfalen samt Engern sowie sämtliche Lehen, die er vom Reiche innehatte, aberkannt und dem Recht und der Herrschaftsgewalt des Kaisers zugesprochen.546 Die Begriffe Herzogtum Sachsen, ducatus Saxonie, und Herzog von Sachsen, überhaupt das Wort Sachsen vermeidet das Gelnhäuser Diplom merkwürdigerweise. Heinrich wird eingangs der Narratio als quondam dux Bawarie et Westfalie bezeichnet. Dies wird in der Forbesonders und stellt diese Wertung gar in einen Gegensatz zu den rechtsgeschichtlichen Betrachtungen zum Verfahren, wie es in der Gelnhäuser Urkunde beschrieben wird. Wie anders als politisch sollte aber ein Prozess bewertet werden, der als Kläger und Beklagten sowie als Urteiler Herrschaftsträger des Reiches aufweist? Es besteht kein Gegensatz zwischen Recht und Politik. Und im Übrigen lässt selbst der Fall, dass ein vergangenes rechtsförmliches Verfahren zu – politischen – Zwecken missbraucht wird, noch Raum für rechtshistorische Betrachtungen: Die Rechtsformen, die ge- oder – je nach Geschmack – missbraucht wurden, vermögen, das Rechtsbewusstsein der Zeit widerzuspiegeln. Überspitzt gesagt: Bei einem engen Verständnis der Rechtsgeschichte, im Sinne einer Geschichte des Rechts, ist es sogar unerheblich, mit welchen Zielen ein Verfahren betrieben wird. Man muss sich lediglich der Beschränktheit solcher Betrachtungen gewahr sein. Aus der Eigenart der Überlieferung, dass keine zeitgenössische erzählende Quelle vom Sturz Heinrichs des Löwen berichtet, schließt E. Schubert, Niedersachsen, S. 455: „Das Urteil von Gelnhausen wurde gar nicht als endgültiger Entscheid verstanden, sondern als Schachzug in einer Auseinandersetzung, deren Lösung in der Zukunft – so wie man es gewohnt war – durch einen die gegenseitigen Interessen respektierenden Ausgleich gefunden werden sollte.“ 543 Wörtlich heißt es zu dem, was der Kölner Erzbischof erhielt: unam partem, eam videlicet, que in episcopatim Coloniensem et per totem Pathebrunnensem episcopatum protendebatur, cum … 544 Das „Landrecht“ wird nicht ausdrücklich als Maßstab benannt; anders die Lehnrechtlichkeit des zweiten Verfahrens: „(…) sub feodali iure legitimo trino edicto ad nostram citatus audientiam (…).“ Sehr fein ziselierend zur Unterscheidung von land- und lehnrechtlichem Verfahren – letztlich wird das landrechtliche Verfahren zu Gunsten eines „allgemeinrechtlichen Verfahrens“ aufgegeben – G. Theuerkauf, Prozess, passim. 545 Zu den Hintergründen die in Anm. 542 angegebene Literatur, insbesondere die vielfach abweichenden Ausführungen E. Schuberts. 546 Ac proinde tam ducatus Bawarie quam Westfalie et Angarie quam etiam universa, que ab imperio tenuit, beneficia per unianimem principum sentenciam in sollempni Wirziburc celebrata ei abiudicata sunt nostroque iuri addicta et protestati.
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schung vielfach mit einer Gleichstellung Westfalens samt Engerns einerseits und Sachsens andererseits übergangen.547 Teilweise wird diese Vermeidung des Begriffs Sachsen auf eine – angenommene – Vorläufigkeit der Dispositio des Kaisers zurückgeführt.548 Patze schließlich nimmt die Urkunde beim Wort: Dem Löwen sei nur das Herzogtum über Westfalen und Engern, nicht aber das über Sachsen abgesprochen worden.549 Gleichsam in dieses Ungewisse löst sich 1180 der sächsische Dukat, wie er uns seit dem 10. Jahrhundert begegnete, auf. Jedenfalls verliert sich der Begriff Sachsen im Unscharfen, mag auch der alte Stammesname fortleben. Mit den machtlosen Askaniern vermochte der Begriff Sachsen, Herzogtum Sachsen, elbaufwärts zu wandern. In dieser mit dem Sturz des Löwen aufgebrochenen Ungewissheit spiegeln sich die epochalen Veränderungen der inneren Struktur Sachsens, überhaupt des Verfassungsgefüges des Reiches im 12. Jahrhundert, wider. Doch bevor diese näher beleuchtet werden, gilt es zurückzuschauen auf den sächsischen Dukat. ff) Fazit Festzuhalten bleibt: der sächsische Dukat ist bis 1180 nicht geteilt worden – bis der König Westfalen abteilt.550 Eine Erblichkeit – die Voraussetzung der Teilungen, denn diese waren ja Erbteilungen – hat sich offensichtlich nicht seit 912 herausgebildet oder gesteigert. Die Bindung des Königs bei der Besetzung des Herzogtums nach dem Tod des Herzogs an eine legitima successio des Sohnes (Lampert) ist 912 bei der Nachfolge Ottos durch Heinrich gleichermaßen wie etwa 1072/73 nach dem Tode des Billungers Ordulf zu beobachten, ohne dass diese Bindung gesteigert, fester erschiene. Es bestätigt sich die von Goetz getroffene Feststellung, dass das Erblichkeitsprinzip, und zwar bereits seit den Anfängen eines sächsischen Dukats, soweit gefestigt war, dass man davon nur in begründeten Ausnahmefällen, zum Beispiel nach Aufständen oder
547 K. Heinemeyer, S. 60: „Herzogtum Westfalen und Engern, d. h. Sachsen“; vgl. auch E. Boshof, Entstehung, S. 257, der „in der Theorie die volle Rechtsnachfolge Heinrichs des Löwen im sächsischen Dukat“ für die Askanier ausmacht. 548 E. Schubert, Niedersachsen, S. 463, mit dem Hinweis darauf, dass im Juli 1180, der Gelnhäuser Hoftag war im April, Heinrich als ehemaliger Herzog von Sachsen und Bayern und Bernhard von Anhalt seit Oktober des Jahres als dux Saxonie in den Kaiserurkunden bezeichnet wird. Ähnlich G. Theuerkauf, Prozess, S. 228, der es für möglich hält, dass man in Ostfalen „für Machtbildungen der Staufer und des Reiches, vielleicht auch für eine Verständigung mit den Welfen einen herzoglicher Oberherrschaft freien Raum“ lassen wollte; ähnlich M. Garzmann, Stadtherr, S. 143 Anm. 3. 549 Welfische Territorien, S. 22. 550 Eine ganz ähnliche Politik verfolgte der Staufer Friedrich I. auch in Bayern: 1156 und 1168 wurden Teile abgetrennt; dazu unten A.III.2.a).
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beim Aussterben des Geschlechtes im Mannesstamm abwich.551 Entsprechend war die königliche Verfügungsgewalt über die Besetzung des Herzogtums nach dem Erlöschen eines Herzogsgeschlechts, zumindest dem söhnelosen Tod eines Herzogs ungebundener: 1106, 1138; gänzlich frei war sie – wenigstens in politischer Hinsicht – nicht.552 Auch in diesem Falle des erloschenen Mannesstammes stellte das Erbrecht den Prätendenten die Grundlage ihrer Ansprüche zur Verfügung. So griff etwa Albrecht der Bär, nachdem Lothar von Süpplingenburg 1138 ohne Sohn verstorben war, die Herzogstellung des Welfen Heinrich des Stolzen unter Berufung auf seinen billungischen Großvater Magnus an. Die immer wieder vertretene These, die Erblichkeit der Ämter, ihre Erblichwerdung, sei durch Einbeziehung ins Lehnrecht, ihre Feudalisierung, ausgelöst, wenigstens befördert worden553 – oder verallgemeinernd formuliert: die Entwicklung des Lehnrechts habe das dem Adel verliehene königliche Amt dem König immer stärker entfremdet –554, findet in der Sukzessionswirklichkeit des sächsischen Dukats keine Stütze. Weder lässt sich eine fortschreitende Erblichkeit oder eine – gar linear verlaufende – Entfremdung des Herzogtums vom König, sofern man eine Entfremdung Sachsens vom König555 bei dieser strukturellen Betrachtung ausspart, feststellen, noch scheint das Lehnswesen bis 1180 überhaupt eine, geschweige denn eine verändernde Wirkung auf die Beschaffenheit und Ausgestaltung des sächsischen Herzogtums gehabt zu haben. Lassen die erzählenden Quellen – und das sind die einzigen Quellen bis zur Gelnhäuser Urkunde, die uns über die Einsetzung der sächsischen Herzöge unterrichten – ohnehin selten erkennen, in welcher Form die Besetzung des Herzogtums erfolgt ist,556 konstatiert Schubert für den billungischen Dukat: „Von einer Belehnung mit dem Herzogtum war in dessen Geschichte nie die Rede gewesen“.557 Demgegenüber geht Goetz davon aus, dass die vom König mit dem Herzogtum betrauten billungischen Adeligen „damit zweifellos auch investiert“ worden
551
Billunger, S. 175, mit Hinweis darauf, dass den Geschichtsschreibern ein erblicher Anspruch etwas Selbstverständliches war, so dass ein Abweichen besondere Hervorhebung erfuhr. 552 Gänzliche Ungebundenheit bei der Besetzung dürfte kaum zu den notwendigen Charakteristika des Amtes gehören. Auch heute bindet etwa Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes den jeweiligen Dienstherrn bei der Besetzung eines Amtes an Eignung, Befähigung und fachliche Leistung. In einer Zeit, in der verwandtschaftliche Beziehungen, familiäres Herkommen von kaum zu überschätzender Bedeutung ist, kann es nicht verwundern, dass der Sohn dem Vater im Amt folgt – ist doch jener durch die Amtsinhaberschaft dieses gleichsam prädestiniert. 553 Für viele: G. Tellenbach, S. 224. 554 K. Kroeschell, Art. „Amt“, HRG 1, Sp. 151. 555 In Folge von Aufständen, an deren Spitze zumeist der Herzog stand, wurde Sachsen immer wieder zu einem „königsfernen Land“, E. Schubert, Niedersachsen, S. 263 ff., 352 ff. 556 H. Mitteis, Lehnrecht, S. 418; zur Rechtsform der Herzogs- und Grafenernennung auch R. Scheyhing, S. 80 ff. 557 Niedersachsen, S. 290 Anm. 213.
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seien, ohne allerdings den Hintergrund seiner Zweifelsfreiheit auszuleuchten.558 Offenbar ist für die Frage nach der königlichen Verfügungsgewalt über das Herzogtum die Frage, ob die Besetzung der Herzogtümer in die Formen des Lehnrechts gekleidet war, ohne Gewicht. Amt und Lehen stellen insoweit keine zu differenzierenden Kategorien dar; sie sind gleichermaßen der königlichen Kompetenz unterworfen. Dies mag der Hintergrund dafür sein, dass den Chronisten die Übertragungsform des Herzogtums nicht erwähnenswert erschien. Tellenbachs559 Auslegung des Verschweigens lehnrechtlicher Formen in den Chroniken, dass diese „bei der Übertragung von Herzogtümern am spätesten“ – und wohl zu ergänzen: deshalb – „angewandt worden“ seien, „dass der Erblichkeitsgedanke bei Grafschaften früher durchgedrungen sei als bei Herzogtümern“, übersieht dabei, dass sich synchron auch die Form der Komitatsübertragungen nicht in den erzählenden Quellen finden lässt. Darüber hinaus ist, abgesehen davon, dass das Silentium der Quellen ohnehin nicht überbewertet werden sollte,560 die Grundlage dieser Ansicht, dass nämlich Erblichkeit ein Spezifikum des Lehnswesens gewesen sei, Ämter also erst nach ihrer Feudalisierung erblich werden konnten und geworden sind, nicht erweislich. Mitteis spricht zutreffend allein von „äußeren Formen“, die das Lehnrecht hier darstellt. Tellenbach erkennt ja auch selbst an, dass „Ämter durch ihre Feudalisierung nicht aufhörten, Ämter zu sein“.561 Dass sich dennoch gleichzeitig „die Verfügungsgewalt des Herrn abgeschwächt“ und das Amt „Charakterzüge herrschaftlichen Besitzes“, die es zuvor nicht hatte, angenommen haben sollen, bleibt eine jedenfalls für den sächsischen Dukat letztlich unbegründete Behauptung. Datiert Tellenbach diesen Wandel auf die Zeit seit dem 9. Jahrhundert, so müsste er zur Begründung darlegen, dass und inwiefern dem Lehnrecht dieser Zeit überhaupt das Vermögen zu eigen war, Lehnsgegenständen Charakterzüge von Besitz mitzuteilen; und das in Anbetracht der auch von ihm nicht bestrittenen Erkenntnis, dass das Amt selbstständiger und nicht aus der Güterleihe abgeleiteter Lehnsgegenstand war.562 Kurzum: Warum also lehnrechtliche Formen das Wesen des Amtes, die Verfügungsgewalt des Herrn verändert haben sollten, bleibt unklar. Es scheint, dass die Ineinssetzung des Lehns mit Erblich- und Eigenrechtlichkeit einerseits und des Amtes mit Absetzbarkeit und Interessenwahrung des Dienstherren andererseits und ihre entsprechende scharfe Gegenüberstellung – mit der Bewertung am Maßstab des modernen Staates – aus dem gleichsam reziproken Vorgang im Spätmittelalter, den die Verfassungsgeschichtsschreibung als Ablösung des „feudalen Personenverbandsstaates“ durch den „institutionellen Flächenstaat“, des „Lehnsstaates“ durch den „Beamtenstaat“ erfasst,563 in den Vor558
Billunger, S. 195. S. 226 f. 560 So auch H. Mitteis, Lehnrecht, S. 418 f. 561 S. 224. So auch H. Mitteis, Lehnrecht, S. 204 f. 562 Dazu H. Mitteis, Lehnrecht, S. 198 ff.; K. Kroeschell, Art. „Amt“ HRG 1, Sp. 151. 563 Begriffe nach O. Hintze, Feudalismus, S. 23 ff., und Th. Mayer, Ausbildung, S. 291, 294; zur Sache: K. Kroeschell, Art. „Amt“ HRG 1, Sp. 152 f.; D. Willoweit, Verwaltung, S. 81 ff. 559
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gang der Feudalisierung im Früh- oder Hochmittelalter zurückprojiziert wird. Mag die spätmittelalterliche Entwicklung Ausdruck von Versachlichung, von moderner Staatlichkeit sein, so stellt doch aber die Feudalisierung der Ämter nicht das genaue Spiegelbild dar. Demnach wäre ja ihr Ausgangspunkt ein von rationalen Institutionen geprägtes Staatswesen gewesen. Davon ist aber, will man nicht dem anstaltlich geprägten Staat des Karolingerreiches das Wort reden, nicht auszugehen.
b) Rückschau und Vorschau: Hemmnisse der Dukatsteilung bis 1180 Versuchen wir am Ende der Rückschau auf den sächsischen Dukat eine Antwort auf die Frage zu geben, warum dieser bis 1180 nicht geteilt worden ist und es offensichtlich keine Teilungstendenzen gegeben hat. Was machte das Herzogtum unteilbar? Es sei noch einmal an die eingangs dieses Kapitels dargelegte These Willloweits erinnert, dass der Teilungsgedanke unter den sächsischen und salischen Kaisern nur in geringem Umfang verwirklicht worden sei, sei gewiss auf ein amtsrechtliches Verständnis von Herzogtum und Grafschaft zurückzuführen; diese Territorien seien als Pertinenz bestimmter, insbesondere gerichtsherrlicher Amtsfunktionen erworben worden, die selbst nicht teilbar seien; solange also das Amt im Sinne einer persönlich wahrzunehmenden Aufgabe im Vordergrund stehe, sei auch eine Teilung des dazugehörigen Territorialbesitzes schwer möglich.564 Von daher ist nach dem Amtscharakter des sächsischen Dukats und danach zu fragen, ob man in irgendeiner Weise von einem „dazugehörigen Territorialbesitz“ sprechen kann. Betrachten wir zum Amtscharakter des Herzogtums zunächst vergleichend die Feststellungen, die zum Komitat, der dem Bereich der Adelsherrschaft, den herzoglichen Machtgrundlagen zuzurechnen ist, getroffen worden sind. Für die Grafschaft war schon die Frage, ob es überhaupt Teilungen bis ins 12. Jahrhundert gegeben hat, kaum zu beantworten; die nahezu gleichzeitige Nachweisbarkeit mehrerer Brüder in Komitatsrechten des Vaters könnte auf Teilungstendenzen hindeuten. Die Frage nach dem Warum einer – möglichen – Nichtteilung ist allenfalls als Frage nach noch gehemmter, nicht deutlicherer Teilungspraxis zu formulieren. Dass der Amtscharakter einer stärkeren Teilungstendenz entgegen gestanden habe, kann in Anbetracht der dünnen und in ihrer Art zur Behandlung der Sukzession in Grafschaften nicht sehr ergiebigen Quellenlage nicht mit Gewissheit entschieden werden: Der Komitat, insbesondere die im Singular erscheinende Kumulation vormals geschiedener comitatus, wurde offenbar zu einer fassbaren – teilbaren oder unteilbaren – Einheit durch die Inhaberschaft des comes und seines Geschlechtes daran geformt. Er war dementsprechend personal, ja patrimonial definiert. Einen „comitatus Northeim“ hat es nicht gegeben, sondern einen comitatus Ottos (von Northeim) oder Heinrichs des Fetten (von Northeim) oder eben im Rückblick: der Northeimer. Mit diesem Befund ist die von Willoweit für das – zumindest späte – Mittelalter konstatierte Objektivie564
Art. „Landesteilung“; HRG 2, Sp. 1417.
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rungstendenz des Amtes,565 das heißt seine Unabhängigkeit von der Person des Inhabers, nicht ohne weiteres vereinbar. Das bedeutet allerdings nicht, jeglichen Amtscharakter der Komitate verneinen zu müssen. Dazu müsste die nach ihren Tätigkeitsmerkmalen umrissene Aufgabe566 des Grafen und das Band, das – wenn auch zunehmend verblassende – Auftragsverhältnis zum König aus der zeitgenössischen Wahrnehmung verschwunden gewesen sein. Dies lässt sich jedoch nicht belegen. Gleichwohl gemahnt die Feststellung eines unter dem jeweiligen Inhaber und seinem Geschlecht sich in quantitativer Zusammensetzung und Gestalt immer wieder verändernden Komitats, keine zu modernen, vom Leitbild des transpersonalen Staates ausgehenden Vorstellungen von Amt in das Mittelalter zu projizieren.567 Es bleibt: Der patrimonial sich gestaltende Komitat ist von der Allodialverlassenschaft zu Beginn des 12. Jahrhunderts noch weithin scheidbar, wie die Sukzessionsbehandlung im Falle des Aussterbens eines Grafengeschlechts im Mannesstamme belegt. Stärkeren Teilungstendenzen stand neben der noch geringen Einschmelzung der Komitatsrechte in die allodialen Elemente des Patrimoniums, etwa ihre Verbindung in kleinräumigen Herrschaftseinheiten,568 nicht zuletzt die Biologie, das Schicksal schmaler Mannesstämme bei den sächsischen Grafengeschlechtern des 11. Jahrhunderts. Für den Dukat wissen wir um das Ob der Teilung: Es sind nicht einmal Tendenzen dazu festzustellen. Und schon die in den Quellen immer wieder überlieferte Wortwahl dux Saxoniae oder – allerdings selten – ducatus Saxoniae569 deuten auf eine Objektivierung der Aufgabe, ein vom jeweiligen dux abgelöstes, eben transpersonales Verständnis des ducatus und damit seinen Amtscharakter hin. Darin könnte das Hemmnis der Dukatsteilung gelegen haben. Worin bestand aber das Amt? Welche Aufgaben und welche Mittel zu ihrer Erfüllung hatte der dux Saxoniae? Die Herzogsstellung der Billunger wird schon in der älteren Forschung als Ehrenvorrang,570 als primi inter pares gegenüber anderen sächsischen Dynasten571 beschrieben. Denn für sie lasse sich kein allgemeines Aufgebotsrecht, weder zu Hoftagen noch zu Heerfahrten belegen; auch sei von einer besonderen Gerichtshoheit, die über ihre Funktionen als Markgraf oder Graf hinausgingen, nichts bekannt.572 In der neueren Forschung hat dieses Bild, insbesondere die Bewertung dieser Inhaltsarmut im Vergleich zu anderen, vor allem süddeutschen Herzogtümern, einige Korrekturen bekommen.573 Jedoch ist man sich im Ergebnis einig, dass das, was die Herzogsstellung konkret ausmachte, welche spezifisch herzoglichen Rechte mit ihr verbun565 566 567 568 569 570 571 572 573
Verwaltung, S. 84. Zum mittelalterlichen Amtsbegriff: D. Willoweit, Verwaltung, S. 81 ff. Vgl. auch ebd., S. 84. Dazu unten unter A.III.1. Vgl. dazu H.-J. Freytag, S. 19. G. Tellenbach, S. 220; vgl. dazu auch G. Althoff, Billunger, S. 311. K. Jordan, Herzogtum, S. 12. Ebd. G. Althoff, Billunger; H.-W. Goetz, Billunger; M. Becher.
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den waren, unklar bleibt.574 Am ehesten noch als Herzogsrecht lässt sich die für die Billunger belegte Führung des Stammesaufgebotes im Reichsheer anführen.575 Im Übrigen fußte ihre Herrschaft, ihre Macht auf der Vielzahl ihrer Besitz- und Herrschaftsrechte.576 Eines wird an diesem Versuch, die Herzogsstellung zu beschreiben, wie auch schon an dem Titel dux Saxoniae, deutlich: sie ist auf den Stamm bezogen. Eine genauere Beurteilung des Verhältnisses des dux Saxoniae zum Stamm,577 insbesondere das Verhältnis einer Amtsherrschaft des Herzogs zum Stamm, gilt aber nach wie vor als schwierig.578 Einig ist man sich, dass der Herzog, jedenfalls der billungische, den Stamm vertrat, ihn nach außen repräsentierte.579 Eine institutionelle herzogliche Herrschaft über die comprovinciales gab es unter den Billungern nicht. Wie gesagt, dem Herzog kommt ein Ehrenvorrang zu. Diese Stellung vermochte eine starke Herrscherpersönlichkeit zu einer Stammesführung zu nutzen. Dies war aber nichts als eine Machtfrage. Der Herzog stand also zwischen König und Stamm; von jenem wurde er eingesetzt, diesen repräsentierte er. Inwieweit man bei diesem Befund eher von einem Amtsherzogtum oder von einem Stammesherzogtum sprechen oder diese Kategorien, jedenfalls in ihrer antithetischen Gegenüberstellung, aufgeben mag, sei dahingestellt. Für die Frage nach dem Hemmnis einer Teilung des Herzogtums – genauer: einer Erbteilung – ist dies nicht entscheidend. Räumliche Unschärfe Sachsens und institutionelle Unschärfe des Herzogsamtes deuten schon darauf hin: Von einem dem Herzogtum „zugehörigen Territorialbesitz“ kann nicht die Rede sein. Und ein „Territorialherzogtum“ wird für die Billunger auch von niemandem behauptet. Nicht von ungefähr wird der Betrachtung des Herzogtums der Billunger in der landesgeschichtlichen Forschung – teils ausdrücklich –580 die Un574
G. Althoff, Billunger, S. 329; H.-W. Goetz, Billunger, S. 173, 183, 193. H.-W. Goetz, Billunger, S. 184. 576 Mit der institutionellen Unschärfe des Dukats der Billunger korrespondiert der von H.-J. Freytag, S. 19, herausgearbeitete Sprachgebrauch der Kaiser- und Königsurkunden: Zuweilen bezeichnet ducatus darin den comitatus eines dux. 577 E. Schubert, Niedersachsen, S. 183: „Bei aller institutionellen Unschärfe der Grenzen, die den Raumbegriff so schwer beschreibbar mache, stellen die Sachsen als adeliger Personenverband doch einen für die Zeitgenossen klar fassbaren Stamm dar. Stamm darf jedoch nicht im Sinne der älteren Forschung als der Überbau von Sippen und einer irgendwie gearteten Blutsgemeinschaft gewertet werden, sondern bezeichnet einen Rechtsbereich. Wer als Sachse geboren wurde, stand sein Leben lang unter sächsischem Recht, konnte selbst in der Fremde nur nach dessen Maßgabe gerichtet werden.“ 578 H.-W. Goetz, Billunger, S. 184 ff.; M. Becher. Hier schwingt die kategoriale Gegenübersetzung von Amts- und Stammesherzogtum mit, genauer: Sie findet in dieser Frage ihren Ausgangspunkt; vgl. oben A.I. bei Anm. 18. 579 K. Jordan, Herzogtum, S. 8; H. Stingl, S. 210; beide betonen, dass aus dem Stellvertreter des Königs gegenüber dem Stamm dessen Repräsentant gegenüber dem König geworden sei; E. Schubert, Niedersachsen, S. 179 ff. 580 Vgl. H.-W. Goetz, Billunger, S. 172. 575
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terscheidung zwischen dem Herzogtum als Institution und der Adelsherrschaft des jeweiligen Herzogs zu Grunde gelegt. Bei der Frage nach dem ducatus geht es nicht um die vollständige Gebotsgewalt eines dux, alle seine Rechts- und Herrschaftstitel. Und dass der ducatus von der fürstlichen Eigenherrschaft, die vornehmlich von den Allodien, den Komitats- und Vogteirechten und den Lehen gebildet wird, abschichtbar war – und auch dies gilt es als Ergebnis festzuhalten –, haben jeweils die Wechsel der Geschlechter im sächsischen Herzogtum 1106, 1138 und auch noch 1180 deutlich gemacht: Die Allode verblieben bei den Erben des erloschenen Geschlechts. Ob Komitatsrechte in dem Dukat inbegriffen, an diesem haftend, auf den Herzogsnachfolger übergingen, lässt sich für 1138 verneinen. Nach 1106 lassen sich für Lothar von Süpplingenburg zwar Vogteirechte und die Wahrnehmung eines Komitatsrechts im Bardengau, dem Kerngebiet der Billunger, nachweisen.581 Ob diese sporadisch belegten Rechtstitel aber als Bestandteil oder Pertinenz des Dukats auf Lothar gelangt sind, ist damit keineswegs ausgemacht. Sie können ebenso gut gleichsam parallel mit dem Herzogtum an den Süpplingenburger gekommen sein. Für das sächsische Herzogtum, das, um es noch einmal zu betonen, von der möglicherweise schon fortschreitend territorialisierten Eigenherrschaft des Herzogs klar scheidbar war, einen Amtsbezirk – im Sinne eines dazugehörigen Territoriums – abzustecken, ist im Hinblick darauf, dass die Herzogsstellung auf den Personenverband des sächsischen Stammes bezogen war, gleichsam unnötig. Der Dukat war seiner Natur nach nicht teilbar. Die Stellung als Repräsentant des Stammes nach außen – und auch diejenige des Königs gegenüber dem Stamm – ist ungeeignet, auf mehrere Träger verteilt zu werden. Man hätte, um dies zu versinnbildlichen, den Stamm teilen müssen. Es ist die Konturen-, die Substanzlosigkeit, die fehlende Materialisierung des Herzogtums im Sinne einer Ausstattung mit konkreten herzoglichen Herrschaftsrechten gerade gegenüber dem Stamm, die einer Teilung des Herzogtums im Erbgang entgegenstand. Letztlich bedeutete ja auch die durch Kaiser Friedrich I. vorgenommene Teilung des sächsischen Herzogtums 1180 – und dies dürfte in Bayern nicht anders gewesen sein – das Ende des Dukats. Aus Sicht der Dynasten: Es lohnte nicht, die Herzogsstellung aufzuteilen; damit war nichts gewonnen. Das Teilungsprodukt war wertlos, jedenfalls ohne die kaum zu erzwingende Akzeptanz582 der jeweiligen – personalen – Portionen des dann zerlegten Stammes nicht zu verwerten. An dieser teilungshemmenden Konturenlosigkeit,583 institutionellen Substanzlosigkeit und territorialen Pertinenzlosigkeit des Herzogtums änderte sich auch unter Lothar von Süpplingenburg und Heinrich dem Löwen im Grunde nichts, bleibt
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G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 90; vgl. auch oben A.II.1.b), Anm. 208. Lehnsmänner und Ministeriale konnten nach den Teilungen des Spätmittelalters dem neuen Herrn, der meist zuvor Mitregent war, zugewiesen werden. Diese lehn- oder amtsrechtliche Verbindung zum Stamm hatte der Herzog aber nicht. 583 Wirklich teilungshemmend „brauchte“ diese nicht zu wirken. Denn eine Erbteilung kam nicht in Betracht, da Lothar keine Mehrzahl an Söhnen hinterließ und Heinrich kein Herzogtum mehr hatte, als er starb. 582
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man in der Betrachtung bei der Unterscheidung zwischen institutionellem Herzogtum und herzoglicher Macht.584 Auch für Lothar konstatiert Jordan, dass es seine persönliche Leistung gewesen sei, als Herzog wieder – die beiden letzten Billunger, Ordulf und Magnus, gelten als schwache Persönlichkeiten – Führer des sächsischen Stammes geworden zu sein.585 Eine die gräfliche qualitativ übersteigende herzogliche Amtsgewalt bleibt auch unter dem Süpplingenburger schwer fassbar.586 Und selbst unter dem Löwen gewinnt das Herzogtum keine institutionelle Schärfe.587 Als spezifisch herzogliche, über die gräfliche Stellung hinausgehende Befugnis ist – weiterhin – kein allgemeines Aufgebotsrecht zu Heerfahrt und Hoftag nachzuweisen; ebenso wenig eine oberste Gerichtsgewalt in Sachsen.588 Lediglich in den Einberufungen zweier Hoftage wird eine inhaltliche Ausweitung des ducatus gesehen.589 In der Forschung ist umstritten, inwieweit die Landfriedenswahrung, zu der der Herzog berufen war,590 – insbesondere in Gebieten, in denen keine oder eine nur schwache welfische Adelsherrschaft ausgeprägt war – ein Merkmal des Herzogtums des Löwen, ein Charakteristikum seiner herzoglichen Obergewalt gewesen ist.591 Allerdings vermögen – worauf Schubert zutreffend hinweist – Maßnahmen gegen „störende“ sächsische Große, die durchaus der Landfriedenswahrung zuzuordnen sein mögen, auch ebenso gut auf Ausschaltung von Mitkonkurrenten um die Vormacht in bestimmten Räumen abgezielt haben.592
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Zu dieser auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 390 f. Herzogtum, S. 15. 586 K. Jordan, Herzogtum, S. 15 f., macht in Abgrenzung zur herzoglichen Amtsgewalt der Billunger „Ansätze einer solchen herzoglichen Tätigkeit außerhalb seines unmittelbaren Herrschaftsbereiches“ im Bereich der Landfriedenswahrung (Zerstörung der Burgen Kyffhäuser 1118 und Rietberg 1124) und in der Inanspruchnahme des Verfügungsrechts über Reichslehen (Besetzung der Markgrafschaft Meißen nach dem Tod Heinrichs II. von Eilenburg 1123 mit Waffengewalt gegen den königlichen Willen) aus. Ob diese Maßnahmen des Süpplingenburgers allerdings einer Ausweitung der institutionellen Herzogsstellung und nicht eher der eigenen Machtstellung zuzuordnen sind, kann kaum entschieden werden. 587 So besonders E. Schubert, Niedersachsen, S. 391 ff., vor allem A. K. Hömberg, S. 41, folgend; vgl. auch H. Patze, Welfische Territorien, S. 9. Zur Literatur zum Herzogtum Heinrichs des Löwen: W.-D. Mohrmann. 588 E. Schubert, Niedersachsen, S. 391. 589 Heinrich hält 1163 in Hannover eine curia ab, bei der auch westfälische Große anwesend sind, und 1173 einen conventus in Paderborn; K. Jordan, Herzogtum, S. 25 m. w. N. Ablehnend zu der Bewertung: E. Schubert, Niedersachsen, S. 403. 590 So schon K. S. Bader, S. 262. 591 Dieses Spezifikum herzoglicher Herrschaft betonen gerade für Heinrich den Löwen K. Jordan, Herzogtum, S. 24 f., und W.-D. Mohrmann, S. 79. E. Schubert, Niedersachsen, S. 409, konstatiert hingegen: „Das Rechtsinstitut der Landfriedenswahrung, zu dessen Wahrung der Herzog berufen war, hatte Heinrich offenbar gar nicht interessiert.“ 592 Regelmäßig werden als Maßnahmen der Landfriedenswahrung das Vorgehen Heinrichs gegen Widukind von Schwalenberg in den 50er Jahren und gegen Heinrich von Arnsberg in den 585
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
Das Recht, erledigte Grafschaften und die Allode des erloschenen Geschlechts einzuziehen, ein – lehnrechtlich legitimiertes – Heimfallrecht des Herzogs ist für Heinrichs Herzogsstellung allermindestens nicht nachweisbar.593 Seine vielen bedeutenden Erwerbungen an Verlassenschaften erloschener sächsischer Grafengeschlechter594 – die Stader Erbschaft,595 das Winzenburger Erbe,596 das Asseler Erbe,597 zumindest das Allodialerbe der Sommerschenburger598 – tragen eine Handschrift: Macht – dahinter vorgebliche, allenfalls denkbare Rechtsansprüche. Macht, mochte sie auf ererbten oder – rechtmäßig oder unrechtmäßig – erworbenen, Rechten beruhen, ist das Kennzeichen der Herzogsherrschaft des Löwen.599 Besonders deutlich wird dieses Faktische der Macht als hervorstechendes Signum des Dukats des Löwen 1180: Nach der Aufhebung des sächsischen Herzogtums strebten zahlreiche Herrschaften in diesem Raum – Hochstifte, Grafen, Edelfreie – zur Unabhängigkeit.600 Eine nie gekannte Konzentration von Besitz- und Herrschaftstiteln vermochte Heinrich, in seiner Hand zu vereinigen. Diese Massierung von Rechtspositionen ist aber der Adelsherrschaft zuzurechnen. Sie erweiterte die Eigenherrschaft des Löwen quantitativ. Er betrieb ausgestattet und angetrieben mit Machtbewusstsein und Durchsetzungsvermögen eine kräftige Machtpolitik in Sachsen. Unmittelbar dem ducatus als (Verfassungs-)Institution ist sein Handeln, sein Macht- und Besitzstreben nicht zuzurechnen. In diesem Sinne der institutionellen Unschärfe ist eine Etikettierung des Herzogtums des Löwen als eines – jedenfalls im Werden begriffenen – „Gebietsherzogtums“601
60er Jahren angeführt, so etwa bei K. Jordan, Herzogtum, S. 24 f.; dagegen die Wertung E. Schuberts, Niedersachsen, S. 396 f. 593 Angenommen hatte dieses J. Ficker (J. Ficker/P. Puntschart, II 3, S. 457 f.); zweifelnd: L. Hüttebräuker, S. 58 f.; K. Jordan, Herzogtum, S. 22; dagegen: E. Schubert, Niedersachsen, S. 394; W.-D. Mohrmann, S. 50. St. Weinfurter, S. 182, beschreibt insoweit einen lehnrechtlichen Ausbau seiner Herrschaft durch den Löwen; er habe erstmals auf der Ebene der Herzogsgewalt das Prinzip des Heimfallsrechts entwickelt. „Freilich war eine solche Rechtsauffassung noch keineswegs üblich – schon gar nicht in Sachsen (…).“ Einschränkend fährt Weinfurter fort, der Löwe habe auch nicht einheitlich einen lehnrechtlichen Heimfallsanspruch vertreten, denn, wie Helmold von Bosau berichtet, sei er quaedam quidem hereditario iure, quaedam beneficiali verfahren. 594 Die landesgeschichtlichen Einzelarbeiten zusammenfassend und bewertend: E. Schubert, Niedersachsen, S. 410 – 423. 595 K. Jordan, Herzogtum, S. 19; ders., Heinrich der Löwe, S. 32 f.; G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 48; R. G. Hucke, S. 111 f., 147 f.; G. Althoff, Anlässe, S. 42 ff.; W.-D. Mohrmann, S. 49 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 410 ff. 596 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 125 ff.; G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 45; K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 34. 597 O. Merker, S. 40; G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 53. 598 G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 54. 599 Dies betont sehr deutlich E. Schubert, Niedersachsen, S. 390 ff. 600 H. Patze, Welfische Territorien, S. 7 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 480 f., 481: „Die Frage nach dem Herzogtum findet ihre Antwort nach 1180 in den neuen Formen der Unabhängigkeit der Mächtigen.“ 601 W.-D. Mohrmann, S. 84.
II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter
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oder „territorialen Herzogtums“602 nicht gerechtfertigt.603 Dies bedeutet nicht, dass Heinrich der Löwe nicht nach Territorialisierung seiner Herrschaftsrechte und – wenn man diese verfassungsgeschichtliche Chiffre verwenden mag – nach Landesherrschaft604 strebte. Die innere Struktur seiner Herrschaft war zeittypisch erfasst von dem grundlegenden Herrschafts-, das heißt Verfassungswandel, der gerade das 12. Jahrhundert kennzeichnet. Doch kann diese noch nachzuzeichnende,605 für die Frage nach den Landesteilungen, ihrem Aufkommen kaum zu überschätzende Entwicklung der Herrschaftsstrukturen und des Herrschaftsverständnisses im 12. Jahrhundert nicht, jedenfalls nicht hinreichend fassbar, auf den sächsischen ducatus bezogen werden.606 Insofern kann man verkürzt, aber vermittelnd, das Streben des Löwen als eines nach einer Gebietsherrschaft, aber nicht nach einem Gebietsherzogtum bezeichnen. Allerdings sollten institutionelles Herrschafts-Amt einerseits und Macht sowie aus dieser Macht geschöpfte Veränderung der Herrschaft andererseits nicht sich einander ausschließend gegenüber gestellt werden. Erwarteten nicht etwa die sächsischen Großen, die comprovinciales des Herzogs, von diesem mächtig zu sein? Schubert fordert methodisch insofern zutreffend, Recht und Macht auseinanderzuhalten und erst in einem zweiten Schritt zu fragen, „ob die Machtausübung nicht aus einer inneren Logik heraus Regeln entwickeln musste, die verfassungsgeschichtliche Folgen haben können“.607 Das Amt – sei es das des comes, sei es das des dux –, das dem Recht zuzuordnen ist, war offensichtlich im Kern inhaltlich bestimmt, aber keinesfalls als randscharfer Zuständigkeitskatalog für den Inhaber zu denken. Es war jedenfalls in quantitativer, aber wohl auch in qualitativer Hinsicht geeignet, durch den Inhaber erweitert und ausgestaltet zu werden – mit der Folge, dass diese Veränderungen sich ihrerseits dem Amt, wobei dieser Begriff in diesem Zusammenhang mit großer Vorsicht zu gebrauchen ist,608 mitzuteilen vermochten.609 602
K. Jordan, Herzogtum, S. 26; ders., Heinrich der Löwe, S. 148. So auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 391 ff., bes. 391 Anm. 53, entgegen K. Jordan und anderen Interpreten der Herzogsstellung des Löwen. Es erscheint schon gegenüber den eigenen Ausführungen unpassend, wenn W.-D. Mohrmann, S. 84, resümiert, der Herzog sei im Begriff gewesen, „die personal strukturierten Rechte über den noch existierenden Stamm der Sachsen zu territorialisieren“. Lediglich Landfriedenswahrung und die beiden Hoftage konnte er als spezifische, stammesbezogene Rechtsstellung des Herzogs benennen. Ob diese Rechte „über den Stamm“ bestanden, ist schon zweifelhaft. Gänzlich unerweislich und fern liegend ist es vor allem, dass Heinrich gerade diese Rechte „territorialisiert“ haben sollte. Gegenstand dieser Herrschaftsverflächung waren Gerichts- und Einkunftsrechte. Dazu gehört die Landfriedenswahrung nicht. 604 Anschauliche Definition dieses Begriffs bei P. Moraw, Entfaltung S. 74 f.; vgl. auch D. Willoweit, Rezeption, S. 33 ff. Zu den Begriffsproblemen: E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 55 ff. 605 Unten A.III. 606 Ähnlich schon Th. Mayer, Friedrich I. und Heinrich der Löwe, S. 75. 607 Niedersachsen, S. 391. 608 Siehe oben nach Anm. 540 zum comitatus. 609 Zu einem solchen Vorgang der Begriffserweiterung auch G. Droege, Herzogtum, S. 294. Insofern schimmert ein Anachronismus durch, wenn E. Schubert, Niedersachsen, S. 390 ff., 603
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
Und im Sturz des Löwen und seinen Folgen deuten sich solche Veränderungen für den ducatus an. Genauer: Im Sturz selbst, dem Entzug von Rechtspositionen, werden diese Veränderungen noch ebenso wenig sinnfällig, wie insbesondere die Frage nach einem unter Heinrich intendierten Gebietsherzogtum, also letztlich nach der Einschmelzung der Adelsherrschaft in den Dukat, zu erhellen ist. Die Welfen verloren zwar die Machtfülle, die die Herzogsstellung Heinrichs umschloss. Ihnen verblieben die welfischen Allodia, die der Löwe auf dem Erfurter Hoftag 1181 zurückerhalten hatte.610 Doch kann daraus nicht auf eine Einschmelzung dieser Machtstellung in die Verfassungsinstitution des Dukats geschlossen werden. Denn zum einen wurde Heinrich dem Löwen ja nicht nur das Herzogtum „Westfalen und Engern“ aberkannt. Vielmehr verlor er in dem landrechtlichen Verfahren, spätestens nach Verfall in die Aberacht, auch seine Eigengüter und Lehen. Daher zeitigte der Sturz nicht zugleich eine Abschichtung des Dukats vom Allodium, in das möglicherweise längst Grafschaftsund andere Herrschaftsrechtstitel eingeschmolzen waren, kurz: von der Adelsherrschaft des Löwen. Was als Dukat, was als Adelsherrschaft angesehen wurde, lässt sich also nicht durch Betrachtung allein des Verlustes der Welfen 1180 ermitteln. Zum anderen finden wir bei den Askaniern, die dem Löwen in dem nicht an den Kölner Erzbischof ausgegebenen Teil des sächsischen Herzogtums nachfolgten, diese Machtstellung mitnichten wieder.611 Aber in den Folgen des Sturzes scheinen die Veränderungen hervor: Zum einen vermochte sich offensichtlich – umgekehrt – zumindest der Titel dux der welfischen Adelsherrschaft mitzuteilen. Der Herzogstitel wurde von den Welfen weiter verwandt und – dies, so Patze, war eine „rechtsterminologische Neuerung“ –
mehrfach besonders betont, dass das Handeln des Löwen, insbesondere seine Erwerbungen nicht dem ducatus im Sinne einer verfassungsgeschichtlichen, transpersonalen Größe zuzurechnen sei – vor allem wenn man hinzunimmt, dass Schubert eingangs seiner Beschreibung der Herzogsstellung Heinrichs ausdrücklich feststellt, dass der sächsische Dukat „keine irgendwie geartete reichsrechtliche Definition erfahren“ habe, als er dem jungen Heinrich übertragen wurde. Solch eine Definition sucht man bis 1156 vergeblich. 610 Nach Arnold von Lübeck, MGH SS XXI, S. 142, erhielt Heinrich sein gesamtes Allodium zurück (patrimonium suum, ubicumque terrarum fuisset). Nach anderen Quellen hat der Löwe nur Braunschweig und Lüneburg mit Zubehör wieder erlangt (L. Hüttebräuker, S. 3). Insbesondere aus den Urkunden zur Teilung des Erbes des Löwen unter seinen Söhnen 1202 lässt sich der Umfang der Rückerstattung ersehen. Offensichtlich erhielt der Löwe nur sein sächsisches Allod zurück. Süddeutsches Welfenerbe findet 1202 keine Erwähnung. 611 Arnold von Lübeck, MGH SS XXI, S. 142, beschreibt die Stellung der Askanier, ihr Scheitern: Post exilium ducis Henrici, tyrannico more unusquisque regnabat in loco suo et alterutrum vim faciebant et vim partiebant. Denique Bernhardus dux, qui principatum obtinere videbatur, segniter agebat (…) non ut verus princeps, unde nec ab imperio juxta statum prioris est honoratus, nec a principibus vel terrae nobilioribus est reputatus; Otto von Freising, L. I. c. 9, findet ähnlich deutliche Worte für den Verfall des Herzogtums von dem Löwen zu den Askaniern: Omnes usque ad praesentem diem duces dicti sunt, nullum ducatum habentes, soloque nomine, sine re participantes; H. Patze, Welfische Territorien, S. 9; E. Schubert, Niedersachsen, S. 490 f.
II. Komitat, Allodium und Dukat in Sachsen im Hochmittelalter
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auf die welfischen Residenzen Braunschweig und Lüneburg bezogen.612 Mag diese Titulierung zwischen 1180 und 1235 vor allem ein Ausdruck der (reichs-)verfassungsrechtlichen Schwebelage der Welfen, der letztlich ungelösten Frage nach dem ducatus Saxonie, so wird in ihr aber auch ein Wandel im Herrschaftsdenken sinnfällig, und zwar in zweifacher Hinsicht. Der dux-Titel wurde – überspitzt formuliert – territorialisiert und patrimonialisiert. Heinrich der Löwe wird in einem Schreiben Kaiser Heinrichs VI. an den askanischen Herzog Bernhard als dux de Brunsvic bezeichnet.613 Auch für seine Söhne, die gewöhnlicherweise jeweils als filius Henrici (quondam) ducis Saxonie tituliert wurden, und seine Enkel sind Verwendungen der Titel dux de Brunsvic und dux de Luneborch überliefert.614 Heinrich, der älteste Sohn des Löwen, wird sogar von der Kanzlei Kaiser Heinrichs (VII.) dux de Brunswic und auch – einmalig – dux Saxonum genannt.615 Willhelm, der jüngste Sohn des Löwen, nennt sich zumindest einmal in einer Urkunde aus dem Jahre 1200 selbst Dux de Luneborch.616 Für den zweitgeborenen Sohn Heinrichs des Löwen, Otto IV., ist, soweit ersichtlich, keine entsprechende Titelverwendung überliefert.617 Aber in oder für die Generation der Enkel des Löwen setzt sich die Verwendung des dux-Titels, bezogen auf eine der welfischen Residenzen, fort. Heinrich der Pfalzgraf, der älteste Löwensohn, hat seinem 1214 verstorbenen Sohn Heinrich in der Grabinschrift neben dem pfalzgräflichen auch den Herzogstitel beigelegt.618 Der Sohn Willhelms, Otto das Kind, wurde von seinem Onkel, dem Pfalzgrafen Heinrich, als dieser ihm im Juli 1223 als seinen Erben und legitimen Nachfolger einsetzte und ihm in einem symbolischen Akt die Stadt Braunschweig mit allem, was dazu gehörte, übergab, als dux de Luneborch tituliert.619 Und Kaiser Friedrich II. bediente sich in verschiedenen Schreiben des Jahres 1226 des Ausdrucks illuster dux de Brunswic.620 Dass den zwei seiner drei den Löwen überlebenden Söhnen und seinen Enkeln der dux-Titel 612 H. Patze, Welfische Territorien, S. 22 f., mit dem Hinweis aber auch darauf, dass der Sprachgebrauch bereits bekannt war, schon der Annalista Saxo tituliert Mitte des 12. Jahrhunderts die Billunger zu 1002, 1037 und 1059 so; dazu auch H.-J. Freytag, S. 19. 613 E. Boshof, Entstehung, S. 252. Rückblickend erscheint es dann dem Dichter der Braunschweigischen Reimchronik merkwürdig, dass sich Heinrich der Löwe „Herzog von Bayernland“ und „auch von Sachsen genannt“ und „nicht von Braunschweig“ (H. Patze, Welfische Territorien, S. 23; ders./K.-H. Ahrens, Braunschweigische Reimchronik, S. 79). 614 Zur Titelverwendung des Löwen nach seinem Sturz sowie derjenigen seiner Söhne siehe neben den in Anm. 588 f. Genannten auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 500 ff. 615 H. Patze, Welfische Territorien, S. 23; ders./K.-H. Ahrens, Braunschweigische Reimchronik, S. 71; E. Boshof, Entstehung, S. 252, 264; E. Schubert, Niedersachsen, S. 501. 616 H. Patze/K.-H. Ahrens, Braunschweigische Reimchronik, S. 71; E. Boshof, Entstehung, S. 255 f. 617 Otto hatte bei seiner Königswahl 1198 der Kölner Kirche das Herzogtum – gemeint ist Westfalen – bestätigt (siehe oben Anm. 341). 618 H. Patze/K.-H. Ahrens, Braunschweigische Reimchronik, S. 72; E. Boshof, Entstehung, S. 257. 619 UB Braunschw. II 60; E. Boshof, Entstehung, S. 262. 620 Urkunde vom 6. Juli 1226, abgedruckt bei H. Sudendorf, Registrum, Nr. 43; dazu auch W. Havemann, Bd. 1, S. 376.
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in eigenen Zeugnissen wie auch in königlichen Urkunden beigelegt wurde, ist nicht nur Beispiel eines herkömmlichen Brauchs, Reichsfürsten auch dann den Titel zu belassen, wenn sie das Fürstentum verloren hatten.621 Es verdeutlicht nicht nur den Anspruch der Welfen auf Zugehörigkeit zur Standesgruppe der principes imperii,622 auf Wiederherstellung der (groß-)väterlichen Würde. Vielmehr liegt gerade in der Breite der Titelverwendung, nämlich zur gleichen Zeit durch eine Mehrheit von verwandten Personen, die Patrimonialisierung des Titels;623 dieser wird Familiengut. Diese Einbindung des Herzogstitels in die Familien wird auch besonders sinnfällig in der Übergabe des Herzogshutes von Heinrich dem Pfalzgrafen auf Otto das Kind 1223.624 Dass es der Herzogstitel – dies sei noch einmal betont – und nicht ein wie auch immer verfasstes Herzogtum war, der patrimonialisiert wurde, lässt sich an der Teilung der Verlassenschaft des Löwen unter seinen Söhnen 1202625 erkennen: Über einen ducatus wurde nicht paktiert. Weder erscheint ein solcher ausdrücklich unter den zugewiesenen Rechtspositionen, noch lässt sich aus der Zuweisung eines bestimmten Titels, eines bestimmten Ortes eine besondere Vereinbarung über Herzogtum oder Herzogswürde erschließen. Allein für Heinrich findet sich an wenig exponierter Stelle der dux-Titel. Otto weist ihm ein Gebiet a Flotwide usque Honovir mit der Kennzeichnung quod ducis est zu.626 Zum anderen erscheint der Dukat in der Gelnhäuser Urkunde materialisiert: Der Kölner Kirche wird ein Teil des in zwei Teile geteilten Herzogtums, qui dicitur Westfalia et Angarie, verliehen cum omni iure et iurisdictione, videlicet cum comitatibus, cum advocatiis, cum conductibus, cum mansis, cum curtis, cum beneficiis, cum ministerialibus, cum mancipiis et cum omnibus ad eundem ducatum pertinentibus.627 Der Dukat ist danach nicht mehr konturenlos. Er erfährt durch Kaiser und Reichskanzlei eine Definition. Das Reich macht deutlich, worin es weltliche Herrschaft sieht: in der Gerichtsbarkeit.628
621
H. Patze, Welfische Territorien, S. 22. E. Boshof, Entstehung, S. 252. 623 Man könnte insoweit auch von einer Dynastisierung des Titels sprechen, vgl. H.-K. Schulze, Territorienbildung, S. 258. 624 Zum Symbol des Herzoghuts siehe die Literatur bei E. Boshof, Entstehung, S. 262 Anm. 61. 625 Dazu näher unten unter A.III.1. „Ein Fazit und die Teilung von 1202“. 626 OG III, 144. 627 F. Güterbock, Die Gelnhäuser Urkunde, S. 24 – 27; MGH Const. I, 279 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 74). 628 Näher dazu unten unter B.III.2.a). 622
III. Wandel der Herrschaftsstrukturen im 12. und 13. Jahrhundert
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III. Wandel der Herrschaftsstrukturen im 12. und 13. Jahrhundert Bisher, das heißt bis ins 12. Jahrhundert hinein, stand das Amt im institutionellen Sinne, im Sinne eines beständigen Herrschaftselementes – diese Sonderung von Elementen beruht auf der Erkenntnis, wie sie Willloweit herausstreicht,629 „dass alle anerkannten Möglichkeiten mittelalterlicher Herrschaft an Rechtsformen gebunden und meist Gestalt individueller Rechte einzelnen Herren zugewiesen sind“ –, noch in eben diesem Sinne unverbunden neben dem Allod. Der Dukat war scheidbar von den übrigen Herrschaftsgrundlagen des Herzogsgeschlechts, jedenfalls den allodialen Bestandteilen derselben. Der Komitat war noch vom Allod abschichtbar. Das gesonderte Amt war seiner Natur nach unteilbar, wenngleich dies, anders als beim Herzogtum, bei der Grafschaft nicht so deutlich hervortritt. Diese Scheidbarkeit findet vor allem in der Erbfolge ihren Ausdruck. Die unterschiedlichen Rechtspositionen im Patrimonium unterlagen noch verschiedenen Rechtsmaßstäben: Am Allod waren, wenigstens subsidiär und/oder an der in Gestalt von Liegenschaften ausgegebenen Mitgift, auch die Töchter beteiligt. Diese Vermögensmasse im Erbe wurde geteilt. Der Komitat war den Söhnen vorbehalten; mehrheitliche Berechtigungen scheinen Ausnahme geblieben zu sein. Der Dukat wurde ungeteilt, in Individualsukzession vererbt. Nun aber zeichnete sich seit dem 12. Jahrhundert ein Verschmelzungsprozess ab. Die Beobachtung der „Territorialisierung des dux-Titels“ und die Erfassung des Dukats als Bündel von Herrschaftsrechten, die, wie etwa der comitatus, zuvor nicht als Bestandteil des Herzogtums erschienen, haben auf diese Entwicklung hingezeigt. Zusammengefasst zielte der Wandel des 12. und 13. Jahrhunderts, die Neuordnung des Verfassungsgefüges auf Verflächung, Konzentration und Rationalisierung von Herrschaft. Noch heute wird für Anfang und Ende der Entwicklung vielfach Mayers Begriffspaar „Personenverbandsstaat“ und „institutioneller Flächenstaat“ bemüht.630 Erfassen lässt sich der Prozess einerseits im Beschreiben der Verfassungszustände der einzelnen Herrschaften mit den Mitteln der Landesgeschichte. Andererseits findet dieser gleichsam im Kleinen festzustellende Wandel der Herrschaftsauffassung eine Entsprechung im Großen: Allerwenigstens zeitlich kongruent, aber auch aufeinander bezogen, möglicherweise, ja wahrscheinlich als Reaktion dieser auf jene Entwicklung – im Verständnis von Herrschaft auch deckungsgleich – veränderte sich das Reichsverfassungsgefüge im 12. Jahrhundert. Man spricht von der Feudalisierung der Reichsverfassung.631 Das Verhältnis von Fürstenherrschaft und König wurde 629
Verwaltung, S. 67. Ausbildung, S. 294. Dieses Begriffspaar hat in der älteren, aber auch jüngeren Forschung breite Zustimmung gefunden: H. Mitteis, Staat, S. 4; H. Conrad, Bd. 1, S. 313; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 4; I.-M. Peters, S. 86; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 57 f., stellt in einem kritischen Forschungsüberblick fest, das Begriffspaar sei wohl das letzte konsensgetragene Interpretationsmuster für das spätmittelalterliche Territorium. 631 H. Mitteis, Lehnrecht, S. 415 ff.; ders./H. Lieberich, Kap. 27; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 117 ff.; H.-K. Schulze, Grundstrukturen, S. 63 ff. Grundlegende Kritik an der Vorstel630
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
unter Verwendung des Lehnrechts neu gestaltet. Auf dieser Ebene erscheinen die Veränderungen planvoll gesteuert; zumindest sind sie zeitlich eingrenzbar. Als hervorragende Zeugnisse des sich wandelnden Herrschaftsverständnisses im Reich gelten nicht zuletzt die die Welfen betreffenden Urkunden von 1180 und 1235. Im Kleinen hingegen darf die Neuordnung nicht, jedenfalls nur in sehr geringem Maße, als eine bewusste, in Beginn und Abschluss absteckbare Umgestaltung des Verfassungsgefüges verstanden werden. Vielmehr ist dieser Verfassungswandel etwas Prozesshaftes, das sich in einem nicht zu eng zu bemessenen zeitlichen Rahmen vollzog, keinesfalls im 13. Jahrhundert, ja überhaupt im Mittelalter zum Abschluss kam. Immer wieder schimmern die grundsätzlich abgelösten Zustände gleichsam atavistisch hervor. Man kann allenfalls vom Fernziel her Etappenziele der Entwicklung bezeichnen, etwa vom Flächenstaat her die Ämterbildung oder von dieser her die Herausbildung der Goe,632 einer Grundlage der neuen Gebietsorganisation, einer Vorstufe der Ämter im deutschen Nordwesten.633 Damit setzte eine Umgestaltung des Patrimoniums der herrschenden Adeligen ein, zu dem ja längst auch im Reich wurzelnde, von diesem ehedem herrührende, Herrschafts-, genauer: Gerichtsrechte gehörten, waren diese doch wenigstens seit Generationen erblich. Grundherrliche und niedergerichtliche Gerechtsame, die im reichsgutarmen Sachsen nahezu ausschließlich allodialen Herkommens waren, und gerichtsherrliche, zunehmend in den Formen des Lehens vergebene Rechtspositionen wurden nun miteinander verfugt, sie verschmolzen. Es liegt auf der Hand, dass dies die Sukzessionsbedingungen veränderte. Eine Ausdifferenzierung nach Rechtskreisen erscheint schon auf den ersten Blick nun nicht mehr möglich. Und in diese Zeit fällt auch erst das, was die Feudalisierung der Reichsverfassung genannt wird. Herausragende Zeugnisse dieses Prozesses sind gerade und vornehmlich die staufischen Lehnsgesetze für Oberitalien, die für die Konditionierung der herrschaftlichen, ja in Lehen erfolgenden Sukzession erste eindeutige Aussagen enthalten.634 Diese Aussagen bilden im Schrifttum die Grundlage jeder Beurteilung von fürstlicher Sukzession, das heißt vor allem der diese im Spätmittelalter kennzeichnenden Landesteilungen,635 und dies obwohl mittlerweile anerkannt ist, dass diese Lehnsgesetze nicht sofort und ohne weiteres nördlich der Alpen Anerkennung und Geltung erlangt hatten.636 Nimmt man noch einmal die ganz allgemeine Betrachtungsweise zu den „Landesteilungen“ und in einem weiteren Verstande, auch die Alienationen von Herrschaftslung vom Lehnrecht als Ordnungsmodell auch für das Früh- und Hochmittelalter übt S. Reynolds; dazu auch B. Schimmelpfennig, S. 96 f. 632 E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 17, spricht insoweit von der „Unfertigkeit als Charakteristikum spätmittelalterlicher Institutionen“. 633 Näher zum Go unten A.III.1.c) bei Anm. 682 ff. 634 Dazu näher unten B.III.2.b). 635 Siehe nur die in A.I. in Anm. 3 angeführte Literatur. 636 Zur Rezeption der Lehnsgesetze in Deutschland unten B.III.2.b) „Die königliche Lehnrechtssetzung“.
III. Wandel der Herrschaftsstrukturen im 12. und 13. Jahrhundert
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bestandteilen umfassend, zu der Mobilisierung von Herrschaft, in den Blick, so ist festzustellen, dass diese fast durchweg637 – mit den Worten Landwehrs – als Ausdruck eines „Eindringens des Allodialerbrechts in das Lehnrecht“ verstanden wird, das „von einem Funktionsverlust des Lehnswesens entweder ausgelöst oder zumindest begleitet worden sein“ müsse.638 Dieser Funktionsverlust wird indes von Landwehr ausdrücklich erst für das 14. Jahrhundert konstatiert. Dann muss allerdings unklar bleiben, warum gerade im 13. Jahrhundert die markanten Teilungen der großen Reichsländer, und zwar so plötzlich und flächendeckend, eingesetzt haben;639 in die Zeit des „Funktionsverlustes des Lehnswesens“ fallen diese Teilungen dann nicht. Vehikel des Eindringens des Allodialrechts in das nach diesem Modell ja Mitte des 13. Jahrhunderts so standfähigen Lehnrechts soll das Erbrecht gewesen sein: „Wir werden (…) Zeuge, wie über das Erbrecht Befugnisse, die ursprünglich amtsweise auf der Grundlage des Lehnrechts ausgeübt wurden, der Eigenherrschaft des Belehnten einverleibt werden.“640 Grundannahme im Schrifttum ist demnach, dass feudal mehr oder minder stabil konstituierte Herrschaftsgebilde, die Grafschaften und Herzogtümer, insbesondere wie sie in dem Lehnsgesetz von 1158 aufgeführt sind, unter weitgehender Wahrung ihrer Identität nun an lehnrechtlicher Kraft einbüßten und der Patrimonialisierung, ja der Privatisierung anheim fielen. Schlussstein einer solchen Betrachtung ist es dann, die Landesteilungen als „Rechtsbruch“641 zu bewerten. Dagegen drängen sich folgende Bedenken auf: – Die Feudalität des Grafen- und Herzogsamtes trat im Hochmittelalter nicht besonders hervor, war eher von nachrangiger Bedeutung.642 – Dass über das Erbrecht, die Erblichkeit, ursprünglich allodiale Vorstellungen, Befugnisse, in Amt und Lehen Platz gegriffen haben sollen, dass das Erbrecht das Ferment der Wandlung vom Reich herrührender Herrschaftspositionen in Eigenherrschaft gewesen sein soll, mag nicht recht überzeugen. Denn erblich waren diese ursprünglich vom Reich herrührenden, in dessen Rechtskreis wurzelnden Herrschafts- und Besitzrechte schon sehr lange. Seit vielen Generationen setzte sich das Patrimonium der Grafen und Herzöge sowohl aus Allod als auch aus Lehen oder lehnbaren Ämtern zusammen. Warum verschmolzen die beiden Bestandteile dann nicht aber schon viel früher und weniger plötzlich?
637 Eine Ausnahme bilden hier, soweit ersichtlich, nur Willoweits Ausführungen im Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Art. „Landesteilungen“, Sp. 1417. 638 Mobilisierung, S. 491. 639 Zum Aufkommen des Phänomens der Landesteilungen Mitte des 13. Jahrhunderts besonders: H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 228 ff., aber auch D. Willoweit, Rezeption, S. 41 f. 640 Mobilisierung, S. 487, unter Bezugnahme auf W. Schlesinger, Brandenburg und Meißen, S. 109. 641 G. Pischke, Landesteilungen, S. 1. 642 Siehe oben A.II.3.b).
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
– Der zeitliche Zusammenhang von Lehnsgesetzgebung des Reiches, dessen Feudalisierung, und Landesteilungen muss wohl für Deutschland enger gefasst werden: Die Rezeption der Lehnsgesetze des 12. Jahrhunderts sowie die Marksteine der Feudalisierung, von denen hier nur die Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 1235 genannt sein soll, reichten – allgemein anerkannt – bis an die Grenze zum Spätmittelalter.643 Rückt man so die Aussagen des Lehnrechts und das Aufkommen der Landesteilungen zeitlich zusammen, lässt sich schwer von einem Funktions-„Verlust“ des Lehnswesens sprechen. Dann wäre eine überhaupt gerade erst ausgebildete Funktion gleichsam im Moment ihrer Errichtung wieder zusammengefallen. Auch darf wohl die Funktion des Lehnrechts als Bindungsmittel, als integrativer Faktor, als Widerlager der Mobilisierung nicht überbewertet werden. Gerade das für die – retrospektive – Beurteilung der Sukzessionspraxis so zentrale Lehnsgesetz Kaiser Friedrichs I. aus dem Jahre 1158 gestattete es ausdrücklich, feuda unterhalb der Fahnlehen mit Einwilligung der Mitbelehnten zu teilen.644 Hier deutet sich schon an, dass der Frage nach dem Umfang des Nexus, konkret des Fahnlehens, Bedeutung und vermutlich auch unterschiedliche Antworten entgegenzubringen waren. – Der Gegenstand der „Landes“-Teilungen wird kaum näher beleuchtet.645 Die Frage nach dem Wann und Warum des Aufkommens der Landesteilungen muss die Möglichkeit berücksichtigen, dass das, was nach 1250 so oft geteilt wurde, zuvor gar nicht, jedenfalls in einer gänzlich anderen Gestalt, existierte; dass allein die Fragestellung schon eine Kontinuität vorzeichnet, deren Träger kaum auszumachen sind. Wie aber war Herrschaft ausgestaltet? Wie formierten Herrschaftseinheiten? Was band sie im Inneren? Wie war sie auf den Raum bezogen? Und wie waren sie, die Herrschaft und ihre einzelnen Elemente, in den Nachlass ihres Trägers eingebunden?
1. Im Kleinen: Bündelung von Herrschaftsrechten in festeren, flächenbezogenen Einheiten a) Die Burg Gründe und Ursachen für die allmähliche Abwendung der Herrschaftsordnung vom Personenverband hin zur Fläche sind nur schwer zu ermitteln. Dies liegt daran, dass über die politischen Ordnungen, die dem Prozess der Territorialisierung 643 Gerade S. Reynolds, S. 440 ff., warnt davor, das Lehnsrecht als Ordnungsmodell auch für das Hochmittelalter zu bemühen. 644 Unten A.III.2.b)bb) Anm. 836. N. Iblher v. Greiffen, S. 135 ff., 230 ff., zusammenfassend S. 260, befindet, dass sich auch schon das lombardische Lehnrecht des Hochmittelalters sehr dem Allodialrecht angenähert habe. Allerdings gründet seine Feststellung allodialer Charakterzüge zumeist allein auf der Erblichkeit; zudem differenziert er kaum zwischen Fahnlehen und anderen Lehen. 645 E. Bünz, S. 74 f., streift diese Frage, problematisiert aber letztlich nicht, inwieweit bei „Landesteilungen“ das „Land“ geteilt wird.
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von Herrschaft vorausgingen, kein hinreichendes Bild zu entwerfen ist;646 Inhalt und Gestalt des comitatus wie auch des ducatus lassen sich insoweit nur unzureichend nachzeichnen. Schriftliche Herrschaftszeugnisse sind ihrerseits bereits Ausdruck des Wandels zu einem rationalistischeren Herrschaftsstil. Ein herausragendes Symbol hat der Verfassungswandel: die Burg. Auf ihre verfassungsbildende Kraft,647 gleichzeitig auch Produkt des Wandels, lassen sich nahezu alle landesgeschichtlichen Neuerungen seit dem beginnenden 12. Jahrhundert beziehen. Am Ende des 11. und verstärkt seit Beginn des 12. Jahrhunderts baut sich der Adel möglichst in Höhenlagen Burgen, und zwar keine „Volksburgen“ im Sinne einer Zufluchtsmöglichkeit für die Bevölkerung, sondern Herrenburgen, Herrschaftszentren. Die Burgen geben dem Adel den Namen.648 Als frühestes Beispiel im niedersächsischen Raum macht Schubert den Graf von Katlenburg aus: Schon Dietrich II. wird von Lampert von Hersfeld comes de Cadalenburg genannt.649 Anfang des 12. Jahrhunderts folgen die Udonen, die nunmehr de Stade heißen, nach.650 Das Beispiel der Northeimer verdeutlicht aber, dass die neuen Namen sich noch nicht verfestigt hatten. Sie vermochten noch einem Wechsel des Herrschaftsmittelpunktes zu folgen: Siegfried IV. erscheint auch urkundlich 1123 als Graf von Boyneburg651 und 1129 erstmals als Siegfried von Homburg652. Die Burg ist Kennzeichen kleinräumiger Konzentration von Herrschaftsrechten – ob als Endpunkt einer Besitzkonzentration oder als eine diese begleitende Sicherungsmaßnahme, ist eine bislang nicht näher geklärte Frage.653 Die Burg ist Kristallisationspunkt und Herrschaftsmittelpunkt adeliger Herrschaft.654 Um es noch einmal 646
So auch W. Janssen, S. 417 f. So E. Schubert, Niedersachsen, S. 319. Zu mittelalterlichen Burgen allgemein: H. Ebner; zu den Burgen in Niedersachsen: H. Patze, Burgen. 648 Mit dieser Benennung nach einer Burg, nach einem Sitz werden viele Adelsgeschlechter überhaupt erst fassbar, K. Schmid, Problematik, S. 36; O. Merker, S. 39. Vgl. auch D. Willoweit, Verwaltung, S. 93 ff., 95. 649 Niedersachsen, S. 320. 650 Ebd., mit weiteren Zeugnissen des Burgenbaus des niedersächsischen Adels im 12. Jahrhundert; dazu auch O. Merker, S. 36. 651 Mainz. UB I, 510; K.-H. Lange, Stellung, S. 99. 652 MGH DL III, 21; K.-H. Lange, Stellung, S. 100; auch Dietrich III. von Katlenburg wird in den Annales Patherbrunnenses als comes de Embike, also nach dem weiteren Hauptort der Katlenburger, Einbeck, bezeichnet, E. Schubert, Niedersachsen, S. 320 Anm. 27. 653 E. Schubert, ebd., S. 322. 654 Als Herrschaftsmethode vermag sie auch königliche Herrschaft zu kennzeichnen: Raumbeherrschende Burgen baute schon im 11. Jahrhundert Heinrich IV. am Harz, O. Merker, S. 31. Ohnehin ist das Befestigungsrecht ursprünglich der königlichen Rechtssphäre zuzurechnen, wenngleich der Adel wohl zu allen Zeiten seinen Besitz durch Burgen sicherte, H. Patze, S. 517, mit der Feststellung, dass sich an dieser Rechtslage auch unter Friedrich II. und Heinrich (VII.) nichts geändert habe. Allerdings ist dies den insoweit von Patze angeführten Rechtsquellen, der Confoederatio cum princibus ecclesiasticis von 1220 (Art. 9, MGH Const. II 73 S. 89 ff.; L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 95) und dem Statutum in favorem principum (Art. 1, MGH 647
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zu betonen: Konzentration ist prozesshaft daher eher als Konzentrierung zu verstehen. Schmid stellt insoweit fest, dass im hohen Mittelalter keine systematisch von langer Hand aufgebauten Besitzkerne vorzufinden, dafür aber das immer lebhafter werdende Bemühen zu beobachten sei, solche Herrschaftskerne erst zu bilden.655 Schubert verweist zur Einschätzung dessen, was Herrschaftskonzentration im 12. Jahrhundert bedeute, auf das Allodienverzeichnis des Northeimers Siegfried IV., das älteste überlieferte Besitzverzeichnis des deutschen Hochadels. Dieses keineswegs vollständige Verzeichnis zeige, wie weit die Konzentration von Herrschaftsrechten noch von territorialer Geschlossenheit entfernt sei. „Es geht vielmehr um die Kumulierung von Rechten in bestimmten Interessenräumen.“656 Streubesitz, En- und Exklaven anderer Adels- oder kirchlicher Herrschaften gibt es weiterhin. Doch wird nun die raumübergreifende Besitzstreuung des früh- und hochmittelalterlichen Adels durch die weit kleinräumigere, aber massiertere Besitzkonzentration abgelöst. Die (Teil-)Erfolge der Bemühungen um räumliche Arrondierung von Herrschaftsund Besitztiteln verdeutlicht Lange für die Northeimer bei der Schaffung von Herrschaftsbezirken um die Kerne der Homburg und der Boyneburg.657 Und Schubert weist in diesem Zusammenhang auf das frühe Beispiel der Katlenburger hin: bei diesem Geschlecht lassen sich bereits für das ausgehende 11. Jahrhundert typische Momente der Herrschaftskonzentration um die obere Leine, an der Rhume, um die namensgebende Stammburg und das praedium Einbeck neben Streubesitz und Forstrechten im Harz ausmachen.658 Die Folge dieser Konzentration ist räumliche Fixierung, eine Ortsfestigkeit adeliger Herrschaft seit dieser Zeit. Verbunden mit der Benennung der Familie nach diesem festen Ort ergibt sich eine Konsequenz für die Frage nach den Landesteilungen: Erbteilungen – seien es Teilungen von Eigengut oder seien in diese Herrschaftsrechte mit einbezogen – werden allerwenigstens sinnfälliger. Lassen sich die Söhne eines Burgherrn später auf zwei Burgen nachweisen, ist dies ein Hinweis auf eine Erbteilung.659 Die allmählich durchdringende Ortsfestigkeit und Besitzkonzentration um die Adelsburg des 12. Jahrhunderts setzte voraus und beförderte zugleich eine Aufspaltung und Konzentration der Familienstruktur. Die alten großen, cognatisch gegliederten Verwandtschaftskreise gliederten sich nun in einzelne LiniConst. II 171 S. 211 – 213; L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 114) nicht zwingend zu entnehmen. Denn der König reklamiert insoweit nicht das Befestigungsrecht für sich, sondern gewährt der Kirche Schutz ihres Bodens vor Befestigungsbauten durch fremde Herren etwa mit Hilfe ihres Vogteirechts. Schon der Schiedsspruch über die Nichterrichtung von Burgen von 1184 offenbart, dass der König das Befestigungsrecht längst zumindest delegiert hatte (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 75). Der Sachsenspiegel lässt nicht mehr erkennen, wie auch H. Patze, Burgen, S. 516 f., feststellt, ob das Befestigungsregal nun in den Händen der Landesherrn gesehen wird oder noch der königlichen Rechtssphäre zugeschrieben wird (Ldr. III 66 §§ 2 u. 4), dazu auch G. Droege, Landrecht, S. 70. 655 S. 42. 656 Niedersachsen, S. 321. 657 Herrschaftsbereich, bes. S. 115 ff. 658 Niedersachsen, S. 320. 659 Vgl. K. Schmid, Problematik, S. 32 f.
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en, werden jetzt zumindest an Hand der Burgen fassbar.660 Aus den Familienverbänden bildeten sich langsam Dynastenhäuser. In Ansätzen ist dies wiederum am Beispiel der Northeimer zu beobachten: Von den Söhnen Ottos I. wird Siegfried III. bei den Annalisten als Herr der Boyneburg bezeichnet;661 seinen Bruder Kuno benannte der Annalista Saxo nach der Burg Beichlingen, die seine Gemahlin Kunigunde mit in die Ehe gebracht hatte.662 Es konnte nur in Ansätzen zu einer Aufspaltung und Linienverfestigung bei den Northeimern kommen, da dieses Geschlecht in der Siegfried III. und Kuno von Beichlingen nachfolgenden Generation mit Siegfried IV. im Mannesstamm erlosch. Dies haben die Northeimer mit den anderen Hochadelsgeschlechtern, die bis ins 12. Jahrhundert hinein führend im sächsischen Stamm waren, gemein: den Billungern, den Katlenburgern, den Brunonen.663 b) Hausklöster Begleitet wurde der Prozess der Herrschaftskonzentration typischerweise von der Gründung von Hausklöstern, zumeist Männerklöstern. Schon die großen Hochadelsverbände des 10. und 11. Jahrhunderts haben an ihren „Zentralorten“ Klöster gestiftet: die Billunger 956 St. Michael in Lüneburg,664 die Brunonen um 1030 das zunächst Peter und Paul, dann St. Blasius geweihte Stift und vor 1068 das Stift St. Cyriakus in Braunschweig,665 die Northeimer vor 1083 St. Blasius in Northeim und 1093 in Bursfelde666 und die Katlenburger um 1085 in Einbeck667. Doch „erst die Klostergründungen des frühen 12. Jahrhunderts stehen in den neuen Zusammenhängen der Herrschaftskonzentration“, wenngleich auch das Verhältnis der Klostergründungen zu dem Prozess der Herrschaftsverdichtung und des Landesausbaus noch ungeklärt ist.668 Hierher gehören669 etwa die Gründungen des Stifts Katlenburg 1103/05 durch Dietrich III. von Katlenburg, die Stiftung des Winzenburger Hausklosters zwischen 1112 und 1115 in Reinhausen, die Gründung St. Georgs 1131/32 in Stade und nicht zuletzt die Stiftung des Klosters Amelunxborn durch den Northeimer Sieg-
660 Ebd., S. 30 ff.; O. Merker, S. 32; E. Schubert, Niedersachsen, S. 321, 369, mit dem Beispiel der Grafen von Wölteringerode und Loccum(-Hallermund), die beide aus dem gleichen Familienverband des 11. Jahrhunderts hervorgegangen sind. 661 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 24. 662 Ann. Saxo 1088, 725; K.-H. Lange, Stellung, S. 93. 663 E. Schubert, Niedersachsen, S. 318, verweist darauf, dass das Aussterben von Hochadelsgeschlechtern im hohen Mittelalter ein in ganz Europa zu beobachtender Prozeß gewesen sei. 664 Ebd., S. 160 f. 665 Ebd., S. 189. 666 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 31 ff. 667 E. Schubert, Niedersachsen, S. 323; dort, 325, weitere Beispiele. 668 Ebd. S. 322, 324. 669 So ebd., S. 323, mit Überblick über die Gründungen.
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fried IV. nahe seiner Festung Homburg.670 Die Gründung eines Hausklosters war ein überkommenes Prinzip adeliger Herrschaft – wiederholt sei: schon 956 wurde St. Michael in Lüneburg gegründet. Es war die Stätte der Memoria einer Familie – genauer: eines Verwandtschaftsverbandes. Familiengrablegen, Horte des Familienbewusstseins waren die seit 1100 gegründeten Klöster auch. Nur kam ihnen zusätzlich noch die Aufgabe der Herrschaftssicherung der Stifterfamilie zu; und dies auch dort, wo die Vogtfreiheit als Ordnungsprinzip, etwa der Zisterzienserklöster, der Instrumentalisierung der Klostervogtei zu herrschaftlichen Zwecken entgegenstand.671 Jedoch fand dieses zisterziensische Prinzip auch nicht durchweg Beachtung bei den Eigenklostergründungen: Siegfried IV. behielt sich die Vogtei über seine Gründung Amelunxborn vor.672 Die neuen Klostergründungen waren auf die Burgen bezogen.673 Insofern spiegelt sich in ihnen auch der Strukturwandel in den Adelsfamilien wider. Die neuen Klöster lehnten sich an die neuen festen Häuser des Adels an. Diese waren aber nicht mehr Zentralort des raumübergreifenden Verbandes, sondern repräsentierten eine Linie des alten Verbandes. Als Beispiel können wiederum die Northeimer herangezogen werden. Von den Nachkommen Ottos I. gründeten Kuno, der nach der Burg Beichlingen benannt wird, mit seiner Gemahlin das Kloster Oldisleben674 und Siegfried IV., der seinen Namen von der Boyneburg, später der Homburg her trägt, das Kloster Amelunxborn. Als weiteres Beispiel kann das Stift Katlenburg benannt werden. c) Allgemeiner: „Verflächung“ Eingebunden ist die Konzentration der Adelsherrschaft in den Prozess ihrer „Verflächung“, in die Herausbildung eines neuen, auf die Fläche bezogenen Herrschaftsstils. Neben den Burgen herausragendes äußeres Zeichen der Raumerfassung ist die Binnenkolonisation.675 Bisher unwegsame Bruchländereien und Niederungsgebiete an den Unterläufen der Flüsse wurden urbar gemacht. Wälder wurden gerodet.676 Deutliches Zeichen für diesen Landesausbau sind noch heute viele Ortsnamen,
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Dazu K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 29, 37. E. Schubert, Niedersachsen, S. 325; zur Bedeutung der Klostervogtei für die Stifterfamilie bei Eigenklöstern allgemein K. Schmid, Problematik, S. 43 f., bei den Northeimern K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 115 f. 672 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 27, 36 f., 76. 673 K. Schmid, Staufer, S. 30 f., betont die Wechselseitigkeit der Funktion der rechtlichen Bindungen zwischen Burg und Kloster für den gegenseitigen Schutz: Während der Schutz des Klosters durch die Burg äußerlich sinnfällig ist, gewährt das Gebet der Mönche den Burgleuten Schutz und Hilfe in der Not. 674 K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 38 f. 675 E. Schubert, Niedersachsen, S. 330 ff. 676 H. Boockmann, S. 14, beginnt seine Darstellung der Stauferzeit mit den Worten: „Im 12. Jahrhundert wandelte sich die Welt so rasch und so vielfältig wie im Mittelalter niemals zuvor. Die Bevölkerung wuchs, neue Siedlungen entstanden in großer Fülle, und das Gesicht der Landschaft veränderte völlig seine Konturen.“ 671
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etwa solche, die auf -rode oder -hagen enden.677 Das Ödland wurde Gegenstand des herrschaftlichen Interesses. In den urbar gemachten Flächen siedelten die Herren, sei es der Hochadel, sei es die Reichskirche, Siedler an. Das früheste Beispiel aus dem norddeutsch-sächsischen Raum ist durch eine Urkunde von 1113 überliefert: der Bremer Erzbischof lässt das später Hollerland genannte Gebiet an der Unterweser durch holländische Fachkräfte vermessen, eindeichen und entwässern.678 Das Verfassungsbildende an diesem sich bis ins 14. Jahrhundert hinziehenden Prozess der Landeskultivierung ist die Planmäßigkeit dieses Vorgehens. Gerade die Dynasten, die Grafen und Edelfreien trachteten, den Wert, die Macht ihrer Herrschaft durch Landesausbau zu steigern.679 Binnenkolonisation ist Teil der Rationalisierung von Herrschaft, der gestalterischen Ausübung von Macht. Nicht von ungefähr ist aus dem 12. Jahrhundert auch die erste schriftlich fixierte Bestandsaufnahme hochadeligen Grundbesitzes überliefert: das schon genannte Allodienverzeichnis des Northeimers Siegfried IV. von Boyneburg. Folge des Landesausbaus und seinerseits Ausdruck und Baustein der Herrschaftsverflächung war die Ausweitung des Pfarrsystems, die engere Verknüpfung des Pfarrnetzes.680 Folge der Kultivierung war sie insofern, als dass neue Orte neue Kirchen benötigten. Schubert warnt aber davor, das Bevölkerungswachstum als Motor der Gründung von Pfarreien zu betrachten. Maßgebend war die Herrschaft, und zwar mittels des Eigenkirchenrechts. Besetzung der Pfarrei und ihre Vermögensverwaltung waren ein herrschaftlicher Rechtstitel. Zugleich erfüllte die Pfarrei aber auch ganz unmittelbar Verwaltungsaufgaben, etwa den Einzug grundherrlicher Abgaben nach räumlicher Maßgabe des Pfarrsprengels. Kirchliche Raumgebilde boten auch vielfach die räumlich-organisatorische Grundlage eines weiteren Elements der Herrschaftsverflächung, der Territorialbildung, einer Vorstufe, eines Bausteins der Ämterverfassung, jedenfalls im nördlichen Niedersachsen: der Go.681 Vieles zu diesem Verfassungsinstitut ist umstritten oder schlicht ungeklärt.682 Konsens besteht aber heute insoweit, als es sich bei den Gogerichten um eine herrschaftliche Neuschöpfung des späten 12. und des 13. Jahrhunderts handelt683 und dass sich im Gogericht genossenschaftliche Elemente – Wahl des Gografen aus der Gogemeinde – mit Herrschaft zu verbinden vermochten.684 677 Zeitlich parallel, sachlich komplementär tritt neben die Binnenkolonisation die „Verdorfung“ des 12. Jahrhunderts, der Übergang von der Lockersiedlungsweise zu geschlossenen Dörfern, E. Schubert, Niedersachsen, S. 331. 678 Ebd., S. 332. 679 O. Merker, S. 33 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 335. 680 E. Schubert, Niedersachsen, S. 337 ff. 681 O. Merker, S. 46. 682 K. Kroeschell, Gogerichte; H. v. Bothmer; L. Deike; G. Landwehr, Landgerichte; ders., Art. „Go“, HRG 1, Sp. 1722 ff.; O. Merker, S. 42 ff.; G. Droege, Landrecht, S. 166 ff.; M. v. Boetticher, Freigericht. 683 So vor allem L. Deike, S. 345 ff.; O. Merker, S. 50 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 595. 684 Neben der in Anm. 54 genannten Literatur: D. Willoweit, Verwaltung, S. 101. Vgl. Ssp. Ldr. I 56, 58.
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Der planmäßige Ausbau des Landes, der Herrschaft, der Bildung von Flächenherrschaft zeitigte das langsame Entstehen von Grenzen. Benachbarte Herrschaften konnten mit ihrem Ausbau aufeinander stoßen. Auch können Herrschaften zusammen ein Vorhaben der Landeskultivierung angehen: Erzbischof Adalbero von Bremen, Herzogin Gertrud und Albrecht der Bär teilten 1142 zunächst Bruchländereien östlich von Ochtum, um sie anschließend urbar zu machen.685 Grenzen hinwiederum vermögen, die Verdichtung der an sie stoßenden Herrschaft zu befördern.686 Allerdings muss nochmals vor der Annahme einer arrondierten Flächenherrschaft gewarnt werden. Es handelt sich um Schwerpunktsbildung von Herrschaft, eben um Konzentration um bestimmte Kerne der Herrschaft. Diese – zunehmend sich verdichtende – Herrschaft des 12. und 13. Jahrhunderts wird nun vielfach mit dem Terminus dominium belegt.687 Dieser Begriff, der noch weit ins 13. Jahrhundert hinein in den fürstlichen Kanzleien selten oder eher zufällig und dann unspezifisch verwand wurde, findet sich gerade in einem Zusammenhang mit dem Landesausbau: 1171 privilegierte Heinrich der Löwe die Anlage einer Neusiedlung nach Holländerrecht auf Ödland.688 Nach Willloweit hat sich der Notar des Löwen den bisher unüblichen Ausdruck dominium einfallen lassen, um erklärbar zu machen, warum der Herzog Rechte in der Wildnis verleiht.689 d) Veränderung von Grafschaft und Vogtei Die Formung neuer Herrschaftsgebilde erfasste gerade auch die Grafschaft.690 Der comitatus, wie er im 11. Jahrhundert begegnet, wandelte sich seinem Wesen nach grundlegend oder – anders als Wadle – besser: er löste sich auf. Das Herrschaftsgebilde, das im 12. Jahrhundert als Grafschaft bezeichnet wird, hat kaum mehr räumlich und rechtlich etwas gemein mit jenem „jurisdiktionell-administrativen Funktionsbereich ohne räumliche Geschlossenheit“,691 der der alten Grafschaft zu Eigen war. Der persönlich bestimmte Amtsbereich des Grafen ging in den kleinräumig konzentrierten Organisationsformen herrschaftlicher Rechte auf. Dieser Prozess wird als ein Einschmelzungsprozess verstanden: Eigenständige Herren- und gräfliche Amtsgewalt verbinden sich.692 Wir wissen nicht viel über den Ausgangspunkt der Entwicklung; nicht von ungefähr tut sich die Forschung nach wie vor schwer, den überkommenen 685
E. Schubert, Niedersachsen, S. 332. Ebd. 687 Grundlegend dem Begriffsinhalt nachspürend: D. Willoweit, Rezeption, S. 32 ff.; vgl. auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 548. 688 UrkHdL, Nr. 88. 689 Rezeption, S. 33. 690 Zum Wandel der Grafschaftsverfassung besonders: O. Merker, S. 32 f.; E. Wadle, Art. „Graf, Grafschaft“ HRG 1, Sp. 1787 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 322, 369 ff., dort vor allem auch zur Frage, ob die Entstehung der jüngeren, räumlich konzentrierten Grafschaft als „Grafschaftsreform“ Lothars III. verstanden werden kann, S. 535 ff. 691 E. Wadle, ebd., Sp. 1787. 692 So ausdrücklich O. Merker, S. 32 f., und E. Wadle, ebd., Sp. 1787. 686
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comitatus näher zu charakterisieren und zu definieren. Auch kommen – entsprechend – die Einzelheiten des Einschmelzungsprozesses nicht völlig zutage. Fassbar wird die Einbeziehung der älteren Grafschaft in den Institutionalisierungsprozess der adeligen Herrschaftsbildung aber in der Verwaltung der vordem gräflichen Gerechtsame, in der Ausübung gräflicher, das heißt gerichtlicher Gewalt.693 Die Gerichtsbarkeit und andere dem adeligen Gerichtsherrn zuwachsende Aufgaben, das bedeutet Rechtstitel, wurden zunehmend in einer Hand vereinigt. Schon von Heinemann stellt fest, dass die Welfen ihr Grafenamt durch Vögte verwalten ließen; die welfischen Vogteien seien demnach als Grafschaften anzusprechen.694 Und Diestelkamp führt dann im Einzelnen an, dass und wo in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts durch Heinrich den Löwen neben Präfekten vor allem Vögte in Ablösung von Lehnsgrafen eingesetzt wurden: Artlenburg, Hitzacker, Rethem, Osterode wie auch Lüneburg und Braunschweig.695 Auf Grund des Wechsels in der urkundlichen Titulatur des ministerialen Vogtes in Hitzacker – er wird einmal advocatus, ein anderes Mal burgravius genannt – ist von Gleichsetzung des Vogtamtes mit dem des Burggrafen auszugehen. Anderweitige Latinisierungen dieses deutschen Titels waren: comes oder praefectus castri, civitatis oder oppidi.696 Von daher ist der Vogt als in einem festen Platz sitzender Verwalter eines Herrschaftsbezirkes in eine Reihe mit den ministerialischen Grafen und den Präfekten zu setzen. Er verwaltete gleichermaßen die grundherrlichen, wie die gerichtsherrlichen Rechtstitel seines Herren.697 Der Sitz und die Gleichsetzung des Vogtes mit dem burgravius zeigen es schon mehr als deutlich an: Die Grafschaft – weniger missverständlich: die Grafschaftsrechte – verbanden sich mit der Burg. Auf einer solchen oder in einer Stadt saßen die Vögte. Wadles Feststellung, dass die Grafschaft bisweilen gerade als Pertinenz einer Burg erscheine,698 lässt sich auch für den sächsischen Raum belegen: In der hin und her wogenden Geschichte um das Stader Erbe bestätigte König Philipp von Schwaben dem Bremer Erzstift urkundlich 1200: castrum Stadii cum comitatu et universis pertinentiis suis, und in der verunechteten Ausführung der Urkunde: Stadii et burgum cum ministerialibus, et universis pertinentiis et omni jure suo ac integram cometiam cum insulis et territoriis adjacentibus.699 Das Zukunftsweisende der Vogtseinsetzungen lag auch für Diestelkamp weniger in der ministerialischen Verwaltung alter Grafschaftsbezirke, der Ablösung der 693 E. Wadle, ebd.; vorgeschaltet sieht er die Entwicklung von der persönlichen Wahrnehmung der Gerichtsfunktion durch den Grafen hin zur Stellung eines Gerichtsherrn. 694 L. v. Heinemann, S. 242 ff.; dagegen L. Hüttebräuker, S. 49 f. 695 Städtegründungen, S. 215 ff., Zusammenstellung der Nachweise weltlicher Vogteien des Löwen bei G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 87 f.; zu den Vögten Heinrichs auch I.-M. Peters, S. 119; K. Jordan, Heinrich der Löwe, S. 127 ff. 696 Zu den urkundlichen Bezeichnungen der Dienstmannen des Löwen auch I.-M. Peters, ebd. 697 H. Patze, Welfisch Territorien, S. 40. 698 Art. „Graf, Grafschaft“ HRG 1, Sp. 1788. 699 Zitiert nach R. Hucke, S. 132 Anm. 905.
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Lehnsgrafen, als vielmehr darin, dass die Einrichtung dieser Vogteien „die Grundlage für die moderne Ämterverfassung darstellte“.700 Mag der Weg zur Ämterverfassung auch noch weit gewesen sein, so war die Verbindung der ehedem gräflichen Gerichtsgewalt mit der Verwaltung der herrschaftlichen Besitztitel in einer Hand in der Tat richtungsweisend: hier wird die Amalgamierung von Amt und Allod greifbar. Und gleichsam federführend in dieser Verschmelzung war das Allod – ohne dass allerdings der Begriff der Allodialisierung bemüht werden sollte, denn das Ergebnis der Verschmelzung konnte nicht das Allod im überkommenen Sinne sein. Diestelkamp stellt zur Zusammenschau der von Heinrich dem Löwen eingerichteten Vogteien fest, dass diese sich, wenngleich am Außenrand, im eigentlichen welfischen Kerngebiet befanden.701 Außerhalb des – gedachten – Ringes der Vogteien vermochte sich Heinrich nicht gegenüber den mächtigen Lehnsgrafen, die – so wird man Diestelkamps Ausführungen ergänzen dürfen – selbst nach Konzentration ihrer Herrschaftsmittel trachteten, durchzusetzen.702 Die hochadelige Besitzkonzentration kristallisierend um die Herrenburg war für die neue Form der Herrschaftsbildung entscheidend, die alte Grafschaft als Raumeinheit nicht. Die alten gräflichen Rechte bildeten, wie Schubert es pointiert, „für die neuen Grafen nur einen Rechtstitel unter anderen“.703 Gleichwohl konnte die Raumstruktur der frühmittelalterlichen Grafschaft unabhängig von der neuen Herrschaftsbildung in Einzelfällen fortleben. Zillmann führt ein Beispiel dafür an: die Grafschaft over den Poppendick (Papenteich).704 Auch dienten Raummaß und örtliche Belegenheit der comitia Stadii 1202 zur Beschreibung einer Fläche, in dem Otto Heinrich bei der Teilung des väterlichen Erbes ein Gut zuwies: omne praedium nostrum, quod est infra comitiam Stadii usque in Sevinam.705 Allerdings bildete die comitia Stadii auch eine Besonderheit unter den Nachlassbestandteilen: Sie war als „Stader Erbe“ ein Begriff. Im Fortgang der Zuweisung Ottos zu Gunsten Heinrichs heißt es dann auch: comitia quoque Stadii successit ei, sed haec iure feodali. Im Übrigen schimmern die Raummaße alter Grafschaften in den Flächenbeschreibungen der Teilungsurkunden von 1202 gerade nicht durch. Orte und Flüsse kennzeichnen die Teilungslinien. Allenfalls an die Örtlichkeit der comitatus mag die wiederholte Grenzmarkierung durch den Gau Flutwidde erinnern. Die Fassbarkeit des Nachlebens überkommener comitatus ist allerdings Schwierigkeiten ausgesetzt. Zum einen sind die Raumstrukturen der alten Grafschaften ihrerseits schwer absteckbar. Zum anderen sind ihre Ge-
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Städtegründungen, S. 218. Ebd., S. 219. 702 Auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 409, kommt bei seiner Frage „Heinrich der Löwe – der Städtegründer?“ zu dem Ergebnis, dass Heinrich nicht in seinem Herzogtum, sondern in seinen Eigengütern die Städte – und dort saßen die Vögte – zum Ausbau seiner Herrschaft genutzt habe. 703 Niedersachsen, S. 371. 704 S. 97 ff. 705 OG III, Nr. 144. 701
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richtsstätten kaum mehr zu lokalisieren.706 Und schließlich verliert sich der Begriff comitia, der seit dem 12. Jahrhundert die Bezeichnung comitatus abgelöst hat,707 zunehmend in Unschärfe.708 Spätestens im 13. Jahrhundert vermögen sich hinter comitia verschiedene Begriffsinhalte zu verbergen. Sie kann die Goherrschaft, die Gografschaft bezeichnen,709 wie in einer Urkunde aus dem Jahre 1236: comitiam super duas iurisdictiones que theotonice Gho dicuntur.710 Auch das greveding kann als comitia erscheinen, wie bei einer Güterübertragung 1235: in comicia, quod vulgariter dicitur greveding.711 Wie die Grafschaft selbst verlor auch der Grafentitel jegliche spezifische Rechtsnatur im Laufe des 12. Jahrhunderts. Geschlechter erscheinen einmal mit und einmal ohne diesen Titel. Ende des 12. Jahrhunderts wurde der Titel Graf zum Namensbestandteil. Im Ergebnis kann man mit Schubert über die „Grafschaft“ um 1200 sagen: sie ist „Herrschaft eines Hochadeligen, der sich Graf nennt“.712 Wieweit die alten Grafschaften sich im 12. Jahrhundert aufgelöst hatten, wieweit die gräflichen Gerechtsamen in die neuen Herrschaftsbildungen eingeschmolzen waren, lässt sich auch an der Überlieferung welfischer Komitatsausübungen ablesen. Schon für Heinrich den Löwen sind – anders als für seine Vorfahren – nur wenige Zeugnisse der Inhaberschaft von Komitaten überliefert. Ausdrücklich von einem comitatus bzw. einer cometia des Löwen sprechen allein drei Urkunden.713 Dagegen bezeugen etwa zwei Dutzend Urkunden die ministerialische Verwaltung herzoglicher Besitzmassierungen für diese Zeit.714 Über Grafengerichte der Söhne und Enkel Hein-
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S. Zillmann, S. 99; E. Schubert, Niedersachsen, S. 535. E. Wadle, Art. „Graf, Grafschaft“ HRG 1, Sp. 1789, der wie viele den Begriffswechsel mit dem inneren Wandel der Grafschaft in Zusammenhang bringt; so auch Th. Mayer, Fürsten, S. 306; H. Mitteis, Staat, S. 244; K.-H. Lange, Herrschaftsbereich, S. 27. 708 E. Wadle, ebd., Sp. 1789; E. Schubert, Niedersachsen, S. 536; B. Flentje/F. Henrichvark, S. 98, kommen bei der Auswertung der Lehnbücher der Herzöge von Braunschweig aus den Jahren 1318 und 1344/65 auch zu dem Ergebnis, dass der Begriff comicia sehr vielschichtig sei, so dass im Einzelfall kaum gesagt werden könne, welche Rechte sich dahinter verbergen. 709 So seit dem 12. Jahrhundert quellenmäßig fassbar, L. Deike, S. 345 ff., 359 f., mit Hinweis auf eine Verdener Urkunde: proprietatem comitiarium que gografscap vulgariter nuncupantur; O. Merker, S. 50 f. 710 Sud. I 19. 711 Sud. I 409; E. Schubert, Niedersachsen, S. 536, weist noch weitere Begriffsinhalte für die comitia nach. 712 Niedersachsen, S. 535. 713 Übersicht bei G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 89 f.: 1158: comitatus suus et forestus in montanis qui dicitur Harz, 1170: in cujus (ducis) comitatu, 1173: in cometia Henrici ducis de Bawaria et Saxonia; L. Hüttebräuker, S. 44 f. Geht man mit Pischke, ebd., auch dann von einer Komitatsausübung des Löwen aus, wenn (1) eine Güterübertragung coram oder in presentia Herzog Heinrichs stattfand oder (2) ein Rechtsgeschäft vor den Herzog gezogen wurde, sind weitere sieben Komitatszeugnisse für Heinrich den Löwen überliefert. 714 E. Schubert, Niedersachsen, S. 371. 707
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richs des Löwen zwischen 1180 und 1235 berichtet keine Quelle mehr.715 Natürlich kann man diesen Befund: unter dem Löwen – wenngleich nur noch wenige – feststellbare, unter seinen Nachfahren aber keine Komitatszeugnisse mehr, auch getreu der Annahme der Reichslehnbarkeit der Grafschaften auf den Sturz des Löwen 1180 zurückführen. Im lehnrechtlichen Verfahren sind ihm neben seinen Herzogtümern auch universa, que ab imperio tenuit beneficia aberkannt worden. Überdies – so wird man ergänzen dürfen – konnte der König der Kölner Kirche nur übertragen, was er zuvor dem Welfen genommen hatte. Und dem Erzbischof schenkte er einen neu gestalteten Dukat, der unter anderem die Grafschaften mit umfassen sollte.716 Dieser Schluss wird auch vielfach gezogen.717 Er geht aber an den Veränderungen der Grafschaftsverfassung völlig vorbei. Die Feststellung des welfischen Grafschaftsverlustes 1180 ist gewissermaßen belanglos, ja müßig. Auch Diestelkamp nennt sie „illusorisch“, denn die Welfen „bedurften in diesen Gebieten dieser alten Herrschaftsform nicht, da sie gleiche Rechte durch ihre Vögte ausüben konnten“.718 Dass die Welfen über ihr Allod die Gerichtsbarkeit, gräfliche Gewalt, ausgeübt oder – aus anderer Warte – Immunität vom Grafengericht beansprucht haben wird allgemein nicht in Zweifel gezogen.719 Und wenn Heinrich der Pfalzgraf 1219 Güter in Berklingen frei ab omni iure cometie, advocacie et tolonorum und 1224 Güter in Linsburg frei ab omni iure advocatie seu etiam cometie und schließlich 1226 Güter in Düderode frei ab omni iure advocatie et litonum übertrug,720 dann zeigt das doch, dass Heinrich entweder Immunität gegenüber fremder Vogtei oder comitia beanspruchte oder über die eigene Jurisdiktion dieser Art verfügen konnte. Gerade in dem Zeugnis von 1224 kommt zum Ausdruck, wie beliebig Vogtei und cometia nebeneinander stehen und letztlich dasselbe meinen. Im Übrigen lassen sich auch Heinrichs „Nachfolger im Herzogsamt“, 715
L. Hüttebräuker, S. 49. Gelnhäuser Urkunde (F. Güterbock, Die Gelnhäuser Urkunde, S. 24 – 27; MGH Const. I, 279 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 74): unam partem (…) cum omni iure et iurisdictione, videlicet cum cum comitatibus (…). 717 So ausdrücklich L. Hüttebräuker, S. 48 ff.; vgl. auch G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 90: „Als Bestandteil des Herzogtums waren die Komitate an den Erzbischof von Köln und an Bernhard von Anhalt, den neuen Herren im einstigen Herzogtum Heinrichs des Löwen, gefallen“; sie verweist insofern auf nicht näher bezeichnete „später bezeugte askanische Rechte dieser Art“, spricht dann aber von „askanischen Herzogrechten“; für Heinrich den Löwen schließt Pischke zudem daraus, dass ein Tausch zwischen dem Kloster Riddagshausen und Ludolf von Braunschweig in presentia des Löwen stattfand, dass Heinrich hier ein Grafengericht abgehalten habe, und dies war 1190! 718 Städtegründungen, S. 220 Anm. 335 unter Bezugnahme auf L. v. Heinemann, S. 242 ff.; schon J. Ficker (J. Ficker/P. Puntschart, II 3, S. 391 ff.) nahm an, dass die Welfen und ihre Lehnsleute Grafschaftsrechte trotz der Aberkennung der Reichslehen weiter ausgeübt haben, und bringt dies in einen Zusammenhang mit dem Verfall der Grafschaftsverfassung. Auch H. Patze, Welfische Territorien, S. 40, geht wie selbstverständlich davon aus, dass die Gerichtsbarkeit schon unter Heinrich dem Löwen in den Händen von Vögten lag. 719 L. Hüttebräuker, S. 50, 61, mit Belegen; B. Diestelkamp, Städtegründungen, S. 217; H. Patze, Welfische Territorien, S. 12. 720 Belege zitiert nach L. Hüttebräuker, S. 49. 716
III. Wandel der Herrschaftsstrukturen im 12. und 13. Jahrhundert
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also auch die Askanier, nicht mehr als Inhaber von Grafschaftsrechten „in dieser Form“ nachweisen.721 Auch die Raumvorstellung der Welfen ist von den Burgen, von Kristallisationskernen konzentrierter Herrschaft gekennzeichnet. Zwar wurden die Erbportionen der Teilung von 1202 vornehmlich nach geographischen Linien und Punkten bestimmt; erst anschließend werden die Burgen aufgezählt, ausdrücklich als solche bezeichnet werden nur das castrum Honberg und das castrum Somerscenburch. Doch kommt die Zentrierung welfischer Herrschaft um Kristallisationspunkte besonders in der Zuweisung Braunschweigs durch Heinrich an Otto und Lüneburgs durch Otto und Heinrich an Wilhelm zum Ausdruck: Brunswic (…) et terra usque Nortburg und Luneborch tota provincia Luneborch usque ad fluvium Sevena. Weniger genau in den Abgrenzungen zwischen den Kernen – eben durch Benennung geographischer Linien – begegnet die Hinterlassenschaft des Löwen in seinem vielfach so genannten Testament: Ne hereditatis mee testimonium inter filios meos non equa portione distrahatur, ego precavens in futurum, filio meo Henrico seniori Brunsvic assigno cum patrimonio attinenti. Wilhelmus habeat lauenborg et luneborg cum prediis attinentibus. Otto habeat Haldesleve et omnia attinentia.722 Es genügte Heinrich, vier Orte zur Beschreibung seines Nachlasses zu benennen. Und auch aus dem Verhältnis des Königs zum sächsischen Adel wurde die Grafschaft als Bindeglied zusehends ausgeblendet. In der Gelnhäuser Urkunde von 1180 erscheint der comitatus auf Seiten der Verluste des Löwen gar nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich; allenfalls verbirgt er sich hinter den universa, que ab imperio tenuit beneficia, die Heinrich genommen wurden. Auf Seiten dessen, was der Kölner Erzbischof erhielt, erscheint die Grafschaft als eine unter vielen Pertinentien des Dukats.723 Damit ist aber kein konkreter – ob nun personal oder flächenmäßig definierter – Komitat bezeichnet. Vielmehr soll eine möglichst umfassende Beschreibung der, der Kölner Kirche zugedachten Rechtsstellung erzeugt werden. Die Grafschaft erscheint als ein nachgerade beliebiges Attribut dieser Herrschaftsstellung. In der Bestätigung dieser Kölner Rechtsstellung durch Otto IV. unter Zustimmung seiner Brüder 1198 sucht man dann auch in ihrer Beschreibung den comitatus, die cometia vergebens: Ducatum, allodia, feoda sive ministeriale, quos nunc Coloniensis ecclesia vel alii eius nomine possident, cum bona voluntate nostra et fratrum nostrorum Heinrici palatini Reni et Wilhelmi de Brunswich – archiepiscopus et eius successores in perpetuum possidebunt.724 Es gibt auch darüber hinaus kein Quellenzeugnis dafür, dass das sich im 12. Jahrhundert ausbildende Reichslehnrecht die sächsischen Grafschaften erfasst hat; „der 721
G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 90. UrkHdL, Nr. 140; vgl. auch W. Havemann, Bd. 1, S. 274; H. Kleinau, S. 13; G. Pischke, Landesteilungen, S. 12 und in Anm. 73 m. w. N.; zu den Besonderheiten der angeordneten Teilungsart siehe oben A.II.2.c)aa) bei Anm. 447. 723 Vgl. oben A.II.3.b) bei Anm. 604. 724 MGH Const. II, 17. 722
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Königsbann, unter dem die Grafen im Frühmittelalter richteten, war – soviel erkennbar – nicht mit dem Strukturwandel der Grafschaften im 12. Jahrhundert in ein Vasallitätsverhältnis umgeformt worden (…). Eine über die Reichslehen definierte Reichsunmittelbarkeit haben die Grafen im 12. Jahrhundert weder besessen noch angestrebt.“725 e) Ein Fazit und die Teilung von 1202 Als Ergebnis bleibt festzuhalten: die Verschmelzung von Allod und feudalen Gerechtsamen wird nicht im Nadelöhr des Erbgangs ihres Inhabers greifbar, sondern in der Verwaltung dieser Rechte, ihrer Organisation. Vereinfachend und verkürzend kann man sagen: in der Burg amalgamiert allodiale Grundherrschaft und ehedem feudale Gerichtsherrschaft. Wie reagierte das Reich auf diese Veränderungen, diesen Entzug der Grafschaft, ihre Auflösung hinein in den Prozess des Aufbaus von adeligen Flächenherrschaften? Diese Frage tritt bei den Welfen am deutlichsten zu Tage; hier drängte eine Antwort des Kaisers, war ihr riesiges Herrschaftsgebilde doch nach 1180 nicht mehr reichsrechtlich gebunden. Ihren Ausdruck findet diese Schwebelage der Welfen im Reich, die durch das Auseinanderfallen von materieller Wirklichkeit, von Macht und formaler Rechtsstellung gekennzeichnet ist, wenn die Teilung des Erbes des Löwen unter seinen Söhnen im Jahre 1202 im Schrifttum nahezu wie selbstverständlich in eine Reihe mit den Teilungen nach 1235 gestellt wird. Für Hermann Schulze ist diese Teilung „die früheste, welche uns bisher vorgekommen ist und fällt in eine Zeit, wo regelmäßig die Untheilbarkeit der Territorien noch feststand“.726 Sogleich erklärt er aber diese „Anomalie“ damit, dass es sich um die Teilung lehnrechtlich ungebundener Familiengüter nach „altgermanischen Principien“ gehandelt habe. Pischke misst dieser Teilung die Rolle bei, die welfischen Erbteilungen der folgenden Jahrhunderte eingeleitet zu haben, und stellt sie nicht frei von ihrem eingangs formulierten Verdikt des „Rechtsbruchs“ der Teilungen.727 Die Teilung von 1202 ist in eine an systematischen Gesichtspunkten orientierte Darstellung der Sukzessionsbehandlung im Welfenhause tatsächlich schwer einzuordnen.728 Einerseits handelt es sich bei dem Nachlass Heinrichs des Löwen „nicht um irgendwelche Eigengüter, sondern um einen Länderkomplex von den Ausmaßen eines Fürstentums“, wie Patze den Sach- und Rechtsinbegriff, den Otto das Kind 1235 Kaiser Friedrich II. auflässt und der auf das Patrimonium des Löwen zurückgeht, zutreffend beschreibt.729 Die Reichskanzlei bezeichnet 1235 den Braunschweiger Teil 725
E. Schubert, Niedersachsen, S. 539. Erstgeburt, S. 278. 727 Landesteilungen, S. 34. 728 Auf eine nähere Darstellung des Inhalts der Teilung von 1202 kann hier in Anbetracht der detaillierten Aufbereitung bei G. Pischke, ebd., S. 12 ff., verzichtet werden. 729 Welfische Territorien, S. 13. 726
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des in der Hand Ottos des Kindes nach der Teilung von 1202 wieder vereinigten Patrimoniums als dominium de Brunsvic;730 der Lüneburger Teil wird durch das castrum Luneburch cum omnibus castris, hominibus et pertinenciis suis repräsentiert. Diese Kennzeichnung wird auch 33 Jahre zuvor nicht unangemessen gewesen sein. Andererseits wurde kein Lehen geteilt. Damit steht die Nachlassbehandlung der Söhne Heinrichs ganz in der Linie der überkommenen landrechtlichen Erbteilungen vorvergangener Jahrhunderte.731 Allenfalls insofern, als die norddeutschen Besitzungen der Welfen Gegenstand der Teilung waren, leitete die Auseinandersetzung von 1202 die welfischen Erbteilungen ein. Teilungen der Allodialverlassenschaft weist die welfische Geschichte für Süddeutschland schon zuvor auf: Nach dem Tod Heinrichs des Schwarzen erhielt Heinrich der Stolze neben der Herzogswürde des Vaters die sächsischen und bayerischen Allodia, die schwäbischen Familiengüter fielen hingegen an seine Bruder Welf VI.732 Das Besondere der Teilung von 1202 – und auch insofern mag sie einleitend gewesen sein – liegt zudem in dem Umstand, dass sie urkundlich überliefert ist.733 Nachhaltige Folgen für die weitere Geschichte des Welfenhauses zeitigte die Teilung von 1202 nicht. 25 Jahre nach Auseinandersetzung des Patrimoniums war es wieder in der Hand Ottos des Kindes vereint, nachdem sein Vater Willhelm 1213, Otto 1218 und Heinrich 1227 – beide söhnelos – verstorben waren.
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Mandat an die Stader Bürger (MGH Const. II Nr. 199 [L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120c]). G. Pischke, Landesteilungen, S. 12, sieht in der von alters her kommenden Teilungspraxis dann auch das Hauptmotiv der Teilung von 1202. 732 H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 179. 733 Die Wertung E. Schuberts, Niedersachsen, S. 495, die Paderborner Teilung sei in Anbetracht des in ihr zum Ausdruck kommenden brüderlichen Gemeinschaftsbewusstseins im Kern ein Hausvertrag, es handele sich um „eine Abgrenzung der Nutzungsbereiche, nicht eine Aufteilung des Landes“, findet in den überlieferten Vertragsklauseln keine Grundlage. Unabhängig davon, dass Nutzungs- und eine Substanzteilung zu Lebzeiten der Inhaber der Teilungsprodukte ohnehin kaum zu unterscheiden sind, bleibt 1202 anders als in den oder im Zusammenhang mit den späteren Teilungen – wie noch darzulegen ist – keine Restgemeinschaft bestehen; es wird auch keine neuerliche Gemeinschaft verabredet. In der Zuweisungsurkunde Ottos für Willhelm wird die Teilung als vollständige bezeichnet: plenam divisionem (OG III Nr. 351). G. Pischke, Landesteilungen, S. 32, streicht zudem heraus, dass die Brüder nach der Teilung nur einmal, und zwar als ihnen ein Lehen resigniert wurde, gemeinsam aufgetreten sind. Die Abreden 1202 erschöpfen sich in der Teilung. 731
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2. Im Großen: Veränderungen des Reichsverfassungsgefüges – die Einbindung der welfischen Herrschaft in dieses Gefüge – der Lehnsnexus a) Die Feudalisierung der Reichsverfassung – die Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg aa) Das Delegationsmodell Das 12. und 13. Jahrhundert – vor allem seit dem Königtum der Staufer – sind von der Neuordnung des Reichsverfassungsgefüges gekennzeichnet. Apostrophiert wird der Verfassungswandel auch als „staufische Reichsreform“. Da aber Initiator, Motor und Nutznießer der Reform nicht so ohne weiteres auszumachen sind, bleibt dieser Begriff umstritten.734 Gleichwohl: Eine grundlegende Veränderung des Herrschaftsdenkens, eine Rationalisierung des Verhältnisses von Reich und Fürsten ist offensichtlich. Die Verfassung gewinnt an Konturen. Konkrete territoriale Veränderungen in der Zeit Kaiser Friedrichs I. fallen sofort ins Auge: Die beiden großen Stammesherzogtümer Bayern und Sachsen werden verkleinert und zerschlagen; die neuen Herzogtümer Österreich 1156, des Bischofs von Würzburg 1168 und des Kölner Erzbischofs 1180 werden errichtet.735 Kern der Neuordnung war die Herausbildung des Gedankens der Herrschaftsdelegation, einer hierarchisch durchgebildeten, im Kaiser gipfelnden Über- und Unterordnung von Herrschaftsverhältnissen. Herausragende reichsrechtliche Zeugnisse dieser Ordnungsidee sind – nach Willloweit –736 das Wormser Konkordat von 734 Der Begriff geht zurück auf O. v. Dungern, Die Staatsform der Hohenstaufen, Festschrift für E. Zitelmann, 1913, S. 22; zur Sache: E. E. Stengel, S. 294 ff.; Th. Mayer, Fürsten, S. 237 ff.; H. Mitteis, Lehnrecht, S. 427 f.; ders., Staat, S. 257; H. Conrad, Bd 1, S. 300 mit Nachweisen aus der älteren Literatur; D. Willoweit, Rezeption, S. 25; H. Boockmann, S. 114 ff.; H. K. Schulze, Grundstrukturen, S. 65. 735 MGH D F. I, 1 Nr. 151 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 61), MGH D F. I, 3 Nr. 546 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 71), MGH Const. I 279 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 74). 736 Rezeption, S. 21 f. Willoweit stellt ausgehend von der Fragestellung nach Einfluss und Wirkung des römischen Rechts auf den Staatsbildungsprozess zumindest die Möglichkeit heraus – und das ist ein wesentliches und vor allem bisher kaum beachtetes Ergebnis seiner Untersuchung –, dass die im Kaiser gipfelnde Hierarchie der Herrschaft keine Ausgestaltung, keine Weiterbildung überkommener Delegationsgedanken und -instrumente war, sondern gespeist aus dem römischen Rechtsstoff eine Neubildung. Die Verfassung des Reiches wird dem rationalen Ordnungswillen – eben des Königs – unterworfen. Diese Neuordnung knüpft – möglicherweise, beweisen lässt sich das nicht – nicht an die Bannleihe an. R. Scheyhing habe insoweit belegt, dass diese Anfang des 12. Jahrhunderts noch kein fest gefügtes Rechtsinstitut gewesen sei. D. Willoweit, ebd., S. 22 ff., geht noch weiter und stellt fest: „Wir wissen nicht, ob dieses angeblich deutschrechtliche Institut dem deutschen Adel in seinen Herrschaften überhaupt bekannt gewesen ist. Alle Quellenbelege für Bannübertragungen aus der Zeit der Ottonen und Salier betreffen kirchliche Institutionen. Und auch diese lernen die Bannleihe, wie Scheyhing gezeigt hat, typischer Weise nur unter ganz spezifischen Voraussetzungen kennen, nämlich dann, wenn der König selbst der geborene Gerichtsherr ist und sich genötigt sieht, vor Ort einen Vogt als seinen Beauftragten einzusetzen (…). Für die Bannleihe in diesen Fällen gab
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1122, das Reichsweistum Kaiser Konrads III. von 1149 und die lex Omnis von Roncaglia von 1158. Der Papst erkannte 1122 implizit den Kaiser als Quelle der Rechtsmacht an, wenn er dem König einräumte, dass der zum Bischof Erwählte von diesem durch das Zepter die Regalien erhalten solle.737 Ebenso ließ Konrad III. feststellen, dass kein Kirchenvogt Gericht halten darf, ohne den Bann aus den Händen des Königs empfangen zu haben.738 In der zweiten der vier ronkalischen Definitionen wird festgelegt: omnis iurisdictio et omnis districtus apud principem est et omnes iudices a principe administrationem accipere debent et iusiurandum prestare, quale lege constitutum est.739 Haverkamp folgert als Ergebnis des Reichstags von Roncaglia, dass es danach „in Reichsitalien keine Allodialherrschaften mit autonomer Herrschaftsgewalt“ mehr gegeben habe; „alle Herrschaftsträger sind unmittelbar oder mittelbar Lehnsträger des Kaisers oder seiner Verwaltungsbeamten (…). Nach Auffassung der Reichsregierung gibt es (…) keine allodiale Herrschaft, sondern nur allodialen Besitz (…). Der Unterschied von Allod und Reichslehen verliert damit an Schärfe, da sämtliche Herrschaftsrechte notwendiger Weise Reichslehen sind.“740 Diese Zeugnisse Reichsitaliens haben eine Entsprechung nördlich der Alpen: den Reichsfürstenstand und die Lehnspyramide.741 Im 12. Jahrhundert bildete sich eine lehnrechtlich gestaltete Stufenordnung des Reichsverbandes durch. Diese fand ihren literarischen Niederschlag in den Rechtsbüchern des 13. Jahrhunderts, vor allem der Heerschildordnung des Sachsenspiegels.742 Der König stand an der Spitze der Pyramide; er beanspruchte eine oberlehnsherrliche Rechtsstellung gegenüber allen nachgeordneten Herrschaftsträgern, die in den das gesamte Reich umfassenden Lehnsverband eingeordnet waren.743 In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, erstmals fassbar seit dem Prozess Friedrichs I. gegen Heinrich den Löwen, formierte sich ein Kreis von Fürsten es also sehr konkrete Gründe, die mit dem viel allgemeineren Gedanken, jede Gerichtsbarkeit im Reiche müsse sich vom König herleiten, noch nichts zu tun haben.“ 737 MGH Const. I Nr. 108 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 49b): Electus autem regalia per sceptrum a te (Kaiser Heinrich) recipiat et, que ex his iure tibi debet, faciat. 738 MGH Const. I Nr. 127. 739 MGH Const. I Nr. 175 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 64 b). Die ronklaischen Gesetze stammen allerdings nicht aus der kaiserlichen Kanzlei, D. Willoweit, Rezeption, S. 22 Anm. 13. 740 S. 98 f. 741 J. Ficker, Vom Reichsfürstenstand; I. H. Mitteis, Lehnrecht, S. 432 ff.; E. E. Stengel; Th. Mayer, Fürsten, S. 243 ff.; H. Conrad, Bd. 1, S. 299 ff.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 156 ff.; H. K. Schulze, Grundstrukturen, S. 65. Zur Kritik an der Lehre vom Reichsfürstenstand in jüngerer Zeit: P. Moraw, Fürstentum, S. 119; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 51; B. Schimmelpfennig, S. 101 ff. 742 Ssp. Ldr. I 3 § 2, Ssp. Lehnr. 1; Schwsp. Ldr. 2, Schwsp. Lehnr. 1 a; H. Conrad, Bd. 1, S. 255, 299 ff.; G. Droege, Landrecht, S. 56 ff.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 117 ff. Zu den Unterschieden der Lehnshierarchien nach den Libri feudorum, I F 1pr., II F 10, einerseits und dem Sachsenspiegel, Ldr. I 3 § 2, andererseits: N. Iblher v. Greiffen, S. 228 f. 743 Das im König gipfelnde Delegationsmodell spiegelt sich letztlich auch in dem immer wieder verwandten Organismusvergleich wider, dem Bild des unicum corpus imperii, dessen Haupt der König und dessen Glieder die Fürsten sind; dazu E. Boshof, Reichsfürstenstand, S. 63 f.
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A. Herzog, Graf, Lehen und Allod im Hochmittelalter
als ein nach unten fest abgegrenzter Stand. Dieser wird seit Ficker als „jüngerer Reichsfürstenstand“ bezeichnet. Für die geistlichen Fürsten hatte die lehnrechtliche Einbindung ihrer Herrschaft in den Reichsverband, an den König, schon mit dem Wormser Konkordat von 1122 begonnen. Jedenfalls seit Mitte des 12. Jahrhunderts wurde die Regalienleihe als Belehnungsakt aufgefasst, seither gab es Zepterlehen.744 Seit etwa 1180 mussten – wohl dem geistlichen Vorbild folgend – nun auch alle weltlichen Herrscher ihre Herrschaft als Reichslehen in Empfang nehmen.745 Worin nach Auffassung der Reichskanzlei und des Königs das Substrat der weltlichen Herrschaft bestand, lassen die schon benannten Urkunden zur Errichtung der Herzogtümer Würzburg und Westfalen erkennen: Ganz im Sinne der lex Omnis ist die Gerichtsbarkeit der Inhalt der Herzogsherrschaft. Der Bischof von Würzburg erhält omnem iurisdictionem seu plenam potestatem faciendi iusticiam per totum episcopatum et ducatum Wirzeburgensem et per omnes cometias in eodem episcopatu vel ducatu sitas. Der Notar der Urkunde projiziert diese Vorstellung vom Inhalt weltlicher Herrschaft sogar weit in die Vergangenheit zurück, wenn er die iurisdictio als ursprünglich von Karl dem Großen dem Bischof und Herzog von Würzburg verliehen bezeichnet: omnem iurisdictionem, quam antecessores sui et ecclesia et ducatus Wirzeburgensis a Karolo Magno et omnibus successoribus suis usque ad presens tempus iusta et quieta possessione sine diminutione tenuerunt et possederunt.746 Dem Kölner Erzbischof wird 1180 vom Kaiser der neu geschaffene Dukat übertragen cum omni iure et iursidictione, videlicet cum comitatibus, cum advocatiis.747 Auch 1156 findet diese Wesensbeschreibung weltlicher Herrschaft Eingang in den Urkundstext des Privilegium minus, und zwar gleichsam negativ: Niemand soll im Herzogtum ohne Zustimmung des Herzogs Gerichtsbarkeit ausüben: nulla magna vel parva persona in eiusdem ducatus regimine sine ducis consensu vel permissione aliquam iusticiam presumat exercere.748 Diese Auffassung vom Inhalt, von der Aufgabe der weltlichen Herrschaft prägt auch die Vorstellung Eikes von Repgow. Das Wesen der fürstlichen und gräflichen Gewalt liegt für ihn in den Gerichtsfunktionen.749 Erstmals Mitte des 12. Jahrhunderts definiert demnach das Reich den Dukat und bindet ihn im selben Moment in das königszentrierte Delegationsmodell ein. Der Stamm als Organisationsprinzip hatte ausgedient.750 Die von Barbarossa neu geschaffenen Herzogtümer, jedenfalls die 1156 und 1168 errichteten, werden als flächenhaft, als territoriale Fürstentümer charakterisiert.751 Ihre Errichtungsurkunden erklärt Mayer gar zu den 744
E. E. Stengel, S. 299. Ssp. Ldr. III 58; Ssp. Lehnr. 71 § 21; D. Willoweit, Rezeption, S. 25. 746 MGH D F. I, 3 Nr. 546 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 71). 747 MGH Const. I 279 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 74). 748 MGH D F. I, 1 Nr. 151 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 61). 749 W. Goez, Leihezwang, S. 241.; vgl. etwa nur Ssp. Ldr. III 52 § 2, III 61 § 1, III 65 1. 750 Th. Mayer, Fürsten, S. 239. 751 Ebd., S. 236 ff.; H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 282; H. K. Schulze, Grundstrukturen, S. 65. 745
III. Wandel der Herrschaftsstrukturen im 12. und 13. Jahrhundert
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„magna charta des ,modernen Staates in Deutschland“.752 Zugleich dürften sie aber auch eine Reaktion des Reiches auf die im 12. Jahrhundert überall zu beobachtenden Verfassungsveränderungen „im Kleinen“, die Verdichtung vielfach allodialer Herrschaft, die Herausbildung von Gebietsherrschaft gewesen sein.753 Das Kennzeichen der Zugehörigkeit zum Reichsfürstenstand war die unmittelbare Belehnung durch den König und die Freiheit anderweitiger Vasallität zu anderen weltlichen Herren.754 Jedoch waren nicht alle Kronvasallen auch Angehörige dieser neuen exklusiven Schicht. Vielmehr müssen neben dieses Merkmal der lehnrechtlichen Reichsunmittelbarkeit noch weitere Kriterien hinzutreten. Grundsätzliche Zustimmung haben die insoweit von Stengel herausgearbeiteten „landrechtlichen“ Grundlagen des Reichsfürstenstandes Zustimmung gefunden.755 Prototyp des Fürstentums war das Herzogtum; Grafen gehörten auch dann nicht zum Reichsfürstenstand, wenn sie unmittelbar vom König belehnt waren.756 Allerdings lässt sich eine über die gräfliche und vogteiliche hinausgehende herzogliche Gerichtsbarkeit, in der Stengel die Gebietsherrschaft verkörpert sah, gerade für Sachsen allermindestens nicht nachweisen.757 Nach Abschluss des Kreises der principes imperii um 1200 bedurfte es eines förmlichen Erhebungsaktes zur Aufnahme in diesen Stand.758 bb) Vom Sturz des Löwen bis zur Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg Und darum ging es auch in den Jahren zwischen 1180 und 1235: um die Einordnung der Welfen in den sich herausbildenden Reichsfürstenstand, um die Neuordnung
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Ausbildung, S. 309. So ausdrücklich für 1156 H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 284. Eine Gebietsherrschaft ist dann nach den Ergebnissen E. E. Stengels auch eine der Voraussetzungen, nämlich die landrechtliche, zur Erhebung in den nach 1180 abgeschlossenen Reichsfürstenstand. Ist so eventuell auch die berühmte Sachsenspiegelstelle Ldr. III 53 § 1 zu verstehen, nach der der Kaiser den Herzögen, die vor der Niederwerfung durch die Römer Könige gewesen seien, ihnen später auch noch die Fürsten als Lehnsleute und die Fahnlehen entzogen? 754 Ssp. III 58 § 1, 2; Ssp. Lehnr. 71 § 21; H. Mitteis, Lehnrecht, S. 433; E. E. Stengel, S. 305; H. Conrad, Bd. 1, S. 299; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 158 ff. 755 Th. Mayer, Fürsten, S. 215; H. Conrad, Bd. 1, S. 301; E. Boshof, Entstehung, S. 270 f.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 170; H. K. Schulze, Grundstrukturen, S. 65; zurückhaltender P. Moraw, 1292, S. 46 ff. 756 E. E. Stengel, S. 310 ff. 757 Das Zutreffende an K.-F. Kriegers, Lehnshoheit, S. 170 f., Einschränkung seiner grundsätzlichen Zustimmung zu Stengels Ergebnissen, insoweit nämlich, dass die Anerkennung als Reichsfürst neben rein rechtlichen Kriterien eine bestimmte, rechtlich nicht präzisierbare politische Interessen- und Machtkonstellation voraussetzte, wird an der Erhebung der welfischen Herrschaft zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg zu zeigen sein. 758 H. K. Schulze, Grundstrukturen, S. 65. 753
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der Herrschaftsverhältnisse im norddeutschen Raum nach dem Sturz des Löwen.759 Auf der einen Seite waren die Probleme, die mit der Beseitigung der ordnenden Macht des Herzogs von Sachsen, Heinrichs des Löwen, verbunden waren, durch die Übertragung von Dukatsteilen an die Kölner Kirche und Bernhard von Anhalt „bestenfalls formal“ (Patze) gelöst. Das schwache askanische Herzogtum vermochte es nicht, das Vakuum zu füllen und eine Ordnungsmacht zu begründen.760 Auf der anderen Seite – aufs Engste damit zusammenhängend – stand die welfische Frage zur Lösung an: die Stellung der Welfen im Reich war nach 1180 „singulär“ (Schubert). Ihr Rang war ungeklärt, ja formal gehörten sie nicht – mehr – zur Spitzengruppe des deutschen Adels, deren Zugehörigkeit in dieser Zeit der Verfestigung eine Herzogsstellung erforderte; sie waren bloße Edelfreie. Das Ungeklärte spiegelt sich in der Titelverwendung wider, und zwar in den welfischen Selbstzeugnissen, wie auch in den Titulierungen, die sie durch die Reichskanzlei erfahren. Bei welfischen wie ReichsNotaren findet auch nach 1180 einerseits häufiger der dux-Titel mit unterschiedlichen Bezügen und Zusätzen für Heinrich den Löwen, seine Söhne und Enkel Verwendung.761 Andererseits erscheinen die Welfen in dieser Zeit auch ohne jede Titelangabe lediglich mit einer Herkunftsbezeichnung – „von Lüneburg“ oder „von Braunschweig“ – in den Urkunden. Ein Einzelfall blieb die Beilegung des Titels princeps für Willhelm (von Lüneburg) durch die Reichskanzlei.762 Gegenüber ihrer landrechtlichen Stellung, ihrer auch durch Restaurationspolitik sich arrondierenden Herrschaftsstellung im Lande, blieb ihre Stellung im sich formierenden Reichsfürstenstand in der Schwebe.763 Die Reichskanzlei selbst bringt diese reichsverfassungsrechtliche Schwebelage und das jahrzehntelange Anstehen einer Lösung in eben der Beseitigung dieser Unklarheit zum Ausdruck, wenn Kaiser Friedrich II. eingangs der Narratio der Gründungsurkunde von 1235 auf das schon lange gehegte Vorhaben, Otto das Kind näher an das Reich und ihn zu binden, verweist: quod, cum diu propositi nostri foret, ut dilectum consanguineum nostrum Ottonem de Luneburch ad fidem imperii et devotionem nostram efficeremus arcius obligatum, nec loci vel temporis oportunitas affuisset, quo conceptam erga eum intentionem nostram prosequi nos deceret.764 Die Königswahl Ottos IV. hatte keine Lösung gebracht. Otto hatte diese Stellung nicht auszunutzen vermocht, in welcher Gestalt auch immer die väterliche Würde 759
H. Patze, Welfische Territorien, S. 7 ff.; M. Garzmann, Stadtherr, S. 143 ff.; E. Boshof, Entstehung, S. 249 ff.; ders., Reichsfürstenstand, S. 44 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 500 ff.; 760 H. Patze, ebd., S. 9; E. Boshof, Entstehung, S. 249; oben A.II.3.b). 761 Nachweise oben A.II.3.b) bei Anm. 588 ff. 762 E. Boshof, Entstehung, S. 256; E. Schubert, Niedersachsen, S. 502. 763 Dass diese Schwebelage nicht allein auf welfischen Ansprüchlichkeiten beruhte, vielmehr auch die Großen des Reichs die Welfen eben nicht als bloße Edelfreie betrachteten, offenbaren auch die Ehen der Töchter Heinrichs des Pfalzgrafen: die eine war mit dem Herzog Otto II. von Bayern, die andere mit dem Markgrafen Hermann IV. von Baden verheiratet. 764 MGH Const. II Nr. 197 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120a).
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wieder herzustellen, sein Haus auch formal wieder in den Kreis der principes imperii zu führen. Angesichts des Doppelkönigtums waren ihm die Hände gebunden. Die Wiederherstellung des Herzogtums hätte unweigerlich zum Konflikt mit dem Kölner Erzbischof geführt. Otto musste entsprechend mehrfach, erstmals bei seiner Wahl der Kölner Kirche das westfälische Herzogtum bestätigen.765 Vor wie nach der Königserhebung seines Bruders Otto war Heinrich der Wahrer der welfischen Familieninteressen. Seit 1195 zählte er selbst als Inhaber der rheinischen Pfalzgrafenwürde unstreitig zur Standesgruppe der Reichsfürsten.766 Allerdings hatte er zu Gunsten seines gleichnamigen Sohnes auf diese Würde verzichtet – mit der Folge, dass Friedrich II. nach dem frühzeitigen kinderlosen Tod des jüngeren Heinrichs die Pfalzgrafschaft noch im Todesjahr dem Wittelsbacher Otto übertrug.767 Nach dem Tod Ottos IV. war der Weg über das Königtum in den Reichsfürstenstand endgültig abgeschnitten. Otto selbst entwarf in seinem Testament die zukünftige Leitlinie der Familienpolitik: Sicherung des welfischen Patrimoniums; Heinrich wurde von dem sterbenden Kaiser angewiesen, für die Auslieferung der Reichsinsignien kein Geld zu verlangen, sondern nach dem Rückerwerb des väterlichen Erbes zu trachten.768 Dem Hausinteresse, der Sicherung des Erreichten über den anstehenden Generationswechsel hinaus, diente es, dass Heinrich nunmehr 1223 den neben ihm einzig verbliebenen männlichen Abkömmling des Löwen, Otto das Kind, als seinen Erben und legitimen Nachfolger einsetzte und ihm die Stadt Braunschweig mit allen dazugehörigen Ministerialen, Burgen und Gütern übergab.769 Die Erbansprüche, die seinen Töchtern nach den hergebrachten Rechtsgrundsätzen zustanden, ordnete der Pfalzgraf dem Erhalt der Integrität des Welfenhauses unter. Es sollten keine Bestandteile Braunschweigs nach Baden oder Bayern gelangen. Den Anspruch Irmgards, der Tochter Heinrichs, die mit dem Markgrafen von Baden vermählt war, erwarb Friedrich II. jedenfalls vor 1226.770 Dass er den weiteren Anteil an Braun765 1198 (MGH Const. II, 17), bestätigt 1201 (Reg. Imp. V. 216); zu Ottos Möglichkeiten der Restitution: M. Garzmann, Stadtherr, S. 136; E. Boshof, Entstehung, S. 257; E. Schubert, Niedersachsen, S. 503; damit dürfte H. Patzes, Welfische Territorien, S. 10, geäußerte Verwunderung über die Zurückhaltung, das Versäumnis Ottos geklärt sein. 766 E. Boshof, Entstehung, S. 253. 767 Ders., Reichsfürstenstand, S. 44 f. 768 MGH Const. II 42 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 93): et pro hiis representandis, pro honore Die et nostra salute, nullam acceptes pecuniam, nisi nostrum et tuum patrimonium per ipsa imperialia possis requirere. Heinrich erhielt allerdings 11000 Mark Silber und das Reichsvikariat in dem Gebiet zwischen Weser und Elbe, als er Friedrich II. auf dem Reichstag zu Goslar die Reichsinsignien auslieferte (E. Boshof, Entstehung, S. 260; H. Patze/K.-H. Ahrens, Braunschweigische Reimchronik, S. 73). 769 Oben A.II.2.c)bb) in und bei Anm. 387 f. 770 Reg. Imp. V. 3977; Sud. I 9: 1226 tritt Heinrich (VII.) in seinem und seines Vaters Namen einer Schenkung des Pfalzgrafen an das Kloster Walkenried (1225) bei, indem er Verzicht leistet auf den Anteil an den bona patrimonialia Kemenaden, Hilkerode, Imbshausen, Wallshausen und am Pandelbachwald, den sie durch Kauf vom Markgrafen von Baden und seiner Gemahlin aus deren Erbe erstanden hatten (nos nomine nostro et serenissimi patris nostri Friderici Romanorum imperatoris (…) portionem eiusdem hereditatis, que nos titulo emptionis facte a
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schweig von dem Wittelsbacher Otto II. aus dem Erbteil dessen Gemahlin Agnes erworben hatte, erfahren wir aus der Urkunde von 1235.771 Die Ziele des Staufers, die er mit diesen Erwerbungen verfolgte, sind bisher nicht geklärt.772 Als der Pfalzgraf 1227 starb, bedurfte es einige Mühen für Otto, die Bürgerschaft der Stadt von der Sache des Staufers abzudrängen und sich untertan zu machen.773 Das Jahr 1227 bedeutete zugleich den Tiefpunkt welfischer Hoffnung auf Anerkennung einer Reichsfürstenstellung, ja überhaupt auf Erhalt ihrer Machtstellung: Otto das Kind verlor auf Seiten seines Onkels Waldemar II. von Dänemark die Schlacht von Bornhöved und geriet in Gefangenschaft. Sofort rückten König Heinrich (VII.) und der Wittelsbacher Herzog Ludwig von Bayern heran, um ihre Ansprüche auf Braunschweig durchzusetzen. Doch die Stadt widerstand diesem Ansinnen. Nach seiner Freilassung 1228 bemühte sich Otto um Beilegung der Konflikte mit den Nachbarn. Der Weg zur Lösung der welfischen wie der reichsverfassungsrechtlichen Frage ebnete sich. Allein die Stader Frage blieb ungeklärt. Gleichwohl erklärte sich Friedrich II. 1234 auf Initiative einer Gruppe von Fürsten bereit, den Streit um Braunschweig durch ein fürstliches Schiedsgericht entscheiden zu lassen.774 Warum der Staufer trotz der Provokation durch Ottos Einfall in das Bistum Bremen und seiner Bannbelegung einlenkte, bleibt ebenso ungeklärt, wie die Frage, ob das Schiedsgericht überhaupt jemals zusammentrat.775 Jedenfalls nutzte Friedrich II. die Gelegenheit seines Deutschlandaufenthaltes 1235, um seine Absicht, den Verwandten Otto an sich und das Reich zu binden – dies ist die zentrale Frage der reformatio tocius terre status, des Mottos des allgemeinen Mainzer Hoftages –776 in die Tat umzusetzen und das Reich durch die Ernennung marchione de Baden et sua coniuge spe vel re per successionem hereditariam contingit poterit (…) donavimus (…); nach M. Garzmann, Stadtherr, S. 139, hatte Irmgard ihren Anteil bereits vor 1220 an Friedrich II. verkauft. 771 MGH Const. II 197 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120a): Civitatem Brunswich, cuius medietatem proprietatis dominii a marchione de Baden et reliquam medietatem a duce Bawarie, delictis principus nostris, emimus pro parte uxorum suarum, que fuerunt quondam filie Henrici de Brunswich comitis palatini Reni, patrui dicti Ottonis. In einer Urkunde aus dem Jahre 1234 (MGH Const. II Nr. 186; unten Anm. 146) ist allein vom Kauf von der erstgeborenen Tochter des Pfalzgrafen, der Gemahlin des Markgrafen von Baden, die Rede. 772 M. Garzmann, Stadtherr, S. 139, glaubt, dass die Staufer ernsthaft daran gedacht hätten, Braunschweig zur Reichsstadt zu erheben. E. Boshof, Entstehung, S. 263 f., urteilt zurückhaltender dahin, dass möglicher Weise Heinrich (VII.) einen Herrschaftsmittelpunkt in dem sonst königsfremden Raum gewinnen wollte. 773 Dazu im Einzelnen M. Garzmann, Stadtherr, S. 139 f. 774 MGH Const. II Nr. 186: quidquid inter altitudinem nostram et prefatum Ottonem de patrimonio et proprietatibus Heinrici ducis patrui sui, que a primogenita filia sua comparavimus, uxore marchionis des Baden, dissidii vertitur vel rancoris, ad arbitrium dilectorum principum nostrorum (…) duximus referendum (…). 775 E. Boshof, Entstehung, S. 268 ff.; H. Patze/K.-H. Ahrens, Braunschweigische Reimchronik, S. 74 f. 776 Dass sich diese Neuordnung der Verfassung des ganzen Landes, jedenfalls vornehmlich, auf die Lösung der welfischen Frage und nicht den auf demselben Reichstag erlassenen Mainzer Reichslandfrieden (MGH Const. II Nr. 196, L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 119) bezieht, betonen besonders und zu Recht H. Patze, Welfische Territorien, S. 12, und E. Boshof, Entstehung, S. 270.
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eines neuen Fürsten zu mehren.777 Zugleich wird die Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg in der Forschung seit jeher als Friedensschluss zwischen Staufern und Welfen betrachtet:778 Unter Hintansetzung jeden Hasses und Haders, der unter den Vorfahren bestehen konnte, beugt Otto die Knie vor dem Staufer und Kaiser.779 Sich so in die Hände des Staufers begebend, um sich dessen Befund und Befehl zu stellen,780 überführt Otto seine eigene Burg Lüneburg, in deutscher Sprache „Eigen“ genannt, mit vielen anderen Burgen, Ländereien und Leuten, die zu dieser Burg gehören, in Eigentum und Herrschaft Friedrichs, damit dieser darüber nach eigenem Belieben verfügen könne.781 Friedrich, der sich als gehalten bezeichnet, das Reich zu mehren, lässt das zu Eigen Empfangene in Anwesenheit der Fürsten dem Reich auf, damit es durch das Reich als Lehen ausgegeben werden kann.782 Seinerseits überträgt Friedrich die Stadt Braunschweig, deren proprietas dominii er zuvor von den Schwiegersöhnen des Pfalzgrafen erworben hatte, in das dominium imperii.783 Im Hinblick auf die Ableistung des Treueeids, die Hingabe der eigenen Burg, seine Erniedrigung vor dem Staufer und in Anbetracht dessen, dass Otto niemals das Reich angegriffen habe, hat Friedrich mit Rat und Zustimmung und Beistand der Fürsten die Stadt Braunschweig und die Burg Lüneburg samt allen Zubehörs zusammengetan, daraus ein Herzogtum geschaffen, kraft kaiserlicher Autorität Otto zum Herzog und Fürsten gemacht, ihm dieses Herzogtum als Reichslehen verliehen, das auf seine Erben, Söhne und Töchter, erblich übergehen soll, und ihn dem Herkom-
777 Friedrich II. gab nach dem Bericht der Annales Coloniensis maximi (MGH SS 17, 844) zur Unterstreichung der Bedeutung der Lösung der welfischen Frage die Anweisung, diesen Tag in allen Annalen festzuhalten: quem diem regavit imperator omnibus annalibus ascribi, eo quod tunc Romanum auxisset imperium novum principum creando (zitiert nach E. Schubert, Niedersachsen, S. 504 Anm. 199). 778 Aus der älteren Literatur H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 5 f.; von den neueren Arbeiten: H. Patze, Welfische Territorien, S. 12; E. Boshof, Entstehung, S. 270. Grundlegend neu zum Verhältnis Staufer und Welfen: W. Hechberger. 779 nominatus Otto de Luneburch flexis genibus coram nobis, omni odio et rancore postpositis, que inter proavos nostros existere potuerunt, se totum in manibus nostris exposuit. 780 (…) nostris stare beneplacitis et mandatis (…). 781 (…) et insuper proprium castrum suum Luneburch, quod idiomate Teuthonico vocatur eygen, cum multis aliis castris, terris et hominibus eidem castro pertinentibus in nostram proprietatem et dominium specialiter assignavit, ut de eo, quicquid nobis placeret, tamquam de nostro proprio faceremus (…). 782 Nos autem, qui tenemur modis omnibus imperium augmentare, predictum castrum de Luneburch cum omnibus castris, pertinenciis et hominibus suis, quemadmodum ex eiusdem Ottonis assignatione in proprietatem accepimus, in presentia principum in imperium transtulimus et concessimus, ut per imperium infeodari deberet. 783 Civitatem insuper de Brunswich, cuius medietatem proprietatis dominii a marchione de Baden et reliquam medietatem a duce Bawarie, dilectis principibus nostris, emimus pro parte uxorum suarum, quue fuerunt quondam filie Henrici de Brunswich comitis palatini Reni, patrui dicti Ottonis, similiter in eadem curia imperio concessimus, proprietatem nobis debitam in dominium imperii transferentes.
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men entsprechend mit den Fahnen belehnt.784 Einen Namen gibt das Errichtungsprivileg dem neuen Herzogtum nicht; dieser ist erst dem einige Wochen später ergangenen Mandat an die Stader Ministerialen zu entnehmen: Herzogtum Braunschweig (ducatus de Brunswic).785 Schließlich überlässt der Kaiser Otto noch den Reichszehnt zu Goslar und erhebt dessen Ministerialen zu Reichsministerialen.786 Der Weg Ottos zur Erhebung in den Reichsfürstenstand und zur Belehnung mit einem entsprechenden, neu geschaffenen Herzogtum, wie ihn das Privileg schildert, ist verschlungen. Er führt über den Staufer persönlich. Diesem und nicht unmittelbar dem Reich ließ Otto zunächst sein Eigen auf. Zur Darstellung der Aussöhnung von Staufern und Welfen hätte es genügt, dass beide Dynasten aus ihrem Eigen, ihrem Hausgut gleichermaßen etwas einem „unbeteiligten Dritten“, eben dem Reich, übertragen hätten – im Sinne eines parallelen Aderlasses. Doch Otto überträgt seinen Anteil an dem neuen Herzogtum zunächst Friedrich zur freien Verfügung, wie über eigenes Eigentum. Dieser „Umweg“ über den Staufer und Kaiser bringt aber in besonderem Maße zum Ausdruck, was auch sonst den Urkundstext prägt: die Einbindung Ottos in ein Treueverhältnis zu Kaiser und Reich. Der Bericht in der Narratio von der Kniebeuge, von dem Begeben in die Hände des Kaisers, von der Übergabe seiner Burg in das Eigentum des Kaisers wird im zweiten Teil der Urkunde noch einmal aufgegriffen, wiederholt und damit besonders herausgestrichen. Zudem übertrug Otto Friedrich nicht irgendein Gut, sondern seine Stammburg, sein Identifikationsmerkmal: Erhält Otto neben derjenigen als consanguineus des Kaisers787 eine Attributierung im Urkundstext, dann diejenige de Luneburch. Lüneburg und tota provincia a Luneborch war seinem Vater Wilhelm bei der Teilung des Erbes Heinrichs des Löwen 1202 zugedacht worden; und mit diesem Beinammen hatte sich Wilhelm auch schon zuvor selbst bezeichnet.788 Der Treueeid Ottos wird an erster Stelle der Gründe für die Schaffung des neuen Herzogtums und der Belehnung des Welfen damit genannt. Die Treue, ihre Bezeugung werden im Folgenden näher beschrieben und gleichsam unterfüttert durch den Hinweis darauf, dass Otto bisher das Reich nicht angegriffen habe und nicht gegen die Ehre des Kaisers eingestellt sei. Natürlich mag 784
Preterea Ottone (…) prestante fidei iuramentum (…) et in proprietatem nostram concessit proprie proprium castrum suum, de quo nemini tenebatur, et humiliaverit se modis omnibus coram nobis, considerantes insuper, quod numquam per eum fuerit offensum imperium (…) Quapropter cum consilio, assensu et assistencia principum civitatem Brunswich et castrum Luneburch cum omnibus castris, homninibus et pertinenciis suis univimus et creavimus inde ducatum et imperiali auctoritate dictum consanguineum nostrum Ottonem ducem et principem facientes ducatum ipsum in feodum imperii et concessimus, ad heredes suos filios et filias hereditarie devolvendum, et eum sollempniter iuxta consuetudinem investivimus per vexilla. 785 MGH Const. II Nr. 198 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120b). 786 (…) de affluentiore gratia concedentes eidem decimas Goslarie imperio pertinentes. Ceterum ministeriales suos in ministeriales imperii assumentes eidem concessimus, eosdem ministeriales iuribus illis uti, quibus imperii ministeriales utuntur. 787 Friedrich II. und Otto waren tatsächlich über Heinrich den Schwarzen, ihren gemeinsamen Urgroßvater, miteinander verwandt. 788 Oben A.II.3.b) Anm. 592.
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in dem Umweg des Gutes und der Treuebekundungen über den Staufer, den Kaiser persönlich, in der Betonung der Machtfülle und Entscheidungsfreiheit der kaiserlichen Majestät „das Selbstgefühl des Staufers gegenüber einem Mitglied jener Familie durch(brechen), die so lange mit der seinen um die höchste Würde im Reich gestritten hatte und sich nun endgültig mit einer untergeordneten Stellung bescheiden musste“, wie es Boshof formuliert.789 Doch ist dieses interdynastische Motiv nur eine Erklärung. Boshof selbst stellt andernorts fest, dass die Erhebungsurkunde ganz von der Konzeption des Bildes des unicum corpus imperii, des Organismusvergleichs her gestaltet sei.790 Der Kaiser erscheint danach als Haupt, die Fürsten als Glieder des Reichs. Das Haupt kann nicht ohne Glieder,791 das Reich aber auch nicht ohne Haupt existieren. Insofern trägt die stets verwandte begriffliche Verbindung von kaiserlicher Person und Reich (nos et imperium) tautologische Züge,792 drückt aber nicht ein und dasselbe aus. Treue wird offensichtlich personal gedacht. Sie ist offenbar kaum vorstellbar, jedenfalls kaum plastisch darstellbar auf das unpersönliche Reich zu beziehen. Insofern erklärt sich die „Zwischenschaltung“ des Kaisers im Treueverhältnis Ottos gegenüber dem Reich(sorganismus). Im Übrigen eröffnete das deutlich scheidbare Nebeneinander von staufischem Kaiser und Reich diesem die Möglichkeit, sich immer wieder als Förderer des Reichs darzustellen, sich seiner Amtstreue zu berühmen: Weil Friedrich gehalten ist, auf jede Art und Weise das Reich zu mehren, hat er Lüneburg, nachdem er es zu Eigen empfangen hatte, dem Reich aufgelassen und verliehen, damit es von diesem als Lehen ausgegeben werden könne.793 Neben Betonung der Treue Ottos, der Einbindung eines bisher unverbundenen Mächtigen in das Treuegefüge des Reichsorganismus, in den Reichsfürstenstand, erfährt noch ein weiterer, nur auf den ersten Blick anderer Gedanke eine besondere Betonung. Vor allem die Narratio der Urkunde ist auffallend von Eigentumsfragen beherrscht: Otto überträgt proprium castrum suum Luneburch in proprietatem et dominium des Kaisers. Bestärkt wird diese sachenrechtliche Sichtweise noch durch die Übersetzung von proprium castrum suum ins deutsche eygen. Der Kaiser soll darüber verfügen können, quicquid nobis placeret, tamquam de nostro proprio. Friedrich überträgt dann Lüneburg in proprietatem des Reichs und fügt noch die proprietas dominii an der Stadt Braunschweig hinzu. Aus der Zusammenfügung beider Anteile ent789
Entstehung, S. 271. Reichsfürstenstand, S. 64. 791 Das berühmte Statutum in favorem principum (MGH Const. II Nr. 171, L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 114) formuliert dies so: velut honorabilis membris insidet caput, ita nostrum viget et consistit imperium et tanta cesaree magnitudinis molis regit et evehit, quorum humeris innititur et portatur. 792 Dazu E. Boshof, Reichsfürstenstand, S. 63. Grundlegend zu dem Begriffspaar „König und Reich“: E. Schubert, König, S. 245 ff.; einen Forschungsüberblick dazu gibt K.-F. Krieger, König, S. 103 f. 793 Friedrich erscheint auch in seiner Anweisung, den Tag von Mainz in die Annalen aufzunehmen, als Mehrer des Reichs, oben Anm. 149. 790
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steht dann das neue Herzogtum, das Otto als Reichslehen übertragen wird. Die Einbindung Ottos in die Lehnspyramide des Reiches, in das Modell delegierter Herrschaft, erfolgt über die Kategorien von Eigentum und Lehen. Herrschaft wird gedanklich durch Eigentum und Lehen vermittelt. Friedrich schreibt Ende Oktober 1235 an die Stader Bürger, er habe Otto von Lüneburg zu seinem Fürsten gemacht, indem er ihm das Eigentum zu Lehen gegeben habe, das zur Herrschaft Braunschweig gehöre und das er zuvor gekauft habe.794 Anders als noch eine Kaisergeneration zuvor wird die herzogliche Gewalt nicht mehr inhaltlich beschrieben. Es scheint sich – wie Willoweit aus diesem Befund folgert – ein tiefgreifender Wandel des Herrschaftsdenkens vollzogen zu haben.795 Herrschaft wird zunehmend als Eigentum begriffen.796 An der Entstehung dieser Vorstellung könne, wie Willoweit feststellt, römisches Recht nicht unbeteiligt gewesen sein. Begriffliche Vereinigungs- wie Schnittmenge von Herrschaft und Eigentum ist das dominium. Dieser Begriff habe sich zunehmend mit dem römischen Eigentumsgedanken angereichert. Dem mag so sein. Doch darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass der begrifflichen Ineinanderverschiebung von Eigentum und Herrschaft, der Erfassung von Herrschaft mittels des – aus heutiger Sicht – mehrdeutigen Begriffs dominium neben der rechtsgeschichtlichen Herleitung aus der Rezeption römischen Rechtsdenkens auch eine landesgeschichtlich fassbare Entwicklung, eine Veränderung dessen, das mit diesem Denken zu begreifen war, zu Grunde liegt, wie der voran stehende Abschnitt zu den Veränderungen „im Kleinen“ gezeigt hat. Es ging entsprechend aus Reichssicht in weit stärkerem Maße als noch eine, jedenfalls einige Generationen zuvor vor allem darum, diese neuen, zumindest neu ausgestalteten Herrschaftsgebilde, die teils aus autochtoner Wurzel (Landesausbau) herrührten, in das Reichsgefüge einzubinden. Es stand nicht mehr die Vergabe eines Reichsamtes, vor allem des Herzogtums, dessen Amtscharakter zugegebenermaßen undeutlich bleibt, im Vordergrund der Bindung zwischen Kaiser und Fürsten. Vielmehr verdeutlicht gerade das Paradebeispiel dieser Entwicklung, die Erhebung 794 MGH Const. II Nr. 199 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120c): (…) Oddonem de Luneburch in principem nostrum cravimus, sibi conferentes in feudum hereditarem pertinentem ad dominium Brunswic, quam a dilectis principibus nostris (…) emamus. 795 Rezeption, S. 30 ff. Wenn H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 284, schon im Privilgium minus von 1156 (MGH Const. I Nr. 159, L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 61) eine Einkleidung der „Staatsgewalt … in die privatrechtliche Gestalt des römisch-rechtlichen Eigentums“ erkennt, so beruht dies nicht auf einem Zusammenhang von sachenrechtlicher Beziehung zu einer Fläche und Herrschaft über diese, sondern auf der Besonderheit der Verfügungsfreiheit, die dem Herzog vom Kaiser eingeräumt wurde: Der Dukat sollte nicht nur gleichermaßen in männlicher wie weiblicher Linie erblich sein, sondern darüber hinaus sollte dem Herzog und seiner Gemahlin im Falle der Kinderlosigkeit die Freiheit zustehen, das Herzogtum zuzueignen, wem sie wollen (Si autem predictus dux Austrie patruus noster et uxor eius absque liberis decesserint, libertatem habeant eundem ducatum affectandi cuicumque voluerint). 796 Eine deutliche Sprache für die Erfassung der Herrschaft über den Eigentumsgedanken spricht für D. Willoweit, Rezeption, S. 41 f., die Geschichte der Landesteilungen, deren Anfang in die Zeit Friedrichs II. fällt: „Der Interessenkonflikt konkurrierender Herrschaftsansprüche wurde durch die Schaffung einer individuellen Zuordnung von Herrschaftsobjekten zu einzelnen Herren gelöst, was ohne allseitige Anerkennung des Eigentums als Ordnungsprinzip kaum denkbar ist.“
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Ottos des Kindes 1235 in den Reichsfürstenstand, wie sehr Herrschaft schon in die Fläche, in die Sache, das castrum suum Luneburch samt Zubehör geflossen, eingeschmolzen war. Herrschaft wurde also nicht nur gedanklich vermittelt durch Eigentum, sondern beide – modernen – Kategorien waren auch der Sache nach ineinander geflossen. Dies tritt auch in der Formulierung der kaiserlichen Mandate an die Stader Ministerialen und Bürger vom 31. Oktober 1235 deutlich hervor. Der Kaiser wendet sich in dem Mandat an die Stader Dienstmannen universis ministerialibus infra comitatum Stadensem et ad dominium de Brunesvic attinentibus;797 im Mandat an die Stader Bürger bezieht er sich auf hereditatem, die zum dominium Brunswic gehört habe.798 Es gibt also für das Reich eine „Herrschaft Braunschweig“, nicht nur die Stadt und Güter dort. Dieses dominium, das im Folgenden des Ministerialenmandates allerdings allein auf die Stadt bezogen wird (dominium civitatis ipsius de Brunswic), ist nunmehr Teil des ducatus de Brunswic. Für Stengel steht in seiner so kunstvollen Konstruktion der Konstitutiva des Reichsfürstenstandes das Allod gleichbedeutend für die landrechtliche Grundlage des Fürstenstandes, die Gebietsherrschaft.799 Festzuhalten bleibt aber der Befund, dass eine zunehmend amalgamierende Herrschaftsgewalt, in die ebenso besitzrechtliche wie ehedem im Königtum wurzelnde herrschaftliche, das heißt gerichtsherrliche Rechtstitel eingeschmolzen waren, über die Fläche ihres Bezugs erfasst und mittels des Lehnswesens in den im König gipfelnden Reichsverbund eingebunden wurde. Dafür steht gerade das Privileg zur Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg. Insofern verhaftet Boshofs Interpretation, in der Betonung der persönlichen Bindung Ottos eine bewusste Tendenz, eine gezielte kaiserliche Willensbekundung zu vermuten, „die dem seit langem sich abzeichnenden Verdinglichungsprozess der Lehnsverhältnisse entgegenzuwirken sucht“,800 an überkommenen – besonders von Mitteis getragenen –801 Vorstellungen des Verfalls ehemals „guten“ öffentlichen Lehnrechts zu nun zusehends „schlechtem“, das heißt vornehmlich dem Nutzen der Fürsten gewidmeten „privaten“ Lehnrechts. Die Betonung der Treue war gerade notwendig, um eine allodiale Herrschaft einzubinden; ihre Herstellung war ausdrückliches Ziel des Privilegs. Einer Verdinglichung des Lehnswesens – der zunehmenden Verhaftung der Lehnspflichten am Lehnsobjekt und nicht der belehnten Person –802 war im Falle Ottos von Lüneburg nicht entgegenzuwirken. Otto 797
MGH Const. II Nr. 198 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120 b). MGH Const. II Nr. 199 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120 c). 799 S. 332 ff. 800 Entstehung, S. 272. 801 Etwa Lehnrecht, S. 475. 802 Ein Ausdruck dieser Verdinglichung kann dem Lehnsgesetz Lothars III., MGH Const. I Nr. 120 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 52), entnommen werden, wenn der Kaiser darin die Alienation von Lehen durch den Vasallen verbietet, weil er erfahren habe, „dass allenthalben Lehnsmannen ihre Lehen veräußern und sich so nach Weggabe allen Besitzes dem Dienste bei ihren Herren entziehen“ – der Verlust des Lehens zeitigte, wenngleich vielleicht nur faktisch, demnach einen Dispens von den vasallitischen Pflichten. N. Iblher v. Greiffen, S. 229 f., ordnet diesen Wandel 798
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stand in keiner Lehnsbindung zum Reich, deren Verdinglichung Friedrich II. verhindern konnte. Die persönliche, vasallitische Treuebindung war das Instrument, „dingliche“, bis dahin allodiale Herrschaft einzubinden. Und gerade die Ausgestaltung der Erbfolge in das Otto verliehene Lehen, die Söhne und Töchter – im Plural genannt – berücksichtigte, nähert dieses Feudum einem feudum paternum des langobardischen Lehnrechts, einem Gesamtlehen, zumindest an.803 Bei einer solchen Belehnung ist die dingliche Gebundenheit der Leistungen, die dem Lehnsherrn zustanden, ganz offensichtlich.804 cc) Welfisches Patrimonium und Lehnsnexus Welche Folgen aber hatte diese Einbindung der welfischen Herrschaft in den Lehnsverband des Reiches?805 Welches Ausmaß hatten nun die lehnrechtlichen Bindungen zwischen Welfen und Reich? Das ist die Frage nach dem konkreten Gegenstand der Belehnung, dem Umfang, der Reichweite des Lehnsnexus. Der Text des Privilegs bietet insofern einen Interpretationsspielraum, als in der Dispositio als unmittelbarer Lehnsgegenstand nur das Herzogtum erscheint, dieses aber zuvor als aus der Zusammenfügung der Stadt Braunschweig und der Burg Lüneburg und aller anderen Burgen samt Dienstmannen und Zubehör erschaffen beschrieben wird. Wieweit waren demnach aber auch diese Grundbestandteile des ducatus feudalisiert?806 Und bilden diese Grundbestandteile das gesamte welfische Patrimonium, sollte also das Lehnsverhältnis sämtliche welfische Allode erfassen? Das Privileg von 1235 gibt auf den ersten Teil der Frage eine eindeutige Antwort: Kaiser Friedrich hat dem Reich das von Otto empfangene castrum Luneburch pp. aufgelassen, damit es durch das Reich als Lehen ausgegeben werden könne (ut per imperium infeodari deberet). Für die civitas Brunswich ist die unmittelbare Lehnbarkeit dem Mandat an die Stader Bürger zu entnehmen: sibi conferentes in feudum hereditatem pertinentem ad dominium Brunswic. Zum zweiten Teil der Frage: Es ist davon auszugehen, dass die civitas Brunswich et castrum Luneburch cum omnibus castris, hominibus et pertinenciis suis, deren Verbindung die Grundlage des neuen Herzogtums war, den gesamtem welfischen Eigenbesitz tatsächlich umfasste und auch von den Beteiligten an der Erhebung
in der – wie er es nennt – „causa“ des Lehens der Rezeption des lombardischen Lehnrechts zu: Bei dem alten Lehen, dem Lehen „iure Francorum“ habe der Vasall um des Lehens willen gedient, nach lombardischem Recht diene er dann vom Lehen. Auch Iblher v. Greiffen sieht sich veranlasst, diese Beobachtung dann ganz im Fahrwasser überkommener Verfassungsgeschichtsschreibung mit den Attributen öffentliches Recht hier, privates Recht dort zu belegen. 803 Dazu unten näher A.III.2.b) bei Anm. 243 ff. 804 W. Goez, Leihezwang, S. 96. 805 H. Mitteis, Lehnrecht, S. 655, wertet allgemein: „Die politisch wichtigste Leistung des Lehnerbrechts ist die Auseinandersetzung mit dem Teilungsgedanken.“ 806 Diese Frage nach der (Rechts-)Qualität der welfischen Lande nach 1235 beschäftigte regelmäßig auch die Literatur des gelehrten Rechts im Ancien Rgime. Beispiele: C. U. Blum, S. 10 f.: De Territorii Ducatus Bruns. Luneburgici qualitate; D. G. Strube, Rechtliche Bedenken, Teil I, S. 267 f.; U. F. C. Manecke, S. 95.
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zum Herzogtum so verstanden wurde.807 Dafür spricht allein schon die allumfassende Wendung castrum Luneburch cum o m n i b u s (Sperrung vom Verfasser) castris, hominibus et pertinenciis suis. Im Übrigen steht Lüneburg als Zentrum zeittypisch für die ganze Herrschaft. Braunschweig als Herrschaftszentrum – Otto hatte die Stadt nach seiner Gefangenschaft sehr schnell wieder eingenommen und seither in Besitz – konnte nicht zur Bezeichnung welfischer Flächenherrschaft herangezogen werden, da sie als staufisches Eigentum für die Konstruktion der Einbindung Ottos in das Reichslehnsgefüge „benötigt“ wurde. Dass aber auch die mit civitas Brunswich bezeichnete Rechtsposition nicht an den Stadtgrenzen endete, belegt das Mandat an die Stader Bürger: Einiges des Eigentums, das zum dominium Brunswic gehörte, sollen Bürger Stades innegehabt haben, wie Friedrich es gehört habe, und – so wird man ergänzen dürfen – dort wird es belegen gewesen sein.808 Sämtlicher welfischer Besitz ist demnach, abgesehen von den Lehen der Kirche, seit 1235 als Reichslehen anzusprechen.809 Bildeten entsprechend aber auch das späterhin Braunschweig geheißene – lehnbare – Herzogtum und seine – ebenfalls lehnbaren – Grundlagen, nämlich die Güter und Rechte, die den Herrschafts- und Sachkomplexen civitas Brunswich und dem castrum Luneburch pp. zusammengefasst waren, eine lehnrechtliche Einheit? Bis in die Stauferzeit hinein begegnen uns als Lehnsgegenstände einerseits das Reichsamt, Dukat oder Komitat, teils mit Amtsgut ausgestattet, und andererseits Güter oder einzelne regalische Rechte – daneben natürlich das teils sehr umfangreiche Allodium der Grafen- oder Herzogsfamilie. Nun, da die Herrschaft in – vielfach allodialen – Realien eingebunden erscheint und über die lehnrechtliche Erfassung dieser Realien an den König gebunden wird, könnte das Lehnsband fürstliche Würde und seine Grundlagen einheitsbildend verklammert haben. Diese – schon in anderem, seinerzeit rechtspolitisch bedeutsamen Zusammenhang vielfach erörterte –810 Frage beantwortet Krieger entsprechend auch dahingehend, dass „das die 807
Dabei kann außer Acht bleiben, ob Friedrichs Position an Braunschweig rechtmäßig war oder diese ohnehin Otto zustand. Denn Otto nimmt die Stadt Braunschweig – eingefasst in das neue Herzogtum – als Lehen in Empfang. Sucht man die Norm zur Bestimmung der Rechtmäßigkeit in überkommenen Rechtsanschauungen, dürfte den Töchtern des Pfalzgrafen eine Erbenstellung nicht abzusprechen sein. Hält man hingegen die „neue Normsetzung“ der gewillkürten Nachfolgeregelung des Pfalzgrafen von 1223 für maßgeblich, ist Otto als Eigentümer Braunschweigs anzusehen. 808 Oben Anm. 166: Verum cum quedam de hereditate (pertinente ad dominium Brunswic) ipsa tenere dicamini (…). 809 So auch L. Hüttebräuker, S. 61. 810 Diese Frage spielte in der breiten literarischen Auseinandersetzung des 19. Jahrhunderts um die Rechtsnatur des Domanialvermögens, die eine zentrale Frage des Konstitutionalismus gewesen ist, eine bedeutende Rolle. Diejenigen, die eine Privatgutsqualität der Kammergüter zu begründen trachteten (etwa H. A. Zachariae, oben A.II.2.c)bb) Anm. 354), trennten scharf zwischen der „Landeshoheit“ als Verleihungsgegenstand einerseits und Rechten und Gütern andererseits. Mochten sie auch in einem Akt verliehen werden, sei daraus keine „eine Art Landeseigenthum verhüllende, Folgerung (zu) ziehen, daß diese Güter und Einkünfte juristische Pertinenzien der Landeshoheit seyen“ (Zachariae). Die Gegenmeinung, die auf eine Staatsgutseigenschaft der Kammergüter abzielte (etwa A. L. Reyscher, oben A.II.2.c)bb)
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Grundlage der fürstlichen Würde bildende Fürstentum in seiner Gesamtheit im Mittelalter als unmittelbares Reichslehen angesehen wurde“; von daher liege der Schluss nahe, dass „auch die einzelnen Güter und Rechte, aus denen das Fürstentum sich zusammensetzte, als Reichslehen aufgefasst wurden“.811 Die rechtlichen Folgen daraus scheinen auf der Hand zu liegen:812 Der Fürst verfügt über kein Allodialgut mehr; eine Allodialerbfolge gibt es nicht mehr; der Lehnserbe ist zugleich Allodialerbe; der Fürst unterliegt den lehnrechtlichen Verfügungsbeschränkungen hinsichtlich der Teilbarkeit des gesamten Sach- und Rechtskomplexes und hinsichtlich der Alienierbarkeit von einzelnen Bestandteilen daraus. Diese Folgen, das heißt der Gegenstand, also die Reichweite des Lehnsnexus können nur anhand der Rechtspraxis untersucht werden: Inwieweit waren die Sukzessionsbehandlung sowie die Verfügungsfreiheit außerhalb des Todesfalles im Welfenhause nach 1235 lehnrechtlich konditioniert? Wie wurden die lehnrechtlichen Normvorgaben verstanden und „angewandt“?813 Liegt die Rechtspraxis der Sukzessionsbehandlung wie der Verfügung über einzelne Herrschaftsbestandteile tatsächlich soweit neben der in Reichsrecht und Rechtsbüchern entgegentretenden Rechtsanschauung der Zeit? Lassen nicht die Teilungen möglicherweise ein bestimmtes Verständnis der reichsrechtlichen Vorgaben erkennen? Wäre es nicht geradezu verwunderlich, wenn die nicht zum kleinen Teil autochtone, allodiale Herrschaft der Welfen sich sofort und reibungslos in das neue lehnrechtliche Korsett gefügt und vermutlich jahrhunderte lang geübte allodiale Erbteilungspraxis einfach aufgegeben hätte? Sind eventuell Mischformen allodialer und Anm. 354), betont naturgemäß eine innere Verbundenheit der „Landeshoheit“ mit deren Pertinentien, den Gütern und Rechten, die das Kammervermögen bildeten. 811 S. 262. Auch E. E. Stengel, S. 334, wirft diese Frage – mit der Zielsetzung, Erkenntnisse für die Frage nach dem Initiator der Bildung des Reichsfürstenstandes zu gewinnen –, „dass damals prinzipiell beabsichtigt war, auch deren (Fürsten-)Allode ganz zu feudalisieren und im Sinne des französischen Satzes nulle terre sans seigneur im Fahnelehen des Reichsfürstentums aufgehen zu lassen“, auf. Für die welfischen Allode kommt er zu der Ansicht, diese hätten seitdem generell als Reichsgut gegolten (S. 335). 812 Diese Folgen dürften sich im Falle der Welfen schon daraus ergeben, dass ihr gesamter Familienbesitz 1235 feudalisiert worden ist. Zu weiteren Folgen: K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 262 ff. 813 K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 263, gibt insoweit als These mit auf den Weg, dass sich das Lehnrechtsverhältnis zwar nach allgemeiner Auffassung auf das gesamte Fürstentum erstreckte, seine Funktion sich jedoch nach einer, in der Rechtspraxis verbreiteten Anschauung darin erschöpfte, die lehnrechtlichen Bindungen zwischen dem Reich und dem Fürstentum als Ganzem herzustellen, wobei die innerterritorialen Rechtsverhältnisse von diesem Vorgang nicht unmittelbar berührt werden. Mit einer der Grundnormen und dem darin durchschimmernden Konzept des Verhältnisses von Reich und Fürsten seit der Zeit Friedrichs II. scheint diese zeitgenössische Anschauung vortrefflich vereinbar zu sein, sagt doch das Statutum in favorem principum, dass jeder Fürst die Freiheiten, Herrschaften, Grafschaften und Zehnten, die für ihn frei oder ihm verlehnt sind, nach den anerkannten Gewohnheiten seiner Lande unangefochten nutzen könne: (6) item unusquisque principum libertatibus, iurisdictionibus, comitatibus, centis sibi liberis vel infeodatis utetur quiete secundum terre sue consuetudinem approbatam (MGH Const. II Nr. 171; L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 114).
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feudaler Rechtsformen in der Erbregelung erkennbar? Die oben angedeuteten denkbaren Folgen einer „Durchfeudalisierung“ des nahezu kompletten welfischen Rechtstitelbestandes machen ein „anderes Verständnis“, eine andere Handhabung der lehnrechtlichen Vorgaben in der Praxis wahrscheinlich. Abweichungen der Sukzessionspraxis von retrospektiv erkannter normativer Rechtsanschauung der Zeit als „Rechtsbruch“ zu bewerten, erscheint in Anbetracht des Aufeinanderprallens hergebrachter allodialer Rechtsvorstellungen und imperialer Rechtsvorgabe verfehlt.814 Dahinter steht ein weiteres Mal das Verfallsmodell, der Einzug des Privaten in das Öffentliche, dessen Bewertung sich aus der Besetzung des Privaten mit Eigennutz und des Öffentlichen mit Gemeinwohl speist. Die Erhebung der welfischen Allodia zum – a priori betrachtet – einheitlichen Lehen macht doch deutlich, wie sinnlos die ständige Wiederholung der Patrimonialisierung des Lehnswesens im Bereich der großen Amtslehen ist. Ließen sich schon wesentliche Stützen dieser Vorstellung, allen voran die stetige Klimax der Erblichkeit, kaum erweisen, müssten zwei Erkenntnisse doch ausgeräumt werden, wenn man an dieser Vorstellung festhalten wollte: Zum einen ist das Amtslehen der Zeit bis ins 12. Jahrhundert kaum mit den Gebilden, die sich nunmehr Herzogtum nennen, etwa der ducatus de Brunswich des Jahres 1235, vergleichbar. Die Substanz, das Substrat sind so anders, dass sich mit Fug und Recht von einem Aliud sprechen ließe, das einen, im Grundsatz Kontinuität voraussetzenden Verfallsprozess kaum darstellbar macht. Zum anderen dürfte eine simple Gewinn- und Verlustrechnung im Falle der Welfen das Reich formal als Gewinner von 1235 erscheinen lassen: Die Welfen beförderten den Bestand an Reichslehen durch die Lehnsauftragung ganz erheblich. Natürlich mögen in den Allodialbestand der Welfen auch ursprünglich reichsderivative Gerechtsame eingeschmolzen gewesen sein. In toto aber überwog der eigenrechtliche Anteil, die riesigen Besitzmassen aus der Erbschaft untergegangener sächsischer Adelsfamilien, ganz erheblich – gerade in dem reichsgutarmen Sachsen. Will man aber an dem Bild der Patrimonialisierung des Lehens festhalten, könnte man überspitzt schon vor einer näheren Untersuchung formulieren, dass die feudale, und zwar auf die Fläche, die Realien der Herrschaft bezogene Konzeption der Reichsverfassung gewissermaßen eine Allodialisierung des Lehens selbst zu erzeugen vermochte. Wenn Allod und Lehen zusammengefasst werden, ja das Allod zu Gunsten des Lehens ausgeblendet zu sein scheint, kann es nicht verwundern, dass wesentliche Problemlösungen aus dem allodialen Rechtsraum auf Probleme im nunmehr feudalen Rechtsbereich übertragen werden. Dies zeigt, wie untauglich eine formale, an modernen Ordnungsbegriffen, ja Bewertungsmaßstäben (Rechtswidrigkeit) orientierte Betrachtung des Rechtsvorgangs der Sukzession in Herrschaftstitel sowie der Verfügung über solche ist.
814
K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 13, verweist insoweit zudem darauf, dass – auf Reichsebene – auch königliche Rechtssetzungs- und Rechtsprechungsakte allein kein objektives Recht schaffen konnten; hinzu musste die Rechtsüberzeugung oder zumindest die stillschweigende Duldung der Rechtsgenossen treten. Dies macht das Verdikt des Rechtsbruches noch problematischer.
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Vor der Untersuchung der Beachtung der Lehnsbindungen, ihrer Reichweite, muss selbstverständlich zunächst ihr Inhalt beleuchtet werden. b) Lehnrechtliche Vorgaben für die Sukzessionsbehandlung aa) Schwierigkeiten aus der mittelalterlichen Anschauung von Recht Diese Bindungen zusammenzustellen, ist nicht nur in Anbetracht dessen, dass die Reichsanschauungen zum Lehnrecht im Untersuchungszeitraum durchaus einem Wandel unterlegen haben konnten, schwierig. Dem kann durch eine zeitliche Einschränkung der Quellenzeugnisse begegnet werden. Weit problematischer ist es, gleichsam einen Normbestand zur Verfügbarkeit von Lehnsgegenständen unter Lebenden sowie im Todesfall für das Mittelalter zu ermitteln. Diese Schwierigkeit liegt in der Eigenart mittelalterlicher Herrschafts- wie Rechtsordnung begründet. Die Gemengelage verschiedener Rechtsgemeinschaften macht es notwendig, sorgfältig den Adressatenkreis einer Rechtsnorm zu bestimmen. Vor allem aber wirft die zeitgenössische Vorstellung von Recht Probleme auf, die Verbindlichkeit einer Rechtsaussage zu ergründen. Mag auch das Bild vom „guten, alten, unabänderlichen Recht“, das gefunden werden muss, wie es vor allem Kern geprägt hat,815 keine Allgemeingültigkeit mehr beanspruchen können. Heute gilt es als zu grob, das vielschichtige Problem mittelalterlicher Rechtsbildung darzustellen.816 Jedoch ist einzuräumen, dass der König noch im Spätmittelalter an von alters her überliefertes ungeschriebenes Reichsherkommen gebunden ist.817 Gleichwohl lässt sich, spätestens seit der Stauferzeit, auch ein rechtsgestaltendes Wirken des Königtums nicht verkennen.818 Aber weder der König noch andere Herrschaftsträger im Reich vermochten es, eine Letztverbindlichkeit ihrer Entscheidungen zu beanspruchen. Auch die Maßnahmen des Königs konnten in ihrer Rechtmäßigkeit von jedermann gerügt werden.819 Deshalb ist der Versuch problematisch, „,das Recht im Sinne einer objektiven, allgemein verpflichtenden, von der Überzeugung der Rechtsgenossen getragenen Normordnung aus den mittelalterlichen Quellen erschließen zu wollen“.820 In diesen spiegeln sich – so Mitteis – „an Stelle der geschlossenen Rechtsüberzeugung eigentlich nur noch Parteistandpunkte“, die gerade in zentralen Fragen der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte oft jahrhundertelang unversöhnlich gegenüberstehen.821 Den815
S. 13 ff.; S. 38 ff.; vgl. auch H. Conrad, Bd. 1, S. 345 ff. K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 10 m. w. N.; R. Schulze, S. 190 ff.; H. Krause, Dauer, streicht eine Doppelschichtigkeit des mittelalterlichen Rechts heraus. 817 Ebd. 818 Vgl. etwa H. Thieme, Regalien, S. 68; D. Willoweit, Rezeption, passim; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 484 ff. 819 F. Kern, S. 87; O. Brunner, Land, S. 141. 820 K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 13. 821 Rechtsgeschichte, S. 272. Ohne simplifizieren zu wollen, lässt sich diese Erkenntnis aber als ein Phänomen der nicht auf dem durchgebildeten Gedanken der Souveränität beru816
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noch machen es diese Umstände nicht unmöglich, sich der Rechtsanschauung der Zeit im Sinne einer Vorstellung vom „richtigen Verhalten“ zu nähern.822 Man muss sich jedoch der Begrenztheit der Quellenaussage, ihrer Verbindlichkeitsschranken, gewahr sein. Auch darf nicht von dem modernen Gefüge von Norm und deren Anwendung ausgegangen werden. Vielmehr muss der Blick offen bleiben, die vermeintliche Anwendung als Rechtsfortbildung zu begreifen. bb) Die königliche Lehnrechtssetzung Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Eindeutig war es nach der zeitgenössischen Rechtsauffassung dem Vasallen verwehrt, das Lehngut dem Lehnsherrn zu entfremden. Den Reichslehnsgesetzen und der Spruchpraxis des königlichen Hofgerichts ist dieses Verbot der Alienationen in ihren verschiedentlichen Tatbeständen klar zu entnehmen.823 Ein einzelnes, unmissverständliches Verdikt der Teilung feudaler Sachund Herrschaftskomplexe, insbesondere der Fahnlehen,824 durch den Vasallen lässt sich hingegen nicht ausmachen. Und doch wird man in der Zusammenschau der Quellenzeugnisse von der Rechtsanschauung, dass Fahnlehen unteilbar sein sollten, wohl ausgehen müssen: Die königliche Lehnsgesetzgebung825 ist überschaubar. Zunächst ist das Lehnsgesetz Kaiser Konrads II. von 1037 zu beachten.826 Darin fixiert der Salier die Erblichkeit der Lehen – namentlich der italienischen Aftervasallen – auf den Sohn.827 Auf die Stärkung deren Stellung gegenüber den Kronvasallen zielte das Lehnsgesetz ab.828 Zur Erbfolge der Kronvasallen wurde unmittelbar keine Bestimmung getroffen. Jedoch blieb auch die Lehnfolgeordnung der größeren Reichslehen in den deutschen Stammlanden von diesem Lehnsgesetz nicht dauerhaft unberührt. Denn die Bestimmungen Konrads zur Erbfolge am Lehen fanden Aufnahme in die Libri feudorum.829 henden Herrschafts- oder auch Staatsverständnis begreifen: Widerstreitende (Rechts-)Standpunkte lassen sich nicht auf einer höheren, schließlich höchsten Ebene auflösen. 822 Mehr als eine Annäherung kann es nicht sein, will man sich nicht zum Ziel setzen, sämtliche Quellenaussagen zu lehnrechtlichen Verfügungsbeschränkungen und auch solche aus anderen Rechtskreisen zusammenzutragen. 823 Zu den Alienationsbeschränkungen im Einzelnen unten zu B.IV.1.b). 824 Zum Fahnlehen aus der neueren Literatur: G. Droege, Landrecht, S. 70 f.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 36 ff. 825 Zu dieser K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 484 ff. 826 MGH Const. I Nr. 45 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 26). 827 Precipimus etiam, ut, cum aliquis miles sive de maioribus sive de minoribus de hoc seculo migraverit, filius eius beneficium habeat. 828 Zur rechtspolitischen Intention des Gesetzes: H. Mitteis, Lehnrecht, S. 399 ff.; W. Goez, Leihezwang, S. 21 f., danach berichte Konrads Biograph Wippo, dass der Kaiser auch für die deutschen Ritterlehen diese Regelung festgelegt habe; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 487. 829 Vgl. I F 1 § 1; II F 34. Aus dieser „Art Kommentar“ (H. Mitteis/H. Lieberich, S. 27 I 4; zu Entstehung und Inhalt dieser Lehnrechtssammlung: N. Iblher v. Greiffen, S. 23 ff., 59 ff.) zu den Lehnsgesetzen von 1037, 1136, 1154 und 1158 lässt sich auch ersehen, dass Konrad nur
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Sie bildeten die Grundlage der Lehre vom feudum paternum,830 die nach der zunehmenden Verbreitung dieser Rechtssammlung nördlich der Alpen auch die Nachfolge in die größeren Reichslehen entscheidend geprägt hat.831 Der Begriff des feudum paternum, für den später der Begriff der successio ex pacto et providentia maiorum verwandt wird, bezeichnet eine Ausweitung der Erbfolge in das Lehen über die männliche Deszendenz hinaus auf alle Nachkommen des ersten Erwerbers.832 So ordnet Konrad an, dass, wenn der Lehnsmann keinen Sohn, aber in männlicher Linie einen Enkel hat, dann soll dieser das Lehen haben; wenn er aber keinen solchen Enkel haben sollte, soll der eheliche Bruder von Seiten des Vaters das Lehen haben.833 Im Grundsatz geht die Lehnsfolge dieses Gesetzes von der Folge eines Einzelnen aus: primär des Sohnes, dann die des Enkels und schließlich die der Agnaten. Demnach geht der Schöpfer dieser Bestimmung von der Unteilbarkeit des Lehens aus. Abgesehen von sechs weiteren, in den Libri feudorum überlieferten, in ihrer Echtheit zweifelhaften Lehnsgesetzen,834 wird die Lehnsgesetzgebung des Reiches durch das ronkalische Lehnsgesetz Kaiser Lothars III. von 1136 fortgesetzt.835 Dieses enthält aber zur Sukzession in Reichslehen und folglich zu ihrer möglichen Teilung keine Aussage. Erst das ronkalische Lehnsgesetz Friedrichs I. aus dem Jahre 1158,836 das ebenfalls in die Libri feudorum eingeflossen ist,837 spricht die Konsequenz der salischen Bestimmung der Singularerbfolge für die großen Herrschaftslehen aus:838 Herzogtum, Markgrafschaft oder Grafschaft dürfen künftig nicht geteilt werden.839 Die eine längst praktizierte Erbgewohnheit anerkannte: In feudo comitatus vel marchia vel aliarum dignitatum non est successio secundum rationabilem usum, sed hodie usurpatum est (I F 13 § 3). 830 Vgl. II F 11. 831 H. Mitteis/H. Lieberich, S. 27 I 4 und 6; W. Goez, Leihezwang, S. 52; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 334 f., 487; zur Rezeption der Libri feudorum besonders: N. Iblher v. Greiffen, vor allem S. 163 ff. 832 H. Mitteis, Lehnrecht, S. 401; W. Goez, Leihezwang, S. 52. 833 (…) si vero filium non habuerit et abiaticum ex masculo filio reliquerit, pari modo beneficium habeat (…) Si forte abiaticum ex filio non reliquerit et fratrem legittimum ex parte patris habuerit, si seniorem offensum habuit et sibi vult satisfacere et miles eius effici, beneficium, quod patris sui fuit, habeat. 834 H. Mitteis, Lehnrecht, S. 402; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 487. 835 MGH Const. I Nr. 120 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 52). 836 MGH Const. I Nr. 177 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 66; K. Zeumer, Nr. 14c); Kap. 1 bis 5 dieses Lehnsgesetzes enthalten eine weitgehend wörtliche Erneuerung eines Lehnsgesetzes von 1154 (MGH Const. I Nr. 148). 837 II F 55. 838 Besonders deutlich wird dieses Konsekutive, wenn man die Kommentierung der Libri feudorum zum Lehnsgesetz Konrads II. zu Grunde legt: Danach ist nur der vom Kaiser Belehnte, nicht aber jeder Erbe zur Nachfolge in den Markgrafschaften, den Herzogtümern, den Grafschaften oder anderen dignitates regales berufen (I F 14: De marchia vel ducatu vel comitatu vel aliqua regali dignitate, si quis investitus fuerit per beneficium ab imperatore, ille tantum habere debet; heres enim non succedit ullo modo, nisi ab imperatore per investituram adquisierit). 839 (6) Preterea ducatus, marchia, comitatus de caetero non dividatur …
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Unteilbarkeit wird aber ausdrücklich auf eben diese Lehen beschränkt. Ein anderes Lehen darf hingegen, wenn es die Teilhaber wollen, so geteilt werden, dass alle, die an dem bereits geteilten oder zu teilenden Lehen Anteil haben, dem Herrn den Treueeid leisten.840 Diese tatbestandliche Differenzierung zwischen den Lehnsgegenständen ducatus, marchia und comitatus einerseits und dem aliud feudum andererseits verschärft die Frage nach der Einheitlichkeit des Lehnsobjektes, nach der Verklammerung von fürstlicher Würde und ihren Grundlagen in dem ducatus; oder mit anderen Worten: diese Unterscheidung bietet für den Normadressaten, den Vasallen und seine Nachkommen, verschiedene Verständnismöglichkeiten und entsprechend Handlungsalternativen bei der Gestaltung der Sukzession. Während in der älteren Literatur die Geltung dieses Teilungsverbotes von 1158 auch für Deutschland angenommen wird,841 wird dies in jüngerer Zeit weit zurückhaltender beurteilt. Vielmehr wird die Wirkung auf die Rechtspraxis in den Vordergrund gestellt; und diese, die Lehnspraxis nördlich der Alpen, hat die ronkalischen Gesetze über die Libri feudorum erst seit dem 14. Jahrhundert in zunehmendem Maße wörtlich rezipiert.842 Aus dem Jahre 1283 ist ein Rechtsspruch des königlichen Hofgerichts überliefert, nach dem Rudolf I. mit der beifälligen Zustimmung der Umstehenden zu der Erkenntnis gelangt, dass keine Grafschaft im römischen Reich ohne königliche Zustimmung geteilt oder verkauft werden kann, noch darf ein Teil abgetrennt werden, durch den solche Grafschaft verkleinert würde.843 cc) Die Rechtsbücher Mögen die Regelungen der ronkalischen Lehnsgesetze in Deutschland auch nicht unmittelbar Geltung erlangt haben, so lassen sich doch ganz ähnliche Rechtsanschauungen in den Rechtsbüchern nachweisen. Ob diese von staufischer Verfassungspraxis wie -theorie beeinflusst oder eine davon unabhängige Rechtsentwicklung gewesen ist, kann hier dahinstehen.844
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(…) Aliud autem feudum, si consortes voluerint, dividatur, ita ut omnes, qui partem feudi habent iam divisi vel dividendi, fidelitatem domino faciant. Ita tamen ut vassallus pro uno feudo plures dominos habere non compellatur, nec dominus feudum sine voluntate vassalorum ad alium transferat. 841 H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 101 f.; H. Mitteis, Lehnrecht, S. 668. 842 K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 489 f.; N. Iblher v. Greiffen, bes. S. 164 ff., stellt zur Praxis der königlichen Kanzlei bereits für die Zeit seit König Heinrich VI. eine fortschreitende Anwendung lombardischen Rechts bei den Verleihungen; allerdings differenziert Iblher v. Greiffen bei seiner Untersuchung nicht zwischen Belehnungen von Vasallen nördlich und südlich der Alpen und zudem kaum zwischen den Fahnlehen und den kleineren Lehen. 843 MGH Const. III Nr. 347 (L. Weinrich, Bd. 2, Nr. 49): (…) quod nullus comitatus sub Romano imperio sine nostro consensu possit vel debeat dividi vel vendi aut distrahi pars aliqua, per quam esset comitatus huiusmodi diminutus. 844 Zu beiden Möglichkeiten vgl. D. Willoweit, Rezeption, S. 28, und K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 489.
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Der Sachsenspiegel kennt nur die Lehnsfolge des lehnsfähigen845 Sohnes des verstorbenen Vasallen;846 ein Töchter- und Agnatenerbrecht am Lehen sucht man vergebens. Und es erbt nur e i n Sohn das Lehen. Dies ist schon daraus zu folgern, dass von dem zur Lehnsfolge berufenen Sohn regelmäßig nur im Singular die Rede ist.847 Ausdrücklich behandelt der Sachsenspiegel die Singularlehnsfolge im Zusammenhang mit dem Schutz des Lehnsherrn vor Begehrlichkeiten der Brüder des einen Sohnes und mit den Folgen des Abweichens der Lehnsfolge von der landrechtlichen Erbfolge: Der Lehnsherr ist nicht verpflichtet, mehr als eines der Kinder mit dem Gut ihres Vaters zu belehnen, wenn dieser stirbt.848 Begehrt eines Mannes Sohn, der zu seinen Jahren gekommen ist, das Gut von seinem Herrn zu Lehen und hat er Brüder, die noch unmündig sind, so muss er dem Herrn vor der Belehnung geloben, dass seine Brüder auf das Gut verzichten und den Herrn darum nicht verklagen werden, wenn sie selbst zu ihren Jahren kommen.849 Diesem Konflikt der Singularfolge im Lehnrecht gegenüber den Ansprüchen weiterer Söhne, die nur im Landrecht wurzeln können, begegnet das Landrecht mit einem Entschädigungsanspruch der nicht zur Lehnsfolge berufenen Brüder: Al iz daz lenrecht, daz der herre nicht en lie me den eime son sines vater len. Ez en iz nicht lantrecht doch, daz herz alleine behalde, her en erstates sinen brudere nach deme, alse sichz geburt an der teilunge.850 Der Spiegler behandelt damit genau das Spannungsverhältnis, in das die Sukzession in ein einheitliches Lehnsobjekt eingebunden ist: Was geschieht mit den nicht zur Lehnsfolge kommenden, freilich landrechtlich erbberechtigten,851 Brüdern? Deutlich wird schon aus den angeführten Aussagen des Sachsenspiegels, dass Eike von der Unteilbarkeit eines Lehnsobjektes ausgeht. Für das Fahnlehen spricht der Sachsenspiegel die Unteilbarkeit auch ausdrücklich aus, wenngleich das Verbot nicht an den Vasall, sondern an den König adressiert ist.852 Dies hat aber – so wird man folgern dürfen – erst recht für den Lehnsmann zu gelten. Seit jeher wird vielfach in der Verfassungsgeschichte zur Unteilbarkeit der Fürstentümer auch eine Bestimmung des Landrechts angeführt, nach der kein Gericht geteilt werden darf.853 Diese aus dem Text nicht begründbare
845 Diese Lehnsfähigkeit wird zunächst durch körperliche Merkmale bestimmt: Stumme, Verstümmelte und Blinde können nach Land-, aber nicht nach Lehnrecht Erbe sein (Ssp. Ldr. I 4). Hinzutreten muss die Ebenbürtigkeit des Sohnes mit dem Vater (Ssp. Lehnr. 20 § 3). 846 Ssp. Lehnr. 21 § 3: It ne erft neman nen len wan de vader op de sone. 847 Vgl. etwa Ssp. Lehnr. 20 §§ 1, 3; 21 §§ 1 – 3. 848 Ssp. Lehnr. 29 § 2. 849 Ssp. Lehnr. 29 § 5. 850 Ssp. Ldr. I 14 § 1; dazu auch H. Mitteis, Lehnrecht, S. 671. 851 Zur Erbfolge nach Landrecht, nach der die Söhne gleichermaßen erbberechtigt sind, siehe oben A.II.2.a). 852 Ssp. Lehnr. 20 § 5: Bishope gut und vanlen sal die koning ganz lien und nicht tveien. 853 Ssp. Ldr. III 53 § 3: Man en muz kein gerichte teilen, noch gantz lien noch teil(en), der deme ez gelegen iz, so daz da volge an si unde ez de lantlute liden sollen, ez en si ein sunderlich graveschaft, de in ein vanlen hore, de en muz man nicht ledig haben. Als Beleg zur Unteilbarkeit der Fahnlehen führen etwa H. Mitteis, Lehnrecht, S. 669 Anm. 206, und W. Goez, Leihezwang,
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Applizierung auf das Fürstentum dürfte auf ihre Glossierung zurückzuführen sein.854 Die Bestimmung zielt tatsächlich nur auf die Unteilbarkeit des Gerichts, wie es Droege herausgearbeitet hat: Hier trifft – hierarchisches – Lehnrecht auf das landrechtlich organisierte Gericht, die fest formierte Einheit eines genossenschaftlichen Verbandes,855 die nicht lehnrechtlich auflösbar sein soll.856 Geht Eike zwar grundsätzlich von der Singularfolge und entsprechend von der Unteilbarkeit der niederen wie höheren Lehen aus, so ist gleichwohl eine Tendenz zu mehrheitlicher Berechtigung am Lehen deutlich erkennbar. Der Spiegler hat eine Praxis vor Augen, nach der die lehnrechtlich leer ausgehenden Brüder offensichtlich danach trachteten, den Lehnsherrn auf Beteiligung am Lehnsobjekt in Anspruch zu nehmen; zur Abwehr dessen bedurfte es des dargestellten Instruments der Verpflichtungserklärung des Lehnsnachfolgers.857 Andererseits steht dem Lehnsherrn nach dem Sachsenspiegel auch die Möglichkeit offen, eine Berechtigung mehrerer am Lehen zu erzeugen: die Gesamtbelehnung.858 Die Lehnsdienste kann er allerdings nur von einem verlangen, und zwar demjenigen, den die Gesamthänder bestimmen.859 Der Vorteil für die Gesamthänder bestand darin, dass im Fall des Todes eines Berechtigten dessen Anteil nicht an den Lehnsherrn fiel, sondern ohne besonderen Investiturakt an die Mitbelehnten; im Übrigen tritt in den Anteil des Verstorbenen an der Gesamthand dessen Erbe, sein Sohn, ein.860 Grundbedingung für diese den Lehnsheimfall erschwerende gewissermaßen innervasallitische Lehnsfolgeregelung des Anwachsungsrechts war der Bestand der Gesamthand, der mit der Belehnung erlangten gemeinsamen Gewere am Lehnsobjekt. In diesem Zusammenhang mit der Gesamtbelehnung ist die Teilung des Lehnsobjektes nach dem Sachsenspiegel zulässig; sie hob jedoch die Gesamthand und damit das Anwachsungsrecht, das durch die Samtbelehnung erzeugte Sukzessionsrecht der Kollateralen, auf: „Teilung bricht Erbe“.861 Diese Rechtsanschauung – Gemeinschaftserhalt zur Erhaltung des Anwachsungsrechts, der Kollateralfolge in S. 57 Anm. 21, diese Stelle an. Zur Üblichkeit des Zitats dieser Sachsenspiegelbestimmung schon im 19. Jahrhundert: H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 105. 854 C. G. Homeyer, Sachsenspiegel 2, 2, S. 550. 855 Vgl. Ssp. Ldr. I 55 § 1: Alle wertlige gerichte haben begin von kore, dar umme en mag kein gesatzt man richter gesin. 856 Landrecht, S. 64; ganz ähnlich schon H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 105 f. 857 Ssp. Lehnr. 29 § 5. 858 Ssp. Lehnr. 8 §§ 1, 2; 32 §§ 1 – 4. Von der Gesamtbelehnung, wie sie das Lehnrecht schon vor der Rezeption lombardischen Rechtsstoffs kannte, ist die coinvestitura oder auch investitura simultanea dieses Rechts zu unterscheiden; nach den Libri feudorum wird eine Personenmehrheit nach Bruchteilen belehnt, so jedenfalls N. Iblher v. Greiffen, S. 232 ff. 859 Ssp. Lehnr. 8 § 2. 860 Ssp. Lehnr. 32 §§ 1, 2; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 351. Geschützt wird die Gesamthand dadurch, dass die Wirksamkeit von Verfügungen des Einzelnen von der Zustimmung der anderen abhängig sind, Ssp. Lehnr. 32 § 3. 861 Ssp. Lehnr. 32 § 1: Man mach vele brüderen en gut lien of siet mit samender hant untvat und gelike were daran hebbet. Willet aver sie sik sceiden mit dem gude , si delet it under sik ane des herren orlof, svo sie willet. Sven aver sie sik delet, ir nen hevet recht an des anderen gude oft die andere stirf.
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Lehen, und entsprechenden Verhinderung des Heimfalls – motivierte zur „Gestaltung“ der Gemeinschaft, zu ihrer Fiktion. Sahen noch die Rechtsbücher des 13. Jahrhunderts eine gemeinsame Gewere am Lehnsobjekt, eine enge und echte Gemeinschaft zwischen den Gesamthändern vor,862 so fand im 14. Jahrhundert zumindest in ein Rechtsbuch, den Frankenspiegel oder auch Kleines Kaiserrecht, eine Form des „rechtlichen“ Gemeinschaftserhaltes bei faktischer Teilung Eingang: die Mutschierung.863 Dabei handelt es sich um eine Ertragsteilung, die regelmäßig eine Verwaltungsteilung mit sich brachte, bei formellem Erhalt der Gesamthand oder mit anderen Worten – das Teilende stärker betonend – um eine faktische Lehnsteilung bei Erhalt des Anwachsungsrechts.864 Die Gefahr dieses Konstrukts liegt auf der Hand: Die Grenze zwischen Ertrags- und Verwaltungsteilung einerseits und realer Teilung, sprachlich als Tat- oder Totteilung erfasst, andererseits ist nicht leicht zu ziehen und kann von daher aus anderer Warte, vor allem der des Lehnsherrn, auch anders beurteilt werden. Die Gesamtbelehnung war indes ins Belieben des Lehnsherrn gestellt. Ihren Charakter als Gnadenakt, der insbesondere auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass ein Rechtsnachfolger des Lehnsherrn nicht an die Gesamtbelehnung gebunden war,865 sollte sie auch im Spätmittelalter nicht vollends einbüßen.866 Und vor allem: die Gesamtbelehnung war für größere Reichslehen nach den Rechtsbüchern unzulässig. Der Sachsenspiegel sagt dies nicht ausdrücklich; allein für ein Gericht als Lehnsobjekt ist die Gesamtbelehnung explizit ausgeschlossen.867 Im Schwabenspiegel, der etwa ein halbes Jahrhundert jünger als der Sachsenspiegel ist – ein halbes Jahrhundert, in das tatsächlich viele Fahnlehnsteilungen in der Praxis fallen –, findet sich hingegen das bekannte Verbot der Belehnung zweier Vasallen mit einem Fürstenamt.868 Allerdings spiegelt der Schwabenspiegel auch die Wirklichkeit wider, wenn er nach dem Verdikt
862 Schwsp. Lehnr. 57: lihet aber de herre von gnaden, vnde nvt von rehte, in allen daz lehen so svln si die gewer mit ein ander han oder si hant an dem lehen nvt rehtes; Brandenburger Glosse zu Ssp. Lehnr 32 (C. G. Homeyer, Sachsenspiegel, 2, 2, 458): Dat se ock scholen hebben ein samende woninge und ungescheiden roeck (Rauch) – dat he nu hir secht gelike were, dat is an einen schepel und an einen roeck und brot. 863 Kleines Kaiserrecht III, 12: Eyn iglich man der sal wissen, der gemein lehen hat mit andern luten oder mit sinen gebornen magen, mutschart er sy mit des keisers gebot, wie es dan kunt, so beliben die lehen bi den ganerben; teilt er aber sie nach des keisers rechte, als er es dem lehen hat gesatzt, irstirbt dan die ein site, si vellet in des keisers hant, un han es die verlorn, von den es geteilt ist. Sint in des riches recht stet gesc.: geteilt lehen sal dem riche ersterben. 864 Zur Mutschierung: W. Goez, Leihezwang, S. 101 ff.; R. Schmidt-Wiegand, Art. „Mutschierung“, HRG 3, Sp. 804 ff.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 353. 865 Ssp. Lehnr. 32 § 4; Schwsp. Lehnr. 57: lihet aber de herre von gnaden … 866 K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 355. 867 Lehnr. 71 § 4. 868 Schwsp. Ldr. 121: Man mac dehein furstenampt mit rehte zwein mannen niut gelihen …
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der Gesamtbelehnungen fortfährt, sich den Folgen einer solchen zuzuwenden.869 Goez hat insoweit nachgewiesen, dass vor dem Königtum Rudolfs von Habsburg zwar faktischer Mitbesitz von Seitenverwandten am Lehen, aber keine formale Gesamtbelehnung auch der Kollateralen zu belegen ist, danach dann aber, oft im Hause Habsburg, schon.870 dd) Die Urkunde von 1235 Eine lehnrechtliche Bindung, eine vom König herrührende Norm für die Sukzession in den ducatus de Brunswic, ist bisher unbeachtet geblieben: das Privileg von 1235 selbst.871 Darin bestimmt Friedrich II., dass das Otto verliehene Lehen auf seine Söhne und Töchter als Erben erblich übergehen soll.872 Auf den ersten Blick erkennt man die Verfügung einer Ausnahme von der Regel, dass sich deutsche Reichslehen – von denjenigen in den westlichen Teilen des Reichs abgesehen –873 nur in männlicher Linie vererben. Auch von den Töchtern sollte Otto beerbt werden; ein – übrigens von den Welfen niemals in Anspruch genommenes – Sonderrecht.874 Mit Goez wird man annehmen dürfen, dass diese Zubilligung des Töchtererbrechts dem Umstand zuzuschreiben ist, dass Otto zuvor Friedrich sein gesamtes Allod aufgelassen hatte.875 Erschöpft sich aber diese Anordnung Friedrichs im bloßen Erbrecht der Töchter? Für ein weiterreichendes Erbrecht auf Vasallenseite sprechen zum einen die gleichzeitige Nennung von Söhnen und Töchtern und zum anderen die jeweilige Verwendung des Plurals. In dieser sprachlich weit ausgestalteten Nachfolgeanordnung könnte über die Lehnsfolge in weiblicher Linie hinaus auch – im Sinne eines
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(…) geschiht aber ez. ir dewedere mag mit rethe niut davon ein fürste geheizzen. also mag man maregraveschaft. noch phallentzgraveschaft. noch graveschaft. Swer diu teilent. so hant si ir namen verloren. 870 Leihezwang, S. 100, 97 f. Anm. 11; damit steht, wie K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 352 Anm. 149, feststellt, der Befund im Einklang, dass der Sachsenspiegel sich mit der Gesamtbelehnung von Fahnlehen nicht beschäftigt, der Schwabenspiegel hingegen schon. 871 Zur Normqualität der königlichen Privilegia: H. Mitteis, Lehnrecht, S. 8 ff.; H. Thieme, Regalien, S. 68; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 10 f. 872 (…) ad heredes suos filios et filias hereditarie devolvendum (…). 873 Zur weiblichen Erbfolge in Lehen und ihrer Verbreitung gerade in den Gebieten westlich des Rheins W. Goez, Leihezwang, S. 29 ff., 34 f. Einen bekannten Vorfahren in der Anerkennung auch weiblicher Erbfolge in ein Fahnlehen hatte die Belehnung von 1235: Das Privilegium minus von 1156 (MGH D F. I, 1 Nr. 151; L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 61): (…) ut ipsi et liberi eorum post eos indifferenter filii sive filie eundem Austrie ducatum hereditario iure a regno teneant et possideant. Auch aus dem Welfenhaus lässt sich ein Vorläufer anführen: 1158 verlieh Friedrich Barbarossa Heinrich dem Löwen und dessen Gemahlin sowie utriusque sexus heredes die Grafschaft im Lisgau und den Forst im Harz (MGH DF I, 200). 874 Trat die Konstellation auch selten ein, dass ein verstorbener Fürst nur Töchter, aber keinen Sohn hinterlassen hat; sie trat ein: 1369 verstarb Willhelm von Lüneburg, ohne Söhne zu hinterlassen. In dem sich nun entzündenden Lüneburger Erbfolgestreit spielte die den Welfen eingeräumte Erbfolge in weiblicher Linie keine Rolle; dazu unten 3. 875 Leihezwang, S. 46.
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feudum paternum des langobardischen Lehnrechts – die Folge der Seitenverwandten vom Kaiser als Lehnsherrn anerkannt worden sein. Allein aus dem Urkundstext wird dies allerdings nicht zu klären sein.876
876 Um den „ausschließlichen Anspruch Hannovers auf das zur Erledigung kommende Herzogtum Braunschweig“ – so das schon im (Unter-)Titel formulierte Ziel der Arbeit – zu begründen, misst H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 19 ff., dieser Bestimmung des „Investiturvertrages“ eine sehr weitgehende und kaum begründbare Sukzessionsprivilegierung der Welfen bei: „Der Kern derselben ist aber offenbar die Feststellung und Sicherung des welfischen Familienrechts in der Form des Reichslehens (…), dass die als lehnrechtliche Form und Pflicht allerdings nothwendige Belehnung immer an den- oder diejenigen geschehen musste, welche nach dem im welfischen Hause geltenden Successionsrechte als die rechtmässigen Erben zu betrachten waren“. Damit sei auch den Seitenverwandten ein Erbrecht eingeräumt worden. Ausgeschlossen sei hingegen der Grundsatz „Teilung bricht Erbe“; „grundfalsch“ sei demnach die Behauptung, „dass durch die Verwandlung des welfischen Allodialbesitzes in ein Reichslehen die gesammte Hand Grund und Bedingung des Successionsrechts der abgetheilten Seitenverwandten geworden sey.“ Gab es aber 1235 – sieht man von allerersten Ansätzen 1223 einmal ab – ein „im welfischen Hause geltendes Successionsrecht“? Nach N. Iblher v. Greiffen, S. 172 ff., 175, ist die überwiegende Mehrzahl der Verleihungen unter Kaiser Friedrich II. nach lombardischem Recht erfolgt.
