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German Pages 452 Year 2017
Marlies Klamt Medien und Normkonstruktion
Edition Medienwissenschaft
For Nuse who has taught me more about racism and social injustice than any book could ever have
Marlies Klamt (Dr. phil.) war von 2009 bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und hat dort im Wintersemester 2016/2017 die Professur für Fernsehjournalismus/ Audiovisuelles Publizieren vertreten. Sie arbeitet als Videojournalistin und gibt Medientrainings.
Marlies Klamt
Medien und Normkonstruktion Zur Darstellung von Pädophilie, Missbrauch und Familie im »Tatort«
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 02 – Sozialwissenschaften, Medien und Sport der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2016 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen. Die Veröffentlichung dieses Werks wurde finanziell unterstützt durch die inneruniversitäre Forschungsförderung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Danksagung | 9 Zusammenfassung | 11 1
Einleitung | 13
1.1 1.2 1.3 1.4 2
Zur Konstruktion von Ungleichheit: Konstitution des Gegenstandes | 23
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3
Pädophilie | 89 Die weiße Kernfamilie und ihre Elemente | 104 Der Pädophile als Feind der weißen Kernfamilie | 123
Methodik: Die Grenzüberschreitungstheorie | 127
5.1 5.2 5.3 6
Intersektionalität | 58 Kritische Weißseinsforschung | 67 Zum Verhältnis von Intersektionalität und Weißsein | 83
Inhaltliche Fokussierung: Pädophilie und die weiße Kernfamilie | 87
4.1 4.2 4.3 5
Gleichhheitsideal und Legitimation von Ungleichheit | 24 Der Normmensch in der weißen Gesellschaft | 26 Gesellschaftliche Machtstrukturen und Dominanzverhältnisse | 38 Soziale Normen | 44 Die Rolle der Medien | 51
Zur Konstruktion von Ungleichheit: Theoretische Positionierung | 57
3.1 3.2 3.3 4
Problemaufriss und Gegenstand der Arbeit | 13 Zielsetzung und Hypothesen | 16 Untersuchungsgegenstand | 18 Aufbau | 19
Entwicklung der Grenzüberschreitungstheorie | 128 Anwendung der Grenzüberschreitungstheorie | 133 Methodisches Vorgehen | 147
Untersuchungsgegenstand: Die Kriminalreihe Tatort | 157
6.1 6.2 6.3
Kriminalgeschichten im Fernsehen und die Tatort-Reihe | 158 Forschungsstand: Ungleichheit im Tatort | 160 Die Kriminalreihe Tatort und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit | 177
7
Analyse der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN | 183
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 8
Analyse der Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM | 259
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 9
Inhaltsangabe und Figurenkonstellation | 183 Rekonstruktion von Ordnung und Ereignissen | 186 Raumstrukturen | 211 Ungleichheitsgenerierende Kategorien und Macht | 228 Pädophilie und sexueller Missbrauch | 241 Die weiße Kernfamilie und ihre Elemente | 248 Zwischenfazit zu AUF EWIG DEIN | 254
Inhaltsangabe und Figurenkonstellation | 259 Rekonstruktion von Ordnung und Ereignissen | 261 Raumstrukturen | 274 Ungleichheitsgenerierende Kategorien und Macht | 283 Pädophilie und sexueller Missbrauch | 292 Die weiße Kernfamilie | 294 Zwischenfazit zu ADAMS ALPTRAUM | 300
Analyse der Tatort-Folge ABGRÜNDE | 303
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8
Inhaltsangabe und Figurenkonstellation | 303 Rekonstruktion von Ordnung und Ereignissen | 306 Raumstrukturen | 320 Ungleichheitsgenerierende Kategorien und Macht | 331 Pädophilie und sexueller Missbrauch | 336 Die weiße Kernfamilie | 339 Weißsein und Schnee als Motiv | 343 Zwischenfazit zu ABGRÜNDE | 344
10 Tatort-Analysen: Ergebnisse und Vergleich | 347
10.1 10.2 10.3
Pädophilie und sexueller Missbrauch | 347 Die weiße Kernfamilie | 349 Überprüfung der Hypothesen | 350
11 Weiterentwicklung des Analyseansatzes | 353
11.1 11.2 11.3
Analyse des Panorama-Beitrags EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE | 354 Der Fall Edathy: Gerichtszeichnungen | 380 Ergebnisse | 389
12 Schlussbetrachtung | 391
12.1 12.2
Zusammenfassung der Ergebnisse | 391 Fazit und Ausblick | 395
Literaturverzeichnis | 399
Literatur | 399 Quellen | 421 Filmverzeichnis | 425
Journalistische Beiträge und Dokumentarfilme | 425 Fernsehserien und -reihen | 425 Spielfilme | 426 Tatort-Folgen | 427 Weitere Verzeichnisse | 433
Tabellenverzeichnis | 433 Verzeichnis der Diagramme | 434 Verzeichnis der Schaubilder | 435 Übersicht Sequenzen Tatort-Folge AUF EWIG DEIN | 435 Übersicht Sequenzen Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM | 440 Übersicht Sequenzen Tatort-Folge ABGRÜNDE | 446
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich all jenen Menschen danken, die mich auf meinem Weg zur Fertigstellung dieser Arbeit begleitet haben. Allen voran gilt mein Dank meinem Doktorvater, Prof. Dr. Karl N. Renner, der mir nicht nur beständig mit fachlichem Rat zur Seite stand, sondern mir auch wegen seiner Menschlichkeit und wertschätzenden Haltung seinen Mitarbeitenden und Studierenden gegenüber stets ein Vorbild gewesen ist. Weiter danke ich meiner Zweitbetreuerin, Prof. Dr. Mita Banerjee, für wichtiges Feedback in der Endphase meiner Dissertation und Prof. Dr. Matthias Krings, der mich in der Anfangsphase durch fachlichen Input unterstützt hat. Darüber hinaus danke ich meinen Kolleg*innen des Journalistischen Seminars der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, insbesondere Dr. Thomas Hartmann. Zu besonderem Dank bin ich Dr. Joachim Werner und Katharina Fürholzer gegenüber verpflichtet, die große Teile der Arbeit akribisch gelesen und mich auf sprachliche und inhaltliche Verbesserungsmöglichkeiten hingewiesen haben. Mein Dank für Hilfe beim Lektorat gilt weiterhin Merle Becker, Isabelle Bröckling, Patrick Fink, Gabi Glasstetter, Simone Gurn, Gisela Neidhardt, Vanessa Renner, Judith Schneider, Rebecca Wessinghage, Marlene Wienold und Lisa Wolff. Für fachlichen Austausch bedanke ich mich bei Prof. Dr. Susan Arndt, die mir ermöglicht hat, meine Arbeit in ihrem Kolloquium vorzustellen. Ebenso danke ich meinen Mitstreiter*innen Vanessa Renner, Dr. Tullio Richter, Patrick Fink, Mira Sackeyfio, Yvonne Augustin und Eva Maria Bub für empowernde Gespräche. Meinen Eltern Christa und Joachim Klamt gebührt mein Dank nicht nur für ihre finanzielle Unterstützung und Hilfe beim Lektorat, sondern auch dafür, dass sie mich mit bedingungsloser Liebe durch allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen begleiten.
Judbury, Tasmanien im Mai 2017 Marlies Klamt
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit erforscht, welche Rolle den Medien bei der Konstruktion von Ungleichheit zukommt beziehungsweise inwiefern die Medien bestehende Ungleichheiten festigen, diesen entgegenwirken oder gesellschaftliche Umbrüche herbeiführen können. Untersucht werden vorrangig drei Folgen der Kriminalreihe Tatort aus dem Jahr 2014 (AUF EWIG DEIN, ADAMS ALPTRAUM, ABGRÜNDE), in denen es um Pädophilie und sexuellen Missbrauch geht – eine Thematik, die aufgrund der Enthüllungen von Missbrauchsfällen an kirchlichen und pädagogischen Einrichtungen in den vergangenen Jahren besondere mediale Aufmerksamkeit erfahren hat. Dabei werden die Darstellungen in den fiktionalen Tatort-Folgen verglichen mit der faktualen Berichterstattung zu dem gegenüber dem SPD-Politiker Edathy vorgebrachten Vorwurf der Pädophilie. Ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt liegt auf der Familie, die im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen einen wichtigen Stellenwert hat. Die interdisziplinär angelegte Arbeit bedient sich einer kultur- und medienwissenschaftlichen Methodik und baut auf der aus dem Bereich der Kultursemiotik und Narratologie stammenden Grenzüberschreitungstheorie auf. Das text- bzw. filmanalytische Instrumentarium wird mit Erkenntnissen aus den Sozialwissenschaften verbunden. Die theoretische Basis der Untersuchung stellen der Intersektionalitätsansatz sowie die Critical Studies of Whiteness dar. Diese Konzepte ermöglichen es, sowohl den Blick auf die Norm und den Normmenschen zu richten als auch verschiedene Differenzkategorien wie ‚Rasse‘1, Klasse, Geschlecht und Sexualität in ihrer Verwobenheit zu untersuchen. Die Analysen haben ergeben, dass in den Tatort-Folgen keine Differenzierung zwischen Pädophilie und sexuellem Missbrauch vorgenommen wird, sondern Pädophilie stets mit Missbrauch gleichgesetzt wird. Damit wird in den Tatort-Folgen insgesamt ein eindimensionales Bild von Pädophilen gezeichnet, wodurch stereotype Positionen gestärkt werden. Neue Blickwinkel zur Lösung des Problems des sexuellen Missbrauchs von Kindern werden nicht in die gesellschaftliche Debatte 1
Zur Konstruktion des ‚Rasse‘-Begriffes siehe Kapitel 2.2.2.
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eingebracht. Pädophilie und sexueller Missbrauch werden als Angriff auf die westlich-weiße Kernfamilie und damit auf die westlich-weiße Gesellschaft in ihrer Gesamtheit inszeniert. In einer Folge (AUF EWIG DEIN) werden Pädophilie/sexueller Missbrauch zudem als (krankhafter) Auswuchs sich verändernder Familienformen respektive der Auflösung der Kernfamilie dargestellt. Der medialen Klassifikation von Pädophilen beziehungsweise sexuellen Missbrauchstäter*innen als ‚andersartig‘ kommt unter anderem die Funktion zu, die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit aufrechtzuerhalten, womit das Ideal der westlich-weißen Kernfamilie gestützt wird. Weiter wird festgestellt, dass Verhaltensweisen, die gesetzlich erlaubt sind, aber die voraussichtlich in der Mehrheitsgesellschaft negativ bewertet werden, innerhalb der Narration eher indirekt als explizit sanktioniert werden. Formal betrachtet wird demnach politisch korrekt erzählt, tatsächlich werden aber auf narrativer Ebene Benachteiligungen legitimiert. Der untersuchte Beitrag des Politmagazins Panorama (EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE) zeigt hingegen eine Alternative im Umgang mit pädophil veranlagten Menschen auf. Dies kann als Versuch, eine neue Ordnung zu etablieren, aufgefasst werden und verdeutlicht das innovative Moment, das journalistische Medienangebote aufweisen können. Auf diese Weise wird ein Beitrag zur Dekonstruktion von Vorurteilen und damit zur Dekonstruktion von Ungleichheit geleistet. Mediale Darstellungen können also soziale Ungleichheitsstrukturen verstärken oder den Versuch unternehmen, diese durch das Aufzeigen neuer Perspektiven zu verändern.
1
Einleitung
1.1
P ROBLEMAUFRISS
UND
G EGENSTAND
DER
ARBEIT
Am 26. Januar 2014 wird die Saarbrücker Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM (D 2014, R: Salonen) ausgestrahlt, in welcher es um den Lynchmord an einem angeblich pädophilen Schwimmlehrer geht. Direkt in der folgenden Woche findet die Erstausstrahlung der Folge AUF EWIG DEIN (D 2014, R: Zahavi) aus Dortmund statt, in der ein Mörder kleine Mädchen entführt, missbraucht und tötet. Am 2. März 2014 wird im Tatort ABGRÜNDE (A 2014, R: Sicheritz) gegen die Wiener High Society ermittelt, deren Mitglieder Mädchen jahrelang in sogenannten Kinderbordellen festgehalten und sexuelle Gewalt gegen sie ausgeübt haben. Damit wird innerhalb von nur fünf Wochen der Themenkomplex Pädophilie und sexueller Kindesmissbrauch in drei Folgen der populären Kriminalreihe Tatort aufgegriffen. Parallel dazu beschäftigen die Themen die journalistischen Medien, denn Anfang 2014 wird öffentlich, dass der SPD-Politiker Sebastian Edathy in Verdacht steht, kinderpornografisches Material zu besitzen. Am 7. Februar 2014 legt Edathy sein Bundestagsmandat nieder, drei Tage später werden seine Wohnung und sein Büro durchsucht. Die SPD eröffnet ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn. Neben der Berichterstattung, in welcher die Edathy-Affäre direkt aufgegriffen wird, erscheinen zahlreiche Medienbeiträge, die sich damit befassen, was Pädophilie ist (so z. B. Fries und Lüdemann im Zeit Online-Artikel WAS IST PÄDOPHILIE? vom 19.02.2014 und dal/nik im Spiegel Online-Artikel DIE WICHTIGSTEN ERKENNTNISSE ZU PÄDOPHILIE vom 23.02.2014), wie sich sexueller Missbrauch auf die Opfer auswirkt (z. B. der Spiegel-Artikel von Müller und Teevs UNTER DIE HAUT vom 06.01.2014) und wie Pädophile mit ihrer sexuellen Neigung umgehen (z. B. der FAZ.net-Artikel BEKENNTNISSE EINES PÄDOPHILEN von Schaaf vom 04.03.2014 und der Zeit-Artikel SCHLIMMER ALS JEDE SUCHT von Faller vom 13.03.2014). Daneben waren in den letzten Jahren weitere Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch in den Medien präsent, etwa wegen der Vorfälle in Einrichtungen der katholischen Kirche wie im Canisius-Kolleg und im Kloster Ettal, aber auch in anderen Institutionen wie
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in der Odenwaldschule, dem Vorzeigeprojekt der Reformpädagogik, und bei den Regensburger Domspatzen. Medienbeiträge ermöglichen damit eine Diskussion über das Thema Pädophilie und sexuelle Gewalt gegen Kinder. Sie bilden bei ihrer Berichterstattung Realität1 nicht nur ab, sondern wirken auch an ihrer Konstruktion mit. Dies trifft auf fiktionale Medienangebote ebenso zu wie auf non-fiktionale. Dabei sind die Medien konstitutiv für die Bildung einer öffentlichen Meinung (Gerhards & Neidhardt 19902), welche stets mit Moralvorstellungen verknüpft ist: „Wer anders denkt, ist nicht dumm, sondern schlecht.“ (Noelle-Neumann 2003: 402) Da die Existenz einer öffentlichen Meinung grundlegend für die Legitimität freiheitlich-demokratischer Gesellschaftsformen ist, dürfen mediale Angebote nicht einseitig informieren, sondern müssen ein Meinungsspektrum anbieten und unterschiedliche Positionen und Perspektiven abdecken. Dies geschieht jedoch immer nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, welcher die Grenzen dessen, was öffentlich geäußert werden kann, festlegt und damit dessen, was zu einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Kultur als berichtbar beziehungsweise erzählbar gilt.3 Innerhalb dieses Deutungsrahmens können durch Medienangebote bestehende Werte und Normen bestätigt oder aber hinterfragt werden. Das kritische Beleuchten von Normen kann dabei als Impuls für eine Änderung des jeweils gültigen Ordnungssystems aufgefasst werden. Welche Ansichten zu Pädophilie aktuell vertretbar erscheinen, ist demnach zumindest in Teilen darauf zurückzuführen, welche Positionen sich gegenwärtig in Mediendarstellungen finden, wobei es hier zu gegenseitigen Rückkopplungseffekten kommt. Sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern haben in den letzten 50 Jahren einen Bewertungswandel erfahren: Positionen, die Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre noch öffentlich geäußert werden konnten, sind heute undenkbar. Das gesellschaftliche Klima, das ab Mitte der 1960er Jahre bis in die 1980er Jahre hinein4 an der Odenwaldschule die sexuellen Übergriffe erwachsener
1
Zur Problematik der Begriffe Realität/Wirklichkeit sowie zum Verhältnis von Medien
2
‚Öffentliche Meinung‘ wird mit den Soziologen Jürgen Gerhards und Friedhelm Neid-
und insbesondere dem Tatort zur Realität siehe ausführlich Kapitel 2.5 und Kapitel 6.3. hardt definiert als „eine Meinung, die in öffentlichen Kommunikationen mit breiter Zustimmung rechnen kann, eine Meinung, die sich in den Arenen öffentlicher Meinungsbildung durchgesetzt hat und insofern ‚herrschende‘ Meinung darstellt“ (Gerhards & Neidhardt 1990: 12). 3
Hall spricht in diesem Kontext von einem „Konsens“, welcher bestimmt, welche Posi-
4
Im Abschlussbericht über den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule wird je-
tionen medial vertretbar erscheinen (Hall 2001: 357-361). weils der Beginn der gemeldeten Fälle aufgelistet (nicht deren Dauer), wobei erkennbar wird, dass der Großteil der Übergriffe zwischen 1970 und 1979 begonnen hat und in
E INLEITUNG
| 15
Erziehungspersonen auf ihre Schützlinge ermöglicht hat, hat sich grundlegend geändert. Tendenziell wurde das Sexualstrafrecht in den vergangenen Jahren immer restriktiver. Im Zuge der Edathy-Affäre wurde beispielsweise Anfang 2015 ein Gesetz eingeführt (§ 201a Abs. 3 StGB), welches das Fotografieren nackter Minderjähriger mit dem Ziel des Verkaufs der Bilder verbietet (BGBl 2/2015: 14). Nach den massenhaften körperlichen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht 2015 am Kölner Hauptbahnhof wird erneut über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts diskutiert. Für die Vorfälle in Köln werden dabei mehrheitlich nordafrikanische und arabische Männer verantwortlich gemacht. Dies ermöglicht es, die Täter als Gefahr aus dem Außenraum zu konstruieren und sich mit sexualisierter Gewalt von (weißen) deutschen Männern gegenüber Frauen nicht oder nur sekundär zu befassen. Die Gefahr, die von Sexualstraftäter*innen5 ausgeht, die Kinder missbrauchen, ist dabei nicht in gleicher Weise von der weißen Mehrheitsgesellschaft abzuspalten. In den Medien fehlt oftmals eine Differenzierung zwischen Missbrauchstäter*innen und Menschen mit pädophiler Neigung.6 In Medienangeboten tritt ‚der Pädophile‘ im Regelfall als männliches Individuum auf, das Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft ist. Mehr noch, der weiße Pädophile ist äußerlich nicht als Gefahr erkennbar und erscheint im Gegenteil häufig als ‚Normmensch‘, als ‚Mensch an sich‘. Unter Normmensch wird dabei die – als ideal gedachte – gesellschaftliche Positionierung verstanden, die nur ‚normgerechte‘ Ausprägungen ungleichheitsgenerierender Kategorien ausfüllt. Der Normmensch ist damit weiß, deutsch, westlich, männlich, an christlichen Werten orientiert, hat keine ‚Behinderung‘ und gehört der Mittelschicht an. Die von der heterosexuellen Norm abweichende sexuelle Neigung des Pädophilen stellt dabei eine äußerlich unsichtbar bleibende Devianz dar. Diese Konstellation eröffnet nun ein spannungsreiches Feld für die Untersuchung der Konstruktion von Ungleichheit durch die Medien anhand einer Gruppe männlicher Täter, die sich nicht – im Gegensatz zum Gros der Straftäter in Köln – visuell sichtbar von der Norm unterscheiden. Das aus den beschriebenen Beobachtungen erwachsende Forschungsinteresse bezieht sich dabei auf den medialen Umgang mit fiktionalen Figuren und Protagonist*innen journalistischer Darstellungen, die als Teil des ‚wir‘ erscheinen, aber zugleich öffentlich als Gefahr repräsentiert, diffamiert und oft auf Grund ihrer sexuellen Neigung vorverurteilt werden – und zwar unabhängig davon, ob es zu Übergriffen kommt oder nicht. Die umfassende den Jahren vorher (ab 1965) und danach (bis 1989 sowie im Jahr 1998) weitere Einzelfälle aufgetreten sind (Burgsmüller & Tilmann 2010: 13). 5
In der vorliegenden Studie wird die Variante gewählt, mit Sternchen (*) zu gendern, wobei dieses vor der weiblichen Endung eines Wortes eingefügt wird. Der Artikel wird dabei aus Gründen der Lesbarkeit nicht für die weibliche und die männliche Form aufgeführt, sondern lediglich an die jeweilige Langform des Begriffes angepasst.
6
Siehe hierzu ausführlich Kapitel 4.1.
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Präsenz des Themas in Medienangeboten aller Gattungen und Genres verweist außerdem darauf, dass gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in Gang sind, was die Frage aufwirft, in welchem Stadium diese sich gerade befinden. Für eine Studie, die bei der Analyse der Konstruktion von Ungleichheit den Blick vorrangig auf den Normmenschen richtet und die den vielfältigen Verknüpfungen und Verwobenheiten von Dominanz und Dominierung, von komplexen Subjektpositionen und der Verschränkung verschiedener Ausprägungen ungleichheitsgenerierender Kategorien nachspüren will, ist der Themenkomplex Pädophilie und sexualisierte Gewalt damit ein lohnendes Untersuchungsfeld. Über Pädophilie werden nicht nur Werte und Normen transportiert, wie anhand des enormen Bewertungs- und Bedeutungswandels sichtbar wird, den das Thema in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, sondern die Angst vor Übergriffen Pädophiler auf Kinder trifft ins Herz der weißen Gesellschaft. Denn eine Gefahr, die vom Normmenschen selbst und damit aus dem Zentrum der Mehrheitsgesellschaft kommt, kann nicht von dieser abgesondert werden. Die weiße Kernfamilie nimmt in Bezug auf Pädophilie und sexuellen Missbrauch eine wichtige Rolle ein. Daher bietet es sich an, sie in diesem Kontext ebenfalls zu untersuchen. So kommen Missbrauchstäter*innen – unabhängig davon, ob ihre Handlungen auf eine pädophile Neigung oder andere Ursachen zurückzuführen sind – häufig aus dem Kreis der Familie selbst. Darüber hinaus sind die kindlichen Opfer der Übergriffe im Normalfall in Familien eingebunden. Weiter hat der Stellenwert des Kindes im vergangenen Jahrhundert einen massiven Bedeutungswandel erfahren, auf welchen die heutige Bewertung von Pädophilie zumindest in Teilen zurückgeführt werden kann. Es ist zudem möglich, dass die nicht traditionellen Formen des familialen Zusammenlebens vor allem in fiktionalen Medienbeiträgen als ursächlich für das Aufkommen ‚kranker‘ sexueller Neigungen dargestellt werden. Dafür spricht, dass die klassische Kernfamilie, bei der ein verheiratetes (heterosexuelles) Elternpaar mit seinen leiblichen Kindern zusammenlebt, immer noch als Ideal angesehen wird.
1.2
Z IELSETZUNG
UND
H YPOTHESEN
Das übergeordnete Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie ist es, zu entschlüsseln, wie Medien an der Konstruktion von Ungleichheit mitwirken. In Bezug auf Pädophilie geht es darum, die narrativen Strategien zu identifizieren, die Medienangebote für den Umgang mit dem Pädophilen als dem ‚inneren Anderen‘ nutzen. Dabei muss auch ein Blick auf die verwendeten Exklusions- und Inklusionsmechanismen geworfen werden. Aus den vorangegangenen Überlegungen können folgende Hypothesen abgeleitet werden:
E INLEITUNG
H 1: H 2:
H 3:
| 17
Pädophilie wird in Medienbeiträgen als Angriff auf die weiße Kernfamilie und damit auf die weiße Gesellschaft in ihrer Gesamtheit inszeniert. Pädophilie wird in Medienbeiträgen als (krankhafter) Auswuchs sich verändernder Familienformen respektive der Auflösung der Kernfamilie inszeniert. Die mediale Klassifikation von Pädophilen als ‚andersartig‘ hat die Funktion, die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit aufrechtzuerhalten und stützt damit das Ideal der weißen Kernfamilie.
Neben diesen Hypothesen, die inhaltliche Punkte betreffen, besteht überdies ein methodisches Erkenntnisinteresse. Dieses bezieht sich darauf, wie man grundsätzlich kultursemiotische, narratologische Ansätze wie die Grenzüberschreitungstheorie (Lotman 1993; Renner 1983, 1987, 2004) mit den theoretischen Konzepten der kritischen Weißseinsforschung und des Intersektionalitätsansatzes im Sinne einer gegenseitigen Befruchtung zusammenführen kann, um damit das Spektrum bisheriger Forschungsergebnisse zu erweitern. Die kritische Weißseinsforschung schlägt sich dabei vor allem in der Art und Weise nieder, wie Fragestellungen und Hypothesen formuliert werden. Sie begründet, dass die Norm ins Zentrum der Untersuchung gerückt wird. Durch die Einbindung des Intersektionalitätsansatzes hingegen wird vermieden, mit dem Blick auf die Norm zu verkennen, dass alle Menschen in ein System von Dominanz und Dominierung eingebunden sind. Die intersektionale Verschränkung von Subjektpositionen ebenso wie von Herrschaftssystemen muss deshalb bei den Analysen stets mitgedacht werden. Konkret äußert sich das methodische Interesse in folgender Hypothese, welche vor allem auf die Art des Zusammenhangs von sozialen Normen der ‚Realwelt‘ und dem narrativen Umgang mit einem Verstoß gegen diese gerichtet ist: H 4:
Verhaltensweisen von Figuren, die gesetzlich erlaubt sind beziehungsweise aus einer politisch korrekten Position zu befürworten/akzeptieren sind, aber die voraussichtlich in der Mehrheitsgesellschaft konsensuell negativ bewertet werden, werden in Medienbeiträgen eher implizit als explizit sanktioniert.
Zuletzt wird angenommen, dass die in den Hypothesen beschriebenen Annahmen, sollten sie sich als zutreffend erweisen, den Status quo und damit die Machtposition des Normmenschen erhalten, wodurch soziale Ungleichheiten stabilisiert werden: H 5:
Die Inhalte aller dieser Annahmen dienen dem Machterhalt des Normmenschen und festigen damit soziale Ungleichheiten.
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Diese Hypothese beruht auf der Überlegung, dass die Konstruktion von Bedeutungen nicht willkürlich geschieht, sondern eingebettet ist in ein System von Macht und Dominanz, welches sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem historisch gewachsenen, kapitalistischen, postkolonialen, patriarchalen, heteronormativen System manifestiert.
1.3
U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND
Ob diese fünf Hypothesen plausibilisiert werden können oder verworfen werden müssen, soll nun anhand der eingangs aufgeführten Tatort-Folgen zu Pädophilie und sexuellem Missbrauch überprüft werden. Die Kriminalreihe Tatort bietet sich dabei aus mehreren Gründen als Untersuchungsgegenstand an. Zum einen eröffnet die Analyse von Kriminalgeschichten die Möglichkeit, soziale Normen herauszuarbeiten. Es geht in Kriminalgeschichten immer um Ordnungsverletzungen und deren Beschaffenheit sowie um die Art der zumindest in Mainstream-Geschichten obligatorischen Ordnungswiederherstellung. Dies ermöglicht es, die dahintersteckenden sozialen Normen sichtbar zu machen. Weiter dienen Fernsehserien als Orientierungshilfe, wirken stabilisierend und bieten ein Forum zur Aushandlung gesellschaftlich bedeutsamer Probleme (Dörner 2001: 158; Hickethier 2002: 551; Hickethier 2010: 1). Die Reihe Tatort ist nun nicht nur wegen ihrer großen Reichweite und ihrer langen Laufzeit ein gerne gewählter Untersuchungsgegenstand für sozialund geisteswissenschaftliche Studien, sondern auch wegen ihres gesellschaftspolitischen Anspruchs, der sich im Aufgreifen als relevant empfundener Themen niederschlägt wie Pädophilie und sexuellem Missbrauch. Prinzipiell können Themen durch den Tatort jedoch nicht nur aufgegriffen, sondern auch gesetzt werden oder es können zumindest Standpunkte eingeführt werden, die die gesellschaftliche Diskussion bereichern. Die Kriminalreihe kann damit sowohl die Realität abbilden als auch an deren Konstruktion mitwirken. Letzteres ist besonders wichtig, wenn es um die Konstruktion sozialer Ungleichheit durch die Medien geht. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, was innerhalb der Narrative einzelner Tatort-Folgen gezeigt wird, sondern ebenso, was nicht dargestellt wird und wessen Positionen damit nicht repräsentiert werden. Verschiedene Figuren können dabei innerhalb einer Folge unterschiedliche Standpunkte formulieren und für alternative Weltbilder stehen, wobei davon auszugehen ist, dass sich stets ein Weltbild als das dominante erweist, welches von der Erzählinstanz des Films vertreten wird. Methodisch bietet die Grenzüberschreitungstheorie das benötigte Instrumentarium,
E INLEITUNG
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um die Weltbilder aus dem Text7 zu extrahieren und das mit ihnen verbundene Ordnungssystem zu identifizieren. In einem weiteren Schritt kann dieses dann abgeglichen werden mit potenziell ablaufenden Prozessen der Konstruktion sozialer Ungleichheit, der Darstellung des Normmenschen, der Bewertung von Pädophilie und insbesondere dem narrativen Umgang mit als pädophil gekennzeichneten Figuren, welche im Hinblick auf ihre sexuelle Identität von der Norm abweichen. Neben der Beschäftigung mit der medialen Konstruktion sozialer Ungleichheit in fiktionalen Medienangeboten lohnt ein Exkurs in den Journalismus, um zu erkunden, ob hier ähnliche Ordnungssysteme und Weltbilder konstruiert werden oder aber eine andere Herangehensweise identifizierbar ist. Der achtminütige PanoramaBeitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE (D 2014; A: Bolz & Jolmes) setzt sich mit Pädophilie und sexuellem Missbrauch auseinander und bietet sich deshalb für die exemplarische Untersuchung eines journalistischen Beitrags an. Im Hinblick auf Weißsein erscheint ein Blick auf die Gerichtszeichnungen des Edathy-Prozesses aufschlussreich, da anhand dieser die Verknüpfung von Weißsein und Pädophilie untersucht werden kann. Dabei gilt es auch herauszuarbeiten, wie mit dem indischen Migrationshintergrund Edathys umgegangen wird und ob dieser in Zusammenhang mit dem Besitz kinderpornografischen Materials gesetzt wird.
1.4
AUFBAU
Die Arbeit gliedert sich in sechs große Themenblöcke. Zunächst werden die theoretischen Grundlagen gelegt (Kapitel 2 und Kapitel 3), bevor eine inhaltliche Fokussierung auf die Themen Pädophilie und Familie erfolgt (Kapitel 4), die verwendete Methodik hergeleitet (Kapitel 5) und der Untersuchungsgegenstand (Kapitel 6) vorgestellt wird. Daran schließen sich die Analysen der fiktionalen und journalistischen Beispiele an (Kapitel 7 bis 11), bevor die Arbeit mit einer Schlussbetrachtung endet (Kapitel 12). Um den Gegenstand einzuführen, werden als erstes die verschiedenen Ebenen, die für die Studie relevant sind, angesprochen und wichtige Begriffe diskutiert und definiert (Kapitel 2). So geht es zunächst darum, wie es in unserer Gesellschaft trotz oder gerade wegen der Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen zu sozialer Ungleichheit kommen kann (Kapitel 2.1). Anschließend wird der Begriff des Normmenschen erörtert, welcher im Hinblick auf verschiedene ungleichheitsgenerierende Kategorien als die gesellschaftlich dominanteste Position angesehen wer-
7
Hier wird ein weites Verständnis von Text angelegt, das neben schriftlichen Dokumenten auch audiovisuelle Texte einschließt. Filme werden somit als zeichenbasierte Texte verstanden (vgl. auch Kanzog 1991: 18).
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den kann (Kapitel 2.2). Nach diesen Überlegungen auf der Subjekt- und damit Mikroebene wird der Blick ausgeweitet auf die gesellschaftlichen Machtstrukturen und Dominanzverhältnisse und damit auf die Makroebene (Kapitel 2.3). Da soziale Normen zentral für die späteren Analysen sind, befasst sich ein weiteres Unterkapitel mit diesen (Kapitel 2.4), bevor auf die Rolle der Medien in der Gesellschaft und damit auch bei der Konstruktion von Ungleichheit eingegangen wird (Kapitel 2.5). In Kapitel 3 werden die Positionen der Intersektionalitätsforschung (Kapitel 3.1) und der kritischen Weißseinsforschung (Kapitel 3.2) dargelegt, auf die sich die Studie theoretisch stützt. Beide Ansätze sind vor allem im deutschen Raum relativ neu, weshalb ihre Entstehungsgeschichte in den USA sowie ihr Transfer in den europäischen beziehungsweise deutschsprachigen Raum kurz skizziert werden. Da es sich um komplexe Konzepte handelt, deren empirische Umsetzung eine Reihe von Fragen aufwirft und Herausforderungen mit sich bringt, wird dazu gesondert Stellung bezogen. Im Anschluss wird das Verhältnis der beiden Ansätze zueinander bestimmt (Kapitel 3.3). Dabei wird davon ausgegangen, dass das innovative Moment der kritischen Weißseinsforschung vor allem darin liegt, den Blick auf die Norm zu richten, das Verdienst des Intersektionalitätsansatzes hingegen darin gründet, die Verwobenheit verschiedener Subjektpositionen und Machtstrukturen in den Fokus des Interesses zu rücken. Nach diesen Grundlagen kann der Gegenstand auf die beiden Bereiche Pädophilie und die weiße Kernfamilie konzentriert werden (Kapitel 4). In Bezug auf Pädophilie und sexuellen Missbrauch werden zunächst Begriffe definiert und Statistiken aufgeführt, bevor ein Überblick über die Bewertung von Sexualität und Pädophilie in Deutschland seit den 1960er Jahren gegeben wird, wobei auch aktuelle Debatten zu Pädophilie Berücksichtigung finden (Kapitel 4.1). Die weiße Kernfamilie und ihre verschiedenen Elemente (weiße Mütter bzw. Mutterschaft; weiße Väter bzw. Vaterschaft; weiße Kinder bzw. Kindheit) werden historisch und kulturell verortet und es wird das Bild wiedergegeben, das die Medien von ihnen zeichnen (Kapitel 4.2). Anschließend wird aufgezeigt, inwiefern der (weiße) Pädophile als Feind aus dem Inneren der weißen Kernfamilie und damit auch der weißen Gesellschaft an sich konstruiert wird (Kapitel 4.3). Weil sich kultursemiotische Methodiken besonders gut eignen, um gesellschaftliche Ordnungssysteme zu rekonstruieren und Normen aus Texten zu extrahieren, bietet die Grenzüberschreitungstheorie das ideale Methodeninstrumentarium zur Analyse von Ungleichheit (Kapitel 5). Sie wird in ihrer ursprünglichen Form nach Lotman und in ihrer Weiterentwicklung durch Renner vorgestellt (Kapitel 5.1), bevor sich ihrer Anwendung in der vorliegenden Studie gewidmet wird (Kapitel 5.2). Dabei gilt es, die vor allem aus dem soziologischen Bereich übernommenen Erkenntnisse zu sozialen Normen (vgl. Kapitel 2.4) mit den in der Grenzüberschreitungstheorie zentralen Ordnungssätzen zu verknüpfen und den Zusammenhang mit Ungleichheiten und Pädophilie zu beachten. Anschließend wird das methodische
E INLEITUNG
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Vorgehen bei den Analysen beschrieben und anhand von Leitfragen konkretisiert sowie die Auswahl der zu untersuchenden Tatort-Folgen begründet (Kapitel 5.3). In Kapitel 6 wird der Untersuchungsgegenstand präsentiert: die Kriminalreihe Tatort. Zunächst wird erörtert, inwiefern Fernsehkriminalgeschichten im Allgemeinen und die Kriminalreihe Tatort im Besonderen für die Untersuchung geeignet sind (Kapitel 6.1). Dann wird ein Überblick gegeben über den momentanen Forschungsstand zum Thema Ungleichheit im Tatort (Kapitel 6.2), bevor verschiedene Positionen zum Verhältnis der Kriminalreihe zur Wirklichkeit beleuchtet werden (Kapitel 6.3). Der nächste große Block besteht aus der Analyse der Tatort-Folgen. Das Vorgehen ist dabei bei allen drei Folgen analog, wobei die Folge AUF EWIG DEIN (Kapitel 7) aufgrund ihrer inhaltlichen Schwerpunktsetzung ausführlicher analysiert wird als die Folgen ADAMS ALPTRAUM (Kapitel 8) und ABGRÜNDE (Kapitel 9). Auf eine Inhaltsangabe und eine visuelle Aufarbeitung der Figurenkonstellation folgt jeweils die Rekonstruktion der Ordnung und Ereignisse, bevor die leichter zugänglichen Raumstrukturen dargestellt werden. Dann wird der Zusammenhang der bisherigen Erkenntnisse mit ungleichheitsgenerierenden Kategorien und mit Fragen der Machtverhältnisse diskutiert, bevor auf die inhaltlichen Schwerpunkte Pädophilie und die weiße Kernfamilie fokussiert und ein kurzes Zwischenfazit gezogen wird. Im Anschluss an die drei Einzelanalysen werden die Ergebnisse der jeweiligen Folgen miteinander verglichen (Kapitel 10) und zwar sowohl im Hinblick auf Pädophilie und sexuellen Missbrauch (Kapitel 10.1) als auch auf die weiße Kernfamilie (Kapitel 10.2). Weiter werden die oben formulierten Hypothesen auf ihre Plausibilität überprüft (Kapitel 10.3). Nach der Analyse der fiktionalen Tatort-Folgen werden exemplarisch zwei journalistische Medienangebote untersucht, um die Anwendbarkeit des entwickelten Analyseansatzes im non-fiktionalen Bereich bewerten zu können (Kapitel 11). Dazu wird der Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE des politischen Magazins Panorama analysiert (Kapitel 11.1) wie auch Gerichtszeichnungen zum Fall Edathy (Kapitel 11.2), da diese vor allem im Hinblick auf Weißsein aufschlussreich zu sein versprechen. Die im Bereich Journalismus erbrachten Ergebnisse werden in Kapitel 11.3 festgehalten. In der Schlussbetrachtung (Kapitel 12) werden die Ergebnisse zusammengefasst (Kapitel 12.1). Weiter wird ein Fazit gezogen, was sowohl inhaltliche als auch methodische Erkenntnisse anbelangt, bevor ein Ausblick auf offen gebliebene Fragen gegeben wird und Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschungsfragen aufgeführt werden (Kapitel 12.2).
2
Zur Konstruktion von Ungleichheit: Konstitution des Gegenstandes
Um die mediale Konstruktion der Ungleichheit analysieren zu können, muss zunächst das Feld abgesteckt werden, innerhalb dessen die Medienbeiträge anzusiedeln sind. So ist soziale Ungleichheit deshalb problematisch, weil eine Ungleichbehandlung von Menschen innerhalb unserer demokratischen Gesellschaftsform eigentlich ausgeschlossen sein sollte. Der Widerspruch von geforderter Gleichbehandlung aller Menschen und real existierenden sozialen Ungleichheiten bildet somit den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen (Kapitel 2.1). Auf der Mikroebene wird herausgearbeitet, wie der Normmensch als Maßstab für den Menschen schlechthin konstruiert wird und welche ungleichheitsgenerierenden Kategorien bei seiner Konstitution eine Rolle spielen (Kapitel 2.2). Danach erfolgt ein Wechsel von der Mikro- auf die Makroebene und vier Herrschaftsstrukturen, in die der Normmensch eingebettet ist, werden umrissen: Kolonialismus, Kapitalismus, Patriarchat und Heteronormativität (Kapitel 2.3). Soziale Normen spielen bei der Konstruktion von Ungleichheit eine maßgebliche Rolle und sind Teil der Makroebene, entstehen jedoch auf der Mikroebene, wo sie auch durchgesetzt werden müssen. Sie werden zudem über Repräsentationen verbreitet. Soziale Normen legen fest, welches Verhalten legitim ist und bei welchem bei Verstößen mit Sanktionen zu rechnen ist. Diese Prozesse werden analysiert und es wird herausgearbeitet, wie Normen mit Macht und Ungleichheit zusammenhängen (Kapitel 2.4). Im letzten Schritt rückt die Repräsentationsebene in den Blick und es wird dargelegt, welche Rolle die Medien bei der Konstruktion von Realität und der Herstellung von Bedeutung einnehmen und wie dies mit Machtstrukturen und Ungleichheit verbunden ist (Kapitel 2.5). Dabei ist die Bildung der öffentlichen Meinung als Ergebnis des Konsums von Medienangeboten ebenso wichtig wie die aktiven Prozesse der Bedeutungskonstruktion bei der Produktion und Rezeption der Medienbeiträge.1 1
Zu den verschiedenen Ebenen der Untersuchung vergleiche auch Kapitel 3.1.2.1 zur Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele (2010) sowie Degele und Winker (2011).
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2.1
G LEICHHHEITSIDEAL VON U NGLEICHHEIT
UND
L EGITIMATION
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, steht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG Art. 3, Abs. 1). „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ heißt es auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR Art. 1). In beiden Schriften wird darauf verwiesen, dass Diskriminierung aufgrund von ‚Rasse‘2/Ethnizität, Sprache, Religion, Geschlecht und anderen Kategorien nicht zulässig ist (vgl. GG Art. 3, Abs. 3 und AEMR Art. 2). Das Gleichheitsprinzip, das fordert, dass alle Menschen gesetzlich gleich sind, besteht in westlichen Nationen seit der Zeit der Aufklärung. Es ist ein Grundpfeiler der Demokratie, wo es sich unter anderem im Wahlrecht jeder Bürger*in eines Landes niederschlägt. Das Ideal von der Gleichheit aller Menschen ist heute in Deutschland allgemein akzeptiert und ihm wird in Bezug auf eine anzustrebende Gerechtigkeit ein hoher Stellenwert zugewiesen (Heiner 2011: 11). Es besteht ein „deep emotional investment in the myth of ‚sameness‘.“ (hooks3 1992: 339) Im scharfen Kontrast zum Ideal der Gleichheit aller Menschen und der gesetzlichen Festschreibung ihrer Gleichbehandlung stehen die tatsächlich vorherrschenden sozialen Ungleichheiten. Wegen ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen aufgrund vorhandener oder zugeschriebener Merkmale beziehungsweise Merkmalskombinationen werden Menschen privilegiert oder diskriminiert. Die Zugangsvoraussetzungen zu Ressourcen und Gütern sind dabei zu keiner Zeit für alle gleich – ein Umstand, der den geforderten gleichen Chancen an gesellschaftlicher Teilhabe und der gleichen Behandlung aller Menschen diametral gegenübersteht. Damit kommt es beständig zu Verstößen gegen das Gleichheitsprinzip. Ein Beispiel für soziale Ungleichheit, welches gegenwärtig in der Politik und in der Öffentlichkeit in Deutschland diskutiert wird, ist das geringere Einkommen von Frauen gegenüber Männern. Der sogenannte „Gender Pay Gap“ hat 2014 dazu geführt, dass Frauen im Durchschnitt 22 Prozent weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen (Statistisches Bundesamt 2015b: 1). Wenn sie die gleichen Qualifikationen aufwiesen und die gleichen Tätigkeiten ausübten, waren es immer noch 7 Prozent weniger4 (Statistisches Bundesamt 2015b: 2). Der letztere Befund spricht
2
Zur Konstruktion des ‚Rasse‘-Begriffs siehe Kapitel 2.2.2.
3
Die Schwarze US-Amerikanerin und Literaturwissenschaftlerin Gloria Watkins publiziert unter dem Namen ihrer Urgroßmutter ‚bell hooks‘ (hooks 1989: 9). Für die Kleinschreibung hat sie sich entschieden, damit der Inhalt ihrer Arbeit und nicht ihre Persönlichkeit im Vordergrund steht (hooks 1989: 163).
4
Diese Zahl bezieht sich auf das Jahr 2010, da der bereinigte Wert nicht jährlich erhoben wird (Statistisches Bundesamt 2015b: 3).
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sehr klar gegen das gerne angeführte Argument, dass Frauen aufgrund ihrer Berufswahl selbst an ihrem niedrigeren Verdienst schuld seien. Die sozialen Ungleichheiten können demnach höchstens anteilig der Eigenverantwortung der davon negativ betroffenen Frauen angelastet werden. Das Bekenntnis zum Gleichheitsideal steht in einem engen Zusammenhang mit real vorhandener sozialer Ungleichheit: „Die Frage ist also nicht nur die nach der Koexistenz von Gleichheit und Ungleichheit innerhalb der westlichen Gesellschaft, sondern mehr noch inwiefern das Argument der Gleichheit Ungleichheit legitimiert.“ (Rommelspacher 1995: 17) Gesellschaftliche Legitimationsstrategien versuchen den beschriebenen paradoxen Zustand, einerseits Gleichheit zu postulieren und andererseits Ungleichheit zu produzieren, zu erklären. Eine dieser Legitimationsstrategien ist es, die gesellschaftliche Position auf Leistung zurückzuführen und damit auf ein Element, auf das Menschen selbst Einfluss haben, und nicht auf Kategorien wie Herkunft, soziale Klasse, Geschlecht etc. Wenn von der Allgemeingültigkeit der gesetzlichen Gleichstellung aller Menschen ausgegangen wird und Unterschiede im Zugriff auf Ressourcen, Güter usw. nur noch auf das eigene Bemühen, individuelles Talent und die in das System eingebrachte Leistung zurückgeführt werden, kommt es zu einer Verschleierung der Mechanismen von Diskriminierung und Privilegierung, denn eine Bekämpfung dieser setzt ihre Sichtbarmachung voraus. Eine weitere Legitimationsstrategie zur Verdeckung sozialer Ungleichheiten ist die Naturalisierung von Unterschieden. Wenn weiße Wissenschaftler wie die Psychologen J. Philippe Rushton und Arthur R. Jensen – nicht ohne Widerspruch aus der Scientific Community – die Intelligenzquotienten von Schwarzen5 und weißen Menschen vergleichen und zu dem Ergebnis kommen, dass Schwarze Weißen im Hinblick auf ihre Intelligenz genetisch unterlegen sind (Rushton & Jensen 2005), so trägt das zu einer Naturalisierung bestehender sozialer Ungleichheiten bei, die nun nicht mehr auf beeinflussbare Faktoren wie die soziale Klasse oder den Bildungsgrad zurückgeführt werden müssen, sondern unabänderbar den Subjekten selbst zugeschrieben werden. Auch in Bezug auf die Kategorie Geschlecht werden vorhandene soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern naturalisiert, um die Diskriminierung der einen Gruppe und die Privilegierung der anderen zu verdecken: „Das […] durch Gleichheitspostulate bedrohte ‚Arrangement der Geschlechter‘ basiert im Kern auf der ‚Naturalisierung‘ der Geschlechterdifferenz, i.e. der Annahme, dass alle Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der ‚Natur‘ bzw. modern gesprochen: in der Biologie begründet sind.“ (Gildemeister & Robert 2008: 15) 5
Während ‚weiß‘ als Adjektiv in Bezug auf Menschen kleingeschrieben wird, wird ‚Schwarz‘ großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich hier um eine Selbstbezeichnung und um ein Konstrukt handelt.
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Durch eine Verknüpfung von als biologisch und damit natürlich dargestellten Unterschieden mit positiv oder negativ bewerteten Eigenschaften werden soziale Ungleichheiten nun wiederum nicht auf die Zuschreibung zu einer Kategorieausprägung, sondern auf (selbst-)verschuldete beziehungsweise verdiente Merkmale zurückgeführt und damit in den Bereich der Eigenverantwortlichkeit überführt. Die Argumentationslinie ist demnach, dass bestimmte, anhand von Kategorien gebildete Personengruppen ‚reale‘ Defizite aufweisen (wie zum Beispiel Dummheit oder körperliche Schwäche) und diese letztlich soziale Ungleichheiten bedingen beziehungsweise dass Personengruppen über gewisse Vorzüge und Talente verfügen (wie zum Beispiel Intelligenz oder Fleiß) und deshalb zu Recht bevorzugt werden. Bei der Einteilung in Kategorien mit zwei einander konträr gegenüberstehenden Ausprägungen (wie beispielsweise ‚Schwarz/weiß‘ oder ‚männlich/weiblich‘) kann dabei bereits die Konstruktion dieser Kategorien selbst als Instrument der Aufrechterhaltung der Privilegien des Normmenschen gesehen werden, der stets der positiv bewerteten Kategorieausprägung zugeordnet wird und der damit am meisten von den bestehenden Verhältnissen profitiert.