B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg – Erb- und Disponibilitätsregelungen der Welfen seit 1235 I. Die Zeit bis zum Lüneburger Erbfolgestreit – die Zeit der grundlegenden Teilungen 1. Überblick über die Sukzessionsfälle und ihre Behandlung im Welfenhaus in der Zeit von 1235 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts a) Die Nachfolge nach Otto dem Kind – die Teilung von 1267/69 Im Jahre 1252 starb Otto das Kind.1 Er hinterließ vier Söhne. Allein Albrecht war im regierungsfähigen Alter. Dass dieser 1252 von König Wilhelm die Reichslehen empfangen habe, vermutet Pischke; allerdings ist nur die Anwesenheit Albrechts und seines Bruders Otto auf dem Frankfurter Hoftage, nicht aber ihre Belehnung belegt.2 Für seine drei Brüder, neben Otto Johann und Konrad, führte Albrecht vormundschaftlich – de consensu fratrum nostrorum, wie in den Urkunden dieser Zeit vermerkt – die Verwaltungsgeschäfte. Konrad und Otto fassten schon bald den Entschluss – oder er wurde für sie getroffen –, in den geistlichen Stand zu treten. Otto wurde Bischof von Hildesheim, Konrad später Bischof von Verden. Um 1258 erlangte Johann die Geschäftsfähigkeit; seither trat er in den Urkunden unter den bisher unbenannten Brüdern hervor und wurde namentlich erwähnt. Als Mitregent weisen ihn die Urkunden seit etwa 1262 aus. Schon kurz danach aber deutet sich eine Teilungstendenz an, die auch schon die Verteilungspräferenz Johanns erkennen lässt. Betraf Johanns rechtsgeschäftliche Tätigkeit ohnehin schon betont Lüneburg, wird seine Vorliebe für diese Stadt und seine Selbstständigkeit besonders sinnfällig in der Einrichtung einer eigenen Kanzlei dort im Jahre 1263.3 Der Anlass zu einer auch institutionellen Verselbstständigung Johanns Regentschaft dürfte auch zugleich einer der Gründe zur Landesteilung 1267/69 gewesen sein: Die dauernden und kostspieligen kriegerischen Unternehmungen seines Bruders Albrecht ließen ihn befürchten,
1 Zu dem Folgenden vor allem: E. Mertens, S. 108 ff.; H. Kleinau, S. 12 ff.; M. Garzmann, S. 151 ff.; G. Pischke, Landesteilungen, S. 35 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 706 ff. 2 Landesteilungen, S. 35, 206 mit den entsprechenden Nachweisen. 3 Dazu vor allem E. Mertens, S. 108 ff., bes. S. 117 f.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
dass die Finanzen des Hauses ruiniert würden.4 Zudem bestanden Unstimmigkeiten zwischen den Brüdern über die Frage der Abfindung Konrads, der 1266 – zu diesem Zeitpunkt war er nicht Kleriker – seine Forderungen an die namentlich nicht genannten duces de Brunswigk richtete.5 In dieses Jahr fällt auch das Ende des einvernehmlichen Regiments der Brüder Albrecht und Johann; die gemeinsamen Beurkundungen hören bis auf drei Ausnahmen auf.6 Schließlich dürfte den Anlass zur Erbteilung, wie schon 1202, die Eheschließung eines der Erben gegeben haben. 1202 war es die Heirat Wilhelms mit Helene von Dänemark, 1265 schlossen erst Albrecht – ein zweites Mal – und dann Johann die Ehe. Johann schlug dann Anfang 1267 die Erbauseinandersetzung vor.7 Sie ist urkundlich lediglich durch einen Vorvertrag überliefert.8 Dieser weist als Aussteller nicht die beiden Erben auf, sondern den als Vermittler und Überwacher der Abmachungen auftretenden Markgrafen Otto von Brandenburg.9 Am 31. März 1267 versammelten sich in Braunschweig der genannte Vermittler sowie die beiden Fürsten Albrecht und Johann, Herzöge in Braunschweig, mit ihren jeweiligen Räten, um über die Trennung und Verteilung ein placitum abzuhalten.10 Das dort geworfene Los sollte entscheiden, wer von ihnen ihre Güter und Herrschaft teile und wer ein Teil wähle.11 Das Los bestimmte Albrecht, dass dieser sowohl die Herrschaft als auch die Mannschaft ohne Druck des anderen teile.12 Braunschweig solle die eine, Lüneburg die andere Herrschaft bilden, und nach dem Ermessen des Teilenden solle Celle zum einen, Gifhorn zum anderen Teil geschlagen werden.13 Das Verleihungsrecht über die Abteien Königslutter und St. Aegidien in Braunschweig soll zu Braunschweig, das Verleihungsrecht über die Abteien Lüneburg,
4
Zu den Unternehmungen Albrechts „des Großen“, besonders deren geringen Erfolgen: E. Schubert, Niedersachsen, S. 706 ff., der darauf hinweist, dass Johann hingegen nur eine einzige Fehde und diese zudem erfolgreich geführt hat. 5 UB Goslar II, 116; näher dazu unten unter B.I.3.b) „Bestimmung von Söhnen für den geistlichen Stand“. 6 E. Mertens, S. 117. 7 Ebd. 8 Sud. I 64; G. Pischke, Landesteilungen, S. 36, zu der chronikalischen Überlieferung. 9 Hec est forma qualiter mediante illustri principe marchione Ottone in Brandemburch (…). Ut hec autem omnia plenarie observentur uterque ducum premissorum in manus marcionis Ottonis avunculi ipsorum, promiserunt adimplere manualiter fide data (…). 10 (…) super separatione et divisione illustrium principum Alberti et Johannis ducum in Brunswich presentibus utriusque consiliariis exstitit placitum. 11 Quinta feria ante dominicam Judica miserunt sortem cumtesseribus dicti duces, quis ex eis bona ipsorum et dominium eque divideret et alter eligeret partem que sibi magis placita videretur. 12 Cecidit itaque sors super ducem Albertum, ut dividere debeat, qui tam dominium quam homines distincte et remote in divisione ab invicem separabat, quod nullus pressuram ab altero patiatur. 13 Brunswich erit dominium speziale et Luneborch aliud per se et ad unum istorumapponetur Tzellis et ad aliud dominium Ghifhorne, et hoc stabit in arbitrio dividentis.
I. Die Zeit bis zum Lüneburger Erbfolgestreit
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Northeim und Ölsburg soll zu Lüneburg gehören.14 Die übrigen Probsteien und Präbenden werden von beiden abwechselnd verliehen, beginnend mit Johann.15 Die Kirchenlehen und weitere Probsteien fallen dem jeweiligen Herrscher zu.16 Ungeteilt soll bleiben die Weserinsel Gieselwerder, Ansprüche auf die Städte Höxter und Hameln, Güter und Ansprüche in Dänemark, die Freien und die Ministerialen außerhalb der Herrschaft sowie die Burg Braunschweig, von der her sie sich beide Fürsten nennen sollen.17 Albrecht soll am 4. Mai auf dem placitum ad altam arborem die Teile vorstellen; falls dieses placitum nicht stattfinde, soll die Teilung in Braunschweig verkündet werden. Danach hat Johann bis zum 26. Mai Zeit, seine Wahl zu treffen.18 Schließlich sollen alle Schulden von jedem Teil gleichermaßen abgetragen werden.19 Diese Fristen wurden nicht eingehalten angesichts der zwischen den Brüdern strittigen Fragen.20 Erst 1269 kam es, wie es die Braunschweiger Reimchronik berichtet,21 auf dem Fürstentag zu Quedlinburg zur Verteilung des Erbes. Johann erhielt Lüneburg, Albrecht Braunschweig. Nach der Teilung – genauer: nach Beendigung des gemeinsamen Regiments 1266 – erscheinen beide Herzöge noch vereinzelt als Aussteller von Urkunden.22 Die Teilung von 1267/69 war grundlegend, sie wirkte nachhaltig. Ihre Produkte, der lüneburgische Zweig des Welfenhauses, das Fürstentum Lüneburg, und die Braunschweiger Linie, das Fürstentum Braunschweig, blieben bei allen Einheitsbestrebungen zu Beginn des 15. Jahrhunderts23 de facto für immer getrennt.
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Sancti Petri in Luttere et sancti Egidii in Brunswich abbatie porrigi debent ab illo, qui Brunswich optinet. Abbatias vero in Luneborch et in Northeim et preposituram in Alsborch conferre debet ille, qui Luneborch optinebit. 15 Ceteras preposituras et prebendas ambo domini duces porrigere debent alternatim. Ita ut dominus dux Johannes preposituram vel prebendam primo vacantem porrigat, et dux Albertus statim vice altera vacans beneficium aliud pro tempore porriget sive prepositura fuerit vel prebenda. 16 Beneficia autem ecclesiarum quilibet in suo dominio conferat cui placet. Similiter preposituras sanctimonialium que ab eis conferri debent, quivis in suo dominio persone ydonee conferat secundum quod ei dominus inspirabit. 17 Insulam Ghyslenwerder et omnem actionem, quam habent ad Huxariam et Hamelen civitates, retinebunt pariter indivisam. Similiter et bona eorum in Dacia et omnem actionem, qui ipsos de Dacia contingere potest habebunt, etiam indivisam. Et liberos insuper ipsorum homines non divident et ministerialis suos ubicunque extra dominium sunt manentes tenebunt etiam indivisos, urbem Brunswich tenebunt ambo et de ea debent principes nominari. 18 Sane dux Albertus habebit tempus dividendi usque in quartem feriam post festum beate Walburgis proximo nunc venturum, ut ipso die in placitis ad altam arborem servandis divisio declaretur et si placitumllud non fierit dicto die in civitate Brunswich debet divisio declarari. Divisione vero declarata dominus Johannes usque in asscensionem domini proximam habebit tempus liberum dividendi ut eodem die vel ante, quam partem eligerit declarabit. 19 Preterea universa debita que tenentur solvere, sive promissa sive sine promisso vel pro quibus ipsorum homines promiserunt debent persolvere equaliter quilibet partem suam. 20 Zu diesen Fragen G. Pischke, Landesteilungen, S. 43 f. 21 S. 566. 22 Übersichten bei E. Mertens, S. 117 f.; H. Kleinau, S. 18. 23 Dazu unten B.III.1.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
b) Die Nachfolge Johanns von Lüneburg 1277 starb Johann. Er wurde allein von seinem Sohn Otto beerbt; ein anderer Sohn wurde Geistlicher.24 Otto, dem der Beiname „der Strenge“ beigelegt wird, übernahm 1282 das Regiment; bis dahin stand er unter Vormundschaft seines Onkels Albrecht.25 c) Die Nachfolge nach dem Tod Albrechts des Großen von Braunschweig – die Teilung von 1291 Weit verwickelter war die Nachfolge Albrechts in dem Braunschweiger Landesteil.26 Albrecht hinterließ bei seinem Tod 1279 sechs Söhne. Unter Führung des Ältesten, Heinrich, dem ein Chronist des 17. Jahrhunderts den Beinamen „Mirabilis“ gab,27 regierten die Söhne zunächst gemeinsam. In den Urkunden erscheint Heinrich als gemeinsam Ausstellender neben den nächstälteren Albrecht und Wilhelm oder als Aussteller im Namen oder unter Zustimmung seiner teils namentlich aufgeführten Brüder, bis 1282 auch seiner Mutter.28 Die drei jüngeren Brüder, Konrad, Lothar und Otto, waren für den Klerikerstand bestimmt. Sie erscheinen als Urkundsaussteller ohnehin selten; Ottos Spur als Nichtgeistlicher verliert sich Mitte der achtziger Jahre; am 1. Juni 1288 erscheinen Lothar und Konrad letztmalig als Urkunds(mit)aussteller.29 Als Albrecht 1286 mündig geworden war, legten Heinrich und er die Gestalt ihrer – zu erhaltenden (ad conservandam fraternae dilectionis unionem) – Gemeinschaft, Albrechts Beteiligung an der Herrschaft, schriftlich nieder.30 Beginnend mit der Vereinbarung, dass die von ihren Gemahlinnen eingebrachten Güter, der jeweilige Brautschatz, gemeinschaftlich besessen werden sollte,31 wurden die Kompetenzen der Brüder gegeneinander abgegrenzt. Näher ausgestaltet waren zunächst die Befugnisse in dem Fall, dass beide sich im Lande aufhielten.32 Im Falle der Abwesenheit eines der Herzöge sollte der Anwesende Verfügungen im Sinne beider treffen. Schon zwei Jahre später aber entfremdeten sich die Brüder. Es herrschte Zwietracht zwischen Heinrich auf der einen und Albrecht und Wilhelm auf der anderen Seite.33 Pischke deutet die Zeichen dieser Trennung dahin, dass „eine Art Vorabteilung“ und 24
H. Sudendorf, Urkundenbuch, Bd. 1, S. XLVII. E. Mertens, S. 118; E. Schubert, Niedersachsen, S. 731. 26 Zur Nachfolge Albrechts vor allem W. Havemann, Bd. 1, S. 403 ff.; H. Kleinau, S. 19 ff.; M. Garzmann, S. 154 ff.; G. Pischke, Landesteilungen, S. 45 ff.; P. Aufgebauer, S. 98 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 712 ff. 27 P. Aufgebauer, S. 107. 28 H. Kleinau, S. 19 f. 29 G. Pischke, Landesteilungen, S. 46 ff.: Urkundsübersicht 1279 bis 1293. 30 OG IV praef., 19 f.; UB Braunschweig IV Nr. 163; J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, 2. 31 (…) bona cum uxoribus nostris nobis data tenere volumus simul communi manu ad lucrum et ad damnum (…). 32 Im Einzelnen dazu unten B.IV.2.b). 33 H. Kleinau, S. 20; M. Garzmann, S. 154 f. 25
I. Die Zeit bis zum Lüneburger Erbfolgestreit
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Einweisung jedenfalls Heinrichs in seinen späteren Herrschaftsbereich stattgefunden habe.34 Zumindest zwei Interessensphären schieden sich 1288. Albrecht und Wilhelm sonderten ihre Erbteile allerdings noch nicht voneinander. Bis in das Jahr 1291 lässt sich ein gemeinschaftliches rechtsgeschäftliches Handeln beider feststellen.35 Insofern bietet die Erbverschreibung Albrechts zu Gunsten Wilhelms vom 25. März 129036 keinen Beleg für eine bereits erfolgte Erbteilung zwischen den beiden Genannten.37 In dieser verfügt Albrecht, dass Wilhelm für den Fall, dass er ohne Kinder und ohne Erben versterbe, percipere debet portionem substantie er hereditatis nostre et quasi propriam hereditatem perpetuo possidere; ausgenommen ist aber das Leibgeding seiner Gemahlin.38 Selbst bei beibehaltener und beizubehaltender Gemeinschaft läuft die Regelung dieser Erbverschreibung nicht leer: Heinrich wird von der Anwachsung Albrechts Erbteils ausgeschlossen. Der Pakt zwischen Albrecht und Wilhelm ist von daher ein weiteres Zeugnis für die Zwistigkeit zwischen diesen beiden auf der einen und Heinrich auf der anderen Seite, die 1291 in der Fehde um Heinrichs Burg Harlingeberg gipfelte. In einem Landfriedensbündnis unter Beteiligung Albrechts und Wilhelms wurde diese Burg belagert, erobert und geschleift. Wann Albrecht und Wilhelm ihre Erbteile auseinandersetzten, ist nicht mit letzter Gewissheit zu klären. Einig ist man sich, dass dies im Jahre 1291 geschah. Pischke39 datiert nach gründlicher Untersuchung der Urkunden die Teilung auf den Februar, Kleinau40 und Garzmann41 hingegen setzen sie auf einen Zeitpunkt nach der Fehde von Harlingeberg, also in den Herbst des Jahres 1291. Im Ergebnis42 der schriftlich nicht fixierten und daher von Verlauf und Zeitpunkt her verschwommenen Auseinandersetzung des Erbes Albrechts I., des Großen, verfügte Wilhelm über das Braunschweiger Land mit dem Papenteich und dem Hasenwinkel, Albrecht über das Göttinger Land und Heinrich über ein Fürstentum, das gemeinhin „Grubenhagen“ genannt wird,43 mit den Burgen und Städten Osterode, Ein34
Landesteilungen, S. 54 f. H. Kleinau, S. 22, der auf die Verwendung eines gemeinschaftlichen Siegels bis 1291 verweist; G. Pischke, S. 54 und Urkundenübersicht, S. 46 ff. 36 Sud. I 117. Eine Gegenerklärung Wilhelms hält H. Kleinau, S. 22, für wahrscheinlich. 37 So auch H. Kleinau, S. 21, unter Hinweis auf ältere Literaturstimmen. Zwar spricht die Urkunde von portionem substantie et hereditatis, die verschrieben wird. Die Verschreibung eines Anteils am Nachlass selbst setzt nach moderner Logik, die Teilung des Nachlasses voraus. Jedoch könnte auch der Anteil an der Gesamthand der Gegenstand der Verschreibung gewesen sein. Dann bedarf es für die Sinngebung keiner vorangegangenen Teilung. 38 Illa parte, que lifghedinge dicitur, quam, consorti nostre karissime, ad tempora vite specialiter assignavimus, duntaxat exclusa. 39 Landesteilungen, S. 56. 40 S. 22. 41 S. 155. 42 Dazu vor allem W. Havemann, Bd. 1, S. 409 f.; H. Kleinau, S. 22 ff.; G. Pischke, Landesteilungen, S. 57. 43 Namensgeberin war die Burg eines Geschlechtes, das in Gestalt Heinrich Grubos, der unter Otto dem Kind und Albrecht als marscalcus ducis erscheint, fassbar ist und dem Albrecht 35
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
beck, Duderstadt und Herzberg. Jeder von ihnen erhielt einen Anteil am Rammelsberger Bergwerk. Die Stadt Braunschweig blieb von der Erbteilung unberührt. Allerdings wurde zumindest die Präbende von St. Blasius dreigeteilt. Nach dem Tod des in den ersten Jahr sines rikes44 verstorbenen Wilhelms entbrannte zwischen Heinrich und Albrecht ein Kampf um dessen Nachlass, insbesondere um die Herrschaft über die Stadt Braunschweig.45 Möglicherweise unter Berufung auf die zu vermutende gegenüber Albrechts Erklärung gegenläufige Erbverschreibung Wilhelms zu Gunsten Albrechts von 1290 konnte dieser 1294 die Stadtherrschaft über Braunschweig an sich bringen. Allerdings gab Heinrich seine Ansprüche auf Braunschweig nicht sogleich auf. Erst 1299 söhnten sich die Brüder aus und schlossen mit der Stadt Braunschweig einen umfangreichen Sühnevertrag.46 In der Folge waren die Teilungsprodukte Fürstentum Braunschweig und Fürstentum Göttingen wieder in einer Hand, Albrechts des Feisten, vereinigt. d) Die Nachfolgeregelung in Grubenhagen nach dem Tod Heinrichs des Wunderlichen Die Nachfolge in die Verlassenschaft Heinrichs des Wunderlichen im Fürstentum Grubenhagen47 erscheint noch verwickelter als jene nach dem Tode seines Vaters Albrechts II. 1279. Heinrich Mirabilis hatte schon zu Lebzeiten Verfügungen zur Behandlung seiner Nachfolge getroffen: 1311 verfügte er, dass sein ältester Sohn Heinrich II. von bestimmten Teilen des Fürstentums ausgeschlossen sein sollte.48 Der Hintergrund dieser Bestimmung erhellt sich 1314, als Heinrich II. ein Landesteil, die Goldene Mark, übertragen wird, demgegenüber das übrige Fürstentum den Brüdern vorbehalten blieb.49 Nach dieser Vorverteilung starb Heinrich der Wunderliche 1322. Von seinen acht Söhnen überlebten ihn vier. Nur der jüngste, Johann, war für den Klerikerstand bestimmt. Gleichwohl erscheint er 1323 und 1324 als Teilhaber an der Landesherrschaft.50 Erst im März 1325 verzichtete Johann gegen Zahlung einer jährlisein durch Felonie verwirktes Lehen genommen hatte, W. Havemann, Bd. 1, S. 404. Als Residenz der welfischen Herzöge ist der Grubenhagen allerdings nicht anzusprechen, ihre Hauptresidenz war zunächst Einbeck, dann Salzderhelden und später für den östlichen Teil des Fürstentums Herzberg, P. Aufgebauer, S. 104 ff., 110 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 718 f., mit einer Bewertung des Heinrich zugefallenen Erbteils als „Kombination von Ertragssparten“. 44 So die Chronik des Stiftes Simon und Judas in Goslar, zitiert nach G. Pischke, Landesteilungen, S. 54. 45 Der Streit zwischen den Herzögen fand eine Entsprechung in der Stadt: Rat und Geschlechter nahmen Partei für Albrecht, die Gilden hingegen für Heinrich, M. Garzmann, S. 156. 46 UB Braunschweig I Nr. 15; zur Sache H. Kleinau, S. 23 ff.; M. Garzmann, S. 156. 47 Zum Folgenden vor allem G. Pischke, Landesteilungen, S. 61 ff.; W. Havemann, Bd. 1, S. 421 ff. 48 Sud. I 221. 49 UB Duderstadt, 14. 50 Am 6. März 1323 verkauften die Herzöge Ernst, Wilhelm und Johann dem Hildesheimer Bischof auf Wiederkauf das Schloss Lutter mit Gericht, Geleit, Zoll, Vogtei und weiterem
I. Die Zeit bis zum Lüneburger Erbfolgestreit
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chen Leibrente auf seinen Anteil am väterlichen Erbe.51 Heinrich, Ernst und Wilhelm, von denen Heinrich ja schon 1314 abgesondert war, vereinigten im Juli 1324 ihr Vermögen, das Erbe sowie das Erworbene und das noch zu Erwerbende, unter Ausschluss des Brautschatzes.52 Nur gut ein Jahr später trafen Heinrich und Wilhelm eine inhaltlich ganz ähnliche Vereinbarung: Wiederum wurde zusammengelegt al unse gut dat we nu hebbet, un dat os to ummer werden mach, sunder brutschat un wat eme an vallen mochte mit sime wive.53 Wahrscheinlich hatte zwischen dem Erbverzicht Johanns im März 1325 und dieser partiellen Erbvereinigung eine Dreiteilung zwischen Heinrich, Ernst und Wilhelm stattgefunden.54 Jedenfalls ist es in der Folgezeit zu keiner Gemeinschaft mehr zwischen Heinrich und Wilhelm einerseits und Ernst andererseits gekommen55 – abgesehen von Verfügungen über Gerechtsame, die trotz Teilung gemeinsam gehalten wurden, nämlich in den Städten Einbeck, Osterode und Duderstadt.56 Die „Zweidrittelgemeinschaft“ zwischen Heinrich und Wilhelm bekam 1331 Risse: Auf Verlangen Heinrichs lockerten die Brüder die gegenseitigen Verfügungsbeschränkungen. Die Gemeinschaft sollte zwar fortbestehen, jeder sollte aber ohne Absprache mit dem anderen das Schloss Herzberg verpfänden oder sogar verkaufen dürfen; gleiches galt für die Veräußerung anderen gemeinsam gehaltenen Besitzes.57 Heinrich machte 1334 von dieser Verfügungsfreiheit reichlich Gebrauch:58 Er verpfändete den größten Teil seines Besitzes, die Hälfte der Burg Gieboldehausen, die halbe Stadt Duderstadt mit dem halben Gericht und die Hälfte des Gerichts zu Bernshausen, an das Erzstift Mainz. Die Wiedereinlösung behielt er sich, seiner Gemahlin und seinem Bruder Wilhelm vor.59 Eine Neuordnung erfuhr die Gemeinschaft an Herzberg 1337: Wilhelm verkaufte seinen Anteil an dieser Burg an Heinrich, der sich überdies verpflichtete, ihm beim Bau eines neuen Schlosses auf dem Kalkberg oder in dem dazu gehörigen Gericht zu helfen. Zugleich wurde aber der Riss der Gemeinschaft von 1331 gekittet: Über die nunmehr zwei Schlösser, Herzberg und das Zubehör, die Grafschaft Westerhof, das Gericht zu Berka und weitere Stücke, Sud. I 374; diesem Verkauf trat Heinrich am 31. Dezember 1325 weitgehend bei, Sud. I 409. Am 20. Mai 1323 stellten alle vier Herzöge, Heinrich, Wilhelm, Ernst und Johann, der Stadt Braunschweig einen Huldebrief aus, UB Braunschweig I, 25. Und am 22. Juli 1324 bestätigten alle vier Brüder der Stadt Osterode ihre Stadtrechte, G. Max, UB Nr. 43. 51 UB Duderstadt, 36; Sud. I 403. 52 UB Duderstadt, 31. 53 29. September 1325, Sud. I 408; UB Duderstadt, 37. 54 G. Pischke, Landesteilungen, S. 62, geht sicher von einer solchen Teilung aus; allerdings ist diese nicht zwingend aus dem Vertrag vom 29. September 1325 zu schließen. Für diesen sind auch andere Hintergründe zumindest denkbar: Etwa ein bewusster Ausschluss Ernsts aus der Gemeinschaft oder eine – eben nur partielle – Bestärkung der Vereinbarung von 1324. 55 H. Sudendorf, Urkundenbuch, Bd. 1, S. XXVII; G. Pischke, Landesteilungen, S. 63. 56 Zu diesen Verfügungen G. Pischke, Landesteilungen, S. 62. 57 Sud. I 520. 58 Sud. I 572. 59 Zu einer Wiedereinlösung kam es allerdings weithin nicht. 1342 verkaufte Heinrich die verpfändeten Stücke an das Mainzer Erzstift, Sud. II 6.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
auf dem Kalkberg zu errichtende, sollte nur mit gegenseitiger Zustimmung verfügt werden können.60 Zwei Schlösser in einem Bezirk, das bedeutet Teilung des Bezirks. Unter demselben Datum wie die Vereinbarung über den Schlossneubau verabredeten Wilhelm und Heinrich die Teilung der Herzberger Börde.61 Damit war die Auseinandersetzung des Nachlasses Heinrichs des Wunderlichen – und der hinzugekommenen Gerechtsamen – unter seinen weltlichen Söhnen abgeschlossen. Nach der Tiefe der Teilung lässt sich die Erbauseinandersetzung am ehesten wohl als Nutzungsteilung ansprechen. Ihre Teilungsprodukte sind sicherlich keine Fürstentümer. Im Übrigen erledigte sich die Teilung schon in derselben Generation wieder. Heinrichs kärglicher Rest wurde offenbar von seinen Söhnen als Erbe verschmäht.62 Wilhelm blieb unverheiratet, so dass sich das durch Heinrichs II. Aktivitäten erheblich reduzierte Fürstentum Grubenhagen nach dem Tode Ernsts 1361 in toto auf dessen Söhne Albrecht und Johann vererbte.
e) Die Nachfolge nach Albrecht II. von (Göttingen-)Braunschweig bis zur Teilung von 1345 Die Herrschaft über die in der Hand Albrechts des Feisten wieder vereinigten Fürstentümer Braunschweig und Göttingen führte nach dessen Tod 1318 sein ältester Sohn Otto, der in Abgrenzung zu seinem gleichnamigen Vetter in Lüneburg den Beinamen „der Milde“ trägt, auch im Namen seiner Brüder Magnus und Ernst.63 Die weiteren Söhne Albrechts, Heinrich und Albrecht, waren Bischöfe geworden; der eine 1331 von Hildesheim, der andere 1324 von Halberstadt.64 Als Otto 1344 söhnelos starb, verwalteten seine weltlichen Brüder die Länder zunächst gemeinschaftlich, bevor sie dann 1345 zur Teilung schritten. Diese Scheidung der Fürstentümer Braunschweig und Göttingen war vorgezeichnet. Das Land um Braunschweig und das Land Oberwald, so wird das Land jenseits von Harz und Solling in den Quellen zumeist bezeichnet, bildeten mitnichten eine geografische Einheit. Topografisch schob sich der Harz, politisch das Bistum Hildesheim zwischen diese schon eine Generation zuvor etwa 1291 gesonderten Herrschaften. Und so gesondert wurden sie auch vor 1345 behandelt: Schon das erste Lehnsverzeichnis der Herzöge von Braunschweig, das Lehnbuch Ottos des Milden, das dieser wohl anlässlich der nach dem Tod Albrechts des Feisten notwendigen Neubelehnung der Vasallen 1318 anlegen ließ, trennt erkennbar die Lehen im Umland Braunschweigs von denjenigen des Landes Oberwald.65 Für dieses Land ist zudem ein eigener Lehnstag zumindest denkbar.66 60
Sud. I 608. Sud. I 609. 62 G. Pischke, Landesteilungen, S. 64. 63 Zur Nachfolge nach Albrecht dem Feisten vor allem G. Pischke, Landesteilungen, S. 75 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 724 ff. 64 H. Sudendorf, Urkundenbuch, Bd. 2, S. VII. 65 Sud. I 303; grundlegend zu den Lehnbüchern der Herzöge von Braunschweig von 1318 und 1344/65: B. Flentje/F. Henrichvark. 61
I. Die Zeit bis zum Lüneburger Erbfolgestreit
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Im Lehnbuch von 1344 fehlen die Lehen aus dem Bereich Oberwald fast völlig – ein Befund, der vielfach als Indiz dafür gewertet wird, dass die Brüder schon unmittelbar nach dem Tod Ottos das Patrimonium auseinandersetzen wollten.67 Über die auf einem ding in Hannoversch Münden am 17. April 1345 getroffenen Vereinbarungen zur Erbteilung geben zwei Urkunden Auskunft.68 Dabei handelt es sich – erstmals in der Geschichte welfischer Erbteilungen – um die eigentlichen Teilungsrezesse. Der eine Rezess weist Ernst, der andere Magnus als Aussteller aus. Inhaltlich gleichen sie sich im Übrigen fast wörtlich. Jeweils in den von ihnen ausgestellten Urkunden geben die Brüder bekannt, dass sie unse land unde unse erve, dat we wente an desse tyd mideynander gehehat unde beseten hebbet, delet unde gedelet hebbet, und zwar in der Weise, dass Magnus unde sine rechten erven dat land dar Bruneswich inne lyd dat anstan scal an deme dorpe to Haghehusen dat af yene sit dem Barenberghe gehe legen is erhalten soll. Ernst und seine rechten Erben hingegen sollen bekommen dat land over wold dar gotingen inne lit dat an stan scal an deme dorpe to haghehusen dat af desse sid deme baren berghe gehe legen is. Ihre Erbteile sollen beide Parteien beholden unde besitten ane allerleye ansprake der jeweils anderen Seite und ihrer Erben, und zwar mid borghen, mid steeden, mid dorpen, mid voghedye, mit gehe richte, mid tolle, mid gehe leyde, mid Closteren, mid moneke houen mid alleme erve unde gude, sei es verlehnt oder unverlehnt, mid lenen, seien sie geistlich oder weltlich, unde mid alleme rechte, seien sie ledig oder versetzt. Gemeinsam soll besessen und behalten werden allet dat we in der stad Bruneswich an geheystlikeme unde an werlikeme lene, an voghedye, an erve, an gude eder an ghulde, id si ledich eder vor sat mid eynander hadden unde noch entsamet hebben. Ausgenommen von dieser Gemeinschaft bleibt jedoch ein Hof in der Burg Braunschweig, dar de Hoghe grafhof ane lyt; den sollen Magnus und seine Erben allein behalten. Wenn sich aber Ernst oder seine Erben einen Hof in der Burg oder up anderer unser vriheyt kaufen sollte, soll dies auch Wille Magnus und seiner Erben sein, und Ernst soll den Hof durch Magnus und seine Erben ungestört benutzen können. In Gemeinschaft verbleiben und verlehnt werden sollen auch die Lehen in Braunschweig, seien es die Präbenden in St. Blasius, in der Burg gelegen, oder in St. Cyriakus, vor der Stadt gelegen, oder die Altäre und Vikarien beider Stifte oder seien es die weltlichen Lehen innerhalb der Stadt. Von dieser Gemeinschaft nicht erfasst und daher an Magnus verwiesen werden die Pfarreien und Kirchen in der Stadt Braunschweig und die geistlichen Lehen außerhalb der Stadt in dem Lande Braunschweig, die verlehnt sind. Ebenso erhält Magnus alle Klöster innerhalb und außerhalb der Stadt im Lande Braunschweig. Wiederum gemeinsam soll gehalten werden das Moshus in der Burg Braunschweig und die Kemenate zwischen Moshus und St. Blasius. Wenn einer der Herzöge oder seine Erben für das Moshus penninghe vor buwede und der andere und seine Erben das Moshus auch gebrauchen wollen, so müssen diese jenen ihre Aufwendungen zur Hälfte 66 67 68
Dies., S. 106. Ebd., S. 17; G. Pischke, Landesteilungen, S. 75. Sud. II 104 (beide Urkunden).
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
erstatten. Wenn der Tempelhof zu Braunschweig, den Otto von Lüneburg innehat, ledig werden sollte, sollen ihn beide Seiten gemeinsam besitzen. Sollte einer der Brüder von dem anderen versetzte Rechte oder Güter auslösen, sollen der andere und seine Erben dem zustimmen; sie haben Anspruch auf die Hälfte des Ausgelösten. Es werden einzelne, namentlich benannte, bisher gemeinsam belehnte Lehnsmänner Ernst und Magnus allein zugewiesen. Gemeinschaftlich erhalten und verlehnt werden soll das – verlehnte – Gut, dat buten unser herscap unde gehe richte gehe legen ist, dat Greven, Vryen, Riddere unde knechte unde ok andere lude de buten unser herscap under andere vorsten unde herren gehe seten sint to lene hebbet. Schließlich verbleibt es bei einer Gemeinschaft an den Hofämtern, den des Marschalls, des Drosten, des Schenks und des Kämmerers. Das Prozedere der Teilung geben die Urkunden vom 17. April 1345 nicht wieder. Anders als 1267 ist von daher insbesondere nicht erkennbar, wer geteilt und wer gewählt hat. Jedenfalls waren die Portionen der Teilung alles andere als gleichwertig. Inhalt und Umfang der beiden „neuen“ Fürstentümer lässt sich anhand der beiden Lehnbücher von 1318 und 1344 ermitteln. Danach ist der Magnus zugefallene Braunschweiger Teil etwa drei- bis viermal größer als das Land Oberwald,69 dessen Substanz bereits durch die zahlreichen Verkäufe Albrechts II. erheblich gelitten hatte.70 Schubert bewertet das Auseinandersetzungsergebnis aus Ernsts Sicht daher nicht unzutreffend als „im Grunde eine Abfindung darstellend“.71 Kurz nach dieser Teilungsvereinbarung am 25. April 1345 vollzogen die Brüder die Abreden. Auf einer Zusammenkunft in Wolfenbüttel an diesem Tag entließ Magnus die Herren, Ritter, Knechte, Bürger und Bauern, de af yene sit des dorpes to Haghehosen in deme lande overwolt dar Gotingen inne lit under deme… Hertoghen Erneste beseten sint un von lenes weghene der herscap man sin, aus ihren von manscap un von lenes weghene geleisteten Eiden und überwies sie Ernst.72 Auch Rat und Bürger der Städte Göttingen, Northeim, Münden, Uslar und Dransfeld entband Magnus der edhe, lovede, huldeginge de gy un iuwe borghere ihm und seinen Erben geleistet hatten, und verwies sie an seinen Bruder Ernst.73 Gleiches tat Ernst zu Gunsten Magnus mit der Mannschaft und den Lehnsträgern im Lande Braunschweig mit Ausnahme der Bürger der Stadt Braunschweig und der von ihnen gehaltenen Lehen.74 Die Erbauseinandersetzung zwischen Ernst und Magnus wurde kurz nach dem Teilungsvollzug am 4. und 5. Mai 1345 mit einer gegenseitigen Erbverschreibung ab69
B. Flentje/F. Henrichvark, S. 109 ff. Zu den Verkäufen Albrechts II. R. Gresky, S. 106. 71 Niedersachsen, S. 725. 72 Sud. II 107. 73 Sud. II 108 und 109. 74 Sud. II 110; in dieser Urkunde wird abweichend vom sonstigen Sprachgebrauch das Braunschweiger, nicht das Göttinger Land als land overwolt bezeichnet. Dass Braunschweig gemeint ist, wird aber an dem Zusatz dar Brunswig inne lidt deutlich; vgl. dazu auch G. Pischke, Landesteilungen, S. 250 Anm. 447. 70
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geschlossen: Für den Fall des erbenlosen Todes scolde de andere sin land un sin gud dat ome von sineme vederliken erve an gehe vallen were besitten un beholden mid aller ghulde un mid alleme rechte also he dat gehe had un beseten hedde.75 f) Die Nachfolge Ottos des Strengen von Lüneburg Im 1269 abgeteilten Fürstentum Lüneburg traf Otto der Strenge schon zu Lebzeiten, am 28. November 1315, eine Regelung seiner Nachfolge.76 Mit wiszap seiner Gemahlin Mechthild, Zustimmung seiner Erben und Rat seiner truwen manne bestimmt er, dass unter seinen Söhnen lediglich Otto und Wilhelm nicht dem geistlichen Stand beitreten sollten.77 Otto überlässt er alle seine Schlösser, dat he dhe hebben un vostan scal, dhe wille dat we leuen, mit Ausnahme von Lüneburg, Winsen und Celle. Diese Schlösser darf er auch, wenn es notwendig sein sollte, verpfänden. Zudem gibt er ihm die Bede zu Lüneburg und die Hälfte des dortigen Wagenzolles, wenn dieser leddich wert van hern Segheb van Halremunt. Nach seinem Tod soll Otto, der Sohn, alle dhe slot dhe we eme laten hebbet to dele bringhen Sineme brodere willhelme mit allen anderen unsen sloten. Die Schulden, die Otto auf die ihm überlassenen Schlösser aufgenommen haben wird in der thit, dat we eme dhe Slot laten un beuolen hebbet, soll Wilhelm dann zur Hälfte mittragen. Einerseits wurde dem Willen des Vaters – auch durch ihn selbst – entsprochen: 1318 wurde die Versorgung der geistlichen Söhne Johann und Ludwig geregelt, die von den Eltern und Brüdern bis zum Tod der beiden oder bis zum Erwerb eines Bischofssitzes zu tragen war.78 Andererseits beschritten die weltlichen Brüder Otto und Wilhelm den von ihrem Vater aufgezeigten Weg nicht: die Menge der Schlösser Ottos, des Strengen, blieb nach seinem Tod ungeteilt.79 Seine Söhne führten die Regierung auch nach dem Tod des Vaters, vor dem 1. Mai 1330, gemeinsam fort bis zum Tod des jüngeren Ottos 1352.80 Otto starb, ohne Söhne zu hinterlassen. Auch Wilhelm waren aus vier Ehen zwei Töchter, aber kein Sohn geboren. In dieser biologischen, familiären Konstellation zeichnete sich bereits ab, dass nach Wilhelms Tod sich die Nachfolge im Fürstentum Lüneburg nicht ohne Konflikte vollziehen würde. 75
Sud. II 114 (beide Urkunden). Sud. I 279. Kurz zuvor, am 2. August 1315, war Otto von König Ludwig mit den Reichslehen belehnt worden, Sud. I 268. E. Schubert, Niedersachsen, S. 730 ff., bezeichnet Otto den Strengen als den „eigentlichen Gründer des Fürstentums Lüneburg“, und zwar nicht in Anbetracht seiner vielen, aber folgenlosen Fehden, sondern im Hinblick auf seine vielen Gebietserwerbungen. 77 Otto war der zweitälteste, Wilhelm der jüngste Sohn Ottos des Strengen. Otto nahm schon seit 1314 an den Regierungsgeschäften teil, G. Pischke, Landesteilungen, S. 252 Anm. 455. 78 Sud. I 305. 79 Zur Frage, inwieweit Otto 1315 eine Teilung seines Nachlasses bestimmt hat, siehe unten A.I.2. 80 Zwischen 1315 und 1330 erscheint Wilhelm nur zusammen mit dem jüngeren Otto oder mit Otto dem Strengen als Urkundsaussteller. 76
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Dieser dann tatsächlich 1369, als Wilhelm starb, entbrannte Streit, der Lüneburger Erbfolgekrieg, ist als eine Phase beschleunigter Entwicklung der die Sukzessionsbehandlung bestimmenden Faktoren, gleichsam als Prüfstein wie auch Kulminationspunkt der bisher geübten welfischen Sukzessionspraxis in einem gesonderten, sich diesem anschließenden, Kapitel zu behandeln. Zuvor jedoch soll nach den Prinzipien, den Gemeinsamkeiten der Nachfolgeregelungen im Welfenhaus in den ersten gut einhundert Jahren nach der Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg gefragt werden:
2. Prinzipien der Nachfolge- und Nachlassregelung in dieser Zeit Innerhalb der ersten vier Generationen seit Belehnung Ottos des Kindes mit dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, beginnend mit dem Tod dieses ersten Herzogs und abschließend mit dem Abgang der weltlichen Söhne seiner Enkel Heinrich Mirabilis, Albrechts II. und Ottos des Strengen, jedoch unter Ausschluss der bisher nicht erörterten Nachfolge Ernsts von Göttingen, gestorben 1367, Magnus von Braunschweig und Wilhelms von Lüneburg, beide 1369 gestorben, gab es dreizehn Erbfälle unter den Regenten im Welfenhaus.81 In sechs Fällen davon verstarb ein an der Herrschaft Beteiligter, ohne Söhne zu hinterlassen: Wilhelm, dem wohl im Jahre 1291 Braunschweig zugefallen war, sowie die Herzöge von Grubenhagen Heinrich II. und Wilhelm starben nach vollzogener Teilung des väterlichen Erbes. Otto, der Sohn Albrechts II. von Göttingen und – nach 1292 – auch von Braunschweig, sowie Otto, der Sohn Ottos des Strengen von Lüneburg, starben in ungeteilter Erbengemeinschaft mit ihren Brüdern. Einen Sonderfall nimmt hier Johann von Grubenhagen ein; er hat vereinzelt am Landesregiment teilgenommen, bevor er durch Beitritt in den Klerikerstand und Erbverzicht aus der Erbengemeinschaft ausschied. In diesen Fällen söhnelosen Todes wuchs der abgeteilte Nachlassanteil oder der Anteil an der ungeteilten Erbschaft den Brüdern zu. In einem Fall allerdings, in dem es eine besondere Regelung gegeben hatte, folgte nur ein Bruder in den abgeteilten brüderlichen Nachlass: Nach 1292 vermochte sich Albrecht II. Wilhelms Erbteil, die Braunschweiger Lande, wohl auf Grund der Verabredung von 1290, allein zu sichern und seinen Bruder, den Grubenhagener Heinrich, von der Erbfolge insoweit auszuschließen. Diese Verschlankungen von ungeteilten oder auch geteilten Erbengemeinschaften, diese Anwachsungen von verwaisten Nachlässen an die bestehende oder aufgehobene Nachlassgemeinschaft vollzogen sich offenbar gleichsam von selbst;82 sie be81
Otto d. K. (†1252), Johann von Lüneburg (†1277), Albrecht I. von Braunschweig (†1279), Wilhelm von Braunschweig (†1292), Albrecht II. von Göttingen (†1318), Heinrich I. Mirabilis von Grubenhagen (†1322), Otto der Strenge von Lüneburg (†1330), Heinrich II. (†1351), Ernst (†1361), Wilhelm (†1360), Johann (†1367), alle von Grubenhagen, Otto von Braunschweig und Göttingen (†1344) und Otto von Lüneburg (†1352). Eine gute Übersicht über die Sukzessionen bietet G. Pischke, Landesteilungen, S. 11; auch abgedruckt bei E. Schubert, Niedersachsen, S. 711, und ergänzt um eine Übersicht über die welfischen Linien im Spätmittelalter (713). 82 Vgl. dazu Ssp. Ldr. I 5 § 1, Ldr. I 17 § 1.
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durften augenscheinlich keiner besonderen Absprache und finden – entsprechend – keinen Widerhall in den Quellen. Sie sind hier ebenso wenig zu vertiefen, wie die Fälle der „natürlichen“ Singularsukzession: dem Vater folgte der einzige – weltliche – Sohn. So wurde Johann von Lüneburg 1277 von Otto dem Strengen und Ernst von Grubenhagen unter Einschluss der Erbanteile seiner Brüder 1361 beerbt. Fälle, in denen ein Regent starb, ohne dass er einen Sohn hinterließ und zugleich nicht von zumindest einem Bruder überlebt wurde, hat es vor dem Tod Wilhelms von Lüneburgs 1369 im Geschlecht der Welfen nicht gegeben. In den danach verbleibenden fünf Sukzessionsfällen83 lassen sich folgende Behandlungsmuster feststellen: - Lebzeitige Bestimmungen des Erblassers: Zwei welfische Regenten trafen schon zu Lebzeiten Verfügungen, die einen Bezug zu ihrer Nachfolge erkennen lassen, aber letztlich, jedenfalls diejenige von 1315, keine Erbfolgeregelung darstellen. Heinrich Mirabilis schloss 1311 seinen Sohn Heinrich von bestimmten Teilen des Fürstentums aus, übertrug ihm dafür jedoch 1314, ebenfalls noch zu seinen Lebzeiten, die Goldene Mark um Duderstadt. Diese Verfügung hatte aber nur kurzen Bestand nach dem Tod des Wunderlichen im Jahre 1322. Schon 1324 fügten seine weltlichen Söhne die Bestandteile des Erbes wieder zu einem Ganzen. - Fast zur selben Zeit wie sein Grubenhagener Vetter, 1315, verfügte Otto der Strenge von Lüneburg, dass nur zwei seiner Söhne im weltlichen Stand verbleiben sollten. Dem einen von beiden, Otto, übertrug er einige seiner Schlösser. Diese scolde Otto mit allen übrigen Schlössern des Vaters nach dessen Tod to dele bringhen Sineme brodere wilhelme. Vom Wortlaut her scheint diese Anordnung eindeutig zu sein: Otto trifft eine Anordnung zur Behandlung seines Nachlasses; er fordert seine Söhne zu dessen hälftiger Teilung auf. Aus dem Umstand aber, dass Otto nach der Wortwahl der Urkunde nicht die Teilung der Herrschaft, sondern nur der Schlösser Otto, dem Sohn, aufgetragen hat, folgert Havemann,84 Otto habe eigentlich seinen Söhnen die Weisung gegeben, gemeinsam zu regieren. Pischke hingegen erwägt, dass Otto, der Sohn, eine Nutzungsteilung habe vornehmen sollen, bei der Wilhelm die Wahl zustehen sollte.85 Diesen Erwägungen ist zunächst die Möglichkeit entgegen zu halten, dass die Summe der Schlösser für die Herrschaft steht. Danach erschiene die Distinktion zwischen herscap einerseits und alle slote andererseits zu spitzfindig. Allerdings ist im Sprachgebrauch der Hausverträge des 14. Jahrhunderts eine Differenzierung von Herrschaft und Schlössern üblich: der Teilungsoder Vereinigungsgegenstand wird regelmäßig zunächst mit dem Oberbegriff herscap (unde lande) to … und dann gleichsam erläuternd mid slote unde mid 83
Das sind die Regelungen nach dem Tod Ottos des Kindes 1252, Albrechts I. von Braunschweig 1279, Albrechts II. von Braunschweig-Göttingen 1318, Heinrichs I. von Grubenhagen 1322 und Ottos des Strengen von Lüneburg 1330. 84 Bd. 1, S. 462. 85 Landesteilungen, S. 86.
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… beschrieben.86 Verständlich wird die – vermeintliche – Teilungsanordnung Ottos, wenn man von der Hauptverfügung der Urkunde ausgeht, nämlich der Übertragung eines großen Teils der Schlösser auf Otto den Jüngeren zu Lebzeiten Ottos des Strengen. Der Vater traf damit eine Verfügung zur Absonderung seines Sohnes Otto – ebenso gut eine Verfügung zur Aufnahme des Sohnes in die Regentschaft. Zieht man nun die Sachsenspiegelstelle von abgesunderden kinderen heran,87 wird deutlich, dass er zur Behandlung seines Nachlasses – sieht man von der Bestimmung, dass nur zwei seiner Söhne im weltlichen Stand verbleiben sollen, einmal ab – keine, jedenfalls keine über eine gewisse Präjudizierung zu Gunsten einer Regentschaft Ottos hinausgehende Anordnung treffen wollte. Es sollte weder eine gemeinsame Regierung seiner weltlichen Söhne noch eine Nutzungsteilung zwischen ihnen bestimmt werden. Die Absonderung ist nach dem Landrecht des Sachsenspiegels keine vorweggenommene Erbfolgeregelung. Der abgesonderte Abkömmling verliert, so lange er nicht auf seinen Erbteil verzichtet hat, seine Erbansprüche nicht. Unter Einbringung des abgesonderten Gutes nimmt er an der Erbauseinandersetzung gleichberechtigt teil. Für diese Parallele zur Absonderung nach „allgemeinem“ Landrecht mag auch die in ihrer Zielsetzung schwer erklärliche Verpflichtung Ottos des Strengen sprechen: we Scullet ok unse sone Otten un Sin wif in unser kost beholden. Denn auch Eike bindet die Frage nach der Führung eines eigenständigen Haushalts des Abgesonderten in seine Regelung mit ein, wenngleich er letztlich daran ausdrücklich keine Rechtsfolgen knüpft: si zweien sich mit der kost adir en ton. Ebenso „passt“ die Verfügung des Grubenhagener Heinrichs von 1314 sowie die Wiedereinfügung des ausgesonderten Gutes 1324 nach dem Tod Heinrichs zur erbrechtlichen Behandlung der Absonderung von Kindern, wie sie Eike im Landrecht des Sachsenspiegels darstellt. Beide Herzöge verfügten also nicht über ihre Nachfolge und die Behandlung ihres Nachlasses. Auch die Verfügung Ottos ist keinesfalls als Testament oder Teilungsanordnung anzusprechen. Sie nahmen Absonderungen vor, die unmittelbar nur lebzeitige Auswirkungen hatten. Nachfolgerelevant war aber die Verfügung Ottos, dass nur zwei seiner Söhne nicht dem geistlichen Stande beitreten sollten. Gleichwohl vermag die von den Eltern vorgenommene Absonderung, die Zielrichtung für die Erbauseinandersetzung aufzuzeigen. In der urkundlich nicht überlieferten, wahrscheinlich zwischen März und September 1325 vollzogenen Dreiteilung des Erbes des Wunderlichen unter seinen weltlichen Söhnen ist die Goldene
86
Vgl. nur Sud. I 365 (1322), II 104, 114 (1345), II 507 (1355), III 381 (1368), IV 17 (1370); wenn in der Urkunde zur Zusammenlegung der Erbteile Wilhelms und Heinrichs von Grubenhagen 1325 (Sud. I 408) der Ausdruck herscap oder lande nicht erscheint, ist dies darauf zurückzuführen, dass innerhalb eines „Landes“, einer Herrschaft, nämlich Grubenhagens diese Vereinigung erfolgte. 87 Ssp. Ldr. I 13 § 3 1 und 2.
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Mark, das Absonderungsgut, Heinrich II. verblieben oder, stellt man auf die Vereinigung von 1324 ab, wieder zugefallen.88 - Töchter erben nicht: Sie sind an Herrschaft und Nachlass nicht beteiligt. Sie erben weder Güter noch Substrate der Herrschaftsrechte, wenngleich es bis in die frühe Neuzeit hinein Zeugnisse dafür gibt, dass die Vorstellung eines grundsätzlich auch Töchtern zukommenden Erbrechts nicht gänzlich aufgegeben worden ist – jedenfalls für den Fall, dass der Vater nur Töchter hinterließ.89 Auch werden sie, anders als ihre sächsischen Vorfahrinnen, bei ihrer Vermählung nicht mit Bestandteilen des väterlichen Patrimoniums ausgestattet. Vielmehr wurde der Brautschatz in einer Geldzahlung entrichtet.90 Das Otto dem Kind und seinen Nachkommen dem Wortlaut der Urkunde von 1235 eingeräumte Recht der Erblichkeit des übertragenen Lehens auf die Söhne und Töchter wurde von den Welfen nicht voll ausgeschöpft. Dabei ist allerdings in Anbetracht dessen, dass weibliche Regenten und eben auch königliche Vasallinnen für die Zeit des Spätmittelalters allerwenigstens ungewöhnlich gewesen wären, die Annahme nicht fern liegend, die vom Kaiser 1235 verbriefte Vererbbarkeit auf die Töchter eher als eine Befugnis, das Lehen auch in weiblicher Linie, aber eben auf einen männlichen Nachkommen weiterzureichen, zu verstehen. - Bestimmung von Söhnen für den geistlichen Stand: Immer, nicht nur in den fünf näher zu betrachtenden Sukzessionsfällen, wurden ein oder mehrere Söhne für den Klerikerstand bestimmt. Zwei der vier Söhne Ottos des Kindes, auch einer der zwei Söhne Johanns von Lüneburg, drei der sechs Söhne Albrechts I. von Braunschweig, zwei von fünf Söhnen Albrechts II. von Göttingen und Braunschweig, einer von vier den Vater überlebenden Söhnen Heinrichs des Wunderlichen von Grubenhagen, zwei der vier Söhne Ottos des Strengen – sie alle wurden Geistliche und verzichteten auf ihren Erbanteil. Diesen notwendigen Verzicht – der Beitritt zum Klerikerstand allein zog nach dem Landrecht des Sachsenspiegels, sofern nicht das Mönchstum gewählt wurde, keinen Verlust des Erbrechts nach sich –91 ließen sich die angehenden Bischöfe, soweit überliefert, durch eine gehörige Abfindung entgelten.92 88
Heinrich veräußerte die Goldene Mark, nach Verpfändung 1334, 1342 endgültig an das Erzstift Mainz. 89 Otto der Strenge von Lüneburg verpflichtete sich 1288 bei der Hochzeit mit Mechthild, der Tochter des Wittelsbacher Pfalzgrafen Ludwigs II. und Enkelin König Rudolfs von Habsburg, dass seine Gemahlin Verzicht leisten werde auf das väterliche und mütterliche Erbe; im Falle des kinderlosen Todes ihrer Brüder werde sie indes gleiche Teilung mit ihren Schwestern beanspruchen. Siehe dazu auch die hausrechtlichen Regelungen von 1394 (unter B.III.1, bei Anm. 3) und besonders deutlich: 1481 [B.III.2.b)] und auch Akzidenzvertrag vom 10. Dezember 1636 [B.V.3.c)]. 90 Vgl. Übersicht bei R. Gresky, S. 21 f. 91 Ssp. Ldr. I 5 § 3, I 25. 92 Dazu unter A.I.3.b) Anm. 191 ff.
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- Auseinandersetzung als Ziel der Erbengemeinschaft: Mit einer Ausnahme strebten alle Erbengemeinschaften in dem bisher betrachteten Zeitraum auf die Teilung zu, welche Ausgestaltung diese auch immer erfahren mochte. Nur die Beteiligten am Nachlass Ottos des Strengen, Otto und Wilhelm von Lüneburg, setzten sich nach 1330 nicht auseinander. Allerdings schritt keine Erbengemeinschaft unmittelbar nach dem Tod des Vaters zur Teilung. Keine welfische Gemeinschaft erreichte zwar bis zur Teilung die vielfach zitierte Dauerhaftigkeit der gemeinsamen Regentschaft zwischen den askanischen Fürsten Johann I. und Otto II. in der Mark Brandenburg, die 30 Jahre währte.93 Jedoch regierten auch die Erbengemeinschaften im Welfenhaus jeweils über mehrere Jahre hinweg gemeinsam: nach dem Tod Ottos des Kindes über 15 bzw. 17 Jahre, nach dem Tod Albrechts I. mindestens über neun Jahre, bis zur endgültigen Teilung sogar über zwölf Jahre, nach dem Tod Heinrichs des Wunderlichen zumindest über drei Jahre und nach dem Tod Albrechts II., des Feisten, über 17 Jahre, wenngleich in diesem letztgenannten Fall die Gemeinschaft sehr bald nach dem Tod ihres Führenden, Otto des Milden, aufgelöst wurde. Neben der Langwierigkeit sind im Auseinandersetzungsprozess auch fehlende Geradlinigkeit, verharrende, ja retardierende Momente zu beobachten. Der Weg zur Teilung wird unterbrochen durch Vereinigungen, Wiedervereinigungen, teils auch durch partielle Gemeinschaftsbildungen: 1286 stimmten Heinrich und Albrecht, die Söhne Albrechts I., die Kompetenzen einer Mitregentschaft des mündig gewordenen Albrechts miteinander ab. Einbezogen in diese Verabredung war aber auch ein Mehr an Gemeinschaft, eine Ausdehnung der bestehenden Gütergemeinschaft auf beider Herzöge Brautschatz. 1324 machten die Grubenhagener Brüder Heinrich, Wilhelm und Ernst die Absonderung Heinrichs von 1314 unter Ausschluss des zum Kleriker bestimmten Bruders Johann rückgängig. Nur ein Jahr später begründeten Wilhelm und Heinrich eine Teilgemeinschaft, nachdem es offenbar kurz zuvor eine Dreiteilung, welcher Ausgestaltung auch immer diese gewesen sein mag, gegeben hatte. Letztlich lösten sich die Gemeinschaften, die originären Erbengemeinschaften, wie auch die teils partiellen, besonders verabredeten, auf. Grund und Anlass der Teilungen lassen sich vielfach nicht mehr im Einzelnen erhellen. 1267 dürften die Eheschließungen der Paktierenden, wie auch 1202 diejenige Wilhelms von Lüneburg, Anlass zur Teilung gewesen sein. Aber auch bei dieser Teilung dürften ebenso Meinungsverschiedenheiten der Brüder ihren Anteil am aufkommenden Teilungsinteresse gehabt haben. Albrechts auswärtige und kostspielige Interessen beunruhigten Johann. Nicht näher zu bestimmende Zwietracht waren 1288/91, nach 1322 und 1345 maßgeblich für das Ende der Gemeinschaften. - Erhalt eines Gemeinschaftsgutes: Soweit wir über die Erbauseinandersetzung, die Teilung, urkundlich unterrichtet sind, enthält dieser Teilungsrezess die Abrede eines Gemeinschaftserhaltes an be93
G. Pischke, Landesteilungen, S. 35; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 23.
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stimmten Rechtstiteln, allen voran in der Stadt Braunschweig. 1267 war es die urbs, 1345 dann die geistlichen und weltlichen Lehen, Vogteien, Erbe und Gut in der Stadt. Für die urkundlich nicht überlieferte Teilung 1288/91 vermutet Pischke, dass Duderstadt in gemeinsamem Besitz verbleiben sollte.94 Und bei der Auseinandersetzung des Erbes Heinrichs des Wunderlichen im Fürstentum Grubenhagen dürften auch einige Gerechtsame Gemeinschaftsgut geblieben sein.95 - Erbverschreibungen: Die Abfolge der Teilungen in der Sukzessionsgeschichte der Welfen wird immer wieder unterbrochen von offensichtlichen Gegenmaßnahmen: Damit dem Haus Vermögen nicht gänzlich verloren gehe, verschrieben sich seine einzelnen Zweige untereinander ihr Erbe für den Fall, dass der – letzte – Repräsentant des Zweiges erbenlos versterbe; so 1290, 1292, 1322, 1345. Im Folgenden sollen diese Behandlungsmuster, die Prinzipien der Sukzessionsbehandlung bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts in das dreiseitige Geflecht von Bindungen, in die das Patrimonium eines Reichsfürsten eingebunden war, eingestellt werden: Wieweit wurden die Belange und entsprechend rechtlichen Vorgaben des Reiches, des Lehnsverbandes, inwieweit die der Familie, des Hauses und inwieweit die des „Landes“, eines Untertanenverbandes, berücksichtigt? Dies ist zugleich die Frage danach, inwieweit diesen Bindungen eine integrative, eine teilungs- und mobilitätshemmende, also eine einheitsstiftende Kraft zukam.
3. Sukzession im Dreieck Reich, Familie und „Land“ a) Die Berücksichtigung des Lehnsnexus bei der Sukzessionsbehandlung aa) Im Welfenhaus Was in der kaiserlichen Belehnungsurkunde von 1235 seine Andeutung fand, wurde im Welfenhaus praktiziert. Bei der Frage, wer am Erbe berechtigt sein soll, scheinen die welfischen Fürsten sich des dort in der Bestimmung zur Erblichkeit des Herzogtums gebrauchten Plurals – ad heredes s u o s f i l i o s e t f i l i a s hereditarie devolvendum – erinnert zu haben, sieht man von den filiae ab.96 Das Otto dem Kind übertragene Reichslehen ducatus de Brunswic war schon in der folgenden Generation Gegenstand mehrheitlicher Berechtigung.97 Es wurde zum Familienbesitz. 94
Landesteilungen, S. 54. Ebd., S. 62. 96 In der älteren Literatur, die sich noch unbefangener aus überlieferten Rechtstexten Rechtsmeinungen bildete, wird vertreten, dass aus dem Diplom Friedrichs II. von 1235 „alle lehnsfähigen Deszendenten des ersten Erwerbers das Successionsrecht besaßen“, O. Hoffmann, S. 7; so auch H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 19 ff., 23. 97 Ob sich die Welfen seit 1235 in Gesamtbelehnung wähnten, ob also die Sukzession einer Personenmehrheit auf Grundlage einer Auslegung des Diploms von 1235 erfolgte oder ob sich hier schlicht seit Jahrhunderten geübte allodiale Erbpraxis vollzog, ist nicht zu klären. 95
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Alle im weltlichen Stand verbleibenden Söhne sukzedierten in die vom Vater hinterlassene (Mit-)Berechtigung an der fürstlichen Herrschaft. Und auch die für die Geistlichkeit bestimmten Söhne mussten besonderen Verzicht auf ihr Erbe leisten,98 den sie sich – jedenfalls zu Beginn der Sukzessionsgeschichte im Welfenhaus nach 1252 im Falle Konrads, des späteren Bischofs von Verden – „fürstlich“ entgelten ließen. Eine andere, eine allodiale Erbfolge gab es daneben nicht. Den Titel dux führen die – weltlichen – Söhne schon vielfach, bevor der Vater starb,99 aber nicht durchweg: zu Lebzeiten des Vaters erscheinen sie in den Urkunden auch als domicellus oder iuncher.100 Der Geistliche unter den Söhnen wird nicht als dux tituliert; er ist dominus.101 Auch die Gemahlinnen der Herzöge tragen den Titel ducissa.102 Frauen nehmen aber an der Erbfolge nicht teil und sind so auch nicht Mitberechtigte im Samtbesitz an dem Dukat. Otto das Kind beispielsweise hatte neben den vier Söhnen fünf Töchter. Diese waren an seinem Erbe nicht beteiligt. Die Töchter werden verheiratet oder treten in Klöster ein.103 Gleichwohl erscheinen Herzoginnen als Inhaberinnen herrschaftlicher Rechte, etwa wenn Mechthild, die Witwe Ottos des Kindes, den Einwohnern Lüneburgs Rechte an der Saline einräumt,104 oder wenn die Lüneburger Bürger der ebenfalls Mechthild geheißenen Gemahlin des ebenfalls Otto geheißenen Enkels des Kindes, nämlich Otto dem Strengen, huldigen,105 oder wenn die letztgenannte Mechthild neben ihrem Gemahl als Verkäuferin der Münze zu Lüneburg auftritt.106 In diesen Fällen erscheinen die Herzoginnen nicht als Mitglieder der Familiengemeinschaft am Herzogtum; sie üben vielmehr Rechte aus, die ihnen als Leibzucht zeitig übertragen worden sind, die in dem Leibgedinge inbegriffen sind. Die Bestellung eines Leibgedinges an einem Lehen durch den Lehnsmann war nach dem Lehnrecht des Sachsen-
98
Dies entsprach dem Landrecht des Sachsenspiegels I 5 § 3, I 25. Vgl. Sud. I 426, I 441. 100 Die Söhne Ottos des Strengen etwa werden in einigen Urkunden vor dessen Tod als hertoge oder duces bezeichnet (vgl. etwa Sud. I 271, 272, 426 und 441), in einigen Urkunden jedoch als domicellus (Sud. I 296, 371) oder als princeps und domicellus (Sud. I 294) oder als iuncher (Sud. I 299). Dabei wird kein Unterschied zwischen Otto, der 1315 vom Vater in die Regentschaft mit aufgenommen worden ist, und seinem erst nach 1330 zur Mitregentschaft gekommenen Bruder Wilhelm gemacht. Auch nach dem Tod des Vaters 1330 werden Otto und Wilhelm bisweilen nicht dux, sondern principes et domicelli tituliert (Sud. I 504, 505, 506). Heinrich II. von Grubenhagen siegelt, seit er die Goldene Mark 1314 erhielt, mit S. Hinrici iunioris ducis de Brunswic, W. Ohnsorge, Pfalzgrafenwürde, S. 164. 101 Vgl. UB Braunschweig II Nr. 261 und 262 (1274). 102 Vgl. etwa Sud. I 44, 111, 112, 122, 365, 366. 103 Zu den Heiraten der Welfentöchter in dem Zeitraum dieses Kapitels E. Schubert, Niedersachsen, S. 712 ff. 104 Sud. I 44 (1257). 105 Sud. I 111 (1288); vgl. auch den zwischen 1288 und 1300 erteilten Auftrag Konrads, des Bischofs von Verden, an Mechthild, durch ihren Vogt und ihre Diener Mönche zu St. Michael in Lüneburg, die ein zügelloses Leben führen, ergreifen zu lassen (Sud. I 112). 106 Sud. I 122 (1293). 99
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spiegels zulässig – auch ohne dass eine weibliche Erbfolge am Lehen durch den Lehnsherrn verbrieft worden wäre.107 Im Samtbesitz, in der Gemeinschaft am Lehen, am Nachlass des jeweiligen Lehnsträgers ist die Teilung – um dass lateinische Sprichwort communio facit discordiam zu bemühen – bereits angelegt. Und auch ohne Zwietracht stellt sich die Frage nach der Zuteilung von Kompetenzen, von Nutzungsbefugnissen. Zuteilung und Teilung, Mutschierung und Realteilung sind die natürlichen Ziele der Erbengemeinschaft. Tatsächlich setzten die Welfen sich, beginnend schon 1267/69, über den jeweiligen Nachlass auseinander, sie teilten ihn. Nicht selten war eine – ihren Ursachen nach nicht näher bestimmbare – Zwietracht der Teilungsgrund. Die Frage, ob der König als Lehnsherr überhaupt zu einer Einwilligung in die Teilung eines Fahnlehens berechtigt gewesen ist – dies ist ihm nach dem Lehnrecht des Sachsenspiegels nicht gestattet108 und auch das Silentium des ronkallischen Lehnsgesetze von 1158 zu einem Einwilligungsvorbehalt insoweit und schließlich die 1180 bei der Teilung des Herzogtums, qui dicitur Westfalie et Angarie, zu beobachtende Praxis der Zustimmung der Reichsfürsten stehen einem Recht des Königs, einer Fahnlehnsteilung zu genehmigen, entgegen – kann dahin gestellt bleiben; die Welfen holten eine solche Zustimmung nicht ein.109 Auch im Übrigen haben die Welfen sich offensichtlich um die Lehnbarkeit ihrer Güter und Gerechtsame in Folge der Oblation von 1235, sieht man einmal von den welfischen Erwerbungen in der Folgezeit ab,110 nicht geschert. Sie verfügten darüber 107
Ssp. Lehnr. 2 § 3, 31. Ssp. Lehnr. 20 § 5. 109 Die auf die Zeitzische Chronik Paul Langes (chronicon citizense von 1515) zurückgehende – so A. U. Erath, S. 7, und H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 72 f. Anm. 72, – und von H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 234, aufgegriffene und auf 1242 datierte Nachricht, die Söhne Ottos des Kindes hätten eine kaiserliche Einwilligung zur Landesteilung eingeholt (Albertus dux de Brunswig et Luneborg cum fratre Joanne patriam partitus est ditionem cum caesaris consensu, ut dominium Luneburgensis retineret Joannes, Brunswicense remaneret sibi) dürfte kaum zutreffend sein (so auch, wenngleich mit anderer Begründung, A. U. Erath, ebd., und H. A. Zachariae, ebd.). Dagegen spricht: 1242 lebte Otto das Kind noch. Die weiteren Brüder Konrad und Otto dürften zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem geistlichen Stande beigetreten gewesen sein; auch ist unklar, ob dies überhaupt nur abgemacht gewesen war, so dass eine Teilung unter den genannten Brüdern Albrecht und Johann noch gar nicht abzusehen war. Tatsächlich schritten sie erst 15 Jahre nach dem Tod des Vaters zur Teilung. Dass sie diese von Anfang an beabsichtigten, ist folglich alles andere als sicher. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass sie für eine solch vage Eventualität schon lange vor dem Ableben Ottos eine kaiserliche Einwilligung eingeholt haben sollten. Auch war Johann im Jahre 1242 noch ein Kleinkind; sein Überleben und folglich seine Teilhabe an einer Landesteilung war keineswegs abzusehen. Letztlich und entscheidend spricht gegen die Echtheit, die Datierung der chronikalischen Angabe aber, dass 1242 noch gar nicht feststehen konnte, wer welchen Teil erhalten solle; zunächst musste das Los über die Rollenverteilung, Teilender, Wähler, zwischen den Brüdern entscheiden, dann entschied Johann über die Zuteilung der Erbportionen durch Ausübung seines Wahlrechts. 110 Zu den Erwerbungen gerade Ottos des Kindes, Albrechts I. und Ottos des Strengen S. Zillmann, passim; H. Patze, Welfische Territorien, S. 14 ff.; H. Kleinau, passim; E. Schubert, Niedersachsen, S. 706 ff., 730 ff. 108
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so frei, wie vor 1235. Von kaiserlicher Zustimmung oder auch nur dem Versuch ihrer Einholung zu den Veräußerungen und Verpfändungen von einzelnen Gütern und Sach- und Herrschaftskomplexen, wie etwa Burgen, durch die Welfen hören wir nichts. Und doch gibt es auch, wenngleich wenige, Zeugnisse einer Wahrnehmung der Feudalqualität ihrer Gerechtsame durch die Welfen. Als Otto der Strenge 1288 Burg, Stadt und Vogtei Lüneburg sowie Burg und Vogtei Harburg seiner Gemahlin Mechthild zur Leibzucht verschrieb, erwirkte er, dass sie insoweit vom Kaiser in die Belehnung mit aufgenommen wurde.111 Die Ratsherrn und Bürger Lüneburgs huldigen ihr daraufhin und schwören, sie bei der ihr zu Lehen erteilten Leibzucht zu erhalten.112 Wenige Jahre später macht der König seine lehnrechtliche Position gegenüber einem welfischen Fürsten direkt geltend: König Adolf erklärte die Veräußerung des reichslehnbaren Patronats über die Katharinenkirche in Braunschweig durch Heinrich den Wunderlichen für ungültig, weil sie ohne seine oder seines Vorgängers Zustimmung erfolgt sei.113 Es liegt nahe, dass seine Brüder beim Kaiser diese Verfügung erwirkt haben.114 Schließlich deuten auch die Inempfangnahme der Reichslehen 1315 durch Otto den Strengen zu Lüneburg,115 1339 durch Magnus den Frommen von Braunschweig116 und 1352 durch Otto und Wilhelm,117 die Söhne Ottos des Strengen, darauf hin, dass man die lehnrechtlichen Bindungen an das Reich nicht ganz vergessen hatte. Allerdings war der Wortlaut der beiden erstgenannten Belehnungsurkunden ungeeignet, den Vasallen die umfassende Lehnbarkeit des welfischen Patrimoniums in Erinnerung zu rufen; viel zu allgemein umschreibt die Reichskanzlei den Lehnsgegenstand: omnia pheoda (…) ab Imperio debita (1315) und die Lehen, die ehr von seines Vaters erbe ze rechte haben soll (1339). Erst 1352 kommt die allumspannende Reichweite des Lehnsnexus in der Beschreibung des Belehnungsgegenstandes deutlich zum Ausdruck: Principatus, Terras, Dominia Vasallagia, et omnes possessiones vestras, cum omnibus Juribus, liberatibus, Emunitatibus, et pertinencijs suis, quibuscumque specialibus nominibus appellentur, absentibus, tamquam presentibus. Bemerkenswert ist, dass zum Zeitpunkt der Belehnung des Braunschweigers Magnus 111
OG III praef. S. 69; zur Sache auch H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 94; L. Hüttebräuker, S. 61. 112 Sud. I 111: quod cum magnificus princeps dominus noster illustris Otto dux de Bruneswik et Lvneborch Illustri domine nostre Meichtildi collaterali sue filie Magnifici principis dominj Lodewicj Illustris Comitis Palatini Renj, Ducis Bawarie in Castro Ciuitate et aduocatia Lvneborch cum omnibus pertinenciis suis bonis possessionibus et hominibus cuiuscumque status aut condicionis fuerint juribus honoribus et iudiciis eandem aduocatiam respicientibus et in quibusdam aliis constiteruit (consistuerit) donationem propter nuptias, eaque vna secum, eidem domine nostre ducisse collaterali sue in pheodum conferri procurauerit ad habendum, tenendum, in pheodum pro donatione propter nuptias (…). 113 Sud. I 130. 114 So auch L. Hüttebräuker, S. 61. 115 Sud. I 268. 116 Sud. I 655. 117 Sud. II 411.
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1339 dessen Bruder Otto der Milde (†1344) noch, in seinem und des Bruders Ernsts Namen, die Regierung führte. Der König segnete also eine Mehrheit von Vasallen an einem Lehnsobjekt oder auch Teilen desselben118 – neben der braunschweigisch-göttingischen Linie waren zu dieser Zeit auch die Grubenhagener und die Lüneburger Linie abgeteilt – ab. Es ist nicht verfehlt, spätestens von nun an von einem Gesamtlehen zu sprechen. Und auch bei den Erbteilungen scheint sich eine Rücksichtnahme auf die Lehnbarkeit des welfischen Patrimoniums ausmachen zu lassen. Einhellig wird schon seit jeher die Erhaltung der Gemeinschaft an einigen Rechtspositionen, vor allem an und in der Stadt Braunschweig bei der Teilung von 1267/69 und auch den folgenden Erbauseinandersetzungen in einen Zusammenhang mit dem lehnrechtlichen Grundsatz, dass – vollständige – Teilung das Erbrecht der Agnaten aufhebt,119 gestellt.120 Mit dieser Restgemeinschaft wurde nach außen hin der Erhalt des das gegenseitige Anwachsungsrecht begründende und sichernde Samtbesitzes verdeutlicht; einige Autoren sagen auch: fingiert.121 Dabei dürfte sowohl hinter dem Gemeinschaftserhalt an einzelnen von Teilung zu Teilung wechselnden Rechtspositionen – beispielsweise 1267 den Rechten und Ansprüchen auf Höxter und Hameln sowie in Dänemark – als auch hinter der bis zum Ende des 15. Jahrhunderts in den Teilungen regelmäßig verabredeten gemeinsamen Vergabe der Außenlehen122 eher ein praktisches denn ein „rechtliches“, symbolisches Motiv stehen. Diese Positionen entzogen sich mangels aktueller unmittelbarer Ver118
Die Frage, ob durch die Teilungen seit 1267/69 mehrere Lehnsobjekte entstanden sind, führt letztlich in die zentrale rechtliche Fragestellung des Lüneburger Erbfolgestreits (dazu unten B.II). 119 „Teilung bricht Lehen“, Ssp. Lehnr. 32 § 1; vgl. oben A.III.2.b). 120 Aus der älteren Literatur: P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 64 f.; U. F. C. Manecke, S. 92 f., der den Beibehalt der Gemeinschaft vor allem an Braunschweig zur Abwendung des Grundsatzes „Teilung bricht Lehensfolge“ gerade als Zeugnis dafür sieht, dass die ältesten Teilungen im Welfenhaus „Todtheilungen, oder solche gewesen sind, durch welche nach damals üblichen Rechten die Gemeinschaft, folglich das Erbrecht aufgehoben und die gesammte Hand gebrochen worden ist“; H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 49 ff. Aus der neueren Literatur: W. Goez, Leihezwang, S. 94 ff., 101 ff.; H. Kleinau, S. 16; H. Patze, Welfische Territorien, S. 14; M. Garzmann, S. 151 ff. 121 W. Goez, Leihezwang, S. 103; ihm folgend M. Garzmann, S. 153. 122 G. Pischke, Landesteilungen, S. 39, ist zuzustimmen, wenn sie den im Vorvertrag von 1267 verabredeten Gemeinschaftserhalt an Rechtspositionen außerhalb der Herrschaft nicht allein auf die Ministerialen bezieht, sondern auch auf die Vasallen (homines), obwohl der Wortlaut der Urkunde die Wendung extra dominium nur den Ministeriales zuordnet. Denn die homines sollten, wie es eingangs der Urkunde heißt, genauso geteilt werden wie das dominium. Eine Differenzierung in nicht zu teilende Lehnsverhältnisse zu freien (edelfreien) Vasallen und solche zu – nach diesem Verständnis dann logischerweise unfreien – Vasallen innerhalb der Herrschaft ergibt keinen Sinn. Dagegen erscheint das Kriterium in oder extra dominium für die Frage der Teilung von Vasallitäts- wie auch Ministerialitätsverhältnissen sinnvoll und wird überdies von der Praxis der Erbauseinandersetzungen der kommenden Jahre bestätigt; vgl. dazu G. Pischke, ebd., S. 213 f.; allgemein zu den Feuda extra curtem, den Butenlehen: W. Goez, Art. „Feudum extra curtem“, HRG 1, Sp. 1118.
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fügbarkeit über ihr Substrat und der Unwägbarkeit ihrer Realisierung einer Zuteilung zu den einzelnen Erbportionen. Hinter der in nahezu allen Teilungen von 1267/69 bis in die Neuzeit erhaltenen Gemeinschaft an der Stadt Braunschweig123 steht mehr: Offensichtlich haftete nach welfischem Verständnis an der urbs Brunswich die Herzogswürde, der Prinzipat: vrbem Brunsw. tenebunt ambo, et de ea debent principes nominari, so formuliert es der Vorvertrag zur Teilung von 1269.124 Die noch in einer Zeit der Fahnlehnslosigkeit der Welfen vorgenommene Teilung von 1202 gedenkt der Stadt Braunschweig demgegenüber nicht gesondert; zwei Generationen vor der ersten Teilung nach der Belehnung von 1235 wurde weder an ihr noch an anderen Rechtstiteln eine Gemeinschaft der Erben beibehalten. Auch der Sprachgebrauch der Reichskanzlei gibt ein Indiz dafür ab, dass die Stadt Braunschweig als Träger der Herzogswürde, als ihr dingliches Substrat angesehen werden konnte: In dem Mandat an die Stader Ministerialen von 1235 wird das neue Herzogtum allein ducatus de Brunswic bezeichnet, von Lüneburg ist nicht die Rede.125 Entsprechend erscheint die Titelverwendung der welfischen duces: Otto das Kind führte zumeist den Titel dux de Brunswic. Wurde der bipolaren Struktur des Herzogtums angemessen auch Lüneburg in den Titel aufgenommen, geschah dies mit einer signifikanten Abstufung: Otto dux de Brunswic et dominus des Luneborg.126 Auch bei seiner Frau ist diese Zuordnung des dux-Titels zu Braunschweig und eben noch nicht gleichermaßen zu Lüneburg zu beobachten: Mechtildis Ducissa de Brunswic ac domina in Luneborg.127 Ihr Sohn Johann führte nach der Teilung von 1269 bis zu seinem Tod vornehmlich den Titel dux de Brunswic,128 1274 wurde er auch als dux de Brunswich et dominus de Luneborch bezeichnet. Entsprechend ist für seine Gemahlin Mechthild die Titulatur Ducissa De brunswic ac domina in luneburg überliefert.129 Aber schon für diese Generation finden sich Belege dafür, dass Lüneburg gleichstufige Aufnahme in den Titel der Herzöge fand, aber nur bei denjenigen der seit 1269 abgeteilten Lüneburger 123 Ausnahmen stellen hier lediglich die Erbauseinandersetzungen von 1388 und 1481 dar. Überblick bei G. Pischke, Landesteilungen, S. 214 f. 124 Schon E. Rosenstock, S. 159 ff., verweist darauf, dass man im 13. Jahrhundert „dem Rechte nur Träger (gab), auf die man mit Fingern zeigen konnte“. Für ihn waren aber Braunschweig und Lüneburg gleichermaßen Rechtsträger des Dukats; beide waren „Statt des Lehens“. Eine Mehrzahl dieser Träger und Symbole der Herrengewalt war nach seiner Lehre notwendig, um die Herrschaft über eine Fläche, nicht nur über einen Ort, zum Ausdruck zu bringen; zugleich zeitigte diese Mehrheit die Mehrzahl der vom Kaiser zu verleihenden Fahnen. Diese äußerst konstruierte Lehre hat keine Anhänger gefunden; ausdrückliche Kritik erfährt sie bei E. E. Stengel, S. 336; im Übrigen wird der Begriff von der Statt oder stat des Lehens in der Literatur zum Lehnrecht nur im Zusammenhang mit den Rentenlehen näher erörtert: H. Mitteis, Lehnrecht, S. 476 f.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 69. 125 MGH Const. II Nr. 198 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 120 b). 126 Belege bei L. v. Heinemann, S. 198. Auch Heinrich II. von Grubenhagen siegelte mit der Herzogswürde und einer konkreten dominus-Stellung: S.Hinrici iunioris ducis de Bruneswich dominique marchie auree, W. Ohnsorge, Pfalzgrafenwürde, S. 164. 127 Sud. I 44. 128 Belege bei G. Pischke, Landesteilungen, S. 243 Anm. 247. 129 Sud. I 112.
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Linie.130 Noch bei Otto dem Strengen schwankt der Titelgebrauch.131 Seit 1287 setzt sich dann aber in der Lüneburger Linie der Titel dux de Brunswich et Luneborch durch. Die Braunschweiger Linie führte diesen Titel bis zum Lüneburger Erbfolgestreit nicht.132 Ganz deutlich wird dieser unterschiedliche Titelgebrauch in der Erbverbrüderung von 1322: Der Lüneburger Otto erscheint als hertoghe van brunswik un van luneb., die Vertreter der Braunschweiger Linie Otto, Magnus und Ernst hingegen tragen den Zusatz un van luneb. nicht.133 Offensichtlich ist die Ausdehnung des dux-Titels auch auf Lüneburg zunächst nicht auf einen Wandel im Verständnis des Substrats des Dukats zurückzuführen. Vielmehr liegt darin nichts anderes als die Kennzeichnung einer abgeteilten Linie, eben der Lüneburger Linie, im Welfenhause.134 Diese Zentrierung der Herrschaft um Braunschweig, diese nachgerade Ineinssetzung von Herzogtum und Stadt, bringt auch die zeitgenössische welfische Memoria zum Ausdruck, ja diese Lokalisierung, diese Identifikation der Welfen mit Braunschweig ist das Ziel des zentralen Werkes welfischen Familiengedenkens, der Braunschweigischen Reimchronik. Patze und Ahrens haben herausgearbeitet, dass es dem Chronisten um den Beweis ging, „dass die Ersetzung der ,Fläche Sachsen durch die Stadt oder den Punkt Braunschweig keine Wertminderung für die Welfen bedeutet“ und, „wo der Dreh- und Angelpunkt ihres Hauses lag und wer ihn repräsentierte“.135 Legt man das Verständnis der Haftung der Herzogswürde an Braunschweig zu Grun130
So für Johann: W. Havemann, Bd. 1, S. 376; für Mechthild: Sud. I 111. Sud. I 91: dux de brunswich; Sud. I 92: Otto ex parte ducis Luneburgensis. 132 Eine Ausnahme: In dem Erbvertrag zwischen dem Lüneburger Otto dem Strengen und dem Braunschweiger (den Göttinger und Braunschweiger Landesteil umfassend) Albrecht II. von 1292 (UB Göttingen I, Nr. 36) heißt es: Otto et Albertus … duces in Bruneswich et Luneborch; ebenso in der „Vollzugsurkunde“ dieser Gemeinschaft aus demselben Jahr, als beide der Stadt Münden ihre Privilegien bestätigten: Otto et Albertus Duces de Brunsuig et Lunaeburg (Sud. I 121). Die Göttinger Linie (1345 – 1463) nahm niemals den Zusatz „von Lüneburg“ an, die Grubenhagener „erst hart vor ihrem Aussterben“ (1596), W. Havemann, Bd. 1, S. 377. 133 Sud. I 365. 134 Auch das Reich bedient sich dieser Sprachregelung: Otto der Strenge wird 1288 dux de Bruns. et luneborch (Sud. I 110) genannt, 1315 wird er allerdings als Ottonis ducis Luneburgensis tituliert (Sud. I 268); Magnus empfängt 1339 die Reichslehen als hertzogen zu Braunschweig (Sud. I 655). 135 79 und 84. Patze und Ahrens sehen die Absicht des Chronisten allein darauf ausgerichtet, die Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg im Jahre 1235 als folgerichtiges Ergebnis eines historischen Prozesses, die „rechtliche Unanfechtbarkeit“ eines jungen „Landesstaates“ zu erweisen. Dem mag so sein; wobei sich allerdings die Frage aufdrängt, wer diesen „jungen Landesstaat“ denn überhaupt „rechtlich“ anzufechten trachtete. Zumindest denkbar erscheint es, die Identifikation welfischer Herrschaft mit der Stadt Braunschweig auf die Teilung von 1267/69 zu beziehen. Auftraggeber der etwa zwischen 1279 und 1292 verfassten Chronik war Albrecht der Große, der Sohn Ottos des Kindes. Diesem konnte daran gelegen sein, den in dem Gemeinschaftserhalt an der Stadt Braunschweig zum Ausdruck kommenden Rechtsstandpunkt, das Nichtantasten der Integrität des Dukats, chronikalisch nachzubereiten und untermauern zu lassen. 131
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de, vermag der Gemeinschaftserhalt an der urbs Brunswich gewissermaßen in zweifacher Hinsicht lehnrechtskonformes Verhalten zum Ausdruck zu bringen: Zum einen wird der Samtbesitz am Kern, am wesentlichsten Substrat des Lehens zur Vermeidung des Bruches der Lehnsfolge – wenigstens zum Schein – bewahrt. Zum anderen schimmert auch das ronkalische Lehnsgesetz Friedrichs I. von 1158 durch: Der Dukat, in Form seines Substrats, bleibt ungeteilt; seine von diesem abgelöst verstandenen Grundlagen werden geteilt, ohne dabei den Lehnsnexus zu missachten, heißt es doch in dem Gesetz: aliud autem feudeum, si consortes voluerint, dividiatur.136 Allerdings schleicht sich schon in eine Urkunde des 13. Jahrhunderts ein Sprachgebrauch, der darauf schließen lässt, dass auch den Welfen der Gedanke, 1267/69 den Dukat realiter geteilt zu haben, nicht ganz fremd gewesen sein dürfte: 1292 bestätigen Otto der Strenge von Lüneburg und Albrecht der Feiste von Braunschweig der Stadt Münden ihre Privilegien und befreien die Bürger der Stadt von den Zöllen in allen ihren Landen, sowohl im Herzogtum Lüneburg als auch von Braunschweig.137 Was sich demnach so passgenau zu der lehnrechtlichen Konditionierung der Sukzessionsbehandlung – Unteilbarkeit des Dukats, Gemeinschaft als Grundlage des gegenseitigen Anwachsungsrechtes – fügt, lässt sich ebenso gut in einen dynastischen Kontext einstellen, einer dynastischen Zielsetzung zuordnen. In dem Gemeinschaftserhalt an der namensgebenden urbs Brunswich spiegeln sich überkommene Vorstellungen von einer „Zentralörtlichkeit“, vom Stammgut, vom Handgemal wider. Zwar weist etwa der Sachsenspiegel keine besonderen Regeln zur Erbfolge in Handgemal oder Stammgut auf, und auch die in der älteren Literatur vielfach vertretene Primogeniturerbfolge in diese – ungeteilte – Rechtsposition lässt sich kaum beweisen.138 Jedoch deutet die Sukzessionspraxis sächsischer Adelsgeschlechter schon im 11. und 12. Jahrhundert auf ein Bestreben nach punktueller Integritätsbewahrung an einzelnen Rechtstiteln bei gleichzeitiger Teilung des übrigen Nachlasses hin; und dieser partielle Gemeinschaftserhalt erfasste vor allem „Zentralorte“, etwa bei den Northeimer die villa Northeim.139 Und auch die welfische Teilungspraxis kennt den Gemeinschaftserhalt an zentralen Orten, denen aber keine Bedeutsamkeit in feudaler Hinsicht zuzusprechen wäre: In der, allerdings schriftlich nicht überlieferten, Teilung zwischen den Söhnen Albrechts des Großen vermutet Pischke einen Gemeinschaftserhalt für Duderstadt;140 und auch in der Auseinandersetzung des Erbes Heinrichs des Wunderlichen blieben die Städte Einbeck, Osterode und Duderstadt ungeteilt. Auch im Übrigen schimmern bei den Teilungen – ganz abgesehen davon, dass schon die Berechtigung mehrerer am Nachlass und schließlich seine Teilung selbst 136
MGH Const. I Nr. 177 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 66). Sud. I 121: De gratia nempe superaddimus speciali, quod ciues ciuitatis nostrae Geomnem terram nostram, tam Ducatum Lunaeburg, quam de Brunsuig a theloneo liberi, cum omnibus suis pertransibunt bonis. 138 Siehe dazu oben A.II.2.c)bb). 139 Ebd. 140 Landesteilungen, S. 54. 137
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dem allodialen Rechtskreis entstammt – landrechtliche Formen durch: in einigen Fällen wird die Zahl der im weltlichen Stand verbleibenden Söhne auf zwei begrenzt. Von dieser Anzahl an Erben geht auch das Landrecht des Sachsenspiegels bei der Folge in das Stammgut aus.141 Und auch das dort benannte Teilungsprozedere begegnet uns in der Erbauseinandersetzungspraxis der Welfen: der ältere teilt, der jüngere wählt.142 Im Ergebnis wird man davon ausgehen dürfen, dass der Lehnsnexus, die auch über die fürstliche Würde hinausreichende Feudalqualität des welfischen Patrimoniums bei der Nachfolge-, Nachlassbehandlung der Welfen keine große Beachtung gefunden hat. Der insoweit im 13. und 14. Jahrhundert allein beachtenswerte Gemeinschaftserhalt an Braunschweig dürfte einer zumindest ambivalenten Motivation entsprungen sein; zum Ziel, wenigstens den Anschein lehnrechtskonformen Verhaltens zu bewahren, dürfte mindestens gleichermaßen die dynastische Räson, die Integrität der Grundlage des Hauses zu erhalten, getreten sein.143 Auch die Erbverschreibungen von 1290, 1292, 1322 und 1345, mit denen die Nachfolge in lehnbare Rechtspositionen gestaltet wurde, mit denen – ganz ähnlich wie mit der Gemeinschaft an Braunschweig – das gegenseitige Anwachsungsrecht über die Teilung hinausgerettet werden sollte, ließ man sich nicht, wie lehnrechtlich geboten,144 vom Kaiser bestätigen. Auch scheint nirgends im Reich die integrative, die Verfügungen des Vasallen hemmende Kraft des Lehnsnexus für die Zeit seiner Schwäche seit dem Niedergang des staufische Kaisertums Mitte des 13. Jahrhunderts zu hoch zu veranschlagen sein; sind doch, und zwar nachgerade plötzlich, die ersten Landesteilungen – genauer: Fahnlehnsteilungen – in dieser Zeit zu beobachten. Die erste Teilung des oder innerhalb des Dukats Braunschweig fiel genau in das Interregnum. Für Norddeutschland gilt diese Einschätzung in besonderem Maße. Moraw und ihm folgend Schubert haben die Königsferne dieses Raumes näher beschrieben.145 Schubert verweist insoweit zutreffend darauf, dass der ferne König auch ein ferner Lehnsherr war.146 Nach der gescheiterten kaiserlichen Neuordnung nach 1180 war die Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 1235 der letzte größere Eingriff des Kaisertums in Niedersachsen, bis 1371 Karl IV. den Lüneburger Erbfolgekrieg auslöste. Das Reich schritt in dieser Zeit nur äußerst selten gegen Teilungen von Lehen oder auch Veräußerungen lehnbarer Rechtspositionen ein. 141
Ssp. Ldr. III 29 § 2. Zum Gebrauch dieses Teilungsverfahrens auch bei den Teilungen des 15. Jahrhunderts G. Pischke, Landesteilungen, S. 211. 143 Diesen dynastischen Aspekt betont besonders E. Schubert, Niedersachsen, S. 710. 144 Zur lehnrechtlichen Seite der Erbverträge W. Goez, Leihezwang, S. 105 ff. 145 P. Moraw, Nord und Süd; E. Schubert, Niedersachsen, S. 575 ff., mit der Darlegung, dass auch die 1277, in diesem Jahr gemeinsam mit dem Askanier Albrecht II. (MGH Const. III Nr. 180, L. Weinrich, Bd. 2, Nr. 32), und 1279 Albrecht dem Großen allein aufgetragene gubernacio über die Reichsgüter im deutschen Norden die fehlende Präsenz des Königs in diesem Raum nicht aufwiegen konnte. 146 Niedersachsen, S. 576. 142
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bb) Ein Vergleich zur Beachtung des Lehnsnexus außerhalb der welfischen Lande Der Lehnsnexus und seine grundsätzlich die Verfügungsgewalt des Vasallen einschränkende Wirkung waren im Spätmittelalter nicht vollends in Vergessenheit geraten. Er ist aber keinesfalls das jeweils zentrale Argument gegen die Teilung eines Nachlasses oder bestimmter Nachlassbestandteile. Ein Überblick über die von Schulze zusammengetragenen Urteilssprüche und Ansichten von Zeitzeugen bestätigt dies:147 Lediglich als mögliche Entscheidungsgrundlage erscheint der Lehnsnexus in einem Urteilsspruch aus dem Jahre 1277. Zwei Brüder gerieten über die vom Vater hinterlassene Landgrafschaft in Streit. Der Lehnsherr, der Pfalzgraf, entschied auf Grund eines eingeholten Weistums die Sache dahin, dass die Landgrafschaft ungeteilt dem Ältesten zufallen, die übrigen Besitzungen unter die Brüder gleich geteilt werden sollten.148 Doch lässt sich dem Weistum, dessen Urteiler sich aus den nobiles terrae, liberes, barones, ministeriales et milites zusammensetzten, erkennen, dass die Unteilbarkeit der Landgrafschaft keineswegs einhellige Auffassung unter den Schiedsleuten war. Der superior sive moderator der Schiedsrichter musste mit seiner Stimme den Ausschlag geben discordantibus arbitris eorum in dicta caussa. Allein auf die Lehnbarkeit stellt ein Schiedsspruch aus dem Jahre 1285 ab, der den Erbstreit zwischen zwei Brüdern von Landskron schlichtet: Was vom Reiche zu Lehen geht, soll ungeteilt dem Älteren zufallen; alles andere soll geteilt werden. In Zweifels- bzw. Streitfällen entscheidet ein Schiedsmann über die Reichslehnbarkeit, etwa hinsichtlich der Lude. Entsprechend fiel die Burg Landskron selbst an den Älteren.149 Ausdrücklich auf das Landrecht und die hergebrachte Gewohnheit bezieht sich ein Rechtsspruch zur Nachfolge Friedrichs II. von Leiningen, Landgraf im Elsass aus der Zeit um 1300: Die rathleute sprechen umb die Landgravschaft und Landgericht (…) dass man zu recht niemant denn Einen Landgraven haben soll, der soll ein Landrichter seyn. Diese Landgraveschaft und die Landgericht davon (…) und das darzu gehört, d. i. Ogersheim und das Gut, das da heisset das Gravengut und Erpolsheim, das Gleit und Zoll auf der Strassen und die Manne und Vogteyen über die Klöster, die in der Landgraveschaft gelegen seint, soll der Älteste erhalten. Das Weistum geht auf ein Gegenargument ein: Ob nuhe jemans spreche, dass ander Graveschaften geteilt seyn, so sprechen wir das dagegen, dass der Graveschaften keine kein Landgericht hat, und kein Landgericht nit in ist. Solche Landgrafschaf147
Erstgeburt, S. 107 ff., 203 ff. in hoc nostrum consilium est firmatum, quod eadem lantgravia tua semper remaeat indivisa: quare praecipimus, ut ipsam lantgraviam indivisa teneas, ita quod senior filius eandem possideat, ut sic dominium integrum omni tempore conservetur, zitiert nach H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 110. 149 Ebd., S. 207. 148
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ten seien nach altem Herkommen immer unteilbar gewesen und verblieben bei dem Ältesten.150 Auch ein nach Schulze aller Wahrscheinlichkeit auf die letzten Jahre des 13. Jahrhunderts zu datierendes Weistum, von dem das chronicon comitum de Marca des Levolds von Northof berichtet, gibt als Grundlage seiner entschiedenen Unteilbarkeitssentenz nicht ausdrücklich die Feudalität des nicht zu teilenden Gegenstandes an: Nach dem Tode des Grafen Adolf, des Vaters des Grafen Engelbert, forderte der Junker Eberhard de Marca in einer großen Versammlung von castrenses, Rittern, Knappen und Stadtbürgern des comitatus de Marca, dass ihm ein Teil des Komitats abgeteilt werde (sibi portionem condividi comitatus). Um Hilfe und Rat ersucht antworteten die Versammelten in einem einmütigen Ratschluss durch den Herrn Johann von Limburg, dass sie in dieser Sache nicht zustimmten, dass der Komitat de Marca in Burgen, Befestigungen und in Einkünften zerrissen und geteilt werde, vielmehr wollten sie, dass der Komitat selbst ungeteilt bleibe und seine Regierung (ejus regimen) lediglich bei einem Grafen bleibe, dem sie die Lehnstreue, den Treueeid (fidelitas) zu halten hätten. Dieses oder Ähnliches könne sich der Chronist erinnern, dort gehört zu haben. Als Zeitzeuge soll hier zunächst der um 1278 geborene Westfale Levold von Northof, der Verfasser des vorgenannten chronicon comitum de Marca, zu Worte kommen:151 Er meine, dass zum Wohlergehen, zur Beförderung des Landfriedens, zur Re150 H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 111 f., datiert dieses Weistum auf das Jahr 1307; dies dürfte nach den Ausführungen Th. Zotzs, S. 181, nicht haltbar sein. 151 Ad igitur, quae superius sunt praedicta, alia, quae sequuntur, ad debita, et ad pacificam terrae gubernationem et defensionem inter caetera expediens esse puto, ut ipsius comitatus de Marka unitas indivisbiliter conservetur, vidilicet, ut castra, juredictiones et districtus per unum tantummodo, et non per plures comites gubernentur. Sic enim pax in terra poterit conservari: sic contra vicinos dominos et alios extraneos invasores tanto fortius defensari: quod fieri non posset, si in se ipsa esset divisa. Nam si dividatur, tunc una pars subditorum uni domino, altera par alteri domino adhaerebit, et tanto terra ad se defendendum erit debilior contra adversarios extraneos, quando sit esset divisa, quae huc usque unita fortiter et viriliter se defendit. Scriptum est enim in evangelio: Omne regnum in se divisum desolabitur, quod satis patet in nonnullis dominiis, ducatum, comitatuum et aliorum dominiorum, qui olim magni fuerunt nominis et potentiae, quae nunc per partitiones diversas in haeredes factas, ad statum modicum sunt redacta: maxime cum imperiali autoritate sit sancitum, ducatus, marchionatus et comitatus dividi on debere. Et sicut videtur in dominiis, quae divisa sunt, quod semper decerscunt, sic videtur, e contra, quod in dominiis, quae divisionem non patiuntur, quod continue magis et magis fortificentur et crescant (…). Ad vos igitur castrorum castrenses, et alios comitatus de Marka milites et armigeros universos, nec non oppidorum oppidanos dirigi nunc sermonem, vor hortando, ut si volueritis in terra habere tranqullitatem et pacem perpetuam, vobis et vestris filiis ac successoribus necessariam, et quam maxime profuturam, hoc etiam peragite, ut per unum tantummodo comitem, cui fidelitatem praestetis, comitatus regatur: alioqui se regimen comitatus in plures partiri contigerit, ex hoc verisimiliter formidandum esset, ne multa inconvenientia et pericula sequerentur, videlicet guerra discordiae intestinae inter dominia sic divisa, et inter milites et armigeros, et oppida, quorum una pars uni domino, et alia pars alteri adhaereret, ut praedictum est. Et si illi domini, in quos sic terra partiretur, plures filios generarent, ita quod jam divisa subdividi iterum contingeret, sic comitatus de Marka omnino redigeretur in nihilum, et perderet nomen atque famam, honorem et fortitudinem: qui per comites
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gierung und Verteidigung es nützlich sei, dass die Einheit der Grafschaft von der Mark ungeteilterweise erhalten bleibe, nämlich dass Burgen, Gerichtsbarkeit und -bezirk lediglich von einem und nicht von mehreren Grafen regiert werden. So nämlich könne der Frieden im Lande bewahrt werden; so könne man sich gegen benachbarte Herren und andere fremde Eindringlinge kräftiger verteidigen. Dies sei bei Teilung nicht gewährleistet. Auch sei im Evangelium geschrieben, dass jede in sich geteilte Herrschaft in die Ödnis führe, dem Verderben anheimgestellt sei (omne regnum in se divisum desolabitur);152 dafür gebe es genügend Beispiele an Herrschaften, Herzogtümern, Grafschaften. Etwas unvermittelt fügt Levold nun einen Rückgriff auf die kaiserliche Gesetzgebung ein: maxime cum imperiali autoritate sit sancitum, ducatus, marchionatus et comitatus dividi non debere. Der Wortlaut des Lehnsgesetzes Friedrichs I. von 1158 schimmert hier hervor. Dieser Bezug auf den Lehnsnexus als Teilungshemmnis steht aber eben nicht obenan; er ist den vorrangigen Nützlichkeitserwägungen Levolds nachgestellt; er ist allenfalls ein Argument unter vielen. Levold fährt entsprechend damit fort, dass es offenbar sei, dass Herrschaften, die geteilt sind, abnehmen, im Gegensatz zu solchen, die der Teilung nicht unterlägen, diese magis et magis fortificentur et erescant. Diese Warnungen richtet er auch an die castrorum castrenses, et alios comitatus de Marka milites et armigeros universos, nec non oppidorum oppidanos, um sie zu ermuntern, dass, wenn sie weiterhin Ruhe und Frieden im Lande haben wollten, es für sie und ihre Erben und Sukzessoren eine Notwendigkeit sei, das höchste Zukunftsziel, es dahin zu bringen, ut per unum tantummodo comitem, cui fidelitatem praestetis, comitatus regatur. Andernfalls sei dem Unfrieden Tür und Tor geöffnet.153 Ganz ähnlich stellt ein Gleichnis Peter Suchenwirts in dem Ende des 14. Jahrhunderts verfassten Traktat „von der Fürsten Teilung“ die Stärke des ungeteilten Nachlasses in den Mittelpunkt: ein Stäbchen lasse sich leicht brechen, ein Bündel an Stäbchen nicht.154 Ist nach diesem kurzen – zugegebenermaßen etwas willkürlich zusammengestellten – Überblick die Wirkungsmächtigkeit des lehnrechtlichen Teilungsverbotes in der Zeit von Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts nur undeutlich wahrzunehmen, so liefert der König selbst Ende des 13. Jahrhunderts Zeugnisse dafür, dass der Lehnsnexus auch bei den Fahnlehen nicht unbedingte Integritätswahrung garantierte, dass das Unteilbarkeitsgebot den dynastischen Interessen Rechnung zollen musste. de Marka, qui fuerunt pro tempore, usque in praesens tempus, cum maxima solicitudine et labore dilatus est, et cum adjutorio suorum militum et armigerorum et aliorum subditorum, sibi fortiter et fideliter assistentium viriliter et strenue propugnatus est (…), zitiert nach H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 119 f.; zu Levold siehe auch D. Willoweit, Verwaltung, S. 80, mit weiterer Literatur. 152 Vgl. 1. Kön. 11 Vers 11 – 13. 153 Diese Motivierung der Unteilbarkeitsforderung aus einem Nützlichkeitsgedanken, dem Gemeinwohl, heraus kennzeichnet auch die hausrechtlichen Zeugnisse der Welfen bis in die Neuzeit. 154 Abgedruckt findet sich dieses Gleichnis bei H. Schwarzmaier, S. 166.
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Rudolf von Habsburg, dem es doch als König aufgegeben gewesen sein musste, der Integrität der Fahnlehen zur Durchsetzung zu verhelfen, rieb sich offensichtlich als Dynast selbst an den lehnrechtlichen Fesseln. Als König urteilte er 1283, dass keine Grafschaft im römischen Reich ohne königliche Zustimmung geteilt oder verkauft, noch ein Teil, durch den solche Grafschaft verkleinert würde, abgetrennt werden dürfe.155 Als Habsburger stand er aber vor demselben Problem, wie jeder andere Adelige auch: wie sind mehrere Kinder an einem Nachlassgegenstand zu beteiligen? Als Rudolf seine Söhne Albrecht und Rudolf 1282 mit den Herzogtümern Österreich, Steiermark, Krain und Windisch Mark belehnte, wähnte er sich in der Arenga der über diesen Akt ausgestellten Urkunde zur Rechtfertigung seiner Handlung gedrängt: Der Lenker des römischen Reiches sei von der Befolgung der bürgerlichen Gesetze befreit,156 weil der Schöpfer dieser Gesetze nicht an sie gebunden sein könne. Er müsse jedoch das natürliche Recht befolgen, dem alles unterworfen sei. Dessen Befehl und Gebot gehe dahin, den Eifer auf die Standeserhöhung seines Geschlechts und dessen Entfaltung zur richten und mit Zustimmung der Reichsfürsten seine hoch geliebten Söhne zu belehnen.157 Die Vaterliebe war der Grund für die Gesamtbelehnung seiner Söhne. Eingekleidet in für die deutschen Verhältnisse der Zeit unpassende Grundsätze antiken römischen Verfassungsdenkens158 spricht Rudolf sein Ziel deutlich aus: die Vermehrung der habsburgischen Hausmacht – eine sich anbietende Zielsetzung in einer Wahlmonarchie.159 Und dieses Ziel verfolgte der König mit Zustimmung der principes imperii – nach Goez erstmals –160 in Form der Belehnung zweier Söhne zur gesamten Hand; einer Besitzform, die den Keim der Teilung in sich trägt.161 Diese Tendenz war Rudolf auch durchaus bewusst, ja geradezu selbst-
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MGH Const. III NR. 347 (L. Weinrich, Bd. 2, Nr. 49). W. Goez, Leihezwang, S. 147, verweist hier insoweit auf Ulpian, Digesten 1, 3, 31. 157 MGH Const. III Nr. 339 (L. Weinrich, Bd. 2, Nr. 47b): Romani moderator imperii ab observancia legis solutus legum civilium nexibus, quia legum conditor non constringitur, et tamen legis nature dominium, quod ubique et in omnibus principatur, necessario profitetur. Huius enim legis imperiosa potestas sic regnat potenter,(…) ut omnis caro et lingua statutis ipsius pareant et mandatis obediant (…) Ideoque et nos, licet in excellenti specula regie dignitatis et super leges et iura simus positi, legis tamen nature preceptis et imperio caput nostrum sincere submittimus (…) ad instinctum, immo pocius imperium et preceptum eiusdem legis nature circa magnificentiam status prolis nostre et sublimationem ipsius studia nostra convertimus ac (…) principatus sive ducatus (…) Alberto et Rudolfo (…) concessimus in feodum (…). Zur Sache auch W. Goez, Leihezwang, S. 140 ff., bes. S. 147 f.; E. C. Hellbling, S. 295 f. 158 So zutreffend W. Goez, Leihezwang, S. 147 f. 159 W. Goez, Leihezwang, S. 141. 160 Ebd., S. 100; zuvor habe es Samtbesitz an Fürstentümern gegeben, ein eindeutiges Beispiel für eine Samtbelehnung sei aber für die Zeit vor 1282 nicht nachzuweisen. H.-D. Heimann, Hausordnung, S. 36, führt demgegenüber, ausdrücklich gegen Goez Auffassung, die Belehnung der Söhne des Wittelsbacher Pfalzgrafen bei Rhein Ludwig II., Ludwigs III. und Rudolfs, vom 1. August 1281 an. 161 E. C. Hellbling, S. 296, sieht die Rechtfertigung der Gesamtbelehnung in der Heiligen Schrift, die auf die Bedeutungslosigkeit der Erstgeburt hinweist, die dem Erstgeborenen nicht 156
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verständlich, schenkt man der Nachricht des Chronisten Ottokar von Horneck Glauben: Als die Landstände der Herzogtümer gegen die Belehnung zweier Söhne mit der fürstlichen Würde aufbegehrten und sich auf die alten kaiserlichen Privilegien beriefen, dass sie für Österreich und die Steiermark nur einem Herren folgen müssten, erwiderte ihnen Rudolf, dass sich eine Teilung nur auf die schwäbischen Lande beziehe und Österreich mit seinen Nebenländern ungeteilt beim ersten Sohn bleiben solle: Ir schult Mich recht versten, Ich han der Sune zwen, Wan dew tailent jrew Lannt, Chrain, Chernden und Steyrlannt, Da sol ainer Herr werden, So sol von swewischer Erden, Der ander Furst haissen.162
Gleichwohl sprach Rudolf schon 1283 die ein Jahr zuvor beiden Söhnen gesamthänderisch verliehenen Lande allein seinem Erstgeborenen Rudolf zu und versprach, dem jüngeren Sohn, ihn mit einem anderen Herzogtum entschädigen zu wollen.163 Ganz ausdrücklich hatte Rudolf von Habsburg die Teilung eines (Gesamt-)Lehen, der Pfalzgrafschaft bei Rhein, schon kurz zuvor sanktioniert: Am 1. August 1281 resignierte Pfalzgraf Ludwig II. ihm seine Fürstentümer und erbat, dass seine Söhne Ludwig III. und Rudolf damit belehnt würden. Der König belehnte die Söhne – zur gesamten Hand, wie Heimann herausstreicht –164 und erteilte zugleich seine Zustimmung, dass die Lehen und alle Güter unter den Söhnen Ludwigs und eventuell noch nachkommenden Geschwistern geteilt werden.165 Auch diese „Interpretation“ des hergebrachten Verbots der Teilung der großen Reichslehen hatte einen dynastischen Hintergrund: Pfalzgraf Ludwig II. war in dritter Ehe mit Mechthild, der Tochter des Habsburger Königs, verheiratet. Die in der Samtbelehnung zugleich niedergelegte Nachfolgeregelung sollte den Kindern aus dieser Ehe die gleichen Rechte am väterlichen Nachlass verschaffen, wie sie dem Erstgeborenen aus einer früheren Ehe bereits zukamen.166 Spiess sieht hier Moraws Bemerkung, wonach der König zuerst
zum Verdienst angerechnet werden könne, da er doch dazu nichts beigetragen habe (Genesis, 25, 31 ff.). 162 Zitiert nach H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 114 f. 163 Abgedruckt ist die Urkunde von 1283 bei E. C. Hellbling, S. 298 f. 164 Wie Anm. 160. 165 (…) sic etiam de ipsius consensu et beneplacito memoratam investituram valere volumus, et eidam talem legem imposuimus, quod prefatiprincipis nostri filii supradicta foeda et omnia bona sua paterna pariter et materna (…) condividere (sic) et per omnia (…) equam legem in divisione servare. Quod quia predicti fratres approbaverunt, laudaverunt (…), zitiert nach H.–D. Heimann, Hausordnung, S. 37. 166 So K.-H. Spiess, Erbteilung, S. 161 f.; zur Sache auch H.-D. Heimann, Hausordnung, S. 35 ff.
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an die Dynastie und dann erst an das Reich dachte,167 – man ist geneigt zu ergänzen: ein weiteres Mal – bestätigt. Von einem unbedingten Festhalten des Königtums an der Singularsukzession in die Fahnlehen, an ihrer Unteilbarkeit, von einer strikten Sanktionierung des Zuwiderhandelns gegen diesen hergebrachten Lehnrechtsgrundsatz, kann offenbar für das Spätmittelalter nicht gesprochen werden. Der König lebte mit den Teilungen: Im Streit zwischen Ruprecht I. und Ruprecht II. um die Teilung der pfälzischen Landesherrschaft am Rhein und dem bayerischen Nordgau entschied ein „fürstengerichtliches Verfahren“, an dem auch Karl IV. mitwirkte, in Speyer 1353, dass Ruprecht II. jener Teil der Landesherrschaft zukommen solle, der ihm als väterlicher Erbteil der Landesteilung von 1334/1338 zugewiesen worden war. Ausdrücklich wurde die damalige Landesteilung als rechte(r) teylunge anerkannt; diese Feststellung wiederholte eine Mainzer Entscheidung des Königs einen Monat später.168 Auch die Goldene Bulle von 1356, die regelmäßig als Schlussstück der der gegen die Landesteilungen gerichteten Verfassungspolitik angeführt wird,169 stellt nicht mehr die Lehnbarkeit der Fürstentümer als Grund für ihre Unteilbarkeit in den Vordergrund. Kaiserlich angeordnet wird die Unteilbarkeit in Kapitel 25 des so genannten Metzer Gesetzes nur noch für die – weltlichen – Kurfürstentümer, das Königreich Böhmen, die Pfalzgrafschaft bei Rhein, das Herzogtum Sachsen und die Markgrafschaft Brandenburg; für diese wird zudem die Primogeniturfolge bestimmt.170 Diese Unteilbarkeits- und Primogenituranordnung ist gewissermaßen die Konsequenz, die Summe zweier Bestimmungen des so genannten Nürnberger Gesetzes der Goldenen Bulle. In Kapitel 7 wird die Nachfolge des Erstgeborenen eines verstorbenen Kurfürsten in dessen Recht, Stimme und Befugnis zur Wahl des Römischen Königs und künftigen Kaisers (electio regis Romanorum in cesarem promovendi) bestimmt171 und vorab der Grund für diese Anordnung benannt: Damit unter den Söhnen dieser, zuvor aufgezählten, weltlichen Kurfürsten über Recht, Stimme und Befugnis in künftigen Zeiten kein Anlass zu Ärgernis und Zwist aufkommen kann und so das Gemein-
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Pfalzgrafschaft, S. 76. Ders., Entfaltung, S. 67: „Die Räson des Königs war zweifellos zuerst dynastisch, dann hausmachtbezogen und dann reichsbezogen.“ 168 H.-D. Heimann, Hausordnung, S. 185. 169 Etwa bei D. Willoweit, Art. „Landesteilung“, HRG 2, Sp. 1418. 170 MGH Font. iur. XI (L. Weinrich, Bd. 2, Nr. 94b): (…) Decernimus igitur et hoc perpetuis temporibus valituro imperiali sanccimus edicto, quod exnunc inantea perpetuis futuris temporibus insignes et magnifici principatus videlicet regnum Boemie, comitatus palatinus Reni, ducatus Saxonie et marchionatus Brandemburgensis, terre, districtus, homagia, vasallagia et alia quevis ad ipsa spectancia scindi, dividi seu quavis condicione dimembrari non debeant, sed, ut pocius in sua perfecta integritate perpetua, permaneant, primogenitus filius succedat in eis, sibique soli ius et dominium competat (…). 171 (…) postquam iidem principes electores seculares et eorum quilibet esse desierit, ius, vox et potestas electionis huiusmodi ad filium suum primogenitum legitimum laicum, illo vero non extante, ad eiusdem primogeniti primogenitum similiter laicum, libere et sine contradictione cuiuspiam devolvatur (L. Weinrich, Bd. 2, Nr. 94 a).
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wohl durch gefährlichen Aufschub behindert wird.172 Recht und Stimme der weltlichen Kurfürsten bei der Königswahl werden in Kapitel 20 des Nürnberger Gesetzbuchs als streng akzessorisch zum Besitz des Fürstentums erklärt: die Kurwürde haftet untrennbar an dem Fürstentum, kraft dessen der weltliche Kurfürst sie innehat.173 Hinsichtlich der übrigen Fürstentümer erscheint die Unteilbarkeit hingegen lediglich angemessen. Die unmittelbare Begründung für die Bestimmung der Unteilbarkeit der Kurfürstentümer wird in Kapitel 25 aus einem Erst-Recht-Schluss aus den Verhältnissen der Nichtkurfürstentümer gewonnen: Wenn es für die übrigen Fürstentümer angemessen ist, in ihrer Unversehrtheit bewahrt zu werden, damit die Gerechtigkeit gestärkt wird und die getreuen Untertanen sich des Friedens und der Ruhe erfreuen, wie viel mehr müssen dann die bedeutenden Fürstentümer, Herrschaften, Würden und Rechte der Kurfürsten unversehrt bewahrt werden – denn wo eine größere Gefahr liegt, dort muss auch ein wirksameres Heilmittel angewandt werden, damit nicht nach dem Brechen der Säulen die Grundpfeiler des Baus einstürzen.174 Deshalb wird die Unteilbarkeit der Kurfürstentümer angeordnet, so dass aus dem abgestuften Gebot des Heilmitteleinsatzes zu schließen ist, dass für die übrigen Fürstentümer diese Unversehrtheit eben nur angemessen ist, aber nicht verordnet wird. In den Gründen der Angemessenheit der Unversehrtheit schimmern die Nützlichkeitserwägungen hervor, wie sie auch die Gedanken Levolds von Northof und Peter Suchenwirts prägten. cc) Fazit Der Lehnsnexus, der die Zeit des staufischen Königtums noch geprägt hatte, ist in den Hintergrund getreten. Das Reich zieht sich auf seine unmittelbaren Belange zurück: Unteilbarkeit wird für die Kurfürsten zur Sicherung der Königswahl gefordert. Im Übrigen erkennt auch das Königtum, der jeweilige König das „familiäre Grundproblem“ der Sukzessionsregelung an. Der König ist selbst Dynast. Deutlich ist in die angeführten Reichszeugnisse das Spannungsverhältnis hineingetragen, in das die Nachfolge in ein Fürstentum eingebunden ist: auf der einen Seite die grundsätzlich 172 Ne inter eorundem principum secularium electorum filios super iure, voce et potestate prefata futuris temporibus scandalorum et dissensionum possit materia suscitari et sic bonum commune periculosis dilationibus impediri (…). 173 De unione principatuum electorum et iurium eis connexorum. Cum universi et singuli principatus, quorum virtute seculares principes electores ius et vocem in electione regis Romanorum in cesarem promovendi obtinere noscuntur, cum iure huiusmodi necnon officiis, dignitatibus et iuribus aliis eis et cuilibet eorum annexis et dependentibus ab eisdem adeo coniuncti et inseparabiliter sint uniti, quod ius, vox, officium et dignitas, alia quoque iura ad quemlibet principatuum eorundem spectantia cadere non possint in alium preter illum, qui principatum ipsum cum terra, vasallagiis, feudis et dominio ac eius pertinentiis universis dinoscitur possidere (…). 174 Si ceteros principatus congruit in sua integritate servari, ut corroboretur iusticia et subiecti fideles pace gaudeant et quiete, multo magis magnifici principatus, dominia, honores et iura electorum principum debent illesa servari (nam ubi maius periculu incumbit, maius debet remedium adhiberi), ne columpnis ruentibus basis tocius edificii collidatur. Decernimus igitur (…).
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anerkannte gleiche Berechtigung aller Söhne am väterlichen Nachlass; auf der anderen Seite das Ziel der Integrität des Fürstentums. Einerseits belehnt Rudolf I. seine beiden Söhne in der auf Teilung ausgerichteten Form der Gesamtbelehnung. Und die Goldene Bulle gibt dem allein zur Nachfolge in das ungeteilte Fürstentum Berufenen auf, sich seinen leer ausgehenden Brüdern und auch Schwestern gegenüber huldvoll zu erweisen, und zwar sofort, entsprechend der ihm von Gott zuteil gewordenen Gnade und entsprechend seinem Entscheid und den Mitteln seines Erbes.175 Andererseits ist das Ziel der Unteilbarkeit im Erbfall, der Integritätswahrung auch zu Lebzeiten des Regenten in den Quellen gegenwärtig. Es war den Fürstenhäusern bewusst, dass Teilung schädlich und Integrität erstrebenswert waren.176 Dieses Spannungsverhältnis kommt dann auch im Fortgang des angeführten Auftrags der Goldenen Bulle an den allein zur Herrschaft Gelangenden, seine Geschwister zu entschädigen, jedenfalls zu versorgen, deutlich zum Ausdruck. Ihm wird verboten, diese Huld, diese Ausgleichsleistungen an die vom Erbe ausgeschlossenen Geschwister durch Teilung, Spaltung und Aufgliederung des Fürstentums und seiner Zubehörstücke zu erbringen.177 Welche Möglichkeiten dem neuen Fürsten in einer Zeit ohne allgemeine Steuer dann noch verbleiben, sagt ihm die Goldene Bulle nicht. Darin liegt aber gerade das Problem. Die Unteilbarkeit wird vornehmlich als eine Frage der Nützlichkeit, des Wohlergehens begriffen. Personell ist kaum das Reich aktiver Träger dieser Sinngebung. Vielmehr sind es die Belange der Stände, wie etwa die Ablehnung der Gesamtbelehnung von 1282 durch die österreichischen Stände es verdeutlicht, und der Familie, des Adelsgeschlechtes, die der Teilung entgegenstehen. In Anbetracht dessen, dass Ausgaben des Fürstentums vornehmlich Ausgaben für Hofhaltung waren,178 musste die Zahl der Residenzen, mithin der (Teil-)Fürstentümer gering gehalten werden, wollte das Haus nicht dem zunehmenden Bedeutungsverlust entgegensehen. Denn geringe finanzielle Mittel bedeuteten geringe Mitgift, geringer Brautschatz und damit keine vornehmen Heiratsverbindungen.179 Damit wird die Frage der Landesteilungen, ihrer 175 Kapitel 25; dies wird dem Wortlaut nach allerdings nicht von dem erstgeborenen Deszendenten, sondern nur dem subsidiär zur Nachfolge berufenen Kollateralen verlangt: In quo casu (dass der Erstgeborene geistig oder physisch nicht zur Führung der Herrschaft taugt) inhibita sibi successione secundogenitum, si fuerit in ea progenie, seu alium seniorem fratrem sive consangwineum laicum, qui paterno stipiti in descendi recta linea proximior fuerit, volumus successurum; qui tamen apud alios fratres et sorores se clementem et pium exhibebit, continuo iuxta datam sibi a deo graciam et iuxta suum beneplacitum et ipsius patrimonii facultates (…). 176 So auch H. Schwarzmaier, S. 165; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 24 f. 177 (…) divisione, scissione seu dimembracione principatus et pertinenciarum eius sibi modis omnibus interdicta. 178 E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 33 ff.; ders., Niedersachsen, S. 663 ff. 179 Ebd, S. 712 ff.: Um 1300 vermochten die Welfen noch fürstlich zu heiraten; Otto der Strenge heiratete 1288 die Wittelsbacherin Mechthild. Hundert Jahre später scheuten sich die Welfen nicht, in Grafenkreise einzuheiraten. Die wirklich vornehmen Heiratskreise im Reich blieben ihnen verschlossen. Diese ständische Verkürzung der welfischen Heiratskreise führt Schubert auf die spätmittelalterlichen Landesteilungen zurück (717).
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Ursachen, aber auch Bekämpfung aus dem vornehmlichen Blickwinkel des Verhältnisses des Fürsten zum Reich, aus der Frage der Amtsqualität der fürstlichen Würde herausgehoben und in den Blickwinkel der Dynastie, des Verhältnisses des Regenten zu Familie und Haus gestellt. Und um es vorab zu sagen: die in der Familie wurzelnden und vielfach durch Abreden mit den „Ständen“ bestärkten Bindungen, Hemmnisse der Verfügungsfreiheit des regierenden Fürsten waren im Spätmittelalter die wirkungsmächtigsten. Insofern verwundert es nicht, dass die moderne Forschung die Landesteilung kaum unter dem Gesichtspunkt der Lehnsbindungen, sondern vor allem, ja nahezu ausschließlich unter dynastischen – und ständischen – Aspekten betrachtet.180 Und doch darf bei der Erkenntnis, dass der Lehnsnexus keine wesentliche einheitsstiftende Wirkung auf die Fürstentümer entfaltete, die Bedeutung des Reiches für das spätmittelalterliche Fürstentum und sein Streben nach äußerlicher Form und Einheit nicht negiert werden. Bedeutsamkeit der Dynastie als aktiver Träger von Unteilbarkeitsbestrebungen und Bedeutsamkeit des Reiches schließen einander nicht aus; sie sind vielmehr aufeinander bezogen. Das Reich war, wie es die moderne Forschung herausstreicht, der notwendige Bezugspunkt des Fürstentums, ohne den dieses nicht gedacht werden kann.181 Und das Fürstentum, nicht die in diesem zusammengefassten Gerechtsamen, sondern die in ihr verkörperte fürstliche Dignität, war der Kristallisationskern der Dynastie. Der Besitz des Fürstentums war das Band, das die Familie zusammenhielt. Die Wertigkeit der Dynastie, die entscheidend formgebende Kraft des Fürstentums, und damit auch ihre Handlungsmotive werden von der vom Reich herrührenden fürstlichen dignitas bestimmt. Mag der Kern des Welfenhauses, sachlich-örtlich die Burg und die Stadt Braunschweig, sinnfällig in ihrer Memoria, auch allodiale, autochtone Wurzeln aufweisen, erhält es seine fürstliche Würde doch vom Reich. Der Stand der Welfen, ihr Rang – und um diesen rankte die Sorge und das Streben des einzelnen Fürsten und seines Geschlechtes, wie es die aufwändige Heiratspolitik belegt –182 war ein Stand, ein Rang im Reich. b) Familienbindungen – dynastische Räson bei der Sukzessionsbehandlung Samtbesitz und Teilung machen es schon sinnfällig: Die Herrschaft, die Summe der in ihr zusammengefassten Rechtstitel, das Fürstentum, gehört nicht, jedenfalls nicht allein dem jeweilig regierenden Fürsten, sondern seinem Geschlecht, der Dynastie.183 Grundsätzlich haben alle männlichen Nachkommen des jeweiligen Inhabers der Herrschaft den gleichen Anspruch auf Beteiligung am Nachlass. Die Dynastie ist das Subjekt, Land und Herrschaft sind das Objekt. Durch die stetige genealogische Umformung des Subjekts wird eine stetige Neugestaltung der Zuordnung des 180 181 182 183
Literaturübersicht bei dems., Fürstliche Herrschaft, S. 117 f. P. Moraw, Fürstentum, S. 121; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 103. Dazu vor allem ders., Niedersachen, S. 712 ff. So explizit auch P. Moraw, Entfaltung, S. 98; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 24.
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Objekts im Einzelnen notwendig. Dies sind vor allem die Teilungen, aber auch die Alienationen, die Verpfändungen, die der Absicherung der Abfindungsleistungen dienten. Insofern ist die Dynastie einerseits Motor der Mobilisierung der Rechtstitel, der immer wieder durch die Ansprüche ihrer einzelnen Vertreter gebotenen Neuzuordnung der Rechtspositionen. Andererseits lassen sich von Anbeginn der Geschichte der Sukzession in den ducatus de Brunswic Widerlager der Mobilität ausmachen. Das Haus sollte den Rahmen der Mobilität bilden; der Dynastie sollten keine Besitzungen verloren gehen. Aber auch der Zersplitterung innerhalb des Geschlechts, der zu breiten Beteiligung Einzelner an der Herrschaft wurde entgegenzuwirken getrachtet. Insoweit lassen die Behandlungsmuster welfischer Sukzession eine dynastische Räson, einen Vorrang des Familieninteresses vor dem Interesse und auch den Ansprüchen des einzelnen Mitglieds, erkennen. Dabei war zwei natürlichen Folgen genealogischer Umformung zu begegnen: Auf der einen Seite vermag sich eine Familie, ein Stamm von Generation zu Generation zu verbreitern. Auf der anderen Seite können Stamm und Familie auch plötzlich sehr schmal werden, zumindest einzelne Zweige können aussterben. Das bedeutet: Zum einen musste die Dynastie der Zersplitterung des Rechtstitelbestandes auf immer weiter auseinander driftende Teillinien, der dynastischen Verselbstständigung begegnen. Zum anderen musste die Dynastie gewappnet sein, das Veröden eines ihrer Zweige aufzufangen und den Heimfall dessen Besitzungen an den König – lehnrechtlich betrachtet – oder die Ansprüchlichkeiten anderer Häuser – etwa gestützt auf ein in weiblicher Linie begründetes Seitenverwandtschaftsverhältnis – auf das erloschene Teilfürstentum abzuwehren. Die Verfestigung der Dynastie im äußeren und die Verschlankung im Bestand ihrer einzelnen Berechtigten mussten zu einer Verfestigung der Integrität des Objekts führen. aa) Bestimmungen von Söhnen für den geistlichen Stand Damit das über Jahrhunderte arrondierte welfische Patrimonium nicht in immer kleinteiligere Zuordnung zerfalle, wurde die Zahl der an Herrschaft und Erbe Berechtigten verringert. Vor jedem Erbfall wurden von den Söhnen des Fürsten einige für die Geistlichkeit bestimmt. Sie wurden Bischöfe von Hildesheim, von Verden oder von Halberstadt. Nach der Sprache der Quellen erscheint es gar, als sei der geistliche Stand gleichsam die Regel und der Laienstand die Ausnahme: die Anzahl der Söhne für den weltlichen Stand schien bestimmt zu sein; die übrigen, in ihrer Anzahl unbestimmten, wurden Kleriker. So verfügte Otto der Strenge von Lüneburg im Jahre 1315, Dath we van vnsen sonen, nenen leyen hebben willen, sunder Otten vn wilhelme.184 Kurz zuvor, im selben Jahr, verpflichteten sich die Ritter Ludolf von Medem und Burchard von Wildenstein als Vögte und Amtleute zu Herzberg, Osterode und Gieboldehausen, ihren Dienst dem Herzog Heinrich (Mirabilis) zu leisten, wenn dieser stürbe, seiner Frau, Herzogin Agnes, gingen auer si beide af, so schulde wi diese degdinge halden vnses herren hertogen Heinrikes eldeste svne, d e n h e l e t e l e y e . 185 Diese Be184 185
Sud. I 279. Sud. I 264.
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stimmung, dass von den Fürstensöhnen nur einige Laien bleiben durften, war offenbar üblich, wozu hätten sonst die beiden Grubenhagener Ritter in ihrem Dienstrevers von 1315 diese Apostrophierung des Ältesten, eben als den Ältesten der weltlichen Söhne, gebrauchen sollen. Ein klares Schema, nach dem das Verhältnis von geistlichen zu weltlichen Söhnen festgelegt worden ist, wird nicht erkennbar. Mal sind es zwei Söhne, die erben sollen, mal auch mehr. Auch wird nicht immer, wenn auch sehr häufig, die Hälfte der Söhne im weltlichen Stand belassen.186 Möglicherweise hing das Zahlenverhältnis auch davon ab, für welche Anzahl an Söhnen eine geistliche Versorgung gefunden wurde. Wohl als eine der Gegenleistungen für die Inpfandnahme der Burg Gieboldehausen und jeweils der Stadt Duderstadt und des Gerichts zu Bernhausen verpflichtete sich der Trierer Erzbischof Balduin als Administrator zu Mainz 1334, drei der Söhne Heinrichs II. von Grubenhagen mit geistlichen Lehen in den Stiften zu Mainz und zu Trier zu beraten.187 Ob und wer im weltlichen Stand verbleiben durfte, scheint regelmäßig der Fürst, Vater und künftige Erblasser bestimmt zu haben. Er handelte insoweit als Träger und Vollstrecker eines Familieninteresses: die Abfindung war von den Eltern und den Brüdern zu leisten.188 Das dynastische Interesse vermochte sich allerdings offenbar auch ohne die väterliche Order durchzusetzen. Möglicherweise war es für die Söhne gleichermaßen attraktiv, ein geistliches Amt mit den damit verbundenen einträglichen Pfründen zu bekleiden. Konrad, der Sohn Ottos des Kindes und Bruder Albrechts I. und Johanns von Lüneburg, verlangte jedenfalls 1266, lange nach dem Tod des Vaters (1252) eine Abfindung dafür, dass er in den geistlichen Stand zurückkehren werde.189 Er war demnach zu diesem Zeitpunkt kein Kleriker mehr, wollte es aber wieder werden. Eventuell war es auch Verhandlungssache unter den Söhnen, wer dem geistlichen Stand angehören sollte, jedenfalls ob der dazu Vorgesehene dort auch verbleibe. 1325 verzichtete Herzog Johann, nachdem ihm seine Brüder eine Leibrente versprochen hatten, auf sein väterliches Erbteil, wenn he denket paphe to blibende.190 Den Söhnen – genauer: Brüdern – im geistlichen Stand musste eine Abfindung gezahlt werden.191 Überliefert sind lediglich die Verabredungen von Abfindungen bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts für die schon genannten Konrad und Johann
186 Nach H. Sudendorf, Urkundenbuch, Bd. 2, S. VII, scheine es Grundsatz in Braunschweig-Lüneburg gewesen zu sein, dass zwei Söhne dem weltlichen Stand erhalten blieben. Dem ist schon G. Pischke, Landesteilungen, S. 80, entgegengetreten. Nach E. Schubert, Niedersachsen, S. 712, war es jeweils die Hälfte der Söhne, die in den einen und den anderen Stand gewiesen wurden. Tatsächlich ist diese Quotierung sehr häufig anzutreffen. Jedoch gibt es auch dazu ein Gegenbeispiel: Von den vier Söhnen, die Heinrich Mirabilis überlebten, ursprünglich waren es acht, wurde nur einer zum Kleriker bestimmt. 187 Sud. I 572. 188 Sud. I 305 (1318). 189 UB Goslar II, 116. 190 Sud. I 403. 191 Dazu näher R. Gresky, S. 301 f.
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sowie für die geistlichen Söhne Ottos des Strengen, Johann und Ludwig.192 Die Erklärung für die deutlichen Unterschiede in der Höhe der Abfindungszahlungen liegt auf der Hand: für Konrad konnten Albrecht und Johann noch auf sämtliche Teile welfischen Besitzes zurückgreifen. Für Ludwig und Johann stand nur der Lüneburger Landesteil ein. Die kärgliche Rente für Johann, den Sohn Heinrichs Mirabilis, musste das kleine Fürstentum Grubenhagen aufbringen. Ein Vergleich der als Abfindung den geistlichen Söhnen und Brüdern zugewandten Vermögenswerte zu denjenigen, die als Erbe auf die weltlichen Nachkommen kamen, gestaltet sich für das 13. und auch noch das 14. Jahrhundert, eine Zeit ohne zentrale Erfassung, Abrechnung und Budgetierung der Einnahmen, schwierig. Zieht man zum Vergleich heran, dass die der Schwiegertochter Ottos des Strengen, der Gemahlin seines gleichnamigen Sohnes, als Leibzucht 1307 ausgesetzte Jahresrente in Höhe von 1.500 Mark mit Schloss und Stadt Dannenberg abgesichert wurde,193 ferner die überlieferten Vogtabrechnungen von Schloss Celle aus den Jahren 1378 bis 1383,194 dann wird ersichtlich, dass die 500 Mark, die Konrad als Abfindung jährlich erhielt in etwa den Einnahmen einer mittleren Vogtei, also eben nicht Celle, entsprachen. Die Abfindung war also tatsächlich eine Versorgungsleistung, ein Trostpflaster und nicht eine äquivalente Ablösung des Erbanspruchs durch eine Geldzahlung, nicht ein gleichwertiger Austausch des Leistungsgegenstandes. Sie wurde ja überdies auch nur so lange gewährt, bis die Einnahmen aus dem kirchlichen Amt den Betrag der Jahresrente erreichten. Kein Instrument zur Verhinderung der Zersplitterung, möglicherweise aber ein Indiz dafür, dass im Bewusstsein der Welfen die Integrität des Patrimoniums ein Ziel darstellte, ist der regelmäßig zu beobachtende Jahre währende Erhalt der Erbengemeinschaft unter den weltlichen Brüdern – wenngleich nahezu alle Gemeinschaften schließlich auf Auseinandersetzung zusteuerten. Gemeinschaft könnte das Ideal, Teilung die Abweichung gewesen sein. Gemeinschaft scheint versucht worden zu sein; Teilung war nicht das sofort Angestrebte. Einem Bruderpaar ist dann auch im 14. Jahrhundert der Erhalt der Gemeinschaft bis zum Tod des einen geglückt: Otto und Wilhelm von Lüneburg, die Söhne Ottos des Strengen. Die Zahl der Söhne, die im weltlichen Stand verbleiben durften, wurde festgelegt, sei es auch im Wege von Verhandlungen. Diese Zahl war aber mit einer Ausnahme195 immer größer als eins. Nur diese Anzahl hätte freilich Teilungen und Abtrennungen wirklich entgegengestanden. Die Belassung einer größeren Zahl im Laienstand ist aber nicht auf Halbherzigkeit bei der Verfolgung des Ziels der Wahrung der Integrität des Patrimoniums, auf Nachgiebigkeit bei der Verhinderung der Zersplitterung, zurückzuführen. Vielmehr verbirgt sich dahinter das weitere, der Integritätswahrung ge192
Sud. I 305 (1318). Sud. I 195. 194 Sud. V 134, 193, 226, 227, 228, VI 48. 195 Als Johann von Lüneburg 1277 starb, war und blieb einer seiner Söhne Geistlicher, während allein Otto der Strenge das väterliche Erbe antrat. 193
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genläufige Ziel dynastischer Räson: die Sicherung des genealogischen Überlebens der Familie. Das Risiko der Nachkommenslosigkeit wurde gestreut; mehr als ein Sohn wurde zur Fortpflanzung des Geschlechts berufen. Als sich abzeichnete, dass Otto der Milde, der älteste Sohn Albrechts II., ohne männliche Nachkommen bleiben würde, kehrte sein Bruder Ernst etwa 1339 aus dem geistlichen in den weltlichen Stand zurück, damit neben dem zweiten weltlichen Bruder Magnus I. ein weiterer Erbe und Sicherer genealogischen Fortbestehens zur Verfügung stand.196 Wer aber im weltlichen Stand verblieb, um eben für den Fortbestand der Familie zu sorgen, der musste auch am Erbe beteiligt werden. Ausschließlich der Eintritt in die Geistlichkeit vermochte diesen Grundsatz der gleichmäßigen Berechtigung und Beteiligung aller Söhne am Erbe – und das hieß: an der Herrschaft – zu durchbrechen. Undenkbar erschien es den Zeitgenossen im 13. und 14. Jahrhundert, Laie zu bleiben, eine Familie zu gründen und nicht auch am väterlichen Nachlass beteiligt zu werden. Eine Beteiligung am Nachlass, die daraus erwachsende Möglichkeit der Begründung eines eigenen Hausstandes, war Voraussetzung für die Schließung einer Ehe, vor allem ebenbürtigen Ehe; und nur aus einer solchen konnten herrschaftsfähige Nachkommen erwachsen. Deshalb war das genealogische Überleben der Dynastie nur gegen den Preis der Teilungstendenz, der Gefahr der Zersplitterung zu sichern.197 Eine breitere Trägerschaft der Fortpflanzung bedeutete Gemeinschaft am Erbe, und Gemeinschaft am Erbe bedeutete in Anbetracht ihrer praktischen Unmöglichkeit schließlich Teilung. Letztlich könnte man das System, die Zahl der Söhne im weltlichen Stand zu begrenzen, aber eben nicht auf einen einzigen, als eine „kontrollierte Teilbarkeit“ des Erbes bezeichnen.198 Es war – vor dem Hintergrund des unangefochtenen Grundsatzes, dass alle weltlichen männlichen Nachkommen gleichermaßen erbberechtigt waren – ein Kompromiss zwischen den Zielen der Vermeidung der Zersplitterung und der des Aussterbens des Hauses.
196
H. Sudendorf, Urkundenbuch, Bd. 2, S. VII. Auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 709 f., stellt die Landesteilungen ausdrücklich in einen Zusammenhang mit dem genealogischen Überleben des Welfenhauses und verweist insoweit auf den hinter den Teilungen stehenden Preis für das Fortleben des Hauses: die Ohnmacht in Folge der Teilungen. 198 Dieses System, Verteilung zur Streuung des Aussterbensrisikos zuzulassen, aber zugleich auch zu begrenzen, lässt sich auch in anderen Fürstentümern beobachten: Zu den Wittelsbacher Rheinpfalzgrafen: K.-H. Spiess, Erbteilung, S. 168 ff.; H.-D. Heimann, S. 247 ff.; H. Schwarzmaier, S. 172, zu einem badischen Erbvertrag von 1380, in dem die Teilbarkeit auf eine Zweiteilung auch in kommenden Generationen festgesetzt wird; auch die berühmte Disposition des Brandenburger Markgrafen Albrecht Archilles von 1473, abgedruckt bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, Bd. 3, S. 678 ff., sah eine Begrenzung der herrschaftsberechtigten Söhne auf drei vor, während die jüngeren Söhne für eine geistige Laufbahn vorgesehen wurden; für die Wettiner: J. Rogge, S. 320 f.; allgemeiner: R. Härtel, S. 200. 197
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bb) Erbverschreibungen und Erbverbrüderungen – Sicherungen kollateraler Erbfolge Teilung, auch gewissermaßen kontrollierte, beschränkte Teilung, führt wenigstens zu Teillinien. Mögen sich auch einige Teilungen noch innerhalb der Generation, in der sie vorgenommen worden waren, teilweise oder vollständig erledigt haben. So wuchsen die unter den Söhnen Heinrichs Mirabilis geteilten Erbportionen in der Hand des Längstlebenden, Ernsts, wieder zusammen. Die Göttinger und die Braunschweiger Linie, die um 1291 voneinander und der Grubenhagener Linie abgeteilt worden waren, fanden unter Albrecht II. nach dem Tod Wilhelms 1292 wieder zusammen. Andere Erbteilungen hatten hingegen Bestand. Sie vervielfältigten sich gar in den Folgegenerationen. Nach der Teilung von 1291 wurde der abgeteilte Zweig Grubenhagen unter den Söhnen des Teilenden Heinrichs Mirabilis erneut geteilt, wenngleich der Nachlass schon in der darauf folgenden Generation wieder zusammenfand, um dann drei Generationen später erneut geteilt zu werden. Auch aus kontrollierter, beschränkter Gabelung des Nachlasses vermochte nach weiteren Generationswechseln eine immer feinere Verästelung des Stammes und seines Vermögensbestandes erwachsen. Bei der ersten Teilung 1267 und auch bei den folgenden mochte man noch geglaubt, zumindest gehofft haben, die Einheit des Hauses durch den – wenn auch eher als ideell zu bezeichnenden – Gemeinschaftserhalt an der Burg Braunschweig und Rechten in der Stadt gesichert zu haben; ein Instrument, das sich schon bei der Sukzession etwa der Northeimer viele Generationen zuvor und auch bei weiteren Verästelungen des welfischen Patrimoniums, etwa bei den Teilungen in der Grubenhagener Linie, beobachten lässt. Lehnrechtlich gewandet: So meinte man, das gegenseitige Anwachsungsrecht, das gegenseitige Erbrecht der abgeteilten Linien gesichert zu haben. Doch drifteten diese Linien von Generation zu Generation immer weiter auseinander. Sinnfällig wird dies auch an dem Wappen, das die beiden großen Linien führten: Die Braunschweiger Linie nahm den englischen Leoparden, die Lüneburger Linie den dänischen Löwen in ihr Wappen auf, jeweils auf die verschiedene Verschwägerung der Teilhäuser anspielend.199 Ein weiteres Zeichen für das Auseinanderleben von abgeteilten Zweigen einer Dynastie sind die ergriffenen Gegenmaßnahmen, vor allem Erbverträge, auch Erbverbrüderungen genannt,200 zwischen ihnen. Wenn man nicht die Fiktion der Samtbelehnung, des Samtbesitzes aufrechterhalten wollte oder ihrer Wirkung, besonders auch nach außen hin, nicht – mehr – traute, sicherte man das gegenseitige Erbrecht der abgeteilten Linien vertraglich, man verschrieb sich für den Fall erbenlosen Todes gegen-
199
G. Schnath, Sachsenroß, S. 20 f. Zum Begriff mit Hinweisen auf die vornehmlich ältere Literatur zu den Erbverabredungen: W. Goez, Leihezwang, S. 105 ff. 200
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seitig das Erbe.201 Zur lehnrechtlichen Wirksamkeit im Sinne einer Bindung auch des Lehnsherrn bedurften sie allerdings dessen Bestätigung.202 Die Erbverschreibung Albrechts des Feisten zu Gunsten seines Bruders Wilhelm aus dem Jahre 1290203 stellt jedenfalls in der auf uns gekommenen Überlieferung keine echte Erbverbrüderung dar, denn eine Gegenverpflichtung Wilhelms ist nicht überliefert, wenngleich sie zu vermuten ist. Aber auch eine solche Gegenerklärung Wilhelms einmal angenommen, wäre diese Verabredung, anders als es ihr Wortlaut nahe legt, nicht als Erbverschreibung anzusprechen, jedenfalls nähme sie unter diesen eine Sonderstellung ein. Denn Albrecht verfügte aus ungeteiltem Nachlass. Wie heute einhellig angenommen, teilten Albrecht und Wilhelm, nachdem für ihren Bruder Heinrich möglicherweise schon 1288 eine Abteilung seiner Interessensphäre stattgefunden hatte, ihre Erbteile erst 1291 voneinander. Ziel der Verfügung konnte also nicht – konstruktiv – die Sicherung oder Wiederherstellung eines gegenseitigen Erbrechts, genauer: Anwachsungsrechts, sein. Dieses bedurfte nicht der gesonderten vertraglichen Verabredung. Von Rechts wegen wäre der Anteil des ohne Nachkommen Verstorbenen an der Gesamthand dieser zugewachsen. Vielmehr ging es Albrecht und Wilhelm – destruktiv – um die Verhinderung der Beteiligung ihres – wohl noch nicht hinreichend eindeutig abgeteilten – Bruders Heinrich Mirabilis an ihren jeweiligen Nachlass. Dieses Ziel erreichte Albrecht schließlich auch: Als Wilhelm erbenlos starb, erhielt allein Albrecht dessen, dann 1291 abgeteilten, Braunschweiger Landesteil. Nach der Teilung von 1291, aber noch vor dem Tod Wilhelms band sich Albrecht erneut, und zwar linienübergreifend und abweichend von 1290, mit seiner Erbfolge. Am 17. Mai 1292 vereinigte er seine Lande, Burgen, Städte und Leute mit denen seines Vetters, des Lüneburger Regenten Otto dem Strengen, derart, dass, wenn einer ohne Erben sterbe, der andere ihm in die genannten Positionen folgen solle.204 Für minderjährige Erben sollte der jeweils Überlebende bis zum zwölften Lebensjahr Vormund sein. Auch sollte das Mündel den Vormund beerben, falls dieser ohne Erben verstürbe. Kurz darauf vertieften Otto und Albrecht ihre Verbindung noch und verabredeten eine Güter- und – auf Lebzeit – eine Herrschaftsgemeinschaft.205 201 Diesen Zusammenhang zwischen Gemeinschaftsfiktion und Erbverbrüderung stellt schon W. Goez, ebd., S. 113, her. 202 Oben B.I.3.a) Anm. 144. 203 Sud. I 117. 204 J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 3; UB Göttingen I, Nr. 36: (…) terras nostras, munitiones, oppida, homines sic inter nos et se univimus et composiuimus, ut equali jure, honore ac libertate et tuitione nobis in perpetuum sortiantur, tali conditione notoria intermixta, quod si unum nostrorum absque heredis fruitione mori contingeret, superstes illius defuncti terras, munitiones, oppida, homines sibi libere ac hereditarie usurpabit. 205 J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 3: Nos Dei gratia Otto et Albertus Duces de Brunswig recognoscimus et profitemur, quod omnia bona nostra, omnem hereditatem nostram, composuimus et eam vnam esse volumus, sine dolo. Temporibus vite nostre omnibus munitionibus nostris, oppidis et subditis, sicut fratres, debemus equaliter dominari.
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Hintergrund und Ziel dieser Erbverabredungen sind nicht leicht zu bestimmen. von Heinemann206 und – ihm folgend – Pischke207 gehen davon aus, dass der Erbvertrag von 1292 dem Zweck diente, ein erbberechtigtes Mitglied der Familie aus persönlichem Groll vom Erbe auszuschließen. Nur kommen hier sogar zwei solche Mitglieder in Betracht: Heinrich und Wilhelm. Welches sollte ausgeschlossen werden? Hatte sich Albrecht im Zuge der Teilung auch mit Wilhelm überworfen? Oder sollte die Verabredung mit seinem Bruder gegenüber derjenigen mit seinem Vetter vorrangig sein? War möglicherweise der erbenlose Tod Wilhelms, dieser starb am 30. September 1292, schon absehbar, so dass schon jetzt zu Lasten Heinrichs verfügt werden sollte? Denkbar erscheint neben diesen Erwägungen aber auch, dass Albrecht die Verklammerung jedenfalls der von ihm vertretenen Göttinger Linie mit dem Lüneburger Zweig des Welfenhauses im Sinn hatte – eventuell eben mit der Perspektive, auch die Braunschweiger Linie mit zu verbinden und die Grubenhagener Linie ihren Sonderweg gehen zu lassen. Deutlicher werden die Ziele der 1322 zwischen den Söhnen Albrechts des Feisten, Otto, Ernst und Magnus, auf der einen und dem Lüneburger Fürsten Otto dem Strengen mit seinen Söhnen Otto und Wilhelm auf der anderen Seite geschlossenen Erbverbrüderung.208 Die Reihe der Verabredungen beginnt mit einer gegenseitigen Hilfsund Beistandspflicht sowie einer Öffnungspflicht ihrer Burgen vn sine slot scolen eme ok open wesen to alle sinen noden. Erwirbt eine der Vertragsparteien etwas an Schlössern oder Landen, soll sie es mit der anderen Seite gleichmäßig teilen. Geschieht der Erwerb allerdings durch Kauf, muss sich der Vertragspartner an dem Kaufpreis beteiligen, andernfalls geht das Erworbene allein an die kaufende Seite. Die Abrede zur Verteilung von Akquisitionen führt in den Kern des Vertrages, zu dem, so steht zu vermuten, Hauptmotiv seines Abschlusses: Der mögliche Erwerb – den es vorrangig zu sichern galt – derjenigen der Herzogin Agnes, der Gemahlin Ottos des Milden von Braunschweig, zur Leibzucht verschriebenen Besitzungen in der Mark Brandenburg. Diese Leibzucht war in ihrem Umfang erheblich, gehörten doch zu ihr Salzwedel, Osterburg, Stendal, Tangermünde, Gardelegen, Sandau, dem Lande zu Camern, Rathenow, Spandau, Berlin, Cöln, Köpenick, Mittenwalde, Liebewalde mit den Gebieten, die zu diesen Schlössern gehörten. Von diesen Schlössern sollten Magnus und Ernst aus der Braunschweiger Linie nach dem Tode Agnes und Ottos Tangermünde erhalten, der übrige Bestand der Leibzucht sollte mit den Lüneburgern geteilt werden. Dieser Erwerb gelang nicht.209 Jedoch schließt sich diesem Hauptmotiv des Vertrages als weitere wesentliche, vor allem nicht durch die Abrede zur Akquisitionsverteilung 206
Bd. 2, S. 45. Landesteilungen, S. 201. 208 Sud. I 365. 209 Zum Fortgang der Sache zu Lasten der Welfen: J. Schultze, Lehnrecht, S. 62 ff. König Ludwig hatte Otto dem Milden zwar 1323 die Brandenburger Besitzungen, que Agnes tenet iure propretario, geschenkt. In Beisein des Königs jedoch belehnte Bischof Albrecht von Halberstadt kurz danach Ludwig von Wittelsbach, dem kurz zuvor die Mark Brandenburg verliehen wurde, mit diesen Besitzungen. 207
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bedingte, zu deren Verständnis, Wirkung und Durchsetzbarkeit nicht notwendige Klausel die gegenseitige Erbverbrüderung an: de herscaph van brunswik soll im Falle, dass Otto, Magnus und Ernst ohne Erben stürben, an die Lüneburger fallen, umgekehrt de herscaph van lvneb an die vorgenannten Braunschweiger Fürsten und ihre Erben. In dieses Ansinnen der beiden paktierenden Linien des Hauses, ihrem Auseinandergleiten entgegenzuwirken, passt sich auch die Abrede ein, sich gegenseitig bestimmte Besitzungen nicht streitig zu machen. Auch wird die Gemeinschaft zwischen den Linien bestärkt durch die Einrichtung gemeinsamer Gerichte in den Ländern Braunschweig, Salzwedel, Lüneburg und Oberwald zur Entscheidung der Streitigkeiten vnder vsen mannen vn luden. Gleichwohl soll bei aller Gemeinschaft die Teilung der Linie, die Grenze der Fürstentümer der Braunschweiger und Lüneburger Linie bestehen bleiben: vser Jowelk scal den anderen laten bliuen bj den olden lantsceden;210 vorangegangene Verabredungen sollen aufgehoben werden,211 sunder de del breue, de hertoghe Jan vse vader vn hertoghe Albert vnse veddere vn vnder en ander gheuen hebbet de scolde we holden. Die Teilung von 1267/69 wird also ausdrücklich bestätigt, aber, so könnte man sagen, innerhalb der Dynastie. Die Erbverschreibung von 1345 ist die erste, die im Rahmen einer Erbauseinandersetzung verabredet worden ist. Magnus und Ernst vereinbarten, wenige Wochen nach der Spaltung der Göttinger und der Braunschweiger Lande, dat vser welk vnder vu vn vnseme vorbenomden brodere ane eruen af ginge (…) so scolde de andere sin land vn sin gud dat ome von sineme vederliken erue an gehe vallen were besitten vn beholden mid aller ghulde vn mid alleme rechte also she dat gehe had vn beseten hedde.212 Hier nun ist das dynastische Interesse, das Ziel, das Gut in der Familie zu halten, eindeutig. Die Erbverbrüderung ist das Restband, das die teilenden Brüder aneinander bindet, das dynastische Widerlager der Erbteilung. c) „Land“, Rat und Stände – territoriale und personale Hemmnisse der Teilungen neben Reich und Familie Nach der Betrachtung des Lehnsnexus und der dynastischen Räson rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob die Welfen bei ihren Erbauseinandersetzungen auf Hemmnisse stießen, die gleichsam im Teilungsgegenstand begründet waren. Bestand ein „Land“ oder bestanden „Länder“, gab es Institutionen oder bildeten Untertanenverbände Einheiten, die einer Teilung entgegenstanden oder auf die zumindest bei der
210 Der gleiche Begriff für die Trennlinie zweier Herrschaften findet auch sechs Jahre später in einer Urkunde zur Grenzregulierung zwischen dem Fürstentum Lüneburg und der Mark Brandenburg Verwendung: (…) tu einer eweghen dechtnisse, deser Suluen Landscheden (…) (Sud. I 439). 211 Dies ist die Abrede von 1292. 212 Sud. II 114.
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Bildung der Erbportionen Rücksicht zu nehmen war?213 Nahmen Stände Einfluss auf die Erbfolgebehandlung der welfischen Fürsten? aa) Erfassung des Regelungssubstrates, des Teilungsgegenstandes in hausrechtlichen Bestimmungen – „Land“? In den Urkunden zur Zuweisung der Erbportion nach der Teilung des Nachlasses Heinrichs des Löwen unter seinen Söhnen 1202 wird zu deren Beschreibung ein Netz von Linien und ein Raster von Punkten über das Gebiet, in dem die welfischen Allodia belegen waren, gelegt. Anhand von geographischen Punkten werden Grenzen über die Fläche gezogen, dazu Ortsnamen aufgezählt. Eine zusammenfassende Bezeichnung, eine Benennung von der Art und Beschaffenheit des Objektes her erfahren weder der zu teilende Bestand noch die Teilungsprodukte. Anders bei der Teilung unter den Urenkeln des Löwen: In dem Vorvertrag von 1267 zur Teilung von 1269 heißt es, dass die bona ipsorum et dominium geteilt werden sollten. Deutlicher wird die Erfassung des Nachlasses durch einen von dessen Gegenstand her gebildeten Begriff in der Bezeichnung der Erbportionen: Brunswich erit dominium speciale et Luneborch aliud per se. Es werden zwei Herrschaften gebildet. Diese sind Zuordnungsobjekt, wenn nach Ermessen des Teilenden Celle ad unum und Gifhorn ad aliud dominium geschlagen werden soll. Keine geographischen Raster, sondern nach den Hauptorten benannte Herrschaften bilden die Erbportionen. Auch in den folgenden Sukzessionsabreden, seien es Teilungs-, seien es Erbverbrüderungsvereinbarungen, finden sich Begriffe, in denen die Summe einzelner Gerechtsame aufgelöst ist. Mag zu 1292 noch unklar sein, wie viele terras nostras die Vettern Otto der Strenge und Albrecht II. vereinigten, ob also terra das jeweilige dominium der Herzöge wiedergibt. In der Erbverbrüderung von 1322 begegnet uns in deutscher Sprache, was 1267 herzustellen in lateinischer Sprache verabredet wurde: die herscaph van brunswik und die herscaph van lvneb. In diesen Ausdrücken erschöpft sich die Beschreibung dessen, was man sich gegenseitig für den Fall erbenlosen Todes verschreibt. 1345 werden die abgeteilten Gebiete nicht als herscaph, sondern – gleichbedeutend – als dat land dar Bruneswich inne lyd und dat land ouer wold dar gotingen inne lit bezeichnet. 213 Von einem einheitlichen verwendeten, randscharfen Begriff des „Landes“ kann nicht ausgegangen werden. Dieses doch so häufig in den Quellen, auch in verschiedenen Wortverbindungen, anzutreffende Wort vermag verschiedene Inhalte und Bedeutungen in sich aufzunehmen. Der von O. Brunner, Land, S. 165 ff., geprägte Begriffsinhalt von „Land“, das er als eine vom Fürsten unterschiedene Größe, auf die sich vor allem der Adel eines Raumes berufen konnte, erfasste, hat sich nicht durchgesetzt (E. Schubert, Land, S. 16 ff.; ders., Fürstliche Herrschaft, S. 59 ff.; E. Bünz). Indes ist es ein Quellenwort, das immer wieder zu deuten ist. Und gewissermaßen als Leitbild, als ergebnisoffene Fragerichtung kann hier auch eine an Brunner orientierte Vorstellung walten, also „Land“ als ein möglicherweise der fürstlichen Verfügungs-, ja Zerlegungsmacht entzogenes, eventuell auch seine teilende Hand leitendes, auch nicht herrschaftlich erfasstes (so für das 14. Jahrhundert herausstreichend E. Schubert, Land, S. 23), Raumgebilde.
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Von diesen so beschriebenen Teilungs- und Vereinigungsgegenständen und -produkten hatte man die Vorstellung eines grundsätzlich abgeschlossenen Raumgebildes fürstlicher Herrschaft. 1267 sollten die Vasallen und Ministerialen extra dominium, 1345 die Lehen buten vnser herscap vnde geh richte in Gemeinschaft behalten bleiben. Das Verständnis von „innerhalb“ und „außerhalb“ setzt die Vorstellung einer grundsätzlich bestimmbaren Grenzziehung des Herrschaftsbereichs voraus. In den Teilungs- und Überweisungsurkunden von 1345 wird diese Grenze zwischen den Ländern Braunschweig und Göttingen auch näher spezifiziert: Das Dorf Hahausen am Barenberg soll die Grenze markieren.214 Und sie musste bestimmt werden, da an die Grenzziehung Folgen geknüpft wurden. Wer im Lande beseten (…) vn von lenes weghene der herscap man war, wurde, je nach dem, auf welcher Seite der Grenze dies der Fall war, dem einen oder dem anderen Bruder zugewiesen.215 Solches territoriale Denken offenbaren auch die Münzverkäufe Ottos des Strengen, 1293 der Lüneburger Münze216 und 1322 der hannoverschen217. Allerdings ist mit tota terra 1293 und deme gancen land 1322 jeweils nicht, wie es schon v. Arnswaldt herausgestrichen hat,218 der gesamte Herrschaftsbereich Ottos des Strengen bezeichnet, sondern nur der jeweils in den Urkunden zuvor von den Burgen, Kirchspielen, Städten und Weichbilden abgesteckte und umschriebene Raum. Schließlich bietet die Erbverbrüderung von 1322 ein Zeugnis der Vorstellung von territorial abgesteckten Herrschaftssphären, wenn sich die Lüneburger und die Braunschweiger Linie der olden landsceden zwischen ihren Herrschaften versichern.219 Der Verlauf der landsceden war indes keineswegs gesichert. Etwa die Raumangabe herscap van Bruneswich beschrieb durchaus nicht von Urkunde zu Urkunde das gleiche Gebiet. Mögen auch Bezeichnungen wie land ouer wold eine klare Umreißung des Raumes, eine Einheitlichkeit und Festigkeit des Raumgebildes suggerieren, war man doch von einer exakten Grenzziehung noch weit entfernt. Deutlich wird besonders in den Teilungsurkunden von 1267 und 1345 sowie der Erbverbrüderung von 1292, dass die Herrschaft vom Zentrum her gedacht und nur insofern exakt zu erfassen ist. Die dominia, die 1267 gebildet werden, tragen die Namen der Hauptorte. 1345 erscheint die Fläche als Ring um die Städte Braunschweig und Göttingen: dat land dar Bruneswich (gotngen) inne lyd. An diesem Kern knüpft die Herrschaft des jeweiligen Fürsten an, wird sie durch besonderen, öffentlichkeitswirksamen Akt sinnfällig, nämlich die Huldigung. 1292 sollen die Bürger Göttingens den Vettern, die ihre Herrschaften in einer Erbverbrüderung vereinigten, huldigen zur Verfestigung, ja zum Vollzug der Vertragsabreden.220 Am 214
Sud. II 104, 107, 110. Sud. II 107, 110. 216 Sud. I 122. 217 Sud. I 356. 218 S. 34 f. 219 Sud. I 365. 220 UB Göttingen I, Nr. 36: Ista igitur fideli ordinatione inspecta, nostri fideles ac dilecti burgenses universi ac singuli civitatis Gotinge nobis iuramentum fecerunt, quod vulgo hulden nuncupatur (…). 215
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selben Tag bestätigt Otto von Lüneburg als Gegenleistung zum Huldigungsempfang der Stadt Göttingen ihre Privilegien;221 kurz darauf auch den Städten Münden222 und Northeim223. Deutlichen Ausdruck findet diese im Kern besonders – eben vertraglich – geknüpfte und sinnfällige Herrschaftsbeziehung, diese Leitfunktion der Stadtherrschaft innerhalb der Herrschaft über das Land, wenn die Pfandnehmer einer Burg bei ungewisser Nachfolge des pfandgebenden Fürsten die Rückgabe der Burg an denjenigen versprechen, der von den zentralen Städten als Herr anerkannt wird. So versprachen die Gläubiger Wilhelms von Lüneburg jeweils 1354, ihre zu Pfand genommenen Burgen, sofern nicht Wilhelms Nachfolge bis zur Lösung des Pfandes geregelt sein sollte, demjenigen auszuliefern, dem die Städte Lüneburg und Hannover Folge leisten.224 Zum Rand hin wird das dominium, wird die herscap unscharf. Es wird 1267 in das Belieben des Teilenden gestellt, zu welchem dominium er Celle einerseits und Gifhorn andererseits schlägt. Schon von daher wird deutlich, dass die Länder keine fest gefügten Einheiten darstellten, die eine Unteilbarkeit nahe legten. Insbesondere die Abteilung des Fürstentums Grubenhagen 1288/91 zeigt, wie frei die Fürsten im Zuschnitt der Erbportionen waren. Die Kristallisation des Landes um die zentralen Orte, die Städte, entfaltete andererseits aber auch keine zentripedalen Kräfte – etwa derart, dass die Städte, wenigstens Braunschweig und Lüneburg, dahinter auch noch Göttingen und Hannover, als Residenzen über ihre unmittelbare Umgebung hinaus Land so an sich banden, dass eine – etwa zum Zwecke der Herstellung größerer Einheiten vorgenommene – Abteilung und Zerteilung dieser Gebiete als Eingriff in ihre Gravitation erscheinen musste. Selbst Braunschweig, der Nabel welfischer Herrschaft, die unter Heinrich dem Löwen, seinem gleichnamigen Sohn und auch noch unter seinem Enkel Otto dem Kind Hauptstadt war, konnte sich 1345 bei der Huldigung ihres neuen Herrn, Herzog Magnus, als en vry stad bezeichnen.225 Ihre Residenzfunktion war, nicht zuletzt als Folge der gemeinschaftlichen Stadtherrschaft aller welfischen Linien seit 1269, die einem unmittelbaren herrschaftlichen Verantwortungsbewusstsein abträglich gewesen sein dürfte, in Verfall geraten.226 Äußeres Zeichen dafür war, dass Dankwarderode, die Burg in Braunschweig, um 1400 ein verfallenes Schloss war.227 Neben fehlender Residenz bot die Herrschaft auch insofern keine „institutionelle Perspektive“, die ihrer Teilung entgegenzuwirken vermocht hätte, als auch die Hof221
UB Göttingen I, Nr. 34. Sud. I 121. 223 OG IV, praef., S. 21 Anm. n. 224 Sud. II 458, 460, 461, 462, 463. 225 Huldigungstext abgedruckt bei Ph. J. Rehtmeier, S. 630 f.; UB Braunschweig IV 162 verweist lediglich dorthin. 226 E. Schubert, Niedersachsen, S. 659 f. Allgemein zur fehlenden Residenzbildung und damit fehlenden Verfestigung von Herrschaft bis ins 14. Jahrhundert: Ders., Fürstliche Herrschaft, S. 77 ff. 227 Ebd., 712. 222
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ämter um 1300 zur „bloßen Titulatur“ erstarrt waren; „der Hof als Verfassungsmitte fürstlicher Herrschaft im Hochmittelalter ist jetzt nicht mehr vorhanden.“228 bb) Räte und Stände Eine ganz ähnlich teilungshemmende institutionelle Perspektive vermag grundsätzlich auch einem genossenschaftlich, vor allem fest verfassten Landstand, insofern insbesondere der Ritterschaft eines Landes, zuzukommen. Dies ist die eine, wohl als unwillkürlich zu bezeichnende Art denkbarer ständischer Wirksamkeit gegen die Landesteilungen. Von dieser Art der Wirksamkeit kaum trennbar ist dann die aktive Rolle der Stände, ihre Mitsprache bei Erbregelungen. Die Wirklichkeit war bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts eine andere: Allenfalls die zweitgenannte Wirksamkeit von „Ständen“ lässt sich in allerersten Ansätzen in dieser Zeit im welfischen Herrschaftsgebiet beobachten. Dass die Städte oder die Prälaten eine auf das oder ein Land bezogene, wie auch immer verfasste Körperschaft gebildet hätten, ist nicht erkennbar. Aber auch für die Ritterschaft lässt sich dies nicht feststellen. v. Arnswaldts gründliche Suche einer auch nur tatsächlichen Einheit der Lüneburger Ritterschaft blieb für die Zeit bis zum Lüneburger Erbfolgestreit ohne greifbare Ergebnisse.229 In einer ihrer Konstitutiva, der Lehnsbeziehung zum Landesfürsten, lag kein genossenschaftliches Element begründet; „der Lehnsverband war kein herrschaftsbezogener Personenverband (…), der zu einem Teil des Untertanenverbandes eines Territoriums geworden wäre.“230 Denn im Lüneburger Gebiet traten neben den welfischen Herzögen auch andere Herren als Lehnsherren der Ritter auf, wie auch die Herzöge von Lüneburg buten de herscap, außerhalb des Landes, Vasallen hatten. Schließlich steht einem einheitlich auf die Herrschaft bezogenen Verband der Lehnsleute die Mehrfachvasallität einiger herzoglicher Lehnsleute, ihre Bindung zu verschiedenen Herren, entgegen. Ganz deutlich wird im Vollzug der Teilung von 1345, dass die Ritterschaft nicht als verfasste Körperschaft, also als Subjekt einer Teilung der Lande entgegenstand, sondern als Objekt in diese mit einbezogen wurde. Die einzelnen Ritter wurden je nach Sitz ihres Gutes dem einen oder anderen Teil zugeschlagen und dem neuen Herrn überwiesen. Im zweitgenannten Sinne einer aktiven Mitwirkung der Landstände oder eines Landstandes an der Nachfolgeregelung, wie sie etwa schon nach der Gesamtbelehnung seiner Söhne durch König Rudolf 1282 in Österreich und 1347 als Protest
228 Ebd., S. 656 ff., bes. S. 659; zu dem Verfall der welfischen Hofämter auch: E. Mertens, S. 123 ff.; C. v. Arnswaldt, S. 23 ff. 229 S. 61 ff., der immer wieder als Zeugnis für ein genossenschaftliches Zusammenwirken der Ritterschaft herangezogene so genannte Ritterorlog von 1284 bis 1287 hat gar nicht stattgefunden; und auch aus den Münzkäufen von 1293 und 1322 entwickelte sich wohl allenfalls ein erster Ansatz zu einem korporativen Selbstverständnis der Ritterschaft im Lüneburger Landesteil. 230 Ebd., S. 32 f.
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der Städte und Ritterschaft gegen eine Teilung der Grafschaft Mark231 zu beobachten ist, finden sich allenfalls Zeugnisse für erste Ansätze. Zu den Erbregelungen sind von Anbeginn der Sukzessionen im welfischen Dukat, wie auch zu anderen herzoglichen Rechtsgeschäften, ritterliche Gefolgsleute, Räte zugezogen worden.232 1267 wurde der Vorvertrag mit Presentibus vtriusque Consiliarijs verhandelt. Die Erbverbrüderung von 1292 wurde mit maturo habito consilio amicorum et fidelium nostrorum verabredet; auch sollte der jeweils andere Teil, wenn er nicht zuvor gefragt werden konnte, das halten, quicquid super necessitate terre cum nostris fidelibus consiliariis placitando. Als Otto der Strenge seinen gleichnamigen Sohn 1315 mit einer Vielzahl seiner Schlösser aussonderte, tat er dies mit rade vnser truwen manne. Den Urkunden von 1322, 1325, 1337 und 1345 lässt sich zwar die Bestellung von Gefolgsleuten zu Zeugen (1322, 1337, 1345) oder Schiedsrichtern (1325) entnehmen. Als Räte der Herzöge geben sich diese aber nicht zu erkennen. Mögen auch Ende des 13. Jahrhunderts in der Anführung der consiliarii in den Urkunden die ersten Konturen eines festeren Beraterkreises durchschimmern, so ist auch im 14. Jahrhundert noch keine Verfestigung zu einer eigenen Institution zu beobachten.233 Einerseits kommen die Ratgeber der welfischen Herzöge aus etwa nur einem Dutzend Ministerialenfamilien.234 Andererseits konnte keine dieser Familien dauerhaft die Herzogsnähe behaupten.235 Es lag in der Entscheidung des Fürsten, ob und wen er zur Beratung zuzog. Ein Mitwirkungs r e c h t kam den zugezogenen Rittern nicht zu.236 Gleichwohl wird man sagen können, dass die Heranziehung bestimmter Gefolgsleute sich für den Fürsten anbot, ja sich ihm geradezu aufdrängte. So wurden Ratgeber berufen, die sich mit den Verhältnissen vor Ort, mit dem Gegenstand des Verwaltungsgeschäftes auskannten. So heißt es schon zur Erbteilung von 1202: Itaque, convocatis principibus et ministerialibus nostris, qui possessiones nostras bene noverunt (…).237 Und vor allem waren die Räte des Herzogs nicht selten auch seine Gläubiger, so dass bisweilen die Einholung ihrer Stimme dem Fürsten angeraten erscheinen musste.238 In der Hinzuziehung der consiliarii, der langsamen Entstehung eines Ratskollegiums, scheinen zugleich erste Ansätze einer ständischen Mitverantwortung auf.239 Weitere Zeugnisse einer ständischen Entwicklung sind zudem die Münzverkäufe von 1293 und 1322 im Lüneburger Fürstentum. Doch sie zeigen zugleich, von wem die Initiative ausgeht. Die Stände bewegen sich nicht zur Mitverantwortung hin, woraus etwa auch eine Opposition gegen die die Kräfte des Landes schwächende Erbteilung hätte erwachsen 231
E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 26. Zur Mitwirkung der Räte bei der landesherrlichen Verwaltung: E. Mertens, S. 120 ff.; C. v. Arnswaldt, S. 41 ff., 69 f. 233 E. Schubert, Niedersachsen, S. 656 ff., 661. 234 C. v. Arnswaldt, S. 41 ff., bes. S. 44; A. Weinmann, S. 218 f. 235 A. Weinmann, S. 218 f. 236 C. v. Arnswaldt, S. 52 f. 237 OG III Nr. 352, S. 853 f. 238 C. v. Arnswaldt, 48 f., 53. 239 E. Schubert, Niedersachsen, S. 661, 855, auch zum Folgenden. 232
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können. Vielmehr bindet der Fürst sie in die Verantwortung mit ein. Er nutzt die Stände – nicht zuletzt etwa die Unabhängigkeit der Städte von generativer Veränderung; ihre Huldigung vermag auch personelle Erneuerungen in ihrem Innern zu überdauern und daher als Kontinuum und Sicherheit für hausrechtlich gefundene Regelungen zu dienen. Dürften die ritterlichen Räte mit ihrem Rat auch ständische, eigene, Interessen transportiert haben. Sie repräsentierten noch nicht, auch nicht in einem sehr weiten Sinne, die Ritterschaft, aus der sie stammten,240 auch wenn in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts häufiger der Rat der treuen Männer in den Urkunden durch Wendungen, wie na rade vnser prelaten, manschop un stede, ersetzt wird. Denn eine Spur dafür, dass der Herzog tatsächlich vor der Beurkundung etwa auf einem Landtag den Rat eines so großen Beraterkreises eingeholt hat, lässt sich nicht finden.241 Das genossenschaftliche Zusammenwirken der Stände, der Untertanen, und entsprechend die Entfaltung ständischer Wirksamkeit auch auf die Fragen der Nachfolgebehandlungen der welfischen Fürsten wird erheblich in den Wirren des Lüneburger Erbfolgestreits beschleunigt.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit Bis sich die Herrschaft Wilhelms von Lüneburg dem Ende zuneigte, hatten die Welfen die Erbfolge im Dukat von dritter Seite unbehelligt unter sich ausgemacht, hatten sie diese als rein innerfamiliäre Frage behandelt. Als sich aber abzeichnete, dass Wilhelm, wie schon sein vorverstorbener Bruder Otto, ohne männliche Nachkommen bleiben würde, zog der Kaiser, der sich bisher aus der Fürstenpolitik des Nordens herausgehalten hatte, die Gestaltung der Nachfolge an sich und löste damit einen langwierigen Streit, späterhin Krieg, aus.242 Kaiser Karls IV. und Herzog Wilhelms – rechtlich begründete – Entwürfe der Nachfolge im Lüneburger Fürstentum standen sich gegenüber. Königliches und dynastisches Interesse stießen aufeinander. In dem Streit um die Herrschaft gewann dessen Objekt an Konturen, erstarkten – zumindest vorübergehend – die Beherrschten.
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C. v. Arnswaldt, S. 60 ff. Ebd., S. 70, und allgemeiner: D. Willoweit, Verwaltung, S. 109. 242 Grundlegend zum Lüneburger Erbfolgestreit, wenn auch teils überholt, nach wie vor: O. Hoffmann. Aus der Fülle der landesgeschichtlichen Arbeiten – solche zum Spätmittelalter kommen am Erbfolgestreit nicht vorbei –: H. Patze, Welfische Territorien, S. 59 ff.; R. Gresky, passim; G. Pischke, Landesteilungen, S. 86 ff.; M. Reinbold, Lüneburger Sate, passim; E. Schubert, Niedersachsen, S. 755 ff. Im Übrigen auch: W. Goez, Leihezwang, S. 103 ff.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 559 f. 241
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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1. Der kaiserliche Standpunkt a) Das Verständnis des Reichs vom Fürstentum Lüneburg – die Belehnungen der Askanier 1355 und 1370 Eingebunden in ein Programm zur Förderung der Askanier, das mit der Zuerkennung des Titels „Pfalzgraf von Sachsen“ 1350 begann und mit dem Empfang der Kurstimme sowie dem damit verbundenen Reichsvikariat im Raum des sächsischen Rechts 1356 einen Schlussstein erhielt,243 versprach Kaiser Karl IV. dem askanischen Haus Sachsen-Wittenberg die Nachfolge im Fürstentum Lüneburg. Er erteilte am 6. Oktober 1355 Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg, dessen Söhnen Rudolf II. und Wenzel und deren Neffen Albrecht, dem Sohn aus der Ehe des verstorbenen Bruders Otto mit Elisabeth, einer Tochter Wilhelms von Lüneburg, die Eventualbelehnung mit der Nachfolge Wilhelms von Lüneburg.244 Das Objekt dieses bedingten Nachfolgeversprechens245 wird in der Urkunde aufs Genaueste beschrieben: ducatum, dignitatem, principatum, libertatem et dominium Illustris Wilhelmi ducis Luneborgensis nostri et sacri Imperij principis et fidelis dilecti cum omnibus et singulis ciuitatibus, municionibus, castris, fortilicijs, pheodis, vasallis, vasallagijs, bonis, dominiis, Monasterijs, seruicijs, theloneis, conductibus, iudicijs, montibus, vallibus, planis, siluis, nemoribus, rubetis, pratis, paseuis, venacionibus, aucupationibus, agris, cultis et incultis, solitudinibus, et desertis, aquis, aquarum decursibus, piscinis Molendinis, Piscacionibus Juribus, gracijs, libertatibus, consuetudinibus, vsibus, et omnibus vtilitatibus, censibus, redditibus et pertinencijs, super terram et sub terra consistentibus, in omni ea forma et modo sicut prefatus Wilhelmus dux Lunemburgensis premissa possedit et possidet in presenti siue sint libera siue alij concessa quocunque nomine premissa omnia et eorum quodlibet nominentur, seu iuxta morem et consuitudinem terre illius specialibus possint vocabulis designari. Herzogtum, Würde, Fürstentum und Herrschaft mit all ihren Bestandteilen und Grundlagen, Objekten und einzelnen Gerechtsamen bilden eine fest verklammerte Einheit. Der Lehnsnexus wird allumfassend gedacht. Gedanklich und sprachlich gefasst wird diese Verklammerung, wie es schon in den Urkunden zu den königlichen Komitatsübertragungen des 11. Jahrhunderts zu beobachten war,246 als Zuordnung zum letzten Inhaber: sein Patrimonium bestimmen Form und Gestalt des Lehens. Sicherlich gibt dies ein Zeugnis patrimonialer Herrschaftsauffassung ab. Zugleich lässt sich diese Zuordnung von Herrschaftstiteln mit dem Oxymoron eines Patrimoniums mit transpersonalen Zügen oder prozesshaft als Transpersonalisierung des Patrimoniums bezeichnen. Nicht nur das, was Wilhelm vom Reich erhielt – sei es im Wege der Erbfolge aus dem Bestand, der 1235 Otto dem Kind verlehnt wurde, oder sei es im Wege der Einzel243
Diesen Zusammenhang stellen vor allem H. Patze, ebd., S. 60 f., und E. Schubert, ebd., S. 755 f., her. 244 Sud. II 523. 245 Zu Eventualbelehnungen und Anwartschaften allgemein: W. Goez, Leihezwang, S. 76 ff. 246 Vgl. oben A.II.1.a).
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und Samtbelehnung Wilhelms mit seinem Bruder Otto 1352 – wird als feudal angesehen. Auch für die von Wilhelm hinzu erworbenen Rechtstitel beansprucht der Kaiser grundsätzlich die aus dem Lehnsnexus herrührende Kompetenz zur Nachfolgebestimmung – mögen Akquisitionen Wilhelms auch tatsächlich allenfalls gering angefallen sein, da sein Lehnsempfang gerade erst drei Jahre zurücklag und überdies der Sprachgebrauch der Beurkundung dieser Investitur von 1352 einen allumfassenden Anspruch des Reiches auf Feudalität der von Wilhelm gehaltenen Rechtstitel offenbart: (…) et omnes possessiones vestras.247 Das bedeutet: Der Fürst erwirbt zwar für sich, sein Patrimonium, zugleich aber auch wegen dessen Identität mit dem Patrimonium für das gleichsam transpersonale Lehen, in dem die fürstliche Würde, das Fürstentum und alle seine Grundlagen verklammert sind, und damit für das Reich. Damit erhält zugleich die oben aufgeworfene Frage nach der Reichweite des Lehnsnexus in der Herrschaftsauffassung für das Spätmittelalter248 eine Antwort: Ein gesondertes Allodium Wilhelms gibt es nicht, ist neben diesem allumfassenden und erweiterungsfähigen Lehnsnexus nicht mehr denkbar. Dies so beschriebene Patrimonium Wilhelms wird als perpetuum principatum seu principale et ducale feodum den genannten Askaniern für den Fall übertragen, dass Wilhelm keinen rechtmäßigen männlichen Erben hinterlasse. Über die Ziele, die Karl IV. mit der Privilegierung der Askanier verfolgte, ist verschiedentlich spekuliert worden249. Sie können hier insofern dahinstehen, als niemand behaupten mag, Karl IV. habe allein dem Reichs-, dem Lehnrecht zur Durchsetzung verhelfen wollen, ohne jegliche weitergehenden politischen oder auch wirtschaftlichen Absichten seines Hauses oder des Reiches. Nachdem Wilhelm 1369 – wie vorhergesehen – ohne männliche Nachkommen gestorben war, belehnte Karl IV. 1370 die askanischen Herzöge Rudolf II., Rudolf I. war zwischenzeitlich verstorben, Wenzel und Albrecht mit dem hertzochtum, furstentum vnd herschafft zu Lunemburg und mit allem, was dazu gehört, als die egenanten Otto vnd Wilhelm hertzogen von Lunemburg dey weyl sie lebten besessen vnd gehalden haben, und übergab ihnen die furstlichen lehenvanen250. Seinen Rechtsstandpunkt, der der Eventualbelehnung von 1355 schon zu Grunde gelegen hatte, spricht der Kaiser nun, 1370, ausdrücklich aus: Das Herzogtum, Fürstentum und Herrschaft Lüneburg, wie sie Otto und Wilhelm innehatten, sind daher, daz sie (Otten vnd Wilh.) ane leybes eliche mannes erben vorscheyden sint (…) ihm vnd dem hilgen riche als rechten ordentlichen vnde naturlichen lehenherschafft leddik worden, und er habe dieses Lehen seinem Versprechen, der Eventualbelehnung, gemäß den Askaniern übertragen. Abweichend von der Urkunde von 1355 erscheint 1370 als vorheriger Inhaber des Herzogtums, des Fürstentums und der Herrschaft zu Lüneburg nicht allein Wilhelm, sondern neben ihm auch immer sein Bruder Otto. An einer Stelle sogar 247 248 249 250
Sud. II 411. Oben A.III.2.a). Ausführlich dazu H. Patze, ebd., S. 60, 62; E. Schubert, ebd., S. 756. Sud. IV 11, 12.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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fälschlicherweise: Die Askanier waren, so beschreibt es die Urkunde, mit ihrem Anwartschaftsrecht, das ihnen zu den zeyten do seliger gedechtnisse die hochgebornen Otto vnd Wilhelm die weyle hertzogen ze Luneburg dennoch lebten, eingeräumt worden sei, an den Kaiser herangetreten und hatten um Belehnung nachgesucht. 1355 war Otto jedoch schon verstorben. Mit dieser Abweichung gegenüber der Eventualbelehnungsurkunde wird ein Bezug zu der kaiserlichen Belehnung der Brüder Otto und Wilhelm von 1352 hergestellt. Im Todesjahr Ottos hatte Karl IV. sie gemeinsam und jeden einzelnen von ihnen (vobis et cuilibet vestrum) mit Principatus, Terras, Dominia Vasallagia et omnes possessiones vestras (…) belehnt.251 Der Gegenstand der Belehnung wird zwar nicht als Herzogtum Lüneburg bezeichnet, so dass nicht ohne weiteres auf eine Sonderbelehnung der Brüder mit dem Teilfürstentum Lüneburg, also eine deutlich zum Ausdruck kommende lehnrechtliche Aus- oder Absonderung des Fürstentums Lüneburg aus dem Dukat Braunschweig(-Lüneburg) zu schließen ist. Die Titelverwendung der Reichskanzlei aber stellt den Bezug allein zu Lüneburg her, gibt also einen entsprechenden Hinweis auf den 1355 und 1370 bekleideten Standpunkt des lehnrechtlichen Sonderschicksals Lüneburgs: Otto und Wilhelm empfingen als Duces de Lunemburg die Reichslehen. Offenbar betrachtete das Reich schon vor 1355 die welfischen Teilfürstentümer als eigenständige Lehen. b) Die lehnrechtliche Fragestellung des Erbfolgekonflikts Ist es ohnehin grundsätzlich problematisch, aus den zeitlich versetzt überlieferten, in ihrer normativen Geltungskraft schwer zu bewertenden Rechtsquellen einen festen Rechtsstandpunkt zur Beurteilung zeitgenössischer oder gar zu den Rechtsquellen nur zeitnaher Handlungen einzunehmen, ist die vor allem von Patze252 bekleidete Rechtsauffassung eines Verdiktes des Rechtsbruchs über die kaiserliche Nachfolgeregelung nach dem Aussterben des so genannten Älteren Hauses Lüneburg, die zu Lasten der überlebenden Braunschweiger Linie ging, allermindestens zu einseitig. Die für eine lehnrechtliche Beurteilung zentrale Frage lautet: War das 1235 errichtete welfische Herzogtum trotz aller Teilungen seit 1267 noch eine lehnrechtliche Einheit? Denn anerkannt war – auch im Welfenhaus, darauf deutet der Aufwand hin, bei allen Teilungen eine Restgemeinschaft zu erhalten – der Grundsatz „Teilung bricht Erbe“, nach dem das Folge-, genauer: Zuwachsungsrecht der Agnaten von dem Erhalt der Gesamthand an dem Samtlehen abhing.253 Die Frage nach dem Erhalt der Einheit, nach der Qualität und Intensität stattgefundener Teilungen ist insbesondere auch vorrangig gegenüber der von Pischke im Anschluss an eine Bemerkung von 251
Sud. II 411. Welfische Territorien, S. 60 ff. Mit der Eventualbelehnung „verstieß der Kaiser eindeutig gegen die Gründungsurkunde des Herzogtums Braunschweig und gegen den seit langem beachteten Leihezwang“ (S. 60), setzte er „Reichsrechte und Gewohnheitsrechte (…) außer Kraft“ (S. 61); „kaiserliche Willkür“ (S. 67); der Kaiser habe „die Zerreißung der welfischen Lande um jeden Preis herbeigeführt“ (S. 75). 253 Siehe oben A.III.2.b). 252
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Goez254 vertretenen Auffassung, Karl IV. habe – bewusst – übersehen, „dass dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg bei seiner Gründung 1235 die subsidiäre weibliche Erbfolge zugestanden worden war“.255 Noch deutlicher: Auf die Frage nach der Geltung weiblicher Erbfolge für die Nachfolge in den Lüneburger Landesteil kommt es überhaupt nicht an. War nämlich die Gesamthand des Welfenhauses am Braunschweig und Lüneburg umfassenden Dukat 1355/70 noch intakt, konnte der Kaiser nicht über einen, dann unselbstständigen Teil desselben verfügen. Lüneburg wäre nach dem Tod Wilhelms ohne weiteres dem – in sich in drei Linien gespaltenen – Braunschweiger Teil zugewachsen. Die Belehnung der Askanier verletzte dann die Rechtsposition der überlebenden Agnaten des Welfenhauses. Für Überlegungen zur weiblichen Erbfolge besteht in diesem Fall keinerlei Anlass. Hatten hingegen die Erbauseinandersetzungen, insbesondere die Teilung von 1267/69, die Gesamthand aufgehoben, dann wäre die Herrschaft Lüneburg als Spaltprodukt dieser ersten Erbteilung seither ein Sonderlehen, an dem das übrige Welfenhaus, die Braunschweiger Linie, kein Folge- und Anwachsungsrecht mehr genoss. Die welfischen Kollateralen der abgehenden Lüneburger Linie stünden dann wie jedes beliebige andere, wenngleich verwandte, Geschlecht zu deren Hinterlassenschaft. Das Recht weiblicher Erbfolge wäre hier für die Braunschweiger Seitenverwandten nur dann nützlich, wenn einer von ihnen in weiblicher Linie mit den abgehenden Lüneburgern verwandt gewesen wäre. Dies war nicht der Fall. Überdies wäre zunächst der – kaum zu beantwortenden – Frage nachzugehen, ob ein den Inhabern eines Gesamtlehens zugestandenes, „unübliches“, Recht auch im Falle der Aufhebung der Gesamthand hinsichtlich der abgespaltenen Lehen fort galt. Schließlich stünden bei weiblicher Erbfolge der Askanier Albrecht, ein Abkömmling Wilhelms in direkter weiblicher Linie, neben Graf Otto II. von Waldeck, der mit Mathilde, einer weiteren Tochter Wilhelms, verheiratet war,256 der Verlassenschaft Lüneburg am nächsten.257 254 Leihezwang, S. 104; in einer Anmerkung heißt es dort: „merkwürdigerweise blieb unbeachtet, dass in Braunschweig subsidiär weibliche Erbfolge seit der Begründung des Herzogtums 1235 galt“. Offenbar diese Äußerung macht Goez zu einem Zeugen des Widerspruchs der Belehnung der Askanier mit der Herzogsurkunde von 1235 (so bei E. Schubert, Niedersachsen, S. 757). 255 Landesteilungen, S. 87. 256 Ebenso vermochte Wilhelms Tochter Mechthild, die nach Ludwigs, des Sohnes Magnus von Braunschweig, Tod den Grafen Otto von Schaumburg geheiratet hatte, die Erbfolge zu vermitteln; sie hatte allerdings 1369 auf alle Ansprüche auf Lüneburg zu Gunsten des Braunschweigers Magnus verzichtet, Sud. III 432; ihr Gemahl musste schon bei Eheschließung auf eventuelle Ansprüche auf Lüneburg verzichten, überdies begab er sich in die Dienste der Herzöge Wilhelm und Magnus, Sud. 370, 372, 373. Zum Anspruch der Waldecker H. Patze, Welfische Territorien, S. 63: Graf Otto II. bewarb sich auch tatsächlich um die Nachfolge in die Lüneburger Herrschaft. Ein Hofgerichtsurteil erkannte die Ansprüche des Grafen grundsätzlich an und sprach ihm einen Entschädigungsanspruch gegenüber Wilhelm von Lüneburg in Höhe von 100.000 Mark zu. Diese erfüllte Wilhelm allerdings nicht. 1360 verhängte der Kaiser über Otto die Acht, dann die Aberacht. Jedoch versuchte es ein weiterer Waldecker Graf 1370: Graf Heinrich forderte die Bürgermeister und Ratsherrn von Lüneburg auf, ihm zu huldigen, daz wyr eyn recht Erbe syn tzu dem Lande Luneburg (Sud. IV 82).
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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Eine Antwort auf die zentrale Frage, ob die Welfen bei aller Teilung die äußere Einheit des Herzogtums bewahrt hatten oder ob diese bloß fingiert wurde, lässt sich retrospektiv nicht sinnvoll geben. Fern liegend erscheint die der kaiserlichen Behandlung Lüneburgs als heimgefallenes – da es insoweit nach den üblichen Rechtsgewohnheiten bemessen an einem Lehnserben fehlte – (Sonder-)Lehen zu Grunde liegende Bewertung, die Verbundenheit mit Braunschweig im Gesamtlehen sei längst zerbrochen, aber keineswegs. Und wenn sich die Welfen in immer neuen Erbverbrüderungen zusammenschlossen und sich wie 1322 ihrer olden landsceden zwischen den beiden Hauptlinien versichern, zeugt dies nicht gerade von einem gesicherten Bewusstsein einer ungeteilt erhaltenen Gemeinschaft.
2. Die welfische Nachfolgelösung a) Die Vereinbarungen zwischen Wilhelm von Lüneburg und Magnus von Braunschweig von 1355 Gerade auch Wilhelms eigene Nachfolgeregelung fußt offensichtlich auf einer von der kaiserlichen Anschauung gar nicht so abweichenden Bewertung der bisherigen Sukzessionsgepflogenheiten im Welfenhause. Auch er scheint kein großes Vertrauen in den Bestand, zumindest die äußere Wahrnehmung, der Gesamthand mit den übrigen Linien des Hauses gehabt zu haben. Jedenfalls ist sie nicht von einem Vertrauen in ein bestehendes, anerkanntes Anwachsungsrecht der Braunschweiger Linien geprägt. Wilhelm hatte schon vor den Unternehmungen Karls IV. die Regelung seiner Nachfolge in Angriff genommen. Für die ältere, auch noch von Patze258 vertretene Auffassung, dass Wilhelm zunächst seinen Enkel Albrecht, den Sohn seiner Tochter Elisabeth mit dem Askanier Otto von Sachsen-Wittenberg, als Nachfolger ausersehen und für diesen eine Eventualbelehnung zu erlangen versucht und erst dann, nach einem Meinungsumschwung, eine innerdynastische Regelung bevorzugt habe, gibt es, wie Pischke es dargelegt hat, keine Anhaltspunkte.259 In der Regelung zur Rückgabe mehrerer von Wilhelm am 13./19. April und 1. Juni 1354 verpfändeter Schlösser drückt sich die fehlende Gewissheit um die Nachfolge Wilhelms aus. Die Pfandnehmer geloben, dass sie für den Fall, dat vse vorbenomede here van luneborch ane rechten eruen af ghinge vnd sin land vnd slote nemende lete 257 Dies blieb auch zeitgenössischen Betrachtern nicht verborgen: Im Streit um die Huldigung in Lüneburg, zu dem auch der Bischof von Minden um Rat gefragt wurde, schrieb Kardinal Johann, päpstlicher Pönitentiar, 1375 an die Bischöfe von Verden und Minden unter anderem, dass das Herzogtum Lüneburg dem Askanier Albrecht ohnehin nach Erbrecht gebühre, Sud. V 49. 258 Welfische Territorien, S. 59 ff. 259 Landesteilungen, S. 86; dort S. 255 f. Anm. 463 Zusammenstellung der Literatur zu der älteren, auf einer Angabe der Lüneburger Chronik fußenden Darstellung; Pischke folgend: E. Schubert, Niedersachsen, S. 755.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
(…) mit dessem vor benomede Slote bliuen bi den steden luneborch vnd honouere, wen se vor enen heren endrechtliken helden vn hebben wolden; und noch deutlicher: Sie schwören die Einhaltung der Verpflichtung gegenüber Wilhelm von Braunschweig und Lüneburg vnd sinen nakomelinghen vnd deme oder den he sine herschap gehe laten ofte be valen hedde und, sofern Wilhelm keine solche Nachfolgebestimmung getroffen haben sollte, gegenüber demjenigen, den die Städte Lüneburg und Hannover dann als Herrn anerkennen.260 Eine – wie anders als rechtlich – gesicherte Perspektive der Nachfolge wird nicht erkennbar. Vielmehr sieht man Handlungsbedarf bei Wilhelm; er muss eine Nachfolgeverfügung treffen, und er hat sie offensichtlich noch nicht getroffen. Diese fand Wilhelm dann am 23. Juni 1355 gemeinsam mit seinem recht entfernten Vetter, die Großväter waren Brüder, Magnus I., der das Land Braunschweig im Braunschweiger Zweig der Familie innehatte. In zwei übereinstimmenden Urkunden niedergelegt, wurde vereinbart, dass Ludwig, Magnus Sohn, Wilhelms Tochter Mechthild heiratet. Vnde storue we – so heißt es in der von Wilhelm ausgestellten Urkunde weiter – ane rechte eruen so schal he mid vser dochter vse gantzen Herschop to Luneborch hebben vnde beholden alse vse rechte erue vnde en here der herschop261. Sollte die auflösende Bedingung, dass Wilhelm doch noch Erben geboren werden, en Sone edder mer – offensichtlich war auch unter den Welfen selbst die ihnen eingeräumte weibliche Erbfolge längst in Vergessenheit geraten –, eintreten, so soll dieser oder sollen diese die Herrschaft Lüneburg und Ludwig mit Mechthild stattdessen drei Schlösser erhalten. Stirbt Ludwig und bleibt Wilhelm erbenlos, so soll ein anderer Sohn Magnus, den Wilhelm dann auswählt, Mechthild heiraten und mit ihr die Herrschaft Lüneburg bekommen. Die Verlassenschaft Wilhelms, die Herrschaft zu Lüneburg, wird also als Mitgift an den unter den Söhnen Magnus erwählten Ehemann vergeben. Die Vergabe über eine Heiratsverbindung mutet eher als ein inter-, denn als eine innerdynastische Maßnahme an. Überdies bedurfte es wegen zu naher Verwandtschaft für den Eheschluss auch noch des päpstlichen Dispenses.262 Die Linien des Welfenhauses, gerade die beiden Hauptlinien, waren nun seit beinahe einhundert Jahren getrennt, waren offenbar auseinandergedriftet. Das Verständnis einer bestehenden Einheit – mit der rechtlichen Folge eines „automatischen“ Anwachsungsrechts – kommt in Wilhelms Entwurf einer Nachfolgeregelung gerade nicht zum Ausdruck. Die (Wieder-)Herstellung dynastischer Einheit, die Zusammenführung gespaltener Teile des welfischen Patrimoniums wird nun aber energisch angegangen. Wie im Vertragswege unter den weitläufigen Vettern die Nachfolge Wilhelms geregelt, räumt Magnus diesem auch die vertragliche Mitgestaltung seiner Nachfolge im Braunschweiger Landesteil ein, obgleich diese anders als die des Lüneburgers in Anbetracht dessen, dass Magnus I. mehrere Söhne hatte, keineswegs ungewiss und ungesichert war. In zwei nahezu gleichlautenden, ebenfalls am 23. Juni 1355 niedergelegten Ur260 261 262
Sud. II 458, 460 – 463, 469. Sud. II 506. Sud. III 94.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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kunden wird zunächst noch einmal wiederholt, dass Wilhelm seine Herrschaft Lüneburg, hinzugefügt wird nun auch: vnde dat we hebbet an der Herschop to Brunsw., Ludwig, dem Sohn Magnus, lassen werde; allerdings nur für den Fall, dass ihm nicht noch ein oder mehrere Söhne geboren würden.263 Dann aber rückt die Braunschweiger Herrschaft in den Mittelpunkt: Vnde vse vor benomede veddere Hertoghe Magnus Schal Sinen sone den suluen Junkheren Lodewighe ok setten bi Sineme leuende vnde ane voretoch an de Herschop to Bruns. vn an alle dat dat dar to hord dat vse veddere Hertoghe Magnus heft also dat Junkhere Lodewigh na vses vedderen dode Sines vaderes de Herschop to Brunsw. vnde na vseme dode de Herschop to Luneborch to samene hebben schal vnghedelet vnde schal der Twier Herschop en recht here bliuen Ane einerleye ansprake Siner Brodere. Mit dieser nicht unter die Bedingung der Erbenlosigkeit Wilhelms gestellten Abrede wird über das Ziel, den Verlust Lüneburgs für das Welfenhaus zu verhindern, hinaus die Zusammensetzung bisher gespaltener Bestandteile des welfischen Patrimoniums und der Erhalt der zu gewinnenden Einheit angestrebt. Unter Ludwig, den sein Vater schon jetzt mit in seine Regentschaft aufnehmen soll, oder im Falle seines Todes einem seiner Brüder, sollen beide Herrschaften vereinigt werden. Und erstmalig wird die Unteilbarkeit in einem Hausvertrag vereinbart:264 Die vereinigte Herrschaft soll – und das unter nur einem Herrn – ungeteilt bleiben. Der bisher immer eingehaltene Grundsatz der Nachfolgebehandlung, dass alle weltlichen Söhne gleichermaßen am Erbe beteiligt werden müssen, wird aufgegeben. Die Brüder Ludwigs oder eines anderen zu Herrschaft kommenden Sohnes Magnus sollen keine Ansprüche an oder auf die Herrschaft stellen. Was aus ihnen werden soll, ob sie irgendeinen Ausgleich für den Verlust ihres Erbanspruches erhalten, gibt die Urkunde nicht preis. Wer unter den Söhnen Magnus im Falle, dass Ludwig vor Wilhelm sterben sollte, an seiner Stelle nicht nur als Nachfolger Wilhelms in Lüneburg, sondern als Magnus Nachfolger in Braunschweig eingesetzt wird, sollte allein Wilhelm bestimmen. Magnus verblieb, selbst für seine eigene Erbfolge, dann nur der Vollzug des Willens seines entfernten Vetters; er sollte den von diesem bestimmten Nachfolger zu seinen Lebzeiten und ohne Verzug in die Herrschaft Braunschweig einsetzen. Das Regelungswerk vom 23. Juni 1355 ist gekennzeichnet von der Sorge um die Gefahren einer ungesicherten, ungewissen Nachfolge in Lüneburg. Dies kommt in dem, allein von Wilhelm formulierten, Vertragsziel zum Ausdruck: vppe dat we Vrede vnde rowe maken vsen vndersaten in vser Herschop vnde se bi endracht vnde bi eren be holden na vseme dode.265 Dass Frieden und Ruhe in Folge der Söh263
Sud. II 507. Die Erklärungen beider Herzöge, Wilhelms und Magnus, werden durch ihre Bezogenheit aufeinander zu einer Vereinbarung. Magnus Erklärung, die Urkunde, die ihn als Aussteller ausweist, wird in der älteren Literatur auch als „Testament“ Magnus I. bezeichnet, so von J.J. Moser, Teutsches Staatsrecht, Th. XIII, S. 69, und H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 279; allerdings datieren beide Magnus Disposition fehlerhaft auf das Jahr 1351. 265 Sud. II 507; H. Patze, Welfische Territorien, S. 60, wertet, dass diese Worte „eine für die Zeit ungewöhnliche Herrschaftsauffassung zum Ausdruck“ bringe. 264
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
nelosigkeit Wilhelms ernsthaft in Gefahr waren, bestätigten die Ereignisse nach Wilhelms Tod. In dieser Situation besinnen sich die Welfen ihrer offensichtlich und auch in ihrem Bewusstsein zwischenzeitlich abhanden gekommenen familiären Zusammengehörigkeit, auch und, wie es scheint, vor allem der Ziele ordentlichen fürstlichen Handelns: Integrität statt Teilung – ein lehnrechtliches, aber auch dem Lande nützliches Gebot. Und das Land, die zu Beherrschenden, werden in die Umsetzung von Wilhelms Nachfolgeregelung mit eingebunden; sie werden mit in die Verantwortung genommen. Wilhelm ernannte am 1. August 1356 für den Fall, dass er ohne einen oder mehrere Söhne zu hinterlassen sterbe, ein Ratskollegium, damit dieses nach seinem Tode Ludwig in allen Handlungen in der Herrschaft zu Braunschweig und Lüneburg bis zu dessen 30. Lebensjahr berate; ja, Ludwig ist gehalten, dieses Kollegium zu allen Regierungsgeschäften hinzuzuziehen, um dessen Rat und Zustimmung einzuholen.266 Überdies kam dem Ratskollegium die Aufgabe zu, im Falle des Todes von Wilhelm und Ludwig einen anderen Sohn Magnus I. auszuwählen, den scholden se vnde andere vse Man vnde de lande, de herscup to Brunszw. vnde luneborg vor enen rechten heren holden vnd hebben. Das Kollegium setzte sich zusammen aus sechs – sehr häufig von Wilhelm zugezogenen –267 Rittern, dem Küchenmeister und dem Schreiber Wilhelms sowie je zwei Ratsherrn aus Lüneburg und Hannover und einem aus Uelzen. Wilhelm reklamierte für sich, zu seinen Lebzeiten verstorbene Ratsmitglieder zu ersetzen und das Kollegium zu ergänzen. Nach seinem Tod aber sollte der Rat selbst die Nachfolge verstorbener Ratgeber bestimmen, je nach dem, aus welchem Stand das verstorbene Mitglied entstammte: Riddere edir knecht edir Borgere. Er, Wilhelm, behielt sich den Widerruf der Bestellung des Ratskollegiums vor; Ludwig sollte diese Möglichkeit, wie auch die Möglichkeit der Ersetzung einzelner Mitglieder, verwehrt bleiben. Die zu Räten Bestellten und Ludwig beschwören Wilhelms Bestimmungen.268 Die Urkundspraxis der Folgezeit berücksichtigt ebenso die Aufgabe des Rates: Gegebenenfalls sollte der jeweilige Vertragspartner einem von dem Ratskollegium gewählten Nachfolger – Wilhelms und – Ludwigs verpflichtet sein.269 Die Einbindung der im Rat vertretenen Stände zur Beaufsichtigung Ludwigs bis zu dessen vergleichsweise reifen Alter von 30 Jahren und darüber hinaus zur aktiven Gestaltung der Nachfolge im Fürstentum Lüneburg, wie auch im Fürstentum Braunschweig – wenngleich in dem dynastischen Rahmen der männlichen Nachkommenschaft Magnus I. – bedeutete eine Entäußerung von Rechten des Fürstenhauses. Nach dem Regelungsgeflecht vom 23. Juni 1355 und vom 1. August 1356 konnte 266 Sud. II 561: (…) vnd he Junchere lodewich vse feddere en schal na vseme dode nicht don vnde handeln laten eddir enden dar der hersscup to Brunszw. Vnd luneborg macht ane is ane eren endrechtliken Rad vnd vulbord also lange dat he drittich jar old is (…). 267 Vgl. Zusammenstellung bei C. v. Arnswaldt, S. 49 f. 268 Sud. II 562, 566. Schon gleich nach den Vereinbarungen vom 23. Juni 1355 nahm Ludwig an den Herrschaftshandlungen im Fürstentum Lüneburg teil, Sud. II 528; vgl. auch G. Pischke, Landesteilungen, S. 87. 269 Sud. II 568, III 21, 119, 147, 216, 218, 235, 250.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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der – möglicherweise von Wilhelm, vor allem von Magnus nicht bedachte – Fall eintreten, dass ein Dritter, eben das Ratskollegium, ohne den, gegebenenfalls sogar gegen den Willen der Familie über die Nachfolge in einem Fürstentum verfügte: Bestimmt war, dass der Rat nach dem Tod Wilhelms und Ludwigs unter den Söhnen Magnus den Nachfolger erwählt. Eine Einschränkung, dass dies noch zu Lebzeiten Magnus I. nicht gelten sollte, findet sich nicht. Insofern war eine Konstellation, der lebzeitigen Bindung eines Fürsten an eine Kollegentscheidung möglich. Das Ziel, für das Wilhelm und auch Magnus diesen Macht- und Rechtsverlust in Kauf nahmen und nehmen mussten, war die Förderung und Sicherung der Umsetzung von Wilhelms und Magnus Entwurf für die Nachfolge in Lüneburg, wie auch das Zusammenführen der großen Teillinien des Hauses, gegen die kaiserlich erzeugten und geförderten Ansprüche der Askanier oder auch anderer Häuser. Der zur Selbsterneuerung fähige Rat war ein Kontinuum, das Generationswechsel zu überdauern vermochte und daher ein Instrument, das für die Aufgaben der Überwachung und Vollstreckung eines fürstlichen, eines dynastischen Willens bestens geeignet war. Die „begrenzte Entpersönlichung des Herrschaftsbegriffes“270 war ein notwendiges Mittel zur Erzeugung von Kontinuität, auf die es in der zu erwartenden Auseinandersetzung besonders ankam. Das Ziel der Sorge um die Kontinuität kommt insbesondere auch zum Ausdruck, wenn sich das Ratskollegium 1357 verpflichtet, beim Tode Wilhelms jeweils 20 Bewaffnete zur Niederschlagung von Aufständen und Fehden gegen Ludwig und die Herrschaft von Braunschweig und Lüneburg zu stellen.271 Im Übrigen bedeutete die Einräumung von Mitsprache und Mitbestimmung eine Bindung der Räte und wohl auch der Stände, aus denen sie sich rekrutierten, an die Fürstenfamilie; eine Bindung, die Akzeptanz zu erzeugen vermochte, auf die Herrschaft als ein flüchtiges Gut angewiesen ist. Von diesem Ziel der Umsetzung seiner Vorstellung von der Nachfolge in Lüneburg entfernte sich Wilhelm aber, als er nach nur einem halben Jahr die Ratsleute aus den Städten Lüneburg, Hannover und Uelzen aus dem Ratskollegium wieder entließ272. Warum Wilhelm mit dieser Maßnahme einerseits das Instrument des Ratskollegiums schwächte und andererseits das Wohlgefallen der Städte an seiner Nachfolgeregelung – um es zurückhaltend zu formulieren – gefährdete, erschließt sich nicht. b) Magnus II. statt Ludwig als Nachfolger für Lüneburg Ludwig starb vor Wilhelm, so dass nicht das Ratskollegium, sondern Wilhelm über den Nachfolger zu befinden hatte. Wilhelm wählte na raadhe vser truwen man, wie sich aus seiner entsprechenden Anzeige an die Ratsherrn der Stadt Lüneburg ergibt, Magnus II., dem der Beiname „Torquatus“ beigelegt wird, für den Fall seines erbenlosen Todes zum Herrn der Herrschaft Lüneburg aus und befahl diesen und den Bür270 271 272
H. Patze, Welfische Territorien, S. 51. Sud. III 17. Sud. III 7.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
gern Lüneburgs, Magnus, wie zuvor Ludwig, zu huldigen.273 Offensichtlich hatte Wilhelm Schwierigkeiten, die Stadt Lüneburg für seine Nachfolge durch Magnus zu gewinnen. Kurz vor dem ausdrücklichen Huldigungsbefehl hatte er der Stadt umfassende Zusicherungen für ihre Schifffahrt und ihren Getreidehandel gewähren müssen.274 Der Rat der Stadt Lüneburg war sich unsicher, ob er Magnus als neuen Herren nach Wilhelms Tod anerkennen sollte. Nachdem man sich vndersproken hatte, erteilten die Braunschweiger Ratsherrn Lüneburg und Hannover die Zusicherung, dat we willed na vses heren herteghen magnus dode van brunswich deme erbaren vorsten hertoghen Magnuse syneme sone hertoghen to brunswich vn luneborgh vnde synen rechten eruen huldeghen to syneme rechte also vse wonheyt ist to huldeghende vsen heren van brunswich, sofern dieser oder seine Erben die ihnen von seinen Vorfahren ausgestellten Rechte bestätigen.275 Worin die Unsicherheit begründet war, liegt auf der Hand: Die beiden großen Städte der Herrschaft Lüneburg fürchteten den Konflikt mit dem Kaiser und deren Favoriten für die Nachfolge im Fürstentum Lüneburg, den Askaniern. Magnus gelobte demgegenüber, nicht nur Wilhelm, sondern auch dessen Land, Schlösser und Städte von Anklage und Ansprache van des Keyseres weghene eder des Rikes eder van eruetales weghene zu entledigen und nach dem Tod Wilhelms dessen Schulden zu bezahlen.276 Zugleich gelobte Magnus in zwei übereinstimmenden Ausfertigungen für Prälaten und Städte für den Fall, dass Wilhelm bei seinem Tode keine rechten Erben hinterlasse, und in Folge der bereits von Wilhelm vollzogenen Überlassung277 der Herrschaft Lüneburg an ihn, dass er alle geistlichen Einrichtungen und Lehen, alle Bürger, Städte, Dörfer und Bauern und alle Eingesessenen der Herrschaft, namentlich die Ratsherrn und Bürger der Stadt Lüneburg, hinsichtlich der Münze und Salinenrechte dort, und der Stadt Hannover, hinsichtlich der Münze und Wechsel dort, bei ihren hergebrachten Rechten und Gewohnheiten belassen und die ihnen verliehenen Privilegien halten werde. Dieser üblichen Gegenleistung zur Huldigung fügt Magnus aber eine besondere, für die Frage der Versachlichung von Herrschaft, der Genese ihrer Unteilbarkeit bedeutsame Bestimmung hinzu. Was schon sein Vater Magnus I. und Wilhelm 1355 vereinbart hatten, bestimmt er nun gegenüber Land und Leuten, dass das land Brunswich vn Luneborgh mit alle den landen un sloten de da nu tü horet un noch tü komen moghet, alse unse veddere her wilhelm vn hertoghe Magnus vnse vader, dede nü hebbet ene heerschop ewichliken bliuen vn vnghetweyget vn land vn lude vorbenümed, schullet nicht men eneme heeren deme eldesten huldeghen, oft he dar bequeeme tü weere. Ist der jeweils älteste Sohn aber nicht zur Regentschaft tauglich, befiehlt Magnus seinen bei seinem Tod hinter273 Sud. III 335. Seine nun verwitwete Tochter Mechthild konnte Wilhelm dem intendierten Nachfolger Magnus II. nicht zur Frau geben, da dieser bereits verheiratet war, L. v. Heinemann, Bd. 2, S. 34 f.; H. Sudendorf, Urkundenbuch, Bd. 3, S. CXXVIII f. 274 Sud. III 330. 275 Sud. III 336. 276 Sud. III 334. 277 Man beachte aber, dass die Einsetzung Magnus durch Wilhelm urkundlich erst im Jahre 1368 erfasst wurde: Sud. III 354 (19. April) und III 381 (14. September).
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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lassenen Räten, unter seinen rechten Erben einen, der ihnen zur Herrschaft tauglich erscheint, zu wählen, und bestimmt, dass, falls sie sich nicht einig werden können, die Lande denjenigen als Herrn anerkennen sollen, für den sich die Räte der Städte Braunschweig, Lüneburg und Hannover einstimmig erklären.278 Ganz deutlich wird nun, dass gerade die Stände, auch in den welfischen Landen, an einer Unteilbarkeit des Landes interessiert, dass sie der vornehmliche Träger dieses Gedankens waren. Denn als es für das Welfenhaus, zumindest Wilhelm und Magnus, erst der Vater, dann der gleichnamige Sohn, darum ging, sich gegen die zu erwartenden kaiserlichen Eingriffe, die vorauszusehenden Ansprüche der Askanier zu wappnen, wurde den zur Huldigung der Herrschaft Berufenen, um diese für sich zu gewinnen, nicht mehr nur die Sicherung und Erweiterung ihrer Privilegien zugesichert – marktgemäß stieg nun der Preis für die Huldigung –, sondern darüber hinaus, und das war das Neue, wurde ihnen die Unteilbarkeit der Lande sowie, singulär, eine weitreichende Mitsprache bei der Nachfolgerauswahl zugestanden. Zugleich wird aber auch die Wirkungsweise ständischer Macht im Spätmittelalter erkennbar: Nicht aktiv von sich aus verhelfen die Stände oder einer von ihnen dem Gedanken der Unteilbarkeit zur Geltung, wenigstens zu seiner Formulierung. Verhandlungen, in denen die Stände die Unteilbarkeit hätten fordern können, hat es nicht gegeben. Die Unteilbarkeit wird den Ständen als ihr gleichsam natürliches Interesse von den potentiell Teilenden, also im Sinne eines einseitigen Verzichtes, angedient. In Zeiten umstrittener Herrschaft erstarkt naturgemäß die Position dessen, der diese Herrschaft wenn nicht vergibt, so sie doch zumindest anerkennen muss. Im Werben um diese Anerkennung werden Geschenke mitgebracht, die den Umworbenen erfreuen können. Und Unteilbarkeit des Landes sowie Singularerbfolge nach einem festen, vorherbestimmten Schema, immer der jeweils älteste Sohn, zudem mit dem Korrektiv der Tauglichkeit bedeuten vor allem Ruhe und Verlässlichkeit beim Generationswechsel in der Herrschaft und überdies Verminderung von zusätzlichen Lasten, die durch Vermehrung der Hofhaltungen als natürliche Folge der Teilungen entstanden wären. Umwerben der Stände, aller Stände, wäre allerdings eine für die Auseinandersetzung um die Nachfolge Wilhelms in Lüneburg wenigstens ungenaue Beschreibung. Umworben, später dann umkämpft, wurden die Städte Hannover und allen voran Lüneburg.279 Sie zieren sich, Magnus als ihren neuen Herren anzuerkennen. Lüneburg war das Haupt und mit seiner Saline das wirtschaftliche Rückgrat der gleichnamigen Herrschaft. Dies wird in dem Versprechen von Privilegieneinhaltung und Unteilbarkeit durch Magnus überdeutlich: Er sichert zwar allen ihre hergebrachten Rechte und Gewohnheiten zu, hebt aber sofort Lüneburg und auch Hannover heraus und hervor aus der Masse der Adressaten des Versprechens. Die besondere Stellung der Städte, das besondere Verhältnis des Landesherrn zu den Städten kommt auch darin zum Ausdruck, dass diese nach der Regelung Magnus nach Uneinigkeiten des Kollegiums der dereinst von ihm hinterlas278
Sud. III 337. Lüneburg als Zentrum des Erbfolgestreits betont vor allem E. Schubert, Niedersachsen, S. 759; seine Kennzeichnung als „verborgenes“ Zentrum, dürfte aber in Anbetracht dessen, dass konkret gerade um die Huldigung Lüneburgs gestritten wurde, nicht ganz zutreffen. 279
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
senen Räte um die Wahl eines Nachfolgers, zu der sie berufen sein sollten, wenn der jeweils älteste Sohn zur Herrschaft ungeeignet sein würde, selbst diese Wahl zu treffen haben: Denjenigen, die Räte der Städte Braunschweig, Lüneburg und Hannover als Herren anerkennen, der ist Landesherr. Die vielen Kautelen, die vor eine Wahl des Nachfolgers durch die Städte gesetzt sind, waren dann leicht zu überwinden, wenn Vertreter der Städte Aufnahme in dieses Ratskollegium finden konnten. Dass dem so sein konnte, darauf deutet die Zeugenreihe des großen Versprechens Magnus vom 18. und 22. Oktober 1367 hin. Neben den Grafen von Holstein, von Hohnstein und Wunstorf, den Pröpsten von Lüne, Ebstorf, Medingen und Wennigsen und elf namentlich benannten Rittern erscheinen auch je zwei Ratsherrn aus Lüneburg und Hannover unter den Zeugen. Wenn aber die Städte am Ratskollegium beteiligt werden, ist es ihnen durchaus möglich, die Uneinigkeit in diesem Kollegium herbeizuführen, so dass aus ihrer reichlich subsidiären sehr schnell eine tatsächliche Wahlmöglichkeit des Nachfolgers in der Herrschaft hätte werden können. Obschon die Urkunden vom 18. und 22. Oktober 1367 von einer bereits vollzogenen Überlassung der Herrschaft Lüneburg und erfolgten Einsetzung Magnus II. in dieselbe (latinghe der herschop vn ansate in de herschop) berichten, sind zwei weitere, spätere Urkunden zum Vollzug der Wahl Magnus durch Wilhelm zu seinem Nachfolger überliefert. Am 19. April 1368 ernannte Wilhelm auf Widerruf nach Rat seiner getreuen Mannen Herzog Magnus den Jüngeren to vnseme Ammechtmanne ouer vnse land vnde lude. Magnus solle dieselben nach dem Rat der getreuen Mannen verteidigen und verwalten und mit Wilhelms Mitteln dessen Schulden begleichen. Wilhelm reserviert sich aber einige namentlich benannte Einkunftsquellen.280 Er schien sich offensichtlich langsam aus der Herrschaft zu Gunsten Magnus zurückzuziehen. Am 14. September 1368 aber nahm er – bei bestem Willen und Gesundheit und nach Rat seiner treuen Mannen – Magnus tho vns in ene rechte were, alle vnse Lande vnde Herschop to Brunswich vnde tho Luneborch ewelken vnde erfleken tho besittende mit auf in der Weise, wie es die Briefe, die den Städten und Landen gegeben wurden, auswiesen. Zudem bestimmt er ganz ähnlich für sein Ratskollegium, wie es auch Magnus für einen von ihm einmal zu hinterlassenen Rat vorgibt, dass dieses, wenn Magnus II. stirbt, dessen ältesten Sohn zum Herrn der Herrschaft zu Lüneburg wählen sollte, falls er ihnen behagt; wenn nicht, sollten sie einen anderen Sohn Magnus wählen und nach dessen Tod wieder einen anderen, bis keiner der Söhne mehr lebt; solange sollten sie keinen anderen zum Herrn der Herrschaft Lüneburg wählen oder zulassen.281 Diese letztgenannte Alternative gibt noch einmal einen Fingerzeig auf den Hintergrund der Berufung des Ratskollegiums, auf seine Zielsetzung; sie ist vor allem auf Abwehr einer nichtwelfischen Nachfolgeregelung in Lüneburg gerichtet. In ihrem Eifer, sich angestammter Kompetenzen zu entäußern, diese auf zunehmend versachlichte Gremien, Institutionen, an denen Stände beteiligt werden, zu übertragen, überholen sich die welfischen Fürsten geradezu. Widersprüchlich, we280 281
Sud. III 354. Sud. III 381.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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nigstens unklar in ihrem Verhältnis zueinander, stehen sich Wilhelms Einrichtung eines „ewigen“, da zur Selbsterneuerung berufenen Rates zur Wahl eines Nachfolgers unter den Erben Magnus, 1356 und 1368,282 einerseits und Magnus Übertragung der inhaltlich selben Kompetenz an ein anderes Gremium, nämlich an vnse Rad dene we na vnseme dode leten,283 andererseits gegenüber, zumal Magnus über Wilhelms Anordnungen von 1368, also auch diese, dass sein, Wilhelms 1356 geschaffener Rat zur Bestimmung des Nachfolgers Magnus unter dessen Söhnen berufen sei, einen Revers ausstellte.284 Welches Gremium nun, Wilhelms autarker oder Magnus persönlicher Rat, die Befugnis der Nachfolgerbestimmung innehaben soll, lässt auch die Urkundspraxis in der Folgezeit offen. Als die Stadt Lüneburg am 25. August 1370 Magnus huldigte, huldigte sie zugleich auch einem seiner Söhne, de to den Herscopen Bruneswijch vnde luneborch ge koren worde van den Jennen de dar to sat weren.285 Kurz danach, am 20. September 1370, richtete auch Magnus „sein ewiges“ Ratskollegium, ganz ähnlich dem von Wilhelm 1356 geschaffenen und dieses beendend, ein. Er bestimmte sechs namentlich benannte Adlige to Ammechtluden vnde to vormunden.286 Nach seinem Tod sollten sie den tauglichsten unter seinen Söhnen, nach dessen Tod einen anderen, bis keiner seiner Söhne mehr lebte, und niemand anderen zum Herren der Herrschaft Braunschweig wählen. Bei Uneinigkeit im Rat sollte nun allerdings nicht mehr das Votum der Städte Braunschweig, Lüneburg und Hannover ausschlaggebend sein, sondern das Magnus Gemahlin Katharina, sofern diese nicht wieder vermählt sein sollte. Zudem sollten sie die Vormundschaft über den Gewählten bis zu dessen zwanzigsten Lebensjahr ausüben. Verstorbene Ratsmitglieder sollten mit Rat Katharinas, wiederum unter der Voraussetzung, dass sie nicht erneut geheiratet hatte, durch Wahl der verbliebenen Räte ersetzt werden. c) Die Erbverbrüderung Magnus II. mit Otto dem Quaden von Göttingen im Jahre 1370 Neben diese Absicherung des welfischen Nachfolgeentwurfs für die Herrschaft Lüneburg, der zugleich auch die Herrschaft Braunschweig umfasste, im Lande, am Objekt der Herrschaft, ausgedrückt in ihrer Anerkennung, der Huldigung, trat eine dynastische Wappnung gegen die kaiserliche und askanische Entschlossenheit.287 282
Sud. II 561, III 381. Sud. III 337. 284 Sud. III 382. Zu weiteren Bedingungen Wilhelms für die Einsetzung Magnus in der Lüneburger Herrschaft und deren Anerkennung durch Magnus: Sud. III 383, 384. 285 Sud. IV 42. 286 Sud. IV 44. 287 E. Schubert, Niedersachsen, S. 756, verweist zudem noch – unter Hinweis auf G. Schnath, Sachsenroß, S. 21 ff., 44 – auf eine heraldische Wappnung: 1361 taucht das Pferd statt des Löwens im welfischen Wappen auf. Zunächst bei Albrecht von Grubenhagen, dann bei dessen Bruder Johann, dann bei Otto dem Quaden und schließlich 1369 bei Magnus Torquatus. Das altsächsische Ross symbolisierte eine Haltung gegen die Askanier, die die Herzöge von Sachsen waren. 283
260
B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Kurz nachdem der Kaiser die Askanier mit dem Fürstentum Lüneburg 1370 belehnt hatte, verbündete sich Magnus mit dem Göttinger Regenten Otto dem Quaden,288 und schloss mit ihm eine Erbverbrüderung.289 Im Kern war diese Vereinbarung – es wurden zwei nahezu gleichlautende Urkunden darüber ausgestellt – eine Neuauflage der Erbabsprache von 1345, nämlich die gegenseitige Einräumung eines Erbrechts für den Fall des söhnelosen Todes zwischen der Braunschweiger und der Göttinger Linie. Diese Erneuerung bezog aber die von der Braunschweiger Linie hinzuerworbenen Lüneburger Lande mit ein. Und insofern ging die dynastische Absicherung über die mit der Errichtung eines Rates, den Magnus etwa ein halbes Jahr später fest installierte, avisierten hinaus. Der Rat sollte nur die welfische Nachfolge innerhalb der männlichen Deszendenz Magnus gewährleisten. Mit Otto dem Quaden wurde Vorsorge für den Fall nach Ausschöpfung der Nachkommenschaft Magnus getroffen. Auch wenn der letzte Sohn Magnus und dessen Söhne verstorben sein sollten, sollte die Herrschaft Lüneburg und die Herrschaft Braunschweig welfisch bleiben. Merkwürdig ist aber, wie Lüneburg in die Erbverbrüderung der beiden Linien Braunschweig und Göttingen eingeführt wird.290 Ausdrücklich wird die Erbverbrüderungsabrede von Magnus nur für seine herscop indeme Lande tu Brunsw. und von Otto für seine Herschop getroffen. Auf diese beiden Herrschaften allein beziehen sich auch nur die einander auferlegten Verfügungsbeschränkungen. Auch Magnus Befehl an die Städte, für den Fall, dass er ohne Söhne versterbe, Otto und dessen – zu diesem Zeitpunkt noch nicht geborenen – Söhnen zu verbriefen und zu geloben, sich an ihn oder diese zu halten und als rechten landes Heren anzuerkennen, richtet sich nur an solche im Lande zu Braunschweig. Magnus wähnte sich aber zum Zeitpunkt der Erbverbrüderung auch im Besitze der Herrschaft Lüneburg. Den Ständen und allen Untertanen dort hatte er zweieinhalb Jahre zuvor versichert, dass Braunschweig und Lüneburg ene heerschop ewichliken bliuen solle.291 Auch führte er in der Beurkundung der Erbverbrüderung mit Otto dem Quaden den Titel Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, wohingegen Otto nur Herzog zu Braunschweig geheißen wird. Schließlich nahm Magnus auch nach der Belehnung der Askanier durch Kaiser Karl IV. vom 3. März 1370 Verfügungen über Gerechtsame, die dem Gegenstand dieser Belehnung, dem Fürstentum Lüneburg, zuzurechen sind, vor – etwa als er am 28. März 1370 über den Zoll zu Hannover verfügt.292 Magnus konnte sich auch als Besitzer der Herrschaft über Lüneburg betrachten, hatte ihm Lüneburg doch bereits gehul-
288
Zu diesem und seinem wenig schmeichelhaften Beinamen: H. Sudendorf, Urkundenbuch, Bd. 5, S. V ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 726 ff. 289 Sud. IV 17. Zur Zielrichtung dieser Vereinbarung auch: H. Sudendorf, Urkundenbuch, Bd. 4, S. XII; O. v. Heinemann, Bd. 2, S. 90; H. Patze, Welfische Territorien, S. 66 f. 290 Merkwürdig ist überdies, dass in der Bündnis- und Beistandsabrede nur für den Fall, dass Magnus mit dem Grubenhagener Fürsten Albrecht in Krieg geraten sollte, der Bündnispartner Otto zur Neutralität verpflichtet war; Magnus bei einem Streit zwischen Albrecht und Otto hingegen nicht. 291 Sud. III 337. 292 Sud. IV 14; vgl. auch Sud. IV 15, 46.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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digt,293 den Askaniern hingegen – noch – nicht. Gleichwohl erscheint Lüneburg erst am Ende der Urkunde und wird recht verklausuliert in die Erbverbrüderung beider Linien einbezogen: Die Vormünder, die Magnus seinen Söhnen gesetzt habe oder noch setzen werde – dies tat er dann am 20. September 1370 –294 sollten Otto geloben, dass sie, falls Magnus ohne Söhne stürbe, dem Erbverbrüderungsfall, dat hertogedvm tu Luneborch Otto und seinem Sohn, sofern ihm ein solcher geboren werde, als an ore rechten Landes Heren zuwenden. Magnus und Otto machen sich hier den Sprachgebrauch der Reichskanzlei zu Eigen: Während sie hinsichtlich Braunschweigs und Göttingens von herscop indeme Lande sprechen, wird Lüneburg als Herzogtum bezeichnet. Mit ewig einer Herrschaft, die Braunschweig und Lüneburg gleichermaßen umfasst und vereint, ist es nicht weit her. In dieser distanzierten Behandlung Lüneburgs kommt die Wirklichkeit zum Ausdruck: Magnus Position in und an Lüneburg war Ende März 1370 nicht gesichert. 3. Das Aufeinandertreffen der Standpunkte nach dem Tode Wilhelms – im Brennpunkt: Der Streit um die Huldigung der Städte Lüneburg und Hannover a) 1370: Die Stadt Lüneburg huldigt den Welfen Nicht erst nachdem Karl IV. 1370 die askanischen Herzöge Rudolf II., Wenzel und Albrecht mit Lüneburg belehnt hatte, prallten der kaiserliche oder askanische Standpunkt zur Nachfolge in das Fürstentum Lüneburg und der welfische konkret aufeinander. Bereits 1363 hatte der Kaiser zeitweise die Reichsacht über Wilhelm verhängt.295 Auf Klage Rudolfs II. von Sachsen-Wittenberg, eines der 1355 Eventualbelehnten, erklärte ein Hofgericht in Spremberg Herzog Erich II. aus der askanischen Linie Sachsen-Lauenburg in Folge Ladungsungehorsams in die Reichsacht. Von dem Zorn Karls IV. wurde auch der Verbündete des Geächteten, nämlich Wilhelm von Lüneburg getroffen. Rudolf II. wurde nicht nur in die Herrschaft Lauenburg, sondern auch in die Herrschaft Lüneburg eingewiesen, und Wilhelm wurde geächtet. Diese, dann allerdings zurückgenommenen Maßnahmen des Kaisers können nur im Hinblick auf seine Pläne zur Behandlung Lüneburgs nach Wilhelms vorhersehbar söhnelosen Tod gedeutet werden. Nun aber war mit der Belehnung der Askanier mit dem Herzogtum Lüneburg am 3. März 1370 die Zeit der Vorbereitung zu Ende. Die Frage, wer die Herrschaft im Lande Lüneburg bekäme, musste nun beantwortet werden. Dieser Streit wurde ganz konkret um die Huldigung durch die beiden großen Städte Lüneburg und Hannover geführt.
293 294 295
Sud. III 335; H. Patze, Welfische Territorien, S. 65 ff. Sud. IV 44. Sud. III 188 – 190; H. Patze, Welfische Territorien, S. 64 f.
262
B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Der Kaiser ließ die Askanier mit der Durchsetzung ihrer verliehenen Rechte an der Herrschaft Lüneburg nicht allein. Fünf Tage nach ihrer Belehnung berichtete er in zwei gesonderten Schreiben den Städten Lüneburg und Hannover von der Eventualbelehnung der Askanier, dem Eintritt der Bedingung des Heimfalls und der entsprechenden Belehnung und Übergabe der Lehnsfahnen an Rudolf II., Wenzel und Albrecht und forderte die beiden Städte auf, den drei Genannten zu huldigen.296 Magnus erhielt davon durch die beiden Städte Kenntnis, fühlte sich aber offenbar nicht beunruhigt, habe doch der Kaiser freundlich geschrieben.297 Kurz darauf trat Magnus auch in ein von Karl IV. im Namen seiner minderjährigen Söhne Wenzel und Sigismund ausgehandeltes Bündnis mit diesen.298 Ende Juni 1370 forderte der Kaiser die Städte Lüneburg und Hannover abermals auf, den Askaniern zu huldigen. Lüneburg und Hannover hätten auf seine Huldigungsaufforderung vom 8. März 1370 geantwortet, dass sie dem Befehl Herzog Wilhelms von Lüneburg, dem von diesem dem ganzen Lande zum Herrn gesetzten Herzog Magnus von Braunschweig zu huldigen, gefolgt seien, und hätten ihn zugleich gebeten, ihnen zu raten, was die Ehre von ihnen in dieser Angelegenheit erfordere. Karl IV. erklärte ihnen darauf – von seinem Standpunkt aus, dass Lüneburg ein eigenständiges Lehen ist, lehnrechtlich folgerichtig –, dass Wilhelm, wie auch das kaiserliche Hofgericht geurteilt habe, das Herzogtum Lüneburg niemandem ohne Bewilligung, Geheiß und Gunst des Kaisers als obersten Lehnsherrn geben, überlassen oder vermachen dürfte, dass er, Wilhelm, weil er das Herzogtum dem Bruder des Herzogs Magnus (Ludwig) gegen den kaiserlichen Willen gegeben und sich darüber vor dem kaiserlichen Hofgericht nicht gerechtfertigt habe, mit seinen Städten, Mannen, Helfern und Gönnern in des Reiches Acht und Oberacht verfallen sei. Deshalb rate und gebiete er, Karl, den genannten Städten, Rudolf, Wenzel und Albrecht zu huldigen.299 Nicht, jedenfalls nicht allein durch den Erbfolgestreit, der nunmehr gerade auf die Huldigung durch Lüneburg konzentriert war, motiviert, sondern vor allem aus Geldnot heraus besetzte Magnus Lüneburg. Der Herzog benötigte Geld zur Auslösung von Vasallen, die bei seiner Niederlage gegen die Mecklenburger ein Jahr zuvor in Gefangenschaft geraten waren. Dafür sollten die Lüneburger ihm die Salinenrenten mecklenburgischer Klöster ausliefern.300 Im Zuge dieser Besetzung zog Magnus fünf ihrer wichtigsten Privilegien ein301 und zwang die Stadt, auf deren Ausübung zu verzichten.302 Kurz darauf, am 25. August 1370, huldigt die niedergerungene Stadt Lüneburg Magnus und für den Fall seines Todes einem seiner Söhne, der zu den Herrschaften
296 297 298 299 300 301 302
Sud. IV 12. Sud. IV 22. Sud. IV 25 – 28. Sud. IV 34. Sud. IV 40, 41; R. Gresky, S. 280. Verzeichnis der Privilegien: Sud. IV 38. Sud. IV 39.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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Braunschweig und Lüneburg von denen, die dazu verordnet werden, gewählt werden würde, und falls dieser sterbe, einen anderen Sohn bis zum letzten Sohn Magnus.303 Der Kaiser ließ aber auch nach Magnus Etappensieg nicht locker. Am 18. Oktober 1370 erinnerte er die Stadt Lüneburg an seine Huldigungsaufforderung vom 29. Juni 1370 und wiederholte diese Anordnung zu Gunsten der Askanier.304 Am 24. Dezember 1370 wies Karl IV. dann die Stände des Herzogtums Lüneburg zur Huldigung der von ihm belehnten sächsischen Herzöge an und drohte ihnen an, dass im Falle der Weigerung alle Reichsuntertanen aufgerufen seien, den Askaniern bei der Eroberung des Herzogtums zu helfen.305 Die Stadt Lüneburg zog sich jetzt gegenüber dem kaiserlichen Ansinnen nicht mehr darauf zurück, dass sie bereits Magnus gehuldigt hätte. Sie wog die beiden sich gegenüberstehenden Standpunkte ab und holte entsprechend Rechtsgutachten, unter anderen bei westfälischen Gerichten, ein. Diese erachteten das kaiserliche Gebot für maßgebend; im Übrigen sei auf dem von Magnus gegebenen Versprechen, entweder die Stadt von ihrem Huldigungseid zu entbinden oder ihr beim Kaiser Gnade zu erwirken,306 zu bestehen.307 Kaiserliches Gebot und rechtsgutachterlicher Rat mögen legitimiert haben. Ausschlaggebend aber für die Huldigung der askanischen Herzöge durch die Stadt Lüneburg Ende des Jahres 1370 dürfte hingegen die Brautgabe der neuen Herren an die Stadt gewesen sein. Die sächsischen Herzöge bestätigten der Stadt nicht nur, wie als Gegenleistung für die Huldigung üblich, ihre Privilegien, sondern verbrieften ihr neue Vorrechte.308 Vor allem aber erlaubten die Askanier den Lüneburgern, die Burg auf dem Kalkberg, das Zwangsmittel herzoglicher Gewalt über die Stadt, zu schleifen; ihr Wiederaufbau sollte ausgeschlossen und auch die Häuser der Burgmannen abzubrechen sein.309 Diese Erlaubnis nahmen die Lüneburger natürlich gerne an. Schließlich schenkten die Askanier den Kalkberg der Stadt.310 Damit war Lüneburg, das Haupt der gleichnamigen Herrschaft, für die Welfen verloren. Kurz darauf, am 15. Februar 1371, vertraut Magnus alle seine Lande und Schlösser in seiner – nun völlig unsicheren – Herrschaft zu Lüneburg, seien sie verpfändet oder unverpfändet, mit allen Nutzen und Einkünften zwölf seiner Ritter zur Verwaltung an und verpfändet ihnen zur Sicherung ihrer Auslagen die Schlösser Harburg und Neustadt.311
303 304 305 306 307 308 309 310 311
Sud. IV 42. Sud. IV 51. Sud. IV 67. Vgl. Sud. III 334. O. Hoffmann, S. 30. Sud. IV 74 – 84. E. Schubert, Niedersachsen, S. 759 f; H. Patze, Welfische Territorien, S. 68. Sud. IV 72, 73. Sud. IV 110.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
b) Die Erörterungen der Huldigungspflicht der Stadt Hannover Auch in der Stadt Hannover setzen sich um den Jahreswechsel 1370/1371 die Askanier in Folge der Ausstattung der Stadt mit Privilegien312 durch. Und auch hier wird ein Instrument welfischer Herrschaft, die Burg Lauenrode, von den Bürgern erstürmt und zerstört.313 Dem Erfolg der Askanier vorangegangen ist auch in Hannover eine das Zaudern der Stadt widerspiegelnde rechtliche, rechstgutachterliche Auseinandersetzung mit den Standpunkten des Reichs und der Askanier einerseits und der Welfen andererseits, die in Sorgfalt und Umfang allerdings diejenige Lüneburgs deutlich übertrifft. In einem öffentlichen Schreiben an alle Stände des Reiches bis hinab zu den Bauern taten die Ratsherrn Hannovers kund, dass sie Herzog Magnus auf Grund dessen Zusicherung von 1367, die im Wortlaut in das Schreiben eingefügt ist, nach der er sie von Ansprache Dritter freihalten wollte, gehuldigt haben.314 Dreimal habe darauf hin der Kaiser sie angewiesen, die Herzöge zu Sachsen als rechten Erue naturlike Heren to luneb. anzuerkennen. Diese Ansprachen hätten sie Magnus weitergereicht, dass er sie von ihr entledige. Dies habe er nicht getan. Und sie seien von Fürsten, Herren und weisen Leuten anders nicht angewiesen worden, als dass sie ausweislich des kaiserlichen Gebotes und der angeführten Zusicherung Herzog Magnus dem Reich und dem Recht von Ehre wegen gehorsam sein müssten. Die vorsichtigen Hannoveraner erhielten auf ihr Schreiben Antwort: Der Bischof von Minden teilt, nachdem er mit seinen vrunden vn wissen luden gesprochen habe, kurz und knapp mit, dass Hannover, da Magnus sich nicht an sein Versprechen halte, dem Reich untertänig und gehorsam sein müsse.315 Auch der Rat der Stadt Minden empfiehlt dem hannoverschen Rat dasjenige, was dieser selbst für richtig erkannt hat.316 Ebenso verweist die Stadt Hameln die Hannoveraner an den Rat, den ihnen schon die Fürsten, Herren und weisen Leute gegeben haben.317 Herzog Albrecht von Braunschweig, Grubenhagen, vertröstet Hannover ebenso wie die Ratsherrn der Stadt Einbeck auf einen späteren Zeitpunkt, zuvor müsste selbst noch Auskunft und Rat eingeholt werden.318 Wedekind von dem Berge, der Vogt des Stiftes Minden, hatte sich ebenfalls zunächst entschuldigt, dann aber erteilte er nach Befragung von Herren und vielen Rechtsgelehrten den Rat, dass sie von Ehre und Rechts wegen verpflichtet seien, dem kaiserlichen Gebot zu gehorchen, da sie trotz der Zusicherung Magnus dreimal vom Kaiser zur Huldigung aufgefordert worden seien.319 Am ausführlichsten antwortete ein nicht benannter Rechtsgelehrter.320 Danach soll bei jedem Huldigungseid dem 312 313 314 315 316 317 318 319 320
Sud. IV 179. E. Schubert, Niedersachsen, S. 760 f. Sud. IV 109. Sud. IV 111. Sud. IV 112. Sud. IV 114. Sud. IV 115, 116. Sud. IV 113, 117. Sud. IV 118.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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Kaiser, dem unter allen Umständen Treue und Gehorsam zu halten sei, sein Recht vorbehalten bleiben. Geschehe dies nicht ausdrücklich, so verstehe es sich von selbst. Wenn der König als oberster Lehnsherr nun seinem Vasallen das Lehen aberkenne oder ihn banne, sei dessen Vasall seines Eides entbunden. „Der Eid der Treue“, wie es Sudendorf in seiner Zusammenfassung der Urkunde übersetzt, „bindet nicht, wenn dem, der sie schwört, Treue gebrochen wird. Weil die Ratsherrn, auf die Zusage des Herzogs, dass er sie von der Ansprache des Kaisers befreien werde, sich unvorsichtig verlassend, im Bewusstsein, die Huldigung nicht ohne Bewilligung des Kaisers leisten zu dürfen, gehuldigt haben, ist die Huldigung sowohl hinsichtlich ihres Inhalts als auch hinsichtlich dessen, dem sie geleistet wurde, ungesetzlich und bindet nicht“. Deshalb sollte Hannover gegen diesen ungesetzlichen Eid handeln und dem Kaiser gehorchen. Die Antworten konnten nicht über die Frage hinausgehen. Hannover hatte keine Stellungnahme zur „materiellen Rechtslage“ der Nachfolge in der Herrschaft Lüneburg und entsprechend zur Herrschaft über die Stadt Hannover eingeholt. Vielmehr stand das Prozedere im Mittelpunkt des städtischen Interesses. Hannover interessierte weniger, wem die Stadt huldigen müsste, als dass diese Huldigung unbestritten und Ruhe gewährleistend gegeben werden konnte. Lediglich eine Antwort streift kurz die materiale Rechtsfrage nach dem Anspruch auf die Herrschaft im Fürstentum Lüneburg.321 Der ebenfalls unbenannte Rechtsgelehrte gibt – nicht in Form eines Gutachtens, sondern durch Auszüge aus verschiedenen Rechtsbüchern – zu wissen, dass in das Lehen einer Markgrafschaft, eines Herzogtums und einer Grafschaft es keine Nachfolge gibt, außer im Wege neuer Belehnung durch den Kaiser. Ferner werde bei jedem Eid dem Kaiser sein Recht vorbehalten. Entsprechend huldige jedermann nicht wider das Reich. Auch Magnus legte der Stadt Hannover seine Rechtsansicht dar.322 Diese beschränkte sich nicht auf das Verfahren um die Huldigung der beiden großen Städte der Herrschaft Lüneburg. Vielmehr begründet er gleich zu Beginn des Schreibens seinen Anspruch auf diese Herrschaft inhaltlich. Er gibt zu wissen, Dat we dat forstendom to Brunsw vnde luneborch hebbet ghehat vnde hebbet in rechten nutsamen weren vnde is vnse rechte Erue vnde sint van deme Ryke dar mede belened vnde willet leen vnde were wol bewysen wor vnde wo we van rechte schulled. Magnus bezieht sich also von Anfang an nicht auf eine „spezielle Sukzession“ in die „Herrschaft Lüneburg“, sondern auf dat forstendom to Brunsw vnde luneborch. An diesem beschreibt er seine Rechtsposition positiv: (1) Rechte Gewere daran, (2) rechtes Erbe und (3) Belehnung durch das Reich. Sowohl die were wie das leen will er beweisen, wo es von ihm gefordert würde. In der Beschreibung der Ereignisse nach 1370, des Angriffs auf seine Rechtsposition stellt er nicht den rechtlichen Gesichtspunkt der Belehnung der Askanier durch den Kaiser an den Anfang, sondern den tatsächlichen Gesichtspunkt der Entwerung: Nu heft vns Hertoghe Albert van sassan entweret mid groter vnuoghe 321 322
Sud. IV 119. Sud. IV 153.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
vnde sulfwold ichtewelker vnser Slote de to dissem vorbenomden forstendome hored als dat hus to luneb vnde de Stad darsulues dat Slot to wynsen dat slot ludershusen, vnde de Stad to vlsen. Erst jetzt kommt er auf die kaiserliche Belehnung der Sachsen zu sprechen – und gleichzeitig zum Kern seiner Rechtsansicht. Offenbar will Magnus nicht zum Ausdruck bringen, dass die Initiative des Lüneburger Erbfolgestreites allein beim Kaiser gelegen hatte: Hyr heft vnse Here de Keyser Hertoghen Alberte vorbenomd sine Breue to gheuen vnde heft on belened mid deme Slote to luneb mid aller tobehorineghe als we sint berichtet. Diese Betonung der „Äußerlichkeiten“ in seiner Darstellung fügt sich in seinen Argumentationsduktus: Herzog Albrecht von Sachsen hat ihn nicht des Fürstentums, Landes oder der Herrschaft Lüneburg entweret, – ein solches gibt es in der Argumentation Magnus ja gar nicht; die entwerten Slote gehören to dissem vorbenomden forstendome, und dieses ist das forstendom to Brunsw vnde luneborch. Entsprechend hat der Kaiser auch nicht – in seiner Darstellung – das Fürstentum, die Herrschaft oder dergleichen zu Lüneburg zum Gegenstand der Belehnung der Askanier gemacht, sondern allein das Slote to luneb mid aller tobehorineghe. Mit dieser Beschreibung des Gegenstandes der Belehnung der Askanier wird nicht Bezug auf den Wortlaut deren Urkunde vom 3. März 1370323 genommen, vielmehr greift diese Formulierung auf den Text der Urkunde zur Errichtung des Herzogtums Braunschweig von 1235 zurück. Und dies nicht von ungefähr, denn bereits 1364 – offenbar in Vorbereitung auf eine Auseinandersetzung mit dem Kaiser – hatte Wilhelm vom Protonotar des St. Blasiusstiftes in Braunschweig ein Transsumpt dieser Urkunde anfertigen lassen.324 Ein weiteres Transsumpt ließ Wilhelm in Gegenwart Magnus I. 1366 durch den Hildesheimer Bischof Gerhard, durch die Äbte zu Lüneburg, Scharnebeck und Uelzen sowie die Pröpste zu Heiligenthal, Lüne, Ebstorf und Medingen herstellen.325 Deutlich zum Tragen kommt der Bezug auf die Gründungsurkunde des Herzogtums von 1235 auch im Kern seiner Argumentation, den er gleichsam negativ in die Darstellung und Abwehr der kaiserlichen Rechtsanschauung, wie sie der Belehnung der Askanier zu Grunde liegt, verpackt: Vnde vnse Here de keyser heft ghewoned vnde Mened als we loued Dat luneb eyn sunderlik forstendom sy vnde sy deme Ryke los gheworden van dode vnses vedderen Hertoghen wylhelmes, deme God ghenedich sy des doch nicht en es wente luneb vnde Brunswik eyn forstendom is vnde willet dat wol bewysen mid des Rykes Breuen de bezeghelet sint, mid eneme guldenen bullen, Vnde ok wo we van rechte scullet. Braunschweig und Lüneburg sind eben nur ein Lehnsobjekt, wie es Magnus aus der „goldenen Bulle“ von 1235 herausliest. Die zwischenzeitlichen Teilungen finden keinen Eingang in seine Argumentation. Magnus führt dann gewissermaßen einen Negativbeweis; er legt dar, dass die Tatbestände, die lehnrechtlich einen Lehnsentzug rechtfertigen würden, nicht vorliegen: Aldus sint we entweret also dat vnse here de keyser vns dar ny 323
Sud. IV 11. Sud. III 246. Dieses Transsumpt setzt hinter filios et filias in der Erblichkeitszusicherung Kaiser Friedrichs II. am Rand hinzu: deficiente genere masculino (Anmerkung von H. Sudendorf zu Sud. III 291). 325 Sud. III 291. 324
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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heft togheladet vnde we dar ok ny Inyeghenwardicheyd hebbet ghewesen vnde we ok van dissen vorbenomden Sloten vnde forstendom ny hebbet rechtes gheweyghered. Es habe weder ein kaiserliches Verfahren, auf dem er sich hätte verteidigen können, gegeben, noch habe er hinsichtlich seiner Schlösser und seines Fürstentums die Gefolgschaft, den Reichsdienst verweigert. Dass sich Lüneburg gegen ihn stelle, obwohl die Stadt ihm gehuldigt hätte, sei nicht allein damit zu rechtfertigen, dass sie dem Kaiser gehorsam sein wollten. Schließlich sei sein Angebot an Albrecht, die Sache der richterlichen Entscheidung des Kaisers zu überlassen, von Albrecht mit der Begründung zurückgewiesen worden, er, Albrecht, sei bereits vom Kaiser mit Lüneburg belehnt worden, dies müsse genügen. Abschließend erklärt sich Magnus grundsätzlich weiterhin bereit, die Sache rechtlich auszutragen. Die Ratsherrn Lüneburgs antworteten dem Rat Hannovers auf das ihnen zugesandte Schreiben Magnus, dass eine Antwort wohl von Herzog Albrecht erfolgen werde, wenn dieser nach Lüneburg zurückgekehrt sein werde.326 Die Vorwürfe Magnus zur Treulosigkeit Lüneburgs durch ihre Huldigung der Askanier weisen die Ratsherrn zurück. Sie hätten schon gegenüber Herzog Wilhelm, als dieser sie 1367 aufgefordert habe, Magnus zu huldigen,327 geantwortet: to we enmochten des van rechtes weghene nicht don, wente vnse Here des Keyser de bewore sek mid der Herschop to luneborch. Daraufhin habe Magnus ihnen die Zusicherung der Entledigung von fremder Ansprache gegeben. c) Kriegshandlungen Die Zeichen standen jetzt deutlich auf Krieg. In der Ursulanacht von 1371, vom 20. auf den 21. Oktober, drang eine herzoglich-braunschweigische Streitmacht in Lüneburg ein – und wurde geschlagen.328 Der folgende Verlauf des Lüneburger Erbfolgekriegs, der hier unerörtert bleiben soll, führte zu vielfältigen und verwickelten Bündnisverhältnissen. In dieser verfahrenen Lage wurde aber auch nach einer rechtsförmigen Lösung gesucht. Unter Vermittlung des Propstes Hermann zu Wennigsen und der Ritter Heinrich von Gittelde, Hans Knigge und Eilhard von der Heide vereinbarten Magnus und die askanischen Herzöge Wenzel und Albrecht, Rudolf II. war verstorben, nicht nur einen Waffenstillstand, man wollte sich auch einer kaiserlichen Entscheidung über die Herrschaft Lüneburg, wie sie ehedem Herzog Wilhelm innegehabt hatte, unterwerfen.329 Dazu sollte der Kaiser Tag und Ort bestimmen. Bemerkenswert ist die dabei verabredete Entschädigungspflicht: Sollte der Kaiser das Herzogtum Lüneburg den askanischen Fürsten zusprechen, sollten diese verbunden sein, Magnus 10.000 Mark zu zahlen. Im Falle, dass Magnus obsiegte, hätte dieser 20.000 Mark an Wenzel und Albrecht zu leisten. Offenbar taxierte man die tatsächliche Position, 326
Sud. IV 154. Vgl. Sud. III 335. 328 H. Patze, Welfische Territorien, S. 71 f.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 762 ff.; darüber, wer auf Seiten Magnus stand, gibt ein kaiserliches Schreiben, in dem von der Ächtung Magnus und seiner Anhänger gehandelt wird, sehr genau Auskunft (Sud. IV 219). 329 Sud. IV 281. 327
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
vor allem auch die Siegchancen der Askanier deutlich höher. Magnus, der die Urkunde schon nicht besiegelt hatte, erschien zu dem vom Kaiser festgesetzten Schiedstag330 nicht, ohne echte Not, wie es der Kaiser feststellte,331 so dass ihn die im Schiedsvertrag mit den Askaniern verabredeten Säumnisfolgen trafen: Karl IV. konnte den bestehenden Rechtszustand, die Zuerkennung Lüneburgs an die Askanier, bestätigen, ebenso die Aberacht über Magnus.332 Der Krieg flammte wieder auf. d) Die welfisch-askanische Sühne von 1373 Nachdem Magnus Torquatus im Juli 1373 gefallen war, drängten seine Witwe Katharina und wohl auch die Stände auf einen wahrhaften Kompromiss, einen Kompromiss, der die äußere Einheit der Herrschaft Lüneburg erhielte und trotzdem die Ansprüche beider Prätendenten berücksichtigte: Die Stände Lüneburgs, mit Ausnahme der Prälaten, sollten beiden, Welfen wie Askaniern, to lykeme rechte huldigen. Auf Vermittlung des Bischofs Gerhards von Hildesheim, des Vogtes Wedekind von dem Berge nach dem Rat und mit Hilfe der Mannschaft und der Städte der Herrschaft Lüneburg war diese Sühne zwischen den askanischen Herzögen Wenzel und Albrecht einerseits und Magnus minderjährigen Söhnen Friedrich und Bernhard am 25. September 1373 geschlossen worden.333 Zunächst sollten die durch wechselseitige Besetzung auseinander gerissenen Bestandteile der Herrschaft wieder zusammengesetzt werden, dat de herschop Stede land vnde lude mit gheystliken lenen vnde werltliken eyn vnghetwyget Herschop bliue. Das gemeinsame, durch gemeinsamen Huldigungsempfang sinnfällig zu machende Recht an der Herrschaft sollte im gegenseitigen Wechsel ausgeübt werden. Zunächst sollten die sächsischen Herzöge, die älter als Magnus Söhne waren, de Herschop to luneborch Syk vnde hertoghen Magnus Sonen truweliken vorstan, nach deren Tod der älteste Sohn Magnus; stirbt dieser, dann der älteste unter den Söhnen der sächsischen Herzöge oder ihrer Erben und so immer abwechselnd einer aus der Nachkommenschaft beider Geschlechter. Diese Gemeinschaft, das jeweils Treuhänderische der Herrschaftsausübung wird unterstrichen durch eine Einschränkung der Verfügungsbefugnis des jeweiligen Ausübenden der Herrschaft. Die Sühne trägt eine besonders deutliche ständische Handschrift, allerdings, wie schon angedeutet, unter Ausschluss des geistlichen Standes. Den oder dem Regierenden wurde ein Ratskollegium, das sich aus Adligen der Herrschaft Lüneburg und aus je zwei Ratsherrn der Städte Lüneburg und Hannover zusammensetzte, zur Führung der Herrschaft beigeordnet. Ritter und Ratsherrn, die federführend hinter der Sühne gestanden haben dürften, suchten den Kompromiss zwischen den streitenden Prätendenten nicht in einer Teilung der Lande; der Erhalt der Herrschaft Lüneburg in ihrer äußeren Gestalt schien ihnen offensichtlich wichtiger. Kaiser Karl IV. gab unter der Bedingung, dass alsbald beide Parteien zum Zei330 331 332 333
Sud. IV 299. Sud. IV 311. H. Patze, Welfische Territorien, S. 73. Sud. IV 351.
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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chen der Ergebenheit und Treue vor ihm erschienen, seine Zustimmung zu der Sühne und erlaubte Lüneburg, Hannover und Uelzen entsprechend, den jungen Herzögen von Braunschweig zu huldigen.334 Die Verabredungen der Sühne wurden auch in der Praxis umgesetzt: Die drei genannten Städte huldigten den askanischen und welfischen Herzögen gleichermaßen,335 nachdem auch die jungen Welfen ihnen ihre von den sächsischen Herzögen verliehenen Privilegien bestätigt hatten.336 4. Dynastische Neuordnung im Welfenhaus sowie im Verhältnis zu den Askaniern und das Ende des Erbfolgekrieges a) Die Nachfolgeregelung für Braunschweig von 1374 Die Söhne Magnus formulierten auch bei der Regelung der Nachfolge ihres Vaters in die unumstrittene Herrschaft Braunschweig deren äußere Einheit als vornehmstes Gebot. Ausdrücklich mit Rat und Zustimmung ihrer Mutter Katharina sowie auch der Bürger und Städte der Herrschaft vereinbarten die vier Brüder – anders als bei der Sühne, die auf welfischer Seite nur Friedrich und Bernhard abgeschlossen hatten, waren diesmal auch Heinrich und Otto mit einbezogen – im Jahr 1374, Dat vnse vorbenompte herschop to Brunsw. myd allen Stedhen sloten Landen vnd Luden myd allen lenen geistliken vn werltliken vnd gemeinlike myd alle ore tobehoringhe eweliken vnd vmmer eyn vnghetwiget herschop schol blyuen.337 Dieses Gebot der Unteilbarkeit sollte nicht nur die Paktierenden binden, sondern auch für künftige Generationen: vnd we noch vnse Eruen scholen noch en willen de myd nichte delen noch twighen. Für diese ewig ungeteilte Herrschaft wurde ein Seniorat vereinbart. Der jeweils Älteste – unter den dem Laienstand Verbliebenen – sollte der Herrschaft mächtig sein, ihr getreulich vorstehen und sie verwahren. Diese Rechtsstellung des Ältesten wird genauer beschrieben: er soll die geistlichen und weltlichen Lehen verleihen dürfen. Auch durfte er Schlösser, Land und Leute verpfänden und wieder auslösen sowie Amtleute und Vögte ein- und absetzen. Lediglich die Veräußerung von Schlössern, Land und Leuten wurde unter den Zustimmungsvorbehalt der Brüder sowie der Mannschaft und Städte der Herrschaft Braunschweig gestellt. Die Ausübung der Vorstandschaft des Ältesten wurde unter den Grundsatz gestellt, dass sie tho Gude unde tho Nudt der Brüder und Erben geschehe. Das Gesamtvertragswerk, also insbesondere die Unteilbarkeitsanordnung, steht von seiner angegebenen Zielsetzung ganz in der Tradition der Verträge Wilhelms und Magnus I. vom 23. Juni 1355: Vppe dat we vns vnse Land Stede vnd Ludhe Geistlik vnd werltlik vnser herschop to Brunsw. by gnaden Eren vn werdecheit beholden vnd eyndrechticheit der su334 335 336 337
Sud. IV 357. Sud. IV 363, 366 f. Sud. IV 359 ff. Sud. V 6.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
luen vnser Lande Stedhe vnd lude maken also dat de eyn blyuen vn vngedeylet van vns al vn van allen vnsen Eruen in tokamenden thiden Ewiglichen. Aus diesem Vertragsmotto spricht die aus der ungewissen Nachfolge Wilhelms seinerzeit geborene Sorge um den Erhalt der Herrschaft bei den Welfen. Friedrich wurde entsprechend dem Senioratsabkommen, wenn auch erst sehr viel später, nämlich 1385, von König Wenzel mit seine furstentume, vnd herscheften zu Brawnsweig, mit allen yren zugehorungen, als die von vns vnd dem Reiche zulehen ruren, belehnt. Diese Belehnung soll wegen der Kriegswirren und auf dessen Bitten hin Herzog Albrecht von Sachsen und Lüneburg vornehmen.338 b) Die Neuordnung der Herrschaftsbeteilungen der Brüder Bernhard, Friedrich und Heinrich gerade im Verhältnis zu den Askaniern – die Modifizierungen der Sühne von 1373 in den Jahren 1377 und 1386 sowie ihre Aufhebung 1387 Der Welfe Bernhard scheint gleichsam Askanier geworden zu sein. Er war seit 1375 an der Regentschaft des nach der Sühne von 1373 zunächst dem askanischen Hause zustehenden Herrschaft Lüneburg beteiligt.339 Aber auch im Braunschweigischen ist er seither noch urkundlich zu belegen.340 Bernhard erscheint auch 1377 auf Seiten der Askanier, als er, obwohl abwesend, mit Albrecht und Wenzel zusammen, auf Vermittlung des Bischofs von Hildesheim eine Sühne und Einigung mit Otto dem Quaden, dem Göttinger Regenten, und den Braunschweigern Friedrich, Heinrich und Otto schließt.341 Kern dieser Einigung ist die Abfindung der Braunschweiger Linie Friedrichs, seiner Brüder und ihrer Erben von dem Herzogtum und der Herrschaft Lüneburg; dafür erhalten sie die Schlösser Lichtenberg, Neubrück, Thune, Wettmarshagen, Wendhausen, Brunsrode, Vorsfelde, Campen, Bardorf und Twieflingen. Dazu sollten sie zunächst die von ihnen besetzten und anderweitig gehaltenen lüneburgischen Schlösser an Albrecht, Wenzel und Bernhard herausgeben. Zudem sollten sie entsprechend dem Umfang ihrer Abfindung einen Teil der aus dem Krieg der Herzöge Wenzel und Albrecht gegen Herzog Magnus herrührenden Schulden übernehmen. Otto der Quade war von dieser Abrede nicht betroffen. Er fand Aufnahme in die Sühne offenbar deshalb, weil er an „Raufhändeln“ im Lüneburgischen beteiligt war, 338
Sud. V 113. Sud. V 48, 102, 156. Selbst als alleiniger Regent ist Bernhard in Zeiten der Abwesenheit Wenzels, nach Albrechts Tod, nachzuweisen: Sud. VI 151 (1386), VI 161 (1387). Andererseits erscheinen Wenzel und Albrecht auch als Alleinregenten, obwohl sie kurz zuvor noch zusammen mit Bernhard geurkundet hatten: Sud. V 157. Schließlich ist auch Friedrich noch nach 1373 als Aussteller Lüneburger Urkunden aufgetreten, allerdings nur noch kurzzeitig: Sud. IV 355 (1373), V 20 f. (1374). Vgl. zu dem wechselseitigen Auftreten der Söhne Magnus II. in den beiden Herrschaften Braunschweig und Lüneburg auch G. Pischke, Landesteilungen, S. 254 f. Anm. 499. 340 Sud. V 219 (1381), VI 127 (1386). 341 Sud. V 99. 339
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und sicherlich deshalb, weil er zusammen mit Friedrich das Schloss Gifhorn innehatte. Dies sollten die beiden Askanier gemeinsam mit ihrem welfischen Partner Bernhard von diesen gemäß den Pfandurkunden Wilhelms oder Magnus einlösen. Über weitere Pfandburgen einigte sich der Quade auch einige Monate später mit den Askaniern in Gegenwart Karls IV.342 Mit der Abfindung der Anteile und Ansprüche Friedrichs und seiner Brüder an und auf die Herrschaft Lüneburg scheint die Sühne von 1373 aufgehoben worden zu sein. In dieses Fürstentum wird nicht mehr – mit dem Ziel des Erhalts der äußeren Einheit – im Wechsel zwischen den Geschlechtern der Askanier und der Welfen sukzediert. Vielmehr wird der Weg der Realteilung beschritten: Teile des Fürstentums erhält die eine Partei, das Übrige verbleibt der anderen. Patze versteht die Urkunde so, dass die Sühne von 1373 nicht aufgehoben, sondern gewissermaßen auf Bernhard als einzigen Welfen verengt wurde; der Wechsel sollte nun nur noch zwischen den Askaniern und Bernhard und seiner Nachkommenschaft erfolgen.343 Dagegen spricht allerdings, dass Bernhard schon seit 1375 abweichend von der Vereinbarung alternierender, also einander ausschließender Herrschaftsausübung an dieser beteiligt war, und zwar auch als Gegner seiner Braunschweiger Brüder.344 Andererseits zieht sich Bernhard nicht aus Braunschweig zurück.345 Er verbleibt in der Gemeinschaft am Nachlass Magnus, an der Herrschaft Braunschweig, der Friedrich vorsteht. Die Unteilbarkeitsvereinbarung von 1374 wird 1385 unter Ausschluss des damals beteiligten Bruders Otto – dieser tritt in den Quellen weitgehend in den Hintergrund –346 bestätigt, wenngleich auch in sehr knapper, abstrakter und daher hinsichtlich Motiv und Ziel unklarer Weise. Friedrich, Bernhard und Heinrich verabreden, dass alles, was sie besitzen und erwerben, solange sie leben, ihnen gemeinsam gehören und bleiben soll.347 Kurz nach dem Tode Albrechts von Sachsen wurde 1386 die Sühne von 1373 neu gefasst, unter Einbezug dessen, was 1377 verabredet worden war. Wiederum war es zu Heiratsverbindungen zwischen den beiden rivalisierenden Häusern gekommen: Friedrich und Bernhard hatten Wenzels Töchter Anna und Margarethe geheiratet. Wenzel und Rudolf von Sachsen und Lüneburg und Bernhard und Heinrich von Braunschweig und Lüneburg schlossen mit Rat und Zustimmung der Prälaten, Mannschaft und Städte untereinander und mit alle den de in der vorscreuen vnser herschop luneb. bezeten sint vnd de dar to horet einen Vergleich, nach dem Friedrichs Rechte an Lüneburg abgelöst werden.348 Allerdings soll er als Abfindung nicht mehr zehn, sondern nur fünf Burgen, Wendhausen, Brunsrode, Twieflingen, Wettmarshausen und 342 343 344 345 346 347 348
Sud. V 114. Welfische Territorien, S. 77. Vgl. Sud. V 98. Vgl. oben Anm. 99. 1388 urkunden Bernhard und Heinrich noch einmal auch in seinem Namen, Sud. VI 216. Sud. VI 132. Sud. VI 143.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Thune sowie 3.000 Mark lötigen Silbers erhalten. Unbeschadet von der Ablösung sollte aber sein subsidiäres Erbrecht sein – für den Fall, dass seine Brüder Bernhard und Heinrich keine Manneserben hinterlassen. Er sollte Verzicht auf die ihm in der Herrschaft Lüneburg geleistete Huldigung erklären, aber die Sühne von 1373 halten. Die übrigen vier Herzöge, die Vertragsschließenden, sollen der Herrschaft Lüneburg vorstehen und sie gebrauchen nach Maßgabe der ersten Sühne von 1373. Entsprechend sollte zunächst Wenzel der Vorstand der Herrschaft sein – diese Position wird sprachlich ganz ähnlich wie in der Sühne von 1373 und der innerwelfischen Senioratsverabredung von 1374 in der Beschreibung einzelner Kompetenzen erfasst. Ihm sollte nach seinem Tod sein Schwiegersohn Bernhard und, sollte dieser ihn nicht überleben, Heinrich, falls auch dieser früher sterbe, der älteste Sohn beider folgen. Für den Fall, dass Bernhard und Heinrich keine Söhne hinterlassen sollten, sollte Friedrich zur Nachfolge berufen sein. Falls alle drei welfischen Brüder ohne Manneserben versterben sollten, sollte die Herrschaft endgültig, erblich, im Stamme Wenzels, im Falle, dass dieser Stamm aussterbe, bei den drei Welfen verbleiben. Im „Normalfalle“ aber, dass auf Wenzel Bernhard, Heinrich, Friedrich oder einer ihrer Erben gefolgt ist, sollte dann wieder einer aus Wenzels Nachkommenschaft in die Regentschaft treten – und immer so weiter im Wechsel zwischen Wenzels Linie und der Nachkommenschaft der beiden Welfen. Bernhard war also doch kein Askanier geworden. Alle Herzöge, beiderseits, und ihre Erben unterliegen der Verfügungsbeschränkung, dass sie die Schlösser, Städte, Güter, Land und Leute der Herrschaft nicht ohne Zustimmung der übrigen Herzöge und der drei Stände höher verpfänden oder gar veräußern dürfen. Die nicht zum Vorstand der Herrschaft berufen sind, dürfen keine Slote, Stede, wicbelde edder vesten in der Herrschaft nehmen oder solche neu erbauen lassen ohne Zustimmung des regierenden Herzogs und der drei Stände. Eine weitere Bedrohung der Konsistenz der Herrschaft wurde eingedämmt: die vielfältigen Leibzuchtsbestellungen. Wenigstens die nicht zur Regierung Berufenen und ihre Erben dürfen ihren Gemahlinnen die genannten Bestandteile der Herrschaft nicht zur Leibzucht verschreiben. Dafür sollen nach dem Rate der Stände andere Güter angewiesen werden. Nur ein Jahr später aber scheint Bernhard wieder zu den Askaniern übergetreten zu sein; die Sühne von 1373 in ihrer Neufassung von 1386 wird 1387 aufgehoben und unter Ausschluss Heinrichs neu geregelt. Wenzel, sein Sohn Rudolf und Bernhard einigen sich darauf, dass sie und ihre Erben die Herrschaft Lüneburg gemeinsam und zu gleichem Recht erblich besitzen.349 Der jeweils Älteste unter den Vertragsschließenden wie auch deren Erben, der sich in der Herrschaft aufhält, soll der Herrschaft vorstehen und mächtig sein. Die Kompetenz, die geistlichen und weltlichen Lehen auszugeben, kommt nur dem Ältesten der Herzöge, nicht allein der im Land aufhältlichen Herzöge zu. Für diesen generell Ältesten werden nun auch die einzelnen Befugnisse näher beschrieben, so dass klar wird, dass nicht eine wechselnde, vom Aufenthaltsort der Herzöge abhängige Regentschaft gewollt war. Vielmehr soll grundsätzlich einer, 349
Sud. VI 159.
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der Älteste, die Regierung führen und nur, wenn dieser sich auswärtig aufhält, greift eine Vertretungsregelung. Der Regierende unterliegt strengen Verfügungsbeschränkungen; auch für die Leibzuchtsbestellungen werden wiederum, diesmal für alle Herzöge, Grenzen abgesteckt.
c) Die Abgrenzung Lüneburgs von Braunschweig – die Verabredungen der Brüder Friedrich, Bernhard und Heinrich 1388 Heinrich nahm diesen Ausschluss nicht hin. Er führte – zusammen mit Friedrich, der sich ihm anschloss – Fehde gegen Lüneburg; das waren Wenzel und Bernhard. Doch bevor es zu einem Bruderkrieg kommen konnte, starb Wenzel auf einem Zug gegen Celle, das Katharina verteidigte. Nun kam das Ende des Lüneburger Erbfolgekriegs: Heinrich, Friedrich und alle ihre Unterstützer, etwa die Stadt Braunschweig, gewannen in der Schlacht bei Winsen an der Aller 1388, vor allem gegen die Stadt Lüneburg.350 Erneut musste die Herrschaft an dem Fürstentum Lüneburg neu geregelt werden. Die Linie dafür war seit langem vorgegeben. Lüneburg war längst Bernhard zugeordnet und Braunschweig Friedrich. Diese Verteilung beherrscht die Übereinkünfte zur Sukzession seit 1374; insbesondere die interdynastischen von 1377, 1386 und 1387. Im Grunde ging es nun nur noch um zweierlei: Heinrich musste in dieses Gefüge eingebunden werden –351 1377 war er Friedrich und Braunschweig, 1386 Bernhard und Lüneburg und 1387 keiner Seite mehr zugeordnet –, und die beiden Teile sollten neu zugeschnitten werden. Auch dies zeichnete sich seit 1377 ab. Noch vor der Beurkundung neuerlicher Vereinbarungen entband Friedrich ganz auf der Linie von 1377 und 1386, wenngleich er an dieser letztgenannten nicht als Partei beteiligt war, die Mannschaft und die Städte im Lande Lüneburg von der ihm geleisteten Huldigung.352 Dies geschah unter der Bedingung einer Abfindungsleistung durch seine Brüder Heinrich und Bernhard. Deren Höhe wurde aber noch einmal nach 1386 deutlich gegenüber 1377 herabgesenkt. Nur noch die Hälfte der Schlösser Meinersen und Neubrück mit Zubehör sollen ihm abgetreten werden und dies auch nur auf Anforderung und wenn vier namentlich benannte Ritter bestätigen, dass Heinrich und Bernhard die Schlösser tatsächlich besitzen. Das Land lag danieder. Würde sich aber die Perspektive seiner Brüder gebessert haben, sollte nach Ermessen der vier Ritter seine Abfindung angehoben werden. Umgekehrt sollte auch er bei Besserung seiner Herrschaft dann diesen einen Ausgleich verschaffen. Friedrich behielt sich überdies, wie es sich aus der Erklärung der Stadt Lüneburg zur – bisher nur mündlich erteilten – Eidesent350 Als eigentliches, formales Ende des Erbfolgekrieges ist anzunehmen die erbliche und ewige Sühne, die die welfischen Herzöge Bernhard und Heinrich, den letztlich Lüneburg zufiel, und ihr Bruder Otto mit den askanischen Herzögen Rudolf, Albrecht und Wenzel und Bürgermeistern, Ratsherren und Bürgern der Städte Lüneburg, Hannover und Uelzen schlossen, Sud. VI 216. 351 So auch G. Pischke, Landesteilungen, S. 89. 352 Sud. VI 206 (27. Juni 1388).
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
bindung ergibt, für den Fall, dass seine Brüder ohne Manneserben sterben, die Nachfolge in die Herrschaft Lüneburg vor.353 Drei Tage später fanden Bernhard und Heinrich eine Einigung zur Einbindung Heinrichs in die Herrschaft Lüneburg – unter Hinweis darauf, dass Friedrich ja bereits auf diese Herrschaft verzichtet hatte. Sie errichteten zwischen sich und gemenliken mit den Prelaten Manschop Steden landen vnd luden der Herrschaft einen Vertrag, nach dem beide Herzöge mit gleichem Recht die Herrschaft gemeinsam besitzen sollten, aber unbeschadet der Rechte der Herzöge von Sachsen aus der Sühne von 1373.354 Allerdings kommt Bernhard die Regentschaft, jedenfalls ein deutliches Übergewicht bei den Kompetenzen der Herrschaft zu. Er sollte alle Amtleute einsetzen, wenn auch nach dem Rat Heinrichs. Die geistlichen und weltlichen Lehen verleiht Bernhard sogar ohne den Ratschlag seines Bruders. Beide Herzöge sind in Verfügungen der Pfandbestellung, der Auflassung und – ganz ähnlich wie 1386 und 1387 – der Leibzuchtsbestellung an die Zustimmung des jeweils anderen gebunden. Dass Bernhard als alleiniger Regent anzusehen war, bringt die Urkunde ausdrücklich damit zum Ausdruck, dass als Vorgänger der Sassesschen heren, zu den die Herrschaft wechselt, allein er, Bernhard, benannt wird. Im Umfang weit ausführlicher werden die finanziellen Fragen im Zusammenhang mit der Auslösung der Gefangenen geregelt. Eine knappe Woche darauf wurde das Verhältnis Bernhards und Heinrichs zu Friedrich, das Verhältnis der Lüneburger zu der Braunschweiger Herrschaft näher und neu bestimmt.355 Als Vertragsparteien erscheinen nur die drei Herzöge; ihre Prälaten, Mannschaften und Städte werden lediglich als Ratgeber angeführt. Was schon im Senioratsabkommen von 1374 verabredet wurde, sich in den Abkommen mit den Askaniern von 1377 und 1386 fortsetzte und von Seiten des Reiches 1385 lehnrechtlich gleichsam anerkannt wurde, wird nun noch einmal bestimmt: Friedrich erhält das Land Braunschweig und Bernhard zusammen mit Heinrich das Land Lüneburg. Allerdings fällt die Abfindung Friedrichs, die jedoch nicht mehr als eine solche bezeichnet wird, nun ungleich größer aus als noch neun Tage zuvor von Friedrich für die Eidesentbindung im Lüneburgischen ausbedungen. Vom Land zu Lüneburg sollen nun zum Land zu Braunschweig geschlagen werden die Schlösser Gifhorn, Fallersleben, Lichtenberg, Wettmarshagen, Campen, Vorsfelde, Wenthausen, Brunsrode, Bardorf, Thune und Twieflingen sowie die Hälfte der Schlösser Meinersen, Neubrück und Brome einschließlich des vollen oder halben Zubehörs und der in dem jeweiligen Gerichtsbezirk der Schlösser belegenen geistlichen und weltlichen Lehen. Den Lüneburgern verbleiben neben dem verkleinerten Land Lüneburg mit allen Schulden, die auf dieses entfallen, – ganz in der seit 1267 beachteten Tradition – die geistlichen Lehen, die von der Herrschaft Lüneburg in Braunschweig verliehen werden. Wie auch schon in Friedrichs Eidesentbindung angeklungen, räumen sich beide Seiten jeweils ein subsidiäres Erbrecht, für den Fall des Todes ohne Manneserben in der jeweiligen 353
Sud. VI 207; dies wird schriftlich kurz darauf von Friedrich bestätigt, Sud. VI 210 (6. Juli
1388). 354 355
Sud. VI 208 (30. Juni 1388). Sud. VI 209 (6. Juli 1388).
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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Linie ein, auf lüneburgischer Seite allerdings vorbehaltlich der askanischen Rechte. Verklammert bleiben die beiden Linien überdies durch die Verfügungsbeschränkung, dass Verkauf, Entfernung und erbliche Verlehnung nur mit Zustimmung der jeweils anderen Linie möglich sein sollen. Abgerundet wird der Vertrag durch eine Beistands- und Bündnisabrede, die um die Vereinbarung eines Schiedsgerichtes ergänzt wird. Die Verabredung vom 6. Juli 1388 als eine „Teilung“ zu bezeichnen, sie mit Pischke356 in die Reihe der „Landesteilungen“ einzustellen, erscheint wenig einleuchtend, dehnt jedenfalls den Begriff der Teilung aufs Äußerste. Was wurde denn geteilt? Pischke antwortet darauf: „das wiedervereinigte Herzogtum Braunschweig-Lüneburg“.357 Dies ist sicher unzutreffend. Es ist schon schwer zu beurteilen, ob diese lehnrechtliche Einheit in Anbetracht des Gemeinschaftserhaltes an Rechten in und an der Stadt Braunschweig überhaupt jemals geteilt worden ist. Im Übrigen gehören zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg auch die Teilfürstentümer Göttingen und Grubenhagen, die mit der Nachfolgeregelung von 1388 nichts zu tun hatten. Die Suche nach einem Teilungsgegenstand ist nicht einfach. Lehnrechtlich ist die Abrede von 1388 nicht als Teilung zu begreifen. Wie gesagt, umfasste 1388 der Vertragsgegenstand nicht das 1235 errichtete Herzogtum, sondern nur zwei Teillinien darin. Betrachtet man die Sonderlehen, war die Herrschaft Braunschweig seit 1385 eine eigene lehnrechtliche Einheit, in die 1388 nicht eingegriffen wurde. Eine Herschop oder ein Land wurden ebenfalls nicht geteilt, da Braunschweig und Lüneburg als Produkte der Teilung schon vor derselben als zwei Herrschaften begriffen wurden und solche auch waren. Es gab kein einheitliches, die Lande Braunschweig und Lüneburg umfassendes Fürstentum. In Braunschweig regierten die Welfen, in Lüneburg die Askanier, wenn auch mit welfischer Beteiligung. Geteilt wurde allenfalls das Land zu Lüneburg insofern, als von diesem eine Reihe von Burgen abgetrennt und dem Land zu Braunschweig zugeschlagen wurden. Gebrochen, besser: aufgehoben, wurden die Vereinbarung zwischen Wilhelm und Magnus I. von 1355 sowie das Versprechen Magnus II. an Land und Leute in der Herrschaft zu Lüneburg von 1367. Danach sollten Lüneburg und Braunschweig immer eine ungeteilte Herrschaft sein. Tatsächlich hergestellt werden konnte diese Einheit aber bis 1388 durch die Welfen nicht. Nun, da eine Vereinigung möglich war, nahmen sie diese nicht vor. Schließlich steht der Vertrag von 1388 auch der Abrede unter den Brüdern Friedrich, Bernhard und Heinrich von 1385, ihr Vermögen zu Lebzeiten gemeinsam zu besitzen, entgegen. Sie trennen ihre Vermögensbestandteile. Kurzum: 1388 wurde allenfalls eine in Aussicht genommene Einheit geteilt, eine ideale Gemeinschaft aufgehoben358. Eine Landes-, Lehnsoder Erbteilung fand 1388 nicht statt. 356
Landesteilungen, S. 85 ff.; vgl. auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 786. Ebd., S. 85. 358 1388 wurde auch nicht, wie E. Schubert, Niedersachsen, S. 786, es vertritt, mit der Verabredung von 1374 gebrochen. Dort wurde zwar die Einheit des Fürstentums vorgeschrieben, aber lediglich die des Fürstentums Braunschweig; diese war aber 1388 nicht betroffen. 357
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d) Der Rückzug der Askanier – die Einigung von 1389 Im Jahre darauf konnte man den Vorbehalt sächsischer Rechte auf oder an Lüneburg, wie er in den Regelungen von 1388 noch Berücksichtigung fand, streichen. Die Askanier verzichteten auf ihre Rechte.359 Jede im Lande Lüneburg geleistete Huldigung sollte ebenso unwirksam sein, wie die von ihnen oder ihren Vorfahren geschlossenen Verträge. Der Preis, den die Welfen, Lüneburger wie Braunschweiger, dafür zahlen mussten, war, wie es Reinbold bewertet,360 die mit dem Verzicht zugleich verabredete Erbverbrüderung. Danach versprachen Rudolf, Albrecht und Wenzel von Sachsen und Lüneburg, diesen Titel führten sie also weiter, dass das Land und die Pfalz Sachsen mit dem Reichsmarschallamt den Welfen zufiele, wenn die Askanier keine Manneserben hinterließen. Umgekehrt sollten die beiden Lande Braunschweig und Lüneburg den sächsischen Herzögen in der Weise huldigen, dass sie an diesen fielen, falls die drei Herzöge von Braunschweig und Lüneburg keine männlichen Lehnserben hinterließen. Wie wenig Eintracht hinter dieser Erbverbrüderung stand und – so kann man vermuten –, wie wenig man davon ausging, dass tatsächlich einmal nach dieser Erbverbrüderung der Fall des Aussterbens eines Hauses geregelt, die welfischen Lande sächsisch oder die sächsischen Lande welfisch würden, kann man auch an dem Fehlen einer gegenseitigen Beschränkung der Verfügungsfreiheit ablesen. Üblicherweise geht mit einer Erbverbrüderung das beiderseitige Verbot zumindest dauerhafter Entäußerung von Rechtspositionen einher, damit die Substanz des Nachlasses, an dem man sich gegenseitig ein subsidiäres, ein bedingtes Erbrecht eingeräumt hat, ungeschmälert bleibt.361 In schroffer Abweichung zu dieser Gepflogenheit heißt es dagegen in der welfisch-askanischen Abmachung von 1389: Diisse Enynge vn buntnisse sal vnschedelichin sin eym iglichen heren also daz eyn iglich here sal gansse macht haben seine sloze vnd Stete zu vorseczen vnd zo vorkowffen nach als vor wenne vn wie dicke eyme iglichen heren des nod werdit. e) Die Vereinbarungen Ottos des Quaden mit dem Landgrafen Hermann von Hessen über die Nachfolge in Göttingen aus dem Jahre 1381 und die Neuordnung des Verhältnisses dieser Linie zu den Linien Lüneburg und Braunschweig seit 1383 Bevor vornehmlich unter systematischen Gesichtspunkten ein Fazit zum Lüneburger Erbfolgekrieg gezogen werden soll, lohnt ein kurzer Blick auf die Sukzessionsbehandlung des nicht in zentraler Rolle an diesem Konflikt beteiligten Göttinger Zweiges des Welfenhauses in dieser Zeit.362 Repräsentant dieser Linie war seit 1367 Otto der Quade. Er verfolgte eine umtriebige, schlicht widersprüchliche Erbver359
Sud. VI 239. Lüneburger Sate, 12. 361 Dazu unten B.IV.2.c)bb). 362 Zur Sukzession in Grubenhagen, dessen Herrscher Albrecht I. sich schon 1373 auf die askanische Seite geschlagen hatte, Sud. IV 344, siehe unten B.III.2.b). 360
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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brüderungspolitik. 1370 hatte er sich insoweit mit der braunschweigischen Linie verbunden. Nach allerlei Eingriffen in die Wirrnisse der Jahre nach 1371363 schloss er dann 1381 eine sehr merkwürdige Erbverbrüderung mit dem Landgrafen Hermann von Hessen.364 Der Vertrag beginnt damit, man habe sich midenandir vireynet virstrickit, vnd mid eyner saczunge, diesir nachgeschreben summen geldis, mid vnsin nachgeschreben sloszin, Steden (…) vorbunden vnd vorschreben. Es folgt eine detaillierte Aufzählung dessen, was man sich einander verschrieben habe, also die einzelnen Bestandteile der Herrschaften, die Schlösser sowie die Städte. Und schließlich wird erläutert, wie und für welchen Fall diese Verschreibung der Herrschaft gegen Geld vollzogen werden solle: Stürbe einer der Vertragspartner, ohne Leibeserben zu hinterlassen, so solle dem anderen der Geldbetrag, es waren 300.000 Mark lötigen Silbers vereinbart, bezahlt werden. Von wem das Geld kommen sollte, bleibt zunächst im Dunkeln. Der Vertragspartner ist ja dann tot und hat keine Erben. In der Beschreibung der Art und Weise der Bezahlung kommt nun aber zum Ausdruck, dass die 300.000 Mark derjenige zu zahlen habe, der die Schlösser usw. auslösen möchte. Darauf werden entsprechend die Amtleute, Burgmannen und Bürger der beiden Herrschaften eingeschworen. Insofern ist die Verschreibung nichts anderes als eine Taxierung des Wertes der jeweiligen Herrschaften auf jeweils 300.000 Mark. Tatsächlich fließen sollte dieses Geld nicht, jedenfalls nicht unbedingt. Im Kern ist die Vereinbarung eine Erbverbrüderung. Hinterlässt einer keine Leibeserben, fällt seine Herrschaft an den anderen. Treten dann andere Prätendenten an der Herrschaft auf – so wird man die seltsame Bewertung der Herrschaften verstehen dürfen – steht die von diesen zu leistende Ablösungs- oder Entschädigungssumme schon fest. Wähnten sich etwa hier beide Paktierenden als listig in ihrer Vorsorge gegen kommende Erbstreitigkeiten? Zwei Jahr später verzichtete Otto dann gegenüber Friedrich, dem Sohn Magnus II., auf Ansprüche auf Lüneburg, behielt sich aber die Nachfolge für den Fall, dass die Linie Magnus erlöschen sollte, vor.365 Diesen Vorbehalt von Rechten der Göttinger an der Braunschweiger Linie des Hauses hatte Otto offenbar noch vor seinem Tode im Jahre 1394 aufgegeben, ebenso wie seine Erbbindungen an den Landgrafen von Hessen.366 Ein Jahr nach dem Tod des Quaden erklärte Friedrich urkundlich, dass der Göttinger seine Städte Northeim, Münden, Uslar und Gandersheim habe ihm, Friedrich, huldigen lassen, damit seine Lande und Leute, falls er ohne Leibeslehnserben (liues leeneruenn) sterbe, diesem zufielen.367 Von einer Gegenverpflichtung Friedrichs für den Fall seines erbenlosen Todes ist nichts zu lesen. Otto hatte eine einseitige Erbverschreibung vorgenommen. Diese bestätigte nun sein 363
Dazu H. Patze, Welfische Territorien, S. 75 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 726 ff. Sud. V 210. 365 Sud. VI 59. 366 1396 war in einer Heirats- und Mitgiftsvereinbarung zwischen Otto Cocles und Hermann von Hessen keine Rede mehr von einer Erbverbrüderung für den Fall des lehnserbenlosen Todes; in diesem Falle sollte auf hessischer Seite eine weibliche Erbfolge gelten, Sud. VIII 100. 367 Sud. VIII 45 (19. Mai 1395). 364
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Sohn Otto Cocles und ließ wiederum die vier genannten Städte, dazu noch Dransfeld, Hardegsen und Moringen, aber wiederum nicht Göttingen, Friedrich huldigen. Friedrich solle, solange der junge Herzog Otto unmündig ist, dessen Vormund sein, wie es ihm nach Recht368 und Verwandtschaft zukomme. Allerdings werden Otto und seinen Amtleuten schon einige Kompetenzen zugestanden, deren Ausübung jedoch an die Bewilligung, den Rat und die Stimmenmehrheit seiner Mannschaft und Städte gebunden ist. Nachdem Friedrich im Jahre 1400 erschlagen worden war, traten 1401 seine Brüder Bernhard und Heinrich in die Erbverbrüderung mit Göttingen ein.369 Die 1395 getroffenen Abreden wurden allerdings in einem gewichtigen Punkt modifiziert: Die Erbverschreibung war für den Fall, dass keine lehnsfähige Deszendenz hinterlassen werde, nun gegenseitig. Bernhard und Heinrich räumten auch Otto diese subsidiäre Erbfolge ein. Jedoch – und dies darf nicht übersehen werden – wurde Otto nur ein Recht am Braunschweiger Landesteil zugestanden. Bernhard und Heinrich haben entsprechend auf den Fall lehnserbenlosen Todes nur Städte aus dem Lande Braunschweig, nämlich Helmstedt, Schöningen, Gifhorn, Königslutter und Schöppenstedt, Otto huldigen lassen, so dass ihm das Land Braunschweig und das, was Herzog Friedrich von dem Land zu Lüneburg erhalten hatte, das sind die 1388 zur Abfindung ausgeschiedenen Burgen, gegebenenfalls zufiele. Allerdings findet sich in der Anweisung an ihre, Bernhards und Heinrichs, obersten Amtleute und Landvogte, Otto im beschriebenen Erbfall die Schlösser und Städte auszuliefern, diese Beschränkung auf die Herrschaft Braunschweig nicht. Auch wenn die Erbverbrüderung mit Otto auf den Braunschweiger Teil beschränkt blieb, steht sie im Widerspruch zu der seit 1389 bestehenden vertraglichen Bindung Bernhards und Heinrichs an die Askanier. Darin wurde den sächsischen Herzögen nicht allein für den Lüneburger Teil, sondern für beide Lande, also auch das Braunschweiger, ein subsidiäres Erbrecht eingeräumt. Warum dann allerdings Otto nicht auch für Lüneburg ein solches bedingtes Erbrecht zugestanden worden ist, erschließt sich nicht. 5. Eine Zusammenschau: Die Wirkungen und Veränderungen des Konflikts in der welfischen Sukzessionsbewältigung Der Lüneburger Erbfolgestreit war ein Brennglas der Sukzessionsgeschichte. Angetrieben durch die kaiserliche Initiative und ihre Folgen wurden Entwicklungen angestoßen und beschleunigt. Ein äußerliches Zeichen: die Quellen zur Nachfolgebehandlung fließen in den Jahren 1355 bis 1388 reichlicher. Der Eingriff des Reiches in die Sukzession im Fürstentum Lüneburg, der auf dem Rechtsstandpunkt fußte, dass dieses ein heimgefallenes Sonderlehen sei, musste ein 368 369
Vgl. Ssp. Ldr. I 23. Sud. IX 114.
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Nachdenken über die bisherige Erbfolgepraxis im Welfenhaus auslösen. Denn Voraussetzung der kaiserlichen Rechtsauffassung war es, dass das welfische Lehen real geteilt wurde, dass die Gemeinschaft am Herzogtum Braunschweig-Lüneburg zerbrochen und aufgehoben war. Ein Argument für diese Auffassung ließe sich aus dem Umstand gewinnen, dass sich die Produkte der Teilungen, die Teillinien, gesondert belehnen ließen. Das durch das kaiserliche Aufbieten von Nachfolgeaspiranten aus einem anderen Hause und die damit gefährdete Fortsetzung welfischer Herrschaft in Lüneburg notwendige Räsonnieren erschöpfte sich jedoch nicht allein in einer Rechtfertigung der bisherigen Regelungen der Erbfolge, der Bewertung des Zustands des Herzogtums Braunschweig-Lüneburgs als das eines ungeteilten, einheitlichen Lehnsobjektes, wie sie etwa Magnus in seinem umfangreichen Schreiben an den Rat Hannover von 1371370 vornahm. Diese Ungewissheit zeitigte vielmehr auch Wirkungen für die Zukunft, einschneidende Veränderungen in der Sukzessionshandhabung der Welfen. Eine wenngleich auch recht unscheinbare und in ihrer tatsächlichen Wirkung erst viele Jahrzehnte später sich entfaltende Folge des kaiserlichen, lehnsherrlichen Einschreitens war das (Wieder-)Erwachen eines Bewusstseins für die Feudalität der Fürstentümer. Nicht von ungefähr erinnerte man sich nun der Errichtungsurkunde des Herzogtums von 1235, argumentierte, jedenfalls formulierte aus dieser heraus. Niederschlag fand dieses Bewusstsein in einem sich wandelnden Sprachgebrauch in den häufigen Erbverbrüderungen; dort findet erstmals der Begriff des Lehnserben Eingang: 1389371, 1395372, 1401373. Die Erbfolge in die Herrschaft wird als eine lehnrechtliche verstanden.374 Dies spricht auch aus der Nachfolgelösung, die Wilhelm mit seinem Vetter Magnus I. 1355 fand: Wilhelm soll Ludwig in die Herrschaft aufnehmen alse vsen Rechten eruen vnde ene dar mede belenen also dat he de Herschop hebben schal.375 Indes wird der Lehnsherr dieser Herrschaft, der Kaiser, nicht mit in diese Belehnung einbezogen. 370
Sud. IV 153. Sud. VI 239. 372 Sud. VIII 45. 373 Sud. IX 114. 374 Der Ausdruck „Lehnserben“ kam nach B. Diestelkamps, Lehnrecht, S. 72, Festellung auch in der Grafschaft Katzenelnbogen seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts auf und verfestigte sich. Diestelkamps Deutung, dass diese Änderung des Sprachgebrauchs ein Reflex auf die geänderte Anschauung, dass Kollaterale nicht mehr ipso jure von der Lehnfolge ausgeschlossen seien, gewesen sei, und zwar insofern, als mit dem Ausdruck Lehnserben die alte Deszendenten-Lehnfolge klar gefasst und damit gegen eine extensive Auslegung verteidigt werde, lässt sich auf die hausrechtlichen Urkunden der Welfen nicht übertragen. Denn die Urkunden, aus denen Diestelkamp seine Beobachtungen für Katzenelnbogen schöpft, sind solche des Lehnshofs, also lehnsherrliche Urkunden. Die Hausverträge in den welfischen Landen sind nach diesem Zuordnungsmaßstab eher als vasallitische Aussagen zu verstehen. Den Welfen ging es nicht um eine Verengung kollateraler Lehnfolge. Ihre Bemühungen deuten regelmäßig auf das Gegenteil hin. 375 Sud. II 507. 371
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Unmittelbar bedeutsam aber war eine andere Veränderung: Die Sorge um den Bestand der Herrschaft, ihre äußere Integrität über den Tod des Herrschers hinaus wird greifbar. Daraus erwachsende Momente der Versachlichung der Herrschaft, das Auftreten von Spuren einer transpersonalen Herrschaftsauffassung, besser: Herrschaftsbehandlung, waren aber nur e i n Kennzeichen der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Die Versachlichung blieb – und das lässt sich schon ohne Blick auf die Folgezeit, die Zeit nach dem Erbfolgestreit, sagen – in Ansätzen stecken. Um eine dem Historiker liebe Bewertung zu bemühen: Das 14. Jahrhundert, gerade die zweite Hälfte, war eine Übergangszeit, eine von Überschneidungen verschiedener, gegenläufiger Herrschaftsauffassungen gekennzeichnete Zeit. Mobilisierung und Konsolidierung trafen aufeinander und verbanden sich vielfältig. a) Kennzeichen der Versachlichung Das Postulat der Unteilbarkeit der Herrschaft, der Lande, ja auch der Wiederherstellung zerbrochener Integrität, findet erstmals Eingang in die Sukzessionsbehandlung im Welfenhaus – als Klausel in die Hausverträge, wie auch in Versprechen gegenüber den Ständen. Und darüber hinaus wird die zu erhaltene oder herzustellende Einheit gesichert durch die Herrschaft eines Einzelnen, die Ausschaltung der Gesamthand an der Regentschaft: 1355 verabreden Magnus und Wilhelm die Herstellung einer dann nicht zu teilenden Einheit zwischen den beiden großen welfischen Herrschaften Lüneburg und Braunschweig in der Hand eines namentlich bestimmten, im Falle dessen Todes nach Wahl Wilhelms zu ersetzenden, Nachfolgers.376 Diese Unteilbarkeit der Einheit aus den Landen Braunschweig und Lüneburg unter einem Herren, und zwar dem Ältesten unter seinen Erben, versprach Magnus 1367 gegenüber den Prälaten und Städten.377 Die notwendige Anforderung an den Nachfolger in diesem Seniorat, die des Alters des Erben, wird noch ergänzt durch eine weitere: der Sohn muss auch zur Herrschaft taugen. Magnus verspricht also, die Untertanen vor einem untauglichen Regenten zu bewahren.378 Auch der erste Ausgleich mit den Askaniern um das Fürstentum Lüneburg in der Sühne von 1373 stellt das Gebot der Wahrung der äußeren Integrität dieser Herrschaft an den Anfang und in den Mittelpunkt der Sukzessionsregelung.379 Zunächst soll erst einmal alles, was durch kriegerische Einnahme auseinander gerissen wurde, wieder zusammengesetzt werden, damit es wieder eine ungeteilte Herrschaft werde und bleibe. Wie schon 1367 von Magnus für die zu vereinigenden Herrschaften Lüneburg und Braunschweig versprochen,
376
Sud. II 508. Sud. III 337. 378 Ein solches Seniorat mit Tauglichkeitsvorbehalt gibt auch Wilhelm ein Jahr später, 1368, seinem Rat als Wahlrichtlinie für die Bestimmung eines Nachfolgers für Magnus II. vor, Sud. III 381. 379 Sud. IV 351. 377
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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wird für Lüneburg ein Seniorat verordnet. Ebenso Unteilbarkeit unter einem Seniorat wird 1374380 innerhalb der Herrschaft Braunschweig verabredet. Mit dem Einzug des Gebots der Unteilbarkeit der Lande sowie der Herrschaft darüber in einer Hand, nämlich derjenigen des jeweils Ältesten, gegebenenfalls verbunden mit einem Tauglichkeitsvorbehalt, in die Sukzessionsbehandlung der Welfen allein war noch nicht erschöpfend des Hauptproblems der Sukzession gedacht. Ein Bewusstsein für die Frage, wie mit den im Grundsatz gleichberechtigten Erbansprüchen der übrigen Söhne, der nächstälteren und nichtgeistlichen, umzugehen ist, lassen die Hausregelungen bis 1386 nicht erkennen. Das Ziel der Unteilbarkeit bei gleichzeitiger Einzelherrschaft erscheint von daher unvollständig bedacht, angesteuert und geregelt und deshalb – so will es scheinen – in seiner Erreichbarkeit zweifelhaft. Erstmals, wenn auch in unscheinbarer Weise, gibt die Vereinbarung über die Nachfolge in der Herrschaft Lüneburg zwischen Wenzel und Rudolf auf askanischer und Bernhard auf welfischer Seite aus dem Jahre 1387381 einen Hinweis darauf, was mit den nicht regierenden Herren geschehen soll. Sie sollten Unterhalt und Wohnsitz erhalten. Diese Leistungen werden aber in dieser interdynastischen Abrede weder dem Grunde noch der Höhe nach geregelt. Vielmehr werden sie vorausgesetzt; sie verstehen sich offensichtlich von selbst. Die Wurzel künftigen, die Einheit der Herrschaft gefährdenden Streits, nämlich die Frage der Höhe und Form der Versorgung der Nachgeborenen, wird nicht ausgerissen. Bestimmt wird allein, dass bei solchen Streitigkeiten über den Unterhaltsbetrag und über ihre Wohnung in der Herrschaft Prälaten, Mannschaft und Städte entscheiden sollen.382 Gleichwohl erscheint die Vereinbarung von 1387 als die erste vollständige Erfassung und Gestaltung des Sukzessionsproblems: Die Nachgeborenen werden ausdrücklich von der Regierung und dem Gebrauch der Herrschaft ausgeschlossen und auf eine Versorgungsleistung durch die Herrschaft verwiesen. Die hausrechtlichen Erbfolgeregelungen öffnen sich gleichsam, erweitern Adressatenkreis und Regelungsgegenstand; sie nehmen nun Merkmale von Normativität an.383 Bis weit in die Zeit des Lüneburger Erbfolgestreits hinein erschöpften sich die hausrechtlichen, die Erbfolge-Regelungen der Welfen, gerade auch die integritätsbefördernden, darin, dass punktuell konkrete Bestimmungen für einen Fall getroffen werden. Die auf Teilung gerichteten Abreden können hier außer Betracht gelassen 380
Sud. V 6. Sud. VI 159. 382 Queme wy ok vnder vns edder vnse vorbenomeden eruen, vnder sik to yenigem vnwillen schelinge edder twydracht, ewichliken to yenigen tiden, Edder worde ienich ynual van vnser eruen wegene, dar vmme, Wes sik de heren, den to der tid de herschop nicht enboret to vorstande, beghan, vnd neren scholen vnd vmme ere woninge in der herschop Luneborg, des schollet Prelaten, Manschop, vnd Stede der zuluen herschop vulmechtich wezen, to irschedende (…). 383 Grundlegend im jüngeren Schrifttum zur Normativität der Hausnormen: J. Weitzel, Hausnormen. 381
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
werden; ihre punktuelle Wirkungsweise liegt auf der Hand. Aber auch im Falle der Erbverbrüderungen erschöpfte sich die Regelung, wenn die erfasste Konstellation, der erbenlose Tod einer Linie, eingetreten ist. Funktional ganz ähnlich zielt die verabredete Gemeinschafts(wieder)herstellung auf die Anwachsung des einen Anteils an dem Nachlass an die übrigen Gesamthänder. Die Wirksamkeit auch dieser Regelung ist mit der Herstellung der Gemeinschaft unter den Vertragsschließenden abgeschlossen. Mag auch im Falle der Erbverbrüderung die Person dessen, bei dem sich die Vereinbarung verwirklicht, nicht individualisiert sein, so verbindet die Regelung zunächst nur die direkt an ihrem Zustandekommen Beteiligten. Allenfalls die – unmittelbaren – Erben beiderseits werden ebenfalls verbunden. Aus der welfischen Praxis bis ins 15. Jahrhundert hinein lässt sich diese (Bindungs-)Wirkung allerdings nicht ablesen. Lediglich einmal seit Bestehen des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg kam eine Erbverbrüderung zum Tragen: In Folge der Verschreibung von 1290 wuchs Albrecht II. allein, unter Ausschluss seines Bruders Heinrich, der Anteil des verstorbenen Bruders Wilhelm am väterlichen Erbe zu. Deutlich erkennbar beginnt sich nun aber im Lüneburger Erbfolgestreit mit der Sühne von 1373 eine dynastische Nachfolgeregelung – und das ist das Neue und Zukunftsweisende dieser Vereinbarung – von der Vertragsperspektive, von dem Abgleich der Interessen der unmittelbar am Vertrag beteiligten Parteien und der entsprechenden relativen, allenfalls noch die Erben erfassenden Verbindlichkeit der Abreden zu lösen. Die interdynastische Vereinbarung von 1373 trägt erste Züge einer Sukzessionsordnung. Es wird nicht punktuell mit dem Instrument der Erbverbrüderung eine Bestimmung über die Nachfolge im Fall der Erbenlosigkeit einer Linie getroffen, deren Regelung sich genau in diesem einen Fall auch erschöpft. Vielmehr wird dauerhaft, abstrakt für eine theoretisch unbegrenzte Anzahl von Sukzessionsfällen eine Regelung getroffen. Es wird zumindest in Ansätzen nicht mehr nur eine Regelung für die an ihrem Zustandekommen Beteiligten, allenfalls ihre unmittelbaren Erben niedergelegt, nicht mehr, wie es für den Vertrag kennzeichnend ist, Recht allein unter den Parteien gesetzt. Vielmehr richtet sich die Sühne an eine Vielzahl von Personen, wenngleich diese – und in diesem Umstand liegt das Ansatzhafte, die Verhaftung an dem Überkommenen der Erbverbrüderungen – zumindest theoretisch noch bestimmbar sind: Jeweils der älteste Sohn des ältesten Sohnes usw. Dennoch entfernt sich diese Bestimmbarkeit zusehends von einer Bestimmtheit. Es sind – um es noch einmal zu betonen – Ansätze zu einem Normcharakter einer Hausregel über die rechtsgeschäftliche Verbindlichkeit hinaus.384 Und diese Ansätze wurden weiter 384 Zum – fehlenden Normcharakter des Vertrages, gerade im Verhältnis zur Satzung, nach heutigem Verständnis vgl. K. Larenz, S. 7 f., 143, und – auch aus der Perspektive des Rechtshistorikers – K. Kroeschell, Verfassungsgeschichte, bes. in der Aussprache dazu, S. 84. Die Bewertung der Normativität einer Hausregel sollte – und dies streicht auch J. Weitzel, Hausnormen, bes. S. 41 f., nicht hinreichend deutlich heraus – von ihrem Inhalt her erfolgen: Für welchen Personenkreis wird eine Wirkung, eine Wirksamkeit der Regelung intendiert? Insofern vermag es nicht zu überzeugen, die in der älteren Literatur so strittige Frage der Normativität vornehmlich anhand des – überdies für eine Zeit fehlender allgemeiner Gesetzgebung äußerst zweifelhaften – Begriffs der Autonomie der hochadligen Familie zu erörtern, um dann ganz
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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vertieft und von der interdynastischen (1373) auf eine innerdynastische Vereinbarung übertragen: Auch als die Söhne Magnus II. („Torquatus“) 1374385 die Unteilbarkeit und das Seniorat für dessen Verlassenschaft, die Herrschaft Braunschweig, vereinbaren, geschieht dies mit Zukunftsperspektive. Zunächst wird diese nur beschränkt formuliert: Die Herrschaft Braunschweig und alles, was dazu gehört, soll weder von ihnen, den Paktierenden, noch ihren Erben geteilt werden. Am Schluss des Vertrages aber wird das Seniorat auf immer und ewig festgeschrieben: Immer der Älteste nach dem Tod der vier Herzöge und deren Söhnen soll in der beschriebenen Weise lebenslänglich der Herrschaft mächtig sein und ihr vorstehen. Löst sich die Nachfolgeregelung von ihren unmittelbar Beteiligten, wird sie nicht mehr durch immer neu zu verhandelndes, für die Parteien frei verfügbares Rechtsgeschäft getroffen, findet sie stattdessen in einer abstrakten, dem Willen der aktuell zur Erbfolge Berufenen entzogenen Norm ihren Maßstab, liegt darin eine Transpersonalisierung der für die Herrschaftsauffassung wesentlichen Frage der Sukzession. Allerdings stehen diejenigen, die Dritte, die zukünftige Generationen von Dynasten verbinden, ihnen eine Sukzessionsordnung aufgeben wollen, vor dem Problem, wie aus diesem Anspruch Wirklichkeit, wie der niedergelegten Norm Dauerhaftigkeit verliehen werden kann. Gerade in einer Zeit, die noch geprägt war von Haus-Verträgen, stand doch zu befürchten, dass schon die nächste Generation die Regelung durch eine eigene Vereinbarung ersetzen würde. In – auch – diesen Funktionszusammenhang der Notwendigkeit, Instrumentarien der Sicherung von hausrechtlichen Regelungen zu entwickeln, ist die „Entdeckung der Stände“, ihr verstärkter Einbezug in die Sukzessionsbehandlung und -regelung, ja ihr Einzug in das Hausrecht, zu stellen. Den Ständen kam eine, wenngleich aufeinander bezogene, in sich verschränkte, doppelte Rolle bei der Bewältigung der Sukzessionsfragen zu: Sie sind einerseits als Triebfeder und Träger des Unteilbarkeitsgedankens, überhaupt klarerer und festerer Sukzessionsregeln, anzusprechen. Zugleich taugten sie andererseits auch zur Sicherung solcher Ordnungen; sie konnten als deren Garanten von den Dynasten genutzt werden; sie vermochten einen, wie Hermann Krause ihn nennt, „archimedischen Punkt (…) außerhalb der Person des Rechtsschöpfers“386 – bei Verträgen sind dies wenigstens zwei Personen – auf der Suche nach dauerhafter Geltung des Rechtsakts zu bilden. Das Reich, die kaiserlich-lehnsherrliche Perspektive für die Nachfolge des söhnelos älter werdenden Lüneburger Herzogs Wilhelm hatte den Anstoß gegeben. Wohl als antizipierte Reaktion auf die Belehnung der Askanier durch Karl IV. verabredeten Wilhelm und Magnus I. – auch wohl als Antwort gerade im lehnrechtlichen Kontext – erstmals die Unteilbarkeit der welfischen Herrschaft. Darüber hinaus mag diese Antwort der fürstlichen wie dynastischen Vernunft, ausgerichtet an der Sicherung und Steigerung der Stellung der Familie, des Hauses im Reich, gedient haben. Ebenso zeitlos zu einer Bewertung zu gelangen, wie etwa O. Stobbe, S. VIII; umfassende kritische Auseinandersetzung mit der älteren Literatur bei J. Weitzel, Hausnormen, S. 36 ff. 385 Sud. V 6. 386 Dauer, S. 223.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
sichtbar wird aber auch die ständische Interessenlage, die spätestens bei der Umsetzung des welfischen Nachfolgemodells zum Tragen kam. Die durch den Kaiser geschaffene Unsicherheit der Nachfolge wenigstens im Lüneburger Teil der welfischen Herrschaft zwang dazu, größtmögliche Anreize zur Akzeptanz der Regelung zur Herrschaftsnachfolge im Lande zu schaffen, den Empfang der Huldigung durch den Nachfolger zu sichern. Darauf deutet schon das Ziel des Vertragswerkes von 1355 hin: Den Untertanen in der Herrschaft Wilhelms soll Frieden und Recht, Eintracht und Ruhe verschafft werden. Ganz deutlich wird die Herkunft des Unteilbarkeitsgedankens in der welfischen Sukzessionsregelung 1367.387 Nachdem Magnus an die Stelle des verstorbenen Ludwigs getreten war, versprach er gegenüber den Prälaten und Städten, dass die Lande Braunschweig und Lüneburg ewig nur eine Herrschaft und ungeteilt unter einem Herren bleiben sollen. Den Ständen, den Untertanen, wird der Wille zur Unteilbarkeit zugeordnet. Ihnen wird sie, als es galt, ihr Wohlwollen im Hinblick auf die Huldigung zu gewinnen, versprochen. Die Sukzessionsregelungen seit 1355 tragen eine eindeutige ständische Handschrift. Bis zum Vorabend des Lüneburger Erbfolgestreits finden sich einzelne Mitglieder des Adels als Zeugen, als Räte und Schiedsrichter in den Urkunden zu Nachfolgeregelungen, Erbteilungen und Erbverbrüderungen. Nun aber wird ihr Einbezug, ihr Einfluss vielfältiger und intensiver. In dem Vertragswerk von 1355 erscheinen Adlige und auf Seiten Magnus ein Braunschweiger Bürger zwar nur als Zeugen, aber immerhin besiegeln sie – soweit ersichtlich – erstmalig eine Sukzessionsurkunde neben den Herzögen mit.388 In die nicht unmittelbar vom Lüneburger Erbkonflikt berührte Erbverbrüderung von 1370 zwischen Magnus und Otto dem Quaden, zwischen Braunschweig und Göttingen, findet sich nur der hergebrachte Hinweis auf den Ratschlag der getreuen Mannen und keine Mitbesiegelung Dritter, allerdings ein aus zwei Mannen jedes Fürstentums zu beschickendes Schiedsgericht.389 Die Sühne von 1373 ist auf Vermittlung eines Bischofs, Gerhard von Hildesheim, und eines Adligen, des edlen Vogtes Wedekind von dem Berge, mit rade vnde hulpe der Manschop vnde Stede de to der Herschop to Luneborch horen zustande gekommen. Dem jeweils nach der Ordnung zur Regierung berufenen Askanier oder Welfen wird ein aus Mannen der Lüneburger Herrschaft und aus je zwei Ratsherren der Städte Lüneburg und Hannover zusammengesetztes Ratskollegium beigeordnet390. Die Senioratsverabredung unter den Söhnen Magnus II. von 1374 weist die Stände, allerdings nicht die Prälaten, geradezu als Vertragspartei aus. Alle ihre Mannen und Bürger, alle ihre Städte in der Herrschaft zu Braunschweig rieten neben ihrer Mutter Katharina den Brüdern nicht nur zu diesem Vertrag, sondern erteilten auch ihre Zustimmung (vul387
Sud. III 337. Sud. II 506, 507. 389 Sud. IV 17. 390 Sud. IV 351: (…) mit der Herschop Manne rade, de oren Rad sweren vnde to deme Rade scholen se kesen vnde sweren laten der herschop Man to luneborch Vnde io twene vte deme Rade to Luneborch vnde twene vte deme Rade to honouere on truweliken to radende to beydentsyden vnde to lykeme rechte. 388
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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bort) dazu. Unter dem Vorbehalt des Willens und der Zustimmung der Brüder, aber auch – und dies findet sich erstmalig in einem welfischen Hausvertrag – der Mannschaft und der Städte der Herrschaft werden Verkäufe und Auflassungen von Schlössern, Städten, Land und Leuten der Herrschaft durch den dieser vorstehenden ältesten Bruder gestellt.391 In der wiederum vom Hildesheimer Bischof vermittelten Neufassung der Nachfolge in Lüneburg von 1377392 findet sich keinerlei Hinweis auf die Stände. Als Zeugen bedurfte man ihrer, genauer: ihrer Mitglieder, auch nicht, da die Urkunde in Gegenwart und mit Bewilligung des Kaisers verfasst wurde. Als Ratgeber hat man Ritter und Städte möglicherweise deshalb nicht zugezogen, weil man gerade die Integrität der Herrschaft Lüneburg beschädigen wollte: Friedrich sollte eine Fülle von Schlössern aus dem Lüneburgischen zu seinem Braunschweiger Teil zugeschlagen werden. Gründe dafür, dass die auch im Übrigen völlig kärgliche Urkunde von 1385393 keinerlei Beteiligung auch nur von Räten erkennen lässt, sind nicht ersichtlich. Die 1386394 errichtete Neuauflage der Sühne von 1373 weist den Ständen des Landes Lüneburg, unter Einschluss der Prälaten, beim Zustandekommen des Vertrages die von 1374 her bekannte Rolle zu: Rat und Zustimmung haben sie erteilt. Überdies erscheinen ausdrücklich als Partei des Vergleichs de in der vorscreuen vnser herschop luneb. bezeten sint vnd de dar to horet. Der jeweils Regierende soll dies nach Rat der Prälaten, Mannschaft und Städte der Herrschaft Lüneburg tun. Zu diesem Zwecke wird allerdings kein näher beschriebenes Ratskollegium installiert. Jedoch scheint eine tatsächliche Beratung und Einigung des Regenten mit den Ständen konkret ins Auge gefasst worden zu sein, denn die nicht regierenden Herzöge sollen ihre Zustimmung zu dem geben, wes de Prelaten Manschop, vnd Stede der herschop Luneb vordreget mit dem de de herschop vorsteit, dat der herschop nutte edder no is. Den Ständen wird, wie 1374 ein Konsensvorbehalt bei Alienationen der Herzöge und ihrer Erben sowie bei Neubauten von Schlössern durch nicht regierende Herzöge eingeräumt. Schließlich sollen nach ständischem Rat den Gemahlinnen Güter, statt Schlösser, Städte und Weichbilde der Herrschaft, als Leibzucht zugewiesen werden. Umfassender findet sich der ständische Einfluss in kaum einer zweiten Hausregelung. 1387395 treten die – drei – Stände bei der Beschreibung des Vertragsschlusses wieder ein wenig zurück: Mit ihrem Rat sei dies erfolgt. Allerdings wird ihr Zustimmungsvorbehalt über die Alienationen hinaus ausgedehnt auf andere degedinge vmme de herschop luneborg to latende al, edder en del, edder to tweyende edder anders wen desse zate utwiset, degedingen, edder zaten. Auch wird ihnen eine Schiedsgerichtsbarkeit bei Streitigkeiten über den Unterhalt und die Wohnung der nicht regierenden Herren zugestanden. Bei der Verabredung gemeinsamen Besitzes 391
Sud. V 6: Auer slote stede land vn lude der herschop to Brunsw. Enschal he nicht verkopen noch vorlaten ane willen vn volbort siner Brodere vn der Manschop vn stede in der herschop to Bruns. 392 Sud. V 99. 393 Sud. VI 132. 394 Sud. VI 143. 395 Sud. VI 159.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
an der Herrschaft Lüneburg durch Bernhard, der die Regierung führen soll, und Heinrich 1388396 treten die Stände und Land und Leute der Herrschaft als gleichberechtigte Vertragspartner neben den beiden Herzögen auf. Die ihnen noch zuvor, 1374, 1386 und 1387, eingeräumten Rechte des Zustimmungsvorbehalts und der Beratung bei bestimmten Verfügungen werden nicht mehr angesprochen. In der Abgrenzung zwischen Braunschweig, das Friedrich zugeordnet bleibt, und Lüneburg, das Bernhard und Heinrich innehaben, vom 6. Juli 1388397 ist der ständische Einfluss wieder auf das Maß, das vor dem Lüneburger Erbfolgestreit üblich war, zurückgeschraubt: Vertragsschluss nach Rat der Prälaten, Mannschaft und Städte sowie ein Schiedsgericht, das mit Mannen von beiden Seiten zu besetzen ist. 1389 ist von einem Einbezug eines Rates oder der Stände nichts festzustellen.398 Stände als Beweggrund fürstlichen Handelns hin zur Versachlichung der Herrschaft, ständischer Einfluss – das darf man sich in Zeiten vor Ausbildung einer „landständischen Verfassung“399 trotz einiger ständischer Eigeninitiativen nicht so vorstellen, dass die Stände, alle drei oder auch nur einzelne, in einem Zusammenschluss Forderungen aufstellten und diese an den Fürsten herantrugen. Es war vielmehr der Fürst, der gleichsam auf „die Stände“ zutrat. Er wählte aus ihrer Mitte Ritter oder auch – seltener – Vertreter der Städte für seinen Rat. Festigkeit bis hin zu einer gewissen Selbstständigkeit erlangt dieses Kollegium, wenn es dem Herrn um Kontinuität geht; so als Wilhelm 1356 und Magnus 1370 nach Herstellung einer Dauerhaftigkeit für ihren Nachfolgeentwurf für Lüneburg trachteten. Aber die Installation eines aus Mitgliedern des Adels und der Städte geformten Gremiums ist nicht nur die Schaffung eines landesherrlichen Instruments, ein Stück Bürokratiegeschichte, sondern ebenso auch ein Schritt in der Entwicklung der Landstände. Sie werden in die Verantwortung eingebunden. Sie bekommen Aufgaben, deren Bewältigung sie verantworten müssen. Zugleich entfalten ihre Mitglieder bei der Bewältigung ständischen Einfluss, auch wenn die Stände nur singulär Einfluss auf die Besetzung des Rates gewannen.400 Dies ist der eine Pfad ständischen Einflusses. Ein anderer Pfad: Die Herzöge, solche, die regieren und solche, die regieren wollen, nehmen ständische Interessen, die die Stände vielleicht gar nicht ausdrücklich zuvor formuliert haben, auf und machen ihnen entsprechende Versprechungen, um etwas bei ihnen zu erreichen. Im Falle des Lüneburger Erbfolgestreits war das zu Erreichende die Akzeptanz der welfischen Nachfolgeregelung oder kurz: die Huldi396
Sud. VI 208 (30. Juni). Sud. VI 209. 398 Sud. VI 239. 399 Zu diesem Begriff soll E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 44, gefolgt werden: Von „landständischer Verfassung“ ist danach erst zu sprechen, wenn Versammlungen der Stände, Landtage, wenn auch noch nicht periodisch, so doch aber nach vorhersehbaren, festen Regeln einberufen werden. Andernfalls mangelt es noch an der dem Verfassungsbegriff eigenen Wiederholbarkeit, der Regelhaftigkeit. 400 Sud. V 109: Die sächsischen und Lüneburger Herzöge versprechen, nur Ritter in ihren Rat aufnehmen zu wollen, die die Städte Lüneburg und Hannover empfehlen. 397
II. Der Lüneburger Erbfolgestreit
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gung. Den Ständen wird – deutlich in dem Vertragsmotto von 1355 – der Wille nach Frieden und Recht, Ruhe und Eintracht zugeordnet; insofern wird ihnen Unteilbarkeit versprochen. In diesem Zusammenhang sind auch die den Ständen, insbesondere in den Verträgen von 1374, 1386 und 1387, eingeräumten Kompetenzen zu sehen. Diese Vorbehaltsrechte zielen samt und sonders auf finanzielle Fragen, genauer: Substanzerhaltung ab. Die Stände haben ein ureigenes Interesse an dem Erhalt der Substanz des Fürstentums, der ein Erhalt der Einkunftsquellen des Fürsten ist. Damit schonen sie das Ihre vor dessen Begehrlichkeiten. Bei welcher Gelegenheit, in welchem Forum der Fürst seine Versprechungen abgab und umgekehrt etwa die Zustimmung (vulbort) der Prälaten, Mannschaft und Städte zum Vertragsschluss eingeholt hat oder die Zustimmung beispielsweise zu Alienationen einzuholen gedenkt, bleibt ungesagt. v. Arnswaldt hat insoweit festgestellt, dass es mit einem so großen Personenkreis, Prälaten, Mannschaft und Städten, vor den Verträgen keine Beratung oder Verhandlung gegeben hat.401 Von daher, so v. Arnswaldt zutreffend weiter,402 braucht die Benennung der drei Stände als Ratgebende, als Zustimmende oder als irgendwie Berechtigte tatsächlich auch nichts anderes zu bedeuten als es die Privilegienbestätigung Bernhards und Heinrichs zu Gunsten der Herrschaft Lüneburg nach der endgültigen Zuordnungseinigung mit Friedrich 1388 ausspricht: na besecginge der prelaten Manscop vnd vte den Steden de denne In vnseme rade weren.403 Es hat demnach den Anschein, dass die Herzöge zunehmend den Rat mit den Landeseinwohnern identifizierten, jenen zumindest auch als Sachwalter dieser betrachteten. Neben diesen Aktivitäten des Fürsten gab es während des Lüneburger Erbfolgestreites auch ständische Eigeninitiativen.404 So wandte sich bald nach Ausbruch des Krieges 1371 der „größere Teil“ der Ritter und Knechte in den Goen Gehrden, Pattensen und Horst an den Rat der Stadt Hannover und forderte ihn auf, sich an Herzog Magnus zu halten.405 Es sind lokale, in dem Go wurzelnde Zusammenkünfte eines Standes, die hier auftreten und für eine Seite im Streit um die Herrschaft Lüneburg Partei ergreifen; sie handeln nicht im Rahmen des „Landes“. Nicht allein aus dem Innern der Lüneburger Herrschaft, sondern auch von Großen aus dem Braunschweigischen kommt ein Jahr später ein Vermittlungsvorschlag; er wird von dem Wennigser Propst Hermann Knigge, dem braunschweigischen Ritter und herzoglichen Rat Heinrich von Gittelde sowie dem Braunschweiger Ratsherrn Eilhard von der Heide vorgelegt. Danach soll der Kaiser unter den prätendierenden welfischen und sächsischen Herzögen einen Herrscher über Lüneburg auswählen. Stirbt der Kaiser aber vor seiner Entscheidung, so sollen die Herzöge untereinander einen Richter in der Sache wählen. Können sie sich aber nicht einigen, sollen die Prälaten, Ritter 401 402 403 404 405
S. 70. S. 71. Sud. VI 217 (15. Juli 1388). Dazu näher C. v. Arnswaldt, S. 71 ff. Sud. IV 155.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
und Städte der Herrschaft Lüneburg einen Herrn bestimmen.406 Obgleich von Herzog Magnus beschworen wurde dieser Vorschlag nicht umgesetzt. Die Trias der Stände, Klerus, Adel, Städte, wird erkennbar, indes sind es nicht Vertreter eines „Landes“, der betroffenen Herrschaft Lüneburg, sondern Vertraute der welfischen Herzöge und Betroffene des Erbfolgestreits, die hier handeln. Auch die Verständigung der welfischen und askanischen Konkurrenten in der Folgezeit lässt eine Vermittlung durch die Stände erkennen. So beruft sich die Sühne von 1373 auf ständischen Rat und Hilfe bei ihrem Zustandekommen. Kurz vor der Neuauflage dieser Sühne 1386 hatte es eine Zusammenkunft von wenigstens 140 Rittern in Neustadt gegeben, die mit einer Aufforderung an die welfischen Herzöge endete, sich mit den Askaniern zu einigen. Letztlich aber bleibt festzuhalten, dass ständischer Einfluss von der jeweiligen Stärke ihrer Trümpfe, der Berufung zur Huldigung und dem Vermögen, dem Fürsten Geld zur Verfügung zu stellen, abhingen. Bestand eine echte Huldigungsalternative, wie nach 1355, so wogen die ständischen Trümpfe schwerer. Die Zeugnisse eigeninitiativen, aktiven ständischen Handelns in der Zeit des Erbfolgestreits belegen keine auf Dauer angelegte politische Perspektive der, in welcher Form auch immer zusammengeschlossenen, Stände. Es ist Krisenintervention, was Interessierte hier betrieben. Eng verwandt mit dieser ständischen Rolle, ja aus dieser zum Gutteil erwachsend, ist die weitere Funktion der Stände: Sie sind geeignete Garanten zur Herstellung von Dauerhaftigkeit dynastisch begründeter Erbfolge-, Nachfolgeregelungen. Deren Veränderbarkeit wird durch den Einbezug von Dritten als Versprechensempfänger in das Vertrags- oder auch Satzungs- oder Einungsgeflecht erschwert. Der potentiell Abweichungswillige ist nicht nur an das dynastische Vertragsgegenüber, den dynastischen Satzungspartner, sondern auch an eine außerdynastische Größe gebunden, so dass auch einvernehmliche Vertragsaufhebungen in der Familie gehemmt werden. Die Grenze zum so genannten Landesvertrag verwischt, sobald die Stände geradezu als Vertragspartei, als Satzungsmitglied in der hausrechtlichen Regelung erscheinen, wie etwa 1374.407 Insbesondere mit zunehmender korporativer Verfestigung eigneten sich die Stände zur Stabilisierung der Sukzessionsregelungen immer besser: Sie wurden zunehmend unabhängig von ihren zeitigen Vertretern, von deren generativer Erneuerung. In diese Entwicklungslinie der Versachlichung der Herrschaft aus Sorge um ihren Bestand über den Tod des Herrschers hinaus, der Sicherung von auf Dauer angelegten Sukzessionsordnungen, gehören auch die Installationen größerer Ratskollegien durch Wilhelm 1356408 und Magnus 1370409. Ihnen kamen zwei wesentliche, die Transpersonalisierung der Herrschaft kennzeichnende Aufgaben zu: zum einen die 406
Sud. IV 281. H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 37 f. Anm. 29, sieht entsprechend in der Regelung von 1374 zugleich einen Haus- wie einen Landesvertrag. 408 Sud. II 561. 409 Sud. IV 44. 407
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Ausübung der Vormundschaft über den zur Nachfolge Berufenen;410 dieses Instrument dürfte auf das Vorbild geistlicher Herrschaften zurückgehen;411 zum anderen die Wahl eines Nachfolgers, wenn auch aus einem begrenzten, durch Deszendenz zum Vorgänger bestimmten Personenkreis. Gestärkt wurde dieses Instrument zur Herstellung von Kontinuität – Wilhelm und Magnus ging es um die Sicherung der Dauerhaftigkeit ihrer Nachfolgeentwürfe für die Herrschaft Lüneburg – zur Ablösung situativer Einzelentscheidungen unmittelbar Beteiligter durch die Entscheidung eines Gremiums, das durch Verfahren zu einer Entscheidung gelangen musste, durch die Kompetenz zur Selbsterneuerung. Damit wird die Entpersonalisierung von Herrschaft besonders sinnfällig. Ein wohl den Wirren des Erbfolgekrieges geschuldeter Einzelfall, der der Ratsvormundschaft nicht unähnlich war, blieb die Übergabe der Herrschaft Lüneburg zur Verwaltung und Nutzung durch Magnus an zwölf seiner Ritter 1371.412 Festzuhalten bleibt: Die Stände waren eher gekürte Träger des Unteilbarkeitsgedankens; insoweit dienten sie eher als Projektionsfläche fürstlichen, auch dynastischen Unteilbarkeitsstrebens. Zugegeben – es entsprach ihrer Interessenlage, dass die Einkunftsquellen des Landes, die Zugleich das Herrschaftssubstrat bildeten, auf möglichst wenige Verbrauchsstellen, wie sie vornehmlich nun einmal die Residenzen darstellten, verteilt würden. Auch war es im allgemeinen und auch ihrem Sinne, dass die Nachfolgefrage zügig, reibungslos und dauerhaft beantwortet wurde. Diesen Zielen war die Perspektive der Nachfolge eines Einzelnen unter Ausschluss anderer an der Herrschaft dienlich. Jedoch muss man sich hüten, dieses Ansinnen mit einer Sachwalterschaft der Stände für das Gemeinwohl in eins zu setzen. Dies waren die Stände ausgangs des 14. Jahrhunderts sicher nicht.413 Aus der fürstlichen Perspektive, der Projektion seiner Vorstellungen auf die Folie ständischen Wirkens, aus der Parallelführung von Vokabeln des Gemeinwohls (Friede, Recht, Eintracht, Ruhe) und des Gebots der Unteilbarkeit hin auf den personalen Träger wie Nutznießer beider Ideen, die Stände, mag eine Kongruenz aus Gemeinwohl, Unteilbarkeit und Ständen hervorschimmern. Aus dem Innern der Stände ist das Postulat der Unteilbarkeit als ein Ausdruck der Gemeinwohlförderung und -sicherung indes nicht erwachsen. Eine Stütze für diese Absage an eine auch genetisch ständische Unteilbarkeitsidee bietet die Lüneburger Sate. Dieses als Friedensordnung, als Herrschaftsvertrag, als lex fundamentalis bezeichnete komplexe Einungswerk zwischen den Lüneburger Herzögen Bernhard und Heinrich einerseits und den Prälaten, Rittern und 410
Eine solche Vormundschaft durch ein ständisches Gremium wurde auch 1395 für den unmündigen Sohn Ottos des Quaden, Otto Cocles, eingerichtet, und zwar unterhalb einer Vormundschaft seines – entfernteren – Onkels, des Braunschweiger Regenten Friedrich, Sud. VIII 45. 411 D. Willoweit, Verwaltung, S. 78 f. 412 Sud. IV 110. 413 Diese Frage nach einer Repräsentationsstellung der Stände wird zumeist vielfach unter der auf O. Brunner zurückgehenden Formel „die Stände sind das Land“ diskutiert; siehe dazu E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 95 ff., bes. S. 97.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Städten des Fürstentums Lüneburg andererseits ist vor dem Hintergrund fürstlicher Geldnot und daraus erwachsender Abhängigkeit der Landesherrn von ständischer Hilfe, der Notwendigkeit des Verhandelns zu betrachten.414 Die Sate entsprang fürstlicher Defensive gegenüber ständischem Streben nach bestmöglicher Gegenleistung für ihre Hilfe. Unter den so erstrittenen, näher bezeichneten Privilegien der Stände sucht man die Zusage dauerhafter Unteilbarkeit der Herrschaft vergeblich. Im Vordergrund steht die Sicherung der individuellen Interessen des jeweiligen Standes, etwa das Recht zur Befestigung und zum Befahren bestimmter Flüsse durch die Städte, die Nutzung von Holz und Trift durch den Adel. Gemeinschutz auch nur der Satemitglieder erscheint als mediatisierter Schutz individueller Interessen. Indes verblieb auch dieses vornehmlich als reflexiv zu kennzeichnende ständische Wirken – zunächst – in Ansätzen stecken. Die Ratskollegien blieben Episode. Vor Errichtung einer von festem Forum und Regelhaftigkeit gekennzeichneten landständischen Verfassung415 kann von dauerhaftem, stabilem ständischen Wirken nicht die Rede sein. b) Gegenanzeichen zur Versachlichung Dass der Weg zu einer Sukzessionsordnung mit festen Regeln noch weit war, dass die Tendenzen zur Versachlichung der Herrschaft in Ansätzen stecken blieben, dass die Entwicklung – für eine Übergangszeit typisch – nicht linear verlief, wird schon während derselben Zeitspanne, derjenigen des Lüneburger Erbfolgestreits, deutlich: Die Nachfolgeregelungen waren kurzlebig. In ihnen spiegelt sich noch jedes Mal die aktuelle genealogische und auch ständische Konstellation. Dieser Aktualität waren weithin die Unteilbarkeitsvereinbarungen und -versprechen, die Momente der Versachlichung geschuldet. Nach den Unteilbarkeitsversprechen von 1355, 1367, 1373 und, wenn auch nur auf das Fürstentum Braunschweig beschränkt, 1374 kommt schon 1377416 der erste Rückfall. Die äußere Integrität der Herrschaft Lüneburg, wie sie die Regelungen von 1355 in Aussicht und von 1373 direkt vereinbart haben, wird angegriffen. Teile der Herrschaft, eine Reihe von Burgen und ihre Bezirke, werden aus ihr herausgelöst, um Friedrichs Anspruch auf Lüneburg abzulösen. Die Abteilung einzelner Bestandteile der Herrschaft Lüneburg wird 1386417 zwar aufrechterhalten, die Dauerhaftigkeit der Regelung der Sühne von 1373 aber wieder betont. 1388 wurde schließlich die 1355 414 Das Vertragswerk der Sate ist auf vier Einzelvereinbarung verteilt: Im Mittelpunkt steht der Satebrief (Sud. VII.100), von diesem ausgehend werden dann jedem einzeln Stand besondere Zusicherungen gemacht, im Prälatenbrief (Sud. VII 97), im Städtebrief (Sud. VII 98) und dem weitgehend an den Adel gerichteten Gemeinbrief (Sud. VII 99). Näher zur Sate: H. Patze, Welfische Territorien, S. 82 ff.; M. Reinbold, Lüneburger Sate; E. Schubert, Niedersachsen, S. 771 ff. 415 Dazu vor allem E. Schubert, Grundprobleme, S. 205 ff.; ders., Fürstliche Herrschaft, S. 41 ff., 92 ff. 416 Sud. V 99. 417 Sud. VI 143.
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eröffnete und 1367 bestärkte Perspektive der Vereinigung der beiden großen welfischen Herrschaften Braunschweig und Lüneburg zu Grabe getragen.418 Zugleich wurde die 1385419 verabredete Gemeinschaft der Brüder – und auch letztlich diejenige von 1374 –420 aufgehoben, jedenfalls nicht realisiert. Hingegen wurde wenigstens für die Lüneburger Lande mit den drei Ständen ein Erhalt der Gemeinschaft zwischen Bernhard und Heinrich vereinbart.421 Gemeinschaft und Unteilbarkeit wurde verabredet, in ihrer Gestalt verändert und wieder aufgehoben, schließlich auch erneut begründet. Dauerhaftigkeit wohnte gerade den innerdynastischen Regelungen der Sukzession trotz aller ihrer Betonung, des Appellierens an künftige Generationen, der ersten Ansätze zur Überwindung einer relativen Verbindlichkeit zu Gunsten einer normativen Ordnung in Satzungsform nicht inne. Ein weiteres Kennzeichen dafür, wie instabil das Fürstentum in seiner äußeren Gestalt noch war, welche Kräfte einer transpersonalen Herrschaftsauffassung, einem Gemeinwohlgedanken noch entgegenstanden, ist die gerade in dieser Zeit, die doch gekennzeichnet ist von erhöhtem ständischen Druck in Richtung Unteilbarkeit und einem gerade erst abgeschlossenen, die bisherige Teilungspraxis deutlich in Frage stellenden kaiserlichen Eingriff, besonders deutlich zu Tage tretende Kommerzialisierung von Herrschaft. Die Veräußerung einzelner Herrschaftsrechte, die Verpfändung von Burgen, der Verkauf der Münze in Lüneburg und Hannover – dies sind Erscheinungsformen der Kommerzialisierung von herrschaftlichen Gerechtsamen, die schon länger zu beobachten waren, sich in diesen teuren Kriegszeiten freilich ausweiteten. Neu sind nun aber darüber hinaus Zeugnisse dafür, dass die Herrschaft in toto, das Fürstentum schlicht mit Geld in eins zu setzen ist, in Geld dargestellt wird. Auffälligstes Zeugnis dafür ist die in ihrer Konstruktion schwer nachvollziehbare gegenseitige Verschreibung ihrer Lande für jeweils 300.000 Mark zwischen Otto dem Quaden und dem Landgrafen von Hessen im Jahre 1381.422 Von dieser Stilblüte dynastischer Nachfolgeregelung aber abgesehen, wird gerade in der Zeit des Lüneburger Erbfolgestreits besonders sinnfällig, wie zwei gegenläufige Sichtweisen auf das Fürstentum aufeinander stoßen. Die Stände, das ließ sich aufzeigen, wollen die Unteilbarkeit, den Erhalt der äußeren Integrität der Herrschaft. Die fürstliche Familie denkt trotz aller Unteilbarkeitsversprechungen und Senioratsabkommen – seien sie untereinander, seien sie gegenüber den Ständen ausgesprochen – noch weithin in Formen der Zuteilungsgerechtigkeit. Die Versachlichungstendenzen haben noch lange nicht die Vorstellung eines grundsätzlich gleichen Erbrechts aller Söhne, des Postulats möglichst gleichmäßiger Befriedigung der Erbansprüche überwunden. Kommt es deshalb aus Gründen der politischen Konstellation nicht zu einer Befriedigung des 418 419 420 421 422
Sud. VI 209 (6. Juli 1388). Sud. VI 132. Sud. V 6. Sud. VI 208 (30. Juni 1388). Sud. V 210.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Erbanspruchs, muss dieser in Geld kompensiert werden. Das sehen selbst die Stände so: 1372 schlugen sie ein Verfahren zur Beilegung des welfisch-askanischen Streits um Lüneburg vor und nahmen sogleich eine Entschädigungsklausel für den Verlierer des Vergleichsverfahrens auf.423 Seit 1377 schachert Herzog Friedrich um die Höhe seines Erbteils mit seinen „Lüneburger“ Brüdern Heinrich und vor allem Bernhard. 1377 wird – auffälligerweise unter Umgehung der Stände – die in der Sühne von 1373 verabredete Integritätswahrung für Lüneburg aufgegeben, und es werden Friedrich zur Ablösung seiner Rechte eine Reihe von Schlössern zugesprochen. Bei Wiederherstellung der Sühne von 1373 – nun wieder unter Einbezug der Stände – werden einige der zur Abfindung dienenden Schlösser schlicht durch Geld, 3.000 Mark, ersetzt. Am deutlichsten kommt aber das Verständnis, dass Herrschaft Einkommen bedeutet und entsprechend die gerechte – oder als solche ausgehandelte – Verteilung eines Nachlasses sich an deren Höhe bemessen lässt, in einer Urkunde aus dem Vertragskomplex zur endgültigen Zuteilung der welfischen Hauptlinien 1388 zum Ausdruck: Friedrich schraubt, als er die Mannschaft und die Städte in den Lüneburger Landen von ihren Eiden entbindet, zwar seinen Abfindungs- oder Ausgleichsanspruch der Höhe nach erheblich herunter, formuliert aber einen Vorbehalt: Wenn vier namentlich benannte Ritter erkennen, dat sek ore (Heinrichs und Bernhards) herschop also gebeteret hedde dat se vns bilken mer to legeden.424 Umgekehrt wollte auch Friedrich, wenn sich die Einkunftslage seiner Herrschaft gebessert hat, seinen Brüdern etwas abtreten. c) Fazit Die Übergangszeit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die ereignisgeschichtlich vom Lüneburger Erbfolgekonflikt ausgefüllt wird, ist eine Zeit der Ansätze zur Versachlichung. Deutlich tritt der Träger des Unteilbarkeitsideals hervor: Es sind vorrangig die Stände, die aktiv oder gleichsam als Reflex auf ihr natürliches Interesse hin auf Wahrung der äußeren Integrität des Fürstentums drängen. Für ihr Wirken fehlt ihnen aber ein in den Herrschaftsaufbau integriertes Forum. Sie artikulieren sich weitgehend in und durch fürstliche Zeugnisse. Von daher lässt sich eine, wenngleich für das 15. Jahrhundert formulierte, Ansicht zur Überwindung der Teilungspraxis jedenfalls für die Zeit des Lüneburger Erbfolgestreits noch nicht bestätigen. Schubert zeichnet insoweit zwei Wege nach, einen dynastischen und einen ständischen. Der dynastische ziele auf Hausvertrag und Hausgesetz.425 Die welfischen Nachfolgebehandlungen besonders in Zeiten des Lüneburger Erbefolgekonfliktes haben aber gezeigt, dass diese Scheidung, die alleinige Zuordnung des Hausvertrags zur Dynastie nicht möglich ist. Die Erbvereinbarungen, also die Hausverträge, zwischen den welfischen Dynasten tragen die ständische Handschrift in sich. Die innerdynastische Regelung nimmt, solange die Stände kein eigenes Forum haben, den ständischen Einfluss auf. Der dynastische Weg zur Unteilbarkeit ist, sieht man von der beschriebenen 423 424 425
Sud. IV 281. Sud. VI 206. Fürstliche Herrschaft, S. 25 f.
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dynastischen Raison einmal ab, nur in seiner äußeren Gestalt als solcher zu bezeichnen. Von seiner Herkunft, vor allem seinem Motor her ist er wohl ebenso ein ständischer. Über Ansätze zur Versachlichung hinaus, zu nachhaltiger Integritätswahrung der Herrschaft konnte man nur gelangen, wenn man die Verhaftung in einem Vertragsgeflecht überwand. Noch immer erfolgte die Anordnung zur Unteilbarkeit nicht in einem Normbefehl. Vielmehr blieb sie rechtsgeschäftliches Versprechen. Ihre Grundlage waren ein- oder zweiseitige Rechtsgeschäfte, die vielfach nicht einmal den Anspruch einer auch nur gewissen Dauerhaftigkeit erhoben. Erst ansatzweise lässt sich nun das Streben nach Überwindung der lediglich relativen rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeit hin zu einem normativen dauerhaften Regelwerk erkennen. Die notwendige Stabilität eines Regelwerkes zur Sukzession war im Rechtsgeschäft, dessen Parteien ihre aktuellen Erbansprüche in Ausgleich brachten, nicht zu finden. Dazu bedurfte es einer breiteren Basis. Und insofern ist Schuberts Zwei-Wege-Modell zu bemühen. Zum einen war die breitere Basis in der Dynastie, dem Gesamthaus zu suchen. Zum anderen zeigen die Versprechen an das Land den Weg in die Zukunft. Darin zeichnet sich aber schon eine gerade dann später im 17. Jahrhundert besonders sinnfällig werdende Inkongruenz ab: Dem Herzog standen vielfach mehrere „Länder“, mehrere Landschaften gegenüber. Schon das 1374 von den Söhnen Magnus II. zusammengesetzte Herrschaftsgebilde umfasste zwei Kerne ständischen Wirkens, zwei Vorformen von Landschaften, diejenige im Fürstentum Lüneburg und diejenige im Fürstentum Braunschweig.
III. Fürstentümer und Gesamthaus – die Sukzession im 15. Jahrhundert 1. Einheitsversuche unter den Nachkommen Magnus II. nach dem Lüneburger Erbfolgestreit – Konsequenzen aus dem Konflikt mit dem Reich? a) Die „Zusammensetzung“ der Lande Braunschweig und Lüneburg durch Friedrich, Bernhard und Heinrich 1394 Die Idee einer Gemeinschaft von Braunschweig – zur Abgrenzung der Linien genauer: Braunschweig-Wolfenbüttel,426 daneben bestanden innerhalb der Braunschweiger Linie Albrechts des Großen (†1279) noch der Göttinger und der Grubenhagener Zweig – und Lüneburg, einer Vereinigung dieser beiden seit 1269 abgeteilten Hauptlinien des Welfenhauses, wie sie den Entwurf Wilhelms und Magnus I. für die 426 Mit dieser Bezeichnung ist keine Aussage über ein Zentrum, einen Herrschaftssitz der so bezeichneten Linie getroffen: Der Ausbau Wolfenbüttels von einem Burgsitz zur Residenzstadt wird erst unter Heinrich dem Älteren, also zur Wende des 15. zum 16. Jahrhundert, sichtbar, E. Schubert, Niedersachsen, S. 783.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Nachfolgeregelung in dem vor dem Aussterben stehenden Fürstentum Lüneburg 1355 prägte, blieb auch über das Ende des Erbfolgestreits und die gesonderte Zuordnung der Teilfürstentümer unter den Söhnen Magnus II. 1388 hinaus wirksam. Immer wieder näherten sich die Glieder der überlebenden Braunschweiger Linie Magnus einander an, um sich sogleich wieder gegeneinander abzugrenzen. Die 1355 und 1367 in der väterlichen Generation und 1374 und 1385 untereinander beschworene Gemeinschaft, sei sie zu erhalten oder sei sie erst herzustellen, die 1388 scheiterte, wurde nun, im Jahre 1394, aufs Neue verabredet. Die gesonderten Lande zu Braunschweig und zu Lüneburg wurden von Friedrich, Bernhard und Heinrich wieder tosamene gesettet.427 Die Zusammensetzung erfasste nicht nur die nutzbaren Realien der Herrschaften, sondern ebenso auch die Kehrseite, die Schulden, alle Vrome, Schade vnd Koste schollen vns allen gelick gelden. Eine Abrede im Sinne der Lüneburger Seite in Anbetracht der Belastungen aus dem Erbfolgestreit. Ein konkreter Anlass für diese Vereinigung lässt sich ebenso wenig eindeutig ausmachen wie ihr Initiator. Vor allem trägt sie keine ständische Handschrift, wie sie die auf Vereinigung gerichteten Verträge in der Zeit des Lüneburger Erbfolgekonfliktes geprägt hatte. In der Einleitung heißt wenig konkret und außerhalb des üblichen Sprachgebrauchs zur Kennzeichnung ständischer Mitwirkung, die Vereinigung sei mit Willen unser Lande und Lüde erfolgt. Fürstliche Räte werden nicht einmal als Zeugen angeführt. Die Vereinigung der Lande unterlag gewissermaßen einer gestuften Fälligkeit. Wie sich an der Abrede zur Verteilung der Regentschaft ablesen lässt, sollte sie in zwei Schritten erfolgen. Dabei wird zuerst der zweite Schritt, die vollendete Vereinigung, in der Urkunde formuliert. Diese Stufe wird nach dem Tod der Vertragsschließenden erreicht: dann soll der Älteste ihrer Manneserben Herr der Lande sein und ihnen treulich vorstehen. Der Folge dieser Singularnachfolge – in Form eines Seniorats – wird, wenn auch ohne jede Regelungsgenauigkeit, gedacht: der zur Herrschaft Berufene soll den andern Eruen gütlicken doen. Mit ähnlich knappen Worten wird die Verfügungsbefugnis des Ältesten eingeschränkt; er darf ohne Kenntnis und Willen der anderen Erben nichts veräußern. Ihm obliegt es ferner, für Brautschatz und Morgengabe der juncfrowen eder frowen428 unter den Erben zu sorgen. Grundsätzlich wird demnach den Töchtern noch eine Erbenstellung zugedacht, wenngleich ihnen kein Recht am Nachlass, außer erliken vnde wol beraden zu werden, zukam. Nach der zukunftsweisenden Regelung der Vereinigung der Lande unter einem Regenten wird das Verhältnis zwischen den nun regierenden Brüdern näher bestimmt. Es beginnt mit der Lehnshoheit: Insoweit sollte die tatsächliche Vereinigung der beiden Fürstentümer erst in der Folgegeneration wirksam werden. Bis dahin sollte es hinsichtlich der Lehen im Wesentlichen bei der Kompetenzzuordnung vom 6. Juli 1388429 sein Bewenden haben: Friedrich verleiht in Braunschweig und Bernhard in Lüneburg die geistlichen und weltlichen Lehen. Allerdings wird ein Konsensvorbehalt eingeführt. 427 428 429
Sud. VII 258; auch abgedruckt bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 427 f. In dem Abdruck bei H. F. G. Schulze fehlt eder frowen. Sud. VI 209.
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Der Vergabe der Lehen musste von den anderen beiden Brüdern zugestimmt werden. Heinrich wurde also hinsichtlich der Lehnsverleihungen eine stärkere Rechtsposition eingeräumt, als ihm nach der Vereinbarung vom 30. Juni 1388430 im Verhältnis zu Bernhard zustand. Im Übrigen, gewissermaßen für die landrechtliche Sphäre der Herrschaft, scheint es, dass die Vereinigung zwischen den Brüdern sofort wirksam werden sollte. Ausdrücklich wird dies aber nicht formuliert. Nur ist hier keine Zweiteilung, Friedrich für Braunschweig und Bernhard sowie Heinrich für Lüneburg, in der Beschränkung der Dispositionsbefugnis der drei Fürsten erkennbar. Was nach 1388 zwischen Bernhard und Heinrich insoweit galt, wird nun im Wesentlichen ausgedehnt auf das Verhältnis aller drei Brüder untereinander. Zwischen dem Braunschweiger und den Lüneburgern bedurfte es nun nicht mehr nur der Zustimmung zu dauerhaften Veräußerungen von Herrschaftsbestandteilen, wie es am 6. Juli 1388 verabredet worden war. Nun standen auch zeitlich begrenzte Pfandsetzungen sowie die Kriegsführung unter dem Vorbehalt dreiseitigen Konsenses. Schließlich sollen zur Absicherung der angestrebten Vereinigung die Vögte und Amtleute in beiden Landen allen to likene rechte ihren Eid leisten. Die 1394 vereinbarte Vereinigung von Braunschweig und Lüneburg realisierte sich dann mit dem gewaltsamen, söhnelosen Tod Friedrichs 1400.431 b) Die Belehnung von 1403 So konnten dann auch 1403 erstmals seit 1235, sieht man einmal von der lediglich vermutlichen Belehnung Albrechts des Großen 1252 ab, die beiden welfischen Kernlande – eben mit Ausnahme von Grubenhagen und Göttingen – gemeinsam Gegenstand einer Belehnung sein. König Ruprecht verlieh den Brüdern Bernhard und Heinrich, Bernhards ältestem Sohn Otto sowie Heinrichs erstgeborenem Sohn Wilhelm die vorgen. hertzogtum vnd furstentum Brunszwig vnd Luneburg mit allen iren herschafften, friheiten gewonheiten rechten nutzen renten gutern vnd zugehorungen wie die genant sint die von vns vnd dem heiligen Riche zulehen rurent.432 Stellvertretend für die drei Mitbelehnten leistete Heinrich, also nicht der Senior, Eid und Huldigung. Auch wenn rein sprachlich Braunschweig und Lüneburg als zwei Herzogund Fürstentümer in der Urkunde erscheinen,433 ist von einer Gesamtbelehnung der beiden Brüder und ihrer jeweils ältesten Söhne mit einem Lehnsobjekt zu sprechen. Die Verklammerung zu einem Lehnsgegenstand, als Voraussetzung einer Ge-
430
Sud. VI 208. Zu dieser Tat und dem anschließenden Prozess F. Battenberg, S. 85 ff. 432 Sud. VIII 198; abgedruckt auch bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 206 f. 433 Dies ist eine Schwierigkeit mehr, vor der H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 84 f., steht, seine Auffassung, die Belehnung sei nicht auf die von Bernhard und Heinrich besessenen Teile beschränkt gewesen, sondern habe „das ganze Herzogthum und Fürstenthümer Braunschweig und Lüneburg“, also auch Göttingen und Grubenhagen, erfasst, zu begründen. Der Numeruswechsel von „Herzogthum“ zu „Fürstenthümern“ ergibt sich nicht aus der Urkunde. 431
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
samtbelehnung,434 erfahren Braunschweig und Lüneburg durch diesen Belehnungsakt dadurch, dass sie Objekt einer Belehnung sind, ohne eine Zuordnung eines der Fürstentümer zu einem der Belehnten.435 Anders als 1352 nahm der König auch schon Vertreter der folgenden Generation mit in die Samtbelehnung auf, und zwar unabhängig davon, ob beide, Otto und Wilhelm, zur Herrschaft gelangen würden oder nur einer von ihnen. Jedoch muss der zur Regentschaft kommende Sohn oder entsprechend die Söhne jre lehen auch alsdan von vns entphahen vnd daruber huldunge tun. Danach war die Person des zukünftigen Regenten noch nicht individualisiert. Ruprecht gab aber mit der Belehnung eine Beschränkung innerhalb der nachfolgenden Generation vor: nur die beiden jeweils ältesten Söhne Bernhards und Heinrichs wurden mit aufgenommen. Damit blieb Raum für eine Bestimmung des konkreten Nachfolgers nach Maßgabe des Senioratsabkommens von 1394. Betrachtet man die Gesamtbelehnung von 1403 aus Sicht der Belehnten, derjenigen, die um Belehnung nachgesucht haben dürften, zeichnet sich jetzt schon ab, was 1414, 1415 und 1420 dann ganz deutlich wird: Die Erbverbrüderungen und die – teils in ihrer Fälligkeit gestuften – Vereinigungen als Instrumente zur Sicherung und Herstellung der Kollateralnachfolge, zur Verklammerung der einzelnen Zweige der Dynastie werden ergänzt durch das Verbindung schaffende Instrument der Gesamtbelehnung. Diese Verbundenheit im Lehen – bewusst als Instrument eingesetzt – hebt an, in der Folge zunehmend das Gespinst von Erbverträgen abzulösen. c) Die Teilung von 1409 Die Kurzlebigkeit hausrechtlicher Vereinbarungen zeigte sich auch nun wieder sehr bald; die Gemeinschaft der Brüder Bernhard und Heinrich hielt nicht dauerhaft. 1407 vereinbarten sie in Aussicht des – dann zu Beginn des Jahres 1408 erfolgten – Erwerbs der Herrschaft Everstein, sich auseinanderzusetzen, wenn nicht binnen eines Jahres eine Einigung über eine weitere gemeinsame Regierung zustande komme.436 Offensichtlich vermochten sich die Brüder nicht über eine weitere gemeinschaftliche Herrschaft zu verständigen und schritten 1409 zur Teilung. Wie zur ersten welfischen Teilung im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg 1267/69 ist auch zu dieser Auseinandersetzung ein Vorvertrag überliefert, in dem die Modalitäten der von Bernhard vorzunehmenden Teilung ihrer Lande Braunschweig und Lüneburg und 434
Begriffsdefinition bei W. Goez, Leihezwang, S. 94. Welche Zweifel G. Pischke, Landesteilungen, S. 273 Anm. 984, der Auffassung H. A. Zachariaes, Successionsrecht, S. 41, 58, schon 1403 sei die erste Gesamtbelehnung erfolgt, entgegenbringt, erschließt sich nicht. Die Belehnung von 1403 war eine Gesamtbelehnung. In die Diskussion um das Aufkommen der Gesamtbelehnungen im Welfenhaus ließe sich auch die Belehnung Ottos und Wilhelms von Lüneburg 1352 durch Karl IV. einführen. Zwar war bei dieser nicht das Herzogtum oder die Herzogtümer Braunschweig und Lüneburg Beleihungsgegenstand; dieser blieb vielmehr abstrakt mit principatus, terras pp. bezeichnet. Gleichwohl dürfte damit das Fürstentum Lüneburg bezeichnet gewesen sein, so dass e i n Objekt an eine Personenmehrheit verliehen worden war. 436 G. Pischke, Landesteilungen, S. 95 f. 435
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der Herrschaft Everstein sowie der geistlichen und weltlichen Lehen und ihrer Schulden festgelegt sind.437 Zugleich werden in diesem aber auch einige inhaltliche Bestimmungen getroffen. Insbesondere war für die Zukunft eine weitere Teilung intendiert: jeder wird in seinem Teil von seinen Kindern beerbt; der Überlebende soll über die Teilung durch diese Kinder wachen, die in der üblichen Form438 vorzunehmen ist. Die noch in der großväterlichen und väterlichen, ja kurz zuvor noch in der eigenen Generation so beschworenen Idee von der Unteilbarkeit schien sich gänzlich verflüchtigt zu haben. Allein ein gegenseitiges subsidiäres Erbrecht verbleibt als Band zwischen den Linien: Bei kinderlosem Tod einer Vertragspartei sollte der andere dessen Land und Frau in seine Herrschaft aufnehmen. Am 8. Juli 1409 stellte Bernhard die von ihm gebildeten Teile vor.439 Dabei bezieht er sich auf den Rat derselben Getreuen, die auch den Rezess vom 11. März 1409 ausgestellt hätten, wenngleich Anzahl und Zusammensetzung der Räte nicht vollends deckungsgleich sind, hier zwölf, dort sechzehn Getreue, neun davon identisch. Anders als noch bei der Abgrenzung und Zuordnung von Herrschaften 1388440 werden die Teilungsportionen nicht vorab ihre Einzelbestandteile umfassend mit den überkommenen Namen ihrer Zentralorte, nämlich Braunschweig und Lüneburg, bezeichnet, um dann nur die Feinjustierung durch Überweisung einzelner Schlösser vom einen zum anderen Land zu bewerkstelligen. Vielmehr werden die Anteile zunächst ausschließlich mit der Aufzählung von Schlössern und Städten umschrieben. Eingerahmt wird diese Aufzählung – lüneburgischer – Orte von der Angabe, dass zu diesen Schlössern und Städten jeweils Mannschaft, Land, Leute, geistliche und weltliche Lehen, Gerichte, Zinsen, Zölle, Geleite und alles Zubehör, Gerechtigkeiten zu Wasser und zu Lande gehören. Schlesingers bekannte Feststellung, das Fürstentum „war nicht in Ämter eingeteilt, sondern setzte sich aus ihnen zusammen“,441 findet hier eindrucksvoll ihre Bestätigung. Die räumlichen Bezirke, die hinter den Bezeichnungen Schlösser und Städte mit ihren Zubehörungen stehen, bilden die Recheneinheit, mittels deren Zusammensetzung Bernhard mehr oder adäquate – hatte doch Heinrich das Wahlrecht – Anteile zusammenstellte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Einheiten, die administrative Konzentration einzelner Gerechtsame, bei aller Unterschiedlichkeit ihrer äußeren Gestalt und ihrer Benennung von ihren Einkünften her gestaltet worden waren. Bei der Bildung von Ämtern, Vogteien und Gogerichten ging es vor allem darum, „Herrschaftsteile im Geldwert ausdrücken zu können – das diente vielfach nicht nur als Grundlage bei Versetzung oder Verkauf, sondern auch bei Erbteilungen“.442 Erst nach dieser topographisch sehr genauen Aufzählung der einzelnen Atome und der daher transparenten ökonomischen Wertigkeit 437
11. März 1409 (HStA Hann., Celle Or 6 Nr. 62), G. Pischke, Landesteilungen, S. 95 ff. Zu den eher kargen Formgepflogenheiten, auf die hier Bezug genommen worden sein dürfte, G. Pischke, Landesteilungen, S. 107. 439 J.G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 102 f.; G. Pischke, Landesteilungen, S. 98 ff. 440 Sud. VI 209 (6. Juli). 441 Landesherrschaft, S. 120. 442 E. Schubert, Niedersachsen, S. 600. 438
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ihrer Zusammensetzung finden sich in dem Teilungsrezess die Namen Land Braunschweig und Land Lüneburg als Bezeichnung der Zuordnungsportionen. Deutlich wird an dieser Beschreibung der Teilung: die Fürstentümer Braunschweig und Lüneburg haben nach wie vor keine feste äußere Gestalt. Es gibt „das Lüneburgische“ und „das Braunschweigische“. Ist eine genauere Festlegung dessen, was die Herrschaft Braunschweig oder die Herrschaft Lüneburg ist, vonnöten, muss nach der Aufzählung der einzelnen Bestandteile, zumindest ergänzend, ein personales Moment herangezogen werden.443 So wird zur Kennzeichnung – allerwenigstens zur Klarstellung –, dass ein (Außen-)Lehen von der Herrschaft Lüneburg vergeben ist, in Anbetracht des morphologischen Wandels dieses Zuordnungssubjekts auf den ehemaligen Inhaber des Fürstentums, Herzog Wilhelm, zurückgegriffen; im Falle Braunschweigs sorgt parallel Herzog Magnus für die zeitliche Fixierung. Gleichwohl werden die Herrschaften flächenhaft gedacht. Anders wäre eine Bestimmung, nach der Erwerbungen an Schloss oder Gut innerhalb einer Herrschaft dieser verbleiben sollen, nicht verständlich. Von dem Lüneburger Teil ausgeklammert blieb die Stadt Lüneburg. Sie hatte wie Braunschweig beiden Fürsten zu huldigen. Damit war nicht mehr nur Braunschweig, wie seit Anbeginn der Teilungen, sondern nun auch die andere welfische Hauptstadt gemeinsamer Besitz – wenngleich auch nur zweier Teillinien.444 Als weiteres Element dynastischen Zusammenhalts wurde die Errichtung eines beim Kapitel von St. Blasius in Braunschweig untergebrachten Gesamtarchivs verabredet. Nur die Briefe und Privilegien, die eine Herrschaft allein betreffen, sollten dort nicht hinterlegt werden. Schließlich wurde als gemeinschaftserhaltende Maßnahme entsprechend dem Vorvertrag eine Erbverbrüderungsklausel sowie eine diese unterstützende Verfügungsbeschränkung445 der Fürsten in den Vertrag eingefügt. Heinrich wählte den Lüneburger Teil; Bernhard fiel dementsprechend Braunschweig mit Hannover und dem Land zwischen Deister und Leine sowie die Herrschaft Everstein zu.446
443 Landesgrenzen waren, wie E. Schubert, Land, S. 18 f., darlegt, bis ins 15. Jahrhundert hinein unbekannt; nicht von ungefähr ist das Wort „Grenze“ dem Slawischen entlehnt. Erst mit der Verfestigung eines Netzes von Amts- und Gerichtsbezirken haben sich Vorformen der Landesgrenze herausbilden können. 444 Von der Aufteilung ebenfalls ausgenommen, wenngleich sicherlich aus dem ganz praktischen Grund der Schwierigkeit einer Teilung, waren die in den Erbverbrüderungen von 1395 (Sud. VIII 45) und 1401 (Sud. IX 114) wurzelnden Rechte auf das Fürstentum Göttingen; Land und Leute dort sollten beiden, Heinrich und Bernhard, gemeinsam huldigen. Sollten die Landstände dies verweigern, sollte derjenige, dem sie huldigen, dem anderen die Rechte bewahren. 445 Dazu näher unten B.IV.2.c)bb). 446 Zum Teilungsvollzug näher G. Pischke, Landesteilungen, S. 110 f.
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d) Die Neujustierung des Verhältnisses im Jahre 1414 1414 schwang das Pendel wieder in die andere Richtung, Braunschweig und Lüneburg, Bernhard und Heinrich, rückten nun wieder näher zusammen. Sie schlossen einen Vertrag, der das Spannungsverhältnis zwischen Gemeinschaft und Selbstständigkeit in sich vereinigt.447 Einerseits wird die wechselseitige Beistandspflicht begründet, jedenfalls beschworen, und dies mehrfach in dem Vertrag. Andererseits wird auch, und zwar unmittelbar nach der Beistandsabrede, die Unabhängigkeit der Herrschaft in den beiden Landesteilen betont: unser ein schall dem andern nenerley gedreng noch Verhindernisse don eder don laten an sinem deile und herschuppen, dar ohm togevallen is, alße wy de in Vortyden ock na rade unser Manne und Stede gedeilet und entwey gesat hebben, Sonder unser ein jowelck schal sinen deil und herschup, dat ohm togevallen is, mit Leenen geistlick und wertlick und allen Tobehorungen, rawelick besitten und der gebruken, alse de binnen sinen Landschedingen und Gerichten gelegen syn, alse de deilebreff dat eigentlick utwiset. Ganz aus den Erfahrungen des Erbfolgestreits werden nun Gemeinschaft und Beistandspflicht auf den Fall des Widerstands in den Herrschaften, und zwar genauer denjenigen an huldinge, konkretisiert. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Teilbrief wird noch einmal das gegenseitige Sukzessionsrecht für den Fall, dass einer der beiden Brüder oder einer ihrer Erben ohne Mannesleibeserben sterbe, bestätigt.448 Dieser Erbverbrüderungsabrede in der Urkunde vorangestellt und deren verbindende Wirkung um ein weiteres Band – und dies ist das Neue, Zukunftsweisende an der Verabredung von 1414 – ergänzend wird der gemeinsame Empfang der Gesamtbelehnung verabredet: Ok alse wie vnse vanlene vnd hovet-stede Brunschwig vnd Luneborg insamment vnd vngedelet beholden hebben, So will wy dat de Eldeste vnder unss vnd vnsen Eruen to ewigen tyden, alse dicke den behoff were, dat Vanlene vnde Herschop van dem Rike entfaen schall, to vnser beyder hande vnd behoff, vnde des breve erwerven under vnser beeder kosten, des wy uns den darumme verenen schullen, alse des behoff is, Und dat schal unser ein den anderen truweliken to dem besten holden. Zunächst rückblickend auf ihre Teilung von 1409 formulieren Bernhard und Heinrich, was man als welfischen Standpunkt zu ihrer Sukzessions- und Teilungspraxis seit 1267 bezeichnen kann, wie er in der Praxis selbst seinen Niederschlag fand und in den Streitigkeiten um die Huldigung im Lüneburger Erbfolgestreit von Magnus II. ausdrücklich vorgetragen wurde:449 Die Hauptstädte – bisher nur Braunschweig, seit 1409 auch Lüneburg – habe man nicht geteilt. Vorangestellt und unverbunden wird der Integritätserhalt am Fahnlehen betont. Jedoch folgt – nach welfischer Auffassung – die Integrität 447
Abgedruckt bei Ph. J. Rehtmeier, S. 698 f., und J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 104 ff. Dieser Bezug zur Teilung von 1409 findet sich auch in weiteren, vielfach Abreden des Teilbriefes wiederholenden Bestimmungen; so etwa zur Vereinbarung einer Gemeinschaft an möglichen Akquisitionen und Anwartschaften: Hedde ock unserwelk jeder der Deelinge Herschoppe, Shlote, Städe Landt vnd Lüde odder wat dat anders wäre to worwen oder noch erwarvende worde, dat schal ock an den andern fallen, in vorschrewener Wyse (…). 449 Sud. IV 153. Eine Rechtsansicht, die auch in der Folgezeit, wie noch darzustellen ist, vom Reich nicht geteilt wurde. 448
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des Fahnlehens gerade aus dem Gemeinschaftserhalt an seinem Substrat, der Hauptstadt. Diese wertende Rückschau, diese Betonung lehnrechtskonformen Verhaltens mag aus den Erfahrungen des Lüneburger Erbfolgestreits motiviert sein. Vor allem ist diese Betonung jedoch die notwendige Einleitung für das Folgende, dessen Voraussetzung. Und um dieses ging es den beiden Fürsten. Sie wollten, wie schon 1403, das Fahnlehen zu gesamter Hand erhalten. Damit sollte, wie es ausdrücklich in der Abrede betont wird, eine Klammer um die beiden Teile gelegt werden: des wy uns den darumme verenen schullen. Was sich 1403 abzeichnete, wird nun ganz deutlich: Die Gesamthand am Lehen, die die Gemeinschaft umfassende Lehnsbindung wird als Sicherung dynastischen Zusammenhalts oder mit eher ganz praktischer Zielrichtung als Instrument zur Herstellung und Sicherung der Kollateralnachfolge etabliert. Der Lehnsnexus, der gerade von der Literatur des 19. Jahrhunderts, aber noch weit darüber hinaus – etwa von Mitteis – allein vom Reich und seinen Interessen, denen die der Vasallen entgegenstanden, her betrachtet worden war, wird nun gleichsam von unten, von den Vasallen als Instrument dynastischer Raison entdeckt. Innerhalb dieser Klammer sollte aber jeder der Fürsten sinen deil und herschup gemäß der Teilung von 1409 besitzen alse de binnen sinen Landschedingen und Gerichten gelegen syn, alse de deilebreff dat eigentlick utwiset. e) Die Einigung von 1415 Nur ein Jahr später näherten sich die Brüder noch weiter an. Sie bekennen in der Urkunde von 1415, dass sie ihre Land und Lude erflicken wedder to hope gesat vnde vereynet haben, und zwar mit Witschop vnde Volborde ihrer Söhne Otto und Wilhelm,450 jeweils ihre ältesten, die auch 1403 Berücksichtigung fanden. Das – zeittypisch – recht ausführliche und umfangreiche Vertragswerk beschreitet den in der Zeit des Lüneburger Erbfolgestreits sich andeutenden Weg vom einheitssichernden oder -wiederherstellenden Instrument des (Erb-)Vertrages hin zu einer einheitsstiftenden (Sukzessions-)Ordnung weiter. Gleichsam zwei Dritte werden mit ins Boot genommen, um die rein innerdynastische Vertragsdimension zu überwinden und der vereinbarten Vereinigung Dauerhaftigkeit zu verleihen: Das Reich als Lehnsherrn und die Stände. Zudem trachtete man, die kommenden Generationen des Hauses an den Vergleich zu binden. Im Einzelnen: Die Vereinigung sollte derart sein, dat alle vse Lande vndt Lude, de wy rede hebben, vnde an vns noch komen mögen, vnde vnd vnsere Eruen samptliken tho ewigen tyden wesen vnde blyuen schullen unverdelet. Zur Sicherung dieser Gemeinschaft an den vereinigten Landen wird eine Reihe von Instrumenten eingesetzt. Innerdynastischer Art war die Anordnung eines Duumvirats. Bernhard und Heinrich sollten die Regierung gemeinsam führen, der sametlyken herschaft mechtich seyn unde de truweliken vorstan unde regieren. Und dies sollte in kommenden Generationen fortgesetzt werden. Entsprechend wurden Bestimmungen über die Versorgung Nachgeborener, nicht zur Herrschaft gelangender Söhne getroffen. Vor allem aber wurde angeordnet, dass keiner vom anderen die Teilung der Lande verlan450
StA Wolf., 2 Urk 1, Nr. 22.
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gen sollte. Innerdynastische Dauerhaftigkeit sollte erzeugt werden, indem jedem Glied des Hauses auferlegt wurde, den Vergleich bei Erreichen des 14. Lebensjahres zu beschwören. Damit wurde der Vergleich aus seiner zeitlichen Eindimensionalität herausgehoben und die Möglichkeit eröffnet, eine Sukzessionsordnung zu begründen. Der Vertrag erhielt die Qualität einer Satzung, einer Einung, jedenfalls die Potenz einer solchen Qualität. Das Reich und sein Lehnrecht wurden ebenfalls – wie schon 1414 – zur Einheitsstiftung instrumentalisiert. Das Fahnlehen sollte als Gesamtlehen von einem im Namen aller empfangen werden. Anders als 1414 war aber nicht der Älteste dazu ausersehen, sondern derjenige, der dazu am besten geschickt sei. Das Reich – und auch dies ist ein Novum – erfuhr entsprechend auch in der Arenga der Urkunde seine Erwähnung: gode to Loue dem hilligen Römischen rike to eren uns unsen Lande unde Luden to nut unde to vromen habe man die Lande vereinigt.451 Schließlich werden die Stände oder wenigstens die davon schwer abzugrenzenden herzoglichen Räte mit eingebunden; es wird zur Überwindung der allein dynastischen Perspektive ein Bezug zum Land hergestellt. Der Vertrag ist na rade vnser prelaten manne vnd Rede, die ihn auch mitbesiegelt haben, zustande gekommen. Es wurde ein kontrollierender Rat von 25 Adeligen aus den verschiedenen Teilen des Landes, der bei schwierigen Fragen durch Abgesandte der Städte ergänzt werden sollte, installiert. Diesem war allerdings nicht, wie vergleichbaren Ratsgremien zu Zeiten des Großvaters, die Aufgabe der Vormundschaft über unmündige Erben zugewiesen. Dazu war der überlebende Fürst berufen. Land und Leute sollten ene samtlicke Erfhuldigung doen, vnde tho ewigen Tyden by vns vnde vnsere Eruen vnuerdelet bliven. Dieses Instrument der Gemeinschaftssicherung durch Gesamthuldigung war nichts Neues; so war etwa 1409 verabredet, dass die Städte Braunschweig und Lüneburg den Vertragsschließenden gemeinsam huldigen sollten. Geschärft wurde dieses Instrument aber mit einer den Ständen auferlegten Widerstandspflicht: Sie wurden ermächtigt, ja verpflichtet, die Huldigung zu verweigern, falls einer der jüngeren Fürstensöhne auf Teilung drängen sollte. Offenbar wurde die vereinbarte Gemeinschaft auch tatsächlich praktiziert: 1419 ließen sich Bernhard, sein Sohn Otto und Heinrichs Sohn Wilhelm – Heinrich selbst war 1416 gestorben – zur Abtragung fürstlicher Schulden von den Ständen eine allgemeine Landbede bewilligen;452 1417 und 1424 verpfändeten Bernhard und Heinrichs Sohn Wilhelm gemeinsam mehrere Burgen.453 f) Die Samtbelehnung von 1420 Die 1414 und 1415 verabredete Inempfangnahme der Gesamtbelehnung erfolgte 1420. Bernhards Sohn Otto und Heinrichs Sohn Wilhelm nahmen das Lehen von 451
Die Bezugnahme auf die Ehre des Reiches ist seitdem eine geläufige Gepflogenheit: 1415, 1433, 1442, 1483. 452 Urkunde abgedruckt bei P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 23; U. F. C. Manecke, S. 346 Anm. 16. 453 H.-J. Behr, S. 49, 63 Anm. 11.
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König Sigismund für sich und Bernhard entgegen.454 Insofern wurde zumindest von dem 1414 festgelegten Kriterium des Alters zur Bestimmung desjenigen, der das Lehen in Empfang nehmen sollte, abgewichen. Im selben Jahr belehnte Sigismund auch Otto den Einäugigen (Cocles) mit Göttingen.455 In der Urkunde wird neben den Schlössern und Städten der Göttinger Lande auch die Stadt Braunschweig aufgeführt. Damit dürfte der Gemeinschaft aller welfischen Linien an ihrer alten Kapitale gedacht worden sein. Gleichwohl wird an den zwei Belehnungsakten von 1420 deutlich, dass das Reich die welfischen Fürstentümer, soweit sie nicht, wie Braunschweig und Lüneburg, in einem Lehen zusammengefasst waren, als eigenständige, als Sonderlehen betrachtet. Dies wird besonders sinnfällig in der Heeresmatrikel des Reiches vom August 1422.456 Unter den Herzögen und weltlichen Fürsten erscheinen der Göttinger Herzog Ott von der Leyne, der Grubenhagener Regent Erich von Brunswig und – noch deutlicher durch den Einschub eines nichtwelfischen Fürsten – die beiden übrigen Welfen Bernhart und Wilhelm von Brunswig mit iren steten, nemlich Brunswig und Lunenburg klar gesondert voneinander. Bernhards 1420 mitbelehnter Sohn Otto findet keine Erwähnung. g) Die (Neuver-)Teilung von 1428 Das Teilende, nicht die Gemeinschaft wurde dann 1428 wieder betont. Auf Betreiben Wilhelms, des älteren Sohnes des 1416 verstorbenen Lüneburger Regenten Heinrich, kam es zur erneuten Auseinandersetzung des großväterlichen Nachlasses, zur Umgestaltung der 1409 vorgenommenen Verteilung. Wilhelm wähnte den ihm und seinem Bruder Heinrich zufallenden Anteil, den sein Vater 1409 gewählt hatte, als unzureichend bemessen.457 Der tiefere Grund seines Drängens auf Neuverteilung dürfte aber, nach der Vermutung von Spiess, in dem Anfall der Herrschaft Homburg an die Braunschweiger Herrschaft kurz nach der Teilung von 1409 gelegen haben.458 Zu dieser neuerlichen Sonderung geben folgende Urkunden Auskunft: die Vereinbarung der Teilung zwischen Bernhard, seinem Sohn Otto und Wilhelm unter Vermittlung des Landgrafen Ludwig von Hessen vom 8. März 1428;459 die entsprechenden Vorstellungen der Herrschaftsbereiche durch Wilhelm vom 25. Mai 1428;460 die 454
Urkunde StAWolf. 1 Urk 84; Chronicon Luneburgicum, 198. UB Göttingen II, Nr. 80. 456 Abgedruckt bei L. Weinrich, Bd. 2, Nr. 116, mit den Nachweisen. Zu den Veränderungen des Reichsverfassungsgefüges in Folge der Reichsmatrikel seit 1422 bes. E. Schubert, Grundprobleme, S. 232 ff. 457 A. U. Erath, S. 35; O. Jürgens, Lande, S. 46; M. Krieg, S. 3; H. Kleinau, S. 33; G. Pischke, Landesteilungen, S. 112. 458 Fürstentum, S. 5; ihm folgend G. Pischke, Landesteilungen, S. 112, 132. 459 Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 36 ff. 460 Vorstellung des braunschweigischen Teils abgedruckt bei A. U. Erath, S. 39 ff.; der Ausschnitt über die den Lüneburger Anteil bildenden Schlösser ist abgedruckt bei O. Jürgens, Lande, S. 46 f. 455
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Bekanntgabe Bernhards Wahl durch den hessischen Landgrafen vom 22. August 1428;461 die Überweisung der Länder und Eidesentbindungen vom 24. Oktober 1428.462 Im Vorvertrag vom 8. März 1428 werden, wie üblich, vornehmlich die Modalitäten der Teilung festgelegt. Danach sollte Wilhelm, der Initiator und Motor der Neuregelung, auch im Namen seines Bruders Heinrich nicht nur Land und Leute, sondern auch das rede Gelde beider Herrschaften teilen. Bernhard und Otto sollen dann, auch im Namen Friedrichs, Ottos Bruder, wählen. Die Bekanntgabe der Wahl soll bei einer Zusammenkunft in Celle erfolgen. Besonders an der Zuweisung der Aufgaben an diese Zusammenkunft zeigt sich die nun genauere Ausgestaltung des Verfahrens. Vor allem werden die Rollen, die dem Vermittler wie auch den Ständen zukommen, stärker konturiert. Der vermittelnde Landgraf, der direkte Onkel Wilhelms und Heinrichs mütterlicherseits, war bereits zu dem ersten Zusammentreffen im März mit zwei namhaft gemachten Räten angereist; schon dies deutet darauf hin, dass Ludwig nicht allein freundlich zwischen den Brüdern moderieren sollte. Ihm kam die Aufgabe eines Schiedsrichters in einem Verfahren, an dem auch die Vertreter der drei Stände beteiligt waren, zu. Am 22. August sollte er mit den Fürsten beyder Parthen und eren Prelaten, Mannen vnnd Steden to Czelle zusammenkommen und dar inne Rechten erkennen vnnd utsprecken scall, wo itt umb den Sambtbreff, Recesse, Uthsproke vnnd de nien sunderliken Bunde, wat dar an beiden Siden geschen were, wesen sculle vnnd muge. In der Urkunde zum Vollzug dieser Verfahrensabrede vom 22. August heißt es dazu, der Landgraf habe mit Hilfe seiner Räte und den Prälaten, Mannen und Städten der fünf Fürsten zwischen den beiden Parteien gedegedinget vnd besproken vppe den Khor. Was genau, was für ein Rechtsausspruch anhand welchen Maßstabs, auf welcher Entscheidungsgrundlage dem Landgrafen abgefordert wird, bleibt zunächst im Vagen: Er soll Samtbriefe, Rezesse, Aussprüche und Bündnisabreden heranziehen und aussprechen, was damit gewesen ist und sein soll. Deutlicher wird es einige Zeilen darauf: Die neuerlichen Abreden sollten dem Samtbreue, Recesse, Bundtbreue vnd ock dem Receß to Cassel unschädlich sein. Die vereinigenden Abreden von 1414 und 1415463 sollten also nicht außer Kraft gesetzt werden; darüber hatten der Landgraf und die Vertreter der Stände, die ebenfalls an der Verhandlung zu Celle beteiligt worden sind, zu wachen. Der Teil(ungs)brief vom 25. Mai ist ganz ähnlich gestaltet wie derjenige von 1409. Abweichend standen zur Teilung nicht nur die Lande Braunschweig, Lüneburg und Everstein, sondern auch Homburg. Die Erfassung und Umschreibung der Teilungsportionen durch Addition ihrer Bestandteile, der Schlösser und Städte samt Zubehör, wird von 1409 übernommen. Auch inhaltlich stimmen beide Teilungsrezesse weithin überein. Hervorzuheben bleibt, dass 461
Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 47 ff. Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 51, und bei J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 126. 463 Zu dem Rezess von Kassel aus dem Jahre 1427 G. Pischke, Landsteilungen, S. 123. Darin hatte der hessische Landgraf versprochen, bei Streitigkeiten zwischen den Herzögen Bernhard, Friedrich und Otto auf der einen und Wilhelm und Heinrich auf der anderen Seite sowie zwischen den Herzögen Bernhard und Otto und dem Hildesheimer Bischof zu vermitteln. 462
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auch die Gemeinschaft beider Linien um den Zoll in Hitzacker, aber vor allem um die Huldigung der Stadt Hannover erweitert wurde. De Stat to Hannouer wollen sie in sambtliker Erfhuldinge hebben vnd beholden, nicht aber Gerichte, Tollen, Molen, mit dem Houe vp der Nienstatt vnnd anderer Tobehorung vnd geistlicker vnnd werltlicker Lene (…); de scal beholden, dejenne dem dat Lanndt to Brunswich tofelt. Feinheiten der Auseinandersetzung wurden dann mit dem Landgrafen und den Ständen am 22. August festgelegt: Bis ins Detail wird etwa beschrieben, was bei der Übergabe eines Schlosses vom Übergabepflichtigen mitgenommen und was dort zu belassen sei. Und es mussten viele Schlösser übergeben werden. Denn die Sonderung von 1428 kehrte im Ergebnis diejenige von 1409 um; die – wenn auch in ihrer äußeren Gestalt veränderten – Fürstentümer wurden gleichsam getauscht: Bernhard und seine Söhne Otto und Friedrich wählten Lüneburg, zu dem Wilhelm bei der Portionierung große Teile der ehedem braunschweigischen Erwerbungen hinzugelegt hatte. Wilhelm und Heinrich fiel Braunschweig zu. 1431 mussten einige Punkte nachverhandelt werden. Beide Seiten schlossen, allerdings ohne Bernhard, einen Freundschafts- und Bündnisvertrag, in dem die Beschränkung der Veräußerungen von 1428 wiederholt, die Bestimmungen zum Archiv aber modifiziert wurden.464 Offenbar hatte es Meinungsverschiedenheiten bei der Zuordnung der Privilegien, Register und Briefe zum gemeinsamen Archiv einerseits oder zu den Archiven beider Linien andererseits gegeben. Nun wollte man eine Sonderung gemeinsam vornehmen. Ebenso musste die ungewöhnlich umfassende Regelung zur Zuordnung der Schulden neu gefasst werden. Vor allem aber wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Teilung von 1428 sehr wohl gegen die Samtbriefe der beiden Teillinien von 1414 und 1415 verstößt. Konsequenzen wurden aus dieser Erkenntnis allerdings nicht gezogen. h) Der „Verkauf“ von 1433 Zwei Ereignisse in der ersten Hälfte des Jahres 1433 brachten Wilhelm gegen die Lüneburger Regenten und das eine Ereignis überdies auch gegen seinen Bruder Heinrich auf. Heinrich und Wilhelm hatten den ihnen 1428 zugefallenen braunschweigischen Anteil 1432 weiter auseinandergesetzt.465 Wilhelm hatte infolgedessen das später so geheißene Fürstentum Calenberg erhalten. Ganz offensichtlich um den Bruder und Vetter aus seinem subsidiären, für den Fall des Aussterbens der Nachkommenschaft Bernhards begründeten und zuletzt 1428 schriftlich niedergelegten Erbrecht an Lüneburg herauszudrängen,466 schlossen Bernhard, Otto und Friedrich auf Lüneburger und Heinrich auf Braunschweiger Seite einen gegenseitigen Kaufvertrag, der im 464
Vertrag vom 24. November 1431, HStAHann., Celle Or 6, Nr. 84. Dazu unten B.III.2.d). 466 So schon A. U. Erath, S. 58 f., und H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 63; G. Pischke, Landesteilungen, S. 201. 465
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Ergebnis nichts anderes als eine Erbverbrüderung zwischen den Fürstentümern Braunschweig, ohne „Calenberg“, und Lüneburg darstellte.467 Die Lüneburger verkauften an Heinrich alle ihre Fürstendom, Herscoppe, Grauescoppe, Frige Herscoppe, Redderscoppe, Manscoppe (…) nemliken de Fürstendom Brunswig, Luneborg, de Grauescoppe Euerstein, Halremund, vnde de Herscoppe to Homborg, wes wy daranne vnde inne hebben – es folgt eine Aufzählung der Schlösser, Weichbilde und Dörfer sowie generalisierend der daran hängenden Gerechtsame – für 200.000 Mark Braunschweigischen Silbers. Die Zahlung des Kaufpreises wird überdies quittiert. Allerdings verbleiben Besitz, Regentschaft und Gebrauch des genannten Kaufgegenstandes bei den Lüneburgern, den Vertragsschließenden wie ihren Leibeserben,468 so dass das Scheinbare des Kaufes hervortritt und Zweifel an der bestätigten Kaufpreiszahlung mehr als angebracht erscheinen. Es folgen Abreden zur Verfügungsbeschränkung – diese geht über die 1428 verabredete hinaus: kein Näherrecht, sondern ein Konsensvorbehalt –, zum Übergang von Verbindlichkeiten, einschließlich derjenigen zur Ausstattung der Töchter, im Falle des söhnelosen Todes einer Vertragsseite und schließlich zur Vormundschaft der einen Vertragspartei über die unmündigen Nachkommen der anderen Seite. Zur Sicherung der gegenseitigen Nachfolgeexspektanz sollen Städte, Mannschaft, Bürger und Bauern das jeweilige Vertragsgegenüber huldigen. In dem Vorbehalt einer möglichen Einigung mit Wilhelm durch die Lüneburger schimmert deren Motiv dieses Vertrags zu Lasten eines Dritten, nämlich Wilhelms, durch: Wenn man sich mit Wilhelm voreynigen vnde vordragen möge vmme vnse(!) Slote vnde Stede in den Herscoppen Euersteyn, Homborch, Halremund, vnde twischen Diester vnde Leyne belegen, vnde alle ore Tobehoringen, vnde weß wy dar vor van one kregen, sollen diese bei der Lüneburger Herrschaft verbleiben und Heinrich nur nach Maßgabe dieses Vertrages to Fromen komen. Der Verkauf soll von dieser Befriedigung – vermeintlicher – Lüneburger Ansprüche, die offensichtlich die Triebfeder zu seinem Abschluss darstellten, unberührt bleiben. Der Kaufpreis für Heinrichs Besitzungen, die abschließend angeführt werden, wird mit 100.000 Mark Braunschweiger Silbers angegeben. Wenige Wochen nach diesem „Verkauf“ versetzten Bernhards Söhne Otto und Friedrich ihre Anteile an den Herrschaften Homburg und Everstein sowie die Hallerburg und die halbe Vogtei und das Huldigungsrecht an Hameln auf zehn Jahre für 30.000 rheinische Gulden und die Überlassung der Feste Dachtmissen an den Bischof von Hildesheim.469 Gegen diese Versetzung welfischer Besitzungen klagte der Braunschweiger, seit 1432 „Calenberger“, Wilhelm, dessen agnatische, zuletzt 1428 als 467
Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 59 ff. Doch mit desseme Underscheyde, dat wy der vorgenanten vnser Herscoppen, alse de hir beuorn benompt sind, vnd we om vnde sinen genanten Eruen verkofft hebben, to vnser vndt vnser Eruen, von vnsem Liue geboren, Behof, Nut vnde Fromen, de to regerende vnde vorstande, vnde der to brukende, darinne geistlik vnd wertlik to lenende, Stede, Slote vnde Dorpere, Tollen, Gulden vnde Renthe darinne to vorsettende, na vnser Prelaten, Man vnde Stede Rade bliuen scall. 469 J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 140 ff. 468
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Näherrecht470 ausgestalteten Mitwirkungsrechte nicht beachtet worden waren, vor König Sigismund. Dessen Pfalzgraf Wilhelm verbot daraufhin den Ständen und Städten der Herrschaften Homburg und Everstein, dem Hildesheimer Bischof zu huldigen.471 Bischof und Domkapitel von Hildesheim zeigten sich von dem königlichen Verbot wenig beeindruckt.472 Auf welfischer Seite versuchte man, die Differenzen durch Anrufung eines Schiedsgerichts auszuräumen, dem die Bischöfe zu Bremen und zu Verden, die Äbte zu Oldenstedt und Scharnebeck, die Pröpste zu Ebstorf, Lüne und Medingen sowie viele Vertreter aus der Ritterschaft und der Räte von Lüneburg, Hannover, Uelzen und Hameln angehörten.473 Die Einsetzung des Schiedsgerichts mag auch mit Rücksicht auf eine weitere Intervention des Königs erfolgt sein:474 1435 wies Sigismund die Lüneburger Herzöge Otto und Friedrich sowie die Braunschweiger Regenten Wilhelm und Heinrich an, ewer herschafft land und leute unsere lehen bynen dem nechsten monde wieder zusammenzusetzen oder binnen zweier Monate die Ursache, die einer Zusammensetzung entgegenstehe, anzuzeigen.475 Zur Begründung seiner Anweisung zog der König vornehmlich die zwischen den angewiesenen und vordem teilenden Dynasten geltende hausrechtliche Verbundenheit heran, wob aber in diese Begründung den lehnrechtlichen Bezug zu ihm, dem König, mit ein. Das Gebot herrschaftlicher, patrimonialer Einheit folgerte Sigismund vorrangig aus dem, wie seine Kanzlei ihn ausdrücklich bezeichnet, „Samtbrief“, dem Vereinigungswerk des Jahres 1415. Dieses wird teils nahezu wörtlich zitiert, ergänzt indes um eine lehnrechtliche Note: Herzog Bernhard und Heinrich hätten herschafft lande und leutte unsere und des heiligen Reichs lehen voneinander geteilt und gesundert (gemeint ist die Teilung von 1409), dann aber wiederum vereint gote zu lobe uns und dem heiligen Riche zueren euch allen und andern Iren erben landen und leutten nutz und fromen mit eweren wissen und willen und Rate Irer prelaten mann und Stete. Nach dieser Regelung (von 1415) sollten ihre gegenwärtigen und eventuell noch zu erwerbenden Lande und Leute unter ihnen und ihren Erben semptliche und unverteilet zu ewigen zeiten bleiben und wesen. Und doch haben die angewiesenen Herzöge entgegen der vorgenannten erberlichen und gelobten vermahnung und zu hauffe setzunge (…) von eygenen muttwillen oder anwisinge, daz es nutz und gut sein solte eurer herschafft lannd und leutte 470 Urkunde vom 25. Mai 1428: Were ock, dat wy se, eder vnser Eruen, welck dat wolde verlaten eder verpenden van sinem Dele vnd Herschup einem Herne der frombden Luden, dat scholde he erst beden dem andern, umb so vele als de Fromede om daruor geuen edder darup don wolde, vnd dan scholde he den neger wesen, den de Fromede dauor to beholdende, ifft he dat dauor beholden wolde. 471 OG IV praef,, 41 (8. September 1433); dieses Verbot wurde in einem königlichen Schreiben vom 31. Oktober 1433 wiederholt, W. Havemann, Bd. 1, S. 675. 472 W. Havemann, ebd. 473 Die darüber erstellte Urkunde von Pfingsten 1435 ist abgedruckt bei G. S. Treuer, S. 62. 474 So vermutet H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 71 Anm. 69. 475 12. August 1435: HStAHann., Celle Or 6, Nr. 94; siehe auch H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 71.
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unsere und des heiligen Reichs lehen getailt und aber getailt (1428 und 1432) ouch on unsern als ewen obristen Lehenherrn wissen und willen. Von Römischer keyserlicher macht in craft diß brieffs ordnet Sigismund die Zusammensetzung der Lande und Leute zur gemeinsamen Regierung an, als sich denn billich und von bundniß wegen geburt. Es könne nicht sein Wille als ein rechter und obrister Lehenherr sein, dass solch krieg zwietracht und verderblicher schade in den Landen herrsche. In dieser Begründung der königlichen Anweisung kommt das Wirken des Königs als Lehnsherr wie Richter im – ausgehenden – Spätmittelalter zum Ausdruck. Der König beschränkt sich hier nicht auf seine Rolle als – so könnte man formulieren – gewichtigere Partei eines bilateralen Rechtsverhältnisses; er beharrt nicht einfach auf seinem aus dem Lehnsverhältnis herrührenden subjektiven Recht auf Erhaltung des Lehens in Substanz und Gestalt.476 Vielmehr tritt er als umsichtiger Richter gleichsam mit Zugriff auf einen breiteren Normbestand auf. Sigismund beruft sich für seine Anordnung auf eine ursprünglich innerdynastisch begründete Verbindlichkeit, die Regelung von 1415, die allerdings durch den darin vereinbarten und 1420 erfolgten Samtlehnsempfang und den Einbezug der mitbesiegelnden Stände genau diesen engen Rahmen überschritten hatte. Und er bemüht, wie diese hausrechtliche Bestimmung ihrerseits auch, die Nützlichkeit als Urgrundlage, als überwölbende Norm für das Gebot patrimonialer wie territorialer Einheit: Unmittelbar formuliert als Nutz und Frommen für Land und Leute, aber auch als Grundlage, als Voraussetzung des Gotteslobs sowie der Ehrerbietung gegenüber dem Reich. Schließlich aber zeigt sich Sigismund auch als Dynast. Er versteht offenbar die Schwierigkeiten, die aus einem absoluten Beharren auf dem Unteilbarkeitsgebot im Sukzessionsfalle zu erwachsen vermögen. Er lässt gewissermaßen mit sich reden; er will behilflich sein bei der – möglichst weitgehenden – Umsetzung des Unteilbarkeitsgebots: Wenn die angewiesenen Herzöge aber redliche sache oder insage desses so nicht zuthun und uns hyrbey zufolgen, So gebieten wir euch daz Ir dann bynnen den nechsten zwei monden als desse unser briefe euch furgebracht werden darumb vor uns komen und uns die zuerkennen geben so wollen wir denn aber nach gelegenheit der sachen darzu raten und tun als sich geburt damit ewer herschafft land und leute nicht also verdelet werden. Diese einzige königliche Intervention gegen die welfischen Erbteilungen blieb aber ergebnislos. Die welfischen Lande blieben geteilt.477
476 Zu den einzelnen Rechten des Königs aus dem Lehnsverhältnis: K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 391 ff.; das Teilungs- und Entfremdungsverbot ist danach Ausfluss der allgemeineren Treue- und Gehorsamspflicht des Vasallen. 477 Das welfische Schiedsgericht desselben Jahres, sofern dieses überhaupt auch im Hinblick auf das königliche Gebot der Rückgängigmachung der Teilung von 1428 installiert worden war, sprach unter anderem jedenfalls aus, dass die vom Landgraf von Hessen vermittelte Scheidung, also die von 1428, Bestand haben solle.
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i) Das Einigungswerk von „Calenbergern“, Lüneburgern und einem Braunschweiger im Jahre 1442 Die Differenzen zwischen den „Calenbergern“, Wilhelm und seinen Söhnen Wilhelm und Friedrich, auf der einen und den Lüneburgern, Otto und Friedrich, Bernhard war 1434 verstorben, sowie Heinrich von Braunschweig auf der anderen Seite wurden in einem ausführlichen Vertragswerk 1442 beigelegt. Wilhelm gelang es dabei, seine im Jahre 1433 zweifach beeinträchtigten Interessen zu wahren. Der erste, weitaus kürzere Vertrag beginnt ohne lange Vorrede mit der Aufhebung des Scheinkaufs von 1433: Die sechs Herzöge bekennen, dat sodane Kop, Huldinge und Verdracht, die Otto und Friedrich einerseits und Heinrich andererseits um ihrer beider Landt vnd Lude allene gedan vnd gemaket hadden, schullen gentzliken vernichtet vnd gedodet sin.478 Stattdessen soll jeder seine Lande und Leute, de ein iowelk Part hefft vnd besit, alle beteiligten Fürsten in der näher beschriebenen Weise huldigen lassen. Dabei wird kein konkreter Erbgang festgelegt. Vielmehr wird das „Recht“ als Marschroute für die Sukzession herangezogen. Land und Leute desjenigen, der ohne Liues-Mannes-Eruen abgehe, sollten na Erues-Recht, so sick van Zibbetale vnd Rechte geboret, an einen oder mehrere unter den Überlebenden fallen. Auf welches „Recht“ hier konkret abzustellen ist, ist nicht ohne weiteres erkennbar. „Hausrecht“, vorangegangene Vereinbarungen im Welfenhaus, auch zwischen den nun Beteiligten, dürften nicht gemeint sein. Die Erbverbrüderung zwischen der Lüneburger und der Braunschweiger Linie, diese Braunschweig und „Calenberg“ umfassend, im Teilungsrezess von 1428 und diejenige zwischen den beiden Braunschweiger Teillinien Wilhelms und Heinrichs im Teilbrief von 1432 werden nicht erwähnt.479 Hätten sie aber die Grundlage der Erues-Rechte bilden sollen, so wäre mit einer expliziten Erwähnung zu rechnen. So wird etwa in dem unter demselben Datum errichteten Hauptvertrag auf die Teilungsrezesse Bezug genommen (na Lude der Deilbreue). Vor allem aber deutet der Wortlaut Erues-Rechte, Zibbetale und Rechte darauf hin, dass das allgemeine, gerichtsbezogene Recht480 den Maßstab für die Erbfolge abgeben sollte. Offensichtlich sollte, wie sich aus dem Maßstab der Zibbetale ergibt, beim Erlöschen einer der beteiligten Teillinien im Mannesstamm in dessen Lande nach einem Parentelsystem, einer Erbfolge nach Familienschaften (Sippezahl) sukzediert werden, der am weitesten verbreitete Erbfolgeordnung.481 Mag auch diese Erbfolgeordnung nach dem Parentelsystem in einigen Konstellationen dazu führen, dass keiner überlebenden Linie die vollständige Verlassenschaft eines im Mannesstamm er478
Vertrag von Sonnabend vor Georgii 1442 (21. April 1442) abgedruckt bei A. U. Erath, S. 64 ff. 479 Eine Bezugnahme auf diese Vertragskonstruktion würde in diesem dreiseitigen Vertrag auch zu Unklarheiten führen: Im Falle des Erlöschens einer der Braunschweiger Zweige käme der jeweils überlebende Teil dieses Teilhauses zum Zuge. Erlischt aber Lüneburg, wäre unklar, welcher Braunschweiger Linie diese Lande zuzuordnen wären. 480 Dazu in Abgrenzung zum „Hausrecht“ J. Weitzel, Hausnormen, S. 39 ff., und oben A.II.2.c)bb). 481 Zu dieser Erbfolge H. Conrad, Bd. 1, S. 418.
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loschenen Zweiges des Hauses unzweideutig zuzuordnen ist,482 so schält sich doch das Motiv dieser Vereinbarung heraus: Es steht nicht die positive Entscheidung für das – gerichtsbezogene – „Recht“, sondern die Absage an das Instrument der Erbverbrüderungen zur Herstellung oder Sicherung eines Sukzessionsverbundes im Vordergrund. Dieses zumeist lediglich zweidimensionale Institut trägt den Keim der Ausgrenzung Dritter, an der Erbregelung unbeteiligter Familienzweige, in sich. Dies hatte Wilhelm am eigenen Leib gespürt. Darin liegt die Abkehr von der Erbverbrüderung begründet. Unterhalb – eher neben – diesem lockeren, allein durch in der Verwandtschaft wurzelndem Erbrecht begründeten Sukzessionsverbund wird die Unabhängigkeit der einzelnen Teillinien besonders betont: Derjenige, der einer erloschenen Linie nachfolgt, soll die Lande und Leute sunder Insage innehaben. Und solange die Paktierenden ane Liues-Mannes-Eruen nicht verstoruen sin (…), so schal vnnser nenes Lande vnd Lude, van sodaner Huldinge wegen, dem andern verplichtet sin, einnicherley Stücke, noch sick vnser einnich van allenthalben des andern Land vnd Herscup van Regiments, Vormundschup edder anderer Sake wegen underwinden – auf Grund welchen Rechtstitels auch immer; niemand soll sich in die Angelegenheiten der anderen Fürstentümer einmischen. Ausgenommen davon ist diejenige Vormundschaft, die rechtsgeschäftlich begründet ist. Auch der ebenfalls am 21. April 1442 zu Celle geschlossene Hauptvertrag betont noch einmal als Ziel des Vertragswerks die Beilegung von Zwietracht zwischen den Fürsten, aber zugleich deren Unabhängigkeit in ihren Herrschaften: vnser ein sall dem andern in sinen Landen vnd Luiden, alse einem islicken to sinem Deile togefallen sin, rawelicken besitten vnd hebben laten, vnd der gebrucken up sin beste. An den Anfang wird in dem Hauptvertrag eine Abrede über die Göttinger Herrschaft gestellt, die auch, wenngleich sehr viel kürzer, im ersten Vertrag ihre Erwähnung fand. Die Herrschaft über die Göttinger Lande hatte der schon lange des Regiments müde Otto Cocles knapp einen Monat zuvor an die Braunschweiger und Calenberger Regenten Heinrich und Wilhelm abgetreten.483 Die beiden Braunschweiger Linien sollen Regiment, Land und Leute im Fürstentum Göttingen besitzen und gebrauchen. Dafür wird den Lüneburgern unter demselben Datum ein besonderer Brief umb de Helffte, vnd vnsen Deil der vorgenanten Herschop gegeben.484 Ebenfalls wiederholend wird die Aufhe482 Mit dem Parentelsystem wurde für die zwischen dem Hause Braunschweig und dem Hause Lüneburg seinerzeit herrschende Konstellation im Ergebnis der gleiche Zuordnungsmaßstab gewählt, wie es auch mit den Erbverbrüderungen von 1428 und 1432 der Fall gewesen ist: Erlischt eine Braunschweiger Linie, sollten deren Lande an die überlebende Linie dieses Zweiges fallen, da der jeweilige Inhaber einer gegenüber den Lüneburgern vorrangigen Parentel angehört. Im Falle, dass die Lüneburger Teillinie erlöschen werde, konnte das Parentelsystem nicht weiterhelfen, zwischen den Braunschweiger Linien eine Entscheidung über die – alleinige – Zuordnung zu treffen, da beide Braunschweiger Linien, jedenfalls zur Zeit des Vertrages von 1442, derselben Familienschaft angehörten. Es würde dann geteilt werden müssen. 483 Urkunde vom 26. März 1442, HStAHann., Cal. Or 1, Nr. 21. 484 Diese Urkunde findet sich bei J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 160 ff.; die Lüneburger bedungen sich für ihre Genehmigung der pfandweisen Überlassung Göttingens an die beiden Braunschweiger Linien den Erhalt der Hälfte des Landes nach Ottos Cocles Tod aus.
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bung des Scheingeschäftes zwischen den Lüneburgern und Heinrich aufgegriffen und bekräftigt. Hinsichtlich seines anderen Anliegens, nämlich gegen das Pfandgeschäft der Lüneburger mit dem Bistum Hildesheim vorzugehen, konnte Wilhelm zwar keine Aufhebung desselben erreichen. Ihm und seinen Söhnen wurde aber für den Fall, dass die Lüneburger Pfandgeber die Pfandstücke zum Termin nicht auslösen wollten, das Recht eingeräumt, seinerseits die Pfänder auszulösen. Auch über die Feste Dachtmissen und die Lüneburger Ansprüche an Lehen, die in Vogteien, Gerichten und Gebieten Wilhelms und seiner Linie belegen sind und den Hintergrund für den Scheinverkauf der Lüneburger 1433 gebildet haben dürften, sowie zu Details der Lehnsverhältnisse in den Herrschaften Homburg und Everstein wurden Einigungen getroffen. Im Weiteren werden über diese aktuellen Reibungsflächen der Teillinien hinaus auch die kontinuierlichen Berührungspunkte erörtert und geregelt: Samtarchiv im Braunschweiger St. Blasius-Stift, Gebot zur Erbhuldigung in der im ersten Vertrag angeordneten Weise, Leibzucht, gegenseitige Verfügungsbeschränkung, Fragen der Gemeinschaftsrechte, insonderheit der Huldigung der Städte Lüneburg und Braunschweig. In der Schiedsabrede wird für Streitigkeiten zwischen zwei Vertragsparteien die dritte als Ouerman bestellt. Erst, wenn alle drei Parteien beteiligt sind, soll ein Außenstehender zum Schiedsmann berufen werden. Neben allem die friedliche, vor allem aber unabhängige Koexistenz Betonenden findet sich doch auch ein Element der Verklammerung: Jeder der Fürsten soll seine derzeitigen wie künftigen Räte, Kanzler und Schreiber auch den anderen louen vnd sweren laten, vnnser aller vnd vnser Herschop Beste to rathende vnd to doinde. Zugleich ist dieses Zeugnis des Aufkommens des Kanzleramtes485 aber auch ein Indiz für den institutionellen Ausbau, der sich im Rahmen der Teilfürstentümer vollzog und diesen forthin Stabilität verlieh. 1442 wurde keine erneute Annäherung zwischen Lüneburg und dem nunmehr aufgespaltenen Braunschweiger Zweig mehr versucht.486 Das Wechselspiel zwischen Teilung und Vereinigung, jedenfalls Annäherung, das über drei Generationen das Verhältnis, ja die äußere Gestalt der welfischen Fürstentümer Lüneburg und Braunschweig bestimmte, war zu Ende. Die Verfestigung und gegenseitige Unabhängigkeit der Teilfürstentümer hatten sich Bahn gebrochen. Zwar hielt man an der feudalen Verklammerung der Lüneburger und der Braunschweiger Hauptlinie durch das Gesamtlehen fest: 1442 nahmen auf Lüneburger Seite neben Otto, der schon 1420 mitbelehnt worden war, auch Friedrich und von den Braunschweigern neben dem ebenfalls 1420 schon mitbedachten Wilhelm auch sein Bruder Heinrich das Gesamtlehen von Kaiser Friedrich III. Entgegen.487 Zachariae teilt darüber hinaus eine entsprechende Verab485 Nach B. Krusch, Entwicklung, (1893) S. 207, 213 ff., erscheint erst seit 1442 der Kanzler in den welfischen Gebieten. 486 Der Vertrag vom 21. April 1442 wurde in einem Vertrag im Jahre 1446 bestätigt und bekräftigt, dieser ist abgedruckt bei J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 174 ff. Mit Vergleich vom 17. Dezember 1460 verpflichteten sich die Herzöge Wilhelm und Heinrich, Gebrüder, Wilhelm und Friedrich, Wilhelms Söhne, einerseits und Herzog Friedrich und seine Söhne Bernhard und Otto andererseits wegen ihrer bisherigen Irrungen noch einmal, den Vertrag vom 21. April 1442 einzuhalten. 487 StA Wolf., 1 Urk 97.
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redung innerhalb der folgenden Generation zur gemeinsamen Inempfangnahme des Samtlehens von vermutlich 1483 mit.488 Gleichsam unter diesem Mantel des Samtlehens wird jedoch auch weiterhin die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der einzelnen welfischen Fürstentümer betont. So beschworen 1487 up dem Rathuse tho Hanouer, in zwei weithin gleichlautenden Urkunden niedergelegt, der Lüneburger Regent Heinrich der Mittlere, der kurz zuvor, 1486, mündig geworden war, und auf Braunschweiger Seite Heinrich der Ältere, der im selben Jahr von seinem Vater in die Regentschaft geholt worden war, den Fortbestand der Teilung beider Lande.489 2. Die Nachfolgebehandlung innerhalb der sich verfestigenden welfischen Fürstentümer a) Lüneburg Nach seiner Entstehung aus der Teilung 1267/69 heraus wurde die Herrschaft Lüneburg in ihrer äußeren Gestalt 1388, 1409 und 1428, nicht zuletzt zur Aufwertung des durch Teilung im Umfang schwindenden Braunschweiger Teils, verändert. Aber von einer grundlegenden Teilung dieses Fürstentums lässt sich nicht sprechen. Auch nach 1428 blieb dies so – sieht man einmal von den temporären Abspaltungen der Nebenlinie Harburg, Gifhorn und Dannenberg im 16. Jahrhundert ab. Nach Bernhards Tod 1434 blieb sein Nachlass ungeteilt. Die Kompetenzen daran, innerhalb der Gesamthand, ordneten seine Söhne Otto und Friedrich490 nach einigem Hader im Jahre 1441. Unter Vermittlung des Markgrafen von Brandenburg und in Gegenwart des Bremer Erzbischofs und ihrer prelaten, mannen und des Rades to luneborch überließ Friedrich seinem Bruder Otto das alleinige Regiment orer herscapp 488
Successionsrecht, S. 87 f. Anm. 88: „Wahrscheinlich in das Jahr 1483, wo zwischen den Herzogen Wilhelm dem Jüngeren und Friedrich dem Unruhigen von Braunschweig und dem Herzog Heinrich d. Mittl. von Lüneburg unter Vormundschaft der Stände und seiner Mutter Anna v. Nassau, durch beiderseitige Räthe zu Braunschweig eine Vereinbarung über die vom Kaiser zu empfangene Belehnung gemacht worden ist, gehört folgende Urk. ohne Datum: ,Von Godes Gnaden wy Wilhelm und Frederik gebrudern, to Brunsvic u. Luneborg hertogen, bekennen openbar in u. mit dessem unsem breve vor uns, unse erwen u. nakomelinge, so also des hochgebornen fursten hern Hinrikes des iungerem (später hiess er der Mittlere) to Brunswig u. Luneborg hertogen, unses leven vettern vormundere u. rede de reyse to unsem allergnedigsten Heren dem romischen keyser, unse u. siner herschop Regalia von demsulven to unser u. siner sanden hand in entphanginge to irwerwende etc.“ 489 Urkunden bei A. U. Erath, S. 83 f.: (…) vnd mit vnsen liftiken Vingern ton Hilgen geschworn, vpp düssen gegenwerdigen Bref, so wy van Rechte scholden, so dan erfliken Verdracht, alß vnse zeligen Eldern vnd leuen Veddern in den Tiden, do se öre Lande erfliken gedelet hebben, gemaket vnnd vor vnns gelouet vnnd geschworen hebben, de mit den anndern Verdrachten, vpp den erfliken Verdracht wisende, vor einen fromen Fürsten an alle Indracht vnd Geuerde ful vnd al to holdende. 1489 leistet auch Heinrichs des Älteren Bruder Erich diesen Schwur (abgedruckt bei A. U. Erath, S. 84). 490 Friedrich wurde der Beiname „der Fromme“, Otto wahlweise „der Hinkende“ oder „Herzog von der Heide“ beigelegt.