2.2
D ER N ORMMENSCH IN G ESELLSCHAFT
2.2.1
Der Normmensch
DER WEISSEN
Der Normmensch in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist westlich, weiß, deutsch, männlich, heterosexuell und christlich orientiert. Er gehört der Mittelschicht an, hat keine ‚Behinderung‘ (d. h. er ist able-bodied6), erwachsen, aber nicht ‚alt‘, und hat einen ‚normalen‘ Körperumfang beziehungsweise ist schlank. Der Normmensch ist der Typ, an dem man lernt, wie der Mensch an sich aussieht. Er setzt damit den Maßstab für die Beurteilung aller anderen Menschen. Die Vorgehensweise bei der Setzung des Normmenschen zum Referenzpunkt des Menschen an sich, lässt sich anhand von Erkenntnissen der Sprachwissenschaften zur Begriffen mit Prototypenstruktur sowie mit der Prototypensemantik erklären. Allgemein kann „die Menge aller existierenden Gegenstände“, die ein bestimmter Begriff umfasst, als die „Extension“ dieses Begriffes aufgefasst werden (Keller 1995: 87,
6
Der Begriff ‚able-bodied‘ wird in den Disability Studies benutzt, um deutlich zu machen, dass die traditionelle Unterscheidung in ‚gesunde‘ und ‚kranke‘ Menschen ein Konstrukt ist. So wird davon ausgegangen, dass auch ‚gesunde‘ Menschen nur als vorübergehend able-bodied angesehen werden können, da der Zustand menschlicher Körper fragil und veränderbar ist.
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Herv. entf.). Diese Gegenstände – weiter gefasst auch Sachverhalte beziehungsweise Kategorien – haben bestimmte Eigenschaften, die wiederum das Wesen des Begriffs ausmachen (Keller 1995: 87). Der deutsche Sprachwissenschaftler Rudi Keller unterscheidet vier verschiedene Typen von Begriffen, wobei im Hinblick auf die theoretische Untermauerung des Normmenschen die Begriffe mit Prototypenstruktur von besonderer Relevanz sind. Grundlegend ist dabei Kellers Beobachtung, dass „Menschen […] bestimmte Elemente der Extension als prototypischer als andere [betrachten]“ (Keller 1995: 90). Das heißt also, dass manche Vertreter*innen einer Art als typischer und damit bessere Repräsentant*innen dieser Kategorie wahrgenommen werden als andere. So werden beispielsweise – zumindest in hiesigen Breitengraden – Rotkehlchen als typischere Vertreterinnen der Gattung Vögel angesehen als beispielsweise Pinguine (Keller 1995: 90). Dies kann dadurch erklärt werden, dass Menschen kognitive Modelle in Form von Alltagstheorien verinnerlicht haben (Lakoff 1990: 68). Diese Theorien lassen bestimmte Repräsentant*innen einer Kategorie als besser und andere als weniger gut erscheinen. George Lakoff, Linguist aus den USA, verweist in diesem Zusammenhang auf die Stereotypisierung als Nebenprodukt der Prototypisierung (Lakoff 1990: 79ff.). Dabei kann das Phänomen auftreten, dass eine nicht als prototypische Extension einer Kategorie empfundene Ausprägung als Abweichung der Kategorie wahrgenommen wird, obwohl sie logisch interpretiert lediglich eine Subkategorie darstellt. Lakoff beschreibt dies – Ende der 1980er Jahre – am Beispiel von Müttern, wobei er der Norm der Mutter als Hausfrau die arbeitende Mutter als Abweichung gegenüberstellt. Beschreibende Sätze der Alltagstheorie (die im Sinne der Grenzüberschreitungstheorie als Sätze aufgefasst werden können, die die Welt ordnen, sogenannte Ordnungssätze vgl. Kapitel 5.2) implizieren nun, was als Norm gilt und was nicht. So beinhalten die Sätze „She is a mother, but she isn’t a houswife.“ sowie „She is a mother, but she has a job.“ (Lakoff 1990: 81) jeweils die Norm der Mutter als Hausfrau. Wenn man nun die sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Prototypikalität in das Begriffsinstrumentarium übersetzt, mit dem in dieser Arbeit operiert wird, lässt sich festhalten: Der Normmensch ist der prototypische Vertreter des Menschen und alle Personen, die mehr oder weniger von der Position des Normmenschen abweichen, werden als weniger gute Vertreterinnen der Kategorie Mensch wahrgenommen. Sie stellen zwar ebenfalls Ausprägungen der Kategorie Mensch dar, gehören aber nicht zu den Vertreter*innen, die man sich als erstes vorstellt, wenn man an den Menschen an sich denkt. Der Normmensch wird also als der ‚beste‘ Vertreter des Menschen angesehen. Nach Keller ist es abhängig von der jeweiligen Sprache – und damit, so ließe sich ergänzen, zumindest zu einem gewissen Anteil auch von der jeweiligen Kultur –, welche Ausprägung einer Kategorie als prototypisch begriffen wird und welche nicht. Dies führt er darauf zurück, dass sich Begriffe in eine hierarchisch aufgebaute Ordnung bringen lassen (Keller 1995: 93).
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Mit der Prototypentheorie lässt sich erklären, weshalb ‚weiß‘ in Deutschland eine relevante Eigenschaft des Normmenschen ist. Wenn wir hierzulande lernen, wie der prototypische Mensch aussieht, dann lernen wir, dass dieser weiß ist. Dies führt, folgt man den Überlegungen von Keller und von anderen Prototypentheoretiker*innen, dazu, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die Aufforderung, sich einen Menschen vorzustellen, zur Folge hat, dass ein weißer Mensch imaginiert wird.7 Gerade, dass die Kategorie ‚Rasse‘ (siehe Kapitel 2.2.2) in ihrer Normausprägung ‚weiß‘ abgesehen von politischen und einschlägigen wissenschaftlichen Diskursen wenig präsent ist – und damit fälschlicherweise häufig als wenig relevant wahrgenommen wird – macht ihre Wirkmacht umso größer. Denn nur, wenn es ein Bewusstsein über das Vorhandensein von existierenden Kategorien und vorhandenen prototypischen Kategorieausprägungen gibt, können die potenziellen negativen Konsequenzen von Normvorstellungen angesprochen werden. Parallelen lassen sich beispielsweise bei der Gleichstellung von Geschlecht ausmachen, wo ebenfalls erst nach einer öffentlichen Thematisierung der (fehlenden) Rechte von Frauen bzw. der Privilegien von Männern durch Interessensgruppen eine Diskussion über die Diskriminierung von Frauen angestoßen werden konnte und die Norm des Mannes in Folge angreifbar wurde. Gerade schwer veränderbare Größen wie ‚Hautfarbe‘ oder Geschlecht eignen sich dabei gut als Signifikanten für Norm und Abweichung, wobei auch bei diesen der Anteil der Konstruktion nicht vernachlässigt werden sollte. Der Normmensch wird nicht nur als Prototyp und damit als der – gesellschaftlich konstruierte – „Normalfall“ definiert, sondern diese Zugehörigkeit zur Gruppe der Normmenschen geht zudem mit sozialen Privilegien einher: Menschen, die als nahe am Normmenschen positioniert wahrgenommen werden, können im Normalfall damit rechnen, unter anderem Zugriff auf vielerlei Ressourcen und gute Chancen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt zu haben. Ihnen werden die besten Startvoraussetzungen in der Gesellschaft geboten. Abweichungen in einem oder mehreren Aspekten können hingegen zu Diskriminierungen führen. Je nachdem, auf welche Kategorie sich die Diskriminierung bezieht, spricht man von unterschiedlichen Diskriminierungsformen wie beispielsweise von Rassismus in Bezug auf die ‚Rasse‘ beziehungsweise Ethnizität oder Sexismus in Bezug auf das Geschlecht. Diese ungleichheitsgenerierenden Kategorien bilden die Oberbegriffe, die sich in verschiedenen Ausprägungen manifestieren können. Hierbei soll nicht unterstellt werden, dass diese Ausprägungen real existieren, sondern sie werden als soziale Konstruktionen betrachtet, die dennoch wirkmächtig sind, denn „[i]f men define situations as real, they are real in their consequences“ (Thomas 1928: 572). Unterschieden werden kann dabei zwischen Kategorien, die vornehmlich auf körperlich7
Dabei ist es m. E. nach gerechtfertigt, davon auszugehen, dass dies abgesehen von Einzelfällen zunächst unabhängig davon ist, welche ‚Hautfarbe‘ man selbst hat, sondern bedingt wird durch die Gesellschaft, in der man aufwächst und sozialisiert wird.
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biologische Merkmale rekurrieren, welche kulturell überformt werden und als Indikatoren für andere Merkmale dienen wie beispielsweise Geschlecht oder ‚Rasse‘ und solchen Kategorien, welche primär auf außerkörperliche/materielle Merkmale beziehungsweise geistige Haltungen zielen wie beispielsweise Religion oder soziale Klasse. Erstere werden häufig in zwei Ausprägungen zugespitzt, womit ein Dualismus impliziert ist, der in der Natur so nicht gegeben ist. Da in der vorliegenden Arbeit alle Kategorien und Ausprägungen erstrangig als soziale Konstrukte betrachtet werden, kann die genannte Systematisierung hier vernachlässigt werden. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über verschiedene ungleichheitsgenerierende Kategorien (UGK), die Ausprägung der jeweiligen Kategorie, die die Norm darstellt, und die Ausprägungen, die als Abweichungen klassifiziert werden, sowie die damit korrespondierenden Diskriminierungsformen.
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Tabelle 1: Kategorien, Ausprägungen und Diskriminierungsformen UKG ‚Rasse‘,
Norm
Abweichung
Diskriminierungsform
Weiß + deutsch
People of Colour
Rassismus, Antiziganis-
(PoC)8
mus9, Antisemitismus
Frau
Sexismus
Frau,
Sexismus, Homophobie
Ethnizität Geschlecht
Mann
Gender10
Mann
Trans… Sexualität
Heterosexuell
Homosexuell, bi-
Homophobie
sexuell, intersexuell… Alter
Erwachsen
Minderjährig (Kind,
(aber nicht alt)
Jugendliche*r),
Ageism
alt (Senior*innen) (Dis)Ability
‚Gesund‘,
‚Behindert‘, krank
Handicapism, Abelism
Schlank
Übergewichtig/dick11,
Gewichtsdiskriminierung
(‚normaler‘ BMI)
untergewichtig/dünn
Mittelschicht
‚Arm‘, (reich)
Klassismus
Christlich/christlich
Muslimisch, jüdisch…
Antiislamismus,
able-bodied Körperumfang
Klasse Religion
orientiert
8
Jüd*innenfeindlichkeit
Der Term „People of Colour“ bzw. „Person of Colour“ (kurz: PoC) ist eine Selbstbezeichnung nicht-weißer Menschen, deren Gemeinsamkeit in ihrer negativen Beeinträchtigung durch Rassismus besteht.
9
Antiziganismus bedeutet Rassismus gegenüber Sinti und Roma und gegenüber anderen
10
Während Geschlecht sich auf das biologische Geschlecht bezieht, bezeichnet Gender
unter dem abwertenden Begriff ‚Zigeuner‘ gefassten Gruppierungen. das soziale Geschlecht, also die Geschlechterrollen. De facto kommt es in öffentlichen Diskussionen häufig zu einer Vermischung der beiden Kategorien. 11
Die Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung bevorzugt den Begriff „dick“, „da der Terminus weder eine Normierung (‚Übergewicht‘) noch einen Bezug auf einen diskriminierenden medizinischen Diskurs enthält (‚adipös‘)“ (Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung o.J.: 4).
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Diese Aufzählung ist nicht vollständig, sondern kann um weitere Kategorien erweitert werden. Zudem kann sie irrtümlicherweise den Eindruck erwecken, die Kategorien stünden für sich und seien dabei klar voneinander abgrenzbar. Tatsächlich sind sie aber auf komplexe Art und Weise miteinander verwoben, wie in Kapitel 3.1 ausführlich dargestellt wird. Denn jede Person ist in ein vielschichtiges System aus Herrschafts- und Machtverhältnissen, aus Diskriminierung und Privilegierung eingebunden – wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen, denn die Verteilung von Chancen und Ressourcen ist asymmetrisch und erfolgt nicht zufällig (Rommelspacher 1995: 25). Die Psychologin Birgit Rommelspacher spricht in diesem Zusammenhang von „Dominanzkultur“, womit sie auf die hierarchische Anordnung verschiedener Kategorieausprägungen verweist (Rommelspacher 1995: 22). Dominanz definiert sie in Abgrenzung zu Herrschaft, die restriktiv und damit von oben wirkt, also auf Konsens beruht, welcher sich zum Beispiel in Normen niederschlägt (Rommelspacher 1995: 26). Mit Kultur bezieht Rommelspacher sich auf „das Ensemble gesellschaftlicher Praxen und gemeinsam geteilter Bedeutungen, in denen die aktuelle Verfaßtheit der Gesellschaft, insbesondere ihre ökonomischen und politischen Strukturen, und ihre Geschichte zum Ausdruck kommt“ (Rommelspacher 1995: 22). Der Normmensch ist demnach in verschiedene Herrschaftsverhältnisse eingebettet, die historisch gewachsen sind. Bevor auf diese Herrschaftsstrukturen eingegangen wird (Kapitel 2.3), werden die im Hinblick auf den Normmenschen relevanten Kategorien kurz einzeln vorgestellt, wobei damit nicht suggeriert werden soll, dass sie jeweils unabhängig von anderen Kategorien existieren.
2.2.2
‚Rasse‘ und Ethnizität
Auch wenn inzwischen bekannt ist, dass es keine biologischen Menschen-‚Rassen‘ gibt, sondern diese soziale beziehungsweise kulturelle Konstruktionen sind (Wade 1993: 17), lebt das ‚Rassen‘-Denken weiter fort und hat Einfluss auf die Realität (Arndt 2009a: 342). Ein kompletter Verzicht auf den Begriff ist deshalb nicht möglich, denn damit „werden einerseits die enormen politischen und ökonomischen Ungleichheiten, die die soziale Wirksamkeit der Rassenhierarchien mit sich brachte und noch bringt, ignoriert, d. h. struktureller Rassismus kann nicht adäquat analysiert werden. Andererseits wird das Widerstandspotenzial sozialer Gruppenidentitäten, die sich als Reaktion auf rassistische Zuschreibungen bildeten, negiert.“ (El-Tayeb 2012: 138f. Anm. 1)
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Die ungleichheitsgenerierende Kategorie ‚Rasse‘12 kann definiert werden als „a symbolic category, based on phenotype or ancestry and constructed according to specific social and historical contexts, that is misrecognized as a natural category“ (Desmond & Emirbayer 2009: 336, Herv. entf.). Je nach Interesse der unterschiedlichen Akteur*innen wird sie binär konstruiert oder weist mehr als zwei Ausprägungen auf. In dualistischer Denkweise besteht sie aus den beiden Ausprägungen ‚weiß‘ und ‚Schwarz‘ beziehungsweise ‚People of Colour‘ (PoC). Darüber hinaus gibt es Ansätze, die sich an vermeintlichen ‚Hautfarben‘ orientieren und deshalb in historischer Anlehnung, etwa an Linné, beispielsweise zu den vier Ausprägungen ‚Weiße‘, ‚Rote‘, ‚Gelbe‘ und ‚Schwarze‘ kommen (Geiss 1988: 143). Problematisch ist dabei, dass die geschichtlich angelegte Hierarchisierung der ‚Rassen‘, in welcher die Weißen an der Spitze stehen und die Schwarzen das untere Ende der Skala bilden, bei dieser Klassifizierung – häufig implizit und unbewusst – übernommen wird. Aus zwei Gründen wird es in Deutschland gegenwärtig vermieden, offen auf den Begriff ‚Rasse‘ zu rekurrieren. Zum einen ist der Terminus wegen der Gräueltaten der Nationalsozialist*innen verpönt, zum anderen ist der Konstruktcharakter menschlicher ‚Rassen‘ zumindest in der Wissenschaft heute anerkannt. Das bedeutet jedoch nicht, dass ‚Rasse‘ als ungleichheitsgenerierende Kategorie deshalb unwichtig geworden wäre. Das Phänomen des „Rassismus ohne ‚Rassen‘“ beziehungsweise des kulturellen Rassismus verweist vielmehr darauf, dass es inzwischen eine Verlagerung auf andere ungleichheitsgenerierende Kategorien wie ‚Ethnizität‘ gegeben hat. Auch wenn die Unterscheidung dabei nicht mehr offen auf biologischen Kriterien beruht, wirken immer noch die gleichen Mechanismen, beispielsweise wenn zugeschriebene Eigenschaften naturalisiert werden und damit ebenfalls zur Inklusion oder Exklusion bestimmter Gruppierungen führen. So kann etwa die
12
Im deutschsprachigen Raum wird häufig statt von ‚Rasse‘ von race oder Rasse gesprochen, um den Konstruktcharakter der Kategorie deutlich zu machen (Junker 2009: 429; Arndt 2009a: 342). Dieses Vorgehen führt zwar theoretisch zu einer Differenzierung des Begriffs und damit einer Präzisierung der Analyse, ist aber praktisch nicht immer umsetzbar. Das Denken in biologischen ‚Rassen‘ wirkt oft implizit im sozialen RasseDenken fort: Nicht immer ist trennbar, was als sozial und was als biologisch angesehen wird und auch sensibilisierte Wissenschaftler*innen verwenden den Begriff dennoch zumindest in Ansätzen in seiner biologischen bzw. naturalisierten Bedeutung, beispielsweise wenn sie auf phänotypische Differenzen verweisen ohne die historische Konstruiertheit dieser zu verdeutlichen (Wade 1993: 19). Wegen dieser unscharfen Nutzung der Begriffe in Alltagssprache und Wissenschaft wird eine Differenzierung zwischen ‚Rasse‘ und Rasse bzw. race in der vorliegenden Arbeit als verzichtbar erachtet und stattdessen einheitlich von ‚Rasse‘ gesprochen.
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‚Kultur‘ einer bestimmten Menschengruppe beziehungsweise deren ‚Abstammung‘ essentialisiert werden. Unabhängig davon, ob die Differenzmarkierung über die Kategorie ‚Rasse‘ oder Ethnizität vollzogen wird, ist ‚weiß‘ immer die Kategorieausprägung, die die Norm darstellt. Das bedeutet, dass als weiß klassifizierte Menschen gesellschaftlich privilegiert werden und gegenüber als nicht-weiß konstruierten Menschengruppen, den People of Colour (PoC), abgegrenzt werden (vgl. Kapitel 3.2). Häufig ist dabei eine Gleichsetzung von Deutschsein und Weißsein zu beobachten, beispielsweise wenn Schwarze Deutsche vehement nach ihrer ‚richtigen‘ beziehungsweise ‚eigentlichen‘ Herkunft befragt werden (Mecheril 2007: 7f.).
2.2.3
Heterosexualität, Geschlecht und Gender
Die Kategorien Heterosexualität und Geschlecht beziehungsweise Gender sind eng miteinander verbunden. Heterosexualität bezieht sich auf die Vorstellung von gegengeschlechtlichem sexuellen Begehren. Dem wiederum liegt der Glaube zugrunde, dass es zwei klar voneinander abgrenzbare Geschlechter gibt: Männer und Frauen. Gegen die Biologisierung beziehungsweise Essentialisierung der Geschlechterunterschiede hat sich die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir bereits 1949 gewandt: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt.“ (de Beauvoir 199213: 334) Auch die Philosophin Judith Butler betont den Konstruktcharakter von Gender und Geschlecht, wenn sie konstatiert, dass „die Geschlechtsidentität (gender) nicht zur Kultur [gehört] wie das Geschlecht (sex) zur Natur“: „Die Geschlechtsidentität umfasst auch jene diskursiven/kulturellen Mittel, durch die eine ‚geschlechtliche Natur‘ oder ein ‚natürliches Geschlecht‘ als ‚vordiskursiv‘, d. h. als der Kultur vorgelagert oder als politisch neutrale Oberfläche, auf der sich die Kultur einschreibt, hergestellt und etabliert wird“ (Butler 1991: 24, Herv. i. O.). Dabei ist die Kategorieausprägung ‚männlich‘ in diesem Fall die dominante und als Norm angesehene Ausprägung. Die Ausprägung ‚weiblich‘ hingegen wird als die Abweichung definiert, was zur Bildung einer Rangfolge führt und damit zu Privilegierungen beziehungsweise Diskriminierungen bestimmter Gruppen: „Die hegemoniale Annahme heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit durchdringt und erschafft hierarchische Beziehungen in vielen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen.“ (Hartmann & Klesse 2007: 9) In Bezug auf die Sexualität wird jede Position, die nicht normiert heterosexuell ist, als Abweichung wahrgenommen: Homosexualität, Bisexualität, aber auch Inter- und Transsexualität sowie Paraphilien wie zum Beispiel Pädophilie 13
Die deutsche Erstausgabe ist 1951 erschienen, die französische Originalausgabe „Le Deuxième Sexe“ bereits 1949.
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(Fiedler 2004), wobei letztere insofern einen Sonderfall bildet, als dass ein Ausleben der sexuellen Neigung nicht möglich ist, ohne dass Kinder zu Schaden kommen.
2.2.4
Soziale Klasse
Der Begriff ‚Klasse‘ beziehungsweise ‚Schicht‘14 verweist auf „Menschen in ähnlicher sozioökonomischer Lage […], mit der aufgrund ähnlicher Lebenserfahrungen ähnliche Persönlichkeitsmerkmale (psychische Dispositionen, Einstellung und Wertorientierungen, Bedürfnisse und Interessen, Mentalitäten und Lebensstile) sowie ähnliche Lebenschancen und Risiken verbunden sind.“ (Geißler 2002: 111) Im Gegensatz zu meist dichotom konstruierten Kategorien wie Geschlecht ist soziale Klasse eine Kategorie, die häufig trichotom dargestellt wird und zwar mit den Ausprägungen ‚Mittelschicht‘‚ ‚arm‘/‚Unterschicht‘, ‚reich‘/‚Oberschicht‘, wobei erstere die Norm darstellt. Die Wahrnehmung darüber, wie viele Klassen es gibt und wie diese zu differenzieren sind, kann abhängig vom eigenen sozioökonomischen Status sein, verändert sich dann also „tendenziell mit dem sozialen Standort der Akteure – mit ihrem Berufsstatus und ihrem Bildungskapital“ (Geißler & Weber-Menges 2014: 115). Vorherrschend ist dabei die oben beschriebene dreistufige Aufteilung in verschiedenen Variationen. Die drei wichtigsten Kriterien bei der Zuteilung zu einer Schicht stellen dabei an erster Stelle „Einkommen/Besitz/Lebensstandard“, dann „Beruf“ und drittens „Bildung/Qualifikation“ dar (Geißler & Weber-Menges 2014: 118). Weitere Kriterien sind zum Beispiel „Habitus, Lebensstilmuster“, „Besitz eines Arbeitsplatzes“, „Migrations-, Ausländerstatus“ oder die „Wohnsituation“ (Geißler & Weber-Menges 2014: 118). Wenn die drei Schichten in Anlehnung an den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung anhand des Einkommens aufgeteilt werden, dann zählt zur Unterschicht, wer weniger als 70 Prozent (ca. 860 Euro) des Medianwerts erreicht, zur Mittelschicht, wer zwischen 70 und 150 Prozent verdient (ca. 1844 Euro) und zur Oberschicht, wer mehr als 150 Prozent Einkommen hat (über 1844 Euro monatlich) (Goebel, Gornig & Häußermann 2010: 3).15 Von den drei Kategorieausprägungen stellt die Mittelschicht die Norm dar und ist – vor allem im Vergleich zur Unterschicht – mit Privilegien verbunden. Ein Beispiel für ein Privileg der Mittelschicht sind ihre verbesserten Chancen im Bildungs14
Auf eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Schicht, Klasse und Lage wird hier verzichtet. Dies erscheint vertretbar im Hinblick auf den Stellenwert, den soziale Klasse als ungleichheitsgenerierende Kategorie in der vorliegenden Arbeit einnimmt. Zu einer Differenzierung der Termini siehe beispielsweise die Ausführungen des Soziologen Rainer Geißler (Geißler 2002: 110-112).
15
Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2005.