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Brunszwick und lunenborch, Euerstein und homborch und aller Stede, Slotte und lude dar Inne belegen und beseten für die folgenden vier Jahre.491 Die Herrschaftsausübung durch Otto blieb aber in vielen Fällen an Friedrichs und der Stände oder Räte Zustimmung gebunden: Bei Veräußerungen, der Vergabe geistlicher Lehen, der Veränderungen der Abgaben des Landes und zur Kriegsführung bedurfte es der Einwilligung des Bruders und der Räte oder Stände.492 Lediglich die Vergabe der Außenlehen, die Schuldentilgung und die Einsetzung der Amtleute blieben Otto allein vorbehalten. Jedoch waren die Amtsträger, Schreiber, Vögte, Amtleute, seien sie schon eingesetzt oder würden sie erst durch Otto betraut, ebenso auch Friedrich verpflichtet. Friedrich wurde, wie im Einzelnen im Vertrag festgelegt, von Otto versorgt und – in Anbetracht der teils in Naturalien niedergelegten Versorgungsleistung ist dieser Ausdruck durchaus angebracht – verpflegt. Sein Interesse galt – wie sich auch an seinem weiteren Lebensweg noch zeigen wird – mehr dem Geistlichen als weltlicher Herrschaftsausübung. Die Regimentsvereinbarung erledigte sich schon 1446 mit dem Tod Ottos. Nun regierte Friedrich, bis er die Herrschaft, dat regiment zines lande vnd lude, 1457 seinen Söhnen Bernhard und Otto übergeben konnte.493 Der Vertrag zwischen Vater und Söhnen kam mit rade, willen und vullborde der namentlich als Zeugen angeführten Vertreter der drei Stände zustande.494 Otto, der noch unmündig, und Bernhard, der aus dem Kleriker- in den Laienstand zurückgekehrt war, versicherten dem Vater und den Ständen, nachdem dieser, wie sie es ausdrückten, ihnen zine prelaten mannen und Stade und alle zine undersaten an uns gewiset (…) Regiments wyse zick na uns to richttende, dass zunächst Bernhard, bis Otto einundzwanzig Jahre alt und damit volljährig geworden ist,495 allein und dann beide gemeinsam das Fürstentum regieren, dass sie Land und Leute, die sie nun haben und in tokomenden tyden hebbende werden nenewys delen, sondern sie schullen und willen in dem sampden unser lande und lude sittende bliuen under eyner Köst. Ganz ähnlich wie 1441 gegenüber seinem Bruder Otto blieben auch jetzt Friedrich Zustimmungsrechte zu Handlungen seiner Söhne, insbesondere zu Veräußerungen, die überdies der Einholung des Rates der Prälaten und 491
CDB II, 4, S. 235; vgl. auch O. v. Heinemann, Bd. 2, S. 185; O. Jürgens, Lande, S. 49; G. Pischke, Landesteilungen, S. 134 f. 492 Veräußerungen bedurften orer twyer prelaten, mannen vnd Stede Wytschopp, vulbordt vnd guden willen. Sollte Otto van des Reygymentis wegen geldes, gudes ader hulpe benötigen, soll ihm Friedrich behilflich sein Nach orer twyer Rede Radt. Mit Außenlehen, die innerhalb der vier Jahre ihnen anfallen mögen, kann es Otto so halten, alse dat vnsem Swager (aus Sicht des als Urkundenausstellers ausgewiesenen Markgrafen von Brandenburg) hertogen fredericken vnd orer twyer geswornen Rede dar vmmb nutte vnd redelik duncket wesen. 493 Urkunde abgedruckt bei A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 58 ff. (Nr. 7). 494 Dies waren die Äbte von St. Michaelis zu Lüneburg, von Oldenstadt, von Scharnebeck, die Pröpste von Ebstorf, Lüne und Medingen, elf Ritter sowie die Bürgermeister und Ratsherrn von Lüneburg. 495 Diese Mündigkeitsgrenze wird in der Urkunde ausdrücklich bestimmt. Zu den unterschiedlichen Festsetzungen des Mündigkeitsalters im Spätmittelalter H. Conrad, Bd. 1, S. 397 f.
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Ritter des geschworenen Rates und der Städte bedurften, und zu bestimmten Lehnsvergaben, vorbehalten, hatte er diesen doch sine lande und lude by zines volmacht also in Regimentes wyse to bestellende, mithin nicht die Substanz, sondern allein die Regierungsgewalt übergeben. Wiederum sollten die Amtsträger auch ihm verpflichtet sein. Am ausführlichsten wurden die erneut nicht nur in Geldzahlungen bestehenden Versorgungsleistungen der Söhne an den Vater geregelt. Diese fielen allerdings geringer aus, als diejenigen, die Otto 1441 für seinen Bruder übernommen hatte. Friedrichs Bestreben, sich der weltlichen Herrschaft gänzlich zu enthalten, hatte wiederum nur zeitigen Erfolg. 1464 starb Bernhard, 1471 Otto. Schon v. Heinemann und Jürgens berichten, dass Friedrich von den Ständen veranlasst worden sei, die Herrschaft für Ottos zu diesem Zeitpunkt dreijährigen Sohn Heinrich zu übernehmen.496 Die Quellen zeichnen allerdings eine allenfalls formale Herrschaftsstellung, die Friedrich nun zu bekleiden hatte. Materiell lag die Herrschaft bei einem ständischen Vormundschaftsrat. Nicht von ungefähr bezeichnet Jacobi diesen Rat in der Überschrift zu einer Urkunde von 1472 mit den Worten: „Verein der für den Herzog Heinrich bestellten Vormundschaft, über die von ihr zu führende Landesregierung (…).“497 Diesen „Verein“, in dem sechs Prälaten, der Rat der Stadt Lüneburg sowie elf Ritter vertreten sind – bis auf fünf nun hinzutretende Ritter weist er dieselbe Zusammensetzung auf, wie das 1457 bei der Herrschaftsübertragung von Friedrich auf seine Söhne handelnde Gremium ständischer Vertreter –, hatte bereits Otto für seinen minderjährigen Sohn eingesetzt. Friedrich bestätigte diese Einsetzung, wie sich aus der genannten Erklärung des Vormundschaftsrates von 1472 ergibt. Zunächst hatte Friedrich bald nach Ottos Tod 1471 den Praelaten Manne undt Steden unßes Landes Luneborg unter Bezugnahme auf eine Zusage seiner Söhne bei einer Geldbewilligung des Landes die drei Stände ihrer Rechte versichern und ihnen versprechen müssen, neue Schatzungen nur im Kriegsfalle und nur mit ihrer Zustimmung erheben zu wollen. Auch bei der Verwaltung und Verwendung der mit der Schatzung zu erzielenden Gelder sollten Räte, es handelt sich um je einen namentlich benannten Vertreter aus den drei Ständen, mitwirken.498 Der ganze Umfang des ständischen Machtbewusstseins kommt dann in der schon angeführten Erklärung des ständischen Vormundschaftsgremiums zur Landesregierung zum Ausdruck. In der Beschreibung ihrer Bestellung zu Vormündern, vor allem in dem Bericht von deren Bestätigung durch Friedrich verwischt die Grenze zwischen zukünftiger Vormundschaft für Heinrich und aktueller Herrschaftsausübung für, jedenfalls neben Friedrich. Otto, der eine weit umfangreichere Titulatur als Friedrich im Urkundstext erfährt – de hochgeborne ffurste und herr, hern Otto to Brunswigk und Luneborch Hertoge mylder Dechtnusse –, hatte ihnen die Vormundschaft für Heinrich übertragen und seinen Vater gebeten, Land und Leuten vorzustehen. Nun, na der Tyd in siner Krangkheyt, und alse he eyn Olt verleuet Here is, habe Friedrich seinen geistlichen und weltlichen Räten und 496 O. v. Heinemann, Bd. 2, S. 194; O. Jürgens, Lande, S. 49; ihnen folgend auch G. Pischke, Landesteilungen, S. 136. 497 Bd. 1, S. 76 ff. (Nr. 9). 498 A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 70 ff. (Nr. 8).
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dem Rat von Lüneburg und danach dem bereits installierten Rat befohlen, seinem Enkel Heinrich und seinen Landen und Leuten vorzustehen.499 Diese Darstellung kann auch so verstanden werden, dass Friedrich nicht nur eine – sich zukünftig aktualisierende – Vormundschaftsstellung des Rates anordnete, sondern auch eine jetzt aktuelle Regimentsstellung, sei sie in Heinrichs oder seinem Namen, entweder als dessen Vormund oder als Träger einer eigenen Herrschaftsgewalt. Dieses Verständnis legt vor allem der folgende Befund des Vormundschaftsvereins nahe: Friedrich sei krank und Heinrich ein Kind.500 Noch deutlicher werden die ständischen Vertreter in ihrer Erklärung zur Dauer der Vormundschaft: (…) alse wy (…) dat Regiment na lude der Scryffte, twisschen deme gntl. vnsen gnedigen Heren Hertogen ffredericke, vnd vns, darouer gemaket, vnd vorsegelt,501 angenamet hebben. Vorsorglich verwehren sich die ständischer Vormünder gegen eine Einmischung der Braunschweiger Vettern Friedrichs. Nach Aussage der Teilungsurkunden sollten, solange Friedrich nicht ohne Manneserben verstorben sei, sick denn siner veddern, nein siner lande edder herschupp, van Regimenst vormundeschuppen Edder anderer Sake wegenn, underwinden. Anders liege es, wenn einer aus der Braunschweiger Linie zum Vormund gekürt worden wäre. Dies sei aber nicht der Fall, sondern sie, die Erklärenden, seien dazu gekürt worden. Über diese wertende Schilderung ihrer Vormundschaftsstellung hinaus begeben sich die Vormünder – in derselben Urkunde – auch sogleich an das Regieren: Sie errichten eine, wie es v. Arnswaldt zutreffend formuliert, „ausführliche Landfriedensordnung, die für alle Untertanen von nun an verbindlich sein soll“.502 Abschließend fügten die Lüneburger Stände in ihre „Regierungserklärung“ noch ein ihnen insbesondere nach den Erfahrungen des Lüneburger Erbfolgestreits wesentliches Anliegen ein: Bei erbenlosem Tod Friedrichs und Heinrichs wollten sie denn vor allen Dingen, Eynen Heren, dem dat van rechteswegenn geboren mochte, tolaten, und under dem, eynherich, bliven, und wesen willen und schullen. Natürlich muss dieser eine Herr ihnen zuvor, dies wird ausführlichst beschrieben, sämtliche Rechte und Privilegien bestätigen. Wenn Friedrich in seinem Testament von 1477503 erklärt, er wolle zu Lebzeiten nach Bitte und Begehr seiner getreuen geistlichen wie weltlichen Räte und des Rates der Stadt Lüneburg bei dem Regiment seiner Lande und Leute bleiben, bis Heinrich das achtzehnte Lebensjahr vollendet habe, und wenn er überdies für den Fall, dass er vor Heinrichs achtzehntem Geburtstag sterbe, diejenigen, die ihn zum Regimentsverbleib gedrängt haben, to rechten waren Vormundern Heinrichs einsetzt, 499 Friedrich hat sinen Reden geheystlick und wortlick und dem Rade van Luneborch unwedderroplicken (…) und darna (…) uns sines Sones Sone, unsen jungen Herrn, Hertogen Hinricke und sine Lande und Lude to vorstande und truweliken vortowesende, ok bevolen. 500 (…) vnse here hertoge ffrederick Dagellick seher affbrickt vnd vorkrangket vnd synes Sones Sone noch eyn Kynd is. 501 Gemeint ist, wie im Folgenden deutlich wird, die Verpflichtung Friedrichs von 1471 (Anm. 73). 502 S. 88. 503 Abgedruckt bei Ph. J. Rehtmeier, S. 1318 f.
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so mag daraus zu folgern sein, dass die Stände entweder 1472 etwas zu selbstbewusst aufgetreten sind oder aber, dass sie die ihnen zukommende Stellung nicht haben ausfüllen können oder wollen und – nach 1472 – tatsächlich Friedrich veranlasst haben, die Herrschaftsausübung an sich zu ziehen. Licht in diese Frage der Kompetenzzuteilung bringt indes der ganz am Ende des Testamentes von Friedrich formulierte Vorbehalt, dass er, solange er lebe, alle geistlichen Lehen, die von ihm und seiner Herrschaft zu Lehen gehen, allein verleihen will. Offenbar werden die übrigen Regimentsbefugnisse nicht von ihm, jedenfalls nicht allein ausgeübt. Für den Fall, dass Heinrich und er ohne Manneserben abgingen, ordnet Friedrich nicht an, sondern setzt voraus, dass dann die Braunschweiger Fürsten Wilhelm, Wilhelm und Friedrich, de nu to unsen Landen und Luden negest Erven sint, nachfolgten, und zwar nur einer von ihnen. Mit dieser letztgenannten Einschränkung nimmt er in sein Testament diese Erfahrung aus dem Erbfolgekonflikt hundert Jahre zuvor, die auch die ständischen Vormünder 1472 betont hatten, auf. Der ständische Einfluss auf die Abfassung des Testamentes zeigt sich darin, dass auch Friedrich herausstreicht, der mögliche Nachfolger müsse den Ständen vor deren Huldigung ihre Rechte und Privilegien zusichern. Nach Friedrichs Tod 1478 führte neben dem ständischen Rat Heinrichs Mutter Anna von Nassau für ihren Sohn die Regentschaft, bis dieser 1486 volljährig wurde.504 b) Grubenhagen Dieses schon seit 1292 bestehende welfische Fürstentum war kaum teilbar. Es bestand nur aus zwei kleineren Herrschaften um die Städte Osterode und Einbeck und den Schlössern Osterode, Herzberg, Salzderhelden und Grubenhagen.505 Entsprechend mieden die Fürsten dieses welfischen Zweiges bis 1481 die Realteilung des Landes. Ernst hinterließ nach seinem Tod 1361 vier Söhne, die alle, wenngleich nicht gleichzeitig, zur Regentschaft kamen. Zunächst führten Albrecht und Johann die Regierung, bis Johann 1364 dem geistlichen Stand beitrat. Nach Albrechts Tod 1383 regierte als Vormund für Albrechts Sohn Erich sein Bruder Friedrich. Der vierte Bruder, Ernst, verlangte nach Albrechts Tod eine Beteiligung an der Herrschaft. Gegen die Überlassung der Landesherrschaft an ihn allein überließ ihm Friedrich 1384 das Schloss Herzberg mit Zubehör auf Lebenszeit.506
504 A. U. Erath, S. 82; A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 77 f., Anm. zu Nr. 9; E. Schubert, Niedersachsen, S. 792 f. und bes. S. 862. 505 Das Schloss Grubenhagen findet allerdings in dem Herrschaftsvertrag von 1402, mit dem eine Zuteilung der Schlösser vorgenommen wurde, – anders als in dem Vertrag von 1481 – keine Erwähnung. 506 G. Max, UB Nr. 73.
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aa) Der Vertrag von 1402 Nachdem sein Mündel Erich 1398 volljährig geworden war, stand eine Ordnung der Regentschaft mit dem Vormund aus. Diese erfolgte unter tatkräftiger Mitwirkung der Räte, die aber augenscheinlich auch als Repräsentanten der Stände auftraten, im Jahre 1402. In einer einzigen Urkunde niedergelegt trafen Erich und Friedrich zum einen Bestimmungen zur Zuordnung der Rechtsmasse Grubenhagen und der materiellen Kompetenzen daran; zum anderen wird auch der Vollzug der Regelungen beurkundet.507 Kern des Vertrages war die Abrede zwischen Erich, der als Aussteller der Urkunde auftritt, und Friedrich, Herrschaft, Land und Leute gemeinsam einträchtig besitzen zu wollen. Entsprechend sollten die einzigen beiden Herrschaftszentren des Fürstentums, die Städte Einbeck und Osterode, beiden Herzögen huldigen. Gleichsam eine Ebene unterhalb dieser Abrede werden dann zunächst beiden Fürsten Schlösser als Wohnsitze zeitlich befristet zugewiesen: Erich erhält für drei Jahre Salzderhelden, Friedrich Osterode und Herzberg. Vor allem werden die Kompetenzen mit einem deutlichen Übergewicht zu Gunsten Friedrichs zugeteilt. Widersprüchlich zur Verabredung einer gemeinschaftlichen Rechtsträgerschaft an Herrschaft, Land und Leuten anmutend, jedoch als Ausdruck des Charakters einer Befugniszuweisung innerhalb dieser mit moderner Terminologie als sachen-, vor allem erbrechtliche zu beschreibenden Zuordnungsgemeinschaft überträgt Erich Friedrich ihrer beider Schlösser, Land und Leute. Sogleich lässt er aber seinen Schutz über seine geistlichen und weltlichen Untertanen bestehen. Dieses Modell des Vorrangs Friedrichs ohne Ausschluss Erichs an der Herrschaft kennzeichnet den Vertrag. Einerseits soll Friedrich als Ältester die geistlichen wie weltlichen Lehen ausgeben. Ihm soll Erichs Schloss Salzderhelden offen stehen, während dies für Friedrichs Schlösser nicht zu Gunsten Erichs vereinbart wurde. Vor allem entlässt Erich die eingangs der Urkunde als Mitwirkende benannten Ritter sowie Stadträte aus seiner Herrschaft und weist sie an Friedrich. Dieser Überweisung folgend erkennen die Räte Friedrich als neuen Landesherrn an. Andererseits behält sich Erich eine zentrale Mitsprachebefugnis vor: Die Ahndung von Unrechtshandlungen der weltlichen wie geistlichen Untertanen; diese sollen die Herzöge freundschaftlich und rechtmäßig regeln. Die Kleinheit und Enge des Fürstentums spiegelt sich in der Kompaktheit des Vertragswerks wider: Vier Ritter und die Räte der beiden Städte wirken an diesem mit, werden aus ihren Eiden entlassen, an den neuen Herrn, Friedrich, überwiesen und huldigen diesem sogleich – offenbar stellvertretend für das ganze Land. Die Zukunftsperspektive der getroffenen Gemeinschaftsvereinbarung bleibt auf die nächste Generation begrenzt: Nach Friedrichs Tod soll sein Sohn Otto in seine vertraglich bestimmte Rechtsposition einrücken; allerdings fällt die Lehnskompetenz an den dann zum Senior aufrückenden Erich.
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Urkunde vom 21. Mai 1402, StAWolf., 2 Urk 1, Nr. 17.
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Friedrich starb 1421; für ihn trat sein Sohn Otto bestimmungsgemäß in die Herrschaftsbeteiligung ein.508 Er führte nach Erichs Tod 1427 auch vormundschaftlich für die vier Söhne Erichs die Regierung, bis er offensichtlich 1437 aus der Regentschaft selbst ausschied. Unter den Söhnen Erichs führten neben Heinrich III. auch seine Brüder die Regierung, bis sie in den geistlichen Stand eintraten. Diesen verließ Albrecht wieder, um – zwischen 1464 und 1476 als Vormund für seinen Neffen Heinrich IV. – die Herrschaft zu führen. bb) Die Einigung von 1481 Nachdem Heinrich volljährig geworden war, grenzten Onkel und Neffe 1481 im Wege der Teilung ihre Anteile am Fürstentum Grubenhagen gegeneinander ab.509 Dabei erscheinen die beiden Herzöge zwar als Vertragsparteien. Ausgehandelt und abgeschlossen haben aber die Vertreter der drei Stände, die Kapitel von St. Alexander und des Liebfrauenstiftes in und vor der Stadt Einbeck, die Ritterschaft und die Räte der Stadt Einbeck und Osterode, den Vertrag mit Willen, Wissen und Zustimmung der Herzöge – ein Novum in der welfischen Erbteilungsgeschichte, das die bisherige Rollenverteilung umkehrt. Viel zu verteilen gab es auch 1481 nicht. Es standen, wie schon 1402, die drei Burgen Herzberg, Osterode und Salzderhelden zur Verteilung, nun allerdings abweichend ergänzt um die namensgebende Burg Grubenhagen. Die Teilung folgte dem Muster von 1402: Albrecht und seinen Erben wurde Herzberg und Osterode zugewiesen. Für Heinrich und seine Erben blieb dagegen nur eine nicht mit aktuellem Gebrauch angefüllte Rechtsposition: Er erhielt lediglich den Anspruch auf die Burg Salzderhelden, die zur Zeit noch seiner Mutter zur Leibzucht verschrieben war. Die Burg Grubenhagen sollte zwischen beiden gleichmäßig geteilt werden.510 Hinsichtlich der mit allen Gerechtigkeiten und allem Zubehör zugeteilten Burgen erhielt jeder freie Verfügungsbefugnis. Jedenfalls Vergabungen zu Pfande und zur Leibzucht bedurften keiner Verständigung mit dem Vertragspartner oder seinen Erben. Anderer Alienationsformen wurde nicht gedacht. In Gemeinschaft sollten die Städte Einbeck und Osterode, Jagd und Bergwerk der Burg Osterode und alles Aufkommen und alle Gerechtigkeiten der Herrschaft, beruhten sie auf geistlichen oder weltlichen Gerechtsamen, verbleiben. Hinter dem Aufkommen dürfte sich die Landbede verbergen. Die weltlichen oder geistlichen Gerechtigkeiten dürften sich auf die Lehen beziehen, die nicht den Burgen zugeordnet waren. Sie blieben beiden zugeteilt; hinsichtlich ihrer Vergabe wurde ein Seniorat verabredet.511 Die jeweiligen Anteile sollten im Mannesstamme vererbt werden, wie sich aus der Zuteilungsabrede ergibt. Für den Fall des söhnelosen Todes einer Linie sollte die andere Seite die Burgen und Städte dieses Anteils behalten. Formuliert wird dies anhand des Falles, dass einer der Her508
Zur Nachfolge Friedrichs und Erichs vor allem P. Zimmermann, S. 42 ff.; ihm folgend auch G. Pischke, Landesteilungen, S. 74. 509 Teilungsrezess vom 3. Januar 1481: HStAHann., Cal. Or 4 I, Nr. 17. 510 Diese Teilung erfolgte zwei Jahre später, G. Pischke, Landesteilung, S. 192. 511 Das Seniorat zur Vergabe der geistlichen Lehen wurde 1483 zu Gunsten einer alternierenden Befugnis aufgegeben, ebd.
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zöge nur von Frauen überlebt würde, also söhnelos verstürbe. Damit dann die Herrschaft nicht an eine andere Herrschaft falle, solle sie der überlebenden Grubenhagener Linie verbleiben. Im Zuge dessen wird auch eine Frage beantwortet, die eigentlich seit Jahrhunderten gar nicht mehr gestellt wurde, nämlich diejenige nach dem Erbrecht der Töchter, und zwar im Verhältnis zu den Kollateralen: Stirbt einer der Herzöge ohne Manneserben, hinterlässt er aber unversorgte Töchter, so erhalten diese nicht die Burgen und Städte als Erbe, sondern sollen von dem den Anteil erbenden Fürst der anderen Linie unter Mitwirkung der Stände versorgt werden. Selbst für den Fall, dass beide Linien im Mannesstamm erlöschen, wird für die überlebenden Frauen gesorgt: Sie werden myt der hersschop lande mit alle tobehorunge beknechtelent, so dass ihnen daran auch gegenüber dem neuen Landesherrn – ane jemands insage – ein Gebrauchsrecht zusteht.512 Aus welchem Hause allerdings dieser neue Landesherr sein wird, darüber konnte der Vertrag zwischen den beiden Grubenhagenern naturgemäß keine Bestimmung treffen. Unter der Nomenklatur der Erbteilung – eine solche erklärten die nicht nur moderierenden, sondern dem Wortlaut der Urkunde nach sogar entscheidenden Stände vorzunehmen – scheinen 1481 die hergebrachten Grenzen zwischen Erbteilung mit Erbverbrüderung und Alienationsbeschränkung als Substanzschutz einerseits und Gemeinschaftserhalt andererseits zusehends zu verwischen. Im Grunde aber lässt sich die Auseinandersetzung von 1481 noch dem überkommenen Schema der Realteilung unter Beibehaltung von gemeinschaftlichen Rechtspositionen zuordnen. Indes ist diese Gemeinschaft weitreichend und gewissermaßen materialisiert, nicht bloß eine Gemeinschaft an der fürstlichen Würde. Zu ihr gehörte die Lehnshoheit – lediglich die Vergabe erfolgte in Form des Seniorats –, das unbenannte, wohl in der Landbede bestehende Aufkommen der Herrschaft und die Städte. Auf der Ebene darunter wird allerdings nicht allein die Nutzung von Herrschaftseinheiten, Burgen mit Zubehör und Gerechtigkeiten, geregelt. Vielmehr werden der Gebrauch und vor allem der erbliche Besitz individualisiert. In dieser Dauerhaftigkeit, der Erblichkeit der zugeteilten Rechtsposition besteht der wesentliche Unterschied zu der einzigen als Mutschierung auch bezeichneten Erbauseinandersetzung im Welfenhaus, derjenigen von 1483. In Anbetracht dessen und der dieser Zuteilung entsprechend ausdrücklich formulierten Verfügungsfreiheit der beiden Linien in ihrem jeweiligen Anteil kann man kaum von einer bloßen Nutzungsteilung sprechen. Wenigstens sprachlich nicht eindeutig ist allerdings, ob man für den Fall des Erlöschens einer Linie im Mannesstamm von einem Erbgang – dies spräche für Realteilung – oder einer Anwachsung – dies wäre ein Kennzeichen des Gemeinschaftserhaltes an der Substanz und entsprechend einer bloßen Nutzungszuteilung – ausging. Es bleibt eine Unsicherheit bei der Typisierung dieser Erbregelung. Ohnehin verlaufen die Trennlinien der einzelnen Typen der Erbauseinandersetzung kaum randscharf. Dies muss ganz besonders in dem engen Rahmen Grubenhagens seine Gültigkeit haben. Denn die Produkte der Auseinandersetzung, die eine Seite erhält lediglich eine im Besitz Dritter befindliche Burg, 512 Unter dem „Knechtlehen“ wird ein ursprünglich nur in männlicher Erbfolge verliehenes Lehen verstanden, Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. VII, Sp. 1149, „Knecht(e)lehen“.
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waren ihrerseits kaum als Land oder Fürstentum anzusprechen. Insofern ist im Ergebnis wohl Pischke zuzustimmen, dass das Fürstentum ungeteilt blieb.513 Die 1481 gebildeten Teile fanden unter den Söhnen Albrechts, der 1485 starb, wieder zusammen, da Heinrich bei seinem Tode 1526 keine Manneserben hinterließ. c) Göttingen Nach dem Tod des wenig friedvollen Vaters, Ottos des Quaden, 1394 führte – zunächst bis zu seiner im Jahre 1398 vom Kaiser erklärten Volljährigkeit unter Vormundschaft des Braunschweiger Regenten Friedrich – sein gleichnamiger Sohn Otto Cocles ein friedfertiges Regiment. Getrübt war Ottos (Cocles) Herrschaft allerdings von einer stetig steigenden Schuldenlast sowie seiner Kränklich- und Söhnelosigkeit.514 Die von daher sich abzeichnende Folge der Erledigung des Göttinger Fürstentums blieb auch den anderen welfischen Linien, Grubenhagen ausgenommen, nicht verborgen. Schon seit 1409 nahmen die Fürsten dieser zwei, seit der Abspaltung „Calenbergs“ 1432 drei Herrschaften, die aus der Zeit ungeteilter Herrschaft nach der Ermordung des Braunschweiger Friedrichs (1400) seit 1401515 in Erbverbrüderung mit Göttingen verbunden waren, die Exspektanz auf das Fürstentum Göttingen, die Huldigung durch die Göttinger Lande, in ihre Erbauseinandersetzungsverträge mit auf.516 1435 beugte sich Otto den Schulden und der Krankheit. In einem für das welfische Haus bis dahin außergewöhnlichen Vertrag kam er vmme gebrek willen mit seinen Ständen, seinen erbaren reden, manschopp vnnd steden, überein, befahl ihnen und bevollmächtigte sie, sein lant vnnd lude (…) to reygerende vnd to vorstande.517 Aus den Ständen wurde ein Gremium namentlich benannter Vertreter eingerichtet, das einen Landvogt wählen und über das Land setzen sollte. Diesem Vogt kam die umfassende Befugnis zur Regierung zu; auch sollte er über alle Schlösser und Gebiete die ganze Macht haben, darüber Amtleute und Gehilfen ein- und abzusetzen; vor allem sollte er die fürstlichen Einnahmen und Ausgaben besorgen und darüber Rechenschaft ablegen. Zusammen mit dem ständischen Rat war es dem Landvogt sogar erlaubt, Schlösser oder Gut zu verpfänden. Otto hingegen war es ausdrücklich verboten, ohne Erlaubnis des Ständerats Schlösser, Land und Leute und Einkünfte zu veräußern oder auch nur zu verpfänden. Für den Fürsten blieb eine bis die Einzelheiten hinein ausgehandelte Versorgung mit einer jährlichen Pensionszahlung von 200 Gulden und dem Unterhalt eines bescheidenen Hofstaats. Eines behielt sich Otto aber bei aller Entäußerung hoheitlicher Rechte, deren Reichweite besonders deutlich in 513
Landesteilungen, S. 191. W. Havemann, Bd. 1, S. 680. 515 Sud. IX 114. 516 So 1409, 1428, 1432, 1442. 517 15. Juli 1435: HStAHann. Cal. Or. 1 Nr. 14, Abgedruckt bei J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 152 ff. 514
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der Aushändigung des herzoglichen Siegels an Landvogt und Rat verbunden mit dem Versprechen Ottos, kein zweites Siegel besitzen und gebrauchen zu wollen, zum Ausdruck kommt, vor: Die geistlichen und weltlichen Lehen wollte er, wenngleich na rade, weten vnde vulborde der ghenanten vnser erbaren reden, manscoppen vnde steden oder des Landvogts, ausgeben.518 Die Übergabe der Herrschaftsgewalt an die Stände des Fürstentums erregte Empörung im Reich.519 In einem Schreiben Herzog Gerhards von Jülich-Berg an die Göttinger Stände tadelte dieser unter Berufung auf Beratungen mit Otto die Stände, dass sie diesem den Herrschaftsverzicht nahe gelegt hätten, und verwies sie auf ihre Pflicht, ihm, Otto, als ihrem rechte geboren erfherre wieder zu seinem Recht zu verhelfen. Ob dieses Schreiben die Stände beeindruckte, lässt sich nicht mehr klären. Jedenfalls vermochten die Stände nicht, das ihnen übertragene Regiment tatsächlich anzutreten. Zwar leistete der Ritter Bodo von Falkenstein den Ständen den Amtseid als Landvogt.520 Doch schon 1436 nahm Otto eine Kompetenz wahr, derer er sich nach dem Wortlaut von 1435 entäußert hatte, und verpfändete die Schlösser Münden und Sichelstein für 6.000 Gulden der Ritterschaft seines Fürstentums.521 Und auch ein Jahr später wird sinnfällig, dass Otto offensichtlich noch als Herr des Landes galt, jedenfalls als solcher auftreten konnte. Er übergab die Herrschaft seines Fürstentums gegen eine Zahlung von 10.000 Gulden an Wilhelm, den „Calenberger“ Regenten.522 Nach Havemann geht dieser Vertrag auf ein Anerbieten Wilhelms, den Geldbetrag zur Einlösung der verpfändeten Schlösser bereitzustellen und das Fürstentum schon jetzt zu übernehmen, zurück, da ihm wie den anderen welfischen Agnaten der Vertrag mit den Ständen von 1435 nicht behagte.523 Implizit erfuhr dieser „Verkauf“ sogar eine Absegnung durch das Reich. König Albrecht II. forderte Otto Cocles ausdrücklich auf, die einander gutlichverschreibung von Land und Leuten unverrucket zu halten und niemanden davon wissen zu lassen – dies zielt auf die seit 1409, dann 1428, hinsichtlich des Erwerbs Göttingens mit der Braunschweiger Linie verbundenen Lüneburger Fürsten ab –, denn er, der König, sehe ungern, dass Wilhelm, der in kaiserliche Dienste berufen war, während der Erledigung auswärtiger Angelegenheiten in Polen an solicher vorberurten verschribung und vereynung verkurzet werde.524 Noch im selben Jahr nimmt Wilhelm seinen Bruder Heinrich, den Braunschweiger Fürsten, mit in die an Göttingen erworbenen Rechte gegen Zahlung der Hälfte des Kaufpreises auf.525 Das Land Göttingen soll ebenso wie seine Einnahmen beiden zustehen. Die Regierung hingegen soll allein Wilhelm führen. Die Ansprüche der Lüneburger Vettern sollen abgelöst werden. Schließlich wird 518
Zur Bedeutung der Aktivlehnsbefugnis unten B.IV.2.b) und IV.2.d). Zum Folgenden mit den Belegen E. Schubert, Niedersachsen, S. 795. 520 UB Göttingen, Bd. 2, 116 (Nr. 171). 521 UB Göttingen, Bd. 2, 124 ff. (Nr. 176). 522 Wilhelms Schuldübernahmeverpflichtung und Ottos Herrschaftsübergabe datieren jeweils auf den 18. April 1437, UB Göttingen, Bd. 2, 127 ff. (Nr. 179 und 180). 523 Bd. 1, 682. 524 Abgedruckt ist dieses Schreiben von 1438 bei W. Havemann, Bd. 1, S. 682 f. Anm. 2. 525 UB Göttingen, Bd. 2, S. 135 ff. (Nr. 181). 519
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verabredet, dass Göttingen ungeteilt bleiben soll. Die Zuständigkeit am Fürstentum Göttingen wurde 1442 zwischen Wilhelm und Heinrich unter Zuziehung Ottos (Cocles) neu geordnet: Wilhelm erhielt die Schlösser Brunstein, Moringen und Harste; Heinrich die Schlösser Gandersheim, Seesen und Stauffenburg; Otto behielt Uslar, jeweils mit allen Gerichten, Gerechtigkeiten und Zubehörungen. Nach dem Erlöschen der Göttinger Linie sollten aber die abgesondert zugeordneten Schlösser wieder unter der Gesamthand beider Braunschweiger, seit 1432 Wolfenbütteler wie „Calenberger“ Linie, vereinigt werden.526 Ebenfalls 1442 trat Otto dann das Land Göttingen pfandweise an Wilhelm und Heinrich ab.527 In diesen Zustand, den Besitz Göttingens durch die beiden Braunschweiger Linien, willigten die Lüneburger Regenten unter Verwahrung ihrer Rechte mit dem Vertrag vom 21. April 1442 ein.528 Faktisch war die Vereinigung des Göttinger Fürstentums mit Calenberg schon durch den Verkauf von 1437 in die Wege geleitet worden.529 Heinrich hatte sich im Laufe der Jahre bis zu seinem Tode aus seiner Rechtsposition an Göttingen wenn auch im Streit, so doch zu Gunsten Wilhelms zurückgezogen. Nach Ottos (Cocles) Tod 1463 überließ der Lüneburger Regent Bernhard seinen ihm 1442 vorbehaltenen hälftigen Anteil an Göttingen den Brüdern Wilhelm und Heinrich pfandweise auf zehn Jahre gegen einen Betrag von 29.000 Gulden.530 1468 überließ dann Heinrich das verbleibende Viertel an Göttingen gegen 14.500 Gulden auf zehn Jahre an Wilhelm.531 d) Braunschweig und „Calenberg“ aa) Die Teilung von 1432 Auch die 1428 geformte Gestalt des Fürstentums Braunschweig hatte nicht die Stabilität der anderen welfischen Herrschaftsgebilde. Es hatte gerade vier Jahre Bestand. Hatte damals, 1428, Wilhelm seinem Onkel Bernhard eine – die Auseinandersetzung von 1409 umgestaltende – Erbteilung auch im Namen seines Bruders Heinrich abgetrotzt, war es nun dieser, der, volljährig geworden, auf die Auseinandersetzung der Gemeinschaft mit seinem Bruder drängte. Der Hintergrund dürfte ganz ähnlich dem der Teilung von 1267/69 gewesen sein:532 Heinrich wollte die vielfachen auswärtigen Unternehmungen Wilhelms nicht mehr mittragen; sein Erbteil sollte nicht mehr für deren Kosten mithaften. Heinrich nutzte eine Abwesenheit Wilhelms, um die Burg Wolfenbüttel, die sich allerdings erst später zur Residenzstadt der gleich526
21. März 1442, StAWolf., 2 Urk 1, Nr. 36; H. Kleinau, S. 34. 26. März 1442, HStAHann., Cal Or 1, Nr. 21. 528 Dazu oben B.III.1 bei Anm. 58 f. 529 So auch E. Schubert, Niedersachsen, S. 795. 530 A. U. Erath, S. 80; G. Pischke, Landesteilungen, S. 182. 531 A. U. Erath, ebd.; zum Fortgang der „Göttinger Frage“ unten IV.2.e). 532 Zu den Hintergründen der Teilung von 1432 Ph. J. Rehtmeier, S. 718 f.; A. U. Erath, S. 53 f.; O. v. Heinemann, Bd. 2, S. 197 ff.; G. Pischke, Landesteilungen, S. 137 ff.; E. Schubert, Niedersachsen, S. 796 f. 527
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namigen welfischen Linie entwickelte, einzunehmen. Nach Rückkehr Wilhelms kam es zum Bruderkrieg, bei dem Heinrich auf die Unterstützung der Stadt Braunschweig bauen konnte. Durch Vermittlung des Landgrafen von Hessen konnte ein Frieden geschlossen werden, in den die Teilung des Landes als Bedingung inbegriffen war. Über das Prozedere der Teilung, etwa auch die Person des Teilenden, sind wir nicht unterrichtet. Der Teilungsrezess vom 23. November 1432533 bestätigte die von Heinrich geschaffenen Fakten. Wilhelm blieb nur, die Einnahme des Landes Braunschweig durch Heinrich in Form eines Auseinandersetzungsvertrages anzuerkennen und den ihm zugewiesenen Teil des väterlichen Erbes entgegenzunehmen. Genauso wie in den Teilungsbriefen von 1409 und 1428 werden die Teilungsportionen nicht durch einen die einzelnen Bestandteile umfassenden Namen bezeichnet, sondern durch Aufzählung eben der Bestandteile Stede vnd Schlote. Diese stellen ihrerseits gleichsam vollständige Herrschaftseinheiten dar, enthalten sie doch das Bündel mittelalterlicher Herrschafts- und Einkunftstitel: die darinnen wohnende Mannschaft, Land und Leute, geistliche und weltliche Lehen, Gerichte, Zölle, Zinsen, Geleit und Nutzen sowie schließlich die – unbenannten – Gerechtigkeiten zu Wasser und zu Lande. Heinrich behielt, die von ihm geschaffenen Vorgegebenheiten verfestigend, zweiundzwanzig Burgen und Städte, die vornehmlich in den hergebracht, in den altbraunschweigischen Landen, teils auch in den 1388 Friedrich als Abfindung von Lüneburg zugedachten Gebieten gelegen waren. Wilhelm hingegen erhielt neunzehn Burgen und Städte; siebzehn davon gehörten erst seit 1428, zwei weitere seit 1409 zum Fürstentum Braunschweig. Dazu wurden weitere nicht im Braunschweiger Kernland gelegene Rechtstitel, etwa Anteile an den Elbzöllen, gelegt. Diese Wilhelm zugewiesene Herrschaft hatte noch keinen Namen. Sie bestand vornehmlich aus den welfischen Erwerbungen der vergangenen Jahrzehnte, aus Teilen der ehemaligen Grafschaft Wölpe, der Grafschaft Hallermund, der Herrschaften Homburg und Everstein sowie den ehemals zum Fürstentum Lüneburg gehörigen Rechten zwischen Deister und Leine. Der Name „Calenberg“ für dieses auch das „Land zwischen Deister und Leine“ geheißene Konglomerat bürgerte sich erst nach Wilhelms Tod ein. Und Wilhelms Anteil wurde mit einer einmaligen Zahlung von 9.000 Gulden angefüllt, da dieser Part (…) nicht so gut geachtet is, als dat Deil, das Heinrich zukommen sollte, und ock so als vnsere Borgere to Brunschwick des besorget sin, dat man dat Landt to Brunschwig nicht deelen schulle. Nicht nur die Zahlung von Bargeld zur Herstellung ökonomischer Gleichwertigkeit ist das Neue.534 Vielmehr liegt ein erstes unmittelbares Zeugnis für die erfolgreiche Einflussnahme Dritter, für die Verhinderung einer – weitergehenden – Aufspaltung vor. Mögen auch zuvor der herzogliche Rat und die, teils in diesem integrierten, Stände der Zerlegung der Konglomerate von Herrschaftseinheiten entgegengewirkt haben. Einen unmittelbaren, expliziten urkundlichen Niederschlag hatte dieses Wirken nicht gefunden. Die Stadt Braunschweig war offensichtlich an den Verhandlungen zur Erbauseinandersetzung beteiligt gewesen. Und ihre Vertreter wurden gehört. Vor allem aber weist die Kompensation der geringeren 533 534
HStA Hann. Cal. Or. 1 Nr. 10, abgedruckt bei A. U. Erath, S. 54 ff. Dieses Novum hebt auch G. Pischke, Landesteilungen, S. 143, heraus.
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Zuteilung von Herrschaftseinheiten durch Geld darauf hin, dass die additive, auf Herstellung von Ertragsgleichheit gerichtete Zuteilung, das vermeintlich freie Hin- und Herschieben der Schlösser und Burgen nun deutlich auf eine Grenze stieß: Es gab ein Bewusstsein für die Integrität des Landes zu Braunschweig, die es zu erhalten galt. Offenbar hatte sich dieses Gebilde, dieses Konglomerat von Städten und Burgen verfestigt. Das Bewusstsein von Einheit bezog sich jedoch auf das Landt to Brunschwig, nicht auf das vom Umfang des väterlichen Patrimoniums her – vier Jahre zuvor – gebildete Fürstentum Braunschweig. Von daher konnten die außerhalb des Landes gelegenen Herrschaftseinheiten zur Ausstattung Wilhelms herhalten, bis deren Bestand erschöpft war und durch Geld ersetzt werden musste. Allerdings mag das Bewusstsein für die Unteilbarkeit des Landes Braunschweig, das die Urkunde den Bürgern der Stadt Braunschweig zuschreibt, möglicherweise auch eine Wurzel in Heinrichs Zielen bei der Zuteilung und seiner starken Verhandlungsposition gehabt haben. Heinrich strebte aus dieser heraus ein möglichst zusammenhängendes Herrschaftsgebiet an. Abgelegene Positionen stieß er ab. Diese Zuteilungsmaxime ließ sich gut mit dem Wollen der Braunschweiger Bürger begründen. In Gemeinschaft auch mit der Lüneburger Linie sollten die Erbhuldigungen in Lüneburg, Hannover und Braunschweig verbleiben. Sehr viele Bestimmungen, etwa zum Erbanfall, zur Beschränkung der Verfügungsbefugnis und zur Erbeinsetzung für den Fall söhnelosen Todes (Erbverbrüderung) entsprechen denen von 1428. Die Teilung von 1432 erledigte sich, wie so viele zuvor, noch in derselben Generation: mit dem erbenlosen Tod Heinrichs des Friedfertigen 1473 fiel auch der Braunschweiger Teil an Wilhelm. bb) Die Regelung der Nachfolge nach Wilhelm dem Älteren bis zur Mutschierung von 1483 Wilhelm der Ältere hatte schon 1447 seine Söhne Friedrich und Wilhelm den Jüngeren abgeschichtet, indem er sie mit der Verwaltung und Nutzung der Schlösser Moringen, Brunstein und Homburg betraute.535 Ihnen standen alle Einnahmen und unter anderem die Befugnis zu, die Vögte, Amtleute und Schreiber ein- und abzusetzen. Damit waren die Söhne aus dem Haushalt des Vaters ausgeschieden und ihr Unterhaltsanspruch erfüllt. Die Landeshoheit, die Gerichtsbarkeit und die – allerdings unter Heranziehung der Stände zu treffenden – Entscheidungen über Veräußerungen, Fehden und Bündnisse verblieben bei Wilhelm dem Älteren.
535 Zwei Vereinbarungen aus dem März und dem Oktober 1447: StAWolf., IV Hs 3 Bd. 1, Bl. 342 – 347 (März) und Bl. 352 – 356 (Oktober); HStAHann., Cal. Or 1 Nr. 25 (25. März) und Nr. 27 (18. Oktober); als Aussteller erscheinen Friedrich und Wilhelm; der Vater habe na Rade siner und unser Rede umme Bestendnisse und Fromen willen siner und unser Lande und Lude von sich gesundert und gesettet. Siehe auch W. Havemann, Bd. 1, S. 685; G. Pischke, Landesteilungen, S. 145 f.
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Nach dem Tode Heinrichs des Friedfertigen und dem Anfall der Braunschweiger Lande wurde die Ausstattung der Söhne auf ihr Drängen hin 1474 neu geordnet.536 Wilhelm der Ältere beschränkte sich auf das Land Braunschweig und die Schlösser Gandersheim, Seesen, Stauffenburg sowie die Hälfte von Hardegsen und einige Gerechtsame, etwa den Lüneburger Zoll. Die Söhne erhielten dat land to Brunswigk Overwoldt by der Leyne (Göttingen) und das Land zwischen Deister und Leine („Calenberg“) sowie die Herrschaft Homburg – verbunden mit der Auflage, diesen brüderlichen Anteil nicht zu teilen.537 Wie auch 1447 behielt sich der Vater die Regierung über alle Landesteile (yn unsen drei Landen), weiterreichende Verfügungen, wie Veräußerungen, sowie die Vergabe der geistlichen und weltlichen Lehen vor. Demgegenüber werden die Söhne bezeichnet alße uns umberekenden vogede unde amptlude, den ihr Anteil to gebrukende übertragen wird. Schon bald nach Wilhelms des Älteren Tod 1482 regelten die Söhne ihr Verhältnis untereinander an dessen Nachlass. Dabei entfaltete die Unteilbarkeitsanordnung des Vaters von 1474 Wirkung: Wilhelm der Jüngere erklärte sich auf das Drängen des Bruders bereit, Land und Leute zu teilen, so dass jeder innehabe, bewohne und behalte, was ihm zustehe, unter ausdrücklicher Berufung auf die Regelung von 1474 nur zu einer Mutschierung (eyne Moitscharunge), wie es die dazu erstellte Urkunde ausweist.538 Er, Wilhelm, habe sich die Siegel und Briefe des Vaters angesehen aus der Zeit, als der Vater ihm und seinem Bruder das Land zwischen Deister und Leine sowie das Land, in dem Göttingen liege, mit der Herrschaft Homburg gegeben habe und ein Verdracht und Eyninge zwischen ihnen aufgerichtet und up dat hegeste gelouet worden sei, de suluen unse Lande nicht to deilende, sondern alle samptliken schullen ynne hebben, der gebruken. Und dieser 1483 dann mit dem Rat von Herren und Freunden und den Prälaten, Mannen und Städten durch Wilhelm als dem ältesten Bruder vorgenommenen Mutschierung habe er, Wilhelm, nur zugestimmt, weil beide Brüder im selben Recht geboren seien, und um Land und Leute bei Frieden und Gnade zu erhalten.539 Wilhelm spricht damit ausdrücklich das hergebrachte Grundproblem der Nachfolge in die Fürstentümer an: das Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel, die Einheit des Fürstentums, des Patrimoniums, zu erhalten einerseits und das grundsätzlich gleiche Recht jedes Erben auf das Fürstentum, an dem Patrimonium, andererseits. Er versucht, mit der Mutschierung diese widerstreitenden Ziele und Interes536
StA Wolf., IV Hs 3 Bd. 2, Bl. 187 – 191; H. Kleinau, S. 35. Im unmittelbaren Anschluss an die Verpflichtung der Söhne, zu Alienationen von Borgen, Steden edder anderen Erffgudern die Zustimmung des Vaters einzuholen, heißt es: Wy enschullen noch enwillen sodanne Lande, unse Here und Vader unns yndoinde wert unde de uns noch anfallen mochten, nu und ewichliken nummer meher delen, unuerrucket und gentsliken by enander laten. 538 StA Wolf., IV Hs 3, Bd. 1, Bl. 407 – 419; HStAHann., Cal. Or 1, Nr. 44. 539 (…) hebben wy alle de suluen unse Lande, nach Synnen und Witten uns beiden to Vromen, yn nageschreuen Wisse gemoitscharet und versundert, so doch dat wy nicht eyn Landt tegen dat ander gedeilet und affgesundert hebben, sondern als de Eldeste betrachtet, dat wy mehr wenn unse leue Broder ok myn wenn syne Leue, nicht hebben schullen und willen von den Landen denne aleyne dat jent, dat unser iglichen ym Rechten geboren mach. 537
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sen in Einklang zu bringen. Diesem Streben kommt zum einen die zunehmend konturiertere Erfassung einer sich von der Würde hin zu einem Regiment materialisierenden Stellung des Fürsten, zum anderen die deutlicher zu Tage tretende Unterscheidung von Substanzzuordnung gegenüber der Nutzung einzelner Rechtspositionen zu Gute. Grundsätzlich soll das Umfassende, das Regiment über die Fürstentümer, in Gemeinschaft verbleiben, hingegen die ausdifferenziert erfassten einzelnen Rechtsund Einkunftstitel – eben zur Nutzung – zugeteilt werden. Dem Regiment, das vor der Verabredung des Gemeinschaftserhaltes daran gleichsam schon eine Inhaltsbeschreibung durch die Erklärung erfährt, beide wollten all das Ihre in all ihren Landen beschützen und beschirmen und die Untertanen gemeinsam behalten, wird zudem die Verfügung über die Landbede als eine die über die Grenzen der einzelnen Herrschaftseinheiten hinausgehende Entscheidung zugeordnet. Entsprechend dem generellen Gemeinschaftserhalt wollen beide die Erbhuldigung ihrer Lande gemeinsam entgegennehmen – ausgenommen sind allerdings Burg und Stadt Hardegsen sowie die Schlösser Harste und Brunstein, die Wilhelm als Pfand für eine Geldschuld Friedrichs dienen und diesem nach deren Ablösung dann allein zufallen sollen. Zur Gemeinschaft gehört auch die Lehnsherrschaft. Die Ausübung dieser substantiell beiden zugeordneten Rechtsposition geschieht allerdings dem Grunde nach in Form eines Seniorats.540 Wilhelm als der Ältere nimmt die Vergabe der geistlichen und weltlichen Lehen vor, ist dabei aber an die Zustimmung Friedrichs gebunden. Allein die Nutzungen der einzelnen einkunftsträchtigen Rechtstitel, die erschöpfend, auch die allgemeine Bede und Schatzung umfassend, aufgezählt werden, unterliegen entsprechend dem Vertragstyp der Mutschierung541 der Aufteilung. Die Gesamthand an der Substanz und auch dem Gebrauch der Rechtspositionen wird aber nach der ausdrücklichen Benennung des Vertragstyps noch einmal gesondert verabredet. In der Gegenüberstellung von abgesonderter Nutzung und gemeinsamem Gebrauch wird deutlich, dass der Teilung letztlich nur die Erträge unterliegen sollen; andere Verwendungen, etwa der Schlösser zu Verteidigungszwecken, bleiben Gemeingut. Entsprechend der nur auf die Erträge gerichteten Teilung sind auch die Bestimmungen zur Wiedereinlösung versetzter Schlösser und zur Befugnis der Verpfändung von Rechtstiteln, besonders von Schlössern, gefasst. Jeder der Herzöge kann versetzte Schlösser unabhängig davon, wem die Nutzungen zugeteilt worden sind, einlösen. Er tritt damit aber nur gewissermaßen in die Stellung des ehemaligen Pfandnehmers ein; das – modern gesprochen – Vollrecht steht weiterhin beiden zu. Bei der Alienation wird dem anderen, anders als es in anderen Erbverbrüderungen dieser Zeit üblich war,542 kein Näherrecht eingeräumt, da keine zwei Vermögensmassen, wohl von Bargeld und in-
540 Zu dieser häufig zu beobachtenden Zuordnung der Lehnsvergabekompetenz zu dem Ältesten unten B.IV.2.b) und IV.2.d). 541 Generell zu dieser Form der Erbauseinandersetzung oben A.III.2.b) bei Anm. 237 f. 542 Dazu unten B.IV.2.c)bb) und IV.2.d).
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dividuell zugeordneten Schulden abgesehen,543 begründet wurden, es vielmehr bei einem Zuordnungssubjekt, eben der Gemeinschaft der Brüder, verblieb. Aber neben einzelnen Städten und Schlössern bleiben auch einzelne auf Ertragserzielung gerichtete Nutzungen der Gesamthand zugeordnet.544 Dass mit der Ertragszuteilung eine Realteilung nicht einmal intendiert wurde, erschließt sich vor allem auch aus der Lage der zur Nutzung zugeteilten Schlösser. Diese lagen, wie Pischke herausstreicht, verstreut in allen Landesteilen.545 Die getroffene, mutschierende Erbauseinandersetzung der Brüder entfaltete keine längerfristige Wirkung. Schon 1485 hielt Wilhelm wieder alle Rechte und deren Ausübung in seiner Hand, nachdem er Friedrich wegen einer von ihm behaupteten Regierungsunfähigkeit in Haft, die bis zu dessen Tod 1495 dauern sollte, genommen hatte.546 Damit waren die Fürstentümer Braunschweig, „Calenberg“ und Göttingen in Wilhelms Linie vereinigt. cc) Die Regelung der Nachfolge nach Wilhelm dem Jüngeren bis zum Teilungsrezess von 1495 Ganz ähnlich wie vor ihm sein Vater Wilhelm der Ältere, beginnend mit der ersten Abschichtung im Jahre 1447, schied Wilhelm der Jüngere seine Söhne beizeiten aus seinem Haushalt aus und leitete seinen Ausstieg aus dem Regiment der Lande ein. Zunächst überließ er Heinrich dem Älteren und Erich 1487 das Fürstentum „Calenberg“ und behielt sich auch nicht das Regiment darüber vor547 – anders als Wilhelm der Ältere bei der Ausstattung seiner Söhne mit „Calenberg“ samt Göttingens 1474. Seinem – gegenüber seinem Bruder mit harschen Mitteln durchgesetzten – Streben nach dem Erhalt der Länder gemäß gab er seinen Söhnen bei Übergabe der Göttinger Lande die Verpflichtung mit auf den Weg, Eintracht untereinander zu bewahren und die Lande für die Dauer von zehn Jahren nach des Vaters Tod nicht zu teilen. Ebenso legte Wilhelm seinen Söhnen eine gemeinsame Hofhaltung nahe. Das Regiment über „Calenberg“ überließ der minderjährige Erich auf zehn Jahre seinem Bruder Heinrich. Vier Jahre später zog sich Wilhelm der Jüngere noch weiter aus der Herrschaft über seine Fürstentümer zurück. Anders aber als vor ihm sein Vater Wilhelm der Ältere 1474 und der Lüneburger Regent Friedrich 1457 schichtete Wilhelm der Jüngere sein Patrimonium nicht gleichsam horizontal ab, indem er für sich das Regiment be543 Ohne individuell zugeordnetes Bargeld könnte keiner der Herzöge allein verpfändete Schlösser auslösen. Überdies werden ausdrücklich, wie erwähnt, Schulden Friedrichs bei Wilhelm in Höhe von 12.000 Gulden angesprochen. 544 Übersicht bei G. Pischke, Landesteilungen, S. 157. 545 Ebd., S. 155 und Karte nach S. 158. 546 Ph. J. Rehtmeier, S. 755; W. Havemann, Bd. 1, S. 729; G. Pischke, Landesteilungen, S. 147, E. Schubert, Niedersachsen, S. 799 f. 547 StA Wolf., 2 Urk 1 Nr. 50.
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hielt und die Ausstattungsquote seiner Söhne erhöhte. Vielmehr zog er mit seiner Verschriuinge von 1491, wie die Übertragung vier Jahre später genannt wurde,548 einen vertikalen Schnitt: Wilhelm behielt sich für seine Lebzeit vor dat Lande Ouerwolt, dar Göttingen inne ligt, ok mit alle sinen Gerechticheiden vnd Tobehörungen, Schatten, Tollen, Gleiden, Gefellen, Upkomen, Densten vnd Plichten, wo de namen, eigen Regimente, geistliken vnd wertliken lehnen, wu de gedain syn, das Schloss Homburg, das Kloster Amelungsborn, Holzminden, die Harzburg, Gebhardshagen, den Forst Seesen und Gandersheim sowie ein Aufenthaltsrecht in der Stadt Braunschweig.549 Seinen Söhnen hingegen hat er vpgelaten vnd ouergeuen seine Förstendome vnd Lande, dar Brunschwick inne gelegen is, vnd dat Landt twischen Deister vnd Leine, ok de Herschop van Euerstein vnd Homborg mit den gleichen Rechten und Zubehörungen, wie sie zum Land Oberwald aufgezählt wurden, samt dem vullen Regimente, geistliken vnd wertliken lenen. Dafür sollten seine Söhne ihm einen im Einzelnen bestimmten jährlichen Unterhalt, einmalige Geldzahlungen zur Auslösung von Pfandstücken sowie eine Beihilfe zur Unterhaltung eines Schlosses leisten. Auch mussten die Söhne die Schulden des Vaters und dessen Gefangenen, ihres Onkels Friedrich, und die Verpflichtungen gegenüber dem Reich übernehmen. Wan dat gescheen is, vnd nich eher scullen wy alßdenne ok de Ouerantwerdinge, wu vor, der Lande vnd Luide wedderumbe doin. Seiner Linie treu bleibend verlangte Wilhelm auch diesmal, dass Heinrich und Erich während seiner Lebzeiten mit den Landen vnd Luiden, die ihnen übergeben wurden, vnuerdeilet, vnd ane Moitscharinge by einander bliuen, vnd sick dersuluen sambt gebruken. Damit verbot Wilhelm nicht allein die Teilung eines „Landes“. Lande hatte Wilhelm drei, mit jeweils eigenen Ständen. Dies ergibt sich aus der bald darauf erfolgten Landesüberweisung, die er den Ständen, den Grafen, Prälaten, Rittern, Mannen und Städten, der Lande Brunßwick, twischen Deister vnnd Leine, Herschoppen to Euerstein vnd Homborg, brieflich mitteilte.550 Vielmehr verbot Wilhelm seinen Söhnen eine Teilung des väterlichen Patrimoniums, des vorzeitig erhaltenen Nachlasses. Nicht das wie auch immer konstituierte Land war die nach Wilhelms Gebot zu erhaltende Einheit. Ihm ging es – ganz im utilitaristischen Sinne eines einträglichen Regiments – um mehr, nämlich um eine Zusammenhaltung der Einkunftstitel bei gleichzeitiger Geringhaltung der Ausgaben durch Vermeidung mehrerer Hofhaltungen. Im März 1495 übertrug Wilhelm der Jüngere dann auch noch das Regiment über das Land Göttingen; allerdings nur auf einen seiner Söhne, Erich. Dieser leistete ihm darauf eine Geldzahlung und versicherte, dass durch die Übertragung Heinrichs Rechte am Lande Göttingen nach dem Tod des Vaters nicht berührt seien.551
548
Teilungsrezess von 1495, abgedruckt bei A. U. Erath, S. 101 ff. Abgedruckt ebd., S. 88 ff. 550 Die Landesüberweisung ist abgedruckt ebd., S. 95 f. 551 Zu diesen Abmachungen zwischen Wilhelm dem Jüngeren und Erich G. Pischke, Landesteilungen, S. 163 f., mit den Belegen. 549
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Bald darauf vollendete Wilhelm der Jüngere seinen Rückzug aus der Herrschaft und die Regelung seiner Nachfolge. Auf seine Initiative hin und unter seiner Federführung sollten seine Söhne seinen Nachlass teilen. In der Urkunde vom 2. Mai 1495 legte Wilhelm der Jüngere als ihr Aussteller zunächst den Inhalt der Verschreibung von 1491 und dann seine Gründe, warum geteilt werden soll, dar: In Anbetracht seines Alters und um Irrungen, die nach seinem Tod unter seinen Söhnen erwachsen mögen, zuvorzukommen,552 deshalb habe er nach Rat seiner und seiner Söhne Räte mit deren Wetten, Willen vnd Vulborde enntschichtiget vnd erflicken verdeilet. Allerdings hat nicht er, der Vater, die Teilung vorgenommen, sondern nach hergebrachtem Muster Heinrich als der älteste Sohn, wenngleich in diesem ersten Fall, dass die Erbteilung zu Lebzeiten des Vaters erfolgt, mit dessen Rat. Erich als dem Jüngeren fiel die Wahl unter den abgesonderten Portionen zu. Unter den Räten – auch dies ein Novum – befinden sich neben sechs Rittern auch drei Grafen und ein Gelehrter. Auch das Land zu Göttingen sollte mit in die Teilung einbezogen werden. Allerdings sollte der Sohn, dem es zufällt, Wilhelm auf Lebenszeit den Besitz daran einräumen. Nach dem schon von den Teilungen der Jahre 1409, 1428 und 1432 her bekannten Schema erfolgte die Beschreibung der gebildeten Teile durch die Aufzählung ihrer „Atome“, der Schlösser und Städte, jeweils mit oren Tobehorungen, vmme gelegenen Clostern, Dorpern, vnd allen Gerechticheiden, hogest vnd sidest, ohne Nennung eines diese Herrschaftsbestandteile umfassenden Namens. Der Anteil, den man als den „calenbergischen“ samt göttingischen bezeichnen muss, wird in einer gesonderten Urkunde ausgewiesen.553 Im Kern geben die drei Länder Braunschweig, „Calenberg“ und Göttingen die Teilungsportionen vor, wobei die beiden letztgenannten zusammen einen Teil bilden. Am Rande werden allerdings Ausgleichungen vorgenommen. So werden dem braunschweigischen Teil die Burgen Harzburg, Gebhardshagen, Seesen, Gandersheim und Stauffenberg, die bisher zu den göttingischen Landen gehörten, zugeschlagen. Gemeinsam sollten, wie üblich, die Präbenden, Propsteien und Vikarien der Stifte St. Blasius und St. Cyriakus in und vor der Stadt Braunschweig, sowie, als Neuerung, das Marschallamt und alle Bergwerke, außer dem Rammelsberg, verbleiben. Die trotz Teilung auf Einheit gerichteten, die beiden Teile verklammernden Bestimmungen weisen eine Wandlung des Instrumentariums auf. Noch bei der Teilung von 1432 wurde eine Erbverbrüderung als das bis dahin durchgängig verabredete Institut, trotz Teilung die durch sie entstandenen Teile erblich verbunden zu halten, also die Kollateralerbfolge zu sichern, verabredet. Schon in dem umfangreichen Vertragswerk von 1442 findet sich dieses Instrument nicht; allerdings waren die Vertragschließenden auch schon durch vielfältige Erbverabredungen verbunden. Auch in der Grubenhagener Linie verblasste 1481 die Erbverbrüderung schon; sie wurde nicht mehr besonders verabredet. Unter den Söhnen Wilhelms des Jüngeren nun entfiel Erbverbrüderung. Wilhelm beschränkte sich zur Verklammerung der beiden neu gebildeten Linien über die Teilung hinaus – oder, wie er es selbst formuliert: up dat 552 553
Der Teilungsrezess vom 2. Mai 1495 ist abgedruckt bei A. U. Erath, S. 101 ff. G. Pischke, Landesteilungen, S. 164, 168 f., mit den Belegen.
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ock de Förstendome vnd Lande vnuerrückt vnnd by beiden vnsen Sönen vnd ören Eruen erfflicken bliuen – auf die Instrumente der Erbhuldigung in beiden Teilen und den Empfang eines Samtlehens: so schüllen desuluen vnse Sone ein itlick in sinem Dele dem andern Erfhuldinge doin laten, van allen ören Undersaten in beiden Delen beseten, vnd schüllen de Lande van Römischen Kaisern vnd Köningen to sambden Lene entpfangen, vnd also erfflicken in sambden Lehnen besitten. Vnnd schal altidt de Eldeste vnnder vnsen Sönen edder ören Eruen, wen des noit is, de Lehne entfangen. Innerhalb dieses Erbhuldigungs- und Samtlehnsverbandes der teilenden Brüder sollte aber jeder, wie es Wilhelm noch einmal betont, selbstständig sein: Auer ein ittlick scal sin Deel verstain vnd verdehnen. Der Gesamtlehnsempfang vermochte noch, wie es der Sachsenspiegel ausdrücklich formuliert hatte,554 eine Gesamthand mit ihren Fesseln individueller Dispositionsbefugnis zu erzeugen. Wilhelm musste deshalb zur Abbedingung dieses Grundsatzes, dieser Wirkung der gesamthänderischen Verbundenheit, die Unabhängigkeit jedes der Söhne in seinem Teil festsetzen, deren Inhalt und Zusammenspiel dann in detaillierten Abreden zur beiderseitigen Dispositionsbefugnis ausgestaltet wurde.555 Insoweit verweist Wilhelm auf eine sunderlicke Eininge vnd Verdracht unter den Söhnen, in dem diese sich, auf dat se allenthaluen in Einicheit vnd Frede bliuen, auf die als Näherrecht ausgestalteten Hemmnisse geeinigt hätten. Der Gesamtlehnsempfang konnte natürlich von Wilhelm und seinen Söhnen nur für die von ihnen besessenen welfischen Lande verabredet werden: Braunschweig, Calenberg und Göttingen. Damit war ein gesonderter Gesamtlehnsverband innerhalb oder unterhalb des seit 1403 bestehenden, auch Lüneburg umfassenden Gesamtlehnsverbandes intendiert. Denn nur diese auf die Wilhelm nachfolgenden beiden Linien seiner Söhne beschränkte lehnrechtliche Gesamthand vermochte ein gegenseitiges und vor allem gegenüber der Lüneburger Linie vorrangiges Erbrecht für den Fall zu begründen, dass eine der Linien Heinrichs des Älteren oder Erichs ohne Lehnserben abginge. Ob es zu diesem Sonder-Samtlehnsverband aber gekommen ist, ist nicht eindeutig auszumachen. Noch im selben Jahr nahm zwar Wilhelms des Jüngeren ältester Sohn Heinrich der Ältere von Kaiser Maximilian die Reichslehen in Empfang.556 Dies tat er aber als Ältester unter den welfischen Herzögen nicht nur für sich und seinen Bruder Erich, sondern auch, entsprechend den Verabredungen mit der Lüneburger Linie, für deren Regenten Heinrich den Mittleren.557 In einer Urkunde, die die Herzöge Ernst, Wolfgang und Philipp 1566 über eine Verabredung mit den anderen welfischen Fürsten jener Zeit ausstellten, berichten sie, dass Erich II. von Calenberg sich zusammen mit Heinrich dem Jüngeren als confeudatorii und wahre untzertrennliche besitzer hinsichtlich dess furstenthumbs Braunschweig wulffenbutteli554
Ssp. Lehnr. 32. Näher dazu unten B.IV.2.a). 556 28. Juli 1495: StAWolf., 1 Urk 98; HStAHann., Celle Or 5, Nr. 9. 557 In der kaiserlichen Urkunde heißt er Heinrich der Jüngere, aber eindeutig durch den Zusatz Weiland Herzog Otten zu Braunschweig Sohn als „der Mittlere“ erkennbar. 555
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sches theils, und zwischen Deister und Leina, und landt zu Gottingen bezeichnet.558 Trifft die Bezeichnung als confeudatorii zu, muss es zu einer entsprechenden Samtbelehnung gekommen sein. Erich wählte das Land zwischen Deister und Leine, verbunden mit Göttingen. Mit dem Tod seines einzigen Sohnes Erichs des Jüngeren 1584 starb diese Linie aus und ihre Lande fielen an den Wolfenbütteler Zweig.559 e) Das Ende der Göttinger Frage Nach dem Tod Heinrichs des Friedfertigen 1473 hatten sich sein Bruder Wilhelm der Ältere und dessen Erben allein noch mit den Ansprüchen der Lüneburger Fürsten auf das Land Göttingen, auf Ottos (Cocles) Verlassenschaft auseinanderzusetzen.560 Immer wieder meldeten Lüneburger Regenten ihren Anspruch an und verglichen sich dann mit den Braunschweiger Vettern. Diesen verblieb der Besitz, jenen wurden ihre Rechte vorbehalten.561 Es bestand ein Schwebezustand; eine endgültige Lösung wurde immer wieder aufgeschoben. Ein treffliches Beispiel für diesen Unwillen oder das Unvermögen, sich über Göttingen dauerhaft zu einigen, gibt der Vergleich von 1491. Darin verabredeten Heinrich der Mittlere auf Lüneburger und Heinrich der Ältere, auch im Namen seines Vaters, Wilhelms des Jüngeren, und seines Bruders Erich, auf Braunschweiger Seite im Kern, dass der Lüneburger gegen die bisher von den Braunschweigern gehaltene Hälfte der Zölle von Hitzacker und Schnackenburg, Schloss und Gericht Meinersen und – hinsichtlich des vergangenen Vorenthalts des Landes zu Göttingen – 1.000 Gulden seine Gerechtigkeit des Landes tho Göttingen verlaten vnd inandtworden solle, ausgenommen die geistlichen Lehen im Lande Göttingen.562 Die Geltung dieses Vergleichs wurde auf zwölf Jahre begrenzt. Gegen diese zeitliche Beschränkung der Braunschweiger Herrschaft über Göttingen protestierten die dortigen Stände und forderten eine erbliche Zuweisung.563 Ihrer Beschwerde wurde abgeholfen; die vier Herzöge verglichen sich erneut: Da sick de Manschup vnd Stede dessüluen Landes to Göttingen nicht alle twelff Jar, sonder erfliken an einen Part vnser Herschup wolden verwiset sin, na itlicken Verschriuingen, ön van vnnsen 558
Diese ist abgedruckt bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 210 ff.; vgl. auch unten
B.V.2. 559
H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 382. Dazu unten B.V.1.b) und V.3.a). Diese Ansprüche haben eine Grundlage in der Erbverbrüderung, die Otto (Cocles) kurz nach dem gewaltsamen Tod Friedrichs mit den Herzögen Bernhard und Heinrich 1401 (Sud. IX 114) geschlossen hatte. Zur Zeit der Erbverbrüderung waren Braunschweig, von dem Calenberg noch nicht abgespalten war, und Lüneburg vereinigt. Bei der Sonderung dieser beiden Fürstentümer 1409 und 1428 wurde diese vertragliche Exspektanz auf Göttingen in Gemeinschaft behalten: Die Huldigung der Göttinger Lande sollten beide Linien empfangen; gegebenenfalls, falls dies nicht möglich sein sollte, waren der anderen Linie ihre Rechte zu bewahren. 561 Übersicht über die vielfältigen Verhandlungen der welfischen Fürsten über Göttingen bei G. Pischke, Landesteilungen, S. 181 ff., bes. 182. 562 Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 84 ff. 563 UB Göttingen, Bd. 2, S. 378. 560
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zelegen Veddern vnd Voreldern gegeuen schüllen sin; darup wy (Heinrich der Mittlere) (…) dem obgedachten vnnsem leuen Veddern, Hertogen Wilhelme, de genanten Gerechticheit des Landes to Göttingen erfliken ouergewiset (…) so dat sick de Landsaten vorgeschreuen darentgegen nicht behelpen schüllen.564 Dass die Herzöge es mit der Erblichkeit der Landesüberweisung, der von den Ständen begehrten Dauerhaftigkeit einer Herrschaftslösung für Göttingen, selbst in diesem „Abhilfe“-Vergleich nicht ernst meinten, bringen sie unverblümt zum Ausdruck: Vnd wanner de twölff Jar, na Lude der ersten Verdracht, erschenen sin, vnnd vnnse Veddern vnd wy alßden by der ersten Verdracht nicht bliuen wolden, so schüllen noch enwillen vnse Veddern, Hertoge Hinrik, Hertoge Erick vnd öre Eruen sick mit der gethanen erfliken Ouerwisinge nicht behelpen. Der zunächst mit dem Vergleich gesetzte Anschein der Abhilfe der ständischen Beschwer wird sofort und ausdrücklich wieder zunichte gemacht. Die Göttinger Frage war wiederum nur befristet, auf zwölf Jahre, gelöst. Gleichwohl huldigten die Göttinger Stände Wilhelm und seinen Erben, nachdem ihnen auf einem Landtag zu Northeim der neuerliche Vergleich bekannt gegeben worden war.565 Das Ziel, das Streben der zur Huldigung berufenen Stände und zugleich die Wirkungsweise der Hausverträge, ihre Verbindlichkeit für die Herrschaftsunterworfenen kommt plastisch in der Auseinandersetzung Wilhelms des Jüngeren und seines Sohnes Erichs mit der Stadt Göttingen um die Herrschaftsnachfolge im Lande Göttingen im Jahre 1498 zum Ausdruck.566 Wilhelm wollte das Land Göttingen, das er sich in der umfassenden mit seinen Söhnen getroffenen Regelung seines Nachlasses von 1495 gleichsam als Altenteil vorbehalten, aber in die Teilung einbezogen hatte, schon jetzt, 1498, Erich, zu dessen Erbanteil es 1495 gelegt worden war, übergeben und sich allein auf Hardegsen und eine jährliche Geldrente beschränken. Erichs Durchsetzungsversuch dieser Regelung traf aber auf Widerstand der Stadt Göttingen. Diese verweigerte die Huldigung und begründete dies im Kern mit der Unklarheit der innerfürstlichen Nachfolgeregelungen und ihres Vollzugs. Wilhelm, Erichs Vater, habe sie bisher nicht aus ihrem Eid entlassen, deshalb liefen sie Gefahr, bei neuerlicher Eidesleistung sich in doppelte Eidesbindung zu setzen. Auch müsste sie Erichs Bruder Heinrich von ihrem Eid entbinden. Dies wiesen die fürstlichen Gesandten in einer ersten Replik zurück: Wilhelm habe auf dem Landtag zu Steina das Regiment des Landes an Erich übergeben und die Stände des Landes an diesen verwiesen; einer weiteren Eidesentlassung durch Wilhelm bedürfe es nicht. Desgleichen sei eine Entlassung durch Heinrich unnötig, da dieser sich mit seinem Vater und seinem Bruder dahin verglichen habe, dass er das Land Braunschweig erhalte, und entsprechend das Land Göttingen seinem Bruder erblich überlassen habe. In den Braunschweiger Landen habe man Heinrich gehuldigt auch ohne, dass Erich diese an ihn verwiesen und überlassen habe. Dieser Grad an Förmlichkeit und Klarheit genüg564
Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 98 ff. Erich, der bei den Vergleichsschlüssen nicht gegenwärtig war, erteilte erst 1492 seine Zustimmung. 565 A. U. Erath, S. 100; J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, S. 241 f. 566 UB Göttingen, Bd. 2, S. 396; Zeit- und Geschichtsbeschreibung der Stadt Göttingen, Theil 1, 1734, S. 116 ff.; diese liegt A. U. Eraths, S. 109 ff., Darstellung zu Grunde.
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te den Vertretern der Stadt Göttingen nicht. Weder die Regimentsübertragung von Wilhelm auf Erich noch die Eidesentlassung durch Wilhelm seien hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen. Überdies enthalte der Vertrag zwischen Wilhelm und Erich eine Bestimmung, die einem Schluss auf den Willen Wilhelms, die Stände endgültig aus ihrem Eid zu entlassen, entgegenstehe. Nach dieser Klausel sollte Wilhelm das Land und die Regierung wieder an sich nehmen dürfen, falls Erich die ihm vertraglich auferlegten Leistungen nicht erfüllte. Die Stadt hat also den zischen den Fürsten getroffenen Übergabevertrag gewissermaßen über den Tenor hinaus geprüft – anders als 1491. Was die Notwendigkeit einer Eidesentlassung durch Heinrich anbetreffe, gehe man davon aus, dass beide Söhne Wilhelms Erben des Landes Göttingen seien; von dem Inhalt eines davon abweichenden Vergleiches zwischen Erich und Heinrich wisse man nichts, geschweige denn, dass die gehörigen Förmlichkeiten, schriftliche oder mündliche Eidesentlassung, nach einem solchen Vergleich eingehalten worden wären. Der Stadt Göttingen ging es, wie schon 1491 und den welfischen Städten im Lüneburger Erbfolgestreit, um Klarheit und Dauerhaftigkeit der fürstlichen Nachfolgeregelung. Da sie diese Anforderungen nicht erfüllt sah, verweigerte sie die Huldigung – und verhinderte damit auch die Huldigung der übrigen Städte im Lande Göttingen. Wilhelms Landesübertragung auf Erich blieb im Versuch stecken. 1503 einigten sich Heinrich der Ältere, Erich und der Lüneburger Heinrich darauf, die 1491 getroffene, nun nach zwölf Jahren auslaufende Abmachung um ein Jahr zu verlängern; dann wollte man sich endgültig einigen.567 Im selben Jahr starb Wilhelm der Jüngere. Heinrich der Mittlere von Lüneburg forderte nun die prelaten manschaft und stedde des lants zu Gottingen, die er als lantschaft ansprach und auch als glidmassen des lants zu Gottingen bezeichnete, auf, den Söhnen Wilhelms nicht zu huldigen, damit sein Anspruch auf die Hälfte des Landes gewahrt bleibe.568 Dieser Aufforderung kamen die Stände nach, traf sie doch ihre Auffassung, erst einem Herzog zu huldigen, wenn gewährleistet ist, dass diesem die Lande erblich, also dauerhaft, zufielen.569 Zu einer endgültigen Lösung der Göttinger Frage kam es dann 1512 mit dem Mündener Vergleich.570 Heinrich der Mittlere von Lüneburg überließ erfflicken das Land Göttingen, alle seine Anspracke vnnd Gerechticheit des Lanndes tho Göttingen an Slotten usw., an Heinrich den Älteren von Braunschweig und Erich von „Calenberg“. Auch verzichtete Heinrich der Mittlere auf die Obrigkeit und Huldigung der Stadt Hannover. Er behielt sich allerdings das im Lande Göttingen gelegene Schloss Jühnde sowie die geistlichen und weltlichen Lehen der Herrschaft Everstein und die Rechte an der Präbendenverleihung an St. Blasius in Braunschweig vor. Als Gegenleistung verzichteten die Braunschweiger auf ihre Rechte in und an der Stadt Lüneburg – Lüneburg schied also aus dem 1409 insoweit begründeten Gemeinschafsgut aus – sowie 567 568 569 570
HStA Hann., Cal. Or 1, Nr. 67. UB Göttingen, Bd. 3, 10. UB Göttingen, Bd. 3, 11. Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 114 ff.
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die Elbzölle in Hitzacker und Schnackenburg; überdies traten sie die Schlösser und Gericht Meinersen und Campen und die Freien vor dem Wald an Lüneburg ab. Mit der Einigung sollten andere Verscriuungen vnnd Verdrachte, die bisher über Göttingen gemacht wurden, machtloß vnnd vernichtet sin, nicht aber der Eldern Erffdelinge; Erffuerdrachte, vnnd Bindnisse; diese sollen nicht verändert worden sein, sondern von ihnen und ihren Erben zu allen Zeiten gehalten werden, so dat düsse erflicke Verlatinge (…) vnns allen, an vnnsen hergebrachten Fürstlichen Titteln vnnd erfflicken An- vnnd Widerfellen, ock Sambtlehnen ganntz vnschedlick vnnd vnaffbröglich sin schall. Das Gefüge, das – offensichtlich unüberschaubare – Gespinst an Erbverträgen zwischen den einzelnen Linien soll unberührt bleiben. Unmittelbar von dieser Bestimmung erfasst ist der Vertrag von 1495 innerhalb der Braunschweiger Seite, zwischen Heinrich dem Älteren und Erich. Danach sollte Göttingen nicht, worauf sich der Vergleich und auch die Landesüberweisung571 von 1512 beschränkte, an beide Söhne Wilhelms des Jüngeren fallen, sondern lediglich an Erich. Heinrich übergab aber gleichwohl – noch einmal – das Land Göttingen und die Stadt Hannover an seinen Bruder Erich.572 Auch die Stadt Göttingen war mit der nun gefundenen Herrschaftsregelung einverstanden und huldigte Erich.
3. Zusammenfassung Die Sukzessionsgeschichte des Welfenhauses im 15. Jahrhundert ist grob zusammengefasst durch zwei Entwicklungen gekennzeichnet: Zum einen durch eine Ausund Umgestaltung des Gesamthausgefüges, des Verhältnisses der einzelnen Linien zueinander und zum anderen – damit einher-, wohl gar voranschreitend – durch die zunehmende Verfestigung der in ihrem Bestand dynastisch vorgegebenen Fürstentümer der einzelnen Linien. a) Das Gefüge des welfischen Gesamthauses Die schon 1267 angelegte Verklammerung der welfischen Linien durch den Erhalt der Gemeinschaft an Rechten in und an der Stadt Braunschweig wurde auch bei den Erbauseinandersetzungen des 15. Jahrhunderts beibehalten.573 Die Rechte in der Stadt, Regalien, Vogtei, Münze und Zoll, hatten die welfischen Herzöge schon im Laufe der beiden vorvergangenen Jahrhunderte an den – meist den altstädtischen – 571 Die Überweisung des Landes Göttingen und der Stadt Hannover erfolgte durch Heinrich den Mittleren an Heinrich den Älteren und Erich gemeinsam, abgedruckt bei A. U. Erath, S. 121 f., 122 f.; Gegenüberweisung der Heinrich dem Mittleren zugedachten Rechte dort S. 123 f. 572 G. Pischke, Landesteilungen, S. 185, mit dem Beleg. 573 Wie schon im 14. Jahrhundert gab es Ausnahmen von der üblichen Gepflogenheit, bei Erbauseinandersetzungen die Rechtsgemeinschaft an Braunschweig zu verabreden und zu gestalten: in den Verträgen von 1388 und 1481 fehlt es an entsprechenden Klauseln. Dabei handelt es sich um hausrechtliche Regelungen innerhalb einer Linie.
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Rat verloren. So verblieben die Präbenden in und vor der Stadt als Gegenstand der welfischen Rechtsgemeinschaft.574 Unterhalb oder neben dieser Verklammerung waren die welfischen Familienzweige bis weit in das 15. Jahrhundert hinein vielfältig durch vielgestaltige Erbverabredungen verbunden. Seit 1345 werden regelmäßig bei Teilungen Erbverbrüderungen für den Fall des erbenlosen Abgangs einer Linie vereinbart. Gerade das näher behandelte Verhältnis der Fürstentümer Lüneburg und Braunschweig unter den Nachkommen Magnus II. gibt beredtes Zeugnis von der Vielgestaltigkeit dieses Instituts zum Erhalt oder zur Wiederherstellung des Erbrechts der Seitenverwandten. Auch getarnte Erbvereinigungen finden sich darunter, wie es der Scheinkauf von 1433 belegt. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts wird das gemeinsame Lehnsband zum König als Instrument der Verklammerung, der Sicherung der Kollateralfolge in diesem bilateralen Verhältnis entdeckt. Seit 1403 sind die beiden welfischen Fürstentümer Lüneburg und Braunschweig in einem Gesamtlehen verklammert. Die gemeinschaftsintendierenden Verträge von 1414 und 1415, in denen der gemeinsame Lehnsempfang verabredet wurde, sind Zeugnisse für den bewussten, zielgerichteten Einsatz des Instruments des Lehnsnexus zur Verklammerung der beiden Linien. Als weiteres Instrument der Kollateralfolgensicherung tritt der gemeinschaftliche Empfang der Erbhuldigung hervor. Diese Instrumentalisierung der Erbhuldigung zur Gemeinschaftssicherung offenbart der Hauptvertrag von 1442, wenn es dort heißt: Vnd weret, dat vnnser ein islick Part, so ohne Liues-Mannes-Erue von Dodes wegen affginge vnd verfelle, dat Gott friste, vnd vnnser einislicken Lannde vnd Lude ann den anderen quemen, alß mit der Erffhuldinge (gemeint ist die Erbhuldigungsverabredung von 1415) vorgescreuen verwart iß. Gerade die Vereinigung zwischen Lüneburg und Braunschweig von 1415 und der Teilungsrezess unter den Nachkommen Wilhelms des Jüngeren 1495 lassen diese Zweigleisigkeit der Verklammerungsinstrumente erkennen: Gemeinschaft an Lehen und Huldigung. Allmählich löst dieses doppelgleisige Instrumentarium die Erbverbrüderung als Institut der Kollateralrechtssicherung ab. 1495 wird ein Erbrecht für den Fall, dass die Linie eines Bruders aussterbe, nicht mehr in Form einer Erbverbrüderung vereinbart. Man belässt es bei Samtlehen und Samthuldigung. Die gleichsam eindimensionale innerdynastische vertragliche Verklammerung zweier Linien wird aufgegeben und ersetzt durch eine – genauer: eine doppelte – gleichsam zweidimensionale, außerhalb der Familie ankernde Sicherung. Nicht mehr die Vertragsparteien und allenfalls ihre Erben stehen für die Kollateralerbfolge ein. Vielmehr wird diese durch Rechtsbeziehungen zu Dritten zu erreichen gesucht. Dabei wählte man gewissermaßen institutionalisierte und damit in ihrem Bestand dauerhafte Garanten: das Reich und das Land. Zudem mussten diese Rechtsbeziehungen nicht völlig neu geknüpft werden. Lehnsnexus und Huldigung sind überkommene, bekannte Institute gewesen. Nur wurden sie nun bewusst instrumentalisiert. Das war das Neue.
574
Überblick dazu bei G. Pischke, Landesteilungen, S. 214 f.
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Die Entwicklung in Richtung einer aus dem Gespinst vertraglicher Verbindungen herausgelösten,575 dieses überwindenden und aus dem Rechtsstoff des Lehnrechts gefügten Sukzessionsordnung wird auch in einer zunehmenden Verrechtlichung der Sukzessionsbehandlung, der Bindung an vorangegangene Rechtsakte oder gar an ein außer- bzw. übervertragliches Recht sinnfällig. Vielfältig wird auf bestehende Vereinbarungen Bezug genommen. Beispielhaft sei hier der Vertrag von 1414 genannt, der mehrfach den deelebreue – von 1409 – heranzieht. Bei der Teilung von 1428 schlägt sich diese zunehmende Ausrichtung der Sukzessionsbehandlung an bisherigen Regelungen, diese zunehmende Akzeptanz normativer Kraft überkommener Hausverträge in einer Verfahrensverabredung nieder, nach der Landgraf von Hessen als Vermittler des Teilungsgeschäftes inne Rechten erkennen vnnd utsprecken scall, wo itt umb dem Samtbreff, Recesse, Uthsproke vnnd den nien sunderliken Bunde, wat dar an beiden Siden geschen were, wsen sculle und muge. Der Landgraf soll die avisierte Teilung auf Vereinbarkeit mit dem bestehenden – weithin vertraglich begründeten – Hausrecht prüfen. 1442 will man dann – entsprechend der Erfahrungen Wilhelms von 1433 – von dem Geflecht hausvertraglicher Bindungen als Maßstab und Grundlage eines (Kollateral-)Erbrechts nichts wissen. Gleichwohl ist dieser Vertrag ein hervorragendes Zeugnis der Verrechtlichung. Ausdrücklich wird auf eine Sukzession na Erues-Rechte, so sick van Zibbetale vnd Rechte geboret, gepocht. Insbesondere im Zusammenhang mit der Betonung der Unabhängigkeit der einzelnen, in Samtlehen und Samthuldigung verbundenen Linien, ihrer Selbstständigkeit, findet sich der Bezug auf die bestehende, zumeist vertragliche Rechtslage, vor allem also die Teilbriefe. Hierzu bildet das Beschwören der Sonderung von Braunschweig und Lüneburg 1487 ein Beispiel. Ein weiteres Zeugnis des aufkommenden Bewusstseins rechtlicher Gebundenheit bei der Regelung der Nachfolge in den Fürstentümern – über das Lehnrecht und das überkommene Erbrecht hinaus –, ja der Gebundenheit an ein Hausrecht, ist die Errichtung des Gesamtarchivs im Stift St. Blasius in Braunschweig 1409. Seine Installation war nicht nur Symbol welfischer Einheit, sondern auch notwendiges Mittel ihrer Erhaltung und Ausgestaltung. Bei aller auch im 15. Jahrhundert erkennbaren Bemühung um einen Erhalt welfischer Gemeinschaft, um die Sicherung des Bestandes an Rechtspositionen in der Hand der Familie ist kennzeichnend für die „linienübergreifenden“ Verabredungen dieser Zeit die Betonung der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit bestehender Linien des Hauses. Die Gemeinschaft ist eine reine Sukzessionsgemeinschaft. Die Verklammerung durch die Instrumente des Samtlehns- und Samthuldigungsempfangs dient allein dem Ziel, das gegenseitige Kollateralerbfolgerecht zu sichern oder her-
575 Die Verabredung eines gemeinsamen (Samt-)Lehnsempfangs zwischen den Söhnen Wilhelms des Jüngeren 1495 deutet aber auf die Möglichkeit – zu einem gemeinsamen Lehnsempfang ist es offensichtlich nicht gekommen – der Entwicklung eines neuen Gespinstes an bilateralen Verbindungen innerhalb des Welfenhauses hin: Die Braunschweiger Linie wäre durch das Gesamtlehnsband in sich verbunden und zugleich im Samtlehnsverbund mit Lüneburg. Eine Verschachtelung der Lehnsverbindungen war möglich.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
zustellen.576 Bis zum Eintritt des geregelten Sukzessionsfall – und dies wird in den Verträgen des 15. Jahrhunderts immer wieder betont – achten die Fürsten auf völlige Unabhängigkeit von ihren welfischen Seitenverwandten. Offenbar gab es auch Anlass dazu. Die Abwehr gegenseitiger Einmischung ist ein zentrales Anliegen des Vertrages von 1414. Es mutet nicht als Deklaration etwas Selbstverständlichen an, wenn es dort heißt, dass einer dem andern nenerley gedreng noch Verhindernisse don edder don laten an sinem deile vnd herschuppen, dar ohm togevallen is. Besonders deutlich kommt dieses geläufige Schema der nicht auf Teilung ausgerichteten Haus- und Erbverträge in dem ersten Vertrag von 1442 zum Ausdruck. Unmittelbar nach Verabredung der Sukzessionsgemeinschaft wird sofort die Selbstständigkeit der einzelnen Herrschaften überaus deutlich betont: Die jeweils anderen sollen sich van allenthalben des andern Land vnd Herscup van Regiments, Vormunerschup edder anderer Sake wegen underwinden. Und auch das zu Beginn des 15. Jahrhunderts das Beispruchrecht der Agnaten ablösende Näherrecht577 ist ein Zeichen für das Auseinanderdriften der welfischen Linien, die zunehmende Verselbstständigung ihrer Fürstentümer. Der einzig tatsächlich zu lösende Fall der Kollateralfolge im Welfenhaus im 15. Jahrhundert, die Nachfolge des erbenlos verstorbenen Göttinger Regenten Otto Cocles, konnte und wurde noch nicht mittels der neuen Instrumente gelöst. Die Göttinger Linie war nicht an dem Gesamtlehnsverband beteiligt. Otto war aber mit beiden Linien durch Erbverbrüderungen und anderweitige Erbverträge verbunden. Im Ergebnis wären indes auch bei einer lehnrechtlichen Lösung Schwierigkeiten der Zuteilung Göttingens auf die beiden prätendierenden Linien aufgetreten. Beide welfischen Zweige waren nun einmal mit dem dritten, dem Göttinger, im gleichen Grade verwandt. b) Die Stabilität der welfischen Fürstentümer im 15. Jahrhundert Gemeinhin wird dem Fürstentum im deutschen Reich um 1500 ein neues Erscheinungsbild attestiert, das – zusammenfassend wie vereinfachend ausgedrückt – von der Institutionalisierung der Herrschaft gekennzeichnet ist.578 Die Ämterbildung war weithin abgeschlossen; ihr Netz enger geknüpft. Und darüber etablierte sich im 15. Jahrhundert eine zentrale fürstliche Verwaltung, die nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich im engsten Zusammenhang mit der Residenzbildung steht.579 Wenn576
Das Reich erkannte daneben auch die Selbstständigkeit der welfischen Fürstentümer an: In den Reichsmatrikeln von 1422 erscheinen die welfischen Fürsten gesondert aufgeführt; ebenso in der so genannten Wormser Matrikel von 1521; Ch. Römer, Generationen, S. 13, spricht insoweit sogar davon, dass die vier welfischen Fürstentümer (Braunschweig, Lüneburg, Calenberg-Göttingen und Grubenhagen) in dieser Reichsmatrikel „festgeschrieben“ seien. 577 Dazu näher B.IV.2.c)bb) und IV.2.d). 578 Dazu für viele: D. Willoweit, Verwaltung, S. 66 ff.; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 45, 77 ff.; ders., Niedersachsen, S. 783 ff. 579 Dazu vor allem H. Patze, Residenzen.
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gleich mit zeitlicher Verzögerung, lässt sich der Ausbau eines Herrschaftsmittelpunktes und durch diesen bedingt von ortsfesten Institutionen auch in den welfischen Landen feststellen. Die Lüneburger bauten nach 1371 Celle, die Braunschweiger Fürsten Wolfenbüttel zur Residenz ihrer Fürstentümer aus.580 Allmählich, auch in den Hausverträgen der Fürsten sichtbar, schritt die Grundlegung fürstlicher Zentralverwaltungsstrukturen voran. Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts tritt ein fürstlicher Rat als eigene, geschlossene Institution, wie sie im 14. Jahrhundert noch nicht ausgebildet war, hervor: der „heimliche Rat“.581 Bereits erwähnt ist die erstmalige Bezeugung des Kanzlers in den welfischen Landen im Hauptvertrag von 1442.582 Kammer, Kämmerer oder Rentmeister und eine geordnete Zentralkasse entwickeln sich allerdings erst in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Fürstentümern Braunschweig-Wolfenbüttel, „Calenberg“ und Lüneburg heraus.583 Nicht zuletzt diese Institutionalisierungs- und mithin auch Rationalisierungselemente verliehen dem Fürstentum Stabilität. Zielten diese Elemente zwar zunächst unmittelbar nur auf die Ausübung fürstlicher Herrschaft, ihre Stabilität, vermochte zumindest die Residenzbildung, die Ablösung der fürstlichen Reiseherrschaft zu Gunsten einer Verdichtung von Herrschaftsinstitutionen und -mitteln an einem Ort, auch zur Verfestigung der äußeren Gestalt des Fürstentums beizutragen. Zum einen dürfte die Zentrierung und Verdichtung von Herrschaft das Bewusstsein der Einheit des dieser zugeordneten Gebietes befördert haben. Zum anderen, damit einhergehend, barg die ausgebaute, ausgestattete Residenz ein faktisches Teilungshemmnis. Denn gehörte zu einer Herrschaft üblicherweise eine Residenz, musste jeder Teilung die Begründung einer neuen Residenz mit all ihren Attributen folgen. Jedenfalls war davon auszugehen, dass das Streben des durch Teilung zur fürstlichen Herrschaft gelangenden Regenten auf Auf- oder Ausbau einer Residenz gerichtet sein würde. Dieser kostenträchtige Aufwand konnte abschreckend wirken. Und diese – äußere – Stabilität des Fürstentums zeigt sich vor allem in der allmählichen Überwindung der Landesteilungen.584 Dabei dürften sich Institutionalisierung der fürstlichen Herrschaft und Überwindung der Teilung, also äußere Stabilisierung des Fürstentums gegenseitig bedingt haben; beides dürfte in der jeweils anderen Erscheinung Ursache wie auch Wirkung gefunden haben. Die Überwindung der Teilung war nützlich beim Ausbau der Institutionen. Die Institutionen halfen, jedenfalls das Bewusstsein für eine zu erhaltende Einheit des Fürstentums zu befördern. Auch die welfischen Herrschaftseinheiten wurden im 15. Jahrhundert stabiler, vermochten es, die Erbauseinandersetzungen der Fürsten wenigstens im Kern zu 580
Zu Celles Ausbau eingehend H. Dormeier, S. 33 ff. So in der Erbverbrüderung und auf Seiten Bernhards und Heinrichs, den Braunschweiger und Lüneburger Regenten, mit Otto Cocles, dem Göttinger Regenten von 1401 (Sud. IX 114); zu diesem Gremium im 15. Jahrhundert auch B. Krusch, (1893) S. 302. 582 Oben B.III.1 Anm. 58. 583 Dazu H. Samse, S. 21 ff.; G. Scheel, S. 752 ff.; allgemeiner G. Droege, Ausbildung. 584 So auch ohne Bezug zu einem bestimmten Fürstentum E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 45. 581
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
überdauern. Nur scheinbar freies, allein der Herstellung von Ertragsgleichheit der Erbportionen verpflichtetes Verschieben von Ämtern kennzeichnet die Auseinandersetzungen der fürstlichen Verlassenschaften 1409, 1428, 1432 und 1495. Selbst hinter dieser Art und Weise der Nachlassbehandlung, die auf den ersten Blick eine von jeglicher Versachlichung unberührte Herrschaftsauffassung zum Ausdruck bringt, steht ein Element der Institutionalisierung der Herrschaft: Die Durchgestaltung der Ämter und ein wenigstens rudimentäres zentrales Rechnungswesen. Wie anders wäre etwa die Minderwertigkeit des Erbanteils, den Wilhelm der Ältere 1432 erhielt, das neu geschaffene „Calenberg“, zu ermitteln und die entsprechende Ausgleichszahlung zu beziffern gewesen? Vor allem aber betraf dieses Streben nach ökonomischer Gerechtigkeit bei dem Zuschnitt der Erbteile nur die Ränder der im Kern unberührten Länder. Im 15. Jahrhundert ist bei keiner Erbauseinandersetzung mehr aus einem mehr oder minder geschlossenen Herrschaftsgebiet eine neue Herrschaft herausgeschnitten worden.585 Dass eine bis dahin ungeteilte Herrschaftsfläche in zwei oder mehr völlig neue, auch nicht in ähnlicher Gestalt bisher gekannte Herrschaftsgebilde zerlegt worden ist, hat es streng genommen in der Geschichte welfischer Erbauseinandersetzungen im Mittelalter nur dreimal gegeben: 1267/69, als aus BraunschweigLüneburg Braunschweig und Lüneburg wurden, 1291, als aus Braunschweig Braunschweig, Göttingen und Grubenhagen entstanden, und zwischen 1322 und 1337, als Grubenhagen unter den Söhnen Heinrichs I. kurzzeitig weiter aufgeteilt wurde. Seither bildeten regelmäßig Herrschaftsgebilde, die schon einmal in vergleichbarer Gestalt bestanden, den Kern der Erbanteile. So wurden beispielsweise 1345 die Länder Göttingen und Braunschweig erneut voneinander gesondert, nachdem sie 1292, die Teilung von 1291 erledigend, in der Hand Albrechts II. wieder zusammengefallen waren. Und auch bei den Teilungen 1388, 1409, 1428 und 1495 waren die gebildeten Erbteile „alte Bekannte“. Einen Sonderfall stellt die Teilung von 1432 dar. Hier wurde zwar ein zumindest vier Jahre lang bestehendes Herrschaftsgebilde auseinanderdividiert. Insofern scheint bei dieser Auseinandersetzung noch keine Stabilität des Fürstentums bestanden zu haben. Allerdings setzte sich der Wilhelm zugedachte Teil ausschließlich aus (Neu-)Erwerbungen der Braunschweiger Linie aus den vorvergangenen Jahrzehnten zusammen. Besonders diese Erbteilung zeigt, dass und inwiefern sich in der Praxis unteilbare Kerne herausgebildet haben, der Teilung offensichtlich unüberwindliche Hindernisse entgegenstanden. Die Bürger Braunschweigs verlangten, dat man dat Landt to Brunschwig nicht deelen schulle. Aus diesem Verlangen wird zunächst ersichtlich, was Gegenstand der Unteilbarkeit sein sollte, wessen Einheit es zu erhalten galt. Nicht das fürstliche Patrimonium und das von diesem in seiner äußeren Gestalt bestimmte Fürstentum sollten unberührt bleiben. In diese Masse wurde ja eingeschnitten. Vielmehr waren die altbraunschweigischen Lande in ihrer Gestalt zu erhalten. Überdies zeigt sich 1432 einmal mehr sehr deutlich, wer einen Beitrag zur Unteilbarkeit, zur Stabilität der äußeren Gestalt der Fürstentümer, jedenfalls der von diesen umfassten Lande, geleistet hat: die Stände oder zumindest ein 585 Engagiert gegen eine Vorstellung, fürstliche Herrschaft erstrecke sich, wenigstens im 15. Jahrhundert, über geschlossene Flächen E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 3 ff.
III. Fürstentümer und Gesamthaus – die Sukzession im 15. Jahrhundert
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Stand.586 Wiederum, wie schon in den Zeiten des Lüneburger Erbfolgestreits, lässt sich der Träger der Unteilbarkeitsidee in der ständischen Sphäre ausmachen, bildet diese Sphäre ein Gegengewicht gegen die fürstliche Teilungstendenz. Allerdings wird nun die ständische Einflussnahme in ihrer Wirkungsweise deutlicher, treten die Stände nun zunehmend als „handelnde und verantwortliche Instanz“587 hervor. Zu Beginn des Jahrhunderts ist die ständische Handschrift noch blass; 1409 werden nur Vertreter der Ritterschaft und nur als Zeugen hinzugezogen. Vielleicht ist die vorvergangene Abscheidung Lüneburgs von Braunschweig im Jahre 1388 in dem na rade vnser leuen getruwen, Manne vnd Stede geschlossenen Beistandsvertrag Bernhards von Braunschweig mit Heinrich von Lüneburg von 1414 gemeint, wenn die Beteiligung der Mannen und Städte an der Teilung der Herrschaften betont wird: (…) deile vnd herschuppen, dar ohm togevallen is, also wy de in Vortyden ock na rade vnser Manne vnd Stede gedeilet vnd entwey gesat hebben. Dass die „lieben Getreuen“ auf die Mannen, also die Ritterschaft, und die Städte reduziert werden, obwohl 1388 neben manscop vnd Stede auch die Prälaten ihren Rat gaben, kann darauf zurückgeführt werden, dass nun, 1414, eben nur die beiden benannten Stände, unter Ausschluss der Prälaten, mitgewirkt haben. Die Betonung der ständischen Mitwirkung an der Teilung in Vortyden soll die Autorität, die Unangreifbarkeit der Sonderung und folglich auch die Selbstständigkeit der Fürsten in ihren Teilen herausstreichen. Insofern ist sie vielleicht auch als Hinweis darauf zu verstehen, dass die Stände eigentlich, in der Regel, gegen eine Teilung waren. Stimmen sie aber zu, gewinnt die Teilung an Gewicht. Bei der weiteren Annäherung von Braunschweig und Lüneburg im Jahre 1415 wird den Ständen vornehmlich die Rolle eines Instrumentes zugedacht. Zum einen wird aus ein Rat von 25 Rittern, der gegebenenfalls durch Vertreter der Städte zu ergänzen ist, gebildet. Zum anderen setzen die beiden welfischen Fürsten das Huldigungsrecht der Stände, zu einer Widerstandspflicht gesteigert, als Mittel gegen zukünftige Teilungen ein. Auch 1428 kommt den Ständen, die erstmals in einer Urkunde zur Regelung der Erbauseinandersetzung, nämlich derjenigen vom 22. August, klar von den Räten geschieden erscheinen, zwar eine mitwirkende, neben dem Landgrafen von Hessen aber keine zentrale Rolle zu. Eine solche tragende Rolle kam den Ständen in den beiden grubenhagenischen Nachfolgeregelungen von 1402 und 1481 zu. 1402 – mag auch noch keine eindeutige Trennung zwischen einem fürstlichen und einem ständischen Rat gezogen sein, mag es zudem auch an einer Mitwirkung der Prälaten fehlen – wird dies vor allem in der Abfassung der Urkunde zum Ausdruck gebracht, die zugleich die Landesüberweisung und die Huldigung durch die Räte enthält. Ein Novum, ja ein singulärer Fall stellt der Rollentausch von 1481 dar, dass die Stände die Teilung, die Nachlassregelung, die Herrschaftsnachfolge bestimmen und die Herzöge dem lediglich zustimmen. 586 Die Rolle der Stände als „Verfassungsbestandteil des fürstlichen Staates, der ihnen im Grunde seit Mitte des 15. Jahrhunderts erst Organisation und Festigkeit gab“, betont P. Fried, S. 330 ff., 332. Im 16., ganz deutlich dann im 17. Jahrhundert werden die Teilfürstentümer selbst „Landschaft“ genannt. 587 E. Schubert, Niedersachsen, S. 862.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Deutlich tritt die aktive, die Regelung der Herrschaftsnachfolge entscheidend mitbestimmende Rolle der Stände Mitte des 15. Jahrhunderts im Fürstentum Lüneburg zu Tage.588 Besonders 1471, als der herrschaftsmüde Friedrich der Fromme ein weiteres Mal zur Regentschaft gelangte, erscheinen die Stände, die Vormünder Friedrichs minderjährigen Enkels Heinrich, auch bevor die Vormundschaft überhaupt in Kraft treten konnte, als die eigentlichen Inhaber der Herrschaft. Wie auch schon 1457 und 1471 liegt auch nach der Urkunde von 1472 der Mitwirkung des Rates, des Vormundschafts-„Vereins“, wie es v. Arnswaldt überzeugend dargelegt hat, die Vorstellung der Identifikation mit allen Prälaten, Rittern und Städte des Landes zu Grunde.589 Der Vormundschaftsrat übernimmt Verantwortung für das Land. Er erlässt eine umfassend verbindliche Landfriedensordnung. Er verwehrt sich gegen die Einmischung der braunschweigischen Fürsten in die hiesigen Landesangelegenheiten, solange Friedrich nicht ohne Manneserben verstorben sei. Und er garantiert die Einheit des Landes unter einem Herren auch über den Bestand Friedrichs Linie hinaus. Allerdings – und dies belegt nicht nur das bekannte Beispiel der Regimentsübertragung auf die Göttinger Stände durch den ebenfalls herrschaftsmüden Otto Cocles 1435 – vermochten die Stände die ihnen angetragene Rechtsstellung offensichtlich nicht auszufüllen. Auch die Lüneburger Stände, handelnd durch den großen „Vormundschaftsverein“, haben schließlich Friedrich, wie dieser in seinem Testament von 1477 bemerkt, gedrängt, die ihm zukommende Regentschaft auch wieder anzunehmen. Die Bedeutung der Landstände, ihre gesteigerte Mitverantwortung für die Landesgeschicke, spiegelt sich auch in einer veränderten Herrschaftssignatur, einem anders gefassten Herrschaftsverständnis wider. Die Herrschaft erscheint in ihrer Behandlung in den Erbauseinandersetzungs- oder vereinigungsverträgen wie auch den Verträgen zu ihrer lebzeitigen Übertragung sprachlich verdichteter, vielfach mit dem Wort Regiment wiedergegeben, weniger als Zusammensetzung ihrer einzelnen Bestandteile und Befugnisse denn umgekehrt, dass diese aus jener folgen oder wenigstens ihre Aufzählung eher der Erläuterung der Herrschaft dienen. Hinter dieser Verdichtung der sprachlichen Herrschaftserfassung schimmert eine Verschiebung im Bezugspunkt der Herrschaft durch: Die Personenverbandsherrschaft tritt – so mögen manche sagen: wieder – deutlicher hervor. Die fürstliche Herrschaft erscheint nun nicht mehr – vereinfachend – als die Zusammenfassung der Ämter, der Lehnsherrschaft sowie der dignitas des principatus, sondern vor allem auch als Herrschaft über die Stände. Deren stärkere Korporierung verleiht ihr einen nahezu monolithischen Anstrich. Das Regiment geht über die Befugnisse aus den einzelnen von der Herrschaft umfassten, in die Ämter eingeschmolzenen Rechtstiteln hinaus, ist mehr als nur deren Summe, deren Abstraktion von den örtlichen Realien. Zugleich ist es auch nicht nur eine gleichsam entmaterialisierte, aus dem Reichsstand erwachsene fürstliche Würde. 588 Weniger deutlich kommt eine aktive Rolle der Stände bei der Herrschaftsnachfolge im Fürstentum Braunschweig, wolfenbüttelischen wie calenbergischen Teils, zum Ausdruck. 1495 etwa erfolgt die Teilung nach Rat eines offensichtlich nicht ständischen, sondern allein fürstlichen Rates. 589 S. 86 ff., bes. 87.
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Das Regiment ist durchaus materialisiert. Signifikantes Beispiel dafür ist die Mutschierung von 1483: Dem gemeinsam verbleibenden Regiment wird die Landbede zugeordnet. Sie ist der über die in Ämter gefassten Befugnisse hinausgehende landesweite Rechts- und Einkunftstitel. Besonders deutlich tritt dieser Wandel der Herrschaftsauffassung in der Beschreibung dessen, was Friedrich 1457 seinen Söhnen als Herrschaft übergibt, hervor. Er hat zine prelaten mannen und Stade und alle zine undersaten an seine Söhne gewiesen, Regiments wyse zick na uns to richttende. Schon in dem Scheinkauf von 1433 werden als Teil des Kaufgegenstandes, der sich im Übrigen aus Fürstendom, Herscoppe, Grauescoppe und Frige Herscoppe zusammensetzt, die Redderscoppe und die Mannscoppe angeführt. Mit sich zunehmend fester korporierenden Landständen, mit Ansätzen zur „Umformung der Personenverbände in Untertanenverbände“, zielt die fürstliche Herrschaft auf eine Struktur hin, die für die Rezeption des Staatsgedankens vorbereitend wirken konnte.590 Noch aber war man von einem transpersonalen Staatsgedanken weit entfernt. Vielmehr scheinen sich im 15. Jahrhundert die in den mittelalterlichen Universitäten geführten Diskussionen „nicht als besonders produktiv für das spätmittelalterliche Fürstentum“ zu erweisen, mag auch der „Schlüsselsatz scholastischen Staatsdenkens“ rex propter bonum commune in Abwandlung in die Arengen der Urkunden zur Nachfolgeregelung in fürstliche Herrschaften Eingang gefunden haben.591 Noch im 14. Jahrhundert wird in Hausverträge im Welfenhaus nur selten ein über den unmittelbaren Vertragsgegenstand hinausweisendes Ziel benannt. Ausnahmen sind hier die Verträge von 1292 (omnium nostrorum subditorum utilitate ac honore), von 1355 (vppe dat we Vrede vnde rowe maken vsen vndersaten in vser Herschop vnde se bi endracht vnde bi eren be holden na vseme dode) und 1374 (Vppe dat we vns vnse Land Stede vnd Ludhe Geistlik vnd werltlik vnser herschop to Brunsw. by gnaden Eren vn werdecheit beholden vnd eyndrechticheit der suluen vnser Lande Stedhe vnd lude maken). Im 15. Jahrhundert ist dann eine Formel vorherrschend, die fürstlichen wie gemeinen Nutzen gleichermaßen umfasst; beispielsweise heißt es in der Arenga der Urkunde zu 1415: vns, vnsern Eruen, Landen vnde Luden to Nutte vnde to Fromen. Sehr ähnlich wird auch in den Urkunden der Jahre 1414, 1433, 1435. 1442, 1483 und 1491 formuliert. Dass diese Verwendung – im 17. Jahrhundert dann staatsrechtlich voll ausgebildeter –592 Begriffe in der fürstlichen Urkundspraxis nicht allein bloße Floskel war, zeigt sich daran, dass die Beteuerung des Nutzens für Land und Leute nicht in Urkunden erscheint, die auf Teilung gerichtet waren, sondern nur in Erbvereinigungen und vergleichbar integritätsfördernden Abreden. Die Herzöge behaupteten also nicht einfach den Gemeinnutz immer wieder und ganz pauschal. Wirkungsmächtiger für die Stabilisierung des Fürstentums, die äußere wie die innere, war die Entwicklung der Stände und des, jedenfalls eines Motors dieser Ent590 591 592
Dazu vor allem E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 80 ff., bes. 85. P. Fried, S. 302, für Bayern; dies verallgemeinernd E. Schubert, ebd., S. 83. Dazu M. Stolleis, Arcana Imperii, bes. S. 69 f.; ders., Geschichte, Bd. 1, S. 209.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
wicklung, der Steuer. In den welfischen Landen hatte sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die allgemeine Steuer durchgesetzt.593 Sie führte zu einer Zentralisierung auch der materiellen Herrschaft. Sie musste daher zu einem Bewusstsein von Einheitlichkeit der Herrschaft führen. Und die Herrschaft des Fürsten musste nun zunehmend in einen Dialog mit den Landständen treten; die Geschichte der Verpfändung wurde von der Geschichte der fürstlichen Schulden und ihrer Begleichung aus Steuermitteln abgelöst.594 Damit war eine Perspektive eröffnet, die Herrschaftsnachfolge nicht mehr gleichsam eindimensional in rein innerdynastisch verbindlichen Verträgen zu erfassen, sondern in gleichsam zweidimensionale Landesverträge einzubinden, wie es dann auch im mittleren Haus Lüneburg während des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts praktiziert wurde.595 Was aber brachten die Stände in diesen Dialog, der im 15. Jahrhundert in Ansätzen seinen Ausgang nahm, mit ein? Was war ihr Streben? Sicherlich waren sie grundsätzlich gegen die Schmälerung der landesherrlichen Einkunftsbasis und damit gegen die Veräußerung einkunftsträchtiger Herrschaftspositionen.596 Dass sie gegen Teilung der Lande bei Erbauseinandersetzungen unter den Fürsten waren, ist gleichsam reflexiv überliefert. Die Herzöge versprechen den Ständen schon im 14. Jahrhundert, die Lande, auch für ewig, ungeteilt zu belassen. Auch deutet die Beteuerung des Nutzens und Frommens von Land und Leuten regelmäßig in denjenigen – innerdynastischen – Verträgen, die einer Landesteilung entgegenwirken, vorbeugend wie heilend, darauf hin, dass die Stände als Träger der Unteilbarkeitsidee gelten, dass ihnen das Streben danach zugeordnet wird. Doch gibt es in den Hausverträgen nur ein ausdrückliches Zeugnis dafür, dass die Stände der Teilung eines Landes, nicht der Teilung des Patrimoniums und des Fürstentums, konkret entgegengewirkt haben: 1432 verwehrt sich zumindest die Stadt Braunschweig gegen eine Teilung des altbraunschweiger Landes. Deutlicher kommt das Interesse der Stände an der Sicherung ihrer Rechte und Privilegien über den Wechsel in der Person oder auch des Hauses des Herrschers hinaus und an dem, was ihnen, den Lüneburger Ständen, von Wilhelm von Lüneburg und Magnus von Braunschweig kurz vor dem Lüneburger Erbfolgestreit versprochen wurde – in der Arenga der Urkunde vom 23. Juni 1355, wiederum reflexiv, bezeugt –: Friede und Ruhe. Der Generationswechsel im Fürstentum, die Sukzession des Nachfolgers, musste vor allem reibungslos und dauerhaft erfolgen. Ordnung und Vorhersehbarkeit war den Ständen dabei wichtig. Dies steht dahinter, wenn die Lüneburger Stände, der Vormundschaftsrat, 1472 ankündigen, sie würden im Falle, dass Friedrichs Linie aussterbe, vor allen Dingen, Eynen Heren, dem dat von rechteswegenn geboren mochte, tolaten und huldigen. Und dies ist die Triebfeder der Göttinger Stände, vor allem der Stadt Göttingen, sich gegen jede nicht erbliche, also dauerhafte Lösung der Göttinger Frage zu stemmen. 593 594 595 596
E. Schubert, Niedersachsen, S. 871. Ders., Steuer, S. 15 f. Unten B.V.1.c). Dazu unten B.IV.3.
IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung
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Eine Inkongruenz zwischen ständischem Streben nach Unteilbarkeit und fürstlichem Bemühen darum, lässt sich feststellen. Sie beziehen sich auf unterschiedliche Objekte. Für die Stände war, wie sich etwa 1432 zeigt, das Land, so unscharf dessen Gestalt auch gewesen sein mag, die Bezugsgröße der Unteilbarkeitsforderung. Das Streben des Fürsten zielte auf Wahrung der Integrität seines Patrimoniums, so etwa die Bemühungen Wilhelms des Älteren und Wilhelms des Jüngeren. Dahinter stehen die Inkongruenz von Land und Patrimonium und der Landbezug der Stände. Wie der ältere verfügte auch der jüngere Wilhelm über drei welfische Lande: Braunschweig, „Calenberg“ und Göttingen. Die Stände dieser Lande waren aber nicht vereinigt. Der Vereinigung von Landen folgte nach Reinicke „nur selten und spät auch eine Verschmelzung der Landschaften“.597 Letztlich lässt sich auch die Einigung der beiden Prätendenten, auf der Lüneburger Seite Heinrich der Mittlere, auf der Braunschweiger Seite Heinrich der Ältere von Braunschweig und Erich von Calenberg, über den Nachlass Ottos des Einäugigen (Cocles) als Zeichen einer erreichten Stabilität begreifen. Die Göttinger Lande wurden nicht zwischen den Lüneburger und den Braunschweiger Regenten geteilt. Mag man einwenden, dass die Lüneburger, als letzter in der Reihe der Verhandelnden Heinrich der Mittlere, gar kein Interesse an einem „halben“ Land Göttingen gehabt haben, so liegt auch darin ein Hinweis auf die zunehmende Stabilisierung fürstlicher Herrschaft, auf die zunehmend greifbarere Integrität des Fürstentums. Denn dieser Anteil an Göttingen wäre in Anbetracht seiner räumlichen Absonderung von den Lüneburger Landen in ein arrondiertes Fürstentum nicht zu integrieren gewesen.
IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung bis etwa 1500 1. Alienation von Herrschaftstiteln – Mobilisierung der Herrschaftsordnung a) Zum Verhältnis von Veräußerung zur Teilung der Herrschaft Die Veräußerung, die Alienation von Herrschaftsbestandteilen ist gewissermaßen die Schwester der Landesteilungen. Teilung der Herrschaft und Veräußerung ihrer Bestandteile sind Erscheinungsformen, Spielarten, dessen, was als Mobilisierung von Herrschaftsrechten bezeichnet wird.598 Beides waren Verfügungen des individuellen Inhabers oder der individuellen Inhaber über das Substrat der Herrschaft oder Ausschnitte davon. Käufe und Verkäufe, Pfandsetzung und Pfandlösung von Burgen, von Städten, von Gütern, von Münzen, Zöllen und Beden, das Auseinanderreißen und 597
S. 20. W. Schlesinger, Landesherrschaft, bes. S. 107, 111, 121; G. Landwehr, Mobilisierung, S. 484 ff., bes. S. 486 f.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 74 ff.; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 19 ff.; ders., Niedersachsen, S. 611 ff. 598
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
auch wieder Zusammensetzen von den aus diesen Positionen gebildeten Herrschaftseinheiten zu immer wieder anderen Einheiten; dahinter steht die Mobilität und ihr folgend die Kommerzialisierung der Herrschaftsordnung. Dies war eine „typische Form landesherrlicher Politik“;599 sie prägte das spätmittelalterliche Fürstentum. Richtet man den Blick auf den Bestand an Rechtstiteln, aus denen sich das Fürstentum zusammensetzt, so konnte dieser in Menge und Zusammensetzung in zweifacher Weise, aus zwei Richtungen in Bewegung, in Gefahr kommen: gleichsam jeden Tag durch die Alienationen und im Falle des Generationenwechsels in der Herrschaft durch Teilung. Die individuelle Rechtsposition des Dynasten, des jeweiligen Herrschaftsinhabers oder Nachfolgeberechtigten, tritt in den Verfügungen stärker hervor, ist Voraussetzung für diese. Er setzt sein Recht am Nachlass durch; er individualisiert seinen Anteil daran in der Teilung. Er liquidiert auf ihn entfallende Anteile am Patrimonium; er verkauft und verpfändet Stücke daraus. Die gegenläufige Entwicklung, die Überwindung der Teilungspraxis, die Entwicklung einer Unteilbarkeit der Herrschaft ebenso wie die zunehmende Unveräußerlichkeit ihrer Bestandteile sind hingegen gleichermaßen Indikator der Versachlichung. Zunehmend wird die Herrschaft der Verfügungsbefugnis ihres zeitigen Inhabers entzogen, dessen Verfügungsfreiheit eingeschränkt. Das Maß an Verfügungsbeschränkung gilt von daher als das Maß an Staatlichkeit: „Unveräußerlichkeit und Unteilbarkeit von Hoheitsrechten betonen den transpersonalen Charakter des Herrscheramtes“.600 Seit jeher ist die Dispositionsbefugnis des Regenten, das Maß ihrer Gebundenheit ein entscheidendes Kriterium zur Qualifizierung seiner Herrschaft;601 zur Qualifizierung von Vermögensmassen.602 599
D. Willoweit, Verwaltung, S. 71 f. G. Landwehr, S. 500, 502. 601 Insbesondere in dem Werk der Theorie, „den Modernen Staat mittels einer schneidenden Antithese klar in seinem Wesen herauszuarbeiten“ (H. Krüger, S. 138), wobei die negative Folie die regna patrimonialia gegenüber den positiv bewerteten regna usufructuaria bildete, stand naturgemäß die Verfügungsbefugnis des Herrschers im Zentrum des Interesses. Freie Verfügungsmacht war Sinnbild der Erfassung der Herrschaft über den Eigentumsgedanken, der mit Selbstnutz identifiziert und der salus publica entgegengesetzt wurde. Verfügungsbeschränkung – woher sie auch rührte – war der unerwünschten Qualifikation als Patrimonialherrschaft entgegenzustellen. Dazu H. Krüger, S. 137 ff.; D. Willoweit, Art. „Patrimonialstaat“, HRG, Bd. 2, Sp. 1550 ff.; aus der vielfältigen Literatur des Ancien Rgimes nur: Veit Ludwig von Seckendorf, Teutscher Fürsten-Staat, Frankfurt a.M. 1656; Nikolaus Hieronymus Gundling, Comment. de Feud. vexill. Halle 1715; Johann Wilhelm Göbel, Helmstädtische Neben-Stunden, Drittes Stück, bes. S. 128 ff.; Johann Stephan Pütter, Beyträge zum Teutschen Staats- und Fürsten-Rechte. 1. Theil, Göttingen 1777. 2. Theil, ibd. 1779; ders., Anleitung zum teutschen Staatsrechte, aus dem Lateinischen übersetzt von Carl Anton Friedrich Graf von Hohenthal, mit einer Vorrede und einigen Anmerkungen von Friedrich Wernhard Grimm. 1. Theil, Bayreuth 1791. 2. Theil, ibd. 1792 (= Übersetzung von:) Iohannis Stephani Pütteri Institutiones Iuris Publici Germanici. Editio 1 – 6, Göttingen 1770 – 1802; Posse, Adolf Felix Heinrich, Ueber das Einwilligungsrecht teutscher Unterthanen in Landesveräußerungen. Jena 1786; ders., Ueber das Staatseigenthum in den deutschen Reichslanden und das Staatsrepräsentationsrecht der deutschen Landstände. Rostock und Leipzig 1794. 600
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Die Bindungen des Inhabers der Alienationsmöglichkeit sind dort zu suchen, wo auch die Hemmnisse der Teilung herrühren: beim Reich, waren doch die welfische Herrschaft und ihre Bestandteile in toto vom Lehnsnexus erfasst,603 in der Familie und bei den Ständen. Der Lehnsnexus, die überkommenen und neu begründeten Bande in Familie und Dynastie sowie die Versprechen an die Stände schränken die Verfügungsbefugnis des Herrschaftsinhabers ein. Indes besteht gerade im Hinblick auf die Bindungen und den dahinter stehenden Interessen ein deutlicher Unterschied zwischen den durch den Erbfall bedingten Teilungen und den Veräußerungen zur Bestreitung von Einkünften oder anderen Zwecken der Herrschaftsausübung. Bei den Alienationen verringert sich der Umfang von Feudum und zugleich Patrimonium substanziell. Die alienierten Lehnsobjekte gingen dem Lehnsherrn verloren, da kaum zu erwarten stand, dass der Erwerber den Lehnsnexus beachten und in die an dem erworbenen Stück haftenden vasallitischen Pflichten einrückte. Bei den Teilungen blieb der Lehnsgegenstand in seinen Außenmaßen gleich; nur die Anzahl der Inhaber erhöhte sich, die innere Gestalt wandelte sich. Auch und entsprechend lässt sich ein Gegenüber von einzelnem Herrscher einerseits und seiner Dynastie andererseits, ein Spannungsverhältnis von individuellem Streben und kollektivem Interesse bei den Alienationen weit deutlicher zeichnen als bei den Teilungen: Es war die Dynastie, der das alienierte Stück entfremdet wurde. Nach der Teilung blieben deren Produkte in der Hand einzelner Vertreter der Dynastie. Handelnder der Alienationen war eindeutig ein einzelner Dynast; Protagonist der Erbauseinandersetzung waren mehrere Dynasten, waren die Vertreter der betreffenden Linie. Und: Alienationen waren vermeidbar. Erbauseinandersetzungen, als deren eine Form die Teilung auftritt, waren dies nicht. Dementsprechend war die individuelle Veräußerungsbefugnis über Bestandteile des Patrimoniums von jeher familiär beschränkt. Die Dynastie hatte hier eine klare Position. Zur Teilung, ihren verschiedenen Formen und Ausmaßen, musste sich diese sich erst über Jahrhunderte hinweg immer wieder wandeln und herausbilden. Dynastisches Streben konnte auf (Ver-)Teilung wie auch auf Einheitserhalt gerichtet sein; und dies gewissermaßen zeitgleich: die gegensätzlichen Ziele der Verhinderung des Aussterbens des Hauses durch zu starke Verringerung der Anzahl der an der Herrschaft Beteiligten einerseits und der Zersplitterung ihrer Güter andererseits mussten immer wieder in Einklang gebracht werden. Schließlich geben die Bindungen in der Familie, die im Haus des Herrschaftsinhabers verabredeten Alienations-, überhaupt Verfügungsbeschränkungen oder – ins Positive gewendet – Dispositionsbefugnisse auch Auskunft über die Art, über das Wieviel von Gemeinschaft. Die Regelungen der Dispositionsbefugnis sind die Ausgestaltung der ihr zu Grunde liegenden oder gar erst durch sie begründeten Gemein602 In der Diskussion um die Staats- oder Privatgutsqualität der Kammergüter im 19. Jahrhundert wurde natürlich die Dispositionsbeschränkung oder -freiheit des Inhabers in den Mittelpunkt gestellt; vgl. oben A.II.2.c)bb), vor allem bei und in Anm. 351 ff. 603 Der oben bereits erwähnte Rechtsspruch des königlichen Hofgerichts von 1283 (A.III.2.b), Anm. 217) verbot Teilung, Verkauf und Abtrennungen in einem Atemzug.
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schaft. Sie konturieren das Gefüge, das Verhältnisgefüge zwischen den jeweiligen Vertragspartnern; sie bestimmen die Dichte des Bandes. Sie lassen daher eine nähere Typologisierung der Erb- und Hausverträge zu. b) Lehnrechtliche und überkommene landrechtliche Hemmnisse der Alienation Eindeutiger als die Teilungen, waren die Entfremdungen des Lehnguts ohne ausdrückliche Genehmigung des Lehnsherrn grundsätzlich verboten.604 Das Verbot rührt aus der allgemeinen Treuepflicht des Vasallen her, alles zu unterlassen, was die Rechte des Lehnsherrn am Lehngut beeinträchtigen könnte.605 Unter den königlichen Lehnsgesetzen formuliert dasjenige Kaiser Konrads II. von 1037 noch kein an die Vasallen adressiertes Verfügungsverbot;606 ein solches Verbot des Tausches, der Landleihe und des Pachtvertrages über das Lehen richtet Konrad vielmehr an die Lehnsherrn.607 Das auf einem Hoftag zu Roncaglia verfasste Gesetz Kaiser Lothars III. von 1136 rückt hingegen die Alienationen durch die Vasallen in den Mittelpunkt. Es sollte ein Schaden des Reiches, von dem der Kaiser durch „Eingaben“ erfahren hatte, abgewendet werden, nämlich, „dass allenthalben Lehnsmannen ihre Lehen veräußern und sich so nach Weggabe allen Besitzes dem Dienste bei ihren Herren entziehen – wodurch, wie Wir wissen, die Kräfte des Reiches ganz besonders geschwächt wurden, da die Großen Unseres Reiches ihre Lehnsmannen, die sich all ihrer Lehen entledigt haben, gar nicht zur glückvollen Heerfahrt Unseres Namens bringen können“. Daher habe der König „auf Anraten der Erzbischöfe, Bischöfe, Herzöge, Markgrafen, Pfalzgrafen und sonstigen Edlen“ ein Gesetz erlassen, das es niemandem erlaube, „Lehen, die er von seinem Lehnsherrn hat, ohne deren Zustimmung zu veräußern oder sich gegen den Inhalt Unserer Verordnung irgendeinen Handel auszudenken, durch den der Nutzen für das Reich oder die Herren gemindert wird“.608 Verstöße sanktioniert diese Vorschrift mit dem Verlust des Lehens und des Kaufpreises „gleicherweise“. Ebenso wird der Notar, der ein solches Alienationsgeschäft beurkundet, bestraft. Danach bezieht sich dieses Gesetz nicht allein auf Reichslehen, sondern beansprucht Gültigkeit und Wirksamkeit auf alle Lehnsverhält604 Zu den Schwierigkeiten, einen Normbestand zur Verfügungsbefugnis des Vasallen über das Lehngut, zu den Grenzen der Verbindlichkeit normativer Aussagen des Lehnrechts oben A.III.2.b). 605 H. Mitteis, Lehnrecht, S. 627 f.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 406, 411. 606 N. Iblher v. Greiffen, S. 142, attestiert indes dieser Konstitution von 1037 „den wesentlichen Effekt (…), dass mit einem Mal im Rechtsbewusstsein klar wurde, dass das Lehen einen speziellen Typus eines ,ius in re aliena darstellte“. Von da aus musste das Alienationsverbot auch für den Vasallen selbstverständlich sein. 607 MGH Const. I Nr. 45 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 26). 608 MGH Const. I Nr. 120 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 52): nemini licere beneficia, que a suis senioribus habent, absque ipsorum permissu distrahere vel aliquod commertium adversus tenorem nostre constitutionis excogitare, per quod imperii vel dominorum minuatur utilitas. Nach Weinrich wird mit der constituio auf Cod. Just. I 2, 23, 4, Bezug genommen.
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nisse. Der Kaiser wird hier also nicht allein als gleichsam Betroffener tätig, sondern schützt auch die Interessen anderer, nachgeordneter Lehnsherrn – wenn auch letztlich im Reichsinteresse, zum Schutze glückvoller Reichsheerfahrten. Auch auf dem ronkalischen Hoftag von 1158 wurde die Verfügungsbefugnis des Vasallen zu Lasten des Königs, vor allem diejenige über Lehen beschränkt. Im dort verabschiedeten Landfrieden wird die Verfügung über districtum et iurisdictionem imperatoris verboten609. Wer sein Allod verkaufe, solle sich nicht unterstehen, diese kaiserlichen Reservate mit zu veräußern. Dies ist ein Zeichen dafür, dass einerseits die adeligen Allodia noch scheidbar von den reichsderivativen gerichtsherrlichen Rechten waren, andererseits aber diese Scheidbarkeit insoweit im Schwinden begriffen war, dass versehentliche oder absichtliche Mitveräußerungen der Regelung, des Verbotes bedurften. Das ebenfalls im November dort beschlossene Lehnsgesetz, das teilweise wörtlich auf die Gesetze von 1136 und 1154610 zurückgeht, spricht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das lotharische Gesetz ein umfassendes Verbot der Entfremdung von Lehen ohne Zustimmung des Lehnsherrn aus: dies darf nicht im Ganzen oder in Teilen verkauft, verpfändet oder auf andere Weise alieniert oder für das Seelenheil gestiftet werden.611 Kaiser Friedrich I. hebt entsprechend nicht nur künftige, sondern auch zurückliegende verbotswidrige Veräußerungen auf und trifft Regelungen zur Kaufpreiserstattung, zu anderen Rückabwicklungsfragen und Vorkehrungen gegen Geschäfte zur Umgehung des Alienationsverbotes. Insbesondere wird der Verkauf unter dem Deckmantel der Weiterverlehnung, der subinfeudatio, verboten. Die Weitergabe durch Unterbelehnung war, dies ist schon aus ihrer Tauglichkeit zu Verdeckung in Wahrheit anderer Geschäftstypen zu folgern, zulässig.612 Diese Lehnsgesetze Lothars und Friedrichs fanden Aufnahme in die Libri Feudorum und damit in die Rechtspraxis auch in den Landen nördlich der Alpen.613 Auch das Statutum in favorem principum von 1232 Kaiser Friedrichs II. enthält eine Maßnahme zur Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Vasallen über das Lehen. Die Gewährung umfassender fürstlicher Freiheit vom Reich scheint zunächst auf eine Lockerung der Dispositionsbeschränkungen hinzudeuten, sollte doch jeder 609 MGH Const. I Nr. 176 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 65): (11) Ad haec, qui allodium suum vendiderit, districtum er iurisdictionem imperatoris vendere non presumat; et si fecerit, non valeat. 610 MGH Const. I Nr. 148. 611 MGH Const. I Nr. 177 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 66; K. Zeumer, Nr. 14c): 2. (…) ut nulli liceat feudum totum vel partem aliquam vendere vel pignorare vel quoquo modo alienare vel pro anima iudicare sine permissione maioris domini, ad quem feudum spectare dinoscitur. Unde imperator Lotharius tantum in futuro cavens, ne fieret, legem promulgavit. Die Wendung pro anima iudicare ist gegenüber 1154 neu hinzugefügt worden. 612 LF 26, 22. 613 LF 52 – 55; zur Rezeption der ronkalischen Gesetze H. Coing, Bd. 1, S. 355 ff., bes. 358 f.; K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 486 ff., bes. 490; N. Iblher v. Greiffen, und oben A.III.2.b).
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Fürst die Freiheiten, Herrschaften, Grafschaften und Zehnten, auch die feudalen, nach den anerkannten Gewohnheiten seines Landes unangefochten nutzen dürfen. Diese Freiheit umfasste aber keine freie Verfügungsgewalt über lehnbare Güter. Deren Verpfändung verbot das Statut, indem es die Pfandnahme ohne Zustimmung des Oberherrn untersagte.614 Auch im Lehnrechtsbuch des Sachsenspiegels tritt die Rechtsauffassung von der Unveräußerlichkeit des Lehens durch den Vasallen zu Tage. Übereignung,615 Zinsleihe616 wie auch Verpfändung617 sind nach Eikes Aufzeichnung grundsätzlich verboten. Die Unterbelehnung war von diesem Verbot ausgenommen.618 Ebenfalls im Lehnrecht des Sachsenspiegels, aber nicht im Lehnsverhältnis, der vasallitischen Bindung des Mannes an den Herrn, begründet, findet sich ein weiteres Institut der Bindung der Verfügungsbefugnis: die Gesamthand.619 Diese Grenze der individuellen Verfügungsfreiheit ist nicht spezifisch lehnrechtlich; sie ist nicht vertikal, sondern horizontal im Verhältnis zu den Mitbelehnten verwurzelt. In diese Richtung geht auch ihr Schutzzweck; sie schützt die anderen Gesamthänder. Die überkommenen Bindungen der Verfügungsfreiheit in der Familie sind bereits näher dargelegt.620 Das Beispruchrecht der Erben und die Bindung der Gesamthand in ungeteilter Erbengemeinschaft waren auch im Spätmittelalter noch lebendig. Dass diese, wie es vielfach allgemein vertreten wird,621 im Laufe des Mittelalters in Verfall geraten seien, ließ sich für die Welfen, zumindest für das 14. Jahrhundert, nicht belegen.622 Die Traditionsurkunden aus dieser Zeit weisen noch ganz überwiegend den Hinweis auf das eingeholte Erbenlaub oder eine andere Art des Einbezugs der Erben 614 MGH Const. II, Nr. 171 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 114; K. Zeumer, Nr. 55): 20. Item nemo recipiat in pignore bona, quibus quis infeodatus sit, sine consensu et manu domini principalis. 615 Dies kommt etwas verklausuliert in Ssp. Lehnr. 78 § 1 zum Ausdruck. Eike erläutert dort, dass jede Belehnung von lebenslänglicher Dauer sei, es sei denn, dass der Mann, der Vasall, das Gut auflässt, also übereignet. Das heißt, dass die Auflassung des Gutes – gemeint ist: an Dritte – zur Beendigung des Lehnsverhältnisses führt. 616 Ssp. Lehnr. 60 § 1: Niemand kann Burgen, Städte, Gericht und Dienst vom Mannlehen (zu dieser Lehnsform K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 34 f.) gegen Zins ausleihen, vor allem nicht seinen Standesgenossen oder Standeshöheren. 617 Ssp. Lehnr. 68 § 3: Verpfändet ein Mann sein Lehen ohne Erlaubnis seines Herrn, von dem er es zu Lehen hat, so darf der Mann ihn durch Urteil auffordern, dass er es binnen sechs Wochen wieder auslöse. Kommt der Mann dem nicht nach, so hat er seinem Herrn ein Strafgeld verwirkt. 618 Ssp. Lehnr. 7 § 3. 619 Ssp. Lehnr. 32 § 3: Solange sie – die Brüder – ein Gut miteinander haben und gesamthaft belehnt sind, kann keiner von ihnen ohne den anderen Teil davon weiter verleihen oder auflassen und ihn so dem anderen entziehen. Denn wenn der Mann keinen Teil davon empfängt, so kann er auch keinen Teil davon verleihen oder auflassen. Was aber verleiht oder auflässt, das kann er selbst nicht mehr rückgängig machen. Nur einer von denen kann es widerrufen, die das Gut miteinander haben (vgl. auch Ssp. Lehnr. 8 § 1). 620 Oben A.II.2.c). 621 Vgl. nur H. Conrad, Bd. 1, S. 417. 622 Oben A.II.2.c)aa).
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auf.623 Und es ist nicht ersichtlich, dass für den Beginn des Mittelalters, der angenommenen Verfallsperiode, sich ein wesentlich anderes Bild der Praxis zeichnen ließe. Allein aus der anschwellenden Menge der überlieferten Rechtsgeschäfte ist nicht auf eine Lockerung der Bindungen zu schließen. Allerdings ist für das 13. und 14. Jahrhundert auch eine Reihe von Urkunden zu den Schenkungen, Verkäufen, Verpfändungen und Belehnungen der welfischen Fürsten überliefert, die die Berücksichtigung des Beispruchrechts nicht erkennen lassen.624 Teilweise ist dies darauf zurückzuführen, dass nicht der Veräußerer, sondern der Empfänger als Aussteller der Urkunde erscheint; in diesen Fällen findet sich keine Erwähnung der zustimmenden fürstlichen Erben. Ein Prinzip dahinter, eine Erklärung dafür, wann mit und in welchen Fällen ohne Erbenlaub alieniert worden ist – etwa dergestalt, dass Verpfändungen nicht, Verkäufe aber doch konsentiert wurden –, lässt sich ohne eine gründliche, hier nicht zu leistende Untersuchung der Traditionsurkunden nicht erkennen. Zu beachten ist im Übrigen, dass die Einholung des Erbenlaubs zu Zeiten, da die fürstliche Verfügung eine allein individuelle, eine persönliche, war und nicht einem dahinter stehenden Subjekt, auch nicht der Familie, zugerechnet wurde, für den Empfänger des alienierten Gutes wesentlich dafür war, eine Dauerhaftigkeit des Geschäftes über den Tod des Verfügenden hinaus zu sichern; die Nachfolgerverbindlichkeit war nicht von ungefähr eine viel diskutierte Frage der Rechtspraxis des 16., vor allem 17. Jahrhunderts und des gemeinen Rechts.625 Auch die gesamthänderische Bindung der Verfügungsgewalt des Einzelnen in der ungeteilten Erbengemeinschaft fand weiterhin Beachtung.626 Andernfalls wäre, wenn diese nicht grundsätzlich noch in Übung gewesen wäre, beispielsweise die besondere Betonung Albrechts II. und Wilhelms, zwei der Söhne Albrechts des Großen, bei einer 1288 vorgenommenen Verpfändung, die Zustimmung des dritten Sohnes Heinrich sei unnötig,627 nicht verständlich. Nicht nötig war Heinrichs Zustimmung, da er
623 Beispiele: Sud. I 279, 281, 371; II 105, 496, 510, 513; III 61, 62, 63, 181, 257 (jeweils Verfügungen durch Magnus I. unter Einbezug seines Sohnes Ludwig), 292, 330, 338; IV 13, 15, 16, 46, 110, 220; V 157, 224; VI 204; IX 81. 624 Beispiele: Sud. I 124, 270, 275, 277; II 88, 116; III 18, 116, 118, 122 (allerdings behält Magnus sich und seinen Erben den Wiederkauf vor); IV 227. 625 Unten B.V.3., bes. B.V.3.a). Aus der älteren Literatur: J. W. v. Göbel, Nebenstunden, 3. Stück (1736): „Worinn untersucht wird: Ob, und wie weit ein Landes-Herr von dem in seiner Gewalt und Nutzunge habenden Länder, Rechten und Gütern disponiren könne, so daß sein Nachfolger an der Regierunge dadurch verpflichtet werde? Wobey mit von unterschiedenen Formulis Imperii Oder Der Verbindunge zwischen Regenten und Unterthanen der vornehmsten Reiche und Staaten von Europa unterschieden wird“. D. G. Strube, Rechtliche Bedenken, Teil I, 1. Bedenken (1760): „Ob ein Teutscher Fürst seiner Vorfahren in der Regierung Schulden zu zahlen, und ihre Veräußerungen gelten zu lassen verbunden ist?“ P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 143 ff.; U. F. C. Manecke, S. 102 f. 626 Beispiele: Sud. I 47, 48, 530; Überblick bei G. Pischke, Landesteilungen, 46 – 50, zu den Verfügungen der Söhne Albrechts des Großen bis zur Teilung von 1291. 627 Wenck II UB, Nr. 213.
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wohl in einer Art Vorabteilung schon vor dieser Verpfändung aus der Erbengemeinschaft ausgeschieden war.628
c) Erscheinungsformen der lebzeitigen Verfügungen über Herrschaft seit dem Hochmittelalter Allgemein werden die „Veräußerungs- und Verpfändungsgeschäfte über Land und Leute sowie partielle Herrschaftsrechte“ als ein gehäuft auftretendes Phänomen des Spätmittelalters, des ausgehenden 13. und vor allem des 14. Jahrhunderts, betrachtet.629 Die Mobilität von Grundeigentum, Grundherrschaften, und die insoweit hervortretende Individualität der Rechtsposition des Verfügenden lassen sich indes schon weit vor dieser Zeit beobachten.630 Ohne diese Mobilität wären die Herrschaftsgrundlagen der sächsischen Hochadelsgeschlechter nicht zu beschreiben. Die Lage und der ungefähre Umfang ihrer Allodialkomplexe sind durch Übertragungsurkunden überliefert, vor allem, ja nahezu ausschließlich, durch die Zeugnisse über Schenkungen von Gütern an Kirchen und Klöster.631 Das Neue im Spätmittelalter aber ist, dass die Mobilität nun nicht mehr nur Allodia, an denen die Niedergerichtsbarkeit oder bei Übertragungen von Eigenklöstern die Vogtei632 gehangen haben mag, und nur sehr vereinzelt Regalia,633 sondern auch spezifisch herrschaftliche, vermehrt regalische und vor allem auch lehnbare Rechtspositionen erfasste. Die Entwicklung dahin lässt sich auch gleichsam reflexiv an der Lehnsgesetzgebung, an der Reaktion des Reiches ablesen: Hatte das Lehnsgesetz Konrads II. von 1037 noch lediglich dem Lehnsherrn und eben nicht dem Vasallen, ohne dessen Zustimmung einen Tausch, eine Landleihe oder einen Pachtvertrag abzuschließen, verboten, so schritt erst die Reichsgesetzgebung seit 1136,634 besonders die ronkalische von 1154635 und 1158636 gegen die Veräußerung von beneficia sowie districtum et iurisdictionem imperatoris durch den Vasallen ein. In den welfischen Landen allerdings lässt sich erst im 13. Jahrhundert die Alienation von ehedem feudalen oder regalischen, jedenfalls 628
Oben B.I.1 bei Anm. 34. W. Schlesinger, Landesherrschaft, bes. 107, 111, 121; G. Landwehr, Mobilisierung, S. 486 f.; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 21; M. Garzmann, S. 157. 630 W. Schlesinger, Herrschaft, S. 41, etwa schließt aus der Streulage adligen Grundbesitzes, dass schon im 9. Jahrhundert von einer „Beweglichkeit des Grundbesitzes“ auszugehen sei. 631 Vgl. I. M. Peters, S. 86. 632 Beispiel: 1124 schenkte Richardis, die Witwe des Stader Markgrafen Rudolf I. dem Mainzer Erzstift monasterium in Gerodia situm cum tota villa et foro populari inibi constituti (Mainz. UB I, 527; zitiert nach R. G. Hucke, S. 190 Anm. 1206). 633 Vgl. den spärlichen Bestand an Münz- und Zollrechten Heinrichs des Löwen, zusammengestellt bei G. Pischke, Heinrich der Löwe, S. 117 f. 634 Lehnsgesetz Lothars III., MGH DD L III, 105 = Const. I, 120 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 52). 635 Lehnsgesetz Friedrichs I., MGH Const. I, 148. 636 Ronkalischer Landfrieden, MGH Const. I, 176 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 65), und ronkalisches Lehnsgesetz Friedrichs I., MGH Const. I, 177 (L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 66). 629
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in der Rechtssphäre des Reiches wurzelnden Rechten beobachten. Nun werden Grafschaften ge- und verkauft;637 nun veräußern die welfischen Fürsten einzelne Regalien.638 Vor allem aber treten die sich ausbildenden kleinräumigen Herrschaftseinheiten, die Burgen und Schlösser mit ihrem als Bezirk zu denkenden Zubehör, als Gegenstand der Alienationen hervor. Die Mobilisierung der Herrschaftsordnung ist gekennzeichnet von den vielfachen Veräußerungen und Verpfändungen der Burgen und Schlösser der Fürsten. In diese Raumgebilde waren in dem oben beschriebenen Prozess der Konzentration und Verflächung von Herrschaft spezifisch herrschaftliche Rechte eingeschlossen; gerichtsherrliche waren mit den grundherrlichen Rechten verschmolzen.639 Die „Burgen mit den dazu gehörigen Dörfern, also die sich bildenden Ämter“, diese Rechtsbündel, waren im 14. Jahrhundert die „häufigsten Pfandobjekte“.640 Dass das Fürstentum auch in seinen einzelnen Bestandteilen lehnbar und damit dem vom Reich herkommenden Veräußerungsverbot unterlag, war eine Auffassung, die man offenbar nicht allein nur in den welfischen Landen nicht teilen wollte. Das Fürstentum mochte insgesamt als Reichslehen verstanden werden; seine Atome und Moleküle aber wurden nicht so behandelt, als seien sie vom Lehnsnexus erfasst.641 Damit ist auch neben dem Wandel im Gegenstand der Veräußerungsgeschäfte der Wandel im Geschäftstyp angesprochen. Die Mobilität des Grundbesitzes im Frühund Hochmittelalter ist vornehmlich von dauerhaften Übertragungen gekennzeichnet. Die Kirchen und Klöster waren zur Beförderung des eigenen Seelenheils oder auch zur Ausstattung der Töchter oder zur Sicherung des als Ausstattung erhaltenen Gutes gegen begierige Verwandte642 mit Grundbesitz beschenkt worden. Nun tritt zunehmend stärker die Pfandsetzung, die lösliche Güter- und Rechtsübertragung an weltliche Herrn in den Vordergrund.643 In Anbetracht der zeitlichen Begrenzung bzw. Begrenzbarkeit der Besitzübertragung sind mit dem Pfandgeschäft auch der Kauf auf Wiederkauf644 und auch die – häufigere – Belehnung unter Vorbehalt des Wiederkaufs645 sowie die Kombination beider Geschäftstypen, Verkauf und Beleh637
Sud. I 49, 70, 71, 73, 167, 169, 395. Sud. I 77, 113, 118 (nicht unter welfischer Beteiligung), 122, 269, 374, 438, 530, 536. 639 Oben A.III.1. 640 H. Patze, Welfische Territorien, S. 40; zu den Burgen als Pfandobjekt auch: ders., Burgen, S. 532, und M. Garzmann, S. 231. Nach Feststellung von A. von Kostanecki, S. 59, machten die Schlossverpfändungen „über drei Viertel der überhaupt vorhandenen herzoglichen Schuldurkunden“ in den Fürstentümern Braunschweig und Lüneburg aus. 641 Dazu K.-F. Krieger, Lehnshoheit, S. 262 f., und oben A.III.2.a). 642 Dazu oben A.II.2.c)aa) bei Anm. 300. 643 Der Pfandsetzung ist in Anbetracht der Löslichkeit der Kauf auf Wiederkauf gleichzusetzen, vgl. etwa Sud. I 374. Vereinzelt sind auch schon im Hochmittelalter Verpfändungen anzutreffen; so verpfändete Heinrich der Löwe in der Zeit zwischen 1146 und 1154 ein predium an die Kirche zu Paderborn, MGH Urk. H.d.L., Nr. 24. 644 Etwa Sud. I 374; Sud IV 46: Verkauf für die Dauer von sieben Jahren. 645 Etwa Sud. I 124, 270, 275, II 111. 638
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nung unter Vorbehalt des Wiederkaufs646, in eine Reihe zu stellen.647 Natürlich werden weiterhin einzelne Hufe Land an die Kirchen und Klöster verschenkt oder anderweitig übertragen.648 In der Vergabe vornehmlich der herrschaftlichen Burgen aber rückt das Moment der Kommerzialisierung von Herrschaft in den Mittelpunkt. Im 13. Jahrhundert waren Verpfändungen noch selten gewesen.649 Der auf dauerhafte Veräußerung gerichtete Verkauf war das probate Geschäft zur Geldbeschaffung. Allerdings erfasste dieser freilich – zeittypisch – regelmäßig nicht die Burgen.650 Doch bereits nach dem Generationswechsel von Otto dem Strengen, gestorben 1330, auf seine Söhne Otto und Wilhelm überstieg die Zahl der Verpfändungen die der Verkäufe; diese traten fast gänzlich hinter jenen zurück.651 Otto hatte entsprechend auch seinen gleichnamigen Sohn, als er diesen 1315 abschichtete, mit der Befugnis ausgestattet, Schlösser zu versetzen, wenn er der Schulden nicht anders Herr werden könne.652 Insgesamt sind aus dem 13. Jahrhundert für die Welfen nur zehn, aus dem 14. Jahrhundert dann aber schon 584 Verpfändungsurkunden überliefert.653 Um die Mitte des 14. Jahrhunderts erlebte die Praxis der Burgenverpfändung ihren Höhepunkt. Magnus I. von Braunschweig versetzte in den Jahren 1355 bis 1368 nahezu alle seine Burgen – einige sogar mehrfach.654 Im Fürstentum Lüneburg hielt es sein Vetter Wilhelm auch nicht viel anders.655 Und in Grubenhagen war 1342 fast der gesamte Besitz Herzog Heinrichs II., ausgenommen eine Hälfte der Burg Herzberg, verpfändet.656
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Etwa Sud. II 521. H. Patze, Burgen, S. 534, verweist auf den Unterschied zwischen Pfandgeschäft und Verkauf auf Wiederkauf, dass bei der zweitgenannten Form im Falle, dass die Burg lehnbar war, die Zustimmung des Lehnsherrn habe eingeholt werden müssen. Eine solche Einholung lässt sich bei den welfischen Verkäufen nicht beobachten und ist für diese Zeit, auch wenn streng genommen die welfischen Burgen feudal waren, nicht zu erwarten. 648 Sud. I 48, 267, 366. 649 R. Gresky, S. 25 f., und dort auch Vergleich der Verpfändungen Albrechts des Großen und Johanns von Lüneburg einerseits mit denen Ottos des Strengen andererseits (S. 31 ff.). 650 Eine Ausnahme bilden hier die umfassenden Veräußerungen Heinrichs II. von Grubenhagen nach 1322 an das Erzstift Mainz; dazu R. Gresky, S. 153 f., 156 f.; 1342 verkaufte Heinrich II. schließlich unter anderem die Burg Gieboldehausen an den Mainzer Erzbischof (Sud. II 6). 651 R. Gresky, S. 74. Auch jetzt werden keine Burgen verkauft; so auch nicht von Magnus I. (S. 118 f.). 652 Sud. I 279. 653 R. Gresky, S. 319. 654 Zusammenstellung bei H. Patze, Welfische Territorien, S. 37 f., und bei R. Gresky, S. 118 ff. und 139. 655 Zusammenstellung bei O. Jürgens, Landeshoheit, S. 60 ff. Nach H. Patze, Burgen, S. 532, haben die Welfen auch in umfangreicherem Maße von der Burgverpfändung Gebrauch gemacht als andere Landesherrn. 656 H. Patze, Burgen, S. 532. 647
IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung
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Ein Hintergrund für die massenhaften Verpfändungen ist schnell ausgemacht: die „nackte finanzielle Not“ der Fürsten.657 Geldgeber der welfischen Herzöge war vor allem der Niederadel, waren die Ritter.658 Der Klerus hielt sich im 14. Jahrhundert fürstlichem Kreditbegehren gegenüber zurück. Und auch die Städte waren selbst gegen Sicherheitsleistung nicht in größerem Umfang bereit, den Fürsten Geld zu leihen. Sie verfolgten insoweit eine Pfandschlosspolitik zur Sicherung wichtiger Handelsstraßen, also ihrer Handelsinteressen.659 Finanziell war die Pfandnahme einer Burg – über die Pfand-, die Sicherungsfunktion für ein geleistetes Darlehen hinaus – nicht interessant. Anhand der Schlossrechnungen von Celle, Dorfmark, Rethem, Neustadt und Bodenteich aus den Jahren 1378 bis 1384 hat Gresky ein Einnahmedefizit von 243 Mark Pfennige je Burg errechnet.660 Deshalb erscheint Schuberts pointierte Bewertung der Einstellung zur Kreditgewährung an den Landesherrn treffend: „Die Ratsherrn rechneten, die Adeligen werteten“ den Rittern ging es demnach eher um Sicherung ihrer Fürstennähe.661 Damit ist bereits ein weiterer Hintergrund für die Burgverpfändungen angedeutet: die Pfandsetzung zur Begründung eines Amtmannsverhältnisses zu dem – ja zumeist adeligen – Pfandnehmer. Diese Verpfändung als Einkleidung eines eigentlich anderen Geschäftstypes, eines anderen Vertragsziels, die Verpfändung einer Burg oder eines Amtes in Amtsmannsweise wird zumeist als „Sonderform des Pfandschlosses in adeliger Hand“ dargestellt662 und der aus der Geldnot motivierten Vergabe geradezu kategorial gegenübergestellt.663 Gegen diese strenge Unterscheidung der Motive erheben sich indes Bedenken: der Pfandvertrag bot insbesondere im Vergleich zur Alternative der Belehnung des Amtmannes einige Vorteile. Er war anders als erbliche Amtslehen durch Zahlung der Pfandsumme jederzeit, zumindest zu einer vereinbarten Zeit, aufhebbar.664 Ein weiterer Vorzug des Pfandrechts gegenüber dem Lehnrecht als Grundlage der Ämterbesetzung lag in der Möglichkeit der freieren Ausgestaltung des weiteren Inhalts der Pfandverträge. So bot sich dem Pfand gebenden Landesherrn unter anderem die Möglichkeit, sich bei der Burgvergabe deren militärische Nutzung 657
E. Schubert, Niedersachsen, S. 612 f.; so auch H. Patze, Welfische Territorien, S. 36, der die vielen Fehden, in die, wie auch die Braunschweiger und Lüneburger Linie, vor allem Otto der Quade verstrickt war, als Ursache plötzlichen Geldbedarfs benennt. 658 Auch zum Folgenden E. Schubert, Niedersachsen, S. 613, der aus dem Umstand, dass gerade die Ritter Gläubiger der Herzöge wurden, folgert, dass deshalb die meisten Pfandurkunden Burgen betreffen. 659 Zur Pfandschlosspolitik der Stadt Braunschweig: M. Garzmann, S. 228 ff.; R. Gresky, S. 139; zur Lüneburger Politik: H.-J. Behr, passim. 660 S. 257 ff., bes. 266; so auch schon O. Jürgens, Landeshoheit, S. 76 f.; vgl. auch M. Garzmann, S. 237 ff. 661 Niedersachsen, S. 614. 662 Ebd., S. 616. 663 G. Landwehr, Mobilisierung, S. 497 f.: Bei dieser Verpfändung eines Amtes „handelte es sich regelmäßig nicht um Schuldgeschäfte, sondern – wie die häufige Gleichsetzung mit dem Kauf auf Wiederkauf zeigt – um amtsrechtliche Übertragungs- und Einweisungsakte“. 664 Diesen Vorteil betont auch G. Landwehr, ebd., S. 498.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
vorzubehalten.665 Schließlich vermochte das Pfandrecht bisweilen der einzige Weg für den Fürsten zu sein, den Dienst des Amtmannes überhaupt erlangen zu können.666 Dabei sollte das Pfand nicht allein das Einkommen des Amtmannes sichern. Vielmehr war die Burgübertragung auch eine Frage des Standes, der Ehre des Amtmannes. Dieser diente in einer Zeit, die noch keinen Beamtenstand kannte, nicht für das Amt und dessen Pfründe, sondern, wie es seinem Stand entsprach, nur gegen, wenn auch pfandweise, Übertragung von Herrschaftsrechten. Eine klare Abgrenzung der allein kreditsichernden gegenüber der amtsbegründenden Verpfändung bzw. eine Zuordnung der einzelnen Pfandgeschäfte zu dem einen oder dem anderen Vertragsziel ist auch anhand ihrer Bezeichnungen in den welfischen Urkunden des 14. Jahrhunderts äußerst schwierig. Diese weisen Wendungen wie in amtsmannsweise, amtsweise oder tamquam officiatus nicht auf, ohne dass man daraus allerdings eine zwingende Zuordnung des niedergelegten Pfandgeschäftes allein zur Kategorie der Kreditsicherung folgern müsste. Kriterien zur Qualifizierung der Verfügung, zur Begründung randscharfer Zuordnungskategorien sind bisher nicht herausgearbeitet worden.667 Stellt man nur die sechs Burgübertragungen auf die Getreuen Wilhelms von Lüneburg zwischen April und Juni 1354 zusammen,668 so wird man in jeder Übertragungsurkunde Argumente für die eine oder die andere Zuordnung finden. Es liegt demnach zumindest nahe, dass beide Motive zur Verpfändung von Burgen, Kapital- wie Personalbeschaffung, sich decken konnten, dass insoweit gar kein kategorialer Gegensatz, kein Raum für eine randscharfe Abgrenzung besteht. Wie schon bei der Zusammensetzung des herzoglichen Rates fließen Gläubigerstellung einerseits und Herzogsnähe, also Mitverantwortung, ja Amtsstellung, andererseits ineinander.669 Festzuhalten bleibt, 665 I. M. Peters, 118, mit Beispielen aus dem 12. Jahrhundert und der Feststellung, dass die Verdrängung des Lehnrechts durch das Pfandrecht mit den angeführten veränderten Möglichkeiten dazu geführt habe, „dass der landsässige Adel selbst als Inhaber landesherrlicher Vogteien den territorialen Besitzstand nicht mehr gemindert hat, weil er landesherrliche Besitztitel nicht mehr zur Ausbildung eigener Landesherrschaft nutzte“. 666 Auch zum Folgenden D. Willoweit, Verwaltung, S. 90 f., der annimmt, die Verpfändungen zur Amtsbegründung hätten zahlenmäßig diejenigen aus Geldnot übertroffen; H.-G. Krause, S. 516, der die Zahlung des Amtmannes an den Burgherrn, den Fürsten, die der Verpfändung einhergeht, als ein „Einstandsgeld“ bezeichnet und damit das Geschäft als eine „Art Ämterverkauf“ bewertet. 667 Dass die Abrede, der Pfandnehmer müsse keine Abrechnung vornehmen, ane rekenscap (vgl. bsplw. Sud. II 458), ein Argument für eine Verpfändung in Amtsmannsweis sei, so E. Schubert, Niedersachsen, S. 616, ist zweifelhaft. Rechnungslegung betont eher die Amts- als die Gläubigerstellung, den Fremd- als den Eigennutz. Vgl. auch Sud. II 592: Wilhelm von Lüneburg verpfändet 1356 einigen Rittern die Schlösser Lauenrode, Hannover und Pattensen und ernennt zugleich fünf von ihnen to ammechtluden; diese sind offenbar nicht zur turnusmäßigen Rechenschaftsablegung verpflichtet; wollen sie aber den Ersatz ihrer Aufwendungen, müssen sie zuvor abrechnen. Auch H. Patze, Burgen, S. 542, räumt Unsicherheiten bei der Qualifizierung der Pfandgeschäfte ein. Das von ihm der Begründung eines Amtsverhältnisses zugeordnete Pfandgeschäft (Sud. VII 319) weist keine Besonderheiten auf, die es von der Fülle der übrigen Pfandgeschäfte abhöbe. 668 Sud. II 458 – 463. 669 Siehe oben B.I.3.c)bb) bei Anm. 238.
IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung
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dass die Verpfändungen der Burgen, der sich herausbildenden Ämter, wie Willoweit zutreffend feststellt, „nicht abnorme Entartungen eines modern zu verstehenden Amtsrechts“,670 nicht nur kurzsichtige Verschleuderung der Vermögenssubstanz gewesen sein mussten, sondern – davon im Einzelfall kaum scheidbar – in engem Zusammenhang mit Verwaltung stehen, ja selbst Verwaltungsmaßnahme sein konnten. 2. Die Verfügungsbeschränkungen in den welfischen Erb- und Hausrechtsregelungen a) Bindungsabreden und Typen hausrechtlicher Regelung Wenn von Bindungen (hoch-)adeliger Rechtsträger gehandelt wird, werden neben dem Lehnsnexus und den Beziehungen zu den Ständen auch hausrechtliche Regelungen als Grundlage der innerdynastischen Verfügungsbeschränkungen herangezogen. Allerdings finden in den neueren Arbeiten, die sich mit der Mobilisierung der Herrschaftsordnung beschäftigen,671 diese Rechtsquellen – in einem weiteren, untechnischen, auch den allein relativ wirkenden Vertrag umfassenden Sinne – nur noch einen seltsam beengten Raum. Die Hausnormen werden hinsichtlich der Alienationen weithin beschränkt auf ihre Funktion als Grundlegung des „Stammgutes“, als Instrumente zur Absteckung dieser und vergleichbarer Güterkategorien.672 Während bei der Beschreibung des Phänomens der Mobilisierung im dynastischen Kontext noch ein Gleichlauf von Teilung und Veräußerung der Herrschaft die Literatur kennzeichnet, wird dieser bei der Erörterung der Gegenmaßnahmen plötzlich aufgegeben.673 Die Hausnormen sind der Literatur nur noch für die Frage der Entwicklung hin zur Primogeniturerbfolge wichtig. Für die Überwindung der Veräußerungspraxis wird der dynastische Horizont aus der Betrachtung ausgeblendet. Hier wird – anders als bei der Überwindung der Teilungspraxis – dem ständischen Wirken das größere, ja das ausschließliche Augenmerk geschenkt. Die hausrechtlichen Verfügungsbeschränkungen werden gleichsam in die Geschichte der Gütermassen abgedrängt. Gerade die aus der im 19. Jahrhundert auch politisch so bedeutsamen Frage nach der Rechtsnatur, der Zuordnung des Kammerguts entsprossene Literatur bezog die hausrechtlichen Aussagen zur individuellen Verfügungsbeschränkung, ganz ihrem reichszentrierten, feudalen Verständnis von Landesherrschaft entsprechend, allein auf Gütermassen. Die vorangehenden Arbeiten aus der vorkonstitutionellen Zeit hingegen bezogen die Veräußerungsverbote, die man aus den Hausnormen herauslas, noch auf die Herrschaft 670
Verwaltung, S. 91. Genannt seien hier nur G. Landwehr, Mobilisierung; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 19 ff.; ders., Niedersachsen, S. 611 ff. 672 Vgl. nur A. Erler, Art. „Familienstammgüter“, HRG 1, Sp. 1073 f.; ders., Art. „Hausgesetze (Hausverträge)“, ebd., Sp. 2026 ff. 673 Bes. deutlich bei G. Landwehr, ebd., S. 500 f.; E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 24 ff.; ders., Niedersachsen, S. 611 ff., dort werden die Hausnormen als Quelle von Gegenmaßnahmen überhaupt nicht erwähnt. 671
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
im Ganzen, auf ihre Bestandteile, die Lande.674 Diese breitere Erfassung der Alienationsbeschränkungen der Hausnormen ist angemessener – geht es doch auch bei den Veräußerungen um die äußere Stabilität des Fürstentums; wurden doch nicht nur einzelne Güter, sondern Herrschaftseinheiten versetzt. Burgen waren das vornehmste Pfandobjekt, und aus Burgen und Ämtern setzte sich das Fürstentum, nicht nur das Stammgut zusammen. Bestimmungen zur Dispositionsbefugnis eines Rechtsinhabers finden sich in den hausrechtlichen Regelungen, in den Bestimmungen über die Herrschaftsinnehabung innerhalb des Hauses, aber auch zwischen zwei Häusern, vornehmlich denjenigen mit den Askaniern, grundsätzlich nur dort, wo eine Form von Gemeinschaft vereinbart – erhalten oder wiederhergestellt – wird. Sie unterstützen diese Abreden oder werden durch sie notwendig; sie bilden ihren Kern. Im Zusammenhang mit Teilungsabreden sucht man Verfügungsbeschränkungen vergebens. Unter den Vereinbarungen von Gemeinschaft lassen sich zwei Grundtypen ausmachen: – Den einen – variierenden – Typ bildet die aktuelle Rechtsgemeinschaft an der Herrschaft. Diese ist zumeist die Ganerbschaft, die gesamthänderisch verbundene Miterbengemeinschaft. Eine solche Gemeinschaft an der Herrschaft musste an sich nicht vereinbart werden. Sie entstand von ganz allein, wenn ein Nachlass an eine Mehrheit von Erben fiel. Gegenstand vertraglicher Regelung wurde diese Gesamthandsgemeinschaft aber auf zwei Wegen. Zum einen vereinbarten welfische Fürsten den Beibehalt der Gemeinschaft und dessen Ausgestaltung; so in den Jahren 1286, 1374, 1385, 1388 (30. Juni), 1402, 1407 und 1483. Mitunter erfasste diese vertraglich erhaltene Gemeinschaft nicht die gesamte Miterbengemeinschaft; so 1286 und am 30. Juni 1388. Im Zentrum dieser Verträge steht immer eine – gestufte – Regelung der Verfügungsbefugnis eines einzelnen oder einzelner Ganerben. Hierher gehört auch die „horizontale“ Regimentsübertragung von 1441 im Fürstentum Lüneburg. In diesem Fall übertrug Friedrich dem anderen Ganerben, seinem Bruder Otto, sämtliche Verfügungs-, mithin Herrschaftsbefugnis, kurz das Regiment, auf Zeit, ohne dass er seinen Anspruch an der Herrschaft, seinen Anteil an der Rechtsgemeinschaft aufgegeben hätte. Zum anderen begründeten die Fürsten des Welfenhauses solche ganerblichen, gesamthänderischen Verbundenheiten durch Vertrag. Es waren allerdings keine gänzlichen Neubegründungen; vielmehr vereinigte sich regelmäßig eine durch Teilung aufgehobene Erbengemeinschaft aufs Neue; so deutlich 1394 und 1415. Schwieriger zuzuordnen ist der Vertrag von 1324 unter den Söhnen Heinrichs des Wunderlichen von Grubenhagen. Er stellt eine partielle Wiederherstellung – Heinrichs II. Absonderung wurde aufgehoben – und zugleich die Vereinbarung des Erhalts der Ganerbengemeinschaft – zwischen den nicht abgesonderten Brüdern Ernst und Wilhelm – dar. Im Jahre 1325 wurde dann eine, wenngleich partielle, Wiederherstellung der Ganerbengemeinschaft – zwischen Heinrich und Wilhelm 674
Für viele nur U. F. C. Manecke, S. 95 ff.
IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung
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– vereinbart. Schließlich gehören zur vertraglich erzeugten, jedenfalls aktualisierten Gemeinschaft an der Herrschaft die „vertikalen“ Regimentsübertragungen. Als Wilhelm von Lüneburg 1368 Magnus II. von Braunschweig in seine Herrschaft aufnahm, begründete er eine Gemeinschaft daran. Ebenso bestanden Herrschaftsgemeinschaften, wenn die Väter ihre Söhne mit in das Regiment aufnahmen oder diese abschichteten: 1315, 1447, 1457, 1487 und 1491. Einen Sonderfall der Begründung einer Rechtsgemeinschaft an einer Herrschaft bilden die Verträge zwischen den Welfen und den Askaniern um das Fürstentum Lüneburg aus den Jahren 1373 und 1386. Darin wird zwar eine Zuordnungsgemeinschaft erzeugt; zu Gunsten der Einheit des Fürstentums soll dieses den Askaniern wie der Linie Magnus II. aus dem Welfenhause zustehen. Jedoch sollte keine – so könnte man es nennen – Ausübungsgemeinschaft an der Herrschaft bestehen. Eine gesamthänderische, der Ganerbengemeinschaft vergleichbare, Verbundenheit wurde nicht erzeugt. Die Herrschaft sollte vielmehr im Wechsel ein Vertreter der einen oder der anderen Familie innehaben. Insofern war immer zugleich eine Exspektanz der gerade nicht herrschenden Linie begründet. Damit rückt dieser Vertragstyp in die Nähe zur Erbverbrüderung. Anders als bei dieser war aber der Anfall der Herrschaft an den Exspektanten nicht in Ob und Wann ungewiss, sondern im Ob sicher vorbestimmt. Der Vertrag mit den Askaniern von 1387 ist hingegen auf Errichtung einer aktuellen Gemeinschaft und derjenige von 1389 auf Begründung einer Erbverbrüderung gerichtet. – Den anderen Grundtyp der Gemeinschaft bildet die Erbverbrüderung oder -verschreibung. Vom modernen rechtstechnischen Verständnis her mutet diese Feststellung befremdlich an. Der dem Institut der Erbverbrüderung vergleichbare heutige Erbvertrag (§§ 1941, 2274 ff. BGB) ist kein Gemeinschafts-, deutlicher: kein Gesellschaftsvertrag. Im historisch-funktionalen Sinne stellt sich dies anders dar. Ganz allgemein genetisch sind dem überkommenen Erbrecht sippen- und familienrechtliche Gedanken und Strukturen immanent.675 Das Erbrecht rührt aus einem – man möchte sagen: dem wichtigsten – Gemeinschaftsverhältnis, dem Familienverband her. Erbrecht war im Mittelalter noch nahezu ausschließlich Verwandtenerbrecht. Deutlich wird dieser strukturelle Zusammenhang in dem Beispruchrecht der Erben, das – eng verwandt mit dem Wartrecht – sich aus der Gebundenheit des Gutes, des Vermögens in der Familiengemeinschaft herleitet. Aber auch konkret, funktional, lässt sich der gemeinschaftserzeugende und -erhaltende Charakter der Erbverbrüderung und -verschreibung feststellen. Die Vereinbarung bedingter gegenseitiger Erbfolge begegnet in zwei Erscheinungsformen. Einerseits ist sie eingebunden in eine Erbauseinandersetzung oder kürzer: Teilung; so erstmals 1345 und dann 1388 (6. Juli), 1409, 1428, 1432, wohl auch 1481.676 Andererseits bildet diese Abrede auch den gleichsam alleinigen, den zentralen Gegenstand von Verträ675
Zur Verwobenheit von Erbrecht und Familienverbundenheit im Mittelalter H. Conrad, Bd. 1, S. 417; aus der älteren Literatur H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 50 ff. 676 Dort nicht ausdrücklich verabredet, aber wohl dem Vertrag zu Grunde gelegt; oben B.III.2.b).
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
gen, also ohne gleichzeitige Teilungsabrede; so 1290, 1292, 1322, 1355, 1370, 1381 (mit dem Landgrafen von Hessen), 1389 (mit den Askaniern), 1395, 1401 und, wenn auch als Kaufvertrag getarnt, 1433. Die Erbverbrüderungen im Rahmen von Erbteilungen erscheinen als Gemeinschaft hinter oder trotz Teilung. Sie bilden gleichsam den Rest der Ganerbengemeinschaft, die im Übrigen durch die Teilung aufgehoben wurde. Dies lässt sich auch in der funktionalen Fortschreibung des Instituts der Erbverbrüderung erkennen, der Abrede über den Empfang von Gesamthuldigung und -lehen; so 1495. Hier bildet die Gemeinschaft am Gesamtlehen das Band nach oder trotz der Teilung. Die nicht durch Teilung motivierte und veranlasste Erbverbrüderung steht ihrem Zweck nach der Vereinigung, der Wiederherstellung der Ganerbengemeinschaft sehr nahe. Die, im Übrigen im Welfenhaus weit selteneren, wiedervereinigenden Verträgen zielen vornehmlich auch auf die Sicherung der Kollateralerbfolge. Überdies sind aktuelle Vermögensvereinigungen und auf zukünftige Fälle gerichtete Erbverbrüderung auch nicht immer klar voneinander zu scheiden. Dazu bildet der Vertrag zwischen Otto dem Strengen und Albrecht II. von 1292 ein Beispiel: beide Herzöge begründen eine Union (vniuimus et composuimus), damit eine gegenseitige Beerbung für den Fall erbenlosen Todes eintrete. Und die Erbverschreibung Albrechts zu Gunsten seines Bruders Wilhelm von 1290 offenbart in Anbetracht dessen, dass dieses Geschäft aus einer ungeteilten Ganerbschaft erfolgte, insofern also eine Sicherung der Kollateralfolge unnötig war, wie beliebig bisweilen mit den einzelnen Typen der Erbvereinigungsinstrumente umgegangen wurde. Zwischen den beiden Grundtypen der Gemeinschaftsverabredung in den Hausverträgen ist aber der Ausgangslage und entsprechend der Funktion der Regelung der Dispositionsbefugnis nach zu unterscheiden. Bei den Erbverbrüderungen waren die Güter und Rechte, die Herrschaftsbestandteile, geteilt und die Verfügungsbefugnis darüber grundsätzlich den Parteien getrennt zugeordnet. Es wurde aber eine bedingte gegenseitige Exspektanz auf den Erhalt der Vermögensmasse im Erbgang begründet. Der Verfügungsbeschränkung kam nun die Funktion zu, diese Anwartschaft zu schützen, den Nachlass in seiner Substanz für die bedingt eingesetzten Erben zu erhalten. Sie sind Erberhaltungsabreden und stehen insofern den gemeinrechtlichen pacta de conservanda hereditate wenigstens sehr nahe.677 Diesem Schutzzweck ist von altersher das Institut des Erbenlaubs zugeordnet. Wird demjenigen, der durch eine Erbverbrüderung eine Erbexspektanz erwirbt, das Beispruchrecht in dem Hausvertrag zugedacht, erhebt sich die Frage, ob diese Abrede lediglich eine nach zeitgenössischer Rechtsauffassung ohnehin bestehende Rechtsposition des Erbexspektanten ausspricht, ob also allein aus der bedingten, vertraglich begründeten Erbenstellung schon das Beispruchrecht erwächst oder ob dieses erst durch seine Vereinbarung zustande kommt. Im Falle eines eher deklaratorischen Charakters der Zustimmungsklauseln in den Hausverträgen kann diesen zugleich aber auch eine gegenüber der all-
677
Dazu H. Coing, Bd. 1, S. 593.
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gemeinen Rechtsanschauung und -praxis modifizierende, eventuell einschränkende Wirkung zukommen. Bei den – gleichsam aktuellen – Gesamthandsgemeinschaften war die Ausgangslage eine andere. Die Gesamthand selbst ist das Bindungsinstitut. Die Rechtspositionen waren nicht individuell, sondern eben der Gesamthand zugeordnet. Dem einzelnen kam streng genommen gar keine Verfügungsbefugnis, die eingeschränkt werden könnte, zu. Dies ist das Wesen der Gesamthand. Die Regelungen der Dispositionsbefugnis in den Verträgen, denen die Gesamthand zu Grunde liegt – sei es, dass sie erhalten, sei es, dass sie erst begründet wird –, sind nur scheinbar Verfügungsbeschränkungen.678 Tatsächlich aber sind es Erlaubnisnormen. Dem einzelnen Gesamthänder werden Kompetenzen durch die Gesamthand zugeteilt – vergleichbar aus heutiger Sicht mit einer Geschäftsführungsbefugnis, einer Geschäftsführerstellung. Bei den Erbverbrüderungen – und darin liegt der Unterschied – sind bereits durch die vorangegangene oder gleichzeitige Teilung die Verfügungsbefugnisse, die Kompetenzen, abgesteckt, jeder Partei zugeteilt worden. Von dieser konstruktionellen Unterscheidung ausgehend eröffnen die „Verfügungsbeschränkungen“, die – so betrachtet – ja nur zum Teil Beschränkungen, zum Gutteil aber auch Erlaubnisse waren, einen Einblick zum einen in das Verhältnis zweier abgeteilter Linien zueinander, in Art und Umfang der gleichsam dahinter erhaltenen Gemeinschaft; zum anderen in die innere Ausgestaltung der Gesamthand, sei es die der ungeteilten Erbengemeinschaft, sei es die der wiederhergestellten Einheit. b) Vereinbarungen aus der Zeit bis zum letzten Drittel des 14. Jahrhunderts Der Vertrag zwischen den Brüdern Heinrich dem Wunderlichen und Albrecht II., dem Feisten, aus dem Jahre 1286679 ist die einzige – im Kern – auf Erhalt der Ganerbengemeinschaft gerichtete Vereinbarung, die aus dem Zeitraum von der Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg bis in das zweite Drittel des 14. Jahrhunderts hinein überliefert ist; der nächste Vertrag dieses Typs stammt aus dem Jahre 1374. Zudem ist die Regelung von 1286 die einzige welfische Hausregel dieses Zeitraums, die eine Bestimmung zur Dispositionsbefugnis der Parteien enthält. Von daher erklärt es sich, die ersten knapp eineinhalb Jahrhunderte des Herzogtums gesondert zu betrachten. Nur im Kern auf Gemeinschaftserhalt gerichtet ist die Vereinbarung der 678
Als Beispiel sei hier wiederum nur U. F. C. Manecke, S. 95 f., angeführt, der unterschiedslos gemeinschaftserhaltende, -wiederherstellende und auf Erbverbrüderung gerichtete Verträge als Belege für die vertragliche Begründung der Unveräußerlichkeit der welfischen Lande – neben der Begründung durch den Lehnsnexus – anführt. Hinsichtlich der gemeinschafts(wieder)herstellenden Vereinbarungen ist dies durchaus zutreffend, da insofern die veräußerungshemmende Gesamthand erzeugt wird. Bei den gemeinschaftserhaltenden Verträgen, wie etwa denjenigen von 1286 und 1374, ist die Verfügungsbeschränkung nicht vertraglich begründet, sondern durch die bestehende Gesamthand vorgegeben. 679 Abgedruckt unter anderem bei J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, 2.
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Söhne Albrechts des Großen deshalb, weil er überdies eine Ausweitung der Gemeinschaft auf die von ihren Gemahlinnen eingebrachten Güter vorsieht. Auch diese wollen sie communi manu ad lucrum et ad damnum besitzen. Unmittelbar im Anschluss an diese erhaltende wie herstellende Gemeinschaftsabrede wird die Dispositionsbefugnis beider Fürsten geregelt: Item alter nostrum non debet infeodare vel obligare bona nostra soluta, nec qvicqvam facere absque alterius consilio. Belehnungen, Verpflichtungen, wohl am besten als Verpfändungen zu übersetzen, und ähnliches sind an den Rat des jeweils anderen gebunden. Bei der Vergabe der beneficia Ecclesiastica wird die Bindung noch enger formuliert; diese dürfen nicht von einem allein ohne den anderen, sondern nur unanimi de consensu verliehen werden. Diese Bestimmungen sind die notwendige Folge der Gemeinschaft selbst, eine Beschreibung des Inhalts der Gesamthand und zugleich der eigentliche Anlass, der eigentliche Gegenstand des Vertrages. Heinrich hatte bisher als ältester Sohn allein regiert. Nun musste der mündig gewordene Albrecht in die Regierung mit aufgenommen werden. Und dieses Regieren bestand zu einem Gutteil auch aus Disponieren über die Güter, aus Belehnungen und, wenngleich noch wenigen, Verpfändungen. Nicht von ungefähr werden diese aus moderner Sicht so privatrechtlich anmutenden Handlungsformen des Fürsten als Erste in dem Vertrag behandelt. Erst dann schließen sich Vorbehalte der Gemeinschaft für die Regierungshandlungen der Ein- und Absetzung von Vögten und des Beginns von Fehden an. Die gegenseitige Konsensbindung war gesamthandsbedingt; das durch den Vertrag im Einzelnen Ausgehandelte betraf dagegen die Ausnahme-, die Stellvertretungsregelung: nur solange beide im Lande weilten, sollten sie gesamthänderisch handeln; andernfalls kam jedem allein die, wenn auch im Sinne des jeweils anderen auszuübende, volle Verfügungsgewalt zu.680 Im Grunde enthält die Regelung der Dispositionsbefugnis also einen deklaratorischen Teil insofern, als individuelle Verfügungen grundsätzlich untersagt werden, und einen konstitutiven Teil insofern, als individuelle Verfügungen als Stellvertretung beider erlaubt werden. Insgesamt ist es eine Regelung der Kompetenzzuteilung zwischen zwei Regenten – angereichert allerdings auch um die wirtschaftliche Vereinbarung der Mäßigung in der beiderseitigen Haushaltsführung.681 Die Verträge zur Wiederherstellung der Miterbengemeinschaft am Nachlass Heinrichs des Wunderlichen von 1324 und 1325682 enthalten keine Regelungen der Ver680 Dies wird schon bei der Vogtseinsetzung gleichsam in Kurzfassung bestimmt: Item alter sine altero nullum statuet vel deponet Advocatum, quamdiu ambo sumus in terminis terrae nostrae. Die Generalklausel dazu lautet: Sane si contigerit, qvod alter nostrum peregrinationis vel alterius rei causa abesset, et moram traheret in terra forsitan aliena, ex tunc alter domi relictus, disponendie, odinandi et faciendi, qvasi ambo praesentes essemus, plenam habebit in omnibus facultatem. 681 Praeterea considerata facultatum nostrarum sufficientia debemus familiam nostram et expensas taliter limitare, et modum in distribuendis donativis talem observare, ut et eo sentire videamus propriae commoditatis incrementum. 682 Vgl. oben B.I.1.: 1324, zwei Jahre nach dem Tod des Vaters, wurde Heinrich II. gewissermaßen in die Erbengemeinschaft aufgenommen (UB Duderstadt, 31), nachdem er 1311 und 1314 vom Vater abgeschichtet worden war. Danach muss es eine Teilung unter den Söhnen
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fügungsbefugnis, vor allem auch keine ausdrückliche Beschränkung dieser Befugnis. Dass aber diese Vereinigung zur Gesamthand solche Beschränkungen von sich aus erzeugte, davon gingen Heinrich und Wilhelm 1325 offensichtlich aus. Andernfalls wäre Heinrichs Verlangen von 1331,683 die Verfügungsbeschränkungen zu lockern, unverständlich. Diese konnten nur aus der Gesamthand herrühren. Nun hob man die gesamthänderische Bindung der Rechtspositionen auf und höhlte damit die Gemeinschaft inhaltlich aus. Die Gemeinschaft sollte zwar unangetastet bleiben, indes sollte jeder ohne Zustimmung des anderen das Schloss Herzberg und andere gemeinsam gehaltene Positionen verpfänden oder sogar verkaufen dürfen. Heinrich nutzte diese Erlaubnis, diesen Dispens von der gesamthänderischen Verfügungsbeschränkung und brachte daraufhin einen beträchtlichen Teil des Erbes aus welfischer, Grubenhagener, Hand. Gewissermaßen in verkleinerter Form und mit anderem Inhalt wurde dann 1337 die Gemeinschaft, reduziert auf die Burg Herzberg wiederhergestellt, und zwar – so paradox es klingt – in Form einer Teilung: Es wurde eine zweite Burg errichtet und verabredet, dass keiner ohne Zustimmung des anderen seine Burg verkaufen oder verpfänden dürfe.684 Eine Sonderstellung unter den auf Gemeinschaftsherstellung gerichteten Vereinbarungen im Welfenhaus nehmen die Verträge zur Aufnahme Magnus II. in die Herrschaft Lüneburg aus dem Jahre 1368 ein. Zunächst begründet Wilhelm von Lüneburg keine Herrschaftsgemeinschaft mit Magnus; er setzt ihn lediglich auf Widerruf zu seinem Amtmann ein.685 Erst fünf Monate später, am 14. September 1368, nimmt er ihn auf in ene rechte were an Land und Herrschaft zu Braunschweig und zu Lüneburg.686 Die Verteilung der Befugnisse innerhalb dieser Gesamtgewere an dem Fürstentum erfolgte einen Tag später, allerdings nicht deutlich im Gewande einer Regelung zur Dispositionsbefugnis.687 Vielmehr zieht sich der greise Wilhelm aus der Herrschaft zurück, überlässt also Magnus im Grunde die vollständige Regierungs- und Dispositionsgewalt und reserviert sich lediglich einige Einkunftsquellen zu seinem Unterhalt. Jedoch behält er sich für seine Lebtage alle geistlichen und weltlichen Lehen, die zu seiner Herrschaft gehören, vor. Diese zentrale Kompetenz erhält Magnus nicht. Damit tritt ein immer wieder erscheinendes Muster der Befugnisverteilung in den Haus- und Erbverträgen im Welfenhaus zu Tage: die Aktivlehnskompetenz erfährt eine Sonderbehandlung. Sie steht regelmäßig dem Ältesten zu. Schließlich enthalten auch die Erbverbrüderungen oder -verschreibungen bis 1370, also diejenigen aus den Jahren 1290688, 1292689, 1322690 und 1345691, keine geHeinrich II., Ernst und Wilhelm gegeben haben, bevor 1325 wenigstens zwei der Brüder, Heinrich und Wilhelm, ihre Güter wieder zusammenlegten (Sud. I 408; UB Duderstadt, 37). 683 Sud. I 520. 684 Sud. I 608. 685 Sud. III 354. 686 Sud. III 381. 687 Sud. III 383. 688 Sud. I 117.
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genseitige Verfügungsbeschränkung. Auch die 1355 von Wilhelm von Lüneburg und Magnus von Braunschweig vereinbarte,692 in eine Mitgift gekleidete und auf den Fall, dass Wilhelm ohne Erben sterben würde, beschränkte Exspektanz Ludwigs auf den Erhalt der Herrschaft Lüneburg wird nicht durch eine Alienationsbeschränkung Wilhelms geschützt. Erst seit 1370693 schützten die Vertragspartner der Erbverbrüderungen ihre gegenseitige, bedingte Erberwartung ihrem Umfang nach durch eine Beschränkung ihrer beiderseitigen Verfügungsbefugnis, und zwar abgesehen von zwei Ausnahmen – in beiden Fällen war eine Vertragspartei nicht aus dem Welfenhaus – bis 1495 durchweg. Was dahinter steht, dass erst nach Generationen von Erbverbrüderungen und -verschreibungen ein ausdrücklicher Substanzschutz in die Verträge eingefügt wurde und dann nahezu immer, ist nicht mit Gewissheit zu ergründen. In Betracht zu ziehen ist zum einen, dass man die Gefahren der Alienation noch nicht so groß einschätzte, als dass man sich ihrer erwehren zu müssen meinte. Dafür mag sprechen, dass nach den Feststellungen Greskys der Scheitelpunkt der Alienationswelle erst unter Magnus I. und Wilhelm von Lüneburg, beide 1369 verstorben, erreicht worden ist694 und eventuell erst dadurch Gegenmaßnahmen veranlasst erschienen. Zudem waren die der Substanz des Patrimoniums weitaus schädlicheren dauerhaften Veräußerungen gerade im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts zu Gunsten der schonenderen Verpfändungen sehr deutlich zurückgegangen. Allerdings waren eben diese Verpfändungen, in denen vornehmlich die vielen Verfügungen unter Magnus und Wilhelm bestanden, gerade in den dem Tod dieser Fürsten zeitnächsten Erbverbrüderungen von 1370, 6. Juli 1388 und 1395 weithin zulässig. Zum anderen ist als Hintergrund für das Fehlen von Alienationsbeschränkungen in den Erbverbrüderungen bis 1370 das Vorherrschen folgender Rechtsanschauung zur Reichweite des Beispruchrechts der Erben in Erwägung zu ziehen: Schon, sobald ein auch nur bedingtes Erbrecht und auch nur – dies war ja das Neue – vertraglich begründet bestand, war, ohne dass es einer weiteren Abrede bedurft hätte, der Schutz des Vorbehalts des Erbenlaubs begründet. Das Beispruchrecht stünde danach nicht nur den nächsten Erben, vor allem der Deszendenz, zu, sondern erfasste jeden nur denkbarerweise zur Erbfolge Berufenen. So hatte sich doch der Kreis der Beispruchberechtigten von der Lex Saxonum bis zum Sachsenspiegel von dem proximus heres zu dem unbestimmten Kreis der Erben, der bis in den siebten Verwandtschaftsgrad reichen konnte, erweitert.695 Lag diese Rechtsauffas689
J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, 3; UB Göttingen I, Nr. 36. Sud. I 365. 691 Sud. II 114. 692 Sud. II 506. 693 Sud. IV 17. 694 S. 139. 695 Dazu näher oben A.II.2.c)aa). Insofern mag auch A. L. Reyschers, S. 121, Auffassung, in den Hausnormen sei das Beispruchrecht auf die Brüder und Stammvettern, denen es an sich nicht zustand, ausgedehnt worden, als diesen mit den Hausverträgen ein Erbrecht eingeräumt worden sei, nicht überzeugen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass zu diesem Zeitpunkt der 690
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sung zur personellen Reichweite des Beispruchrechts dem Abschluss der Erbverbrüderungen zu Grunde, war die Bestimmung eines Konsensvorbehaltes zu Alienationen nur notwendig, wenn man über diesen letztlich im Landrecht wurzelnden Schutz hinausgehen oder diesen modifizieren wollte.
c) Regelungen aus der Zeit des letzten Drittels des 14. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert aa) Bestimmungen in den gemeinschaftserhaltenden oder -herstellenden Nachfolgeregelungen 1374696 verabredeten die Brüder Friedrich, Bernhard, Heinrich und Otto, den Nachlass ihres Vaters Magnus II. unter sich und ihren Erben ungeteilt zu erhalten. Zur Herstellung einer besseren Handlungsfähigkeit der Gesamthand werden die Kompetenzen innerhalb der Gemeinschaft zugeteilt, und zwar in Form eines Seniorats. Immer dem Ältesten kommt eine umfassende Herrschaftsgewalt zu, die abstrakt beschrieben wird mit dem „Mächtigsein“ und dem „Vorstehen“ der Herrschaft. Was dies konkret bedeutet, wird im Anschluss in einer gestuften Dispositionsbefugnis näher erläutert: Der Älteste soll mächtig sein, die geistlichen und weltlichen Lehen der Herrschaft zu verleihen und Slöte, Lande unnde Lüde, und alle Pende de verpendet syn, lösen und de wedder vorsetten unnd vorpenden, unnd Ammechtelüde unnd Voghede setten uppe de Schlöte, unnd weder entsetten, wanne, unnd wo dicke des Behuff ist. In diesen zeitig begrenzten oder begrenzbaren Herrschaftshandlungen ist er frei. An die Zustimmung seiner Brüder und auch der Manschop unnd Städe in der Herrschop tho Brunsswick ist er aber gebunden, wenn er Schlösser, Städte, Land und Leute der Herrschaft verkopen oder verlaten, also dauerhaft veräußern will. Überdies – und auch dies ist eine Maßnahme des Substanzschutzes – wird dem Ältesten aufgetragen, Verpfändungen und Versetzungen von Schlössern so schriftlich mit Breuen niederzulegen, dass sich die Pfandnehmer nach dem Tod des Ältesten an den dann Ältesten mit den Slöten und Penden halten. 1385,697 als die Brüder mit Ausnahme Ottos den Vertrag von 1374 bestätigten, fehlt jegliche Bestimmung zur Dispositionsbefugnis. Zu vermuten steht, dass man von einem Beibehalt der 1374 getroffenen Vereinbarungen auch insoweit ausging. Im Rahmen der Abgrenzung Braunschweigs von Lüneburg 1388, der Abschichtung Friedrichs aus der brüderlichen Ganerbengemeinschaft, vereinbaren die verbleibenden Brüder Bernhard und Heinrich die Fortsetzung der Gemeinschaft am verrinAusdehnung das Beispruchrecht noch dem proximus heres allein zukam. Zum anderen ist wenigstens an den welfischen Erbverbrüderungen nicht nachzuvollziehen, dass die Einführung des ausdrücklich vereinbarten Beispruchrechts mit der Nähe der Verwandtschaft der Erbverbrüderten zusammenhinge. Vor 1370 und danach schlossen gleichermaßen Brüder und Vettern, näher verwandte und weitläufiger verwandte Vettern, Erbverbrüderungen. 696 Sud. V 6. 697 Sud. VI 132.
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gerten Bestand, nämlich dem Fürstentum Lüneburg.698 Im Grundsatz wird verabredet, dass beide gelike to zamene zitten in der herscop luneb., allerdings unbeschadet der Rechte der Askanier. Anders als 1374 wird das Übergewicht an Herrschaftsbefugnis bei Bernhard nicht vorab abstrakt ausgedrückt. Dies wird gleichsam wie selbstverständlich vorausgesetzt: Bernhard setzt die Amtleute ein und verleiht geistliche und weltliche Lehen. Bei der Besetzung der Ämter ist Bernhard allerdings gehalten, Heinrichs Rat einzuholen. Dieser positiven Beschreibung der Kompetenzen folgt die negative: Keiner soll der herschop Slote Stede, wicbelde, edder gud verpfänden oder überlassen ohne Einwilligung des anderen, noch ere husfrowen bemorgengauen, edder belifftuchten mit der herschop, Steden, Sloten, edder wicbelden. Bei dem ersten Verbot der Verpfändung und Veräußerung liegt die Betonung auf dem Konsensvorbehalt. Das heißt, dass diese Alienationen zulässig, aber eben konsenspflichtig sein sollten. Bei dem zweitgenannten Verbot hinsichtlich der Leistungen an die Ehefrauen liegt der Schwerpunkt der Aussage auf den von diesem erfassten Gegenständen, wie sich daraus ersehen lässt, dass das gud als Alienationsobjekt nun nicht mehr angeführt wird, im Übrigen aber die Aufzählung der Objekte deckungsgleich ist. Die Hingabe einer Morgengabe oder die Bestellung einer Leibzucht wurden nicht verboten. Diese sollte jedoch nicht in einem der aufgezählten Bestandteile der Herrschaft, einer Herrschaftseinheit Stadt, Schloss oder Weichbild bestehen. Vielmehr sollten – so wird man folgern müssen – „herrschaftsneutrale“ Güter oder Geldrenten hierfür verwandt werden. Damit war ein weiterer Baustein der Umsetzung des streng agnatischen Prinzips, des Vorzugs des Mannesstammes in Sukzession und Innehabung der Herrschaft formuliert.699 Auch bedeutsame Städte waren zuvor vielfach zur Leibzucht den Gemahlinnen der welfischen Fürsten von diesen verschrieben worden. Als Beispiel sei hier Lüneburg genannt. Dort erscheinen wiederholt Frauen als Inhaberinnen herrschaftlicher, der stadtherrlichen Rechte.700 Noch Wilhelm von Lüneburg hatte vor 1355 Schloss, Stadt und Vogtei zu Celle seiner Gemahlin Sophie verschrieben.701 Und auch Magnus II. hatte Schloss und Stadt Celle 1370 seiner Ehefrau Katharina zur Leibzucht bestellt.702 Nun sollten die Frauen auch von dieser Möglichkeit, herrschaftliche Positionen bekleiden zu können, ausgeschlossen werden. Von dem üblichen Aufbau gemeinschaftserhaltender wie auch -(wieder-)herstellender Verträge weicht die Vereinbarung des gemeinsamen und einträchtigen Besitzes Grubenhagens zwischen Friedrich und seinem Neffen und Mündel Erich von 1402703 deutlich ab. Nicht unmittelbar nach der zentralen Gemeinschaftsvereinbarung wird eine gestufte Kompetenzzuweisung vorgenommen. Vielmehr wird seltsam ungeordnet und auseinander gerissen immer mal wieder dem einen und dann dem an698
Sud. VI 208 (30. Juni 1388). Ähnlich in dem Vertrag mit den Askaniern von 1387 (Sud. VI 159). 700 So Ottos des Kindes Gemahlin Mechthild 1257 (Sud. I 44); Ottos des Strengen Gemahlin – ebenfalls – Mechthild 1288 (Sud. I 111) und 1293 (Sud. I 122). 701 H. Dormeier, S. 34. 702 Sud. IV 37. 703 StA Wolf., 2 Urk 1, Nr. 17. 699
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deren Herzog eine Befugnis zugeordnet. Im Ganzen erscheint Friedrich als der vorrangige Landesherr; ihn erkennen die Räte auch als solchen an. Er hat als Ältester die Aktivlehnskompetenz inne. Erich ist aber eben aus der Rechtsträgerschaft an den Grundlagen dieser Landesherrschaft nicht ausgeschieden. Er kann offenbar über diese noch verfügen. Nur bedarf er der Zustimmung zu Verkäufen und Verpfändungen durch Friedrich. Eine komplementäre Verpflichtung Friedrichs fehlt hingegen. Auch bei den Verträgen zur Regimentsübertragung im Fürstentum Lüneburg von 1441 und 1457 blieb die Gemeinschaft an der Substanz des Nachlasses Bernhards (†1434) erhalten. Es wurde nur die Kompetenz, die Dispositionsbefugnis daran zugeteilt, und zwar – die Zuordnung zum Typus der Regimentsübertragung bedingend – in toto. So blieb Ottos Herrschaft nach 1441,704 als er auf die Dauer von vier Jahren das Regiment erhielt, vielfach an Friedrichs Zustimmung gebunden. Frei war er allein bei der Vergabe der Außenlehen, der Schuldtilgung und der Einsetzung der Amtleute. Gebunden hingegen war bei Veräußerungen, Vergabe der geistlichen Lehen und – diese Kompetenz findet sich hier erstmals zur Zuordnung in einem Hausvertrag – der Änderung der Landesabgaben sowie der Kriegsführung. Als Friedrich 1457 das Regiment an seine Söhne übertrug, wird nicht erkennbar, dass diese nicht gleichmäßig, sondern der eine überwiegend an der Herrschaft beteiligt sein sollte, jedenfalls nicht für die Zeit, da Otto mündig geworden sein wird.705 Bernhard und Otto verpflichteten sich gegenüber Friedrich, dass sie van vnsen landen vnd luden nichtes erffliken vorlaten noch vorbringen vmme neiner Sake willen id en schege denn mit vnses leuen Hern vnd vaders vorbenomt willen vnd vullborde vnd na Rade ziner vnd vnser prelaten vnd manne vnses geschwornen Rades, vnd vnser Stade. Bernhard und Otto dürfen aber ihre und ihres Vaters, die gemeinsamen, Schlösser, wenn es notwendig ist, verpfänden und versetzen, aber nur an Mannen, die unter dem Vater oder ihnen wonhafftich vnd beseten706 sind. Hingegen sind Verpfändungen und Versetzungen an vthluden namptliken heren vnd forsten geistlik effte werlik Grauen ffrien, Capittelen Steden effte oren Amptluden effte jenigen anderen vthluden von der Zustimmung Friedrichs abhängig. Diese Kautele, nichts, jedenfalls nur mit Zustimmung, an Auswärtige, besonders auswärtige Herrn und Städte zu verpfänden, begegnet im 15. Jahrhundert in den Hausverträgen häufiger.707 Sie ist ein Zeichen für die Stabilisierung der Fürstentümer, für das Bemühen um Unabhängigkeit nach außen und Einheitlichkeit im Innern. Die geistlichen Lehen der Herrschaft sollen im Wechsel zwischen Friedrich einerseits und Bernhard und Otto andererseits vergeben werden. Darunter sind auch die geistlichen Lehen des Gemeinschaftsguts aller welfi-
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CDB II, 4, S. 235; vgl. auch O. v. Heinemann, Bd. 2, S. 185; O. Jürgens, Lande, S. 49; G. Pischke, Landesteilungen, S. 134 f. 705 A. L. Jacobi, Bd. 1, 58 ff. (Nr. 7). 706 Zu diesem Wortpaar als Wesensmerkmal der – in diesem Fall Lüneburger – Ritterschaft C. v. Arnswaldt, S. 37 f. 707 1409, 1428, 1431, 1432, 1442, 1495.
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schen Linien in der Stadt Braunschweig begriffen. Die weltlichen Lehen hingegen sollen die Söhne allein verleihen. Bei den Regimentsübertragungen Wilhelms des Jüngeren auf seine Söhne 1487 und 1491 wurde hingegen keine Gemeinschaft beibehalten. Wilhelm trennte vertikal sein Patrimonium und übertrug die Teile auf seine Söhne. Es wurden – abgesehen von 1495 – keine dem Substanzerhalt gewidmeten Alienationsbeschränkungen vereinbart. Lediglich Wilhelm formulierte für sich einen Alienationsverzicht, der allerdings nichts anderes zum Ausdruck bringen sollte, als dass die Söhne in ihrem Teil selbstständig disponieren sollten; er erklärte 1491: Wy schullen ock nu vortmer neine Macht hebben, dat jent van vnnser Söne wegen ingelöset is, vnd inne hebben, weme to vorsettende, to verkopende, effte to veranderende, in neien Wys, it gesche denne mit örem guden Willen.708 Die Mutschierung ist ihrem Wesen nach die Verabredung eines Gemeinschaftserhaltes an der Substanz verbunden mit der Zuteilung von Nutzungsbefugnissen. Einziges Beispiel dieser Form der Nachlassbehandlung im Welfenhaus bildet die Erbauseinandersetzung zwischen den Söhnen Wilhelms des Älteren, also zwischen Wilhelm dem Jüngeren und Friedrich, von 1483709. Der gemeinschaftserhaltende Charakter der Mutschierung kommt nicht allein in der Betonung der Gesamthand auch an den zur jeweiligen Nutzung abgesonderten Anteilen, sondern auch darin zum Ausdruck, dass diese Anteile nicht erblich den beiden Fürsten zugewiesen wurden. In diesem Kontext der lediglich zur Nutzung erfolgten Abteilung und Zuweisung von Anteilen ist die Alienationsregelung zu sehen. Jeder darf aus Not etwas an Schlössern, Städten, Dörfern, Renten oder Zinsen ohne Zustimmung des anderen versetzen oder verpfänden. Aus der Erlaubnis dieser zeitlich begrenzbaren Formen der Alienation kann gefolgert werden, dass sie dem Gebrauch, der Nutzung der genannten Herrschafts- und Besitztitel zugeordnet oder gleichgestellt wurden – Verpfänden als Nutzungsart. Andererseits ist auch denkbar, dass die Verpfändungen und Versetzungen gerade den Gebrauch und die Nutzung überstiegen und deshalb gewissermaßen als Nutzungsexzesse der ausdrücklichen Erlaubnis bedurften. Ganz frei waren die beiden Seiten bei der Verpfändung und Versetzung der genannten Rechtspositionen nicht. Genauso wie 1457 im Fürstentum Lüneburg bestimmt, mussten sie dem jeweils anderen die Verfügung mitteilen und vor allem durfte nur zu Gunsten von Personen aus der Herrschaft verfügt werde. Schließlich musste um des Erbes willen über die Verfügung dem jeweils anderen Brief und Siegel bewahrt werden. Die Lehen soll Wilhelm als der Älteste ausgeben, wenngleich nur mit Zustimmung Friedrichs. Die Wiederherstellung einer Ganerbengemeinschaft ist abgesehen von den Vereinbarungen von 1324 und 1325 in der Grubenhagener Linie nur zwei weitere Male im Welfenhaus vereinbart worden: 1394 und 1415, jeweils unter Söhnen Magnus II., jeweils zwischen Lüneburg und Braunschweig. Und beide Gemeinschaftsverträge unterscheiden sich gerade in der Kompetenzzuteilung; der Vertrag von 1394 708 709
Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 88 ff. StA Wolf., IV Hs 3, Bd. 1, Bl. 407 – 419; HStAHann., Cal. Or 1, Nr. 44.
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bildet geradezu die Vorstufe, die Vorbereitung der „wirklichen Vereinigung“ von 1415. Die Vereinigung, die Friedrich, Bernhard und Heinrich 1394710 verabredeten, wies, wie bereits im Einzelnen dargelegt, eine zweistufige Fälligkeit auf. Erst unter den Erben der drei Herzöge sollte sie vollends wirksam werden. Die Kompetenzen oder gewendet: die Grenzen der Dispositionsbefugnis des Ältesten innerhalb des für diese Gemeinschaft vorgesehenen Seniorats werden nur sehr allgemein, wenig genau formuliert: de älteste en scholde van den Landen nit vorlaten noch entfernen ane witschop vnd vulbort der andern Eruen. Für die Vorstufe dieser Gemeinschaft unter Vorrang des ältesten Erben sollte es hinsichtlich der Lehen im Grundsatz bei der 1388 vereinbarten Kompetenzzuteilung bleiben: Friedrich verleiht diese, geistliche wie weltliche, in Braunschweig und Bernhard in Lüneburg. Allerdings wurde die Lehnsvergabe unter den Vorbehalt der Zustimmung der jeweils anderen beiden Herzöge gestellt. Offensichtlich mochte Bernhard auf seine, wenngleich nur im Grundsatz gewahrte, durch den Konsensvorbehalt deutlich eingeschränkte Lehnskompetenz in Lüneburg nicht verzichten, so dass es insoweit nicht zu einer einheitlichen Lehnshoheit, die üblicherweise in dieser Zeit dem Ältesten und zudem konsensvorbehaltsfrei zufiel, kam. Im Übrigen bestand ein umfassender Konsensvorbehalt für Verfügungen aller drei Herzöge; dauerhafte wie zeitige Vergaben von Schlössern, Städten, Landen und Leuten waren davon erfasst. Dieser Vorbehalt ging über das für Erbverbrüderungen dieser Zeit übliche Maß an Zustimmungspflichtigkeit hinaus.711 1415712 wird dann eine gemeinschaftliche Herrschaft der beiden nunmehr nach Friedrichs Tod 1400 allein paktierenden Brüder Bernhard und Heinrich vereinbart. Eine als Beschränkung oder Zuteilung von Dispositionsbefugnissen erscheinende Regelung wird nicht getroffen, sieht man von der Abrede gemeinschaftlicher Anund Absetzung der Amtleute, Vögte und Zöllner ab. Die Sicherung des Bestandes an Herrschafts- und Besitzrechten findet bereits im Vorfeld der Substanzschmälerung statt. Die Ursache der Alienationen wird bekämpft: So schall, vnser eener oder vser tween keien Schulden ower 600 Gulden macken. Ebenfalls unter Beteilung Bernhards war 1387713 eine – aktuelle – Rechtsgemeinschaft am Fürstentum Lüneburg begründet worden, und zwar zwischen diesem und den askanischen Herzögen Wenzel und Rudolf, Vater und Sohn. Die Herrschaftskompetenzen werden nach zwei Kriterien zugeteilt: Aufenthalt innerhalb der Herrschaft und Alter. Der jeweils Älteste der im Lande anwesenden Herzöge soll die Regierung führen. Ausgenommen davon ist allerdings die Lehnshoheit. Diese übt immer der älteste Herzog unabhängig davon aus, wo er sich aufhält. Im Übrigen ist derjenige, der gerade zur Führung der Geschäfte berufen ist, weithin an die Zustimmung der Mit710 711 712 713
Sud. VII 258; H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 427 f. Ähnlich etwa 1370 (Sud. IV 17). StA Wolf., 2 Urk 1, Nr. 22. Sud. VI 159.
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erben, der übrigen Gesamthänder gebunden: Er darf ohne Rat und Bewilligung der anderen Herrn und der Stände von der Herrschaft weder Schlösser, Städte, Mannschaft, Land oder Leute auf irgendeine Art entfernen, noch Vereinbarungen treffen, die zur Überlassung oder Teilung der Herrschaft Lüneburg führen. Gar nicht, auch nicht mit Zustimmung der anderen Berechtigten darf etwas von den spezifisch herrschaftlichen Positionen des Fürstentums als Leibzucht oder Morgengabe ausgetan werden.714 bb) Regelungen in den Erbverbrüderungen Magnus II. Torquatus von Braunschweig und sein direkter Vetter Otto der Quade, der Göttinger Regent, waren die ersten unter den welfischen Fürsten, die ausdrückliche Bestimmungen zur Verfügungsbefugnis in eine Erbverbrüderung aufnahmen. 1370 bestimmte Magnus – Otto formulierte eine inhaltsgleiche Klausel in der von ihm ausgestellten Vertragsurkunde –: „Sei es, dass unser vorgenannter Vetter oder seine echten Söhne, sofern ihm welche geboren werden, von dem Ihren etwas versetzen oder verlehnen will, dessen sollen sie mächtig sein, ausgenommen Schlösser, diese sollen sie nicht verlehnen. Wollen sie aber Schlösser versetzen, das mögen sie wohl tun an wen sie wollen außer an Fürsten und Grafen, und wir sollen dem zustimmen in unseren besiegelten Briefen, wenn man das von uns verlangt. Wenn wir nicht binnen eines Monats nach der Aufforderung die Zustimmung erteilen, so sollen die Briefe, die unser Vetter, seine echten Söhne, wenn ihm solche geboren werden, die Huldigung der Städte und Mannen, die uns gegeben worden sind, die Eide und Gelöbnisse, die uns von ihren Amtleuten geleistet worden sind, machtlos sein“.715 Eine verschachtelte und komplizierte Regelung. Sie beginnt mit der Erlaubnis zur pfandund lehnweisen Übertragung von Vermögensteilen. Diese grundsätzliche Erlaubnis wird aber sogleich für bestimmte Objekte eingeschränkt. Burgen dürfen zum einen nicht verlehnt werden. Dahinter steht die ausgeprägte Erblichkeit des Lehens in dieser Zeit. Die Hingabe eines Lehens ist nicht mehr zeitlich begrenzt und offenbar aus sich heraus, das heißt innerhalb dieses Geschäftstyps, auch nicht begrenzbar – allenfalls durch den Vorbehalt des Wiederkaufs. Zum anderen ist die Verpfändung von Burgen wenn nicht verboten, so doch eingeschränkt auf landsässige Pfandnehmer. Andere Fürsten und nicht der Herrschaft der welfischen Herzöge unterworfene Grafen sollen nicht in den Besitz der Burgen gelangen. Beide Ausnahmen sind auf den Schutz der 714
Wy noch vnse eruen enschüllet noch enwillet nene vnse noch se ere hüsürowen belifftuchten, edder bemorgenghauen, mit yenen Sloten, Steden, edder wicbelden, in der herschop lüneburch. 715 Sud. IV 17: Wer ok, dat vnse vorbenomde veddere edder sine echten Sone eft ome dy worden, des oren wat vorsetten edder vorlenen des schollen sy wolmechtig wesen, vtgenomen Slot der enschollen sy nicht vor lenen. Wolden sy auer Slot vorsetten, dat mogen sy wol dvn weme sy willen ane vorsten vnde Greuen vnde wy schollen dat volborden in vnsen besegelden Briuen icht men dat von vns eyschet, Were dat wy des nicht volborden by eyneme manden na der eyschinge, So scholden dy Breue dy vnses vettern vnde siner echten Sone icht ome dy worden stete vnde orer mannen dy vns ge geben weren, vnde eyde vnde glouede dy tu vnser hant gedan weren von oren Ammechtluden, neyne macht hebben.
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Herrschaft, ihrer Integrität gerichtet. Gerade Burgen waren ein wesentliches, ja das wesentliche Sicherungsmittel der fürstlichen Herrschaft. Und dies wurde besonders in der Zeit dieser Erbverbrüderung, die durch den Konflikt um die Nachfolge im Fürstentum Lüneburg gekennzeichnet ist, so empfunden. Über alles konnte deshalb frei verfügt werden, nur eben nicht über Burgen. Diese Pointierung blieb innerhalb der hausrechtlichen Bestimmungen der Welfen zur Dispositionsbefugnis einmalig. Ausgespart von der Regelung der Vettern blieben Verfügungen, die auf dauerhafte Besitzhingabe gerichtet waren. Dass etwa Verkäufe oder andere ebenso die Substanz schmälernde und nicht nur gefährdende Geschäftstypen nicht erfasst werden, deutet genauso wie der Umstand, dass die Bestimmungen zur Dispositionsbefugnis positiv mit einer Erlaubnis beginnen, darauf hin, dass man von einem grundsätzlichen, allein aus dem Abschluss einer Erbverbrüderung, der Begründung, wenigstens Betonung, einer gegenseitigen, bedingten Erbenstellung herrührenden Verbot nicht konsentierter Veräußerungen aus dem Patrimonium ausging. Zudem wird für die Verpfändung von Burgen kein Konsensvorbehalt für den Vertragspartner, sondern eine fristgebundene Zustimmungspflicht verabredet. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass selbst solch zeitig beschränkte Verfügungen an sich und eigentlich nur mit Zustimmung der Erben, seien diese auch vertraglich zur Erbfolge bestimmt, erfolgen sollen. Die Konsenspflicht schützt insoweit davor, dass sich jemand möglicherweise erst in einer der folgenden Generationen auf das Fehlen seiner Zustimmung, die Verletzung seiner agnatischen Rechte beruft. Dieser Annahme eines Bewusstseins eines allein in der – gewillkürten – Erbenstellung gründenden Veräußerungsverbotes steht aber die Bestimmung zur Dispositionsbefugnis entgegen, die die drei Söhne Magnus II., Friedrich auf der einen, Bernhard und Heinrich auf der anderen Seite, zu ihrer Erbverbrüderung trafen, die sie im Rahmen ihrer Zuteilung von 1388 vereinbarten. Danach sollte auf beiden Seiten niemand Schlösser, Städte, Weichbilde oder Gerichte verkaufen, entfernen oder erblich auflassen ohne Willen und Zustimmung der anderen.716 Dies ist eine reine Substanzerhaltungsmaßnahme auf den bedingten Erbfall hin. Offenbar hielten die Brüder dessen ausdrückliche Abrede für notwendig. Daraus wird man folgern dürfen, dass die zeitig beschränkten Pfandsetzungen beiderseits erlaubt sein sollten. Vermutlich war die Auffassung einer grundsätzlich unbeschränkten Verfügungsfreiheit nach Aufhebung der Gesamthand vorherrschend. Für den Fall aber, dass man von einem generellen Konsensvorbehalt allein durch Errichtung der Erbverbrüderung ausging, wäre es widersinnig, gerade für die Substanzverletzung diesen Vorbehalt deklaratorisch zu wiederholen, ihn für die Substanzgefährdung hingegen zu verschweigen. Die Dispositionsbeschränkung, der Otto Cocles in seiner und der schon von seinem Vater, Otto dem Quaden, getroffenen einseitigen Erbverschreibung zu Gunsten Friedrichs von Braunschweig 1395 unterworfen wird, ist nicht, wenigstens nicht al716 Sud. VI 209 (6. Juli 1388): Ok enschall vnser vorbenomeden heren van beidentziden nemand vorkopen entfernen edder erffliken vorlaten yenige Slote Stede wicbelde edder gerichte ane der anderen willen vnd vulbort.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
lein als Schutz der bedingten Erberwartung Friedrichs zu begreifen. Denn Friedrich ist zugleich zum Vormund Ottos bestellt. Als Absteckung des Inhalts dieses Amtes, der Reichweite seiner Aufsicht, ist die Befugnis Ottos und seiner Amtleute formuliert, mit Rat und Bewilligung der Mehrheit seiner Mannschaft und Städte Schlösser zu verändern und zu versetzen. Und Friedrich verpflichtet sich, diesen Verfügungen dann auch zuzustimmen.717 Er fügt sich gewissermaßen dem Votum der ständischen Vertreter aus der Ritterschaft und den Städten. Ebenso ist es für Friedrich bindend, seine Zustimmung zu Verkäufen von Schlössern zu erteilen, wenn diese aus einer Notlage heraus erfolgen und wenn die Mehrheit von Mannschaft und Städten dies befürworten und dem zustimmen. Allerdings soll Friedrich in diesem Fall dem Kauf der nächste sein;718 ihm wird – erstmalig in einem welfischen Hausvertrag – ein Näherrecht eingeräumt. Der Inhalt dieses Rechtsinstituts wird in der Urkunde nicht erläutert – anders als in den Verträgen von 1401, 1409, 1428, 1431 und 1432. Das Näherrecht ist danach auch in den welfischen Landen ein Retrakt- oder Vorkaufsrecht. Der Berechtigte kann den Kaufgegenstand zu dem von einem Käufer angebotenen Preis erwerben, an sich ziehen.719 Diese hier Friedrich zugedachte Rechtsstellung steht nicht mit seiner Stellung als Vormund im Zusammenhang. Vielmehr ist das Näherrecht ein Ausfluss der Bindung des Vermögens an die Familie. Aus derselben Wurzel wie das Beispruchrecht erwachsen, schwächt es diesem gegenüber die Bindung zu Gunsten der Familienglieder, der Erben, ab. Schon in der – nun auch gegenseitigen – Erbverbrüderung Ottos mit Bernhard und Heinrich von 1401, die nach dem Tode ihres Bruders Friedrich im Jahre 1400 beide Fürstentümer, Lüneburg und jetzt auch Braunschweig, innehatten, wodurch ein Austausch des Begünstigten von Ottos Erbverschreibung nötig wurde, wird das Näherrecht als „von Rechtswegen gebührend“ bezeichnet.720 Über Beschränkungen Ottos in seiner Verfügungsgewalt informiert weder die von Bernhard und Heinrich noch die von Otto ausgestellte Urkunde. Bernhard und Heinrich stellen klar, dass sie, wenn es notwendig ist, Schlösser verändern und versetzen mögen ohne jede Wi-
717 Sud. VIII 45: Ock schulle we vnses veddern treue vormunder wesenn die weile he binnen Jahren ist als vns dat vonn Rechte vnnd von mageschop wegenn tho geborett also doch datt he vnnd seine Ambtlude ohrer Schlote mechtich wesenn schullen touoranderen oder touosetten wor ohne datt euenn vnnd bequeme duchte mit volborde vnnd Rade merer meninge seiner manschop vnnd Stede, vnnd we schullen dat mede volbordenn vnnd breue geuen alsz dicke alsz desz nodt ist, vnnd so scholdenn vnsz ock wedder verbreuen datt Schlot oder de Schlote vnsz to der lofe tho sittende offt he afginge van Dodes wegen vnd bi vnsz to bliuenn alsz vorg. ist. 718 Were datt he edder de sine efft sine landt vnnd lude alsodanen schadenn nehmen edder ander nott anliggen wurde desz Godt nicht ein wille dat men ein Schlott edder mehr Schlote verkopen moste, van welcker Sake datt to keme dat scholde vnse gode wille vnnd volwordt wesen, also vorder alsz dat gescheege mitt volwort merer meninge vnnd rade siner manschop vnnd Stede Wolde we auer datt geldt beleggen dat ein ander daruor geben wolde So scholle we dem kope jo de negeste wesen. 719 Allgemein zu diesem Institut H. Coing, Bd. 1, S. 383 f. 720 Sud. IX 114.
IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung
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dersprache durch Otto.721 Offenbar bedarf es zumindest der Deklaration, dass man ohne besondere, ausdrückliche Vereinbarung in seiner Verfügungsgewalt frei bleibt, nicht durch – zudem eventuell gewillkürte – Erben zum Schutz derer Exspektanzen hinsichtlich zeitlich begrenzter Besitzhingaben beschränkt ist. Dauerhafte Veräußerungen werden nicht durch einen allgemeinen Erlaubnissatz, durch die formulierte Freiheit von einem Zustimmungsvorbehalt ermöglicht. Vielmehr wird die Zustimmungserteilung, jedenfalls für den benannten Fall, dass der Verkauf eines Schlosses aus einer Notlage heraus erfolgt, als Pflicht Ottos, ja als gleichsam schon erteilt, ausgestaltet. Auch hier scheint mitzuschwingen, dass auch dem gewillkürten – und nicht nächsten – Erben ein Zustimmungsrecht zusteht, dass Veräußerungen ohne Zustimmung noch undenkbar, wenigstens als ungewöhnlich erschienen. Statt des Beispruchs- erhält Otto dann das Näherrecht.722 Deutlich wird der genetische Zusammenhang des Näherrechts mit dem Beispruchrecht des Verwandten, des Erben, der Wandel des Erbenlaubs zu einem Retraktrecht. Eine weitere Lösung der Bindungen in der Familie, eine weitere Schwächung der gegenseitigen kollateralen Rechte am Gut anderer Familienglieder tritt in den entsprechenden Bestimmungen der Erbverbrüderungen von 1409, 1428 und 1432 entgegen. In diesen inhalts- und nahezu wortgleichen Regelungen wird bestimmt, dass derjenige, der von seinem Teil und seiner Herrschaft etwas veräußern oder verpfänden will an Herrn oder fremde Leute, dieses erst dem anderen für den Preis anbieten soll, den der Fremde geboten hat, dann soll der andere, der Vertragspartner der Erbverbrüderung, der Nächste sein.723 Es wird demnach nicht mehr unterschieden zwischen zeitlich begrenzter und dauerhafter Besitzvergabe. Verpfändungen und Auflassungen werden gleichmäßig behandelt. Rechte der Kollateralen werden nur bei Verfügungen zu Gunsten bestimmter Empfänger ausgelöst, nämlich Herrn und fremden Leuten. In der parallelen Nennung mit den fremden Leuten wird deutlich, dass die Hern zwar räumlich binnen der Herrschaften Braunschweig oder Lüneburg begütert sein mögen, aber eben diesen nicht unterworfen. In knapperer Formulierung als dies bei den entsprechenden Bestimmungen in den Verträgen von 1431, 1457, 1483 und 1495 der Fall ist, werden hiermit auch die dort näher geregelten Veräußerungen 721 Ok moge wi vnse slote vorsetten vnde vorandern to allen vnsin noden als dicke vns des behoff is ane vnses ergenanten feddern wedersprake. 722 Weret auer dat wi edder de vnse van vnser wegen solken schaden nehmen edder vns ander noid an ligende worde dat wi ein edder mer vnser slote vorkopin mosten dar got vor sy van welken saken edder invalle dat tho queme dat scolde ok sin wlbord vnde gude wille sin vnde dar anne neine wis behinderen wolde he auer den kop beholden vnde dat gelt vdleghen dat eyn ander dar vorgheuen wolde dem kope scolde he de negheste syn als sek dat van rechtes wegen doch wol geborde. 723 Als Beispiel sei hier der Wortlaut des Vertrags vom 25. Juli 1428, abgedruckt bei A.U. Erath, S. 44 f., angeführt: Were ock, dat wy se, eder unser Eruen, welck dat wolde verlaten eder verpenden van sinem Dele und Herschup einem Hern eder frombden Lüden, dat scholde he erst beden dem andern, umb so vele, als de Fromede om daruor geuen edder darup don wolde, und dan scholde he den neger wesen, den de Fromede daruor to beholdende, isst he dat daruor beholden wolde.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
an andere (Landes-)Herrschaften und auswärtige Fürsten, Grafen, aber auch Ritter erfasst. Nur gegenüber diesen Geschäften mit herrschafts- und raumfremden Personen wird ein Schutz der bedingten Erberwartung der abgeteilten Linien niedergelegt. Im Übrigen wird die Verfügungsgewalt nicht beschränkt. Als Schutzinstrument wird allein das Näherrecht eingesetzt; das Beispruchrecht ist nun auch sprachlich aus Regelung der Dispositionsbefugnis zwischen zwei Linien des Hauses völlig verschwunden. Die Verdrängung des Beispruchrechts zu Gunsten des schwächeren Näherrechts sowie die Ausdünnung, die Verschlankung der Tatbestände, die Agnatenrechte auszulösen vermochten, bedeuten eine Abschwächung der Bindungen in der Familie, des Gutes an die Familie, bedeuten ein weiteres Auseinanderdriften der einzelnen Linien, eine Verselbstständigung der einzelnen welfischen Fürstentümer. Insbesondere in der Verengung der erfassten und geregelten Veräußerungsfälle kommt aber auch – möglicherweise sogar vornehmlich – ein Wandel der Herrschaftsauffassung, der Herrschaftspraxis, die Stabilisierung der Herrschaft im Fürstentum zum Ausdruck. Auch die dauerhafte, wenngleich auch entgeltliche, Weggabe von Grundlagen, ja Bestandteilen des Fürstentums, Besitz- und Herrschaftstiteln, bleibt im Grundsatz erlaubt; nur muss er an Unterworfene der fürstlichen Gewalt erfolgen. Offenbar trat die Frage nach der eigentumsrechtlichen Zuordnung des dinglichen Substrats der Herrschaft zurück. War bisher die Herrschaft insbesondere in die Burgen unlöslich eingeschmolzen, scheint sie sich herauszulösen, wenn die sachenrechtliche Zuordnung dieser Realien zur Herrschaft nicht mehr unbedingten Schutz verdient, sondern letztlich nur der herrschaftliche Zugriff gesichert wird. Der Hintergrund dafür dürfte in dem Aufkommen der allgemeinen Landessteuer, der Landbede, und der zunehmenden Gewöhnung an diese Belastung zu suchen sein. Zeitlich fixierbar für die welfischen Lande ist allein die Gewöhnung an die Besteuerung, und zwar auf die Jahrzehnte des Ausgangs des 15. Jahrhunderts.724 Denkbar bleibt insoweit aber, dass sich auch schon zu Beginn dieses Jahrhunderts Spuren und Zeugnisse eines sich allmählich durchsetzenden Wandels in der Finanzverfassung, in der Finanzierung des Landesherrn finden lassen. Mit der allgemeinen Landbede gewann der Fürst den Zugriff über die Grundholden seines Gutes, des später so geheißenen Kammergutes, hinaus auch auf die Hintersassen der landsässigen Herrn, der Ritter und Prälaten.725 Von daher verlor die Frage nach der sachenrechtlichen Zuordnung der Güter, deren Hintersassen zur Steuer herangezogen wurden, an Bedeutung. Es bildete sich ein spezifisch hoheitliches Rechtsverhältnis. Die Klarheit dieses Zeugnisses eines Vereinheitlichungs- eines Versachlichungsprozesses wird aber sogleich wieder getrübt. Nachdem 1409 und in der von Wilhelm am 25. Mai 1428 ausgestellten Urkunde eine als solches zu verstehende Dispositionsfreiheit der beiden Linien, die völlig unabhängige Verfügungsbefugnis im Innern der Herrschaft, verabredet worden war, zeigen zwei zeitlich aufs Engste verbundene Quellen ein anderes Bild auf: Als der zum Vermittler 724 725
W.-R. Reinicke, S. 44; E. Schubert, Niedersachsen, S. 868 f. Dazu vor allem D. Willoweit, Verwaltung, S. 74.
IV. Die Veräußerung von Herrschaftsrechten und ihre Beschränkung
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in der Erbauseinandersetzung von 1428 berufene Landgraf von Hessen die von Wilhelm gebildeten Teile am 22. August 1428 vorstellte und die Teilungsfragen im Einzelnen mit den Parteien verhandelte, wurde eine Vereinbarung für einen Fall getroffen, den es nach 1409 an sich nicht mehr geben durfte, nämlich die Veräußerung von Vermögensbestandteilen durch eine Seite ohne Willen und Zustimmung der anderen Seite.726 Dabei wird nicht ersichtlich – und es ist auch in Anbetracht der sprachlich umfangreichen Erfassung der Fälle unwahrscheinlich –, dass es sich allein um Verfügungen zu Gunsten Auswärtiger handeln sollte. Hinsichtlich dieser Veräußerungen bestand offensichtlich die Möglichkeit der Rückforderung von dem Dritten, dem Empfänger. Andernfalls gibt die Bestimmung, dass der Empfänger für die Zeit bis die Ansprüche geklärt sind, im Besitz des ihm versetzten, verlehnten oder verkauften Gutes verbleiben sollte, keinen Sinn.727 Nur die Zustimmung der jeweils anderen Linie machte die Veräußerung, sei sie auf zeitlich begrenzten oder unbegrenzten Besitz des Empfängers gerichtet, rückforderungsfest. Das alte Beispruchrecht stand demnach hier noch in voller Blüte. Und 1431 wird dann die „Lücke“ in der Verfügungsbeschränkung, die 1409 und 1428 verblieben ist, die freie Verfügung innerhalb der Herrschaft, geschlossen. Nun sind jegliche „Entfernungen“ von Land und Leuten von der Zustimmung der anderen Vertragsseite abhängig.728 Ein Näherrecht ist hingegen nur ausgelöst, wenn einer entbehre muste oder solte Land edder Lude an sate oder an Kope andern Fürsten und Herrn. Dies erscheint widersprüchlich. Die auch dauerhafte Veräußerung an Auswärtige soll allein das schwächere Näherrecht auslösen. Hingegen soll die Veräußerung an Landsässige grundsätzlich das Erbenlaub erfordern. Die Missachtung dieses 1431 auch wie ebenso schon 1428 formulierten Näherrechts konnte Wilhelm rügen, nachdem die Söhne des Lüneburger Regenten Bernhard, Otto und Friedrich kurz vor Pfingsten 1433 ihre Städte, Schlösser und Weichbilde Ertelsen mit der Hamelschenburg, Gronde, Bodenwerder, die Hälfte von Everstein und die Hälfte der Vogtei sowie die Huldigung zu Hameln an Bischof Magnus zu Hildesheim versetzt hatten.729 Der Bischof war ein auswärtiger Herr, an den nicht ohne weiteres verfügt werden durfte. 1432 ist man dann innerhalb der Braunschweiger Linie wieder zur Regelung von 1409 und 1428 zurückgekehrt, nach deren Wortlaut jedenfalls Verfügungen, auch auf dauerhaften Besitzverlust angelegte, innerhalb des Landes zustimmungsfrei sein sollten. 726 Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 48: Weret ock, dat desser vorgenanten Hern welk van beiden Parten van den vorgenanten und andern Sloten, Gulde, Renthe oder Tobehoringe versat, verkofft, verlehnet, verlaten, vergeuet edder an Sloten verhoget hedde, sunder des anndern Willen vnnd Vulbort (…). 727 Ebd., S. 49: Wes suß van dessen vorgenanten Godern, Gulden und Renthen versat, verkofft, verlaten, vergeuen effte verlegen were, de schal ein iuwelk, dem se gelaten sin, vnnd in Weren hefft, in Weren beholden, also lange, dat desset na vorgeorder Wise to Uthdrage vnd Ende kheme. 728 HStA Hann., Celle Or 6, Nr. 84: Es soll neen vnser vorgenanten Herren den andern entfernen Land und Lude de von Rechte uff ihn fallen muchte, he en dede dat mit der andern Vollborde und gueden Willen (…). 729 Urkunde abgedruckt bei J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 1, 140 ff.
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Nur ein Jahr später, in der als Verkauf abgefassten Erbverbrüderung von 1433 zwischen Heinrich, dem 1432 der Braunschweiger Teil zugefallen war, und Bernhard mit seinen Söhnen Otto und Friedrich auf Lüneburger Seite erscheint wieder die Differenzierung zwischen Pfandhingabe und dauerhafter Veräußerung von Rechtspositionen.730 Die erste Verfügungsform sollte zulässig sein. Sie ist ein Bestandteil der Rechtsposition, die dem Verkäufer vorbehalten bleibt und aus der das Scheinbare des Verkaufs deutlich zu Tage tritt. Hingegen ist die auf Dauer angelegte Alienation von Herrschaftsbestandteilen in herkömmlicher Weise unter der Vorbehalt der Zustimmung der Vertragspartner gebunden; von einem Näherrecht ist nichts zu lesen. In der Neuordnung des Verhältnisses zwischen Braunschweig und Lüneburg, genauer: zwischen Wilhelm von „Calenberg“ und seinen Söhnen Wilhelm und Friedrich einerseits und Heinrich von Braunschweig sowie den Lüneburgern Otto und Friedrich andererseits, von 1442 findet sich die bis dahin in den welfischen Hausverträgen umfangreichste Regelung der in diesem Falle dreiseitigen Dispositionsbefugnisse.731 Die hergebrachte Differenzierung zwischen wiederbringlichen und endgültigen Vergabungen, zwischen Versetzung einerseits und Veräußerung andererseits, wird wieder aufgenommen. Die erstgenannten Verfügungen sind grundsätzlich zulässig, wie es am Ende der Regelung noch einmal ausdrücklich klargestellt wird. Am 730
Abgedruckt bei A. U. Erath, 60 f.: Doch mit dessem Underscheyde dat wy der vorgenanten vnser Herscoppen, alse de hir beuorn benompt sind, vnd we öm vnde sinen genanten Eruen verkofft hebben, to vnser Eruen, van vnsem Liue geboren, Behof, Nut vnde Fromen, de to regerende vnde vorstande, vnde der to brukende, darinne geistlik vnd wertlik to lenende, Stede, Slote vnde Dorpere, Tollen, Gulden vnde Renthe to versettende, na vnser Prelaten, Man vnde Stede Rade bliuen scal. Were auer, dat wy edder vnse ergenanten Eruen van dersuluen vnser Herscoppe weß vorkopen, entfernen vnde in Kopes wyse bringen wolden, deß en scullen wy nicht don ane des ergenanten, vnser Feddern vnde siner ergenanten Eruen Willen vnde Vulbord. 731 Hauptvertrag vom 21. April 1442, abgedruckt bei A. U. Erath, S. 66 ff., hier S. 73: Ock süllen unnd willen wy Fürsten alle vorsatlicken unnser ein dem andern to Verfange effte Schaden, Lande edder Lüde, Slote, Stede edder annder Gütter nicht entfernen unnd entfrembden, und de neinen uthwendigen Fürsten und Herrn, Capitell, edder Reden der Stedde verpenden edder versetten: unnd by Namen, so ensüllen und willen wy sambt und unser ein islicken besundern unnse edder unnser Herschop unnd Fürstenthombs Vryheide, Gerechtigkeit, de wy nu to Tyden hebben edder erweruen moigen, in tokommenden Tyden, und ock der Herschop Priuilegia, Register und Breue, Stede, Slote, Dörper edder ander Güder erfflicken nicht verkopen edder verlatten von unsem Fürstendome und Lannde; dat en were denne, dat unnser welck so groten Schaden genohmmen hedden von Vengknüsse unnd Nedderlage, edder annder Sacken, dat landtwitlick were, unnd unns andern düchte, dat he sodans Schadens annders nicht bekommen möchte, dann alse vorgerört iß. Unnd wolde wy alle denn unnd unser ein islick besonndern sodann Landt unnd Luide, Stede, Slote edder annder Güder, der he durch der Sacke willen verlaten müsste, nicht by unns beholden, so scholden und wolden wy dem anndern günnen und staden (gestatten), sodan Landt, Slote unnd Stede und Güder to verlatende und to perkopende, up sin Beste, als ime des to doinde were. Doch so mach unser ein islick in Goddes Ehre geuen egen edder vrigen, edder sinen Mannen unnd Undersatten wontlicke Gnaden don, mit Gnaden togeuende und to lenende, als dat vonn unsen Eldern wente ann unns gekommen is, wu idt unns anndern vorsattlicken nicht to Verfange geschege, ane Geuerde. Annders so moigen wy lehnen in unsem Deile unnser Herschop, versetten und verpenden, so wy süst lange gedain hebben, sunder Willen und Vollborde unnser andern.
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Anfang der Klausel steht die Ausnahme von dieser Befugnis: auswärtigen Fürsten und Herren, Kapiteln oder Räten der Städte dürfen Land und Leute, Schlösser, Städte und andere Güter nicht verpfändet oder versetzt werden. Dies wird gleichsam als der Anwendungsfall einer Entfernung oder Entfremdung dieser Rechtstitel to Verfange effte Schaden der anderen Fürsten begriffen. Sogleich wird aber ein weiterer Anwendungsfall dieser Schädigung der Parteiinteressen benannt: die Bestandteile oder Grundlagen der Fürstentümer dürfen erblich nicht verkauft oder überlassen werden. Dabei spielt der Empfänger der Überlassung keine Rolle. Mag die Wendung, dass diese Überlassungen nicht von vnsem Fürstendome vnnd Lannde geschehen sollen, als Andeutung dessen, dass innerhalb der Herrschaft Veräußerungen dauerhafter Art erlaubt sein sollen, also etwa Verkäufe an Ritter, verstanden werden können. So spricht gegen dieses Verständnis, dass in der abschließenden Klausel zur Dispositionsfreiheit in den einzelnen Teilen nur zeitlich begrenzte und eben nicht dauerhafte Veräußerungen genannt werden. Ein Ausnahmetatbestand von dem generellen Verbot dauerhafter Alienationen wird durch eine Notlage begründet. Diese wird nun, anders als in den Erbverschreibungen von 1395 und 1401, genauer beschrieben: Der Fürst muss einen großen Schaden erlitten haben aus einer Niederlage oder aus anderen landesbekannten Gründen und die anderen Fürsten müssen zu der Erkenntnis gelangen, dass der Schaden anders als durch Veräußerung nicht zu beheben ist. Dann darf der notleidende Fürst zu seinem Besten Land und Leute, Schloss und Städte und andere Güter veräußern und verpfänden – allerdings nur, wenn die anderen Fürsten diese Positionen nicht by vnns beholden wollen. Dies dürfte die verkürzte Formulierung eines Näherrechtes sein. Denn wie anders könnten die Kollateralen die Herrschaftsbestandteile eines Fürstentums „behalten“, als dass sie dessen Inhaber dafür entgelten? Abschließend werden Wohltaten durch die Fürsten diesen freigestellt. Vergabungen zu Gottes Ehre oder zur Gnadenerhaltung der Mannen und Untertanen sind immer zulässig. Es waren wohl die tatsächlichen Gegebenheiten Grubenhagens, die eine umfassendere Regelung der Dispositionsbefugnisse zu der Erbverbrüderungsabrede in der Teilung von 1481732 unnötig erscheinen ließen. Im Rahmen des Gemeinschaftserhaltes wird bestimmt, das in gewohnter Weise der Älteste, allerdings mit Zustimmung des Jüngeren, die geistlichen und weltlichen Lehen ausgibt. Im Übrigen darf jeder ungehindert von der Herrschaft etwas verleihen oder zur Leibzucht verschreiben. Viel stand dafür nicht zur Verfügung. Herzog Heinrich hatte durch die Teilung nicht einmal aktuell ungetrübten Besitz an einer Burg erhalten. Allein der Anspruch auf die Burg Salzderhelden, die zur Zeit der Teilung seiner Mutter zur Leibzucht bestellt war, war ihm zugedacht worden. Was sollte er also schon groß veräußern? Eine ebenfalls sehr detailreiche Regelung erfuhr die Dispositionsbefugnis im Rahmen der auf Erhalt einer Gemeinschaft gerichteten Abreden im Teilungsvertrag zwischen Heinrich und Erich von 1495,733 mit dem die Lande „Calenberg“, Göttingen 732 733
HStAHann., Cal. Or 4 I, Nr. 17. Abgedruckt bei A. U. Erath, S. 101 ff.
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und Braunschweig den Söhnen Wilhelms des Jüngeren zugeordnet wurden. Unmittelbar im Anschluss an die Vereinbarung des Empfangs von Gesamthuldigung und Lehen wird sie als sunderlicke Eininge vnd Verdracht angefügt, an den sich die Söhne und ihre Untertanen halten sollen, dat se allenthaluen in Einicheit vnd Freden bliuenn. Differenziert wird wieder zwischen dauerhaften und zeitigen Vergaben von Rechtspositionen. Die erstgenannten, erbliche Verkäufe und Überlassungen, sind grundsätzlich verboten.734 Untereinander dürfen diese, so die Ausnahme, aber vorgenommen werden.735 Es durften also dem Fürstentum Braunschweig zu Gunsten des Fürstentums „Calenberg“, verbunden mit Göttingen, Bestandteile dauerhaft entzogen werden – ebenso umgekehrt. Wie auch das Näherrecht der Kollateralen wird in dieser Bestimmung deutlich, dass die Fürsten als Dynasten denken. Ihnen liegt die Integrität des welfischen Patrimoniums am Herzen, nicht etwa die Integrität „Calenbergs“. Den Bestand an Rechtspositionen der Familie, des Hauses, nicht Fürstentümer und Länder in ihrer äußeren Gestalt galt es zu bewahren. Bei zeitlich begrenzten Besitzweggaben, Versetzungen, Verpfändungen und Kauf auf Wiederkauf, wird der jeweils anderen Seite in jedem Fall ein Näherrecht eingeräumt.736 Die Ausübung des Näherrechts war auf zwei Monate befristet. Nach Ablauf dieser Frist durfte allerdings nicht an beliebige Empfänger der Geschäftsgegenstand verpfändet oder auf Wiederkauf verkauft oder anderweitig versetzt werden. Erlaubt sind in diesem Fall Verfügungen zu Gunsten der eigenen oder einer fremden Ritterschaft und des Fürstentums Verwandte, Grafen, Kapitel und Städte.737 Indes wird für Verpfändungen an die Stadt Braunschweig die Modalität aufgenommen, dass die Pfandsumme nicht so hoch angesetzt werden möge, dass alle Pfandschaften, die sie zur Zeit haben, nicht auf einmal, sondern eine nach dem andern gelöst werde.738 Verboten sind hingegen Verpfändungen an Fürsten, auswärtige Grafen, Stifte, Kapitel oder Städte.739 734 (…) dat se van den Landen, Luden vnd Gudern edder iennicherley Gerechticheiden, de itlicken in sinem Deile tofallen mogen, offte de wol rede mit Pandeschup beschwert, neinerley Wise erfliken verkopen noch verlaten mogen noch schullen. 735 Sunder ore Leue (mit diesem Begriff werden in dem Vertrag durchweg die Söhne des als Aussteller erscheinenden Wilhelms des Jüngeren bezeichnet) mochten dat ein dem andern wol doin. 736 Wolden auer ore Leue edder ore Eruen wes versetten, verpenden edder up Wederkop verkopen, welck orer dat doin wolde, schal dat dem andern touorn vor so vele, als dat wert were, anbeden. 737 Kan om dan dersulue in two Monaten dat Geld nicht vthrichten, so mach sick dejenne, dem des Noit ist mit andern sinen, edder fromden Ridderschop Geldes darup bekommen to Pande edder up Wedderkop to verkopende. Derglicken des Förstendom Verwandten, Grauen, Capitteln, edder mit orer Leue Steden. 738 Sunder alleine, of den van Brunßwig wes verpendet, eder up Wederkop scholde verkofft, dat darmede nicht beschwert werde, dat alle Pandeschup, de se rede hebben, nicht anderst dan vp einmal scholde gelöst, sunder ytlick Stucke besunder moge wedergelöst vnnd wedergekofft werden. 739 Vnnd sodane Verpandinge, wu vorgeschreuen, mach vnser ein doin, on des andern Verwillinge: auer neinen Försten, vthwendigen Grauen, Stifften, Capitteln, edder Steden, vnd schullen dat also vor sick vnd ore Eruen holden.
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In den Verträgen mit den askanischen Herzögen von 1373 und 1386, die, wie dargelegt, zwar keine Erbverbrüderungen sind, wie diese aber, wenn auch unbedingte, Nachfolgeexspektanzen erzeugten, werden genau diese geschützt. Den Herren von Sachsen und Lüneburg wird 1373 die Befugnis eingeräumt, auch im Namen ihrer und der Nachkommen aus Magnus II. Linie die geistlichen und weltlichen Lehen zu verleihen.740 Hingegen sind sie hinsichtlich der anderen Befugnisse, sei ihre Ausübung zeitlich begrenzter oder unbegrenzter Wirkung, an die Zustimmung der zu ihren Nachfolgern schon bestimmten welfischen Herzöge gebunden.741 Eine Ausnahme bilden nur durch sie eingelöste Pfänder, diese dürfen, indes nicht zu einer höheren Pfandsumme als sie ausgegeben waren, ohne Zustimmungsvorbehalt wieder verpfändet werden.742 Für die den Askaniern in der Herrschaft Lüneburg nachfolgenden Söhne Magnus II. wird diese Beschränkung ihrer Dispositionsbefugnis nicht so detailliert beschrieben. In der Neuauflage der Sühne von 1373 aus dem Jahre 1386 wird an der Lehnskompetenz nicht gerührt. Von den Alienationen stehen aber gegenüber 1373 nur noch die dauerhaften Veräußerungen und die Höherverpfändung unter Zustimmungsvorbehalt, der neben den anderen Herrn, die es angeht, auch die Stände mit einbezog.743 Zudem dürfen keine Schlösser, Städte oder Weichbilde zur Leibzucht verschrieben werden; diese soll in anderen Gütern nach Rat der Stände erfolgen.744 Das Ziel ist dasselbe, wie oben zu 1388 beschrieben. Nur in zwei Erbverbrüderungen fehlt ein wie auch immer ausgestalteter Schutz der durch diese begründete bedingte Erberwartung; beide sind nicht innerhalb des Welfenhauses geschlossen worden. Als Otto der Quade sich 1381 mit dem Landgrafen von Hessen verband,745 wurde in dieses merkwürdige Vertragswerk ebenso wenig eine Regelung der beiderseitigen Dispositionsbefugnisse eingefügt, wie 1389 in 740 Sud. IV 351: Ok moghen de vorghescreunen Heren to Sassen vnde Luneborch de wyle dat se leued mechtich sin van orer vnde hertoghen Magnus kindere weghen geheystliker lene vnde werltliker to lenende de to der Herschop to luneborch horen. 741 (…) auer Slote Stede vnde land enscholen se nicht vorsetten, noch vorkopen noch vorlaten ane willen vnde vulbord Hertoghen Frederikes vnde hertoghen Berndes hertoghen Magnus Sonen eder orer brodere vnde eruen eft de twene nicht enweren, (…). 742 Doch yo so moghen de vorbenomden heren to Sassen vnde to Luneborch de wyle dat se leued Slote Land vnde lude de vorpendet sin losen vnde weder vorpenden vnde ammechtlude eder voghede dar vp setten vnde de weder entsetten als on vnde oreme Rade nutte duncket. Se enscholen auer de Slote land vnde lude, hoghere nicht vorpenden wen se nv vorpendet sin, ane der anderen heren willen alse vorscreuen is. 743 Sud. VI 143: Ok en schal vnser vorgescreuen heren nen, noch vnser einiges eruen yenige Slote, Stede, edder wicbelde, gud, land, edder lude, der herschopp Luneborg vntfernen, edder hogher vorpenden, ane der andere heren de dat anroret, vnd ane der vorscreuen Prelaten, Manschop, vnd Stede rad vnd vulbord. 744 Vortmer enschall vser neen, noch einich van vnsen eruen beliftuchten sine husurouwen mit der herschop luneb. Sloten Steden vnde wicbelden doch schal me in anderem gude redeliker liftucht ramen, na rade der vorscreuen prelaten, Manschop vnd Stede. 745 Sud. V 210.
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die Erbverbrüderung, die die Welfen als Abschluss des Konfliktes über die Herrschaft Lüneburg mit den Askaniern schlossen.746 In beiden Fällen fehlte es an dem Motiv, den Güter- und Rechtebestand ungeschmälert in der Familie zu halten. Die Parteien glaubten überdies wohl selbst nicht so recht an die Verwirklichung ihrer Erberwartung, so dass sie einen vertraglichen Schutz deren Umfangs gar nicht erst verabredeten. d) Zusammenfassung Hervorgehoben in den Verträgen über die Herrschaftsinnehabung und -zuteilung innerhalb des Welfenhauses – und auch zwischen diesem und den sächsischen Herzögen – ist die Behandlung der Lehen. Regelmäßig am Anfang der hausrechtlichen Regelungen finden sie, geistliche wie weltliche, ihre Erwähnung – in der Beschreibung der Zuteilungsmasse, derjenigen Rechtspositionen, die es auf die Vertragsschließenden aufzuteilen gilt. In den auf Erhalt wie auch in denjenigen auf Wiederherstellung der Gemeinschaft gerichteten Verträgen wird bis auf wenige Ausnahmen dem Ältesten und zudem auch in der Regel ohne Zustimmungsgebundenheit die Befugnis zur Verleihung der geistlichen und weltlichen Lehen zuteil.747 Ihm wird damit nicht die Macht eingeräumt, in lehnrechtlicher Form Bestandteile des Patrimoniums, der Herrschaft, etwa und vor allem Burgen, wegzugeben, sie in den Lehnsbesitz Dritter zu alienieren.748 Es wird nicht die Verlehnung als Handlungsform geregelt. Vielmehr werden die bestehenden Lehnsverhältnisse – zumeist – dem Ältesten zugeordnet. Sie werden als feste Bestandteile des Patrimoniums, als charakteristische Rechtsposition der Herrschaft erfasst und als solche in deren Beschreibung zwischen die Städte, die Burgen, die Lande und Leute und dergleichen mehr eingereiht.749 Besonders deutlich wird diese Erfassung der Lehen als Zustand, als gleichsam festes Attribut der Herrschaftsstellung und eben nicht als Handlungsmöglichkeit, als Verfügungsbefugnis des Regenten – sieht man einmal von der Neuausgabe erledigter herzoglicher Lehen ab –, wenn ihre Verleihung als Pflicht des Herrschers beschrieben wird, als der Herrschaft gleichsam inhärierendes Moment.750 1394 verständigten sich Friedrich, Bernhard und Heinrich darauf, dass Friedrich im Braunschweiger und Bernhard im Lüneburger Teil die geist746
Sud. VI 239. Allein in den Verträgen dieses Typs von 1286 und 1457 wird nicht dem Ältesten diese Rechtsstellung zugeordnet. 1286 wird der bestehenden Lehnsbeziehungen gar nicht gedacht; 1457 werden diese nicht individualisiert, sondern verbleiben gleichermaßen beiden Söhnen Friedrichs. Ausnahmen der regelmäßig freien, nicht unter den Vorbehalt agnatischer Zustimmungsrechte gestellten Verlehnung bilden die Verträge von 1394, 1441 (hinsichtlich der geistlichen Lehen) und 1483. 748 Dieser Alienationsform wird allein in der Erbverbrüderung von 1370 gedacht. 749 Etwa 1373 (Sud. IV 351): (…) de Herschop to luneborch mit alleme Rechte vnde Stede vnde lude mit geheystliken lenen vnde werltliken (…). 750 Vgl. etwa 1368 (Sud. III 383): Ok wille we al vse leuedaghe, alle geheystlike vn werlike leen lenen, de tho vnser herschop hored. 747
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lichen und weltlichen Lehen schulden. Und 1457 erklären Bernhard und Otto, die Söhne Friedrichs des Frommen: wy schullen vnd moghen alle werlike lehen, allene lehnen, de sik na desser tyd geboren to lehnende. Diese Lehnshoheit, die Rechte aus den bestehenden Lehnsverhältnissen, werden individualisiert in der Person des Ältesten. Das ist vor allem die Bindung an die Vasallen, an die Lude Geistlik vnd werltlik.751 Es wird wenigstens vornehmlich die personale Komponente des Lehnsverhältnisses, das vasallitische Treueverhältnis erfasst und zugeordnet. Ausdrücklich wird dies 1402 herausgestrichen, wenn Friedrich als der Älteste die Lehen zwar allein ausgeben, an den Erträgen, beschränkt auf die weltlichen Lehen, aber Erich beteiligen soll. Zwar kommt auch im Übrigen regelmäßig in den vertraglich geregelten Fällen des Miteinanders, der Gemeinschaft, dem Ältesten eine Vorrangstellung zu. Aber diese ist nicht so konsequent individuell ausgestaltet, da er in der Regel in seinen Handlungen, besonders seinen sachenrechtlichen Verfügungen, an die Zustimmung der anderen Gemeinschafter gebunden ist. Sicherlich birgt die Lehnsbefugnis, da sie auf bestehende Verhältnisse gerichtet ist, keine wesentliche Gefahr für Bestand und Umfang des Patrimoniums. Insofern konnte man einen der Erben frei walten lassen. Als vornehmlich personales Verhältnis, als Rechtsgrundlage personaler Herrschaft erschien sie aber auch offensichtlich grundsätzlich weniger tauglich zur gemeinschaftlichen Ausübung. Die Lehnsverhältnisse waren zwar – wie es Karl-Heinz Spiess auch für die Pfalzgrafen bei Rhein herausgearbeitet hat –752 an das Fürstentum gebunden; dahinter stand aber die individuelle Person des Fürsten. Diese Vorstellung eines personalen Charakters der vasallitischen Bindung spiegelt ihre Behandlung in den Hausverträgen. Die Lehnshoheit als personale Herrschaft wird regelmäßig in einem Atemzug mit den übrigen Befugnissen der Herrschaft, den Rechtspositionen des zur Herrschaft berufenen – zumeist – Ältesten genannt. Jedoch bleibt sie bis zum Ende des Mittelalters als solche deutlich erkennbar. Und diese Lehnshoheit der welfischen Fürsten war reale Gebotsgewalt, nicht „leerer Formalismus“, wie es die im 14. Jahrhundert niedergeschriebenen Lehnsbücher in den welfischen Landen sinnfällig machen.753 In den Erbverbrüderungen hingegen finden sich keine Bestimmungen zur Aktivlehnskompetenz, zur Lehnshoheit. Singulär blieb das Verbot der Verlehnung von Burgen – im Sinne einer Übertragungsform, einer Erscheinungsform der Alienation – in dem Erbvertrag Magnus II. und Ottos des Quaden von 1370. Und wenn sich in dem 751
1374 (Sud. V 6). Lehnrecht, S. 253 f., 256. 753 Zwei Lehnsbücher wurden bereits erwähnt, diejenigen von 1318 und 1345. Dazu ist noch das Grubenhagener Lehnsbuch von 1361 anzuführen. Die Bedeutung des Lehnswesens, der Lehnshoheit für die spätmittelalterlichen Territorien betont vor allem – entgegen etwa W. Schlesinger, Landesherrschaft, S. 121, 128, und G. Landwehr, Mobilisierung, S. 491, – neben K.-H. Spiess, Lehnrecht, auch B. Diestelkamp, Lehnrecht. E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 71, und ders., Niedersachsen, S. 618 ff., betont besonders auch die Bedeutung der Lehnbücher; zu diesen auch B. Flentje/F. Henrichvark, passim. 752
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Scheinverkauf von 1433 beide Seiten vorbehalten, in dem ja doch verkauften Teil geistlik vnd wertlik to lenende, so kommt auch in dieser Beschreibung dessen, was ein Regent in seinem Land darf und tut, nur das Scheinbare des Verkaufs zum Ausdruck. Eine Regelung der Lehnskompetenz erfolgte gerade nicht. Die Lehnshoheit war den Fürsten, die sich in einer Erbverbrüderung verbanden, schon in der vorangegangenen oder begleitenden Teilung individuell zugeordnet worden. Sie entzog sich, wie auch regelmäßig in den gemeinschaftserhaltenden oder -wiederherstellenden Verträgen, dem Beispruch anderer, war sie doch personaler Natur und überdies von zu vernachlässigender Gefahr für die Substanz des Patrimoniums. Bei den beiden weiteren Geschäftstypen – genauso genommen: den einzigen wirklichen Geschäfts-Typen – der Alienation, einerseits den auf dauerhafte Übertragung gerichteten Veräußerungen, vor allem als Verkauf erfasst, andererseits den zeitlich begrenzten, wenigstens begrenzbaren Pfandsetzungen, steht die dingliche Komponente im Vordergrund, bei dem erstgenannten Typus ausschließlich; bei den Verpfändungen ist allerdings ein personales Moment, die Gewinnung von Amtmännern, wie oben ausgeführt, nicht außer Acht zu lassen. Nicht von ungefähr findet sich daher in den Verträgen die Befugnis – vornehmlich ja Schlösser – zu verpfänden in unmittelbarer Nähe zu derjenigen, Amtleute und Vögte auf diesen zu ernennen.754 Die Bestimmungen zu beiden Verfügungsformen weisen zwischen den gemeinschaftserhaltenden und -wiederherstellenden Verträgen einerseits und den Erbverbrüderungen andererseits keine deutlichen Unterschiede auf. Bis 1370 lassen die Hausverträge, mit Ausnahme des Vertrages von 1286, keine Regelungen der Dispositionsbefugnis erkennen. Dies deutet auf eine dahinterstehende Rechtsanschauung hin, nach der auch die durch Erbverschreibung oder -verbrüderung erst begründete, zudem auch bedingte Erbenstellung allein aus sich heraus ein Beispruchrecht, wenigstens hinsichtlich der dauerhaften Veräußerungen, erzeugte. Das eröffnet ein Verständnis, dass den seit 1370 verabredeten Verfügungsbeschränkungen nicht nur in den durch das Modell der Gesamthand gekennzeichneten Verträgen kein konstitutiver Charakter zukam, sondern auch diejenigen in den Erbverbrüderungen nur eine deklaratorische oder jedenfalls nur eine modifizierende Wirkung hatten. Regelmäßig unterscheiden die Bestimmungen zur Dispositionsbefugnis zwischen Verfügungen, die auf zeitlich begrenzte Besitzübertragung gerichtet sind, und solchen, mit denen der Gegenstand dauerhaft weggegeben wird. Es überrascht nicht, dass an Erstgenannte geringere Anforderungen gestellt wurden als an die Letztgenannten. Beide unterlagen aber ganz überwiegend bestimmten Bindungen. Diese bestanden cum grano salis in drei Kautelen, die, in ihrer Häufung variierend, teils unverbunden nebeneinander, teils aber auch miteinander verknüpft, gleichsam hintereinander geschaltet, gesetzt werden:
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Beispielsweise 1374 (Sud. V 6); 1395 (Sud. VIII 45).
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– Einbezug des Vertragspartners in die Verfügung, sei es in Form eines Zustimmungsvorbehaltes, sei es in der – jüngeren – Form der Beachtung dessen Näherrechts, – bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen für Alienationen: Notlage und schließlich – Ausschluss bestimmter Verfügungsempfänger, kurz: keine Veräußerungen an Landesfremde. Ordnet man diese Kautelen den Verfügungsarten zu, ergibt sich folgendes Bild:755 - Bei den zeitlich begrenzbaren Pfandgeschäften: § Ohne jede Beschränkung waren diese den Vertragspartnern möglich: 1374 (G), 1386 (E/G), 1402 (G), 1401 (E), 1433 (E); insoweit wurde diese Freiheit ausdrücklich formuliert; 6. Juli 1388 (E) fanden die Pfandgeschäfte keine Erwähnung bei den Beschränkungen, waren also wohl zulässig. § Immer nur mit Zustimmung des Vertragspartners zulässig waren diese: 1373 (E/ G), 30. Juni 1388 (G), 1387 (E/G). Nur scheinbar hierher gehören die Verträge von 1370 (E) und 1395 (E). In ihnen wird eine Zustimmungspflicht des Vertragspartners festgelegt, wenn bestimmte andere Voraussetzungen erfüllt sind: 1370, keine Verpfändung an Fremde; 1395 (E), Zustimmung der Ritterschaft und der Städte. Damit war das Zustimmungsrecht der anderen Vertragspartei gebunden und mithin kam ihm keine eigenständige Beschränkungswirkung mehr zu. § Nur im Falle der Not waren diese zulässig: 1483 (G). § Die Verpfändung an Landesfremde, vor allem landesfremde Herren wurde beschränkt: 1370 (E), 1409 (E), 1428 (E), 1432 (E), 1442 (E/G), 1457 (G) und 1495 (E). Dabei wurden diese Verfügungen strikt verboten nur 1370, 1442 und – mit Ausnahme der Verpfändungen an fremde Ritterschaften – 1495. In den inhaltsgleichen Bestimmungen von 1409, 1428 und 1432 löst das Bestreben, an Fremde etwas verpfänden zu wollen, ein Näherrecht und 1457 einen Zustimmungsvorbehalt der anderen Vertragspartei aus. § Ein Näherrecht bei Verpfändungen wurde dem Vertragsgegenüber eingeräumt: unabhängig davon, wer der Pfandnehmer ist, 1495 und, wie ausgeführt, im Falle beabsichtigter Verfügungen zu Gunsten Landesfremder 1409, 1428 und 1432. - Bei den dauerhaften Veräußerungen, vor allem den Verkäufen: § Keine Erwähnung fand dieser Geschäftstyp: 1370 (E), 1483 (G). § Ohne Beschränkung waren sie möglich: 1402 (G), aber nur durch Friedrich. § Ein Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten der anderen Vertragspartei wurde verabredet: 1373 (E/G); 1374 (G); 1386 (E/G); 1387 (E/G); 30. Juni 1388 (G); 6. Juli 1388 (E); 1433 (E); 1441 (G); 1457 (G); 1431 (E), wenn nicht aus 755 Der Klammerzusatz (G) bedeutet gemeinschaftserhaltender oder -wiederherstellender Vertrag, (E) bedeutet Erbverbrüderung und (E/G) Mischtyp.
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einer Notlage heraus veräußert wird; besteht eine solche, ist für das Vertragsgegenüber lediglich ein Näherrecht begründet. § Besteht eine Notlage, die zu dauerhaften Veräußerungen zwingt, sind diese nur ausnahmsweise keiner weiteren Beschränkung unterworfen: 1401 (E), es besteht bei diesem Sachverhalt eine Zustimmungspflicht des Vertragspartners. In den anderen Fällen der Verknüpfung des Verkaufs mit einer Krisensituation ist als weitere Veräußerungsschranke ein Näherrecht der anderen Seite stipuliert: 1395 (E), 1431 (E), 1442 (E/G). § An Landfremde waren solche Veräußerungen nur unter Beachtung des Näherrechts der mitpaktierenden Verwandten erlaubt: 1409, 1428 und 1432. § Eine Besonderheit ist 1495 (E) bestimmt: Grundsätzliches Verbot der dauerhaften Alienation mit einer Ausnahme: Verfügungen unter den Brüdern selbst. Einen besonderen Fall, Geschäftstyp, der zeitlich begrenzten Alienation bildet die Leibzuchtsbestellung. Diese wird einer Regelung in den Verträgen von 1386, 1387, 30. Juni 1388 und 1481 unterzogen. Ziel ist es dabei, spezifisch herrschaftliche Rechte von dieser Ausstattungsleistung auszuschließen. Zunehmend differenzierter und komplizierter werden die Regelungen zur Dispositionsbefugnis in den hausrechtlichen Regelungen. Eine klare, gar linerare Steigerung oder ein ebensolcher Verfall der Bindungen lässt sich aus ihnen nicht ablesen. Nicht einmal das Aufkommen des Näherrechts an der Wende zum 15. Jahrhundert taugt zur Feststellung der Schwächung familiärer Bande. Denn der bindungsstärkere Zustimmungsvorbehalt wird nicht einfach durch das schwächere Näherrecht abgelöst, verdrängt, obgleich dieses schon 1401 als Rechtsgewohnheit apostrophiert wurde.756 Auch nach dessen Einzug in die hausvertragliche Regelung der Dispositionsbefugnis bleibt das Beispruchrecht des im Vertrag oder in der Einung verbundenen Verwandten lebendig. Es findet weiterhin seine – teils alleinige, so 1433 und 1442 – Verwendung als Schranke der Verfügungsfreiheit. Noch im 16. und auch im 17. Jahrhundert wird in hausrechtlichen Regelungen die individuelle Verfügungsbefugnis des Inhabers durch die Verabredung eines Vorbehalts des Agnatenkonsenses beschränkt.757 Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass offenbar das Erbenlaub, der Konsens der möglichen Erben zu Verfügungen des Inhabers gleichsam als Normalfall die Folie, modern: die Geschäftsgrundlage, auf der die Erbverbrüderungen – bei den Gesamthandsverträgen waren diese Bindungen ja ohnehin konstruktionell vorgegeben – abgeschlossen wurden, bildete. Deutlich wird dies zum einen, wenn Zustimmungspflichten für ganz bestimmte, umgrenzte, Tatbestände verabredet sind.758 Eine echte 756 Sud IX 114: (…) deme kope scolde he de negheste syn als sek dat von rechtes wegen doch wol geborde. 757 So etwa in einer Grubenhagener Regelung aus dem Jahre 1567 [unten B.V.1.d)] sowie zwei Verträgen zur Regelung der Verlassenschaft des 1634 erloschenen Mittleren Hauses Braunschweig, nämlich vom 8. Oktober 1636 und dem so genannten Akzidenzvertrag vom 10. Dezember 1636 [zu beiden B.V.3.c)]. 758 1370, 1395 und 1401.
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Vertragsbedingung im Sinne einer vertraglich erst begründeten Rechtsposition war die Zustimmungserteilung dann nicht. Verzichten wollte man auf ihre Aufnahme in die hausrechtliche Regelung gleichwohl nicht, wohl in Anbetracht ihrer Üblichkeit. Zum anderen machen die Hausverträge von 1409 und 1428 deutlich, dass eben keine Vollständigkeit der Regelung erwartet werden kann, dass auch bei Schweigen, bei Regelungslücken in den Dispositionsbeschränkungen nicht ohne weiteres auf eine freie Verfügungsgewalt geschlossen werden kann. Im Rahmen der Teilung von 1428 – genauer: im Ausspruch des vermittelnden Landgrafen von Hessen – werden Bestimmungen zu zustimmungslosen Verfügungen, und zwar offensichtlich zu solchen, die nicht, wenigstens nicht durchweg, an Landesfremde erfolgt waren, getroffen, die nach dem Inhalt des Vertrages von 1409 keiner Regelung bedurft hätten. Nach dieser 19 Jahre zuvor verabredeten Dispositionsbefugnis beider Seiten bestanden keine Schranken bei Verfügungen zu Gunsten von Landsässigen. Gleichwohl ging man nun daran, die ohne Konsens des jeweils anderen erfolgten Alienationen rückgängig zu machen. Dies ist nur verständlich, wenn unabhängig von der hausvertraglichen Abmachung das Beispruchrecht bestand. Für ein solches Bestehen, für die Normalität des Erbenlaubvorbehalts bis weit in das 15. Jahrhundert hinein spricht auch die ausdrückliche Freizeichnung vom Widerspruch des vertraglich verbundenen, bedingt zur Erbfolge berufenen Vetters, wie sich die Brüder Bernhard und Heinrich 1401 gegenüber Otto Cocles ausbedangen. Auch der praktische Anwendungsfall, dass sich ein Welfe gegen Alienationen seiner Verwandten verwahrte, gründet in der Verletzung seines Konsens- oder wenigstens Näherrechts. Dies wandte Wilhelm von „Calenberg“ gegenüber den Verfügungen seiner Lüneburger Vettern zu Gunsten des Hildesheimer Bischofs 1433 ein. Die Hausverträge haben – so zeichnet sich ab – nichts grundlegend Neues geschaffen, keine, was die Verfügungsbefugnis unter Lebenden angeht, wesentlichen neuen Bindungen erzeugt. Sie haben bestehende Rechtsformen der Bindung des Einzelnen aber bewusster, zielgerichteter eingesetzt, sie jedenfalls betont und sie damit – vielleicht – lebendig erhalten. Und sie haben sie modifiziert – so besonders mit der Einführung des Tatbestandes der die Alienation rechtfertigenden Not und der auf die herrschaftliche Ausrichtung, gleichsam den Widmungszweck des fürstlichen Patrimoniums abzielenden Beschränkung des Empfängerkreises auf Landsässige, also des Ausschlusses von Vergaben an auswärtige Herren. Inwieweit die hausvertraglichen Abmachungen befolgt wurden, überhaupt die Bindungen im Haus Beachtung fanden, ist insofern nicht vollständig zu klären, als etwa hinsichtlich des Beispruchrechts in den Traditionsurkunden, sofern die Einholung des Erbenlaubs überhaupt erwähnt wird, die konsentierenden Erben meist unbenannt, jedenfalls unvollständig benannt bleiben.
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3. Alienation und Stände Außerhalb der Hausverträge wird man bis zum Ende des 15. Jahrhunderts schwerlich Zeugnisse dafür finden, dass den Ständen oder ständisch beeinflussten und besetzten Gremien eine Rechtsstellung hinsichtlich fürstlicher Alienationen zukam. Es gab kein Forum zur Artikulation entsprechender ständischer Forderungen. Zunehmend aber bildete der – herzogliche – Rat ein Einfallstor ständischer Interessen. Und in Zeiten, in denen die Stände stark waren, in denen es dem Fürsten angeraten schien, die Interessen der Ritter, Prälaten und der Städte stärker zu berücksichtigen, fand ein Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten der Stände Eingang in die Hausverträge. Dies war allerdings selten der Fall. Zweimal zu Zeiten des Lüneburger Erbfolgestreits wurde dem ständischen Interesse, dass die fürstlichen Mittel nicht liquidiert, die nicht zuletzt einkunftsträchtige Substanz des Fürstentums nicht geschmälert würde, in den Hausverträgen unmittelbar Rechnung getragen. 1374 wurden zumindest die dauerhaften Veräußerungen, Verkauf und Auflassung von Schlössern, Städten, Land und Leuten der Herrschaft zu Braunschweig an willen vnd volbort nicht nur der Brüder des Veräußerungswilligen, sondern auch der Manschop vn stede in der herschop to Brunsw. gebunden. Und wie nahezu jede dort erfasste fürstliche Befugnis sollte nach dem Vertrag zwischen den Welfen und Askaniern von 1386 auch die Veräußerung und die Heraufsetzung der Pfandsummen nicht nur von der Zustimmung der anderen Herzöge, sondern auch von Rat und Zustimmung der Prälaten, Mannschaft und Städte abhängig sein. Nur zwei weitere hausrechtliche Regelungen der Welfen sind überliefert, die den Ständen eine Mitsprache bei Alienationen einräumen. Otto Cocles stand zwar nach dem Tod seines Vaters bis zum Erreichen der Volljährigkeit unter der Vormundschaft seines Onkels Friedrich von Braunschweig, wie diesem dat vonne Rechte vnnd von magschop wegenn tho geborett. Doch unterwirft sich Friedrich in der Erbverbrüderung von 1395 hinsichtlich der Verpfändungen und Notverkäufe von Schlössern im Göttinger Land dem Mehrheitsvotum der dortigen Mannschaft und Städte. Geschehen diese Verfügungen mit volborde vnnd Rade merer meninge seiner, Ottos, manschop vnnd Stede, soll Friedrich diesen zustimmen; bei dauerhaften Veräußerungen steht ihm allerdings ein Näherrecht zu. Auch die Herrschaftskonstellation im Fürstentum Lüneburg zu Zeiten Wilhelms des Frommen zog die Stände in die Mitverantwortung der Landesangelegenheiten. Dort stand ein minderjähriger Herzog an der Spitze des Landes, hier ein herrschaftsmüder. Diese ständische Mitverantwortung findet ihren Niederschlag darin, dass dauerhafte Veräußerungen der nunmehr zur Herrschaft berufenen Söhne Friedrichs, Bernhard und Otto, nicht nur der väterlichen Zustimmung, sondern zumindest auch des Rates seiner und der Söhne prelaten vnd manne vnses geschwornen Rades, vnd vnser Stade bedurften. Der Mitwirkung der Stände bedienten sich die Fürsten überdies besonders bei der Frage der Auswahl von Morgengabe und Leibzucht. Diese sollte mehrfach – auch in Verträgen, in denen das ständische Element sonst keine besondere Betonung erfuhr – nach Rat der Stände erfolgen.759 759
So 1386, 1387, 1395, 1401 und 1442.
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Im Übrigen findet sich in den Hausnormen keine weitere Berücksichtigung der Stände, kein weiteres spezifisch ständisches Begrenzungsinstrumentarium im unmittelbaren Zusammenhang mit den Regelungen der Dispositionsbefugnis der Fürsten. Möglicherweise erachteten die vielfach am Vertragsschluss beteiligten fürstlichen Räte als Träger ständischer Interessen diese bereits ausreichend durch die innerfamiliären Schranken geschützt. Vor allem aber war die Interessenlage der Stände eine etwas andere als bei der Frage der Teilungen. Bei diesen sind vor allem die Ungewissheit und die damit verbundene Unruhe, die aus ungeklärter, streitiger Sukzession herzurühren vermochte, eine Triebfeder ständischer Einflussnahme. Die Stände drängten daher auf ruhige, klare Sukzessionsregelungen. Darüber hinaus bedeutete Teilung zwei Hofhaltungen in einem gegenüber dem Zustand vor der Teilung gleich großen Gebiet, also eine sehr bedeutsame Ausgabenintensivierung, die die Stände um fürstliche Begehrlichkeiten, um Steuerbitten, fürchten ließ. Deshalb war ihnen auch an einer die Integrität des Fürstentums erhaltenden Sukzessionsbehandlung gelegen. Alienationen liefen hingegen nicht in jeder ihrer Erscheinungsform den ständischen Interessen vergleichbar zuwider. Sie waren diesen nur widrig, wenn sie auf Dauer erfolgten, also substanzschädlich waren. In den übrigen Fällen, allen voran den Burgverpfändungen, waren ja gerade die Stände, nicht alle drei gleichermaßen, aber einige Vertreter der Ritterschaft und die großen Städte, die Nutznießer der Pfandpolitik. Jedenfalls war ohne sie als Pfandnehmer diese Pfandsetzungspraxis nicht denkbar.760 Zudem fehlte bis mindestens zum Ende des 15. Jahrhunderts noch ein halbwegs eingespieltes Mit- und Gegeneinander von Fürst und „Ständen“ im Finanziellen. Nun erst hatte sich eine allgemeine Landessteuer durchgesetzt. Nun gewann der (Grund-)Satz, dass der Fürst zunächst aus eigenen Mitteln seine Ausgaben und ebenso gut die des Landes zu bestreiten habe, überhaupt erst an Bedeutung, an Kontur. Denn jetzt konnte er schneller und direkter „Rat und Hilfe“ seiner Stände, kurz: ihr Geld, bekommen. Dies bedeutete aber andererseits auch, dass zugleich die Alienationen für den Landesherrn als Einkunftsquelle an Bedeutung verloren. Sie treten dann auch in der Praxis am Ende des 15. Jahrhunderts deutlich zurück.761 Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, dass nun, da der Fürst in einen zunehmend regelhaften Dialog mit den sich verfestigenden Ständen trat, in den Urkunden dieses Dialogs, vornehmlich den Landtagsabschieden, selten die Forderung der Stände nach einem Alienationsverzicht des Fürsten erscheint.762 Das ständische Augenmerk 760 E. Schubert, Steuer, S. 13 f., zählt zu den Motiven des Adels, dem Fürst Geld zu leihen, neben der Renditeerwartung – in einer Zeit, in der es angesichts eines fehlenden funktionierenden Kapitalmarktes schwierig war, größere Geldbeträge, etwa aus Kriegsgewinnen, anzulegen – besonders das Trachten des Adels nach Pfandbesitz an den Burgen. 761 E. Schubert, Steuer, S. 15. 762 So E. Schubert, ebd. Indes lassen sich solche Bindungen des Landesherrn, denen er sich als Gegenleistung für eine Steuerbewilligung der Stände unterwarf, für das 16. Jahrhundert noch für die Mehrheit der welfischen Lande nachweisen: Im ältesten urkundlich belegten Landtagsabschied aus den welfischen Fürstentümern, dem Wolfenbütteler Landtagsabschied von 1505 (abgedruckt bei P. C. Ribbentrop, Sammlung, Bd. 1, S. 17 und 19, bei Ph. J. Rehtmeier, S. 850, und bei A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 94) verpflichtet sich Heinrich der Ältere gegenüber
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war auf den Landtagen, dem Forum der Auseinandersetzung um die Steuer – nicht von ungefähr hieß der Versammlungsort der Lüneburger Stände der Schott zu Hössering, dahinter verbirgt sich das Wort „verschotten“, beschatzen –763, eher auf die Ausgabenseite gerichtet.764 Nun, an der Wende vom Spätmittelalter zur Neuzeit, da das vorherrschende Thema der Landtage die fürstlichen Schulden waren,765 gingen die Stände deren Ursachen an; sie forderten immer wieder von den Fürsten „Mäßigung“ der Ausgaben, allen voran derer für die Hofhaltung.766 Und umgekehrt strebte seit dem beginnenden 16. Jahrhundert, seit dem sich verfestigenden Gegenüber von Landesherrn und Ständen, auch der Fürst nach Beseitigung des adeligen Pfandbesitzes an landesherrlichen Gütern.767 Der fürstlichen Unabhängigkeit war es abträglich, wenn einzelne Adlige seine Gläubiger waren.
seinen Ständen: So wi ock in vortiden itliche Slöte und Dörpern unses Landes vorgeven, unde utgesettet, unde verpendet hebben, vorplichten wi uns und unse Erven, ein sodanes forder nicht to doende, it enschege, mit Wetende, Willen und Vollborde der genannten Prälaten, Ridderscop, unde Städe. In dem Landtagsabschied von 1526 (abgedruckt bei J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 2, S. 16 f.) gelobte Erich der Jüngere der Landschaft zwischen Deister und Leine (Calenberg), keine Burgen mehr verpfänden zu wollen. Und 1559 (Landtagsabschied abgedruckt bei A. L. Jacobi, Bd. 1, Nr. 26, S. 221) erhielten die Lüneburger Stände von den Herzögen Heinrich und Wilhelm dem Jüngeren die Zusicherung, sie sollten und wollten nichts aufborgen, noch von Ihren Landen oder Ambten verkauffen, versetzen oder vergeben, es geschehe dann mit Rath der verordneten Stadthalter und Räthen. 763 Treffend zitiert E. Schubert, Niedersachsen, S. 871, in diesem Zusammenhang das zeitgenössische Sprichwort „Landtage sind Geldtage“. 764 Schon 1495 versprach Heinrich der Mittlere seinen Ständen, ohne Zustimmung seiner Mutter und seiner Räte keine neuen Schulden mehr zu kontrahieren: nenerley Schulde hernaemahls tho maken (A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 93 f.). 765 Deutlich stieg die Schuldenlast in den welfischen Fürstentümern im 16. Jahrhundert an; dazu E. Schubert, Steuer, S. 9. 766 H. J. v. d. Ohe, S. 8 f., 57 ff. Beispielhaft heißt es im Landtagsabschied von 1559: (…) so sollen die Fürsten Ihre Hoff- und Haushaltung dermaßen anstellen, das es Ihrer F. G. Lande ertragen könne, (…); zur Präzisierung dieses Postulats wird etwa die Zahl der von den Herzögen zu haltenden Pferde auf dreißig beschränkt. In der Anmerkung zu dem Landtagsabschied von 1559 führt A. L. Jacobi weitere Zeugnisse dieser Mäßigungsforderung der Stände an. 767 M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 97, am Beispiel des Wolfenbütteler Regenten Heinrichs des Jüngeren.
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V. Primogenitur in den Linien, Reibung zwischen den Linien und Sukzessionsordnung im Gesamthaus – die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert 1. Die Sukzession in den welfischen Fürstentümern des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts a) Braunschweig-Wolfenbüttel bis 1634 Wohl am energischsten unter den welfischen Fürstentümern schritt Braunschweig-Wolfenbüttel voran in der staatlichen Entwicklung zum frühneuzeitlichen Territorialstaat.768 Nicht zuletzt dank zweier herausragender Herrscherpersönlichkeiten, Heinrich dem Jüngeren, „einem echten Renaissancemenschen voll Tatkraft, Machtsucht und Bedenkenlosigkeit“;769 und seinem so gänzlich anders auftretenden und ausgerichteten Sohn Julius, dem, überdies sparsamen, Förderer des inneren Ausbaus des Landes, des Gründers der Landesuniversität in Helmstedt – der Vater Katholik und entschiedener Protestantengegner, der Sohn Protestant – wurde Wolfenbüttel zum politischen Zentrum der welfischen Länder.770 Und hier wurde auch der erste Schlussstein in der Überwindung der Teilung und Teilbarkeit der fürstlichen Herrschaft im Haus Braunschweig-Lüneburg gesetzt: die Errichtung einer Primogeniturordnung – ein entscheidendes Etappenziel in dem Prozess der Versachlichung der Herrschaft, der Herauslösung des Fürstentums als einer zunehmend transpersonal erfassten Institution aus dem Patrimonium der fürstlichen Familie. aa) Das Pactum Henrico-Wilhelminum von 1535 Schon Heinrich der Ältere hatte anlässlich der Heirat seines gleichnamigen Sohnes im Jahre 1510 – seinen Landen und Leuten zu aufnehmen, gedeihe und wolfart – vor gut angesehen, geraten und zwischen seinen Söhnen verordnet, dass nur sein – namentlich genannter – ältester Sohn und von da an allweg einer aus seiner L. erben, dieweil seins Leibs menliche Lehnerben verhanden, Regierender Fürst sein sollte.771 Der väterlichen Disposition folgend einigten sich nach dessen Tod 1514 seine Söhne Heinrich, Wilhelm, Christoph, Franz, Erich und Georg mit Einwilligung 768
Zu dieser Entwicklung besonders: B. Krusch, Entwicklung; G. Scheel, S. 741 ff.; K. Krüger/E. Jung; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 83 ff. und 95 ff. 769 G. Schnath, Niedersachsen, S. 363. 770 M. v. Boetticher, S. 83 ff., mit der jüngeren Literatur zu Heinrich und Julius; zu Heinrich vor allem: R. Täubrich. 771 Dies berichten Heinrichs Söhne Heinrich der Jüngere und Wilhelm in dem Pactum Henrico-Wilhelminum vom 16. November 1535 (dies ist abgedruckt bei Ph. J. Rehtmeier, S. 881 ff., und bei P. C. Ribbentrop, Sammlung, Bd. 1, Nr. 27, und bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 428 ff.) ohne Angabe der Jahreszahl. Zu Heinrichs Anordnung auch: J. J. Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, S. 75; W. Havemann, Bd. 2, S. 209 f.; und mit Datierung auf 1510: A. Rhamm, S. 2; W.-R. Reinicke, S. 22.
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ihrer Mutter Katharina von Pommern darauf, dass die Wolfenbütteler Lande nicht geteilt, sondern ausschließlich von dem Ältesten, im Namen seiner Brüder, beherrscht werden sollten.772 Im Laufe der nächsten Jahre erlangten Erich, Franz, Georg und Christoph geistliche Pfründe und verzichteten gegen Abfindung auf ihr väterliches Erbteil.773 Nun, 1523, aber verlangte Wilhelm – ganz der alten Tradition der Teilung unter zwei weltlichen Brüdern und auch dem „üblichen Motiv“ der Zwietracht unter diesen verhaftet – die Teilung oder eine gemeinschaftliche Regierung mit Heinrich.774 Als Wilhelm sich daraufhin mit Gegnern Heinrichs, dem Herzog von Holstein und den Hansestädten, verband und wenigstens zu vermuten stand, dass er Heinrichs vom Kaiser beauftragten Zug gegen Dänemark nutzen werde, sich des Regiments in Wolfenbüttel zu bemächtigen, nahm ihn Heinrich gefangen. In der brüderlichen Haft verblieb Wilhelm, bis er zwölf Jahre später, am 16. November 1535 mit Heinrich das Pactum Henrico-Wilhelminum schloss.775 Zentraler, nahezu ausschließlicher Gegenstand dieses Vertrages ist die Konzentration der ungeteilten Herrschaft bei Heinrich und – unter Anordnung einer Erbfolge in so genannter Linealprimogenitur –776 seiner Linie. Schon in der Arenga der Urkunde kommt diese gänzlich ungleiche Beteiligung am väterlichen Erbe kurz, aber sehr deutlich zum Ausdruck: underlang der Regierung – sinngemäß ist hier ein „und“ hinzuzudenken – unser herzog Wilhelms Fürstlichen underhaltung und anders halber habe man sich freundlich und brüderlich zusammen gesetzt, verainigt und vertragen. Gewissermaßen als Hintergrund dieser einseitigen Zuteilung folgt eine lange Danksagung Wilhelms für die vielerley Wohlthaten, die Heinrich ihm in gedrungener noth, mit Bischoff Johann zu Hildenssheim getan habe. Wilhelm war in der Hildesheimer Stiftsfehde nach der Schlacht bei Soltau 1519 in die Gefangenschaft des Hildesheimer Bischofs geraten und erst 1523 freigekommen. 772
W. Havemann, Bd. 2, S. 209; H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 382. Nachdem Erich 1517 Deutschordens Landkomtur der Ballei Koblenz geworden war, wurde die Vereinbarung von 1514 noch einmal unter den verbliebenen Miterben bestätigt, W. Havemann, ebd. Erich leistete mit Erbvergleich vom 22. Dezember 1522 noch einmal ausdrücklich Verzicht auf das väterliche Erbe gegenüber seinem Bruder Heinrich dem Jüngeren (HStAHann., Cal. Or. 1 Nr. 78). 774 Als Grund für sein Verlangen nannte Wilhelm, dass „Abgünstige zwischen beiden Unwillen, Verdruß und Unfreundschaft zu wege gebracht“, W. Havemann, ebd., auch zum Folgenden. 775 Oben Anm. 4. 776 H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 382 f. Dieser Ausdruck ist überdeutlich, denn unter Primogenitur – in einem engeren Sinne – versteht man an sich schon den Vorrang des Erstgeborenen nicht nur innerhalb einer, seiner, Generation, sondern auch seiner Abkömmlinge vor denen des Nachgeborenen. Damit ist die Primogeniturerbfolge Linealerbfolge; J. Weitzel, Art. „Primogenitur“, HRG 3, Sp. 1950. So grenzt sich die Primogenitur von anderen Formen der Individualerbfolge unter Vorrang des höheren Alters, nämlich dem Majorat und dem Seniorat, ab. Beim Majorat ist unter gleich nahen Verwandten der Älteste zur Erbfolge berufen; die Gradesnähe ist maßgeblich. Beim Seniorat erbt der nach Lebensjahren Älteste der Familie oder des Hauses unabhängig von Parentelzugehörigkeit und Verwandtschaftsgrad. 773
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Die – zentrale – Anordnung der Primogenitur in Heinrichs Linie wird eingeleitet, gleichsam auch gerechtfertigt, mit der bereits erwähnten Bestimmung des Vaters, Heinrichs des Älteren, von 1510. Dabei ist es keineswegs die bloße väterliche Autorität, die für die Einherrschaft des jeweils Ältesten streitet. Vielmehr werden dieser Lösung der Nachfolgefrage, die eine Perspektive auf ein unzertrennliches Zusammenleben der Paktierenden und ihrer Erben „in Frieden, Ruhe, Liebe, Freundschaft und Einigkeit“ eröffnet, die beiden Alternativlösungen – Gemeinschaftserhalt und gleichberechtigte Teilung – gegenüber gestellt und unter Hinweis auf deren Folgen verworfen: Einerseits möchten zangk, krieg, unfreundschaft und widerwil entstehen von wegen eines ungeteilten Regiments beider Fürsten; andererseits pflegen zerstörung und verderbung gewontlich einer trennung und teilung zu folgen. Darüber hinaus kann bei der Singularherrschaft dieser eine von unser aller wegen davon dem reich desto vermöglicher und statlicher dienen. Schließlich werden – abgesehen von der Verwerfbarkeit der Alternativlösungen – die Gründe für die Einführung der Primogenitur, und zwar in Heinrichs und nicht Wilhelms Linie, zusammengefasst: (1) Die Wohltaten Heinrichs, die Wilhelm zu danckparlicher vergeltung bewegen, (2) des Vaters verpflichtung und verschreibung, (3) Wilhelms vorigen selbs eigen brief, Siegel, vertrege und handschrift – gemeint ist seine eigene in den Verträgen von 1514 und 1517 erteilte Zustimmung zur Einzelherrschaft des Ältesten – und schließlich (4) unser Landschaft getrew wolmeinlichen Rathe und bedencken.777 Daraus folgt die Primogenituranordnung: Heinrich und seine menlichenn Lehens erben, so lang die in künftig zeit vorhanden seyn werden, bekommen sonach die Regierung, verwaltung, Inhabung und brauchung der verlassen unsers herrn Vaters und auch deren seindher zugeworben und eroberten Land und Leuth, und was der hinfürder noch mehr, doch in massen, wie hernach volgt, mochten erworben, erobert und mit erblichen angefelle erlanget werden. Wilhelm hat daher bewilligt, zugestellt und übergeben Ihme und seinen erben für sich und seine Erben und Nachkommen sollich Regiment über unser Fürstenthumb Land und Leuth, wie vorgemelt ist, gegenwertig in Kraft und urkundt diss brieffs, derstalt und also, dass nun und hinfürter nach diss brieffs datum unser Bruder hertzog Heinrich, und nach ihm sein eltister Sohne, und nach demselben abermals des verstorbenen eltister Sohne, und also immer in absteigender seiner Liebden Linie werendt, Regierender Fürst seyn soll und will. Stirbt diese Linie, bey der das Regiment nach verschriebener Ordnung also ist, aus, sind 777 H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 346 ff., stellt fest, es sei „ein merkwürdiges Zeugnis für die einheitliche Entwicklung der deutschen Staatsverhältnisse, dass in allen deutschen Primogeniturordnungen eine vollständige Übereinstimmung, selbst auf die Motivierung, stattfindet. Dieselben Gründe, wodurch die Einführung der Primogenitur gerechtfertigt werden soll, erscheinen in allen Primogeniturdispositionen fast wörtlich wieder.“ Schulze, ebd., stellt acht solcher Gründe zusammen: (1) Glanz der Familie (splendor familiae), (2) Wohl der Untertanen (salus publica), Primogenitur als Recht der Landschaft, (3) Wohl des ganzen Reiches, (4) Physische Unmöglichkeit der Teilung, etwa wegen der Kleinheit des Landes, (5) Restauration (vermeintlicher) älterer Zustände in Deutschland, (6) ausländische Zustände als Vorbilder, (7) biblischer (im mosaischen Recht) Vorzug des Erstgeborenen, (8) Veränderungen in der juristischen Literatur.
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aber noch männliche Lehnserben in Heinrichs absteigender Linie vorhanden, so soll der negist eltiste Sohne oder menliche Lehnerbe, von unsers bruders hertzog Heinrich Leib geporen, und ihm folgend seine Linie in Linealprimogenitur Land, Leute und Fürstentum erhalten. Erst wenn kein Abkömmling Heinrichs mehr lebt, sollen Wilhelm und seine Nachkommen zur Nachfolge berufen sein, und zwar nach demselben Muster wie Heinrich und seine Linie, also in Form einer Linealprimogenitur, immer in der Linie des jeweils Ältesten. Bis auf diese vage Hoffnung, dereinst einmal die regierende Linie zu stellen, verbleibt Wilhelm nichts von der Herrschaft oder der Substanz des Fürstentums.778 Er muss sich und seine Erben sogar ausdrücklich verpflichten, sich des Regiments ganz und gar zu enthalten, der Regierung des Bruders, noch an derselben Schlössern, Häusern, Gerichten, Oberkeiten, Herlicheiten und gerechtigkeiten ihn hindern, noch daran einigen einhalt, Eingriff, thurbierung und eintrag thun. Auch wenn der aus Heinrichs Linie zur Herrschaft Berufene noch unmündig sei, solle sich Wilhelm nicht des Regiments anmaßen. Und er hat sich überdies noch aus allen Fragen der Vormundschaft herauszuhalten. Der Verstorbene, die Landschaft und die Freunde sind vor ihm berufen, Vormünder für den unmündigen Fürsten zu bestellen. Wilhelm und seine Erben erhalten lediglich eine zudem nicht üppig bemessene Apanage von zweitausend landwerigen Gulden jährlich. Mehr, so wird erläutert, sei bei der Schuldenlast nach den Fehden und Kriegshandlungen, insbesondere der Hildesheimer Stiftsfehde, nicht zu leisten. Bessert sich die wirtschaftliche Lage des Fürstentums, so steht es in Heinrichs und seiner Erben Wohlgefallen, die Rentenzahlungen an Wilhelms Linie zu erhöhen, verbunden sind sie dazu jedoch nicht. Als Wohnsitz wird Wilhelm und seinen Erben der Hof der Mutter in Gandersheim zugewiesen. Dem klaren Modell der ungeteilten Herrschaft in einer Hand folgend wird Wilhelm indes noch die Zusicherung abgerungen, er wolle und solle sich der Stat, Bürger, des Gerichts und einkommens, des Schloss Ganderssheim nicht annehmen noch bekummern, oder damit zuthun und zuschaffen haben. Auch nur der Anstrich einer eigenen Herrschaft, einer Nebenlinie in Gandersheim, wird vermieden. Schließlich wird Wilhelm auch noch eine letzte Tür, an den Einkünften der Herrschaft teilzuhaben, zugeschlagen: für seine und seiner Erben Geldschulden wollen Heinrich, dessen Erben und die Landschaft nicht aufkommen. Diese integritätswahrende Zuordnung – dauerhaft – zu Gunsten eines Einzelnen, diese Erbordnung erfasst alle diejenigen Rechtspositionen, über die Heinrich und Wilhelm zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verfügen konnten: Die Verlassenschaft des Vaters und seitdem Hinzugewonnenes. Doch wird Wilhelm vorbehalten, etwas an Landen, Leuthen und Landschaften, die zu unsern Fürstenthumb nit gehördten, mit Diensten oder sunst was zu 778
Heinrich und seine Erben übernehmen dafür alle Schulden des Vaters, insbesondere diejenigen, die in der Hildensheimischen und Lüneburgischen empörung, auch in der erlösung des Ramelspergs, ihren Grund haben; zudem trägt diese Linie alle pflicht, unpflicht, dienst, steur, reisen und anlage des heil. Reichs, was der von selben heil. Reich auf unser Fürstenthumb und Lande angeschlagen und geleget werden. Wilhelm wird auch im Titel zurückgestuft: Während Heinrich als Herzog zu Braunschweig und Lüneburg die Urkunde unterzeichnet, weist Wilhelms Signatur diesen Bezug zum Samtlehen nicht mehr auf; er zeichnet lediglich als Herzog zu Braunschweig.
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erwerben. Dies soll allein ihm und seinen Erben zustehen. Diese Möglichkeit, sich ein eigenes Patrimonium – eben durch Dienstleistungen oder auch Heirat – aufzubauen, wird auch den Erben Wilhelms vorbehalten: Sollte Wilhelms Linie in den Besitz des Fürstentums gelangen, so soll diese Rechtsposition nicht die Erwerbungen der Erben an Schlössern, Landen, Leuthen und Landschaften, die zu unserm Fürstenthumb Braunschweig nit gehördten, umfassen. Er ist nicht gehalten, – mögliche – Akquisitionen im Falle der Regentschaftsübernahme in das Fürstentum zu inkorporieren. Die neue Erbordnung, diese Herrschaftsverteilung zu Gunsten eines Einzelnen, wird zwar 1535 in der (Rechts-)Form eines Vertrages, einer Vereinbarung errichtet und auch durchweg so bezeichnet – zumeist als erblicher vertrag, aber auch als voreinigung –779, doch werden Bestimmungen zur Überwindung des Vertragshorizonts hin zu einer Einung, hin zu einer Satzung getroffen. Die Primogeniturfolge sollte nicht nur die Parteien und ihre unmittelbaren Abkömmlinge, sondern auch künftige Generationen binden. Eine echte Satzung ist dies insofern nicht, als das Pactum sich nicht an eine wirklich vollends unbestimmte Vielzahl von Personen richtet und für eine unbestimmte Vielzahl von Situationen Geltung beansprucht. Adressaten der Regelung sind die Lehnserben Heinrichs und die Erben Wilhelms; und die Situation ist jeweils der Tod eines der jeweils ältesten Söhne aus dieser Filiation.780 Gleichwohl ist diese Anordnung theoretisch ad infinitum getroffen. Überdies richtet sie sich gewissermaßen auch an diejenigen, die mit ihren denkbaren Ansprüchen auf das Fürstentum, das Patrimonium des Vaters der Paktierenden ausgeschlossen werden. Diese Ordnung der Erbfolge, ihr auf die Zukunft gerichteter, zeitlich und personell weiter Geltungsanspruch bedurfte der Sicherung Gleich im Anschluss an die zentrale Anordnung strenger Primogeniturerbfolge in Einzelherrschaft – einmal für Heinrichs Linie, wiederholt für die parallele, subsidiäre Anordnung für Wilhelms Linie – wird die Anordnung daher aus ihrem zweidimensionalen Verhältnis ihrer unmittelbaren Adressaten und deren Erben, der dynastischen Glieder der Einung, herausgehoben und in ein Dreiecksverhältnis eingebunden. Der dazu notwendige Bezugspunkt, der außerhalb der Vertragsparteien zu setzende Anker, war – wie schon in den Jahrhunderten zuvor – vor allem in den Ständen, der nun verfestigten Landschaft zu finden. Der jeweils in macht dieser voreinigung zum regierenden Fürsten Bestallte musste der gemeinen Landschaft an Eides statt glaublich zusagen und geloben, diesen Vertrag zu halten. Dagegen – und, so wird man dies verstehen dürfen, nur dann – sollen die Prälaten, Ritterschaft, Städte und gemeine Landschaft, wenn dieses Gelübde des Fürsten erfolgt ist, diese Ordnung beschwören und demjenigen, dem das Regiment, inhalt und Kraft dieser einigung gebürt, huldigen. Die Erbordnung wird gleich779 Entsprechend der Freundschafts- und Friedensabreden, in die auch die beiderseitigen Räte, Diener, Untertanen, Verwandte und dergleichen eingebunden werden, wird auch die Bezeichnung Süne in dem Vertragstext verwandt. 780 Eine echte Satzung kann eine dynastische Erbfolgeregelung nie sein. Denn ihre Geltung ist nicht von der Individualität der in ihr Vereinigten abgelöst. Es handelt sich ja um eine auf Verwandtschaft aufgebaute Personengemeinschaft und um auf Verwandtschaft aufgebaute Erbfolge.
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sam zu einem Privilegium der Stände erhoben und somit ihre Einhaltung synallagmatisch mit der Huldigung verknüpft. Damit wird – sieht man einmal von der 1415 angeordneten Pflicht der Stände zum Widerstand gegen zukünftiges fürstliches Teilungsbestreben ab, erstmals in den Hausverträgen – eine echte Zukunftsperspektive für eine Nachfolgeordnung erzeugt, die über die Erbhuldigung weit hinausgeht. Äußerlich sinnfällig wird die Garantie- und Stützfunktion, die den Ständen für das Vertragswerk zugedacht wird, darin, dass von den drei Ausfertigungen der Urkunde eine der gemeinen Landschaft des Fürstentums übergeben wird. Die Stände vollziehen sogleich ihren Einbezug in die neue Erbordnung und beschwören diese unter Aufführung der einzelnen Vertreter der drei Stände. Darüber hinaus geben sie aber auch zu erkennen, dass sie nicht nur einbezogen werden, von den Fürsten instrumentalisiert werden, sondern auch ihrerseits initiativ für den Vertragsschluss waren: alle angeführten Ständemitglieder bekennen von wegen und im Namen gemeiner Landschaft des Fürstenthumbs Braunschweig für sich und ihre Nachkommen, dass sie den Vertrag zwischen den fürstlichen Brüdern ufzurichten gerathen, und ihren beiden Fürstlichen gnaden, derselben erben, uns und allen unsern Nachkommen, sollichen vertrag für nutz und gut angesehen, den dermassen zu verordnen undertheniglichen gebeten und darumb solliche Erbliche einigung und verständnüs neben Ihren Fürstlichen gnaden bewilligt und angenommen haben. Der abgefundenen Linie Wilhelms wird für den Generationswechsel in der regierenden Linie Heinrichs aufgegeben, gegenüber dem männlichen Lehnserben den Vertrag festzuhalten und zu besiegeln, ihn auf dessen Aufforderung in allen seinen inhalten und clausulen verneuen und an Eides Statt zu versichern, zu bestätigen und zu konfirmieren. Allerdings – und darin wird der normhafte Geltungsanspruch des Pactum deutlich – sind die abverlangten verneuung, bestettigung und bewilligung keine Voraussetzung – weiterer – Wirksamkeit der Regelung. Diese bleibt auch ohne die Erklärung aus Wilhelms Linie bindend: Hertzog Wilhelms erben sollen ohnedas in ewigkeit unwiderruflich zuhalten und zuverfolgen schuldig seyn. Jedoch ist für diesen Fall des Ungehorsams eine Sanktion vorgesehen: die Apanage wird gestrichen. Und auch für den Fall, dass – auf Wilhelms Seite – diejenigen, denen die verneuerung dieses Vertrages gebürte, unmündig sein sollten, wird eine umfassende Regelung getroffen; die Vormünder und Räte müssen sich für die Einhaltung des Vertrages verbürgen. Schließlich wird ein weiterer Bezugspunkt außerhalb der Vertragsebene zur Stabilisierung des Vertragswerks avisiert: der Kaiser. Erstmalig im Welfenhaus, jedenfalls in seinem Braunschweiger Zweig, wird die Bestätigung und Konfirmation eines Hausvertrages durch den Kaiser verabredet.781 Sobald diese Bestätigung und Ratifi781 Die confirmatio caesarea erfuhr das pactum Henrico-Wilhelmianumschon im Jahre seiner Errichtung, 1535, wiederholt 1539. H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 72 Anm. 71, berichtet, dass auch die gegenüber dem Wolfenbütteler Pactum ältere, zwischen Ernst dem Bekenner und Otto von Harburg verabredete Abteilung der Harburger Linie im mittleren Hause Lüneburg von 1527 kaiserlich bestätigt worden sei; allerdings datiere die kaiserliche Konfirmation erst auf den 7. Juni 1555. Verabredet hatten die Lüneburger Herzöge Ernst und Otto die Einholung einer confirmatio caesarea jedoch 1527 nicht. Deshalb muss die Primogeniturver-
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zierung durch den Kaiser – unser beider erben und Fürstenthumb, Land und Leuthen zu gudt – erfolgt ist, wollen die Brüder die Einhaltung des Vertrags gegenüber der Landschaft beschwören. Seit Ende des 15. Jahrhunderts, in den welfischen Landen einige Jahrzehnte später, wird es üblich, dass die Fürsten um kaiserliche Bestätigung ihrer hausrechtlichen Regelungen nachsuchen.782 Dies mag mit der nun weithin installierten und geordneten Praxis der Gesamtbelehnung, der Verabredung des Gesamtlehnsempfanges, korrespondieren.783 Diese Form der Absicherung des zumeist vertraglich, aber auch testamentarisch errichteten Regelungswerkes durch Einbezug einer außerhalb – oberhalb – des Kreises der aus der Regelung Berechtigten und Verpflichteten stehenden Instanz wird gewissermaßen ausgedehnt – von der (Neu-)Begründung einer Gesamthandsgemeinschaft in und durch den Lehnsverbund hin zu einem Einbezug dieser Instanz selbst in die Nachfolge in dieses Gesamtlehen oder innerhalb desselben. Das Motiv der Stabilisierung der vertraglich aufgerichteten Ordnung durch die confirmatio caesarea wird 1535 ausdrücklich ausgesprochen: dass auch dieser Erbvertrag dester statlicher von uns und unser zwier erben gehalten und verfolgt werde. Allerdings erfolgte dieser Schritt von der Entdeckung, jedenfalls Wiederentdeckung, des Lehnsbandes als durch die hausrechtliche Regelung begründetes Postulat an die Paktierenden hin zum Einbezug des Lehnsherrn an dem Normgebungsverfahren selbst – freilich war dem Kaiser dabei keine inhaltlich gestaltende Rolle zugewiesen – mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung. Der Samtlehnsempfang als hausrechtliches Instrumentarium fand schon gut einhundert Jahre, 1414 erstmalig, vor der ersten Verabredung einer kaiserlichen Bestätigung Einzug in die rechtliche Ausgestaltung der Sukzession im Welfenhaus. Dieser Zeitablauf zwischen der Entdeckung des Lehnsbandes und der „Entdeckung des Lehnsherrn“ legt eine weitere Triebfeder für die bald übliche Einholung der kaiserlichen Bestätigung frei. Die Konfirmation durch den Kaiser hatte nämlich neben der beschriebenen Funktion des Stabilisierungsmittels auch einen kausalen Hintergrund: Ihre Einholung ist vor allem dem Wirken gelehrter Juristen bei Abfassung der Hausnormen zuzuschreiben. So hebt Hermann Schulze hervor, dass für die vornehmlich am römischen Rechtsstoff geschulten Juristen die Unvereinbarkeit der hausrechtlichen Regelungen mit dem Jus Commune und die entsprechende Ungültigkeit dieser Regelungen nur durch ein aus kaiserlicher Machtvollkommenheit erteiltes Privilegium zu überwinden gewesen sei.784 Und schon das Verfahren der kaiserlichen Bestätigung deutet an, wie einbarung von Wolfenbüttel als ältestes Beispiel für eine kaiserliche Bestätigung welfischer Hausverträge gelten. 782 Näher dazu H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 363 ff. 783 Diesen Hintergrund betont besonders H. A. Zachariae, Successionsrecht, 73. 784 Erstgeburt, S. 363 f., bezieht sich insoweit auf eine „ältere Schule der Juristen“ und nennt als Autoren (Andreas) Gail, (Nikolaus Christoph) Lyncker und (Georg Melchior) von Ludolph, die das Verbot von Erbverträgen auch auf fürstliche Hausverträge übertrugen und die Zurücksetzung der nachgeborenen Söhne bei einer Primogenituranordnung ebenso für eine Verletzung des Pflichtteils erachteten, wie den Erbverzicht der Töchter. Zur Behandlung von Erbverträgen durch die Juristen des Gemeinen Rechts H. Coing, Bd. 1, S. 587 ff.; zu deren Behandlung des Pflichtteilrechts dort, S. 610 ff.; zu ergänzen wäre noch die Unvereinbarkeit
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nützlich nun, da der aufkommende Juristenstand in breiter Fläche sein Wirken entfaltete, ein kaiserliches Privileg bei der Durchsetzung der hausrechtlich gefundenen Regelung sein musste. Das Gesuch reichte der Reichsstand regelmäßig beim Reichshofrat ein. Dieser prüfte, ob es sich um einen mit dem Kreise der betroffenen Kollateralen abgestimmten Vertrag handelte; in diesem Falle war eine Bestätigung ohne weitere Untersuchung, brevi manu, möglich.785 Im Falle aber, dass elterliche Dispositionen, Testamente, wie bei der Einführung der Primogenitur nicht selten, zur kaiserlichen Konfirmation eingereicht wurden, wurde eine Kommission eingesetzt, die umfangreich prüfte, wie sich der Umfang des Vermögens, die Höhe der Einkünfte des Landes, zur Höhe der den Nachgeborenen ausgesetzten Apanagen verhielt. Betraf die Regelung unmündige Kinder, erhielten diese Vormünder für das Verfahren. Es zeichnet sich in diesem, nicht allein der Prüfung vom Förmlichkeiten verschriebenen Verfahren ab, welche breite Angriffsfläche für Rechtsstreitigkeiten hausrechtliche Regelungen den Nachgeborenen und Kollateralen boten. Im Ergebnis konnte eine confirmatio caesarea einen erhöhten Schutz der gefundenen Sukzessionsregelung gegen rechtlich argumentativ geführte Angriffe der durch sie Benachteiligten abgeben. Denn deren Ansprüche prüfte der Reichshofrat vornehmlich, so dass in der confirmatio auch eine Zurückweisung der Ansprüche an der hausrechtlichen Regelung zwar nicht beteiligter, aber durch sie betroffener Verwandter zu sehen ist. Und in diesem Zusammenhang des Schirmes gegen rechtliche Auseinandersetzungen steht auch die Konfirmationsabrede von 1535. Im Fortgang des Vertrages wird umfangreich – hier entsprechend stark verkürzt ausgedrückt – der Rechtsweg, die rechtliche Auseinandersetzung, der mit Mitteln des Rechts geführte Angriff auf die verabredete Sukzessionsordnung ausgeschlossen.786 Auch dies ist eine Üblichkeit in den Hausverträgen und Dispositionen der Zeit.787
der testamentarischen Erbeinsetzung in feudale Rechtspositionen mit dem Ius Commune, vgl. auch dazu H. Coing, Bd. 1, S. 359. Seit dem 18. Jahrhundert galt dann den Publizisten die kaiserliche Bestätigung einer hausrechtlichen Regelung des Adels als nützlich – „angemessene Vorsichtsmaßregel“ (H. J. F. Schulze) –, aber nicht als deren Gültigkeitsvoraussetzung: J. J. Moser, Teutsches Staatsrecht, Th. XIII, S. 469 ff., und Th. XXI, S. 164 f.; J. St. Pütter, Beyträge, Th. II, S. 179 ff. („Ob reichsständische Erbverträge ohne kaiserliche Bestätigung gelten?“); weitere Literaturnachweise bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 73. Für die Primogenituranordnungen in den Hausnormen sieht H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 365, die Begründung darin, dass der Kaiser als Lehnsherr von dieser Anordnung insofern nicht betroffen war, als nur die Sukzessionsordnung unter denjenigen verändert wurde, die schon ein Erbrecht hatten, also kein neues Erbrecht begründet wurde. Zur Funktion der Einholung der kaiserlichen Konfirmation und deren Notwendigkeit auch: H. Conrad, Bd. 2, S. 239 ff.; H. Mohnhaupt, S. 29 f., jeweils m. w. N. 785 Auch für das Folgende H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 366; J. Weitzel, Art. „Primogenitur“, HRG 3, Sp. 1952 f. 786 Beide Seiten verpflichten sich und ihre Erben, von diesem vertrag, und insonderheit von irgent einichen desselben eingeleibten Artikeloder Clausuln, vor geistlichen oder weltlichen Obrigkeiten, in oder ausserhalb rechtens, absolviern noch entbinden (zu) lassen, Vnd ob wir hernachmals gelert oder bericht würden, dass wir diese verpflichtung und vertrag von rechtswegen zuhalten nicht schuldig, so wollen und sollen wir uns doch desselben aus Füstli-
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Noch im Jahre 1535 bestätigte Kaiser Karl V. die Primogeniturordnung in Braunschweig-Wolfenbüttel und wiederholte diese Konfirmation 1539.788 1541 versuchte Wilhelm auf dem Reichstag von Regensburg noch einmal, sich gegen diesen ihm aufgezwungenen Vertrag zur Wehr zu setzen. Einige Kurfürsten und evangelische Reichsstände vermochte er auch, zur Annahme seiner Sache zu bewegen. Schließlich war sein Bemühen aber umsonst, da der Kaiser Herzog Heinrich „allzugünstig gewesen“ war.789 bb) Das Testament des Herzogs Julius von 1582 Auf Heinrich den Jüngeren folgte 1568 sein einziger ihn überlebender Sohn, Julius.790 Dieser bestätigte für seine Nachfolge die Primogenitur. Doch fügt er sich nicht einfach nur in die vom Großvater 1510 angelegten und vom Vater 1535 ausgestalteten Bahnen der Sukzessionsgestaltung. Vielmehr begründet, ja rechtfertigt er in seinem Testament von 1582 die Anordnung der ausschließlichen Nachfolge des Ältesten aufs Neue.791 Gerade diese Begründung und Hinleitung zur zentralen Anordnung des Testaments, der Einzelnachfolge auf Julius Regentschaft durch den ältesten Sohn, lässt den kräftig seit der Ablösung der letzten Generation vorangeschrittenen Einfluss der Wissenschaft, die zunehmend deutlichere, ja ausschließliche Handschrift gelehrter Juristen bei der Ausgestaltung hausrechtlicher Regelungen erkennen. Als der Vater dem Onkel 1535 die Primogenitur in seiner, Heinrichs, Linie diktierte, weisen nur einzelne Klauseln, allen voran die Abrede eines Gesuchs zur kaiserlichen Konfirmation des Pactum, und einzelne Begriffe auf das Wirken gelehrter Räte hin. Nun, 1582, ist der gesamte Aufbau dieser ausführlichen Rechtfertigung der Primogenitur gekennzeichnet von der gemeinrechtlichen Doktrin, insbesondere von der Vorstellung der chen Gemüt nit annehmen besunder wir und unser erben sollen und wollen diesen vertrag brieff seines inhalts stragks halten (…). 787 J. Weitzel, Hausnormen, S. 44. Zudem versperrten bei den bedeutendsten Dynastien Exemtionsprivilegien und persönliche Befreiungen den Weg zur kaiserlichen und Reichsgerichtsbarkeit. Gelangte aber ein Streit dorthin, bildete, wie Weitzel feststellt, das „Recht“, etwa das Ius Commune, nur insoweit den Entscheidungsmaßstab, als es die Mindestanforderungen, insbesondere die Mindestausstattung der von der Erbfolge Ausgeschlossenen sicherstellte. Im Übrigen bildete die vorgelegte Hausnorm die Rechtsgrundlage der Entscheidung; sie wurde ausgelegt. 788 J. J. Moser, Th. XIII, S. 78 f., dort auch auszugsweiser Abdruck der Bestätigung von 1535: Setzen, ordnen, ercleren und wollen hiemt aus Römischer Kayserlicher Gewalt, macht und eignem bewegnus, mit rechter unser Wissenschaft, dass genannter unser ohem und Fürste, Herzog Heinrich und nach seinem tödlichen abgang sein Eltister Sohne, und desselben Sohns Eltister Sohne, von erben zu erben, in absteigender Linien wehrende, allwege regierende Fürsten sein sollen, und des Fürstenthums Land und Leute (…) allein eigenthümlich inhaben, nutzen, gebrauchen, verwalten und regieren solle. 789 J. J. Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, S. 79. 790 Zur Persönlichkeit Julius und seinem alles andere als ungetrübten Verhältnis zum Vater M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 92 f. 791 Abgedruckt ist dieses sehr umfangreiche Testament vom 29. Juni 1582, eingebunden in die Urkunde zu seiner kaiserlichen Bestätigung vom 13. September 1582, bei Ph. J. Rehtmeier, S. 1029 ff.; auszugsweise auch bei J. J. Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, S. 79.
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Juristen der Zeit zur Geltungsweise aufeinander treffender Rechtskreise, dem Verhältnis überkommenen, in seiner Geltung begrenzten Rechtsstoffs zum universalen Ius Commune.792 Zunächst – nach dem nahe liegenden Argument der Vermeidung von Mißverstand, Zanck und Hader unter seinen Nachkommen um den Nachlass – wird gleichsam der vorfindliche Rechtszustand zur Primogeniturfolge erhoben: Schon die Vor-Eltern, besonders aber Großvater und Vater hätten aus vilen bewegenden Ursachen und ganz vernünfftiglich versehen, daß Unser Land und Fürstenthumb Braunschweig künfftig nicht subdividiret oder vertheilet, sondern allein Ein regierender Herr, derselben elteste Sohne, jederzeit succediren und folgen sollen. Inmassen dann darauf sei 1535 – genannt wird die Jahreszahl 1532 – ein sonderlicher ausführlicher erblicher Vertrag und Vereinbahrung, als ein ewiges immerwährendes Statutum & Pactum gentilitium zwischen Heinrich dem Jüngeren und Wilhelm durch die Gemeine dises unsers Fürstenthums Braunschweig-Wolffenbüttelische Landschafft errichtet und sowohl von den Fürsten als auch der Landschaft vollzogen und versiegelt worden. Dieser nun inhaltlich näher referierte Vertrag und ewigwährendes Statutum und Constitution sei dann von Kaiser Karl V. bey einer nahmhafften Poen konfirmiert worden. Der durch solche Ordnung, Pactum und Statutum gekennzeichnete Rechtszustand wird nun mit den Rechten – gemeint kann nur ein allgemeinerer Rechtsmaßstab, das universale Ius Commune, sein – in Abgleich gebracht und als diesen gemäß befunden. Zudem legitimiere die Primogenitur auch ihre Gebräuchlichkeit in vielen anderen kur- und fürstlichen, hohen und niederen Häusern außerhalb und innerhalb des Heiligen Reiches. Und schließlich wird im Hinblick auf die dann unmittelbar folgende Anordnung des Testamentes ein weiterer Argumentationstopos, den die Zeit für das ius positivum entwickelt hat, angeführt, die am Gemeinwohl ausgerichtete Ziel- und Zwecksetzung der Rechtssetzung:793 Die vorgefundene Ordnung 792
Zu diesem für das gesamte Verständnis der Rezeption des römischen, des gelehrten Rechts in Deutschland zentralen Fragenkreis der Geltungsweise des rezipierten universalen gegenüber dem vorgefundenen partikularen Recht: F. Wieacker, S. 124 ff., bes. S. 138 ff.; H. Coing, Bd. 1, S. 25 ff., 85 ff., 91 ff., 105 ff., 108 ff. 793 Dazu allgemein H. Coing, Bd. 1, S. 86. Gespeist ist dieser schon in den hausrechtlichen Zeugnissen des 14. Jahrhunderts sich abzeichnende (vgl. oben B.III.3.b) bei Anm. 166 f.), dann in denen des 15. Jahrhundert deutlicher zu Tage tretender Gemeinwohlgedanke, wie er auch im ius positivum niedergelegt ist, nunmehr aus dem neuen Herrschaftsverständnis einer christlichen Obrigkeit. Der fürstlichen Herrschaft kommt unter dem Eindruck der Reformation eine umfassendere Verantwortung zu: Sie ist von Gott eingesetzt – und das geht, wie E. Schubert, Steuer, 40, hervorhebt, über den Inhalt der überkommenen Dei-gratia-Formel der Herrschaftslegitimation weit hinaus –, um für Gerechtigkeit in der Welt und in der Kirche zu sorgen. In diesem Sinne hatte auch Julius einige Jahre zuvor seine Herrschaftsauffassung beschrieben. In der Braunschweig-Wolfenbüttelschen Kirchenordnung von 1569, abgedruckt in: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, 83; zu dieser Ordnung auch H.-W. Krumwiede, S. 139, beschreibt er sein Amt, das wir unseren getreuen und lieben underthanen nicht elleine umb zeitliches friedens, ruhe und einigkeit willen, sondern auch darumb, von seiner göttlichen allmacht fürgesetzt, das wir bey denselben vor allem anderem, was die rechte erkanntnuss, anruffung und dienst Gottes belanget, vermöge unsers tragenden und von Gott bevohlenen ampts befürderten und alsdann auch der weltlichen regierung underfangen, damit jederzeit allen und jeden unsern getreuen und lieben underthanen recht und gerechtigkeit
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sei nicht nur ihm, Julius, seinen Erben und seinem Stamm, sondern auch Land und Leuten ganz fürträglich, auch zu allem Besten und Aufnehmen (…): Sintemahl aus Vertheil- Zerreissung der Land und Leuten gemeiniglich Unfried, Uneinigkeit und Krieg, auch endliche Zerrüttung und Untergang der Geschlechte herfliessen. Aus allen diesen Gründen erkennt sich Julius schuldig, Vertrag, Vereinbarung und Ordnung zu befolgen, auch der Landschaft gegenüber zu halten. Und er erneuert die Regelung, Vereinbahrung, Statutum und Constitutionem, von 1535. Neben dieser soll Kaiser Rudolf auch sein nun errichtetes Statuto, Constitution und Testament, letzter Wille und Verordnung als ein immerwährendes Statutum auch ganz unwiderrufflichen ewigen Gebrauch dieses Unsers Fürstlichen Hauses Braunschweig confirmiren und bestätigen.794 Die Abfassung des Testaments in der Handschrift des gelehrten Rechts bedeutete, dass der überkommene Rechtsstoff, vor allem der ausführlich aufgegriffene in dem Pactum Henrico-Wilhelminum von 1535 niedergelegte, der modernen Terminologie und damit insbesondere den dahinter stehenden Distinktionen zugeordnet wurde. Das Pactum von 1535 gibt sich zwar die Selbstbezeichnung „erblicher Vertrag“; das Testament von 1582 bezeichnet sich als solches und als „letzter Wille“. Zugleich aber belegen sich beide Urkunden auch mit den gemeinrechtlich besetzten, der Rechtsquellenlehre der zeitgenössischen Jurisprudenz innewohnenden Begriffen Statutum und Constitution.795 Unter Statut begriff schon die mittelalterliche Rechtswissenschaft das örtlich begrenzte, zumeist in den Städten kraft munizipaler Autonomie geschaffene Recht; die Constitution ist die typische Rechtssetzung des Landesherrn.796 Damit werden beide hausrechtlichen Regelungen von ihrer rechtsgeschäftlichen Begründungsform abgelöst und – jedenfalls sprachlich – als Rechtsnormen, die sie ja auch sein wollten, erfasst. Diese wohl der Applikation des Ius Commune geschuldete Zuordnung der beiden rechtsgeschäftlich begründeten Regelungen zu den Begriffen Statutum und Constitutio bringt deutlich den normativen Geltungsanspruch des in ihnen formulierten Nachfolgemodells, dessen Anspruch auf Geltung auch für künftige Generationswechsel, also auch über die rechtsgeschäftliche Perwiederfahren und der gebür nach bey ihren habenden gerechtigkeiten gehandhabt, geschützet und beschirmet werden mögen. Zu den Folgen dieses Verständnisses christlicher Obrigkeit für das fürstliche Selbstverständnis und sein Verhältnis zu den Ständen stellt E. Schubert, Steuer, S. 40 f., fest: „Auch der Fürst repräsentiert das Land.“ Damit zusammenhängend ließen sich auf das neue Verständnis einerseits die Legitimation zur Nivellierung ständischer Freiheitsrechte gründen und andererseits auch die Möglichkeit ständischer Konsensansprüche. 794 Die noch im selben Jahr erfolgte kaiserliche Konfirmation durch Rudolf II. ist ebenfalls bei Ph. J. Rehtmeier, oben Anm. 24, abgedruckt. 795 Zur Verdeutlichung: Das Testament von 1582 belegt das vorangegangene Pactum von 1535 mit einer Reihe von variierenden Bezeichnungen, beispielsweise lassen sich einer Druckseite bei Rehtmeier, 1032. folgende entnehmen: erblicher Vertrag und Vereinbahrung als ein ewiges immerwährendes Statutum & Pactum gentilitium (…) Erb-Vertrage und Vereinbahrung (…) erblicher Vertrag, Vereinbahrung und ewig währendes Statutum und Constitution (…) erblichen Vertrag, Vereinbahrung und Ordnung. 796 H. Coing, Bd. 1, S. 86 ff., 105 ff.
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spektive hinaus, zum Ausdruck. Julius formuliert insoweit unmissverständlich, dass er auch den jeweils ältesten Sohn nach seinem ältesten Sohn Heinrich Julius Jure Constitutionis hiemit kräfftig- und beständiglich zu Unserm rechten wahren Erben verordnen, machen und haeredem instituiren wolle.797 Die moderne Sprache der Gesetzgebung findet Eingang in das Hausrecht. Doch bei aller Aufwertung die die hausrechtliche Regelung, die Reichweite ihres Verbindlichkeitsanspruchs, durch ihre Einkleidung in die Terminologie der gelehrten Juristen erfahren mag; das fassbare Instrumentarium zur Sicherung der Kontinuität der Regelung löste sich vom Hergebrachten nicht ab. Die Stände, seit dem 14. Jahrhundert, und der Kaiser, seit dem 15. Jahrhundert, waren als die institutionellen Anker, um Stabilität in eine letztlich rechtsgeschäftlich begründete Regelung zu bringen, längst übliche Bestandteile des welfischen Hausrechtsinstrumentariums. Inhaltlich stimmt die von Julius testamentarisch erneuerte Primogeniturerbfolge mit derjenigen von 1535 überein. In Linealprimogenitur soll der jeweils Älteste zur Nachfolge gelangen, subsidiär die Linie des jeweils Nächstälteren. Indes wird, damit das Fürstentum Braunschweig zu grösserm Wachsthum und vorigen alten Ansehen und Wohlstande nach Gottes Willen bleiben und kommen möchte, das Teilungsverbot nicht auf das bestehende Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel beschränkt, sondern – insofern in ein Vereinigungsgebot gewandelt – auf den Calenberger und auch Grubenhagener Teil ausgedehnt: Wenn diese Teile, aber auch andere, unbenannte Lande und Herrschaften, wieder zu dem nun innegehaltenen Teil fallen sollten, daß alsdann alles und jedes bey dises Unser Fürstenthum Braunschweig, Wolffenbüttelischen Theils, wieder gelegt, auch dabey unverrücket und unabgetheilet für und für von Erben zu Erben bleiben, und also alles, sonderlich aber die Wolffenbüttelischen und Calenbergischen,798 Ein Theil werden und wie von Alters zusammen seyn und bleiben, darauf auch keine weitere Abtheilung fürgenommen, verhenget oder verstattet werden soll. Unter besonderer Nennung auch der Grafschaften Reinstein (Regenstein), Blankenburg, Hoya und Bruchhausen wird diese Ausdehnung eines Einheitsgebotes noch einmal wiederholt. Es sollen auf diese dann erworbenen Lande sich darauf zu zweyen, dreyen oder mehreren Regierung und wie die auch jetzo seyn, nicht wieder vertheilen, sondern das alles und jedes beysammen und allein Einer, als nemlich der Wolffenbüttelischen Haupt-Regierung unter dem ältesten und in dessen Linie verbleiben. Unter den Söhnen Julius folgte ihm nach seinem Tode 1589, wie im Testament bestimmt, der Älteste, Heinrich Julius, nach. Allerdings erhielt – so berichtet Moser – der zweitgeborene Sohn, Philipp Sigmund, obgleich er Bischof zu Osnabrück und Verden war, durch einen im Todesjahr des Vaters mit Heinrich Julius ge797
Schon in einer letztwilligen Verfügung von 1552 hatte Heinrich der Jüngere die Abfindung seines Sohnes Karl Viktor geregelt. Dieser sollte im Falle einer Eheschließung das Haus Grene oder ein gleich einträgliches Schloss und eine jährliche Zahlung von 3.000 fl. aus den fürstlichen Kammern erhalten, W. Havemann, Bd. 2, S. 289 f.; D, Matthes, S. 38. 798 Insoweit wird ausdrücklich der schädlichen Teilung, besonders derjenigen von 1495, die Wolfenbüttel und Calenberg trennte, gedacht.
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schlossenen Vergleich die hoyaischen Ämter Syke, Diepenau und Wölpe gegen den Verzicht auf die väterlichen Lande.799 Die anderen Söhne Julius erhielten hingegen Jahrgelder. Nachfolger Heinrich Julius (†1613) wurde sein erstgeborener Sohn Friedrich Ulrich, der, wie vor ihm schon alle seine Brüder, kinderlos 1634 starb. Damit war das mittlere Haus Braunschweig erloschen. b) Calenberg-Göttingen bis 1584 Dieses in der Teilung im Jahre 1495 von Braunschweig-Wolfenbüttel abgeteilte,800 das Land zwischen Deister und Leine einerseits, das Land Oberwald andererseits umfassende Fürstentum hatte nur über zwei Herrschergenerationen hinweg Bestand. Auf Erich den Älteren, dem dieser Teil des Patrimoniums seines Vaters Wilhelms des Jüngeren 1495 zugedacht worden war, folgte 1540 sein einziger, zu diesem Zeitpunkt noch minderjähriger, ebenfalls Erich geheißener Sohn. Nach dessen kinderlosem Tod 1584 fiel das Fürstentum an das Haus Wolfenbüttel, erledigte sich also die Sonderung von 1495. An kirchlichen Fragen zwar nur mäßig interessiert,801 aber eingeschlossen zwischen zwei Exponenten des Religionskonfliktes, auf der einen Seite den protestantischen Landgrafen Philipp von Hessen, auf der anderen Seite den streng beim römischkatholischen Bekenntnis verbleibenden Herzog Heinrich den Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel, musste Erich der Ältere, der selbst altgläubig blieb, bei der Regelung der Vormundschaft für seinen Sohn, bei dessen Geburt der Vater bereits 56 Jahre alt war, auf Ausgleich zwischen den Interessen bedacht sein, sollte nicht mit der Auswahl des Vormundes ein eindeutiges Votum abgegeben sein und damit ein Aufeinanderprallen der Parteien nach seinem Tod heraufbeschworen werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich der überwiegende Teil des Adels im Lande und vor allem auch seine Gemahlin Elisabeth, offen seit 1538, in ihrer Mündener Herrschaft zu Luthers Lehre bekannten. Eingedenk dieser Konstellation setzte Erich der Ältere in seinem Testament von 1536 neben den beiden Widersachern aus Hessen und Wolfenbüttel auch Kurfürst Joachim II. von Brandenburg sowie – solange sie Witwe bliebe – seine Gemahlin zu Vormündern seines gerade achtjährigen Sohnes ein.802 Herzogin Elisabeth803 war bestimmt, mit Hilfe des so genannten „engeren Aus799
Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, S. 86 f. Dazu oben B.III.2.d). 801 Auch zum Folgenden M. Bär, passim; H.-W. Krumwiede, S. 133 ff.; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 76 ff. 802 4. Februar 1536: Cal. Or. 1 Schr. III Kaps. 6 Nr. 2a. Dass „nach den welfischen Hausverträgen“ ohne diese testamentarische Verfügung die Vormundschaft Heinrich dem Jüngeren zugefallen wäre, wie es M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 77, behauptet, lässt sich so nicht feststellen. Die „welfischen Hausverträge“ im Sinne eines allgemeine Verbindlichkeit auch einem abstrakten Personenkreis gegenüber beanspruchenden kodexähnlichen Normkorpus, im Sinne eines mehr oder minder geschlossenen Rechtsstoffkreises gab es so noch nicht. Und das 800
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schusses“, dem sowohl der herzogliche Kanzler als auch Vertreter der Stände angehörten, die Regierung wahrzunehmen. Allerdings schränkte Erich der Ältere die Macht der Vormünder und insbesondere seiner sehr selbstständigen Ehefrau – ganz im Sinne seiner engen Verbindung zu Kaiser Maximilian I. – durch die in einem kurz vor seinem Tod 1540 verfassten „Kodizill“ zu seinem Testament verfügte Obervormundschaft des Reiches, eine Aufsichtsbefugnis des Kaisers über die bestellten Vormünder, ein.804 Nach Erreichen der Volljährigkeit löste sich Erich der Jüngere von seiner Mutter und bekannte sich 1546 zu den Altgläubigen. Damit hatte er einen schweren Stand im Lande. Die Mehrheit des Adels, die großen Städte und der weiter – auch nach ihrer Eheschließung mit Poppo XII. von Henneberg – gehaltene Herrschaftsbereich des Landes Oberwald ohnehin blieben evangelisch. Erich verweilte immer häufiger außer Landes. Ein Plan, das Fürstentum für 225.000 Taler an den Wolfenbütteler Vetter zu veräußern, scheiterte 1550. Doch gelang es Heinrich dem Jüngeren, in Anbetracht Erichs Stellung im Territorium, eine Verlängerung der Vormundschaft beim Kaiser zu erwirken. 1551 wurden neben Heinrich die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg zu „Pflegern und Regenten“ des Fürstentums Calenberg-Göttingen bestellt.805 Es bildeten sich neue Koalitionen, und zwar konfessionsunabhängig: Erich der Jüngere, seine Mutter und der Markgraf Albrecht Alcibiades von BrandenburgKulmbach standen Heinrich dem Jüngeren, Kurfürst Moritz von Sachsen und König Ferdinand gegenüber. Diese Seite vermochte sich in der Schlacht von Sievershausen durchzusetzen. Heinrich der Jüngere hatte nun endgültig seinen Einfluss auf die Geschicke des benachbarten welfischen Fürstentums gefestigt. Er besetzte vorübergehend das Land. Elisabeth wurde aus ihrer Herrschaft über den Göttinger Gebietsteil vertrieben. Erich der Jüngere kam hingegen vergleichsweise glimpflich davon. Im Einbecker Vertrag von 1553 wurde die schon 1495 verabredete Inempfangnahme die beiden Linien Calenberg/Göttingen und Wolfenbüttel betreffende Vertragswerk von 1495 sah gerade keine Vormundschaftsregelung vor. Zuzugeben ist allerdings, dass nach der im Allgemeinen im Welfenhaus gepflegten Rechtspraxis, in der sich eine überkommene, schon im Sachsenspiegel (Ldr. I 23) niedergelegte Rechtsanschauung widerspiegelt, der älteste ebenbürtige Verwandte auf Vaterseite der Vormundschaft am nächsten stand; dieser Bezug zum überkommenen „Recht“ wird etwa im Hausvertrag vom 19. Mai 1395 (Sud. VIII 45) ausdrücklich hergestellt. 803 Zu dieser und den von ihr geschmiedeten Koalitionen: H.-G. Aschoff und A. SprenglerRuppenthal. 804 Elisabeth gelang es gleichwohl, zwei Jahre nach dem Tod Erichs des Älteren gegen den Kaiser und den welfischen (Glaubens-)Widersacher Heinrich den Jüngeren eine von Antonius Corvinus verfasste evangelische Kirchenordnung zu erlassen. Zu Hilfe kam ihr dabei, dass die Wolfenbütteler Lande kurz zuvor durch den Schmalkaldischen Bund eingenommen worden waren. In Anbetracht der 1495 verbrieften – subsidiären – Erbexspektanz ihres Sohnes und Mündels auch auf Wolfenbüttel unterstützte Elisabeth gegen die Interessen ihres Verbündeten, des Landgrafen von Hessen, den geschlagenen Welfen mit Geld und Kriegsgerät, M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 78: Hausinteressen überlagerten – zurückhaltend formuliert – konfessionelle Zielsetzungen. 805 M. Bär, S. 35 ff.; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 79.
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der Erbhuldigung durch die Stände der jeweils anderen Seite und damit die enge Bindung und der Verbleib beider Lande im Stamme Wilhelms des Jüngeren bestätigt.806 1584 kam diese bestätigte Verabredung dann zum Tragen. Die Calenberger und Göttinger Lande vereinigten sich wieder mit Wolfenbüttel unter Heinrichs des Jüngeren Sohn Herzog Julius. c) Lüneburg bis 1635 aa) Vorausschau Auch in diesem zur Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert größten welfischen Fürstentum war die Behandlung der Nachfolge in die Herrschaft von dem Streben nach Integritätswahrung, von dem Ziel, eine kostenintensive Vervielfältigung der Hofhaltungen zu verhindern, gekennzeichnet. Anders als die verwandte Linie in Wolfenbüttel fand das hier regierende mittlere Haus Lüneburg jedoch nicht zu einer klaren, auf eine dauerhaft wirkende Regelung angelegten – und damit normativen – Ausgestaltung der Sukzession. Diese wurde erst Ende des 17. Jahrhunderts im neuen Haus Lüneburg, der kurfürstlich, später königlichen Linie von Hannover und Großbritannien erreicht. Auch die zu Beginn des 17. Jahrhunderts – dann schon im neuen Haus Lüneburg – gefundenen Regelungen, diejenigen von 1610 und 1611, bereiteten, wie Schulze zutreffend in seiner Darstellung der Geschichte des Erstgeburtsrechts feststellt, die Primogeniturordnung nur vor, indem sie, wie allerdings auch schon viele hausrechtliche Vereinbarung zuvor auch, die Unteilbarkeit des Erbes formulierten. Keine Entscheidung trafen sie aber darüber, wer jedes Mal regierender Herr sein sollte.807 Diese für eine Dauerhaftigkeit beanspruchende Geltung notwendige Anordnung findet sich erst im Testament Ernst- Augusts von 1682/3. Das mittlere – und zunächst auch das neue – Haus Lüneburg verharrte jedoch nicht ohne jede Weiterentwicklung in den überkommenen Mustern und Instrumentarien der Nachfolgebehandlung. Vielmehr bildete sich eine typische, eigenständige Form der Sukzessionsbewältigung im Fürstentum Lüneburg des 16. Jahrhunderts heraus: die jedenfalls dreimal praktizierte „Abteilung“ einer Nebenlinie. Dass das Haus Lüneburg gegenüber der Wolfenbütteler Linie so sehr verzögert den Weg zu einer nicht nur auf Unteilbarkeit und Einzelherrschaft, sondern vor allem auch auf klare Vorherbestimmbarkeit der Person des Nachfolgers gerichteten Sukzessionsordnung gefunden wurde, ist nicht auf grundle806
Einbecker Vertrag vom 6. September 1553: Überlieferung und Näheres zum Inhalt bei M. Bär, S. 49 ff. In Folge eines am 18. September 1554 zwischen Heinrich dem Jüngeren und Erich abgeschlossenen Vergleichs (HStAHann., Cal. Or. 1 Nr. 83) huldigten die Landschaften zu Braunschweig-Wolfenbüttel auf der einen und von Calenberg-Göttingen auf der anderen Seite beiden Herzögen gesamthänderisch. 807 Erstgeburt (1851), S. 420; später dann in seiner Darstellung der Hausgesetze (1862/3), 399, gibt er für den Vertrag von 1611 – so wie auch zuvor W. Havemann, Bd. 2 (1855), S. 490, und in jüngerer Zeit D. Matthes, S. 47, – die Abrede wider, ausschließlich auf den ältesten Erben (bei Matthes wird der älteste Bruder genannt) solle die Regierungsgewalt übergehen. Diese Nachfolge durch den jeweiligen Primogenitus ist aber weder in der Übereinkunft von 1610 noch der von 1611 niedergelegt; näher dazu unten bei Anm. 121 ff. und 125 ff.
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gend andere Verfassungsstrukturen in beiden Fürstentümern zurückzuführen. Hier wie dort hatten etwa – und insbesondere – die Stände im 16. Jahrhundert eine einflussreiche Stellung.808 Vielmehr waren zunächst die personellen Vorgegebenheiten gänzlich andere. Die Durchsetzungsstärke, ja fast Brutalität, mit der Heinrich der Jüngere von Wolfenbüttel 1535 seine Herrschaftsansprüche und den dauerhaften Vorzug seiner Linie gegenüber seinem auf Teilung drängenden Bruder Wilhelm und dessen Nachkommen aufbrachte – ein Wille zur Macht, den auch die Vettern in Calenberg immer wieder zu spüren bekamen –, legte keiner der Fürsten in Celle an den Tag. Keiner vermochte es, wie der Wolfenbütteler Vetter, die alleinige Nachfolge in die Substanz des Patrimoniums für sich und seine Erben, jeweils den ältesten unter diesen, zu Lasten des Bruders, der auf einen – modern gesprochen – allein schuldrechtlichen, auf Geldleistung gerichteten Anspruch gegen das Patrimonium zurückgedrängt wurde, zu erringen. Wollte dies denn aber einer aus der Generation nach Heinrich dem Mittleren? Die verzögerte Entwicklung hin zu einer „modernen“, auf dauerhafte Ordnung gerichteten Sukzessionsbehandlung in Primogeniturfolge im mittleren Hause Lüneburg allein fehlendem Durchsetzungsvermögen seiner Mitglieder zuzuschreiben, greift zu kurz. Das Zauderhafte im Handeln der Söhne Heinrichs des Mittleren wurzelt nicht allein in ihren Persönlichkeiten. Auch einmal angenommen, Heinrich der Jüngere sei einer von ihnen, wäre keineswegs klar, wohin ihn seine Kraft getrieben hätte. Denn die wirtschaftliche Lage des Landes, des Patrimoniums, war eine gänzlich andere als die der Wolfenbütteler Lande. Lüneburg war ein Verlierer der Hildesheimer Stiftsfehde.809 Das Land war verheert und verschuldet.810 Die Nachfolge in dieses 808 E. Schubert, Steuer, S. 34 ff., zeichnet gerade für diese Zeit die Entwicklung „vom Schadlosbrief zur Herrschaftsbindung“ nach. Die fürstlichen Garantien der Schadlosbriefe werden ausgeweitet, dass es nicht mehr nur um künftige Steuerfreiheit, „sondern darüber hinaus um Formen der Regierungsbindung eines Herrschers geht (…). Die Schadlosbriefe, die noch dem Personalcharakter der Bede entsprachen, finden sich auch im 16. Jahrhundert, aber inzwischen geben sich die Stände nicht mehr damit zufrieden; sie verlangen weitere Gegenleistungen entsprechend der neuen Art der Landessteuer. In diesen Zusagen ist eine Herrschaftsbindung enthalten.“ Eher dem Schadlosbrief zuzuordnen, sind die fürstlichen Zusagen, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes keine – weiteren – Steuern zu erheben. 1509 versprach dies Heinrich der Mittlere für die kommenden 21 Jahre (A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 100), um schon 1517 erneut um Steuerausschreibung zu bitten (ebd., S. 107 ff.). Wiederum versprach er, sich 20 Jahre lang weiterer Besteuerung zu enthalten, wiederum aber wurde diese Beteuerung nicht eingehalten: 1522 wurde eine neue Landessteuer auferlegt, bei deren Bewilligung Ernst eine zwanzigjährige Steuerfreiheit zusicherte (ebd., S. 128). Die zunehmende Herrschaftsbindung lässt sich indes an der Bindung der Kriegs-, Fehde- und Bündnisfreiheit des Herrschers nachzeichnen: So erklärt Heinrich der Mittlere unmittelbar vor Beginn der Hildesheimer Stiftsfehde, 1518, gegenüber den Ständen noch recht vage, er wolle sich des Krieges nach allem Vermögen enthalten (ebd., S. 116); kurz nach der Stiftsfehde verspricht er, die Ankündigung der Stände vor Augen, bei einer Fehde keine Hilfe, vor allem keine Steuern leisten zu müssen, mit einem jeden in Frieden, Einigkeit und guter Nachbarschaft wohnen zu wollen (ebd., S. 131). Und schließlich – so steigert sich die Bindung des Landesherrn an die Stände – muss sein Sohn Ernst auf dem Celler Landtag von 1527 den Ständen versichern, der Fürst dürfe keinen Krieg beginnen und kein Bündnis eingehen, ohne Rat und Bewilligung der Stände und Landschaft (ebd., S. 142). 809 Die Literatur dazu stellt M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 35, zusammen.
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ruinöse Fürstentum erschien nicht erstrebenswert. Daraus erwuchs das nur auf den ersten, an dem allgemein Üblichen geschulten, Blick so seltsam anmutende Streben der Söhne Heinrichs des Mittleren weg von der Herrschaft, eine – nun im Einzelnen darzulegende – Erbauseinandersetzung unter gleichsam negativen Vorzeichen, wie sie schon die Zeiten von Heinrichs Großvater Friedrich des Frommen geprägt haben. Sowohl zwischen Ernst und Otto als auch zwischen Ernst und Franz entspann sich ein Ringen um eine Ausstattung, nicht das Fürstentum: bb) Die Abteilung der Harburger Nebenlinie 1527 Heinrich der Mittlere, selbstständiger Regent im Fürstentum Lüneburg seit 1486,811 unternahm es, wie seit Herzogsgenerationen im Welfenhaus üblich und etwa zur selben Zeit auch von seinem Seitenverwandten Heinrich dem Älteren von Wolfenbüttel unternommen, seine Nachfolge selbst noch zu Lebzeiten zu gestalten. Seine Vorstellung zielte darauf ab, dass nur einer der Söhne wirklich letztlich Nachfolger werde, dass nämlich nur einer standesgemäß heiraten sollte. Dem steht auch das erste Zeugnis der Nachfolgeplanung Heinrichs von 1517 nicht entgegen. Seine beiden älteren Söhne Otto und Ernst hatten ihm verbriefen müssen, das Land ungeteilt unter eine gemeinsame Regierung zu nehmen.812 Denn diese Form der Nachfolge, diese Form des Besitzes und Gebrauches am Nachlass war seit alters her grundsätzlich auf eine begrenzte Zeit, wenn auch von unterschiedlicher, schwer vorhersehbarer Dauer, angelegt. Sie war regelmäßig lediglich eine Vorstufe, die Grundlage einer geordneten, zunehmend auf Integritätswahrung gerichteten Sukzessionsgestaltung. Der Katalysator zur Herbeiführung einer endgültigen Lösung und zugleich der Prüfstein für den Willen zur Einheitswahrung war die Heirat. Standesgemäße Eheschließung bedeutete, die Begründung eines Hausstandes mit der entsprechenden und notwendigen Zuordnung von Ländereien. Bei dem vornehmlich regierenden, zumeist ältesten Sohn machte sich dies nicht bemerkbar; er führte den elterlichen Hofhalt weiter. Die Verheiratung der nicht oder nur mitregierenden Söhne bildete aber den entscheidenden Anlass zu ihrer Ausstattung zur standesgemäßen Lebensführung. Die Gemeinschaftsregierung war gleichsam ein Moratorium bis zur – wie auch immer aus810 Zwar trug Heinrich der Mittlere als Verbündeter des Hildesheimer Bischofs den Sieg der Schlacht von Soltau 1519 davon. Der Krieg war indes verloren. Heinrich hatte auf der falschen, der reichsfeindlichen, Frankreich zugeneigten Seite gestanden. Seine Calenberger und Wolfenbütteler Vettern hingegen hatten sich an die Habsburger gehalten. Als am Tag der Soltauer Schlacht der Habsburger Karl V. zum Kaiser gewählt wurde, war die Fehde zu Gunsten der „südlichen“ Welfen entschieden. Der Lüneburger wurde 1521 mit der Reichsacht belegt. Zwar schloss er noch im Oktober 1521 einen Frieden mit seinen Vettern (10. Oktober 1521, abgedruckt bei J. G. F. Kleinschmidt, Bd. 2, 4). An der Verteilung der Beute nahm er aber nicht teil. Die Ämter, die das Hochstift Hildesheim verlor, teilten sich Calenberg und Wolfenbüttel. Schon 1521 besetzt, erfolgte 1530 auf dem Augsburger Reichstag die offizielle kaiserliche Belehnung der Herzöge von Calenberg und von Wolfenbüttel mit den eroberten Hildesheimer Stiftsämtern. 811 Siehe oben B.III.2.a). 812 Den Inhalt des Vertrages teilt W. Havemann, Bd. 2, 84, mit.
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gestalteten – Verteilung des Patrimoniums auf die zur Ehe schreitenden Söhne. 1517 mögen zudem hinter dem seinen Söhnen abverlangten Versprechen eines solchen Moratoriums Abdankungspläne Heinrichs gestanden haben.813 Zunächst hatte Heinrich der Mittlere Otto, seinen ältesten Sohn, für eine Verheiratung und daher auch für die Nachfolge ausersehen. Im Zentrum seiner Heiratspolitik, der Wahl der Braut für seinen Sohn, stand das Ziel einer Bindung an Frankreich, woher er sich Rückendeckung für seine territorialen Interessen, insbesondere an der Grafschaft Hoya, erhoffte.814 Otto widersetzte sich aber den väterlichen Heiratsplänen und lehnte die Ehe mit einer schon betagten französischen Hofdame ab. Daraufhin wurde Otto im Winter 1519 aus Heinrichs Nachfolgeplänen ausgeschlossen. Er sollte auf das Land verzichten und sich abfinden lassen. Und nach der unattraktiven Alternative der nicht erwünschten Ehe leistete er auch von sich aus Verzicht. Ihm wurde vom Vater eine reine Geldabfindung ausgeschrieben in Höhe von 2.000 fl. jährlich, die er vorzugsweise außerhalb des Fürstentums verzehren sollte. Schriftlich wurde diese Ausschreibung zur Ausstattung nicht niedergelegt. Aber auch der nächstälteste Sohn Ernst, später „der Bekenner“ genannt, fügte sich nicht in die Vorstellungen des Vaters zur Nachfolge im Fürstentum. Die Zeit drängte indes. Nachdem sich – trotz des Soltauer Sieges von 1519 – das Blatt gegen die antihabsburger Partei in der Hildesheimer Stiftsfehde und damit auch gegen Heinrich gewendet hatte, musste er im Hinblick auf die Möglichkeit einer raschen Flucht seine Nachfolge regeln. So bot er nun Ernst im Mai 1520 die Regierung an. Der Vertragsentwurf sah vor, dass Ernst die Regierungsgeschäfte übernehme und standesgemäß heirate und Otto wahlweise als Mitregent im Lande bleibe oder mit Jahrgeld ausgestattet im Auslande verweile. Er, Heinrich, wollte abdanken; einige Amtsschlösser sollten ihm jedoch vorbehalten bleiben.815 Heinrich und Otto hatten den Vertrag schon unterzeichnet. Ernst hingegen – wohl, wie Matthes vermutet,816 in Beratung mit den Ständen – schlug diese Regelung aus. Otto legt in seinem Bericht die Gründe dieser Verweigerung nicht dar. Möglicherweise schätzte Ernst den Verlust an Einnahmen, die mit dem Vorbehalt einiger Schlösser zu Gunsten des Vaters verbunden waren, als für das gebeutelte Fürstentum untragbar ein. Vielleicht hoffte er, das Land dereinst zu günstigeren Bedingungen erhalten zu können. Auch er zog nun gegen ein – ebenfalls nicht schriftlich verbrieftes – Jahrgeld außer Landes. 813
So vermutet es D. Matthes, S. 12. Auch für das Folgende D. Matthes, S. 13 ff., dessen Darstellung der Behandlung der Nachfolgefrage durch Heinrich und der schließlich zwischen seinen Söhnen Otto und Ernst gefundenen Lösung, insbesondere der Hintergründe für den Nachfolgeverzicht Ottos, ganz wesentlich auf dem von Adolf Wrede aufgefundenen und veröffentlichten Bericht Herzog Ottos, in dem dieser selbst die Ereignisse beschrieb und deutete; es handelt sich dabei um einen persönlich gehaltenen Rechenschaftsbericht für den Celler Kanzler Johann Förster, den Otto um Himmelfahrt 1526 verfasst hatte, D. Matthes, S. 8 Anm. 7. 815 Inhaltlich beschrieben wird dieser Vertrag vor allem von W. Havemann, Bd. 2, S. 83, und von A. Wrede, S. 17. 816 S. 19. 814
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In dieser im Scheitern seiner Pläne begründeten Ungewissheit um seine Nachfolge musste, die Reichsacht vor Augen, Heinrich sein Land verlassen. Die Nachfolge hatte er nicht regeln können; sie war nun völlig offen. Und beide Söhne waren außer Landes. Heinrich wies beide daraufhin zur Rückkehr in das verwaiste Fürstentum an. Dabei kam offensichtlich in Heinrichs Perspektive wieder Otto ein gewisser Vorrang zu. Dies spiegelt sein Notfallplan, wie er ihn in einem Brief an den Kanzler Johann Förster aufstellte, wider.817 Danach sollte im Falle der Weigerung Ottos, die Regentschaft zu übernehmen, Ernst in die Pflicht genommen werden. Bei dessen Weigerung sollte die Reihe an seine Gemahlin Margarete kommen und schließlich, sollte auch diese nicht bereit sein, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, so greiffen die rethe und lantschaft, die in der last mit sein, die sache selbest an mit ewr (Försters) andern rethe hilfe. Letztlich hörten die Brüder aber den Aufruf des Vaters und begaben sich beide nach Celle. Auch die nun faktisch begründete Gemeinschaft an Land und Herrschaft war von Anfang an auf Auseinandersetzung gerichtet. Nur – und das war das Ungewöhnliche – strebte keiner eindeutig zur Herrschaft über das Fürstentum. Ottos Motive, eine Ausstattung mit einem der Versorgung dienenden Amtsbezirk zu verlangen, erwuchsen einerseits aus seinem etwa zwei Jahre zuvor eingegangenen nicht standesgemäßen heimlichen Verlöbnis mit Metta von Campen – sie stammte aus einem Ministerialengeschlecht –, andererseits aus der in den Auslandsjahren gewonnenen Erkenntnis, dass ein bloßes Jahrgeld nicht hinreichte, einen Hausstand außerhalb des Fürstentums zu unterhalten. Hinsichtlich des Verlöbnisses wähnte sich Otto in einem Gewissensund Pflichtenkonflikt: Die fehlende Ebenbürtigkeit der Verbindung zu Metta war unvereinbar mit einer Nachfolge in das Fürstentum. Eine Auflösung der Verlobung, so glaubte Otto – und so wurde es ihm in Beichträten auch aus dem Wittenberger Umfeld Luthers bestätigt –818, sei vor Gott nicht zu verantworten. Ernst, der schon vor Ottos Rückkehr nach Celle mit den Räten des Landes die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, wies Ottos Ansinnen auf Ausstattung mit einem – lastenfreien – Amt unter Hinweis auf die finanzielle Lage des Fürstentums strikt zurück. Diese Verteilung der Rollen in der Auseinandersetzung um väterliches Erbe war noch nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich war indes, dass auch Ernst seinerseits Otto das gleiche Angebot des Verzichts auf die Regierungsgeschäfte gegen eine ähnliche Abfindung unterbreitete. Die Motive, die Ernst zu diesem Streben weg von der Herrschaft bewegten, dürften darin zu suchen sein, dass er vertieftere Einblicke in die ruinösen Finanzen des väterlichen Landes hatte.819 Der Besitz eines schuldenfreien Teiles des Lan817
D. Matthes, S. 20 Anm. 63. Dazu, besonders zur Unvereinbarkeit des Beichtrats mit dem zeitgenössischen Kirchenrecht, ausführlich D. Matthes, S. 20 ff. 819 Zu den Finanzen des Fürstentums Lüneburg in dieser Zeit: W. Havemann, Bd. 2, S. 85; H. J. v. d. Ohe, S. 6 f.; D. Matthes, S. 24; E. Schubert, Steuer, S. 8 ff. Zumindest wohl in den Jahren 1521 bis 1523 waren bis auf die Großvogtei Celle sämtliche Ämter verpfändet. Doch schon in den kommenden Jahren vermochten die Brüder einige wichtige Amtsbezirke wieder auszulösen, etwa Gifhorn, Winsen an der Luhe und Meinersen. Bis zur Mitte des 16. Jahr818
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des, des Versorgungsamtes, war wirtschaftlich betrachtet deutlich erstrebenswerter als der Besitz und die Herrschaft über das verbleibende Ganze; einer Position, mit der überdies noch die Pflicht verbunden war, den dritten Bruder, Franz, zu versorgen und gegebenenfalls auszustatten. Mehrfach wechselten vor diesem Hintergrund in den folgenden Jahren Verzichtsangebote zwischen den Brüdern hin und her. Nachdem die Stände auf eine auch formelle Abdankung Heinrichs des Mittleren gedrängt hatten, übergab dieser gegen Vorbehalt einer Geldrente von jährlich 700 Gulden sowie der Schutzgelder der Städte Hamburg, Lübeck und Lüneburg und einer einmaligen Zahlung von 300 Gulden seinen Söhnen, neben Otto und Ernst auch dem noch minderjährigen Franz, am 22. Juli 1522 das Fürstentum.820 Nun bestand formal eine Gemeinschaftsregierung. Die Nachfolge des Vaters blieb in Anbetracht der Uneinigkeit und des Zauderns der beiden älteren Brüder in der Schwebe. Tatsächlich führte Ernst die Regierungsgeschäfte. Otto hingegen hielt sich häufig außerhalb Celles auf und vermied selbstständige Herrschaftshandlungen. Das Abwarten und Belauern der Brüder fand, wie so oft, angestoßen durch eine Eheschließung ein Ende. Otto gab 1526 auf Drängen des Kanzlers Förster, dem entsprechende Gerüchte zu Ohren gekommen waren, seine heimliche Vermählung mit Metta von Campen 1525 bekannt.821 Das Pendel dahin, dass Ernst sein Streben nach – schuldenfreier – Abfindung auf- und Ottos ebensolchem Streben nachgab, wurde letztlich durch ein Sondergutachten Luthers, das den Standpunkt Ottos bestätigte, angestoßen. Widerwillig fügte sich Ernst in den Gewissens- und Pflichtenkonflikt seines älteren Bruders. Otto aber hielt in Anbetracht der finanziellen Lage des Landes Maß bei seiner Abfindungsforderung. Ein einziges Amt sollte ihm überlassen werden. Zunächst war Dannenberg im Gespräch; schließlich einigte man sich auf Harburg. Auch im Übrigen fielen die Verhandlungspositionen der beiden Brüder – sieht man von der Frage der Erblichkeit der Ausstattung einmal ab – nicht weit auseinander. Lediglich mit seinen Wünschen nach Zuordnung der Dienste dreier namentlich benannter adeliger Familien, soweit Ernst ihrer nicht bedürfe, nach dem Recht zur Auslösung eines weiteren Amtes, falls Ernst dazu finanziell nicht imstande sein sollte, nach Belassung des Kanzlers in gemeinsamer Bestallung und schließlich nach Ausstattung eventueller Kinder wenigstens mit zu erwartendem, säkularisier-
hunderts konnten auch die Ämter Dannenberg, Hitzacker, Lüchow und Warpke wieder unter unmittelbare landesherrliche Verwaltung genommen werden. Nichtsdestotrotz war unmittelbar nach Heinrichs des Mittleren Flucht das Land finanziell am Ende, so dass, wie D. Matthes, S. 24 Anm. 75, berichtet, Celler Hofräte während der Abfindungsverhandlungen 1550 in Lüneburg rückschauend feststellen konnten, daß damals das Furstenthumb nicht dann 500 gulden jerlichs einkommens zu der Fursten kammer doch ohne die schatzungen frey gehabt und dass also das Furstenthumb beyde Fursten in dem standt zu erhalten nicht genugsam war. 820 W. Havemann, Bd. 2, S. 83 ff.; diese Abfindung galt nur, solange Heinrich sich in Frankreich aufhalten sollte. Bei Rückkehr ins Fürstentum sollten ihm lediglich 400 Gulden jährlich sowie Naturalunterhalt zukommen. 821 Die Antwort Ottos war der oben, Anm. 47, genannte Rechenschaftsbericht vom Himmelfahrtstag 1526.
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tem, Klosterbesitz.822 Am 21. Januar 1527 unterzeichneten die beiden Brüder den Abfindungsvertrag. Mit kleinen Änderungen und nach Einholung der Zustimmung der Mutter und des jüngsten Bruders Franz wurde die abschließende Ausfertigung des Vertrages vom 10. April der Landschaft vorgelegt.823 Ihrer Billigung verliehen die anwesenden Landstände Ausdruck durch das Anheften ihrer Siegel an die Urkunde. Eingebunden in die seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts vereinzelt und dann seit dem 15. Jahrhundert regelmäßig benannten Vertragsziele der Ehre Gottes und der Wohlfahrt des Landes und um diese unter dem regierenden Hause unverrückt in guter Regierung, Friede und Einigkeit zu erhalten,824 ja diesen Motiven vorrangig, verweist die Arenga auf die wirtschaftliche Not des Fürstentums, der Lande, der Stände, Gliedmaßen und Einwohner. Die vorrangigen Abreden zur Bestimmung des Verhältnisses der abgeteilten zur Haupt-Linie und damit auch zur Bestimmung der Qualität, der Rechtsstellung der Nebenlinie und ihres Herrschaftsgebietes finden sich in dem zweiten, Otto als Aussteller ausweisenden Teil der Urkunde. Otto leistet gegenüber Ernst und Franz und deren Erben für sich, seine Erben, Erbnehmer, Nachkommen und seiner vertrauweten – dies ist Metta von Campen – und auch mit all derer Zustimmung erblich und unwiderruflich Verzicht auf das Fürstentum und alle seine in und zugehorunge, so dass ihm und seiner Linie nunmehr keine Rechte mehr daran zustünden, es sey an geistlichen ader wertlichen guetern, herlicheiten, gerechticheiten, nutzungen und aufkomen.825 In Vollziehung dessen überweist Otto all seine und des Fürstentums prelaten, rethe, cantzler, manschaft, lehen, und dienstleute, amptleute, vogte, edel und unedel, alle unsere stete, burger unde bawren mit ihren Eiden, Pflichten und Verantwortungen an seine Brüder Ernst und Franz. Indes will Otto für den Fall, dass Ernst und Franz ohne Manneserben versterben sollten, sich hiermit nicht des naturlichen erbfals und geporlicher gerechticheit begeben; er behält sich also die Subsidiärerbfolge, die Eventualsukzession für sich und seine Linie vor. Die von Ernst und Franz verkörperte Celler Hauptlinie wird sprachlich weithin mit dem Fürstentum identifiziert, jene regiert, jene vertritt dieses.826 Dabei kommt dem Fürstentum schon eine in Ansätzen transpersonale Qualität zu. Es bildet nicht allein die sprachliche Klammer für die Menge der dem Subjekt des Fürsten als Objekt zugeordneten Herrschafts- und Besitzrechte. Vielmehr schimmert – mit aller Vorsicht formuliert – eine eigene, aus dem Gemeinwohlgedanken gespeiste Subjektivität hervor. Otto verpflichtet sich, alle Verträ822
Zusammenfassung der beiderseitigen Forderungen bei D. Matthes, S. 27 f. Diese Fassung ist vollständig abgedruckt ebd., S. 86 ff. 824 Vgl. oben B.III.3.b) bei Anm. 591 f. und B.V.1.a) Anm. 793. 825 Seinen Herzogtitel führt Otto weiter. Reichsfürst war er allerdings nicht mehr; er war weder Glied des Reichsfürstenrates noch besuchte er fortan Reichstage und überließ die Bedienung der Reichs- und Kreislasten seinen Brüdern. D. Matthes, S. 38. 826 Von einer C e l l e r Hauptlinie ist insofern zu sprechen, als der nach dem Verlust Lüneburgs 1371 begonnene Ausbau Celles zur Residenz durch die Herzöge des Fürstentums Lüneburg nun im 16. Jahrhundert klare Konturen gewonnen hatte; näher: H. Dormeier; auch M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 69 ff., und E. Schubert, Niedersachsen, S. 783. 823
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ge der Brüder und ihrer Erben auch zu halten, allerdings mit der einschränkenden Attributierung, dass diese zu notturft des Furstenthumbs und friedes untirhaltunge gemacht und aufgerichtet (…) werden muchten. Ebenso ist diese notturft des Furstenthumbs und landes Hintergrund, ja Tatbestandsvoraussetzung der Pflicht zur Öffnung des hawß Harburgk. Umgekehrt taugt das Fürstentum auch als Objekt des Schadens: Otto will sich ohne wissen, zulassunge und vorwilligunge seiner Brüder, deren Erben und der Landschaft auf keinerlei Bündnisse, Verträge und Handlungen einlassen, die den Brüdern und deren Erben und dem Furstenthumb zu schaden ader beswerunge gereichen könnten. Auch erscheint das Fürstentum in einem Atemzug neben den personalen Vertretern der Celler Hauptlinie, den Brüdern und deren Erben und Nachkommen, als zu schützendes Subjekt bezogen auf den Heimfall des abgeteilten Amtes Harburg – zu schützen vor Schmälerungen dieses Amtsbezirkes durch Alienationen sowie vor Weigerung der Rückgabe. So will Otto ampt und haws harburgk nit unfrie machen, vorkeufen, vorpfenden, besweren, vorgeben ader in einigen andern wegk dasselbige ader ethwas von seinen in und zugehorungen nutzungen alienieren. Besonders soll das Amt ahne allen behelf und weigerunge nach seinem Tod, wen unsere vertrauwete und nachgelassen kindere, wie obberuruth vorsichert und vorwarth sein, widerumb an unsere lieben bruder, derselbigen erben, erbnehemen und nachkomen und das Furstenthumb mit ßo vil geschutz und pulvers und was darzu gehorig, so vil uns itzunder von unsern lieben brudern zugestellet und gegeben ist, wider heimfallen sein. Und schließlich wird das Fürstentum als Zuordnungssubjekt für Vermögen, passivem wie aktivem, erfasst: Otto will keine Schulden machen – dabei erscheint das Fürstentum wiederum als ein mögliches Subjekt, dem aus der Schuldenaufnahme Nachteil erwachsen kann. Hingegen sollen Ernst, Franz und ihre Linien, die Schulden übernehmen, die auf uns und das Furstenthumb erwachßen sind und diese unter anderem mit Rat und Hilfe der Stände sowie nach gelegenheit des Furstenthumbs abtragen. Danach gibt es die fürstliche Hauptlinie, vertreten von Ernst und – wiederum durch diesen vertreten – Franz, und die mit einem Amt versorgte Nebenlinie Ottos. Indes auch der erste Teil, der Ernst als Aussteller erkennen lässt und positiv dasjenige beschreibt, das Otto als Gegenleistung für seinen Verzicht erhält, gibt entscheidende Hinweise zur Charakterisierung des durch diese Vereinbarung begründeten Verhältnisses der beiden Linien zueinander und zur Typisierung dieses Erbauseinandersetzungsvertrages.827 Zwar wird in Ernsts Überlassungserklärung zum Schloss Harburg zu Gunsten Ottos der pfandweisen Innehabung, der Pfandnehmerstellung, nur insoweit gedacht, als zur Beschreibung dieses Rechtstitelkonglomerats, des Amtes und seiner in und zubehorunge – wie schon seit Jahrhunderten üblich – auf die vormalige Inhaberschaft bestimmter Personen Bezug genommen wird, die 827
Selbst bezeichnet der Vertrag seinen Gegenstand, gleichsam überhaupt die beiden Grundrichtungen der Erblassbehandlung, umfassend mit den Worten, man habe sich voneinandergesetzt, geteilet, voreinigt und vortragen. Dass allerdings keine Auseinandersetzung, Teilung, in zwei grundsätzlich gleichberechtigte Herrschaftsgebiete erzielt und auch nur gewollt war, zeigen schon Ottos Vertragserklärungen auf.
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diese Burg nun einmal als Pfandnehmer des Fürsten innehatten und zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch haben.828 Jedoch umreißt, wie schon Matthes zutreffend festgestellt hat,829 dieser Bezug darüber hinaus auch in etwa die inhaltliche Vorstellung von der Otto zugedachten Rechtsstellung und ebenso dem Amtsbezirk Harburg zukommenden Rechtsqualität. Otto erhält keine „kleine Landesherrschaft“. Abgesehen davon, dass Harburg schon sprachlich von dem Furstenthumb gesondert wird, ohne seinerseits auch mit diesem Begriff belegt zu werden, und davon, dass Otto viele Handlungskompetenzen nicht zugestanden oder unter Zustimmungsvorbehalt der Celler Hauptlinie gestellt werden, wird ihm zudem und vor allem kein „Stück“ der Landschaft zugeteilt. Dieses zentrale Moment der Landesherrschaft, die vielfach feudal konstituierte Herrschaft über den ständischen Adel, bleibt ihm ausdrücklich versagt. Ernst behält sich, Franz und beider Erben vor, das der adel, ßo in und untir demselbigen slosse und ampte Harburgk gesessen, uns und dem Furstenthumbe mit gewontlichen eyden, pflichten, diensten, volge, schatzungen irer und irer lewthe, wie sich die jhe zu zeiten zutragen kan und wirdet, entfangunge der lehen und mit allem rechte zugetan, vorwanth und sich nach uns und nicht nach S.L. (Otto) zu richten haben.830 Ausdrücklich wird Otto aufgegeben, die regierende Linie an der pfaffen, junghern, stete unde andern meigern, ßo in unde untir dem ampte Harburgk gesessen, wen die landtschaft eine schatzunge, hielfe oder stewr bewilligen wurde, nicht zu hindern, sondern wie bei anderen Insassen des Fürstentums gewähren zu lassen. Otto hingegen werden lediglich die niederen Lehen im Amte zugewiesen.831 Die Zuordnung des in Harburg ansässigen oder auch nur begüterten Adels zur regierenden Linie und nicht zur Amtsherrschaft Ottos macht diese der Herrschaft des adeligen Pfandnehmers vergleichbar. Diese Exemtion des Adels trug eine, wie Matthes bemerkt,832 „standesmindernde Wirkung auf das öffentliche Ansehen des abgeteilten Fürsten“ in sich. Demgegenüber kommt der Zuordnung wenigstens der niederen Lehen zu dem versorgten Fürsten eine standessichernde Funktion zu. Diese Lehnsherrschaft dürfte für die spätere Aufnahme der Harburger Linie, nach Ottos Tod, in die Gesamtbelehnung nicht ohne Belang gewesen sein.833
828 (…) sloß Harburgk mit aller seiner in und zubehorunge, wie dießer zeit Marqwart von Hudenberge und Warner von Borthfelde und hir bevor Cordt von Althen unde Aschen von Mandelßlo dasselbige von uns pfandweise innehaben und gehabt. 829 S. 37. 830 Dieser Vorbehalt der regierenden Linie, den im Amt Harburg ansässigen und begüterten Adel in ihrem Lehnsverband zu belassen, wird noch bestärkend weiter ausgeführt: Otto soll nicht in die Rechte und Privilegien der in Harburg begüterten und ansässigen, aber weiterhin zum Fürstentum Lüneburg gehörigen Geistlichen und Adeligen eingreifen. Freiwillige Dienste zu Gunsten Ottos wurden dem in Harburg ansässigen Adel jedoch gestattet. 831 Was auch von geistlichen, burgeren und bawrn lehenen und zum ampte Harburgk gehorig sein und kunftig bey S.L. (Otto) leben ledig fallen wurden, dieselbigen zu vorlehenen sollen S.L. macht haben und vorbehalten sein. 832 S. 39. 833 1566; dazu unten B.V.2.
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Neben dem Amtsbezirk Harburg mit seinen Nutzungen erhielt Otto auch ein Jahrgeld von 1.500 Gulden834 und einige weitere nutzbare (Viehschatz, Forstrecht) und solche der fürstlichen Lebensweise entsprechenden (Jagderlaubnis außerhalb des Amtsbezirkes) Rechte. Was aber Otto trotz stetigen Drängens in den Verhandlungen um den Vertrag und auch darüber hinaus, bis etwa 1533, nicht erhielt, war eine dauerhafte Versorgung seiner Nachkommenschaft, kurz: die Erblichkeit von Abfindungsgebiet und -rente. Sein Regierungsverzicht bezog ausdrücklich auch seine Nachkommenschaft mit ein; lediglich ein subsidiäres Erbrecht wurde dieser eingeräumt; die Abfindungsleistungen wurden nur Otto persönlich zugedacht; und schließlich sollte nur seine Witwe eine lebzeitige Rente von 400 Gulden jährlich bekommen. Jeder Sohn hingegen würde sich mit einer Einmalzahlung von 3.000 Gulden, also etwa einer doppelten Jahrgeldsrate, jede Tochter gar mit einem Heiratszuschuss von nur 1.500 Gulden begnügen müssen. Der Konflikt der Celler Hauptlinie mit eventuellen Erben schien vorprogrammiert. Diese Beschränkung der Abfindung weithin auf die Generation, die Person des Vertragsschließenden unterscheidet die Harburger Regelung von späteren Abfindungsvereinbarungen im mittleren Hause Lüneburg, den Abteilungen Gifhorns und Dannenbergs. Damit entfaltete die Unebenbürtigkeit seiner Ehe mit Metta von Campen auf den Vertrag Ottos mit der Celler Hauptlinie ihre Wirkung. Matthes drückt es drastischer aus: „So bedeutete die Beschränkung der Harburger Abfindungsrechte auf die Lebzeit seines Inhabers nicht mehr und nicht weniger, als dass sich Herzog Otto selber die Unebenbürtigkeit seiner eigenen Kinder bescheinigen ließ.“835 Unebenbürtigkeit vermochte die Rechtsstellung der Nachkommen, die aus solchen ungleichen Ehen entstammten, in Standes- und Erbfragen zu beeinträchtigen.836 Unebenbürtigkeit konnte dem Anspruch auf eine fürstliche Ausstattung – oder, wie es der Vertrag von 1527 selbst formuliert, eine Ausstattung, damit der Ausgestattete eynen ziemlich furstenstandt und sich zu erhalten habe – entgegenstehen. Allerdings ist zu bedenken, dass die Ausgestaltung des Prinzips der Ebenbürtigkeit schon im Spätmittelalter regionalen Unterschieden ausgesetzt war837 und überdies seine Gel834
Dies entsprach der Höhe nach etwa der Hälfte der Amtseinkünfte. Diese betrugen nach D. Matthes, S. 35, rund 5.000 lübische Mark; die 1.500 Gulden entsprechen etwa 2.250 lübischen Mark. Matthes weist ferner darauf hin, dass 1.500 bis 2.000 Gulden jährliche Zuwendung in der ersten Hälfte als eine Art Richtsatz oder Pflichtteil erscheinen, wenngleich dieser auch nicht schriftlich, gar hausgesetzlich fixiert war. Zudem übernahm die Hauptlinie noch eine Reihe von detailliertest beschriebenen Sachleistungen und einen Baukostenzuschuss. 835 S. 42. 836 Mit der Frage der Ebenbürtigkeit oder gleichsam andersherum der Frage der Missheirat haben sich eine Fülle von Autoren befasst, gerade Vertreter des so genannten Privatfürstenrechts (dazu: D. Willoweit, Art. „Privatfürstenrecht“, HRG III, Sp. 1966 – 1970), etwa: J. St. Pütter, Primae Lineae, S. 82 ff.; ders., Über Mißheirathen teutscher Fürsten und Grafen, Göttingen 1796; H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, A. W. Heffter, Die Sonderrechte der souveränen und der mediatisirten Häuser Deutschlands, Berlin 1871; ders., Beiträge zum deutschen Staatsund Fürstenrecht, Berlin 1929; O. v. Dungern, Das Problem der Ebenbürtigkeit, 1905. 837 Während der Sachsenspiegel Fürsten und Schöffenbarfreie im Eherecht als ebenbürtig betrachtete, sah der Schwabenspiegel in seinem Ständeaufbau nur konsequent – Ehen zwischen
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tung und Folgen einem zeitlichen Wandel unterlagen. Insbesondere seit römisches Rechtsdenken, dem eine solche Wirkung ungleicher Ehen fremd war,838 Aufnahme in die Rechtspraxis fand, verlor der Grundsatz der Ebenbürtigkeit seine grundsätzlich allgemeine Anerkennung.839 Lag also die Vorstellung von der Unebenbürtigkeit und ihrer Rechtsfolgen der allein personalen und daher temporären Qualität der Abfindung Ottos rechtfertigend zu Grunde, trug sie zugleich auch den Keim des Konfliktes, die rechtliche Angreifbarkeit der gefundenen Regelung in sich. Und genau hier wird Ottos gleichnamiger Sohn nach dem Tod des Vaters angreifen und einen Anspruch auf fürstliche Versorgung gegen die Celler Hauptlinie erheben. cc) Die Abteilung Gifhorns 1539 In der Hauptlinie führte allein Ernst die Regierungsgeschäfte. Bald nach seiner Rückkehr vom kursächsischen Hof, wo er seine Erziehung genossen hatte, drängte sein jüngerer Bruder Franz im Herbst 1536 auf Absonderung eines eigenen Hofhalts mit entsprechender Ausstattung.840 Ernst führte gegen diese Forderung über seinen Kanzler Johann Förster841 und seinen Hofrat Balthasar Klammer842 allerley treffliche Ursachen an.843 Im Ergebnis vermochte er aber, Franz nur einstweilen umzustimmen. Am 23. Dezember 1536 – Franz war ein Monat zuvor volljährig geworden – verständigten sich die Brüder, noch bis Ostern 1538 in gesamter Haus- und Hofhaltung sitzen zu bleiben.844 Franz wurde eine (Wohn-)Kammer im Schloss Celle eingeräumt. Und Hochfreien und Mittelfreien als Missheiraten an, vgl. H. J. F. Schulze, Erb- und Familienrecht, S. 7. Das Reich hielt es mit dem Schwabenspiegel, wie aus dem Reichsspruch Rudolfs zum Erbrecht „zur ärgeren Hand“ von 1282 zu ersehen ist (MGH Const. III 306; L. Weinrich, Bd. 1, Nr. 44). 838 H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 386. 839 Seit dem 16. Jahrhundert nahm daher der Adel häufiger Ebenbürtigkeitsklauseln in seine Hausverträge auf, um sich gegen Standeserhöhungen, die vor kaiserlichen Gerichten erstritten werden konnten, zu schützen; D. Matthes, 43. Im Welfenhaus wurden solche Klauseln aber erst im 19. Jahrhundert verwandt. 840 W. Siebarth, S. 105, mit den Belegen, auch zum Folgenden; ferner zu Franz und seiner Beteiligung am väterlichen Erbe W. Havemann, Bd. 2, S. 135 ff.; H. Schmidt; A. Eckhardt, 21 ff. 841 Johann Förster, Fürster oder auch Furster, Lizentiat, folgte seinem Bruder Dr. Ludwig Förster, dem ersten graduierten Laien im Kanzleramt im Fürstentum Lüneburg, in diesem Amte nach (H. J. v. d. Ohe, S. 17; zu Johann Förster auch A. Eckhardt, S. 19). 842 Zu Person, Leben und Werk: A. Eckhardt, S. 5 – 130. 843 Ernst verwies darauf, dass die Aufhebung der Gesamtregierung die Gläubiger veranlassen würde, ihre Darlehen zurückzufordern und damit das Land in genzlichen Verderb verfiele; auch litte darunter des Fürstentums Estimation und Achtung bei Kaiser, Freunden, Nachbarn und Untertanen; ferner würden der Underthanen Gemüter zertrennet; es schwankten die ungefestigten Besitzverhältnisse in der Herrschaft Homburg und der Einfluss gegenüber der ungehorsamen Lüneburger Bürgerschaft; und schließlich: Aller Kosten Haus- und Hoffhaltung, Canzley, Rethe und Regierungen würden geduppelt. 844 HStAHann., Celle Br. 44, Nr. 564 I.; zum Inhalt im Einzelnen auch: W. Havemann, Bd. 2, S. 135.
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mag er nach dem Vertrag auch als Mitregent gegolten haben, die Regierungslast oblag allein Ernst; durch ihn sollte die Ausfertigung der fürstlichen Verordnungen erfolgen. Für die Regelung der Nachfolge Heinrichs des Mittleren, das Austarieren der Beteiligungsquoten an seinem Nachlass war dieser Vertrag nur von sehr begrenzter zeitlicher Wirkung. Einen Markstein bildet er aber für die Verwaltungsgeschichte des Fürstentums Lüneburg und – für die Frage der Versachlichung, der Entpatrimonialisierung von Herrschaft, der Ablösung des Fürstentums von der Person des Fürsten von erheblicher Bedeutung – für die Scheidung zweier Finanzverwaltungen, zweier Vermögensmassen, des fürstlichen „Privat“-Vermögens, später Schatulle genannt, und der öffentlichen Zentralkasse des Landes. Mit der Vereinbarung der Gemeinschaftsregierung – genauer: Gemeinschaftshaushaltung – wurde ein umfassendes Verzeichnis der Einnahmen und Schulden, eingeschlossen der Pfandschaften, erstellt. Es wurde ein „rechtlicher Mann“ zum gemeinen Rentmeister bestellt, der am Ende jedes Quartals die Rechnungsbücher vorzulegen hatte. Damit sollten ebenso wie mit der Verabredung, dass jeder Bruder über nicht mehr als 20 Pferde zu verfügen habe, die Kosten auf ein festes und überschaubares Maß zurückgeführt werden. Dieser Rentmeister sollte Ernst aus der Rentkammer ein jährliches Handgeld von 2.500 Gulden und Franz eines von 1.500 Gulden zahlen; Ernst erhielt deshalb mehr, da er seine Gemahlin und Familie zu versorgen hatte. Ziel dieser Bestimmung fester Einkünfte der brüderlichen Mitregenten mag sicherlich ihre Transparenz und Vergleichbarkeit gewesen sein, um beiderseits den Verdacht des Missbrauchs der Einkunftsquellen, der Eigenwirtschaft am anderen vorbei auszuschließen. Mit dieser Errichtung einer Rentkammer845 und der Zahlung aus dieser in ein rein persönliches Vermögen des Fürsten wurde aber zugleich – und dies ist das Zukunftsweisende – aus der bisherigen allgemeinen ungegliederten Kasse, des Fürsten Kammer, „eine zentrale öffentliche Rechnungsstelle des Fürstentums“, eben die Rentkammer, in die nun alle Einnahmen aus den Ämtern, Vogteien, Zollstätten und anderen Einkunftstiteln des Fürstentums fließen und die Ausgaben für Regierung und Hofhaltung bestritten werden sollten, ausgegliedert; der Kammer verblieb die Funktion des sich nun bildenden fürstlichen Schatullvermögens.846 Damit waren zwei Vermögensmassen geschaffen. Sie sind – mag ihre Scheidung, wie gesagt, auch in diesem konkreten Fall andere, weniger gewichtige Ziele verfolgt haben –, wie v. d. Ohe bemerkt, beredter Ausdruck der sich durchsetzenden Auffassung der Verschiedenheit eines fürstlichen „Privat“und eines „öffentlich-staatlichen“ Bereichs. Der Fürst mit seinem Schatullvermögen erscheint geradezu als Gehaltsempfänger des Fürstentums. Andererseits mag die Ausscheidung der Schatulle aus der allgemeinen, nun Rentkammer geheißenen Rechnungsstelle auch durch ständische Kontrollmöglichkeiten befördert worden sein. Den Schatzverordneten der Landschaft verblieb allein die Beaufsichtigung der Bewegun-
845 Das genaue Datum der Einrichtung der Rentkammer steht nicht fest; sie fällt in die Jahre 1536/37. 846 H. J. v. d. Ohe, S. 20, 33 ff.; G. Scheel, S. 753.
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gen der Rentkammer.847 Allerdings vollzog sich diese Scheidung nicht sofort und kategorisch; fürstliche Kammersekretäre nahmen Aufgaben der Rentkammer wahr; auch finanzierten die Herzöge noch lange Aufgaben, die eigentlich der Rentkammer oblagen, aus ihrem Vermögen.848 Schon im ersten Jahr der Vertragslaufzeit verweigerte Ernst die Zahlung der 1.500 Gulden Handgeld durch den Rentmeister an Franz, so dass dieser sich veranlasste sah, sein Absonderungsbestreben wieder aufzunehmen. Aber erst im Jahre 1539 fanden ernsthafte Verhandlungen um eine dauerhafte Auseinandersetzung der Gemeinschaft statt, die zwischen Franz und auf Ernsts Seite von Johann Förster und Balthasar Klammer geführt wurden.849 Dabei waren diese beiden Räte in der misslichen Lage, als Diener beider Herzöge handeln zu müssen. Die Standpunkte der Brüder, ihre jeweiligen Verhandlungsziele, sind nicht so einfach auszumachen. Sie werden weder von Siebarth noch von Eckhardt ganz eindeutig herausgestrichen,850 sie änderten sich wohl auch im Verlauf der Auseinandersetzung. Franz wollte wohl durchweg weder die Gesamtherrschaft über das Fürstentum, mit der selbstverständlich die Last verbunden war, Ernst fürstlich abzufinden, auszustatten, noch eine hälftige Teilung. Vielmehr strebte er von Anfang an eine Absonderung eines schuldenfreien Herrschaftsteiles an. Kern seines Vertragsangebotes war Gifhorn, dazu einige andere Ämter sowie Barzahlungen; dagegen wollte er die 1527 mit Otto von Harburg vereinbarte Versorgung dessen Nachkommen übernehmen; auch sollte Ernst die schon von den Ständen bewilligte Schatzung auch in dem ihm zufallenden Gebiet sowie 10.000 Gulden in bar erhalten. Diesen Vorschlag lehnte Ernst ab. Er wünschte einen Gleichlauf von Aktiva und Passiva: Eine Teilung des Landes, wenn auch von Franz gar nicht, jedenfalls nicht in gleiche Teile, gewünscht, müsse auch eine Teilung der Schulden nach sich ziehen. Sein Vorschlag an Franz lautete zunächst, Franz solle statt seiner die Gesamtregierung in Celle haben, wenngleich auch mit allen Lasten. Ein weiterer, wohl späterer Vorschlag ging dann auf vollständige Teilung. Als Franz aber darauf einging, meldeten Ernsts Räte Vorbehalte gegen eine hälftige Teilung an: die Gerechtsame an den Städten Braunschweig und Lüneburg wie auch die Anrechte an Homburg seien unteilbar. Förster und Klammer trugen nun Ernsts Angebot an Franz heran, die Frage der Auseinandersetzung, das Ob einer Teilung vor Räte und Landschaft des 847 Seit 1495 nachweislich erfolgte die Überwachung der Steuereinnahmen und -ausgaben durch Schatzverordnete, die zwar in unterschiedlichem Maße dem Landesherrn sowie der Landschaft verpflichtet waren, über die die Stände jedenfalls ihren Einfluss auf die fürstliche Finanzverwaltung zu wahren wussten, vgl. umfassend U. Lange, Landtag und Ausschuss, S. 138 ff. 848 H. J. v. d. Ohe, S. 20. 849 Zu der folgenden Auseinandersetzung Ernsts mit Franz W. Havemann, S. 136 f.; ausführlich W. Siebarth, S. 70 ff., 106 ff.; H. Schmidt; kritisch zu Siebarth, obschon chronologisch weit weniger schlüssig: A. Eckhardt, S. 21 ff. Dabei ergreifen die Autoren jeweils Partei für ihre „Hauptfiguren“: Siebarth für Franz und Eckhardt über Klammer für Ernst. 850 A. Eckhardt, S. 21 ff., ordnet zunächst Franz den Willen zur Teilung und Ernst und seinen Räten die Verteidigung der Integrität zu, um dann Ernst und seine Mitstreiter zu Protagonisten der Teilung zu gleichen Rechten und Pflichten werden zu lassen.
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Fürstentums zu bringen, dan sie beide (Förster und Klammer) als zwen frembde gesellen sollte das furstenthumb Luneburg teilen, welches nit geteilt were reich, dieweil es ein furstenthumb gewesen, das were ihnen hoch zu bedenken und beschwerlich.851 Sowohl diesen Austrag durch die Stände als auch, wie weiter von Ernst vorgeschlagen, durch Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen lehnte Franz ab. Nach einigen weiteren wechselseitigen Vorschlägen einigten sich die Brüder mit dem Vertrag vom 4. Oktober 1539.852 Grundlage dessen und möglicherweise Anstoß für Franz, sein ursprüngliches Ansinnen der Absonderung nun wieder aufzunehmen und umzusetzen, war ein genaues, von Förster, Klammer und Simon Reinecke, einem geistlichen Rat Herzog Ernsts, aufgestelltes Verzeichnis, das alle freie einkommen und nutzungen aller ampter und closter gelegt und summirt.853 Gegen die erbliche Überlassung – in dieser Erblichkeit bestand ein wesentlicher Unterschied zur Vereinbarung mit dem Harburger Otto – von Schloss, Flecken und Amt Gifhorn, von Schulden und Pfandschaften befreit, mit aller Obrigkeit und unbeschränkter Verfügung über die in diesem Gebiet belegenen geistlichen Güter sowie dem Kloster Isenhagen, einer Zahlung von 10.000 Gulden, Silbergerät zu einem Wert von 3.000 Gulden verzichtete Franz für sich und seine Erben auf das Fürstentum, auf die Anrechte an den homburg-eversteinischen Gütern und auf anderweitige Erwerbsaussichten. Ernst hingegen verblieb das Fürstentum mit allen auf seinen Ämtern haftenden Schulden in Höhe von etwa 300.000 Gulden. Das Verhältnis der Celler Hauptlinie, des Fürstentums, zur abgesonderten Herrschaft Gifhorn entspricht weithin demjenigen zur Harburger Linie Ottos.854 Franz erhielt keine eigene Stimme im Fürstenrat des Reiches. Der im Gifhorner Teil ansässige Adel besuchte weiterhin die allgemeinen Landtage. Dem 1535 in Uelzen errichteten Hofgericht blieb auch das abgeteilte Gebiet unterworfen. Ob Franz die Berechtigung zukam, die ritterlichen Lehnsgüter in seiner Herrschaft zu vergeben, geht aus der Urkunde nicht hervor.855 Franz durfte ohne Wissen und Zustimmung aus Celle keine Bündnisse und Verträge schließen. Ebenso wenig durfte er von seinem Abfindungsgut etwas veräußern oder verpfänden; eine Ausnahme bestand für Notfälle, in diesem kam aber der regierenden Linie ein Näherrecht zu. Die Reichweite des Verzichts auf das Fürstentum durch Franz fand ihre Grenze in dem Vorbehalt eines Eventualerbrechts. Franz sollte in dem Fall, dass Ernsts Linie aussterbe, noch vor der harburgischen Linie in die Gesamtherrschaft nachfolgen. Wie wenig diese allein vertraglich vereinbarte oder abgesicherte, überdies mit der im Verhältnis der Hauptlinie zur Har851
Zitiert nach A. Eckhardt, S. 21 f. (Sonnabend nach Michaelis) HStAHann., Celle Or. 6, Nr. 16; Entwurf: HStAHann., Celle Br. 44, 564 I. 853 Zitiert nach A. Eckhardt, S. 23. 854 So auch D. Matthes, S. 37 ff., nach einem genaueren Vergleich der Verträge. W. Siebarths, S. 72, Begründung seiner Auffassung, beide Abfindungen seien unvergleichbar, geht fehl. Es trifft nicht zu, dass Otto anders als Franz für den Fall, dass die Hauptlinie erlösche, nicht für die Nachfolge im Gesamtfürstentum bestimmt sei, siehe oben im Haupttext nach Anm. 58. 855 W. Siebarth, S. 71, nimmt dies an; D. Matthes, S. 39, Anm. 121, hegt Zweifel. 852
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burger Herrschaft getroffenen Abrede nicht in Einklang zu bringende – auch Ottos Linie war ein Eventualerbrecht auf das Fürstentum eingeräumt worden, das nun im Rang hinter das der Gifhorner Linie zurückfallen sollte –, Sicherung des Erbrechts der Seitenverwandten, des dynastischen Interesses gegen den Heimfall des Lehens, hier auch des Vorrangs einer Nebenlinie vor der anderen, wert war, für wie wenig tauglich eine solche vertragliche Begründung noch erachtet wurde, zeigt eine dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, der 1540 von den Brüdern Ernst und Franz als Schlichter angerufen worden war, zugeschriebene Sentenz. Er riet an, dass Franz nicht von den Verpflichtungen gegenüber dem Reich freigestellt werden sollte: dan sollte Herzog Franz und seiner Lieb Erben nit allewege in die gesamte Lehen bracht, auch durch Kay. Majt. Der Vertrag nit confirmiret werden, so könnte sich zutragen, do Herzog Ernst und seiner Lieb Stam verfiele – do Gott lang vor sey – das Herzog Franz und seiner Lieb Erben des Widderfalls halben ganz ausgeschlossen würde.856 Auch empfahl der Schlichter weiter, sicherlich auf Vorlage seiner gelehrten Räte hin, dass Franz die Huldigung der Landschaft des gesamten Fürstentums einholen sollte. Es wird also auch noch des überkommenen Sicherungsinstituts der Gesamthuldigung, also der gleichsam fiktiv aufrechterhaltenden Gesamtherrschaft, gedacht. Vorrang in der Begründung und Sicherung des Kollateralerbrechts kommt aber eindeutig dem gemeinsamen Empfang des Gesamtlehens, der Aufnahme in das Gesamtlehen, und der kaiserlichen Konfirmation hausvertraglicher Regelungen zu. Das Sukzessionsrecht, die zeitgenössische Vorstellung einer Sukzessionsordnung war feudal geprägt; sie war lehnrechtlich aufgebaut und ausgestaltet. Allein der Bezug zu Reich und Kaiser vermochte es danach, die Erberwartung der Seitenlinie, wie auch immer sie begründet sein mochte, gegen Angriffe anderer Erbprätendenten zu sichern. Und Franz jedenfalls beherzigt diesen Rat des sächsischen Kurfürsten auch: er beauftragte einen Gesandten, um Konfirmation der Vereinbarung beim Kaiser nachzusuchen. Da aber der Gesandte verstarb, blieb ihm, wie er 1541 seinem Bruder schrieb, das Gelingen seiner Bemühungen verborgen.857 Hintergrund der Anrufung eines Schlichters war, dass Franz sich übervorteilt wähnte. Darüber, was alles, welche Gefälle, zum Amte Gifhorn gehörte, bestanden unterschiedliche Auffassungen. Franz meinte, nach seiner unmittelbar auf den Vertragsschluss folgenden Abreise nach Leipzig hätte die Hauptlinie eifrig Amtsgüter nach Celle gelegt. Nachdem ein Einigungsversuch auf dem Landtag im Schott zu Hösseringen im August 1540 gescheitert war, gelang es dem zur Schlichtung von den Brüdern berufenen sächsischen Kurfürsten im November 1540, den Streit in Zerbst zu schlichten. Unter anderem nahm Franz den Rat des Kurfürsten an, sich nicht von den Reichspflichten freistellen und sich von den Ständen huldigen zu lassen, im Hinblick auf die Sicherung des Widderfalls. Dazu kam es aber nie. Franz starb 856
Zitiert nach W. Siebarth, S. 71. Dieser Brief ist abgedruckt ebd., S. 117 ff. Dass auch Ernst das Bestätigungsverfahren beim Kaiser betrieb, erscheint danach möglich, denn Franz Gesandter Dr. Philipp Lange war von diesem neben dem Gesandten Ernsts, Dr. Nicolaus Holstein, beauftragt, umb beurtte Confirmation anzusuchen und anzuhalten. 857
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1549 söhnelos und Gifhorn wurde wieder vollständig in das Fürstentum Lüneburg eingegliedert. dd) Die Regelungen der Nachfolge Herzog Ernsts des Bekenners in der Celler Hauptlinie in den Jahren 1555 und 1559 Drei Jahre zuvor war Ernst gestorben. Er hinterließ vier unmündige Söhne: Franz Otto, Friedrich, Heinrich und Wilhelm. Otto von Harburg und Franz von Gifhorn weigerten sich beide, die Vormundschaft für ihre Neffen zu übernehmen. So musste eine Verhandlung zur Regelung der Vormundschaft, die kurz nach dem Tod Ernsts in Lüneburg stattfand und zu der neben den Brüdern des verstorbenen Herzogs auch der sächsische Kurfürst Johann Friedrich, der Landgraf von Hessen und der Herzog von Mecklenburg geladen waren, mit dem mageren Ergebnis vertagt werden, dass die nächsten zwei Jahre, bis Franz Otto das achtzehnte Lebensjahr vollenden würde, die Regierung in dessen Namen von Befehlshabern und Räten fortgeführt werden sollte. Es folgten für das Fürstentum bedrohliche, kriegerische Jahre, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich von allen Seiten her Gläubiger des hoch verschuldet verstorbenen Fürsten meldeten.858 Schließlich bestellte der Kaiser 1548 den Erzbischof Adolf von Köln und dessen Bruder, Graf Otto von Schaumburg, zu Vormündern. Diese Vormünder setzten, federführend war wohl der Kölner Erzbischof, unter Mitwirkung der lüneburgischen Landschaft eine im Namen der gnädigen jungen Herren amtierende Regierung ein. Diese – späterhin – vier Männer führten unter dem Titel Statthalter und Räte die Geschäfte des Landes.859 Kurz bevor Franz Otto das 25. Lebensjahr vollendete, wurde ihm 1555 auf einem Landtag auf dem Schott bei Hösseringen die Regierung angetragen, nachdem die Statthalter und Räte vor der Landschaft Rechenschaft abgelegt hatten. Sich zunächst sträubend willigte Franz Otto ein, vorläufig für die kommenden sieben Jahre die Regentschaft, unter Mithilfe der Hofräte, zu übernehmen.860 Franz Otto starb aber bereits 1559. Die einzig noch lebenden Söhne Ernsts des Bekenners, Heinrich und Wilhelm, griffen jetzt aber keineswegs zur Regierung, gar in Konkurrenz zueinander. Immer noch war keine endgültige Nachfolgeregelung, eine wie auch immer ausgestaltete Auseinandersetzung des väterlichen Nachlasses erfolgt. Franz Otto hatte, wie der nun errichtete Rezess es bemerkt, die Regierung auch für seine lieben Brüder Hein858
Zur Vormundschaftsfrage und den aus ihrer Offenheit erwachsenden Wirren H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 386; W. Havemann, Bd. 2, S. 460 ff.; A. Eckhardt, S. 34 ff. 859 Ende Juli 1548, nachdem Franz Otto 18 Jahre alt geworden war, wurde zunächst ein Rezess mit der Landschaft über die neue Regierung geschlossen, abgedruckt bei A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 169 ff. Der Statthalter war Thomas Grote, Balthasar Klammer der Kanzler und Jörg v. d. Wense der Großvogt; später trat Dr. Joachim Möller als Hofrat hinzu. Die Vormünder, der Kölner Erzbischof und der Graf zu Schaumburg, setzten ihrerseits die Regierung Anfang August 1548 ein. Genauer beschrieben werden die Ämter, ihre Inhaber und Aufgaben von H. J. v. d. Ohe, S. 20 ff. 860 W. Havemann, Bd. 2, S. 468.
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rich und Wilhelm getragen. Und auch 1559 wurde lediglich eine Interimslösung erzielt. Diese fanden die Brüder auch nicht miteinander im Beistand einiger abgeordneter Räte anderer Fürsten, wie es Jacobi in seiner Vorbemerkung zu dem Rezess vornehm auflöst. Wortlaut und Diktion der Urkunde lassen eher ein Diktat dieses Beistands zur Übernahme und Ausgestaltung der Regentschaft erkennen. Die Abgesandten der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, der Graf zu Schaumburg persönlich sowie die Lüneburger Räte kamen am 12. Juni 1559 mit Vertretern der Landschaft zusammen. Die auswärtigen Fürsten haben, wie und welcher gestalt Ihr F.G. die Regierung ihres Fürstentums annehmen und führen sollten, damit es Ihren F.G. selbst und Ihren Landen und Luthen zu guten gedeye, und Rum gelangen mögte, mit genandten Churfürstlichen Räthen und Graffen zu Schaumburg berathschlaget, und mit denselbigen auch Ihre F.G. Räthen undt Landschafft vereiniget und verabschiedet, wie in dem Rezess niedergelegt.861 So wenig, wie ein Machtstreben der beiden Fürsten bei Übernahme der Regierung zu erkennen ist, so wenig konnten sie ein solches auch nach dem nun aufgestellten Programm entfalten. Nach der Kernregelung, dass sie die Regierung für fünf Jahre gemeinsam innehaben sollen, werden ihnen sogleich Statthalter und Räte, die Ihnen die Mühe und Sorge helffen tragen, zur Seite gestellt, die, wie es ausdrücklich heißt, mehrfach in der Woche hinzuzuziehen sind. Diese Räte sind die tatsächlich Regierenden im Fürstentum. In wichtigen Sachen soll außerhalb gemeinen Raths nichts gehandelt; man soll die Sachen bis zum verordneten Rathstagen verschieben. Die beiden Fürsten müssen sich bei den Statthaltern und Räten, auch den Haupt- und Amtleuten erkundigen, bevor sie etwas entscheiden wollen, ob zuvor in solchen Sachen etwas gehandelt, oder wie es darumb gestalt sey, damit sich ferner darnach zu richten haben möge. Ohne Zuziehung und Zustimmung der Räte dürfen Heinrich und Wilhelm kaum etwas. Sie sind zu befragen, wenn Bündnisse und Dienstverhältnisse eingegangen, wenn Darlehen aufgenommen, wenn es verkauft, versetzt oder vergeben werden soll. Ja sogar: Wolte auch ein oder beide Fürsten sich verehlichen, so sollen sie darinnen Ihrer Herrn und Freunden Räthen Rath auh gebrauchen, damit Sie also Freyen das es Ihren F.G. rühmlich und Land und Leuthen nützlich sein mögen. Also auch die Eheentscheidung dürfen beide nicht frei treffen. Ganz eindeutig kommt die Machtverteilung im Lande bei der Regelung der Folgen eines Dissenses zum Ausdruck: Weichen die beiden Fürsten in ihren Auffassungen voneinander ab, geben die Räte den Ausschlag. So aber die Fürsten in Sachen daran dem Lande oder sonst gelegen einerley, Aber Stadthalter und Räthe einer anderen Meinung weren, so sollen vier die fürnehmste und Elteste Räthe erfordert, und Ihnen die Sache mit ihren Umständen und beider Theil bedencken angezeiget, und welchem dieselben beyfallen werden, sol vor eine beschließliche Meinung gehalten werden. Die Fürsten können sich also auch gemeinsam nicht über die Statthalter und Räte hinwegsetzen. Dieses abhängige Verhältnis der Fürsten spiegelt sich auch in ihrer finanziellen Ausstattung wider. Zunächst wird ihre Haus- und
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Abgedruckt ist dieser Landtagsabschied bei A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 214 ff.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Hofhaltung beschränkt – etwa die Anzahl der Pferde. Darüber hinaus werden sie auf ein noch zu bemessenes Handgeld verwiesen.862 ee) Die Neugestaltung der Harburger Abteilung im Jahre 1560 Die Abteilung der Harburger Linie erledigte sich nicht, wie im Vertrag von 1527 vorgesehen, mit dem Tode Ottos I. 1549. Franz von Gifhorn nahm sich der Sache dessen gleichnamigen Sohnes an und trat den vier Räten der vormundschaftlichen Regierung der Celler Hauptlinie, als diese die Übergabe des abgetretenen Amtes einforderten, entgegen. Er erreichte noch vor seinem Tod einen Aufschub für Otto II., bis dieser aus dem Ausland zurückkehren sollte. Zurückgekehrt sicherte sich Otto II. für die Auseinandersetzung mit den Celler Räten die Unterstützung zweier am römischen Rechtsstoff geschulter Juristen, des Hamburger Ratssyndikus Dr. Franz Pfeil, unterstützt von dem dortigen Ratssekretär Andreas Spieß, und des Syndikus der Stadt Lüneburg, Dr. Johann Dutzenradt.863 Diese rieten dem jungen Herzog, die ausgeschriebene Abfindungssumme nicht anzunehmen, den väterlichen Vertrag anzufechten, damit seine Standesminderung zu beseitigen und einen angemessenen Teil des Gesamtfürstentums Lüneburg als Ausstattung einzufordern. Angriffspunkt musste die Grundlage der Beschränkung der Absonderung Harburgs auf Person und Lebzeit Ottos I. sein: die Unebenbürtigkeit der Ehe Ottos I. mit Metta von Campen und der daraus für die Frage der Ausstattung gefolgerte Ausschluss der Abkömmlinge einer solchen ungleichen Ehe, die Behandlung dieser Kinder der niederen Stellung der Mutter gemäß. Den Ansatz gegen diese auf überkommener heimischer Rechtsanschauung fußender Regelung bildete die römischrechtliche Auffassung, nach der die Rechtsstellung der Kinder an dem Rechte des Vaters auszurichten war. Beide Parteien ließen juristische Gutachten anfertigen. Otto II. begründete seine Forderung auf ein Drittel des Gebietes der Hauptlinie und ein Fünftel des Gifhorner Herrschaftsbereichs des mittlerweile verstorbenen Herzogs Franz, seinem Ansatz entsprechend, damit, dass ein erblicher Regierungsverzicht des Vaters insofern nicht zulässig gewesen sei, als das römische Recht die Kinder dem Stande des Vaters gemäß behandele. Dem begegneten die Celler Räte unter Hinweis auf die Besiegelung des Vertrages durch die Landschaft und auf Sätze des mittelalterlichen Lehnrechts. Schließlich fügten sie ein Billigkeitsargument hinzu: Ernst habe mit viel Mühe und ohne Zutun der Harburger Linie den Zustand des Landes erheblich verbessert, nun wollte diese aber an den Früchten beteiligt werden. Otto I. beschränkte sich nun in seiner Forderung auf die Abteilung der Ämter Harburg, Moisburg und Winsen an der Luhe. 1550 einigte man sich, einstweilen den für den Vater Ottos begründeten Zustand beizubehalten. Erst 1555 unternahm Otto II. einen neuerlichen Vorstoß. Zum 862 Und weil dann die Fürsten etzliche sonder Diener, Pferd und Knecht haben, und allerley auf Ihren eigenen Leib bedürffen, so soll Ihren F.G. ein gewiß Handgeld verordnet, darüber auch keiner soll zufordern haben, wie des bey dem Rentmeister soll Verordnung geschehen. 863 Zu den Verhandlungen zwischen Otto I. und der Hauptlinie vor allem D. Matthes, S. 60 ff.
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einen bemühte er sich bei der Lüneburger Landschaft und dem neuen Regenten der Hauptlinie, Franz Otto, um eine abschließende Vereinbarung zu seinem Bestreben. Zum anderen versuchte er beim Kaiser, seine Aufnahme in die Gesamtbelehnung zu erreichen. Beide Unternehmungen blieben erfolglos. Der Kaiser mochte nicht ohne Einigung der Vettern untereinander gleichsam selbstständig über die Belehnung entscheiden. Franz Otto verwies den Harburger an das Reichskammergericht. Doch rieten seine juristischen Berater dem Herzog von einem Prozess dort ab. Erst nach dem Tod Franz Ottos kam es dann zu einer dauerhaften Einigung zwischen Otto I. und der Hauptlinie mit dem Vertrag von 1560.864 Darin wird einleitend der Vertragsschluss von 1527 beschrieben, wobei bemerkenswert ist, dass nicht Ernst Otto I. derart mit Harburg abgefunden habe, dass Harburg aus dem Gesamthaus ausgeschieden worden ist. Vielmehr schimmert eine Vorstellung vom Vorrang des Erstgeborenen durch, wenn diese Auseinandersetzung als eine Übergabe des Fürstentums Lüneburg mit allen seinen Zugehörungen durch Otto, den Ältesten, an Ernst und Franz unter Vorbehalt Harburgs für sich dargestellt wird. Mit diesem Vertrag seien Ottos II. Forderungen nach einem Drittel des Fürstentums und einem Fünftel Gifhorns abgeschnitten gewesen. Gleich zu Beginn der Neuordnung der Auseinandersetzung des Lüneburger Patrimoniums wird der Hauptstreitpunkt, der Anlass zur Anfechtung durch den jüngeren Otto ausgeräumt: Otto erhält Harburg und Moisburg für sich und seine männlichen Leibeslehnerben; das Abteilungsgebiet ist erblich. Seiner Forderung nach Zuteilung auch des Amtes Winsen wurde nicht entsprochen. Die Zusammensetzung von Bargeldzuweisungen einerseits und zugewiesenen Einkunftsquellen – Ämter, Gefälle und dergleichen – andererseits wurde nach einer genauen Bestandsaufnahme vor dem Vergleichsschluss und in Anbetracht der Erfahrung der Harburger mit der Zahlungsmoral der Celler Linie neu geordnet. Entsprechend der Zuweisung Moisburgs wurde das Jahrgeld deutlich, auf 400 Gulden, gekürzt; zum genauen Abgleich wurden noch einige Gefälle Otto und seiner Linie zugeschlagen. Das Verhältnis der abgesonderten Linie zur Hauptlinie blieb in etwa das gleiche wie 1527 bestimmt. Die niederen Lehen sollten die Harburger vergeben. Schatzungen im Harburger Gebiet, die Ottos Linie zukommen sollten, waren von der Bewilligung der Landschaft des Gesamtfürstentums abhängig. Dagegen verzichtete Otto auf das Gesamtfürstentum und überlässt dieses in allen denkbaren Formen den Vettern Heinrich und Wilhelm. Er will sich aber nicht des naturlichen erblichen anfals und succession für den Fall begeben, dass Heinrich und Wilhelm beide ohne männliche Leibeslehnserben versterben sollten; er behält sich und seinen männlichen Leibeslehnserben die Eventualnachfolge im Gesamtfürstentum vor. Zur Sicherung dieses eventualen Kollateralerbrechts wird die Aufnahme der Nebenlinie – anders als noch 1527 – in das Gesamtlehen vereinbart.865 864
Abgedruckt bei D. Matthes, S. 94 ff. Und sollen die heuser Harburg und Moseburg in der lehensempfahung des gemeinen Furstenthumbs Lunenburg pleiben und Hertzog Heinrich und Hertzog Wilhelm und ihre erben in den lehensempfahungen, die sie von der Kay: Mat: und anderen selbs thun werden, furderen, das Hertzog Otto und seine leibslehenerben in denselbigen benennet und Ihnen die erbliche 865
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Mit den Söhnen Ottos II. erlosch die Harburger Linie. Seine zehn Söhne starben alle unbeerbt; der letzte, Wilhelm August, im Jahre 1642.866 ff) Die Abteilung der Linie Dannenberg von der Hauptlinie Celle im Jahre 1569 In der Celler Hauptlinie drängte nun wiederum, wie im mittleren Haus Lüneburg auch schon in den Jahren 1527 und 1539, der untergeordnete Mitregent auf Auseinandersetzung der Gemeinschaft. Und wiederum, wie schon 1527 und auch viele Male davor im Welfenhaus, war es eine Heirat, die die Gemeinschaft an Erbe und Regierung spaltete. Innerhalb der Gemeinschaft von Heinrich und Wilhelm am Fürstentum, wie sie in dem Rezess von 1559 festgehalten worden war, kam dem Jüngeren, Wilhelm, ein Vorrang zu.867 Er nahm Regierungsaufgaben wahr, während sich Heinrich weitgehend der Geschäfte enthielt. Auch hatten sich die Brüder geeinigt, dass allein Wilhelm heiraten und den Stamm fortsetzen sollte. Entgegen dieser Einigung – Wilhelm hatte bereits fünf Kinder – ging Heinrich 1569 die Ehe ein und verlangte deshalb eine Ausstattung. Dieses Motiv, diesen Anlass zur Auseinandersetzung Wilhelms und Heinrichs und zugleich ihre Rahmenbedingungen gibt die Arenga des zwischen den Brüdern am 10. September 1569 errichteten Auseinandersetzungsvertrages wieder:868 Nachdem wir ezliche Jahr ein mit einander in gesamter Regierung, Haußund Hoffhaltung gesessen, Aber uns nun Beede in den Stand der heil. Ehe begeben, derowegen die Gelegenheit nicht seyn wollen, ferner tu solchen samten zu seyn, wie aber auch unser und unsers Fürstenthumbs vermögen869 zweyerley Fürstlichen Regierung und Hofhaltung nicht ertragen magk, hat man sich unter Beistand des Fürsten Poppo von Henneberg, des Grafen zu Schaumburg sowie der LandRäthe und Ausschuß von der Landschafft auf eine Abtheilung geeinigt. Diese entspricht in etwa denjenigen von 1527 und 1539. Wiederum, wie 1560 für die Abteilung von 1527 beschrieben, überträgt der Ältere, wenngleich auch an den Regentschaft nur unmaßgeblich Beteiligte, dem Jüngeren den ihm gebürenden Antheil, Recht und Gerechtigkeianwartung nicht benommen werde, auch dergleichen bey I.F.G. vettern in derselbigen lehenempfahung zu geschehen mit allen fleis befürderen und weil Hertzog Heinrich zu Braunschweig hat in der jüngsten lehenempfahung Hertzogen Otten außgelassen, so wollen jetz alsbaldt Hertzog Heinrich und Hertzog Wilhelm derwegen an S.f.G. schreiben und bitten, S.F.G. wolle den lehenprief lassen umbmachen und Hertzogen Otten auch darinne benennen oder das S.F.G. eine declaration von der Kay: Mat: derhalben gegeben werden möchten. 866 Zu den Auseinandersetzungen um die Verlassenschaft des Harburger Zweiges des Lüneburger Hauses bis zur Einigung 1651 unten B.V.3.c). 867 Auch für das Folgende: H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 387; A. Eckhardt, S. 46 ff.; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 74. 868 Abgedruckt ist dieser Vertrag bei L. T. Spittler, 2. Teil, Beil. I; allerdings wird dort das Datum fälschlicherweise mit dem 13. September 1569 angegeben, dazu A. Eckhardt, S. 48, Anm. 27. 869 unser und unsers Fürstenthumbs vermögen – hier wird die seit 1536 fassbare Scheidung zweier Vermögensmassen deutlich: das den Fürsten persönlich zugeordnete Schatullvermögen und dem gegenüber die Rentkammer des Fürstentums.
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ten, an und in den Fürstenthümben Braunschw. und Lüneb. und dazu gehörigen Herrschaften Homburg, Eeberstein und Hoya usw. und behält sich demgegenüber dasjenige vor, was ihm abgeteilt wird, und ausdrücklich das Recht der Eventualsukzession in der Linie seines Bruders870 und auch den Fall wegen des Braunschweigischen Stammes. Von erblichen Erwerbungen der Lüneburger Hauptlinie will Heinrich also nicht ausgeschlossen sein. Dieser Vorbehalt wird noch einmal, und zwar ausführlicher, wiederholt und ausgedehnt auch auf die Wiedereinlösung der Herrschaften Homburg und Everstein.871 In diesem letztgenannten Fall soll Heinrich aber nicht unmittelbar an der Erwerbung beteiligt werden, sondern Haus, Stadt und Amt Hitzacker als Kompensation erhalten. Abgeteilt zur erblichen Ausstattung Heinrichs und seiner Nachkommen werden Schloss, Stadt und Amt Dannenberg sowie das Kloster Scharnebeck.872 Dieses Ausstattungsgut erhält Heinrichs Linie lastenfrei; soweit Schulden auf Dannenberg und Scharnebeck haften, übernimmt Wilhelm diese unter ausdrücklicher Namhaftmachung der einzelnen Gläubiger. Auch im Übrigen verbleiben sämtliche Schulden, Lasten und Obliegenheiten des Fürstentums, Reichs- und Kreisabgaben allein bei Wilhelm und seinen Erben. Das Verhältnis der Hauptlinie zur nun begründeten Nebenlinie entspricht demjenigen der Hauptlinie zur Harburger und zur – mittlerweile erledigten – Gifhorner Linie. Der im Amt ansässige und begüterte Adel blieb mit Schatzung und Landfolge dem regierenden Fürsten in Celle belassen.873 Heinrichs Linie soll sich an die Landordnung halten, ohne Wissen und Willen der Hauptlinie keine Bündnisse eingehen und keine liegenden Güter veräußern. Von den Untergerichten Herzog Heinrichs soll an das Hofgericht appelliert werden. Zur Bekräftigung des Vertrages, vor allem zur Sicherung des gegenseitig eingeräumten Eventualerbrechts, wird die Einholung der kaiserlichen Konfirmation des Vertrages durch beide Brüder verabredet.874 Eine weitere Sicherung des Vertrages 870 Umgekehrt wird freilich auch der Rückfall des abgeteilten Gebietes für den Fall, dass Heinrichs Linie aussterbe, vereinbart. 871 (Heinrich behält sich vor) (…) den erblichen Wiederfall, wan es der Almächtige also schicken wird, dass unser Bruder Herzog Wilhelm und Sr. Lb. mänliche Erben ohne MansErben tödtlich abgehen würden, das wir und unsere Mänliche Erben alßdann solches Erbfals genießen und unsers Bruders Land und Leuten mit allen ihren Rechten und Gerechtigkeit auf und an uns und unsere mänliche absteigende Erben fallen und vererben sollen, Auch wan unserm Brüdern und uns das Fürstenthumb Braunschweig, durch tödtlichen Abgang unserer Vettern zufallen würde, desselbigen wollen wir und unsere mänliche Erben, gleich unsern Brüdern Herzog Wilhelmen und seinen Erben gewertig und fehig sein (…). 872 Im Einzelnen dazu: M. Reinbold, Dannenberg. 873 (Heinrich erhält die Ämter mit allen Gerechtigkeiten) (…) nichts ausgeschlossen, denn allein die Schatzung und Landvolge, welche unsers Brudern (gemeint ist Heinrich) Unterthanen, gleich unsern Unterthanen uns (Wilhelm) geben und leisten sollen, auch dem Adel der in unsers Bruders Ambt seyn, welche uns auch mit Lehn und Pflichten und allen Rechten sollen zustehen. 874 Kaiser Maximilian II. bestätigte den Abteilungsvertrag am 21. Februar 1570 (H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 69 Anm. 66).