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bereich, denn in Bezug auf die Schule gilt: „[I]hre Kriterien der Bewertung der Leistung, aber vor allem der informellen Bildungsinhalte entsprechen denjenigen der Mittelschicht“ (Ottersbach 2015: 156). Aktuell schrumpft die Mittelschicht jedoch nicht nur, sondern viele ihrer Privilegien sind zudem gefährdet (Vogel 2009). So hat die Einführung des Hartz IV-Konzepts Anfang des Jahrtausends beispielsweise dazu geführt, dass arbeitslos gewordene Angehörige der Mittelschicht nach einem Jahr ohne Arbeitsstelle unabhängig von ihrem vorherigen Einkommen nur noch die Grundsicherung erhalten – oder gegebenenfalls zunächst ihre Ersparnisse aufbrauchen müssen. Dies hat zur Folge, dass ein Abstieg von der Mittel- in die Unterschicht schneller geschehen kann. Mitglieder der Unterschicht werden auf verschiedenen Ebenen diskriminiert. Beispielsweise führt die eben beschriebene Mittelschichtsorientierung in allgemeinbildenden Schulen dazu, dass Schüler*innen aus der Unterschicht benachteiligt werden (Ottersbach 2015: 156). Nun stellt sich die Frage, ob die Oberschicht als nicht-normgerechte Ausprägung der Kategorie Klasse ebenfalls gegenüber der Norm der Mittelschicht im Nachteil ist. Dies erscheint zunächst fraglich, weil die Oberschicht finanziell privilegiert ist, auch wenn sie durch staatliche Umverteilungsmaßnahmen zumindest ansatzweise gezwungen wird, der Allgemeinheit Teile ihres Reichtums abzugeben und damit absolut gesehen einen größeren Beitrag zu leisten als schlechter Verdienende. Neben diesem ‚Zwang zur Solidarität‘ kann es unter Umständen zu stereotypen und abwertenden medialen Repräsentationen der ‚Reichen‘ kommen. Falls Mitglieder der Oberschicht Opfer von Diskriminierungen werden, ist jedoch davon auszugehen, dass sie sich im Normalfall aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel besser dagegen wehren können als Angehörige anderer Schichten. Ein weiteres Beispiel, das die potenzielle Benachteiligung der Oberschicht demonstriert, ist, dass das deutsche Bildungssystem vornehmlich auf die Mittelschicht ausgerichtet ist, sowohl in Bezug auf die Schularten als auch auf die Lernformen. Hier geschehen momentan Verschiebungen, die auf Inklusion zielen. Gerade die Einführung von Gesamtschulen wird jedoch vermutlich eher zur Abschaffung von Diskriminierungen der Unterschicht führen, als dass sie der Oberschicht zu Gute kommt.
2.2.5
Weitere Kategorien: (Dis)Ability, Alter, Körperumfang, Religion
(Dis)Ability (Dis)Ability ist eine ungleichheitsgenerierende Kategorie, die häufig binär mit den Ausprägungen ‚gesund‘ beziehungsweise ‚able-bodied‘ versus ‚behindert‘ beziehungsweise ‚disabled‘ konstruiert wird, wobei ‚gesund‘ und ‚able-bodied‘ die normgerechten Ausprägungen darstellen. Dies ist jedoch problematisch, denn es
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„erweist sich schon der Ausgangspunkt der Klassifizierung – der die Möglichkeit voraussetzt, ‚behinderte‘ und ‚nicht-behinderte‘ Personen eindeutig voneinander unterscheiden und einander gegenüber stellen zu können – als hinterfragbar.“ (Windisch 2014: 124) So macht eine genauere Betrachtung der Ausprägung ‚gesund‘ deutlich, dass ein Mensch schwerlich als ‚ganz gesund‘ betrachtet werden kann, sondern tatsächlich eher graduelle Abstufungen vorherrschen. Während der Norm die Eigenschaften „[n]ormal“, „[g]ood“, „[c]lean“, „[f]it“, „[a]ble“ und „[i]ndependent“ zugewiesen werden, werden der Ausprägung ‚disabled‘ die konträren Merkmale zugeschrieben: „[a]bnormal“, „[b]ad“, „[u]nclean“, „[u]nfit“, „[u]nable“, „[d]ependent“ (Johnstone 2001: 17). Eine Klassifizierung als ‚disabled‘ ist demnach mit Stigmatisierungen, Abwertung sowie strukturellen Benachteiligungen verbunden. Dabei kann die Zuschreibung einer Behinderung zum Beispiel zu „schlechtere[r] Bildung und Ausbildung, schlechtere[n] Chancen auf dem Arbeitsmarkt, reduzierte[r] Mobilität etc.“ führen, wobei diese „lediglich als quasinatürliche Konsequenzen“ der Behinderung angesehen werden (Köbsell 2010: 18). Markantes Merkmal der Kategorie (Dis)Ability ist es, dass im Unterschied zu vielen anderen ungleichheitsgenerierenden Kategorien prinzipiell jeder Mensch in kürzester Zeitspanne von der Kategorie ‚abled‘ in die Kategorie ‚disabled‘ wechseln kann, beispielsweise durch einen Unfall. Alter Alter stellt sich als eine Kategorie dar, die schwierig aufzuschlüsseln ist. Auch wenn Alter gewissermaßen eine biologische Tatsache darstellt, ist die Wahrnehmung und Bewertung unterschiedlicher Altersphasen subjektiv: Altersphasen „are certainly real, but they do not exist in some natural realm, independently of the ideas, images and social practices that conceptualise and represent them“ (Cole 1992: xxii, zit. nach Kunow 2005: 23, Anm. 5). In Anlehnung an rechtliche Bestimmungen kann die Kategorie Alter in eine junge und eine mittlere Lebensphase sowie eine ältere Lebensphase unterteilt werden, wobei mit jeder Phase jeweils unterschiedliche Rechte und Pflichten verbunden sind (Zacher 2008: 290). Innerhalb der jungen Lebensphase kann nochmals zwischen Kindheit und Jugend differenziert werden. Im Hinblick auf Diskriminierung und Privilegierung ist davon auszugehen, dass Kinder, Jugendliche und Senior*innen benachteiligt sind, wohingegen Menschen mittleren Alters, die im Berufsleben stehen, Privilegien und gesellschaftliche Anerkennung genießen. Zwar kann die Kategorieausprägung ‚alt‘ (ältere Lebensphase) über den Eintritt ins Rentenalter bestimmt werden, doch „[d]ieser Grenzziehung zum Trotz bleibt die Kategorie ‚alt‘ weiterhin zutiefst inhomogen und überdies geprägt von einer relativen und flexiblen Bewertung, die mit der jeweiligen Ausformung der diversen kulturellen, politischen und ökonomischen Szenarien zusammenhängt“ (Groppi 2006: 41). Die ungleichheitsgenerierende Kategorie Alter
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weist die Besonderheit auf, dass alle Menschen – insofern sie ein gewisses Alter erreichen und nicht davor versterben – alle der genannten Ausprägungen in chronologischer Reihenfolge durchlaufen. Körperumfang Die Kategorie Körperumfang kann in die drei Kategorieausprägungen ‚schlank‘ beziehungsweise als ‚normal‘ klassifizierter Body-Mass-Index (BMI)16, übergewichtig und untergewichtig aufgeteilt werden. Ein normaler BMI-Wert beziehungsweise eine schlanke Figur sind gesellschaftlich am meisten anerkannt und stellen damit die Norm dar. Übergewichtige Menschen werden diskriminiert, beispielsweise in Bezug auf Jobchancen, aber auch im Gesundheitssystem und Bildungswesen (Puhl & Heuer 2009: 941). Die Kategorieausprägung Übergewicht wird dabei mit bestimmten, negativ konnotierten Merkmalen verknüpft wie „lazy, unmotivated, lacking in self-discipline, less competent, non-compliant, and sloppy“ (Puhl & Heuer 2009: 941). An dieser ungleichheitsgenerierenden Kategorie zeigt sich auch, dass die Norm nicht zwingend mit einer statistischen Mehrheit zusammenfallen muss. So sind nach der Nationalen Verzehrsstudie 66 Prozent der deutschen Männer und gut 50 Prozent der deutschen Frauen übergewichtig oder adipös (Max Rubner-Institut 2008: 81), erreichen also auf dem Body-Mass-Index mindestens 30 Punkte (Wenzel 2003: 59). Ein Beispiel für die Diskriminierung übergewichtiger Personen ist die Verweigerung der Verbeamtung, wenn der BMI einen bestimmten Wert erreicht, wobei die genauen Grenzen je nach Bundesland unterschiedlich gezogen werden. Aber auch untergewichtige Personen sind von Diskriminierung betroffen, beispielsweise wenn körperliche Schwäche oder Krankheiten ungeprüft durch Betriebsärzt*innen antizipiert werden und ihnen aus diesem Grund Arbeitsplätze verweigert werden. Diese Form der Benachteiligung ist weniger gut dokumentiert und hat noch kaum wissenschaftliche Beachtung gefunden. Religion Von der Kategorie Religion gibt es zahlreiche Ausprägungen, wie beispielsweise ‚christlich‘, ‚muslimisch‘, ‚jüdisch‘ oder ‚buddhistisch‘. Aber auch ‚atheistisch‘ und ‚agnostisch‘ können dazu gezählt werden. In Zusammenhang mit von westlichen Ländern als terroristisch klassifizierten Anschlägen und religiösem Fundamen16
Der BMI errechnet sich aus folgender Formel: Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Quadratmetern. Er wird in der Medizin verwendet, weil „der BMI von allen Gewicht-Längen-Indizes am stärksten mit der menschlichen Körperfettmasse korreliert und Todes- und Krankheitsraten ebenfalls zuverlässiger als andere Indizes voraussagt“ (Wenzel 2003: 59).
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talismus ist in den aktuellen Debatten in Deutschland vor allem die Ausprägung ‚muslimisch‘ als Gegenpart zu ‚christlich‘ von Relevanz. ‚Christlich‘ kann als die Ausprägung der ungleichheitsgenerierenden Kategorie Religion betrachtet werden, die hierzulande die Norm darstellt.17 Auch wenn heute nur noch rund 50 Millionen der 80 Millionen Staatsbürger*innen Deutschlands christlichen Glaubens sind und die Säkularisierungsquote in der ehemaligen DDR im weltweiten Vergleich sehr hoch ist, steht das vorherrschende Weltbild, das vom Westen dominiert wird, den christlichen Werten nahe, da „die kirchlich gebundenen Christen nach wie vor zentrale Teile der Wohlfahrtspflege und des Bildungswesens [prägen]“ und ihre Aktivitäten durch die Parteien gestützt werden (Gabriel 2014: 47). Dadurch kommt es zu einer Privilegierung bestimmter religiöser Vereinigungen, beispielsweise durch rechtliche Vorteile (Duemmler 2015: 87), und zu einer Diskriminierung von anderen.
2.3
G ESELLSCHAFTLICHE M ACHTSTRUKTUREN UND D OMINANZVERHÄLTNISSE
Im Folgenden sollen vier Herrschaftsverhältnisse vorgestellt werden, die heute in Deutschland die gesellschaftlichen Machtstrukturen maßgeblich prägen: Kolonialismus, Patriarchat, Kapitalismus und Heteronormativität. Diese Herrschaftsverhältnisse werden als komplementär und miteinander verschränkt angesehen. Kein Herrschaftsverhältnis kann dabei bestehende Ungleichheitsstrukturen alleine erklären und keines wirkt unabhängig von den anderen. Die vier Herrschaftsstrukturen wurden exemplarisch ausgewählt, weil jede auf den ersten Blick primär auf eine unterschiedliche Kategorie zu verweisen scheint: Kolonialismus auf die Kategorie ‚Rasse‘, Kapitalismus auf die soziale Klasse, Patriarchat auf Geschlecht und Heteronormativität auf Sexualität. Damit sind sowohl die drei ‚klassischen‘ Bereiche ‚race, class, gender‘ abgedeckt als auch die im Hinblick auf das Untersuchungsthema Pädophilie relevante Kategorie Sexualität. Dabei kann keines der vier Herrschaftsverhältnisse als statisch betrachtet werden, sondern alle haben sich im Verlauf ihrer Geschichte verändert und dynamisch neuen historischen Bedingungen angepasst.
17
Dabei kann es ebenfalls zu Diskriminierungen gegenüber Unterausprägungen von ‚christlich‘ kommen, beispielsweise wenn in Regionen, in denen Katholik*innen überwiegen, wie im Süden Bayerns, Angehörige der evangelischen Kirche in der Minderheit sind. Der umgekehrte Fall ist ebenso denkbar.
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Kolonialismus
Laut des Historikers Jürgen Osterhammel bezeichnet Kolonialismus „eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen.“ (Osterhammel 2006: 21)
Deutschland ist eine ehemalige Kolonialmacht, auch wenn dies im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit wenig präsent ist. Zu den deutschen Kolonien gehörten Gebiete in Afrika, aber auch im Pazifik.18 Im Vergleich zu anderen Kolonialmächten begann Deutschland erst relativ spät mit der Kolonialisierung anderer Länder und besetzte diese auch nur für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum von dreißig Jahren (Gründer 2012: 11). 1919 musste Deutschland, wie im Versailler Vertrag festgelegt, seine Kolonien aufgeben (Gründer 2012: 11). Trotz dieser kurzen Zeitspanne prägt die Kolonialzeit die deutsche Gesellschaft bis heute. Die Erfahrung als Kolonialmacht trug nicht nur dazu bei, ein „gemeindeutsches, nationales Bewusstsein zu entwickeln“, das bisher in Deutschland so nicht vorhanden war und welches „die eigene Identität über die Fremde definiert“, sondern schlägt sich auch heute noch im Alltag und in Repräsentationen des Fremden und des Eigenen nieder (Toussaint 2014: 13). Weitere Beispiele sind der in Europa vorherrschende Ethnozentrismus, die Imagination einer White Supremacy, also einer weißen Vorherrschaft, welche implizit vielen aktuellen Entscheidungen in der Außenpolitik zugrunde liegt, ebenso wie die Ausrichtung wissenschaftlicher Disziplinen, zum Beispiel der klassischen Ethnologie. Der Kolonialismus hat bewirkt, dass „die Nichteuropäer überall auf der Welt infolge von Sklaverei, Kolonialismus und verspätetem Start der Modernisierung im Durchschnitt ärmer und benachteiligter sind als Personen weißer oder europäischer Abstammung“ (Fredrickson 2011: 204). Auf der Ebene der Individuen werden die strukturellen Auswirkungen des Kolonialismus heute dadurch spürbar, „daß sich viele Angehörige vormals stigmatisierter und rechtlich benachteiligter Gruppen immer noch in einer wirtschaftlich und psychologisch labilen Situation befinden, die es ihnen erschweren kann, mit denen zu konkurrieren, deren Familien und Vorfahren solche verheerenden Erfahrungen erspart geblieben sind“ (Fredrickson 18
Für eine ausführliche Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte siehe die Studie des Historikers Horst Gründer (Gründer 2012).
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2011: 196).19 Der Autor und Soziologe Albert Memmi sieht das Aufkommen des Rassismus in direktem Zusammenhang mit dem Kolonialismus europäischer Länder (Memmi 1992: 152). Die Vorstellung von der Überlegenheit der weißen ‚Rasse‘ gegenüber der Schwarzen bot dabei die Möglichkeit, die innerhalb des Kolonialismus stattfindende Ausbeutung zu rechtfertigen. Die Fortwirkungen des Kolonialismus sind der Gegenstand der Postcolonial Studies, die diese in kritischer Tradition untersuchen. In den Postcolonial Studies geht es darum, das ungleichheitsgenerierende Potenzial der Kategorie ‚Rasse‘ zu identifizieren, durch das Weiße privilegiert und Schwarze diskriminiert werden. In Deutschland kam es im länderübergreifenden Vergleich erst spät zu einer Etablierung der Postcolonial Studies und das Forschungsfeld ist hierzulande immer noch nicht weit entwickelt (Reuter & Karentzos 2012: 10).
2.3.2
Kapitalismus
Kapitalismus kann beschrieben werden als eine „Wirtschaftsform, die durch Privateigentum an Produktionsmitteln und Steuerung des Wirtschaftsgeschehens über den Markt gekennzeichnet ist“ (Duden Online, Stichwort „Kapitalismus“). Neben dieser allgemeinen Definition gibt es in den entsprechenden Fachdisziplinen eine Vielzahl unterschiedlicher Annäherungsversuche an den Begriff. Dabei wird der Terminus zuweilen eher weit gefasst oder aber enger gesetzt. Verbreitet sind die beiden Definitionen von Adam Smith und Karl Marx, wobei ersterer alle Märkte mit Profitorientierung zur Erhöhung von Privateigentum als kapitalistisch ansieht, letzterer hingegen zudem die Betrachtung aller am Produktionsprozess beteiligten Kräfte, also beispielsweise auch Arbeiter*innen, als Voraussetzung für kapitalistische Systeme begreift (van der Linden 2011: 164f.). Je nachdem, wie streng man die Kriterien anlegt, ergeben sich dadurch auch unterschiedliche Annahmen darüber, seit wann es Kapitalismus gibt. Nach der Smith’schen Vorstellung reichen die Anfänge des Kapitalismus bis in die Antike zurück, wobei dann spätestens seit dem 15. und 16. Jahrhundert in Europa von Kapitalismus zu sprechen ist (van der Linden 2011: 165). Die engere Marx’sche Definition geht hingegen von einem Aufkommen des Kapitalismus erst im Zuge der Industrialisierung im späten 18. Jahrhundert aus (van der Linden 2011: 165). In dieser Sichtweise ist Kapitalismus eine Erfindung des Westens, die sich in den folgenden Jahrhunderten global verbreitet hat (Kocka 2011: 184). Erkennt man hingegen an, dass es bereits vor der Industrialisierung 19
Der Historiker George Fredrickson verweist auf einen weiteren negativen Effekt, der in diesem Zusammenhang entsteht und die Wahrnehmung der weißen Mehrheitsgesellschaft über die ‚Anderen‘ prägt: „Das Versagen und die ‚Pathologien‘ […] scheinen […] die negativen Klischees über eine Gruppe zu bestätigen, die trotz der Beseitigung des bisher tragenden ideologischen Gerüsts fortbestehen.“ (Frederickson 2011: 196)
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Vorläufer des Kapitalismus gab, beispielsweise in Form von „Handels- und Agrarkapitalismus […] dann schrumpft und perforiert die Differenz zwischen Europa und anderen Weltteilen, ohne ganz zu verschwinden“ (Kocka 2011: 184). Kapitalismus kann also nur in seiner modernen Variante als westliches Erzeugnis angesehen werden. Seit seiner Entstehung ist der Kapitalismus einer breiten Kritik ausgesetzt. Früher bezog sich diese vor allem auf die ihm angelastete „Verelendung“ (zur Verelendungstheorie von Marx und der Kritik an ihr siehe Pohle 1931), die „Entfremdung am Arbeitsplatz“, sowie die „Entstehung der Arbeiterklasse“ und das „antidemokratische Potenzial des Kapitalismus“ (Kocka 2011: 185). Heute wird die wachsende „Einkommens- und Vermögensungleichheit“ bemängelt, des Weiteren die unter anderem auf prekäre Arbeitsverhältnisse zurückzuführende Unsicherheit und der permanente „Veränderungs- und Beschleunigungsdruck“, der die Zerstörung natürlicher und kultureller Bestände zur Folge hat (Kocka 2011: 185). Der Kapitalismus wird nicht nur in der Wirtschaftswissenschaft untersucht, sondern darüber hinaus in vielen weiteren Disziplinen, von der Soziologie über die Philosophie bis hin zu interdisziplinären Studien in kritischer Tradition.
2.3.3
Patriarchat
Patriarchat bezeichnet eine Herrschaftsform, in der ein Ungleichgewicht zugunsten von Männern besteht (Winker & Degele 2010: 30). In patriarchalen Gesellschaften haben Männer mehr Macht als Frauen, besseren Zugang zu Ressourcen und generell bessere Startchancen, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt. Mit dem Begriff Patriarchat wird verwiesen „auf soziale Ungleichheiten, auf asymmetrische Machtbeziehungen und soziale Unterdrückung und auf die Tatsache, dass es sich dabei nicht um ein natürliches oder selbstverständliches Phänomen handelt“ (Cyba 2010: 17). Diese Art der Herrschaftsform hat eine lange Vergangenheit und kann bis ins Jahr 3000 vor Christus zurückdatiert werden (Cyba 2010: 18). Dabei ist das Patriarchat keine statische Größe, sondern hat sich im Laufe der Jahrhunderte und der Jahrtausende verändert (Cyba 2010: 21). Viele von Frauen erkämpfte Rechte stellen heute eine Selbstverständlichkeit dar, auch dann, wenn sie noch nicht lange gelten. So wurde in Deutschland das Wahlrecht für Frauen erst 1918, also vor rund 100 Jahren, eingeführt. Neben der Politik gibt es noch weitere Sphären, in denen Wirkweisen des Patriarchats spürbar sind, wie die Familie oder die Arbeitswelt. Auch Sprache kann als ein solcher Bereich angesehen werden, über den „patriarchale Strukturen“ nicht nur „transportiert“, sondern auch „konstituiert“ werden (Offenbartl 1995: 207). In der Wissenschaft rückte das Patriarchat in den 1970er Jahren in der Frauenforschung in den Fokus des Interesses (Winker & Degele 2010: 30). Das Konzept
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bot sich an, „um Ungleichheiten und Diskriminierungen, die Frauen in den unterschiedlichen Lebenssphären betreffen, als Teile eines übergreifenden Phänomens zu erfassen“ (Cyba 2010: 17). Allerdings wurde schnell deutlich, dass gesellschaftliche Strukturen allein über das Patriarchat nicht erklärbar sind, weshalb in den sogenannten „dual system theory“-Ansätzen das Patriarchat in Zusammenhang mit dem Kapitalismus untersucht wurde (Winker & Degele 2010: 31, Herv. entf.). Das Problem dabei war, dass „Kapitalismus und Patriarchat als getrennte Herrschaftssysteme mit eigenständigen Logiken“ angesehen wurden (Winker & Degele 2010: 31). Verschiedene Forscher*innen haben seitdem versucht, diesen Mangel zu überwinden.
2.3.4
Heteronormativität
Der Begriff ‚heteronormativity‘ beziehungsweise ‚heteronormative‘ geht auf den Literaturwissenschaftler und Amerikanisten Michael Warner zurück, der diesen Ausdruck 1991 zum ersten Mal verwendete (Warner 1991: 6; vgl. auch Wagenknecht 2007: 18). Heteronormativität ist damit ein relativ neuer Begriff, während zuvor eher „‚Heterosexismus‘“ und „‚Heteropatriarchat‘“ gebräuchlich waren (Hartmann & Klesse 2007: 10). Das Konzept basiert unter anderem auf den Arbeiten Butlers, auch wenn diese den Begriff selbst nicht verwendete (Ludwig 2011: 156), sondern von einer „heterosexuellen Matrix“ sprach (Butler 1991: 7). Unter Heteronormativität versteht man „Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse, die Subjektivität, Lebenspraxis und symbolische Ordnung und das Gefüge der gesellschaftlichen Organisation strukturiert.“ (Wagenknecht 2007: 17) Zentrale Merkmale von Heteronormativität sind somit zum einen die Vorstellung einer (biologisch begründeten) Zweigeschlechtlichkeit und zum anderen die Setzung von heterosexuellem Begehren als Norm (Hartmann & Klesse 2007: 9). Heterosexualität wird dabei „als ein zentrales Machtverhältnis“ gedacht, „das alle wesentlichen gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche, ja die Subjekte selbst durchzieht“ (Hartmann & Klesse 2007: 9). Der Sozialwissenschaftler Peter Wagenknecht sieht die Ursprünge der Heteronormativität in der „christlichen Morallehre, die als gottgegebene natürliche Ordnung die lebenslang treue Ehe, in der die Frau dem Mann untergeordnet und Geschlechtsverkehr allein zum Zweck der Nachwuchserzeugung ausgeübt werden soll, zum verbindlichen Modell des Zusammenlebens erhebt.“ (Wagenknecht 2007: 19) In der Wissenschaft wird Heteronormativität vor allem in der Queer Theory untersucht, die sich aus den Queer Studies und den Gender Studies entwickelte. Die Queer Theory kann als poststrukturalistische Theorie mit kritischem Impetus betrachtet werden, die die „heterosexual hegemony“ und „the naturalization of sexual difference indicative of heteronormativity“ (Gressgård 2011: 39) kritisiert und sich mit der Dekonstruktion von „all claims to stable or natural identity, including gay
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and other non-heterosexual identities“ (Gressgård 2011: 25) beschäftigt, mit dem Ziel, „of subverting hierarchies that are built on regimes of normalization“ (Castro Varela, Dhawan & Engel 2011: 2). Halperin definiert ‚queer‘ dabei als Oberbegriff für alle von der an Monogamie orientierten heterosexuellen Norm abweichenden sexuellen Neigungen und Identitäten: „Queer is by definition whatever is at odds with the normal, the legitimate, the dominant.“ (Halperin 1995: 62, Herv. i. O.) Nach dieser Definition fällt Pädophilie ebenfalls unter den Oberbegriff ‚queer‘. Hier ist es jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Pädophilie sich insofern von anderen sexuellen Normabweichungen unterscheidet, als dass die sexuelle Neigung nur ausgelebt werden kann, indem Menschen zu Schaden kommen. Aus diesem Grund werden Pädophile auch nicht von der Queer-Bewegung vertreten, die sich für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender und intersexuellen Menschen (LSBTI) einsetzt und generell für eine freie Entfaltung sexueller Identitäten und Neigungen eintritt.
2.3.5
Verwobenheit von Herrschaftsstrukturen
Wie die verschiedenen ungleichheitsgenerierenden Kategorien auf Subjektebene, so sind auch die gesellschaftlichen Herrschaftsformen miteinander verwoben und existieren nicht unabhängig voneinander, wie an einigen Beispielen verdeutlicht werden soll. Die Zusammenhänge von Heteronormativität, Patriarchat und Kapitalismus müssen zwar noch ausführlicher untersucht werden, auf die Wichtigkeit, „institutionalized heterosexuality with the gender division of labor and the patriarchal relations of production“ (Ingraham 1997: 276) gemeinsam zu berücksichtigen, wurde jedoch bereits verwiesen: „[M]aterial feminism argues that the nexus of social arrangements and institutions which form social totalities – patriarchy, capitalism, and racism – regulates our everyday lives“ (Ingraham 1997: 276). Die Soziologin und Psychologin Regina Becker-Schmidt hat den Zusammenhang von Kapitalismus und Patriarchat unter dem Schlagwort der „doppelten Vergesellschaftung von Frauen“ (Becker-Schmidt 2003: 1) untersucht. Demnach leisten Frauen für die Gesellschaft einen doppelten Beitrag: zum einen Reproduktions- und Hausarbeit, zum anderen Erwerbsarbeit, wobei erstere auf die Kategorie Geschlecht und damit auf das Patriarchat verweist und letztere auf die Kategorie Klasse und damit den Kapitalismus (Becker-Schmidt 2003: 12, vgl. auch Winker & Degele 2010: 34). Zwischen Kapitalismus und Kolonialismus besteht ebenfalls ein enger Zusammenhang. Osterhammel spricht von einem „koloniale[n] Kapitalismus“, worunter er versteht, dass von den in den Kolonien getätigten Investitionen in erster Linie ausländische Parteien profitierten, wobei diese das in den Kolonien vorhandene Humankapital ausnutzten (Osterhammel 2006: 88). Auch Kolonialismus und Patriarchat sind miteinander verknüpft. Die Kolonialisierung anderer Länder bot weißen
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Frauen die Möglichkeit, die durch das Patriarchat eingeschränkten Möglichkeiten in den Heimatländern aufzubrechen und aus einer im Vergleich zur Heimat besseren Position heraus Dominanz gegenüber People of Colour auszuüben (für eine Auflistung von Literatur zu diesem Thema siehe Dietrich 2007: 16). Diese Beispiele veranschaulichen, dass die Verknüpfungen der verschiedenen Herrschaftsformen mannigfach sind. So wie sich die ungleichheitsgenerierenden Kategorien in verschiedenen Subjektpositionen durchdringen, überlagern, verstärken, aufheben oder gegenseitig verändern können, so befinden sich auch die Herrschaftsstrukturen auf der Makroebene in komplexen Wechselverhältnissen und bedingen sich teilweise gegenseitig. Bei allen vier Herrschaftsformen geht es dabei letztlich um Macht, auch wenn die Ausgestaltung variiert.
2.4
S OZIALE N ORMEN
2.4.1
Definition von Normen
Normen beschreiben gesellschaftliche Verpflichtungen und Regeln. In diesen Regeln werden „Handlungen und Situationen typisier[t]“ (Popitz 1961: 193). Dadurch erfüllen Normen die Funktion, durch die Herstellung und den Erhalt von Ordnung (Popitz 1961: 198) die „Orientierungssicherheit“ (Faltin 1990: 24) der Gesellschaftsmitglieder zu erhöhen, indem Handlungen vorhersehbar werden. Durch die Ordnungsfunktion sozialer Normen und ihre Weitergabe durch Sozialisation werden gesellschaftliche Strukturen abgesichert (Faltin 1990: 34). Dabei sind soziale Normen stets relativ und kulturabhängig (Popitz 1961: 187). Dennoch können einige Merkmale bestimmt werden, die soziale Normen allgemein aufweisen. Die Politikwissenschaftlerin Inge Faltin identifiziert sechs solcher Kriterien: „Verbindlichkeit/Sanktioniertheit“, „Verhaltensbezogenheit“, „Situationsbezogenheit“, „Erwartungsbezogenheit“, „Regelmäßigkeit bzw. Stabilität“ und „[s]oziale Relevanz“. Die Verbindlichkeit von Normen hat zur Folge, dass deren Missachtung gesellschaftlich sanktioniert wird. Damit sind Normen ein Instrument der „sozialen Kontrolle“. Faltin legt die Definition von Verhalten weit aus und will darunter sowohl „Handeln“ als auch „Denken“ begriffen wissen. Sie grenzt Verhaltensnormen von Bewertungsnormen ab, wobei letztere gesellschaftlich akzeptierte „Werturteile“ beschreiben. Beide können miteinander in Konflikt geraten. Während sich die „Situationsbezogenheit“ von Normen darauf bezieht, dass sich „soziales Verhalten […] in Situationen vollzieht“, wird mit „Erwartungsbezogenheit“ auf die bestehenden Erwartungen verwiesen, die Mitglieder von Gruppen im Hinblick auf die Einhaltung sozialer Normen haben. Normen, die von einem großen Teil der Gesellschaft akzeptiert werden, sind regelmäßig beobachtbar und damit stabil, wodurch „Verhal-
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tensunsicherheit und Desorientierung“ vermieden werden. Sozial relevant sind Normen dann, wenn sie gesellschaftlich wichtig und gültig sind. (Faltin 1990: 15f.) Normen können nach ihrem Grad der Verbindlichkeit differenziert werden. Der Soziologe und Philosoph Ralf Dahrendorf unterscheidet zwischen Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen (Dahrendorf 2006: 42). Muss-Erwartungen beschreiben Rechtsnormen, also die in einer Gesellschaft gültigen sozialen Gesetze. Diese zeichnen sich durch eine hohe Verbindlichkeit aus, Verstöße gegen sie werden stark negativ sanktioniert (Dahrendorf 2006: 42). Rechtsnormen sind schriftlich in Gesetzen festgelegt und ihre Einhaltung kann im Gegensatz zu anderen Normen „mit Hilfe des Rechtsstabes erzwungen werden“ (Kininger 1971: 203). Die Einhaltung von Rechtsnormen wird durch Institutionen kontrolliert (Faltin 1990: 30): „Justiz und Polizei haben in bezug auf Gesetzesbrüche ein ausschließliches Sanktionsrecht“ (Faltin 1990: 30). Der Verbindlichkeitsgrad von Soll-Erwartungen ist etwas niedriger, aber immer noch hoch. Auch hier ist bei Nicht-Einhaltung der Regeln mit zumeist negativen Sanktionen zu rechnen, zum Beispiel mit sozialem Ausschluss. Kann-Erwartungen können als Gewohnheiten bezeichnet werden. Neben negativen Sanktionen kann es in Bezug auf Kann-Erwartungen auch zu positiven Sanktionen kommen, beispielsweise wenn jemand für normkonformes Verhalten belohnt wird. (Dahrendorf 2006: 43f.) Mit dieser Definition sozialer Normen ist bereits ein breites Feld abgesteckt, wobei einzelne Kriterien von besonderer Relevanz im Folgenden weiter ausgeführt werden. So werden zum einen die Geltung der Normen und die Funktion der Sanktion näher betrachtet. Weiter geht es um den Erhalt der Normen und darum, wie ein Normenwandel zustande kommt. Abschließend werden die für die vorliegende Studie besonders relevanten Bereiche der Ungleichheit und Macht betrachtet und wie diese mit Normen verknüpft sind. Zunächst soll jedoch die Beziehung zwischen Normen und Werten geklärt werden.
2.4.2
Normen und Werte
Zwischen Normen und Werten besteht ein enger Zusammenhang. Während beide wandelbar sind, können Wertvorstellungen als „situationsübergreifend“ betrachtet werden, wohingegen Normen situationsbezogene „Verhaltensforderungen“ darstellen (Faltin 1990: 35). Der Sozialanthropologe Clyde Kluckhohn definiert Wert als „a conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group, of the desirable which influences the selection from available modes, means, and ends of action“ (Kluckhohn et al. 1962: 395, Herv. entf.). Werte sind demnach die in einer Gesellschaft wünschenswerten Ideale, sie stellen somit Ziele dar. In Anlehnung an den Soziologen Robert K. Merton können Normen deshalb als Mittel betrachtet werden, mithilfe derer die Ziele beziehungsweise Werte erreicht werden
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sollen (Merton 1968: 186f.): Eine Norm „regulates and controls the acceptable modes of reaching out for these goals“ (Merton 1968: 187). Faltin hat darauf hingewiesen, dass Normen häufig als „‚Spiegel‘“ der Werte betrachtet werden können und es folglich möglich ist, „von bestehenden Normensystemen auf die anerkannte Werthierarchie zu schließen“ (Faltin 1990: 38). Jedoch ist der Bezug von Normen und Werten nicht immer so eindeutig (Faltin 1990: 38). So können Normen zwar auf Werten basieren, müssen aber nicht zwingend auf diese Bezug nehmen. Ebenso denkbar ist, dass Normen auf wirtschaftlichen Notwendigkeiten beruhen, wie beispielsweise erwerbstätig zu sein, oder auf der Gewöhnung an bestimmte Zustände (Scherr 2013: 272). Ein Beispiel für einen Zusammenhang, in welchem es unter Umständen schwierig ist, von bestehenden Normen auf den dahinterstehenden Wert zu schließen, ist im Gleichheitsideal gegeben. Denn wenn man Gleichheit als einen Wert der deutschen Gesellschaft auffasst, dann stehen Normen, die soziale Ungleichheiten fördern, diesem Wert kontraproduktiv gegenüber. Die situationsspezifischen Entscheidungen fallen hier womöglich anders aus, als es der zugrunde liegende Wert nahelegen würde. Daneben kritisiert Faltin die Vorstellung eines einzigen innerhalb einer Gesellschaft universal gültigen Wertesystems und verweist darauf, dass unterschiedliche Wertvorstellungen miteinander „‚konkurrieren‘“ (Faltin 1990: 39). Von verkürzenden Kausalbeziehungen zwischen Werten und Normen sei also abzusehen (Faltin 1990: 39). Aus der parallelen Existenz verschiedener Wertsysteme von unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilgruppen kann je nach deren Ausdifferenziertheit auf verschiedene ebenfalls miteinander in Konkurrenz stehende Weltbilder geschlossen werden, zu denen jeweils eigene Normsysteme gehören.
2.4.3
Geltung der Normen und Sanktionen
Der Geltungsbereich einer Norm ist einerseits abhängig davon, wie stark sie als verbindlich empfunden und folglich eingehalten wird, und andererseits davon, wie groß die Bereitschaft ist, abweichendes Verhalten zu sanktionieren (Popitz 1961: 195): „Die Normgebundenheit verwirklicht sich also nicht nur in einem Handeln, das zum Ausdruck bringt: ‚Dies galt und gilt heute‘, sondern auch in einer Reaktion, die besagt: ‚Dies soll in Zukunft wieder gelten‘“ (Popitz 1961: 195). Die bei einem Normbruch greifenden Sanktionen können vielfältiger Art sein und sich beispielsweise in einem Boykott äußern, aber auch in Diskriminierung, öffentlicher Missbilligung und Straf- und Vergeltungsmaßnahmen (Popitz 1961: 193f.). Negativ von einem Normbruch betroffenen Dritten kann zugestanden werden, sich in einer wiederum gegen Normen verstoßenden Art zur Wehr zu setzen, ohne dafür bestraft zu werden. Das ist der Fall, wenn die Öffentlichkeit „dem Betroffenen […] einen
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Vergeltungsakt zubilligt, der vom üblichen Verhalten abweicht, d. h. sich nur als Reaktion auf ein angetanes Unrecht rechtfertigt.“ (Popitz 1961: 194) Normen dienen der sozialen Kontrolle. Sanktionen beziehungsweise Sanktionsandrohungen erfüllen damit eine Schutzfunktion und betonen die Verbindlichkeit der Norm (Popitz 1961: 195). Sanktionen sind im Normalfall negativ, können aber auch positiven Charakter haben, beispielsweise wenn Kinder für „‚normales‘“ und damit „normkonformes Verhalten“ belohnt werden (Popitz 1992: 93). Der Soziologe Heinrich Popitz hat den Prozess der Sanktionierung als „labilste[n], störungsempfindlichste[n] Teil des normativen Handlungssystems“ beschrieben (Popitz 1961: 196). Er führt dies darauf zurück, dass die Sanktionierung von normabweichendem Verhalten zwar ebenso wie die Einhaltung der Norm verbindlich sei, aber aufgrund der weniger ausgeprägten Sanktionierung nicht stattfindender Sanktionen als eine „normative Verpflichtung geringeren Grades“ angesehen werden könne (Popitz 1961: 196). In der – nicht zwingend bewusst getroffenen – Entscheidung einen Normbruch nicht zu sanktionieren, liegt nun ebenso wie im Bruch mit den Normen selbst die Möglichkeit eines Normwandels begriffen (Popitz 1961: 196).
2.4.4
Normen: Erhalt und Wandel
Popitz hat drei Akteur*innen identifiziert, die eine Rolle spielen beim Erhalt beziehungsweise der Veränderung von Normen: Normsender*innen, Normhüter*innen und Normsetzer*innen (Popitz 1980: 43). Normsender*innen bestätigen Normen beispielsweise verbal oder indem sie für Normbrüche Sanktionen einfordern beziehungsweise befürworten, oder aber indem sie die Normverletzung von vornherein verhindern (Popitz 1980: 43f.). Von den Normsender*innen unterscheidet Popitz die Normhüter*innen. Sie haben eine ähnliche Funktion wie Normsender*innen, setzen sich aber noch stärker für den Erhalt von Normen ein, indem sie aktiv nach Verstößen gegen bestehende Normen fahnden (Popitz 1980: 44). Normhüter*innen haben eine gesellschaftlich legitimierte Machtposition inne, welche zur „zur faktischen Durchsetzung von Kontrollmaßnahmen erforderlich ist“, wobei Popitz als Beispiele „Eltern, Lehrer, Polizisten, Vorgesetzte“ nennt (Popitz 1980: 44). Die dritte Akteursgruppe, die der Normsetzer*innen beziehungsweise der Neuerer*innen, schafft es, neue Normen gesellschaftlich zu etablieren, die fortan verbindlich sind. Ihre Fähigkeit, neue Normen einzuführen, kann auf individuellen Talenten wie einer Problemlösungsfähigkeit oder rhetorischem Geschick gründen, aber auch auf Autorität beziehungsweise dem Innehaben einer Machtposition (Popitz 1980: 45). Sanktionen spielen bei allen drei Akteursgruppen eine wichtige Rolle. Ihnen kommen prinzipiell zwei Funktionen zu: Sie können zum einen dazu beitragen, die ihnen zugrunde liegenden Normen aufrechtzuerhalten, sie können aber andererseits
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auch Anteil daran haben, diese zu verändern. Das ist dann der Fall, wenn auf Normabweichungen weniger beziehungsweise weniger starke Sanktionen oder auch gar keine Sanktionen mehr folgen (Popitz 1961: 195). „Neuerer“ praktizieren abweichendes Verhalten dabei öffentlich, im Unterschied zu den Kriminellen, die Normen heimlich brechen (Faltin 1990: 58). Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Unterscheidungen nicht immer eindeutig zu treffen sind, da zu einem bestimmten Zeitpunkt tabuisierte Verhaltensweisen, wie beispielsweise gegenwärtig sexuelle Annäherungen von Erwachsenen an Kinder, so stark verpönt sind, dass auch selbstdefinierte Neuerer*innen bei öffentlicher Einforderung einer Legalisierung ihres gewünschten oder praktizierten Handelns direkt kriminalisiert werden. Es ist anzunehmen, dass die Veränderung von Normen nicht nur durch abweichendes Verhalten ausübende Einzelpersonen geschieht, sondern sich auf gesellschaftlicher Ebene auch und vor allem in medial geführten Diskussionen niederschlägt. Der Zusammenhang von Normen, Macht und Ungleichheit wird im Folgenden detaillierter betrachtet, weil er für die Fragestellung dieser Arbeit neben der Konstruktion von Ungleichheit besonders relevant ist.
2.4.5
Normen und Ungleichheit
Durch die „normative Differenzierung“ der Mitglieder einer Gesellschaft werden Ungleichheiten produziert (Popitz 1980: 91). Dazu trägt der Umstand bei, dass Norm nicht gleich Norm ist, sondern dass Normen im Hinblick auf ihren Kreis von Adressat*innen und ihren Verpflichtungsgrad divergieren. Popitz unterscheidet zunächst allgemeine Normen von Partikularnormen. Unter allgemeinen Normen versteht er solche, „die für alle Mitglieder einer Gesellschaft gelten“ und die damit die Gleichheit der Mitglieder einer Gruppe betonen: „Sie setzen die Mitglieder gleich. Die bloße Zugehörigkeit – die Zugehörigkeit zur Sippe, zum Stamm, zum Volk – gewinnt einen Eigenwert, der alle Differenzen überschattet.“ (Popitz 1980: 71, Herv. i. O.) Weiter unterscheidet Popitz nun zwischen allgemeinen Normen, die für alle Menschen gelten und solchen, die lediglich für die Mitglieder der eigenen Gesellschaft gelten und diese dadurch vom Rest der Welt abgrenzen: „Was drinnen für alle gilt, gilt jenseits der Mauern für keinen. Der Außenstehende ist demnach derjenige, bei dem gerade das Allgemeinste, das allen Gemeinsame zu gelten aufhört.“ (Popitz 1980: 72, Herv. i. O.) Eine gewisse Unschärfe aus Popitz’ Argumentation ergibt sich daraus, dass er auch bei allgemeinen Normen davon ausgeht, dass bestimmte Personen Ausnahmen bilden (er spricht von „Ausklammerungen“) und des Weiteren die „Wahrscheinlichkeit einer Sanktion vom Status des Normbrechers abhäng[t]“ und „hohes Prestige oder starke Machtmittel“ dazu führen können, dass Personen straffrei bleiben, obwohl sie eine Norm brechen (Popitz 1980: 71). Dies
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stellt insofern einen Widerspruch dar, als dass die Allgemeinnorm ja gerade dadurch definiert ist, dass sie für alle gilt. Partikularnormen sind im Gegensatz zu Allgemeinnormen gruppenspezifisch. Sie sind als Normen definiert, die nicht für alle Gesellschaftsmitglieder gelten, sondern nur für bestimmte Teilgruppen. Partikulare Normen zeichnen sich dadurch aus, dass „bestimmte Unterschiede“ herangezogen werden, um darüber festzulegen, welche Normen für das so definierte Kollektiv gelten. Popitz betont, dass nicht „alle physischen und psychischen Differenzen“ der Gesellschaftsmitglieder zu einer Binnendifferenzierung führen, sondern nur manche. Als Beispiel verweist er auf die Kategorien Geschlecht und Alter. Je nach Geschlecht beziehungsweise je nach Alter einer Person gelten für sie andere Normen als für Menschen eines anderen Geschlechts beziehungsweise einer anderen Altersstufe. Gruppenspezifische Normen „reflektieren“ Unterschiede also nicht einfach, sondern „überformen“ diese. (Popitz 1980: 72f., Herv. i. O.) Nach Popitz können Partikularnormen nun sowohl reziprok als auch nichtreziprok sein. Dabei beschreiben reziproke Normen eine gegenseitige Verpflichtung, nicht-reziproke Normen hingegen sind nur für die Normempfänger*in gültig, nicht aber für die Person, die die Norm ausspricht. Ein Beispiel für eine nichtreziproke Norm sind Regeln, die Eltern für ihre Kinder aufstellen, wie zum Beispiel: Für alle Kinder der Familie xy gilt, sie müssen um 20 Uhr im Bett sein. Dies ist eine Norm, die auf dem Altersunterschied der Eltern gegenüber den Kindern beruht und lediglich für die Kinder, nicht aber für die Eltern selbst gilt. Während allgemeine (und damit immer reziproke) Normen die Gleichheit der Menschen betonen, führen reziproke und nicht-reziproke Partikularnormen zu Ungleichheiten. Reziproke Partikularnormen, wie sie zwischen Personen einer Hierarchiestufe vorkommen, beispielsweise bei Freund*innen, „realisieren […] Gleichheit nur innerhalb einer Teilgruppe, die in ihrem Verhältnis zu anderen Teilgruppen positiv oder negativ privilegiert sein kann“. Nicht-reziproke Partikularnormen privilegieren beziehungsweise diskriminieren Mitglieder auch innerhalb einer Teilgruppe. (Popitz 1980: 42) Das Konfliktpotenzial zwischen nicht-reziproken Normen und Gleichheitsanspruch spiegelt Machtverhältnisse wider, muss dabei aber nicht zwingend zu Willkür führen. So besteht zwar die Norm, dass Eltern ihren Kindern sagen dürfen, was diese tun dürfen und was nicht. Machtmissbrauch kann aber durch eine ergänzende Norm verhindert werden, die besagt, dass Eltern das Wohl ihrer Kinder im Auge behalten müssen. Ähnliche Mechanismen, die als Schutzfunktion von ‚Machtinhaber*innen‘ gegenüber ‚Untergebenen‘ bezeichnet werden können, greifen bei der Durchsetzung von nicht-reziproken Normen durch militärische Befehlshaber*innen gegenüber den ihnen unterstellten Soldat*innen. Weiterhin erzeugt die in ausdifferenzierten Gesellschaften übliche Arbeitsteilung soziale Ungleichheit, die in Demokratien mit der Auffassung einer unterschiedlichen Leistungsproduktion und einer damit verbundenen ungleichen Wert-
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schätzung einhergeht, welche die unterschiedliche Entlohnung verschiedener beruflicher Positionen rechtfertigen soll. Hier muss das Leistungsprinzip demnach herhalten, um soziale Ungleichheiten zu legitimieren, wie bereits angesprochen wurde. Zudem hat das eingangs gezeigte Beispiel des Gender Pay Gap gezeigt, dass Leistung oft nur ein Scheinargument ist, das in Wirklichkeit von Ungleichheiten, die aus der (tatsächlichen oder zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu anderen Kategorien wie Gender/Geschlecht hervorgehen, überlagert wird (vgl. Kapitel 2.1). Während Partikularnormen demnach wie beschrieben zu gesellschaftlichen Ungleichheiten führen, entsteht die „Ungleichwertigkeit von Individuen und Gruppen in sozialen Hierarchien […] erst aus gruppalen und gesellschaftlichen Werten“ (Faltin 1990: 59). Der Normmensch hat dabei die gesellschaftliche Positionierung inne, der in der Gesellschaft der höchste Wert beigemessen wird, wohingegen die von der Norm abweichenden Individuen ihm gegenüber weniger wert sind, auch wenn dieser Zusammenhang der Ungleichwertigkeit unter anderem durch das Gleichheitspostulat verschleiert wird. Der enge Zusammenhang von Partikularnormen mit den oben beschriebenen ungleichheitsgenerierenden Kategorien rührt nun zum einen daher, dass diese Kategorien mit bestimmten gesellschaftlichen Rechten und Pflichten verbunden werden, die sich in den Partikularnormen niederschlagen. Zum anderen werden Personen häufig verschiedenen „sozialen Einheiten“ zugeordnet, was zu einer Positionierung von Individuen im „Schnittpunkt mehrerer Normstrukturen“ führt (Popitz 1961: 193). Partikulare Normen strukturieren damit die Gesellschaftsstruktur vor und sie tun dies nicht zufällig, sondern auf eine Weise, die bestimmte Mitglieder der Gesellschaft privilegiert und andere diskriminiert, weil ihre Entfaltungsspielräume durch die restriktive Wirkung der gruppenspezifischen Normen eingeschränkt werden. These ist dabei, dass Partikularnormen die Herrschaft des Normmenschen absichern, da dieser Privilegien genießt und deshalb ein Interesse am Erhalt des IstZustandes hat. „Normen und ihre Sanktionen“ können damit als „Medien der subjektiven Konstituierung“ der Ungleichheit angesehen werden (Faltin 1990: 58).