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durch den gemeinsamen Empfang des Gesamtlehens wird sicherlich insofern nicht verabredet worden sein, als beide bereits in der Gesamtbelehnung von 1566 erwähnt und erfasst werden.875
gg) Die Neuregelung der Abteilung Dannenbergs von 1592 Hatte Heinrich auch 1569 – abgesehen von dem Abteilungsgut – alle Rechte an und in dem Fürstentum an Wilhelms Linie Erblich und unwiederruflich übergeben, abgetreten und zugestellt, schien ihm dies schon bald unvorteilhaft und seine Ausstattung sowie Rechtsstellung verbesserungswürdig. Zudem hatte er sich auch eine Beteiligung an jedem erblichen Anfall vorbehalten; und 1583 und 1585 wurden dem Fürstentum Lüneburg Teile der Grafschaft Hoya und die Grafschaft Diepholz angegliedert.876 Heinrich wandte sich nach Wien an den Kaiser und erreichte, dass zwei Mal kaiserliche Kommissionen in Salzwedel zusammentraten. Über deren Zusammensetzung, Wirken und deren Ergebnis unterrichtet die Urkunde, die schließlich über die neuerliche Einigung zwischen der Dannenberger und der Celler Linie 1592 gefertigt wurde.877 Danach verhandelten die Gesandten der kaiserlichen Kommissare – unter ihnen der Kurfürst von Brandenburg und diejenigen, die die vom Kaiser, nachdem und weil hierzwischen Herzogen Wilhelmes zu Braunschweigk Leibs Blodigkeit eingefallen, zur Vertretung der Celler Hauptlinie bestellten Kuratoren, einerseits ebenfalls der Brandenburger Kurfürst und andererseits der Grubenhagener Herzog Philipp, entsandt hatten, nämlich der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog zu Mecklenburg sowie zwei gelehrte Juristen – mit Vertretern der Lüneburger Ritterund Landschaft sowie den Statthaltern und Räten des Fürstentums. Vor diesem Gremium, welches die grundsätzliche Einhaltung der kaiserlich konfirmierten Vereinbarung von 1569 reklamierte, breitete Heinrich seine Forderungen aus. Seine Abgesandten bestanden uf einer gleichmeßigen teillung (…), oder in ein ansehnliches und städliches an Embtern Zöllen, wie auch den halben Theil der erledigten Graffschaften Hoya und Diepholtz, ingleichen die Ritterschaft in denselben Ampten, wie auch Vergleichung der geistlichen Praebenden, In den Vier Stifften S. Blasii Ciriaci Bardowickische und Rameslohische. Halbherzig vorgetragen erscheint die maximal zu erreichende quantitative Steigerung seiner Ausstattung hin zu einer hälftigen Beteiligung am Patrimonium des Vaters, schiebt er doch sogleich eine gemäßigtere Forderung nach einigen Ämtern und Zöllen nach. Jedoch zielt sein Streben auf eine Aufwertung der Rechtsqualität seiner Erbportion. Mit der Zuordnung der in seinem Gebiet ansässigen Ritterschaft würden diese aus dem Landschafts- und Lehnsverband des bisherigen Gesamtfürstentums herausgelöst; eine eigene dannenbergische Landschaft wäre greifbar; ein Kernelement des Fürstentums wäre zu Gunsten Harburgs 875
Dazu unten B.V.2. Des Anfalls der Grafschaften Hoya und Diepholz wird auch in dem nun zu behandelnden Rezess von 1592 gedacht; zu dem Erwerb dieser Herrschaften durch das Haus Lüneburg: W. Havemann, Bd. 2, S. 480 f.; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 41 f., 62, 74. 877 Abgedruckt ist die Urkunde bei L. T. Spittler, 2. Teil, Beil. II. 876
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geteilt. Eine Mitvergabe der Pfründe der Braunschweiger Stifte bedeutete eine Beteiligung an dem symbolischen Kern des Welfenhauses und damit eine Gleichstellung mit den „großen“ welfischen Linien.878 Dannenberg wäre dann auf dem besten Wege vom Abfindungsgebiet zum Fürstentum. Dieses Ansinnen Heinrichs lehnten die Vertreter der Kuratoren und der Landschaft zunächst mit Hinweis darauf ab, ein solches sei nicht allein im Fürstl. Hause Braunschweig nie herkommens. Dem fügten sie ein Argument aus der zeitgenössischen Rechtslehre, der Regalienlehre, hinzu: besondern auch die regaliae und zur Regierung angehörige Pertinentien, darvon gar nicht getrennet, oder der jungen Herschaft und künftige regierenden Herrn879 etwas daran begeben.880 Allerdings sollte nunmehr dasjenige, was in den Ämtern Dannenberg und Scharnebeck noch Wilhelm reserviert sei, Heinrich genzlich zu genießen und zu gebrauchen zustehen. Überdies werden ihm die drei Ämter Hitzacker, Lüchow und Warpke mit allen Zubehörungen, außbeschieden aber der Ritterschaft und der Zölle auf der Elbe, zugedacht. Zur Auslösung der verpfändeten Scharnebecker Salzgüter wurden ihm 20.000 Gulden versprochen. Heinrichs Amtsbezirke sollen indes sowohl der gemeinen Schatzung zu des Fürstenthumbs und Landes notturft, als auch zu Reichs, Kreiß und dergleichen Hülfen unterliegen. Seine Forderung nach einem verbindlichen Anspruch auf Bewilligung einer Fräuleinsteuer wird zurückgewiesen, verbunden aber mit der Ankündigung wohlwollender Prüfung einer solchen Leistung. Ganz ähnlich wird sein Begehren nach Abordnung der Ritterschaft in den ihm zugedachten Ämtern beschieden: Zurückweisung, Weil die Ritterschaft bei den regierenden Fürsten und also unteilbar und unzertrent sein und pleiben wollen; dafür aber die Versicherung, dass sich die Ritter, wenn ihre Aufwartung von Heinrich be878 In Abgrenzung zur Dannenberger Linie werden dann im Fortgang der Urkunde diejenigen, die nach dem hergebrachten Turnus diese Pfründe vergeben, die regierenden Fürsten, eben nicht die abgefundenen Brüder und Söhne, genannt. 879 Die Celler Hauptlinie stand, nachdem Wilhelm, Heinrichs Bruder, nun schon seit Jahren in geistiger Umnachtung lebte, vor einem Herrscherwechsel. 880 Ausgangspunkt der diesem Argument zu Grunde liegenden Lehre ist die schon seit den ronkalischen Gesetzen lebendige Vorstellung der Regalität der fürstlichen und gräflichen Territorien, die die neuzeitliche Wissenschaft übernommen hat. In der Literatur des späten 16. Jahrhundert steht diese Regalienlehre, wie D. Willoweit, Rechtsgrundlagen, S. 47 ff., hier S. 55 (zur Regalienlehre im aufkommenden Ius publicum auch M. Stolleis, Geschichte, Bd. 1, S. 166 ff.), herausgearbeitet hat, „nicht als ein System einzelner Rechte neben den Versuchen, die Territorialgewalt selbst begrifflich zu formulieren, sondern sie erwächst unmittelbar aus dem Verständnis der Reichsterritorien als feuda regalia“. Zwar werden die regalischen Rechte nicht so verstanden, dass sie aus einem Begriff der höchsten Gewalt abgeleitet werden. Jedoch erscheinen sie nicht als bloße Kumulation heterogener Gerechtsame und so bildet das Regalitätsprinzip „eine eigentümliche Zwischenstufe auf dem Wege von der bloßen Sammlung persönlicher Herrschaftsrechte zum Souveränitätsbegriff Bodins“. So formuliert auch Ulrich Zasius in einem von D. Willoweit, Rechtsgrundlagen, S. 53, mitgeteilten Gutachten, dass der mit einem abgrenzbaren Territorium Belehnte – also der Empfänger eines feudum regale – im Zweifel Inhaber aller dort vorhandenen Rechtspositionen sei, in diesem konkreten Fall der dort befindlichen, umstrittenen Silberminen. Das feudum regale, die Landesherrschaft, geht damit eindeutig über die bloße Addition einzelner regalischer Rechte hinaus. Und diese einzelnen Rechte sind von dieser nicht abtrennbar, können vom Inhaber des feudum regale nicht aus diesem herausgelöst und entäußert werden.
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nötigt werde, alsdan so viel willig erzeigen und erweisen möchten. Ferner erachten die kaiserlichen Kommissarien gegenüber Heinrichs Forderung, der Appellation halben (…) die Volnstendige Administration der Justitien in seinen Ämtern haben und exerciren zu wollen, dass es aus vernünftigen Ursachen (…) bei wolverfaßter Lüneburgischer Hofgerichts-Ordnung sein Bewenden haben soll. Einer Gleichberechtigung zwischen Haupt- und Nebenlinie wird hingegen die Verfügungs- und Vertragsbeschränkung der Fürsten angenähert. Nunmehr ist nicht allein der Dannenberger Seite das Eingehen von Bündnissen und Veräußern von Rechtspositionen ohne Einwilligung aus Celle untersagt, vielmehr gilt dieser Konsensvorbehalt nun beidseitig. Schließlich soll – und darin wird die auch in dem Vertrag von 1569 durchscheinende, sich zunehmend verfestigende Vorstellung des natürlichen Vorrangs des Erstgeborenen ausdrücklich ausgesprochen – Heinrich für sich und seine Erben sich aller und jeder Ansprache, so dieselbigen ratione primogeniturae successionis und sonsten, zu dem ganzen Fürstenthumb Lüneburg, mit den angehörigen Herrschaften, Homburg Eberstein, Hoya, Diepholtz (…) allein den wiederfall vorbeheltlich begeben. Mittlerweile war Herzog Wilhelm, und zwar am 19. August 1592, gestorben und, wie noch darzulegen sein wird, sein Sohn Ernst an die Regierung gelangt. Dieser sah sich, wie es die Urkunde, gleichsam als Zwischenstand nach den Verhandlungen von Salzwedel, die noch in das Jahr 1591 fielen, noch einmal zusammenfasst, folgenden, deutlich verminderten Forderungen Heinrichs ausgesetzt: Erstl. daß uns anstatt der gesagten zwanzig tausendt Thaler, möchte das Haus und Ampt Bleckede, auch werden zugelegt und erfolget, zum andern, daß uns die zu den Zollen zu Hitzacker, die Zeit unsers Lebens verschriebene fünfhundert Thaler, erblich möchten geönt werden, Zum Dritten, daß uns zur Aussteuer unser Töchter und Fräulein möchte von gemeiner Landschafft eine Hülffe werden eingewilliget, Inmaßen zu Aussteuer unsers Brudern Töchter und Fräulein geschicht: Zum Vierden daß die Appellationes von unsern Unterthanen und Undergerichten an uns und nicht an die Regierung und das verordent Hofgericht , mochten ergehen, Zum Fünften, das wir die Probend. in den Stift S. Blasii und Cyrias binnen Braunschweig und den auch zu Bardewick und Rameßlohe, möchten mit haben zu verleihen. Und zum Sechsten und lezten, daß auch der Adell zu unsern zugetheilten Emptern gesessen, an uns und die unsern, zum aufwarten möchten werden gewiesen. Grundsätzlich einigten sich Ernst und Heinrich auf dasjenige, was die kaiserliche Kommission erarbeitet hatte; sie modifizierten aber deren Ergebnisse: Heinrich erhielt nicht Bleckede zur Ablösung der 20.000 Taler, sondern sogar 50.000 Taler bezogen auf das Haus Gümbse; die 500 Taler aus dem Elbzoll wurden erblich gestellt, allerdings ablösbar durch eine Einmalzahlung von 10.000 Talern. Auch drang Heinrich mit seinen Forderungen nach Bewilligung einer Fräuleinsteuer für den Fall der Heirat seiner Töchter und der Entbindung seiner Untertanen von der Appellation an das Hofgericht durch. Hinsichtlich des Ansuchens, an der Pfründevergabe beteiligt zu werden, erklärte sich Ernst gutwillig. Schließlich fand sich der Adel bereit, wenngleich er nicht verpflichtet sei und seien wolle, auch Heinrich und seiner Linie auf gnädiges Erfordern zur Aufwartung zu erscheinen. Heinrich erklärte daraufhin für
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sich, seine Söhne und Erben nun hinfürder Ichts weßüber zugeteilten Anpart und Anteill des Fürstenthumbs, In einige Wege, mehr oder weiter etwas fordern zu wollen, mit Ausnahme von 10.000 Talern auf den Fall mit Lippe. Diese Vereinbarung sollte vom Kaiser konfirmiert werden. Von den Ständen wurde sie auf einem Landtag zu Uelzen am 26. November 1592 genehmigt.881 In dem Abschied werden die drei Punkte, die der Landschaft so gar nicht behagten, noch einmal herausgestrichen: Die Einräumung einer Fräuleinsteuer, einer Appellationsexemtion und der Aufwartung durch den Adel in den abgeteilten Ämtern. Man habe gleichwohl zugestimmt, dass diese Punkte vollzogen werden, aber nur zwischen den Vertragsparteien. Gerade daraus erwachsende Schatzungen sollten für künftige Fälle der Abteilung unverfänglich sein. Als Grund der Zustimmung taucht wiederum der Vorrang, der einem Erstgeborenen zukam, auf; die daraus offensichtlich erwachsende starke Rechtsstellung: Herzog Heinrich sei viele lange Jahre mit Regierender Fürst und Herr und der Erstgeborner gewesen, zudem habe er Sich der Regierung gutwillig begeben. Die in der Nachbesserung des ersten Abteilungsvertrages Dannenbergs geschaffene Grundlage zu einem – weiteren – welfischen Fürstentum, einer eigenständigen regierenden Linie, nutzte Heinrich. Er baute eine eigene Zentralverwaltung mit Kanzlei, Hofgericht, Rentkammer und Konsistorium auf.882 Wenigstens im eigenen Sprachgebrauch hatte sich für sein Ausstattungsgebiet der Ausdruck „Fürstentum“ eingebürgert.883 Heinrich starb 1598. Unter seinen Söhnen wurde 1604 August von Julius Ernst, dem älteren der beiden, mit dem Amt Hitzacker abgefunden. Nach dem Anfall des erledigten Fürstentums Grubenhagen an die Celler Linie 1617884 wurde die Dannenberger Linie mit dem Amt Wustrow entschädigt. Gleichsam auf Umwegen, über das Fürstentum Wolfenbüttel, kam das Abteilungsgebiet Dannenberg, kamen die Ämter Dannenberg, Hitzacker, Lüchow, Wustrow und Scharnebeck im Zuge der Beendigung der Stadtfreiheit Braunschweigs 1671 zurück an die Celler Linie.885
881 Abgedruckt ist der Landtagsabschied bei L. T. Spittler, 2. Teil, Beil. III, und bei A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 327 ff. 882 Im Einzelnen: M. Reinbold, Dannenberg. Auch Otto II. bemühte sich, nach 1560 das fürstliche Ansehen seiner Familie, seines Abteilungsgebietes, wiederherzustellen und zu befördern; so erließ er etwa 1578 eine Hofordnung, zu den Bemühungen Ottos II. D. Matthes, S. 68. 883 M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 75. 884 Dazu unten B.V.3.b). 885 Dazu unten B.V.3.c).
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hh) Die Regelung der Nachfolge Herzog Wilhelms des Jüngeren in der Hauptlinie von 1592 Heinrichs Bruder Wilhelm, der Regent der Hauptlinie, war schon in den siebziger Jahren gemütskrank geworden und seit spätestens 1582 geistig völlig umnachtet. Eine von Kaiser Rudolf II. auf Drängen Heinrichs von Dannenberg eingesetzte Kuratel wurde von den Ständen zurückgewiesen. Diese betrauten ihrerseits den Grubenhagener Herzog Philipp II. mit der Verwaltung des Fürstentums.886 Allerdings findet dieser in der Urkunde zur Regelung der Nachfolge Wilhelms, dem Vergleich vom 27. September 1592 keinerlei Erwähnung.887 In der Arenga dieser Urkunde heißt es vielmehr, Wilhelm habe drei Jahre vor seinem Tode verordnet, dass seine Söhne Ernst und Christian, die beiden ältesten, neben den verordneten Statthaltern und Räten in seinem Namen die Regierungsgeschäfte mitverrichten sollten. Nach dem Tod Wilhelms verglichen sich Ernst und Christian für sich und ihre Brüder August, Friedrich, Magnus, Georg und Johann mit Rat und Wissen der Statthalter und Räte unter Beistand des Pfalzgrafen bei Rhein, der Abgesandten des Markgrafen zu Brandenburg, des Herzogs zu Mecklenburg und des Herzogs zu Schleswig-Holstein mit ihren Räten und der Landschaft, wie und welchergestalt die Regierung Ihres Fürstenthums ferner anzustellen und zuführen sei. Danach soll Ernst die Regierung für acht Jahre allein führen, alles das verrichten, das einem regierenden Fürsten zu thun gebühren mag. Jedoch ist er in Fragen von Fehde, Krieg und Verbündnis, auch der Verheiratung, an Wissen und Willen der Brüder und Rat der Räte und Landschaft gebunden. Seine Handlungen und Erklärungen sollen auch die Brüder, wie deren eigene, verbinden. Ganz in der Linie der Regierungsan- und auftragung an Heinrich und Wilhelm eine Generation zuvor, 1559, wird auch Ernst an die Mitwirkung der Räte gebunden: In wichtigen Sachen, an denen ihm, seinen Brüdern und Land und Leuten gelegen ist, will er nur mit Rath der Hoffräthe, auch so nöthig, der LandRäthe handeln und vor sich allein darin schließlichs und wirklichs nichts thun noch verrichten. Auch in für fallenden Sachen des Fürstenthums und deßelbigen Unterthanen mit den verordenten Stadthalter und Räthen Persönlich berathschlagen. Gleichzeitig wird Ernst angehalten, obschon mit Wissen und Rat der Statthalter und Räte, die Anzahl der Räte wie auch der Bediensteten und überhaupt den Haus- und Hofhalt möglichst gering zu halten; die Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltslage werden näher ausgeführt. Das Jahrgeld Christians und Augusts wird auf je 2.000 Taler, dasjenige Friedrichs auf 1.500 Taler festgesetzt.
886
W. Havemann, Bd. 2, S. 481 f. In dem Vergleich mit der Dannenberger Linie aus demselben Jahr (oben Anm. 110) erscheint der Grubenhagener Herzog als kaiserlich betrauter Kurator. 887 Abgedruckt ist der Vergleich bei A. L. Jacobi, Bd. 1, S. 312 ff.
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ii) Der Vergleich unter den Söhnen Wilhelms des Jüngeren von 1610 Auf acht Jahre hatten die übrigen Söhne Wilhelms 1592 die Regierung Ernst übertragen. Nach achtzehn Jahren kam es zu einer neuerlichen Vereinbarung unter den Brüdern. Anders aber als seit Havemann888 und Schulze889 immer wieder zu lesen ist, einigten sich die Brüder nun nicht darauf, die Regentschaft dauerhaft und endgültig bei Ernst und seinen Nachkommen zu belassen. Bestimmt wurde am 3. Dezember 1610 lediglich der Unterhalt der Brüder für die kommenden acht Jahre; zudem auch eine Absichtserklärung Ernsts an die Stände auch für die Zeit danach. Eingebunden in eine Vereinbarung Herzog Ernsts mit den Landräten und dem verordneten Ausschuss der gemeinen Landschaft – dieser war durch den Landtagsabschied vom 14. Juni 1610 eingesetzt worden – findet sich ein Vergleich Ernsts mit seinen Brüdern dahin, dass Christian, der nächstältere Bruder, sich als Bischof zu Minden mit den Einkünften dieses Stiftes zufrieden geben solle, und die übrigen Brüder, sich am vorigen Deputat-Geldern und Unterhalt auf Personen und Pferde, die nächst auf einander folgende Acht Jahre begnügen lassen wollen.890 Die Zahl der Pferde und Personen wird für jeden der fünf Brüder im Einzelnen genau angegeben. Dieser brüderliche Vergleich ist Teil einer umfangreicheren Zusage Ernsts an die Landschaft, in deren Namen und Vollmacht die Gegenseite handelt, als Gegenerklärung zu deren Bewilligung einer auf die kommenden drei Jahre angelegten Abgabe über insgesamt 105.000 Gulden lübischer Währung zur Abtragung der Schuldenlast des Fürstentums. Ernst erklärt darauf hin, die Untertanen von Hand- und Spanndiensten frei zu halten, die Polizeiordnung zu revidieren und zu beobachten, die Landschaft und Untertanen bei ihren Privilegien, Rechten und dergleichen zu belassen und ferner die Hofhaltung durch eben die fünf Brüder auf das festgesetzte Maß zu beschränken. Die viel zitierte Erklärung zur Unteilbarkeit des in Einherrschaft regierten Fürstentums fällt aus dem Bericht über den Vergleich mit den Brüdern, wie er in die Vereinbarung mit den Landräten und dem verordneten Ausschuss eingeschlossen ist, heraus, wenngleich diese Vereinbarung insgesamt auch von den Brüdern des regierenden Fürsten unterzeichnet worden ist. Offensichtlich hatte es darüber keine Abrede mit den Brüdern gegeben. Vielmehr verpflichtet sich Ernst den ständischen Vertretern gegenüber, sich nach Ablauf der acht Jahre, für deren Dauer die Deputatgelder seiner Brüder festgesetzt waren, mit diesen erneut über die Versorgung nach den dann gegebenen Möglichkeiten zu verständigen, damit dann die Brüder friedlich seien und keine Abteilung von Land und Leuten verlangten, sondern das Fürstentum und was dazu gehört bei Ernst und seinen Nachkommen in der Regierung, also stets bei einem regierenden Fürsten unzertrennt und unabgeteilt verbleibe.891 Ernsts Erklärung ist demnach eine Absichts888
Bd. 2, S. 489. Erstgeburt, S. 420; Hausgesetze, S. 399. 890 Abgedruckt ist dieser Rezess Ernsts mit den ständischen Vertretern bei A. L. Jacobi, Bd. 2, S. 48 ff. 891 Wörtlich heißt es: Nach Ablauff solcher acht Jahr aber, wollen Sr. Hertzog Ernstens F.G. sich mit Deroselben feundlichen lieben Brüdern der Deputat-Gelder auch der Diener und 889
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erklärung. Den Ständen und Ernst ist bewusst, woher die Gefahr für die Einheit des Fürstentums rührt: Unzureichend ausgestattete Brüder des regierenden Fürsten könnten eine – grundsätzlich ja denkbare – Abteilung von Landesbestandteilen verlangen. Deshalb wurden die Verträge zur Übertragung der Regierung auf Ernst, die ja keine endgültige Auseinandersetzung des Lüneburger Patrimoniums (Celler Linie) darstellten und die zugleich eine Maßfestsetzung für die Versorgung der Brüder enthielten, auf begrenzte Zeit geschlossen. Um Unzufriedenheit der Brüder mit ihrer Versorgung zu verhindern, sollte eine Anpassung an eine veränderte, vor allem verbesserte Ertragslage des Fürstentums offen bleiben. In der Urkunde von 1610 haben sich die Brüder noch nicht unmittelbar verpflichtet, keine Abteilung, keine Ausstattung mit Land und Leuten zu verlangen; offensichtlich wollten sie die Höhe der Festsetzung ihrer Versorgung in acht Jahren abwarten. Allerdings kommt die Aufnahme dieser Neufestsetzungsklausel zur Verhinderung von Teilungsbestrebungen einer Verpflichtung der Brüder zur Unterlassung solchen Verlangens sehr nahe. jj) Die erneute Einigung der Söhne Wilhelms vom 15. April 1611 Ernst starb, wenige Monate nach diesem brüderlichen Vergleich, am 2. März 1611. Ihm folgte in der Regierung der nun älteste unter den Söhnen Wilhelms, Christian,892 ohne dass dies offensichtlich einer besonderen Vereinbarung unter den Brüdern bedurfte. Mit ihnen errichtete Christian am 15. April 1611 unter Zuziehung der Hof- und Landräte sowie des Ausschusses der gemeinen Landschaft eine Vereinbarung über die Unteilbarkeit des Fürstentums unter immer nur einem regierenden Fürsten.893 Die Brüder und Vettern dieses allein regierenden Landesfürsten sollten nach Gelegenheit des Landes und dessen Zustands ohne jede Abfindung und Abteilung an Land und Leuten in anderem Wege ihren fürstlichen Unterhalt erhalten.894 BegrünPferde halber, nach Gelegenheit das Land durch würckliche Erlangung dessen, was an unterschiedlichen Oertern zu rechte gefordert wird, oder sonsten etwa zu der Zeit vermehret und verbessert seyn mögte, ferner freundlich vereinigen und vergleichen, damit dann Sr.F.G. freundliche liebe Brüder freidlich seyn, und durchaus um keine Abtheilung an Land und Leuten anhalten wollen, sondern das gantze Fürstenthum und angehörige Graffschaften soviel dessen anitzo verhanden oder in künfftig darzu kommen möchte, bey Sr. Hertzog Ernstens F.G. und Deroselben Successoren und Nachkommen in der Regierung, und es also stets und alle Zeit bey einem Regierenden Fürsten unzertrennet und unabgetheilet verbleiben soll. 892 Dies ist allein schon aus den Regierungshandlungen der folgenden Jahre zu ersehen – etwa dem Landtagsabschied vom 24. September 1614, den allein Christian unterzeichnet hat, abgedruckt bei A. L. Jacobi, Bd. 2, S. 68 ff.; vgl. auch W. Havemann, Bd. 2, S. 490. 893 Abgedruckt ist dieser Vergleich – eingebunden in die Urkunde seiner kaiserlichen Bestätigung vom 29. Oktober 1612 – bei A. L. Jacobi, Bd. 2, S. 62 ff.: (…) daß unser Fürstenthum und angehörige Graff- und Herrschafften, wie die anyetzo seyn, auch was an Land und Leuten klein oder groß noch mehr dazu kommen wird, und mag, nimmermehr getheilet werden, sondern stets und allezeit bey einem Regierenden Lands-Fürsten, deme es Rechts und der Natur wegen jederzeit gebühren will, alleine allerdings unzertrennet und unabgetheilet verbleiben (…). 894 (…) und die anderen Brüdere oder Vettere nach Gelegenheit deds Landes und deßen Zustandes, ohne einige Abfind- oder Abtheilung, an Land und Leuten in andere Wege, Ihren Fürstlichen Unterhalt daraus haben sollen (…).
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det wird diese Vereinbarung mit dem lehnrechtlichen Teilungsverbot Kaiser Friedrichs I. von 1158 und dem entsprechenden Willen der Celler Vorfahren, die keine Teilung, sondern nur eine Regierung haben wollten.895 Die durch den Vertrag erzeugte Verhaltensanordnung richtet sich nicht konkret individuell an die Vertragsschließenden. Die Brüder erscheinen sprachlich nicht, jedenfalls nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Regelungsgegenstand. Im Passiv konstruiert und daher im Adressatenkreis offen, eben generell, wird die Unteilbarkeits- und Einzelherrschaftsanordnung unter Verweisung der Nachgeborenen auf Barversorgungen formuliert. Die paktierenden Brüder streichen das Abstrakt-Generelle der Bestimmung sogar heraus, wenn sie sich als die anyetzo lebenden Brüder bezeichnen. Auch wird keine konkret-individuelle Nachfolgeregelung im Zusammenhang mit diesem programmatisch erscheinenden Postulat getroffen – etwa, dass Christian, der seit gut einem Jahr die Regierung führte, der regierende Fürst sein sollte. Damit hebt sich dieser Vergleich von vorangegangenen Unteilbarkeits- und Einzelherrschaftsabreden ab, die durchweg ganz konkret und individuell auf die Vertragsschließenden bezogen oder mit einem solchen individuell formulierten Regelungsgegenstand unmittelbar verbunden waren.896 Die paktierenden Söhne Wilhelms bescheinigen sich demgegenüber, dass sie sich, jedenfalls hinsichtlich der Bestimmung, den fürstlichen Unterhalt der Nachgeborenen, nicht zur Regentschaft Berufenen, auf anderem Wege als durch Abteilung zu bestreiten, bereits verglichen haben.897 Erscheint demnach der Vergleich von 1611 als eine Satzung, eine abgelöst von dem Vertragshorizont Verbindlichkeit beanspruchende Sukzessionsordnung, erzeugte sie indes auch unter den nun lebenden Brüdern schon Wirkung. Denn der zwischen diesen getroffene Versorgungsvergleich aus dem Jahre 1610 war zeitlich begrenzt auf acht Jahre abgeschlossen. Und so zeitlos die Vereinbarung anmuten mag, gibt doch schon die Betonung der Celler Linie in der Begründung der Vertragsanordnung einen ersten Hinweis auf das konkrete, eben zeitliche, Regelungsziel. Noch deutlicher wird die Urkunde, wenn sie auf itzo angezogenes Herkommen in Unserm Fürstenthum Lüneburg hinweist. Dieses Herkommen ist eben gekennzeichnet von Abteilungen. In der großväterlichen Generation wurden Harburg und Gifhorn und in der väterlichen Dannenberg von der Celler Hauptlinie zumindest unter Ertragsgesichtspunkten abgetrennt. Eines lässt sich dem Vertrag von 1611 indes nicht eindeutig entnehmen, nämlich wer der jeweils regierende Fürst, nach welchem Gesichtspunkt er unter mehreren Söhnen auszuwählen sein soll.898 Dass ausschließlich der älteste Erbe, wie es Havemann899 und Schulze in seiner Bearbeitung der Hausgesetze900 aus der Urkunde her895 (…) auch unsere löbliche Vorfahren die Hertzoge zu Braunschweig und Lüneburg Zellischer Linie Christmilder Gedächtniß, bis heut dato keine Theilung eingehen oder verstatten, sondern nur eine Regierung haben wollen (…). 896 Vgl. etwa 1355, 1374, 1535. 897 (…) wie dann anyetzo lebende Brüdere Uns deswegen albereit auf gewisse Maße mit einander verglichen (…). 898 So auch H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 420. 899 Bd. 2, S. 490.
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auslesen wollen, oder der älteste Bruder, wie es Matthes901 angibt, in die landesherrliche Gewalt nachfolgen soll, steht in dem Vertrag nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich. Zwar mag man hinter der Kennzeichnung des jeweiligen Landesfürsten als einem, deme es Rechts und der Natur wegen jederzeit gebühren will, das Primogeniturrecht, die Anordnung, jeweils der Älteste solle nachfolgen, vermuten. Ein natürlicher Vorrang des Erstgeborenen begegnet immer wieder in Fragen der Sukzessionsbehandlung im 16. Jahrhundert. Diesem Verständnis, der Hinweis auf Natur und Recht determiniere die Nachfolgerauswahl, steht aber die Gewissheit der Brüder entgegen, dass jederzeit die Nachfolgere in der Regierung sich gleicher gestalt – gemeint ist: im Vergleichswege –, zu aller Billigkeit werden finden lassen. Wozu bedürfte es aber der Suche und der anschließenden vergleichsweisen Findung eines Nachfolgers, wenn dieser nach der in dem vorliegenden Vertrag gefundenen Ordnung feststünde? Auch die kurze Referierung des Vertragsgegenstandes von 1611 in der kaiserlichen Konfirmation dieses Vergleichs von 1612 erwähnt eine Primogenituranordnung mit keinem Wort. Gleichwohl gingen die Brüder von einem solchen Verständnis, einer solchen Vertragsgrundlage offensichtlich aus,902 wie die nachfolgende Praxis belegt: Nach Christians Tod 1633 rückte der nächstältere Bruder August nach, der wiederum 1636 von dem viertältesten Friedrich in der Regierung beerbt wird.903 Die Form der Sukzessionsbewältigung, das auf mehrere Söhne kommende Patrimonium auseinanderzusetzen, wurde nicht gewählt. Die immer währende Gemeinschaft unter Vorrang des jeweils Ältesten wurde auch einer ebenso integritätswahrenden Auseinandersetzung zu Gunsten eines Einzelnen – ausgestaltet etwa in der Weise, dass dieser eine und vor allem die von ihm begründete Linie alleiniger Berechtigter an dem Nachlass sein sollte, wie es zum Beispiel 1535 in Wolfenbüttel vereinbart worden war, oder in der Weise, dass eine Linie in die zentrale Regierungsgewalt allein nachrückt und eine andere Linie nur an den übrigen, nunmehr als untergeordnet erfassten Rechtspositionen und auch nur in vermindertem Umfang beteiligt wird, wie etwa 1527 und 1549 geschehen – vorgezogen. Die Söhne Wilhelms des Jüngeren blieben unabgeschieden in Versorgungsgemeinschaft. Keiner aus dieser Generation wurde zu Gunsten eines Abkömmlings eines von ihnen aus der Nachfolgekette ausgeschlossen. Die Regentengewalt wurde von Bruder zu Bruder weitergereicht. Mit diesem „kollektiven“ Konzept der Integritätswahrung stimmt die weitere Maßnahme, die Teilungsge900
S. 399. S. 47. 902 Friedrich, der viertälteste Sohn, der in Celle von 1636 bis zu seinem Tode 1648 regierte, spricht dies auch einer Instruktion für seinen Neffen Christian Ludwig vom 24. Mai 1644 ausdrücklich aus: Daferne nun des Pacti Unionis so Anno 1611 auffgerichtet und darin stabilirten Juris Primogeniturae (…) (abgedruckt bei L. Hugo, Beil. Nr. X). Und auch G. W. Leibniz versteht in seinem etwa 90 Jahre später verfassten „Extract der kurzen deduction in p8 primogeniturae“, Bd. 5, S. 104 f., die Verträge vom 3. Dezember 1610 und 15. April 1611 als eine Ausdehnung des bis dahin auff Zell und Zugehöhr allein gerichteten Primogeniturrechts auf alles, was noch ferner hinzukommen möge. 903 Vgl. die Stammtafel der Celler Herzöge bei D. Matthes, im Anhang, allerdings fehlt unter den Söhnen Wilhelms des Jüngeren Herzog Magnus. 901
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fahr wie die Kostenlast für das Fürstentum gering zu halten, überein. Nur einer sollte heiraten und den fürstlichen Stamm fortsetzen dürfen. Diese „Aufgabe“ kam aber keineswegs dem jeweils Regierenden unter den Brüdern zu, sondern demjenigen, dem das Los zufiel. Dies war, zu Zeiten, als Christian noch die Regierung führte, Georg, der zweitjüngste, der sich 1617 vermählte und die Celler Linie fortsetzte.904 d) Grubenhagen bis zu seinem Erlöschen 1598 Die aus der Teilung Albrechts und Heinrichs von 1481905 erwachsenen Herrschaftsbereiche vermochte Philipp, der jüngste Sohn Albrechts, wieder zu vereinigen, nachdem sein Vater im Jahre 1485, sein ältester Bruder Ernst im Jahre 1496 gestorben, sein nächstälterer Bruder Erich 1508 Bischof zu Osnabrück und Paderborn geworden und schließlich auch Heinrich unbeerbt im Jahre 1526 verstorben waren.906 Philipp hatte in seinem um 1550 verfassten Testament für seine Söhne eine Nachfolgeregelung getroffen, die weithin derjenigen unter den Söhnen Wilhelms des Jüngeren in der Celler Hauptlinie des Fürstentums Lüneburg entsprach. Es wurde keine alleinregierende fürstliche Linie unter Ausschluss lediglich apanagierter Prinzen angeordnet, wie es in Wolfenbüttel seit 1535, bestätigt noch einmal etwa gut drei Jahrzehnte später im Testament Julius von 1582, Wirklichkeit war. Vielmehr verfügte Philipp, dass seine Söhne die Herrschaft, Ämter, Vorwerke und Vorräte in guter Achtung hielten, sie nicht trennen oder veräußern, sondern ordentlich verwalten und gebrauchen sollten, sie selbst eine ordentliche Küche halten, dem Ältesten die Regierung und Verwaltung der Lehen, wie unter Brüdern gebräuchlich und gewöhnlich, mit der anderen Brüdern Zustimmung überlassen sollten.907 Philipp starb 1551. Ernst übernahm als Ältester die Regierungsgeschäfte. Allerdings nahm er eine Fülle von Regierungshandlungen ausdrücklich auch im Namen seiner Brüder wahr; dazu gehörten auch, abweichend vom Inhalt des väterlichen Testamentes, die Belehnungen, ja auch die Inempfangnahme des Dienstes durch den 904
Von diesem Gelübde der Brüder wird in der Literatur allerdings nirgends unter Angabe einer Quelle berichtet: W. Havemann, Bd. 2, S. 492; H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 399; D. Matthes, S. 47; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 75 f., dort ohne Beleg, und S. 149, mit – unzutreffendem – Verweis, dieses Gelübdes sei den Verträgen vom 3. Dezember 1610 und 15. April 1611 zu entnehmen. Diese Verabredung eines Losentscheides steht im Übrigen auch der immer wieder vertretenen Auffassung, die Brüder hätten sich bereits unter dem 3. Dezember 1610 über eine Nachfolgeordnung geeinigt, entgegen; denn in der insoweit herangezogenen Erklärung wird auf einen Verbleib der Herrschaft bei Ernst und seinen Nachkommen verwiesen; einer solchen Nachkommenschaft war nun die Notwendigkeit des Losglückes Ernsts, das ihm letztlich nicht beschieden war, vorangestellt. 905 Dazu oben B.III.2.b). 906 Auch zum Folgenden: G. Max, Bd. 1, S. 320 ff.; P. Zimmermann, S. 52 ff., mit dem Hinweis, dass sich Erich allerdings auch nach 1508 noch gelegentlich aktiv an der Herrschaft in Grubenhagen beteiligte (S. 54); G. Pischke, Landesteilungen, S. 194 f.; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 66 ff. 907 Abgedruckt ist dieser Teil des Testamentes bei G. Max, UB, Nr. 127.
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Adel.908 In den folgenden Jahren stellte der Jüngste unter den Söhnen, ebenfalls Philipp geheißen, wieder Ansprüche auf einen Anteil am Fürstentum als Grundlage seines Unterhalts. Ganz in der Tradition grubenhagenischer Erbauseinandersetzungspraxis wurden Philipp 1558 und 1560 zwei Wohnsitze, Katlenburg und Salzderhelden, und 1562 mit Zustimmung des zweitjüngsten Bruders Wolfgang, weitere Unterhaltsleistungen zugewiesen.909 Als Ernst 1567 starb, folgte ihm der nun Älteste in der Generation, Wolfgang, nach. Aber auch er sah sich Ansprüchen Philipps ausgesetzt. Unter Vermittlung des Wolfenbütteler Herzogs Heinrichs des Jüngeren schlossen die Brüder am 2. November 1567 einen Vergleich zur Abgeltung der gegenseitigen Ansprüche.910 Danach überließ Philipp aus kindlichem Gehorsam gegenüber dem väterlichen Testament seinem Bruder das Regiment des Fürstentums. Weil aber außerhalb des Regiments beide Brüder zur Nutzung des Fürstentums und des väterlichen Nachlasses zu gleichen Teilen berufen seien, wollen sie die bewegliche Habe und die Schulden jeder hälftig übernehmen. Von dem Gebiet des Fürstentums erhielten Philipp Katlenburg, Grubenhagen und Rotenkirchen, Wolfgang Osterode und Herzberg sowie die Nutzung des Clausthaler Bergwerks. Verkäufe, Verpfändungen und Schuldaufnahmen bedurften der Zustimmung des jeweils anderen. 1595 starb Wolfgang; ein Jahr lang noch herrschte Philipp über Grubenhagen, bis mit seinem Tod diese bei weitem älteste Linie des Welfenhauses 1596 ausstarb. e) Eine Zusammenschau: Beschreibung und Bewertung der Lösungsmodelle Drei Lösungsmodelle für das zentrale monarchische Sukzessionsproblem, dass der verstorbene Fürst mehr als einen nachfolgefähigen Sohn hinterlässt, lassen sich für die welfischen Linien im 16. Jahrhundert beschreiben: (1) Eine klare, gewissermaßen moderne Linealprimogenitur unter, wie es diesem Modell inhärent ist, grundsätzlicher Ausschließung der Nachgeborenen und ihrer Linien – ein Eventualsukzessionsrecht verblieb ihnen –, abgefunden und versorgt mit einer auf den allgemeinen Landeshaushalt, das heißt nicht auf ein Versorgungsamt, bezogenen erblichen jährlichen Geldrente. Dieses überdies in einer Dauerhaftigkeit beanspruchenden Anordnung niedergelegte Anerkenntnis des absoluten Vorrangs des Ältesten unter Ausschluss der Ansprüche der Brüder und ihrer Nachkommen zu Gunsten der Integrität des Fürstentums und seines Haushaltes, der Kostenersparnis einerseits und der Erhaltung der Ertragsgrundlage durch Nichtabteilung von Einnahmequellen andererseits, wurde 1535 in Wolfenbüttel eingeführt, 1582 bestätigt und auch 1613 praktiziert.
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G. Max, Bd. 1, S. 346. Ebd., S. 358. 910 HStA Hann., Cal. Or 4 I, Nr. 26 I u. II; G. Max, Bd. 2, S. 371 ff.; G. Pischke, Landesteilungen, S. 194 f. 909
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(2) Die Abschichtung eines zunächst als untergeordneter Mitregent versorgten Bruders unter Erhalt eines eventualen Nachfolgerechts mit einem abgeteilten Gebiet, einem oder mehrerer Amtsbezirke zur Versorgung und zur Führung eines selbstständigen Haushalts an Stelle von Handgeldsempfang und Versorgung am Hofe des – zunächst nur vorrangig – regierenden Bruders. Diese Abteilung von untergeordneten Sonderherrschaften, veranlasst zumeist durch die Eheschließung des mitregierenden Bruders, war geradezu typisch für das mittlere Haus Lüneburg über zwei Generationen hinweg. Otto von Harburg, neu ausgehandelt von seinem gleichnamigen Sohn, Otto II., Franz von Gifhorn und schließlich Heinrich von Dannenberg – unter Aufbesserung seiner Versorgung nach gut zwei Jahrzehnten – wurden mit denjenigen Gebietsteilen ausgestattet, die ihre hier verwandten Namenszusätze ausweisen. Die Rechtsqualität des Abfindungsgebietes, die den abgefundenen Brüdern eingeräumten Befugnisse im Verhältnis zur Hauptlinie waren 1527, 1539, 1560 und 1569 in etwa die gleichen. Der abgeteilte Herzog erhielt eine den adeligen Pfandschlossinhabern vergleichbare Rechtsstellung. 1592 wurde diese Rechtsposition zu Gunsten Heinrichs von Dannenberg so erweitert, dass sie diesem die Grundlage zum Ausbau einer fürstlichen Herrschaft bieten konnte. Spätestens mit den Abteilungen wurde deutlich, dass die 1536, 1555 und 1559 ohnehin jeweils nur auf Zeit verabredeten Gemeinschaften lediglich Interimslösungen waren, dass eine dauerhafte Gemeinschaft an Regiment und Versorgung nicht durchzuhalten war. (3) Der dauerhafte Erhalt einer Versorgungs- und substantiell gewissermaßen auch Herrschaftsgemeinschaft unter fürstlichen Brüdern. Einem, dem Ältesten, wird das Regiment, zunächst auf Zeit, übertragen. Er ist bei Ausübung der Herrschaft aber in vielen Fragen an Zustimmung der nicht regierenden Brüder einerseits und an Rat und Zustimmung der Räte und Statthalter des Fürstentums andererseits gebunden. Die hinter den Regenten zurücktretenden Brüder hingegen werden auf den bloßen Empfang von festgesetzten Handgeldern und die Versorgung im gemeinsamen Haus- und Hofhalt verwiesen. Sie haben aber – dem indefiniten Charakter der Regelung entsprechend – eine abgestufte Aussicht auf die Herrschaft: Der jeweils Älteste folgt dem versterbenden Regierungsinhaber ohne weiteres nach, wenngleich dies nicht immer eindeutig schriftlich niedergelegt wurde. Die Trennung der Fragen nach Regierung und nach Versorgung – Regierung eines Einzelnen, wenngleich gebunden, einerseits und Versorgung in gemeinschaftlichem Haushalt andererseits – wird auch in der Perspektive der Stammesfortpflanzung beibehalten. Diese oblag nicht dem Regierenden, sondern einem durch Los unter den Brüdern zu Bestimmenden. Dieses kollektive Konzept der Integritätswahrung wurde in der Celler Hauptlinie unter den Söhnen Wilhelms des Jüngeren (†1592) praktiziert. In etwa vergleichbar war die Sukzessionsbehandlung in Grubenhagen 1551 und 1567. Jedoch wurde eine gemeinschaftliche Versorgung aus nicht gesondert zugeordneten Einkunftsquellen nicht „typenrein“ umgesetzt; dem Mitregenten Herzog Philipp waren von beiden
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Hauptregenten, Ernst und Wolfgang, konkrete Wohnsitze und Nutzungen zugewiesen. Jedenfalls eine Gemeinsamkeit weisen die drei beschriebenen Typen der Nachfolgebehandlung alle auf: eine vollständige, das heißt nach Kopfteilen proportionale Teilung der Fürstentümer fand nicht statt. Gefordert wurde diese Form der Auseinandersetzung des väterlichen Patrimoniums auch noch im 16. Jahrhundert. Wilhelm verlangte sie von Heinrich dem Jüngeren in Wolfenbüttel, ebenso wie Heinrich von Dannenberg von seinem Bruder Wilhelm dem Jüngeren von Celle. Oder aber sie stand als Lösungsmöglichkeit bei den Verhandlungen im Raum, wie in der Auseinandersetzung Ernsts des Bekenners mit Franz von Gifhorn 1539 – dort allerdings weniger als Forderung der einen an die andere Seite, denn eher als Drohung, war doch mit der Teilung des Landes auch die Teilung der Schulden verbunden. Gerade hier lag eine Quelle, aus der die Stabilität des Fürstentums, seine Widerstandsfähigkeit gegen dynastische Teilung gespeist wurde: das zentrale Thema für Fürst und Landschaft des 16. Jahrhunderts waren, ganz besonders im Fürstentum Lüneburg, die Schulden. Sie durchziehen wie ein roter Faden die Landtagsabschiede; sie waren die Triebfeder für den Erlass der Hofordnungen, der Kanzleiordnungen. Sie machten eine Teilung des Fürstentums nahezu unmöglich. Denn Teilung bedeutete zwei Hofhaltungen auf demselben Ertragsgebiet oder anders ausgedrückt eine Halbierung des ertragsfähigen Gebietes je Hofhalt. Vor allem aber machten sie eine Teilung unattraktiv. Teilung bedeutete neben der Beteiligung an den einkunftsträchtigen Rechtspositionen des Fürstentums auch eine Beteiligung an den gerade in diesem Zeitraum erdrückenden Schulden. Dies machte eine Abfindung deutlich erstrebenswerter; und so kam es darauf an, diese in möglichst großem Umfang zu erhalten. Ohnehin erscheint das Erheben der Forderung nach Teilung eher als Teil der Verhandlungstaktik, als Aufbau einer Drohkulisse, als Munitionierung für Vergleichsgespräche. Otto II. von Harburg schwenkte sehr zügig von seinem Teilungsbegehren auf eine vergrößerte Abfindung um. Und Heinrich von Dannenberg fügte bei den Nachverhandlungen nach 1569 seiner Forderung nach gleichmäßiger Teilung gleich schon das – weit realistischere – Verlangen nach einer Abteilung einer ansehnlichen Zahl von Ämtern hinzu. Der Anspruch auf gleichmäßige, proportionale Teilung war im 16. Jahrhundert in den welfischen Landen nicht mehr zu realisieren. Die Fürstentümer erscheinen hinreichend stabil, teilungsresistent. Auch die Abteilungen in Lüneburg 1527, 1539 und 1569 bedeuteten keine vertikale Zerteilung in zwei zwar quantitativ unterschiedliche, aber qualitativ weithin gleichwertige Gebietsteile, denn die zentralen fürstlichen Kompetenzen – Landfolge, Lehnsherrschaft, Besteuerung, höhere Gerichtsbarkeit – verblieben ungeteilt bei der Celler Hauptlinie. Bei den brüderlichen Auseinandersetzungen um das väterliche Erbe ging es und konnte es nur gehen um die Form und den Umfang der Abfindung. Dies zeigt das angesprochene Verhandlungsverhalten des Harburgers Otto II. wie des Dannenbergers Heinrich. Dies ist auch die zentrale Aussage des einer Sukzessionsordnung angenäherten brüderlichen Vergleichs von 1611: es soll nur einen Fürst über ein ungeteiltes Land geben und daneben in Geld abgefundene und versorgte Brüder.
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Diese Stabilität hatten die Fürstentümer vor allem über die Verfestigung ihrer Institutionen gewonnen.911 Der überkommene fürstliche Rat entwickelte sich zu einer ständigen Institution, von einem den Fürsten beratenden Gremium zu einer beschließenden, kollegial gegliederten Zentralbehörde unter Leitung des Kanzlers. Spiegel dieser Entwicklung sind die Hof- und Kanzleiordnungen dieser Zeit. Hinzutreten die Hofgerichtsordnungen, die Einrichtung von Hofgerichten, die nach römischem Recht zu urteilen hatten. Der Stabilisierung diente auch die Ausbildung des landesherrlichen Kirchenregiments. Schließlich wurde mit Ausgang des 15. Jahrhunderts in den Fürstentümern das Gesetz, die Gesetzgebung entdeckt; Landes- und Polizeiordnungen sind sinnfälliger Ausdruck dessen. Teil dieser Institutionen des Fürstentums war auch die gemeine Landschaft, zu der die Stände seit Ende des 15. Jahrhunderts zusammengefunden hatten. Stände und Beamte wirkten dabei vielfach zusammen; etwa in dem „engeren Ausschuss“, den Erich der Ältere von Calenberg der Regierung seiner Gemahlin testamentarisch zur Seite stellte und dem neben dem Kanzler auch Vertreter der Stände angehörten. Man könnte aus der Abstufung, dass der Celler Herzog Ernst in der Sukzessionsregelung von 1559 angehalten wird, zunächst immer die Hofräte und erst dann und nur nötigenfalls die Landräte hinzuziehen hatte, auf ein Herausdrängen des ständischen Einflusses aus der Politik des Herzogs, auf ein allmähliches Obsiegen der landesherrlichen Seite im Gegeneinander zu den ständischen Interessen schließen. Ist doch die begriffliche Scheidung in Hof- und Landräte ein Ausdruck dafür, dass der ständische Rat, der bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein alleiniger Ratgeber des Fürsten gewesen und dabei als gemischtes Gremium aus ständischen, vor allem adeligen, Vertretern und Beamten zwischen dem Landesherrn und der Landschaft stand und somit jedenfalls auch ständischen Einfluss verkörperte, nun von einem aus bürgerlichen Räten gebildeten Hofrat aus der Nähe der Fürsten verdrängt wird. Die adeligen Räte, die nun in Abgrenzung zu den Hofräten „Landräte“ genannt werden, mussten sich aus der Zwischenstellung des überkommenen Rates heraus allein auf die Seite der Landschaft schlagen.912 Indes betont dieses Verständnis den im Konzept des Dualismus von Landesherrn und Landständen erfassten Gegensatz zweier Sphären, zweier widerstreitender Interessen zu sehr; zu sehr insbesondere für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zudem ordnet es die gelehrten Räte zu einseitig dem fürstlichen Lager zu. Wenigstens in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die raren gelehrten Juristen nur durch Ausstattung mit Lehen zu gewinnen.913 Als Vasallen waren sie dann aber auch eng verbunden mit ihren Mitvasallen, den – ständischen – Rittern. Auch für Zeiten, als die Abhängigkeit der gelehrten Räte von ihren fürstlichen Herrn in Folge der wachsenden Zahl an den Universitäten ausgebildeter Juristen deutlich zugenommen hatte, ist der fürstliche Rat nicht einfach als Sachwalter allein fürstlicher Interessen zu beschreiben. Vielmehr kam ihm – wenigstens im 911
Für das 15. Jahrhundert: Oben B.III.3.b). Zum ständischen Rat im 16. Jahrhundert, zur Scheidung von Hof- und Landräten: H. J. v. d. Ohe, S. 11 ff.; W.-R. Reinicke, S. 38. 913 B. Krusch, Entwicklung, (1893) S. 218 ff., 231, 246 ff. 912
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Idealfall – die Stellung des Vermittlers zwischen Ständen und Fürst zu.914 Aber auch bei dieser Beschreibung muss berücksichtigt werden, „adeliges Widerstandsrecht einerseits und fürstliches Territorialinteresse andererseits“ nicht alternativ einander gegenüberzustellen. Als einen Indikator für seine Auffassung der Interessenverschmelzung, zumindest der zunehmenden Komplexität ihrer Bezogenheit aufeinander, führt Schubert die Beobachtung an, dass die Stände zur Beschickung des fürstlichen Rates mit eigenen Vertretern nachgerade gedrängt werden mussten.915 Im Streben um Verjüngung dieses Gremiums forderten die Räte Erichs II. von Calenberg 1551 die Stände auf, aus ihren Reihen Personen für dieses abzuordnen; dies wird, wie Schubert feststellt, nicht als Möglichkeit der Teilhabe, sondern als Zumutung verstanden. Umgekehrt lässt sich das Schatzkollegium, dessen Einsetzung ständisch initiiert auf Landtagen beschlossen ist, nicht allein als Vertreter ständischer Belange begreifen; auch diese Institution steht zwischen Fürst und Ständen.916 Der Gegensatz von Fürst und Ständen, von fürstlichen und ständischen Interessen, sofern dieser überhaupt als eine immer wieder klar bestimmbare Antinomie bestanden hat, beginnt sich aufzulösen in einer neuen Konstellation, in der die herrschaftlichen und ständischen Kräfte zusammenfinden – und aus der heraus sich ihrerseits wieder Interessen zu formieren und auszusondern beginnen. Hier ist die Scheidung einer geheimen von einer gemeinen Sphäre zu nennen: der Fürst zieht wieder einen engeren Kreis um sich, der sich von dem weiteren abgrenzt. Die neue Konstellation hat einen konkreten Namen: fürstlicher Hof. Dieser beginnt nun mit seinen schriftlich niedergelegten Verwaltungsstrukturen, seinen Hofordnungen, ganz konkrete Gestalt anzunehmen.917 Schubert stellt insofern treffend dem elliptischen Bild der Auffassung vom dualistischen Ständestaat, das mit zwei Brennpunkten, dem Fürst und den Ständen, die Struktur des Landes erklären will, die konzentrische Anordnung des Hofes gegenüber.918 Das Zentrum dieses Hofes bildet der Fürst. Seine Ordnung aber vermochte auch ihn zu binden, wovon die Sukzessionsregelungen von 1559 und 1592 beredtes Zeugnis ablegen. In der im Hof und seiner Normgebung sinnfälligen administrativen Verfestigung treten ständische und fürstliche Interessen und Institutionen zueinander in Verbindung. Diese Hinordnung beider Kräfte auf das neue Ziel der „guten Ordnung“ kommt auch zum Ausdruck, wenn Ernst gegen Ende des Vergleiches von 1592 erklärt, er werde mit Stadthaltern und Räthen auch daran alles müglichen Fleißes sein, damit bey Hofe alle Unordnung abgeschaffet und dagegen gute Ordnung gehalten und volführet, und darin Seiner F.G. Herrn Vaters Löblichen Hofordnung, wie auch sonsten
914
E. Schubert, Steuer, S. 46. Ebd. 916 U. Lange, Landtag und Ausschuss, S. 70 ff. 917 Für das Fürstentum Lüneburg sind die Celler Kanzleiordnung Wilhelms des Jüngeren von 1562 und die Fürstlich-lüneburgische Kanzlei- und Regierungsordnung Herzog Ernsts II. von 1592 zu nennen, zu diesen vor allem W. Ohnsorge, Fürst und Verwaltung, S. 152 ff. 918 Steuer, S. 47; kritisch zur Vorstellung vom dualistischen Ständestaat auch U. Lange, ständestaatlicher Dualismus; K. Krüger/E. Jung, S. 44. 915
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der Policeye und andern aufgericheten Ordnungen in allen und jeden puncten nachgelebet. Aber auch aus wissenschaftlichem Räsonnement gewinnt das Fürstentum an Stabilität. Aus dem im gelehrten Recht entwickelten Regalitätsprinzip ist das Postulat der Unteilbarkeit der feuda regalia und damit der Fürstentümer zu folgern. Dieses Argument wird 1592 Heinrichs Forderung nach einer gleichmäßigen, proportionalen Teilung des Fürstentums Lüneburg entgegengehalten. Zumindest sprachlich deutet sich nun hie und da – etwa in der 1527 verwandten Wendung notturft des Furstenthumbs – auch eine nahezu transpersonale, von der Person des Fürsten abgelöste Vorstellung vom Fürstentum, von einer diesem zukommenden eigenen Subjektivität an. Die angeführten Faktoren der Stabilität, der Integrität, sind auf das zunehmend institutionalisierte Fürstentum bezogen. In einem solchen musste sich das fürstliche Patrimonium nicht erschöpfen. Ein Fürst konnte durchaus zwei jeweils als Fürstentum zu bezeichnende Herrschaften innehaben. So fanden Calenberg und Göttingen erst unter Wilhelm dem Älteren nach dem Tod Ottos (Cocles) von Göttingen 1463, spätestens nach dem Tod Heinrichs des Friedfertigen von Braunschweig 1473, dann nach der Teilung von 1495 unter Erich I. zueinander. Freilich war im Hinblick auf die Forderungen der Lüneburger nach Beteiligung an der Göttinger Verlassenschaft die Herrschaft Erichs über Göttingen zunächst noch eine allein faktische, noch nicht gesicherte. Aber auch nach dem Ausgleich mit den Lüneburgern im Mündener Vergleich von 1512 blieben die beiden ehedem verschiedenen Herren unterstellten Herrschaften gesondert; beide Gebietsteile behielten noch bis zum Ende des 16. Jahrhunderts getrennte Verwaltungen: das Calenberger Land hatte sein eigenes Hofgericht, seit 1533 in Pattensen, und seine eigene Kanzlei in Neustadt am Rübenberge. Auch die Stände tagten in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts noch getrennt nach den Landesteilen. Die Stände des Landes Oberwald traten beim Kloster Steina in der Nähe von Northeim zusammen; diejenigen des Landes zwischen Deister und Leine in Hameln oder Pattensen. Insbesondere unter der zweiten Gemahlin Erichs des Älteren, Elisabeth von Brandenburg, der Tochter des Kurfürsten Joachim I., die Erich 1525 geheiratet hatte, bestand gestützt auf dem Rechtstitel der Leibzucht eine nahezu selbstständige Landesherrschaft im Göttinger Land. Ihr war die Residenz Münden mit dem Land Oberwald, zu dem die Ämter Münden, Sichelstein, Harste, Hardegsen, Friedland, Nienover und Lauenförde gehörten, verschrieben worden.919 Fürstentümer vermochten durch Teilung zu entstehen; Vereinigungen vermochten sie zu überdauern – wenigstens für einige Jahrzehnte. Die Stände Calenbergs und 919 Unter ihr lassen sich Ansätze zum Aufbau einer Hofverwaltung nach brandenburgischem Vorbild ausmachen; A. Brauch; zu diesem E. Schubert, Steuer, S. 10; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 81. Indes war sie es, die mit der Einführung der gemeinsamen Hofgerichtsordnung für Münden und Pattensen von 1544 nach dem Tod Erichs des Älteren die Grundlage für die Vereinheitlichung der Rechtsprechung in beiden Gebietsteilen legte, A. Brauch, S. 369 ff.
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Göttingens wurden erst 1540 vereinigt.920 Die Verwaltungen beider ehedem selbstständigen Fürstentümer, in Neustadt einerseits und in Münden andererseits, wurden gar erst nach dem Aussterben der Calenberg-Göttinger Linie mit Erich II. 1584 durch den neuen Wolfenbütteler Regenten Julius vereinigt: 1585 richtete dieser ein ungeteiltes Kollegium mit Sitz in Gandersheim, später Wolfenbüttel, ein.921 Wiederum vereinigte also ein Regent, Julius, seine Gebietsteile nicht sofort unter einer Verwaltung. Ein völliger Gleichlauf, gar eine Identität von Fürstentum und fürstlichem Patrimonium kann demnach nicht festgestellt werden. Wie verhielt sich aber Fürstentum zu Fürst und seinem Patrimonium? Das Fürstentum hat eine fassbare Gestalt angenommen; es lässt sich auch ohne Blick auf die Person des Herrschers, des zeitigen Inhabers, beschreiben, und zwar in Folge seiner Institutionalisierung weit klarer als noch im 15. Jahrhundert. Damit hebt es sich aus dem Patrimonium des Fürsten heraus, ist innerhalb dessen individualisierbar. Ein Fürst kann nun zwei oder drei Fürstentümer innehaben, ohne dass diese allein durch die gemeinsame Innehabung sofort ineinander verschmelzen würden. Allerdings setzte dann ein solcher auf Vereinigung und Verschmelzung gerichteter Prozess alsbald ein, wie es das Beispiel Calenberg und Göttingen zeigte. Noch wirkte also letztlich das fürstliche Patrimonium stärker als die Institutionen des Fürstentums. Diese waren ja auch auf den Fürsten als ihr Zentrum ausgerichtet. In diesen Zusammenhang gehört auch die Ausweitung des Primogeniturgedankens vom – einzelnen – Fürstentum auf das – gesamte – Patrimonium. Auch die möglichen Akquisita des Fürsten, die zum Zeitpunkt der Errichtung der Erstgeburtsordnung nicht zum Fürstentum wie auch Patrimonium gehörten, sollen von der Primogenitur erfasste werden. Die Primogenitur ist dann keine territoriale, sondern eine patrimoniale.922 Während 1535 die Primogenitur ohne Bezug auf eventuelle Erwerbungen der herrschenden Linie vereinbart und allein der Wolfenbütteler Landschaft zur Beschwörung und Besiegelung unterbreitet worden war, formulierte Herzog Julius sein Primogeniturgebot ausdrücklich auch für Neuerwerbungen; selbst in jede Fahrhabe sollte der Älteste sukzedieren. Dabei wird er nicht nur geleitet von dem Ideal der Wiederherstellung territorialer Einheit im Hause Braunschweig, also der Wiedervereinigung Wolfenbüttels mit Grubenhagen, Calenberg und Göttingen. Vielmehr sollen auch ehedem nicht welfische Graf- und Herrschaften, falls sie Julius Linie zufallen sollten, von der Primogeniturfolge erfasst werden.
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W.-R. Reinicke, S. 52; dazu auch E. Schubert, Steuer, S. 33. G. Scheel, S. 748; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 82 f. Dieses Bild von Eigenständigkeit mit der Tendenz zur Vereinheitlichung spiegelt sich auch in dem heutigen Sprachgebrauch für das von Erich beherrschte Gebiet wider: Einige spechen vom Fürstentum Calenberg-Göttingen im Singular (so etwa A. Brenneke und H.-W. Krumwiede, S. 133), andere von den Fürstentümern Calenberg und Göttingen im Plural (so etwa W. Havemann, Bd. 2, S. 408, und M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 76). 922 Dieser Prozess, der vor allem auch bedingt ist durch die Verankerung der Sukzessionsregelungen in den Landständen, ihrer Garantie durch die Landschaften, kennzeichnet das Ringen um die Primogenitur gerade im neuen Haus Lüneburg, der später kurfürstlichen hannoverschen Linie; unten B.V.4.b). 921
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In einer recht unscheinbaren Abrede deutet das Pactum von 1535 indes noch auf eine andere für das Verhältnis von Fürstentum und Patrimonium ganz wesentliche Entwicklungslinie hin: Während offensichtlich – ausdrücklich ausgesprochen wird dies nicht, es ist aber gerade wegen dieses Schweigens davon auszugehen – die Akquisitionen der regierenden Linie Heinrichs ohne weiteres in den Bestand der Rechtspositionen, die das Fürstentum bildeten, einschmolzen, wurde Wilhelms Linie, für den Fall, dass sie zur Herrschaft gelangte, nicht angehalten, eventuell zwischenzeitlich zugefallene Erwerbungen in das Fürstentum zu integrieren. Dies konnte dazu führen, dass in Wilhelms Linie nach Eintritt des genannten Falles eine Vermögensmasse außerhalb der Vermögensmasse „Fürstentum“ bestünde. Hier zeichnet sich die gewissermaßen komplementäre Entwicklung zur Versachlichung, zur Transpersonalisierung des Fürstentums ab: die Emanzipation des Fürsten vom Fürstentum. Der Gleichlauf, die Kongruenz von Fürstentum und Patrimonium werden aufgebrochen. Nicht mehr das ganze Patrimonium des Fürsten ist auch zugleich Fürstentum, sei es auch mitunter auf deren mehrere aufgeteilt. Die sachenrechtliche Zuordnung einer Rechtsposition zum Fürsten bedeutet nicht mehr zugleich die Zugehörigkeit zum Fürstentum als Rechtsmasse. Eindeutiger Ausdruck dieser Entwicklung ist die Entstehung von Schatullkassen der Fürsten in dieser Zeit. Mit der Gründung einer Rentkammer als zentraler Kasse des Fürstentums und deren Ausgliederung aus der fürstlichen Kammer, die nunmehr den Charakter einer „Privat“-Kasse oder – mit weniger bedenklichen Implikationen belastet formuliert – einer Schatulle annimmt, werden zwei Vermögensmassen gebildet.923 Der Fürst schaffte sich nun eine Kasse, eine Vermögensmasse, die ständischer Mitsprache und der Pflicht zur Tragung der Ausgaben von Regierung und Hofhaltung entzogen waren.924 Ein weiteres Indiz dieser Emanzipation: der Empfang festgesetzter Handgelder nicht nur durch die Nachgeborenen, sondern auch durch den regierenden Fürsten, wie er im mittleren Haus Lüneburg 1536 und 1559 vereinbart worden war. Mag auch noch immer – auch bis zum Ende des Alten Reichs – gelten, dass letztlich das fürstliche Patrimonium das Fürstentum in seiner äußeren, ja auch zum Gutteil inneren Gestalt determiniert: auf den Fürsten hin wird dieses geordnet; Stände etwa werden in den Grenzen des Patrimoniums verschmolzen; der Erbgang entscheidet über seine Integrität. So ist doch nun auch in der Praxis der Fürst als Privatperson entdeckt. Wie sich vom Fürsten und seinem Patrimonium das Fürstentum zunehmend ablöst, wird nun auch – gleichsam – das Relikt sichtbar: der Fürst. Damit war das gedankliche Instrumentarium zur Erfassung der Versachlichung der Herrschaft komplett. Bei aller äußerlichen Stabilität des Fürstentums, bei der zunehmend von transpersonalen Vorstellungen geprägten Erfassung des Fürstentums, wurden die Ansprüche 923
Für Braunschweig-Wolfenbüttel lässt sich die Einrichtung einer fürstlichen Schatullkasse indes für das 16. Jahrhundert offensichtlich nicht belegen; B. Krusch, Entwicklung; G. Scheel, S. 741 ff.; K. Krüger/E. Jung; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 83 ff., 95 ff. 924 Vgl. G. Scheel, S. 753.
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auch der nachgeborenen Prinzen jedenfalls auf fürstliche Versorgung dem Grunde nach weiterhin anerkannt. Das Aufstellen der Forderungen Ottos II. von Harburg und Heinrichs von Dannenberg, vor allem das Verhandeln darum macht deutlich, dass Ansprüche auf Teilung, wenigstens Abfindung durch Abteilung von Herrschaftsgebiet nicht chancenlos waren. Eine Einzelnachfolge des Ältesten unter Ausschluss der anderen Prinzen, wie in Wolfenbüttel praktiziert, war keineswegs und auch noch lange nicht allgemein anerkannt. Davon geben noch die langwierigen Auseinandersetzungen um die Einführung der Erstgeburtsordnung in Hannover Ende des 17. Jahrhunderts ein beredtes Zeugnis.925 Ein Vorrang des Erstgeborenen bei der Nachfolge des Vaters ist allerdings unübersehbar. Gerade in den Auseinandersetzungen der von Ernst dem Bekenner vertretenen Celler Hauptlinie mit Otto I. von Harburg 1527 und eine Generation später der nun von Wilhelm dem Jüngeren repräsentierten Hauptlinie mit Heinrich von Dannenberg nach 1569 wird dies sinnfällig. Otto und Heinrich waren die Erstgeborenen. Deshalb wird es zumindest sprachlich so gefasst, dass nicht Otto und Heinrich von Ernst und Wilhelm abgefunden werden. Vielmehr übertragen sie das Fürstentum – das eigentlich ihnen zusteht, so muss man wohl aus dieser Konstruktion folgern – auf den jeweils jüngeren Bruder unter Einbehalt des Abfindungsgebietes. Auch muss der Dannenberger Heinrich 1592 ausdrücklich auf jeden Anspruch auf das Fürstentum ratione primogeniturae successionis verzichten. Die Erstgeburt intendierte also auf die Begründung eines subjektiven Rechts. Einen Lösungsansatz für das grundsätzliche Problem der Sukzession, das Gegenüber eines nicht ohne weiteres der Teilung zugänglichen Nachlasses auf der einen und einer Mehrheit von Erben auf der anderen Seite, bot die zunehmende gedankliche und tatsächliche Sonderung von Herrschaft und Nutzung, von Regiment und Versorgung. Gerade das Beispiel der Lüneburger Sukzessionspraxis an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert offenbart, wieweit der Gleichlauf von Herrschen und Gebrauchen, von Mächtigsein und Nutzen durchbrochen war. Einen Anspruch auf fürstliche Versorgung hatten alle Brüder gleichermaßen; einen Anspruch auf das Regiment kam nur dem jeweils Ältesten zu. Von da aus – dass den Nachgeborenen nur ein subsidiärer, ein eventualer Anspruch auf das Regiment zustand – musste es darum gehen, ihre Versorgungsansprüche im Umfang gering zu halten und von ihrer Gestalt her die Ertragslage nicht zu gefährden, kurz: sie in Geld zu befriedigen. Diesem Ziel kam sicherlich entgegen, dass die Anweisung einer Geldrente auf einen bestimmten Einkunftstitel, vor allem ein Amt, in Anbetracht des sich nun verfestigten Haushaltsund Rechenwesens nicht mehr so elementar für das Interesse des Rentenempfängers an Sicherung seiner Rente war, wie zu Zeiten mangelnder zentraler Einnahmeerfassung. Aber noch Ende des 17. Jahrhunderts lassen sich solche Anweisungen beobachten. Die hausrechtlichen Regelungen des 16. Jahrhunderts bedienten sich derselben Institutionen zur Erzeugung von Dauerhaftigkeit und über den Kreis der unmittelbar am Vertragsschluss Beteiligten hinausgehenden Verbindlichkeit. Sie nahmen Bezug auf 925
Unten B.V.4.b).
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die Stände und das Reich. Das Verhältnis zu den Ständen, ihre Einbindung in und Mitwirkung an dynastischer Regelung erscheint nun formalisierter. Vielfach werden die in Vertragsform gefassten hausrechtlichen Bestimmungen der Landschaft vorgelegt, von dieser genehmigt und beschworen, die darüber gefertigte Urkunde besiegelt, so 1527, 1535, 1569 und beide Verträge von 1592. 1535 wird der gemeinen Landschaft zudem eine Ausfertigung des Vertrages zur Verwahrung übergeben. Der Vertrag zur aufgebesserten Abfindung Heinrichs von Dannenberg, an dessen Schluss schon Vertreter der Landschaft beteiligt waren, wird zudem förmlich durch einen Landtagsabschied genehmigt. Eingebunden in eine Einigung des Regenten mit der Landschaft erscheint der Vergleich Ernsts II. mit seinen Brüdern von 1610. Als Forum zur Verhandlung dynastischer Fragen, zwischen Ernst dem Bekenner und seinem Bruder Franz von Gifhorn, erscheint der Landtag 1540. Als Handelnder, als initiativer und aktiver Teil erscheint die Landschaft in der Regelung der Regierungsübernahme unter den Söhnen des Bekenners in den fünfziger Jahren. 1559 ist die Nachfolgebestimmung entsprechend in einen Landtagsabschied gefasst. Im Verhältnis zu Kaiser und Reich lässt sich im 16. Jahrhundert eine Neuerung feststellen. Neben dem innerdynastisch verabredeten Empfang des Gesamtlehens zur Sicherung des Nachfolgeanspruchs abgeteilter Linien, überhaupt der Seitenverwandten tritt die Einholung der kaiserlichen Bestätigung der hausrechtlichen Vereinbarung. Die confirmatio caesarea wird üblich. Sie ist ein weiterer Schritt auf dem Weg der „Feudalisierung“, dem Aufbau und der Ausgestaltung einer mit feudalen Instrumentarien ausgestalteten Sukzessionsordnung. Der Kaiser wird gewissermaßen als Lehnsherr wieder entdeckt. Begonnen hat dieser Prozess schon gut ein Jahrhundert zuvor mit der bewussten Einsetzung des Samtlehnsempfanges als Instrument der Sicherung dynastischer Interessen und Ziele. Der Empfang des Gesamtlehens war, da er den Lehnsherrn mit einbezog, der unmittelbarere und sicherere Weg, die Kollateralerbfolge zu sichern, als die allein innerdynastische Erbverbrüderung. Aber auch in Anbetracht der in ihrem transpersonalen Charakter gründenden Dauerhaftigkeit von Reich und Kaisertum war dieses Instrument dynastischen Zwecken dienlicher als das zunehmend undurchsichtiger werdende Gespinst von Erbverbrüderungen. Nun im 16. Jahrhundert wird mit dem regelmäßig verabredeten Nachsuchen nach kaiserlicher Bestätigung der Hausverträge der Ausbreitung gelehrter Rechtsvorstellungen folgend gewissermaßen die rechtliche Komponente der Verlehnrechtlichung der Sukzessionsbehandlung betont. Zugleich wird dadurch die Gestaltung dynastischer Verträge variabler. Der Kaiser bestätigte und bekräftigte die ihm vorgelegte Vereinbarung insgesamt. Damit wurde eben nicht nur eine Erbfolge der Seitenverwandten gesichert, wie durch den Samtlehnsempfang. Vielmehr wurden auch anderweitige Abreden kaiserlich abgesegnet und damit aus der rein zweidimensionalen, gewissermaßen juridisch nur unzulänglich unterfütterten Perspektive abgelöst. Denn nun treten deutlich Kaiser und Reich als Richter, als das geborene, das feste Forum zur Überprüfung hausrechtlicher Vereinbarungen hervor. Der Reichshofrat prüfte, mögliche Rechtsstreitigkeiten antizipierend, die vorgelegte hausrechtliche Regelung. Eine Beschreitung des Rechtswegs im realen, anschließenden Streitfalle wird daraufhin, nach der
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kaiserlich veranlassten Prüfung, wenigstens im Pactum von 1535, ausgeschlossen. Indes zeigen Gegenstand und Maßstab der der confirmatio caesarea vorangehenden Prüfung durch den Reichshofrat, die dieser wenigstens in dem Falle, dass die hausrechtliche Regelung nicht mit den durch sie benachteiligten Betroffenen abgestimmt war, vornahm, wie in diesem Zusammenhang die „Entdeckung des Lehnsherrn“ zu verstehen ist. Die „Feudalisierung“ der welfischen Sukzessionsbehandlung und -ordnung ist eine gewissermaßen äußerliche, eine formale. Der Kaiser wird nicht als Lehnsherr, als Inhaber des dominium directum am Lehen,926 um Erteilung einer Erlaubnis für eine lehnrechtlich – gemessen etwa an den Libri feudorum – eventuell bedenkliche Sukzessionsregelung gebeten. Das Lehnrecht ist nicht sein Prüfungsmaßstab. Der Kaiser handelt vielmehr in der dynastischen Perspektive; er ist Anwalt der Nachgeborenen. Ihre patrimonialen subjektiven Rechte bilden den Maßstab der Reichshofratsprüfung. 2. Samtlehen und Gesamthausgefüge im 16. Jahrhundert Seit Beginn des 15. Jahrhunderts, bald nach dem Ende des Lüneburger Erbfolgestreits, verabredeten die einzelnen Dynasten des Welfenhauses regelmäßig zur Sicherung des gegenseitigen, auch kollateralen Erbfolgerechts gegen die Gefahr des Heimfalls einzelner erledigter Zweige des Hauses an Kaiser und Reich und damit zur Bindung eines möglichst breiten Lehnsbestandes an das Welfengeschlecht den Empfang einer Gesamtbelehnung. Dabei sollte zumeist der älteste, zuweilen auch derjenige, der am besten dazu geschickt sei, das Lehen vom Kaiser auch für die Brüder und Vettern empfangen. Schon kurz vor dem ersten Zeugnis einer solchen Verabredung, nämlich dem Vertrag von 1414, nahmen 1403 die Vertreter der Fürstentümer Lüneburg und Braunschweig, ohne Göttingen und Grubenhagen, die Reichslehen gemeinsam in Empfang.927 Demgegenüber gab es auch im 15. und 16. Jahrhundert noch Sonderbelehnungen. So empfingen Erich der Ältere (Calenberg) für sich, seinen Bruder Heinrich (Wolfenbüttel) und ihrer beiden Erben sowie Franz (von Gifhorn) für seinen Bruder und die Erben beider (1540?) Sonderlehen. Davon berichtet zumindest eine als Confirmation und Declarations Brieff bezeichnete Urkunde Kaiser Karls V. vom 19. Juni 1555.928 Die Repräsentanten der wolfenbüttelschen und der lüneburgschen Linie, Heinrich der Jüngere einerseits und Franz Otto, der dabei auch seine Brüder Heinrich und Wilhelm vertrat, andererseits kamen unter dem Datum des 8. Februar 1555 überein, dass Heinrich als Senior das Gesamtlehen vom Reich in Empfang nehmen, nachdem er dies – wie es heißt, irrtümlich – bisher versäumt habe, und 926 Seit den Glossatoren des Mittelalters wurde dem Vasallen das dominium utile und dem Lehnsherrn das dominium directum oder die proprietas zugeordnet, W. Ebel, Leihegdeanke, S. 28 f.; H. Coing, Bd. 1, S. 354, 358; dort S. 291 ff. nähere Erklärung der Begriffe. 927 Sud. VIII 198; zur Frage, welche die erste Gesamtbelehnung im Welfenhause sei, siehe oben B.III.1. Anm. 10. 928 Diese ist wörtlich wiedergegeben in der Gesamtbelehnungsurkunde Kaiser Maximilians II. vom 14. März 1570, abgedruckt bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 222 ff.
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die Gesamtbelehnung wieder in Gang gebracht werden solle.929 In Folge dieser Verabredung wurde bei Kaiser Karl V. die angeführte Deklaration erwirkt. Danach haben die Herzöge Heinrich und Franz Otto vor den Kaiser gebracht, wie es bei den heusern Braunschweig und Lunenburg alter Brauch und altes Herkommen sei, dass immer der Älteste des fürstlichen Stammes das Samtlehen für sich und seine Brüder und Vettern in Empfang nehme. Insofern nimmt der Brief Bezug auf die Samtbelehnung von 1495. Nun seien aber die störenden, oben erwähnten Sonderbelehnungen, eingerissen. Sie wünschten demgegenüber, dass der alte Brauch des Hauses bei Empfang der Gesamtbelehnung beibehalten und bestätigt werde. Dies deklarierte Karl V., Also das die sonderliche empfahung der Lehen, davon oben gemeldet, kainem tail an seiner gerechtigkait der sambtlehen preiudiciert. Es soll in künftigen Fällen immer der Älteste der samtbelehnten Fürsten die Gesamtbelehnung empfangen und den Lehnseid leisten. Komme aber einer an die Regierung, der in die Lehnspflicht weder durch sich noch durch den Ältesten aufgenommen worden sei, so solle er schuldig sein, binnen Jahresfrist die Belehnung für sich nachzuholen. Die Erfassung vom Gesamtlehen gibt also keine Sukzessionsordnung innerhalb des Lehens vor. Wer in welches Regiment folgt, ist eine innere Angelegenheit der Gesamtbelehnten. Selbst nicht Belehnte dürfen sie zur Nachfolge berufen. Wie es durch Sonderbelehnung gleichsam zu partiellen Mehrfachverleihungen, einem „Zuviel“ an Belehnung, kommen konnte, gab es vom ursprünglichen, dem 1235 begründeten Lehnsgegenstand des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg aus betrachtet auch ein „Zuwenig“ an Belehnung. Auch in den Jahrzehnten nach 1403 waren immer einzelne Teillinien nicht im Gesamtlehen vertreten. 1442 waren wiederum die Göttinger und Grubenhagener Herzöge nicht mitbedacht. 1495 war allein Grubenhagen nicht in den Gesamtlehnsverbund inbegriffen. Dieser Ausschluss, diese Sonderrolle Grubenhagens erklärt sich daraus, dass seine Fürsten seit Abtrennung ihres Herrschaftsgebietes Ende des 13. Jahrhunderts vom Braunschweiger Zweig nach dem Tod Albrechts des Großen an keiner die Grenzen ihrer Linie überschreitenden dynastischen Vereinbarung mehr beteiligt waren. Sie schlossen niemals Erbverträge, -verbrüderungen mit anderen Zweigen des Welfenhauses. Da aber der Samtlehnsempfang funktional eine Fortsetzung der Erbverbrüderung ist – nicht von ungefähr ist die Verabredung eines solchen Empfangs erstmals in unmittelbarem Anschluss an den Lüneburger Erbfolgekrieg für die Linie Magnus II. überliefert –, fügt es sich, dass die Grubenhagener auch an diesen linienübergreifenden Akten nicht beteiligt waren. Sie waren bei den Verhandlungen und Vereinbarungen zum Gesamtlehnsempfang nicht dabei. Entsprechend waren die Grubenhagener Fürsten nicht namentlich in die Samtlehnsbriefe aufgenommen. Jedoch ist der Umfang des Gesamtlehens, die Reichweite des Lehnsbandes in personaler wie auch in sachlicher, also geografischer Hinsicht nicht ohne weiteres eindeutig festzustellen. Und so gab es auch gewichtige zeitgenössische Stimmen, die auch die Grubenhagener Fürsten – personal – vom Gesamtlehnsnexus erfasst wähnten. Der Kanzler Wolfenbüttels 929
S. 89.
Inhaltlich wiedergegeben ist diese Vereinbarung bei H. A. Zachariae, Successionsrecht,
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und vormalige Reichskammergerichtsbeisitzer Dr. Joachim Münsinger (Mynsinger) von Frundeck, wie auch der Kanzler der Celler Herzöge, Dr. Joachim Moller (Möller), waren beide der Auffassung, das hertzogk Ernst (von Grubenhagen) und seine brudere mit ihren gnedigen hern und E.F.G. (gemeint: Erich von Calenberg) ohne das – gemeint ist die ausdrückliche Aufnahme – in samptlehen sitzen und das es allein darahn mangelt, das es in brieffen und siegeln nicht vorsehen.930 Noch weniger eindeutig lässt sich bestimmen, ob das Grubenhagener Gebiet, das Fürstentum Grubenhagen, Bestandteil des dem Senior der – übrigen – welfischen Herzöge regelmäßig verliehenen Samtlehens ist. Der Wortlaut der Samtbriefe gibt hier keine klare Antwort. So heißt es etwa in der Gesamtbelehnung von 1495, Heinrich dem Älteren als dem Ältesten seien auch für seinen Bruder Erich (Calenberg) und seinen „Vetter“ Heinrich dem Jüngeren, später als der Mittlere bezeichnet (Lüneburg), die „vorgenannten Fürstenthum Braunschweig und Lüneburg und Grafschaften und Herrschaften Eberstein“ usw. vom Reich zu rechtem fürstlichen Lehen verliehen. Ob Grubenhagen zu diesen Fürstentümern Braunschweig und Lüneburg – noch – gehörte, hängt davon ab, welche Qualität und Wirkung man der Teilung von 1288/91 beimessen, ob man hier eine die Gesamthand aufhebende Realteilung annehmen mag. Dazu konnte man durchaus unterschiedliche Auffassungen vertreten; eine entschiedene Stellungnahme aus heutiger Sicht wäre ein Anachronismus. Die Frage nach der personalen zum einen und der sachlichen Reichweite des Samtlehens zum anderen zielt darauf ab, ob einerseits den Grubenhagener Fürsten für den Falle, dass eine im Gesamtlehen vertretene Linie aussterben sollte, ein lehnrechtlich begründetes Recht zur Nachfolge in die erledigte Teillinie zusteht, ob sie sich zur Begründung eines solchen Kollateralerbfolgerechts auf den Samtbrief berufen können; andererseits geht es darum, ob die – personell unzweifelhaft – von der Samtbelehnung erfassten Linien ihrerseits im Falle des Erlöschens der Grubenhagener Linie ein lehnrechtlich begründetes und gesichertes Recht auf die Nachfolge haben, mit dem folglich ein Einziehen als heimgefallenes Lehen an das Reich unvereinbar wäre. Die Grubenhagener Herzöge, die Brüder Wolfgang und Philipp bemühten sich jedenfalls 1558 und dann auch 1563 um Aufnahme in das Samtlehen.931 Ein Indiz dafür, dass das Reich Grubenhagen wohl nicht von der welfischen Samtbelehnung umfasst sah, bietet die Anwartschaft, die Kaiser Maximilian II. 1564 dem Markgrafen und Kurfürsten Joachim von Brandenburg und seinen männlichen, ehelichen Leibserben auf Grubenhagen für den Fall erteilte, das der mendlich stam der Jetz Regierenden Fürsten von Braunschweig zum Grubenhagen ganz und gar abgehen und aufhören wurde.932 Es heißt dort nicht, wie einige Jahre später in dem neuerlichen Exspektanzbrief für den Brandenburger von 1574, dass zum Erstarken der 930 Dies schreibt der Calenberger Abgesandte zum Reichstag zu Augsburg, Andreas Krause, Hofrichter zu Pattensen, am 23. März 1566 an seinen Herzog Erich II. von Calenberg (auszugsweise abgedruckt bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 215 ff.). 931 Urkundliche Erörterung, S. 3 f. 932 Abgedruckt ist der darüber erstellte Exspektanzbrief bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 208 ff.
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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Anwartschaft auch das Abgehen sämtlicher anderer welfischer Linien vonnöten sei; offenbar sah der Kaiser den Eintritt des Heimfalls schon im Erlöschen der Grubenhagener Linie begründet.933 Möglicherweise durch diese Lehnsanwartschaft erwacht, beschlossen nun die welfischen Fürsten auf einer Versammlung in Braunschweig im März 1566, auf dem anstehenden Reichstag zu Augsburg beim Kaiser um Aufnahme der Grubenhagener Fürsten in das Samtlehen nachzusuchen. Die grubenhagenischen Herzöge Ernst, Wolfgang und Philipp stellten über ihre Verpflichtungen, mit denen sie die Bedenken Herzog Erichs von Calenberg gegen ihre Aufnahme in das Gesamtlehen zu zerstreuen vermochten, unter dem Datum des 13. März 1566 eine Urkunde aus.934 Sie hätten, heißt es darin, Herzog Heinrich den Jüngeren als den Ältesten, Erich und die Brüder und Vettern zu Lüneburg ersucht, sie mit in die Samtbelehnung aufzunehmen, weil sie eines Stammes, von weilandt hertzog Albrechten hero ersprossen seien. Auf die Bedenken Erichs hin erkennen sie – kurz gesagt – an, dass sie in der Erbfolge für die Fälle, dass die Wolfenbütteler Linie oder die Lüneburger Linie erlöschen sollte, hinter der jeweils ebenfalls überlebenden Linie stehen. Die Begründung dazu offenbart – was schon aus der Deklaration Karls V. ersichtlich war –, dass die Verbindung im Gesamtlehen keine Sukzessionsordnung im Sinne einer gestuften Erbfolgeordnung, einer Rangliste der Nachfolgenden erzeugt. Der Beantwortung dieser Frage dienten vielmehr die bilateralen Absprachen zwischen den einzelnen Linien, die ihrerseits wieder in ein (Sonder-)Samtlehen münden konnten und vom übergeordneten Gesamtlehen, dem nun auf dem Augsburger Reichstag erneut zu empfangenden Samtlehen, offensichtlich unberührt blieben. So verweist Erich darauf, dass er mit Herzog Heinrich dem Jüngeren dess furstenthumbs Braunschweig wulffenbuttelisches theils, und zwischen Deister und Leina, undt landt zu Gottingen, und was dem allendthalben angehorig, ietzo albereith confeudatorii und wahre unzertrennliche besitzer sein, derogestalt, des ein theil dass ander, do es ohneleibs lehenserben abgehen wurde, (…) die anwartung und erbschafft auf dess ander habe. Beide Braunschweiger Zweige zusammen wiederum seien mit dem Haus und Fürstentum Lüneburg gegenseitig eventualerbrechtlich verbunden. Wie diese Verbundenheit begründet und ausgestaltet, ob sie also, wie diejenige zwischen Calenberg-Göttingen und Wolfenbüttel, (samt-)lehnrechtlich gesichert ist,935 933 Wie ungezwungen die Meinungsbildung zur Frage, ob auch Grubenhagen zum Samtlehen Braunschweig-Lüneburg gehörte oder nicht, gehandhabt wurde, belegt eine Äußerung eines Grubenhagener Herzogs selbst: Nach der endlich 1570 erfolgten und 1578 bestätigten Aufnahme Grubenhagens in das Samtlehen und dem Tod des Wolfenbütteler Herzogs Julius 1589 war es an Herzog Wolfgang als Ältestem unter den Herzöge des Welfenhauses, erneut das Lehen in Empfang zu nehmen (Lehnsmutung). Er sträubte sich dagegen mit der Begründung, seine Linie sei nicht gehalten, im Gesamtlehnsverband zu bleiben, da sie bis zu ihrer Aufnahme in diesen das ihr zugehörige Fürstentum niemals als kaiserliches Lehen besessen habe, Urkundliche Erörterung, S. 16. 934 Die Urkunde ist abgedruckt bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 210 ff. 935 Diese doppelte Begründung, dieser doppelte Ausdruck der erbrechtlichen Verbundenheit Calenberg-Göttingens mit Wolfenbüttel fußt zum einen auf dem 1495 verabredeten
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sagt Erich nicht. Zudem fürchtete Erich um seine Erwartung, nach Heinrichs des Jüngeren Tod der Senior des Hauses zu werden, die prioritet des alters unter den Fürsten des Hauses Braunschweig-Lüneburg zu erhalten. Die Grubenhagener Herzöge verpflichten sich deshalb, zum einen die verschachtelte Sukzessionsordnung innerhalb des Hauses, vor allem Erichs daraus erwachsendes Erbrecht, nicht anzutasten und zum anderen dazu, dass Erich und seine Lehnserben die prioritet und obristen sessio für uns, unangesehen unsers alters, haben und behalten soll. Überdeutlich wird die Rechtsfolge der Gesamtbelehnung und das Ziel ihrer Einholung noch einmal betont: Die Grubenhagener erklären, dass ihr Fürstentum den Vettern im Falle ihres erbenlosen Abgangs zufallen solle. Auf dem Augsburger Reichstag gelang es indes noch nicht, die Aufnahme der Grubenhagener in das Samtlehen zu erlangen. Kaiser Maximilian II. belehnte neben Heinrich dem Jüngeren als dem Senior, der für sich und die anderen das Lehen in Empfang nahm, nur den Calenberger Erich II., den Harburger Otto II., den späteren Dannenberger Heinrich und Wilhelm von Lüneburg mit den Fürstentümern Braunschweig und Lüneburg in Gemeinschafft und versambt.936 Kurz darauf jedoch erklärte Maximilian II., dass alle welfischen Fürsten, Heinrich der Jüngere, Erich, Ernst, Wolfgang und Philipp, Otto, Heinrich und Wilhelm, von Rechts, natur verwantnuss wegen alle in eine sambtbelehnung gehorenn.937 Aus Missverstand seien die Grubenhagener nicht mitbelehnt worden. Deshalb sollte ihnen und ihren Erben, da die Herzöge zu erkennen gegeben haben, dass sie sambtlich von weilandt Alberten (der gross genandt) Hertzogen zu Braunschweig und Luneburch unnd also ab uno stipide herkemen und entsprosenn seien, wie die genealogia, die vorgelegt wurde, ausweise, gleichwohl das Kollateralerbfolgerecht zustehen; ihr Nichteinbezug in das Samtlehen sollte an ihrem habendem iure agnationis et successienis, unnachteilich und unverfenglich sein. Vier Jahre später konfirmiert und bestätigt Maximilian II. nach einer von Zachariae mitgeteilten, auf den 14. März 1570 datierten und in dieser Wiedergabe mit „Gesammtbelehnungsacte, allen Herzogen von Braunschweig und Lüneburg ertheilt durch Kaiser Maximilian II. vom 14. März 1570, mit der Declaration Karls V. vom 19. Juni 1555“ überschriebenen Urkunde938 den Herzögen Julius (Wolfenbüttel), Erich (Calenberg), Otto (Harburg), Heinrich (Dannenberg), Wilhelm (Celle), Wolfgang und Philipp (beide Grubenhagen) den von ihnen vorgelegten Deklarationsbrief Karls V., Irer der Hertzogen zu Braunschweig und Lunenburg gesambter Lehenempfahung halber in allen puncten. Zachariae wertet – besonders deutlich in seiner Überschrift – den Gegenstand der Urkunde als Verleihung des Samtlehens an alle welEmpfang eines diese beiden Linien umfassenden Samtlehens (confeudatorii), vgl. dazu oben B.III.2.d) bei Anm. 127, zum anderen auf der ebenfalls 1495 und später auch mit dem Einbecker Vertrag von 1553 verabredeten Huldigung beider Herzöge in beiden Fürstentümern, die zu dem „wahren unzertrennlichen Besitz“ beider geführt hat. 936 Abgedruckt ist dieser Lehnbrief bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 217 ff. 937 Abgedruckt ebd., S. 220 ff. 938 Abgedruckt ebd., S. 222 ff.
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fischen Fürsten. Diese Wertung liegt nahe. In der anonym 1862 veröffentlichten „Urkundlichen Erörterung der Aufnahme der Herzöge zu Braunschweig-Grubenhagen in die Kaiserliche Gesammtbelehnung der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg“ findet sich hingegen ein Lehnbrief mit demselben Datum abgedruckt, der weder eine Deklaration Karls V. enthält noch diese überhaupt nur erwähnt, sondern ausdrücklich und eindeutig die Samtbelehnung der sieben oben genannten welfischen Herzöge Julius, Erich, Otto, Heinrich, Wilhelm, Wolfgang und Wilhelm mit den Fürstentümern Braunschweig und Lüneburg in Gemeinschaft und versambtt zu Lehen niederlegt.939 Wie dem auch sei, seither waren auch die Grubenhagener Fürsten und ihr Fürstentum im Gesamtlehen inbegriffen. Sie führten seitdem nicht mehr nur den Titel Herzöge zu Braunschweig, sondern den auch von den übrigen welfischen Fürsten verwandten Titel Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg. Auch der Brandenburger Markgraf und Kurfürst sah Grubenhagen nun als Teil des welfischen Gesamtlehens an. Er beschwerte sich 1574 beim Kaiser, mit vermeldung das solche gesampte Hanndt aller Hertzogen zu Braunschweig, ihm an seiner 1564 erteilten anwartung zu dem Hertzogthumb Grobenhagen, etwas präjudicials unnd nachthaillig fallen wollte. Durch die Samtbelehnung von 1570 seien die Sachen dahin kommen, dass er und seine Erben erst in den Genuss Grubenhagens, auf den sie eine Anwartschaft erhalten haben, gelangen könnten, wenn nicht allein die Grubenhagener Herzöge, sondern erst, wenn alle Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg ohne Erben verstorben seien. Gleichwohl wollte der Brandenburger aus Freundschaft und Verwandtschaft mit den Braunschweigern deren Samtbelehnung von 1570 ungern widerfechten. Er bittet allerdings um gegenständliche Erweiterung seiner Anwartschaft an deren Hinterlassenschaften für den Fall, dass alle welfischen Linien erlöschen. Dies wurde ihm gewährt.940 1578 bestätigte Kaiser Maximilian II. die Aufnahme Grubenhagens in das Samtlehen.941 Damit waren alle welfischen Herrschaften wieder in einem Lehen verbunden. Gewissermaßen war das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg wieder zu einem Lehen geworden; wenngleich auch von einer Gesamthand mit eher ideellem Charakter gehalten. An diesem Zustand änderte sich bis zum Ende des Alten Reiches, bis zum Erlöschen des Lehnsnexus zu Reich und Kaiser nichts. Allerdings wird ein Jahrhundert später der symbolische wie auch fassbare Kern der Gesamthand an dem welfischen Lehen, das Insignium des Welfenhauses, aufgegeben. Nachdem unter den Wolfenbütteler Herzögen Rudolf August und Anton Ulrich mit Hilfe der anderen welfischen Fürsten die Stadt Braunschweig 1671 besetzt und deren reichstadtähnliche Autonomie beendet worden war, wurde der Gemeinschaftsbesitz an den Rechten an und in
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S. 12 ff. und 30 ff. Abgedruckt ist der Exspektanzbrief für Brandenburg auf die braunschweig-lüneburgschen Lande bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 228 ff. 941 Urkundliche Erörterung, S. 15. 940
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der Stadt Braunschweig aufgehoben.942 Der zu dieser Zeit bestehende wolfenbüttelsche Zweig trat als Gegenleistung für die ihm überlassene alleinige Herrschaft über die Stadt, mit ihren Stiften und der Abtei Walkenried der Celler Linie die Ämter Dannenberg, Hitzacker, Lüchow, Wustrow und Scharnebeck – schuldenfrei – ab; dem hannoverschen Herzog Johann Friedrich überließ er den Reliquienschatz von St. Blasius (Welfenschatz); Wertunterschiede der Leistungen wurden schließlich in Geld ausgeglichen. Dass eine welfische Linie in das bald erledigte Grubenhagener Fürstentum sukzedieren würde, war spätestens nach 1570 nicht mehr die Frage. Nur vermochte, wie sich nach 1596 zeigte, die Samtbelehnung für sich noch keine Antwort darauf zu geben, welcher unter den überlebenden Zweigen des Geschlechts der Vorrang bei der Nachfolge zukommen sollte. 3. Die Neuordnung im Welfenhaus 1584 – 1636 – die Verteilung der erledigten Linien Calenberg, Grubenhagen und Wolfenbüttel In dem Zeitraum von 1584 bis 1634 erloschen von den vier welfischen Häusern, Calenberg-Göttingen, Grubenhagen, Wolfenbüttel und Lüneburg, das in diesem Zeitraum neben der Celler Hauptlinie auch die beiden Nebenlinien Harburg und Dannenberg aufwies, drei im Mannesstamm: 1584 Calenberg-Göttingen, 1596 Grubenhagen und 1634 Wolfenbüttel. Insbesondere das Erlöschen der Wolfenbütteler Linie, der nach 1584 auch Calenberg-Göttingen zugefallen war, führte zu einer breit angelegten Neuverteilung der Fürstentümer auf die einzelnen (Teil-)Linien des Lüneburger Zweiges. a) Die Erledigung der Linie Calenberg-Göttingen im Jahre 1584 und das Problem der Haftung des Nachfolgers für Schulden des Vorgängers Nach dem söhnelosen Tod des letzten Vertreters dieser Linie, Erichs des Jüngeren, fielen das Land zwischen Deister und Leine sowie das Land Göttingen an die von Herzog Julius repräsentierte Wolfenbütteler Linie. Diese Nachfolge war unbestritten. Klar und offensichtlich allgemein anerkannt war die hausrechtlich geschaffene und niedergelegte Rechtslage. Bei Auseinandersetzung des Patrimoniums Wilhelms des Jüngeren 1495 in die nun erloschene Linie Calenberg-Göttingen einerseits und Wolfenbüttel andererseits war schon der Erledigung gedacht: Beide Zweige sollten durch Samtlehnsempfang und Gesamthuldigung bei Erlöschen des einen Mannesstammes wieder zueinander finden. Mit dem Einbecker Vertrag von 1553 wurde die Huldigung beider Herzöge in beiden Landesteilen erneut verabredet, so dass Erich 1566 die erbrechtliche Verbundenheit beider fürstlichen Linie gegenüber Her942 Auch zum Folgenden: W. Havemann, Bd. 3, S. 181 ff., 230 f.; M. Garzmann, Autonomiestreben, S. 78 f.; G. Van den Heuvel, Niedersachsen, S. 155; Ch. Römer, Hochabsolutismus, S. 548 f.
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zog Wolfgang von Grubenhagen auf beide Instrumente und Ausdrucksformen, Lehen und Huldigung stützen konnte.943 Wer wollte dem Wolfenbütteler auch die Übernahme dieses Landes, dessen Zustand „verwirrt“ und dessen Schuldenlast nahezu unüberschaubar war,944 streitig machen? Spittler rechnet vor, dass die Kammereinkünfte Calenberg-Göttingens nicht einmal hinreichten, die Zinsen der Schulden zu einem Zinssatz von fünf Prozent zu tilgen. 900.000 Taler sollen auf den fürstlichen Ämtern und Klöstern sowie anderen Gütern „als erwiesene Schulden“ gelegen haben. Allein Herzog Julius selbst reklamierte für sich eine Forderung in Höhe von 300.000 Talern. Auch eine bereits von der Landschaft bewilligte außerordentliche Steuer von 24.000 Talern war ungenügend, die Ausgaben des Fürstentums bestreiten zu können. Ganz schutzlos stand Julius diesem Schuldenberg nicht gegenüber. Für ihn vermochten Anschauungen des gelehrten Rechts sowie auch hausrechtlich gerade zum Schutze der Kollateralen begründete oder bestärkte Alienations-, also auch Verpfändungsbeschränkungen zu streiten. Die Frage, wieweit der Nachfolger an der Herrschaft eines deutschen Fürstentums an die Handlungen und Versprechungen seines Vorgängers gebunden ist, war eine, sicherlich ihrer großen praktischen Bedeutung geschuldet, sehr häufig von zeitgenössischen Juristen gestellte und behandelte Frage. Eine Fülle von Traktaten, Gutachten und auch Entscheidungen der beiden Reichsgerichte befassen sich mit diesem Thema. Ist diese Fragestellung auch für die Entwicklung des Gedankens der Subjektivität des Gemeinwesens, der Entwicklung einer Staatspersönlichkeit „als des vom jedesmaligen Herrscher als solchem repräsentierten und durch dessen Regierungshandlungen berechtigten und verpflichteten Subjektes“ von zentraler Bedeutung, so wurden ihre Antworten doch noch über Jahrhunderte nicht aus einer sich ausbildenden Staatslehre, sondern vornehmlich auf Grundlage allodialen und feudalen Erbrechts formuliert.945 So knüpft auch die Literatur des 17. und auch noch die des 18. Jahrhunderts die Beantwortung der Frage nach der Nachfolgerverbindlichkeit an die grundlegende Unterscheidung zwischen dem erbenden Deszendenten und dem allein lehnrechtlich folgenden Agnaten.946 Die spätestens 943
Näher oben B.V.2. bei Anm. 168. Auch für das Folgende L. T. Spittler, 1. Teil, S. 288 ff., 292. Zu den Schulden Erichs I. und Erichs II. auch E. Schubert, Steuer, S. 8 – 18. 945 O. v. Gierke, Bd. 1, S. 237 ff., mit den Belegen aus der zeitgenössischen Literatur. Selbst Jean Bodin und Hugo Grotius, der eine dem Fach der Politik (M. Stolleis, Geschichte, Bd. 1, S. 80 ff., 98 ff.) zuzuordnen, der andere Naturrechtler (H. Hoffmann, Grotius, S. 52 ff.) – die Werke beider Autoren stehen nicht im Verdacht, der Feudistik verhaftet zu sein oder das geltende Staatsrecht darstellen zu wollen (so D. Willoweit, Rechtsgrundlagen, S. 6) – begründen einen Zurechnungszusammenhang der Handlungen des Vorgängers zur Haftung des Nachfolgers mit Sätzen des Erbrechts, Six livres de la Rpublique, Buch 1, Kap. 8, Nr. 105 f.; De iure belli ac pacis libri tres, Buch 2, Kap. 7 §§ 11 – 37, Kap. 14 §§ 10 – 14, Buch 3 Kap. 20 § 6. 946 J. Stucke, Consiliorum sive juris responsorum, Consilium XXVI, „Numne Principes Imperii in avitis Imperii, aliisque ejus generis bonis succedentes, teneantur aes alienum, actionesque Praedefunctorum agnatorum agnoscere,aes illud solvere, aliave simlia onera subire & praestare?“, 1646; J. W. v. Göbel, 3. Stück, „Gründliche Untersuchung der Verpflichtunge eines 944
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seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert in Vorstellungen und Formen des Lehnrechts gekleidete Erbfolge in den deutschen Fürstenhäusern erfolgt nicht ex beneficio antecessoris, sondern nach allgemeiner Anschauung ex pacto et providentia maiorum.947 Etwa Ribbentrop folgert daraus, dass die Sukzessoren „eigentlich genommen nicht die Erben ihres Vorgängers“ seien, „sondern (sie) erben vermöge des Rechts, welches sie durch den ersten Erwerber (primum acquirentem) erhalten haben. Sie sind also nicht so sehr, wie Allodialerben gebunden“.948 Für die „Hauptfrage, ob der Lehnsfolger verpflichtet sey, die Schulden seines Vorgängers zu bezahlen“, zwinge dies zu der Unterscheidung, ob der Sohn und Deszendent oder der Agnat der Lehnsfolger sei. Ist der Lehnsfolger zugleich der Deszendent und daher auch Allodialerbe, müsse er die Schulden bezahlen. Denn er könne sich nicht vom Allodium lossagen und nur Erbe des Lehens sein wollen. Eine Separation von Lehen und Allod sei untunlich. „Das Reichscammergericht erkennt auch nicht anders“.949 Ist der Lehnsnachfolger aber nicht Deszendent, sondern ein – in Seitenlinie verwandter – Agnat, müsse nach der Art der Schulden differenziert werden, und zwar danach, ob diese „auf dem ganzen Land haften, oder ob es Cammerschulden sind“. Und hier greift dann eine Vorstellung vom Staat, eine Staatslehre ein: „Denn der Landesherr und die Landschaft machen den Staat aus, und der Staat, welcher nicht aufhöret, und wie man sagt nicht stirbt,950 muß die über sich genommene Verbindlichkeit erfüllen. Es kann daher der Lehnsfolger nicht verhindern, daß die Landschaft ihre unter seinem Vorgänger gemachten Schulden bezahle. Zu den zu bezahlenden Schulden gehören ferner die, von denen bewiesen werden kann, daß sie zu des Landes wahren Nutzen und Besten verwendet sind. Dieses ist fast immer der Fall in Ansehung der landschaftlichen Schulden.“ Ihnen gegenüber stellt Ribbentrop die auf der fürstlichen Kammer, der Schatullkasse, lastenden Schulden; diese sei der Lehnsfolger, der aus einer anderen Linie herstamme, zu bezahlen nicht verbunden, wenn er nicht Allodialerbe sein wolle. Diese Unterscheidung in Deszendent und Agnat, in Erbe und – bloßen – Nachfolger bricht sich zunehmend wenigstens sprachlich Bahn in den hausrechtlichen VerNachfolgers an der Regierung, in Ansehung dessen was von seinem Vorfahren versprochen und gehandelt worden“, 1736; D. G. Strube, Rechtliche Bedenken, 1. Teil, 1. Bedenken: „Ob ein Teutscher Fürst seiner Vorfahren in der Regierung Schulden zu bezahlen, und ihre Veräusserungen gelten zu lassen verbunden ist?“, 1760. J. St. Pütter, Primae Linea, § 73, 1768; P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 143 ff.: „Von der Verbindlichkeit der Erben“, 1787. Jeweils mit einer zeittypischen Fülle von Belegen u. a. auch Entscheidungen des Reichshofrats. 947 Für viele: U. F. C. Manecke, S. 102; zum Begriff der successio ex pacto et providentia maiorum und seinem Herkommen oben A.III.2.b). 948 S. 143 f., ganz ähnlich auch die in Anm. 179 aufgeführten Autoren. 949 Hierzu führt P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 154, als Beleg das oben in Anm. 179 genannte Consilium Johannes Stuckes, RdZiff. 311, an, das durch den Hauptteilungsrezess vom 14. Dezember 1635 (Punkt 14), vgl. unten B.V.3.c), veranlasst worden ist. 950 Dahinter verbirgt sich einer der „loca classica der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte“ (H. Beumann, 186), die Worte Wipos: Si rex periit, regnum mansit, sicut navis remanet, cuius gubernator cadit.
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einbarungen. Zwar findet sich die paarweise Verwendung von heres et successor oder heredes et successores schon Jahrhunderte zuvor.951 Jedoch trat diese Distinktion danach lange Zeit in den Hintergrund. Die hausrechtlichen Urkunden des 16. Jahrhunderts weisen dann mehrfach die Wendung „Erben, Erbnehmer und Nachfolger“ auf.952 Mit ihr soll offensichtlich jegliche Form der Nachfolge erfasst werden, also die Erbfolge in der Deszendenz (Erbe), wie auch die Nachfolge in der Agnation (Erbnehmer, Nachfolger).953 Teils wird auch vom erblichen Anfall die successio sprachlich abgesetzt.954 Und auch Herzog Julius setzte offenbar auf den Vorrang, der dem Allodialerben bei der Abtragung der Schulden zugedacht war. Spittler berichtet, Julius habe, bevor er die Erbschaft angetreten habe, „Jahr und Tage lang ruhig“ gewartet, ob sich ein Allodialerbe melde; ja er habe nach diesem gewissermaßen auch geforscht und zweimal an den Herzog von Preußen als ältesten Sohn der ältesten Schwester Erichs geschrieben. Auf eine Antwort aus Preußen wartete Julius vergebens.955 Wer sollte aber die Schulden nach den Kriterien der Rechtsgelehrten, die für den kollateralen Lehnsfolger, als den sich Julius offensichtlich ansah, recht verzweigt und verwickelt waren, scheiden? Ganz von sich weisen konnte der Wolfenbütteler Herzog die Schulden wohl schon deshalb nicht, weil Calenberg-Göttingen bereits bei der Trennung von Wolfenbüttel 1495 nicht gänzlich schuldenfrei war.956 Hinsichtlich derjenigen Schulden, die aus Realkrediten herrührten, zu deren Sicherung also eine konkrete, fassbare Rechtsposition, vor allem ein Amt oder ein Gut, zu Pfand gesetzt worden war, halfen Julius neben dem in der Feudistik gepflegten Lehnrecht auch die überkommenen welfischen Hausverträge. Diese Pfandsetzungen waren als Alienationen ohne Konsens des Lehnsherrn, soweit feudale Rechtspositionen versetzt wurden,957 und in jedem Fall, unabhängig von der Rechtsqualität des Pfandgegenstandes, ohne Konsens des Erben und des anderweitig zur Nachfolge Berechtigten unzulässig. Insofern war es denkbar, dass der Sukzessor verpfändete vordem zum Fürstentum ge951
So etwa im Testament des Pfalzgrafen Heinrich aus dem Jahre 1223, oben A.II.2.c)bb). So etwa 1527 und 1592 der Vertrag zwischen der Celler Hauptlinie und Heinrich von Dannenberg. 953 Dass dies eine besonders erfasste Rechtsform der Nachfolge war, zeigt sich in der Erklärung Kaiser Maximilians II. aus dem Jahre 1566 zur Unverfänglichkeit des Nichterfassens der Grubenhagener Fürsten für deren ius agnationis et successionis. 954 So 1560. 955 1. Teil, S. 293. 956 Ebd., S. 291: „(…) da Julius das Land in keinem besseren Zustand fordern durfte, als 1495 bey der Scheidung von Calenberg und Wolfenbüttel, da doch schon Schulden auf dem Lande lagen, gewesen war“. Diese betrugen etwa 90.000 Gulden (ebd.; E. Schubert, Steuer, S. 9). 957 Dieses seit dem Hochmittelalter niedergelegten lehnrechtlichen Grundsatzes gedachte man auch in dieser Zeit durchaus noch: 1625 dekretierte Kaiser Ferdinand II., dass Alienationen des Reiches Lehen am Herzogtum Braunschweig-Lüneburg null und nichtig seien (abgedruckt bei H. A. Zachariae, Succesionsrecht, S. 232 ff.; zu den Hintergründen der Einholung dieser Sentenz ebd., S. 105 Anm. 102). 952
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hörige Rechtspositionen zurückforderte, ohne die gesicherte Forderung zu begleichen. Und genau dort setzte Julius auch an. Er erforderte von seinen und den von Erich II. hinterlassenen Räten mit folgenden Worten, die seine Anschauung zu der Schuldenlast seines Agnaten widerspiegeln, ein Gutachten: (…) hochgelahrter Rath und lieber Getreuer. Euch ist wissend, wie die Sachen in unsern Fürstenthumb Calenbergischen Theils bewandt, und welchermaaßen, der beschriebenen LehenRechten und unsers fürstl. Hauses Braunschweig habenden Erbverträgen zu wieder, auch über unsers Herrn und Vaters hochlöbl. Christmilder Gedächtniß eingebrachte Protestation darüber erlangte Kaiserl. Confirmation Inhibition und Verbotsbriefe fast alle desselben Unsers eröfneten Fürstenthums, Klöster, Häuser, Embter, Dörfer und andere ansehnliche Stücke mit Schulden beschweret, und ob Wir wol Ursach und Fugniß genug gehabt und noch haben, solche unsere Sambtlehen-Stücke aus deren Händen, so sich ohne hochermeltes Unsers Herrn und Vatters, auch unsern Consens und Bewilligung, ungebührlicher Weise darin gedrungen, oder auch zum Theil sich darauf mögen haben vermeyntlich verweisen und versichern laßen stracks an uns zu nehmen, so haben wir doch aus lauter Gedult und ganz unverpflichter Dinge diesen Sachen bis dahero zugesehen, und gleichwohl dadurch weder tacite noch expresse unsers Rechtens in nichts verziehen und begeben (…) ihr wollet uns (…) euer Rechtliches Bedenken hierüber geben, was hierinn, auch wie den Sachen nunmehro am füglichsten und also zu thun, damit wir das Unsere ohne Weitläufigkeit, auch sonder unser und unser Erben, Land und Leute sonderlich der lieben Armuth weiter Beschwerde, Verderb, Schaden und Nachtheil allerdings wie billig, genießlich habhaft werden und uns solches auch zu eigen Händen so forderligst immer möglichst zuschreiben sei.958 Letztlich blieben die Schulden der beiden Calenberg vertretenden Herzöge Erich, Vater und Sohn, wohl größtenteils unbezahlt. Denn es wurde zu deren Abtragung nichts weiter veranlasst, als die Landschaft an Steuern schon Erich dem Jüngeren bewilligt hatte.959 958 Abgedruckt bei J. Stucke, Consil. XXVI, 920 f. (RdZiff. 376 f.), danach ist dieses Schreiben auf den 8. September 1585 datiert. Nach P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 157 ff., bei dem sich auch eine wörtliche Wiedergabe des Ersuchens befindet, hatte Julius schon 1583 das Gutachten in Auftrag gegeben. 959 So P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 159 f.; L. T. Spittler, 1. Teil, S. 293 ff., mit Darstellung der einzelnen von Julius ausgeschriebenen Landtage in Calenberg nach 1584. Der Gandersheimer Landtagsabschied vom 16. Oktober 1601 (abgedruckt bei P. C. Ribbentrop, Sammlung, Th. 1, Nr. 127) vermerkt zu der Schuldenfrage in § 25: Zum fünnf und zwangsten der unbezahlten Schulden halber damit etlichen Landständen und Underthanen mehr hochgedachter Fürstlicher Herzog Erich verhafft geblieben, weil weiland Hertzog Julius & c. hereditas nichts deferiret, noch S.F.Gn. viel weniger der jetzige Regierender Landes-Fürst als hereditatis heres ist: Sondern was I.I. F.F. G.G. dahero bekommen, als bei der ligenden Erbschaft zustehenden eigenen und ex jure cesso daran habenden Schulden sich angemasset ungleich mehr als die von gemeiner Landschafft gewilligte Schatzung thut, allbereit zu Einlösung der Fürstlichen Häuser, Clöster und Cammer-Güter außgezahlet und auf sich genommen, dass dahero bey dem gnädigen Lands-Fürsten (…) nicht zu erhalten. Als sollen jetztbemelte Landstände richtige liquidation und Verzeichnuß eines jeden hinderstelligen Schulden sampt nothwendigen Bericht
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Die Frage nach der Haftung des Nachfolgers für die von dem Vorgänger aufgenommenen Schulden stand auch besonders bei der Neuzuordnung der Fürstentümer nach dem Erlöschen der Wolfenbütteler Linie 1634 im Zentrum der Auseinandersetzungen.960 b) Die Erledigung des Hauses Grubenhagen 1596 Noch am Todestag des letzten Vertreters der Grubenhagener Linie, Herzog Philipps II., am 4. April 1596 nahm der Wolfenbütteler Herzog Heinrich Julius das erledigte Fürstentum in Besitz.961 Schon 1591 hatte sich die Stadt Einbeck, eines der beiden Zentren dieser kleinen Herrschaft, für den Fall verpflichtet, dass die Grubenhagener Herzöge Wolfgang und Philipp II. ohne männliche Leibeserben verstürben, Heinrich Julius von Wolfenbüttel die Erbhuldigung zu leisten. Auch Osterode, das andere Zentrum Grubenhagens, hatte eine solche Eventualhuldigung erklärt. Beide Städte huldigten nun dem Wolfenbütteler, der die Verbindung Wolfenbütteler mit Grubenhagener Verwaltung umgehend ins Werk zu setzen begann. Aber auch die Lüneburger Herzöge erhoben Ansprüche auf das erledigte Fürstentum.962 Auch sie hatten schon zu Lebzeiten der Grubenhagener Herzöge Vorbereitungen auf die Eingliederung getroffen. 1593 hatten sie sich gemeinsam mit den wolfenbüttelschen Verwandten zur Übernahme von Schulden, die in Höhe von 200.000 Talern auf Grubenhagen lasteten, bereit erklärt. Mit der Auffassung, den verstorbenen Grubenhagenern im Grade näher verwandt, in der Linie älter und damit den Wolfenbüttelern in der Erbfolge vorangestellt zu sein, wandten sich die Lüneburger gegen die
übergeben und darauf Fleiß angewendet werden, dabey den Rentmeistern, Schatz-Einehmern, Schatz-Räthen oder bey den Underthanen von deme, was bey hochermeltes Fürsten, Hertzogen Erich deß J. Lebzeiten anbewilligten Schatzungen noch etwas zurück und vorhanden, dass die inländische Creditores für andern nach Befindungee ihres Nachstandes und pro rata debiti, davon abgelegt werden mögen. 960 Dazu unten B.V.3.c). Von den beiden 1584 vorangegangenen Fällen einer Kollateralnachfolge in einem welfischen Fürstentum – 1369, nach Erlöschen Wilhelms Linie in Lüneburg, und 1463, nach Aussterben der Linie Ottos in Göttingen – sind keine tiefgreifenden Auseinandersetzungen um die Schulden des jeweiligen Vorgängers überliefert. Sicherlich hatte die Schuldenlast noch nicht die Dimension, wie diejenige, die in den welfischen Fürstentümern des 16. Jahrhunderts, mit Ausnahme Wolfenbüttels, angehäuft wurde. Sicherlich gab es noch keine hinreichend zentrale Schuldenerfassung; es dürfte sich um jeweils real, durch Pfandsetzung abgesicherte Schulden gehandelt haben. Vor allem aber war die Nachfolge offensichtlich noch nicht lehnrechtlich verstanden worden, wurde nicht zwischen Erben und kollateralem Lehnsfolger geschieden. Und zudem war vor der Nachfolge Magnus Linie im erledigten Lüneburger Fürstentum Wilhelms 1369 noch kein Konsensvorbehalt in vorangegangenen Erbverbrüderungen verabredet worden [vgl. oben B.IV.2.b)], auf deren Verletzung sich Magnus hätte berufen können. 961 Auch zum Folgenden: G. Max, 1. Teil, S. 395 ff.; M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 68. 962 Schließlich erinnerte auch der Brandenburger Kurfürst Johann Georg an seine ihm 1564 erteilte Anwartschaft auf Grubenhagen. Dieses Ansinnen wurde aber nicht weiter verfolgt, nachdem es von Heinrich Julius zurückgewiesen worden war, H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 111 f.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Einnahme des erledigten Fürstentums durch Heinrich Julius an den Reichshofrat.963 Es nahm nun ein Prozess seinen Beginn, der allein auf Celler Seite und nur bis zum Jahre 1611 betrachtet fast 59.000 Taler an Kosten verschlang.964 In seinem Verlauf wurden mehrere Versuche gütlicher Einigung unternommen. In Braunschweig verhandelten die Celler Räte 1599 mit den Wolfenbütteler Abgesandten und zwei kaiserlichen Kommissaren. Ihren Vorschlag der Teilung Grubenhagens wiesen die Räte Heinrich Julius zurück. Am 22. Dezember 1609 erging daraufhin in Prag eine kaiserliche Erkenntnis zu Gunsten der Lüneburger Herzöge. Nach der von Heinrich Andreas Koch verfassten Pragmatischen Geschichte des Hauses BraunschweigLüneburg wurde das Fürstentum Grubenhagen der Celler Linie zugesprochen, weil sie mit dem verstorbenen Herzog Philipp II. im fünfzehnten, mit Heinrich Julius aber im sechzehnten Grade verwandt sei.965 Allerdings gelang es Heinrich Julius, die Publizierung dieses Urteils noch für einige Jahre zu hintertreiben. Selbst ein kaiserlicher Befehl vom 12. November 1612, sich binnen dreier Monate mit seinen Lüneburger Verwandten zu verständigen, blieb wirkungslos. Immerhin verhandelten beide Seiten 1614 noch einmal auf Vermittlung des Herzogs Johann Friedrich von Württemberg über Vorschläge, die dieser und König Christian IV. von Dänemark unterbreitet hatten. Einen letzten, von Christian 1615 vorgeschlagenen Vergleich lehnten aber beide Seiten ab. Danach sollte Grubenhagen zunächst in eine gemeinschaftliche Verwaltung genommen, die Schulden, mit Ausnahme der seit 1596 durch die Wolfenbütteler veranlassten, und schließlich das Land geteilt und die Portionen den Parteien zugelost werden. Endlich gelang es den Cellern, beim Kaiser in Prag zu bewirken, dass die Erkenntnis von 1609 nun, am 23. Juli 1616, publiziert und am 1. August 1616 konfirmiert wurde; das Fürstentum war nun in dem Bestande von 1596 samt der gezogenen Nutzungen herauszugeben. Letztere Pflicht wurde allerdings Friedrich Ulrich, der 1613 seinem Vater Heinrich Julius in dem Fürstentum Wolfenbüttel nachgefolgt war, vertraglich erlassen. Die drei Stände Grubenhagens holten indes zunächst noch ein Gutachten bei einer Juristenfakultät ein, ob das Urteil auch sie binde. Nachdem ihnen diese Frage bejaht wurde, übergaben die Wolfenbütteler Herzöge Friedrich Ulrich, Julius August, Philipp Sigismund und Christian der Jüngere das Fürstentum und überwiesen mit Brief vom 25. Februar 1617 die Unter963 Auch zum Folgenden W. Havemann, Bd. 2, S. 492; G. Max, 1. Teil, S. 406 ff.; H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 378 f. 964 W. Havemann, Bd. 2, S. 492. 965 S. 171. Man hatte der Feststellung der aus der verwandtschaftlichen Nähe gefolgerten Erbfolge also, wie H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 379 Anm. 1, konstatiert, die romanische successio gradualis zu Grunde gelegt. Die ehedem 1442 im Welfenhaus linienübergreifend verabredete Erbfolge nach dem Parentelsystem, nach Familienschaft, na Zibbetale (vgl. oben B.III.1. bei Anm. 56 f.), fand keine Berücksichtigung. Aber auch bei einer Entscheidung nach dem Recht der Erstgeburt wäre, wie H. J. F. Schulze, ebd., im Anschluss an P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 139, bemerkt, Grubenhagen an Lüneburg gefallen. Beide Linien gehen zwar gleichermaßen auf Magnus I., „Torquatus“, zurück. Indes ist der Begründer des Lüneburger Hauses dessen ältester Sohn Bernhard, der Begründer der unter anderem Wolfenbüttel umfassenden Linie dessen jüngerer Bruder Heinrich (Teilung von 1409, oben B.III.1.).
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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tanen an die Herzöge Christian zu Celle, Wilhelm zu Harburg und August zu Dannenberg. Die Wolfenbütteler behielten sich lediglich das Eventualerbrecht vor. Mit dieser Übergabe war die Neuzuordnung Grubenhagens noch nicht abgeschlossen. Der Lüneburger Zweig war in drei Linien gespalten. Die Harburger Linie hatte sich bereits in einem Vergleich mit Celle 1603 ihrer Ansprüche begeben. Otto II. ließ sich als Entschädigung für die Zeit des Rechtsstreits eine Rente von 1.600 Talern und für die Zeit nach dem Obsiegen Güter, die in den Ämtern Harburg und Moisburg belegen sein und einen jährlichen Ertrage von 4.000 Talern abwerfen sollten, überweisen.966 Schwieriger gestaltete sich die Auseinandersetzung mit der Dannenberger Linie. Für deren Repräsentanten August stritt der Vorrang der Erstgeburt; sein Vater Heinrich war der ältere Sohn als Wilhelm, der die Celler Linie nach Heinrichs Abteilung allein fortsetzte. Demgegenüber hatte sich Heinrich aber weder 1569 noch 1592 ausdrücklich eine Beteiligung an einem Anfall Grubenhagens vorbehalten. Wohl in Anbetracht dieser Rechtslage verglichen sich Celle und Dannenberg am 5. Juli 1617 darauf, dass zwar der Celler Herzog Christian allein die Regierung und Verwaltung über das neu gewonnene Fürstentum Grubenhagen führen solle; dies aber im Namen beider Linien und unter Abführung eines Drittels der Einkünfte aus Grubenhagen an die Dannenberger Herzöge.967 Ein Jahr später, am 23. Oktober 1618, modifizierten die Vertragspartner Dannenbergs Beteiligung an Grubenhagen dahin, dass Julius Ernst und August (der Jüngere) Schloss und Amt Wustrow sowie eine jährliche Rente von 20.000 Talern erhalten sollten.968 Auch für diese vierte Sukzession von in Seitenlinie Verwandten im Welfenhause seit 1235969 ist eine Streitigkeit um die Gebundenheit der Lehnsfolger an Handlungen der erloschenen Linie überliefert:970 Die Grafen von Stolberg und Schwarzburg hatten 1593 nach dem Abgang der Grafen von Hohnstein bei den Grubenhagener Herzögen unter Hinweis auf erfolgte Mitbelehnungen aus vorangegangenen Jahren nachgesucht, sie in den Besitz der Grafschaften Scharzfeld und Lutterberg zu setzen. Dieser Bitte wollten die Grubenhagener entsprechen. Die Lehnsfolger erst aus Wolfenbüttel, dann aus Celle wähnten sich aber nicht verbunden, da sie in die den Grafen von Stolberg und Schwarzburg erteilte Anwartschaft nicht eingewilligt hätten. Das daraufhin angerufene Reichskammergericht entschied zu Gunsten der Herzöge.
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W. Havemann, Bd. 2, S. 494. Ebd., S. 493 f.; H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 112 f. Anm. 109. 968 G. Max, 1. Teil, S. 413. 969 Die erste fiel in das Jahr 1369, die zweite in die Jahre 1463 – 1512 und die dritte in das Jahr 1584. 970 U. F. C. Manecke, S. 102 Anm. 48. 967
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c) Die Verteilung der Verlassenschaft des 1634 erledigten mittleren Hauses Braunschweig aa) Die Ausgangslage und das Moratorium von 1634 Mit dem Tod des unfähigen Regenten Herzog Friedrich Ulrich starb das mittlere Haus Braunschweig, die auf Heinrich, den jüngeren Sohn Magnus Torquatus zurückgehende Linie, 1634 aus.971 Unbestritten war der Lüneburger Zweig als einzig verbliebener im Welfenhause zur Erbfolge in die Braunschweiger Verlassenschaft berufen. Jedoch war dieser Zweig in drei Linien, eine Celler, eine Harburger und eine Dannenberger, gespalten. In Anbetracht der gleich nahen Verwandtschaft der Repräsentanten dieser Linien zu dem verstorbenen Wolfenbütteler Agnaten war die Frage der Zuordnung der Erbschaft innerhalb des Lüneburger Hauses aufgeworfen. Deren Beantwortung bedeutete die erneute Aufspaltung des Welfenhauses in zwei Häuser und eine bleibende Ordnung des Länderbestandes bis 1866, ja bis 1945. Die in Celle residierende Lüneburger Hauptlinie wurde vertreten von den Brüdern August dem Älteren, Friedrich und Georg, die Harburger Nebenlinie von Wilhelm und Otto III. und die Dannenberger Linie von Julius Ernst und August dem Jüngeren – durchweg Urenkel des letzten Inhabers eines ungeteilten Fürstentums Lüneburg, Heinrichs der Mittlere (†1532). Als Hauptkonkurrenten um den Wolfenbütteler, seit 1584 auch Calenberg-Göttingen umfassenden, Nachlass traten Georg von Celle und August der Jüngere von Dannenberg auf. Nur sie hatten aus standesgemäßer Ehe hervorgegangene männliche Nachkommen. Die kinderlosen und betagten Harburger Herzöge Wilhelm und Otto hatten schon in einem Vertrag von 1630 jegliches Nachfolgerecht im Fürstentum Braunschweig wie auch die Allode und Einkünfte der Ämter Harburg und Moisburg unter Vorbehalt der lebzeitigen Nutzung an Herzog Christian, dem damaligen, 1633 verstorbenen Senior der Celler Hauptlinie, abgetreten.972 August der Jüngere hatte 1633 die Dannenberger Ansprüche auf sich konzentrieren können, indem er seinen älteren Bruder zum Verzicht auf die Länder Friedrich Ulrichs bewog.973 Eingebunden in die Fronten des dreißigjährigen Krieges – August suchte Rückhalt beim Kaiser, Georg trat dem schwedischen Bündnis bei – und trotz der Zügigkeit, mit der der regierende Celler Herzog, August der Ältere, Fakten schuf, indem 971 L. T. Spittler, 1. Teil, S. 468, urteilt 1786 über Friedrich Ulrich und den Wechsel der Linien: „Er war der letzte, schwächste Regent seines Hauses gewesen, und die Natur hatte von seinem Vater auf ihn einen Uebergang gemacht, wie sie ihn leider auch in fürstlichen Familien öfters zu machen pflegt, ohne daß man auf die Aehnlichkeit des Enkels mit dem Großvater zum Glück des Landes hätte hoffen dürfen. Selten hat noch in irgend einer Teutschen Provinz ein neuer Regentenstamm so Epoche gemacht, selten ereignete sich noch so ganz zum fühlbarsten Glück des Landes ein Wechsel der regierenden Familien, als dißmal bei dem Antritt des Lüneburgischen Hauses im Calenbergischen und Wolfenbüttelschen geschah.“ 972 Der Inhalt dieses Vertrages wird von W. Havemann, Bd. 2, S. 698, näher referiert. Die Harburger behielten sich danach Barmittel, Mobilien und ein Vorwerk zu Gunsten ihrer Schwester vor; Christian übernahm ihre Schulden und versprach ihnen eine jährliche Rente für den Fall des Todes Friedrich Ulrichs von Wolfenbüttel. 973 J. Chr. Lünig, Cont. 2, S. 327; dazu auch W. Havemann, Bd. 2, S. 702.
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er schon in der Stunde des Todes Friedrich Ulrichs das Wolfenbütteler Erbe in Besitz nahm, galt es doch, gemeinsam der drohenden Gefahr des Heimfalls des erloschenen Fürstentums an das Reich zu begegnen. Noch im August 1634, Friedrich Ulrich war am 11. August gestorben, schickte sich das Reich an, in den nun ausgebrochenen Erbstreit einzugreifen. Der kaiserliche Befehlshaber in Wolfenbüttel erklärte kraft kaiserlichen Mandats das Erbe des verstorbenen Herzogs für eröffnetes Reichslehen und drohte zugleich die Sequestration des Fürstentums Wolfenbüttel-Calenberg an.974 Diese Gefahr vor Augen einigten sich die Lüneburger Erbberechtigten und Vettern mit einem am 5. September 1634 in Meinersen geschlossenen Vertrag darauf, dass die erfolgte Besitzergreifung des Nachlasses Friedrich Ulrichs, mit Ausnahme der an Hildesheim verpfändeten homburg-eversteinschen Güter, an denen der Celler Linie im Vertrag von 1592 ein Vorrecht gegenüber den Dannenbergern eingeräumt worden war, als im Namen und zubehuf des ganz hochlöblichen Hauses Braunschweig-Lüneburgs betrachtet werde und die Regierung vorerst durch Kanzler und Räte des verstorbenen Fürsten fortgeführt werden solle.975 bb) Die Rechtsstandpunkte der prätendierenden Linien Celle und Dannenberg in den widerstreitenden Gutachten Bereits Jahre vor dem Tod Friedrich Ulrichs hatten sich die Erbprätendenten für die Auseinandersetzung um dessen Nachlass gewappnet. Nicht allein die Konzentration der Ansprüche auf zwei Konkurrenten durch die Verträge von 1630 und 1633 ist Zeugnis dessen. Vor allem wurden die Rechtsstandpunkte, die Grundlagen des jeweils besseren Rechts an der Wolfenbütteler Verlassenschaft formuliert.976 Eine Reihe von Gutachten, von Rechtsdeduktionen, wurde in Auftrag gegeben.977 Schon deren Titel führen zum Kern der rechtlichen Auseinandersetzung, gewissermaßen zum Schlagwort, unter dem diese katalogisiert werden kann: der Streit der Lüneburger Linien um Wolfenbüttel-Calenberg war ein Streit um die Geltung des Primogeniturrechts.978 Denn der Dannenberger August der Jüngere beanspruchte den gesam-
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O v. Heinemann, Bd. 3, S. 87 f. Der Inhalt des Vertrags ist wiedergegeben bei Ph. J. Rehtmeier, S. 1394. 976 L. T. Spittler, 2. Teil, lenkt das Augenmerk auf einen besonderen Aspekt dieses Streits um die Wolfenbütteler Verlassenschaft: Es musste den Parteien nicht nur darum gehen, dass man die Erbschaft für sich gewann. Vielmehr musste man auch darauf bedacht sein, wie man die Nachfolge an sich brachte. Als Allodialerbe konnte man sich kaum der Befriedigung der vielen Gläubiger des verstorbenen Fürsten entziehen. Als Lehnsnachfolger sah es schon besser aus [vgl. oben unter B.V.3.a)]. So folgert Spittler, ebd., S. 7, für die Prätendenten des Erbstreits: „So war man nicht einmal einig, was man zu erben Lust habe, und eben so wenig war man einverstanden, wie geerbt werden müsse.“ 977 Zu diesen auch: L. T. Spittler, 2. Teil, S. 15 f. 978 Bericht und Discurs über den Successions-Fall Herzog Friedrich Ulrichs zu Braunschweig, darinnen unter anderen ausgeführt: ob das Jus Primogeniturae in solcher Succession statt habe? (1634), in: J. Chr. Lünig sel. Script. Illustr. P. 609. 975
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
ten Nachlass Friedrich Ulrichs ungeteilt für sich allein; allenfalls sollte nach Stämmen geteilt werden, und zwar so, dass die harburgische Linie von beiden, am Nachlass unmittelbar beteiligten Parteien je zur Hälfte entschädigt werden sollte. Seine indes vorrangig erhobene Maximalforderung war rein erbrechtlich in Anbetracht derselben verwandtschaftlichen Gradesnähe beider Prätendenten zum Verstorbenen nicht zu begründen.979 Insofern berief sich August der Jüngere auf das Jus Primogeniturae – der Stammvater der Dannenberger Linie, Heinrich, war der ältere Bruder des Begründers der Celler Linie, Wilhelm.980 Celle hingegen wollte in Capita sukzedieren,
Apologia, oder abgenöthigte gründliche Widerlegung eines vermeinten Berichts und Discurses (dessen Abdruck dem Leser zur Nachrichtung zu Ende angefüget), welcher über dem im nechst abgelauffenen 1634. Jahre begebenen Successions-Fall des Herzogthums Braunschweig, Wolfenbüttelschen und Calenbergischen Theils, wider der Fürstlichen Braunschweigischen Lüneburgischen Linien, Dannenbergischen Theils, zustehendes Jus Primogeniturae, in offenen Druck hervor gegeben, und hin und wieder ausgesprenget worden. Güstrow 1635; auch bei J. Chr. Lünig, l.c.p. 616. Apologia, darinn in continenti und unwiderruflichen Rationibus und Documentis remonstriret wird, dass die UniversalSuccessio und Regierung in deme durch Weyland Herzog Friedrich Ulrichs am 11. August 1634 begebenen Todtes-Fall erledigten Fürstenthum Braunschweig Wolfenbüttel- und Calenbergischen Theils nur einem einigen und zwar ex linea primogeniali entsprossen, cui dignitas illa primogenialis adhaeret, wie in praesenti casu die Fürstliche Dannenbergische Linea ist, darinn Herzog August der Jüngere notorie begriffen, von Rechts und Billigkeit wegen gebühret und solches fürnemlich (1) Ex vi statui perpetui de non dividendo Ducatu & Juris Primogeniturae, welches in honorem Dei & Imperii Romani salutem publicam (quo casu cessat jus Commune privatorum,) von zweyen Römischen Kaysern Carolo V. & Rudolpho II. cum Decreto annulatorio poenali confirmiret und mit einem Kayserlichen praejudicio in simili causa quoad praerogativam Lineae von jetzt-höchstgedachtem Imperatore Rudolpho II. stabiliret, auch von allerseits Fürstlichen Linien des Hauses Braunschweig und Lüneburg approbirt, und von den Statibus Provincialibus berührten Fürstenthums mediante corporali juramento, nec non mutua illorum obligatione & suasione, angenommen worden, Dann auch (2) Krafft Pacti Reservatorii & c. (3) und endlich aus noch mehr andern concurrirenden Juribus & Circumstantiis. Cum annexa solidissima resutatione eines Anno 1634 gedruckten widrigen Scripti, (wahrhaffter und wohlbegründeter Bericht und Discurs) welcher auch abgedruckt. 1635. Apologia und gründliche Ablehnung, darinn ein vermeinter Bericht und Discurs, so über dem, in nechst-verschienem 1634. Jahr am 11. (21.) Augusti sich zugetragenen SuccessionsFall des Fürstenthums Braunschweig , Wolfenbüttelschen und Calenbergischen Theils, wider der Fürstlichen Braunschweigischen Dannenbergischen Linien zustehendes Jus Primogeniturae, in offenem Druck ausgegeben, und dem Leser zur Nachtung in calce Apologiae hujus und dero Beylagen angefüget, nach Nothdurfft überführet und widerlegt wird. 1635. 979 Engere Gradesnähe, engere verwandtschaftliche Nähe waren bis weit ins 16. Jahrhundert, wie J. Weitzel, Art. „Primogenitur“, HRG 3, Sp. 1954, feststellt, immer noch das stärkere Argument als die Zugehörigkeit zur älteren Linie. Dies dürfte auch noch weitgehend jedenfalls für das 17. Jahrhundert gelten. Als Beispiel kann hier die Entscheidung zur Nachfolge Lüneburgs in die Grubenhagener Verlassenschaft angeführt werden. Auch diese gründete sich auf die Gradesnähe der Lüneburger Linie; wenngleich sie eben so gut auch mit dem Jus Primogeniturae zu begründen gewesen wäre [vgl. oben B.V.3.b)]. 980 Der Gesichtspunkt der Erstgeburt vermochte allerdings nur relativ gegenüber den Cellern einen Anspruch Augusts auf den gesamten Nachlass zu begründen. Bezieht man auch die Harburger Linie mit ein, wäre nach dem Grundsatz der Linealprimogenitur dieser Wolfenbüttel-
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also nach Köpfen teilen. Indes sollten von der Teilung nur die Einkünfte der wolfenbüttelschen und calenbergschen Lande, nicht die Regierung über diese Fürstentümer erfasst sein; diese reklamierte das Celler Haus für sich allein. Anlässlich ungezählter Sukzessionsstreitigkeiten in den deutschen Fürstentümern wurde vom 16. bis ins ausgehende 18. Jahrhundert in einer Fülle von Rechtsgutachten die Frage der Primogenitur, die Frage nach der Grundlage, der Quelle, der Geltung eines Jus Primogeniturae erörtert981 – nicht zuletzt nur eine Generation später auch im Welfenhaus.982 Aus dem klassischen Rechtsstoff der gelehrten Juristen war das Jus Primogeniturae, auch in einem weiteren, ähnliche Institute, wie das Majorat und das Seniorat, umfassenden Sinne, nicht zu schöpfen. Dem römischen Recht, wie auch dem deutschen Recht, war ein Vorzug des Ältesten, die Primogenitur, un-
Calenberg zuzusprechen, denn sie geht auf den ältesten Sohn, Otto I., des gemeinsamen Stammvaters aller drei Lüneburger Linien, Heinrich den Mittleren, zurück. 981 Ein frühes Zeugnis dieser rechtsgutachterlichen Erörterungen teilt H. Schwarzmaier, S. 176, mit: Unter Mitwirkung Ulrich Zasius wird 1511 dem Gutachtenauftrag entsprechend die Primogenitur für das Haus Baden abgelehnt. Allerdings ist die Bewertung dieses Gutachtenauftrags durch Schwarzmaier schwerlich nachzuvollziehen. Danach sollte „in dieser entscheidenden Phase der Entstehung des modernen Territorialstaates (…) das Fürstenrecht auch seine staatsrechtliche Ausformung erhalten“. Was aber hätte an dem Gutachten „staatsrechtlich“ überhaupt nur sein können. Allenfalls retrospektiv lässt sich die Primogeniturerbfolge – eben als ein Entwicklungsschritt hin zum modernen Staat – als „staatsrechtliches Sukzessionsprizip“ (so H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 344) bezeichnen. Als Rechtsstoff wurde von der Rechtswissenschaft zu Zeiten Zasius ein Staatsrecht nicht wahrgenommen (zum Aufkommen des öffentlichen Rechts als Disziplin an den Universitäten des Reiches: M. Stolleis, Geschichte, Bd. 1, S. 58, 74), geschweige denn ausgebildet, so dass ein Auftrag in dieser Zeit, das Fürstenrecht eben „staatsrechtlich“ auszuformen, kaum auf Ausführung hoffen konnte. Ebenso bleibt unverständlich, was Schwarzmaier mit seiner eingangs formulierten, wohl das 16. Jahrhundert erfassenden Epoche innerhalb seiner – mit den Mitteln des Rechtshistorikers „leichtgemachten“ – Periodisierung „Landesteilung als staatsrechtliche Norm im Zeichen staatlicher und konfessioneller Konsolidierung“ beschreiben will. Weder im Sinne einer Sollensanordnung noch im Sinne einer Normalität dürfte eine als „staatsrechtlich“ zu apostrophierende Norm zur oder der Landesteilung in Baden oder sonst wo im Reich bestanden haben. Ein „Staatsrecht“, das die Landesteilung anordnete, ist schwer vorstellbar; ebenso eine Üblichkeit, die einen „staatsrechtlichen“ Charakter für sich beanspruchen könnte. 982 Aus der Zeit kurz nach der Fixierung der Primogenitur im neuen Haus Lüneburg, der später kurfürstlich, dann königlich hannoverschen Linie im Testament Ernst Augusts 1682 liegen Deduktionen zweier prominenter Gutachter vor. Wohl motiviert, wie U. F. C. Manecke, S. 91, vermutet, vornehmlich durch „die Eifersucht der herzoglich wolffenbüttelschen Linie über die Vereinigung der Kalenbergischen und Lüneburgischen Landestheile mit einander“ (vgl. auch G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 287), erörterte der hannoversche Vizekanzler und Verfasser des genannten Testaments, Ludolf Hugo, 1691 die „Succession nach dem Primogenitur-Recht in den Herzog- und Fürstenthümern des Reiches“. Etwa zur selben Zeit behandelt G. W. Leibniz das Thema mit den Arbeiten: „I. Extract der kurzen deduction in p8 primogeniturae“; „Unterredung mit dem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel über die Sache der Primogenitur 1685“; „Abreg des Raisons pour le droit de primogeniture, qui doit faire la conjunction des pays de Zell et dHanover“ und „Le droit de primogeniture dans la Maison de Bronsvic-Lunebourg“, Bd. 5, 103 – 150: „Feststellung der Primogenitur im Welfenhause“.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
bekannt.983 Auch die zum gemeinen Lehnrecht gewordenen Erbfolgeregelungen der Libri Feudorum wurden bis ins 17. Jahrhundert dem römischen Recht gemäß, also dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Kinder, ausgelegt.984 Entsprechend konnte die gemeinrechtliche Zivilistik mit dem Institut der Primogenitur wenig anfangen. Kurz: eingang in das Ius Commune fand es nicht. Aber auch außerhalb der Zivilistik fehlte es noch bis weit ins 16. Jahrhundert hinein an einer wissenschaftlichen Bearbeitung der Primogenitur, an einer Erarbeitung eines Jus Primogeniturae. Hier lief die Wissenschaft der Praxis hinterher, sie unterstützte das Streben nach Integritätswahrung in den Fürstentümern in dieser ganz konkreten, die Einheit unmittelbar gefährdenden Frage der Sukzession nicht.985 Als Zielvorgabe, als Handlungsmaxime, als Ideal dynastischen und schon von daher auch politischen Handelns begleitet dieses Streben nach Einheitswahrung in der Sukzession und deshalb Verschlankung der Nachfolgeberechtigten, gerichtet – wenigstens aus heutigem Blickwinkel – auf das Fernziel der Individualsukzession, die Geschichte der Landesteilungen nahezu von Anfang an. Als Widerlager, als Grenze der Teilungen lässt sich ein solches seit dem 13. Jahrhundert jedenfalls in Ansätzen beobachten.986 Spätestens seit Mitte des 14. Jahrhunderts wird dieses Fernziel, dieses Ideal, auch ausdrücklich formuliert: Die Singularherrschaft über das Fürstentum und folglich auch Singularsukzession in diese Herrschaft unter Vorrang des Ältesten987 wird 1355 erstmals im Welfenhause verabredet.988 Seither ist sie eine Zielvorgabe der Nachfolgebehandlung im Welfenhaus989 und auch in anderen Häusern990. Aber wissenschaftliche Grundlegung und Formulierung, Zuordnung zu und Verankerung in einem Rechtsstoffkreis, inhaltliche Ausgestaltung und Absteckung des Anwendungsbereichs erfuhr diese (familien-)politische Handlungsmaxime lange nicht. Soweit ersichtlich stammt die erste monographische Erfassung des Jus Primogeniturae aus dem Jahre 1559.991 Der französische Parlamentsrat Andreas Tiraquellus bemühte sich in seinem Tractatus de jure primogeniorum, sogar aus Wurzeln in der Tier983
Zum „gesetzliche Erbfolge“ des römischen Rechts: H. Coing, Bd. 1, S. 602 f.; zum überkommenen deutschen Recht: A.II.2.a). 984 J. Weitzel, Art. „Primogenitur“, HRG 3, Sp. 1952, unter Hinweis auf LF II F 11, 37, 50. 985 Gewissermaßen weniger unmittelbar stellt sich eine andere Unterstützung des Strebens der Praxis nach Integritätswahrung in der Sukzessionsbehandlung durch die Wissenschaft dar: die auch vom aufkommenden Jus publicum gepflegte Regalienlehre, in der das Verbot der Teilung und Veräußerung verankert war; dazu oben B.V.1.c) bei Anm. 112 ff. 986 Vgl. oben B.I.2. und B.I.3.b). 987 Dem Kriterium des höchsten Alters für die Auswahl des Singularsukzedenten dürften weit ältere Vorstellungen zu Grunde gelegen haben. 988 Sud. II 507. 989 Bis 1634 sind dies vor allem die Regelungen von 1374, 1394, 1415, 1447, 1510, 1535, 1550, 1582, 1610, 1611 im Welfenhaus, hinzuzuzählen wären noch die Vereinbarungen mit den Askaniern um Lüneburg von 1373, 1386 und 1389. 990 Siehe nur H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 320 ff.; J. Weitzel, Art. „Primogenitur“, HRG 3, Sp. 1954. 991 So H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 356.
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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und Pflanzenwelt die ubiquitäre Gültigkeit des Prinzips der Primogenitur nachzuweisen. Schulze misst diesem aus seiner Sicht „geschmacklosen und unwissenschaftlichen“ Werk einen großen Einfluss auf die Praxis bei, „indem es zuerst die Juristen auf die rechtliche Existenz eines Instituts aufmerksam machte, von dem weder die Pandecten, noch der Codex etwas wussten. Es kam darauf an, der deutschen Juristenwelt zu zeigen, dass für die Succession der Fürsten andere Grundsätze zu suchen seien, als die Nov. 118 und die römischen Grundsätze von der Gleichberechtigung aller Kinder.“992 Im 17. Jahrhundert dann wird die wissenschaftliche Behandlung und infolgedessen die Begründung der Primogenitur breiter.993 Ein im Rahmen dieser Arbeit allein zu leistender kursorischer Überblick – eine genauere Untersuchung zur wissenschaftlichen Behandlung der Primogenitur in der Literatur des 16. bis 18. Jahrhunderts steht noch aus – deutet darauf hin, dass auch im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts noch weithin nach einer positivrechtlichen Verankerung und Grundlegung des Jus Primogeniturae gesucht wurde. Seine Geltung wurde folgerichtig abgelehnt, soweit es nicht ausnahmsweise eindeutige hausrechtliche vertragliche oder testamentarische Grundlagen für eine Primogenitur gab.994 Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Autoren regelmäßig als Kanzler und Räte in Diensten der Fürsten standen und folglich ihre Arbeiten von der Praxis derer Fürstentümer nicht nur veranlasst, sondern auch im Ergebnis nicht unbeeinflusst waren.995 Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts findet dann die Primogenitur eine Radizierung im Naturrecht. Als allein tragfähige Herleitung und Begründung geben sich die Autoren dieser Zeit für das Primogeniturrecht indes nicht zufrieden. Sie können zwar formulieren, das Jus Primogeniturae gelte ra992
Ebd., S. 357 f. Dissertatio politica De Jure primogeniti, quam (…) praeside (…) M. Jacobo Thomasio (der Vater des berühmteren Christian Thomasius) (…) proponit (…) Joh. Christianus Schindler, Lipsiae 1657. M. Johann Friedrich Horn, Politicorum Pars Architectonica De Civitate, Trajecti ad Rhenum 1664, Lib. II Kap. IX §§ 7 ff., bes. 16, 4. Dissertatio de jure primogeniturae Samuelis Reyheri, Phil. & Jur. Utr. D.P.P. in inclyta Chiloniensis Academia, Gothae 1666. Anzuführen sind hier natürlich auch die oben angeführten Arbeiten Leibniz und Hugos (nur einen Auszug aus dessen Deduktion stellt nach U. F. C. Manecke, S. 91, die Diss. Successionis in seremissima Guelfica domo usitatas von Christoph Johann Münchhausen und Carl Otto Rechenberg (Präside, Professor zu Leipzig), Lipsiae 1716, dar). 994 J. F. Horn, ebd., betont ausdrücklich, dass die Frage der Primogenitur eine solche des (veränderlichen) positiven und nicht etwa des (unabänderlichen) natürlichen Rechts sei; auch J. C. Schindler legt dar, dass lediglich ein Pflichtteil zum Lebensunterhalt naturrechtlich geboten sei, jede weitergehende Regelung unterliege positiv-rechtlicher Regelung, die dem absolut regierenden Herrscher zustehe; so Th. Klein, S. 97, der auch auf Ausführungen Andreas von Knichens, In electorum et ducum Sxanoniae ius et privilegium litis provocatione nescium Comentaria, Francofurti 1596, Kap. II 3, hinweist, dass feuda Ducatu (…) hodie divisioni sunt obnoxia und die Primogenitur nur bei Kaisern und Kurfürsten erforderlich sei. 995 A. v. Knichen war Kanzler in Eisenach, J. F. Horn lehrte in Wittenberg, S. Reyher war Erzieher und Lehrer am Hofe Herzog Ernsts von Gotha gewesen, bevor er akademische Weihen in Leiden und dann in Kiel erhielt; wenigstens Knichen und Reyher bezogen also ihre praktischen Anschauungen aus Thüringen, dem „Musterland deutscher Kleinstaaterei“ (Th. Klein, S. 96). 993
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
tione naturae, sogleich fügen sie aber weitere Grundlegungen seiner Geltung hinzu.996 Zudem gilt auch hier, nicht aus den Augen zu verlieren, wie die Praxis in den Fürstenhäusern war, deren Kanzler oder Rat der Autor war oder an dessen Landesuniversität er lehrte. Dem Jus Commune fremd, dem Naturrecht – noch – nicht zugeordnet konnte das Jus Primogeniturae nur aus einem besonderem Rechtsakt oder dem Herkommen, der Gebräuchlichkeit im Welfenhause begründet werden.997 Johann Jacob Moser fasst die in den oben angeführten Rechtsgutachten, den Apologien,998 niedergelegten widerstreitenden Rechtsstandpunkte der Parteien anschaulich zusammen:999 – Die Celler Hauptlinie begründete ihre Auffassung, dass kein Jus Repraesentationis, keine Erbfolge nach Stämmen, eingreife, sondern nach Köpfen sukzediert werden solle, mit der verwandtschaftlichen Ferne zu dem Erblasser; es handele sich um einen casu Successionis ultra Fratres Fratrumque Filios longe remotioris gradus. Der von Dannenberg behaupteten Primogenitur hält Celle entgegen, es sei in den letzten dreihundert Jahren niemals ein beständiges Jus Primogeniturae aufgerichtet worden, noch weniger sei ein solches zur Observanz gelangt. Vielmehr sei in jedem Sukzessionsfall, betreffe er die absteigende oder die Seiten-Linie, ohne jede Beachtung der Erstgeburt geteilt worden. Diese apodiktische Bewertung der Sukzessionsgepflogenheit im Welfenhause wird nun gegen – folglich nur scheinbare – Zeugnisse der Geltung eines Unteilbarkeits- und Singularerbfolgegebotes verteidigt. Es gebe zwar einen Vertrag von 1374; jedoch sei das von Magnus Torquatus an seine Söhne gerichtete Teilungsverbot allein auf den damals geringen Landbestand zurückzuführen. Als die Söhne wieder zu mehr Land gekommen seien, hätten sie auch sogleich diesen Vertrag wieder aufgehoben.1000 Diese Konstellation habe sich dann 1415 und 1428 wiederholt. Wiederum sei eine mangelbedingte Vereinigung, diejenige von 1415, anschließend wieder kassiert worden, nämlich 1428. Zudem seien die auf Einheit gerichteten Verträge von 1374 und 1415 nicht vom Kaiser bestätigt worden; die teilenden von 1409 und 1428 hingegen seien 1446 und 1460 kaiserlich bestätigt und, wie auch diejenigen von 1478 und
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G. W. Leibniz, Bd. 5, S. 103, 115, 117 ff.; L. Hugo, Sec. I, S. 1 ff. Die die Anwendung des Jus Primogeniturae im Erbstreit um Wolfenbüttel unterstützende Apologia von 1635 weist die einzelnen notwendigen Argumentationsschritte dieser Grundlegung der Primogenitur schon im Titel auf: (1) Zwei kaiserliche Dekrete (von Karl V. und Rudolf II.) sowie deren Aufnahme in die Statibus Provincialibus, (2) Pacti Reservatorii und (3) die Widerlegung des gegenteiligen Standpunktes. Zur Rechtsanwendung im Zeitalter des Jus Commune im Dreiklang des universalen Rechts mit den Statuten und den Consuetudines: H. Coing, Bd. 1, S. 85 ff., bes. S. 131 ff. 998 Siehe oben in Anm. 211. 999 Teutsches Staatsrecht, Th. XIII, S. 87 ff. 1000 Gemeint ist die Teilung von 1409. 997
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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1487, beschworen und schließlich durch die Observanz bestätigt worden.1001 Auch der Vertrag von 1535 bestärke nur den Celler Rechtsstandpunkt. Denn wenn die Primogenitur schon vor diesem Vertrag üblich gewesen wäre, hätte man sie mit diesem nicht erst einführen dürfen. Der Vertrag von 1535 erfasse aber nicht die Agnaten, also auch nicht die Lüneburger Linie, daher sei für sie die Einführung der Primogenitur nicht verbindlich. Überhaupt hätten die vertragsschließenden Wolfenbütteler ihre in „disem uralten Reichs- und Stamm-Lehen succedirenden Agnaten“ gar nicht verbinden können, „zumal sie die Samt-Belehnung und EventualHuldigung für sich haben“. Mit diesem Bezug auf das Gesamtlehen beruft sich der Gutachter, beruft sich Celle, auf die im lombardischen Lehnrecht der Libri Feudorum verwurzelte Rechtsanschauung vom feudum paternum oder, gewandet in der Frage der Nachfolge, von der successio ex pacto et providentia maiorum. Nach dieser Anschauung ist der jedenfalls nur in Seitenlinie verwandte Sukzessor im eigentlichen Sinne nicht Erbe. Vielmehr rührt seine Nachfolge aus einem Recht her, das er vom ersten Erwerber des Lehens ableitet.1002 Danach handelt es sich genau genommen bei dieser Nachfolge um eine Anwachsung des Anteils des durch Tod ausgeschiedenen Gesamthänders an die verbleibenden Gesamthänder. Ist der Nachfolger aber nicht Erbe, haftet er auch nicht für Verbindlichkeiten seines Antezessors; Vorgängerhandlungen, wie eben die Einführung der Primogenitur, binden ihn nicht. Es fehlt an einer Überleitungsnorm. Dieses gleichsam nicht vertikale, sondern horizontale Verhältnis von Vorgänger und Nachfolger wird auch im Bezug der Celler auf die Eventual(gesamt)huldigung deutlich. Der Nachfolger in der Herrschaft trägt diese Rechtsposition schon in sich mit Empfang der Huldigung; sie realisiert sich lediglich nach dem Tod des „Vorgängers“, die Anwartschaft erstarkt zum Vollrecht. Die gleiche Unverbindlichkeit für ihre Linie, so fährt Celle fort, komme auch dem Testament Herzog Julius (von 1582) zu. Auch dieses habe nur die Erben verbinden und in der Deszendenz des Testierenden eine Observanz herstellen können. Selbst wenn die Zuordnung des Nachlasses Friedrich Ulrichs nach dem Jus Primogeniturae erfolgen sollte, stehe dieses aber nicht August dem Jüngeren von Dannenberg zu – weder ex persona propria, da er unter allen Bewerbern der Jüngste „ohne Einen“ (mit dieser Ausnahme ist wohl der gegenüber August drei Jahre jüngere Georg aus der Celler Linie gemeint),1003 noch ex persona Parentis, da er diesen Todesfalle (der dann 1569 zur Abspaltung der Dannenberger 1001 Diese Jahreszahlen sind nicht durchweg mit hausrechtlichen Regelungen in Einklang zu bringen. 1446 ist gewissermaßen mittelbar eine „hausinterne“, nicht kaiserliche, Bestätigung der Teilung von 1428. Denn 1446 wurde der Vertrag vom 21. April 1442 bekräftigt, mit dem die Teilung von 1428 bestätigt worden war; oben B.III.1. Auf welche Ereignisse die Angaben 1460 und 1478 hinweisen, bleibt im Dunkeln. 1487 beschworen der Lüneburger Heinrich der Mittlere und der Braunschweiger Heinrich der Ältere den Fortbestand der Teilung beider Länder; oben B.III.1. 1002 Vgl. oben A.III.2.b) und B.V.3.a) bei Anm. 180 ff. 1003 Hier verlässt Celle die Grundsätze der Linealprimogenitur zu Gunsten einer Senioratsvorstellung. Denn bei Anwendung der Linealprimogenitur ist nur entscheidend, wer der Älteste unter den Begründern noch bestehenden Linien ist, genauer: war.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Linie geführt hat) nicht erlebt habe, die Primogenitur in dieser Linie nicht anerkannt sei und im Übrigen ohnehin nach diesem Grundsatz der Harburger Linie der Vorrang zukäme. Positiv begründet Celle dann die gleichmäßige Verteilung der Verlassenschaft nach Köpfen zunächst damit, dass Augusts des Jüngeren Vater, Heinrich, 1569 der Celler Linie an dem braunschweigischen Anfall das gleiche Recht zugestanden habe.1004 Danach hätte der Begründer der Dannenberger Linie, der gegenüber dem Begründer der Celler Linie Ältere, auf seinen aus dem Alter herrührenden Vorrang, dessen Geltung damit keiner näheren Erörterung, gar Entscheidung mehr bedürfe, verzichtet. Die gleichmäßige Berechtigung am Nachlass finde auch eine Stütze in der Novelle 118 im Kapitel 31005 und den Reichskonstitutionen von 1521 und 15291006. Ebenso sähen die Hausverträge, besonders diejenigen von 1442, 1446 und 1460, und die Observanz eine successio in capita vor. Schließlich spreche auch der Vertrag von 1569 nur von einem gleichen Recht, nicht von gleichen Portionen. Solch eine Äquivalenz zwischen den Linien unabhängig von der Anzahl der sie vertretenden Köpfe sei auch nicht in den Vertrag hineinzulesen, da Wilhelm bei seinem Abschluss schon Kinder gehabt habe, Heinrich aber nicht. – Die Dannenberger Linie, repräsentiert von August dem Jüngeren, beruft sich zur Begründung des von ihr in Anspruch genommenen Primogeniturrechts auf das „Fideikommiss“ Herzog Magnus I. von 1355,1007 das dessen Nachkommen 1374, 1394 und 1415 dreimal erneuert hätten und das derart in Observanz gekommen sei, dass nur der Primogenitus und dessen Erben in absteigender Primogeniallinie die fürstliche Regierung, die Regalia sowie die Jura Archivi & Territorialia bis heute allein erhalten, die anderen Söhne aber mit bestimmten Jahrgeldern und Ämtern abgeteilt worden seien. Diese Auffassung führt August im Weiteren näher aus: (1) Majorat und Primogenitur seien von Anfang an und auch schon vor Otto dem 1004
Im Vertrag vom 10. September 1569 (oben B.V.1.c) Anm. 101) heißt es dazu: Auch wan unserm Brüdern (gemeint ist Wilhelm, der Begründer der Celler Linie) und uns (Heinrich von Dannenberg) das Fürstenthumb Braunschweig, durch tödtlichen Abgang unserer Vettern zufallen würde, desselbigen wollen wir und unsere mänliche Erben, gleich unsern Brüdern Herzog Wilhelmen und seinen Erben gewertig und fehig sein (…). 1005 Die gesetzliche Erbfolge des Corpus Juris beruht vornehmlich auf einer Neuregelung Justinians in eben der Novelle 118 und der Novelle 127. Danach erben alle Abkömmlinge geschlechtsunabhängig gleichmäßig nach Stämmen; Seitenverwandte nach Gradesnähe; H. Coing, Bd. 1, S. 603 f. 1006 In der Reichsgesetzgebung finden sich nur vereinzelt privatrechtliche Bestimmungen. Mit der Erbfolgeordnung beschäftigten sie sich allerdings mehrfach: RA von Freiburg 1498; von Worms 1521 §§ 18/20, Neue Sammlung II. 206/7; RTA. JR. II. Nr. 101, 735 mit Ausführungs-Edikt vom 27. November 1521, Neue Sammlung II. 210; von Speyer 1529 § 31, Neue Sammlung II. 299; RTA. JR. VII. 2 Nr. 148, 1305, und kaiserliche Konstitution vom 23. April 1529, Neue Sammlung II. 301; RTA. JR. VII. 2 Nr. 154, 1327. Vgl. dazu H. Conrad, Bd. 2, S. 362; H. Coing, Bd. 2, S. 114. 1007 Gemeint ist die vielfach als Testament Magnus bezeichnete Vereinbarung mit Wilhelm von Lüneburg zur Nachfolge einerseits in Lüneburg, vor allem aber auch im Braunschweiger Landesteil (Sud. II 507).
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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Kind in diesem Haus und Land üblich gewesen, die Sukzession durch die genannten „Primogenitur-Ordnungen“ von 1355, 1374, 1394 und 1415 sei also nur wieder der hergebrachten Ordnung angepasst worden. (2) Die Verfügung Magnus I. verbinde nicht nur seinen ältesten Sohn, sondern enthalte ein wahres Majorat oder Primogenitur und sei auch befolgt worden. (3) Dies gelte auch für den Vertrag von 1374, der durch das auf ihn folgende Herkommen eine Verordnung, eine praescriptio, erzeugt habe. (4) Die dann wiederholenden Verträge von 1394 und 1415 zeigten nur den eifrigen Willen (enixam voluntatem) an. (5) Zudem sei in allen diesen Verträgen die Verteilung und Veräußerung der Lande verboten, hingegen aber verordnet worden, dass nur einer die Regierung führen solle, was auch dem göttlichen, dem Natur-, dem Völker- und dem Zivilrecht sowie den hergebrachten Rechten gemäß sei. (6) Auch gereiche dies zur Wohlfahrt der Familie sowie von Land und Leuten. (7) Es sei auch im Hause Braunschweig-Lüneburg niemals in capita, sondern nach dem Primogeniturrecht sukzediert worden. Dies sei auch aus den Abreden des Vertrages zwischen der Lüneburger Hauptlinie und der Dannenberger Nebenlinie von 1592 zu ersehen. Denn Heinrich habe sich darin der Primogenitur begeben;1008 dies sei nicht aber möglich, wenn sie nicht eingeführt gewesen sei. Auch heiße es in diesem Vertrag, die Regalien müssten bei einem regierenden Fürsten bleiben.1009 (8) Speziell sei auch die Primogenitur (a) im Braunschweiger Teil üblich gewesen, außer in dem Fall, dass ein Regent zwei Fürstentümer besessen habe. (b) Die Primogeniturordnung gelte auch für die Agnaten, weil ihre Einführung 1535 und 1582 keinen neuen Rechtszustand begründet habe und eine solche Ordnung ja auch in der cellischen Linie üblich sei. (c) Zudem hätten die Seitenverwandten von den Dispositionen von 1535 und 1582 gewusst, aber nicht widersprochen und ihnen damit stillschweigend zugestimmt. (d) Hinzu komme eine hundertjährige Observanz. (e) Diese beiden neuen Verträge liefen den alten nicht zuwider, insofern könnten die ultimi possessores dem majoratui wohl novas conditiones beifügen. (f) Auch habe der Kaiser die beiden genannten Primogeniturordnungen bestätigt, so dass die Agnaten daran gebunden seien, zumal die confirmatio ex certa scientia, de plenitudine potestatis & sub decreto annullatorio geschehen sei. (g) Celle berufe sich in contradictio gegenüber Dannenberg darauf, dass es im Hause Braunschweig nicht Herkommens sei, die hohen Regalien und die zur Universal-Regierung gehörigen Pertinentien zu trennen. Daran müsse Celle sich halten lassen. (h) Besonders deshalb, weil Celle 1629 selbst am kaiserlichen Hof habe deduzieren lassen, dass das Fürstentum Braunschweig und besonders die hohen Re1008
Es heißt dort, Heinrich habe für sich und seine Erben sich aller und jeder Ansprache, so dieselbigen ratione primogeniturae successionis und sonsten, zu dem ganzen Fürstenthumb Lüneburg, mit den angehörigen Herrschaften, Homburg Eberstein, Hoya, Diepholtz (…) allein den wiederfall vorbeheltlich begeben. 1009 Den Dannenberger Teilungs- oder wenigstens Aufwertungsbestrebungen wurde 1592 von Celler Seite entgegen gehalten, ein solches Ansinnen sei nicht allein im Fürstl. Hause Braunschweig nie herkommens, besondern auch die regaliae und zur Regierung angehörige Pertinentien, darvon gar nicht getrennet, oder der jungen Herschaft und künftige regierenden Herrn etwas daran begeben.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
galien darin unteilbar seien.1010 Darauf ziele auch ein ebenfalls von Celle erwirktes kaiserliches Dekret aus dem Jahre 1625, nach dem das Herzogtum unzersplittert und in seiner Integrität verbleiben solle.1011 (i) Die Primogenitur sei im Braunschweigischen mit Vorwissen und auf Anraten der Landstände eingeführt worden; diese seien einerseits darauf verpflichtet, andererseits sei ihnen versichert worden, sie in dem aus dem Versprechen herrührenden jus quaesitum zu schützen. Insofern kommt nun das Sicherungsmittel hausrechtlicher Verabredung, deren Verbindlichkeit, zum Tragen; der Einbezug der Stände, der Landschaft, schafft einen weiteren Berechtigten, dessen subjektive Rechte nicht verletzt werden dürfen. (k) Darüber hinaus sei der Pakt von 1535 auch beschworen, also mit Gott kontrahiert worden. (l) Auch sei Rechtens und Herkommens in Deutschland, dass die großen Lande unteilbar seien. (m) Schließlich – und hier wiederholt sich Dannenberg – müssten die Herzöge der Celler Linie die Primogenitur gelten lassen, weil sie diese in ihrer eigenen Linie eingeführt hätten. (9) Nun streng als Linealprimogenitur begriffen folgert Dannenberg aus dem Vorrang der Erstgeburt, dass die Celler Linie als vom Zweitgeborenen (1569) begründet so lange kein Erbrecht habe, als die Linie des Erstgeborenen bestehe. (10) Denn es komme allein auf das Alter des Stammvaters der Linie, nicht das der Deszendenten an. (11) So habe der kaiserliche Hof auch in der ganz ähnlichen Altenburger und Weimarer Sache bereits entschieden. (12) Zu bedenken sei auch, (a) dass Dannenberg für den Verzicht auf Lüneburg ein Äquivalent gebühre, (b) sonst wäre die Deszendenz Heinrichs aufs Äußerste benachteiligt (enormissime laedirt) und könne den gesamten Verzicht auf das Lüneburgische anfechten;1012 und (c) es sei nicht zu vermuten, dass Heinrich zum Verderben seiner Nachkommen auf beide Fürstentümer habe verzichten wollen, jedenfalls nicht für 1010 Damit wird auf den Rechtsstreit um die dem Stift Hildesheim verpfändeten Ämter Bezug genommen. Dazu, zu der Entscheidung des Reichskammergerichts vom 17. Dezember 1629, mit der die Rückgabe der 1523 an Ende der Stiftsfehde den welfischen Ländern einverleibten Teil des Bistums Hildesheim durch Friedrich Ulrich an den Bischof verfügt wurde, sowie zum kaiserlichen Restitutionsedikt vom 6. März 1629: L. T. Spittler, 2. Teil, S. 2 ff.; H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 24; bes. auch G. Van den Heuvel, Niedersachsen, S. 126 ff., 150. 1011 Abgedruckt ist die Urkunde von 1625 bei H. A. Zachariae, Successionsrecht, S. 232 ff. Anlass und Streitgegenstand hinter diesem Dekret sind aus dem Wortlaut nicht zu erhellen. Der Kaiser, Ferdinand II., zeigt sich in Sorge, dass von dem Fürstentum, das die Herzöge zu Braunschweig-Lünbeurg seit 1235 vom Reich zu Lehen tragen, durch allerhand alienation und Veräusserung das Reichseigentum geschmälert würde. Diese Alienationen erklärt er für nichtig, damit obbesagte Braunschweigische Lüneburgische Fürstenthumb und deroselben zugehörige Land und Leute in ihrer Integrität verbleiben. H. A. Zachariae, ebd., S. 105 Anm. 102, ordnet dieses Dekret den „Vorgängen unter Friedrich Ulrichs unglücksvollem Regiment“ zu. Offenbar hatte sich die Celler Linie an den Kaiser gewandt, den Folgen der fortschreitenden enormen Verschuldung des Landes, den Verpfändungen von Landesbestandteilen, Einhalt zu gebieten. Schon vor dem Tode Friedrich Ulrichs hatten die Lüneburger Linien Celle und Dannenberg begonnen, sich mit dessen Schuldenlast zu beschäftigen, W. Havemann, Bd. 2, S. 697. 1012 Dieser Hinweis dürfte auf die Anfechtung des Vertrages zur Abteilung Harburgs von 1527 durch den gleichnamigen Sohn des vertraglich nur auf Lebzeit abgefundenen Herzogs Otto nach dessen Tod 1549 anspielen.
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seine Deszendenz verbindlich, zumal bei geltendem Primogeniturrecht. (d) Heinrich Julius von Wolfenbüttel habe bei Übernahme der Herrschaft von seinem Vater Julius 1589 erst sich, dann der Dannenberger, dann der Celler und schließlich der Harburger Linie huldigen lassen. Weitere Huldigungen als Vollzug späterer Nachfolgefälle seien den Dannenbergern nicht mehr bekannt geworden; und was an verborgenem Orte geschehen sei, könne für sie nicht verbindlich sein, so dass es bei dem Vasalleneid von 1589 sein Bewenden haben müsse. (e) August fasst seinen Anspruch zusammen: Die Dannenberger Linie stamme in erstem Grade von dem Ältesten, seit das Jus primogeniturae wirklich praktiziert werde, ab; für diesen streite die alte und neue Observanz, der Vertrag mit den Landständen, die kaiserlichen Konfirmationen, die mutua reciprocatio,1013 die Billigkeit und dass er de vitando damno; auch seien der Celler Linie durch den Verzicht des Begründers der Dannenberger Linie, Herzog Heinrich, ihres Wohltäters, unsägliche Vorteile zugewachsen, so dass die Dannenberger sich jetzt, da sie ohnehin berechtigt seien, ihres – so muss man wohl ergänzen – 1569 erlittenen Schadens billig zu erholen hätten. (13) Da die Primogenitur Herzog Heinrich einmal wirklich anerstorben sei1014 und er sich derselben nur hinsichtlich des Lüneburger Anteils begeben, den Braunschweiger Anteil sich aber vorbehalten habe, so müsse dieser Vorbehalt nun auch seiner Linie zustatten kommen. Darüber hinaus erwidern die Dannenberger im Einzelnen auf die von Celle gegen die Primogenitur vorgebrachten Argumente: Ad (1): (a) Die Verträge von 1428 und 1442, besonders der letzte, erklärten sich selbst; denn die Worte „nach rechter Sippezahl“ zeigten nur die Sukzessionsfähigkeit an, nicht aber von diesen Fähigen, den Konkurrenten, die Regierung haben solle. Diese Frage könne nicht aus dem Jus Commune, sondern müsse aus den Stammverträgen (den Hausverträgen) entschieden werden. (b) Dieser Maßstab sei auch mit der im Vertrag von 1442 anschließenden Klausel „wie sich das von Recht gebühret“ angesprochen,1015 denn das Jus privatum sei hier gar nicht anwendbar. Ad (2): Die Reichskonstitution 1013 Möglicherweise verbirgt sich hinter dieser kaum zu übersetzenden Wortkombination die römisch-rechtliche Formel der mutua obligatio oder mutua pactio, mit der in der Theorie der Monarchomachen die Bindungskraft und Unverletzlichkeit der leges fundamentales, der als Verträge gedachten Bindungen zwischen Herrscher und Ständen, gestützt wird; dazu G. Oestreich, Herrschaftsvertrag, S. 45; H. Mohnhaupt, S. 14. In dem die Lehre vom Herrschaftsvertrag zusammenfassenden Satz Johannes Althusius, Politica methodice digesta, Herborn 1614, Cap. XV, S. 167 f., einem Rezeptoren der Lehre der Monarchomachen (P. J. Winters, S. 32), finden sich beide Worte der Wendung dicht beieinander: „Constitutio Magistratus est, qua ille populo, vel nomine populi, ab Ephoris, pacto reciproco & mutuo consensu constitutus Imperium & administrationem Reipub. seu regni suscipit“ (zitiert nach Oestreich, ebd.). 1014 Heinrich war nicht der älteste Sohn Ernsts des Bekenners. Doch schon vor Begründung der Dannenberger Linie starb sein älterer Bruder Franz Otto 1559. Insoweit durften die Dannenberger verständlicherweise nur die Generation Heinrichs betrachten. Denn nur eine Generation zuvor kam, wie ausgeführt, die Primogenitur nicht der Linie Ernsts des Bekenners, sondern Ottos Linie, der noch bestehenden Harburger Linie zu. 1015 Im kürzeren Vertrag vom 21. April 1442 heißt es: na Erues-Rechte, so sick van Zibbetale vnd Rechte geboret (…).
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
von 1529 erfasse (a) nur den Fall gesetzlicher Erbfolge (casum ab intestato), nicht aber denjenigen, bei dem ein Testament oder ein Vertrag vorhanden seien; und (b) betreffe sie nicht die alten, unteilbaren und regalischen Lehen (in Feudis antiquis, individuis & regalibus), bei denen das Jus Stirpium & Repraesentationis in infinitum Platz greife, für die also eine Erbfolge nach Stämmen, bei der die Einrückenden, z. B. die Kinder eines vorverstorbenen Sohnes, diesen repräsentieren, vorgesehen ist. Überhaupt spreche die Konstitution nicht von Lehen, und könnten die feuda regalia auch nicht nach dem Jus Commune beurteilt werden. Ad (3): Betrachte man die von Celle angeführten Beispiele der Teilungen im Hause Braunschweig, so seien (a) nach dem Jus Commune die feuda regalia1016 unteilbar und man habe die Sache – gemeint ist die Behandlung der Nachfolge – bald wieder auf das rechte Gleis gesetzt, so dass die Teilung nicht die Qualität eines Herkommens, einer Observanz, erlangen konnte. Vielmehr seien die Teilungen relative Rechtsakte unter den Beteiligten, res inter alios actae, geblieben, die für die vom Stifter der Primogenitur in gerader Linie abstammenden Agnaten nicht verbindlich seien. Ebenso wenig könne man von der gewillkürten Teilung auf ihre Notwendigkeit schließen (a divisione voluntaria ad necessariam). Man finde für die vergangenen 300 Jahre ohnehin nur zwei oder drei Beispiele von Hauptteilungen, nämlich für die Jahre 1428 und 1494 (gemeint ist 1495). Überdies sei jeweils nur in zwei Portionen geteilt worden. Bernhard und Heinrich hätten zwei so große Majoratus – der Gutachter betont hier die der Teilung von 1428 bereits vorgegebene Eigenständigkeit der zuletzt erst 1415 vereinigten Länder Lüneburg einerseits und Braunschweig andererseits –, dass diese nicht wohl nur einer Person zuzuordnen gewesen seien. Schließlich habe Herzog Heinrich auf die 1494 (1495) geschehene Teilung jede fernere Teilung verboten.1017 (b) Diese Teilungen hätten weder zu einer Korrektur des Lehnrechts noch der Stammverträge geführt. (c) Eine den gemeinen Rechten entgegenstehende Observanz müsse strikt ausgelegt1018 und nicht von Fall zu Fall herangezogen werden; ein Herzogtum, das einmal geteilt worden sei, sei deshalb noch nicht immerfort teilbar. (d) Diese Teilungen seien auch von dem Lehnsherrn nicht bestätigt worden und daher ungültig. Ad (4): Hier verweist der Gutachter auf die Nachfolge nach Albrecht dem Großen (†1279). Danach habe Heinrich der Wunder1016 Der Widerspruch, dass einerseits feuda regalia nicht nach dem Jus Commune zu beurteilen seien, andererseits eben gerade nach diesem Rechtsmaßstab des gemeinen Rechts die feuda regalia unteilbar sein sollten, lässt sich auflösen, wenn man unter den als gemeines Recht benennbaren Rechtsmassen unterscheidet. Danach dürfte sich oben das Jus privatum, unten aber das lombardische Lehnrecht der Libri feudorum hinter dem Ausdruck Jus commune verbergen. 1017 In dem Vertragswerk von 1495, mit dem Heinrich dem Älteren Wolfenbüttel zugeordnet wird, findet sich auch das Verbot weiterer Teilungen. Jedoch tritt als Aussteller dieser Urkunden Wilhelm der Ältere, der Vater des älteren Heinrichs, auf. Insofern könnte der Gutachter auch Bezug genommen haben auf Heinrich den Jüngeren, den Enkel Wilhelms des Älteren, der 1535 im Pactum Henrico-Wilhelminum jede weitere Teilung untersagt hatte. 1018 Es entsprach allgemeiner Auffassung im gemeinen Recht, das lokale Rechtssätze, seien es statuarische oder solche aus einer Observanz (consuetudo), bei Kollision mit dem Jus commune eng auszulegen sind; H. Coing, Bd. 1, S. 105 ff.
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liche, der älteste Sohn des Begründers des alten Hauses Braunschweig, den zweiten Sohn, Albrecht, aus der Erbschaft ausschließen wollen, um allein in den Genuss des Erbteils des dritten Sohns, Wilhelm, zu gelangen. (a) Dieses alte Faktum sei aber nicht nach allen Umständen bekannt; (b) überhaupt solle man nicht nach Exempeln, sondern nach den Stammverträgen urteilen; (c) auch hätte sich Heinrich Mirabilis allenfalls unzulässiger Mittel bedient und sich überdies schon einmal seines Erstgeburtsrechts begeben. Tatsächlich führte nach Albrecht dem Großen die Linie seines erstgeborenen Sohnes in das vergleichbar bedeutungslose Fürstentum Grubenhagen, während die nachfolgenden Söhne einerseits Braunschweig und andererseits Lüneburg erhielten. Jedoch schloss nicht Heinrich einen seiner Brüder von der Nachfolge in die Verlassenschaft des jeweils anderen aus. Vielmehr taten sich zunächst seine Brüder Albrecht und Wilhelm gegen ihn zusammen (1290). Nach dem Tod Wilhelms setzte Albrecht diese auf Ausgrenzung Heinrichs gerichtete Nachlasspolitik mit Wilhelms Sohn Otto fort (1292).1019 Ad (5): Dass in das 1596 erledigte Fürstentum Grubenhagen nicht nach dem Erstgeburtsrecht sukzediert worden sei, rühre daher, dass Grubenhagen fast 400 Jahre ein besonderes Fürstentum gewesen und Dannenberg zwar hätte sukzedieren sollen, allein aber zu schwach gewesen sei, seine Rechte gegen Braunschweig, dessen Regent Grubenhagen bereits okkupiert hatte, durchzusetzen, so dass man die Ansprüche Celle überlassen habe. Diese Überlassung sei nach dem Vertrag von 1569 nicht nötig gewesen, sondern freiwillig erfolgt, so dass es unbillig sei, dass Celle nun diesen Fall gegen Dannenbergs Position anführt. Nachdem Grubenhagen auch rechtlich erstritten worden sei und die Celler Linie zunächst dessen Verwaltung erhalten habe, habe diese unter dem Vorwand, dass sich das Herzogtum und dessen Regierung nicht teilen ließen, es ganz an sich gezogen; was Dannenberg gutwillig habe geschehen lassen. Ad (6): Dass Heinrich einmal sein Primogeniturrecht auf die Celler Linie transferiert habe, bedeute nicht, dass dies nun immer so bleiben müsse. Denn dabei habe es sich um eine scheinbare, auf den Lüneburger Anteil beschränkte Primogenitur (ficta Primogeniturae)1020 gehandelt; im Übrigen bleibe es bei der wahren natürlichen Erstgeburt. (a) Weil die Verzichtsleistungen (Renunciationes) widerwärtig (odios) und schädlich wären, seien sie einzuschränken, zumal da Heinrich nicht, wie Herzog Otto zu Harburg auf alles, sondern nur auf Lüneburg verzichtet habe. (b) Herzog Heinrichs Abtretung habe bereits ihre Wirkung bei Lüneburg erlangt, daran sei es genug. (c) Durch die Zession Heinrichs habe sein Bruder doch nicht die jenem von Natur aus zustehende Stellung des Primogenitus erlangt. Ad (7): Dass die Celler Linie von Seniorats (im Gesamthaus) wegen die Reichslehen empfange, sei ohne Belang, sonst wäre auch Herzog Friedrich Ulrich zu Braunschweig kein Regent gewesen, weil nicht er, sondern Herzog Christian aus der Celler Linie die Lehen empfangen habe; es komme vielmehr darauf an, wer der Älteste an Jahren sei. Ad (8): Dagegen, dass gerade Herzog August zu Dannenberg oder 1019
Dazu oben B.I.1. und B.I.3.b). Zur Fiktion gerade im Zusammenhang mit der Geltung dem gemeinen Recht widersprechender Rechtssätze: H. Coing, Bd. 1, S. 106 f., 134. 1020
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Hitzacker sich nicht auf das Jus Primogeniturae berufen könne, ließe sich anführen: (a) dass sein älterer Bruder Julius Ernst ihm alle seine Rechte abgetreten habe; (b) dass in Harburg Lehnserben nicht vorhanden und auch nicht zu erwarten seien; jedenfalls werde man mit einem solchen gütlich auskommen oder seinen Ansprüchen den Generalverzicht dieser Linie entgegenhalten – all dies gehe aber Celle nichts an. (c) Im Hause Braunschweig gelte das Primogeniturrecht, also sei das Seniorat und die Nähe der Verwandtschaft nach Linien und nicht nach dem Alter maßgeblich; es komme hier auf die Verträge von 1569 und 1592 an, die ebenfalls ein Primogeniturrecht zu Grunde legten, das nur, soweit Lüneburg betroffen, abgetreten worden sei. In dem Erbhuldigungs- und Lehnseid sei Dannenberg Celle vorangestellt. Da Celle schon zwei Majorate (gemeint sind Besitzungen – ehemaliger – welfischer Hauptlinien), nämlich Grubenhagen und Lüneburg, besitze, könne es nicht auch das Dritte noch dazu begehren. Jedenfalls sei Herzog Heinrich zur Zeit seiner Renuntiation, auf die abzustellen sei, auch an Jahren der Ältere gewesen, und der Kaiser habe in der altenburg-weimarischen Sache für die ältere Linie gesprochen. Ad (9): Dass bei Heinrichs Vorbehalt seiner Rechte für den Fall des Erlöschens der Braunschweiger Linie im Vertrag von 1569 nicht der Primogenitur gedacht worden sei, stehe deren Beachtung nun nicht entgegen. Denn (a) in der Qualität, in der Heinrich Lüneburg abgetreten habe, in der habe er sich auch Braunschweig reserviert, da es ein Akt und Kontext sei. Es sei (b) auch nicht nötig gewesen, da das Wort „Fall“ alle modos succedendi und alle qualitates begreife. (c) Und schließlich würde sich auch Heinrich, hätte man ihn befragt, in diesem Sinne äußern. Ad (10): Dass in dem Vertrag von 1569 auch des Begründers der Celler Linie hinsichtlich des Falls des Erlöschens der Braunschweiger Linie gedacht werde, sei (a) der Erbfolge entsprechend (iuxta ordinem successivum) zu verstehen, zumal (b) hier die natürliche Billigkeit anrate, Dannenberg den Vorrang vor Celle einzuräumen. Ad (11): Dass sowohl Heinrichs als auch Wilhelms (von Celle) Erben in gleicher Weise gedacht werde [im Vertrag von 1569, insofern beschäftigt sich Punkt (11) mit demselben Argument wie Punkt (10) und dann auch Punkt (12)], diene (a) nur dazu, die Sukzessionsfähigkeit der Celler Linie insoweit anzuzeigen; (b) eine indefinite Rede könne nicht für allgemeingültig erklärt werden, wenn sie, wie hier, unbillig sei. Ad (12): Dass es 1569 heiße, Herzog Wilhelm und seine Erben sollten des Braunschweiger Falles gleich fähig sein, zeige (a) nur an, dass beide Linien sukzessionsfähig seien, aber nicht, in welcher Ordnung; (b) bei Teilung müsse nicht auf Gleichheit und Gleichförmigkeit (aeqalitas und aequabilitas) geachtet werden; auch sei es nicht nötig gewesen, das ausdrücklich herauszustellen, was ohnehin aus den Verträgen und Observanzen des Hauses ersichtlich sei. Ad (13): Dass der Vertrag von 1535 und das Testament von 1582, beides Bestimmungen aus der Wolfenbütteler Linie, für die – Lüneburger – Agnaten nicht verbindlich seien, sei falsch, da (a) diese Regelungen nur die alte, im Haus übliche Sukzessionsordnung wieder hergestellt habe; (b) jedenfalls die Agnaten das darin neu Verordnete stillschweigend oder ausdrücklich gebilligt hätten; obschon sie (c) auch ohne diese Billigung verbunden seien, weil das im Vertrag von 1535 verwandte Wort „Familie“ das ganze Haus begreife und das Testament von 1582 dem Haus
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und Stamm Braunschweig zum Besten verordnet und alle Nachkommen und Erben darauf verpflichtet worden seien. Endlich und ad (14): Bestimmungen in neueren Verträgen lösten solche aus älteren Verträgen ab – dieses (Derogations-)Prinzip würde nach der Celler Auffassung auf den Kopf gestellt, da gerade die neueren Verträge und Observanzen für Unteilbarkeit und Primogenitur seien. Die Auseinandersetzung der beiden Lüneburger Linien um die Geltung eines Jus Primogeniturae bei der Zuordnung der Wolfenbütteler Verlassenschaft setzt auf beiden Seiten bei den hausrechtlichen Regelungen, den „Stamm-Verträgen“, und dem daraus erwachsenden Herkommen, den Observanzen, im Welfengeschlecht an. Auf dieser Ebene wird allermindestens vorrangig der Gutachterstreit geführt. In diesem Rechtsstoff wird die Grundlage für wie gegen die Primogenitur gesucht.1021 Dieser Rechtsstoff erscheint dabei aber nicht gleichsam als Kodex; er wird nicht als homogene Sammlung einzelner Zeugnisse behandelt. Vielmehr tritt das „Hausrecht“ zersplittert in durchaus widersprüchliche Einzelfallregelungen in seiner Betrachtung durch die Celler und Dannenberger Gutachter und Räte entgegen. Beide Seiten trachten indes danach – mussten danach trachten –, Kontinuitäten und Allgemeingültigkeiten aus der Abfolge dieser Einzelzeugnisse abzulesen. Anders lassen sich Observanzen, lässt sich ein Herkommen nicht begründen, nicht einmal darstellen. Und darum geht es beiden: eine bindende Observanz im Hause Braunschweig-Lüneburg, wenigstens in der Lüneburger Linie darzulegen. In der Argumentationsführung der Gutachter wird die Anschauung zur Geltung bestehenden Hausrechts deutlich: Es gilt personal; es ist eben Haus-Recht. Die Begründungen der Geltung eines Jus Primogeniturae im Sinne des Dannenberger Begehrens und dessen Negation aus Celler Sicht setzen gleichermaßen bei hausrechtlichen Reglungen unmittelbarer, in direkter Linie verwandter, Vorfahren an – dort, wo beide Häuser, das mittlere Braunschweiger wie das mittlere Lüneburger, genealogisch zusammenlaufen, bei Magnus I., seinem Sohn und seinen Enkeln. Diese Regelungen des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts werden von den Dannenbergern als Primogeniturordnungen, von den Cellern als situative Einzelakte bewertet. Den Dannenbergern war der Zugriff auf für ihren Standpunkt ergiebigere Quellen aus dem mittleren Haus Lüneburg und erst Recht aus dem mittleren Haus Braunschweig verwehrt. Etwa die Einigung im Hause Lüneburg von 1611 stammte aus einer Zeit, als Dannenberg bereits abgeteilt war. Und das fruchtbarste Zeugnis des Jus Primogeniturae im Welfenhaus bis zur Mitte des 17. Jahrhundert, das Pactum von 1535, stammte für beiden Parteien aus einer Seitenlinie. Celle konnte es deshalb mit wenigen Worten als unverbindlich beiseite wischen. Dannenberg aber sah die Regelung von 1535 als eine Bestätigung einer gesamtwelfischen Observanz des Erstgeburtsrechts, die die Celler Agnaten nicht durch Widerspruch beseitigt hätten. Breiteren Raum nimmt auf dieser Ebene personaler (Un-)Verbindlichkeit überkommener hausrechtlicher 1021 Das Natur-, das Völker- und das Zivilrecht wie auch das hergebrachte – deutsche – Recht dienen auch den Dannenbergern nur als Vergleichsmaßstab: Die hausrechtlichen Bestimmungen entsprächen – in der Bewertung, die sie durch die Juristen dieser Linie erfahren – den Rechtssätzen dieser allgemeineren Rechtsstoffkreise.
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Bestimmungen freilich die unterschiedliche Auslegung und Bewertung der unmittelbar zwischen den sich nun gegenüberstehenden Linien getroffenen Vereinbarung von 1569 ein. Der Verzicht Heinrichs auf das Jus Primogeniturae ist den Dannenbergern Beleg für seine Akzeptanz, seine zuvor schon im Lüneburger Haus anerkannte Geltung, den Cellern hingegen eben ein Verzicht: bestand dieses Recht vorher, hatte Heinrichs Linie es nun nach dem Verzicht nicht mehr. Erst an untergeordneter Stelle beruft sich Dannenberg auf die – so könnte man sie nennen – territoriale Geltung oder Verhaftung der ursprünglich hausrechtlich begründeten Primogenitur. Das Pactum von 1535 sei von den Landständen Wolfenbüttels beschworen worden; ihr daraus erwachsendes jus quaesitum gelte es nun zu schützen. Einen hohen Stellenwert, eine große Überzeugungskraft maßen die Dannenberger Juristen dieser seit vielen Generationen gebräuchlichen Gepflogenheit, hausrechtlicher Regelung Stabilität und Dauerhaftigkeit, auch Normativität, durch den Einbezug der Stände zu verleihen, offensichtlich nicht bei. cc) Der Vergleich über die Wolfenbütteler Verlassenschaft vom 14. Dezember 1635 (Hauptteilungsrezess) Seit Mitte März 1635 über Wochen dauernde Verhandlungen der beiderseitigen Räte in Braunschweig wurden ergebnislos abgebrochen; Dannenberg wie Celle verblieben bei ihren unvereinbaren Standpunkten. Nicht zuletzt die Sorge um kaiserliches Eingreifen trieb die Prätendenten wieder zurück an den Verhandlungstisch. Der Kaiser hatte zunächst die Regierung über Wolfenbüttel mit Ausnahme der alten Gebietsteile des Stifts Hildesheim vorläufig dem älteren August der Celler und dem jüngeren August der Dannenberger Linie zu gleichem Recht als Vertreter des welfischen Gesamthauses übertragen, es stand aber durchaus eine Sequestration der Wolfenbütteler Verlassenschaft zu befürchten.1022 In den Ende September 1635 in Braunschweig wieder aufgenommenen Unterhandlungen zeigte sich August der Jüngere insoweit entgegenkommend, als er der – vorläufigen – Spaltung in zwei Teile zustimmte und hinsichtlich seiner Maximalforderung, seiner auf das Jus Primogeniturae gestützten alleinigen Nachfolge, ankündigte, den Rechtsweg beschreiten zu wollen. Dafür sollte Celle sich bereit erklären, alle wolfenbüttelschen Gebiete in die Teilung mit einzubeziehen und seinen Vorbehalt des direkten Zugriffs auf Hannover, Hameln, Wölpe und die homburg-eversteinschen Gebiete aufgeben. Celle unterstützt von Harburg kam dem Vorschlag, zwei Teile zu bilden, nur insoweit entgegen, als dass diese der Anzahl der Köpfe, unter Einschluss der beiden Harburger Vettern, entsprechend zu bilden wären. Danach sollte der Dannenberg zugedachte Teil zwei Siebentel, der Celle und Harburg zufallende Anteil fünf Siebentel des Wolfenbütteler Erbes ausmachen. Eine vermittelnde Stellung nahmen die Stände ein, indem sie die Kopfteilung allein auf die Einkünfte des Wolfenbütteler Erbes, die Kammergefälle, bezogen. Have1022
W. Havemann, Bd. 2, S. 702, 705.
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mann referiert ein Memorial, das die deputierten Räte und Landstände am 14. Oktober 1635 den Parteien übergaben: „Wir halten außer Zweifel, dass die Agnaten nicht durch ein Auseinanderreißen der in ihrem Gesamtlehen miteinander verwachsenen Landschaften den Ruhm der fürstlichen Häuser schmälern werden und bitten wir untertänigst, die Fürstentümer Wolfenbüttel und Calenberg in ihrem bisherigen Stande erhalten zu wollen. Die Nachfolge betreffend, so stehen die Vettern von Celle, Dannenberg und Harburg dem Erblasser gleich nahe. Der Vorzug der von Dannenberg angezogenen Primogenitur ist von den beiden anderen Häusern verworfen; ob die Erbfolge nach Stämmen genugsam begründet ist, lassen Räte und Landschaft billig unerörtert, glauben aber dass die Teilung der Kammergefälle nach Köpfen etwa also geschehen könne.“1023 Die Deputierten mussten auf ein in ständischem Zusammenhang ungewöhnliches, ihrer Sphäre eher fremdes Argument zurückgreifen: Die Verbindung der Landschaften im Gesamtlehen zu einer unteilbaren Einheit. Eine gewissermaßen spezifisch ständische, landschaftliche Begründung für die Einheit Calenbergs mit Wolfenbüttel gab es nicht. Die Stände Calenbergs und Wolfenbüttels sind nach dem Anfall Calenbergs an Wolfenbüttel 1584 nicht zu einer Einheit verschmolzen.1024 Auf Grundlage einer Nebeneinanderstellung der verschiedenen Kammererträge in den Landen Friedrich Ulrichs wird in dem Memorial als Vorschlag zur Teilung unter den sieben Vertretern der Lüneburger Linien unterbreitet, dass die Harburger Linie durch die Zuweisung der Grafschaften Hoya und Blankenburg befriedigt, Calenberg der Dannenberger, Wolfenbüttel der Celler Linie zugedacht werde und die Salz- und Hüttenwerke sowie die Helmstedter Juliusuniversität dem Gesamthaus verbleiben sollten. Auch dieser Vorschlag brachte die beiden Parteien nicht näher. Erst eine persönliche Intervention Herzog Georgs führte schließlich zum Durchbruch. Er veranlasste die ständischen Vertreter dazu, Herzog August unter Fristsetzung zu der Erklärung aufzufordern, ob er überhaupt eine Einigung anstrebe. Zugleich stimmte er zu, die Fürstentümer Calenberg einerseits und Wolfenbüttel andererseits ungeteilt zu belassen und die Harburger Linie mit den genannten Grafschaften abzufinden. Er gab den zuvor für Celle reklamierten Vorbehalt an Hannover, Hameln und Wölpe auf. Auf die Rechte an den Stiftern innerhalb Braunschweigs mochte er allerdings für sein Haus nicht verzichten. Nunmehr zum Entgegenkommen genötigt, willigte August der der Jüngere in den Teilungsvertrag ein. Am 14. Dezember 1635 errichteten die Celler Herzöge August der Ältere, Friedrich und Georg mit den Harburgern Otto und Wil-
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Ebd., S. 704 f. 1634 etwa schreibt Herzog Friedrich Ulrich einen gemeinen Landtag für die löbliche und getreue Landschaften Wolfenbüttelschen und Calbergischen Theils aus. Beide Landschaften verhandeln und beschließen absonderlich (Calenberger Landtagsabschied zu Braunschweig vom 17. März 1634; abgedruckt bei L. T. Spittler, 2. Teil, Beil. Nr. IV, S. 45 ff.; Beil. Nr. V, S. 52 ff.: Calenbergischer Landtagsabschied zu Hannover vom 27. September 1634). 1024
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helm und den Dannenbergern Julius Ernst und August dem Jüngeren einen Vergleich über die Wolfenbütteler Erbschaft.1025 Im Grunde wird der vermittelnde ständische Vorschlag umgesetzt. Ausgehend von einer dem gleichen Grad der Verwandtschaft aller zum Verstorbenen entsprechenden gleichmäßigen Berechtigung an der Verlassenschaft1026 werden die vorgegebenen Fürstentümer, Graf- und Herrschaften in ihrer Integrität bewahrt und unzerteilt den Prätendenten zugeordnet.1027 Allerdings wird die Einheit zwischen jeweils als eigenes Fürstentum begriffenen Landen Wolfenbüttel und Calenberg aufgehoben.1028 Zwar hatte Celle quoad modum divisionis den Losentscheid vorgeschlagen. Da aber August der Jüngere so sehr den Wolfenbütteler Teil erstrebt habe, habe man ihm diesen belassen – aus Liebe und Zuneigung, nicht aus Pflicht. Dieser Zusatz sollte wohl jegliche Implikation einer Primogenitur, die ja innerhalb Wolfenbüttels hundert Jahre zuvor Anerkennung erfahren und auf die sich August berufen hatte, als Zuordnungskriterium ausschließen. Der Celler Portion wurden die homburg-eversteinschen Besitzungen, die 1433 von Lüneburg an das Stift Hildesheim versetzt worden waren, zugeschlagen. Harburg erhielt, weil sie nicht beerbet, als Abfindung den Wolfenbütteler Teil der Grafschaft Hoya und die Grafschaft Reinstein-Blankenburg mit aller Superioritet, Hoheit, digniteten, Rechten und Gerechtigkeiten, Folge, Steuren und andern Juribus. Die beiden anderen Lüneburger Linien behielten sich indes die Jura agnationis unndt rückfall an den beiden Grafschaften vor. In Gemeinschaft sollten die Universität Helmstedt unter turnusmäßigem Wechsel der Linien im Direktorium, und die Bergwerke des Harzes, ober- und unterharzische, gefundene wie nicht gefundene, auch die Bergstädte sowie die Forsten von Zellerfeld und dem Rammelsberg, das Salzwerk zu Juliushall und das Hüttenwerk zu Gittelde den drei Linien pro quotis verbleiben.1029 Nicht einigen konnte man sich über die Rechte im Reich, das von der Braunschweiger Linie gemeinsam mit Magdeburg ausgeübte Recht zur Ausschreibung der Kreistage und andere dem angehörige Jura, die Stimme des Fürstentums 1025
Abgedruckt bei P. C. Ribbentrop, Sammlung, Th. 2, S. 86 (Nr. 89). Erstlich dass die hinterlaßene Braunschweigische Fürstenthumb, Graff-Herrschafften unndt Lande unter die (…) Alle Herzogen zu Braunschweigk unndt Lüneburgk, Im gleichen grad, Anverwandten Fürstlichen Agnaten, getheilet, unndt einem Jeden sein volliger Antheill der gepuhr auff folgende maße guht gethan werden soll, (…). Mit der Herrschaftseinheit gehen auch die dazugehörigen Gräfflichen Adelichen Bürger unndt Bawr Lehne auf den neuen Inhaber über. 1027 Nemblich vors Ander, daß darumb die Fürstenthumber nicht zerrüttet unnd dismembriret, oder in so viele theile zerrißen, sondern ein Jedes sowoll das Wulfenbüttelsche, als Calenbergische Fürstenthumb in seiner Consistenz, Jedoch ohne einiges präjudiz des Fürstlichen Hauses unndt der Successorn verpleiben unndt zusammen behalten, (…). 1028 (…) Auch zwo Fürstliche Regierungen, eine im Fürstrnthumb Wulffenbüttel, Die andere im Fürstnthumb Calenberg angestellet werden sollen. Deshalb musste auch das Archiv des verstorbenen Wolfenbüttelers geteilt werden. Jeder erhielt die dem ihm zugedachten Fürstentum zugehörigen Archivalien. Diejenigen Urkunden, die das Gesamthaus beträfen, sollen in dem gemeinen Kasten im Stift St. Blasius zu Braunschweig aufbewahrt werden. 1029 Diese Gemeinschaft wird insbesondere auch hinsichtlich der Unterhaltslasten genauer geregelt. 1026
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Wolfenbüttel im Reichsfürstenrat sowie das Seniorat im Gesamthaus. Nach Celler Vorstellungen sollte immer der jeweils Älteste unter den regierenden Herrn des Hauses Braunschweig-Lüneburg solche Jura haben. Hingegen wollten die Dannenberger, dass diese immer im Wechsel zwischen den Linien wanderten. Eine Lösung sollte in einer späteren Vereinbarung oder Rechtlichen Außfrage gesucht werden. Ebenso künftiger weiterer Vergleichung wurde die Frage, wie die praesentatio der präbenden in den Stifftern St. Blasii unnd Cyriaci in unnd vor Braunschweig geregelt werden sollte, anempfohlen. Dem Grundgedanken der gleichmäßigen Berechtigung aller an der Teilung beteiligten Herzöge konnte die in sich integritätswahrende Zuordnung überkommener Herrschaftseinheiten, der Fürstentümer und Grafschaften, natürlich nicht gerecht werden. Aber gleichsam unterhalb der Herrschaftsebene, auf der Einkunftsebene konnte – wie von den Ständen vorgeschlagen – die Teilung nach Köpfen umgesetzt werden. Zwar wurden nicht unmittelbar die Einkünfte aus bestimmten, benannten Ämtern oder Steuern aufgeteilt. Vielmehr wurden die Kammergefälle der zugeteilten Einheiten nebeneinander gestellt und aus diesem Vergleich eine – die Dannenberger Linie treffende – Pflicht zur Ausgleichszahlung, zur Exäquation, ermittelt. Die Erträge der Fürstentümer und Grafschaften mussten in Ermangelung von Kammer- und Amtsrechnungen und auch anderweitiger Nachrichten und zur Vermeidung von Verzögerung der Erbauseinandersetzung geschätzt werden. Man wollte sobald als möglich die Ämter durch verständige Leute visitieren lassen, um deren Pertinentien und Intraden feststellen und dann einen erneuten Vergleich der fürstlichen Kammergefälle anstellen zu können. Jetzt aber wurden die Kammereinkünfte Calenbergs und Wolfenbüttels jeweils auf 90.000 Taler, diejenigen der Grafschaft Hoya auf 26.838 Taler und die Einkünfte der Grafschaft Blankenburg auf 21.600 Taler angesetzt. Und weil eben Celle mit Calenberg und Harburg mit Hoya und Blankenburg Ihres volligen Antheils halber nicht contentiret unndt befriedigt werden können, sollte August der Jüngere der Celler Linie 7.500 Taler jährlicher Intraden, beginnend an Trinitatis 1635, zahlen. Für Harburg wird zwar ein Residuum, eine Differenz, zwischen zugeteilter Kammergefälle und errechneter Erbquote von 16.830 Talern angenommen. Gleichwohl soll auch diese Linie nur 7.500 Taler Ausgleich von August dem Jüngeren erhalten.1030 Celle wie Dannenberg behielten sich vor, dass die Abfindungszahlungen 1030 Die Leistung Augusts des Jüngeren an die Celler Linie sollte brevi manu aus den Dannenberg vermöge des Vertrags von 1618 zustehenden Geldern aus der Grubenhagener Verlassenschaft erfolgen. Da aber August diese Gelder zur Zeit anderweitig verobligiert hatte, sollten die 7.500 Taler für Celle aus den Dannenberg respectu Wolfenbüttel zukommenden Bergwerksintraden bestritten werden. Für Harburg fehlte es nun, so lange die Grubenhagener Verlassenschaft und in Folge dessen die aus den Bergwerken gewonnenen Einnahmen verplant waren, an einer Assekuranz ihrer Ausgleichsforderung. Als interims assecuration wurden die Harburger Zahlungen auf die allgemeinen Kammergefälle und Intraden des Fürstentums Wolfenbüttel angewiesen. Es geht hier also wohl nicht nur um Absicherung der Forderung der einen, der Empfängerseite, sondern auch darum, dass diese Forderungen nicht die Wirtschaftskraft des zahlungspflichtigen Fürstentums auszehrt, dass der Haushalt der einzelnen Ämter geschont wird. Nur vorübergehend sollen die Zahlungen aus dem allgemeinen Haushalt bestritten werden.