2.4.6
Normen, Konsens und Macht
Zuletzt soll nun noch ein Blick auf die Mechanismen geworfen werden, die ablaufen, wenn Normen innerhalb von Herrschaftssystemen etabliert werden. Prinzipiell sind drei Modelle vorstellbar. Zum einen ist denkbar, dass sich Normen durch öffentlichen Konsens manifestieren, also die Mehrheitsmeinung darstellen. Dieses Modell ist mit der Staatsform der Demokratie vereinbar. Zum anderen ist möglich, dass Normen durch einen „Konsens der Machtinhaber“ (Faltin 1990: 25) entstehen. Das würde die eben eingeführte These stützen, dass der Normmensch seine Machtposition durch Normen festigt. Drittens kann eine Mischform aus den beiden ge-
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nannten Modellen existieren, in der „die Etablierung von Normen nicht nur auf Konsensbildung [durch die Öffentlichkeit, MK] beruht, sondern auch auf die Macht- und Herrschaftsstrukturen einer Gesellschaft zurückzuführen ist“ (Faltin 1990: 25). Das letzte Modell wird in der vorliegenden Studie als das realistischste betrachtet, da Meinungsbildungsprozesse und politische Entscheidungen in Demokratien nicht unabhängig von Machtstrukturen stattfinden. Auch in einem öffentlichen Meinungsbildungsdiskurs, der konstitutiv für die Bestätigung, Veränderung oder Etablierung von Normen ist, sind Machtstrukturen wirksam. Akteur*innen in einer Machtposition können – zumindest innerhalb einer Demokratie – nicht losgelöst vom Willen des Volkes Normen festsetzen, sondern sind auf die Legitimation durch die Öffentlichkeit angewiesen: „Gesetzesvorhaben werden neben allem anderen auch daraufhin überprüft, ob sie von der Öffentlichkeit akzeptiert werden“ (Gerhards & Neidhardt 1990: 3). Darüber hinaus ist bereits die Unterscheidung von demokratischer, öffentlicher Bildung von einem Konsens bezüglich Normen einerseits und Konsensbildung der Machtinhaber*innen andererseits als idealtypisch anzusehen. Wie beschrieben, ist jedes Individuum in ein vielfältiges Geflecht von Herrschaftsstrukturen, von Dominanz und Dominierung eingebunden, auch wenn der Normmensch im Zentrum dieses Machtnetzes anzusiedeln ist. Unabhängig davon, ob Normen nun öffentlich ausgehandelt oder durch Machtinhaber*innen festgelegt werden, bedarf es eines Forums zur Kommunikation über Normen. Freilich können Normen innerhalb von Face-to-Face-Kommunikation weitergegeben werden, aber um Normen über eine gesamte Gesellschaft hinweg zu erhalten beziehungsweise – und in noch größerem Maße – um sie zu verändern, abzuschaffen oder neue Normen zu etablieren, bedarf es einer öffentlichen Kommunikation. Medien spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle und zwar sowohl non-fiktionale als auch fiktionale Medienbeiträge. Im folgenden Kapitel wird deshalb die Wechselwirkung von Medien, Ungleichheit und Normen näher betrachtet.
2.5
D IE R OLLE
2.5.1
Definition, Zusammenhang mit der Realität und öffentliche Meinung
DER
M EDIEN
Im Folgenden interessieren Medien vor allem als zeichenbasierte „Kommunikationsinstrumente“ und in Form der „Medienangebote“, also der einzelnen Beiträge selbst, auch wenn der Begriff Medien daneben noch die Medienorganisationen und -techniken einschließt (Schmidt & Zurstiege 2000: 170, Herv. entf.). Lange Zeit
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wurden die Medien und vor allem das Fernsehen als ein Fenster zur Welt betrachtet, durch das wir die Wirklichkeit wahrnehmen: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann 1996: 9). Dieses Wissen – und darauf hat auch der Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann verwiesen – muss aber nicht zwingend eine Abbildung von real vorhandenen Dingen sein. Dennoch beeinflussen die Medien maßgeblich, wie und in welchen Teilen die primäre Wirklichkeit wahrgenommen wird20 und leisten damit einen bedeutsamen Beitrag zur Konstruktion der sozialen Realität. Die Medien wirken auf die Realitätsvorstellungen ihrer Rezipient*innen ein, weil die Medienmacher*innen auswählen, welche Ereignisse und Geschehnisse sie für berichtenswert halten. Diese Selektionsprozesse sind nicht neutral, sondern beruhen unter anderem „auf Urteilen – z. B. auf Vorstellungen davon, was ‚bedeutend‘, ‚wichtig‘ und ‚dramatisch‘ ist, was einen ‚Nachrichtenwert‘ hat und was nicht“ (Hall 2001: 353, Herv. i. O.; zu den Nachrichtenfaktoren vgl. auch Galtung & Ruge 1965). Die Wirkung der Medien auf die Realitätsvorstellungen wird dadurch intensiviert, dass Medienbeiträge in vielen Fällen die einzige Quelle darstellen, die den Rezipient*innen zur Verfügung steht, beispielsweise bei der Berichterstattung zur Bundespolitik oder über entfernte Länder. Der Publizistikwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger hat sich ebenfalls mit Konstruktionsprozessen im Medienbereich beschäftigt und unterscheidet neben „[g]enuine[n] Ereignisse[n]“, die ohne Einfluss der Medien passieren wie beispielsweise Naturkatastrophen, auch „[m]ediatisierte Ereignisse“, welche nicht ausschließlich wegen der Medien stattfinden, aber an deren Bedürfnisse angepasst werden (z. B. Sportgroßveranstaltungen) und drittens „[i]nszenierte Ereignisse“, die lediglich für die Medienberichterstattung durchgeführt werden (Kepplinger 1992: 52, Herv. entf.). Damit verdeutlicht er den Einfluss der Medien auf die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit. Systemtheoretisch betrachtet kommt Massenmedien die Aufgabe zu, Öffentlichkeit zu konstituieren. Die Massenmedien stellen eine Plattform für die Verhandlung gesellschaftlicher Zustände bereit und schaffen damit die Voraussetzung für die Herausbildung einer öffentlichen Meinung zu gesellschaftlich relevanten Themen. Die Entstehung einer öffentlichen Meinung im Sinne eines allgemeinen Konsenses bezüglich bestimmter Wertvorstellungen, Klassifikationen und Normen ist dabei unabdinglich für die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft (Noelle-Neumann 2003: 393). Mediale Berichterstattung ermöglicht die öffentliche Meinungsbildung, indem sie soziales Wissen bereitstellt (Marchart 20
Im kommunikationswissenschaftlichen Agenda Setting-Ansatz wird davon ausgegangen, dass die Medien nicht unbedingt bestimmen, wie die Rezipient*innen über ein Thema, einen Sachverhalt etc. denken, aber sie beeinflussen, worüber sie überhaupt nachdenken (McCombs & Shaw 1972).
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2008: 135; vgl. auch Schmidt 1994: 17) und durch die Auslegung der Wirklichkeit Bedeutungen konstruiert und damit einen Rahmen für die Interpretation dieser durch die Rezipient*innen schafft (Hall 2001: 361). Diese Rahmung respektive der Frame kann als „Deutungsmuster“ aufgefasst werden (Dahinden 2006: 14). Der Deutungsrahmen beziehungsweise das themenspezifische Framing setzt durch die Etablierung einer bestimmten Sichtweise der Dinge die Schranken, innerhalb derer der weitere Diskurs stattfinden kann: „Gegner dieser Sicht müssen jetzt ihre Sache gegen den Hintergrund einer offenbar universellen Übereinkunft (Konsens) vertreten“ (Hall 2001: 360). Auf diese Weise können auch „umstrittene Annahme[n]“ zur „anerkannten Weisheit“ werden (Hall 2001: 360). Außerdem wird durch den Bezugsrahmen die Bandbreite an gesellschaftlich akzeptablen Meinungen eingeschränkt, was dadurch verstärkt wird, dass die Medien Annahmen über den gesellschaftlichen Konsens anstellen und eher die Meinungen berichten, die sie als nahe am Konsens wahrnehmen (Hall 2001: 367). Erst in Konfliktsituationen wird der Prozess der medialen Bedeutungskonstruktion sichtbar und es wird erkennbar, dass Klassifikationen nicht objektiv sind beziehungsweise nur innerhalb eines konsensuellen Rahmens objektiv sind (Hall 2001: 358f.).
2.5.2
Medien und Machtstrukturen
Die Konstruktion sozialer Realität und die Zuweisung von Bedeutung durch Medienbeiträge sind eng verknüpft mit Machtstrukturen, denn Massenmedien sind eingebunden in hegemoniale Systeme und unterstützen dadurch eine Herrschaft durch Konsens (Gramsci 1992).21 Die ablaufenden kommunikativen Prozesse sind nicht neutral, sondern können als „Kampf“ darum angesehen werden, „welche ‚Definitionen der Situation‘ sich durchsetzen werden“ (Hall 2001: 359). Sie sind demnach ein „Kampf um die wirkungsmächtigste Definition sozialer Realität“ (Marchart 2008: 164). Medien sind dabei „sowohl Terrain als auch Durchsetzungsmittel hegemonialer Stellungskämpfe“ (Marchart 2008: 134). Hierbei kann von der Zuweisung dominanter Bedeutungen durch die Medien ausgegangen werden, welche von dem Soziologen und Kulturtheoretiker Stuart Hall als „dominant or preferred meanings“ (Hall 1980: 134, Herv. entf.) bezeichnet werden. Die Massenmedien legitimieren diese hegemonialen Bedeutungen und schaffen dadurch ein Verständnis für diese in der Bevölkerung (Marchart 2008: 150).
21
Zu Herrschaft durch Konsens siehe die Gefängnishefte des Philosophen und marxistischen Schriftstellers Antonio Gramsci (insbesondere Gramsci 1992, B. 4, H. 6, § 10: 718). Siehe auch Marian Adolf, Kommunikations- und Medienwissenschaftler, der sich auf Gramsci bezieht und „Medien als hegemoniale Instanzen“ bezeichnet (Adolf 2006: 134f.).
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Prinzipiell muss bei der Bedeutungskonstruktion zwischen zwei Standorten unterschieden werden: dem der Sender*in beziehungsweise der Kodierer*in und dem der Empfänger*in beziehungsweise der Dekodierer*in einer Botschaft. Sender*in und Empfänger*in können dabei unterschiedliche Positionen einnehmen und unterschiedliche Bedeutungen imaginieren. So kann die Empfänger*in einer hegemonialen Botschaft diese erstens hegemonial lesen; sie kann sie zweitens aber auch modifizieren zum Beispiel durch die Formulierung von Ausnahmen; oder sie kann die Botschaft sogar konträr zur ursprünglichen Bedeutung auffassen, das heißt die hegemoniale Sichtweise ablehnen (Hall 2001: 361f.; vgl. auch Marchart 2008: 148f.). Diese komplexen Prozesse zeigen, dass die Produktion von Medienbeiträgen und deren Verarbeitung durch die Rezipient*innen aktive Prozesse sind und nicht auf einfache Stimulus-Response-Modelle zurückgeführt werden können. Damit wird auch die Vorstellung von den Massenmedien als Fenster zur Welt relativiert, denn je mehr die Medien – und ihre Rezipient*innen – in die aktive Konstruktion von Realität eingebunden sind, desto weniger wirken sie bloß abbildend, wie die Metapher des Fensters, das einen ungefilterten Blick auf tatsächlich vorhandenes Geschehen eröffnen kann, es nahelegt. So lässt sich festhalten: „Mit dem Fernsehen öffnet sich kein Fenster zur Welt, sondern ein Fenster zu unserer Kultur und Gesellschaft“ (Schmidt 1994: 17). Das gesellschaftliche Wissen, das die Medien vermitteln, kann prinzipiell durch die Rezeption fiktionaler Medien wie der Tatort-Reihe ebenso bezogen werden wie durch die Rezeption non-fiktionaler Medien wie journalistische Zeitungsartikel (Hall 2001: 345f.; Lünenborg, Fritsche & Bach 2011: 126), denn sowohl fiktionale als auch journalistische Medienangebote können – je nach Genre in unterschiedlicher Intensität – als Erzählungen betrachtet werden. Dies ist deshalb so wichtig, weil „we organize our experience and our memory of human happenings mainly in the form of narrative – stories, excuses, myths, reasons for doing and not doing, and so on“ (Bruner 1991: 4). Diese Narrative wiederum „[sind] ein wesentlicher Bestandteil jenes kulturellen Substrats […], auf dem alle Ordnungen unseres Zusammenlebens aufbauen“ (Renner 2013b: 2). Mediale Erzählungen können demnach soziale Normen und Werte transportieren und die hegemonialen Systemen innewohnende Ungleichheit damit festigen. Aber sie können diese auch irritieren, dekonstruieren und an der Etablierung neuer Wert- und Normsysteme mitwirken. Sie können Gleichheitsmythen fortschreiben und die Ungleichheit dadurch legitimieren oder das existierende Paradox von Gleichheitsanspruch und bestehenden Ungleichheiten offenlegen und angreifen. Medienbeiträge können den Normmenschen als impliziten Standard und Vergleichsmaßstab setzen, sie können sich aber auch davon lösen und Gegenentwürfe bieten. Gerade fiktionale Medienangebote scheinen prädestiniert für das Aufzeigen alternativer Weltbilder zu sein. Inwiefern die Medien von ihrer Möglichkeit Gebrauch machen, hegemoniale Strukturen aufzubrechen
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und sich vom Normmenschen als Zentrum der Welt zu lösen, werden die Analysen zeigen (Kapitel 7 bis Kapitel 11).
3
Zur Konstruktion von Ungleichheit: Theoretische Positionierung
Im folgenden Kapitel sollen die in Bezug auf die mediale Konstruktion von Ungleichheit wichtigsten Theorien vorgestellt werden. Dies ist zum einen der Intersektionalitätsansatz, welcher auf die Verwobenheit verschiedener ungleichheitsgenerierender Kategorien fokussiert (Kapitel 3.1). Die Entwicklung des Konzepts wird sowohl für den US-amerikanischen Raum skizziert, aus dem es ursprünglich stammt, als auch für den Transfer nach Europa und in den deutschsprachigen Raum (Kapitel 3.1.1). Anschließend wird erörtert, was bei Forschungsarbeiten mit Intersektionalitätsansatz zu beachten ist: welche Ebenen der Untersuchung es gibt; wie mit der Schwierigkeit der Kategorisierung umgegangen wird; wie der Ansatz auf eine narratologische Untersuchung von Medienbeiträgen übertragen werden kann (Kapitel 3.1.2). Der zweite in Bezug auf die mediale Konstruktion von Ungleichheit relevante Bereich ist die Kritische Weißseinsforschung (Kapitel 3.2). Hier wird ebenfalls zunächst auf die Forschungstradition und den Gegenstand eingegangen, wobei die Entstehung des Konzepts in den USA und die Übertragung auf Deutschland diskutiert und die Dimensionen von Weißsein vorgestellt werden müssen, bevor Weißsein definiert werden kann (Kapitel 3.2.1). Daraufhin wird die Anwendung der kritischen Weißseinsforschung dargelegt, wobei neben der Festsetzung von Weißsein als Kategorieausprägung folgende Herausforderungen eine Rolle spielen: die Sichtbarmachung von Weißsein in fiktionalen Medien; die Bestimmung der Zugehörigkeit zu Weißsein; die Gradualität von Weißsein und die daraus resultierenden Hierarchien innerhalb von Weißsein (Kapitel 3.2.2). Abschließend werden die beiden Konzepte zusammengeführt und das Verhältnis von Intersektionalitätsansatz und Kritischer Weißseinsforschung wird geklärt (Kapitel 3.3). Die dadurch eingeführte theoretische Positionierung bildet die Grundlage für die empirischen Analysen der Tatort-Folgen (vgl. Kapitel 7 bis Kapitel 10) und der journalistischen Medienbeiträge (vgl. Kapitel 11).
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3.1
I NTERSEKTIONALITÄT
3.1.1
Forschungsstand und Gegenstand
3.1.1.1
Entwicklung des Intersektionalitätsansatzes im US-amerikanischen Raum 1977 verklagten fünf Schwarze Frauen General Motors, weil das Unternehmen bis 1964 gar keine Schwarzen Frauen eingestellt hatte und später aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten nach der Maxime „‚last hired-first fired‘“ alle angestellten Schwarzen Frauen entlassen hatte (DeGraffenreid v. General Motors Assembly Division 558 F.2d 480; vgl. auch Crenshaw 1991: 57). Das Gericht akzeptierte den Vorwurf der Mehrfachdiskriminierung nicht, weil dieser gesetzlich nicht festgeschrieben war. Es erkannte weder eine rassistische Diskriminierung an noch eine sexistische, da General Motors vor 1964 bereits (weiße) Frauen angestellt hatte (Crenshaw 1991: 59) und auch Schwarze (Männer) beschäftigte. Die Juristin Kimberlé Crenshaw, die Ende der 1980er Jahre dieses und ähnliche Gerichtsverfahren untersuchte, kam zu dem Schluss, dass die Gesetzgebung auf bereits durch ihr Geschlecht beziehungsweise ihre Klasse privilegierte Personen ausgerichtet sei und Mehrfachdiskriminierung so nicht erfasst werden könne (Crenshaw 1991 [1989]: 57; 62). Sie prägte dafür den Begriff „Intersektionalität“, was sie mit der Metapher einer Straßenkreuzung erklärte, an der sich verschiedene Diskriminierungsformen überschneiden können: „Consider an analogy to traffic in an intersection, coming and going in all four directions. Discrimination, like traffic through an intersection, may flow in one direction, and it may flow in another. If an accident happens in an intersection, it can be caused by cars traveling from any number of directions and, sometimes, from all of them. Similarly, if a Black woman is harmed because she is in the intersection, her injury could result from sex discrimination or race discrimination.“ (Crenshaw 1991: 63)
Intersektionalität hat sich demnach im Antidiskriminierungsbereich entwickelt und beschäftigt sich mit sozial konstruierten Ungleichheiten und hier insbesondere mit der Mehrdimensionalität von Diskriminierungen. Damit ist auch wissenschaftlichen Arbeiten ohne antidiskriminierenden Impetus die Konzentration auf eine „Kritik multipler Formen von Unterdrückung“ (Knapp 2013: 342) zu eigen. Der Begriff Intersektionalität ist relativ neu, das Phänomen ist jedoch schon früher beschrieben worden und geht maßgeblich auf die Erfahrungen und wissenschaftlichen Arbeiten Schwarzer Frauen zurück. Die Schwarze Frauenrechtlerin Sojourner Truth stellte bereits 1851 bei einer Frauenrechtskonvention die inzwischen vielzitierte Frage „Ain’t I a woman?“ und prangerte damit die fehlende Berücksich-
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tigung der Rechte Schwarzer Frauen an (Fitch & Mandziuk 1997: 18). Schwarze Feministinnen übten Kritik an weißen Feministinnen, denen sie den Vorwurf machten, PoC-Frauen zu exkludieren und deren Situation in ihren Forderungen nicht entsprechend zu berücksichtigen (Lutz, Herrera Vivar & Supik 2010: 10). In den 1970er Jahren schlossen sich in den USA Schwarze, teilweise homosexuelle Feministinnen zum Combahee River Collective zusammen und verwiesen darauf, dass die Kategorien ‚Rasse‘, Geschlecht und Klasse als „simultaneous factors in oppression“ fungieren (The Combahee River Collective 1982: 21). Die drei Kategorien stellen auch die am häufigsten untersuchten Kategorien der Ungleichheit dar. Der Intersektionalitätsansatz kann als Erweiterung dieser unter dem Namen ‚Triple Oppression Theory‘ bekannt gewordenen Studien gelten, da er die Beschränkung auf drei Kategorien aufhebt und statt einer additionalen Untersuchung versucht, die Kategorien in ihren wechselseitigen Abhängigkeiten zu begreifen. Seit den 1960er Jahren kam es vermehrt zu Publikationen Schwarzer Wissenschaftlerinnen, die sich – wenn auch unter anderen Schlagworten – mit Intersektionalität beschäftigten (Hearn 2010: 105). So schrieb die Soziologin, Philosophin und Bürgerrechtlerin Angela Davis zum Beispiel über „Women, Race & Class“ (Davis 1981), bell hooks1 veröffentlichte ein Buch namens „Feminist Theory. From Margin to Center“ (hooks 2000 [1984]) und es erschien der inzwischen viel zitierte Sammelband „All the Women are White, All the Blacks are Men, But Some of Us Are Brave“ (Hull, Scott & Smith 1982). 3.1.1.2 Entwicklung des Intersektionalitätsansatzes in Deutschland und Europa Das aus dem US-amerikanischen Raum stammende Intersektionalitätskonzept ist inzwischen auch von der europäischen beziehungsweise deutschen Forschung adaptiert worden (Knapp 2013: 343). In Europa legten ebenfalls die Erfahrungsberichte und Schriften Schwarzer Frauen den Grundstein für die Intersektionalitätsforschung (Lutz, Herrera Vivar & Supik 2010: 12), wie zum Beispiel in Deutschland die 1986 erschienene Textsammlung „Farbe bekennen“, welche von Adefra, dem Zusammenschluss „Afrodeutscher Frauen“ herausgegeben wurde und die sich mit der Situation Schwarzer Frauen in Deutschland befasst (Oguntoye, Ayim & Schultz 2006 [1986]). Traditionell ist in Europa vor allem auf die Verknüpfung der Kategorien Klasse und Geschlecht in der politisch-aktivistischen Arbeit fokussiert worden, wohingegen in den USA historisch bedingt in erster Linie die Kategorien ‚Rasse‘ und Geschlecht zusammengedacht wurden (Ferree 2010: 77). Die Überlegungen zu Intersektionalität fielen in Europa in der feministisch orientierten Forschung auf einen fruchtbaren Boden, da das Konzept einen Rahmen bot, Differenzen innerhalb der Gruppe der Frauen zu untersuchen und zu diskutie1
Zur Kleinschreibung des Namens ‚bell hooks‘ siehe Kapitel 2.1.
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ren. Parallel zur Einführung des Begriffs der Intersektionalität in die nationale und internationale Forschungslandschaft durch Crenshaw wurden Untersuchungen zur Verwobenheit von Kategorien durchgeführt (Yuval-Davis 2010: 187). So forschten die Soziologinnen Floya Anthias und Nira Yuval-Davis beispielsweise zu „‚racialized boundaries‘“ und untersuchten in diesem Zusammenhang die Verflechtungen der Kategorien ‚Rasse‘, Nation, Gender, „colour“ und Klasse (Anthias & YuvalDavis 1992) und die Soziologin Helma Lutz beschäftigte sich mit Ethnizität und Gender (Lutz 1988; Lutz 1991). Sowohl in den USA als auch in Europa hatten sich zahlreiche Forscher*innen also bereits vor oder zeitgleich mit Crenshaw mit der Verwobenheit von Kategorien im Hinblick auf Diskriminierung auseinandergesetzt, wenn auch unter anderen Namen. Einige weitere Begriffe und Konzepte, die in diesem Zusammenhang in Umlauf kamen, sind „Mehrfachunterdrückungen“, „multiple Differenzen“, „Hybriditäten“ und „Mehrfachgefährdungen“ (Hearn 2010: 105; Lutz, Herrera Vivar & Supik 2010: 13). Während das Konzept der Intersektionalität in den USA seinen Ursprung im Versuch der Erfassung des Ungleichgewichts zwischen rechtlicher Praxis und individueller beziehungsweise kollektiver Erfahrungen von Minderheiten hat, wird es in Europa „eher als theoretische Analyseperspektive“ (Walgenbach 2012: 27) genutzt. Vertreter*innen verschiedener Disziplinen wie der Genderforschung und der Queer Studies fassen es als neues Paradigma auf (vgl. z. B. Degele & Winker 2007: 1).
3.1.2
Anwendung des Intersektionalitätsansatzes
3.1.2.1 Ebenen der Untersuchung Der Anspruch des Intersektionalitätsansatzes, die Komplexität der Realität in Hinblick auf kategoriale Verflechtungen zu erfassen, führt zu einer Reihe forschungstheoretischer und methodologischer Fragen in Bezug auf die konkrete Umsetzung in analytischen und empirischen Arbeiten. Dabei wird die Debatte in Deutschland vorwiegend von (häufig feministisch positionierten) Soziolog*innen vorangetrieben (Hoffarth 2011: 191), was zwar auch die Forschung in anderen Disziplinen bereichert, jedoch zu methodischen Vorschlägen führt, die nicht ohne weiteres in anderen Fachkulturen anwendbar sind. Einer der umstrittenen Punkte in der Forschung zu Intersektionalität ist, wie viele und welche Kategorien in eine Analyse Eingang finden sollten. Diese Frage kann immer nur im Hinblick auf einen spezifischen Untersuchungsgegenstand beantwortet werden (Knapp 2013: 347; Winker & Degele 2010: 16), weshalb die für eine Analyse relevanten Kategorien stets in Abhängigkeit von der Fragestellung beziehungsweise dem semantischen Feld des untersuchten Gegenstands bestimmt werden müssen. Die Soziologinnen Gabriele Winker und Nina Degele verweisen außerdem darauf, dass die Untersuchungsebene Einfluss auf die Art und Anzahl der
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auszuwählenden ungleichheitsgenerierenden Kategorien hat. Sie schlagen drei Ebenen vor, auf denen Intersektionalitätsstudien durchgeführt werden sollten:2 1. die „Makro- und Mesoebene“, auf welcher „gesellschaftliche Sozialstrukturen inklusive Organisationen und Institutionen“ angesiedelt sind; 2. die „Mikroebene“ also die Ebene der „Prozesse der Identitätsbildung“; 3. die „Repräsentationsebene“, auf der „kulturelle Symbole“ verhandelt werden (Winker & Degele 2010: 18). (vgl. auch Kapitel 2) Die Makro- beziehungsweise Mesoebene wird dabei als strukturelle Ebene betrachtet, auf der sich Ungleichheiten durch Herrschafts- und Machtverhältnisse manifestieren (Winker & Degele 2010: 19f.). Studien auf dieser Ebene befassen sich unter anderem mit patriarchalen, kapitalistischen und nationalistischen beziehungsweise (post)kolonialen Strukturen (Klinger 2008: 54). Auf der Mikroebene geht es um das ‚Wie‘ bei der Konstruktion von Ungleichheit, das heißt um die ablaufenden Prozesse. Dabei können Identitätskategorien beispielsweise durch Handlungen hervorgebracht werden. Auf der Repräsentationsebene sind Normen, Werte und Weltbilder angesiedelt. (Winker & Degele 2010: 19ff.) Eine analytische Untersuchung von Medienbeiträgen, wie sie in dieser Arbeit durchgeführt wird, kann dabei ungleichheitsgenerierende Kategorien vor allem auf der Repräsentationsebene untersuchen. Medien können gesellschaftlich vorhandene Kategorien reproduzieren, haben aber theoretisch auch die Möglichkeit, diese zu variieren oder neue Ausprägungen von Kategorien anzubieten oder vorhandene Ausprägungen neu zu bewerten. Die Makro- und die Mikroebene können hierbei nur indirekt analysiert werden und zwar innerhalb der Medienbeiträge. So können sich Strukturen und Herrschaftsverhältnisse im Weltbild eines Textes offenbaren oder innerhalb eines Textes Aussagen zu diesen getroffen werden, ebenso wie Beobachtungen zur Mikroebene anhand der Analyse von Figuren gemacht werden können. Darüber hinaus ist es möglich, die medialen Beiträge historisch und argumentativ in einem größeren gesellschaftlichen Kontext zu verorten. Eine Mehrebenenanalyse, wie von Winker und Degele vorgeschlagen, ist im Rahmen einer mit medienwissenschaftlichen Methoden arbeitenden analytischen Untersuchung jedoch nicht möglich und würde ein interdisziplinär arbeitendes Team aus Forscher*innen voraussetzen. Auch Degele und Winker selbst verweisen auf diesen Umstand, wenn sie im Hinblick auf die intersektionale Analyse kultureller Repräsentationen bemerken, dass „[u]nter pragmatischen Umständen […] eine empirische Untersuchung allerdings nicht immer alle ungleichheitsrelevanten Dimensionen auf allen Ebenen gleichzeitig abdecken [kann]“, was Forscher*innen nicht da2
Zu einer Übersicht der Kritik am Mehrebenenmodell von Winker & Degele siehe Schnicke (2014: 21).
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ran hindern soll „den Blick aufs Ganze im Blick [zu] behalten“ (Degele & Winker 2011: 26). 3.1.2.2 Interkategorial, intrakategorial oder antikategorial? Die Frage nach dem Umgang mit Kategorien war und ist eines der drängendsten Probleme von Intersektionalitätsstudien. Die Positionen diesbezüglich sind vielfältig und reichen von einer strikten Ablehnung von Kategorien bis hin zu einer kritischen Nutzung zum Zwecke der Forschung. Anfang des Jahrtausends hat die Soziologin Leslie McCall den Versuch unternommen, bestehende Studien im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Kategorien zu systematisieren und unterschied dabei antikategoriale, intrakategoriale und interkategoriale Ansätze (McCall 2005). Antikategoriale Ansätze lehnen Kategorien grundsätzlich ab, weil aus dieser Sicht Kategorien die Komplexität der Wirklichkeit nur unzureichend erfassen und zudem durch die Bezugnahme auf Kategorien soziale Ungleichheit produziert beziehungsweise gefestigt werden können (McCall 2005: 1773). Kategorien müssen demnach dekonstruiert werden. Interkategoriale Ansätze verortet McCall am anderen Ende des Spektrums, da sie Kategorien zumindest vorübergehend als notwendiges Hilfsmittel für die Erfassung von sozialer Ungleichheit verstehen, auch wenn diese kritisch betrachtet werden (McCall 2005: 1773). Dabei fokussieren interkategoriale Analysen die Wechselwirkungen zwischen den Kategorien, wobei eine „Basiskategorie“ zugrunde gelegt werden kann, die zentral gesetzt wird und den Ausgangspunkt für die Analyse der anderen Kategorien bildet (Perko & Czollek 2012: 10). Ansätze dieser Art betrachten die Makroebene und sind deshalb häufig quantitativ und gesellschaftstheoretisch ausgerichtet (Walgenbach 2012: 26). Intrakategoriale Ansätze sind zwischen den beiden Polen anzusiedeln und nehmen oft spezielle Gruppen in den Blick, betrachten also beispielsweise Unterschiede innerhalb eines Kollektivs, das einer Kategorienausprägung zugerechnet wird (McCall 2005: 1773f.), also etwa Unterschiede im Hinblick auf sexuelle Orientierung und/oder soziale Klasse innerhalb der Gruppe der Frauen. Die Sozialwissenschaftlerin Gudrun-Axeli Knapp sieht McCalls Versuch der Systematisierung inzwischen als überholt an, da ihrer Meinung nach heute „eher fragestellungsspezifische Kombinationen und begriffliche Suchbewegungen zwischen den von ihr unterschiedenen Richtungen“ (Knapp 2013: 345) vorherrschen. Hier wird die Position vertreten, dass ein Verzicht auf die Verwendung von Kategorien zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angemessen ist. Antikategoriale Ansätze spiegeln zwar die persönliche Lebenswirklichkeit von Individuen wider, die davon geprägt ist, dass Identitäten vielfältig und nicht statisch sind, ignorieren an diesem Punkt aber die strukturelle Eingebundenheit dieser Individuen in gesellschaftliche Verhältnisse, die in hohem Maße an Kategorien orientiert sind, beispielsweise durch Gesetzeslagen. Außerdem birgt eine theoretische Dekonstruktion von Kategorien die Gefahr, den Bemühungen von Minderheitenvertreter*innen zu-
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widerzulaufen, die zwangsweise auf – gesellschaftlich faktisch relevante und zu sozialen Ungleichheiten führende – Kategorien verweisen müssen, um bestehenden Missverhältnissen entgegenwirken zu können. Um dem Risiko einer Verstärkung sozialer Ungleichheit durch den Einsatz von Kategorien in der Forschung vorzubeugen, ist eine kritische Reflexion der Verwendung von Kategorien jedoch bei jedem Schritt der Untersuchung vonnöten, um deren Konstruktcharakter bewusst zu machen: bei theoretischen Überlegungen, methodischen Abwägungen, den Analysen selbst sowie der Interpretation der Ergebnisse. Dementsprechend wird hier zwar der Konstruktcharakter von Kategorien betont, aber diese werden dennoch als Analysekategorien verwendet, um ihre Wirkweisen im Hinblick auf die Konstruktion gesellschaftlicher Realität sichtbar machen zu können. 3.1.2.3
Narratologischer Intersektionalitätsansatz zur Untersuchung von Medienbeiträgen Da die vorliegende Arbeit im medienwissenschaftlichen Bereich angesiedelt ist und die Analysen mit Methoden der Kultursemiotik durchgeführt werden, lohnt sich ein Blick auf die bisherigen Forschungen zu Intersektionalität in diesen Bereichen. Der Intersektionalitätsansatz wird im deutschsprachigen Raum erst nach und nach auf medienwissenschaftliche Arbeiten übertragen, so in einem primär medienwissenschaftlich angelegten Sammelband zu „Intersektionalität und Kulturindustrie“ (Knüttel & Seelinger 2011) und einer Ausgabe der kommunikationswissenschaftlich ausgerichteten Zeitschrift MedienJournal zu Intersektionalität (Nr. 3/2014). Im Bereich Erzähltheorie existiert ein Sammelband mit dem Titel „Intersektionalität und Narratologie“ (Klein & Schnicke 2014). Im Folgenden werden anhand der genannten Quellen zunächst verschiedene Anwendungsgebiete des Intersektionalitätskonzepts im Medienbereich aufgezeigt, bevor die bisher existierenden theoretischen Überlegungen zu Intersektionalität und Erzähltheorie kurz vorgestellt und konkrete Anwendungsmöglichkeiten einer intersektionalen Narratologie beziehungsweise einer narratologisch orientierten Intersektionalitätsforschung identifiziert werden. Die Aufsätze, die sich mit der Implementierung des Intersektionalitätskonzepts im Medien- beziehungsweise Kulturbereich beschäftigen, verdeutlichen die Vielzahl an Herangehensweisen und Fragestellungen in diesem Bereich. So werden beispielsweise fiktionale Spielfilme wie KING KONG (Schaefer-Rolffs 2011) oder IMITATION OF LIFE (Esders 2011) oder Serien wie Star Trek (Hoffarth 2011) analysiert.3 Aber auch non-fiktionale Medienbeiträge stehen im Fokus des Interesses, 3
Da sich sowohl der Geschlechterforscher Jos Schaefer-Rolffs als auch Esders mit verschiedenen Verfilmungen beschäftigen und Hoffarth mit einer ganzen Staffel der Serie Star Trek, wird an dieser Stelle auf die Nennung der Regisseur*in und des Entstehungsjahrs der Filme verzichtet.
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zum Beispiel Castingshows wie Germany’s Next Topmodel (Knüttel 2011; Stehling 2014) oder Deutschland sucht den Superstar (Dietze 2011), wissenschaftsjournalistische Beiträge zu Adipositas (Damat & Weish 2014), Frauenzeitschriften (Hecken & Middeke 2011) und die Darstellung von Migrantinnen in verschiedenen nonfiktionalen Fernsehformaten (Lünenborg & Fürsich 2014). Allen diesen unterschiedlichen Ansätzen gemeinsam ist es, dass sie „Medien als wichtigen Faktor bei der Konstruktion sozialer Hierarchien“ (Lünenborg & Fürsich 2014) ansehen. Trotz oder gerade wegen der Unterschiedlichkeit in der methodischen und theoretischen Herangehensweise zeigt sich hier die Stärke des Intersektionalitätsansatzes, nämlich dass er von verschiedenen Forschungsrichtungen gewinnbringend genutzt werden kann. Die Diversität der Anwendungsgebiete führt jedoch auch zu einer vielfältigen und damit uneinheitlichen Ausgestaltung der medien- beziehungsweise kulturwissenschaftlichen Intersektionalitätsstudien, weshalb die erbrachten Ergebnisse aus unterschiedlich orientierten Disziplinen häufig schlecht vergleichbar sind. Die Erziehungswissenschaftlerin Britta Hoffarth entwickelt in ihrer Studie zu Star Trek eine Reihe von Analysefragen, die einen ersten Ausgangspunkt für eine Untersuchung fiktionaler Medienbeiträge darstellen können. So fragt sie danach, welche Differenzkategorien innerhalb einer Serie, Sequenz oder Situation als relevant erscheinen und was innerhalb eines Textes als „selbstverständlich“, plausibel und „normal“ gilt (Hoffarth 2011: 203). Sie verweist außerdem darauf, dass bereits in der Gesellschaft vorhandene „dominante[] Ideen“ in Hinblick auf verschiedene Ausprägungen ungleichheitsgenerierender Kategorien mit in die Analyse einbezogen werden sollten (Hoffarth 2011: 203). Darüber hinaus macht sie auf die Wichtigkeit der Figuren bei einer intersektionalen Filmanalyse aufmerksam und gibt auch hier zukünftigen Forscher*innen einige Fragen an die Hand. Diese beziehen sich beispielsweise auf die „optisch charakteristische[n] Merkmale der Figur“, die wiederum erst durch das Vorwissen der Zuschauer*innen Handlungen der Figuren erklärbar machen können (Hoffarth 2011: 204). Damit wird auf das „kulturelle Wissen“ verwiesen, über das die Zuschauer*innen verfügen müssen, um die „Inszenierung decodieren zu können“ (Hoffarth 2011: 204). Dabei bietet es sich an, gemeinsam mit der Juristin Mari J. Matsuda „the other question“ zu stellen: „The way I try to understand the interconnection of all forms of subordination is through a method I call ‚ask the other question‘. When I see something that looks racist, I ask, ‚Where is the patriarchy in this?‘ When I see something that looks sexist, I ask, ‚Where is the heterosexism in this?‘ When I see something that looks homophobic, I ask, ‚Where are the class interests in this?‘“ (Matsuda 1991: 1189)
Auf Figuren übertragen kann dies bedeuten, nach „Irritationen zu fahnden: Wann irritiert das Verhalten der Figur die Erwartungen der Zuschauer_innen? Wann werden dominante Repräsentationen eher brüchig, wann funktioniert die normative
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Lesart nicht mehr oder wird zurückgewiesen?“ (Hoffarth 2011: 204f.). Ob dieses Angebot eines Medienbeitrags, Momente zu schaffen zur „Irritation von Lesarten“ als „eine[r] Irritation von Erwartungen an eine bestimmte Normalität“ (Hoffarth 2011: 209), auch in Mainstream-Reihen vorkommt, wie beispielsweise dem Tatort, gilt es zu überprüfen. Die Kultur- und Geschlechterforscherin Karin Esders hat vorgeschlagen, die Lesarten selbst zu untersuchen, und zwar im Hinblick darauf, ob sie „dominant oder oppositionell, rational oder emotional“ sind und „sich dem hegemonialen Rahmen filmischer Repräsentationen entziehen oder ihn möglicherweise sogar verändern können“ (Esders 2011: 253f.). Dies setzt allerdings eine Untersuchung auf Medienwirkungsebene und damit der Rezipient*innen selbst voraus und kann mit einer rein textanalytisch angelegten Studie nicht erfüllt werden. Die Tendenz des Menschen, Wissensbestände über das Erzählen von Geschichten zu übermitteln, die vor allem im fiktionalen, aber auch im non-fiktionalen Bereich gegeben ist, legt nahe, dass über das Erzählen auch Ungleichheiten dargestellt und konstruiert werden (vgl. Kapitel 2.5). Für die intersektionale Untersuchung narrativer Texte ist es notwendig, „eine intersektionalitätsorientierte Erzählforschung bzw. eine narratologisch fundierte Intersektionalitätsforschung“ (Nünning & Nünning 2014: 41) zu entwickeln. Das gilt zunächst unabhängig von der Art des zu untersuchenden Textes, also für literarische schriftliche Texte ebenso wie für audiovisuelle Medienbeiträge und ebenso unabhängig vom Fiktivitäts- beziehungsweise Faktualitätsgrad des Textes. Die Anglist*innen Ansgar Nünning und Vera Nünning haben versucht, die bisherigen Erkenntnisse, die im Rahmen der „feministische[n] Narratologie“ und der „gender-orientierte[n] Erzähltextanalyse“ (Nünning & Nünning 2014: 33, Herv. i. O.) gewonnen wurden, als Grundlage für eine weitere Differenzkategorien umfassende und somit intersektional angelegte narrative Analyse von Texten zu nehmen. Dabei können aus Perspektive der gender-orientierten Erzähltheorie narrative Texte als historische Konstrukte mit einer bestimmten Weltanschauung betrachtet werden und „Erzähltechniken als formale Ausdrucksmittel kulturspezifischer Erfahrungen und Sinnstrukturen“, die Aufschluss bieten können über gegenwärtig vorhandene „geschlechtsspezifische Einstellungen, Denkgewohnheiten und Lebensbedingungen“ (Nünning & Nünning 2014: 37). Eine Verbindung klassischer erzähltheoretischer Ansätze mit primär an Ungleichheit interessierter Forschung bietet somit vielfältige Vorteile, zu deren Nutzung jedoch zunächst nicht unwesentliche methodische, theoretische und inhaltliche Differenzen überwunden werden müssen, die nicht zuletzt in andersgearteten Erkenntnisinteressen begründet sind (Nünning & Nünning 2014: 42f.). So unterscheiden sich die Intersektionalitätsforschung und die Erzähltheorie in ihrer Ausrichtung: Während sich Untersuchungen zur Intersektionalität, die sich beispielsweise an das oben beschriebene Mehrebenenmodell von Degele und Winker anlehnen, auf soziale beziehungsweise faktuale Gegenstände beziehen, beschäftigt sich die klassische Narratologie schwerpunktmäßig mit fiktionalen Texten
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(Werner 2014: 107). Eine weitere Schwierigkeit resultiert daraus, dass die traditionelle, strukturalistisch-formal ausgerichtete Erzähltheorie vor allem eine „systematische Modellbildung und rationale Beschreibung von Textstrukturen“ zum Ziel hat, wohingegen die an Differenzen und sozialen Ungleichheiten interessierten Forschungszweige durch eine gesellschaftskritische Interpretation von Texten Benachteiligungen offenlegen und Veränderungen herbeiführen wollen (Nünning & Nünning 2014: 44). Die Beschränkungen, die die Ansätze jeweils aufweisen, insbesondere der vernachlässigte beziehungsweise nicht im Zentrum stehende Wirklichkeitsbezug und die nicht vorhandene gesellschaftskritische Haltung der traditionellen Erzähltheorie sowie die oft fehlende Systematik und die Ausblendung der Spezifika narrativer Texte in der feministischen und intersektional orientierten Literaturwissenschaft, können nun durch einen Zusammenschluss beider aufgehoben werden und damit den Erkenntniswert der Untersuchungen erhöhen: „Einerseits kann die Untersuchung der Repräsentation gesellschaftspolitischer, ethischer oder sozialer Fragen in narrativen Texten davon profitieren, Kategorien und Verfahren der Erzähltheorie zu berücksichtigen; andererseits kann die Entwicklung einer kontextorientierten und kulturwissenschaftlichen Erzählforschung von den theoretischen Einsichten und Methoden der Intersektionalitätsforschung profitieren, wenn sie die Semantisierung narrativer Verfahren untersucht und nach deren Bedeutung für die Konstruktion von soziokulturellen Differenzen fragt.“ (Nünning & Nünning 2014: 47)
Dabei gilt es relativierend hinzuzufügen, dass auch in der klassischen Erzähltheorie punktuell das Verhältnis von Realität und Text aufgegriffen wird (z. B. Lotman 1974: 343) und normative Bezüge angesprochen werden, jedoch explizit im Hinblick auf Ästhetik und nicht auf die Gesellschaft: „Mit der Einführung des NormBegriffes in die Textanalyse gerät die Literaturwissenschaft in Gefahr, ihre Kompetenz zu überschreiten, sofern sie unter ‚Norm‘ mehr als nur ‚ästhetische Norm‘ versteht.“ (Kanzog 1976: 109) Umgekehrt soll nicht behauptet werden, dass es nicht auch vereinzelte intersektional angelegte Arbeiten gibt, die sich thematisch mit Ungleichheiten beschäftigen und zudem eine stringente narratologische Methodik anwenden; aber auch hier ist davon auszugehen, dass das eine Interesse das andere überwiegt und zwar in diesem Fall das Interesse für die Ungleichheitsstrukturen jenes für die formal-strukturellen Aspekte. Konkret können nun innerhalb eines narratologischen Intersektionalitätsansatzes die verschiedenen Aspekte narratologischer Untersuchungen wie Räume, Zeit, Handlung beziehungsweise Plot, Figuren, aber auch Gattungen und Form für eine auf Ungleichheiten fokussierte Analyse genutzt werden (Nünning & Nünning 2014: 40). So kann man die Frage nach der sozialen Positionierung der Erzählinstanz stellen (Nünning & Nünning 2014: 50), wobei dies für den audiovisuellen Bereich nochmals andere Schwierigkeiten aufwirft als für schriftliche Texte (zur Übertrag-
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barkeit der klassischen Erzähltheorie auf den Bereich Film siehe Kuhn 2011). Hier muss die These überprüft werden, inwiefern die Erzählposition in MainstreamTexten wie der Tatort-Reihe stets stark an der Perspektive des Normmenschen orientiert ist (unabhängig von den tatsächlichen Autor*innen), oder ob auch sichtbare Abweichungen von der hegemonialen Perspektive möglich sind. Ein Vorteil der Untersuchung der heterodiegetischen Erzähler*in liegt des Weiteren darin, dass auf diese Weise unter Umständen „der autoritative, vermeintlich ‚klassen-, [sic!] bzw. ‚geschlechtslose‘ und neutrale Blick […] als Fiktion entlarvt werden“ kann (Nünning & Nünning 2014: 51). Auch ein Blick auf Raumstrukturen kann gewinnbringend sein, da verschiedene Räume unterschiedlichen Gruppierungen zugeschrieben werden können. Des Weiteren bieten Mengen von Figuren, die raumunabhängig konzipiert werden (Renner 1983), die Möglichkeit, Privilegierungen und Diskriminierungen, die auf soziale Positioniertheiten zurückzuführen sind und intersektional aufgeschlüsselt werden können, erzähltheoretisch zu rekonstruieren. Auf der PlotEbene des jeweiligen Textes sind dabei vor allem die Schlüsselmomente analytisch relevant, bei denen durch Figuren Grenzen überschritten und somit Ordnungen verletzt werden, womit auf narrativer Ebene in irgendeiner Form umgegangen werden muss. Dieses Vorgehen wird in Kapitel 5.2 weiter expliziert. Insgesamt hat sich gezeigt, dass eine Verbindung des Intersektionalitätsansatzes und der Erzähltheorie vielversprechend erscheint und voraussichtlich gewinnbringend für eine gesellschaftskritische und systematische Untersuchung von Ungleichheiten in Medienbeiträgen eingesetzt werden kann.