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an Harburg zu keinem Präjudiz für den Fall gereichen sollten, dass die Harburger Linie erbenlos abginge. Hinsichtlich der onera so die Fürstlichen Herrn Agnaten zu agnostizieren haben möchten, wurde verabredet, dass diese grundsätzlich allerseits proportionabiliter et pro rata, dass keiner den anderen beschwere, getragen werden sollen. Speziell einigte man sich unter anderem, dass man gegen die Tillische1031 unnd andere praetensiones für einen Mann stehen wolle. Wegen der übrigen, besonders der auf dem Fürstentum Calenberg haftenden Schulden wollen sich die fürstlichen Agnaten alsdann zusammentun, Alles in reiffe erwegung ziehen, unnd sich eines einhelligen würcklichen Schlußes der adäquatio halber pro rata freundtlich vergleichen. Ohnehin fassen die Vertragsschließenden zur Klärung der weiterhin offenen Punkte – ausdrücklich genannt werden Justiz und Konfession in den Landschaften – eine baldige neuerliche Zusammenkunft ins Auge.
dd) Die Behandlung der von Friedrich Ulrich hinterlassenen Schulden Schon zur Mitte des darauf folgenden Jahres 1636 fanden Erörterungen in Peine statt.1032 Dort einigten sich die sukzedierenden Agnaten vor allem über die Behandlung der von dem verstorbenen Wolfenbütteler Regenten hinterlassenen Schulden. Vorbereitet wurde die Vereinbarung offenbar von dem neuen Vizekanzler, späteren Kanzler, des Fürstentums Calenberg Johann Stucke.1033 Dieser hatte ausgehend von der Grundbestimmung zur Schuldtragung der Sukzedenten im Teilungsrezess vom 14. Dezember 1635 ein Gutachten zur Frage der Schuldhaftung des agnatischen Nachfolgers erstattet.1034 Darin unterscheidet er ganz konventionell zwischen der Erbfolge des Deszendenten und der lediglich lehnrechtlichen Nachfolge des Agnaten. Im letzteren Falle hafte der Nachfolger nicht für Kammerschulden.1035 In den Verhandlungen der fürstlichen Räte mit dem landständischen Ausschuss zu Hildesheim im April 1636 hatte Stucke weit moderner argumentiert, hatte er die zeittypischen Bahnen des feudalen und allodialen Erbrechts zur Feststellung und Begründung von Rechten und Verbindlichkeiten des Nachfolgers verlassen und die Rechtssubjektivität des Fürstentums formuliert als kontinuierliches, von dem generativen Wechsel des Regenten unabhängiges Zuordnungssubjekt der aktiven wie passiven Rechte. 1031 Mit dem Friedensschluss von Lübeck (Mai/Juni 1629), mit dem Dänemark aus dem Kampf um die Hegemonie im Nordwesten des Reiches vorerst ausschied, sprach der Kaiser General Tilly 400.000 Taler zu, die der Wolfenbütteler Herzog Friedrich Ulrich ursprünglich dem dänischen König Christian IV. geschuldet hatte; G. Van den Heuvel, Niedersachsen, S. 124 ff. 1032 Rezess von Peine vom 14. Mai 1636 (dazu G. Van den Heuvel, Niedersachsen, S. 129). Vom Inhalt der Verhandlungen im Juni und Juli 1636, berichtet der Akzidenzvertrag in Punkt 5. 1033 Stucke (1587 – 1653) war Professor in Helmstedt, Hofgerichtsassessor in Wolfenbüttel, Kanzler Georgs von Calenberg und stand zuletzt in schwedischen Diensten. 1034 Consilium XXVI, oben B.V.3.a) Anm. 179. 1035 Bes. Randziffern 527 ff. des Konsils.
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Distanziert, ja fast belustigt formuliert Spittler1036 eineinhalb Jahrhunderte später zu Stuckes Argumentation zur Begründung des Lüneburger Anspruches auf die 1629 dem Stift Hildesheim restituierten, bis 1433 zweifellos welfischen Ämter unter Vermeidung der Übernahme entsprechender Passiva des Herzogs Friedrich Ulrich: „Schlauer1037 war ein Einfall, auf welchen der neue Vicecanzler D. Stuck gerieth, und den er mit aller Freude einer selbstgemachten neuen Erfindung den übrigen fürstlichen Räthen und Landständen empfahl. Das bisher so bestrittene Recht an das grössere Hildesheimische Stift, so durch das Aussterben des Braunschweigischen Hauses zu verschwinden schien, war seines Erachtens niemals ein Recht der Braunschweigischer Fürsten gewesen, sondern die ganze, eben daher auch noch immer vollgültige, Foderung war eine Foderung des Fürstenthums Calenberg-Wolfenbüttel, bey dessen Ausführung der Fürst als natürlicher und gebohrener Procurator gehandelt habe, dessen Tod also in der rechtmässigen Fortdauer der alten Ansprüche eben so wenig Veränderung machen könne, so wenig in irgend einem Privatrechtsfalle der Tod oder das Creditwesen des Advocaten einer Parthie eine rechtlichentscheidende Epoche verursacht werde. Es schien der Besitz des Hildesheimischen gerettet, die Uebernahme der Schulden vermieden werden zu können, den einzigen Fall ausgenommen, der freylich mehr als zu wahrscheinlich war, wenn man die feine Unterscheidung, die der Vicecanzler ausgesonnen hatte, zu Wien oder zu Speier1038 nicht fassen wollte“. Im Ergebnis sahen sich die agnatischen Lehnsfolger aus Lüneburg – wen will es überraschen – nicht verbunden, für sämtliche Verbindlichkeiten des Verstorbenen zu haften. Indes entzogen sie sich nicht jeder Haftung. In einem 1636 errichteten Rezess formulieren sie: Daß, ob sie gleich als Landes Successores nicht gemeynet seyen, mit dem Allodio und Passivis sich zu meliren: so wollten sie jedoch die Befriedigung derer Creditorum gern möglichst befördern, und sollte dahero die Fürstl. Frau Witwe und Prinzessinen fordersamst vernommen werden, in wie weit sie sich derer Erbstücke unterziehen, und gegen die Creditores einlaßen wollten. Hierauf sollte das Allodium in Corpus gebracht, und in Commodum Creditorum bestens conserviret, auch nach geschehener Liquidation mit ihnen den Rechten nach also verfahren werden, damit ihrer aller Befriedigung so viel möglichst geschehen könne.1039 Die Schulden der Calenberger und Wolfenbütteler Landschaft wurden bezahlt.1040 Die Kammerschulden 1036
2. Teil, S. 5 f. „Schlauer“ als der Rat eines der anderen „tapferen Rechtsgelehrten“, der den Lüneburgern geraten habe, „selbst auch den ersten Hauptgläubiger des ausgestorbenen Hauses zu spielen (und) sämmtliche Allodialgüter als Ersatz des geschmälerten und verheerten Stammguts zu nehmen“, ebd., S. 4 f. 1038 Gemeint sind Reichshofrat und Reichskammergericht. 1039 Abgedruckt insoweit bei P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 160 f. 1040 Dahinter steht gewissermaßen eine Fiktion: „Die Schulden des Fürsten waren schließlich“, wie E. Schubert, Steuer, S. 9, für das 16. Jahrhundert konstatiert, „als Schulden des Landes definiert worden.“ (Sie waren aber in den seltensten Fällen zum Wohl des Landes aufgenommen worden, weswegen die anfangs des 17. Jahrhunderts aufkommende politische Wissenschaft in ihnen vor allem Ausdruck von fürstlicher Verschwendungssucht und übermäßiger Prachtentfaltung sah.) 1037
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beglichen die Lehnsfolger indes nicht. Sie überließen den Gläubigern vielmehr, wie abgesprochen, die Einkünfte aus dem Allodium zur sukzessiven Befriedigung. Dieses Allodium bestand aus dem Salzwerk zu Salzliebenhall (Salzgitter), dem Feldzehnten von Dassel und Werninghausen und der Julius- und Bruchmühle in den Ämtern Erichsburg und Rotenkirchen. Den näheren Modus der Gläubigerbefriedigung sowie die Verwaltung dieses corpus bonorum durch die beiden Häuser Lüneburg und Braunschweig bestimmte ein Rezess vom 13. März 1653.1041 ee) Der Akzidenzvertrag vom 10. Dezember 1636 Weitgehend abgeschlossen wurden die Auseinandersetzungen um das Erbe Friedrich Ulrichs dann am 10. Dezember 1636. Mit dem so genannten Akzidenzvertrag verglichen sich die Regenten der drei welfischen Fürstentümer, Friedrich für Lüneburg, Georg, dem Calenberg zur alleinigen Regentschaft übertragen worden war,1042 und der Wolfenbütteler August, weithin über die 1635 noch offen gehaltenen Fragen.1043 Die ersten Bestimmungen des Vertrags betreffen das Verhältnis zum Reich, die vom Reich herrührenden Rechtsstellungen. Damit spiegelt der äußere Aufbau des Vertrags auch das darin zu Tage tretende Verständnis der Verfassungsordnung, der verfassungsmäßigen Einbindung der eigenen (Landes-)Herrschaft in das Reichsgefüge wider. Man verabredete zur desto krefftiger effctuir- unnd fortsetzung des Vertrages vom 14. Dezember 1635, dessen Bestimmungen grundsätzlich, abgesehen von den nun zu treffenden Modifikationen, bestätigt werden, beim Kaiser um eine dienliche eröfnung derer darin getroffener theilunge nachzusuchen, eine entsprechende resolutio zu erwirken. Für diese kaiserliche Bestätigung der hausvertraglich vereinbarten Teilung wird nicht der übliche Ausdruck der confirmatio caesarea verwandt. Und auch von der dargestellten Zielsetzung weicht die zu beantragende kaiserliche Handlung von den bis dahin bekannten Verabredungen zur Einholung der confirmatio des Reiches ab. Die eröfnung, die resolutio soll nicht nur der Sicherung, der Bestärkung der getroffenen Teilung dienen: dass ein Jeglicher (…) bei seinem Ihme vermöge selbigen Vertrages gefallenen, unnd fürters von seinen, oder seinen 1041 Dazu P. C. Ribbentrop, wie Anm. 272; U. F. C. Manecke, S. 104 Anm. 53; W. Havemann, Bd. 2, S. 708. Diese Vermögensmasse bestand im Kern noch über das Ende des Königreichs Hannover 1867 hinaus. Unter der Bezeichnung Altfürstlich Braunschweig-Lüneburgisches Allodium verblieb es dem letzten hannoverschen König Georg V. in der Vermögensauseinandersetzung mit den siegreichen Preußen (Vertrag über die Vermögensverhältnisse Sr. Majestät des Königs Georg V. vom 29. September 1867, § 7; u. a. abgedruckt bei O. Klopp, Verfahren, S. 52 ff.). 1042 Mit Vertrag vom 27. Januar 1636, dazu unten bei Anm. 299 ff. 1043 Abgedruckt bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 453 ff. Weitere Folgeverträge zur Neuordnung von 1635 wurden am 7. März 1637 in Peine zur Ordnung der Verleihung der geistlichen Lehen an den beiden Stiftern zu Braunschweig und am 12. Mai 1649 zur Gemeinschaft an der Universität Helmstedt und dem so genannten Kommunionharz geschlossen; dazu W. Havemann, Bd. 2, S. 707 f.
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Bruders cedirten Antheile,1044 unnd in specie wir Hertzog Augustus bey dem Fürstenthumb Wulffenbüttell, unndt Wir Hertzog Georg bey dem Fürstenthumb Calenbergk, wie Imgleichen gedachte Unsere Vettern Harburgischer Linien, bey den acceptirten beeden Graffschafften Hoya unnd Blanckenburgk geschüttzet werde. Vielmehr soll der Kaiser auch jedem von ihnen über diese formale Zuordnung der Herrschaftseinheiten hinaus deren Inhalt, die mit den Fürstentümern und Grafschaften verbundenen materiellen Herrschaftsgrundlagen wenigstens sichern, wohl überhaupt erst vermitteln: Einem jeden sollen die bei seinem theill, wie die von diesem alleine gewesen unnd administriret, herbrachte unnd sonsten denen vermüge der observantz im Heyl. Röm. Reich folgende Regalien, digniteten, Würde, Session unnd Stimme gelassen werden. Hier tritt die Regalienlehre hervor.1045 Kaiser und Reich erscheinen nicht lediglich als Instrument der Stabilisierung hausvertraglicher Bestimmung, gleichsam als Notariat, sondern als Ausgangspunkt, als Verankerung, als Grundlage der Legitimität fürstlicher Herrschaft, dabei wird nicht nur das lediglich lehnrechtlich ausgestaltete Delegationsmodell der Regalität abgebildet; es wird auch ganz unmittelbar der Kaiser als Lehnsherr angesprochen, wenn man sich des lehnrechtlichen Begriffs der eröfnung bedient. Wiederum aber wird, wie bei den Einholungen der confirmatio caesarea, eines eigenen kaiserlich-lehnsherrlichen Willens, eines Trachtens nach Mitgestaltung durch das Reich, einer auch materiell angefüllten Rechtsposition des Kaisers nicht gedacht. Der Kaiser war eher Notar als Beteiligter. Hinsichtlich der beiden von Friedrich Ulrich hinterlassenen dignitates, der beiden Beteiligungsrechte am Reich, zum einen die Stellung in der Reichsdeputation,1046 zum anderen das Recht zur Ausschreibung des (niedersächsischen) Kreistags, die Stellung eines kreisausschreibenden Fürsten,1047 setzte sich die Celler Haupt-, nun auch Calenberg umfassende Linie durch. Diese unteilbaren Rechtsstellungen sollten nicht alternierend, wie von Dannenberg 1635 gefordert, zwischen den Linien Lüneburg/Calenberg einerseits und Dannenberg/Wolfenbüttel andererseits nach jedem Todesfall hin- und hergereicht werden. Vielmehr wurden sie mit dem Senium, dem Seniorat im Gesamthaus verbunden. Dem jeweils ältesten regierenden Fürsten, stehe er dem Wolfenbütteler, dem Calenberger oder dem Celler Fürstentum vor, sollten diese Rechtsstellungen ipso jure ohne jeden Widerspruch gebühren.1048 Die Aus1044 Insofern sollte der Kaiser offenbar mehr bestätigen als im Vertrag vom 14. Dezember 1635 niedergelegt war. Die Abtretung der Brüder an den Bruder, die alleinige Zuordnung Calenbergs durch August den Älteren und Friedrich zu Gunsten Georgs, wurde erst mit dem Vertrag vom 27. Januar 1636 vereinbart. 1045 Zu dieser oben B.V.1.c) bei Anm. 112 ff. 1046 Seit dem 16. Jahrhundert bestand eine ordentliche Reichsdeputation, die sich aus ständigen Mitgliedern der drei Reichskollegien zusammensetzte und tagte, wenn der Reichstag nicht versammelt war, H. Conrad, Bd. 2, S. 91. 1047 Der kreisausschreibende Fürst war neben dem Kreistag Organ des Reichskreises. In seiner Hand lagen Einberufung und Leitung der Kreistage, später auch die Geschäftsführung in dem Kreis (Kreisdirektorium), H. Conrad, Bd. 2, S. 103. 1048 Dem Senior kam damit neben der Zuständigkeit zum Empfang des Gesamtlehen von Kaiser, Reich und auch anderen Herrn, die Zuständigkeit zur Vergabe von Lehen im Namen des
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übung sollte indes mit den Vertretern der übrigen Linien abgestimmt und die Originalurkunden aus diesen dignitates sollten im Samptkasten des Stifts St. Blasius zu Braunschweig genauso wie diejenigen zum Gesamtlehen niedergelegt werden. Lehnrechtliche oder in diesem Rechtsstoff gründende Vorstellungen kennzeichnen nicht nur das Verhältnis zum Reich, die Beteiligung der Welfen an dessen Institutionen. Nun zur Mitte des 17. Jahrhunderts durchdringen Lehnrecht und Feudistik auch endgültig und aufs Deutlichste das Verhältnis der einzelnen Linien zueinander, das Gesamthausgefüge, wie es am Ende des Vertrages seine Ausgestaltung erfährt. Unter ausdrücklichem Hinweis auf das Alienationsverbot des gemeinen (Lehn-) Rechts – sowie auf die fehlende Neigung der Fürsten zur Veräußerung, Verpfändung und dergleichen – wird eine solche Beschränkung der Dispositionsbefugnis dennoch auch vertraglich vereinbart. Diese Beschränkung folgt dann den altbekannten Bahnen: Beschwerungen, Verpfändungen, Versetzungen und Veräußerungen von Land und Leuten oder auch anderer Stücke sind nur mit ausdrücklicher Bewilligung der anderen Vertragspartner und ihrer Nachkommen, also mit Agnatenkonsens, zulässig. Vielmehr sollen sie alles – und hier brechen wieder die noch zu erörternden moralisch, wirtschaftlich und pädagogisch ermahnenden Verhaltensregeln hervor – durch des Allmechtigen kräftigen Beistandt vermittels guter oeconomischer administration in einem durch menschlichen fleiss unnd mühe ablanglichen Zustande conserviren unnd erhalten. Für den Fall, dass eine Veräußerung von Rechts wegen doch ausnahmsweise zulässig sein sollte,1049 wird ein Näherrecht verabredet: Das Gut soll in der Reihenfolge des Nähegrades den Verwandten auf Wiederkauf angeboten werden, über die Verwandtschaft hinaus, an frembde unnd ausserhalb Landess, aber nicht. Verstöße gegen diese Bestimmungen lassen Verfügungen ipso Jure null, nichtig unnd unverbindlich sein. In der Bestimmung zur Behandlung von Erwerbungen durch einzelne Linien, der noviter acquisita, begegnet das Gesamthaus als ein vollständig lehnrechtlich erfasster Korpus. Die Verbindung der einzelnen Glieder besteht im Gesamtlehen. Dieses ist die Grundlage der Sukzessionsgemeinschaft, der wechselseitigen Sukzessionsberechtigungen. Erlangt oder erwirbt nun eine der Linien etwas hinzu, sollen – so ordnet der Vertrag gerade im Hinblick darauf an, dass dies bisher nicht einheitlich gehandhabt worden sei – diese Akquisitionen bei dem erwerbenden Zweig verbleiben. Indes soll sich jeder darum bemühen, dass etwa lebende andere Linien uff deren Kosten mit in
Gesamthauses, das Kondirektorium im niedersächsichen Kreis (neben Magdeburg), die Teilnahme für Braunschweig in der Reichsdeputation, der Vorrang unter den braunschweig-lüneburgischen Stellen (16. bis 19. Stelle wegen Celle, Calenberg, Wolfenbüttel und Grubenhagen) auf den Reichstagen im Fürstenrat zu; vgl. auch P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 120 f. 1049 Als zulässig galt der literarisch-theoretischen Behandlung und Begleitung der Politik etwa der Verkauf aus einer Notsituation heraus, aber auch die wirtschaftlich sinnvolle Veräußerung. So vertritt etwa V. L. v. Seckendorf in seinem Fürstenstaat von 1656, III 4 § 18, dass der Verkauf eines Kammer- oder herrschaftlichen Stückguts zuweilen nützlicher sei, besonders bei Heimfällen von Lehen, als wenn sich die fürstliche Kammer mit mehr Dienern und Aufsicht belaste.
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die folge gebracht werden. Damit ist nichts anderes als die Aufnahme der noviter acquisita in das Samtlehen gemeint. Dies ist aus der Kostentragungsanordnung, die auf die Lehnsgebühren, die Lehnstaxe hinweist, zu folgern. Mit der Aufnahme in das Gesamtlehen wird das Sukzessionsrecht der Agnaten begründet oder mindestens gesichert. Und dieses feudale Nachfolgerecht, das nach der im langobardischen Lehnrecht wurzelnden Rechtsanschauung von der successio ex pacto et providentia maiorum streng genommen kein Erb-, sondern ein Anwachsungsrecht war, vermochte sich gegen eventuell begründete allodiale Erbberechtigungen an der durch die Aufnahme in das Gesamtlehen dann lehnbaren Akquisition durchzusetzen. Denn der – lehnrechtlich – nachfolgende Agnat sollte dem LandtErben, oder andern vorhandenen Interessenten von der ausgegangenen Linien, das Jenige was dieselbige uff solche newe Stücke nothwendig unnd nützlich verwendet, der pilligkeit nach ohnfeilbarlich erstatten. Der „Landerbe“ musste die „neuen Stücke“ herausgeben. LandtErben, das sind die Allodialerben. Von den Feudalsukzessoren zu unterscheiden sind sie nur im Falle der Nachfolge durch die Seitenlinie, wie hier. Und in diesem Falle sind die Landerben genau genommen Landerbinnen; weibliche oder wenigstens weiblich vermittelte Deszendenz, die von der Lehnfolge ausgeschlossen war1050. Denn unter den Nachkommen in absteigender Linie fallen allodial und feudal begründete Nachfolge bei Söhnen und Enkeln in eins; die Allodialerbfolge ist neben der Feudalnachfolge nicht selbstständig wahrnehmbar. So waren es auch einige Monate zuvor die Witwe Herzog Friedrich Ulrichs und die Prinzessinen, an die die Seitenverwandten aus Lüneburg auf der Suche nach einer Haftungsmasse für die Schulden des verstorbenen Fürsten herantraten.1051 Offenbar wurde die Ausstattung der Frauen, Leibgedinge, Wittum und Mitgift, unter dem Begriff des Erbes mit erfasst. Diesem Verständnis dürfte zu Grunde liegen, dass im römischen Recht, an dem die Räte und Gutachter, die Verfasser der Hausverträge, geschult waren, Töchter gleichberechtigt neben Söhnen erbten.1052 Nun aber, da die Rechtsmassen (Gesamt-)Lehen und Allod und die entsprechenden Erb- und Nachfolgen durchdrungen und auch ihrem Substrat, den konkreten Stücken nach erfasst waren, konnte das weibliche Erbrecht eindeutig der allodialen Sphäre zugeordnet, auf allodiale Gegenstände bezogen werden. Wer vom Samtlehen mit erfasst war, konnte lehnbare Positionen erben; wer nicht erfasst war, konnte nur Allodialerbe sein. Allerdings hatten, wie Goez feststellt, in fast allen deutschen Territorien noch in der Neuzeit Töchter aus regierenden Häusern bei ihrer Vermählung einen Erbverzicht auszusprechen.1053 Noch immer vermochte offenbar auch die in weiblicher Linie vermittelte Deszendenz, Begehrlichkeiten auf Nachfolge zu erzeugen, zumindest noch erwägenswert erscheinen zu lassen – trotz der insoweit klaren Ausgestaltung der Nachfolge im Samtlehen. 1050
Die Zugehörigkeit zum geistlichen Stand als Ausschlussgrund aus der Lehnsnachfolge trat nach der Einführung der Reformation in den welfischen Landen naturgemäß in den Hintergrund. 1051 Siehe oben B.V.3.a) bei Anm. 184 ff. 1052 H. Coing, Bd. 1, S. 602. 1053 Leihezwang, S. 49.
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Wie allerdings innerhalb des Gesamtlehens die Linien zueinander standen, war noch nicht abschließend geklärt, wie sich nach Erledigung der Grubenhagener und auch der Wolfenbütteler Linie 1596 und 1634 deutlich zeigte. Insofern war auch mit der Aufnahme der noviter acquisita in die folge, in die Sukzessionsgemeinschaft des Gesamtlehens noch keine Sukzessionsordnung im Sinne einer Rangfolge zwischen zwei oder mehr Linien bei Aussterben eines dritten Zweiges vorgegeben. Diese Lücke füllt der Vertrag aber auch: Maßstab soll danach die verwandtschaftliche Nähe sein: es soll die an Bluett unnd Verwandtnuss negstfolgende succediren. Eingebettet in die Abreden zur Stellung im Reichsgefüge einerseits und zur inneren Ausgestaltung des Hauses andererseits1054 und diese Klauseln an Umfang übertreffend finden sich Verabredungen mit geringem, teils keinem konkreten Regelungsgehalt. Neu, bisher in den Verträgen innerhalb oder zwischen welfischen Linien – anders bei den Testamenten –1055 nicht zu beobachten, werden Programmsätze, weithin allgemein gehaltene Anleitungen zur Regierung, zur guten Regierung, formuliert. Freilich ist die Fixierung der Augsburger Konfession in allen welfischen Linien1056 kein bloß allgemeiner, einem konkret kaum fassbaren Regiment gewidmeter Programmsatz, sondern nach der im Zuge der Reformation und Gegenreformation gewonnenen Kirchenhoheit der Landesfürsten, insbesondere aber in Zeiten der nun kriegerischen Konfrontation konfessioneller Machtblöcke eine Antwort auf eine entscheidende ordnungspolitische Aufgabe der Fürsten. Auch die gegenseitige Erinnerung an Treue und Pflicht gegenüber dem Reich, den Kurfürsten und den anderen Ständen, insbesondere natürlich den evangelischen, und dem sich daraus ergebenden Verbot, Bündnisse gegen die kaiserliche Majestät und das Reich einzugehen, ist den jüngsten Erfahrungen und der aktuellen Konstellation des dreißigjährigen Kriegs geschuldet.1057 Gleichwohl fehlt diesen Zielen – sieht man von dem Vorhaben, zur Ver1054 Zu dieser Ausgestaltung des Gesamthausgefüges gehört auch eine umfangreiche Schiedsgerichtsvereinbarung mit einer recht detaillierten Verfahrensordnung (Punkt 18 des Vertrags). 1055 Als klassisches Fürstentestament sind allerdings bis 1636 nur dasjenige des Grubenhagener Herzogs Philipp (†1551), dasjenige des Wolfenbütteler Regenten Julius aus dem Jahre 1582 und – freilich ohne Sukzessionsbestimmung – dasjenige seiner Gemahlin der Herzogin Elisabeth (†1558, abgedruckt ist dieses Testament bei F. K. v. Strombeck) anzuführen. 1056 Punkt 7 des Vertrags: Die Fürsten wollen ihre Landschaft in der protestantischen Lehre schützen, darauf achten, dass Unsere Junge Herrschaft unnd alle davon posterirende Nachkommen in keiner anderen Religion erzogen und Räte, auf die der Verdacht falle, nicht mit dem Herzen der neuen Konfession zugetan zu sein, entlassen werden. 1057 Punkte 10 und 11; an erster Stelle der Motivierung des Vertragsschlusses in seiner Arenga wird Bezug genommen auf die allgemeine Not, den Jammer und das Elend, die durch den nun achtzehn Jahre währenden Krieg über Unser liebes Vaterlandt Teutscher Nation gekommen seien. Dieser Bezug auf das Kriegsleid rechtfertigt allerdings nicht, den Akzidenzvertrag von 1636 mit J. Kunisch, Staatsbildung, S. 84 ff., als Baustein für eine These zu verwenden, das im 16. und 17. Jahrhundert zunehmend deutlichere Streben, „das Erbfolgeproblem des monarchischen Fürstenstaats endgültig zu regeln und damit seine innere wie äußere Stabilität sicherzustellen“, sei auf die „viel beschworene Krise des 17. Jahrhunderts“ zurückzuführen. Denn diesem „Akzidenz“-Vertrag ist gerade dieses Streben nicht zu entnehmen. Und
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festigung des evangelischen Bekenntnisses in den Landen die an jedem Ort befindlichen Kirchenordnungen verständigen Personen zur Vereinheitlichung zu übergeben, alsdann der Landschaft vortragen und sie schließlich in den Fürstentümer publizieren zu lassen,1058 ab – die Benennung eines Instrumentariums zu ihrer Umsetzung, eine Institutionalisierung oder wenigstens Sanktionierung abweichenden Verhaltens. Gestaltung eines Programms nach dem Leitbild des guten Regiments, nicht bestimmte Regelung konkreter Sachfragen, kennzeichnet auch die Erklärungen, Räthe und Bediente darauff, unnd dass Sie darnacher eintzig unnd allein Ihre Consilia, thuen unnd lassen einrichten, hiemit ernstlich verwiesen (zu) haben,1059 ebenso diejenige: ohne an der Regierung folgenden Successorn Vorwissen und beliebung in wichtigen Sachen, fürnemblich confoederationen unnd Kriegs Verfassungen, nichts zu statuieren und willigen, sondern es sich angelegen sein zu lassen, dass auss einem Mundt geredet, mit einer feder geschrieben und gar keine dissonancz zu Rathschlägen unnd Dienern gefunden werde,1060 ganz besonders soll Eintracht herrschen bei Sachen, welche in den Statutum publicum lauffen und des gantzen Hauses conservation belangen;1061 ferner diejenige: sich einander beizustehen und sich gegenseitig in Kenntnis zu setzen, wenn gegen einen der Fürsten oder derer Land und Leute gehandelt unnd gerathschlagt werden möge;1062 und schließlich diejenige: dass die Untertanen unnd angehörige durch die drei Fürsten wie auch ihre Nachkommen nicht übergebührlich, nicht mit Härte (acerbität) und Strenge, sondern mit Gnade und Sanftmut regiert werden sollen. Da solches, wie in Punkt 14 ausgeführt wird, nicht besser dan vermittels administrirung gleichmessiger durchgehender Unparteylichen Justicz geschehen kan, welches abermahll unzweiffentlich von guten Verfass- unnd Ordnungen dependiret, wolle man demnächst unter Zuziehung der Landschaften (bevor ab da dieselbige dadurch in desto besser vernehmen gesetzet unndt conserviret werden können) auch in Kanzlei-, Hofgerichts- und Polizeiordnungen, so viell practicirlich, eine durchgehende conformitet schaffen. Mit diesen Programmsätzen wird der Rahmen des bisher in Verträgen Üblichen verlassen. Sie sind eher der sich seit dem 16. Jahrhundert herausbildenden Gattung einer Hofliteratur, den Fürstentestamenten, zuzuordnen. Eben nicht konkrete Regelung, sondern Zielbestimmung und ermahnender Ratschlag an nachfolgende Regenten kennzeichnen sie.1063
auch in Betrachtung des gesamten Vertragswerks zur Nachfolgeordnung in die wolfenbüttelcalenbergische Verlassenschaft lässt sich eine grundlegend neue Behandlung des Erbfolgeproblems nicht entnehmen; es stellt keinen Wendepunkt, keinen Schub auf dem Weg zur Primogeniturordnung dar. 1058 Punkt 8. Damit in engem Zusammenhang wird auch die Absicht niedergelegt, die Universität Helmstedt wieder zu alter Blüte zu führen (Punkt 9). 1059 Punkt 6. 1060 Punkt 12. 1061 Punkt 17. 1062 Punkt 13. 1063 Zu den Fürstentestamenten: F. Hartung; J. Engelfried; H. Duchhardt; M. Stolleis, Geschichte, Bd. 1, S. 344 f.
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Abschließend wird vereinbart, dass die jetzigen und künftigen Räte und Diener diese den publicum Statum und die conservation des Hauses belangende Erbvereinigung unnd Vertrag beschwören sollen; sie werden angehalten, uff diese Unsere Verfassung Ihr Aydt unnd pflichte zu leisten, damit sie dagegen nicht handeln, was sowoll zwischen Herrn alss Dienern zu stabilirung wahren und bestendigen Vertrawens gereichet. Auch wenn die paktierenden Herzöge dieser Abrede unmittelbar anfügen, genau dies hätten auch schon ihre geehrten Vorfahren auss sehr wichtigen erhebliche Ursachen für rahtsamb befunden, wird hier allenfalls noch in einem sehr formalen, äußerlichen Sinne die Tradition, hausrechtlichen Regelungen durch Einbezug von Räten und/oder Ständen Stabilität und Dauerhaftigkeit zu verleihen, gepflegt. Gerade diese Funktion, dieser Zweck lässt sich der Beeidung des Akzidenzvertrages nicht mehr entnehmen. Dabei ist allerdings auch zu bedenken, dass im Falle des Akzidenzvertrages den vertragsschließenden Fürsten keine einheitliche Landschaft und auch nicht nur ein einziges, festes Ratsgremium gegenüberstanden. Es handelten drei Vertreter selbstständiger, bereits abschließend zugeteilter Fürstentümer. Noch im Hauptteilungsrezess vom 14. Dezember 1635 erscheinen als Zeugen und „Beschwörer“ des Vertrags der Fürstlichen Braunschweigischen hinterlassenen Räthe und baiderseits Landtschafften Wolffenbüttel: und Calenbergischen theils. Die Lüneburger (Celler) Landschaft war offensichtlich unzuständig für diese 1635 noch Calenberger und Wolfenbütteler, nun Ende 1636 auch nicht mehr Calenberger Angelegenheit. Die vertragliche Regelung betraf sie nicht. Sie musste nicht von dieser Landschaft anerkannt werden, damit die Fürsten die Huldigung – als Vollzug der Vertragsabreden – erhielten. ff) Die Neufassung des Hauptteilungsrezesses vom 10. Dezember 1636 Ebenfalls am 10. Dezember 1636 in Celle wurde der Hauptteilungsrezess vom 14. Dezember 1635 – anders als beim Akzidenzvertrag unter Beteiligung der Harburger Herzöge Wilhelm und Otto sowie des „zweiten“ Dannenbergers Julius Ernst – in einigen wenigen Punkten entsprechend den Ergebnissen des Akzidenzvertrages modifiziert.1064 In dieser Fassung wurde der Hauptteilungsrezess auf Vorbringen der Herzöge Friedrich (Celle), Georg (Calenberg) und August (Wolfenbüttel) dann am 27. August 1638 kaiserlich konfirmiert.1065 Zugleich setzte Kaiser Ferdinand III. 1064 Die Vereinbarung zu den von Friedrich Ulrich hinterlassenen dignitates und zum Senium im Hause (Punkt 6) entsprechen nahezu wörtlich denjenigen des Akzidenzvertrages. Die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Ertragslage der einzelnen, verteilten Fürstentümer, wie sie 1635 noch näher beschrieben wurden, wollte man dem um Konfirmation gebetenen Kaiser offenbar ersparen; sie finden sich in der Neufassung nicht mehr; ebenso wenig die Einzelheiten, etwa die genauen Summen, zur Exäquation des Wertgefälles der Zuteilungsportionen (Punkte 10, 11). Hinsichtlich der zwischenzeitlich vorangetriebenen Frage der Haftung für die von Friedrich Ulrich hinterlassenen Schulden beließ man es bei der kargen Bestimmung von 1635 (nun Punkt 15). Schließlich werden der Ankündigung in Punkt 17 von 1635 folgend allseits die Landtschafften Ihrer hergebrachten Privilegien frey: Recht: und Gerechtigkaiten, der genüge versichert (Punkt 18). 1065 Abgedruckt ist die Urkunde zur kaiserlichen Konfirmation, in die die Neufassung des Hauptteilungsrezesses eingebunden ist, bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 4455 ff.
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eine Sanktion für Verstöße gegen die Bestimmungen des Vertrages fest: fünfzig Mark lötigen Golds waren für eine Vertragsverletzung zu zahlen, und zwar halb in unser und dess Reichs Cammer, und den andern halben thail offtgedachten Hertzogen zu Braunschweig unnd Lüneburg oder dem Jehnigen so dargegen belaidigt wurde. gg) Die Zuordnung Calenbergs innerhalb der Celler Hauptlinie mit Vertrag vom 27. Januar 1636 Bereits kurz nach dem Hauptteilungsrezess vom 14. Dezember 1635 ordneten die Brüder der Celler Linie, August, Friedrich und Georg, das Erworbene untereinander zu. Im Bewusstsein dessen, dass nach dem, wie ausdrücklich betont, auch kaiserlich konfirmierten Erbvertrag vom 15. April 1611 das ihrer Linie angefallene Fürstentum Calenberg eigentlich bei August als dem Ältesten neben den anderen besessenen Fürstentümern, Graf- und Herrschaften beysammen verbleiben und regieret werden müsste, überließen August und Friedrich unter Hinweis darauf, dass August bereits zimblichen hohen altters sei und gleichwohl schon die Regierungslast in den Fürstentümern Lüneburg und Grubenhagen trage, mit Vertrag vom 27. Januar 1636 das Fürstentum Calenberg dem jüngsten Bruder, Herzog Georg.1066 Dessen Nachkommen – Georg war der einzige der den Lüneburger Stamm fortsetzte – sollten sich vor August, Friedrich und deren nach Gottes Willen erfolgenden Successorn dieses, seinem Gehalt nach eingehend beschriebenen Fürstentums annehmen und es gebrauchen. Durch die Abtretung der Regierung des Fürstentums Calenberg sollte aber der Erbvertrag, wie ausführlich bekräftigt, nicht aufgehoben, kassiert und vernichtet werden, sondern auch für die Nachkommen bey seinen vollen Crefften verpleiben. Die 1635 August dem Jüngeren von Dannenberg, dann Wolfenbüttel auferlegten Ausgleichszahlungen an Celle werden zu zwei Drittel August dem Älteren und zu einem Drittel Georg zugeordnet. Auch soll das Amt Herzberg, das Georg 1617 seiner Gemahlin zur Leibzucht verschrieben hatte, bei diesem verbleiben. Dagegen überließ Georg die Ämter Wölpe und Neustadt am Rübenberge August und die Ämter und Vogteien Polle, Langenhagen, Nienover und Leuthorst Friedrich jeweils mit allem Zubehör, Gerichten und Gerechtigkeiten, aber nicht die Landes Fürstl. Obrigkeit, welche und waß davon dependiren thuet, Unß Hertzogen Georgen alß dem Regierenden Herrnbillig verpleibet.1067 Abschließend erklären die Brüder, die lobwürdigen und 1066
Abgedruckt ist dieser Vertrag bei L. T. Spittler, 2. Teil, Beil. Nr. VI, S. 60 ff. Von dieser Ausnahme wurde wieder eine Gegenausnahme gemacht, aus deren Verhältnis zueinander der Inhalt der fürstlichen Landeshoheit wenigstens auf dem Gebiet der Strafverfolgung deutlich wird: In peinlichen Sachen sollte es bei dem bisherige Gebrauch verbleiben, dass der angriff und die Cognition, bey eines jeglichen orts Beampten sein und verpleiben, die Acta aber und waß sonsten in Unsern Friedrichs Aemptern und Vogteyen vorgehet, Jedesmahles zu Unser Hertzog Georgens Cantzley, zu ders Verordn- und etwa erfordernden Verschickung ubersendet und die urtheill und bescheide, in Ihrer Unser freundtlichen lieben Bruders Hertzogen Friederichen nahmen so weit eines iglichen Ampts und Vogteyen Bezirck sich erstrecket, abgefasset, eröffnet und abgesprochen, Die Verweisung auch auf alle unsere Fürstenthumb, Graff- Herschafften und Lander eingerichtet werden wollen. 1067
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lobsamen Erbvereinigungen, Abschiede und Verträge der geehrten Vorfahren erneuern zu wollen, sie ihren Nachkommen zu propagieren, und geloben und versprechen vor den namentlich angeführten Räten als Zeugen, alles steiff und veste zu haltten. Der Inhalt dieser so nützlichen Verträge wird zuvor kurz zusammengefasst: Vermöge derer sich keiner in einige dem Heyl. Röm. Reiche und dessen Constitutionibus, Satz- und Verfassungen zu wieder laufende bundnussen einzulassen, noch einige Vehde, oder Krieg ohne des andern Vorwissen, und beliebnus einzugehen noch ueber sich zu nehmen befuegt gleichwoll aber einer dem andern, in allen begebenden nohtten, mit rath, hulff und tath beyzustehen verpflichtet, auch einer ohne des andern vorwissen, Landt und Leuthe zu beschweren, zu verpfenden, zu versetzen, noch in einige wege zu vereussern nicht bemechtiget, sondern durch des Allmechtigen Crefftigen beystandt, in eynem durch menschlichen Fleiß ablangenden richtigen Zustande, undt bey der reinen wahren Religion, und der in Ao 1530 aufm allgemeinen Reichstage zu Augspurg, weyland Kayser Carln dem Fünfften, von Unserm Hern Großvattern Christmilden angedenkens, mit übergebenen ongeenderten Confession, Imgleichen bey guther Justitz, und gedeylicher Oeconomischer Verwaltung, zu conserviren und zu erhalten schuldig. Damit haben die Brüder gewissermaßen ihr Regierungsprogramm, ihr Verhältnis zueinander bestimmt und zugleich auch aus den überkommenen Hausverträgen rechtlich fundiert. Nach dem Tod Augusts des Älteren schrieben seine Brüder Friedrich und Georg die im Januar gefundene Regelung mit einigen ihnen notwendig erschienenen Veränderung im Vertrag vom 8. Oktober 16361068 fort. In Anbetracht dessen, dass sie nun die letzten Überlebenden der Brüder seien, selbst schon in hohem Alter stünden und die Regierungslast sich bei itzigen allgemeinen erbärmlichen Wesen immer mehr und mehr überhäufe, sei man zu dem Schluss gelangt, daß gedachte unser Fürstenthumbe, Graf- und Herrschaften nicht beßer noch fueglicher zu guberniren, dan daß dieselbige von einander gesetzt werden, Jedoch ein iegliches in seiner Consistenz verpliebe. Entsprechend bekräftigt Friedrich die Überlassung Calenbergs, des Amtes Herzberg, der aus seinem Fürstentum Grubenhagen jährlich zu zahlenden 6.000 Reichstaler sowie der aus dem Nachlass Friedrich Ulrichs der Celler Linie zugefallenen Bestandteile der Herrschaft Homburg-Everstein an Georg. Friedrich, der ältere der Brüder, behält sich hingegen die nach Celler Auffassung – diese musste noch gegen die Dannenberger Ansicht durchgesetzt werden, wie es schließlich mit dem Akzidenzvertrag auch gelang – mit dem Senium verknüpften, jure Seny auf die Celler Linie gekommenen, Rechtsstellungen der Kreisausschreibung (neben Magdeburg) und der Standschaft in der Reichsdeputation ebenso wie den Anteil an der Juliusuniversität in Helmstedt vor. Auch überlässt ihm Georg die von August dem Jüngeren im Vertrag vom 14. Dezember 1635 der Celler Linie versprochenen 8.500 Taler jährlicher Nachschuß Gelder sowie weitere 500 Taler. Zudem übernimmt Georg grundsätzlich die auf dem Fürstentum Calenberg haftenden Onera, Bürde und Beschwernussen. Bei Schulden allerdings, die mit Friedrichs oder eines anderen Bruders Konsens aufgenommen 1068
Abgedruckt ist diese Regelung bei L. T. Spittler, 2. Teil, Beil. Nr. 7, S. S. 69 ff.
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worden seien, solle es mit der Abtragung billig nach Anweisung der gemeinen Rechte, und Befindung der darüber ausgestellten Briefe gehalten werden. Friedrich übernimmt die Regierung über die Fürstentümer Celle und Grubenhagen, den cellischen Anteil an Hoya sowie die Grafschaften Brockhausen und Diepholz – auch hier wird deutlich: er ist der Ältere, seine Rechtsstellung wird ihm nicht durch seinen Bruder überlassen. Es war, wie Friedrich wortreich beklagt, Pflicht, nicht Neigung, die ihn zu dieser Übernahme antrieb: Durch feindliche Irruptiones waren große Teile der im Übrigen in äußerster Kriegsgefahr befindlichen Herrschaften in anderer Händen gerathen; unaussprechliche Not drückte die Untertanen, und der gänzliche Ruin und Untergang zeichneten sich ab. Doch nach dem Tod Augusts des Älteren habe ihn die Natur und das Recht in der Ordnung erreichet;1069 Jammer, Noth und Elend könne keinen von der Regierungs Last bestendig entheben. Schließlich habe ihm Georg „eingeraten“, auch hege er keinen Zweifel, es werden unsere getrewe Landschaften, unß bey solchen großen Werke und heilsamer Verfassung deß gantzen Regiments und anderer gemeinen obliegen und Beschwerungen mit bestendigen Rath und That willfährig unter die Armen greifen und dadurch dieser mühsamen Würden erleichtern helfen. Sieht man von einigen Abstimmungen des der zeitigen Situation des dreißigjährigen Kriegs geschuldeten Verhaltens ab,1070 trägt auch schon dieser innerlüneburgische Vertrag aus dem Oktober 1636 das Erscheinungsbild einer Anleitung zum guten Regiment. Die meisten der Programmsätze des Akzidenzvertrages mit dem Dannenberger, nun Wolfenbütteler, August dem Jüngeren finden sich in zumeist kürzerer Fassung, vielfach gleichwohl mit selber Wortwahl, in diesem Vertrag wieder.1071 Es liegt nahe, dass dieser ältere dem jüngeren Vertrag insoweit als Vorlage gedient hat. Ihr Regierungsprogramm hatten die Celler Herzöge, wie sie es im Vertrag vom 27. Januar 1636 ausgeführt hatten, aus den von den Voreltern überkommenen lobsamen Erbvereinigungen und Verträgen geschöpft und somit zugleich auch auf diese als Legitimationsgrundlage gestützt. Nun nach dem Tod Augusts des Älteren erachteten seine Brüder es als Nothdurft, zu Beginn ihrer beiderseits Regierung und davon dependirender Puncte halber eine gewisse und bestendige Verfassung Gott zu Ehren, der Röm. Kays. Mjstt. Unserm allergndgst. Herrn und dem Heil Röm. Reich zu Dienste, unserm Fürstl. Hause zu Ruhm, und Land und Leuten zum Besten ufzurichten, und zu jeder männlichs insonderheit unserer lieben posteritaet Wissenschaft zu Papier bringen zu lassen, und formulierten das Programm näher aus. Im Akzidenzvertrag 1069
So heißt es eingangs des Vertrags, dass des verstorbenen Bruders Fürstenthumb Graffund Herrschafften und Lender ohnzweifentlich auf uns (…) (die überlebenden Brüder), Jedoch nach Inhalt der Brüderlichen Erbvertrage verfalle. Zwar sieht der Erbvertrag vom 15. April 1611 eine Nachfolge immer des Ältesten nicht ausdrücklich vor, jedoch wurde er offensichtlich in der Praxis so verstanden, als enthielte er diese Anordnung (vgl. oben B.V.1.c) bei Anm. 126 ff., 135). 1070 Punkte 11, 12 und 13 des Vertrags. 1071 Die Punkt 6 und 7 aus dem Oktober entsprechen den Punkten 6 und 7 des Akzidenzvertrages, Punkt 8 dem Punkt 10, Punkt 9 findet sich in den Punkten 12, 14 und 15 wieder, Punkt 10 auch in Punkt 14, Punkt 14 entspricht Punkt 17 und Punkt 17 Punkt 19.
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zwei Monate später schließlich wird diese Herleitung der Richtschnur guten Regierens und Verwaltens aus den hausrechtlichen Regelungen der Vorfahren nicht mehr ausdrücklich offen gelegt. hh) Der Abschluss der Auseinandersetzung um das Wolfenbütteler Erbe Einen Abschluss fanden die langjährigen Erbauseinandersetzungen, die nach dem Tod des Wolfenbüttlelers Friedrich Ulrich zwischen den Lüneburger Linien Celle und Harburg, vertreten vor allem durch Herzog Georg, auf der einen und Dannenberg, hier Herzog August dem Jüngeren, auf der anderen Seite ihren Ausgang nahmen, im Vergleich vom 17. Mai 1651: Nach langjährigen Auseinandersetzungen um das Harburger Erbe – die letzten Vertreter dieser Linie waren 1642, Wilhelm, und 1641, Otto III., verstorben – einigten sich Christian Ludwig von Calenberg, Georg-Wilhelm von Lüneburg-Celle und August der Jüngere von Wolfenbüttel darauf, dass die Grafschaft Blankenburg und Regenstein sowie die Hälfte des Harburger Anteils am Harz, der ehedem zwei Siebtel ausmachte, an Wolfenbüttel, das Harburger Abteilungsgebiet wie auch die obere Grafschaft Hoya hingegen an Lüneburg-Celle fallen sollten; auch musste Wolfenbüttel fortan nicht mehr die mit Vertrag vom 14. Dezember 1635 ausbedungene Ausgleichszahlung von 7500 Talern leisten.1072 Lenkt man den Blick von den Linien auf die von diesen besessenen Gebiete, fällt der Abschluss der Neuordnung im Welfenhaus, die durch den Tod Friedrich Ulrichs bei gleichzeitiger Spaltung des Hauses Lüneburg in drei Linien ausgelöst worden war, erst in das Jahr 1671. Jetzt fand das Fürstentum Lüneburg wieder zu der vor den Abteilungen des 16. Jahrhunderts bestehenden Einheit zurück. Die Celler Hauptlinie erhielt nach dem Heimfall Harburgs von dem aus der Dannenberger Linie hervorgegangenen neuen Haus Braunschweig die Ämter Dannenberg, Hitzacker, Lüchow, Wustrow und Scharnebeck, kurz: das Dannenberger Abteilungsgebiet, als Gegenleistung dafür, dass die Stadtherrschaft über die zuvor eingenommene Stadt Braunschweig sowie das Stift Walkenried allein an Wolfenbüttel fiel. Der dritte welfische Zweig, Calenberg, bekam durch diesen Vergleich den Reliquienschatz von St. Blasius; Wertunterschiede der einzelnen Zuteilungsportionen wurden in Geld ausgeglichen.1073 d) Ein Resümee Die bilateralen Erbverbindungen zwischen den einzelnen Linien des Welfenhauses funktionieren: Wie 1495 verabredet, fällt Calenberg-Göttingen 1584 ohne jeden Widerspruch aus dem Hause Lüneburg an die andere, die Wolfenbütteler Linie des mittleren Hauses Braunschweig. Streitigkeiten erzeugten diejenigen Erledigungen 1072 Der Vergleich ist abgedruckt bei J. H. C. v. Selchow, Th. 1, S. 78 ff.; W. Havemann, Bd. 3, S. 175 f.; G. Van den Heuvel, Niedersachsen, S. 151. 1073 Abgedruckt ist dieser Vergleich bei J. H. C. v. Selchow, Th. 1, S. 114 ff.; H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 389; M. Garzmann, Autonomiestreben, S. 78 f.; G. Van den Heuvel, Niedersachsen, S. 155.
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welfischer Linien, deren Nachfolge nicht durch Erbverbrüderung oder Sondersamtbelehnung präjudiziert war. Im Gesamthaus bestand keine Sukzessionsordnung. Der Gesamtlehnsverband steckte den Kreis der Sukzessionsberechtigten, nicht aber eine Rangfolge unter den Nachfolgeberechtigungen ab. Nach dem Erlöschen der Grubenhagener Linie – diese hatte sich zwar ursprünglich von einer Braunschweiger Linie Ende des 13. Jahrhunderts abgespalten, das mittlere Haus Lüneburg war aber seinerseits auch aus einem Braunschweiger Zweig nach 1369 erwachsen – ließen es die prätendierenden beiden großen Linien Lüneburg und Braunschweig letztlich auf eine Entscheidung des Reichs ankommen, der sie sich schließlich auch unterwarfen. Hier entschied der anerkannte rein erbrechtliche Maßstab der Gradesnähe zu Gunsten der Lüneburger. Zur Zuordnung der Verlassenschaft Friedrich Ulrichs von Wolfenbüttel und Calenberg-Göttingen nach dessen erbenlosen Tod 1634 sahen sich die streitenden Lüneburger Zweige Celle und Dannenberg vor dem Hintergrund der Gefahr eines kaiserlichen Eingriffs, des Einzugs des Nachlasses als erledigtes Reichslehen, zu einer Vertragslösung gedrängt. Die Verhandlungen auf dem Weg dahin zeitigten eine umfassende Diskussion um das Primogeniturrecht als Zuordnungsmaßstab. Dannenberg reklamierte dieses zur Begründung seines alleinigen Anspruchs auf das Erbe des Wolfenbütteler Herzogs. Durchzusetzen vermochte sich August der Jüngere von Dannenberg mit seinem Begehren indes nicht; letztlich teilte man den Nachlass. Allerdings schlug sich in der Verteilung auch nicht der von Celle propagierte Modus der Kopfteilung dergestalt nieder, dass die Verlassenschaft nach Anzahl der Köpfe beider prätendierenden Linien, zudem des Harburger Zweiges, mathematisch genau real vertikal zerlegt worden wäre. Vielmehr bewiesen die von Friedrich Ulrich ehedem gehaltenen Fürstentümer eine unauflösliche Festigkeit. Sie waren teilungsresistent; ihre Grenzen gaben die Schnittlinien der Erbauseinandersetzung vor. Worin aber gründete diese Festigkeit? Hier ist zunächst wieder auf die Institutionalisierung der fürstlichen Herrschaft hinzuweisen, auf die gesonderten Verwaltungsapparate. Indes waren insoweit die Grenzen schon zunehmend verwischt. So hatte etwa schon Herzog Julius das Wolfenbütteler Hofgericht nach dem Anfall Calenberg-Göttingens 1584 an seine Linie durch ein 1587 errichtetes gemeinsames Hofgericht in Gandersheim ersetzt.1074 Gesondert aber blieben die Landschaften Calenbergs und Wolfenbüttels bis 1634. Schließlich spiegelt sich die Eigenständigkeit der Fürstentümer auch in ihrer Stellung und Beteiligung im und am Reich wider. CalenbergGöttingen und Wolfenbüttel werden gesondert in den Reichsmatrikeln geführt, und auf beiden gründen jeweils eigene Stimmen im Reichsfürstenrat. Diese Einheiten werden in dem Einigungswerk von 1635 und 1636 erhalten. Die gleichmäßige, quotale Beteiligung am Erbe des Wolfenbüttelers fand gleichwohl Beachtung: zum Ausgleich wurden – wie üblich, möchte man sagen – homburg-eversteinsche und hoyasche Besitzungen verschoben. Vor allem fand ein Ausgleich durch Rentenzahlungen statt. Ganze Ämter wurden nicht mehr zur Justierung der Erb1074
M. v. Boetticher, Niedersachsen, S. 95.
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gerechtigkeit aus den Fürstentümern herausgelöst und zum Ausgleich der Gegenseite überwiesen; jedenfalls nicht im Verhältnis der beiden Hauptprätendenten 1635/6. Innerhalb der beiden nun als Häuser anzusprechenden Linien fanden, wie auch zuvor schon, noch Ämterausscheidungen und -vorbehalte statt: nach dem Anfall Grubenhagens an Lüneburg wurde von der Celler Linie den Dannenbergern ein Amt in Substanz überwiesen. Als Georg das Celle zugefallene Calenberg innerhalb dieser Linie übertragen wurde, ließ er einige Ämter seinem Bruder Friedrich wenigstens zur Nutzung auf; die landesfürstliche Obrigkeit behielt er sich indes vor. In dieser Form des Ausgleichs spiegelt sich das nun zunehmend gefestigte Verständnis einer einheitlich gedachten Landeshoheit und davon unterschiedener Landeserträge wider. Diese Landeshoheit muss nicht mit dem Reichsstand, der Stimme im Reichsfürstenrat, die auf das dem Regiment unterworfene Territorium bezogen ist,1075 in einer Person zusammenfallen: Die ehedem von Friedrich Ulrich geführten Stimmen für Calenberg-Göttingen einerseits und Braunschweig-Wolfenbüttel andererseits werden nicht den beiden neuen Regimentern, sondern dem einheitlichen, alternierend ausgeübten Senium im Gesamthaus zugeordnet. Die Frage der Nachfolgerverbindlichkeit wird erbrechtlich mit den Regeln der Feudistik erfasst und behandelt: Nur der lehnrechtlich zur Nachfolge berufene Agnat haftet, der auch zugleich Erbe ist. Auch wenn der Calenberger (Vize-)Kanzler Johann Stucke in diesem Zusammenhang schon moderne Gedanken zur Rechtssubjektivität des Fürstentums formuliert, verharrt man doch noch lange in der Fragestellung der Verbindlichkeiten des Nachfolgers, die sich bei ihrer Zuordnung zum Fürstentum ja nicht mehr stellte, in erbrechtlich-feudistischen Bahnen. Auch die Frage der Alienationsbefugnis des individuellen Inhabers wird in die Sprache der Feudistik gekleidet; ihre Beschränkung wird aus dem überkommenen Lehnrecht begründet. Materiell stehen aber längst Gedanken der Kameralistik, der „guten ökonomischen Ordnung“ dahinter. Weiter zusammenfassend: Das dynastische Erbrecht schreitet weiter in seiner inhaltlichen Umgestaltung voran und wird entsprechend in seiner Wirkung auf die Gestalt der Herrschaftseinheiten gewissermaßen weiter zurückgedrängt. Der gleichmäßige Anspruch der Prinzen auf Beteiligung am väterlichen Erbe verliert zusehends an Anerkennung. Das Erbrecht überwölbt festere Herrschaftsblöcke. Diese mögen, bewegt durch das Erbrecht, hin- und hergeschoben werden, sind aber in sich weithin teilungsresistent. Das subjektive Recht der Erben wird gegenständlich eingeschränkt: hinsichtlich des Regiments entfaltet es keinesfalls die gleiche Kraft, wie auf die Erträge bezogen. Die zunehmende Unterscheidung von Regiment und Ertrag ermöglicht, das grundlegende Spannungsverhältnis der fürstlichen Sukzession – ein Fürstentum auf der einen, mehrere Erben auf der anderen Seite – aufzulösen. Daraus ergibt sich folgender Aufbau des Verhältnisses von Dynastie und Fürstentum: den weitesten Rahmen spannt das Gesamthaus; es ist ein feudistisch ausgestal1075
Zur Territorialisierung der Stimmen im Reichsfürstenrat: H. Conrad, Bd. 2, S. 97 f.
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teter Sukzessionsverband, dem zudem die Wahrnehmung einiger der Beteiligungsrechte am Reich zugewiesen ist. In diesem Rahmen werden die welfischen Rechtspositionen vererbt. Gleichsam von diesem umwölbt befinden sich die einzelnen Fürstentümer, verkörpert und verfestigt durch Landeshoheit, insbesondere auch bezogen auf die Landschaft. Sie sind einzelnen Linien zugeordnet und in sich unteilbar. In der Tendenz versucht die Linie, ihr zugeordnete Mehrheiten von Regimentern zu einer zu verschmelzen. Davon scheidbar sind die Erträge des Fürstentums, diese sind einer weithin gleichmäßigen Erbberechtigung der einzelnen Dynasten ausgesetzt. 4. Haus, Fürstentum und Primogenitur – die Sukzession in den welfischen Linien seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts a) Die Nachfolge im neuen Haus Braunschweig August der Jüngere, der Stammvater dieses bis 1884 das Fürstentum und spätere Herzogtum Braunschweig (so ab 1815) regierenden Hauses, hatte kurz nach seinem durch Vertrag vom 14. Dezember 1635 begründeten Erwerb Wolfenbüttels den Ständen des Fürstentums zum Empfang der Erbhuldigung mit einem am 19. April 1636 ausgestellten Revers die Aufrechterhaltung der Bestimmung des Vertrags von 1535 (pactum Henrico-Wilhelminum) über Unteilbarkeit, Primogenitur und Volljährigkeit versichert. Diese Reversalien sind seitdem im Fürstentum Wolfenbüttel beibehalten worden:1076 In den unter dem Datum des 9. April 1770 zusammengestellten und als Gesetz publizierten Gesamtlandschaftsprivilegien heißt es zu Artikel IX: Der gnädigste Landesherr wollen von getreuen Ständen die Erbhuldigung nicht eher verlangen, bis dieselben, wie über den punctum primogeniturae also über das pactum Henrico-Wilhelminum hinlänglichst assekurirt sind.1077 Hier greift das auf Dauerhaftigkeit der Vertragsbestimmungen gerichtete Stabilisierungsinstrument, das ehedem Heinrich seinem dem Bruder Wilhelm aufgenötigten Vertrag implementiert hatte. Die Landschaft erinnert den jeweils neuen Regenten an die Einhaltung ihres subjektiven Rechts auf Beachtung der Primogeniturfolge im Fürstentum Wolfenbüttel.1078 Insofern trifft der mehrfach formulierte Satz, August der Jüngere habe mit dem Revers vom 19. April 1636 die Primogenitur in seinem Hause, in seiner Linie eingeführt,1079 nicht zu. Die im Hause Lüneburg, aus dem August stammte, nicht praktizierte Primogenitur haftete in Wolfenbüttel am Fürstentum, am Objekt der Herrschaft, war ständisches Privileg. Sie verband denjenigen, der die Herrschaft in diesem Fürs1076
Das Formular zu diesem Revers findet sich bei G. Ph. v. Bülow, S. 203. Abgedruckt bei E. D. v. Liebhaber, Landrecht, Bd. 1, S. 411 ff., 418; P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 113 f.; H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 421 f.; ders., Hausgesetze, S. 391. 1078 Im Falle des Regierungsantritts Augusts des Jüngeren mag sie insoweit auf offene Ohren gestoßen sein, hatte dieser doch ein unter anderem auch naturrechtlich begründetes und damit absolut, von einer positiv-, etwa vertragsrechtlichen Setzung unabhängig geltendes Jus Primogeniturae im Streit um Wolfenbüttel gegen seine Celler Vettern angeführt. 1079 So P. C. Ribbentrop, Beyträge, S. 114; H. J. F. Schulze, Erstgeburt, S. 421. 1077
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tentum antreten und daher die Erbhuldigung empfangen wollte. In anderen von der herrschenden Linie besessenen Landschaften mochte eine andere Erbfolgeordnung in Anerkennung und Praxis stehen. Und: Damit ist noch nichts, jedenfalls nichts Abschließendes über eine auf das Subjekt der Herrschaft, das Haus, die fürstliche Linie, bezogene Verbindlichkeit des Jus Primogeniturae ausgesagt. Eine solche konnte nicht in der Beziehung zu den Landständen, zum Herrschaftsobjekt, sondern nur innerhalb deren Subjekts, der Familie, gegründet sein. Eine Anschauung, von der die Darlegungen der verschiedenen Standpunkte zwischen Celle und Dannenberg zur Sukzession in die Wolfenbütteler Verlassenschaft beredtes Zeugnis liefern. Denn Haus und Fürstentum waren nicht kongruent; eine Linie besaß durchaus mehr als ein Fürstentum und sei es, dass neben dieses lediglich eine kleine Grafschaft oder ein anderes Herrschaftsgebilde mit eigener ständischer Konsistenz trat. Die beschriebene territoriale, allein auf das Fürstentum Wolfenbüttel beschränkte Qualität maß August der Primogenitur auch in seinem 1661 abgefassten Testament bei. Mit dieser „stammväterlichen Disposition“ ordnete er keinen Vorrang des Erstgeborenen und dessen Linie umfassend für die Erbfolge in seinen Nachlass an, sondern allein für den, indes bedeutsamsten Ausschnitt des Patrimoniums, das Fürstentum Wolfenbüttel, an.1080 Dort sollte sein Ältester, Rudolph August, herrschen. Seine beiden nachgeborenen Söhne sollten hingegen nicht lediglich mit einem Abfindungsgebiet versorgt werden. Vielmehr sollten ihnen selbstständige Herrschaften mit allen Hoheitsrechten zufallen. Danach waren für Anton Ulrich eine Nachfolge in die – dann wohl als solche zu bezeichnende – Grafschaft Dannenberg und für Ferdinand Albrecht der Erhalt der Grafschaft Blankenburg vorgesehen. Der Lüneburger August fügte sich der den Wolfenbütteler Ständen gegenüber bestehenden Verpflichtung einer Primogeniturfolge im Fürstentum Wolfenbüttel. Der in der ehedem, bis 1634, dort herrschenden Linie verbindlichen umfassenden Primogeniturerbfolge1081 sah er sich indes nicht verbunden. Diese gegenständlich eingeschränkte Primogeniturfolge barg unübersehbare Vorteile. Auf der einen Seite wurde mit der Primogenitur der Unklarheit in der Nachfolge in diese Herrschaftseinheiten und vor allem ihrer weiteren Zersplitterung vorgebeugt. Ihre Einschränkung beließ aber Handlungsspielraum für Familienpolitik: die Verzweigung der Linie auf mehrere regierende Häuser vermochte den Erhalt 1080
Auch verfügte August: die unveränderliche Aufrechterhaltung der evangelischen Religion (woran er sich schließlich selbst nicht halten sollte), die Ordnung des Kammerguts und der beweglichen Hausgüter, die Erziehung der erstgeborenen und die Versorgung der nachgeborenen Kinder, eine Ordnung für den Fall der Vereinigung der gesamten BraunschweigLüneburger Lande im Wolfenbütteler Stamm und schließlich Leitlinien zur Einrichtung und Führung von Landesregierung und Verwaltung; W. Havemann, Bd. 3, S. 177. 1081 Heinrich hatte 1535 im mittleren Haus Braunschweig die Primogenitur umfassend für das Patrimonium angeordnet: der verlassen unsers herrn Vaters und auch deren seindher zugeworben und eroberten Land und Leuth, und was hinfürder noch mehr (…) mochten erworben, erobert und mit erblichen angefelle erlanget werden – all dies soll nach Erstgeburtsrecht vererbt werden. Allerdings besaß Heinrich tatsächlich nur das Fürstentum Wolfenbüttel. Und auch Heinrichs Sohn Julius dehnte sein 1582 testamentarisch verfügtes Unteilbarkeits- und Primogeniturgebot ausdrücklich über das Fürstentum Wolfenbüttel hinaus auf namentlich benannte Erwerbungen und noch zu Erwerbendes aus.
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des Hauses zu befördern. Regierende Linien heirateten besser, so dass für den Fall, dass die Hauptlinie erlöschen und ein Vertreter der Seiten-, eben nicht nur Nebenlinie nachfolgen sollte, kein Rangverlust drohte. Zudem konnte die Spannung, die aus dem vollständigen Ausschluss der Nachgeborenen von jeglicher Herrschaftsbefugnis, ihrer Zurücksetzung in die Rolle des lediglich versorgten Prinzen zu erwachsen vermochte, entschärft werden. Die Bedeutsamkeit, das Konfliktpotential dieser Kernfrage der Bewältigung und Ausgestaltung fürstlicher Sukzession, die Balance der widerstreitenden Ziele, Einheit oder Einheiten im Patrimonium zu erhalten – auch etwa den Ständen oder dem Reich gegenüber erhalten zu müssen – und zugleich den Nachgeborenen nicht jedes nicht allein subsidiäres, eventuelles Erbrecht abzusprechen, noch für das sich langsam neigende 17. Jahrhundert spiegelt, so Havemann, Augusts Testament wider: Um die Räte, von denen er zur Sukzessionsregelung Gutachten erforderte, vor „Verdrießlichkeiten“ der Söhne nach seinem Tod zu bewahren – „theils wegen Verkürzung des Erstgeborenen, theils wegen nicht befriedigter Erwartungen der jüngern Söhne“ –, fügte August seiner letztwilligen Verfügung die ausdrückliche Erklärung bei, dass alle vorliegenden Dispositionen allein von ihm ausgegangen seien.1082 Danach ging August noch keineswegs davon aus, dass die jüngeren Brüder des Primogenitus es als zwingendes Schicksal hinnehmen würden, zu Gunsten einer höheren (Staats-)Raison keinerlei Herrschaftsansprüche zu erheben. Jedoch lässt die Wirklichkeit nach Augusts Tod im Jahre 1666 seine Furcht vor einem Brüderzwist unbegründet erscheinen. Offenbar hatte sich die Akzeptanz einer gegenständlich nicht beschränkten Primogeniturfolge in Augusts – ja originär Lüneburger, nicht auf Heinrich, den Vater des Vertrages von 1535, zurückgehender – Linie eingepflanzt: als August verstorben war, ließ sich sein Testament, dessen Inhalt allgemein bekannt gewesen sein soll, nicht auffinden.1083 Die von dem Erblasser verfügte Teilung seiner noch in einer Hand vereinigten Herrschaft in drei selbstständige Herrschaften, wenngleich auch unter Bewahrung ständischer und lehnrechtlicher Einheiten, konnte nicht wirksam werden. Indes verfolgte keiner der nachgeborenen Söhne dem – bekannten – väterlichen Willen inhaltlich entsprechende Ansprüche auf Herrschaftsbeteiligung, jedenfalls nicht mit der zur Durchsetzung notwendigen Beharrlichkeit und Vehemenz. Sie verwahrten sich wohl gegen die von dem fürstlichen Rat Balthasar Hoyer formulierte Auffassung, dass aller Nachlass, neben der Herrschaft auch Immobilien wie Mobilien dem Ältesten als regierenden Fürsten und alleinigen Erben zustünden. Nachdem Rudolph August sich aber bereit fand, es im Übrigen, also vor allem hinsichtlich der Mobilien, bei den Bestimmungen der verschwundenen väter-
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Bd. 3, S. 177 f. Es gab natürlich Gerüchte, das Testament sei entwendet worden. Rudolph August hatte sofort nach dem Tod des Vaters dessen Gemächer versiegeln lassen; trotzdem war das Testament weg. Bezeichnender Weise äußerte gerade einer der Nachgeborenen, der nach dem Testament für die Grafschaft Blankenburg vorgesehene Ferdinand Albrecht, einen Diebstahlsverdacht, sogar gegenüber dem Kaiser: Der Vorsitzende des Geheimen Rats, Fritz von Heimburg, habe das Testament entwendet; W. Havemann, Bd. 3, S. 178. 1083
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lichen Disposition zu belassen,1084 fügten sich Anton Ulrich und Ferdinand Albrecht in die Rolle der lediglich Auszustattenden und erkannten die alleinige Nachfolge des Ältesten, Rudolph August, in die väterliche Herrschaftsgewalt an. Der jüngste der drei Söhne Augusts des Jüngeren, Ferdinand Albrecht, verzichtete in einem Erbvergleich vom 23. Mai 1667 gegenüber seinen beiden älteren (Stief-) Brüdern ausdrücklich auf jede Beteiligung an den Regierungsgeschäften. Dafür – und vielleicht auch, um ihn, der mit den Brüdern nicht harmonierte, von dem Hof in Wolfenbüttel auf Entfernung zu halten – wurden ihm das Schloss Bevern, eine jährliche Apanage von 6.600 Reichstalern aus den Einkünften von sechs benachbarten Ämtern, ein Umzugsgeld von 2.500 Talern, freies Bauholz und freies Wildbret sowie – gemäß dem Testament des Vaters – ein Anteil an den Silbergarnituren des Wolfenbütteler Schlosses zur Ausstattung und (Kleinst-)Hofhaltung zugeteilt. Ihm kam die volle Gerichtsbarkeit (merum et mixtum imperium) allein über seine Bediensteten zu; im Amtsbezirk Bevern dazu die Untergerichtsbarkeit. Im Übrigen verblieben die Hoheitsrechte im Ausstattungsgebiet bei dem regierenden Fürsten in Wolfenbüttel; ein Umstand, der in der Folge zu Reibereien zwischen den Brüdern führte.1085 Eine Woche später, im Erbvergleich vom 30. Mai 1667, verpflichtete sich Rudolph August, Anton Ulrich eine jährliche Apanage von 14.000 Reichstalern zu zahlen. Für den Fall aber, dass ihm ein männlicher Leibeserbe geboren werde und daher sein Bruder den Regeln der Linealprimogenitur gemäß in der Nachfolgereihe zurückfalle, sollte Anton Ulrich der größte Teil des Dannenberger Gebietes zwar ohne Landeshoheit, aber dafür erblich abgetreten werden. Hinsichtlich des Mobiliargutes, aber auch des Allodialgutes, sollte entsprechend der väterlichen Disposition verfahren werden. Insoweit wurde auch ein gegenseitiges Erbrecht auf den Fall, dass eine Linie erlösche, vereinbart. Dafür verzichtete Anton Ulrich im Übrigen auf alle Ansprüche an den väterlichen Nachlass.1086 Ganz offensichtlich vermochte sich eine der Primogeniturordnung entsprechende, die gesamte (Landes-)Hoheitsgewalt des verstorbenen Fürsten umfassende, Behandlung des Erbfalls ohne nennenswerte Widerstände des natürlichen Widerlagers, der Nachgeborenen, durchzusetzen. Der Verlust des wenigstens auf Abteilung kleinerer 1084 Bargeld, Silber und Kleinodien sollten unter Söhnen und Töchtern gleichmäßig verteilt werden. Das übrige Mobiliarvermögen sollte zum Erhalt seines einheitlichen Bestandes mit einem Fideikommiss belegt werden. Dazu gehörte insbesondere die fürstliche Bibliothek; W. Havemann, Bd. 3, S. 178. 1085 Zur Abfindung Ferdinand Albrechts 1667, insbesondere auch ihren Hintergründen und Zielsetzungen im Einzelnen, aber auch der mit ihr begründeten Praxis: D. Brosius, S. 123 ff.; Ch. Römer, Generationen, S. 13 ff.; H.-R. Jarck, S. 191 ff.; W. Havemann, Bd. 3, S. 605. Nachdem Rudolph August 1704 erbenlos verstorben war und auch die Linie Anton Ulrichs mit der folgenden Generation 1735 erlosch, fiel die Regentschaft im neuen Hause Braunschweig an die Linie Bevern, an Friedrich Albrecht II., der, nachdem er regierender Landesherr geworden war, seinem Bruder Ernst Ferdinand die Residenz Bevern abtrat, so dass eine neue Nebenlinie Bevern entstand. 1086 W. Havemann, Bd. 3, S. 179. Anton Ulrich erwarb zudem nach dem Tod seines Vaters die Ämter Schöningen, Jerxheim, Calvörde und Voigtsdalum.
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Herrschaftseinheiten zu Gunsten der Nachgeborenen gerichteten väterlichen Testaments eröffnete nicht weitergehende Teilungsperspektiven und entsprechende Begehrlichkeiten der beiden jüngeren Brüder. Im Gegenteil: Obwohl in der Linie, für dieses Herrschaftssubjekt verbindlich die Primogenitur nicht durch einen konkreten Rechtsschöpfungsakt eingeführt worden war, fügten sich die Söhne jedenfalls faktisch einem umfassenden Primogeniturgebot. Umfassende Unteilbarkeit der Herrschaft und Primogeniturfolge bezogen auf alle landesherrschaftlichen Bestandteile des Patrimoniums und nicht nur ein oder das Fürstentum kennzeichnen das Herrschaftsverständnis, haben sich soweit Bahn gebrochen, dass auch die persönlichen Verlierer, die Nachgeborenen, dieses Verständnis offensichtlich verinnerlicht haben. Dieser Schluss lässt sich aus der Behandlung des Nachlasses Augusts des Jüngeren gerade dann mit einer gewissen Sicherheit ziehen, wenn man bedenkt, dass die Frage, wie kraftvoll bestimmte Vorstellungen waren und sich infolgedessen durchgesetzt haben, nicht gänzlich von der Beobachtung der Persönlichkeiten ihrer Vertreter und Gegner abgelöst werden sollte. Gerade wenn die Position, die der Idee entgegenstehen müsste, die gleichsam natürliche Opposition, von einer starken, durchsetzungsfähigen Persönlichkeit bekleidet wird, und auf Seiten der Idee eine eher schwache Persönlichkeit auftritt, und sich schließlich die Idee durchsetzt, lässt sich auf eine innere Akzeptanz auf beiden Seiten schließen. Diese personale Konstellation bestand unter den Söhnen Augusts des Jüngeren. Der erstgeborene Sohn Rudolph August war schüchtern, ohne rechtes Selbstbewusstsein; der zweitgeborene Anton Ulrich hingegen war ehrgeizig, „ein stattlicher Mann, gebieterisch und gleichzeitig durch Freundlichkeit gewinnend, prachtliebend, weltklug, nicht ohne Neigung zur Intrigue und rasch in der Ausführung von sein berechneten Entwürfen“.1087 Und diese personale Konstellation lässt sich nicht nur allgemein in der Beschreibung der Charakterzüge der beiden Brüder, sondern auch ganz konkret fassen: der ältere drängte nicht zur Herrschaft. Gleich nach dem Tode entwickelte sich in Wolfenbüttel eine faktische Gemeinschaftsregierung. Rudolph August machte ihn zu seinem Statthalter. Anton Ulrich war die treibende Kraft bei der Unterwerfung der Stadt Braunschweig 1671. Unter Mitwirkung der Landstände erhob ihn der Ältere schließlich 1685 auch formell zum Mitregenten.1088 Die Abfolge der Herrscherwechsel fortan im neuen Hause Braunschweig ist von der Primogenitur gekennzeichnet. Allerdings muss eine Ausnahme schon für die kommende Generation erwähnt werden: Nach dem Tod Anton Ulrichs, der seinem erbenlos verstorbenen Bruder Rudolph August 1704 in die (Allein-)Regentschaft gefolgt war, wurde für seine Nachfolge ein Vorhaben des Großvaters wieder aufgegrif1087 Zitat nach W. Havemann, Bd. 3, S. 192, dort auch zu Rudolph August, S. 179 ff.; G. van den Heuvel, S. 154 ff. Allerdings gab Anton Ulrich die ihm hier zu attestierende Akzeptanz der Primogenitur einige Jahre später in der Auseinandersetzung mit seinem – entfernten – Vetter Ernst August von Hannover um die Einführung der Primogenitur dort eindeutig auf, unten B.V.4.b). 1088 Wie Anm. zuvor und Ch. Römer, Hochabsolutismus, S. 551, sowie G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 288, 291 f.
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fen: der zweitgeborene Sohn, Ludwig Rudolf, erhielt die Grafschaft Blankenburg samt der „Regierung in Ecclesiasticis et Politicis“ als erbliche Ausstattung; im Übrigen trat der erstgeborene August Wilhelm die Nachfolge des Vaters an. Diese Ausnahme erledigte sich allerdings schon mit dem Tod Ludwig Rudolfs; die Grafschaft Blankenburg, seit 1707 zum Fürstentum erhoben, fiel an die Linie des Primogenitus zurück.1089 b) Die Nachfolge im neuen Haus Lüneburg: Die Fürstentümer Lüneburg und Calenberg-Göttingen – Primogenitur und Kurwürde in der hannoverschen Linie Das neue Haus Lüneburg – zu diesem war das mittlere Haus Lüneburg dadurch geworden, dass seine 1569 abgeteilte Dannenberger Linie 1635 das Fürstentum Braunschweig erhalten hatte und sich somit zum neuen Haus Braunschweig wandelte –1090 besaß nach der großen Umverteilung in den Jahren 1635 und 1636 in Folge des Erlöschens des mittleren Hauses Braunschweig 1634 neben den Grafschaften UnterHoya,1091 Diepholz und Hohnstein vor allem das Fürstentum Lüneburg samt Grubenhagen mit der Residenz Celle und das Fürstentum Calenberg samt Göttingen mit der Residenzstadt Hannover.1092 In Celle regierte nun entsprechend der Vereinbarung vom 2. März 1611 der vierte Sohn Wilhelms des Jüngeren, Friedrich. Dem jüngsten Sohn, Georg, war 1636 das Fürstentum Calenberg zugedacht worden. Indes war in Folge des Eheverzichts seiner Brüder als sicher abzusehen, dass nur dessen Linie sich fortsetzen würde, die Besitzungen des Hauses sich in seiner oder seiner Erben Hand vereinigen würden. Eine solche Vereinigung – und dann auch deren Sicherung für die Zukunft durch Einführung einer gegenständlich allumfassenden Primogeniturordnung – verzögerte Georg mit seiner Nachfolgeregelung jedoch um eine Generation. Erst sein jüngster Sohn, Ernst August, setzte diesen Schlussstein in der Entwicklung hin zu einer umfassend integritätserhaltenden und personell vorherbestimmten, also klaren Erbfolgeordnung im neuen Haus Lüneburg.
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H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 389 f., dort auch der weitere Fortgang der Fürstennachfolge im neuen Haus Braunschweig bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. 1090 Stammvater des neuen Hauses Lüneburg war daher – ohne dass er selbst es überhaupt nur bemerken konnte – Wilhelm der Jüngere (†1592). 1091 Ober-Hoya hatte noch bis zu seinem Erlöschen 1642 die Lüneburger Nebenlinie Harburg inne. 1092 Zu beachten ist aber, dass Grubenhagen besondere Landstände und eine Regierung in Osterode auch während der Herrschaft Lüneburg-Celler Regenten (1617 – 1665) behielt; dazu G. Max, Bd. 1, S. 406 ff.; G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 15 f. Erst unter Ernst August wurden Kanzlei und Landschaft Calenbergs und Grubenhagens verschmolzen, W. Havemann, Bd. 3, S. 320 f. Göttingen hingegen wies zu dieser Zeit schon lange keine landständische Eigenständigkeit mehr auf. Die Landschaft vermochte noch einige Jahrzehnte nach der Vereinigung Göttingens mit Calenberg 1495 ihre Selbstständigkeit zu behaupten. 1540 jedoch wurden beide Landschaften vereinigt; W.-R. Reinicke, S. 52.
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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aa) Die Regelung seiner Nachfolge durch Herzog Georg von Calenberg bis zu seinem Testament von 1641 Wie es auch der andere Sukzessor in ein Fürstentum aus der Verlassenschaft des erloschenen mittleren Hauses Braunschweig, der Dannenberger August der Jüngere, gegenüber seinen Wolfenbütteler Ständen getan hatte, hatte Georg bei seinem Regierungsantritt in Calenberg der dortigen Landschaft versichert, dass die Regierung des Fürstentums Calenberg immer nur einem Herrn zustehen solle. In einem Nebenrezess zur Huldigung vom 18. Februar 1636 garantiert er unter Berufung auf Augusts des Jüngeren – wohl derjenigen in der Auseinandersetzung im Jahre 1635 vertretenen – Anschauung, dass die Befolgung des Jus Primogeniturae in diesem Fürstentum auch für ihn und sein Haus verbindlich sei, dass nach seinem Absterben sein ältester Sohn und Sohnessohn folgen werde. Er formuliert indes schon jetzt einen Vorbehalt, der sein auch später verfolgtes „Nachfolgeprogramm“ kennzeichnet, das das Widerlager einer „patrimonialen“ Primogenitur im neuen Hause Lüneburg, der dann kurfürstlichen und schließlich königlichen Linie Hannover, bilden sollte; dieses Programm galt es Ende des 17. Jahrhunderts zu überwinden. Zugleich schränkt er mit diesem Vorbehalt seine Garantie zu Gunsten eigener Verfügungsfreiheit ein: Für den – ja sicher zu erwartenden – Fall, dass die Fürstentümer Lüneburg-Celle und Grubenhagen ihm zufallen sollten, solle ihm die Entscheidung frei stehen, wem von den beiden ältesten seiner Söhne er das eine, das Calenberger, und wem das andere, das Lüneburg-Celle/Grubenhagener, Fürstentum überlasse. Sollte er vor diesem Anfall sterben, sollte es den beiden ältesten Söhnen freistehen, sich über die Zuordnung der beiden vorgenannten Herrschaften zu einigen.1093 Ganz deutlich begegnet die 1093
Abgedruckt ist dieser Nebenrezess bei L. Hugo, Beil. Nr. VII: Daß Wir zwarten dabey gewilliget, daß die Regierung gemeltes Fürstenthumb Calenbergs hinfüro zu ewigen zeiten bey einem einigen Herrn stehen und verbleiben, Sie die Landtschafft auch keinem mehr, dan einem Herrn all in, jedesmahl die Erbhuldigung zu thun und zu leisten schuldig seyn, dan der Eydt vor dießmahl, jedoch mit Vorbehalt, daß Wir dadurch Unsers Freundlichen lieben Vettern Hertzogen Augusten des jüngern Lbd. Vorgeben, als wan das jus Primogeniturae bey diesem Fürstnethumb Uns und Unserm Hause verbindlich hergebracht, im geringsten nicht deferiren wollten noch könten, nach Unserm Absterben auff Unsern ältisten Sohn und Sohnes Sohn angerichtet würde, Uns aber dabey reserviret; Vielbemelte Unsere getreue Landtschafft auch sich dahin gegen Uns und Unsere Freundliche liebe Söhne zum kräfftigsten verreversiret, verreserviren Uns auch respective hiemit und in krafft dieses beständiglich, daß dadurch Uns Hertzog Georgen gar nicht benommen seyn, sondern in alle wege frey und bevor stehen sollte, wer unter den beyden ältesten Unsern freundlichen lieben Söhnen auff den Fall, wan etwa die übrigen Fürstenthumb und Lande Zell, Grubenhagen, Uns, oder ihnen, über kurtz oder lang eröffnet werden solten, ein jechliches Fürstenthumb anzutreten, bemächtiget seyn, und wie es mit den andern Unsern freundlichen lieben Söhnen auff Unsern Todesfall, welcher in des allmächtigen Händen stehet, gehalten werden solle, mit Einrahtung ihrer der Landtschafft eine gewisse anordnung zu machen, oder auch Unsern Söhnen, im Fall Wir vor solcher disposition durch den zeitlichen Todt nach Gottes Willen übereilet würden, nicht destoweniger vergönnet, und zugelassen seyn solle, sich der Regierung halber, und daß deren eine zu Zelle, und die andere in obbesagtem Unsern Fürstenthumb Calenberg, auch keine mehr angestellet werden, auff Landt und Leuten ersprießliche masse zu vergleichen, und so weit den Huldigungs-Eydt der erforderung nach zu ändern.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Primogenitur als ein territoriales, am Fürstentum Calenberg haftendes Recht. Dieses wird als subjektives Recht der Landschaft gegenüber jedem neuen Landesherrn begriffen, das dieser, will er die Huldigung empfangen, zu beachten hat. Jedoch lässt sich, anders als in Wolfenbüttel, der Erwerb dieses Rechts durch die Calenberger Landstände nicht ohne weiteres nachzeichnen. Originär durch Zusicherung eines Landesherrn haben sie es nicht erworben. Im Zeitraum seines selbstständigen Bestehens (1432 bis 1584) ist im Fürstentum Calenberg das Primogeniturrecht nicht eingeführt worden. Als im Fürstentum Wolfenbüttel 1535 eine Primogeniturordnung errichtet wurde, gehörte Calenberg noch nicht zu den Landen des mittleren Hauses Braunschweig. Das pactum Henrico-Wilhelminum von 1535 wurde allein gegenüber der Wolfenbütteler Landschaft beschworen. Nach seiner Vereinigung mit dem Wolfenbütteler Fürstentum 1584 unter der Regentschaft Herzog Julius wurden die Calenberger Stände nicht mit den Wolfenbüttelern verschmolzen; beide behielten ihre organisatorische Selbstständigkeit.1094 Aber offensichtlich vermochten sich unter derselben Herzogslinie Rechte der einen Landschaft der anderen mitzuteilen – etwa dadurch, dass beim Herrscherwechsel den verschiedenen Landständen dieselben, jedenfalls inhaltlich gleichen Zusicherungen gemacht wurden. Und Calenberg erlebte gemeinsam mit Wolfenbüttel zwei Regentenwechsel im mittleren Hause Braunschweig: von Julius zu Heinrich Julius 1589 und 1613 den Regierungsantritt Friedrich Ulrichs. Die schon 1636 angelegte gleichsam asymptotische Zweigleisigkeit in seiner Nachfolge ordnete Georg dann auch in seinem Testament von 1641 an.1095 Für den – voraussehbaren – Fall, dass das Fürstenthum Zellischen Theils an ihn und seine Söhne fallen würde, bestimmte er, dass beide Fürstentümer, Celle und Calenberg, gegeneinander gesetzet würden. Beide Fürstentümer, nicht weniger das Fürstentum Grubenhagen sollten in seiner jetzigen Consistenz, insbesondere sollten bei Celle die davon herrührenden Appennagien, auch die Untergrafschaft Hoya und Diepholz, bei Calenberg-Göttingen, als welches das Fürstentum darunter mit begriffen, und die Harburger und Eversteiner sowie die Schaumburgischen Stücke zu ewigen Zeiten verbleiben – ohne einigen fernere Subdivision, wie es an anderer Stelle des Testaments heißt – und eben nicht unter einem der Söhne Georgs zu einer einheitlichen Herrschaft verschmolzen werden. Beide so gedachten Komplexe fürstlicher Herrschaft sollten sich gleichen. Sie sollten gleicher Hoheit, Dignität und Würden seyn, keines sich über das andere erheben, und die Praecedenz und was dero anhängt, unter beyden regierenden Fürsten bloss bei dem Senio stehen. Insoweit sollte allerdings die von Georg zusammen mit seinem Bruder Friedrich (Celle) und ihrem Vetter August dem Jüngeren (Wolfenbüttel) aufgerichtete Gesammt-Verfassung Beachtung finden.1096 Vorrangig gedachte der Testator indes der Ertragsgleichheit der beiden Herr1094
Ch. Römer, Hochabsolutismus, S. 540 f., und oben B.V.3.c) bei Anm. 257. Abgedruckt bei Ph. J. Rehtmeier, S. 1653 – 1660, und bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 461 – 474. 1096 Gerade um das Senium im Gesamthaus war in den Verhandlungen zu den Verträgen von 1635 und 1636 heftig gerungen worden; oben B.V.3.c). 1095
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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schaften. Diese konnte nicht einfach verfügt werden, sondern machte Erhebungen und Neuzuordnungen von Gebietsteilen, zugleich Einkunftsquellen, notwendig. Als Verteilungsmasse zur Herstellung dieser Wertgleichheit werden die Hoyaschen anjetzo bey Harburg wesenden und andern abgelegene Stücke benannt. Obwohl der cellesche Teil mit Grubenhagen, Hoya und Diepholz sowie das Harburger Gebiet mit Moisburg noch in den Händen Georgs Bruders Friedrich einerseits und des letzten Vertreters der – dann erst 1642 erloschenen – Harburger Linie, Wilhelm, waren, sollten diese Gebiete nach ausdrücklicher Anordnung Georgs von den dazu beiderseits verordneten Räten mit in die Exäquation einbezogen werden.1097 Auch die Lasten werden den fürstlichen Erbkomplexen zugeordnet: Unterhalt der nachgeborenen Prinzen,1098 Leibgeding der Fürstin, Aussteuer der Tochter. Sein Tod sollte die Arbeit der zu solchem Werk Deputirten nicht beenden. Für diese auf Wertgleichheit gerichtete Absteckung zweier fürstlicher Erbportionen für den bevorstehenden Fall der Erledigung der Celler Herrschaft wird mehrfach im Testament der Ausdruck Theilung verwandt. Und auch der Sache nach verspürte Georg, jedenfalls der Verfasser seines Testaments, sein Kanzler Johann Stucke,1099 einen Gegensatz dieser zweigleisigen Nachfolgelösung zu dem Gebot, Theilung und Multiplicirung der Regierung zu vermeiden. Mit einer verschachtelt formulierten doppelten Antithese leitet das Testament das Programm der Nachfolge in Georgs Linie ein: Obschon im Huldigungseid der Calenberger Landschaft die Primogeniturfolge zugesichert worden sei, solle sie sich an den Nebenrezess erinnern. Obgleich das Jus Primogeniturae in seiner fürstlichen Linie nicht hergebracht, noch bey derselben jemahls observiret, solches auch sein Bedencken habe, so erinnere er sich doch der von den hochlöblichen Vorfahren gemachten, von ihm und seinen Brüdern gehaltenen Ordnungen, und wie heilsamlich solches gerathen, auch wie wohl sich Land und Leute dabey befunden, auch habe er erwogen, was durch vielfältige Theilung und Multiplicirung der Regierung Land Leute für grosse unerträgliche Beschwerden aufgebürdet werden, imgleichen, dass der Römischen Kaiserl. Majest. und dem Heil. Röm. Reich durch Zusammenbehaltung der Fürstenthum und Lande viel besser dann sonst die schuldige Gebühr und Dienste geleistet werden könne. Danach sind die Träger des Einheitsgebotes bei der Behandlung des fürstlichen Nachlasses der Huldigungseid gegenüber der Calenberger Landschaft und die Nützlichkeit für Land, Leute und Reich. Angesichts derer wolle er, Georg, es bei der Zusicherung des Huldigungseides, der Primogenitur, belassen, solange er und seine Linie nur Calenberg 1097
Auch des Dannenberger Gebiets, das im Falle des Erlöschens der Linie Augusts des Jüngeren, des neuen Hauses Braunschweig, an Lüneburg-Celle zurückfallen würde, gedenkt das Testament: Im Erwerbsfalle soll der Lüneburger dem Calenberger Fürsten uf Halbscheid Erstattung thun. Ebenso soll es geschehen, wenn Calenberg die Hildesheimer Stücke erlangen sollte. 1098 Solange allein der Älteste Fürst, und zwar in Calenberg, sei, solange sollte jeder seiner Brüder von ihm je 4.000 Taler jährlich erhalten. Nach dem Anfall Celles sollten beide regierenden Brüder den nicht regierenden zusammen 20.000, also jedem 10.000 Taler zahlen. 1099 Zur Urheberschaft Stuckes vor allem L. T. Spittler, 2. Teil, S. 97 f., mit einer schmähenden Bewertung; aber auch W. Havemann, Bd. 3, S. 213 f.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
hielten. Vom Huldigungseid weicht das testamentarisch verfügte Verschmelzungsverbot der beiden noch getrennten brüderlichen Patrimonia indes nicht ab. Die Ausgestaltung dieser Patrimonia in sich – Georg hatte den Ständen Calenbergs Unteilbarkeit dieses und Primogeniturnachfolge in dieses Fürstentum versprochen – wird insoweit gar nicht berührt; allenfalls bestätigt, insofern als weitere Subdivision verboten wird. Erst das jus optionis, das dem jeweiligen Ältesten gegenüber dem jeweils Zweitältesten, dem dann der nicht optierte fürstliche Herrschaftskomplex zufallen sollte, lässt sich mit einer strengen Primogeniturfolge in Calenberg nicht vereinbaren: Möglicherweise wird der Primogenitus Celle wählen, so dass in Calenberg der Zweitgeborene zur Herrschaft gelangt. Diese Abweichung vom Erstgeburtsrecht hatte sich Georg im Nebenrezess zum Huldigungsrezess jedoch vorbehalten. Herrschaft wie Wahlrecht werden streng nach Stämmen, und zwar den durch die Söhne Georgs begründeten Stämmen, vererbt. Anderen Erbfolgeordnungen – etwa dem Parentel- oder dem Gradualsystem – wird ausdrücklich eine Absage erteilt. Die Trennungslinie der Fürstentümer muss zugleich auch eine Grenze zwischen den Stämmen unter Georgs Söhnen bilden – oder anders gewendet: beide Fürstentümer, obschon voneinander gesondert, durch das jus optionis zugleich verbunden und getrennt, sollen in Zukunft nicht von zwei Linien aus dem Stamm eines der Söhne Georgs besessen werden. So ist angeordnet, dass in dem Fall, dass einer der Stämme unter Georgs Söhnen erlösche, das dann eröffnete Fürstentum nicht geteilt werde, sondern wieder optiert werde durch den Vertreter des verbleibenden regierenden Stammes und der nicht optierte Teil einem anderen Stamm unter Georgs Söhnen – erst dem Stamm des Drittgeborenen und schließlich nach Erlöschen einer weiteren regierenden Linie dem Stamm des Viertgeborenen – zufalle und das, wann auch schon die von der überlebenden regierenden Linie an der Sippschaft näher seyn würden. Deutlich kommt das Trachten Georgs, unter seinen Söhnen eine größtmögliche Versorgungsgerechtigkeit zu erzielen, zum Ausdruck. Einer Teilung nach Köpfen und damit völlig gleichmäßigen Beteiligung der Söhne an dem väterlichen Nachlass stand schon das Versprechen, das Georg anlässlich seiner Huldigung den Calenberger Ständen gegeben hatte, entgegen. Zudem war eine solche Lösung schon seit Generationen nicht mehr praktiziert worden; sie passte nicht in eine Zeit, in der sich das Jus Primogeniturae mehr und mehr durchsetzte. So aber gelangten zwei seiner Söhne aktuell in den Genuss fürstlicher Herrschaft; wenngleich der Älteste insofern mit der größeren Gewissheit, als sein Erbteil schon jetzt aktueller Bestandteil des väterlichen Patrimoniums war. Die übrigen Brüder erhielten wenigstens eine subsidiäre, bedingte Erbexspektanz, und zwar geschützt vor Ansprüchen eventuell dereinst gradesnäherer Verwandter aus einer vorrangig versorgten Linie. Indes lässt gerade diese Ausgestaltung von Trennungsgebot und Wahlrecht eine, schon von Hugo1100 – nicht zuletzt auch in dem von ihm verfassten Testament Ernst Augusts von 1682 –, Leibniz,1101 Spittler1102 und Schulze1103 festgestellte, Regelungs1100 1101
S. 94 ff. Extract der kurzen deduction in p˚ primogeniturae, Bd. 5, S. 106 f.
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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lücke1104 erkennen. Denn der Fall, dass nur Deszendenten aus einer Linie übrig blieben, bleibt ohne ausdrückliche Bestimmung. Durfte dann dieser einzige Sohn oder Enkel Georgs die beiden so strikt getrennt zu haltenden Fürstentümer kraft einer neuen Sukzessionsordnung zusammenlegen, oder war er gehalten, eines der Fürstentümer gleichsam als Sekundogenitur zu behandeln? Die schmähende Kritik, die Stuckes Nachfolgelösung im Testament seines Fürsten in den kommenden Generationen erfuhr,1105 erscheint bei genauerer Betrachtung auch aus zeitgenössischer oder zeitnaher retrospektiver Sicht sachlich nicht gerechtfertigt. Dass das Gebot zweigleisiger Behandlung beider Fürstentümer in der Nachfolge allein in der Unkenntnis des „einseitig gelehrten Romanisten“ Stucke von dem Staatsund Fürstenrechte selbst, vor allem von der Hausverfassung seines Fürstenhauses, so Schulze im Anschluss an Spittlers Wertung, gründe oder gar, dass es „aus Verstoß und Irrthum geschehen“ sei, so Hugo, also – überspitzt formuliert – weder historische Anbindung noch sachlich Rechtfertigung finde, ist nicht festzustellen. Nur zwei Jahrzehnte später ordnete Georgs Wolfenbütteler Vetter August der Jüngere in seiner stammväterlichen Disposition seine Nachfolge in nicht unvergleichlicher Art und Weise. Ihm standen allerdings keine zwei Fürstentümer zur Versorgung seiner Söhne zur Verfügung. Aber auch er trachtete danach, seine Linie, späterhin eventuell auch Linien, auf mehrere Herrschaften zu verteilen. Versorgung mit Regierung, nicht bloße Apanagierung – die Vorteile gerade im Hinblick auf die Heirats- und damit Rang- und Ansehensperspektive des Hauses wurden bereits dargelegt.1106 Zudem konnten damit, wie ebenfalls oben zu Augusts Testament ausgeführt, Spannungen
1102
2. Theil, S. 98. Hausgesetze, S. 400. 1104 Zur Frage, ob es sich um eine Regelungslücke im modernen, technischen Sinne handelt, also um ein Zurückbleiben der getroffenen Regelung hinter dem von der Regelungsabsicht, dem Regelungsplan, bestimmten Bedürfnis nach Regelung (vgl. K. Larenz, S. 247), dazu weiter unten bei und in Anm. 384 ff. 1105 Schon früh setzten auch Gerüchte ein, Stucke habe das Testament schlicht gefälscht. Diese Vermutung äußerte immerhin der Calenberger Kanzler Langenbeck in einem von W. Havemann, Bd. 3, S. 213 f. Anm. 4, mitgeteilten Schreiben an den Celler Gesandten vom 29. März 1665: Wobei wohl zu beachten, daß Kanzler Stuck seliger obberührtes Testament ohne Jemandes Zuziehung abgefaßt und, und als solches nach Herzog Georgs Tode zum Vorschein kommen, den Punct optionis ulterioris so wohl von den fürstlichen Successoren, als allerseits Räthen und Landständen zum Höchsten improbiret worden. Auch habe Jakob Lampadius bei seiner Bestellung zum Calenberger Vizekanzler, so berichtet Havemann, ebd., weiter, neben anderen Räten den Schwur auf das Testament unter Hinweis auf fehlende Kenntnis dessen Inhalts abgelehnt. 1106 Oben B.V.4.a). Auch L. Mollwo, S. 58 ff., streicht die Ziele der fürstlichen Versorgungspolitik als Motiv der testamentarischen Nachfolgebehandlung heraus. Ständischen Druck als Hintergrund der Regelungen verwirft er mit der Feststellung, den Ständen sei die Trennung und Zusammenlegung verschiedener Fürstentümer in Personalunion weithin gleichgültig gewesen, solange ihre Rechte und Privilegien in Anerkennung blieben. 1103
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
zwischen mehreren zur Herrschaft strebenden Söhnen vermindert werden.1107 Und das Testament lässt sehr wohl eine organische Verbindung zu hausrechtlichen Vorläufern erkennen. Nicht allein, dass der Hinweis auf Unheil und Weitläufigkeit, die die Teilung von 1428 verursacht habe, zur Bestärkung des testamentarischen Gebots, die Exäquation der beiden Portionen auf jeden Fall sorgfältig zu Ende zu führen, geeignet war, musste doch 1431 diese Teilung nachgebessert werden.1108 Auch ist das Lagern der Herrschaftsgewalt auf zwei Schulterpaaren oder – mit Blick auf die Nachfolge formuliert – das parallele Führen zweier regierender Linien zum Erhalt des Hauses im Ganzen geradezu ein zentrales, wenngleich auch immer wieder variierendes, Motiv welfischer Hausrechtsbestimmungen. Schon von Anbeginn der Erbteilungsüberlieferung im Hause Braunschweig-Lüneburg, seit 1267, lässt sich diese bilineare Struktur der Sukzession ausmachen.1109 Als Beispiel sei hier nur die Regelung, die Wilhelm der Jüngere 1495 für seine Nachfolge im mittleren Hause Braunschweig getroffen hatte, angeführt: sein Sohn Heinrich der Ältere erhielt Wolfenbüttel, der jüngere Erich Calenberg samt Göttingen.1110 Hintergrund der Kritik in der älteren Literatur1111 ist eine final auf die Einführung der – so muss man ergänzen: „patrimonialen“, den gesamten Bestand an Herrschafts(rechts)titeln im Nachlass des verstorbenen Regenten umfassenden, also nicht bloß „territorialen“, auf ein Fürstentum beschränkten – Primogenitur gerichtete Vorstellung, die Hemmnisse und nicht geradlinige Entwicklungsstränge nur verdammen konnte – war doch die Primogenitur etwa für Spittler noch erlebte, eben erst errungene Wirklichkeit. Der Handschrift des gelehrten Romanisten Stucke entspringt indes wohl eine Neuigkeit in welfischer Hausrechtsschöpfung: das Institut des Fideikommisses findet Einzug. Allgemein wird im Ius Commune unter einem Familienfideikommiss die auf Rechtsgeschäft beruhende Bindung von Grundvermögen in einer Familie, dessen Mannesstamm, verstanden; die Güter sind unveräußerlich und werden ungeteilt vererbt.1112 In Georgs Testament von 1641 allerdings wird mit dem Terminus Fideikom1107 Wenngleich das immer wieder auszuübende Wahlrecht, wie sich schon unter den Söhnen Georgs nach dem Tode des Ältesten 1665 zeigen sollte, zu Zwistigkeiten zu führen vermochte. Der drittgeborene Johann Friedrich ergriff nach dem Tod des Lüneburger Regenten Christian Ludwig dessen Herrschaft, ohne die Option des älteren Calenberger Herzogs Georg Wilhelm abzuwarten. 1108 Dazu oben B.III.1. bei Anm. 39. 1109 Vgl. oben unter B.I.2. und B.I.2.c). 1110 Dazu oben B.III.2.d). 1111 In neueren Arbeiten findet sich solche Kritik an Stuckes Wirken nicht mehr; etwa bei G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 278 ff.; G. van den Heuvel, S. 156 ff. Bereits W. Havemann, Bd. 3, S. 213, stützt seine Vermutung schon deutlich schwindender Geisteskräfte des Testators bei Abfassung seiner Verfügungen eher auf den Widerspruch des Distinktionsgebotes zu den politischen Zielen eines Fürsten nach möglichst konzentrierter Macht. 1112 Näher H. Coing, Bd. 1, S. 385 ff.; A. Erler, Art. „Familienfideikommiß“, HRG 1, Sp. 1071 ff. Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte dieses Rechtsinstituts liegen teils noch im Dunkeln. Klar ist aber, dass das römische fidei commissum quod familiae relinquitur (Nov. 159) eine andere Gestalt hatte. So erlosch nach römischem Recht etwa die fideikom-
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miss keinesfalls die Bindung nur des Familienguts, des Vermögens im Mannesstamm der Calenberger Linie bezeichnet, geschweige denn das gebundene Gut selbst; das Fideikommiss erscheint nicht als Vermögensmasse. Ein Bezug, jedenfalls ein besonderer, auf Güter und Vermögen fehlt. Deutlich wird dies, wenn Stucke für seinen Herzog ein Alienationsverbot – nichts an Ämtern, Stücken und Gütern der Fürstentümer sollen die regierenden Söhne veräußern oder verpfänden, es sei denn in einzeln benannten Fällen unverschuldeter Not oder mit Zustimmung der anderen ebenfalls von Georg abstammenden Linien – formuliert und sich für diese klassische Hausvertragsklausel auf die nutzbaren und heilsamen Erbvereinigungen der hochlöblichen Vorfahren beruft und die Unveräußerlichkeit der Ämter und Güter gerade nicht aus ihrer fideikommissarischen Bindung herleitet. Eine besondere Erwähnung findet das Fideikommiss nur in einem Sachzusammenhang: der Bindung der Nachfolger in Religions-Sachen, also in Calenberg an das Augsburger Bekenntnis. Generell versteht Stucke das Fideikommiss als ein allgemeineres, vom lediglich güter- und vermögensrechtlichen Hintergrund abgelöstes, Instrument zur Bindung der Nachfolger in ihrer Verfügungsfreiheit. Das Fideikommiss dient zur Stabilisierung der testamentarischen Verfügungen für die Zukunft; es soll diesen dauerhafte Verbindlichkeit unter Georgs Nachkommen verleihen: Er ordnet an, dass diese unsere väterliche Disposition, nicht allein von unsern lieben Söhnen und Töchtern, paterni elogii sive dispositionis, sondern auch, (…) in denen Punckten, welche unsere Descendenz insgesamt concernieren, in vim perpetuo in nostra familia duraturae legis sive constitutionis et statuti, fidei commissi gentilitii, universalis et perpetui, ewig dauren und wehren solle. In der Unterscheidung zwischen den Söhnen und Töchtern, die schon kraft väterlicher Disposition allein verbunden sein sollen, einerseits und der Deszendenz insgesamt, für deren Bindung es besonderer Instrumente bedurfte, unter anderem der Fideikommisserrichtung, andererseits schwingen Vorstellungen der Feudistik mit. Im Rahmen der langobardischen successio ex pacto et providentia maiorum wurde zwischen Sohn und Erben auf der einen und Agnaten auf der anderen Seite als Nachfolger, als Lehnsfolger, unterschieden. Der Erbe ist weithin an die Handlungen des Vorgängers, vor allem seine Schulden, gebunden; der bloße Agnat hingegen nur unter besonderen Voraussetzungen.1113 Allerdings dürfte insoweit die fideikommissarische Bindung der Agnaten allein zu ihrer dauerhaften Bindung an die Anordnungen des Testaments nicht genügt haben. Denn das Familienfideikommiss verband sich mit gemissarische Bindung nach der vierten Restitution. Diese Diskrepanz zum römischen Recht war schon Ph. Knipschild bewusst; er schloss in seinem dieses Rechtsinstitut über mehrere Generationen prägenden Traktat, De fideicommissis familiarum nobilium, sive, de bonis, quae pro familiarum nobilium conservatione constituuntur, Von Stammgütern (1654), Cap. IX, Nr. 98 f., die Anwendbarkeit der justinianischen Nov. 159 c. 2 und 3 auf die adeligen Fideikommisse aus. Die deutschen Autoren des 17. Jahrhunderts – und Knipschild ragt hier hervor – führten den seither angewandten Fideikommiss gerade auf die Verträge des deutschen Adels, die Erbverbrüderungen u. dgl. der regierenden Häuser, zurück. Knipschild setzt die Fideikommissgüter mit den deutschen Stammgütern in eins, Cap. I Nr. 13: Germanis dicuntur Stammgüter. Eine andere Genese zeichnet H. Coing, Bd. 1, S. 385 f.; er spricht sich für eine Herkunft aus Spanien aus. 1113 Dazu oben B.V.3.a).
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
rade dieser Nachfolgeordnung des langobardischen Lehnrechts. Für die Nachfolge im Fideikommiss fand im deutschen Adel weithin die successio ex pacto et providentia maiorum Anwendung.1114 Ganz praktisch wurde zur Sicherung der Einhaltung der aus väterlichen Herzen hergeflossenen Verordnung bestimmt, dass keiner zur Regierungsnachfolge oder in den Genuss irgendeiner testamentarischen Zuwendung gelange, bevor er nicht für sich und seine Nachkommen gegenüber den anderen Abkömmlingen Georgs, seien sie regierend oder seien sie nicht regierende Herrn, und gegenüber der getreuen Landschaft sich zum beständigsten schriftlich verreversiret habe, die Verordnung in allen Punkten zu befolgen. Mag auch im Allgemeinen im 17. Jahrhundert, vor allem in dessen zweiter Hälfte, der Tiefpunkt politischen Ständetums erreicht gewesen sein, mag sich dies auch für Calenberg im Besonderen nachzeichnen lassen1115 und findet auch im Testament Georgs die Ablösung einer älteren ständischen durch eine jüngere fürstlich-bürokratische Staatsauffassung1116 ihren Ausdruck,1117 so bleibt doch ein Eckpfeiler ständischer Wirksamkeit unberührt: Die Landschaft bleibt zur Huldigung berufen und insofern – immer wieder neuer – Vertragspartner des Fürsten, der diesem gegenüber subjektive Rechte innehat und wahrzunehmen vermag; mag ihre Stellung als Vertragspartner auch eine eher formale, idealiter so gedachte sein, vor allem zunehmend geworden sein und nicht mit Bild eines gleichberechtigten Gegenübers zu beschreiben sein. Beim Regierungsantritt lässt sich die Landschaft ihrer Rechte und Privilegien versichern. Diese Konstellation des eigenberechtigten Gegenübers zum Fürsten und seinem Haus sowie die Versachlichung der ständischen Korporation, ihr Bestand unabhängig von den Personen ihrer Mitglieder, machten die Eignung der Landschaft zum Instrument der Stabilisierung hausrechtlich angelegter Bestimmungen aus. Der testierende Dynast oder die paktierenden Dynasten schaffen für ihr Nachkommen und/oder untereinander Verbindlichkeit, indem sie einen Dritten, die Landschaft, mit einem subjektiven Recht ausstatten. Das zweite wesentliche Instrument zur dauerhaften Sicherung hausrechtlicher Absprachen, die Einholung einer kaiserlichen Konfirmation, erschien Georg wohl im Hinblick auf den Frontverlauf des dreißigjährigen Kriegs im Jahre 1641 und seiner Parteinahme nicht einsatzfähig – die Übereinkunft von Peine vom 1. April 1640,
1114
Vgl. nur A. Erler, Art. „Familienfideikommiß“, HRG, Sp. 1072. Nachweise der zahlreichen Einzelstudien zum Verhältnis von Fürst und Landständen, auch in Calenberg, bei G. van den Heuvel, S. 176 ff. 1116 Diese Begriffsgegenüberstellung stammt von G. Oestreich, Ständetum, S. 69. 1117 Georg ermahnt seine Landschaft, sie möge sich vor allen Diffensionen und Misshelligkeiten, bevorab aber Scissuren und Spaltungen, hüten, sondern vielmehr in allen benebst den Fürsten für einen Mann treten, sich als Bruder und Glieder eines Fürstlichen Hauses und gleichsam eines Leibes gegeneinander bezeigen. Auch befördert er das Ausschusswesen zulasten des Landtags im Ganzen. Jedoch bleibt im Grundsatz die ständische Ausgabe der Beratung anerkannt und erhalten. 1115
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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in der die drei welfischen Herzöge ihre protestantischen, gegen den Kaiser gerichteten Interessen abgestimmt hatten, findet in Georgs Testament ausdrücklich Erwähnung.
bb) Der Adäquationsvergleich von 1646 Noch im Jahr der Abfassung des Testaments starb Georg. In Calenberg folgte ihm entsprechend der Zusicherungen gegenüber der Landschaft im Huldigungsrezess, bestätigt im Testament (§ 7), sein ältester Sohn Christian Ludwig. Mit seinem nächstälteren Bruder Georg Wilhelm fügte dieser sich dem letztwilligen Gebot des Vaters, im Hinblick auf den Anfall der Fürstentümer Lüneburg-Celle und Grubenhagen an die Linie Georgs zwei gleichwertige, fortwährend gesonderte, fürstliche Herrschaftskomplexe herzustellen. Zu diesem Zwecke wurde 1645 eine Kommission eingerichtet, in die Georg Wilhelm, da er, noch ohne Regierungsgewalt, nicht über eigene Räte verfügte, in Ansehung des väterlichen Testaments Räte des Landgrafen Johann von Hessen und Professoren der Universität Marburg entsandte. Ebenso wählte Georg Wilhelm aus beiden Landschaften, der Celler wie der Calenberger, je einen Adeligen und einen Gelehrten. Schließlich sollte ihm seine Mutter assistieren. Den mit der Unterstützung auch des Lüneburg-Celler Herzogs Friedrich – gerade die Anschläge der Rentmeister aus Celle für die Fürstentümer Lüneburg und Grubenhagen sowie aus Hannover für Calenberg bildeten die Grundlage für die Exäquation der beiden neuen Herrschaften – gefundenen Vergleich besiegelten Christian Ludwig und Georg Wilhelm am 10. Juni 1646 in Celle.1118 Darin beschworen die Brüder die Einhaltung der väterlichen Anordnungen, insbesondere auch die darin der künftigen Succession und Regirung, auch deren exaequation und Gleichstellung halber gemachte Verordnung. Um sich aber nicht ganz ihrer fürstlichen oder künftig fürstlichen Machtvollkommenheit und Gestaltungsfreiheit zu entkleiden, sich nicht gänzlich einem immerwährenden, vom Vater geschaffenen Gesetz zu unterwerfen, formulierten sie einen Abweichungsvorbehalt für Neben-Puncte unter der Voraussetzung, dass über solche Einigkeit unter den beiden regierenden Herzögen bestünde und die Abweichung propter publicum bonum erfolge.1119 Die Kommission handelte nach den Vorgaben des Testaments, dass die hinterlassende und alsdann vorhandene Fürsthümer und Lande in zwo Fürstl. Regirungen dergestalt dividiret und getheilet werden sollen, daß ein jedes Fürstenthum in seiner jetzigen Consistenz und Integrität erhalten bleibe. Als Ausgangspunkt wurde ein Ertragsgefälle zu Lasten Lüneburgs in Höhe von 5.613 Talern festgestellt, das Calenberg aus den media adaequantibus auszugleichen habe. Aber auch die Fülle wechselseitiger Verbindlichkeiten – etwa das Wittum der fürstlichen Witwe Eleonore –, An1118
Abgedruckt ist dieser Vertrag bei Ph. J. Rehtmeier, S. 1665 ff. Im Fall aber es sich jetzo sobald oder hernach begebe, daß wir aus erheblichen, und von uns beiderseits Herzogen gut befunden, Uns und unsern Land und Leuten ersprießlichen Ursachen in ein oder andere Neben-Puncte in etwas Aenderung machen müsten, soll uns solches propter publicum bonum nicht benommen seyn, im Haupt-Zweck aber gedachtes väterliches Testament unverbrüchlich observiret und gehalten werden. 1119
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
sprüche, Berechtigungen und Exspektanzen, insbesondere auch solche gegen Dritte, gerade gegenüber Wolfenbüttel, wie sie aus vorangegangenen Verträgen – ausdrücklich genannt werden diejenigen von 1618, 1629 und 1635 – herrührten, mussten zugeteilt werden. Herauszuheben ist insoweit, dass die Vereinbarung von Ausgleichszahlungen wohl schon im Keim eine Ablösung durch Übertragung der Einkunftsquelle selbst in sich trägt. So wird der Möglichkeit gedacht, dass August der Jüngere von Wolfenbüttel die ihm gegenüber dem neuen Haus Lüneburg, also auch gegenüber der Calenberger Linie obliegende, im Vertrag vom 14. Dezember 1635 übernommene Zahlungslast von 7.500 Talern jährlich in totum oder pro parte durch Abtretung von Land und Leuten cum pleno jure superioritatis & Dominii ablösen könnte. Heimfälle werden territorial erfasst. Nicht die Linie erhält ein ehedem abgeteiltes Ausstattungsgebiet zurück, sondern das, in seiner Konsistenz ja zu erhaltene, Fürstentum. Ausdrücklich werden des dritten Teils von Grubenhagen1120 und des Dannenberger appenagiums gedacht: So soll derjenige, welcher solchen Zufall hat, denselben zwar mit aller Hoch- und Gerechtigkeit, bey seinen Fürstenthumb behalten, dem andern aber die Helfte mit gelegenen Stücken ersetzen. Abschließend beschwören die Brüder ganz im Stile und in Fortsetzung des väterlichen, fürstlichen Testaments den Erhalt ihrer Lande in der Augsburger Konfession und überhaupt in guter Ordnung. Dazu stellen sie auch eventuelle Alinenationen unter gegenseitigen Konsensvorbehalt. Dem damit verfolgten Ziel der Sicherung des Patrimoniums in seiner Substanz zuwider wird indes ein Inkorporationsausschluss für frei werdende Adels-, Bürgerund Bauernlehen und also bona infeudari solita, allein gräfliche Lehen ausgeschlossen, formuliert. Diese sollen nicht zu Tafel-Güthern gemacht werden, sondern an andere wohlverdiente Leuten wieder verliehen werden. Diese Abrede – zu Lasten der Landschaft, lag den Ständen doch an einer möglichst weitgehenden Inkammeration von Gütern und anderen Einkunftstiteln, da nur so deren Beitrag zu den Landeslasten und entsprechend die Entlastung der im Grundsatz nur subsidiär heranzuziehenden Steuerpflichtigen zu gewährleisten war1121 – ist wohl nur angesichts des Vertragszieles der Exäquation verständlich: Steigerungen der Einnahmen des einen Regenten durch Zuwächse im Innern seines Fürstentums sollten nicht das Gleichgewicht gegenüber dem anderen Fürstentum stören.
1120 Eigentlich war gerade kein Drittel vom Fürstentum Grubenhagen abgeteilt worden. Der Lüneburger Herzog Christian hatte sich nach dem Zuspruch Grubenhagens zu Lüneburg 1617 mit den Dannenbergern am 5. Juli 1617 geeinigt, dass er, wenngleich im Namen beider Linien, die Regierung über Grubenhagen allein führe und Dannenberg nur an den Einkünften zu einem Drittel beteiligt werde. Mit Vertrag vom 23. Oktober 1618 modifizierte man Dannenbergs Beteiligung an Grubenhagen dahin, dass Julius Ernst und August Schloss und Amt Wustrow sowie eine jährliche Rente von 20.000 Talern erhalten sollten; G. Max, 1. Teil, S. 413. 1121 Vgl. etwa den Calenberger Landtagsabschied zu Braunschweig von 1634 (abgedruckt bei L. T. Spittler, 2. Teil, Beil. Nr. IV, S. 45 ff.). Dort ging es darum, wie auch vielerorts in der Literatur des Ancien Rgimes (vgl. etwa D. G. Strube, Rechtliche Bedenken, 1. Teil (1763), S. 156 ff.), um die Frage, inwieweit der Fürst gebunden ist, durch Eroberung im Krieg gewonnene Güter der Kammerverwaltung zu unterstellen, ihre Einkünfte also der Kammer und damit den Landesaufgaben zufließen zu lassen.
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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cc) Der Hildesheimer Vergleich von 1665 zwischen den Brüdern Georg Wilhelm und Johann Friedrich Die ad eventum 1641 und 1646 entworfene Sukzessionsordnung fand 1648 ihre reibungslose Anwendung. Ohne Abkömmlinge verstarb der Celler Herzog Friedrich. Sein erstgeborener Neffe Christian Ludwig überließ das von ihm regierte Calenberg seinem nächstjüngeren Bruder Georg Wilhelm und bezog das Schloss Celle. Der Unterhalt für die beiden nachgeborenen Brüder wurde 1649 geregelt: Johann Friedrich sollte in Celle seine Versorgung, der die Ämter Ebstorf und Neustadt gewidmet wurden, der Jüngste, Ernst August, sollte am hannoverschen Hof seine Apanage, die auf die Einkünfte der Ämter Lauenau und Gronde angewiesen war, erhalten.1122 Aber schon beim nächsten Erbfall funktionierte Georgs Optionsmodell nicht mehr; einer der Prätendenten versagte ihm die Anerkennung. Als Christian Ludwig 1665 ohne Deszendenz gestorben war, ergriff der dritte Bruder Johann Friedrich „staatsstreichartig“, begünstigt durch einen der vielen Auslandsaufenthalte Georg Wilhelms, die Regentschaft in Celle. Er leugnete das Jus Optionis des älteren Bruders aus Calenberg, der dieses für sich reklamierte.1123 Diese Konfrontation trug die Brüder an den Rand eines Krieges.1124 Denn vor allem in Folge des Übertritts Johann Friedrichs zum Katholizismus im Jahre 1651 bildete das Gegenüber der Brüder eine Frontlinie im Reich, insbesondere im Rheinbund, ab. Andere, besonders die großen Herrscherhäuser, bezogen jeweils auf Seiten desjenigen Bruders ihrer Konfession Stel1122
W. Havemann, Bd. 3, S. 201 f. Zu den Geschehnissen 1665 vor allem W. Havemann, Bd. 3, S. 214 ff. Johann Friedrich vertrat den Standpunkt, dass die väterliche Verfügung der Ausübung eines Wahlrechts durch den Ältesten bereits durch die Wahl Christian Ludwigs 1648 erfüllt sei, dass diese Anordnung also lediglich für e i n e n Sukzessionsfall habe gelten sollen. Jahre zuvor – bei seinem Konfessionswechsel 1651, der dem väterlichen Testament zuwiderlief – hatte Johann Friedrich zudem daran erinnert, dass dieses Testament nicht kaiserlich bestätigt worden ist, ebd., S. 220. Diesen Standpunkt setzte er durch, indem er Schloss und Stadt Celle schließen, Besitzergreifungspatente der Calenberger Räte abreißen, Beamte und Offiziere ein Handgelöbnis leisten ließ und von dem Generalsuperintendenten verlangte, dass seiner in den Kirchengebeten als regierender Herr gedacht werde. In Osterode nahm er auf dem Schloss gar die Huldigung entgegen. Die Stadt Lüneburg sowie die Herrschaften Hoya und Diepholz ergriff er mittels offenen Patents. Schriften zum Jus optionis wurden gewechselt: Johann Friedrich ließ deduzieren: „Kurtzer Bericht von dem Serenissimo Hern Georg Wilhelm competirenden jure optionis“. Hannover 1665. Georg Wilhelm hielt dagegen: „Begründeter Gegenbericht wider einen hern Georg Wilhelm in Druck gegebenen Kurtzen Bericht“. Lüneburg 1665. Vom Wortlaut her war indes das väterliche Testament insoweit eindeutig; die Anordnung sollte sich nicht in einer Ausübung des Wahlrechts erschöpfen (§ 18): Sie sollte sich auf den Fall, dass von unser obgesetzter massen r e g i e r e n d e r S ö h n e L i n i e eine oder die andere (…) ü b e r k u r z o d e r l a n g ohne männliche Erben ausgehen, und also denn männliche Erben von Unserm Tertio vel Quartogenito übrig seyn würden, erstrecken. Dann sollte der überlebenden regierenden Linie die Optio von denen also eröfneten und vorhin gehabten Fürstenthumben und Landen freystehen, das nicht optierte aber zuförderst uf die vom Tertio genito noch vorhandene und so fürderst fallen. Für Johann Friedruch blieb also nur das Fürstentum, das Georg Wilhelm verschmähen würde. 1124 Auch zum Folgenden: G. van den Heuvel, S. 157. 1123
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
lung. Schon gerüstet für den Waffengang1125 – auch ein Angebot der Calenberger Stände, zur Vermeidung des Bruderkrieges an Georg Wilhelm 200.000 Taler für dessen Verzicht auf Celle zu zahlen, vermochte, da es nicht angenommen wurde, nicht zu befrieden –1126 verglichen sich die Brüder doch noch in Güte – zu Hildesheim am 7. August 1665.1127 Die Reihe der als Vermittler zwischen den Brüdern benannten Großen im Reich ist lang und klangvoll. Der Nerv Johann Friedrichs Strebens wird in der Arenga der Urkunde offen gelegt: Die in Georgs Testament angeordnete Exäquation sei nicht erreicht worden. Eine Erhebung der Kammerräte und Cameralen in den beiden Fürstentümern über die vergangenen neun Jahre habe eine zimliche inaequalitaet ergeben, in dem das Fürstenthumb Lüneburg und Grubenhagen sambt der halben Ober- auch gantzen Nieder-Graffschafft Hoya und Diefholtz das Fürstenhumb Calenberg an Jährlichen intraden auff ein hohes übertroffen habe. Daraufhin ordneten die Brüder die Herrschaften ohn wiederruflich neu: Georg Wilhelm erhielt statt Calenberg das Fürstentum Celle mit der Ober- und Niedergrafschaft Hoya und der Grafschaft Diepholz, dazu das Stift Walkenried und die Ämter Schauen und – nun alleinig – Herbstedt. Das Fürstentum Grubenhagen aber wurde dem CalenbergGöttinger Teil, den Johann Friedrich erhielt, zugelegt; ebenso die zu diesem gehörigen Zellerfelder und Grubenhagener Bergwerke. Diese Neuordnung führte indes offensichtlich nicht zur Gleichwertigkeit der beiden fürstlichen Herrschaften, sollte doch Georg Wilhelms Linie, wenngleich erst nach seinem Tod, oder beim Fehlen von Leibes-Lehens-Erben und Successoren in der Landes-Fürstlichen Regierung, Ernst August und seine Linie an Johann Friedrich oder dessen Nachkommen jährlich fünfzehntausend Reichstaler aus einem Kapitalstock von dreihunderttausend Reichstaler, für die die zu Celle gehörigen Elbzölle zu Bleckede, Hitzacker und Schnakenburg haften sollten, zahlen. Um den Etat, auch Gesicher- und Einigkeit Unsers Fürstlichen Hauses zu gewährleisten, soll das im väterlichen Testament verordnete Jus optionis für künftige Sukzessionsfälle aufgehoben sein. Vielmehr soll es bei der nun vorgenommenen Erb- und Landes-Theilung jetzt und künfftig, so lange von Uns und Unserm niedersteigenden Mannes-Stamme jemand übrig seyn wird, ohne einige fernere Division oder Option sein beständig immerwährenes und ohnveränderliches Verbleiben haben und behalten. Mit der Beseitigung des der jeweils ältesten regierende Linie zustehenden Jus optionis entfiel die Klammer, die die beiden fürstlichen Herrschaften über die Generationswechsel hinweg auch für den Fall zu verbinden vermochte, dass eine der regierenden Linien erlöschen sollte. Die Anordnung des Wahlrechts, das ja nach der erstmaligen Ausübung beim Anfall Lüneburg-Celles an Georgs Linie nur dann zum Tragen kommen sollte, wenn eine der regierenden Linien aus Georgs Deszendenz aus1125 Auch der jüngste Bruder Ernst August, seit 1661 Fürstbischof von Osnabrück, hielt schon eigene Truppen zum Eingreifen bereit – auf Seiten Georg Wilhelms. 1126 W. Havemann, Bd. 3, S. 216. 1127 Abgedruckt ist dieser Vergleich bei L. Hugo, Beil. Nr. XI; bei Ch. L. v. Bilderbeck, in: J. H. Ch. v. Selchow, Magazin, Nr. 8; und auszugsweise bei J. J. Moser, Teutsches Staatsrecht, Th. XIII, S. 105 ff.
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sterben sollte – solange die Linie Bestand hatte, erbte jeweils der älteste Sohn, ohne dass es zu einer Option kam –, bedeutete zugleich die Begründung oder Erhaltung eines Eventualerbrechts der überlebenden Linien aus Georgs Nachkommenschaft an der erledigten Herrschaft, vorrangig der regierenden, nachrangig aber auch der nicht regierenden, gestuft nach dem Alter ihres jeweiligen Stammvaters unter den Söhnen Georgs. Diese fürstlichen Herrschaften wurden also gleichsam nur zeitig für die Dauer des Bestandes eines Mannesstammes einer Linie zugeordnet. Funktional ist insofern das Jus optionis einer Erbverbrüderung vergleichbar: Heimfall an das Reich oder anderweitige Entfremdung der abgeteilten, erloschenen Herrschaft von der Familie soll verhindert werden. Der Hildesheimer Vergleich wählte nun als Ersatz dieses Bandes nicht das Instrument der Erbverbrüderung, sondern ordnete an, dass, damit auch (…) inskünfftige in diesem Fürstlichen Hause die nächste Agnati und Bluts-Verwandte ihres in eventum zustehenden Successions-Rechtens um destomehr versichert seyn mögen, (…) hinführo so wohl die Homagial- und Lehen- als die Dienst-Eyde für die jetzt und künfftige Räthe und andere vornehme Hof- und Regierungs-Bediente, wie auch die hohe Kriegs-Officier und Commendanten in den vesten Posten dergestalt eingerichtet werden sollen, damit gedachte Bediente, Lehen-Leute und Unterthanen jedes Orts zwar dem p. t. regierenden Landes-Fürsten vornehmlich, daneben gleichwohl auch, auf dessen Absterben, dem nachfolgenden in der Regierung nahmentlich und dessen männlichen Leibes-Lehens-Erben sich gleichfalls verwandt machen müssen. Hier begegnet der überkommene Empfang einer gemeinschaftlichen – eventualen – Erbhuldigung in zwei Herrschaften in zeitgenössisch gewandeter Form. Zwar wird, wie hergebracht, das Verhältnis des Fürsten zu den Herrschaftsunterworfenen, ihre Anerkennung, zur Sicherung der Sukzessionsbestimmungen, in diesem Fall des wechselseitigen Eventualfolgerechts, instrumentalisiert. Jedoch erscheint nicht mehr die Huldigung der Landschaft als Ausdruck der Herrschaftsakzeptanz der dieser Unterworfenen. Die Stände als Vertreter des Landes im Sinne eines Untertanenverbandes finden ebenso wenig Erwähnung wie die Huldigung als Sinnbild des Gegenseitigkeits-, des Vertragscharakters mittelalterlicher und auch noch frühneuzeitlicher Herrschaft.1128 Der Fürst tritt nicht mehr in ein unmittelbares, jedenfalls in der Zeremonie der Huldigung als solches dargestelltes, Verhältnis zu dem durch Stände und Landtag, durch die Huldigungsgemeinschaft abgebildeten Land.1129 Vielmehr vollzieht sich die Sukzession, der Herrschaftsantritt, nur mehr in der Abnahme der 1128
Dazu C. Schorer, passim. Die Formulierung „Abbildung“ ist bewusst gewählt – um den umstrittenen Begriff der Repräsentation des Landes durch die Stände oder gar die Identifikationsformel O. Brunners, „die Stände sind das Land“, und die Diskussion darum hier auszusparen (zum Begriff des Landes bei Brunner: M. Weltin, passim, und E. Bünz, bes. S. 58 ff.; zur Problematik der Erfassung des Verhältnisses von Land und Ständen vor allem: E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 92 ff.). Nur soviel: Bei der Huldigung geht es weniger um die Frage, ob die Stände das Land, den Untertanenverband – in toto – in dem Sinne repräsentieren, dass sie von diesem legitimiert, ja mandatiert wären. Sie stellen aber in diesem symbolischen, zeremoniellen Akt jedenfalls das notwendige Gegenüber der Herrschaft, die Beherrschten, dar. 1129
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
Lehns- und Diensteide der Räte, der anderen Beamten und der Offiziere. Dieser Verwaltungsapparat wird – genauer: diese beiden Verwaltungsapparate werden – beiden fürstlichen Linien zur Sicherung zukünftiger, eventueller Herrschaft auch im anderen Fürstentum durch die Anordnung antizipierter Anerkennung zugeordnet. Die Herrschaftsanerkennung der Untertanen, die am Rande auch erwähnt werden, erscheint dann gleichsam nur als Folge der Zuordnung der Herrschaftsinstrumente, des Herrschaftsapparats, als deren Aufgabe. Allerdings sah die Praxis anders aus, als es diese Klausel des Hildesheimer Vergleichs nahe legt. Nachdem Ernst August seinen Bruder Johann Friedrich in Hannover beerbt hatte, empfing er am 12. Oktober 1680 vor dem Rathaus zu Hannover die Huldigung der Calenberger, der Grubenhagener und der Göttinger Stände; kurz darauf huldigten ihm die Bürger Hannovers in der dortigen Marktkirche; von einer Beschränkung des Herrschaftsantritts auf eine Eidesabnahme kann nicht die Rede sein.1130 Nach der Neuverteilung der Fürstentümer und der Abschaffung des Jus optionis erklären die Brüder, dass es im Übrigen, was Unsere der Fürstlichen Gebrüdere Personen und Unsere Successoren, als Unsere Land-Stände und Unterthanen betrifft, bei den Dispositionen des väterlichen Testaments von 1641 und des Vergleichs von 1646 verbleiben solle. dd) Der Aufstieg des späteren Kurfürsten Ernst August und das Celler Erbe (1648 – 1682) Doch Georg Wilhelms und Johann Friedrichs Regentschaften sowie schließlich auch das väterliche Gebot der Trennung von Calenberg und Lüneburg blieben nur Episode, wenngleich dieses Trennungsgebot den Widersachern der Einführung einer umfassenden Primogeniturordnung als argumentative Stütze ihres Standpunkts dienen sollte. Beide Regenten starben von Deszendenten unbeerbt. Nutznießer war der jüngste der Söhne Georgs, Ernst August, geboren 1629. Wohl befähigter als seine Brüder,1131 wurde sein Aufstieg doch erst durch diesen genealogische Zufall, der doch nicht nur Zufall, sondern in einer dem Lüneburger Haus nicht gänzlich fremden Weise auch gesteuert war, ermöglicht. Als viertgeborener Sohn hatte er wenig Aussicht, regierender Fürst im väterlichen Erbe zu werden.1132 Eine, wenngleich nur mittelfristige, Herrschaftsperspektive gewann er hingegen schon früh: Im Osnabrücker Friedensschluss von 1648 wurde für das Hochstift Osnabrück ein reichsrechtlich einzigartiger Kompromiss gefunden, die so genannte successio alternativa. Osnabrück sollte als geistliches Territorium fortleben; unter Erhaltung der Parität der Konfessionen in der Verwaltung, gemessen am Normaljahr 1624, sollten sich künftig ein vom Domkapitel frei zu wählender Bischof und ein Landesherr aus der jüngeren 1130
Zur Huldigung des Jahres 1680: W. Havemann, Bd. 3, S. 285; G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 274 f. 1131 Zur Persönlichkeit Ernst Augusts G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 133 ff. 1132 In seinem Testament von 1682 spricht er selbst davon, dass er der apparenz nach von aller Herrschaft ausgeschlossen gewesen sei.
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Linie des Hauses Braunschweig-Lüneburg, dem neuen Haus Lüneburg, abwechseln.1133 Schon bei den Friedensverhandlungen wurde Ernst August zum Nachfolger des katholischen Bischofs Franz Wilhelm von Wartenberg bestimmt.1134 Auch hatte er, nachdem die Schweden 1650 Osnabrück geräumt hatten, bereits die Huldigung dort empfangen. Doch sollte es noch bis 1661 dauern, dass Franz Wilhelm starb und Ernst August tatsächlich Fürstbischof zu Osnabrück werden und damit eine erste Machtbasis für seine weitere Erwerbspolitik begründen konnte. Schon 1658 hatte er dazu eine weitere Exspektanz erworben. Georg Wilhelm hatte ihm seine Braut Sophie von der Pfalz in allseitigem Einvernehmen kurz vor der Eheschließung – ein Ehekontrakt war bereits unterzeichnet – verbunden mit der Zusicherung überlassen, sich selbst nicht mehr vermählen zu wollen, damit, wie er in einem Revers seinem Bruder versicherte, also mehr vorerwähnter Princessin (Sophie) und meines Bruders männliche Erben, als in deren favor diese meine renunciation eigentlich geschieht, zu einem oder beyden dieser Fürstenthümer gelangen und kommen mogen.1135 Auf das herzogliche Verlangen hin erhöhten die Calenberger Stände das Jahrgeld Ernst Augusts auf 20.000 Taler, so dass dieser eine selbstständige Hofhaltung bestreiten konnte. Gegenüber dem Bruder direkt verpflichtete sich Georg Wilhelm sogar, die im Einzelnen benannten Kosten der Hofhaltung zu übernehmen, den Eheleuten in seinem Schloss eine angemessene Unterkunft zu gewähren und für Sophie ein Leibgedinge – dazu dienten das Amt Münden und die Herrschaft Sichelstein als Grundlage – zu bestellen. Nachdem Georg Wilhelm in Folge des Hildesheimer Vergleichs von 1665 das Fürstentum Calenberg an Johann Friedrich übergeben und dafür das zudem weit einkunftsträchtigere Fürstentum Lüneburg übernommen hatte, musste die Versorgung von Bruder und Schwägerin der neuen Sachlage angepasst werden. Das Wittum für Sophie wurde den Ämtern Alten- und Neuenbruchhausen, Ehrenburg und Barenburg auferlegt. Ernst August erhielt die Grafschaft Diepholz, und zwar mit voller Landeshoheit und den Reichsrechten, allerdings unter
1133 Dieser Bestimmung in Art. XIII IPO schlossen sich die 1650 niedergelegte Capitulatio perpetua und der Iburger Nebenrezess zwischen Franz Wilhelm und dem Welfenhaus an; G. van den Heuvel, S. 161. 1134 Ernst August hatte dafür seine durch die Koadjutorenschaft begründeten Ansprüche auf das Erzbistum Magdeburg – gemeinsam mit Magdeburg übte das Haus Braunschweig-Lüneburg das Recht zur Kreisausschreibung aus (vgl. Akzidenzvertrag von 1636) – aufgegeben; W. Havemann, Bd. 3, S. 250. 1135 Abgedruckt ist dieser Revers bei W. Havemann, Bd. 3, S. 245 f. Anm. 1. Dort findet sich auch eine geradezu herzergreifende Darstellung der Hintergründe dieses Eheverzichts, die so zutreffend gewesen sein mögen oder auch nicht. Georg Wilhelm hatte zuvor sogar, wie Havemann mitteilt, mit der Braut auch das Fürstentum Calenberg für seine Lebenszeit an Ernst August abtreten wollen. Diese wünschte aber, dass Johann Friedrich als näher zur Nachfolge stehende Bruder dieser Abtretung zustimme. Johann Friedrich indes verweigerte die Einwilligung. In dem Eheverzicht Georg Wilhelms schimmert ein überkommenes Motiv dynastischer Nachfolgepolitik im Hause Lüneburg durch; auch in der Generation des Vaters wählten Brüder das Zölibat zu Gunsten eines anderen Bruders, Georg wurde durch Los zur Fortpflanzung der väterlichen Linie bestimmt [oben B.V.1.c)].
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
der Bedingung, dass im Fall, dass er oder einer seiner Nachkommen in den Besitz eines Fürstentums gelangten, die Grafschaft an Lüneburg zurückfallen sollte.1136 Diese Erwartung der Nachfolge im Fürstentum seines Bruders Georg Wilhelm, seit 1665 im Celler Fürstentum, geriet aber schon bald in Gefahr. Die „Gewissensehe Georg Wilhelms mit der schönen Französin Eleonore dOlbreuse“ (Schnath) drohte, als dieser Verbindung Kinder erwuchsen – 1666 wurde die Tochter Sophie Dorothea geboren –, für Konkurrenz um die Nachfolge durch Ernst August und seine Linie zu sorgen. Georg Wilhelm stattete seine Geliebte, im Sprachgebrauch der Höfe in Celle und Hannover Madame dHarbourg geheißen, reichlich aus. Als Witwenversorgung verschrieb er ihr zunächst Scharnebeck und Büthlingen. Nachdem 1671 das dannenbergische Apanagium an Lüneburg gefallen war, wurde dieses Wittum sogar, mit Zustimmung Ernst Augusts, noch um die Ämter Dannenberg und Hitzacker vergrößert. In seinem Testament von 1673 stiftete Georg Wilhelm ein Fideikommiss, mit dem die eigens dafür erworbene Herrschaft Wilhelmsburg belegte. Von eventuellen Söhnen sollte der Älteste Wilhelmsburg erhalten und die Nachgeborenen ausstatten. Sollte ihn nur Sophie Dorothea überleben, war ihr Wilhelmsburg zugedacht. Sollte er unbeerbt versterben, sollte diese Herrschaft an die jüngeren Söhne Ernst Augusts fallen. Im Übrigen sollte aber das Fürstentum an Ernst August und die Seinen fallen. So seiner Erbansprüche versichert, unterzeichnete auch der Bruder das Testament.1137 Ebenso gab Ernst August mit Vertrag vom 25. Mai 1675 seine Zustimmung zur Eheschließung Georg Wilhelms mit Eleonore – diese war wie ihre Tochter Sophie Dorothea zuvor vom Kaiser zur Gräfin erhoben worden –, nachdem er wiederum versichert wurde, dass seinen Erbansprüchen kein Abbruch geschehe. Schon jetzt sollten Beamte, Offiziere, Miliz und Landstände auf ihn verpflichtet werden; bei erneuter Schwangerschaft Eleonores sollte er die Generalhuldigung des ganzen Fürstentums empfangen. Zur Bestärkung dieser Abrede wurde ihre kaiserliche Bestätigung eingeholt.1138 Bestätigt wurde diese Versicherung Ernst Augusts mit neuerlichem Vertrag vom 1. September 1675, den auch der Wolfenbütteler Regent Anton Ulrich, der seine Eheabsichten hinsichtlich der erst zehnjährigen Sophie Dorothea angemeldet hatte, unterzeichnete. Als Eleonore ein weiteres Kind erwartete, erklärte Georg Wilhelm auf einem Landtag zu Celle gegenüber den Lüneburger Ständen, dass die Nachfolge im Fürstentum Lüneburg allein Ernst August oder dessen ältestem Sohn gebühre, sei es auch, dass aus der Ehe mit der Gräfin von Wilhelmsburg, Eleonore, ihm eine männliche Deszendenz erwüchse.1139 Damit wurde die Landschaft des Fürstentums auf diese Nachfolgebestimmung festgelegt. Dem Bruder gegenüber versicherte er erneut,
1136 W. Havemann, Bd. 3, S. 252. Da die veranschlagten Erträge der Grafschaft hinter der Ernst August zuvor verschriebenen Apanage von 20.000 Talern jährlich zurückblieben, musste die fürstliche Kammer zu Celle den Differenzbetrag an Ernst August zahlen. 1137 G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 139 mit dem Quellennachweis. 1138 Ebd., S. 140, wiederum mit Quellennachweis. 1139 Landtagsabschied vom 4. März 1676, abgedruckt bei A. L. Jacobi, Bd. 2, S. 392; siehe auch ders., Rückerinnerung, S. 472, und bei W. Havemann, Bd. 3, S. 291.
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alsbald dem Bruder und dessen Nachkommen im Fürstentum huldigen zu lassen.1140 Auch diese wiederholte Bestätigung seiner Erbperspektive beruhigte Ernst August nur vorübergehend – bis Georg Wilhelm wieder einen Schritt zur Standeserhöhung seiner Gemahlin unternahm: er ließ in den Kirchen Lüneburgs für Eleonore als Herzogin beten. Daraufhin entwarfen die Brüder ein kompliziertes Kompromissmodell, das einerseits die zugesicherte Erbexspektanz für Ernst August und seine Nachkommen auf das Fürstentum Lüneburg erhielt, andererseits aber dem Trachten Georg Wilhelms nach Ausstattung des erwarteten Sohnes mit einer fürstlichen Herrschaft und entsprechendem Stand im Reich gerecht zu werden vermochte. Nach einem „Brüderlichen Permutationsrezess“ vom 2. August 1676 sollte aus verschiedenen Gebietsteilen um das Amt Syke als Kern ein Erblehen geformt, mit einer befestigten Residenz ausgestattet und mit dem Recht der Reichs- und Kreisstandschaft versehen werden. Die weiblichen Nachkommen sollten mit Titel und Wappen von Gräfinnen, die männlichen von Fürsten von Hoya ausgestattet werden.1141 Dieser kühne, etwas merkwürdige Plan einer fürstlichen Herrschaft aus der Retorte wurde wie so oft durch biologische Umstände hinfällig: Eleonore hatte eine Fehlgeburt, nach der weitere und daher auch männliche Erben nicht mehr zu erwarten waren. Der Plan zeigt aber zugleich, wie stark das Streben Georg Wilhelms war, trotz seines Verzichtes auf eine Vererbung des Fürstentums Lüneburg in eigener Deszendenz, dieser eine fürstliche Zukunft zu bereiten, wie berechtigt entsprechend Ernst Augusts Zweifel an der Beständigkeit der brüderlichen Zusicherung gewesen waren. Erst nach dem Gewinn der Erbschaft Johann Friedrichs, des Fürstentums Calenberg, 1679 näherten sich die Brüder wieder an und strebten nach einem Ausgleich ihrer Interessen. Unter Hinweis seiner – Calenberger – Räte Otto Grote, Hieronymus von Witzendorff und Ludolf Hugo, dass ein Mehr oder Weniger an Titel – der Gemahlin seines Celler Bruders –, dem überdies keine förmliche Standeserhebung zu Grunde liege, keine Lehnserbschaftssache entscheiden könne, verglichen sich Ernst August und Georg Wilhelm in einem nachträglich auf den 23. Juli 1680 datierten Vertrag. Ernst August erkannte den herzoglichen Titel seiner Celler Schwägerin ebenso wie die Verfügungen seines Bruders zu ihrer und der Tochter Ausstattung, vor allem ihr Erbrecht an dem Allodialvermögen Georg Wilhelms und der von Reichslasten befreiten und der Lüneburger Gerichtsbarkeit entzogenen Herrschaft Wilhelmsburg, an und stimmte einer Erhöhung des Wittums für Eleonore von 8.000 auf 12.000 Taler zu. Dafür verzichte Georg Wilhelm erneut für sich und seine Nachkommen auf die Erbfolge im Fürstentum Lüneburg und versprach, die noch ausstehende Vereidigung der Beamten, Offiziere und Landstände auf Ernst August umgehend nachzuholen. Dieser brüderliche Vergleich wurde umfassend stabilisiert: zunächst beschworen ihn die lüneburgischen Landstände;1142 sodann wurden die beiden ältesten Söhne Ernst Augusts, Georg Ludwig und Friedrich August, auf ihn vereidigt und schließlich fand 1140 1141 1142
G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 141. Ebd., S. 143. Landtagsabschied vom 21. August 1680, abgedruckt bei A. L. Jacobi, Bd. 2, S. 399.
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er – nach langwierigen Verhandlungen – die kaiserliche Bestätigung mit der entsprechenden Weisung an den Reichshofrat und das Reichskammergericht.1143 Gleichsam als Schlussstein der Absicherung des Celler Erbes diente die Vermählung des hannoverschen Erbprinzen Georg Ludwig mit seiner Celler Cousine Sophie Dorothea im November 1682.1144 ee) Die Errichtung einer Primogeniturordnung im Testament Ernst Augusts von 1682 Kurz nach dieser Sicherung seiner zukünftigen Herrschaft im Fürstentum Lüneburg trat Ernst August die Regentschaft im Fürstentum Calenberg an. Sein Bruder Johann Friedrich war 1679 kinderlos verstorben. Nach dem vom Vater testamentarisch 1641 begründeten, von den Brüdern Christian Ludwig und Georg Wilhelm 1646 bestätigten und durch den Hildesheimer Vergleich aus dem Jahre 1665 von Georg Wilhelm und Johann Friedrich nicht aufgehobenen Gebot der getrennten Vererbung der beiden Fürstentümer Calenberg und Lüneburg – 1665 wurde von den beiden Pfeilern der väterlichen Nachfolgeordnung nur das jus optionis beseitigt – konnte Calenberg nicht an Georg Wilhelm fallen. Auch das 1665 verabredete Instrument zur Sicherung der kollateralen Erbrechte für den Fall des Erlöschens einer der beiden regierenden Linien erstreckt sich nicht allein auf die beiden unmittelbar paktierenden fürstlichen Linien, unterscheidet sich insoweit also von den funktional so ähnlichen Erbverbrüderungen und vor allem der Gesamt- oder Erbhuldigung, die regelmäßig ein Kollateralerbrecht nur für die Beteiligten des Rechtsgeschäfts und ihrer Nachkommen begründen. Die Einrichtung der Lehns- und Diensteide auf den künftigen Landesherrn und dessen Nachfolger erfasst, wie es die eingangs der Klausel ausgesprochene Zielsetzung absteckt, alle Agnaten und Blutsverwandte.1145 Wie im Fall des Erlöschens einer Linie derjenige blutsverwandte Agnat zu bestimmen ist, der nachfolgt, sagt diese hausvertragliche Bestimmung selbst nicht. Insoweit verbleibt es bei den Bestimmungen von 1641 und 1646. Jedoch ergibt sich eine klare Nachfolgeordnung aus der Formel des auf der Vertragsklausel beruhenden Huldigungseides, 1143 Auch zum Vorstehenden: W. Havemann, Bd. 3, S. 292 ff.; G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 151 f. 1144 Diese war zuvor verlobt mit dem Wolfenbütteler Erbprinzen Friedrich August, bis dieser 1676 im Krieg fiel. Die calenbergisch-cellischen Eheverträge wurden Ende 1682 unterzeichnet (dazu G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 164). Aus der Ehe, die 1695 geschieden wurde, gingen der spätere englische König Georg II. und die spätere Gemahlin des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, Sophie Dorothea, hervor. Die in dem Ehevertrag verabredete Bestimmung, dass nach dem Tod Georg Wilhelms alle bewegliche wie unbewegliche Allodialhabe an Sophie Dorothea fallen sollte, wurde durch Vertrag vom 29. August 1694 zu Gunsten der hannoverschen Linie abgeändert. Danach sollte der allodiale Immobiliarbesitz, also auch Wihelmsburg, an die Kurlinie in Hannover fallen. Diese Regelung bestätigte Georg Wilhelm in seinem Testament vom 26. Januar 1705; W. Havemann, Bd. 3, S. 379. 1145 Überdies hatte Ernst August den Hildesheimer Vergleich mit vollzogen, G. W. Leibniz, Bd. 5, S. 107.
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wie sie Leibniz in seinem Extrakt zur Primogenitur mitteilt:1146 Denen Durchlauchten und Herren Herz (G.W./J.H.) sollt ihr schweren (…), daß ihr Seiner Durchlaucht einzig und allein, und wenn dieselbe nicht mehr am Leben, S.D. ältesten Sohn und Sohnes Sohn und so fürters (…), und da (G.W./J.F.) nicht an leben seyn und keinen Mannesstamm verlaßen würde, alsdann herzog Ernst August u.s.w. und Seiner Durchlaucht mänliche leibes lehens Erben, alsdann herzogs (G.W./J.F.) und Seiner Durchlaucht männliche leibes lehens Erben, und zwar hinkünfftig allezeit, nach dem recht der Erstgeburt für euern einigen regirenden landesfürsten erkennen wollet. So konnte Calenberg nur an den einzig noch lebenden Bruder des Celler Regenten, den Quartogenitus Ernst August fallen.1147 Ernst August unternahm es bald darauf, das väterlich verfügte und brüderlich mehrfach bestätigte Gebot der Sonderung zu überwinden und die weithin durch den bekannten Kanon an Instrumenten gesicherte Anwartschaft auf den Lüneburger Herrschaftskomplex mit der schon besessenen Calenberger Herrschaftseinheit für die Zukunft zu vereinigen. Beide fürstlichen Herrschaften sollten zu einer patrimonialen Einheit verschmolzen und diese Einheit für die Zukunft gesichert, gegen die Teilungsgefahren künftiger Sukzessionsfälle gewappnet werden. In beiden Fürstentümern waren Unteilbarkeit und Nachfolge eines einzigen, und zwar des ältesten Sohnes, also die Primogeniturfolge, bereits anerkannt und wurden längst praktiziert. Nun galt es, diese Sukzessionsgrundsätze von dem allein territorialen Bezug auf das – neue Lüneburger – Haus insgesamt, den fürstlichen Nachlass in Gänze zu übertragen. Verfasst von seinem Vizekanzler Ludolf Hugo errichtete Ernst August mit seinem Testament vom 31. Oktober 1682 eine Erstgeburtsordnung.1148 Diese letztwillige Ver1146
Ebd., S. 109 f. So auch G. W. Leibniz, Bd. 5, S. 110 f., in seiner Auslegung dieser Eidesaufforderung. 1148 G. Schnaths, Geschichte, Bd. 1, S. 279, offenbare Verwunderung, dass „man ein Staatsgrundgesetz von so weittragender Bedeutung überhaupt in die Form eines Testaments einschloss“, und seine Vermutung zu den dahinter stehenden Gründen – nämlich zum einen, weil Georgs ebenfalls in dieser Form getroffene Verfügung abgeändert werde, und zum anderen, weil bei einem Testament die Möglichkeit bestehe, neues Recht zu schaffen, es aber bis zum Tode des Schaffenden geheim halten zu können – impliziert eine Alternative zu dieser Form der Ordnungsgebung. Doch worin sollte diese bestanden haben, sieht man einmal von dem (Erb-)Vertrag, den Schnath sicher nicht vor Augen hatte, ab? An Verfassungsgesetze im modernen, im Sinne des 19. Jahrhunderts, war noch lange nicht zu denken. Hausnormen, die als Gesetz in Anspruch genommen werden könnten, mag es vielleicht vereinzelt im 18. Jahrhundert gegeben haben; vgl. J. Weitzel, Hausnormen, S. 47. Adressat der Sukzessionsordnung Ernst Augusts konnte indes nur seine Abkömmlinge und allenfalls andere Mitglieder der landesherrlichen Familie sein. Diesen gegenüber kam aber auch dem regierenden Fürsten keine Gesetzgebungsgewalt zu, da sie ebenfalls reichsunmittelbar waren; vgl. statt vieler H. Rehm, Fürstenrecht, S. 87 f., 94; ders., Rechtsstellung, S. 141 f.; C. Bornhak, S. 32, 35 ff. Zur Frage der Normwirkung und des Gesetzescharakters der Hausnormen J. Weitzel, ebd., passim, und oben in der Einleitung. Diese abstrakten Überlegungen werden auch durch den Befund H. J. F. Schulzes, Erstgeburt, S. 358 f., zu den „verschiedenen Einführungsformen der Primogenitur“ gestützt. Neben Reichsgesetz, kaiserlichem Privileg, nennt Schulze als Normsetzung des reichsständischen Adels selbst die väterliche Disposition, vor allem das Testament als die gebräuchlichste Form, den Vertrag und das Herkommen. Und schließlich bringt das Testament 1147
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fügung ist nicht als eigenständige Urkunde überliefert – vermutlich ist sie nach Abfassung des neuen Testaments des Herzogs im Jahre 1688 kassiert worden –, sondern nur als inserierter Extractus Testamenti in der kaiserlichen Konfirmationsurkunde vom 1. Juli 1683.1149 Sowohl die kaiserliche Kanzlei wie auch der Calenberger Vizekanzler beginnen mit der Benennung der ebenso hergebrachten wie nahe liegenden Motivation einer Erbfolgeregelung überhaupt: Streitigkeiten zwischen den Söhnen und Deszendenten sollen vermieden werden, damit, wie die kaiserliche Arenga fortfährt, nicht nur der Testator von allen Sorgen befreyt sein möge, sondern auch nicht eveniente casu durch dissidia domestica dass publicum1150 wie offters geschehen, gehindert und zurückgesetzt werde. Sogleich wenden sich aber die Verfasser beider Urkundsteile dem Kern der Verfügung Ernst Augusts zu, der Überwindung der Sonderung beider Fürstentümer in seinem Patrimonium. In der Referierung dessen, was der um Konfirmation nachsuchende Herzog berichtet habe, wird von Reichsseite die Vereinigung allgemeiner, ja politischer begründet – Einigkeit und Größe als notwendige Grundlage der Beförderung des gemeinen Besten im Reich und im Territorium: Es solle bedacht werden, dass im gegenwärtigen Zustand die Kräfte fehlten, mit solchem vigeur und nachtruck dess gemeinen weesens sich anzunehmen, wie es wohl nöthig sei. Es sei wohl ihre Aufgabe, dass bei Beibehalt der Sonderung die beiden regierenden Fürsten fest beieinander und in sachen so Unsere Kaiserliche Dienst und dess gemeinen Vatterlands Ehr und wohlfahrt betreffen, für einen Mann stehen solten. Die Erfahrung lehre aber, dass die menschliche Natur, besonders in Regierungssachen, zum Dissens neige, so dass weder die eine noch die andere Seite etwass rechtschaffenes pro salute et gloria communi ausrichten könne. Deshalb gebe es für Kaiser, Reich, aber auch in particulari für diese Lande nichts heylsameres, als die Fürstentümer unter eine Regierung zu bringen und zur Succession in beeden dass jus primogeniturae unter ihren Descendenten fest zu stellen. Dem stehe nichts entgegen. Der Natur der feudorum regalium entspreche es nach den uralten Reichsordnungen, dass sie nicht geteilt werden. Wenn man von diesem Gebot hin und wieder abgewichen sei, so habe man die übele consequentien, zu denen dies geführt habe, gesehen, so dass es ein Trachten sein müsse, bei der Gelegenheit eines Anfalls, die geteilten Stücke wieder zu vereinigen. Erst jetzt geht der kaiserliche Verfasser auf die rechtlichen, vor selbst zum Ausdruck, welche Formen zur Einführung des Primogeniturrechts in den fürstlichen Häusern gebräuchlich waren: Vor allem pacta, statuta familiae und testamentarische dispositiones. Insofern trifft auch F. Hartungs, S. 109, Feststellung, die meisten Fürstentstamente hielten an den Landesteilungen und Gemeinschaftsregierungen fest, auf die welfischen Verhältnisse nicht zu: Julius von Wolfenbüttel, Georg von Calenberg und schließlich Ernst August schlossen diese Formen der Nachfolgelösung gerade aus; allenfalls in der letztwilligen Verfügung Philipps von Grubenhagen finden sich Anklänge an die Anordnung einer Gemeinschaftsregierung. 1149 Abgedruckt bei H. J. F. Schulze, Hausgesetze, S. 474 ff. Die Angabe des Datums des Testamentes erfolgt nach G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 279, mit den Nachweisen archivalischer Quellen. Schnath, ebd., berichtet überdies von einem früheren Testament Ernst August aus dem Jahre 1669, das im Celler Archiv hinterlegt war und das sich der Herzog nach den Verstimmungen mit Georg Wilhelm 1677 hatte zurückgeben lassen. 1150 Gemeint dürfte insoweit wohl der Reichsdienst sein.
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allem hausrechtlichen Vorgegebenheiten ein: durch Georgs Testament sei in beiden Teilen schon die Unteilbarkeit angeordnet. Die darüber hinaus dort getroffene Anordnung, dass unter den vier Söhnen allein zwei in diese beiden Fürstentümer sukzedieren sollten, sei durch den söhnelosen Tod zweier Brüder und die vertragliche Überlassung seines Anteils durch Georg Wilhelm an Ernst August gewissermaßen hinfällig: so füege sichs damit von selbsten, dass beede zusammen gesetzt und dass primogenitur recht unter Se Lden Mannlichen descendenten auff beede gerrichtet werden könne. Die Regelungslücke in Georgs Testament für diesen nun eingetretenen Fall problematisiert der kaiserliche Verfasser in seinem Bericht nicht; er füllt sie gleichsam wie selbstverständlich aus seinem zuvor dargelegten auf Einigkeit und daher Größe gerichteten, weithin politisch begründeten Programm. Dieser deduzierten Lösung fügt er indes drei Gründe hinzu: Georg Wilhelm habe seine Zustimmung zu der Vereinigung erteilt;1151 auch seien sowohl im bereits besessenen Calenberger und Grubenhagener Teil als auch im Lüneburger Fürstentum die Huldigungs- und Diensteide der Stände und Beamten auf Ernst August und seine männlichen Leibeslehnserben, und zwar nach dem Recht der Erstgeburt, gerichtet; und schließlich wären mit dem Testament die nachgeborenen Söhne ausreichend mit Apanagen und Deputaten, ihrem fürstlichen Stand entsprechend, ausgestattet. Nach dem Bericht beruft sich Ernst August bei seiner Bitte um kaiserliche Bestätigung seiner Erstgeburtsordnung ausdrücklich auf die mehrfachen Konfirmationen der Primogeniturordnung im 1634 erloschenen mittleren Haus Braunschweig (Wolfenbüttel).1152 Der Extractus Testamenti behandelt die Überwindung der Sonderung der beiden Fürstentümer von ihrer – hausrechtlichen – Grundlegung her. Die Folie, vor der die Aufrichtung der umfassenden, vereinigenden Erstgeburtsordnung ausgebreitet und begründet wird, ist das väterliche Testament von 1641. Diesem habe er, Ernst August, sich zwar neben seinem Bruder Johann Friedrich in Zeiten seiner Jugend unterworfen, indes bloss aus kindtlichem Gehorsamb und respect gegen Unsers Vatters Gnd. und dero letzten Willens. Mit zunehmenden Jahren aber lehre ihn die Erfahrung, welche Unstimmigkeiten daraus erwüchsen, dass entgegen der uralten Observanz die Herzogtümer und anderen feuda regalia von der Nachkommenschaft geteilt worden seien, wodurch schwache und unvermögende Regierungen zustande gekommen, considerable Familien in Abnahme, Landschaften in decadenz Ihres vorigen Flors geraten seien und schließlich das Reich selbst in seinen Kräften geschwächt worden sei. Deshalb habe man in verschiedenen kurfürstlichen und fürstlichen Familien das Jus 1151 Im engen zeitlichen Zusammenhang zu den Verträgen über die Ehe von Georg Ludwig und Sophie Dorothea hatte Georg Ludwig am 27. Oktober 1682 in Ebstorf erklärt, der Einführung der Primogenitur für beide Fürstentümer zu Gunsten Georg Ludwigs und dessen männlicher Nachkommen zuzustimmen; G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 279, mit Quellennachweis. 1152 Die Grundlegung der Primogenitur im Pactum Henrico-Wilhelminum von 1535 hatte Karl V. im Jahr des Vertragsschlusses sowie im Jahr 1539, die Bekräftigung der Primogenitur im Testament Herzog Julius von 1582 hatte im selben Jahr Rudolf II. kaiserlich bestätigt.
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primogeniturae durch pacta und statuta familiae, testamentarische dispositiones oder in anderer Weise von Neuem eingeführt – so auch nach hochschädlichen effecten der Zergliederung im eigenen Haus. In der Fürstl. Wolffenbüttelschen linie sei die Primogenitur mittels kaiserlicher Konfirmation festgestellt; in der Celler Linie verschiedentlich observiret worden. Als Exempel führt der Testator hier die Nachfolge nach Wilhelm dem Jüngeren (†1592), dem Stammvater des neuen Hauses Lüneburg, dem Vater Georgs von Calenberg, an.1153 Von da aus wendet sich der Konzipient ausführlich der Auslegung des Trennungsgebotes des väterlichen Testamentes zu. Anders als im Bericht der Reichskanzlei wird ausdrücklich das bekannte, nun nach dem Tod des ältesten und dritten und der vertraglichen Zuwendung des Erbteils des zweiten Bruders an den vierten virulent gewordene Schweigen Georgs Testamentes zu diesem Fall – welcher casus in obgedachtem Vätterlichem testament nicht exprimirt – festgestellt. Eine Unvollständigkeit bestehe darin aber nicht. Der Vater habe allein geregelt, in welcher Weise die beiden Fürstentümer von einem Sohn auf den anderen und von eines Sohnes Linie auf die andere fallen solle. Dadurch sei demjenigen, dem und dessen Nachkommenschaft sämtliche Fürstentümer und Lande zufielen, unbenommen, diese weiterhin gesondert zu belassen oder aber sie unter einer Regierung zusammenzufassen.1154 In dieser Dispositionsfreiheit sei sein Vater Georg ihm, Ernst August, als Beispiel dafür vorangegangen, nach seinem Befinden und dem Zustand der Zeit zu disponieren. Ernst August befindet für sich also den gleichen Gestaltungsspielraum, wie ihn sein Vater gehabt habe. Dieser Freiheit habe er, Ernst August, sich auch keinesfalls durch den Eid auf das väterliche Testament begeben, denn damit sollten allein den Regelungsgegenständen entsprechend Prätensionen gegen die Brüder vermieden werden. Nach Lösen der vermeintlichen Fesseln des Tes1153
Dazu oben B.V.1.c). Es besteht demnach aus Hugos Sicht in Georgs Testament genau genommen keine Regelungslücke (oben Anm. 337), sondern ein Regelungsverzicht. Von dieser Auslegung rückt Hugo in seiner berühmten Schrift zum Primogeniturecht von 1691 genau betrachtet ab. Dort, S. 94 ff., liest er aus dem Testament Georgs sogar das Postulat der Vereinigung der beiden Fürstentümer, also eine positive Regelung, heraus. So auch später G. W. Leibniz, Extract, Bd. 5, S. 106 f.: (…) solche übergangung (ist) mit fleiß geschehen und weil es eben der Casus, darinn herzog Georg sich selbst befunden, als er disponiret, er dem jenigen, auff den künfftig alles fallen würde, gleichmäßige macht, die er sich selbst genommen, laßen wollen, zu disponiren und entweder die Lande stabilito jure primogeniturae zu combiniren oder unter seinen Söhnen zu theilen. Hat auch in der that in eines jeden Sohnes lini die primogenitur geordnet, noch jemahls eines Sohnes primogenitum mit dem secundogenito zur succession geruffen, auch in des vierdten und jüngsten Sohnes Lini, wie die zuletzt beruffen, die primogenitur mit noch mehrern Expressionen als vorhin gesezet, indem der älteste, deßen Sohn, Sohnessohn und so fort auff jedes mahl einzig und allein beruffen durch die worthe: Auff des quartogeniti Lini und jedesmahl auff den ältesten und von demselben auff deßen Sohn und Sohenssohn und sofortan einig und allein verfallen. Womit die Erbfolge beschloßen und also, weilen herzog Ernst August und deßen lini nicht nur, wenn noch einer oder deßen lini vorhanden, sondern auch nothwendig, wenn keiner von einer vorigen lini übrig, zu beyden fürstenthümern beruffen, solche vor seiner lini verordnete primogenitur (Leibniz hatte zuvor entwickelt, dass im neuen Haus Lüneburg eine umfassende Primogenitur gegolten habe) beyde fürsthümer begreiffen muß; also daß primogenitura Casus praesentis in Testamento Georgii nicht nur zugelaßen, sondern auch deutlich verordnet. 1154
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taments von 1641, der Feststellung des eigenen Handlungsspielraums, begründet Ernst August die Einführung der Primogenitur positiv, wenngleich auch wieder in Abgrenzung zum Vater: Die Zeiten seien nun anders als eine Generation zuvor, der status publicus Imperij und particularis dieser Lande ietzo vieler umbstände halber weith schwärer, als dabevor. Damals habe man noch mit wenigen oder geteilten Kräften mit besserer erträglichkeit als ietzo bestehen können. Sowohl das publicum als auch die conservation und wohlfahrt der Uns von Gott vertrauter Land und Leute erforderten, diese Schwächung der Kräfte in Zukunft zu verhindern. Er habe keine Zweifel, dass auch seine Nachkommen danach trachteten, da ihr mit dem publico combinirtes interesse es also erfordert, wir es ihnen auch hernach in diesem testament ernstlich einbinden und anbefehlen. Damit sie genügend Kräfte zur Verfügung haben werden, sollten die Lande vereinigt und zur Verhinderung künftiger Teilung die Primogenitur in der Deszendenz stabilisiert werden. Ein Fundament sei insoweit schon errichtet, als in beiden Fürstentümern die Huldigungs- und Diensteide bereits auf ihn und seine Söhne nach dem Erstgeburtsrecht ausgerichtet seien. Auch habe Georg Wilhelm zugestimmt. In der anschließenden, umfassenden testamentarischen Verfügung der künftigen Vereinigung aller Rechtstitel in der Primogeniturfolge selbst werden zwei Vorbehalte formuliert: Die Vereinigung beider Fürstentümer soll nicht zu einer solchen Verschmelzung führen, dass die Anzahl der Rechte in Reich und Kreis, die Stimmen dort, sich verringerten.1155 Vor allem aber behält sich Ernst August bei aller Opposition gegen weitere Teilungen vor, das eine oder andere Stück durch ein Kodizill1156 einem nachgeborenen Sohn zu vermachen, und zwar mit oder ohne superioritet. Die Abteilung ist also sogar in der gewissermaßen gegenüber den Beispielen aus dem mittleren Haus Lüneburg im 16. und dem Hause Wolfenbüttel noch im 17. Jahrhundert gesteigerten Form der abgeteilten superioritet nicht gänzlich ausgeschlossen. Dem jeweiligen zur Herrschaft berufenen Erstgeborenen wird aufgegeben, die nachgeborenen Brüder mit einem billigmässigen apanagio oder deputat zum underhalt zu versehen. Die Höhe dieser Unterhaltsleistung bleibt unbeziffert. Abschließend verlangt Ernst August, dass seine Verfügungen als ein ewiges Recht und statutum familiae unter seinen männlichen Deszendenten befolgt werden. Der Kaiser konfirmiert das Testament mit einem detaillierten Ausspruch, weicht aber insofern von dem im inserierten Testamentsextrakt formulierten Antrag ab, als er diesem die bescheidenheit anfügt, dass der Erstgeborene nach dem Anfall des Celler Erbes dem Sekundogenito Ernst Augusts nach einer sonderlichen Erklärung gegen1155 Dies lag auch nicht in der Macht des Herzogs. Die Reichsverfassung war seit der Territorialisierung der fürstlichen Stimmen im Reichsfürstenrat – ob man nun den Abschluss dieses Prozesses auf den Reichstag zu Augsburg 1582 oder auf einen früheren Zeitpunkt datieren mag (zur Datierung: H. Conrad, Bd. 2, S. 97 f.), sei dahingestellt – auf der Summe der reichsständischen Territorien aufgebaut. H. Mitteis/H. Lieberich, S. 42 II 2, folgern aus dieser Feststellung, dass die Reichsverfassung seit 1582 die volle Wiedervereinigung von Teilfürstentümern unmöglich mache. Zur Territorialisierung der Reichsverfassung gerade durch die Veranschlagung der Lehnsfolge in den Reichsmatrikeln seit 1422: E. Schubert, Grundprobleme, S. 232 ff., 236. 1156 Zu dieser Form letztwilliger Verfügungen: H. Coing, Bd. 1, S. 570 ff.
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über dem Kaiser jährlich ungefähr 30.000 Reichstaler zahle und die anderen Postgeniti, wie auch in späteren Sukzessionsfällen der Primogenitus die Nachgeborenen, der observanz und altem Herkommen gemäss und wie es bei den Braunschweigischen Herzogthumben in specie und bey andern dergleichen Fürstlichen Häusern im Heyligen Römischen Reich, so dass recht der Erstgeburth haben, gebrauchig ist, versorge. Für den zweitgeborenen Sohn, also Friedrich August, wird die Apanage beziffert. Hinsichtlich der übrigen Nachgeborenen, im Falle späterer Erbfälle auch des Sekundogenitus, bleibt es bei der „beantragten“ üblichen Höhe der Versorgungsleistung. Der hinreichenden Versorgung der Nachgeborenen gehörte seit jeher das besondere Augenmerk des Kaisers bei der Erteilung der confirmatio hausrechtlicher Regelungen, insbesondere der – wie hier – einseitig verfügten. Zudem ahnte wohl der Kaiser in dem konkreten Fall, dass gerade in dem Zweitgeborenen der ersten Generation nach der Einführung der Primogenitur der Widerstand aufkeimen musste. Einen generellen Vorbehalt seiner Rechte gegenüber der Primogenitureinführung gewährt diesem der Kaiser aber nicht. Schnaths Feststellung, es sei dem Entsandten Ernst August am kaiserlichen Hof nicht gelungen, „die herkömmliche Formel ,salvo jure tertii aus der Konfirmation fernzuhalten oder ihr eine Einschränkung auf solche dritte Personen zu geben, die im Testament überhaupt nicht genannt waren“,1157 trifft nicht zu. Diese Formel findet sich zum einen nicht in der kaiserlichen Konfirmationsurkunde; zum anderen wäre ein solcher genereller Rechtevorbehalt kaum sinnvoll mit der Bestimmung eines genau bezifferten Unterhaltsanspruchs des Zweitgeborenen in der Urkunde, also einer Ausgestaltung seiner Rechte, in Einklang zu bringen.
ff) Der Widerstand gegen die Erstgeburtsordnung durch den Zweitgeborenen Die nachgeborenen Söhne nahmen den strikten Vorzug des Erstgeborenen bei der Nachfolge des Vaters nicht klaglos hin.1158 In drei Wellen trug der jeweils Älteste unter ihnen seinen Widerstand gegen die väterliche Verfügung aus: zunächst Friedrich August in den Jahren 1685 und 1686, nach dessen Tod 1690 der drittgeborene Sohn Maximilian Wilhelm im Jahre 1691 und nach dem Tod des Vaters 1698 wiederum Maximilian Wilhelm, nun mit Christian Heinrich an seiner Seite.1159 Unterstützung in ihrem Widerstand fanden die hannoverschen Prinzen in Wolfenbüttel, vor allem bei dem umtriebigen Regentenbruder Anton Ulrich. Gegenüber Leibniz begründete Anton Ulrich in einer Unterredung am 13. August 1685 seine Ablehnung der Primogenitur im Hause Lüneburg zunächst noch inhaltlich mit deren 1157
Geschichte, Bd. 1, S. 281. Dabei beriefen sie sich gerade nicht auf einen kaiserlichen Vorbehalt ihrer Rechte. 1159 Zum Kampf gegen die Erstgeburtsordnung: W. Havemann, Bd. 3, S. 296 ff.; G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 281 ff., 557 ff., und die Sammlung der Prinzenbriefe zu dieser Frage von A. Wendland. Gar nicht beteiligt am Kampf gegen die Vereinigung der Fürstentümer in einer Primogeniturordnung war, abgesehen von dem früh verstorbenen Karl Philipp, der jüngste, nach dem Vater benannte Sohn. 1158
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Bruch gegenüber dem Herkommen und in concreto gegenüber dem Testamentum Georgianum von 1641 sowie dem Hildesheimer Vertrag von 1665,1160 obschon sein Vater, August der Jüngere, gerade auf die Beachtung des Jus Primogeniturae auch im Hause Lüneburg beim Streit der drei Linien dieses Hauses um die Wolfenbütteler Verlassenschaft nach 1634 gepocht hatte. Unumwunden offenbarte Anton Ulrich dann auch Leibniz die eigentliche Triebfeder seiner Opposition gegen das hannoversche Sukzessionsmodell: Die Machtakkumulation in Hannover und ihr Gefälle nach Wolfenbüttel hin.1161 Es war aber keineswegs nur die Unterstützung des Widerstandes durch das Haus Braunschweig, die die Heftigkeit des Streits, die Schärfe erzeugte und beförderte, mit der der Vater den Eid des Sohnes auf die Primogeniturordnung einforderte und mit der der zweitgeborene Sohn diese Forderung zurückwies.1162 Standhaft, mit Vehemenz und ohne Versöhnung mit dem Vater bis zu seinem Tod weigerte sich Friedrich August, die Erstgeburtsordnung anzuerkennen. Zugegeben – auch sein Vorfahr aus dem mittleren Hause Braunschweig Heinrich hatte sich noch lange gegen die ihm von seinem Bruder 1535 aufgenötigte Primogeniturordnung – der ersten im Welfenhaus – zur Wehr gesetzt, freilich ohne Erfolg. Doch hatte dieser durch die Primogenitur Zurückgesetzte die, wenngleich nicht üppige, Versorgungsleistung seines Bruders angenommen. Friedrich August hingegen schlug die angebotene Apanage mit dem Bemerken aus, er könne sich sein besseres Recht nicht mit Geld abkaufen lassen.1163 Die Perspektiven eines welfischen Sekundogenitus, dessen, der bei der Herrschaftsnachfolge nicht unmittelbar bedacht wurde, hatten sich ganz objektiv mit dem Westfälischen Frieden deutlich verschlechtert. Die Bischofsstühle taugten nicht mehr, wie über die Jahrhunderte zuvor, zur Ausstattung welfischer Nachgeborener mit Herr-
1160 „(…), daß man alda dem ältisten Prinzen alles zuwenden, die andern aber gar ausschließen wolle, welches zweifelsohne von Groten (gemeint: Otto Grote) hehrkomme, der dieser lande Histori und gelegenheit wenig kundig. Kanzler Langenbeck sey vor diesem bereits umb dergleichen gefraget worden, habe allezeit dafürgehalten, daß es sich nicht thun ließe. Das Testamentum Georgianum sey sehr verständig und wohl außgesonnen, sey zu zwey unterschiedlichen Mahlen von denen herren brüdern beschwohren, erstlich bey des herrn Vatern lebzeiten und dann bey dem Hildesheimischen Tractate“; so gibt G. W. Leibniz, Bd. 5, S. 112, Anton Ulrichs Begründung wieder. 1161 „Hingegen werde man durch solche Union von Zell und Hannover die Wolfenbütelische lini zwingen, ihr interesse zu separiren und anderwerts appuy zu suchen, umb nicht leges von seinen Vettern zu empfangen und absolute der mächtigeren lini gnade zu leben. Ihre Durchlaucht sagten: Wolfenbütel würde darin seyn wie Sonderburg gegen Dänemarck. Wenn nun dergestalt Wolfenbütel sich anderswo hinwenden müste, so würde ja das fürstliche Hauß in der that schwächer seyn. Bliebe aber Zell und Hannover gesondert, so wäre noch etwas mehr proportion“; ebd., S. 113 f. 1162 Diese Heftigkeit sprang auch Anton Ulrich und Leibniz ins Auge (Bd. 5, S. 113): „es sey kein exempel, deßen herrn Vatern disposition sich dergestalt opponiret“, bemerkte Leibniz; Anton Ulrich erwiderte, dass er „die fermet in dergleichen casu“ gegen seinen Vater „nicht würde gehabt haben“. 1163 G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 286.
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schaft und Einkommen.1164 Ihre Stiftsgebiete waren, mit Ausnahme von Münster, Paderborn und Osnabrück, 1648 endgültig säkularisiert worden.1165 Und das Welfenhaus gehörte, sieht man einmal von der Osnabrücker Alternation ab, nicht zu den Nutznießern bei der Verteilung der ehemaligen Stiftsgebiete. Daher ließen sich auch nicht aus solchen Akquisitionen, über die, wie es etwa die Beispiele Hoya und Diepholz lehren, weit freier verfügt werden konnte und wurde, wie auch immer herrschaftlich, vor allem reichsrechtlich auszugestaltende Herrschaftsgebiete zur Versorgung Nachgeborener formen. Zudem war ganz offensichtlich das Bewusstsein für die Folgen des Verlustes einer Perspektive fürstlicher Herrschaft geschärft. Dieser Verlust wurde augenscheinlich als ungleich schwerer empfunden als noch in den Generationen davor. Von einem Hang, sich dem fürstlichen Regiment zu entziehen, von einer Herrschaftsmüdigkeit, wie sie im 15. Jahrhundert auch im Hause Lüneburg begegnet, von einer gewissen Gelassenheit bei der Behandlung von Nachfolgefragen, einer Bereitschaft zum Kompromiss, gar zum Verzicht, wie sie im 16. Jahrhundert bei den Abteilungen im mittleren Haus Lüneburg hie und da gepflegt wurde, und schließlich von einem brüderlichen Kommunitarismus, wie er das Verhältnis der – aus Friedrich Augusts Sicht – großväterlichen Generation zur Herrschaft, deutlich im Regelungswerk von 1611, kennzeichnete, war keine Spur mehr. Für Friedrich August war es eine Schande, als ehrenrührig empfand er es, von jeglicher herzoglichen Herrschaft ausgeschlossen zu werden. Als ihm von den väterlichen Räten dessen Verfügung offenbart wurde, erwiderte er, wie es Otto Grote nachher berichtet,1166 er habe diese Zurücksetzung nicht verdient; es were ihm aber diese Verordnung für der ganzen Welt deputierlich und verkleinerlich und würde kein Mensch in der ganzen Welt anders davon indiciren, alß daß sie sich selbst durch ihre faute und loße conduite solch Unglück attirirt und auf den Halß gezogen; man möge die Primogenitur erst in futurum einführen, aber nicht mit seiner Person zu seiner höchsten Beschimpfung und Mortifikation damit anfangen. Einige Zeit später entgegnete er seinem Vater auf eine weitere Aufforderung zur Eidesleistung auf die Erstgeburtsanordnung unter anderem, ihm sei von seinem Erzieher, dem Geheimen Rat Albrecht Philipp von dem Bussche, gelehrt worden, dass es eine Ehre sei, Herzogtümer zu erwerben, eine Schande hingegen, sie fahren zu lassen.1167 Auch eine üppige Apanage und die Anwartschaft darauf, dass ihm nach 1164 G. van den Heuvel, S. 131, bezeichnet diese Stifte als das „ehemalige welfische Bischofsreich“. 1165 Ebenfalls blieb das territorial wiederhergestellte Bistum Hildesheim geistlich. Über dessen Besetzung vermochten die Welfen aber schon lange nicht mehr zu verfügen. Zur Besetzung der geistlichen Territorien in Nordwestdeutschland seit 1500, unter Hervorhebung welfischer Dynasten, siehe die Übersicht unter den „genealogischen Tafeln“ in: Ch. van den Heuvel und M. v. Botticher (Hrsg), Geschichte Niedersachsens, nach 888. 1166 „Niederschrift des Geheimen Rats Otto Grote über seine Unterredung mit dem Prinzen Friedrich August über das Primogeniturwesen“ (5. Januar 1685), in Transskription abgedruckt bei G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, Aktenanhang Nr. 31. 1167 Ebd., S. 296, mit dem Hinweis auf die Ironie in dieser Entgegnung, denn von dem Bussche hatte die väterliche Aufforderung formuliert.
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dem Anfall des Fürstentums Lüneburg ein Gebietsteil mit einem jährlichen Einkommen von 60.000 Talern sowie voller Superiorität und Sukzession eingeräumt werde, wie es ihm die väterlichen Räte bei Eröffnung der Erstgeburtsordnung in Aussicht gestellt hatten,1168 vermochten ihn nicht zur Eidesleistung auf das väterliche Testament zu bewegen. In dieser Haltung des Prinzen spiegelt sich gleichsam die Ordnung des absoluten Fürstenstaates wider, wie sie sich gerade in Gestalt und Stil des fürstlichen Hofes manifestiert.1169 Mag es auch in Deutschland einen „voll entfalteten Absolutismus, also die tatsächliche Monopolisierung der öffentlichen Gewalt in den Händen des Herrschers“ nur in wenigen Territorien, mag es entsprechend an den Fürstenhöfen eher nur „Versatzstücke der ludovizischen Herrschaftsinszenierung“ in Versailles gegeben haben, so war doch wenigstens der Anspruch auf absolute Gewalt, das Trachten nach ihrer Monopolisierung weit verbreitet. Entsprechend war auch für die Fürsten des norddeutschen Raumes der Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. ein, obschon unerreichbares, Vorbild. Selbst an kleinen Höfen bildete sich das Streben nach absoluter Herrschaft „im Aufwand und den Formen der Selbstdarstellung höfischer Gesellschaft“ ab. Und dort „stand der Fürst im Mittelpunkt der Regierungs- und Gesellschaftsordnung, und zwar der Fürst als Person“, wie es Schilling betont. Dies bringt der berühmte Satz des großen französischen Vorbilds auch zum Ausdruck: Ltat, cest moi. Gesteigerte Gestaltungsmacht des Fürsten und die auf ihn zugeschnittene Inszenierung höfischen Lebens mussten die Rolle und das Ansehen der Nachgeborenen, von einer Perspektive auf Herrschaft nach menschlichem Ermessen weithin Ausgeschlossenen demgegenüber zwangsläufig entwerten; das Gefälle zwischen regierendem und nicht regierendem Dynasten war gewachsen. Der Fürst wurde nun – so will es scheinen – durch seine Stellung im Regierungs- und Gesellschaftsaufbau gewissermaßen geadelt. Die bloße Zugehörigkeit zur fürstlichen Familie verblasst dahinter als Träger sozialer Geltung. So verwundert es nicht, dass das Streben nach fürstlicher Herrschaft auch Teil der Erziehung Friedrich Augusts gewesen war.
1168 In der „Weisung des Herzogs Ernst August an die Geheimen Räte Platen und Grote betr. die Bekanntgabe des Primogeniturgesetzes“, um den Jahreswechsel 1684/85 von Ludolf Hugo verfasst, transskribiert abgedruckt bei G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, Aktenanhang Nr. 30, heißt es dazu, dass Ernst August sich für den Fall der Erledigung Celles verpflichte, seinem zweitgeborenen Sohn, Friedrich August, einen gewissen District Landes biß ohngefähr zu 60 000 Reichthaler jährlichen Einkommens, Cammergefälle und Contribution dem jetzigen Fuß nach zusammengerechnet, undt zwahr mitt der Superioritet undt allem Recht, in specie auch mit Session undt voto auff Reichs- undt Creyßtagen, undt sonst in allem mit der Dignitet undt Praerogatif eines regierenden Herrn zu vermachen, daß er also seinen fürstlichen Stand gar reputierlich werde führen, auch in verheiratetem Stande gar wohl werde leben können, undt was ihm Gott mitt der Zeit ferner zufügen möchte, abwarten könnte. Darüber sei zwar nichts im Testament verfügt; Ernst August wolle darüber ein besonderes Kodizill niederlegen. In einer Randbemerkung, so berichtet G. Schnath zu seiner Transskription, sei der District Landes näher bezeichnet worden: eine gewisse Anzahl unserer oberhoyischer Ämpter. 1169 Zu Höfen, höfischer Gesellschaft und ihrer Funktion im absoluten Fürstenstaat siehe R. Vierhaus, Absolutismus, S. 52 ff.; ders., Höfe; H. Schilling, S. 16 ff.; R. A. Müller. Im Besonderen zu den Höfen in welfischen Landen: G. van den Heuvel, S. 199 ff.; Ch. Römer, Hochabsolutismus, S. 542 ff.
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Die Schärfe und auch der Aufwand, die die Aufforderungen des Vaters an den Sohn kennzeichnen, seine Primogenituranordnung zu beschwören, weisen auf die Bedeutung hin, die Ernst August der Eidesleistung seines Sohnes beimaß. Vielleicht den Konflikt vorhersehend und scheuend hatte er seine Räte Franz Ernst von Platen und Otto Grote vorgeschickt, dem zweitgeborenen Sohn die väterliche Sukzessionsordnung bekannt zu geben, im Einzelnen zu erläutern und sich eine völlige und gehorsahmen Condescendance und Folgeleistung1170 von Friedrich August erklären zu lassen. Sorgfältig waren die Räte von dem Verfasser der Ordnung, Ludolf Hugo, angewiesen und instruiert worden.1171 Gleich eingangs steckt Hugo die Pole ab, zwischen denen sich Ernst Augusts Nachfolgeregelung bewegen musste: Es musste ihm angelegen sein, nicht allein seine Familie und Kinder für seinen Todesfall in guter Richtigkeit zu hinterlassen, sondern auch der Wollfahrt der uns von Gott anvertrauter undt noch ferner erwartender Landt undt Leute in futurum, so viel an uns, zu prospiciren, also damit das Ampt sowoll eines getrewen Vatters als sorgfeltigen Regenten zu beobachten. Wo er indes die größere Gravitation in diesem überkommenen Spannungsfeld fürstlicher Sukzession sieht, daran lässt er nicht lange Zweifel aufkommen. Seine bereits besessenen sowie die von seinem Bruder Georg Wilhelm zu erwartenden Fürstentümer und Lande werde er nicht alß eine Erbschaft eines privati tractiren undt sie also unter unsern Söhnen theilen. Vielmehr müsse er mit seiner Verordnung den Maximen vernünftiger Regenten folgen und das anordnen, was Conservation undt Wollfahrt gesagter Lande dem gegenwartigen Zustande nach erforderte. Danach sei die Primogenitur geboten. Herzogliche Brüder hätten vielfach in ihren consiliis pro publico so miteinander discrepirt, dass keiner etwas Fruchtbares habe ausrichten können und es nur Zufall sei, dass der völlige Ruin des Hauses vermieden worden sei. Aber nur mächtige Häuser, die vor den Riß treten könnten, vermochten das Reich noch zu retten. Das einzige Mittel, das Ernst August gefunden habe, des Hauses regierende Posterität in größere Konsideration zu bringen, sei die Vereinigung aller seiner Fürstentümer und Lande unter einer Regierung und die endgültige Stabilisierung des Jus Primogeniturae in seiner Familie. Zudem sei für die jüngeren Söhne reichlich gesorgt; für Friedrich August sei sogar die – oben beschriebene – Sonderausstattung vorgesehen. Die Primogenitur habe die Natur selbst durch die Ordnung der Geburt eingesetzt; auch sei es im Römischen Reich ein uraltes Lehnrecht, Herzogtümer und dergleichen hohe Reichsstandschaften nicht zu teilen. Ausführlich weist Hugo nun auf die Unbilden hin, die Teilung und Erbstreitigkeiten den Familien und dem Reich selbst im Lauf der Jahrhunderte bereitet haben – auch dem Hause Braunschweig; hier nennt er den Verlust des Eichsfelds, des Werratals, der Herrschaft Plesse, der Grafschaft Stade, den vorübergehenden Entzug des Fürstentums Lüneburg und wie durch diese Verluste das Haus herabsank und jeder Edelmann den Herzögen entgegentreten und Fehde bieten konnte, die Kurfürsten hingegen in großem Ansehen 1170 1171
So heißt es in Grotes Niederschrift (Anm. 399). Anm. 401.
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verblieben. Versucht habe man schon in alten Zeiten, das Primogeniturrecht einzuführen, wie in unserem Archivo Nachricht davon vorhanden. Die Vereinigung von Calenberg und Wolfenbüttel (1584) habe dem Haus Braunschweig ein großes Ansehen gebracht. Hierhin ordnet Hugo auch das Beispiel brüderlicher Eintracht der Söhne Wilhelms des Jüngeren (1611). Zum Testament Georgs wird zunächst ganz zutreffend festgestellt, dass dieses das Jus Primogeniturae eingeführt habe, wenngleich eben in zertheilten Fürstenthümern; weder in Calenberg noch in Lüneburg-Celle war zuvor die Primogenitur hausrechtlich festgestellt worden. Das nun eine Generation später so umstrittene Trennungsgebot des Vaters von Ernst August wird als zeitbedingt erklärt. Die noch nicht so ausgeprägte Macht der Nachbarn habe dieses zugelassen – anders als heute. Allerdings werde sich das genannte testamentarische Gebot dadurch, dass der väterliche Nachlass in einer, Ernst Augusts Linie zusammenfallen werde, erledigen, so dass Ernst August nun nicht – mehr – gebunden sei und mit dem gleichen Recht über seine Lande disponieren könne, wie es sein Vater getan habe. Mit der Einführung der Primogenitur wolle Ernst August keinen seiner Söhne bevorzugen oder benachteiligen, sie seien ihm alle gleich lieb. Nur müsse er seine consilia und Verordnungen nicht nach der Affektion, sondern nach dem Staat regulieren. Die Vereinigung der Lande sei eine unerlässliche Notwendigkeit und der Vorzug des Erstgeborenen ein Naturgesetz; die Gebuhrtsordnung bestimme Erstigkeit und Vorzug. Überdies würden die jüngeren Söhne oft durch gute conduite, als wovon alles dependirete, glücklicher als die älteren durch ihr Vorrecht der Erstgeburt. Ernst August beschrieb in dieser von Hugo verfassten Weisung an Platen und Grote seine Position, seine Kompetenz gegenüber dem Sohn. Sie ist demnach eine absolute und von Willen, gar Mitwirkung des Sohnes unabhängige. Für die Anordnung der Primogenitur und die Combinirung der Fürsthümer Zell undt Calenberg unter des primogeniti Regierung habe er nicht allein dringende Ursache, sondern auch befugte Macht und Recht gehabt. Diese Position führt er auf die Verankerung der Herrschaft bei Gott, die dem deutschen Territorialfürsten des 16. und 17. Jahrhunderts typische Vorstellung, die Regierung sei ein von Gott übertragenes Amt,1172 sowie auf die durch langjährige Regierungserfahrung erworbene Fähigkeit, dasjenige erkennen zu können, was für Land und Leute heilsam sei, zurück; deshalb seien nicht nur sämtliche Untertanen, sondern auch seine Söhne schuldig und pflichtig, darunter uns als ihrem Vatter undt zugleich ihrer von Gott vorgesetzten Obrigkeit gehorsame Folge zu leisten. Zu Anordnungen aus dieser väterlichen und landesfürstlichen Macht, wenn sie überdies noch kaiserlich bestätigt seien, war Ernst August aus seiner Sicht niemandem als Gott Rechenschaft schuldig, geschweige denn, dass er eines Menschen Konsenses bedürfte. Gleichwohl repräsentiere er seinem Sohn seine Anordnungen, überdies vorzeitig,1173 da ihm doch lieb zu vernehmen sei, wenn dieser die Heilsam- und Notwendigkeit der testamentarischen Verordnung begreifen und erkennen möchte, und verlange, wie auch andere Kurfürsten und Fürsten, so auch sein Vater von ihm, dass seine Söhne die testamen1172
Statt vieler: F. Hartung, S. 100. Eingangs verweist Hugo darauf, dass Testamente ja gewöhnlicherweise bis zum Tode des Testators geheim gehalten und erst danach eröffnet würden. 1173
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tarische Disposition mit leiblichen Eiden beschwören. Zwingen werde man ihn dazu nicht, das Testament aber auch ohne seine Zustimmung in Kraft setzen. Friedrich August erwiderte auf diese aufwändige Herantragung der als ein ewiges Recht und statutum familiae, wie es im Extractus Testamenti formuliert wird, unter den männlichen Deszendenten des Vaters zu haltenden Primogeniturordnung an ihn einige Tage später gegenüber Ludolf Hugo auch inhaltlich. Er verwies auf alte Ordnungen, nach denen es alle Zeit zwei Regierungen geben solle. Dies habe sein Großvater testamentarisch angeordnet und dies sei im Vertrag von 1665 bestätigt worden. Sein Vater werde doch nicht diese von ihm selbst beschworenen alten Ordnungen aufheben wollen.1174 Ernst August reagierte mit Zorn und versicherte, dass seine Verordnung unwiderruflich und er entschlossen sei, die Primogeniturordnung gegen alle Widerstände durchzusetzen.1175 Nur wie wollte Ernst August seine Ordnung durchsetzen? Wie konnte er sein Vereinigungs- und Unteilbarkeitsgebot mit Erstgeburtsfolge in Kraft setzen und zu einem ewigen Recht machen? Ein konkretes, anerkanntes Verfahren, mittels dessen er seinen Willen in einen für seine Deszendenz verbindlichen Normbefehl auch gegen deren Willen umsetzen konnte, stand ihm ebenso wenig zur Verfügung, wie ein entsprechendes Forum. Eine Primogeniturordnung war keine Regimentsordnung, seine Söhne waren nicht seine Räte; sie konnte nicht einfach durch bloße Anweisung der Normadressaten umgesetzt werden. Wie wenig dauerhafte Stabilität die überkommenen Instrumentarien kaiserliche Konfirmation und Versicherung durch die Landschaften – insofern herrschte Ernst August aktuell ja auch nur über eine der betroffenen Landschaften, das Forum Landtag war also inkongruent zu seinem Vorhaben – einer Sukzessionsordnung verleihen konnten, haben vielerlei Abweichungen von vorvergangenen Regelungen in der Vergangenheit gezeigt. Friedrich August erfasste den Kern dieses Dilemmas des Vaters, das Hohle dessen Drohung einer einseitigen Umsetzung, das das Ferment der Heftigkeit seiner Forderung bildete, zutreffend, wenn er demgegenüber anmerkt: Mein herr vatter hat ja macht, ein Testament zu machen nach seinem Belieben; wil er mich aber umb meinen assensum ersuchen, mus ich schließen, das ich etwa ein jus dabei habe, so mir dadurch vergeben möchte.1176 Dahinter steht die Vorstellung, dass in eine Rechtsposition des Sohnes der Vater nicht einseitig normativ eingreifen, sondern diese nur einvernehmlich geändert oder gar aufgehoben werden könne. Und Friedrich August berühmte sich ja eines dem Vereinigungsgebot wie der Primogenituranordnung des väterlichen Testamentes entgegenstehenden Rechts, das ihm die alten Ordnungen des Großvaters und auch Vaters selbst vermittelten und dessen er sich nicht gegen seine Überzeugung begeben, das er sich schon gar nicht mit einer Apanage abkaufen lassen könne. 1174
G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 286, mit den Nachweisen. Brief vom 13. April 1685, abgedruckt bei A. Wendland, S. 9. 1176 Wörtliches Zitat Rudolf Augusts in seinen „Aufzeichnungen (…) über das Zerwürfnis mit Hannover in der Primogenitursache“ vom 29. Dezember 1689, transskribiert abgedruckt bei G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, Aktenanhang Nr. 36. 1175
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Ernst August stand mit seinem Vereinigungs- und Primogeniturvorhaben vor einem eher materiell-inhaltlichen Geltungsproblem, das konkret auf die Einführung dieser Ordnung bezogen ist und das zu der weitergehenden Frage der Normativität dynastischer Haus- und Erbfolgeregelungen hinführt,1177 und vor einem – davon allerdings nicht so ganz einfach scheidbaren – eher äußerlichen Stabilitätsproblem, dem Problem, wie die Beständigkeit seiner Ordnung zu garantieren sei. Das Geltungsproblem, die Schwierigkeit ihrer Durchsetzung, vor der die Primogenitur stand, erfasste, ähnlich wie Friedrich August selbst, auch ein anderer, im weiteren Sinne ebenfalls beteiligter Dynast: Der Wolfenbütteler Anton Ulrich. Er erklärte in der schon erwähnten Unterredung gegenüber Leibniz, man könne Friedrich August dessen Opposition nicht verdenken, denn entweder, er habe ein recht oder keines. Habe er kein recht, so sey seiner renuntiation nicht vonnöthen; habe er ein recht, so erstrecke sich die potestas patria so weit nicht, daß sie zu der renuntiation zwingen könne, sondern sey liberi arbitrii.1178 Danach konnte das fürstliche Testament allein aus sich heraus für sich weder beanspruchen, einen Inhaltsbefehl, noch einen Geltungs- und Anwendungsbefehl zu erzeugen.1179 Mag Ernst August auch gegenüber Friedrich August wenigstens die letztgenannte Qualität für seine Ordnung zu reklamieren – die erstgenannte nimmt er bewusst nicht in Anspruch, insoweit beruft er sich immer wieder auf eine schon bestehende Rechtslage, die sein Testament lediglich bekräftige –1180, so sprechen doch seine aufwändigen Bemühungen um die Einwilligung des Sohnes eine andere Sprache. Dem Inhalts- und somit natürlich auch dem Geltungsbefehl des väterlichen Gebots setzte Friedrich August sein besseres Recht, sein – gegenüber dem Erstgeborenen gleiches – Erbrecht, entgegen. Er nimmt insoweit ein, wie es Anton Ulrich bezogen auf alle an der Sukzession interessirten ausdrücklich für möglich erachtet,1181 jus quaesitum in Anspruch. Streng genommen verliert damit die Frage, inwieweit Ernst August dem zweitgeborenen Sohn und den anderen männlichen Deszendenten im Verhältnis eines Fürsten zu seinen Untertanen, also staatsrechtlich als Souverän und Gesetzgeber gegenüber trat, oder „nur“ das hausväterliche Gebotsrecht im Rah1177
Vgl. zu diesem Fragenkreis J. Weitzel, Hausnormen, bes. S. 41 ff. Bd. 5, S. 113. Anton Ulrich nahm ein solches (Erb-)Recht des hannoverschen Prinzen an, da das jus primogeniturae niemals in der Lüneburger Linie eingeführt worden sei; daher hätte der Verzicht Friedrich Augusts auch nur zur Folge, dass sein Recht auf den nächsten Bruder überginge, der dann an seine Stelle trete, so dass der Sache damit nicht geholfen wäre (ebd., S. 114). 1179 Einen Inhaltsbefehl kann nur nicht vorgegebener Normbestand erzeugen, also nur inhaltlich neugeschaffenes Recht. Ein Geltungs- und Anwendungsbefehl ist davon unabhängig; auch inhaltlich vorgegebenes Recht kann zur Geltung und Anwendung anbefohlen werden. 1180 Dies gilt, soweit Ernst August die Geltung des Jus primogeniturae in dem Hause Lüneburg auf hausrechtliche Anordnung zurückführt. Soweit das Primogeniturrecht aus dem Naturrecht begründet wird, vermag, da dieses selbst als inhaltlich vorgegebener Normenbestand galt, eine aussprechende Norm nicht zum Inhaltsbefehl zu werden (vgl. J. Weitzel, Hausnormen, S. 46). 1181 Gegenüber Leibniz, Bd. 5, S. 113. 1178
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men der dynastischen Genossenschaft ausreizte und steigerte, für die Durchsetzung der Primogenitur gegenüber überkommenen Rechtsvorstellungen und -positionen an Bedeutung. Denn jura quaesita konnten eben auch der einseitigen Gesetzgebungsgewalt des absoluten Fürsten entgegengehalten werden.1182 Diese Vorstellung, dass Gesetzgebung nicht in jura quaesita eingreifen dürfte, ist Teil der gemeinrechtlichen Theorie.1183 So vermag das Beharren auf einer Rechtsposition, nicht allein als Ausdruck grundsätzlich nur zweiseitig möglicher Normsetzung in diesem Bereich zu erscheinen. Auf dieses Ziel der Begegnung, Auseinandersetzung und Ausräumung eventuell bestehender, vermutlich in Anspruch genommener jura quaesita der Nachgeborenen hin mussten die Argumente Ernst Augusts für seine Vereinigungs-, Unteilbarkeits- und Primogeniturerbfolgenanordnung geordnet sein. Betrachtet man noch einmal den Aufbau zur Begründung der testamentarischen Verfügung in eben seinem Testament, bestätigt sich diese Annahme. Zwar stellt er in seinem Extractus Testamenti, anders als es der kaiserlichen Kanzlei für ihre Arenga von seinen Räten nahe gebracht war, seinen Eid auf das väterliche Testament von 1641 an den Anfang – um diesen sogleich zu relativieren, zu erläutern und als Hindernis seiner Anordnung zu entkräften. Es ist dies aber eine Heraushebung aus dem Duktus, ein Bruch der Argumentationsabfolge. Diese Auseinandersetzung mit den Hausregelungen von 1641 und 1665 wird zur Herausstreichung der besonderen Bedeutung dieser Punkte gedoppelt, sie erscheint noch einmal eingebunden in die Argumentationskette. An den „eigentlichen“Anfang stellt er, wie die kaiserliche Kanzlei – und aus einer inneren Logik heraus – das positive Argument der Notwendigkeit seiner Anordnung1184. Dieser Hinweis auf die necessitas, die utilitas publica – so ausdrücklich als Maßstab für die Sukzession in die Fürstenherrschaft in der Anweisung an den herzoglichen Gesandten am kaiserlichen Hof zur Einholung der Konfirmation von Ludolf Hugo benannt –1185 zielt auf eine klassische Legitimation der Ausübung herrschaftlicher Gewalt, deren Beachtung auch für die entfaltete absolute Fürstenmacht eingefordert wurde, gerade auch für Vertragsauflösungen und Enteignungen durch den Fürsten; die Notwendigkeit, die Nützlichkeit waren Rechtsgrund für Eingriffe in die jura quaesita.1186 Als zweite Stütze seiner Anordnung benennt Ernst August die uhralte observanz, feuda regalia, zu denen die Herzogtümer gehören, nicht zu teilen; er beruft sich auf überkommenes Reichsrecht, das Lehnrecht des Reiches. Auf der dritten Ebene treten sich die Argu1182
Damit war die Gesetzgebungsgewalt, der Gestaltungsspielraum des Fürsten gerade in den Bereichen, die herkömmlich eine größere Verrechtlichung aufwiesen, so natürlich das Erbrecht, besonders eingeschränkt; H. Maier, S. 87 f. 1183 Zu den jura quaesita in der gemeinrechtlichen Vorstellung von der Gesetzgebung H. Coing, Bd. 1, S. 155 ff., 163 ff. 1184 Am Schluss seiner Argumentationskette nimmt er diesen Grund wieder auf. 1185 Eine Thronfolge sei keine Privatheredität, es sei darin nicht nach Eigennutz, sondern secundum utilitatem publicam die Maße zu nehmen; G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 280. 1186 H. Coing, Bd. 1, S. 162 ff. Gerade zur Einreihung auch der ratio status unter die geläufigen Rechtsbegriffe der necessitas, der notturft, des bonum commune und der utilitas publica als Rechtstitel des fürstlichen Eingriffs in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, M. Stolleis, Arcana Imperii, bes. S. 69 f.; ders., Geschichte, Bd. 1, S. 209.
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mente von Vater und Sohn unmittelbar gegenüber. Hier werden die gleichen Quellen herangezogen, um den jeweils eigenen Standpunkt zu begründen. Es ist die Ebene des Hausrechts, der positiven Regelung der Sukzession unter den Vorfahren. Ernst August streicht hervor, dass auch in der maßgeblichen Celler Linie1187 das Primogeniturrecht verschiedentlich observiret, wovon diess merckwürdige exempel vorhanden, worden sei. Eine ausdrückliche Feststellung – mittels kaiserlicher Konfirmation – der Primogenitur im Welfenhaus nimmt Ernst August nur für die Wolfenbütteler Linie in Anspruch.1188 Friedrich August konnte sich nicht darauf beschränken, lediglich die Stützen der väterlichen Verfügung anzugreifen, die Nützlichkeit und Notwendigkeit, die der Vater für die Primogenitur ins Feld führte, in Abrede zu stellen. Nicht allein, dass in diesem Bereich der Wertungen ein argumentatives Übergewicht kaum zu erreichen war,1189 genügte eine Widerlegung zur Durchsetzung des eigenen Standpunktes nicht. Der Begründung mit einer necessitas, einer utilitas publica bedurfte es nur, wenn ein Eingriff in ein jus quaesitum vorlag. Dieses musste aber positiv begründet werden. Friedrich August musste also ein dem väterlichen Testament, dem dort verfügten Vereinigungsgebot unter Primogeniturfolge entgegenstehendes eigenes Recht darlegen. Das Erbrecht des Jus Commune, das zivile wie das feudale, taugte dazu nicht und wurde auch von Friedrich August nicht bemüht; in diesem – um es mit Weitzel auszudrücken – auf das Gericht bezogenen Rechtsstoffkreis fand die dynastische Sukzession schon lange nicht mehr ihre Regelung. Aus hausrechtlichen Aussagen begründet der Sohn seinen Widerstand gegen das väterliche Testament. Umgekehrt musste es Ernst August auf dieser Ebene, auf der der Sohn den Angriff zu führen hatte, auf der dieser die Darlegungs- und Beweislast trug, daran gelegen sein, jeden Widerspruch seiner testamentarischen Verfügung zu vorausgegangenen Erbfolgeregelungen im Hause Lüneburg zu interpolieren. Mit dieser unterschiedlich verteilten Last schauen die Kontrahenten auf das Hausrecht, soweit es ihnen bekannt war.1190 Ernst August musste positive Bestimmungen einer allumfassenden Primoge1187 Von den Fürstentümern, die diese Linie besaß, spricht Ernst August insoweit nicht; dass diesen die Primogenitur anhaftete, wurde von ihm offensichtlich und zutreffend als unerheblich für die Frage der Vereinigung der Fürstentümer und der Einführung einer umfassenden Primogeniturfolge durch einen einzigen Sukzessor erkannt. 1188 Diese Annäherung des Celler Rechtszustandes an den ausdrücklich festgestellten in Wolfenbüttel nimmt auch G. W. Leibniz, Extract, Bd. 5, S. 103 f., vor: Nach 1428 sei „in beyden linien das primogenitur-recht stabilret worden. So sey der alten Wolfenbütelischen oder Heinrichischen lini im vorigen seculo durch väterliche disposition, wozu besondere pacta und Kayserl. Confirmatio kommen, geschehen, bey der Zellischen aber die primogenitur auch ohne dispositions anfang ipso jure observiret, indem nie keine theilung geschehen“ (dies wird näher erläutert an Hand der Sukzessionsfälle im mittleren Hause Lüneburg im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert). 1189 J. J. Moser, Reichs-Stände, S. 1187 f., bezeichnet später die Berufung der landesherrlichen Gesetzgebung auf die Staatsräson und das Gemeinwohl ironisch als „Universal-StaatsMedizin“. 1190 Eine Kenntnis um vorvergangene hausrechtliche Bestimmungen kann nicht einfach vorausgesetzt werden. Immer wieder erscheinen Zeugnisse dafür, dass auch nur wenige Generationen zurückliegende hausrechtliche Regelungen unbekannt waren, zumindest doch nicht
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nitur aus den Erbfolgeregelungen vergangener Generationen nicht konstruktiv belegen. Er zog das Hausrecht unter zwei Aspekten heran: wie dargelegt, musste er scheinbare Widersprüche glätten.1191 Zudem begründete er die utilitas, die necessitas aus den hausrechtlichen Regelungen heraus. Dort fänden sich Zeugnisse, wie dem Teilungsungemach entgegengewirkt, wie bereits vorangegangene Herzogsgenerationen die Notwendigkeit der Überwindung dieser Unsitte erkannt und umzusetzen versucht hätten. Es war indes Sache des Sohnes, ein möglichst konkretes Gegenrecht, ein jus quaesitum dem Hausrecht zu entlocken. Und hier drängte sich das großväterlich verfügte Gebot der Sonderung der in der Lüneburger Linie gehaltenen Fürstentümer, wie es nach 1641 in den Jahren 1646 und 1665 weithin bestätigt wurde, geradezu auf. Aus diesen Ordnungen, die der Vater zudem unmittelbar selbst beschworen hatte, las der Sohn ein Recht auf gesonderte Erbfolge, also zumindest die Beteiligung zweier Söhne Ernst Augusts an der Herrschaftsnachfolge heraus. Solange verschiedene Auslegungen des überkommenen Hausrechts und im Besonderen dessen jüngster Aussagen vertretbar erschienen – und auch Ernst August und seine Räte, vor allem Hugo und Leibniz, wischten das auf Sonderung der Fürstentümer gerichtete Verständnis des Testaments Herzog Georgs nicht einfach vom Tisch, sondern maßen ihm durchaus Ernsthaftigkeit und Substanz bei –, so dass unterschiedliche Anschauungen zur Etablierung eines Jus primogeniturae im neuen Haus Lüneburg und mithin und besonders ein diesem entgegenstehendes jus quaesitum der Nachgeborenen materiell plausibel zu machen und so geeignet waren, auch auswärtige Parteigänger hinter sich zu scharen, so lange musste Ernst Augusts Trachten auf eine ausdrückliche Zustimmung seines Zweitgeborenen und auch der anderen nachgeborenen Söhne gerichtet sein. Auf dieser inhaltlichen, materiellrechtlichen, Ebene kam der Zustimmung des Sohnes gleichsam die Qualität eines Vergleichsschlusses zu: Friedrich August sollte seinen Verzicht auf ein mögliches der testamentarischen Verfügung zuwiderlaufendes jus quaesitum erklären; oder anders formu-
urkundlich vorlagen – gerade nach Neuzuteilungen von Herrschaften. So berichtet G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 293, dass erst während der Auseinandersetzung mit Friedrich August im Celler Archiv die Originalurkunden der Erbverträge Georgs mit seinen Brüdern von 1611 aufgefunden worden seien. Schon eine Generation zuvor monierte Georgs Calenberger Kanzler Johann Stucke gegenüber den Celler Räten, dass sich von eben diesen Urkunden bey hiesiger registratur gahr keine Nachricht oder Abschrift findet (Schreiben vom 4. Juli 1639, abgedruckt bei L. Hugo, Beilage Nr. VIII). Celle sicherte daraufhin die Übersendung eines Extraktes zu (Schreiben vom 9. Juli 1639, abgedruckt ebd., Nr. IX). Auch die Auseinandersetzung der Gutachter um die Zuordnung der Verlassenschaft des erloschenen mittleren Hauses Braunschweig 1634 offenbart eine nicht sichere Kenntnis der überkommenen hausrechtlichen Zeugnisse (vgl. oben B.V.3.c) Anm. 214). 1191 Wie die entscheidenden Aussagen der hausrechtlichen Regelungen von 1641, 1646 und 1665 von der väterlich-landesherrlichen Seite ausgelegt wurden, ist besonders auch in den entsprechenden Schriften G. W. Leibniz, Extract der kurzen deduction in p8 primogeniturae, Bd. 5, S. 103 ff.; Le droit de primogeniture dans la Maison de Bronsvic-Lunebourg, ebd., S. 117 ff., 126 ff., und L. Hugos, Succession nach dem Primogenitur-Recht in den Herzog- und Fürstenthümern des Reiches, S. 82 ff., 122 ff., nachzuverfolgen.
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liert: Die Parteien entzogen die Auslegung überkommenen Hausrechts dem Streit und einigten sich über eine gemeinsame Vorstellung zur Sukzessionsordnung. Zugleich war der Eid des Nachgeborenen aber auch in eher äußerlicher Hinsicht, zur Stabilisierung der väterlich angeordneten Erbfolgeordnung nötig. Auf dieser Ebene kam ihm die Qualität eines Beitritts zu einer Einung oder Satzung bei. Ernst August hatte ja für sich selbst reklamiert, seine Nachfolge frei gestalten zu können, soweit er nicht durch Hausrecht, konkret das väterliche Testament von 1641, gebunden sei. Gerade diese Bindung verneinte er eingangs seines Testamentes auf mehrfachem, oben näher dargelegtem, Wege, um im Ergebnis seine Dispositionsfreiheit, wie sie auch sein Vater bei Abfassung seines letzten Willens für sich in Anspruch genommen hatte, festzustellen.1192 Die Zuordnung der Primogenitur zum Naturrecht, die Ernst August ebenfalls gegenüber Friedrich August ins Feld führte,1193 erzeugte, solange der Vorzug des Erstgeborenen auf die Regierungsnachfolge bezogen ist,1194 1192
Im Extractus Testamenti erklärt Ernst August, als demjenigen, dem und dessen Posterität sämtliche Fürstentümer und Lande allein zufallen, sei es nicht benommen, selbige entweder in zertheiltem stande zu lassen, oder unter eine Regierung zusamen zu setzen, sondern vielmehr Unsers Vatters Gnd. mit Ihrem exempel, in dem Sie nach Dero befinden und Zuestandt Dero Zeiten, unter ihren Söhnen disponirt, Unss fürgegangen, dass wir ebenfalls unter den Unserigen, wie es den gegenwertigen umbständen nach nöthig ermessen, disponiren mögen, auch Unser Eydt, den wir auff das Vätterliche testament geleistet, kein anders mit sich bringt, sondern allein die vorberührte im testament aussgetruckte casus (…) gerichtet. Auch in der im fürstlichen Namen erteilten Anweisung Hugos an Platen und Grote zur Eröffnung der Erbfolgeordnung gegenüber Friedrich August (oben Anm. 401) beansprucht Ernst August, mit gleichem Recht über seine Lande disponieren zu können, wie sein Vater. Auch G. W. Leibniz, Extract, Bd. 5, S. 106, betont diese Gestaltungsfreiheit Ernst Augusts gerade im Vergleich mit dessen Vater Georg: „Erhellet deutlich, daß solche übergangung mit fleiß geschehen und weil es eben der Casus, darinn herzog Georg sich selbst befunden, als er disponiret, er dem jenigen, auff den künfftig alles fallen würde, gleichmäßige macht, die er sich selbst genommen, laßen wollen, zu disponiren und entweder die Lande stabilito jure primogeniturae zu combiniren oder unter seinen Söhnen zu theilen.“ Im Hinblick auf den Hildesheimer Rezess von 1665 und eine von Anton Ulrich insoweit reklamierte Bindung Ernst Augusts an das darin bestätigte Gebot der Sonderung der Fürstentümer erwiderte Leibniz, Bd. 5, S. 112, diesem, „daß kein edictum so perpetuum sey, daß von den successoren derer, die es gemacht, nicht wieder könne aufgehoben werden“. Von den unmittelbar Beteiligten an diesem Rezess lebte allein noch Georg Wilhelm, der Regent Celles, der indes mit Ernst August, der diese Einigung beschworen hatte, übereingekommen war, nach seinem Tod die beiden Fürstentümer zusammenzuführen. 1193 So in der von L. Hugo verfassten Anweisung an Platen und Grote (oben Anm. 401). Sowohl L. Hugo, Von der Succession, S. 1 ff., 4 ff., als auch G. W. Leibniz, Abreg des Raison pour le droit de primogeniture, Bd. 5, S. 115, führen den Vorzug des Erstgeborenen auf die natürliche Vernunft zurück, kennzeichnen ihn als Satz des unabänderlichen Naturrechts. Anders etwa der in Wittenberg lehrende Politikwissenschaftler Johann Friedrich Horn, der die Einführung der Primogenitur ausdrücklich als eine Frage des veränderlichen positiven Rechts betrachtet und sie, solange keine vertraglichen Bindungen mit den Ständen oder anderen Dritten bestanden, ins Belieben des Herrschers stellte; oben B.V.3.c). bei Anm. 226 ff. 1194 Dieser Bezug auf eine Regierung wird freilich nicht in Abgrenzung zu einem Bezug zum fürstlichen Patrimonium im Sinne einer Mehrheit von Fürstentümern oder eben fürstlichen Regierungen entwickelt. L. Hugo, S. 1 f., stellt diesen Bezug nach seiner einleitenden Feststellung, dass die Primogenitur einerseits als barbarisch und irrational abgelehnt, anderseits
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keine Bindung Ernst Augusts in der Ordnung seiner Nachfolge, die über die positivrechtliche, wenngleich ihrerseits wohl auch, wenigstens durch einseitigen landesherrlichen Akt unabänderliche,1195 hinausgeht. In der Sukzession in die Regierungen der Fürstentümer Calenberg und Celle samt Grubenhagen waren der Herzog und sein Haus ja bereits durch Zusicherungen gegenüber, durch Verträge mit den jeweiligen Landschaften an die Primogeniturfolge gebunden.1196 Diese Nachfolgeordnung, diejenige in die einzelnen Fürstentümer, war auch nicht Gegenstand des Testaments; in sie wollte Ernst August gar nicht ändernd eingreifen. Zur Frage indes, ob er seine gesonderten Fürstentümer vereinigen und damit seinen Zweitgeborenen von der Herrschaftsnachfolge – bis auf weiteres – ausschließen dürfte, wie er es mit seinem Testament verfügte, darauf gibt das Naturrecht keine Antwort. Erst eine Stufe weiter, wenn es darum geht, wie in diese hergestellte Union zu sukzedieren sein wird, besteht wieder ein naturrechtliches Gebot, dasjenige der Primogenitur. Die eigene Inanspruchnahme der Freiheit über Nachfolgegestaltung in Folge der fehlenden Bindung an die väterliche Gestaltung bedeutete für Ernst August, dass er den Sohn, die Söhne, binden musste, wollte er seiner Ordnung Dauerhaftigkeit und Stabilität verleihen. Und diese Bindung war nur durch eine Erklärung des Sohnes, seine Zustimmung zur Anordnung des Vaters, durch seine Eidesleistung, herzustellen.1197 Dieser direkten Verpflichtung der Adressaten, der Erbfolgeregelung, des unhoch aestimiret und in ipsa natura fundirt gehalten werde, als Auflösung dieses Gegensatzes her: „Es läst sich aber leicht consiliiren, wan man nur distinguirt unter Privat-Gütern und einer Regierung; Unter priva-Erbschafften und Regierungs-Successionen, nach dem gemeinen Sprichwort: Qui ben distinguit, bene docet (…) Wann nun gesaget wird, daß die Succession nach der Primogenitur-Ordnung juris naturalis sey, ist solches von Regierungs-Successionen sampt was derselben anhängig und nicht von privat Erbschafften zu verstehen.“ 1195 Zur Begründung dieser Unabänderlichkeit der Zusicherungen gegenüber, der Verträge mit den Landschaften der Fürstentümer des neuen Hauses Lüneburg bedarf es nicht der etwas hoch angesiedelten Einordnung dieser Bindungen als leges fundamentales, denn auch die – so möchte man sagen: bloßen – vom Herrscher abgeschlossenen Verträge banden diesen in der Ausübung seiner – auch absoluten – Herrschaftsgewalt (so etwa: J. Bodin, Buch 1, Kap. 8, Nr. 135); diese zweitgenannte Bindung bildet ja gerade die Grundlage des erstgenannten Instituts (vgl. H. Mohnhaupt, S. 9). 1196 Gegenüber den Calenberger Ständen jedenfalls in Folge des Huldigungs-Nebenrezesses vom 18. Februar 1636 (oben Anm. 326). Der Celler Landschaft wurde die Nachfolge des jeweils ältesten Sohnes, und zwar aus der Noch-Nebenlinie Ernst Augusts, mehrfach zugesichert: 1676 (oben Anm. 372) und 1680 (oben Anm. 375). 1197 Dabei tritt die Frage des Charakters der väterlichen Erbfolgeregelung, ihre Einordnung in die Rechtsquellenlehre und ihre Stellung in der Gesetzgebungsgeschichte in den Hintergrund. Mag das einseitig verfügte Gebot Ernst Augusts auch insofern, als es selbsttragende Inhalte befiehlt, als Ordnungsgesetz und in genau und nur diesem Sinne als Haus-Gesetz zu verstehen sein (vgl. dazu J. Weitzel, Hausnormen, S. 46), so hilft dies auf dem Weg zu Geltung und Stabilität nicht weiter. Zum einen kam dem Landesherrn gegenüber den Mitgliedern der landesherrlichen Familie kein Gesetzgebungsrecht zu; diese waren nicht seine Untertanen, sondern reichsunmittelbar (vgl. oben Anm. 381). Zum anderen wäre, selbst wenn der Fürst verbindliche Gesetze für seine Söhne hätte schaffen können, die Dauerhaftigkeit dieser Normen jedenfalls gegenüber dem Sohn, der Nachfolger in der fürstlichen Herrschaft würde, nicht gewährleistet. Denn auch Gesetze verbanden, solange sie auf einseitigem Setzungsakt beruhten,
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mittelbar Betroffenen, kam insofern noch eine verstärkte Bedeutung zu, als die klassischen, überkommenen Instrumente zur Stabilisierung hausrechtlicher Regelungen, zur Garantie ihrer Verbindlichkeit über die unmittelbar an ihrer Begründung Beteiligten oder ihr persönlich Beigetretenen hinaus, offensichtlich für nicht hinreichend angesehen wurden und wohl aus guten Gründen auch werden konnten. Die kaiserliche Konfirmation galt ohnehin spätestens wenige Dekaden darauf dem nun aufkommenden Fach des Fürstenrechts als keinesfalls konstitutive Voraussetzung für die Gültigkeit einer hausrechtlichen Regelung.1198 Vor allem aber war auch jetzt schon kaum zu erwarten, dass der Kaiser Abweichungen von den bestätigten hausrechtlichen Bestimmungen in kommenden Generationen unterbinden oder sanktionieren würde. Es verbleiben die Stände als klassische Garanten dynastischer Erbfolgeregelungen. Ihre Eignung rührt aus ihrem von generativer Erneuerung unabhängigen, transpersonalen, Bestand her. Die Verbindlichkeit der Erbfolgeordnung für den Nachfolger wird hier über die Regentschaft, das Fürstenamt, selbst erzeugt. Ihr Objekt wird auf ein bestimmtes Subjekt eingeschworen. Dies war für Ernst Augusts Vereinigungsund Primogeniturvorhaben schon vor dessen Fixierung in seinem Testament erfolgt. Die Calenberger Landschaft war durch den Huldigungsnebenrezess vom 18. Februar 1636 an die Primogeniturfolge gebunden, also gehalten, nur den – jeweiligen – Primogenitus Ernst Augusts als Landesherrn anzuerkennen. Die Lüneburger Landschaft war seit den Landtagsabschieden vom 4. März 1676 und 21. August 1680 darauf verpflichtet, nach dem Tod Georg Wilhelms dessen Bruder Ernst August oder dessen ältesten Sohn als Landesherrn zu folgen. Damit waren Vereinigung und Primogeniturfolge an sich landschaftlich garantiert. Nur war diese Absicherung nicht von einem ständischen, landschaftlichen Eigeninteresse getragen. Als Kombattanten der herzoglichen Unionspläne gegen Widersacher aus seiner Familie taugten die einzelnen unabhängigen Landschaften nicht viel. Anders als in vielen Generationen zuvor, als sich fürstliches Streben nach Einheit und ständisches Interesse an deren Erhalt deckten, stand hier dem fürstlichen Plan eine Vielzahl von Landschaften gegenüber. Und diese waren an Vereinigung der Fürstentümer und vor allem ihrer nicht interessiert – im Gegenteil: sie sträubten sich dagegen und beharrten auf Eigenständigkeit. Als Ernst August 1689 die calenbergische und die grubenhagenische Regierung zusammenlegte, reichten Prälatur, Ritterschaft und Städte des Grubenhagenischen bei dem Herzog eine Bittschrift ein, dass dem Fürstentum die gesonderte Kanzlei (in Osterode) und Landschaft verbleiben möge.1199 Die (Lüneburg-)Celler Landschaft ließ sich von Ernst August am 2. Juni 1693 versichern, dass für den Fall der Vereinigung der Fürstentümer Celle und Calenberg die landschaftliche Verfassung beider in ihren Rechten, die höheren Gerichte im Cellischen in ihrer Gestalt ohne ständische Zustimmung und die mit Georg Wilhelm abgeschlossenen Rezesse in ihrem Bestand unan-
den Nachfolger nicht. Der souveräne Fürst war den Gesetzen des Vorgängers nicht unterworfen; er konnte sie ändern (J. Bodin, Buch 1, Kap. 8, Nr. 135). 1198 Siehe oben B.V.1.a) bei Anm. 782 ff. 1199 W. Havemann, Bd. 3, S. 320 f.
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getastet blieben.1200 Als aktive Mitstreiterinnen für eine Verschmelzung der gesonderten Fürstentümer zu einem möglichst homogenen einheitlichen Fürstentum konnte Ernst August die gesonderten Landschaften jedenfalls nicht betrachten. Schließlich fiel Wolfenbüttel, der andere Zweig des Gesamthauses, als Garant der hannoverschlüneburgischen Erbfolgeordnung aus. Besorgt um den Verlust eigener Bedeutung durch die avisierte Vereinigung der innerdynastischen Konkurrenten hatten die Brüder Rudolf August und vor allem Anton Ulrich es schon unternommen, den Hauptwidersacher dieser Ordnung zu unterstützen So kamen sie auch auf Druck aus Hannover nicht dahin, mehr als eine Nichteinmischung in die Erbfolge der Seitenverwandten zusagen zu wollen.1201 Ernst August betonte demgegenüber aber mehrfach, dass es ihm an einer Verpflichtung Wolfenbüttels gelegen sei, seine Erbfolgeordnung auch aktiv gegen jedermann verteidigen zu helfen.1202 Eine solche Gewähr für die Durchführung und Aufrechterhaltung der ja unerwünschten Erbfolgeordnung verweigerten die Regenten in Wolfenbüttel jedoch, allen voran der starke Mann dort, Anton Ulrich. Indes war es nicht nur das dynastisch auf Engste verbundene Herrscherhaus in Wolfenbüttel, von dem Einmischung in Sukzessionsfragen auf der einen Seite zu besorgen und Gewährleistungshilfe insoweit auf der anderen Seite doch zu erhoffen war. Die Erbfolgeordnung Ernst Augusts, vor allem ihre Ausrichtung auf eine Verschmelzung Calenbergs und Celles zu einem einheitlichen Herrschaftskomplex im Zentrum des Reiches, musste gerade im Hinblick auf eine mögliche neunte Kur das Interesse anderer Mächte auf sich ziehen. Gegenstand hannoverscher Außenpolitik musste es nun sein, im Mindesten eine Gefährdung des Vereinigungs- und Erbfolgevorhabens von außen auszuschließen und im Positiven auswärtige Stützpfeiler, Garanten, für diese Ordnung zu gewinnen. Der herzoglichen Diplomatie gelang es, jedenfalls Kursachsen und Schweden zur Erklärung des Anerkenntnisses der Erstgeburtsordnung und der Bereitschaft, diese gegen jedermann zu verteidigen, zu bewegen.1203 Kurbrandenburg neigte eher der Seite Friedrich Augusts zu, erklärte sich jedoch zumindest 1200
Der Landtagsabschied ist abgedruckt bei A. L. Jacobi, Bd. 2, S. 471 f. „Erklärung Herzog Anton Ulrichs in der Primogenitursache“ vom 24. März 1686, gerichtet an seinen Bruder Rudolf August, transskribiert abgedruckt bei G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, Aktenhang Nr. 35. Zu dem Ringen mit Wolfenbüttel in den Jahren 1685/6 mit den Quellennachweisen: G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 288 ff., bes. S. 293 f. 1202 Welche Bedeutung der Unterstützung Ernsts Augusts durch die Verwandten tatsächlich zuzukommen vermochte, ist daraus abzulesen, in welch engem Kontakt die Linien in Fragen äußerer wie innerer Angelegenheiten miteinander standen. Die Geheimen Räte beider Linien trafen sich in etwa monatlich oder noch dichterem Turnus zu Hauskonferenzen. Eine Aufzählung – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – findet sich bei G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 302. 1203 Zu den außenpolitischen Bemühungen Ernst Augusts vor allem G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 557 ff. Der Vertrag mit Kursachsen, mit dem Hannover auch die sächsische Erstgeburtsordnung anerkannte und zu verteidigen sich verpflichtete, datiert auf den 17. Mai 1687, die schwedische Erklärung auf den 1. März 1689. Sowohl Kursachsen als auch Schweden waren 1665 noch als Garanten des Hildesheimer Vergleichs aufgetreten. 1201
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hinsichtlich seiner dem Hildesheimer Vertrag von 1665 erteilten Garantie für desinteressiert. Aber nicht nur die äußerlichen und auswärtigen Stabilisatoren seiner Erbfolgeordnung baute Ernst August aus. Auch inhaltlich feilte er an deren Begründung ganz in der oben dargelegten Zielrichtung weiter. Juristen und Archivare wappneten sich fortschreitend gegen die Einwendungen der nachgeborenen Söhne. Ludolf Hugo, der Verfasser des Testamentes von 1682, erarbeitete 1688 eine erste Fassung seiner berühmten Schrift Von der Succession nach dem Primogenitur-Recht in den Herzogthümern und dergleichen Fürstenthümern des Reichs Teutscher Nation, in specie von solchem Successions-Recht im Hause Braunschweig-Lüneburg Zellischer Linie, die dann 1691 im Druck erschien.1204 Im Duktus dieser Deduktion spiegelt sich derjenige vorangegangener Rechtfertigungen der Primogeniturfolge aus der Feder Hugos wider.1205 An eine politisch-publizistischen Grundlegung der Primogenitur im Naturrecht fügt er einen – äußerst kursorisch ausgeführten – historischen Befund zur ursprünglichen Form der Sukzession, nämlich in Primogenitur, in Herzogtümer, Markgraf- und Grafschaften an, um dann die positive Begründung der Erstgeburtsfolge mit der Betrachtung der die Nachfolge des Erstgeborenen gebietenden Aussagen des hochmittelalterlichen Lehnrechts zu beschließen. Weit umfangreicher setzt er sich sodann mit den Gegenkräften von Primogenitur und Unteilbarkeit in der historischen Praxis und der Theorie der vorvergangenen Jahrhunderte auseinander.1206 Sein gleich zu Anfang ausgebreitetes, wohl als wirkungsmächtigst befundenes, Argument besteht in der Verankerung der Primogenitur bei Regierungssukzessionen im Naturrecht – begründet aus der Beschaffenheit dieses Nachlassgegenstandes, aus den aus dieser Qualität erwachsenen Notwendigkeiten.1207 Abgegrenzt gegen die Sukzession in Privatgüter, um so durch diese Limitation den Widerspruch, die Primogenitur sei barba1204 Den archivalischen Nachweis zu dieser Urfassung liefert G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 560 Anm. 2. 1205 So etwa im Extractus Testamenti, in den Anweisungen an den Gesandten am kaiserlichen Hof zur Einholung der Konfirmation von 1683 (oben Anm. 418) und an Grote und Platen zur Eröffnung des Testaments gegenüber Friedrich August 1685 (oben Anm. 401). Ein ganz ähnlicher Argumentationsaufbau findet sich auch in der kurzen Schrift G. W. Leibniz, Abreg des Raisons pour le droit primogeniture, qui doit faire la conjunction des pays de Zell et dHanover, Bd. 5, S. 115 ff. 1206 Den breitesten Raum nimmt ein seine, wie er selbst angibt, exemplarische Auseinandersetzung mit Nicolaus Betsius, De statutis, pactis, & consuetudinibus familiarum illustrium & nobilium, illis praesertim, quae jus Primogeniturae concernunt, tractatus nomico-politicus, ad usum Germaniae potissimum accomodatus, erstmals 1611 erschienen. 1207 2: „Mit der Regierung eines Landes und Volckes sampt was derselben anhängig hat es eine gantz andere beschaffenheit. Danndieselbe ist nicht zu der Regenten und seiner Kinder Leben oder Wolleben, sondern des Volckes, Reiches oder Landes besten gewiedmet: Non populus prpter Principem, sed Princeps propter Populum. Wann nun gesaget wird, daß die Successio nach der Primogenitur-Ordnung juris naturalis sey, ist solches von RegierungsSuccessionen sampt was derselben anhängig und nicht von den privat Erbschafften zu verstehen. In privat Erbschafften hingegen ist aequalis successio & divisio, jus naturale ordinarium; wan nicht besonderer Ursachen halber Ein oder anderm ein Vorzug zugewendet wird.“
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risch und irrational, da sie Kinder eines Vaters ungleich behandele, von dem hier relevanten Betrachtungsgegenstand fernzuhalten, leitet er die Notwendigkeit der Alleinregentschaft eines Einzelnen aus der Nachteiligkeit der allein – für den Fall der Beteiligung mehrerer Söhne am väterlichen Herrschaftsnachlass – in Betracht zu ziehenden Alternativmodelle Kommunion und Division her. Dieser eine Nachfolger könne indes nicht etwa der Geschickteste unter den Söhnen sein, da diese Bestimmungsform keine ordentliche successio mehr sei, sondern auf electio hinausliefe. So verstehe es sich geradezu von selbst, dass der eine zur Nachfolge Berufene der Erstgeborene sein müsse.1208 Damit löst Hugo die Sukzession in die fürstliche Herrschaft ganz explizit aus den Bahnen des gemeinen und auch feudalen Rechts – auch wenn er feudale Grundlegungen der Primogenitur, aber eben in Fürstentümer, erörtert – und ordnet sie eindeutig Politik und ius publicum zu. So eröffnet er weit die Wirkungsmöglichkeiten für die utilitas publica, die necessitas, die Staatsräson, und engt zugleich die politisch-publizistisch kaum, jedenfalls nicht positiv zu substantiierenden Argumentationsmöglichkeiten der nachgeborenen Dynasten ein. Die Pars Specialis zur Sukzession im Hause Lüneburg ist ganz und gar der Auseinandersetzung mit dem Testament Herzog Georgs von 1641 und den Folgebestimmungen von 1665, der von den Opponenten der Erstgeburtsordnung Ernst Augusts herangezogenen Grundlage entgegenstehender Rechtsstandpunkte, gewidmet. gg) Die Neufassung des Testaments Ernst Augusts von 1688 So gerüstet gab Ernst August seiner Erbfolgeordnung eine neue, erweiterte Fassung. Am 2. November 1688 unterzeichnete er vor Zeugen und einem Notar ein neues, dasjenige aus dem Jahre 1682 ablösendes Testament.1209 Im Stile des Vaters, ja der Fürstentestamente der Zeit,1210 beginnt Ernst August mit seinem Bekenntnis zur Augsburger Konfession und einer Mahnung zu ihrer Wahrung. Es folgen – ebenfalls typisch für Fürstentestamente, gerade die im Welfenhaus von 1582 und 1641 –1211 weitere Anhaltungen der Nachfolger, etwa, Frieden und Freundschaft im Hause Braunschweig zu halten, Land und Leute nur im Falle äußerster Not zu verpfänden oder gar zu veräußern, ein Augenmerk auf Kirche, Schulen und Justiz zu haben, milde 1208 Der Struktur des Reiches und der entsprechenden Schwierigkeit der Applikation des in Deutschland schnell rezipierten Souveränitätsbegriffs Bodins geschuldet muss Hugo eine Konkretisierung seiner Gedankenführung, seiner Begründung der Primogenitur für die Regierungssukzession aus dem Naturrecht, auch für die Reichsstände, die Territorien, bewerkstelligen; zur Bodin-Rezeption im Reich: M. Stolleis, Geschichte, Bd. 1, S. 170 ff. bes. S. 180; zur Erfassung, Ausgestaltung und Behandlung der superioritas territorialis in der frühen Publizistik D. Willoweit, Rechtsgrundlagen, passim. 1209 HstAHann., Cal. Or. 3 I Nr. 23 b; Abschrift: Cal. Br. 22 XXXIII 29 und Hann. 9 Domestica 1. 1210 Zu den Fürstentestamenten: F. Hartung; J. Engelfried; H. Duchhardt; M. Stolleis, Geschichte, Bd. 1, S. 344 f. 1211 Nicht von ungefähr hebt F. Hartung, S. 95, als Charakteristikum des fürstlichen Testaments aus dem 16. und 17. Jahrhundert dessen „Mangel an Individualität“ hervor.
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und gerecht im Regiment zu sein, die Pflichten gegen Kaiser und Reich zu beachten und sich auf auswärtige Verwicklungen nicht ohne Not und nur behutsam einzulassen. Kern der Verfügung bleibt die Nachfolgeregelung, die im Wesentlichen derjenigen von 1682 entspricht: es soll der Älteste in alle jetzigen und künftigen Besitzungen sukzedieren ohne jede Einschränkung der Landeshoheit und ohne jede Abteilung an Land und Leuten. War eine solche Aussonderung von Gebietsteilen (des ein oder andern stucks) sogar versehen mit superioritet, die Schaffung einer wie auch immer ausgestalteten Sekundogenitur, im abgelösten Testament noch als Vorbehalt formuliert, wird diese nun unter Berufung auf die nunmehr aufgefundenen alten Hausverträge ausdrücklich ausgeschlossen: Insbesondere der Vergleich vom 11./ 21. April 1611 und der Teilungsrezess vom 6. Februar 1636 seien auf eine ungeteilte Einheit des gesamten Besitzes gerichtet. Wenn von dieser für das Haus Lüneburg maßgeblichen Vorgabe das Testament Georgs von 1641 scheinbar abwiche, so sei dies auf eine Unkenntnis der väterlichen Berater um die vorgegebene Rechtslage zurückzuführen. Auch habe Georg den nun bevorstehenden Fall der Vereinigung aller Lande in einer Hand nicht vorhergesehen und daher nicht geregelt. Deshalb sei er, Ernst August, nicht gehalten, die dann vereinigten Fürstentümer wieder zu teilen. Für seine nachgeborenen Söhne bestimmte er Apanagen von je 6.000 Talern, die bei Anfall des Fürstentums Celle auf 12.000 Taler zu erhöhen seien. Voraussetzung dieser Zahlungen, die auf bestimmte Gebietsteile, etwa die Grafschaft Diepholz, aber ohne jede Superiorität bezogen werden könnten, sei jedoch die Eidesleistung der Deszendenz auf die neue Erstgeburtsordnung. Von der Primogeniturfolge bleibt – ganz der von Hugo ausformulierten Distinktion zwischen Privaterbschaft und Regierungssukzession folgend – der Barnachlass Ernst Augusts ausgenommen. Dieses Schatullvermögen bestand, wie im Testament ausgeführt, aus den im Kabinett vorhandenen Geldern, den herzoglichen Properkuxen auf dem Harz (das sind private Anteile des Fürsten an den Bergwerksbetrieben), Pretiosen und Wertpapiere.1212 Die neuerlichen Bestimmungen zur Erbfolge wurden unter dem Datum des 22. Juli 1689 kaiserlich bestätigt.1213 Eine weitere kaiserliche Bestätigung erfuhr die Verbindung von Celle und Hannover unter Einführung des – umfassenden – Erstgeburtsrechts im neuen Haus Lüneburg mit der Verleihung der Kurwürde am 9. De1212 Von einer Schatulle, Schatullkasse, im Sinne einer Vermögensmasse mit fest zugewiesenen Einnahmen kann nach O. Schaer, S. 31, unter Ernst August noch nicht gesprochen werden. Lehzen, Bd. 2, S. 26, sei insoweit zuzustimmen, dass zumindest Anfänge einer solchen Schatulle 1688 gelegt seien; die „eigentliche Stifung“ sei jedoch erst 1732 durch Georg II. erfolgt. Zum Umfang dieser Propergelder im Nachlass Ernst Augusts können nur Vermutungen angestellt werden; so O. Schaer, S. 30, und G. Schnath, Geschichte, Bd. 2, S. 339. So schoss Ernst August etwa im Jahre 1697 500.000 Taler aus seinen Propergeldern der Kammerkasse vor. Dies entspricht in etwa der Höhe der Einnahmen der Kammer im Rechnungsjahr 1697/8, G. Schnath, ebd. Schaer, ebd., schätzt den Kassenbestand der Schatulle insgesamt als „sehr beträchtlich“ ein. Es gab also einen Privatnachlass nicht nur als juristische Kategorie, sondern auch von erheblichem tatsächlichem Umfang – nur war an ihn eben nicht das Ansehen eines absoluten Fürsten geknüpft. 1213 HstAHann., Cal. Or. 3 I 23d K (nahezu unlesbar); Abschrift: Cal. Br. 22 XXVII 2.
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zember 1692. In dem so genannten Kurtraktat1214 heißt es: Mit dieser Chur sollen des Herzogthums Braunschweig-Lüneburg Fürstenthümer Zelle, Calenberg und Grubenhagen, samt denen darzu gehörigen Graffschafften Hoya und Diepholtz, auch übrigen gedachter beyder Gebrüder Liebden Liebden – auch Georg Wilhelm zu Celle – zugehörige Lande, Aemter, Stücken und Pertinentien ewig und unzertrennlich, solange eine männliche ehliche Descendenz von Seiner Liebden Hertzogen Ernesto Augusto verhanden, gehören und unter denen Landen dieser neunten Chur samt und sonders begriffen seyn. Noch deutlicher bindet der Kaiser die Kurwürde in die Primogeniturfolge nach Ernst August, wenn er sein Streben bekundet, dass Herzogs Ernst Augusts zu Braunschweig Liebden vor sich und Dero Descendenten männlichen Geschlechts juxta ordinem primogeniturae die Kurwürde wirklich erlange und in die Zahl Unserer und des Reichs Kurfürsten an- und aufgenommen werde.1215 hh) Die zweite Widerstandswelle gegen die Primogeniturordnung bis zur so genannten Prinzenverschwörung von 1691 Aber auch nach der erneuten, vertiefteren Grundlegung der testamentarischen Bestimmungen zur Erbfolge war – wen wundert es – der Widerstand der Nachgeborenen und ihrer Unterstützer keineswegs beseitigt. Zwar hatte Wolfenbüttel halbwegs eingelenkt und Anfang 1687 noch zur ersten Fassung der Erstgeburtsordnung erklärt, diese anerkennen und weder unmittelbar noch mittelbar etwas gegen diese unternehmen zu wollen.1216 Auch hatten die nachgeborenen Söhne Maximilian Wilhelm, nach Erreichen der Volljährigkeit am 3. April 1687, und Karl Philipp, wohl im Jahre 1688, er starb Anfang 1690, den Eid auf die väterliche Nachfolgeordnung geleistet. Friedrich August aber blieb standhaft. Unterstützt von seiner Mutter suchte er Beistand in Berlin und am dänischen Hof. Auch ließ Herzogin Sophie für ihn eine juristische Rechtfertigung seines Standpunkts fertigen. Diese fußt, wie gehabt, auf der Sonderungsanordnung Georgs von 1641 und deren Bestätigung durch die nachfolgende Generation im Vergleich von 1665.1217 Aus dieser Bestätigung könne man – und damit führt der Verfasser dieser Schrift einen zentralen Terminus der „Verfassung“ der Länder im Ancien Rgime ein – ablesen, dass das Testament wie ein Fundamentalgesetz (comme la loy fondamentale de lestat) angesehen worden sei.1218 Daraus folgert er die Unveränderlichkeit dieser großväterlichen Anordnung ohne seine Zustim1214
Abgedruckt ist das Traktat bei Ph. J. Rehtmeier, S. 1736 ff. Die Überwindung aller Widerstände gegen Hannovers Neunte Kur und Aufnahme ins Kurkolleg erfolgte erst 1708; U. F. C. Manecke, S. 71 f.; H. Conrad, Bd. 2, S. 94 f.; G. Van den Heuvel, Niedersachsen, S. 158. 1216 „Erklärung der Heerzöge von Wolfenbüttel über die Primogeniturfrage an Herzog Georg Wilhelm“ vom 2. Januar 1687, transkribiert abgedruckt bei G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, Aktenanhang Nr. 38; dort auch S. 296, 557 ff., 563 ff., auch zum Folgenden. 1217 Abgedruckt ist diese auf das Jahr 1690 zu datierende Schrift bei A. Wendland, Nr. 33. 1218 Zur Qualität der leges fundamentales nach heutigem Verständnis als Verfassungsrecht: G. Oestreich, Herrschaftsvertrag; H. Mohnhaupt. 1215
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mung.1219 Zudem brauche er nicht lange in der Vergangenheit nach einer Stütze seines Standpunkts zu suchen: nach dem Erlöschen des alten Hauses Braunschweig (1634) sei dessen Nachlass geteilt worden – in einer Linie, in der das Primogeniturrecht observiert worden sei. Diesen auf Handlungen seines Großvaters und dessen Brüdern fußenden Standpunkt könne das Buch des Vizekanzlers Hugo kaum widerlegen. Kurz darauf aber, Ende 1690, starb Friedrich August. Entgegen seiner Eidesleistung nahm nun Maximilian Wilhelm den Widerstand gegen die Erstgeburtsordnung des Vaters auf.1220 Und wieder trat Wolfenbüttel an die Seite des Opponenten. Anton Ulrich – seine Urheberschaft ist anerkannt –1221 schmiedete ein Komplott gegen den Vetter in Hannover und dessen Erbfolgeplanung. Diese so genannte Prinzenverschwörung – neben Maximilian Wilhelm verweigerte auch der jüngere Prinz Christian Heinrich den Eid – wurde in Hannover aufgedeckt und niedergeschlagen. Ende 1691 wurden Maximilian Wilhelm, der Oberjägermeister Otto Friedrich von Moltke, dessen Vetter, der Oberstleutnant von Moltke, und der Wolfenbütteler Sekretär Blume verhaftet. Nach kurzer Festungshaft schwor Maximilian Wilhelm erneut auf die Primogeniturordnung des Vaters; auch sein jüngerer Bruder fügte sich nun dem väterlichen Willen. Nach einem Hochverratsprozess wurde der Oberjägermeister hingerichtet, sein Vetter und der Sekretär wurden lebenslang des Landes verwiesen. Die Wolfenbütteler Herzöge aber wiesen alle Schuld von sich; Anton Ulrich sah die Ursache des Zerwürfnisses im Welfenhaus und des traurigen Schicksals der Prinzen in dem „schrankenlosen Ehrgeiz“ Ernst Augusts.1222 Eine – reichsrechtliche – Stütze erfuhr die Ordnung Ernst Augusts, die Fürstentümer des Hauses Lüneburg in der Primogeniturfolge zu vereinigen, durch die Belehnung mit der Kurwürde Ende 1692. Denn diese war auf die drei Fürstentümer Lüneburg, Calenberg und Grubenhagen gegründet und eröffnet somit für ihre Union in der Kurwürde die Anwendbarkeit des für die Kurfürstentümer in der Goldenen Bulle von 1356 ausgesprochenen Gebots der Unteilbarkeit und Primogeniturfolge.1223 Nach dem Tode Ernst Augusts 1698 – sein Erstgeborener Georg Ludwig war ihm in Calenberg gefolgt –1224 nahm Maximilian Wilhelm den Kampf gegen Vereinigung und Primogenitur sofort wieder auf, auch im Namen seiner jüngeren Brüder Christian Heinrich und Ernst August. Wiederum suchte er Verbündete, und er fand sie. Neben 1219
Dies wird als rhetorische Frage formuliert: Si mons. mon pre peut avec justice changer les loix fondamentales de lestat, sans mon adveu, quel besoin y a-il que je jure? 1220 Den Eid habe er, so berichtet G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 575 f., noch als Kind abgelegt, auch sei durch den Tod des älteren Bruders nun alles verändert. 1221 W. Havemann, Bd. 3, S. 302; G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 577. 1222 G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 590. 1223 Kap. 25 der Metzer Gesetze (B.I.3.a) Anm. 170). 1224 Georg Wilhelm von Celle hatte auch dem neuen Fürsten in Hannover dessen Anwartschaft auf Celle versichert. Auf einem Landtag zu Celle verpflichtete er die Landschaft auf die mit Hannover verabredete Primogeniturerbfolge, Landtagsabschied vom 2. April 1698, abgedruckt bei A. L. Jacobi, Bd. 2, S. 495 f.
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Dänemark1225 stand – natürlich, möchte man sagen – Anton Ulrich auf Seiten der Opponenten. Dessen Widerstand gegen die Primogenitur und vor allem auch gegen die Kurwürde, insgesamt gegen das innere wie äußere Erstarken der jüngeren Linie in Hannover, ließ ihn im spannungsgeladenen Vorfeld des Spanischen Erbfolgekriegs die Nähe zu Frankreich suchen. Alles lief nun auf einen von Ludwig XIV. unterstützten Krieg Wolfenbüttels gegen Hannover hinaus1226. Diesem Angriff kamen die hannoverschen und cellischen Truppen zuvor. Sie besetzten das Fürstentum Wolfenbüttel und nötigten den herzoglichen Brüdern dort am 19. April 1702 einen Kapitulationsvergleich auf. Vier Jahre später erkannte Anton Ulrich, der nach dem Tod Rudolf Augusts 1704 allein regierte, unter anderem die hannoversche Kurwürde an. Nach dem Tod Georg Wilhelms 1705 nahm Georg Ludwig am 16. Dezember 1706 auf dem Schloss zu Celle die Huldigung der Landräte und eines großen Teils der Ritterschaft des Lüneburgischen entgegen.1227 Ernst August ist mit seinem Vorhaben, in einer Primogeniturfolgeordnung zwei vordem gesonderte Fürstentümer zu vereinigen, durchgedrungen. Er hat dabei mit seinen Ratgebern, allen voran Ludolf Hugo, aber auch Leibniz, einen hohen Aufwand in der materiellen Begründung betrieben. Schnath bemerkt dazu rückschauend, dass es dessen nicht bedurft hätte: „Die Durchführung der Erstgeburtsordnung im Hause Hannover war der Sieg der neuen Zeit über die alten Überlieferungen“.1228 Dies erkannten auch schon die Räte des entscheidenden Widersachers dieser neuen Ordnung, des Wolfenbütteler Fürstenhauses. Sie waren Anfang 1686 nach langer Sitzung zu dem Schluss gekommen, dass man sich Ernst Augusts Verfügung in Erwägung fortiorum argumentorum abfinden könne, da Friedrich August ob er gleich seinem Privatinteresse nach sich de jure dawider wohl zu beschweren hätte, dennoch vermöge göttlichen Gebots und propter publicam salutem dem väterlichen Willen sich zu accomodieren in conscientia obligieret sei.1229 Einen Widerspruch zwischen jus einerseits und göttlichem Gebot sowie der salus publica andererseits nehmen die Räte – der Opponenten – sehr wohl wahr. Dieses jus war aber nur noch dem Privatinteresse zuzuordnen und musste der dem öffentlichen Wohl gewidmeten Primogenitur weichen. Das subjektive Recht des Prinzen war überholt. 1225 Mit dem dänischen Gesandten am kaiserlichen Hof schloss Maximilian Wilhelm im September 1698 einen Vertrag, in dem er gelobte, sein volles Vertrauen auf den dänischen König zu setzen und ohne dessen Zustimmung sich nicht zum Anerkenntnis der Primogenitur bewegen zu lassen; dafür versprach der König, den Prinzen – auch im Namen Brandenburgs – in dieser Sache zu vertreten und ihm zudem 20.000 Taler jährlich zukommen zu lassen; W. Havemann, Bd. 3, S. 364. 1226 Zu den Verwicklungen zwischen Hannover und Wolfenbüttel und ihren jeweiligen Verbündeten an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert: W. Havemann, Bd. 3, S. 362 ff.; G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 370 ff.; ders., Überwältigung; G. van den Heuvel, S. 155 f., 158. 1227 (A. L. Jacobi), Rückerinnerung, S. 475 f. 1228 Geschichte, Bd. 1, S. 590. 1229 Zitiert nach G. Schnath, ebd., S. 294.
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c) Eine Schlussbetrachtung: Die große Zeit der Fürstentestamente Die Sukzessionsbehandlung in den neuen Häusern Braunschweig und Lüneburg nach der großen Umverteilung 1635/6 bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, mit dem diese Arbeit schließt, ließe sich als die große Zeit der Fürstentestamente beschreiben. Mitte des 16. Jahrhunderts ordnete der Grubenhagener Herzog Philipp die Gestaltung seiner Nachfolge wie auch seines Fürstentums in einem Testament, indes noch nicht in der umfassenden und ermahnenden Weise, wie sie diese den Fürstenspiegel und der Hofliteratur verwandte Gattung kennzeichnet. Ende des 16. Jahrhunderts legte Herzog Julius von Wolfenbüttel eine solche umfassende Ordnung seines fürstlichen Nachlasses, die von Ratschlägen, Ermahnungen und ganz konkreten Handlungsanweisungen an die Hinterbliebenen geprägt ist, und in die auch die Ordnung der Nachfolge eingebunden ist, in seinem Testament nieder. Nun ergreift dieses Streben des absoluten Fürsten nach umfassender Gestaltung, nach dauerhafter Ordnung des Zukünftigen auch die Nachfolgeregelungen der aus dem mittleren Hause Lüneburg – seit 1635, rückwirkend auf das Jahr 1569, genau genommen: neuen Haus Lüneburg – entstammenden Vertreter beider großer und in Anbetracht der Erbenlosigkeit in Celle und Harburg allein blühender Linien der Welfen. August der Jüngere von Wolfenbüttel unternahm es, seine Nachfolgeregelung in eine umfassende Ordnung zu gießen, ebenso sein Vetter Georg und dessen Sohn Ernst August, die neben Calenberg auch die Anwartschaft auf Celle, in das seit 1651 wieder das Harburger Abteilungsgebiet integriert war, besaßen. In Thematik und Aufbau ganz dem Üblichen der Fürstentestamente1230 entsprechend, verfügten sie im Sinne des Herrschaftsauftrags eines christlichen Regiments eine „gute Ordnung“, beginnend mit einem Bekenntnis zur eigenen, zu dieser Zeit im Welfenhaus noch durchweg Augsburger, Konfession verbunden mit der Anmahnung ihrer Bewahrung. Dann erst wurden die Ziele der Unteilbarkeit von Herrschaftsgebieten und der Errichtung einer klaren, dauerhaften und stabilen Sukzessionsordnung in Angriff genommen. Kennzeichnend ist insoweit, was Willoweit einmal für jegliche Sukzessionsordnungen, ohne besondere Beschränkung auf die Fürstentestamente, als ihre Bedeutsamkeit für die Gesetzgebungsgeschichte formuliert hat: das politische Gemeinwesen wird durch sie als Ganzes erfasst; „der Staat ist selbst Gegenstand des Gesetzes“.1231 Dabei findet die Handschrift der gelehrten Räte, die Begrifflichkeit des „gelehrten“ Rechts endgültig Einzug in die Sukzessionsregelungen. Das Fideikommiss – ganz konkret zur Sicherung des konfessionellen Status Calenbergs im Testament Georgs von 1641 – ist hierfür beredtes Zeugnis. Mit den Vorstellungen und Instrumentarien aus dem an den Universitäten gelehrten Lehnrecht wird die Sukzession gestaltet, insbesondere im Gefüge des Gesamthauses. Auch die Frage der individuellen Verfügungsbefugnis findet nun eine lehnrechtlich eingekleidete Antwort, wenngleich ihre Einschränkung eher kameralistisch, ökonomisch motiviert erscheint. In den Fürstentestamenten musste die Behandlung der Sukzession diesen Charakter der generellen, dem Leitbild des 1230 1231
Zu den Fürstentestamenten oben Anm. 288, 296, 443. In: Aussprache zu J. Kunisch, Staatsbildung, Beiheft zu „Der Staat“ 7, S. 103.
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B. Die Herrschaftsnachfolge im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg
christlichen Regiments verpflichteten Regelung, den Charakter einer Sukzessionsordnung annehmen. Die testierenden Herzöge und ihre gelehrten Räte und Kanzler stießen bei der Gestaltung ihrer Sukzessionsordnung auf Grenzen ihrer Dispositionsfreiheit. Sie fanden in ihren Augen unteilbare Fürstentümer vor. Sie wähnten sich bereits gebunden oder banden sich selbst gegenüber den Landschaften, bei der Nachfolge in das entsprechende Fürstentum das Gebot der Unteilbarkeit und das Jus Primogeniturae zu befolgen. August der Jüngere garantierte der Wolfenbütteler Landschaft bei Übernahme der Regentschaft über dieses Fürstentum im Jahre 1636 die die Beachtung der Unteilbarkeit mitumfassende Primogenitur. Ebenso verpflichtete sich Georg gegenüber den Calenberger Landständen im selben Jahr, wiewohl mit der Einschränkung des Grundsatzes der Erstgeburtsfolge für den Fall der Übernahme Celles durch Georgs Linie; dann sollte es möglich sein, dass der Primogenitus dort und in Calenberg „nur“ der Sekundogenitus folge. Der Celler Landschaft ihrerseits wurde von Georg Wilhelm 1676 die Primogeniturfolge in Ernst Augusts Linie versichert. Über diese Bindungen setzte sich keiner der Herzöge in seinem jeweils zeitlich nachfolgenden Testament hinweg. Die reale Macht der Stände mag gerade in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts allgemein und gerade auch im Fürstentum Calenberg-Göttingen verblasst gewesen sein; zusehends wurden ihre (Beteiligungs-)Rechte am fürstlichen Regiment ausgehöhlt und zurückgedrängt. Gleichwohl fanden ihre in den Huldigungsrezessen wurzelnden Rechte Beachtung. Insoweit ist als Teilungshemmnis freilich auch die Stellung des einzelnen Fürstentums im Reichsgefüge in Betracht zu ziehen, insbesondere vor dem Hintergrund der feudistischen Ausbildung der gelehrten Verfasser der Testamente. Der Blick auf das Herkommen der Autoren, ihre Einbindung in die zeitgenössische Wissenschaft zeigt aber auch auf eine andere Erklärungsmöglichkeit hin: Die Huldigungsrezesse fanden bei aller tatsächlichen, politischen, Schwäche der Stände gleichsam auf der Ebene der theoretischen Grundlegung und Konstruktion des Testaments, ja überhaupt des fürstlichen Handelns, Anerkennung: als leges fundamentales, als in Vertragsform tatsächlich begründete oder auch nur fingierte Bindungen fürstlicher Macht.1232 Diese Beschränkung auch absoluter fürstlicher Herrschafts- und Gestaltungsfreiheit durch die leges fundamentales beherrschte das Denken der Publizisten des 17. Jahrhunderts. Bei der Gestaltung der „guten Ordnung“ des Fürstentums allgemein und der Sukzession im Besonderen bezogen die welfischen Herzöge des 17. Jahrhunderts zunächst auch die weiteren, der Unteilbarkeit und Primogenitur weithin gegenläufig erscheinenden, zu diesen in einem Spannungsverhältnis stehenden Vorgaben und Ziele mit ein: Eine Ausstattung der Nachgeborenen, die zum einen deren Zufriedenheit, also friedliche Akzeptanz, fand und zum anderen gegen drohende biologische Even1232 Zur Lehre der leges fundamentales besonders H. Mohnhaupt, S. 9 ff. Gerade die Unteilbarkeit und Unsterblichkeit der Krone und die Unantastbarkeit des Kronguts gehören für Bodin zu den leges fundamentales, Buch I., Kap. 8. Auch zum Folgenden: M. Stolleis, Geschichte, Bd. 1, S. 170 ff.
V. Die Sukzession im 16. und 17. Jahrhundert
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tualitäten wappnete.1233 Ein umfassendes, über den Gegenstand des einzelnen Fürstentums hinausgehendes, eben nicht territoriales, sondern patrimoniales Jus Primogeniturae war in keiner zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Linie des Welfenhauses bisher formuliert worden. Insofern waren Ansprüche der Nachgeborenen, die die Qualität oder wenigstens den Anschein eines auch vom absoluten Fürsten zu beachtenden jus quaesitum annehmen und durchaus auch auf Anerkennung Dritter hoffen konnten, zu berücksichtigen. Zudem eröffnete und sicherte eine fürstliche, also herrschaftliche Versorgung statt einer bloßen in bar zu leistenden Apanage die Perspektive ebenbürtiger Ehe und Nachkommen und vermochte so auf ein Erlöschen der regierenden Linie vorzubereiten. Der Balancehaltung in diesem Spannungsverhältnis sind Augusts des Jüngeren und Georgs Nachfolgeordnungen gewidmet. Unter Beachtung der Unteilbarkeit und Primogenitur, obgleich bei Georg mit einem – man möchte sagen: geringfügigen – Vorbehalt der Ausnahme von der strengen Erstgeburtsfolge, verfügen beide eine Teilung ihrer fürstlichen Macht, ihres Patrimoniums – und sei es bei Georg nicht allein die aktuelle Macht, sondern auch die Anwartschaft darauf (Celle). Hierzu dienten ihnen, gerade August, die kleineren, nicht fürstlichen Herrschaftsblöcke, wie etwa Hoya.1234 1233 Zu jeder Zeit der frühen Neuzeit bestand eine 50- bis 75-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass beim nächsten Generationswechsel im Fürstenhaus dieses im Mannesstamm erlosch oder ein Kind zur Nachfolge kam, M. Stolleis, Diskussionsbericht, in: J. Kunisch, Der dynastische Fürstenstaat, S. 83. 1234 Wenn G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 277, wertet: „(…) je mehr sich im 16. und 17. Jahrhundert der Gedanke des fürstlichen Absolutismus in der deutschen Staatenwelt Bahn brach, desto stärker gewann neben dem Streben zum Einheitsstaat eine andere Strömung an Boden, die die fürstliche Herrschaft noch ausschließlicher als vorher als reines und praktisch unbeschränktes Privateigentum des princeps legibus absolutus ansah. Das letat cest moi der französchen Monarchie bekam, auf deutsche Verhältnisse übertragen, unter diesem Gesichtspunkt nur allzu leicht einen ganz anderen Sinn. Als Herr seines Landes und seiner Landstände glaubte der absolute Fürst auch über die Gebietseinheit seiner Herrschaft frei verfügen zu können, vor allem im Wege des Erbgangs“, so trifft dies, so allgemein jedenfalls, auf die gerade von Schnath in den Blick genommenen welfischen Verhältnisse des 17. Jahrhunderts – und auf diese bezieht sich Schnath im besonderen, wenn er den Ausfall der Versorgung der Nachgeborenen durch Bischofsämter nach dem Dreißigjährigen Krieg als Hintergrund des Aufblühens freierer Dispositionen der Fürsten herausstreicht – nicht zu. In „Gebietseinheiten“ schnitten die welfischen Fürsten in dieser Zeit nicht ein. Als solche sind nur die Fürstentümer, Graf- und Herrschaften anzusprechen, und diese blieben in ihrer äußeren Gestalt im Erbgang der Fürsten erhalten. Als Errichtung einer Sekundogenitur wäre allein die Zuweisung des Schlosses Bevern an Ferdinand Albrecht durch August den Jüngeren 1667 im Hause Wolfenbüttel anzusprechen. Diese als Eingriff in die Gebietseinheit des Fürstentums zu werten, erscheint in Anbetracht des klaren Vorbehalts der Hoheitsrechte durch den regierenden Fürsten indes äußerst zweifelhaft. Vom Einschnitt in die Gebietseinheit, die eigentlich nur als Gebietseinheiten zu erfassen ist, abgesehen, ist nicht ersichtlich, inwieweit der Fürst in seiner Verfügungsmacht über diese Einheiten, solange er eben ihre Integrität unangetastet lässt, auch und gerade in zeitgenössischer Vorstellung eingeschränkt sein sollte, etwa durch die Landstände, die Vornahme einer Verfügung also „privatrechtlich“, wie über Privateigentum, anmuten könnte. Die einzelnen Landstände vermochten über die Grenzen ihres Gebiets, des Fürstentums, hinaus keine vereinheitlichende Wirkung und auch nur Bestrebung zu erzeugen. Reichsrechtlich war der Fürst in dem Neuzuschnitt der Herrschaftskonglomerate, abgesehen von dem Einschnitt in seine Bestand-
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Erst Ernst August wischte die dynastischen Bedenken beiseite und nahm es in Angriff, die substanzielle Teilbarkeit des Patrimoniums zu überwinden. Unteilbarkeitsgrundsatz und Primogenitur sollten von dem gegenständlich abgesteckten Fürstentum auf die personal umrissene fürstliche Macht ausgedehnt werden. Ein Postulat, das schon der Wolfenbütteler Herzog Julius in seinem Testament ein Jahrhundert zuvor aufgestellt hatte. Mit den Mitteln einer Sukzesssionsordnung versuchte Ernst August, die einzelnen, in sich stabilen, aber auch gesonderten Teile seines Patrimoniums, wobei Celle noch nicht aktuell, sondern nur in Form einer gesicherten Anwartschaft Bestandteil desselben war, zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzuschweißen und zugleich diese Einheit auch dauerhaft zu erhalten. Ausgangspunkt, Vorfindlichkeit, seiner Unternehmung war das, was Brunner eine „dynastische Union von Ständestaaten“1235 und Hintze ganz ähnlich das „alte föderative System von Länderverfassungen“1236 nannten. Ihre Stellung im Reichsaufbau, die auf sie bezogenen Stimmen im Reichsfürstenrat, ihre Berücksichtigung in der Reichsmatrikel kennzeichnen diese Eigenständigkeit der Fürstentümer ebenso, wie ihre ständische Verfassung. Noch 1693 musste Ernst August der Celler Landschaft den Erhalt ihrer Selbstständigkeit auch nach Vereinigung Celles und Calenbergs in einer fürstlichen Linie und unter einem fürstlichen Regiment zusichern. Als Motor des Vereinigungsstrebens fielen die Landschaften insofern aus. Initiator und treibende Kraft war Ernst August, angetrieben von seinem Streben nach dem Ausbau Hannovers zu einer zweiten Regionalmacht, neben Brandenburg-Preußen, im Norden des Reichs, gekrönt und anerkannt durch die Verleihung der Kurwürde für diese Herrschaft.1237 Mit diesem neuen Vorhaben der patrimonialen Homogenität, das wie eine Rückbesinnung auf Postulate des späten 14. Jahrhunderts anmutet, insofern als zu dieser Zeit die Fürstentümer sich noch nicht im Patrimonium des Fürsten verdichtet und verfestigt hatten, begab sich Ernst August aber der Möglichkeit, die anderen oben näher ausgeführten Bedingungen und Ziele der Sukzessionsbehandlung zu erreichen. Und Ernst August schlug auch prompt erbitterte Ablehnung seiner Ordnung aus seinem Haus entgegen. Gleichwohl hielt er kompromisslos an seinen Zielen fest, steigerte die konsequente Unterordnung der Interessen und Ansprüche der Prinzen unter die Idee der einheitlichen und unteilbaren fürstlichen Macht sogar noch: War in der Erstfassung seines Testaments aus dem Jahre 1682 noch der Vorbehalt vorgesehen, das eine oder andere Stück versehen mit höchster Herrschaftsgewalt, mit superioritet,
teile, auch nicht gebunden. Die von Schnath offenbar für die Zeit vor dem 16. oder 17. Jahrhundert reklamierte und idealisierte Einheit des fürstlichen Patrimoniums in seiner Substanz musste erst erreicht werden. 1235 Haus Österreich, S. 126 f. 1236 Staat, S. 321. 1237 Zu dieser Triebfeder: G. Schnath, Geschichte, Bd. 1, S. 396 ff., 506 ff.; G. Van den Heuvel, Niedersachsen, S. 158. Auch J. Kunisch, Staatsbildung, bes. S. 70 f., und Th. Klein, S. 103, 113 f., streichen die Konkurrenz zu anderen fürstlichen Mächten als Motor des Vereinheitlichungsstrebens der Fürsten, das auf höhere Effizienz zielen musste, im 17. Jahrhundert heraus.
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aus dem Patrimonium herauszulösen und einem Nachgeborenen zu vermachen, wird diese Ausnahme in der Fassung von 1688 aufgegeben. Die nachgeborenen Prinzen werden allein auf eine in Geld zu leistende Versorgung verwiesen. Die Ausscheidung von Ämtern aus der zentralen Verwaltung, wenngleich auch in herrschaftlich zurückgesetzter Qualität, barg die Gefahr der Entwicklung eigener Fürstentümer und Häuser, wie es gerade eine Generation zuvor bei der Auseinandersetzung mit den Dannenbergern um die Wolfenbütteler Verlassenschaft besonders sinnfällig wurde. Theoretische Grundlage wie auch Instrumentarium war die nun klare Scheidung zwischen Regierung einerseits und (Privat-)Gütern andererseits, die jetzt durchgebildete Abstraktion der Herrschaftsgewalt von ihren einzelnen und zudem vielfach zugleich auch ertragsfähigen Rechtspositionen, verkörpert zumeist in ihren Verwaltungseinheiten, vornehmlich den Ämtern. Das Fürstentum war nun nicht mehr aus Ämtern zusammengesetzt. Der einheitlichen Regierung wurden die Erträge gegenübergestellt, die ihrerseits zunehmend vereinheitlicht erfasst wurden. Die Ämter als Wurzeln dieser Erträge konnten bei der Erbauseinandersetzung auf die Funktion der Sicherung der Beteiligung des Nachgeborenen an den Erträgen zurückgestuft werden. Die jetzt abstrahierte Regierungsgewalt wird, publizistisch erfasst, aus dem allgemeinen allen Söhnen des Fürsten gleichmäßig zustehenden Erbrecht ausgeschieden und einer besonderen Erbfolge, der Herrschaftssukzession, die durch die Primogenitur gekennzeichnet ist, zugeordnet. Das Spannungsverhältnis zwischen einer Mehrheit von Erben und einem möglichst vollständig in seiner Integrität zu erhaltenden Nachlassgegenstand, dem Fürstentum, war schlicht aufgelöst. Die Nachgeborenen sind nur noch an den Erträgen beteiligt; allein darauf ist ihr Erbanspruch gerichtet. Diesem Grundgedanken werden die Apanagezahlungen auch mehr oder minder gerecht. Ihre Höhe ist nicht allein am Bedürfnis des Versorgten, sondern auch an der Ertragslage des Fürstentums orientiert. So hatten Gebietserweiterungen, vor allem Anfälle weiterer Fürstentümer, ihre Auswirkung auf die Höhe der Apanage. Auch sind die Versorgungsleistungen an die fürstliche Familie ein auch quotal wesentlicher Ausgabeposten des Fürsten.1238 Die Kammerrechnungen Calenbergs weisen in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts im Schnitt einen Reinertrag von etwa 500.000 Talern auf, davon sind Schuldtilgungen von mindestens 100.000 Talern jährlich abzusetzen. Dem stehen 60.000 bis 70.000 Taler an Handgeldern für die fürstliche Familie, ausgenommen Ernst August selbst, gegenüber. Und gewissermaßen auf eine weitere Grenze seiner Freiheit zur Gestaltung der Sukzessionsordnung stieß der absolute Fürst: sein Herrschafts-, sein Lebensende. Wie sollten seine Anordnungen, gerade solche elementaren, wie diejenigen zur Sukzession, über seinen Tod hinaus Bestand haben? Nach ihm folgte ein anderer, ebenso völlige Gestaltungsfreiheit beanspruchender Regent. Warum sollte dieser sich durch eine testamentarische Verfügung des Antezessors verbunden fühlen? Dieses Problem hatte Ernst August in der zähen und langwierigen Auseinandersetzung mit seinen jeweils zweitgeborenen Söhnen um seine gegenständlich unbeschränkte Primogenitur1238 Zu Haushalt und Finanzen unter Ernst August: O. Schaer; G. Schnath, Geschichte, Bd. 2, S. 337 ff.
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ordnung vor Augen. Diese Perspektive für seine Ordnung ließ ihn seine Söhne zur Eidesleistung drängen – mit mäßigem Erfolg. Auch das 17. Jahrhundert hatte nicht aus „der niemals aufhörenden Suche nach einer wirklichen Dauergarantie“ – wie sie Krause für das Mittelalter beschreibt –1239 herausgefunden. Bei aller Verdichtung transpersonaler Elemente des Herrschaftsverständnisses fehlte es doch noch an dem letzten Schritt, der Erfassung eines überpersönlichen Zurodnungssubjekts oder kurz: des Staates als – juristische – Person. Damit fehlte auch dem Recht der dauerhafte Bezugspunkt. Solange blieb es „bei dem Gegensatz der an die Person gebundenen Vergänglichkeit und der von der Person gelösten Dauer des Rechts“1240 und der in dieses gefassten Sukzessionslösungen.
1239 1240
Dauer, S. 221. Ebd., S. 227.
C. Ergebnisse I. Zäsuren, Kontinuitäten und Wandel in den Bedingungen und der Gestaltung der Herrschaftsnachfolge und -weitergabe im sächsisch-welfischen Raum 1. Zäsursetzung Bei allem Wandel, bei aller Veränderung in der Geschichte der fürstlichen Herrschaft und der Behandlung der Nachfolge vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit ist eine grundlegende Zäsur, ein viele Entwicklungslinien erfassender Bruch hervorzuheben. Diese Wende ist die Geburtsstunde des Grundproblems der Sukzession, des Spannungsverhältnisses zweier kaum zu vereinbarender Ziele in der Gestaltung der Herrschaftsweitergabe: der Wahrung patrimonialer Integrität einerseits und andererseits der Befriedigung der Ansprüche mehrerer Erbberechtigter, die sich zugleich auch als integritätsbefördernde Maßnahme darstellen konnte, und zwar insofern, als, zumindest in Zeiten, da die Ablösung der Erbansprüche die zölibatäre geistliche Laufbahn bedeutete, mehr herrschende Prinzen erhalten bleiben, damit die herrschende Linie in einer stabileren Breite fortgesetzt und so das Risiko ihres Erlöschens verringert werden konnte. In diesem Umbruch entsteht die Konstellation für die Herrschaftsnachfolge, die diese – genauer: ihre Folgen – zu einem zentralen Thema der Geschichte der Fürstenherrschaft in Deutschland werden lässt. Auch in weiterem, allgemeinerem Kontext kennzeichnet dieser synchrone Bruch vieler Kontinuitäten die Verfassungsgeschichte; kaum eine Darstellung mittelalterlicher Herrschaftsordnung weist kein Kapitel zum „Verfassungswandel“ vom Hoch- zum Spätmittelalter auf.1 Beschrieben wird dieser Umbruch aus ganz verschiedenen Perspektiven, mit unterschiedlichen Namen und Chiffrierungen: Staufische Reichsreform, Entstehung der Landesherrschaft oder des – modernen – Territorialstaats, des Flächenstaats und dergleichen mehr. Mit Blick auf die Sukzession wird das Aufkommen der Landesteilungen, überhaupt die Mobilisierung oder Allodialisierung von Herrschaftsrechten beschrieben. Die Feudalisierung der Reichsverfassung wird in diesem Zusammenhang der Sukzessionsbehandlung zumeist nicht erwähnt. Als entscheidend für die Sukzession – eben ihre Grundkonstellation – und damit auch für die äußere Gestalt des Fürstentums haben sich dabei zwei Vorgänge erwiesen: Die Verschmelzung zuvor scheidbarer und geschiedener allodialer, zumeist grundherrlicher und damit verbundener 1 Allgemein etwa R. Sprandel, S. 105 ff.; spezifischer verfassungsgeschichtlich etwa H. Conrad, Bd. 1, S. 309 ff.; konkret landesgeschichtlich etwa E. Schubert, Niedersachsen, S. 593 ff.
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C. Ergebnisse
niedergerichtlicher Rechts- und Besitzpositionen mit herrschaftlichen, gerichtsherrlichen und regalischen Rechten zum einen und die damit einhergehende Formierung der Dynastien, der Adelshäuser aus den überkommenen Familienverbänden zum anderen. Linien eines Geschlechts werden nun gerade an Hand der namensgebenden Burg fassbar; aber auch das wiewohl ein wenig zeitversetzt aufkommende Adelsund Hausrecht ist Indikator dieses Prozesses der Konzentration der Familienstrukturen.2 Nun gewinnt die Dynastie einen unmittelbar fassbaren Einfluss auf die äußere Gestalt der Herrschaftseinheiten; ihre Sukzessionsgestaltung musste unmittelbar auf ihre Herrschaft durchschlagen. Der viel beschriebene Interessensog des Adels, dem die vom Reich herrührende, dort wurzelnde Herrschaftsmacht ausgesetzt war, war nun gewissermaßen an einem ersten Ziel angelangt. Mit der Verschmelzung der beiden Rechtsmassen löste sich der überkommene Komitat auf. Die hochadlige, die fürstliche Familie war nicht mehr bloß begütert im gräflichen Amtsbezirk und/ oder im Herzogssprengel; sie übte nicht mehr Komitatsrechte in Räumen erhöhter Besitzkonzentration aus; die Güter waren nicht mehr lediglich Grundlage der Herrschaft, sie verbanden sich mit dieser, sie verschmolzen: die Verwaltungseinheit Burg war nicht nur Herrschaftsmittel, ihr Bezirk war das Herrschaftssubstrat. Als maßgebliche Ursache wie auch als vornehmster Ausdruck für der neuen, der verdichteten Verfugung der einzelnen Gerechtsame aus den beiden unterschiedlichen Rechtssphären ließ sich die Verwaltungsorganisation, die Zusammenfassung der Verwaltung dieser Rechte in der Hand eines Vogtes beschreiben. Nicht das Erbrecht, sondern diese Verwaltung ist als Ferment der Verschmelzung anzusprechen. Die erbrechtliche Behandlung der in der vogteilichen Verwaltung amalgamierenden Rechtsmasse war lediglich Reaktion auf diese Vorgegebenheit. Eine gesonderte Nachfolge in allodiale Rechte einerseits und gräfliche, vogteiliche, herzogliche und andere in der Rechtssphäre des Reichs wurzelnde Rechtspositionen andererseits nach jeweils eigenen Regeln, wie sie die Erbfallbehandlung im Hochmittelalter bei den sächsischen Adelsfamilien kennzeichnete, war nicht mehr möglich. Genau besehen war den Welfen – die großen sächsischen Adelsgeschlechter, wie vor allem die Billunger, die Brunonen, die Stader, die Northeimer, die Katlenburger, erlebten den Verfassungswandel nicht mehr, sie waren erloschen – eine erbliche Weitergabe desjenigen comitatus, wie er noch bis in das beginnende 12. Jahrhundert hinein zu beschreiben ist, nicht mehr möglich. Als sie, nach 1125 in Sachsen Fuß fassten, war dieser bereits in Auflösung begriffen. Und auch in den sächsischen ducatus; fand vor seiner Zerschlagung im Jahre 1180 nur 2 Dieser Zusammenhang der Konzentration der Herrschaftsstrukturen einerseits und der Familienstrukturen andererseits findet in der Forschungsperspektive ihren Niederschlag: H.-D. Heimann, S. 3, formuliert insoweit: „Die Forschung zum hohen Adel des späten Mittelalters verbindet sich im Unterschied zu den Vorlaufphasen im Hochmittelalter auch methodisch wesentlich mit den Fragen zur Entstehung der Landesherrschaft“. Konkret für die Erforschung der Sukzessionsbehandlung des Hochadels bedeutet dies: Es wird nicht auf die Zeit des Hochmittelalters zurück geschaut; ganz selbstverständlich beginnen H.-D. Heimann und J. Rogge ihre Untersuchungen der Herrschaftsnachfolge bei den wittelsbachischen Rheinpfalzgrafen und bei den Wettinern mit den ersten Teilungen in den Jahren 1255 (Wittelsbacher) und 1263 (Wettiner) und K.-H. Spiess seine Arbeit über den nicht-fürstlichen Hochadel mit Beginn des 13. Jahrhunderts.
I. Bedingungen und Gestaltung der Herrschaftsnachfolge
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einmal eine Nachfolge im Geschlecht der Welfen statt: Heinrich der Löwe folgte seinem Vater Heinrich dem Stolzen, wenngleich nicht nahtlos. Nach diesen Feststellungen muss der Ausdruck, der Begriff, „Landesteilungen“, insbesondere in der Fragestellung nach ihrem Aufkommen, dem etwa nach Willoweit zuvor Hemmnisse, insbesondere dasjenige des Amtscharakters der gräflichen und herzoglichen Würde entgegen gestanden hätten,3 äußerst vorsichtig verwandt werden. Hier wird eine Kontinuität des Teilungsgegenstandes impliziert, die es nicht, wenigstens nicht allerorten – so nicht in Sachsen –, gab. Das überkommene (Stammes-) Herzogtum und die herkömmliche, hochmittelalterliche, Grafschaft als gleichsam zuvor nicht geteilter, aber potentieller Teilungsgegenstand waren verschwunden. Was dann seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts von den Welfen geteilt worden ist, war etwas grundlegend anders Beschaffenes. Herrschaft mag insoweit als das verbindende Glied, als Träger einer Kontinuität zwischen der Nachfolge in den hochmittelalterlichen Komitat bzw. Dukat und der Nachfolge im spätmittelalterlichen Herzogtum Braunschweig-Lüneburg noch taugen. Ihre Auflösung und Einbindung aus der eigenständigen Struktur eines comitatus und ducatus in die gleichermaßen allodial gespeiste Verwaltungsorganisation gerade der Burg ist indes Grundlage, ja Auslöser dessen, was als „Landesteilung“ angesprochen wird.4 Waren beide ursprünglich geschiedenen Arten an Rechten nun insoweit untrennbar miteinander verwoben, dass die Herrschaftsrechte als eigene Rechtsmasse aufgelöst waren, so musste sich doch jede Form der Auseinandersetzung mehrerer Berechtigter am Patrimonium – auch – als Herrschaftsteilung darstellen. Nimmt man in den Blick, dass diese Verschmelzung auch eine „Verherrschaftlichung“ und ganz konkret 1235 eine Feudalisierung des Allodialrechtsbestandes der Welfen, und zwar in toto, bedeutete, musste es nahezu zwangsläufig auch zu einer Umgestaltung der Sukzessionsbehandlung kommen. Mit diesem grundlegenden Bruch, dieser Neuordnung der Verfassung der Herrschaft an der Wende des Hoch- zum Spätmittelalters erscheint auch das Erklärungsmodell eines „Eindringens des Allodialrechts in das Lehnrecht“, ausgelöst oder zumindest begleitet von einem „Funktionsverlust des Lehnswesens“ und zudem eingebunden in einen allgemein fortschreitenden Verfall der Bindungen individueller Verfügungsbefugnis als Auslöser der „Landesteilungen“, überhaupt der Mobilisierung der Herrschaftsordnung (Landwehr) unvereinbar. Es werden nicht ursprünglich lehnrechtliche Rechtspositionen, die zuvor auch als solche behandelt worden waren, unter Bewahrung ihrer Identität nun nach Regeln des Allodialrechts behandelt. Auch bedarf es zur Erklärung der in den Teilungen erkannten Mobilisierung der Herrschaft im Spätmittelalter keines Rückgriffs auf einen wie auch immer gearteten generellen Verfall von Bindungen individueller Verfügungsbefugnis, eben auch über das Allod. Zum einen ließ sich ein solcher Verfall vom Hoch- zum Spätmittelalter für die sächsisch-welfischen Verhältnisse nicht darstellen; das wesentliche Bindungsinstitut des Beispruchrechts wurde offensichtlich nicht zurückgedrängt. Zum anderen 3
Art. „Landesteilung“, HRG 2, Sp. 1417. In Anbetracht des völlig unscharfen Begriffs „Land“ sollte ohnehin eher von „Herrschaftsteilung im Erbfall“ oder „Erbteilung an Herrschaft“ gesprochen werden. 4
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C. Ergebnisse
waren die Allodia längst „mobil“; sie wurden im Erbfall real nach Köpfen geteilt, nachdem auch die Töchter im Falle der Heirat ihren Anteil an der Substanz erhalten hatten; sie waren Gegenstand des Rechtsverkehrs unter Lebenden und das – darauf deutet die Streulage hin – schon im 10. und 11. Jahrhundert. Nun durch die Verschmelzung von Allod einerseits und Lehen, Regalien und anderen Herrschaftspositionen andererseits entstand für den Erbfall das Spannungsverhältnis von Integritätswahrung und Beteiligung Mehrerer am Nachlass, der bei den Welfen umfassend mit einem Lehnsnexus belegt war. Seit 1235 verfügten sie im Grunde nur über feudale Rechtspositionen, die in einem ducatus zusammengefasst waren und für die insofern das reichsrechtliche und auch den Rechtsbüchern zu entnehmende Teilungsverbot Geltung beanspruchen konnte. Aber auch das adlige Haus konnte nicht auf eine breite Teilung des väterlichen Erbes, auf eine kleinteilige Zersplitterung des Patrimoniums aus sein. Und so stellt sich die Sukzessionspraxis der Welfen nach der 1235 urkundlich niedergelegten Verschmelzung ihres Allods und ihres Herzogtums keineswegs als vollständige Allodialisierung der Herrschaftsnachfolge, als eine allein den überkommenen Regeln der Allodialteilung gehorchende Nachlassbehandlung dar. Die Bewältigung der Erbfälle nach 1235, gerade auch die Teilungen von 1267 bis zum Lüneburger Erbfolgekrieg, spiegelt diese zwei Wurzeln der Nachlassbestandteile, die sich insoweit überlagernden Rechtsstoffkreise wider. Gewissermaßen bilden die zur Sukzessionsbewältigung niedergelegten hausrechtlichen Bestimmungen eine Synthese allodialer und feudaler Erbgrundsätze: Zwar wird beispielsweise 1267 das herzogliche Patrimonium in zwei Herrschaften (dominia) zerlegt; das Substrat herzoglicher Herrschaft wird geteilt, eine allodial anmutende Maßnahme. Jedoch wurde die Stadt Braunschweig, von der her sich die teilenden Fürsten nennen sollten, mit der also der Reichsstand verknüpft wurde, ungeteilt in Gemeinschaft belassen; eine Gemeinschaft, die bis 1671 zwischen den wechselnden Linien des Welfenhauses Bestand hatte. Hier schimmert das gleichsam qualifizierte Teilungsverbot des ronkalischen Lehnsgesetzes Friedrichs I. von 1158 durch: Herzogtümer (sowie Markgrafschaften und Grafschaften) durften nicht, andere Lehen hingegen durften geteilt werden. Zugleich ist der Gemeinschaftserhalt gerade an Braunschweig auch einer Erklärung aus überkommenen Stammsitzvorstellungen zugänglich. Für diese Wurzel spricht zudem, dass etwa auch bei der weiteren Verzweigung der Welfen nach dem Tode Albrechts des Großen in der Teilung von 1288/91 Duderstadt in Gemeinschaft belassen worden ist. Demgegenüber verwundert es, warum nicht gerade in der Allodialteilung von 1202 Braunschweig eine besondere Behandlung erfahren hat; Zentrum welfischer Herrschaft und Gedenkens war die Stadt zu diesem Zeitpunkt ganz eindeutig. Ein weiterer Indikator für das Walten von Rechtsvorstellungen, die aus dem feudalen Bereich stammten, ist der Ausschluss der Töchter, die seit alters her nicht zur Lehnsnachfolge berufen waren, von einer Beteiligung an der Substanz des Patrimoniums. Sie werden bei der Heirat nicht mehr mit väterlichen Liegenschaften ausgestattet; ihr Brautschatz besteht nun allein in Geldzahlungen. Als ein Kennzeichen aufkommender dynastischer Räson ist die Verengung der Zahl der zur Erbfolge berufenen Söhne mittels Bestimmung der
I. Bedingungen und Gestaltung der Herrschaftsnachfolge
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anderen Söhne zur geistlichen Laufbahn anzusprechen, das ebenfalls die Erbfälle seit 1267 prägt.
2. Optionen und Schemata welfischer Erbfallbehandlung Wie in der chronologisch geordneten Untersuchung deutlich geworden ist, haben die Welfen den situativen Vorgegebenheiten, der Problemkonstellation sowie den jeweiligen Möglichkeiten, dem zur Verfügung stehenden Instrumentarium, entsprechend verschiedene Lösungen für die Herrschaftsweitergabe entwickelt und genutzt. Diese lassen sich in folgendem Grundschema erfassen, das insofern nicht spezifisch ist, als mit ihm auch heutige Erbfälle unter Privaten abgebildet werden könnten. Danach sind drei Phasen der Erbfallbehandlung zu unterscheiden: (1) eine vorbereitende – der Fürst und/oder weitere Dynasten, vor allem seine Söhne, treffen Verfügungen im Hinblick auf den späteren Erbfall; (2) der Zeitabschnitt unmittelbar nach dem Erbfall, dem Anfall der Erbschaft an die Erbengemeinschaft – ein Zeitraum, in dem regelmäßig zunächst keine oder nur vorläufige Bestimmungen zur Zuordnung des Nachlasses zur Gemeinschaft und vor allem zur Verfügungsbefugnis daran getroffen werden; und schließlich (3) die abschließende, auf Dauerhaftigkeit angelegte Verteilung des Nachlasses, sei sie teilender, sei sie gemeinschaftserhaltender Art, vielfach in Gestalt eines mehraktigen Regelungswerks. In die erste Phase fiel die ganz regelmäßig durch alle untersuchten Jahrhunderte hindurch zu beobachtende Verengung des Kreises der zur Erb- und Nachfolge Berufenen durch die Bestimmung einiger Söhne für die geistliche Laufbahn. Die Bischofsstühle Bremen, Halberstadt, Minden, Osnabrück, Verden und – bei aller Zwistigkeit zwischen diesem Stift und den Welfen – auch Hildesheim dienten den Welfen bis zum dreißigjährigen Krieg zur Versorgung von der Nachfolge ausgeschlossener Prinzen. Ein genaues Muster, wie viele und welche Söhne dem einen und dem anderen Stand zugewiesen wurden, ist nicht zu ermitteln gewesen. Diese Zuweisung konnte auch eine lediglich vorläufige sein; so gab es auch Prinzen, die die Standesgrenze wiederholt überschritten. Die Zuweisung von Herrschaftsteilen, von bestimmten Schlössern, an einen oder mehrere der Söhne noch zu Lebzeiten des Vaters (etwa 1314, 1315, 1447) hat sich nicht als Abschichtung des Empfängers im Sinne einer vorweggenommenen Erbregelung, einer antizipierten Erbauseinandersetzung, einer auf Dauer angelegten Zuordnung ebendieses Nachlassbestandteils zu dem Sohn erweisen lassen. Vielmehr dienten diese temporären Absonderungen der Versorgung des Sohnes; sie waren gewissermaßen eine Unterhaltsleistung. Zugleich aber konnte die Ungeduld des Sohnes zu regieren gemildert und die Verwaltung eines oder mehrerer Schlösser gleichsam geübt werden. Ein weiteres Motiv zur Übertragung von Herrschaftsteilen oder -aufgaben vom Vater auf den Sohn konnte die Herrschaftsunlust sein, wie sie gerade Friedrich den Frommen, den so langlebigen Lüneburger Herzog des 15. Jahrhunderts plagte und auch seinen Zeitgenossen Wilhelm dem Älteren von Braunschweig und Calenberg und Otto (Cocles) von Göttingen nicht fremd gewesen ist.
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C. Ergebnisse
Nach dem Tod des Fürsten fiel in aller Regel, sofern nicht nur ein einziger weltlicher Sohn den Vater überlebte, das Patrimonium, die Herrschaft, an eine Gemeinschaft. Die damit begründete zweite Phase war zumeist eine zeitlich begrenzte. Diese ganz von allein entstandene gesamthänderisch verbundene Erbengemeinschaft war grundsätzlich auf Auseinandersetzung, jedenfalls auf eine endgültige Regelung der Zuordnung angelegt. Jedoch blieb die Gemeinschaft vielfach über Jahre hinweg bestehen. Der Erbfall zur Teilung von 1267/69 fiel in das Jahr 1252, derjenige zur Teilung von 1288/91 in das Jahr 1279, derjenige zur Teilung von 1345 in das Jahr 1318. In einem Fall sogar blieb die Erbengemeinschaft ohne ausdrückliche Verabredung ungeregelt bestehen: Die Söhne Ottos des Strengen von Lüneburg, der 1330 gestorben war, blieben ungeteilt im Patrimonium bis sie 1352 bzw. 1369 starben. In der ungeteilten Erbengemeinschaft führte regelmäßig der älteste Sohn die Regierung auch im Namen seiner jüngeren, oft noch minderjährigen Brüder, ohne dass diese Kompetenzverteilung besonders verabredet worden war. Lediglich aus dem Jahre 1286 ist für eine Zeit, in der die Tendenz durchaus auf Teilung gerichtet war, der Gemeinschaftserhalt also kaum Dauerhaftigkeit beanspruchen konnte, ein Zeugnis ausdrücklicher Befugniszuweisung zwischen Brüdern überliefert. Das Ende dieser wenigstens ex post sich als Schwebezustand darstellenden zweiten Phase wurde in der Regel durch Streit zwischen den Gesamthändern, das Erreichen der Volljährigkeit eines bisher untergeordneten Mitregenten oder durch Heirat eines der Brüder eingeläutet. Einer dieser Umstände gab zumeist den Anlass, das Patrimonium im Einzelnen individuell zuzuordnen. Damit ist die dritte Phase erreicht: Die grundsätzlich auf Dauer angelegte, jedenfalls zumeist schriftlich vereinbarte Zuordnung der Nachlassbestandteile zu den Erben.5 Diese Zuordnung bewegte sich – gemessen am konkreten Zuordnungsobjekt oder ebenso gut: an der Tiefe des Einschnitts – zwischen den Formen der Realteilung6, über die Nutzungsteilung7, den Gemeinschaftserhalt8, über die Abteilung9 bis hin zur Alleinregierung und -inhaberschaft eines Erben unter Übernahme der Versorgung der anderen, von der Nachlassbeteiligung Ausgeschlossenen.10 Gerade die Optierung in dieser dritten Phase unterlag einem steten Wandel, der in den einzelnen Linien keineswegs synchron verlief. Die Stationen dieser für die äußere Gestalt des Fürstentums maßgeblichen Entwicklung markieren die Epochen der Versachlichung der Herrschaft. Maß und Form der Auseinandersetzung sind Zeichen der erreichten Stabilität 5 Ob eine Vereinbarung Dauerhaftigkeit erreichte, lässt sich freilich nur in der Rückschau aussagen. Es wurden auf ewig versprochene Vereinigungen zerlegt, so 1428 die Vereinigung von 1415; auch wurden Teilungen zumindest modifiziert, ohne dass ein erneuter Erbfall Anlass dazu bot, so nach der Teilung von 1428 in den Jahren 1431 und 1432. 6 So: 1267/9, 1288/91, 1322/5, 1345, 1409, 1428, 1431, 1432, 1495. 7 So: 1481 und 1483. 8 So: 1441, wohl auch 1402. 9 So: 1527, 1539, 1560, 1569, 1592, 1667. 10 So: 1535 (Primogenitur), 1611 (Seniorat) sowie die testamentarischen Verfügungen von 1582, 1641, 1682 und 1688.
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und mithin Versachlichung, die den jeweiligen Herrschaftseinheiten beigemessen wurde. Stück für Stück entzogen sich Teile des Patrimoniums der Verfügbarkeit der Dynasten im Erbfall. In etwa markieren die Kapiteleinteilungen der Untersuchung die wesentlichen Übergänge dieser Entwicklung zunehmender Transpersonalität. Herauszuheben ist insoweit, dass bereits um 1400 eine gewisse Resistenz gegen die Zerlegung von Herrschaftseinheiten im Kern erreicht war. Eigen ist allen welfischen Erbauseinandersetzungen seit 1267, dass eine Form von Gemeinschaft erhalten blieb, dass die Erbengemeinschaft nicht restlos aufgehoben wurde. In den Fällen der verabredeten Regimentsgemeinschaft oder der bloßen Nutzungsteilung liegt dies auf der Hand. Aber auch bei den Realteilungen wurde durchweg eine Rechtsposition, zumeist Rechte an oder in der Stadt Braunschweig, in Gemeinschaft belassen. Dieses Gemeinschaftsgut ist das Band, das die auseinanderdriftenden Linien zusammenhalten sollte. Vor allem aber steht es für eine lehnrechtliche Aussage: Es ist nicht, eben restlos, geteilt worden; die Gesamthand am Lehen besteht fort. Nur diese Gesamthand konnte das gegenseitige Anwachsungsrecht, ein die Teilung überdauerndes Nachfolgerecht auch der Kollateralen, sichern. Dieser Art Schutz vor dem Heimfall abgeteilter Lehen, deren Linie erlosch, trauten die Welfen aber schon vor dem Lüneburger Erbfolgestreit, in dem gerade diese Frage, ob das welfische Lehen geteilt worden war, im Mittelpunkt stand, nicht mehr. Zur Sicherung gegenseitiger Erbfolge wurden Erbverbrüderungen errichtet, zunächst noch zeitlich unverbunden mit der Erbauseinandersetzung, dann aber seit 1345 in diesen oder im Zusammenhang mit diesen Vertragswerken.11 Bei aller Auseinandersetzung der Dynasten, bei all ihrem Streben nach individueller Teilhabe und Befugnis an der Herrschaft und ihren Bestandteilen ist ein Bewusstsein für den Bezugsrahmen, die Grenzen dieses Trachtens nicht zu übersehen: Die Dynastie. Dieser Rahmen wurde nicht verlassen und nach außen, vor allem zum Reich hin, geschützt.12 Die Außengrenze der Mobilität bildeten gewissermaßen die Außenmauern des Welfenhauses. Dieses wurde als Sukzessionsgemeinschaft begriffen und von Anfang an auch so behandelt. Substanziellen Schutz erfuhr diese Gemeinschaft dadurch, dass die jeweiligen aktuellen Beteiligungs- oder die Anwartschaftsrechte ein Beispruch- oder Näherrecht erzeugten, sei es – das ließ sich nicht mit letzter Gewissheit klären –, dass allein schon die Verbundenheit in der Gesamthand oder wechselseitiger Anwartschaft dieses Schutzrecht erzeugte, sei es, dass dieses erst durch die regelmäßig erfolgte Verabredung begründet wurde.
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Eine weitreichende Sicherung der Kollateralerbfolge, ein starker Schutz gegen jede Heimfallgefahr blieb Episode: Die völlige Wiederherstellung der Gemeinschaft, die Vereinigung gesonderter Länder 1394 und 1415. Diese Gestaltungsformen dürften auf die Erfahrungen des Lüneburger Erbfolgestreits zurückzuführen sein. 12 Die dieser Feststellung entgegenstehenden Erbverbrüderungen mit anderen Dynastien (1381 zwischen Otto dem Quaden von Göttingen und dem Landgrafen von Hessen in Form eines wechselseitigen Verkaufs; 1389 zwischen den Lüneburger und askanischen Herzögen) waren Randerscheinungen, die auf die enge Beziehung Göttingens nach Hessen und die besondere Situation am Ende des Lüneburger Erbfolgekonflikts zurückzuführen sind.
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Dieses Instrumentarium bilateraler, allenfalls multilateraler Beziehungen in von Erbfall zu Erbfall sich immer undurchsichtiger verschränkenden Erbverbrüderungen und -verschreibungen, von immer weiter verschachtelten Gemeinschaften an Gemeinschaftsgütern mit immer schwieriger zu berechnenden Quoten als Grundlage und Sicherung der gegenseitigen Sukzessionsrechte wurde seit Beginn des 15. Jahrhundert begleitet und seit Ende des Jahrhunderts abgelöst von einer wieder bewusst feudal begründeten Sukzessionsgemeinschaft im Gesamtlehen und daneben in der Gesamthuldigung. In einer grundlegenden Neuordnung des Verhältnisses der beiden welfischen Hauptlinien Lüneburg und Braunschweig-Wolfenbüttel verbunden mit „Calenberg“ wurde 1442 dieser additiv-rechtsgeschäftlich begründeten Verfugung der Sukzessionsgemeinschaft Gesamthaus eine ausdrückliche Absage erteilt, wenngleich erst 1495 gänzlich allein auf das neue Instrumentarium vertraut wurde. Nicht auf mehrseitigen Einzelbeziehungen, sondern auf der Aufnahme in das Gesamtlehen begründete sich Erbrecht der Seitenverwandten, gesichert durch den gleichsam antizipierten Vollzug der Nachfolge, den Empfang einer Samthuldigung. Das Neue daran war, dass hier zwei schon lange zuvor bekannte Institute bewusst eingesetzt, instrumentalisiert wurden. Zunächst erfassten die empfangenen Samtlehen, den ihrem Empfang zu Grunde liegenden, genetisch den Erbverbrüderungen erwachsenen Verabredungen entsprechend, nur Ausschnitte des welfischen Gesamthauses; Grubenhagen war an der Gestaltung der Nachfolge in anderen Linien und Fürstentümern über Jahrhunderte nicht beteiligt. Erst 1570 fanden schließlich alle welfischen Zweige in einem Gesamtlehen zusammen. Indes begründete der Verbund im Samtlehen keine Sukzessionsordnung im Sinne gestufter Berechtigungen am Nachlass dereinst erlöschender Linien des Hauses. Wie die Auseinandersetzungen um die Verlassenschaften der 1598 erloschenen Grubenhagener Linie und vor allem auch des 1634 ausgehenden mittleren Hauses Braunschweig zeigen, steckte der Gesamtlehnsverband den Kreis der grundsätzlich Sukzessionsberechtigten, nicht aber eine Rangfolge unter ihnen ab. 3. Stationen der Versachlichung fürstlicher Herrschaft Bei aller Vorsicht, in den Prozess der Versachlichung von Herrschaft, der letztlich wenigstens Teil der Entwicklung des modernen Staates ist, keine unangemessene Dynamik, Gradlinigkeit und Teleologie hinein zu projizieren,13 lässt sich doch rückschauend in der Sukzessionsbehandlung eine wiewohl mal beschleunigte, mal gemächliche, jedoch stetige Abnahme personaler, patrimonialer Determination der äußeren Gestalt der Herrschaft, der Gestaltung der Herrschaftseinheiten feststellen. Das personale Moment der Teilung, überhaupt individueller Verfügbarkeit der Herrschaft, das Otto Hintze unter dem Begriff des „Feudalismus“ gefasst einer verdinglichten Herrschaft zuordnet und der versachlichten Herrschaft gegenüberstellt,14 wird zunehmend eingegrenzt und zurückgedrängt. Hintze hat den Prozess der Transpersonalisie13 14
Davor warnt insbesondere J. Kunisch, Staatsbildung, S. 64, 71. Wesen, S. 14, 84 ff.
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rung vor allem auf die Ausübung der Herrschaft bezogen, jedoch werden gerade auch in der formalen Frage ihrer Zuordnung zum Subjekt der Herrschaft und der damit einhergehenden äußeren Gestalt der Herrschaftseinheit die zunehmend transpersonalen Züge deutlich. In das Patrimonium des Fürsten werden gewissermaßen Mauern eingezogen; in ihm bilden sich unteilbare Einheiten; Atome, deren Gestalt wenigstens in ihrem Kern nicht mehr dem Willen des Inhabers unterliegt. Sie sind gewissermaßen damit sogar gedanklich aus dem Patrimonium auszugliedern, und zwar insofern, als nur noch die Position des Inhabers dort verbleibt. Das Pendel zwischen den beiden Polen, deren Spannung die Sukzessionsgeschichte prägt, Streben nach Einheit auf der einen, Notwendigkeit der Verteilung auf der anderen Seite, schwingt langsam stärker Richtung Einheit aus. Von Anfang an teilten die Welfen das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg bzw. die Lande innerhalb dessen nicht hemmungslos. Sie zogen der individuellen Verfügungsbefugnis Grenzen. Sie legten sich Beschränkungen in der Verfügung über die Herrschaft auf, indem sie Töchter gänzlich von der Beteiligung an ihr ausschlossen, die Söhne nicht alle zur Nachfolge kommen ließen und bei jeder Erbteilung ein Band der Gemeinschaft erhielten, also die Herrschaft nicht restlos individualisierten. Jedoch lassen sich diese genannten Schranken der Mobilität noch nicht dem Prozess der Versachlichung der Herrschaft zuordnen. Sie haften nicht dieser selbst, genauer: ihrem Substrat, an. Nicht die Herrschaft versachlicht; nicht die Herrschaftseinheit wird sperrig gegen die Teilung. Vielmehr setzen die Regeln allein beim Subjekt an. Insofern mag man vielleicht von einer Versachlichung der Dynastie sprechen. Die Beschränkungen der Teilung bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts sind allein der dynastischen Räson, der Zersplitterung von Erbe und Herrschaft sowie, insofern kongruent mit lehnrechtlichen Normvorgaben, dem Heimfall abgesonderter Herrschaftsteile an den König als Lehnsherrn vorzubeugen, geschuldet. Es war nicht festzustellen, dass die Welfen in dieser Zeit bei ihren Teilungen, in der Art, wo sie die Schnitte ansetzten, andere Rücksichten als diejenige der Praktikabilität walten ließen. Die Schnittlinie zwischen Braunschweig und Lüneburg 1267 war bei diesem bipolaren Herzogtum geradezu vorgegeben. Die Teilung von 1345 orientierte sich an den Zentren Braunschweig und Göttingen. Eine „ausgeprägte Leitidee“, unter der die Dynastie agierte, eine „normative Klammer“, mit der die Gemeinschaft der Dynasten ideell überhöht worden wäre, wie sie Jörg Rogge für die Zeit bis etwa 1300 auch bei den Wettinern nicht ausmachen konnte,15 fehlte den Welfen bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Nun findet, angestoßen durch die aufziehenden Unbilden des Lüneburger Erbfolgekonflikts, das Ziel der Herrschaftsintegrität, das Postulat der Unteilbarkeit Eingang in die Sukzessionsbehandlung, in die hausrechtlichen Regelungen. 1355 wird erstmals die Unteilbarkeit der Herrschaft unter einem Seniorat verabredet. Damit wird zugleich das zentrale Problem hausrechtlicher Bestimmungen der nächsten Jahrhunderte begründet: Die aus dem Anspruch der Normativität erwachsende Frage der Sicherung von Kontinui15
S. 362.
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tät und Stabilität. Unteilbarkeit ist ein Versprechen, das immer wieder, das dauerhaft einzulösen ist. Es ist in die Zukunft gerichtet, und zwar als Attributierung, als Eigenschaft dessen, was unteilbar sein soll. Damit zieht eine normative Aussage, eine vom Anspruch her an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten gerichtete Aussage in die hausrechtlichen Regelungen ein. Deutlich weisen seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, zunächst noch vereinzelt, die Hausrechtsurkunden auf ein über den unmittelbaren Regelungsgegenstand hinausreichendes Ziel hin: vppe dat we Vrede vnde rowe maken vsen vndersaten in vser Herschop vnde se bi endracht vnde bi eren be holden na vseme dode, heißt es in der Arenga der Urkunde von 1355 und Vppe dat we vns vnse Land Stede vnd Ludhe Geistlik vnd werltlik vnser herschop to Brunsw. by gnaden Eren vn werdecheit beholden vnd eyndrechticheit der suluen vnser Lande Stedhe vnd lude maken, dann 1374. Im 15. Jahrhundert ist dann eine Formel vorherrschend, die fürstlichen wie gemeinen Nutzen gleichermaßen umfasst; beispielsweise heißt es in der Arenga der Urkunde zu 1415: vns, vnsern Eruen, Landen vnde Luden to Nutte vnde to Fromen. Auch die Erbverbrüderungen enthalten Abmachungen, die erst in ungewisser Zukunft zum Tragen kommen, einzulösen sind. Anders als diese aber ist die Norm der Unteilbarkeit nicht schon genetisch mit einem subjektiven Interesse verknüpft. Ihren zunächst nur subsidiären Erbanspruch wird dereinst im Falle des Erlöschens der einen Linie die andere, die erbverbrüderte Linie schon anmelden. Wer aber pocht auf die Unteilbarkeit der Herrschaft, wenn diese in Gefahr gerät? Das Reich hatte sich in dem vorausgegangenen Jahrhundert als untauglicher Träger dieses Interesses erwiesen. Dies war die Stunde der Stände. Sie waren das geeignete Zuordnungssubjekt für die Idee der Unteilbarkeit. Auch schon zuvor waren Räte, Berater, Vorformen ständischer Organisation, hausrechtlicher Regelung beigezogen worden. Nun aber tritt die Sukzessionsbehandlung unmittelbar in Kommunikation mit einer hausexternen Größe. Den Ständen wird die Unteilbarkeit versprochen. Ständisches Wirken war dabei kaum auf Eigeninitiative gegründet darzustellen. Vielmehr trat der Fürst auf „die Stände“ zu und schuf sich und der Dynastie das Kontinuität und Stabilität hausrechtlicher Aussagen und Abmachungen gewährleistende Gremium. Der 1415 geschaffene Rat aus 25 Rittern wird mit einer Widerstandspflicht gegen zukünftige Teilungen ausgestattet. Dieses Gremium, dieses Gegenüber musste außerhalb der Dynastie verankert sein, um dynastieinternen Verabredungen Stabilität verleihen zu können. Und die Unteilbarkeit blieb nicht allein Idee und Appell. Einschnitte in zuvor niemals geteilte Herrschaftseinheiten, die es ohnehin nur dreimal im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg gegeben hat (1267/9, 1291, 1322/37), waren nicht mehr zu beobachten, wiewohl sich gerade zu Beginn des 15. Jahrhunderts die individuelle Zuordnung der Herrschaft entgegen aller Beteuerung der Jahre 1394 und 1415 letztlich immer wieder, und zwar 1409, 1428, 1431 und 1432, durchsetzte. Und dabei steht das Erreichen einer Ertragsgerechtigkeit im Vordergrund des dynastischen Handelns. Dennoch wurden Herrschaftseinheiten voneinander gesondert, die zuvor schon einmal selbstständig waren oder die aus Neuerwerbungen geschaffen wurden (1432 „Ca-
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lenberg“). Im Übrigen ist das 15. Jahrhundert gekennzeichnet von einer grundlegenden Stabilisierung der Fürstentümer, wie sie durch den Ausbau einer zentralen Verwaltungsorganisation, der Residenzen, der Landschaft, insbesondere der Verstetigung der Steuer zu beschreiben war. Hier bestätigte sich, was Ernst Schubert als „Arbeitshypothese“ formuliert hat, dass der Fürstenstaat des 16. Jahrhunderts von seinen Vorläufern eine im 15. Jahrhundert verfestigte territoriale Konsistenz geerbt habe.16 Die zunehmend korporierten Stände wirken nun aktiv bei der Herrschaftsweitergabe mit. 1432 verwehrt sich die Stadt Braunschweig gegen eine Teilung des gleichnamigen Landes. 1457 und 1471 erscheinen die Lüneburger Stände, hier als Vormundschaftsverein handelnd, nahezu als Träger der Landesherrschaft. Diese Verdichtung von Herrschaft, die sich auch als Abstraktion der Herrschaft von ihren kleinräumigen Substraten, den Ämtern, begreifen ließe, schlägt sich auch in ihrer sprachlichen Erfassung in den hausrechtlichen Regelungen nieder: Sie wird sprachlich verdichteter, vielfach mit dem Wort Regiment wiedergegeben; weniger, wie in den Urkunden zuvor, als Zusammensetzung ihrer einzelnen Bestandteile und Befugnisse, nun eher insofern umgekehrt, als dass diese aus jener folgen oder wenigstens ihre Aufzählung eher der Erläuterung der Herrschaft dienen. Diese sprachlich verdichtete Herrschaftserfassung bringt eine Verschiebung der Vorstellung von ihrem Gegenstand, ihrem Bezugspunkt zum Ausdruck: Die Personenverbandsherrschaft tritt – wieder – deutlicher hervor. Die Herrschaft vor allem über die Stände rückt in den Mittelpunkt ihrer Beschreibung. Das Regiment geht über die Befugnisse aus den einzelnen von der Herrschaft umfassten, in die Ämter eingeschmolzenen Rechtstitel hinaus, ist mehr als nur deren Summe, deren Abstraktion von den örtlichen Realien. Besonders deutlich tritt dieser Wandel der Herrschaftsauffassung in der Beschreibung dessen, was Friedrich 1457 seinen Söhnen als Herrschaft übergibt, hervor. Er hat zine prelaten mannen und Stade und alle zine undersaten an seine Söhne gewiesen, Regiments wyse zick na uns to richttende. Schon in dem Scheinkauf von 1433 werden als Teil des Kaufgegenstandes, der sich im Übrigen aus Fürstendom, Herscoppe, Grauescoppe und Frige Herscoppe zusammensetzt, die Redderscoppe und die Mannscoppe angeführt. Zugleich ist es auch nicht nur eine gleichsam „nach unten“, im Lande nicht unmittelbar wirksame, allein aus dem Reichsstand erwachsene fürstliche Würde. Das Regiment ist durchaus materialisiert. Ein signifikantes Beispiel dafür bot die Mutschierung von 1483: Dem gemeinsam verbleibenden Regiment wird die Landbede zugeordnet. Sie ist der über die in Ämter gefassten Befugnisse hinausgehende landesweite Rechtsund Einkunftstitel. Der vorläufige Höhepunkt dieses Versachlichungsprozesses wird im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel mit der Einführung der Primogenitur erreicht. Barsch zwingt sie Heinrich seinem Bruder Wilhelm auf. Lüneburg hingegen – so möchte man aus einer final auf den modernen Staat gerichteten, modernen Sicht werten – zaudert; die Herzöge dort gehen behutsamer miteinander um. Die familiäre Konstellation, eine dem Wolfenbütteler Heinrich entsprechende Persönlichkeit fehlte hier. Auf 16
Fürstliche Herrschaft, S. 107.
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Grundlage einer fassbaren, auch materialen (Landessteuer-)Zentralgewalt schritten die in Celle residierenden Lüneburger Herzöge des 16. Jahrhunderts zur Abteilung erst Harburgs (1527), dann Gifhorns (1539) und schließlich Dannenbergs (1569). Die Zentralgewalt ließ man unangetastet. Als ein einheitsstiftendes Moment konnte gerade für die Sukzessionsbehandlung im Fürstentum Lüneburg des 16. Jahrhunderts die Schuldenlast ausgemacht werden. Die Nachfolge im Regiment, in der Hauptlinie schien in Anbetracht der damit verbundenen Übernahme der Schulden weniger attraktiv als ein schuldenfreies Abfindungsgebiet, auch ohne fürstliche Herrschaftsrechte. Gleichwohl blieb auch im 16. und auch noch im 17. Jahrhundert die Realteilung der Herrschaft, die Erfüllung des Erbanspruchs eines Dynasten mit Herrschaftsteilen noch eine, wenngleich nur noch theoretische, Option. Wilhelm hatte 1523 von seinem Bruder Heinrich Teilung oder zumindest Gemeinschaft an der Herrschaft in Wolfenbüttel gefordert. 1592 bestand Heinrich von Dannenberg gegenüber der Celler Hauptlinie auf einer gleichmäßigen Teilung oder wenigstens ansehnlichen Anzahl an Ämtern und dergleichen Herrschaftseinheiten mehr. Und sein Sohn August der Jüngere verlangte in der Auseinandersetzung des Nachlasses der 1634 erloschenen Wolfenbütteler Linie zwar primär das Ganze, allerdings, wenn dieses nicht zu erreichen wäre, wenigstens eine Teilung der Erbschaft nach Köpfen. Und dennoch, dies waren die letzten erblich bedingten Angriffe auf die Integrität welfischer Fürstentümer. Im 16. Jahrhundert war deren Unteilbarkeit praktisch erreicht. Es waren die einzelnen Fürstentümer, die versachlicht waren. Deren Regimenter wurden als Einheit erfasst. Ein Hintergrund war die Ausrichtung des Regiments auf ein Ziel, das nicht im fürstlichen Eigennutz allein, sondern in einem diesen und das Land als verbundene Wirkungseinheit erfassenden Nutzen bestand, wie es die Arengen der Hausrechtsurkunden seit dem beginnenden 15. Jahrhundert kundtun. Eine zunehmend deutlichere Unterscheidung zwischen Regierung einerseits und (Privat-) Gütern andererseits, wie sie etwa das Räsonnement des Calenberger Vizekanzlers Ludolf Hugo prägte, bildete das theoretische Rüstzeug zur Einheitswahrung an der Herrschaft. Positivrechtlich konnte überdies auf die aus dem Lehnrecht entwickelte Regalienlehre zurückgegriffen werden: Das Fürstentum war ein feudum regalium oder umfasste zumindest die feuda regalia und war insofern unteilbar. Dem entsprachen die Aufnahme welfischer Lehnsfolge in die Reichsmatrikel seit 1422 und die welfischen Stimmen im Reichsfürstenrat. Nicht das welfische Gesamthaus, sondern die einzelnen Fürstentümer waren hier maßgeblich. Indes konnte die Beteiligung an der Reichsverfassung von der Person des einzelnen Fürsten abgelöst und mit dem Senium des Gesamthauses verbunden werden (1636). Gewissermaßen unterhalb dieses theoretischen und verfassungsrechtlichen Rasters konstituierte sich die Stabilität des Fürstentums in der Verwaltungsorganisation, vor allem im fürstlichen Hof, aber auch im 17. Jahrhundert noch durch die grundsätzlich auf das Fürstentum bezogenen Landschaften. Das 15. und das 16. Jahrhundert stellten sich als Blütezeit ständischer Bedeutung für eine zunehmend transpersonale Herrschaftsauffassung dar. 1536 und
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1539 wurden nicht nur die nicht regierenden Dynasten, sondern auch der Lüneburger Herzog auf den Empfang eines der Höhe nach mit der Landschaft vereinbarten Handgelds gesetzt. In diesem Zusammenhang der ständischen Mitsprache bei den Landesfinanzen, in der Steuerfrage, steht auch eine gewissermaßen der dargestellten Richtung der Versachlichung der Herrschaft, nämlich deren Absonderung von der Person des Fürsten und seiner Dynastie weg, gegenläufige Emanzipationsbewegung: Die Person des Fürsten löste sich ihrerseits von den Herrschaftsstrukturen ab. Es wurde eine allein ihr zugeordnete Vermögensmasse, die Schatullkasse gebildet.17 Damit war der Anfang zur Erfassung des Fürsten als „Privatperson“ gemacht – mit der Folge, dass die allgemeine Landeskasse, die Rentkammer, einen „öffentlichen“Anstrich erhalten musste. Aber auch für das 17. Jahrhundert, für eine Zeit allgemein attestierter Macht- und Bedeutungsverlustes, konnte ein ständisches Wirken an der Versachlichung der Herrschaft, zu ihrer Unteilbarkeit festgestellt werden. Als 1636 der Dannenberger August der Jüngere in Wolfenbüttel und der Spross der Celler Hauptlinie Georg in Calenberg die Herrschaft antraten, versicherten sie den jeweiligen Landschaften, eine dauerhafte Singularsukzession mit entsprechender Unteilbarkeit der Fürstentümer. Insoweit mochten die neuen Regenten auf ein auch artikuliertes ständisches Interesse Rücksicht genommen haben. Ihr Handeln scheint aber, in Anbetracht der ständischen Schwäche, dieses Interesse gegebenenfalls auch gegen fürstlichen Widerstand durchzusetzen, ebenso auf ein fürstliches Eigeninteresse hinzuweisen, zu dessen Verwirklichung die Stände notwendig waren. Die Landschaften dienten hier, wie schon ihre Vorläufer zu Zeiten des Lüneburger Erbfolgestreits, gewissermaßen als „Projektionsfläche“ fürstlichen Handelns. Ihrer bedurfte es zu dessen Einschränkung und zugleich dazu, diesem Handeln und Wirken Dauerhaftigkeit zu bescheiden. Die Theorie erfasste dieses Modell des „zweiten Standbeins“, der Stütze außerhalb der dynastischen Sphäre und Verfügbarkeit, in der Lehre von den leges fundamentales: Vertragscharakter als Voraussetzung für eine Verfassungswirkung.18 Ein sicherer Indikator dafür, dass die Versachlichung der Herrschaft, die Entwicklung transpersonaler Herrschaftsauffassung noch lange nicht zum Abschluss gekommen war, das Fürstentum sich nicht zu einem von der Person des Fürsten und seiner Dynastie abgelösten und von dem Fürsten lediglich repräsentierten Subjekt entwickelt hatte, war die Behandlung der Haftung des Nachfolgers für die Schulden des Vorgängers. Die dafür gefundene Lösung verharrte noch lange in den Überleitungsnormen des (feudalen) Erbrechts. So formulierte zwar der Helmstedter Professor und spätere Calenberger Kanzler Johann Stucke schon 1636 eine Zuordnungssubjektivität des Fürstentums, doch löste dieser Gedanke noch Ende des 18. Jahrhunderts bloß Spott bei dem Historiographen Hannovers Ludwig Timotheus Spittler aus. 17
Erstmals 1539 im Fürstentum Lüneburg. Zur Verfassungsqualität der leges fundamentales und deren Voraussetzungen vor allem H. Mohnhaupt, S. 9 ff. 18
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Genau besehen war dieser Versachlichungsprozess, der sich im Bezugsrahmen des Fürstentums vollzog, zu Beginn des 17. Jahrhunderts abgeschlossen. Der Absolutismus bedeutete, anders als Georg Schnath es konstatiert, keinen Rückfall in Zeiten freier individueller Verfügbarkeit von Herrschaft. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden von der Dynastie weithin stabile Herrschaftseinheiten verschoben. Ein Gebot, diese landschaftlich, überhaupt institutionell sowie lehnrechtlich konstituierten Einheiten nicht auseinander zu nehmen und immer wieder neu zusammen zu setzen, ist auch retrospektiv nicht zu ermitteln gewesen. Diese Verschiebbarkeit der Einheiten erwies sich vielmehr als eine über Generationen wesentliche dynastische Handlungsmöglichkeit, ja Handlungsnotwendigkeit, um Ansprüche mehrerer Söhne oder Agnaten befriedigen, überhaupt auch zulassen zu können, um so die Blüte eines Zweiges des Hauses auf mehr als ein Gleis zu stellen. Diese dynastische Verfügungsmöglichkeit – oder aus Sicht der Söhne und Agnaten: Herrschaftsperspektive mehrerer – zu beseitigen, daran machte sich Ernst August. Sein Ziel war es, die einzelnen gefestigten Herrschaftseinheiten zu einer Gesamteinheit zu verschmelzen, territoriale Einheit in patrimoniale zu überführen. Damit überstieg sein Integritätsstreben – erstmals – das lehnrechtlich und ständisch vorgegebene. Er überholte die Landschaft gleichsam, so dass 1693 die Lüneburger Stände sogar ihre Eigenständigkeit für den bevorstehenden Fall der Vereinigung mit Calenberg einforderten. Dieses Werk der Vereinigung seines gesamten Herrschaftsbestandes unter einer patrimonialen Primogeniturordnung durch Ernst August diente in besonderem Maße dem dynastischen Interesse des splendor familiae; die Einheit war Grundlage der Kurwürde, die Hannover 1692 erlangte.
II. Längsschnitte: Dynastie – Reich – Stände – Hausrecht 1. Dynastie „Die Biologie gestaltet den Fürstenstaat“19 – in seiner äußeren Form. Die Gestalt der fürstlichen Familie, ihr Blühen und Erlöschen in einzelnen Zweigen oder im Ganzen ist im Wortsinne maßgeblich für die fürstliche Herrschaft, das Fürstentum. Sie, die Dynastie, bildet den Rahmen, in dem die fürstliche Herrschaft vererbt wird. Sie ist das dauerhafte Zuordnungssubjekt der Herrschaft – hinter dem zeitigen Inhaber, dem einzelnen Fürsten. Es sind welfische Lande, die mit der vorliegenden Arbeit betrachtet wurden. Sinnfälliger Ausdruck dieser Berechtigung einer Personenmehrheit, der Familie, zumindest am Substrat der Herrschaft ist das Institut des Beispruchrechts, mit dem bis ins 17. Jahrhundert – und auch darüber hinaus – die fürstliche Hand umfasst war, und zwar nicht nur, wenngleich vornehmlich, soweit sie Güter zu vergeben trachtete.20 19
E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 24. Noch im 19. Jahrhundert bezogen sich welfische Herrscher auf die – vorangegangene – Verletzung ihrer Zustimmungsrechte bei der von ihnen so bewerteten Preisgabe herrschaftlicher 20
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Im 12. Jahrhundert hatten sich aus den Familienverbänden Dynastenhäuser entwickelt – einhergehend mit der Verschmelzung von familiär gebundenem Erbgut und feudalen und regalischen, zumeist gerichtsherrlichen Herrschaftsrechten. Herrschaft und Herrschergeschlecht kristallisierten um den Stammsitz, die Herrenburg. Beide verleihen einander wechselseitig Dauerhaftigkeit, Bestandskraft. Die Urkunde zur Teilung von 1267/9 bringt diesen Bezug zum Ausdruck im Gemeinschaftserhalt der teilenden Brüder an der Stadt Braunschweig. Diese Feste war zugleich Kern des welfischen Reichslehens, die Grundlage ihrer fürstlichen Würde (de ea debent principes nominari). In ihr konzentrierten sich die Stellung im Reichsgefüge und die dynastische Verbundenheit, die eben auch und gerade im gemeinsamen Lehen ihren Ausdruck und Halt fand. Und dieses Lehen ist bei den Welfen sogar nach kaiserlichem Ausspruch, de jure, familiär, war es doch an eine breit gefasste Nachkommenschaft, an die Söhne und die Töchter gleichermaßen zu vererben (ad heredes suos filios et filias hereditarie devolvendum). Lehen und welfisch-dynastisches Patrimonium waren eins. Alles Vermögen welfischer Fürsten war nach 1235 vom Lehnsnexus erfasst. Was er erwarb, wurde ungeachtet des Erwerbsgrundes und -tatbestandes streng genommen sogleich feudal. Deutlich wird diese patrimoniale Ausfüllung des Feudums, diese tatsächliche Kongruenz beider Vermögenskategorien beim Erlöschen einzelner Zweige des Welfenhauses: der Nachlass des letzten Sprosses der Linie taugt grundsätzlich, in toto als eröffnetes Lehen behandelt zu werden. Dies realisierte sich nach dem Tode Wilhelms von Lüneburg 1369 und drohte nach dem Tode Friedrich Ulrichs von Wolfenbüttel 1634. Erst im 16. Jahrhundert begann sich diese Kongruenz aufzulösen: die, wenngleich praktisch unbedeutsame Kategorie der Allodialerben tritt in das Bewusstsein der fürstlichen Räte;21 ein fürstliches „Privatvermögen“, später Schatulle genannt, spaltete sich von der zentralen (Rent-)Kammer des Landes.22 Und die Dynastie hatte ihre Regeln – aus dem allodialen Bereich – für die Behandlung der Sukzession, für die Zuordnung der Herrschaft nach dem Tod des Herrschers, wie auch für die Dispositionsfreiheit des Fürsten, in das spätmittelalterliche Fürstentum mit eingebracht. Diese althergebrachten Institute – zu nennen sind hier GanerbRechte durch die Einführung von Verfassungen. Das auch weit über die Grenzen der welfischen Lande bekanntere Beispiel gipfelte in der Aufhebung des Staatsgrundgesetzes des Königreichs Hannover von 1833 durch König Ernst August im Jahre 1837, was die berühmte Reaktion der Göttinger Sieben hervorrief. Aber auch Herzog Karl II. von Braunschweig hatte schon zuvor die Verletzung seiner Agnatenrechte bei – genauer: durch – Erlass der Verfassung in seinem Lande gegen diese eingewandt. Die Rechtsfrage, ob und inwieweit der zeitige Inhaber der Herrschaft der Zustimmung der Agnaten, besonders des Kronprinzen, zum Erlass einer Verfassung bedürfe, wurde nun nach 1837 lebhaft literarisch, gutachterlich, aber auch etwa in der Bundesversammlung erörtert. Im tatsächlichen Ergebnis hielt in Braunschweig die Verfassung stand, in Hannover nicht. Siehe zu alledem nur: E. R. Huber, Bd. 2, S. 53 ff., 91 ff. 21 Nach dem Erlöschen der Calenberger Linie 1584 wartete der Wolfenbütteler Lehnserbe dieser Lande, Herzog Julius, Jahr und Tag darauf, dass sich ein Allodialerbe melde. Er meldete sich nicht. Im Akzidenzvertrag von 1636 finden die LandtErben Erwähnung. 22 Erstmals 1539 im Fürstentum Lüneburg.
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schaft und Erbverbrüderung, Gesamthand und Beispruchrecht – waren für die äußere Gestalt des Fürstentums, überhaupt für die Stabilität spätmittelalterlicher Herrschaftseinheiten bestimmend. Die Biologie gibt die Gestalt fürstlicher Herrschaft vor, ausgestaltet werden ihre Vorgaben durch das Familienrecht. Zentrale Figur des rechtlich gefassten Familienbewusstseins war die – dynastische – (Rechts-)Gemeinschaft an der Substanz der Herrschaft. Sie war vielfach der tatsächliche Ausgangspunkt wie auch immer wieder Zielpunkt dynastischen Gestaltens der Herrschaftseinheiten im Spätmittelalter. Im wesentlichen ließen sich zwei Formen der Gemeinschaft aus den hausrechtlichen Zeugnissen herausschälen: Die gesamthänderisch verbundene Mit-, Ganerbengemeinschaft einerseits, die zum einen ohne Verabredung in dem Falle, dass eine Mehrheit von Erben vorhanden war, oder aber durch eine auf ihren Erhalt oder (Wieder-)Herstellung gerichtete Vereinbarung zu entstehen bzw. gesichert zu werden vermochte, und andererseits die nicht gesamthänderisch verbundene aus einer Erbverbrüderung erwachsene Gemeinschaft von Erbanwartschaftern. Beide Gemeinschaften erzeugten aktuelle oder anwartschaftliche Rechtsstellungen an den Positionen der Herrschaft, die durch ein Beispruchrecht, später auch nur Näherrecht, auszuüben bzw. gesichert waren. Bei der aktuellen Rechtsgemeinschaft bedurfte es der besonderen Zuweisung von Herrschaftskompetenzen an den – eben infolgedessen – regierenden Fürsten. So betrachtet, erwiesen sich die Regelungen der Dispositionsbefugnis in den hausrechtlichen Urkunden dieser gesamthänderisch verbundenen Gemeinschaften weniger als Verfügungsbeschränkung denn als abgestufte Zuweisung der Befugnisse. Entscheidend aber ist: die Herrschaft des Fürsten war ihm – um eine scholastische Unterscheidung zu bemühen – zur Ausübung, aber nicht der Substanz nach individuell zugeordnet. Substanziell war die Herrschaft in einer Gemeinschaft – genauer: in Gemeinschaften – eingebunden, mindestens in diejenige, die aus dem Herrscher und seiner unmittelbaren Deszendenz bestand. Darüber hinaus variierten die Einbindungen wenigstens ihrem Ausmaß nach, je nachdem welche Gemeinschaft(en) diese engere Familiengemeinschaft überwölbte. Gemeinschaft auf Subjektseite war der aus einzelnen Rechtspositionen bestehenden spätmittelalterlichen Fürstenherrschaft als Einbindungsrahmen vorgegeben. Zugleich aber war sie – gerade deshalb – auch ein Instrument der Sicherung ihrer Einheiten auf Objektsseite. Gemeinschaft verhinderte oder beschränkte die individuelle Verfügungsmacht, die den Bestand der gemeinschaftlich verbundenen Rechtspositionen gefährden konnte. Die Gemeinschaft, ihr Erhalt wie ihre Bildung, war das wesentliche Instrument dynastisch-hausrechtlichen Handelns bis weit ins 15. Jahrhundert hinein. Wie konzentrische Kreise legten sich die Gemeinschaften um den einzelnen Fürsten. Den weitesten Rahmen, zugleich die Außengrenzen des Welfenhauses markierend, spannte nach 1267 die dynastische Gemeinschaft an der urbs Brunswich. Davon umwölbt befand sich das zunehmend dichtere und undurchsichtige Netz von Erbverbrüderungen mit seinen darin begründeten Gemeinschaften von Erbanwartschaftern. Eine engere Schicht bildeten schließlich die „geborenen“ und „gekorenen“ Gemeinschaften aktuell berechtigter, kollateraler, Gesamthänder sowie die vertikale Gemeinschaft mit den wartenden Deszendenten.
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Die Idee der Herstellung von Gemeinschaft, von aktueller Rechtsgemeinschaft stand gerade kurz nach dem Lüneburger Erbfolgekrieg an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert hoch im Kurs dynastischer Politik zur Sicherung der Kollateralfolge. Immer wieder versuchten die Brüder Friedrich, Bernhard und Heinrich, die beiden großen welfischen Lande wieder zusammenzuführen. Doch ohne Erfolg – zu stark war das Streben der Herzöge nach Eigenständigkeit ausgeprägt. Die Erbverbrüderung von 1414 betonte von daher weniger die Gemeinschaft als vielmehr die Selbstständigkeit beider Herzöge in ihren Herrschaften. Vor allem fehlte es bis Mitte des 15. Jahrhunderts offensichtlich an einer Vorstellung für eine Ordnung des Gesamthauses. Einen Wendepunkt bildet hier das umfangreiche Vertragswerk von 1442, das die Eigenschaft der Teillinien betont und ein Verständnis des Gesamthauses als bloßen Sukzessionsrahmen, als eine Gemeinschaft subsidiär erbberechtigter Linien einläutet. Nach und nach wurden die Erbverbrüderungsgemeinschaften durch die Gemeinschaft an Samtlehen und Samthuldigung verdrängt. Die einzelnen Linien achteten bis zum Eintritt des vom Samtlehen umfassten Sukzessionsfalls auf Unabhängigkeit von ihren welfischen Seitenverwandten. Auch das Verhältnis der Dynastie zum Fürstentum änderte sich. Indes ist dies keine innerdynastische Entwicklung, sondern Zeichen einer Versachlichung der fürstlichen Herrschaft, der Ablösung des Fürstentums von seinem Zuordnungssubjekt durch zunehmende Eigenfiguration in Folge und Form von Institutionalisierung; Residenz, Rat und Stände sind hier als Stichworte zu nennen. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kann man sagen, dass mitunter ein Fürst oder eine Linie mehr als ein Fürstentum innehatte. So stellt sich etwa die Erbauseinandersetzung von 1495 gleichsam als Verschiebung von Fürstentümern dar. Patrimonium und Fürstentum waren nun keineswegs mehr eins. Die vorgenannten dynastischen (Rechts-)Gemeinschaften an der Substanz der Herrschaft setzte sich indes zu keiner Zeit aus allen – lehnsfähigen – Familienmitgliedern zusammen; diese verteilten sich nicht restlos auf die verschieden geschichteten Gemeinschaften. Von Anfang an trachtete die Familie auf Aussonderung von Söhnen, von Teilhabern an den gemeinschaftlichen Rechtspositionen, und versorgte sie gegen entsprechenden Erbverzicht mit einem geistlichen Amt. Späterhin wurde die grundsätzliche Gleichmäßigkeit der Rechtsbeziehungen der einzelnen Dynasten zur Herrschaft aufgelöst: Im Zuge der Verbreitung des Primogeniturgrundsatzes wurde das subjektive Recht der Erben gegenständlich eingeschränkt: Hinsichtlich des Substrats des Regiments entfaltete es keinesfalls die gleiche Kraft, wie auf die Erträge bezogen. Die zunehmende Unterscheidung von Regiment und Ertrag ermöglichte, das grundlegende Spannungsverhältnis der fürstlichen Sukzession – ein Fürstentum auf der einen, mehrere Erben auf der anderen Seite – aufzulösen. Daraus ergibt sich folgender Aufbau des Verhältnisses von Dynastie und Fürstentum: Den weitesten Rahmen spannt das Gesamthaus; es ist ein feudistisch ausgestalteter Sukzessionsverband, dem zudem die Wahrnehmung einiger der Beteiligungsrechte am Reich zugewiesen ist. In diesem Rahmen werden die welfischen Rechtspositionen vererbt. Gleichsam
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von diesem umwölbt befinden sich die einzelnen Fürstentümer, verkörpert und verfestigt durch Landeshoheit, insbesondere auch bezogen auf die Landschaft. Sie sind einzelnen Linien zugeordnet und in sich unteilbar. In der Tendenz versucht die Linie, die ihr zugeordnete Mehrheiten von Regimentern zu einem einheitlichen zu verschmelzen. Davon scheidbar sind die Erträge des Fürstentums, diese sind einer weithin gleichmäßigen Erbberechtigung der einzelnen Dynasten ausgesetzt.
2. König und Reich Die Beziehung der welfischen Herrschaft zu König und Reich war durch das Lehnswesen geprägt. Diese Einbindung der Fürstenmacht in das Lehnsgeflecht des Reiches erwies sich über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg als wirkungsmächtiger Faktor auch und gerade auf die Vorstellungen der handelnden Dynasten. Der Lehnsnexus erfuhr mal mehr, mal weniger Beachtung in der Sukzessionsbehandlung, zeigte sich aber im Ganzen als eine in ihrer Bedeutung nur geringem Wandel ausgesetzte Konstante. Immer wieder neu belebt wurde die de jure ja weitgehend unveränderte feudale Bindung an den König. Dass die Lehnsbindung nach 1235 alle Bestandteile des welfischen Patrimoniums gleichermaßen umfasste, ließ sich an der königlichen Behandlung des Nachlasses Wilhelms von Lüneburg 1355 aufzeigen: Alles, was der söhnelose Herzog besaß, wurde eventualiter an die Askanier verliehen. Diese vollständige Durchfeudalisierung welfischer Rechtspositionen entfaltete allerdings hinsichtlich der Verfügungen unter Lebenden keine spürbare Bindungswirkung. Entgegen den eindeutigen Aussagen des Lehnrechts, veräußerten die Herzöge Herrschaftsteile. Beispiele boten die umfangreichen Veräußerungen Heinrichs von Grubenhagen in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts zu Gunsten der Mainzer Kirche sowie diejenigen der Lüneburger Herzöge Otto und Friedrich hundert Jahre später zu Gunsten des Bischofs von Hildesheim. Ein eigeninitiatives königliches Eingreifen stand hier nicht zu befürchten; kein einziges Mal hatte der König von sich aus etwas gegen solche Alienationen unternommen. Gegen die Verfügungen zu Gunsten der Hildesheimer Kirche hatte der in seinen Näherrechten verletzte Braunschweiger Herzog Wilhelm vor dem König geklagt, so dass dessen Pfalzgraf daraufhin den Ständen in den betroffenen Gebietsteilen die Huldigung des Hildesheimer Erwerbers verbot (1435). Eine spezifisch lehnrechtliche Grundlage dieser Entscheidung ist neben der allodial- wie hausrechtlichen Grundlage des agnatischen Beispruchrechts nicht erkennbar. Bei ihren Verfügungen im Erbfall nahmen die Welfen auf das Lehnrecht deutlich mehr Rücksicht. Dessen Teilungsverbot wurde – wenngleich in der welfischen Interpretation, eine reale Gemeinschaft lediglich an der Stadt Braunschweig zu erhalten – beachtet, um so der aus der Teilung der Gesamthand erwachsenden Gefahr des Heimfalls des abgeteilten Lehns vorzubeugen. Und dies taten sie aus gutem Grund, wie sich nach 1355 im Lüneburger Erbfolgestreit zeigen sollte. Das Erlöschen einer Linie barg
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die Gefahr, ein königliches Begehren auf Einziehung und Neuausgabe der Verlassenschaft an Dynastiefremde zu wecken. Allerdings war keineswegs ein klarer Leitfaden königlichen Strebens und Handelns hier zu erkennen. Offenbar bedurfte es besonderer politischer Konstellationen dafür, dass die Heimfallgefahr konkret wurde. Nur im Fall des Erlöschens des alten Hauses Lüneburg, sein letzter Vertreter Wilhelm starb 1369, und nach dem söhnelosen Tod des letzten Sprosses des mittleren Hauses Braunschweig 1634 schaltete sich der König aktiv in das Geschehen ein. Im Fall Lüneburg verfolgte der König eigene Ziele mit der Förderung der Askanier. Der Fall Wolfenbüttel, in dem der König lediglich nach der Erklärung der Eröffnung des Lehens die Sequestration der Fürstentümer Wolfenbüttel und Calenberg androhte, fällt in die Wirren des dreißigjährigen Kriegs. Durchgesetzt hat sich der König in keinem Fall. Seine subjektiven Rechte aus dem Lehnsverhältnis nahm der König kaum wahr; als Lehnsherr – so könnte man sagen – blieb er blass. Wurde er in einer Frage der Teilung zur Entscheidung angerufen, gründete er diese, wie für das Jahr 1435 aufzuzeigen war, kaum auf das Fundament der Lehnsbeziehung, seiner daraus erwachsenden Kompetenz als Lehnsherr. Vielmehr trat er als Richter auf, der den Maßstab seiner Entscheidung ebenso gut im Hausrecht und der Nützlichkeit fand. Dauerhafter und wirkungsmächtiger war eine andere Rolle von König und Reich, die sich vielleicht als reflexiv bezeichnen ließe: Das Reich diente als Garant, seine Verfassung diente als Rahmen, das Lehnrecht als Instrument welfischer Erbregelungen. Der Lehnsnexus, die Vasallenstellung der welfischen Dynasten war das verbindende Element, das wohl wesentlichste Konstitut des dynastischen Zusammenhalts. Zunehmend bewusst wird das Lehnsverhältnis zum Reich als taugliches Mittel zu diesem Zweck erkannt und eingesetzt. Angestoßen, wie so viele Entwicklungen in der Sukzessionsbehandlung, durch den Lüneburger Erbfolgekonflikt, war hier bahnbrechend die Vereinbarung von 1414, in der erstmals der Samtlehnsempfang als Mittel zur Sicherung der kollateralen Erbfolge eingesetzt wird, bis 1570 alle welfischen Linien im Gesamtlehen verbunden waren. Ein weiteres im Verhältnis des Fürsten zum Reich wurzelndes, in seiner Bedeutsamkeit für spätere Auseinandersetzungen um den Nachlass erloschener Zweige der Familie indes erheblich gegenüber der Verbindung im Samtlehen zurücktretendes Instrument der Stabilisierung der Hausrechtsregelungen war die confirmatio caesarea, die kaiserliche Bestätigung für die gefundene hausrechtliche Vereinbarung, wie sie seit 1535 regelmäßig eingeholt wurde. 3. Stände Obschon nicht unvergleichbar, dennoch anders, vor allem weit vielschichtiger stellt sich die Rolle der Stände in der Sukzessionsbehandlung, in der fortschreitenden Versachlichung fürstlicher Herrschaft dar. Im Unterschied zu König und Reich waren die Stände viel direkter vom Herrscherwechsel betroffen. Die Großen im Lande, die Ritter, die Prälaten und die Städte, erhielten im Sukzessionsfalle einen neuen Herrn
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oder neue Herren zugeordnet. Sie standen auf der Seite der Objekte der Herrschaftsverteilung nach dem Tod des Fürsten. Zugleich aber traten die Stände, zunächst die Mannschaft und besonders die Städte, späterhin auch die Prälaten, überdies als Subjekt, als Träger subjektiver Rechte dem Landesherrn entgegen, und zwar gerade im Zusammenhang mit der Sukzessionsgestaltung. Sie waren zur Huldigung berufen; ihnen oblag das Anerkenntnis des neuen Herrschers, der Lösung des Nachfolgeproblems. Von manscap und lenes weghene geleistete Eide, die edhe, lovede, huldeginge der Städte (1345) mussten dem neuen Herrscher zugeordnet werden. Dieser musste ihnen, gerade den Städten, im Gegenzug dafür ihre Privilegien zu sichern versprechen. Und ein weiterer Unterschied zur Rolle des Reichs in der Fürstensukzession macht eine verdichtende Beschreibung ständischen Wirkens schwierig: Die Stände waren dem Fürsten nicht vorgegeben. Die aufkommende Landesherrschaft, um einen klassischen verfassungsgeschichtlichen Begriff hier zu verwenden, traf nicht auf eine ausgebildete, verfasste Landschaft. Das Reich und seine – bei aller insoweit etwa von Reynolds in jüngerer Zeit geäußerten Skepsis – lehnrechtlichen Strukturen, lehnrechtlich ausgebildeten Rechtsverhältnisse zwischen dem König und den Großen im Reich, waren bei allem Wandel eine dem Fürsten vorgegebene Verfassungsgröße. Die Stände mussten sich hingegen in ihrer korporierten Erscheinungsform erst herausbilden – eine Entwicklung, die vor allem vom Fürsten selbst betrieben wurde. Niemand würde für das 13. Jahrhundert etwa von verfassten Ständen, gar einer landständischen Verfassung sprechen, schon gar nicht mit Blick auf die welfischen Lande. Freilich gab es zu dieser Zeit schon Ritter, Lehnsleute des Fürsten, gab es Prälaten, gab es Städte, gab es Große im Lande. Von Landständen, das heißt einem Zusammenschluss von Adel, Geistlichkeit und Städten, lässt sich indes innerhalb des Untersuchungszeitraums – in Ansätzen – erst im ausgehenden 15. Jahrhundert sprechen, als etwa 1457 und 1471 alle drei Lüneburger Stände ihrem herrschaftsmüden Herzog Friedrich (dem Frommen) gemeinsam handelnd gegenübertraten, ihn gar in die Pflicht nahmen. Im 14. Jahrhundert waren selbst die einzelnen Stände in sich nicht geeint, waren keine verfasste Korporation, keine Handlungseinheit. Ständisches Handeln zu Zeiten des Lüneburger Erbfolgestreits war teils das Handeln lokal verbundener Ritterschaften und teils das Handeln ständischer Großer aus verschiedenen welfischen Herrschaften. Erst in der Vereinigung der Stände konnte sich ein integrativer teilungshemmender Faktor entwickeln. Indes ist dieser Verbindungsprozess, die Korporierung der Landschaft, nicht nur bezogen auf den Fürsten, das Fürstentum – sei dieser Bezug unterstützender, sei er oppositioneller Natur –; er war vom Fürsten vielfach initiiert und vorangetrieben. Der Fürst benötigte Adel, Klerus und Städte „angesichts der administrativen Unfertigkeit des so genannten Territorialstaates“.23 Er brauchte sie, um eine Steuer durchzusetzen, wenngleich sich gerade die wichtigsten und größten welfischen Städte, Braunschweig und Lüneburg, im 15. Jahrhundert etwa der Einbindung in eine landständische Verantwortung verschlossen. Und vor 23
E. Schubert, Grundprobleme, S. 207.
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allem: Er braucht die Stände zur Stabilisierung seiner Herrschaft in ihrer äußeren Gestalt über seinen Tod hinaus, zur Sicherung der äußeren Geschlossenheit und Integrität der Herrschaft – oder kürzer: zur Überwindung von Teilung und Alienation von Herrschaft. Wie seit einigen Jahrzehnten die Ständegeschichte im allgemeinen in Abkehr von überkommenen Darstellungen nicht mehr vornehmlich aus den Krisensituationen, den teils spektakulären Momenten ständischer Opposition gegen fürstliches Handeln beschrieben und bewertet wird,24 ist auch in der welfischen Sukzessionsgeschichte ständischer Widerstand, gar gänzlich eigeninitiativer, nicht das vorherrschende Bild; er ist seltene Ausnahme. Kennzeichnend war vielmehr die Mitwirkung der Stände an fürstlich-dynastischen Plänen zur Sukzessionsgestaltung. Widerstand wird allenfalls sichtbar in den sehr raren Fällen der Huldigungsverweigerung von Ständen. Zu nennen sind hier allein vier: Im Zuge des Lüneburger Erbfolgekonflikts musste Herzog Magnus die Stadt Lüneburg 1370 schon gewaltsam zwingen, ihm – ein zweites Mal – zu huldigen. Indes richtete sich der Widerstand der Lüneburger nicht gegen Teilungspläne des Herzogs; die Integrität des Fürstentums Lüneburg oder, personal formuliert, des Patrimoniums des letzten Vertreters des alten Hauses Lüneburg, Herzog Wilhelms, war nicht Streitgegenstand des Erbfolgekonflikts. Vielmehr befanden sich die Städte Lüneburg und Hannover in der ambivalenten Position, vor zwei Huldigungsmöglichkeiten zu stehen, oder eben einer Konkurrenz zweier Huldigungsansprüche ausgesetzt zu sein. Sie konnten, aber sie mussten auch wählen, wem sie huldigen. Aus ihrer Sicht positiv: Es eröffneten sich Perspektiven auf Gegenleistungen, also Privilegien. Andererseits musste jede Wahl auch eine Absage an die Gegenseite sein und damit Unruhe und Gewalt heraufbeschwören. Sinnfällig wird in dieser Zuspitzung der welfisch-askanischen Konkurrenz um die Herrschaft Lüneburg auf die Huldigung durch die Städte Lüneburg und Hannover, wie sehr diese beiden Zentren, gerade Lüneburg als wirtschaftliches Schwergewicht des Landes, als Teil das Ganze vertreten. Schon kurz vor dem Erbfolgestreit zeichnete sich diese Präponderanz des Huldigungsentscheids der Städte ab, als Herzog Wilhelm 1354 eine Reihe von Schlössern verpfändete und die Pfandnehmer die Einhaltung des Vertrages gegenüber Wilhelm, seinen Nachkommen und, für den absehbaren Fall, dass er keinen Erben hinterließe, demjenigen, den die Städte Lüneburg und Hannover als ihren Herrn anerkennen würden, beschworen. Im Übrigen ist das ständische Wirken im Lüneburger Erbfolgestreit von dem Streben nach Streitbeilegung, nach Vermittlung geprägt. Dabei zeigte sich, dass die Stände im Falle eigeninitiativen Handelns noch weit entfernt waren von einer auf das Land bezogenen Einheit. Das brunnersche Schlagwort „die Stände sind das Land“ findet hier keinen Halt. In kleineren örtlichen Verbindungen, allenfalls im Goverband zusammengeschlossene Ritterschaften, aber auch größere Zusammenschlüsse von Adeligen zum einen und gemeinsam handelnde einzelne, herausragende Vertreter, indes aus verschiedenen Herrschaften, Lüneburg und Braunschweig, beratschlagten aktiv 24
Zu dieser Abkehr E. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 97.
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und vermittelten zwischen den Parteien des Konflikts. Als Träger eines Landesinteresses, als Vertreter eines Landes, seiner Bewohner, erschienen die Stände hier nicht. Auch die beiden weiteren Fälle einer Huldigungsablehnung sind gekennzeichnet von dem Streben der Stände nach Ruhe und Berechenbarkeit, der Vermeidung von Reibung und Konflikt in Folge einer Nachfolgelösung, besonders der Vermeidung, zwischen die Fronten zweier Sukzessionsprätendenten zu geraten: Die Göttinger Stände wehrten sich dagegen, dass die Nachfolge in ihrem Land nach Erlöschen der angestammten Linie 1463 nicht – endlich – zwischen den um dieses konkurrierenden Zweigen Braunschweig und Lüneburg dauerhaft (so 1491) oder zwischen zwei Generationen eindeutig (so 1498) geregelt wurde und dementsprechend immer wiederkehrende Unklarheiten und Huldigungsverlangen von verschiedenen Seiten her zu besorgen waren. Nur in einem der vier Fälle ließ sich einständisches Opponieren gegen fürstlichdynastisches Teilungsansinnen den hausrechtlichen Urkunden entlocken: In dem Teilbrief von 1432 wird den Bürgern zu Braunschweig die vorerwähnte Sorge vor einer weiteren Teilung des Landes Braunschweig zugeschrieben. Diesen schmalen Befund ständischen Widerspruchs gegen Teilungsbestrebungen der welfischen Herzöge führt Schubert in einem Vergleich zu den Verhältnissen in Bayern auf einen unterschiedlich ausgebildeten Repräsentationsgedanken zurück.25 Es leuchtet ein, dass dort mehr ständischer Widerstand gegen Teilungen des Landes zu erwarten ist, wo die Stände über die gesamte Fläche des Landes zusammengeschlossen waren und sich mehr oder minder deutlich als dessen Repräsentanten verstanden, wo Teilung des Landes daher auch Teilung der Stände bedeutete, als dort, wo nicht einmal die einzelnen Stände in sich zusammengefunden hatten. Und von dort her wird der magere Widerstand welfischer Stände gegen die „Landesteilungen“ auch einer Beurteilung zugänglich. „Landesteilungen“ und ständischer Zusammenschluss fallen in den welfischen Landen zeitlich auseinander. Die Räume, auf die sich ständische Vereinigung und ständisches Zusammenwirken bezog, wurden nicht – mehr – geteilt. Als die Stände im 15. Jahrhundert sich im Rahmen einer Herrschaftseinheit, durch, gegen und für den herrschenden Fürsten, zu gemeinsamem Handeln zusammengefunden hatten, war die Zeit der Teilungen solcher Herrschaftseinheiten bereits beendet. In „ständische Einheiten“ wurde im welfischen Herrschaftsraum nicht mehr eingeschnitten. Die Objekte, die in „Landesteilungen“ des 15. Jahrhunderts zerlegt wurden, etwa 1409, 1428 und 1495, wurden nicht von zusammengeschlossenen Landständen repräsentiert. Es wurden deshalb keine Stände zerteilt. 1432 bleibt das einzige Beispiel, in dem sich wenigstens ein Stand gegen das weitere Abstechen von Rändern seines Wirkungsraums verwahrte; es ist die Ausnahme. Die Stadt Braunschweig wehrte sich dagegen, dass in das „Land zu Braunschweig“ eingeschnitten werde – mit der Folge, dass vornehmlich nur anderweitige Besitzungen der Braunschweiger Linie zur Schaffung eines, dann zwischen Deister und Leine gelegenen Herrschaftsbereichs für Wilhelm verwandt werden konnten. 25
Grundprobleme, S. 207.
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Gegen Herrschaftsteilung, gegen die Individualisierung zuvor zur gesamten Hand unter den Brüdern gehaltener Herrschaft wandten sich die Braunschweiger Bürger nicht; diese betraf sie nicht. Betroffen waren ihre Interessen nur insoweit, als „ihr Land“ in seiner Integrität gefährdet war. In den anderen Fällen traf dynastisches Teilungsbestreben in den Ständen nicht auf einen natürlichen Widersacher, da deren Außengrenzen fortan Beachtung fanden. Weit deutlicher als von Opposition ist die Rolle der Stände in der Geschichte der Sukzessionsbewältigung geprägt von einem Miteinander von Fürst und Ständen. Dabei kommt den Ständen in diesem wechselseitigen Bezug aufeinander zunächst eine gewissermaßen reflexive, reagierende Position zu; sie erscheinen als Instrument fürstlich-dynastischen Wollens und Handelns, so besonders im 14. und beginnenden 15. Jahrhundert. Zunehmend, wenngleich nicht in allen welfischen Herrschaften gleichmäßig fassbar – Lüneburg bietet hier die klarsten Zeugnisse –, traten die Stände seit dem 15., vor allem im 16. Jahrhundert aus dieser medialen Rolle heraus und wurden zu einer handelnden, teils gar federführenden Instanz in Fragen der Sukzession. Die instrumentale, reflexive Funktion der Stände: Sie sind Empfänger des fürstlichen Unteilbarkeitsversprechen; ganz unmittelbar 1367, als Magnus II. den Lüneburger Ständen die Unteilbarkeit des „Landes Braunschweig und Lüneburg“ versprach; aber auch mittelbar, wenn in vereinigenden, die Einheit der Herrschaft für die Zukunft reklamierenden hausrechtlichen Vereinbarungen ein Einbezug der Stände, ihre Beteiligung am Vertragsschluss erheblich weiter reichte, als bei den auf Teilung ausgerichteten Verträgen. Dieser letztgenannte Vertragstyp weist allenfalls den formelhaften Hinweis auf den Rat der Prälaten, Mannschaft und Städte (Beispiel: 6. Juli 1388) oder gar nur der Getreuen (Beispiele: 1409, 1428, 1495) auf. Bei der Erbauseinandersetzung von 1345 lassen die wechselseitigen Teilungsrezesse keine Beteiligung ständischer Gremien erkennen, die anschließende Erbverbrüderung ist zumindest mit witscap unnde rade use man zustande gekommen. Die auf Abgrenzung gerichtete Urkunde vom 6. Juli 1388 lässt die drei Stände nur als Ratgeber erkennen, nachdem diese eine Woche zuvor noch als Vertragsparteien die brüderliche Gemeinschaft an der Herrschaft Lüneburg mitgestaltet hatten. Nicht dass die Stände dem Fürsten das Unteilbarkeitsversprechen abgerungen, abgetrotzt hätten, vielmehr hatte dieser es an sie herangetragen. Sie dienten ihm als „archimedischer Punkt“ seiner, oder im Falle der Beteiligung mehrerer Dynasten: ihrer, (Selbst-)Verpflichtung Statik zu verleihen. Der Fürst, der wie Magnus II. im Jahre 1367 um die Anerkennung seines Anspruchs, über das Fürstentum Lüneburg zu herrschen, rang – im Innern (Huldigung), wie auch im Hinblick darauf, dass der Konflikt längst keine, ja überhaupt nie eine Landes-, eine allein innerwelfische Angelegenheit war, im ganzen Reich – musste Verbindlichkeit für sein Sukzessionsmodell erzeugen. Ebenso mussten paktierende Brüder oder Vettern für die Zeit nach ihrem Tod Vorsorge für den Bestand ihrer Abreden treffen. Dazu boten sich vor allem die Stände und ihre gewissermaßen funktionalen Vorläufer an. Der Fürst und sein Haus bezogen sie unaufgefordert, aber nicht unerwünscht in ihre Unteilbarkeitsbestrebungen mit ein.
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Dass die Dynasten dabei Unteilbarkeit und Landeswohl identifizierten, lässt sich den in den Urkundsarengen seit 1355 benannten Zielen der Vertragswerke entnehmen: Lediglich die auf Einheitserhalt oder Vereinigung zielenden Vereinbarungen richten sich einleitend auf Frieden, Nutzen, Ruhe, Eintracht und dergleichen in der Herrschaft und zwischen Herrn einerseits und Land und Leuten andererseits aus. Teilungsabreden weisen diese Zielsetzung auch nicht als offensichtlich leere Formel auf. Sie bedürfen dieser Verbindlichkeit vermittelnden Zielbestimmung auch nicht; sie werden sofort vollzogen, enthalten keinen weitergehenden Normbefehl, dessen Umsetzung es zu sichern gilt. Diese Stellung als Garanten, Stabilisatoren fürstlich-dynastischer Verpflichtungen kam in besonderem Maße den gerade zu diesem Zwecke geschaffenen, mit Mitgliedern der Stände beschickten Gremien zu, den Ratskollegien des 14. und 15. Jahrhunderts. In ihrer Einrichtung spitzt sich diese Funktion gleichsam zu: Gerade in Zeiten der Gefährdung der Sukzessionsperspektive, in Zeiten zu besorgender Auseinandersetzung um die Nachfolge beriefen die Fürsten Kollegien zur Sicherung ihrer Sukzessionsprogramme, etwa in der Zeit des Lüneburger Erbfolgestreits 1356, 1368 und 1370. Aber auch Sukzessionsentwürfe, Einheitsverabredungen, deren Umsetzung nicht so offensichtlich gefährdet schien, wie 1415, wurden durch Installation eines ständisch besetzten Kontrollgremiums abgesichert. Solche zu Überwachung, Bewahrung, teils auch Steuerung berufenen Kollegien treten auch 1457 und 1471 als „Vormundschaftsvereine“ auf. Im 16. Jahrhundert übernimmt diese Garantiefunktion die nun verfestigte gemeine Landschaft. Ihr werden die hausrechtlich niedergelegten Bestimmungen zur Genehmigung und Beschwörung vorgelegt. Sie besiegelt die Urkunden (1527, 1535, 1569 und zweimal 1592); es ergehen förmliche Landtagsabschiede (1559, 1592); teils werden ihr auch Urkundsausfertigungen zur Verwahrung übergeben (1535). Im Braunschweiger Fürstentum blieb die Landschaft auf eine eher nur reflexive Garantiefunktion, auf eine Rolle als Notariat fürstlicher Willenserklärungen beschränkt, ohne dass eine weitergehende ständische Mitwirkung an den Sukzessionslösungen erkennbar wurde. Im mittleren Haus Lüneburg (1428 – 1569) und der Frühzeit des neuen Hauses Lüneburg – bis es 1635 zu einem solchen wurde – hingegen erschien der Landtag geradezu als das Forum zur Behandlung der Nachfolgefragen, und zwar nicht nur in äußerlicher, formeller Hinsicht. Wie schon 1457 und 1471 ständisch besetzte Gremien aktiv und machtbewusst die Herrschaftsnachfolge mitgestaltet hatten, kam der Lüneburger Landschaft im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert eine prägende Einflussnahme auf die Sukzessionsgestaltung, eine geradezu federführende Rolle zu. Der Hintergrund war jeweils derselbe: Regimentsunlust der Fürsten. 1555 und 1559 drängten ständische Vertreter zusammen mit den vom Kaiser eingesetzten Vormündern die Prinzen Franz Otto und später Heinrich gemeinsam mit Wilhelm Regierungsverantwortung, wenngleich unter ihrer Aufsicht, zu übernehmen. Im Landtagsabschied von 1559 wurden die zum Regiment gedrängten Fürsten Heinrich und Wil-
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helm zudem auf eine feste Naturalausstattung und ein genau beziffertes Handgeld verwiesen, wie es schon ihr Vater, Ernst der Bekenner, mit seinem Bruder Franz 1536 verabredet hatte. Und 1610 erschien der Sukzessionsvergleich Herzog Ernsts II. mit seinen Brüdern, genauer: die darin geübte Genauigkeit und Maßhaltung in der Bestimmung des Unterhalts für die Nachgeborenen, geradezu als Gegenleistung für eine Steuerbewilligung durch die Landräte und des von der Landschaft verordneten Ausschusses – Singularsukzesssion erzeugt Bar-Unterhaltslasten und diese sind im Zeitalter der Einkunftsgewinnung durch Steuer mit der Landschaft abzustimmen. Auch im 17. Jahrhundert, sogar in dessen zweiter Hälfte, als die Blütezeit ständischer Mitsprache vorüber war, als die Stände aus dem politischen Zentrum herausgedrängt waren, blieb diese Garantenstellung der Landschaft, diese Funktion eines außerdynastischen Stützpfeilers innerdynastisch getroffener Regelungen, erhalten. Nach der Verteilung der Verlassenschaft des 1634 erloschenen mittleren Hauses Braunschweig unter den Lüneburger Linien Celle und Dannenberg versicherten die neuen Regenten August der Jüngere von Dannenberg in Wolfenbüttel und Georg von Celle in Calenberg in Huldigungsrezessen den Landschaften die Beibehaltung des in diesen Herrschaften bereits befolgten und nun auch von den neuen Herrschern als verbindlich erachteten Prinzips der Unteilbarkeit in Primogeniturfolge. Zwar erscheinen hier Erstgeburtsrecht und Unteilbarkeit als subjektives Recht, als Privileg der Stände. Jedoch wurde dieses Recht gerade seiner komplementären (dann eben Selbst-)Verpflichtung wegen von fürstlicher Seite her hervorgehoben, installiert, geachtet und gepflegt. Es verkörperte keine, auch geäußerte Forderung der Stände. Ein ständischer Entschluss zur Einforderung dieses Rechts, eine Grundlegung dieses Rechts hinter dem vertragsähnlichen Gegenseitigkeitsverhältnis von Privilegienzusicherung und Huldigungsleistung wird nicht fassbar.26 Es rührte nicht, wie für den gegenseitigen Vertrag typisch, aus einem Interessenausgleich der Parteien her. Vielmehr lag seine Begründung vor allem in der fürstlichen, in der dynastischen Sphäre. Unteilbarkeit und Primogenitur sind in Wolfenbüttel etwa 1535 durch Herzog Heinrich bestimmt worden; seither ist die Wolfenbütteler Landschaft zum Schwur darauf berufen. 1641 gab Herzog Georg von Calenberg in seinem die Unteilbarkeit des besessenen Fürstentums Calenberg sowie des erwarteten Fürstentums Lüneburg festschreibenden Testament seinen Nachkommen auf, dass derjenige, der zur Regierung gelange, die Einhaltung der testamentarischen Bestimmungen nicht nur den anderen Abkömmlingen Georgs, sondern auch der getreuen Landschaft beschwören müsse. Und in der dynastischen Sphäre lag auch die Hoheit und der Wille zur Modifikation; die der Landschaft beschworene Sukzessionsordnung blieb, wenngleich nur in überschaubarem Maße, disponibel. Nachdem Georg der Calenberger Landschaft bei Regierungsübernahme 1636 seine grundsätzliche Akzeptanz der Primogeniturerbfolge in diesem Fürstentum versichert hatte, erklärte er einen, seinem später so ge-
26 Das allerdings kann entsprechend auch nicht verwundern: Wenn kein Angriff auf die ständische Integrität drohte, bedurfte es keiner Artikulation des Protestes.
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scholtenen zweispurigen Nachfolgeplan entsprechenden Vorbehalt, dass nämlich gegebenenfalls auch sein Zweitgeborener in Calenberg folgen würde. Schließlich macht die Einbindung der Lüneburger Landschaft in die Vereinigungspläne zwischen den Brüdern Ernst August von Calenberg und Georg Wilhelm von Celle noch einmal das Instrumentale ständischer Beteiligung an der Sukzessionsbewältigung deutlich. Das Ziel der Vereinigung der geschiedenen welfischen Fürstentümer, auf das die Lüneburger Landschaft 1676 und 1680 eingeschworen wurde, wurde von dieser nicht geteilt. 1693 ließ sie sich von Ernst August versichern, nicht mit den Calenberger Ständen verschmolzen zu werden. Abschließend und weiter zusammenfassend bleibt zu fragen: Waren die Stände Motor der Versachlichung, der Entwicklung hin zur Unteilbarkeit der Herrschaft und Unveräußerlichkeit ihrer Bestandteile – gegen eine fürstliche Dispositionswilligkeit und -befugnis? Waren die Stände eine Grenze dieses fürstlich-dynastischen Wollens und Könnens? Die erste Frage muss wohl für die Verhältnisse in den welfischen Landen genau besehen verneint werden. Keine der hausrechtlich gefassten Unteilbarkeitsversprechungen und -bestimmungen lässt sich auf ständischen Zwang zurückführen. Auch eine mittelbare Wirkung ständischen Drucks, insofern als die Dynasten einem zu erwartenden Widerstand der Stände zuvorkommend die Unteilbarkeit verabredeten und versprachen, lässt sich in Anbetracht des Erfahrungshorizontes der welfischen Herzöge – sie waren nicht auf ständischen Widerstand gestoßen – nicht feststellen. Tatsächlicher Zwang und Furcht vor Widerstand setzen Macht und Machtbewusstsein des Gegenübers voraus; die welfischen Stände vermochten aber auch im 15. Jahrhundert vielfach nicht einmal die ihnen eingeräumte (Macht-)Position auszufüllen; so nahmen die Göttinger Stände das ihnen 1435 von Otto Cocles angetragene Regiment über das Land erkennbar nicht an, ebenso wenig, wie der aus zwölf Rittern gebildete Rat, dem Magnus II. 1371 die Lüneburger Herrschaft übertragen hatte. In den raren Fällen, in denen ständischer Widerspruch gegen eine dynastische Sukzessionslösung begegnet (1432, 1491 und 1498) ließ sich – noch – kein Motiv aus einem Verständnis der Repräsentation des Gemein- oder Landeswohls durch die Stände ausmachen. Ständische Mitwirkung an der Sukzessionsbewältigung erscheint in den hausrechtlichen, den fürstlichen Urkunden zwar da und dort keineswegs allein als reagierender, gesteuerter Natur. Sie geschah aber im Wesentlichen auf Anrufung der Dynasten. Hier wirkte die alte, vor allem vasallitisch begründete Pflicht zu Rat und Hilfe gegenüber dem Herrn und der daraus folgende Grundsatz, dass derjenige, der Rat und Hilfe zu geben vermag, auch mitbestimmen darf, nach. Konkret wurde diese Mitbestimmungsmöglichkeit der Stände in der Huldigung. Bei dieser traten sie in einer Vertragspartei nicht unähnlichen Stellung dem Landesherrn gegenüber. Ihr Einbezug in die zuvor zu treffende Lösung der Sukzessionsfrage stellt sich insofern als Verhandlung zum Abschluss des Huldigungsvertrags dar. Rat und Hilfe waren aber auch in ganz praktischer Hinsicht gefragt. Die örtlichen Stände wussten um die Wertigkeit einzelner landesherrlicher Besitzungen vielfach besser Bescheid als die ferne
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fürstliche Kanzlei.27 Deshalb wird den Ständen in den hausrechtlichen Regelungen häufig ein Mitspracherecht zur Auswahl von Morgengabe und Leibzucht eingeräumt. Deshalb wurden auch mit ihren Vertretern Schiedsgerichte besetzt, die aus der Erbauseinandersetzung erwachsende Streitigkeiten schlichten sollten. Im Übrigen erscheint das ihnen, wenn auch selten, zugedachte Beispruchrecht zu Alienationen der Fürsten als ein weiterer Schutzwall vor solchen Substanzschädigungen gerade aus dynastischer Sicht. Späterhin trat die fürstliche Selbstverpflichtung, sich schädlicher Alienationen zu enthalten, in ein Gegenseitigkeitsverhältnis zur Steuerbewilligung der Stände. Vor allem aber boten die Stände, und zwar nicht nur in ihrer vereinigten Trias, den Vorteil der transpersonalen Beständigkeit; der Rat der Stadt Lüneburg etwa bestand unabhängig von seinen jeweiligen Mitgliedern. Die zweite Frage ist demgegenüber mit Ja zu beantworten. Die „Stände bildeten das stabilisierende Moment innerhalb des Prozesses der Mobilisierung von Herrschaftsrechten“,28 entsprechend waren sie ein Träger des komplementären Prozesses der Versachlichung. Ihre, wenngleich auch in den welfischen Landen ganz überwiegend vom Landesherrn betriebene, Vereinigung zu gemeinen Landschaften führte zu einem Verfassungselement, das Einheit der Herrschaft, des Fürstentums zu stiften, vor allem tatsächlich fassbar zu machen vermochte und so eben ein Bewusstsein der Unteilbarkeit erzeugen konnte – und offensichtlich auch erzeugte: In landständische Einheiten wurde nicht hinein geschnitten. Mit ihrer bereits hervorgehobenen transpersonalen Konstruktion taugte die Landschaft als Notar, als Gedächtnis der Herrschaft und zunehmend als Zurechnungssubjekt für Rechte und Pflichten – zugerechnet indes zumeist vom Landesherrn. Und damit kam den Ständen eine tragende Rolle bei der Bewältigung des zentralen Problems der Sukzessionsgestaltung seit dem 14. Jahrhundert zu: der Umsetzung und dauerhaften Sicherung der Unteilbarkeitsidee. Sie vermochten, diesem Postulat welfischer Hausrechtsregelung Kontinuität und Stabilität zu vermitteln. 4. Hausrecht Die Anfänge eines welfischen Haus- oder Adelsrechts, der von dem, wie es Weitzel formuliert,29 auf das Gericht bezogene „Recht“ abgelösten Regelung der Familienangelegenheiten, ganz vorrangig der Erbfolge, sind in einer präfeudalen Zeit, einer Zeit, in der das welfische Patrimonium nicht lehnrechtlich in das Reichsgefüge eingebunden war, auszumachen. Gut ein Jahrzehnt vor Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 1235 hatte der Pfalzgraf Heinrich eine von den anerkannt befolgten Rechtssätzen abweichende Verfügung über seinen Nachlass, in den auch der seines 1218 verstorbenen Bruders, Kaiser Otto IV., inbegriffen war, getroffen: er überging seine nach überkommenem Recht vorrangig erbberechtigten Töchter 27 Dies hebt auch mit Blick auf die Teilung von 1428 E. Schubert, Niedersachsen, S. 856, hervor. 28 E. Schubert, Grundprobleme, S. 207. 29 Hausnormen, S. 42.
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und führte testamentarisch 1223 seine beiden Anteile aus dem väterlichen Erbe dem einen Anteil in den Händen seines Neffen Otto des Kindes zu. Eindeutig tritt das zentrale Motiv bewusst gesteuerter adeliger Erbfolge, kurz: des Hausrechts, zu tage: der möglichst ungeschmälerte Erhalt der innegehaltenen Rechtspositionen in der in männlicher Linie gedachten Familie. Töchter brachten demgegenüber die Güter in fremde Familien. Was sich später als Wirkung des Lehnsnexus darstellte, das agnatische Prinzip, der Ausschluss der Töchter von der Substanz des Nachlasses, wird hier hausrechtlich gleichsam vorweggenommen. Seit 1202 sind regelmäßig in unmittelbaren Quellen die Bestimmungen welfischer Dynasten zur Gestaltung, zur Bewältigung der Sukzessionsfrage überliefert.30 In einem sehr weiten Sinne lassen sich auch die Belehnungen welfischer Fürsten mit dem Gesamt- oder den Sonderlehen zu dem Hausrecht rechnen. Sie enthalten Rechtsstoff, der für die Erbfolge beachtlich war. Indes enthalten die Lehnsurkunden keine Erbfolgeregelung selbst. Sie stecken gewissermaßen nur einen Rahmen für die Erbfolgegestaltung ab. Das Testament als Form der individuellen Steuerung der Erbfolge begegnet in der welfischen Hausrechtsentwicklung erst vereinzelt ausgangs des 15. Jahrhunderts und erreichte seit Mitte des 16. Jahrhunderts eine Blütezeit: 1477 ordnete der Lüneburger Herzog Friedrich der Fromme seine Nachfolge Testaments wise. Dieses Instruments bediente sich auch Erich der Ältere von Calenberg 1536. Umfangreich ausgestaltete Nachfolgeordnungen, typische Fürstentestamente, legten dann Philipp von Grubenhagen um 1550, Julius von Wolfenbüttel 1582, Georg von Calenberg 1641 und Ernst August, der spätere hannoversche Kurfürst, 1682 und 1688 nieder.31 Ein weiteres – vermutlich – ebenso einseitiges Instrument der Gestaltung der eigenen Nachfolge war die Ausscheidung einiger Söhne aus dem Kreis der Erbberechtigten durch deren Bestimmung zur geistlichen Laufbahn – oder mit anderen Worten: durch deren Versorgung mit geistlichen Pfründen – bei entsprechendem Erbverzicht des Ausgeschiedenen. Diese väterlichen Dispositionen, vielleicht aber auch kollektiv in der Familie gefundene Entscheidungen, sind regelmäßig nicht in Urkundsform überliefert; vor allem sind sie nicht in die umfassenderen Vertragswerke zur Gestaltung der Nachfolge des verstorbenen Fürsten integriert, da diese Entscheidungen sukzessive zu Lebzeiten des Fürsten fielen. Singulär sind die Vereinbarungen zur Abgeltung des Erbverzichts überliefert. Ganz überwiegend wurden in Form zwei- oder mehrseitiger Vereinbarungen hausrechtliche Bestimmungen zur Gestaltung der Erbfolge getroffen. Gegenständlich 30
Allerdings wird hier eine unmittelbare Quelle welfischer Erbgestaltung unterschlagen: das so genannte Testament Heinrichs des Löwen von 1197 (oben A.II.2.c)bb) Anm. 382). Dies ist insofern gerechtfertigt, als dieses Testament Stilübung geblieben ist. 31 Vielfach wurden Erbverbrüderungen, -vereinigungen und -verschreibungen in getrennten Erklärungen der paktierenden Parteien ausgefertigt. Gesondert betrachtet nehmen diese Erklärungen dann den Anschein eines Testamentes an. So findet sich in der älteren Literatur immer wieder der Hinweis auf ein Testament Herzog Magnus I. von Wolfenbüttel; tatsächlich handelt es sich dabei aber um seine Erklärung zu der Vereinbarung mit Wilhelm von Lüneburg aus dem Jahre 1355.
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waren diese Verabredungen gerichtet auf Teilung des Nachlasses, Beibehaltung der Gemeinschaft an dem Erbe, Vereinigung geteilter Verlassenschaften und Einräumung subsidiärer, für den Fall des Fehlens einer Deszendenz, Erbfolge, die so genannten Erbverbrüderungen und -verschreibungen. Indes sind die Teilungsabreden auch nur in einem weiten Verständnis Hausrecht. Mit der vorgenannten Definition eines adeligen Sonderrechts sind sie jedenfalls nicht in Einklang zu bringen. Denn es entsprach herkömmlichen und keineswegs dem Adel vorbehaltenen Rechtsgrundsätzen, den Nachlass zu teilen. Zudem war der aus der Teilungsverabredung gewonnene Anspruch der Vereinbarenden, ihr subjektives Recht, weithin durch den regelmäßig alsbald erfolgenden Vollzug der Teilung erfüllt. Lediglich die verabredungsweise begründete Rechtsmacht, den anderen von Nutzung, Gebrauch und Herrschaft des eigenen Anteils auszuschließen, erschöpfte sich nicht in dem Teilungsvollzug. Unter diesem Blickwinkel ragen auch die Vereinbarungen des Beibehalts der Gemeinschaft „in Kost und Regierung“ nicht als Zeugnisse eines vom allgemeinen „Recht“ abgelösten Hausrechts hervor. Zwar sind sie dem Ziel einer Integritätswahrung zuzuordnen. Jedoch waren sie kaum mehr als ein geordneter Aufschub der Erbauseinandersetzung – geordnet insofern, als sie sich der Ausgestaltung der Gemeinschaft annahmen: die Ausübung der der Gesamthand zustehenden Befugnisse wurde auf die einzelnen Gesamthänder verteilt. Dadurch erhalten diese Vereinbarungen noch einen weiteren Anstrich der Integritätswahrung: die vermeintliche Anordnung von Alienationsschranken. Genau besehen aber stellte die Kompetenzzuordnung, jedenfalls vornehmlich, Erlaubnissätze auf. So verbleiben für die erste Epoche welfischen Hausrechts, deren Ende der Lüneburger Erbfolgestreit absteckt, als typischer Ausdruck dynastisch und rechtlich gestalteter Erbfolge die Erbvereinigungen, -verbrüderungen und -verschreibungen. Brüder und Vettern räumen sich gegenseitig, seit 1345 besonders im Zusammenhang mit einer Erbteilung, ein Erbrecht für den Fall des deszendentenlosen Todes ein. Ziel ist es, für den Eintritt des genannten Falles den Einzug des abgeteilten Lehens durch den Lehnsherrn zu verhindern. Zugleich wird aber, sofern neben den paktierenden Linien eine weiterer Zweig der Familie besteht, ein Vorrang vor ebendieser dritten Linie begründet. In der entsprechenden Zurücksetzung eines Bruders oder in der Verwandtschaft gleichnahen Vetters ist für einige Erbverschreibungen, etwa derjenigen aus dem Jahre 1292, das Motiv zu suchen. Gerade anhand dieser von ihm unter dem Begriff „Erbverträge“ zusammengefassten hausrechtlichen Regelungen beschrieb Beseler die Autonomie der hochadeligen Familie und begründete die nachhaltig wirkende Bewertung dieser Regelungen als Rechtsnormen in Abgrenzung zur Qualität von bloßen Rechtsgeschäften.32 Nach dieser Auffassung entfalteten die hausrechtlichen Bestimmungen für jedes Mitglied des Hauses allein durch die Zugehörigkeit zum Haus eine Bindungswirkung, ob es sich nun durch eine eigene Erklärung, einen eigenen Eid individuell selbst gebunden hat oder nicht. Und im Ergebnis trifft es zu, dass die Erbverbrüderungen, -verschreibun32
Erbverträge, S. 1 – 106, bes. S. 14 ff.
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gen und -vereinigungen normativen Charakter entfalteten, jedenfalls zu entfalten vermochten. Es lassen sich zwar auch Erbverträge des ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts benennen, die keinen normativen Anspruch erhoben, sondern allein auf – entsprechend rechtsgeschäftlich zu bewertende – Bindung der Paktierenden selbst abzielten: 1290 verschrieb der Göttinger Herzog Albrecht der Feiste allein seinem Bruder Wilhelm von Braunschweig seinen Erbteil für den Fall, dass er ohne Erben versterbe. Von weiteren Berechtigten oder Verpflichteten ist nicht die Rede. 1325 vereinigen die Grubenhagener Brüder Heinrich und Wilhelm ihre Lande ausdrücklich beschränkt auf beider Lebenszeit. Und die Erbverbrüderung von 1345 lässt diesen Rest von Verbundenheit nur zwischen den teilenden Brüdern Magnus von Braunschweig und Ernst von Göttingen bestehen; ihre Erben, ihre Deszendenz bleiben unerwähnt. Dieser eingeschränkte, relative, allein rechtsgeschäftliche Bindungsanspruch bleibt aber die Ausnahme. Schon der Erbvertrag von 1292 will alle superstes et heredem umfassend binden. Die Erfassung eines unbestimmten Adressatenkreises bringt der umfassende Erbvertrag der Lüneburger Otto (Vater), Wilhelm und Otto (Sohn) einerseits und Braunschweiger Otto, Magnus und Ernst aus dem Jahre 1322 allein schon in der zeitlichen Perspektive ihrer Regelungen zum Ausdruck: Eweliken wollen sie zusammenbleiben. Freilich können auch allein relativ geltende Rechtsgeschäfte Personen verbinden, die an ihrem Abschluss individuell nicht beteiligt waren, nämlich die jeweiligen Rechtsnachfolger der Parteien. Diese rücken in die Parteistellung und damit die relative Verbundenheit ein. Bei der Erbverbrüderung wird aber nicht allein eine Bindung der Partei und ihrer Rechtsnachfolger erstrebt. Diese rechtsgeschäftliche Bindungswirkung genügt nicht zur Erreichung des Zweckes. Rechtsgeschäfte verleihen nur eine relative Rechtsmacht, ein subjektives Recht nur dem Vertragspartner gegenüber. Dieser und seine Rechtsnachfolger, kurz: Erben, sind indes zum Zeitpunkt des geregelten Falls naturgemäß nicht mehr vorhanden. Ihr Tod ist Voraussetzung zur Erfüllung des eingeräumten Erbrechts oder – bei Betonung des Anwartschaftscharakters der Rechtsposition der erbverbrüderten Linie – zur Erstarkung zum Vollrecht. Mit verbunden müssen entsprechend diejenigen sein, die im Falle des Erlöschens einer Linie, Anspruch auf die Verlassenschaft erheben könnten. Sie müssen der verabredeten Subsidiärerbfolge Akzeptanz entgegenbringen, will diese eine Chance auf Umsetzung haben. Einer dieser Konkurrenten ist zunächst der Kaiser als Lehnsherr; soll doch gerade sein Heimfallrecht durch den Erbvertrag ausgeschlossen werden. Als Normunterworfenen darf man sich den Kaiser indes nicht denken. Vor allem aber kommen andere Linien, weitere Kollaterale gerade in dem immer wieder recht weit verzweigten Welfenhaus als Konkurrenten in Betracht. Diese sind als allermindestens mittelbare Adressaten der Erbverträge ihrer Agnaten anzusprechen. Will man insoweit nicht von einem Vertrag zu Lasten Dritter ausgehen, so muss man daher den Erbverträgen – so sie Beachtung Dritter fanden – einen wenigstens normartigen Charakter zugestehen. Und die Erbverbrüderungen fanden auch tatsächlich vielfach Beachtung bei denjenigen Kollateralen, deren Linie nicht an der Erzeugung der Regelung beteiligt war. Die Erbverschreibung von 1290 bildet die Ausnahme. Der ausgeschlossene dritte
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Bruder, Heinrich von Grubenhagen, akzeptierte seinen Ausschluss nicht. Nach dem Tode Wilhelms im Jahre 1292 setzte zwischen Heinrich und dem Nutznießer der Erbverschreibung, Albrecht von Göttingen, ein heftiger Streit um Wilhelms Hinterlassenschaft ein. Im Falle des Erlöschens des alten Hauses Lüneburg 1369 erhoben die an den Erbverträgen mit der Braunschweiger Linie nicht beteiligten Kollateralen aus Göttingen und Grubenhagen keine Ansprüche auf Wilhelms Verlassenschaft. Und auch als die Linie Calenberg-Göttingen 1584 erlosch, fielen ihre Besitzungen, wie 1495 verabredet, ohne jeden Widerspruch aus dem Hause Lüneburg an die andere, die Wolfenbütteler, Linie des mittleren Hauses Braunschweig. Nachdem 1596 das Haus Grubenhagen ausstarb, konnte sich keine der anderen welfischen Linien auf eine Erbverbrüderung berufen – es gab keine. So musste schließlich der Reichshofrat den Streit zwischen Lüneburg und Wolfenbüttel um die Grubenhagener Verlassenschaft nach dem Maßstab der Nähe des Verwandtschaftsgrades entscheiden. Und auch der Kaiser als Richter band Dynasten an Rechtssätze fest, an deren Ausspruch sie nicht individuell beteiligt waren: 1435 legte Kaiser Sigismund seiner Anweisung an die Lüneburger Regenten Otto und Friedrich sowie die Braunschweiger Herzöge Wilhelm und Heinrich, ihre Lande wieder zusammenzusetzen, vor allem die Vereinigungsverabredung von 1415 zu Grunde. Diese hatten die Regenten beider Seiten jeweils Witschop vnde Volborde ihrer ältesten Söhne geschlossen. Friedrich als Nachgeborener war in den Vertragsschluss nicht eingebunden worden. Die Erbverbrüderungen hatte also durchaus Einungscharakter. Sie erzeugten unmittelbar subjektive Rechte der am Schwur Beteiligten durch ebendiese individuelle Selbstbindung. Zugleich wurden aber auch nicht unmittelbar Beteiligte, und zwar nicht allein die Rechtsnachfolger, die unmittelbaren Erben, der Parteien der Einung verbunden. Insofern vereinigten die Erbverträge subjektives Recht, sie erzeugten individuelle Rechtsmacht, und objektives Recht zur Gestaltung, Regelung der (Rechts-) Gemeinschaft. Angestoßen durch den Lüneburger Erbfolgestreit in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verschiebt sich dieses Mischungsverhältnis von subjektivem und objektivem Recht: Die hausrechtlichen Regelungen erhalten eine Programmatik, eine Zielsetzung, die sich nicht in der Bindung der besessenen Rechtspositionen in der und an die Familie erschöpft. Die dauerhafte Gestaltung dieser Rechtsmasse, ihrer Verfugung, selbst wird Gegenstand des Hausrechts. Sie, die noch eins mit dem Fürstentum war, soll unteilbar sein. Diese zu bewahrende Qualität ist nicht mehr einem individuellen oder individualisierbaren Kreis von Rechtssubjekten innerhalb der Einungsgenossenschaft als Rechtsmacht, sondern einem dem Gemeinwohl angenäherten höheren Regelungszweck zugeordnet. Durch die Erbverbrüderungsabrede erwarb eine Linie ein subjektives, wenngleich subsidiäres, (Erb-)Recht, eine Anwartschaft. Die Verabredung der Unteilbarkeit stellt demgegenüber durchaus eine soziale Regulation dar. Dieses Postulat wurde regelmäßig auf unbestimmte Zeit und grundsätzlich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtet, war es doch dem Regelungssubstrat angeheftet. Damit fehlt dieser normativen Verabredung je-
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doch der individuelle, wenigstens individualisierbare, Sachwalter. Welcher Dynast sollte sich auf sie berufen? Erst als sich die Unteilbarkeit mit der Primogenitur verband, trat wieder ein Interessent im wörtlichen Sinne auf den Plan. Es war sein rechtlich geschütztes Interesse, sein subjektives Recht, als Erstgeborener den ungeteilten Nachlass im Ganzen zu bekommen. Und gerade wegen des fehlenden Sachwalters nimmt das hausrechtlich begründete Postulat der Unteilbarkeit an dem Problem der Dauerhaftigkeit, oder auch aus anderer Perspektive: Vergänglichkeit, mittelalterlichen Rechts, wie es vor allem Krause beschrieben hat,33 teil. Das Ringen darum, dem normativen Anspruch einer Bestimmung auch dauerhaft zur Durchsetzung zu verhelfen, kennzeichnet die Hausrechtsentwicklung im Welfenhaus seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg bis zum ausgehenden 17. Jahrhundert. Sichtbares äußeres Zeichen dieses Strebens sind die bekannten Dauerformeln, mit denen zum einen die Verpflichtungen zur Unteilbarkeit, zur Beachtung der Primogeniturfolge und dergleichen mehr sowie zum anderen auch der gesamte Vertrag versehen wurden.34 Das vorrangige Instrumentarium zur Herstellung von Stabilität und Dauerhaftigkeit ist vielfach erwähnt: Die Stände und der Kaiser werden gleichsam als Anker mit in die Normsetzung einbezogen. Es ist eine verkürzende Sichtweise, sich auf die Frage der Normativität des Hausrechts und insoweit auf die Frage nach der Grundlage, der Erzeugung und Legitimierung seiner Normen zu beschränken. Ob durch väterliches Gebot einseitig oder lediglich im Wege der mehrseitigen Einung auch für Agnaten verbindliches „Recht“ geschaffen werden konnte, ist eine nicht erschöpfende und zudem auch kaum zu beantwortende Fragestellung. Normativität ist zunächst ein Anspruch des niedergelegten Rechtssatzes auf Einhaltung gerade durch eine unbestimmte Vielzahl von (Norm-) Adressaten. Gekennzeichnet ist dieser autoritative Sollenssatz zugleich aber auch von einer Androhung von Rechtszwang, dessen Durchsetzung im besten Fall garantiert ist. Gerade daraus resultiert die Schwäche mittelalterlichen, genauer: vorstaatlichen, von Menschen gesetzten Rechts: es leidet, wie es Krause formuliert, „an dem Zweifel an seiner transpersonalen Dauer, an dem Zweifel, ob ein Recht, das ein Mensch kraft seiner Herrschermacht geschaffen hat, eben diesen Menschen und auf der anderen Seite auch die Lebenszeit des Begünstigten zu überdauern vermag“.35
33
Genau genommen ist diese Frage der „Dauer und Vergänglichkeit“ des Rechts nicht auf das Mittelalter beschränkt, wie es der Titel Krauses Untersuchung nahe legt. Krause, Dauer, S. 247 ff., selbst erörtert sie dann auch auf das 19. und 20. Jahrhundert bezogen. 34 Beispielsweise: Dat vnse vorbenompte herschop to Brunsw. (…) eweliken vnd vmmer eyn vnghetwiget herschop schol blyuen (1374); dat alle vse Lande vndt Lude, de wy rede hebben, vnde an vns noch komen mögen, vnde vnd vnsere Eruen samptliken tho ewigen tyden wesen vnde blyuen schullen unverdelet (1415); Hertzog Wilhelms erben (sollen) ohnedas in ewigkeit unwiderruflich zuhalten und zuverfolgen schuldig seyn (1535); als ein ewiges Recht und statutum familiae (1682). 35 Dauer, S. 217.
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Wirklich dauerhaft garantiert werden kann somit nur eine einem transpersonalen Garanten zugerechnete Norm. Dies war, wie bereits näher ausgeführt, der Hintergrund dafür, die Landschaft – oder Vor-, Neben- und Sonderformen ihrer korporierten Ausgestaltung, allen voran die Ratskollegien – und das unsterbliche Reich zur Stabilisierung hausrechtlicher Versprechen heranzuziehen. Insofern blieb das Problem der Dauer und Vergänglichkeit gesetzter Normen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Grunde dasselbe: es fehlte der Staat als Garant. Das besondere Problem des Hausrechts, seinen Normen Dauerhaftigkeit zu verleihen, bestand zudem darin, dass die vornehmlichen Normadressaten ihrerseits potentielle Herrscher und somit grundsätzlich zur Rechtssetzung befähigt waren. Von daher ergeben sich aus der Feststellung, dass eine hausrechtliche Norm nicht befolgt wurde, grundsätzlich drei mögliche Schlussfolgerungen: (1) Die von der retrospektiv als für sie wenigstens dem Anspruch nach bindend erkannte Norm wurde von den abweichend handelnden oder normierenden Dynasten eben nicht als für sie verbindlich anerkannt. (2) Das von der Norm abweichende Verhalten beruhte auf deren Missachtung, stellt sich also als Rechtsbruch dar. Oder – und das ist das Besondere des Satzungs- und eben auch Hausrechts –: (3) Die Abweichung ist Aufhebung und Ersetzung der ursprünglichen Norm, die ältere wird von der jüngeren Rechtssetzung derogiert. Gerade den Unteilbarkeitspostulaten des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts war noch keine lange Wirkungsdauer beschieden. Zwar lassen sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts schon erste Ansätze eines Bewusstseins für einen Hausrechtsbestand als Maßstab für die Sukzessionsbehandlung ausmachen. Etwa wird dem 1428 als Vermittler der Teilung auftretenden Landgrafen von Hessen als Beurteilungsgrundlage an die Hand gegeben, dass er inne Rechten erkennen vnnd utsprecken scall, wo itt umb dem Samtbreff, Recesse, Uthsproke vnnd den nien sunderliken Bunde, wat dar an beiden Siden geschen were, wsen sculle und muge. Und dennoch entfalteten diese Grundlagen noch keine Bindungskraft: Die 1355 von dem greisen Lüneburger Herzog Wilhelm und seinem entfernten Vetter Magnus von Braunschweig vereinbarte, auf Dauer angelegte Vereinigung beider großen Fürstentümer wurde lediglich für kurze Zeit nach Wilhelms Tod 1369 bis zum Verlust Lüneburgs an die Askanier 1371 praktiziert und schon vor dem endgültigen Rückgewinn Lüneburgs 1389, nämlich 1388, wieder aufgehoben. Die 1415 tho ewigen tyden verabredete Einheit der beiden Fürstentümer hielt gerade bis 1428. Möglicherweise fehlte es 1388 den sich abgrenzenden Söhnen Magnus II. an einem Verständnis von der Dauergeltung des von dem Großvater mitbegründeten Versprechens ewiger Einheit. Krause stellt insoweit fest: „In der Entwicklung der Rechtssetzung bedeutet die wichtige Komponente der Willkür und Einung ursprünglich die Beschränkung der Geltung auf die Personen, die durch Selbstverwillkürung ihre persönliche Bindung herbeigeführt hatten. Die städtischen Einungen mußten anfänglich bei jedem Ratswechsel neu verwillkürt werden; die Landfrieden waren auf Zeit beschworenen Einungen. Die spezifische Bindung des Eides erlosch sowieso mit dem Schwörenden. Erst sehr allmählich entfaltete sich eine von der Person unabhängige Dauergeltung des ad hoc gesetzten Rechts“.36 1428 war hingegen noch einer der unmittelbar am Schwur von 1415
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Beteiligten auch einer der Teilenden, nämlich Herzog Bernhard. Indes war die 1415 getroffene Abrede eines Duumvirats auch kaum mit den Erfahrungen, die man mit der Herrschaftsführung durch mehrere Herzöge gemacht hatte, zu vereinbaren – zu oft waren gerade die gemeinschaftliche Führung des Regiments der Anlass zur Teilung gewesen. Für das 16. und 17. Jahrhundert lassen sich dann die zeitgenössischen Vorstellungen zur Bindungswirkung von Hausrecht genauer nachzeichnen. Die Arengen der Urkunden zur unmittelbaren Sukzessionsbewältigung, vor allem aber auch die Begründungen der Rechtsstandpunkte in der Auseinandersetzung im Vorfeld der Einigung – hier ist besonders der Streitstand um die Verlassenschaft des 1634 erloschenen mittleren Hauses Braunschweig zu nennen – oder im Nachgang der Entscheidung – hier ist der Streit des hannoverschen Kurfürsten Ernst August mit seinen Söhnen um seine Erstgeburtsordnung anzuführen – geben hiervon Zeugnis. Eindeutig gefasste, als Einung errichtete, gar von und gegenüber den Landständen beschworene und vom Kaiser konfirmierte Hausrechtsnormen erscheinen offenbar auch den Deszendenten keinesfalls als allein verbindliche, vor allem abschließende, erschöpfende Regelung. Sie waren eine unter mehreren Rechtsquellen. Die Anordnung der Primogenitur durch Herzog Heinrich den Älteren von Wolfenbüttel in seinem Testament von 1510 diente seinen Söhnen, vor allem natürlich Heinrich, dem Spiritus Rector des Pactum von 1535, als Autorität für die Errichtung ihrer Primogeniturordnung. Gleichwohl wird in der Arenga der Urkunde noch eine Reihe von anderen Grundlegungen für eine solche Ordnung angeführt.37 Diese keineswegs eindeutige Bindungswirkung, die der Sukzessor, der sogar in gerader Linie dem Normgeber verwandt war, der Hausnorm beimaß, bringt besonders Herzog Julius von Wolfenbüttel in seinem Testament von 1582 zum Ausdruck: Nicht einmal an erster Stelle unter den Beweggründen zur Errichtung seiner letztlich inhaltlich dem Pactum HenricoWilhelminum von 1535 entsprechenden Primogeniturordnung wird diese als ein sonderlicher ausführlicher erblicher Vertrag und Vereinbahrung, als ein ewiges immerwährendes Statutm & Pactum gentilitium bezeichnete und bewertete hausrechtliche Bestimmung angeführt. Vor allem aber überprüft der Verfasser dieses herzoglichen Testaments dieses im Einzelnen referierte ewigwährendes Statutum und Constitution inhaltlich an den Rechten, dem ius commune. Ganz in der gemeinrechtlichen Doktrin tritt das gesetzte Partikularrecht hinter das universale gemeine Recht in seiner Bindungskraft zurück. In der gelehrten Auseinandersetzung der beiden Lüneburger Linien Celle (Hauptlinie) und Dannenberg um den Nachlass des letzten Sprosses aus dem mittleren Haus Braunschweig trachteten beide Seiten danach, ihren jeweiligen 36
Ebd., S. 226. Die Wohltaten Heinrichs, die Wilhelm zu danckparlicher vergeltung bewegen, 2. des Vaters verpflichtung und verschreibung, 3. Wilhelms vorigen selbs eigen brief, Siegel, vertrege und handschrift – gemeint ist seinen eigene in den Verträgen von 1514 und 1517 erteilte Zustimmung zur Einzelherrschaft des Ältesten – und schließlich 4. unser Landschaft getrew wolmeinlichen Rathe und bedencken. 37
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Rechtsstandpunkt vorrangig durch Feststellung einer hausrechtlichen Observanz in der Linie zu begründen und zu untermauern. Für Celle ist im Hause Lüneburg kein Jus Primogeniturae in Observanz gelangt. Hingegen lesen die Dannenberger Räte und Gutachter aus einer Zusammenschau hausrechtlicher Zeugnisse, vor allem diejenigen aus den Jahren 1355, 1374, 1394 und 1415 werden angeführt, eine Primogeniturgepflogenheit in der Lüneburger Linie heraus. Nicht das einzelne Zeugnis für sich bindet; vielmehr muss dieses Ausdruck einer Übung, einer vor allem dauerhaften Übung, die eine Rechtsüberzeugung zu tragen vermag, sein, um Autorität entfalten zu können. Die Arenga des Extractus Testamenti von 1682 wird beherrscht von dem Trennungsgebot des väterlichen Testaments von 1641. Mit diesem setzt sich Ludolf Hugo, der Verfasser des Testaments Ernst Augusts, vor allem auseinander. Offensichtlich misst er ihm eine Bindungswirkung zu, hatte Ernst August doch auf dieses Testament seines Vaters seinen Eid geleistet. Auf drei Gleisen wendet sich die Hinleitung zur umfassenden Erstgeburtsordnung von 1682 gegen die von Herzog Georg 1641 geflochtenen Fesseln: (1) Das Trennungsgebot sei schädlich und mit den auf Primogenitur ausgelegten Sukzessionsordnungen beider welfischen Linien unvereinbar. (2) Es stehe der Einführung einer gegenständlich umfassenden Primogentur genau besehen überhaupt nicht entgegen. (3) – und hier wird die besondere Schwierigkeit der Dauerhaftigkeit von Hausrecht deutlich ausgesprochen – stehe ihm, dem Sohn, der gleiche Spielraum zur Gestaltung der Nachfolgeordnung zu, wie dem Vater. Der Sohn als absoluter Herrscher mag sich nicht binden lassen. Aber auch er setzt alles daran, seinen jeweils nächstälteren Sohn zur Eidesleistung auf seine Ordnung zu bewegen. Das Dilemma der Selbstbindung des Gesetzgebers wird hier besonders sinnfällig – oder wiederum mit den Worten Krauses: „Das Gesetz sollte dem künftigen Gesetzgeber gerade die Potenz entziehen, der es seinen eigenen Ursprung verdankte. Es beginnt das Zeitalter der Versuche, unabänderliche Verfassungsbestimmungen zu schaffen“.38 Krauses Feststellung bezieht sich indes auf das 19. Jahrhundert. Jedoch zeichnete sich im Bereich der Regelung und Normierung der Sukzession dieses Streben nach höherrangiger, dauerhafter „Verfassung“ bereits einige Jahrhunderte zuvor ab. Der Fürst und die Dynasten banden ihre Verfügungsbefugnis über die Gestalt der Herrschaft, die doch gerade in der Sukzession in Bewegung geraten musste und geriet, an ein vor allem den Ständen gegebenes Versprechen. Damit sicherten sie ihr Unteilbarkeits- und das zeitlich ein wenig versetzte Primogeniturpostulat vor den Angriffen aus den eigenen Reihen. Dieses Instrumentarium ist das Grundbild der leges fundamentales „als ein übergeordneter verfassungsrechtlicher Gattungs- und Sammelbegriff“.39 Gerade in dieser auch außerhalb des Hauses verankerten Konstruktion erlangte das Hausrecht Stabilität. Es erlangte Verfassungsqualität. Die hausrechtlich begründete Norm wurde durch Einbindung der Stände zu einer Qualität des Fürstentums. Als 1636 der dem Hause Lüneburg entstammende Herzog Georg in Ca38 39
Dauer, S. 248. H. Mohnhaupt, S. 8.
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lenberg die Herrschaft übernahm, erkannte er – ganz ähnlich auch sein Vetter August bei Herrschaftsantritt in Wolfenbüttel –, dass das jus Primogeniturae bey diesem Fürstenthumb Uns und Unserm Hause verbindlich hergebracht ist.
Quellen und Literatur I. Ungedruckte Quellen 1. Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover Cal. Br. 22
XXXIII Nr. 29 XXVII Nr. 2
Cal. Or 1
Calenberger Hausverträge Nr. 10, 14, 21, 25, 27, 44, 67, 78, 83
Cal. Or 3 I
Nr. 23 b, 23 d
Cal. Or 4 I
Urkunden betreffend das fürstliche Haus Grubenhagen, Abt. I, Erbverträge Nr. 17, 26 I und II
Celle Br. 44 Nr. 564 I Celle Or 5
Reichs- und andere Lehnbriefe, a) Belehnungen mit Braunschweig-Lüneburg Nr. 9 (ehemals Schr. 1 Kaps. 1 Nr. 8)
Celle Or 6
Fürstliche Erbrezesse und -verträge Nr. 6, 62, 84, 94 (ehemals: Schr. V Kaps. 6, Nr. 4, Kaps. 8, Nr. 25 und 31, Schr. VI Kaps. 2 Nr. 93)
Hann. 9
Domestica Nr. 1
2. Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel 1 Urk
Herzogliche Hausurkunden (Gesamtarchiv des Fürstlichen Hauses Braunschweig-Lüneburg) Nr. 84, 97, 98
2 Urk 1 Herzogliche Hausurkunden: Erbverträge in und zwischen den einzelnen Linien des Hauses Braunschweig-Lüneburg, Ahnenproben, Testamente Nr. 17, 22, 36, 50 IV Hs 3 Bd. 1 und 2
II. Gedruckte Quellen Ann. Saxo: Annalista Saxo, hrsg. v. Georg Waitz. MGH SS VI, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1844, S. 542 – 577. Arnold von Lübeck: Arnoldis abbatis Lubecensis Chronica, hrsg. v. Johann Martin Lappenberg. MGH SS XXI, hrsg. v. Georg Heinrich Pert, Hannover 1868, S. 100 ff. Braunschweigische Reimchronik, hrsg. v. Ludwig Weiland. MGH Deutsche Chroniken, Bd. 2, Hannover 1877, S. 430 – 574. CDB: Codex diplomaticus Brandenburgensis, 2. Hauptteil: Urkunden-Sammlung zur Geschichte der auswärtigen Verhältnisse der Mark Brandenburg und ihrer Regenten, Bd. 4, hrsg. v. Adolph Friedrich Riedel, Berlin 1847.
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Quellen und Literatur
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Quellen und Literatur
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Quellen und Literatur
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Quellen und Literatur
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III. Literatur 1. Aus der Zeit vor 1800 Bilderbeck, Christoph Lorenz von: Delineatio Jurium Statibus Provincialibus Ducatus Luneburgici, cum in genere, tum in specie ordini Equestri Competentium, in: Selchow, Johann Henrich Christian von: Magazin für die teutschen Rechte und Geschichte, Bd. 1, Lemgo 1779, S. 250 ff. Blum, Christian Ulrich (Author)/Pregizer, Johann Ulrich (Praeside): Tractatio Juris Publici de Serenissimis Potentissimisque Ducibus Brunsuicensibus et Luneburgensibus, Tübingen 1687. Bodin, Jean: Les six livres de la Rpublique. Faksimiledruck der Ausgabe von 1583, Aalen 1961. Erath, Anton Ulrich: Historische Nachricht von den im Alten und Mittleren Durchlauchtigsten Braunschweig-Lüneburgischen Hause insbesondere zu H. Wilh. des älteren und H. Wilh. des jüngeren Zeiten getroffenen Erbtheilungen aus gedruckten und ungedruckten Urkunden, Franckfurth/Leipzig 1736. Göbel, Johann Wilhelm von: Helmstädtische Neben-Stunden - a) Zweytes Stück, Worin von eines Landes-Herrn Einkünfften und Gütern, insonderheit von des Königl. Chur- und Herzogl. Hauses zu Braunschweig und Lüneburg Domainen, Als da sind Lehne, Graffschafften, Herrschafften und Vögteyen, gehandelt; Anbey unterschiedener Illustren Controversien und Prätensionen, nebst angefügten Diplomatibus und Urkunden mitgedacht wird Das I. Capitel. Von dem Unterschied der Güter, welche ein Landes-Herr in Nutzunge oder seiner Gewalt hat. Das II. Capitel. Von DomainenStücken des Durchlauchtigsten Hauses Braunschw. und Lüneburg, Helmstädt 1735. - b) Drittes Stück, Worinn untersucht wird: Ob, und wie weit ein Landes-Herr von dem in seiner Gewalt und Nutzunge habenden Länder, Rechten und Gütern disponiren könne, so daß sein Nachfolger an der Regierunge dadurch verpflichtet werde? Wobey mit von unterschiedenen Formulis Imperii Oder Der Verbindunge zwischen Regenten und Unterthanen der vornehmsten reiche und Staaten von Europa unterschieden wird, Helmstädt 1736. Horn, M. Johann Friedrich: Politicorum Pars Architectonica De Civitate, Trajecti ad Rhenum 1664. (Jacobi, Andreas Ludolph:) Rückerinnerung an die Vereinigung des Fürstenthums Lüneburg mit den übrigen Provinzen der Braunschw. Lüneburg. Churlande, unter einem Landesherrn, in:
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Quellen und Literatur
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Quellen und Literatur
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Quellen und Literatur
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Quellen und Literatur
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Quellen und Literatur
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Sachverzeichnis Adelsrecht siehe Hausrecht, Hausgesetze, Hausvertrag Agnatisches Prinzip 111, 114 ff., 364, 574 Allodialisierung (siehe auch Patrimonialisierung) 28, 50 f., 84 f., 189 Außenlehen 208, 212, 242, 244 Autonomie (der hochadeligen Familie) 34 ff., 282, 575 Beispruchrecht 93 ff., 348 ff., 357 ff., 371 ff., 561 ff. Butenlehen siehe Außenlehen Coheredes 97 ff. comitatus siehe Grafschaft confirmatio caesarea siehe Konfirmation, kaiserliche dominium 166, 184 Dukat, ducatus siehe Herzogtum Dynastie, dynastische Raison 25 ff., 222 ff., 230 ff., 292 ff., 345 ff., 490 f., 554 f., 560 ff. Erbenlaub siehe Beispruchrecht Erbverbrüderung 26, 237 ff., 251, 282, 334, 357 ff., 368 ff., 553 ff., 563, 576 f. Erbverschreibung 215, 223, 237 ff., 575 f. Eventualbelehnung 247 ff. Fahnlehen, (Un)Teilbarkeit des Fahnlehens 160, 191 ff., 217,, 227 ff. feudum extra curtem siehe Außenlehen Feudum paternum 186, 192, 198, 463 Fideikommiss, Familienfideikommiss 110 ff., 123, 130, 502 ff., 541 Ganerben(gemeinschaft) 88, 96 ff. 358 ff. Gesamtlehen, Gesamtbelehnung siehe Samtlehen, Samtbelehnung Grafschaft 46 ff., 166 ff.
Handgemal 89 ff., 113, 121 ff. 222 Hausrecht, Hausgesetze, Hausvertrag 33 f., 110 ff., 113 ff., 573 ff. Herrschaftsvertrag siehe lex fundamentalis/ leges fundamentales Herzogtum 131 ff. Huldigung, auch Huldigungseid, -rezess und Samthuldigung 242 f., 246, 257, 261 ff., 301, 329, 334 f., 339, 368, 499 f., 509 f.,542, 554 jus quaesitum, jura quaesita 528 ff. Komitat siehe Grafschaft Konfirmation, kaiserliche 392 ff., 415, 441 f., 478 f., 520, 526, 565 Landesteilung 27, 38, 40 ff., 158 ff., 232, 275, 343, 459 Anm., 549, 568 Lehnsgesetze 160, 191 ff., 346 ff. Lehnshoheit 318, 367, 379 f. Lehnsnexus 174 ff., 186 ff., 215, 223 ff., 247 f., 334, 345, 351, 564 lex fundamentalis/leges fundamentales 467 Anm., 538, 542, 559, 581 Linealprimogenitur siehe Primogenitur Majorat 388 Anm. Mutschierung 196, 217, 318, 324 f., 366, 557 Nachfolgerverbindlichkeit 111, 349, 449, 490 Näherrecht 305 f., 325, 336, 370 ff., 381 ff. noviter acquisita 480 ff. Patrimonialisierung (siehe auch Allodialisierung) 28, 50 f., 159 Patrimonialstaat 28, 344 Pfandschloss 353 Primogenitur(erbfolge) 388 ff., 459 ff. Privatfürstenrecht 34 Anm.
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Sachverzeichnis
Regalienlehre 423 Anm., 479, 558 Reichsfürstenstand 175 ff. Rentkammer 412 f., 425, 439, 559, 561 Samtlehen, Samtbelehnung (siehe auch feudum paternum) 96, 219, 249 ff., 310 f., 329, 333 ff., 441 ff., 480 ff., 554 Schatulle 412, 439, 450, 537, 559, 561 Seniorat 269 f., 280 ff., 388 Anm., 459 Stammgut (siehe auch Stammsitz und Handgemal) 89 ff., 110 ff., 222 f., 355 f. Stammsitz 89 ff.
successio ex pacto et providentia maiorum 192, 463, 481, 503 f. Territorialisierung 148 ff., 160 ff., 163 ff., 177, 185, 547 ff. Territorium, Territorialstaat, Territorialherrschaft 21 ff.,240 ff., 565 ff. Verpfändung in Amtsmannsweise 353 f., 380 Wartrecht siehe Beispruchrecht