3.2
K RITISCHE W EISSSEINSFORSCHUNG
Die Forschungsrichtung der Critical Studies of Whiteness ist in den USA vor einem spezifischen Hintergrund entstanden: der Sklaverei und den noch heute andauernden Kämpfen von Schwarzen gegen Rassismus und Diskriminierung. Zwar gab es auch in Deutschland Sklavenhandel, jedoch ist die Gesellschaft hierzulande nicht im gleichen Maße von der Geschichte der Sklaverei geprägt wie in den USA und zudem sind die Mehrheitsverhältnisse anders verteilt. In Deutschland hat sich während der Zeit des Nationalsozialismus eine spezifische Form des Rassismus entwickelt, die sich nicht nur gegen Jüdinnen und Juden, sondern auch gegen andere Gruppen wie Schwarze richtete. Die nationalsozialistische Vergangenheit hat zur Folge, dass es in Deutschland eine große Abneigung dagegen gibt, Kategorien, die mit ‚Rasse‘ zu tun haben, sprachlich zu benennen. Dies hat dazu geführt, dass Begrifflichkeiten wie ‚weiß‘, ‚Schwarz‘ oder ‚People of Colour‘ häufig mit Verweis auf die wahrgenommene Irrelevanz für die eigene Lebensrealität als unwichtig zurückgewiesen und im Gegensatz sogar als diskriminierend empfunden werden. Die-
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ses in der Wissenschaft unter dem Fachbegriff ‚Farbenblindheit‘ bekannte Phänomen macht es schwierig, Benachteiligungen anzusprechen, die auf eben diesen Kategorien beruhen. Die Grenzziehungen finden weiter statt, nur dass Weiße und People of Colour nicht als solche benannt werden. Statt dass wie in den USA offen auf die visuellen Marker der ungleichheitsgenerierenden Kategorie ‚Rasse‘ wie phänotypische Merkmale oder ‚Hautfarbe‘ rekurriert wird, werden für die nicht-weißen ‚Anderen‘ oft Umschreibungen wie ‚mit Migrationshintergrund‘ gewählt oder es wird auf die nicht-deutsche Herkunft der Eltern verwiesen, während die weiße Norm unbenannt bleibt. Das Merkmal ‚weiß‘ kann damit zu einem nicht benannten und häufig auch nicht reflektierten Indikator zur Zugehörigkeit der Ingroup werden, gegenüber welcher die (nicht-weißen) ‚Anderen‘ ab- und auch ausgegrenzt werden. Die euphemistische Verschleierung und Nicht-Benennung des eigentlich Gemeinten erschwert es, bedenkliche Zustände offenzulegen, Rassismus anzusprechen und positive Veränderungen zu bewirken. Auch die mit einer Zugehörigkeit zur Norm einhergehenden Privilegien können so kaum thematisiert werden. Mit einer zunehmenden Globalisierung haben sich auch in Deutschland die Mehrheitsverhältnisse von Weißen und Schwarzen geändert. Das hat die Selbstorganisation von People of Colour ermöglicht und ein zunehmendes Problembewusstsein in der Gesellschaft für rassistische Diskriminierung bewirkt. Die zugeschriebene ‚Rasse‘ eines Menschen stellt dabei ein Merkmal von verschiedenen ungleichheitsgenerierenden Kategorien dar, dass – in Kombination mit anderen Kategorieausprägungen (vgl. Kapitel 3.1) – zur Grundlage von Benachteiligungen werden kann. Die Besonderheit in Deutschland ist, dass durch den tief verankerten Glauben an die Gleichheit aller Menschen im kollektiven Bewusstsein (vgl. Kapitel 2.1) Rassismus immer noch nicht wahrgenommen beziehungsweise herabgespielt wird, was die Etablierung einer deutschen kritischen Weißseinsforschung erschwert und verzögert hat. Es gilt demnach zunächst anzuerkennen, dass die ungleichheitsgenerierende Kategorie ‚Rasse‘ und insbesondere die Ausprägung ‚weiß‘ in Deutschland ebenfalls relevant ist und eine weitergehende wissenschaftliche Untersuchung von Weißsein auch hier zu leisten ist. Dabei ist es unumgänglich, auf den großen Forschungskorpus, der in den USA bereits existiert, zurückzugreifen, wobei es die unterschiedlichen Vorzeichen in den jeweiligen Ländern zu beachten gilt.
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3.2.1
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Forschungstradition und Gegenstand Pouring rhetorical acid on the fingers of a black hand may indeed destroy the prints, but not the hand. Besides, what happens in that violent, selfserving act of erasure to the hands, the fingers, the fingerprints of the one who does the pouring? Do they remain acid-free? (MORRISON 1993: 46) Rassismus verletzt unsere ganze Gesellschaft, und bei genauem Hinsehen sind in jedem rassistischen System alle Menschen auf unterschiedliche Art betroffen. Weiße Menschen verlieren ihre Würde, wenn sie Rassismus ausüben oder geschehen lassen. (SOW 2009: 272, HERV. I. O.)
Rassismus ist ein Phänomen, das nicht nur diejenigen betrifft, gegen die es sich richtet. Auch diejenigen, welche von rassistischen Strukturen profitieren, die Weißen, werden von Rassismus verletzt. Diese Erkenntnis hat Toni Morrison, Schwarze US-amerikanische Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin, zu der Metapher der Säure ausgießenden Hand bewogen, die nicht bloß die Fingerabdrücke der Hand zerstört, auf die sie die Säure gießt, sondern sich immer auch selbst dabei schädigt. Das Buch „Playing in the Dark. Whiteness and the Literary Imagination“, aus dem das Zitat stammt, ist Anfang der 1990er Jahre erschienen. Es gilt als eine der zentralen Schriften, die dazu beigetragen haben, in der Rassismusforschung einen Perspektivwechsel einzuleiten und auch diejenigen zu untersuchen, die Rassismus ausüben und von rassistischen Strukturen profitieren. Im Folgenden soll zunächst die Entstehung der Critical Studies of Whiteness beziehungsweise der kritischen Weißseinsforschung in den USA und in Deutschland nachvollzogen werden, bevor verschiedene Dimensionen von Weißsein vorgestellt werden. Anschließend wird der Versuch unternommen, Weißsein in eine Definition zu fassen. 3.2.1.1
Die Entstehung der Critical Studies of Whiteness in den USA Die Forschungsrichtung, die die Perspektivänderung vollzieht weg von den durch Rassismus Benachteiligten hin zu den von Rassismus Profitierenden, nennt sich Critical Studies of Whiteness beziehungsweise kritische Weißseinsforschung. Sie existiert in den USA seit Anfang der 1990er Jahre, wobei ihre Ursprünge bis zu Zeiten der Sklaverei zurückreichen. Dabei konnte Wissen über Weißsein für
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Schwarze überlebenswichtig sein (hooks 1992: 338): „For years black domestic servants, working in white homes acted as informants who brought knowledge back to segregated communities – details, facts, observations, psychoanalytic readings of the white ‚Other‘“ (hooks 1992: 338). In sogenannten „Slave Narratives“ wurden Kenntnisse zunächst mündlich unter Schwarzen weitergegeben, später wurde Schwarzes Wissen über Weiße auch in Romanen und Essays verschriftlicht und durch Theaterstücke verbreitet (Wollrad 2005: 32f.). Schwarze Forscher*innen und Schriftsteller*innen wie der Soziologe und Historiker W.E.B. Du Bois (1920), der Psychiater Frantz Fanon (1952), der Autor James Baldwin (1984) und Morrison (1993) haben sich im 20. Jahrhundert wissenschaftlich mit Schwarzsein und Weißsein beschäftigt. Diese Black Studies bilden die Grundlage der heutigen Critical Studies of Whiteness. Die Forschungen der Postcolonial Studies können als weiterer Ausgangspunkt angesehen werden. Sie beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Kolonialismus, welche noch heute gesellschaftliche Strukturen prägen. Konfrontiert mit dem Vorwurf Schwarzer Frauen, dass diese im weißen Feminismus ausgeschlossen werden, haben weiße Feministinnen seit Ende der 1970er Jahre Fragen zu ‚Rasse‘ und Weißsein in ihre Forschung integriert (Wollrad 2005: 33f.). Auch wenn die traditionelle Rassismusforschung die als ‚anders‘ Markierten und nicht die weiße Norm in den Blick genommen hat, bieten ihre Erkenntnisse ebenfalls Anknüpfungspunkte für eine kritische Erforschung von Weißsein. Mit der Verschiebung des Interesses von den im Hinblick auf die Kategorie ‚Rasse‘ Unterdrückten auf die Unterdrücker*innen folgen die Critical Studies of Whiteness einer Entwicklung, die in anderen Forschungsrichtungen ebenfalls stattgefunden hat: „Poststrukturalistische, dekonstruktivistische und postkoloniale Ansätze, Queer Theories sowie Disability-Studies haben bereits die undefinierte gesellschaftliche Norm, also die privilegierten Machtzentren, in den Fokus gerückt“ (Dietrich 2007: 40, Herv. i. O.; vgl. auch Bonnett 1996: 147). Es geht demnach bei den Critical Studies of Whiteness explizit nicht um die Stärkung von Weißsein als Norm, sondern im Gegenteil um ein kritisches Hinterfragen einer privilegierten Position und der aus ihr erwachsenden Herrschaftsverhältnisse. 3.2.1.2 Kritische Weißseinsforschung in Deutschland In Deutschland mehren sich die wissenschaftlichen Untersuchungen zu Weißsein ab Ende der 1990er Jahre (z. B. Warth 1997; Walgenbach 1998; Wollrad 1999a; Wollrad 1999b), wobei eine Übertragung der Erkenntnisse aus dem US-amerikanischen Raum aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten Anpassungen an die hiesigen Verhältnisse erfordert hat (Eggers et al. 2009: 12; Amesberger & Halbmayr 2008: 119f.). Die Anglistin und Afrikawissenschaftlerin Susan Arndt betont dabei die historisch begründete Bedeutung von Weißsein für den europäischen Raum:
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„Diese strukturelle und diskursive Relevanz von Weißsein im europäischen Formationsprozess verweist unmissverständlich darauf, dass der Kolonialismus und die ihn stützende Ideologie von der Existenz menschlicher ‚Rassen‘ nachhaltig auf das kulturelle, politische und religiöse Wesen Europas ausgewirkt hat und deswegen als transnationale Meistererzählung ernst zu nehmen ist.“ (Arndt 2009b: 25)
Die Weltbilder auch gegenwärtig noch viel zitierter deutscher Philosophen4 prägten dabei Vorstellungen von der Überlegenheit der ‚weißen Rasse‘, die – meist unbewusst – bis in die heutige Zeit nachwirken. So schreibt die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche den Philosophen Kant und Hegel einen maßgeblichen Einfluss bei der Konstruktion von Weißsein als Norm zu (Piesche 2009). Auch in Deutschland kann die kritische Weißseinsforschung auf Wissen aufbauen, das Schwarze über Weiße gesammelt und untereinander weitergegeben haben (Wollrad 2005: 43). In den Texten des bereits im Kapitel 3.1.1 erwähnten Bandes „Farbe bekennen“ haben afrodeutsche Frauen ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus und Diskriminierung in Deutschland niedergeschrieben (Oguntoye, Ayim & Schultz 1986). Die Schwarze Ethnologin Diana Bonnelamé promovierte Anfang der 1980er Jahre zu den Initiationsriten weißer evangelischer Jugendlicher in Deutschland – und stieß dabei auf Abwehr im akademischen Kreis, welche als Unbehagen an der Umkehrung der geläufigen ethnografischen Blickrichtung (Weiße ‚untersuchen‘ Schwarze) interpretiert werden kann (Piesche 2009: 14f.). Darüber hinaus gibt es künstlerische Annäherungen an das Thema, zum Beispiel von Schwarzen Deutschen wie der Aktivistin und Lyrikerin May Ayim, dem Spoken Word Künstler Philipp Khabo Köpsell5 oder den Brothers Keepers und den Sisters Keepers, einem Zusammenschluss afrodeutscher Musiker beziehungsweise Musikerinnen. Jedoch sind die Black Studies und auch die Postcolonial Studies in Deutschland lückenhaft (Wollrad 2005: 48) und nicht mit dem Entwicklungsstand im angloamerikanischen Raum vergleichbar. Das Problem besteht mitunter darin, dass die Inhalte von „minorisierten Intellektuellen in Deutschland […] in etablierten akademischen Diskursen weiterhin marginalisiert, überhört und zum Schweigen gebracht [werden]“ (Wollrad 2005: 49), was einer Weiterentwicklung und Verbreitung der Black Studies beziehungsweise Postcolonial Studies im Wege steht. In Folge dieses Zustands wird Weißsein in Deutschland in dominanten Diskursen nicht in Frage gestellt, sondern weiterhin reproduziert und gefestigt. Damit behält es seine hegemoniale Wirkungskraft. Auch die traditionelle Rassismusforschung selbst trägt zu diesem Zustand bei, weil sie Deutschlands koloniale Vergangenheit nicht angemessen 4
Hier wurde bewusst nur die männliche Form gewählt.
5
Khabo Köpsell hat seine Spoken Word Art in dem Buch „Die Akte James Knopf“ (Khabo Köpsell 2010) zusammengefasst.
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berücksichtigt (Wollrad 2005: 48f.; Amesberger & Halbmayr 2008: 2): „Auf diese Weise behält Weißsein seinen aparadigmatischen Status und bleibt über ein völkisch repräsentiertes Deutschsein kodifiziert“ (Wollrad 2005: 50)6. Der Fokus der kritischen Weißseinsforschung sollte deshalb darauf gerichtet werden, die Stimmen Marginalisierter und damit die spezifische Migrationsgeschichte Deutschlands einzubeziehen, um die Stabilität von Weißsein auch hierzulande grundlegend zu erschüttern. Sowohl im europäischen als auch im US-amerikanischen Kontext folgen die unter dem Oberbegriff kritische Weißseinsforschung versammelten Studien nicht einer einheitlichen Theorie, sondern definieren sich vor allem über ihr Interesse an der Untersuchung von Weißsein. Damit haben alle Studien trotz der länder- beziehungsweise kontinentspezifischen Unterschiede das Ziel gemeinsam, Weißsein als Norm kritisch zu hinterfragen und das für Weiße oft unsichtbar Bleibende sichtbar zu machen. Zahlreiche Disziplinen beschäftigen sich mit der kritischen Analyse von Weißsein, etwa die Medienwissenschaft, die Literaturwissenschaft, die Soziologie, die Gender Studies, die Kulturwissenschaften, die Erziehungs- und Geschichtswissenschaften, aber auch die Linguistik, die Rechtswissenschaft, die Psychologie und die Theologie (Amesberger & Halbmayr 2008: 9f.; Walgenbach 2005: 19; Wollrad 2005: 34). 3.2.1.3 Die Farbe Weiß und Dimensionen von Weißsein Im Folgenden werden verschiedene Dimensionen von Weißsein vorgestellt, von denen die hier relevanten in eine anschließend festgelegte Arbeitsdefinition Eingang finden sollen. Zuvor muss jedoch geklärt werden, in welcher Relation die Farbe ‚Weiß‘ mit Weißsein steht und in welchen Bedeutungsvarianten der Begriff ‚weiß‘ benutzt wird. Wenn von Weißsein und Schwarzsein beziehungsweise weißen und Schwarzen Menschen die Rede ist, sind damit nicht direkt die Farben ‚weiß‘ und ‚schwarz‘ gemeint. Weiße Menschen haben keine ‚weiße Hautfarbe‘ und Schwarze Menschen keine ‚schwarze Hautfarbe‘, auch wenn die Benennung der ‚Hautfarbe‘ in einem Zusammenhang mit der Tönung der Haut respektive mit der Stärke der Pigmentierung steht. Dennoch gibt es eine Beziehung zwischen den Farben ‚schwarz‘ und ‚weiß‘ und Weißsein bzw. Schwarzsein, die es wert ist, näher betrachtet zu werden. Der britische Filmwissenschaftler Richard Dyer differenziert zwischen drei Begriffsverwendungen von ‚weiß‘: als Farbton, als ‚Hautfarbe‘ und als Symbol (Dyer 1997: 45f.). Dyer beschreibt die Instabilität des Farbtons ‚weiß‘, der häufig gar 6
Wollrad entleiht den Begriff „aparadigmatisch“ von dem Literaturwissenschaftler Ross Chambers, welcher „unmarked or ‚blank‘ categories“ wie Weißsein als „aparadigmatic“ bezeichnet: „Only the marked categories form part of the paradigm and may therefore be compared with one another.“ (Chambers 1997: 189, Herv. entf.)
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nicht als Farbe wahrgenommen wird beziehungsweise als neutral erscheint und nur in der Opposition zu ‚schwarz‘ existiert (Dyer 1997: 46-51). Auch als ‚Hautfarbe‘ ist ‚weiß‘ nicht eindeutig bestimmbar, sondern wird flexibel definiert, um soziale Ein- und Ausschlüsse zu ermöglichen (Dyer 1997: 57): „White people are socially categorised as white because of what white means […] rather than because that is the most accurate term to describe our skin colour.“ (Dyer 1997: 50) Wer als weiß anerkannt wird, kann mit Privilegien rechnen, weshalb die Zugehörigkeit umkämpft ist (Dyer 1997: 52). Als Symbol, beispielsweise für Reinheit (Wollrad 2005: 11), weist die Farbe Weiß hingegen laut Dyer die höchste Stabilität auf: „White as a symbol, especially when paired with black, seems more stable than white as a hue or skin tone.“ (Dyer 1997: 60) In Bezug auf den symbolischen Charakter der Farbe Weiß stellt Dyer fest, dass es einen länder- und zeitübergreifenden Konsens gibt, weiß als das Gute aufzufassen, demgegenüber das Schlechte (Schwarze) abgegrenzt wird (Dyer 1997: 58). Dies stellt auch die Basis für Binnendifferenzierungen zwischen Weißen dar, beispielsweise indem über die Haarfarben (hell vs. dunkler) weiter differenziert wird (Dyer 1997: 59). Dyer ist sich bewusst, dass dies keine unabänderliche Regel darstellt, sieht die beschriebene Symbolik aber als Basis an, aufgrund derer Ausnahmen definiert werden können wie etwa das Stereotyp des guten Schwarzen (Dyer 1997: 63). Nicht immer sind die drei Bedeutungen von ‚weiß‘ klar voneinander trennbar, sondern sie können aufeinander ausstrahlen und ‚abfärben‘. So ist es kein Zufall, dass ‚weiß‘ häufig für das Gute, Reine und Positive steht, ‚schwarz‘ hingegen für das Schlechte, Unreine und Negative, sondern diese Korrelationen stehen in einem Zusammenhang mit der ‚Hautfarbe‘ und ‚weiß‘ als Farbton, sind historisch gewachsen und eng verbunden mit der Etablierung von Hierarchien. Der Soziologe Wulf D. Hund schreibt beispielsweise über die Entstehung der Verknüpfung von weißer ‚Hautfarbe‘ mit dem Merkmal ‚Intellektualität‘: „Der Nachweis der Weißheit, der Hautfarbe und Intellektualität kombinierte, differenzierte […] die Einheit des Menschengeschlechts nicht nur rassisch, sondern interpretierte die so geschaffene Ordnung auch als Hierarchie.“ (Hund 2008: 175) Die Differenzierung zwischen Weiß als Farbton, ‚Hautfarbe‘ und Symbol beziehungsweise die Vermischung der drei Ebenen ist auch für die Analyse von Medienbeiträgen und insbesondere audiovisueller Medien von großer Relevanz. So ist es möglich, dass Botschaften verstärkt werden, indem die Farbe Weiß auf allen drei Ebenen auf ähnliche Art und Weise eingesetzt wird. Denkbar ist dabei beispielsweise, dass weiße Objekte symbolisch aufgeladen werden und mit Weißsein verknüpft werden oder dass das Weißsein einer Person neben visuellen Markern wie der ‚Hautfarbe‘ durch weitere äußere Merkmale wie helle Haare und helle Kleidung betont wird. Nach dieser grundlegenden Klärung können nun die Dimensionen von Weißsein in den Blick rücken. Häufig ist Weißsein als unmarkierte Norm beschrieben
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worden, die wirkmächtig, aber unsichtbar ist (Brander Rasmussen et al. 2001: 10; Dyer 1988: 46; Dyer 2004: 11). Weißsein erlaubt Weißen sich als „unmarked, unspecific, universal“ (Dyer 1997: 45) anzusehen, als entrassifizierte „human norm“ (Dyer 1997: 1), als den „Mensch[en] schlechthin“ (Wachendorfer 2001: 89)7. Der Konvention, Weißsein als unmarkierte Norm zu betrachten, liegt implizit eine Perspektive zugrunde: die Perspektive der Weißen. Denn für Schwarze und People of Colour ist Weißsein nicht unsichtbar, sondern es steht im Gegenteil für Terror und Gewalt, die Weiße Schwarzen gegenüber jahrhundertelang ausgeübt haben und immer noch ausüben (hooks 1992: 341, 345; Frankenberg 2001: 77, 81; Brander Rasmussen et al. 2001: 10). Die Wahrnehmung von Weißsein als Terror steht auch einer anderen Dimension konträr gegenüber: Weißsein als Gutsein beziehungsweise Güte (hooks 1992: 340). Dies stellt ebenfalls eine Sichtweise von Weißen auf Weißsein dar und drückt den Glauben der Weißen daran aus, „that whiteness represents goodness and all that is benign and non-threatening“ (hooks 1992: 340). Des Weiteren ist Weißsein als Leerstelle bezeichnet worden, als all das, was nicht zu benennen ist, als „lack of cultural distinctiveness and authenticity“ (Brander Rasmussen et al. 2001: 10). In die gleiche Richtung weisen auch Überlegungen Dyers, nach denen Weißsein häufig für „emptiness, absence, denial or even a kind of death“ (Dyer 1988: 44) steht. Eine historische Perspektive auf Weißsein identifiziert dieses als „institutionalisation of European colonialism“ und geht davon aus, dass der europäische Kolonialismus konstitutiv für die Herausbildung eines weißen Selbstverständnisses und damit einhergehender Ansprüche auf weiße Vorherrschaft weltweit ist (Brander Rasmussen et al. 2001: 13). Unumstritten ist, dass Weißsein mit Privilegien verbunden ist, die sich auf struktureller und individueller Ebene bemerkbar machen. So führt Weißsein zum Beispiel zu Vorteilen auf dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt und bei der Vergabe von Bankkrediten, was in den USA als „white skin privilege“ bezeichnet wird (Brander Rasmussen et al. 2001: 11). Neben diesen Privilegien struktureller Art bietet eine Anerkennung der Zugehörigkeit zur Gruppe der Weißen auf der Ebene der Individuen weitere Vorteile, zu denen beispielsweise für Angehörige der weißen Mittelschicht folgende gehören: „legitimacy in its distance from the difficult, immunity from complicity in racism, confirmation of merit and entitlement, a pleasure in itself, and a positive personal identity.“ (Levine-Rasky 2011: 250) Zu diesen Vorteilen gehören weiter „the privileges of normalcy and unexamindeness“ (Chambers 1997: 189). Das Problem an dieser Sichtweise von Weißsein ist es, dass Unterschiede innerhalb der Gruppe der Weißen ignoriert werden und Verflechtun7
Die Psychologin Ursula Wachendorfer verweist auf Parallelen zu einer anderen Normsetzung, die sich auf das Geschlecht bezieht: „Die Mutation des Mannes zum ‚Menschen‘ – zum Allgemeinen – zur Norm, an der Frauen gemessen und über die sie bestimmt werden.“ (Wachendorfer 2001: 89)
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gen und Wechselwirkungen mit anderen ungleichheitsgenerierenden Kategorien unerkannt bleiben (Rasmussen et al. 2001: 12). Ebenso gilt es neben dem Nutzen, den Weißsein für weiße Mitglieder der Gesellschaft hat, auch auf die Kosten von Weißsein für Weiße zu verweisen (Goldstein 2006), denn wie Morrison im eingangs erwähnten Zitat andeutet, bleibt die Hand, die Säure ausschüttet, auch selbst nie unverletzt. Ein Kostenfaktor ist die implizit eingeforderte bedingungslose Solidarität mit dem weißen Club. Mitglieder, die sich unsolidarisch Weißen gegenüber verhalten, zum Beispiel durch die Hinterfragung von Privilegien und den Verweis auf humanistische Werte, werden für ihr Verhalten sanktioniert, etwa auf individueller Ebene durch die Aufkündigung von Freundschaften. 3.2.1.4 Definition von Weißsein Wiederholt ist auf die Schwierigkeiten hingewiesen worden, die beim Versuch, Weißsein zu definieren, entstehen. Die vielfältigen Dimensionen von Weißsein, seine historische Wandelbarkeit, seine Instabilität und seine Unsichtbarkeit machen es zu einem Konzept, dem sich schwer in einer Definition beikommen lässt. Deshalb kann eine Definition von Weißsein nie absolut gültig sein, sondern ist immer kontextspezifisch (Brander Rasmussen et al. 2001: 7) und außerdem abhängig davon, welchem Untersuchungszweck sie dienen soll. Damit reiht sich der hiesige Versuch, Weißsein zu definieren, in eine Tradition der Behandlung von Begriffen ein, deren Kern ebenfalls nicht ohne weiteres fassbar ist und bei denen der wissenschaftliche Anspruch auf eine allgemeingültige Definition zugunsten einer praktikablen Beschreibung weichen muss. Der Mediziner und Wissenschaftsphilosoph Georges Canguilhem beschreibt dieses Vorgehen treffend in Bezug auf die Bezeichnung „normal“: „Ausnahmslos alle […] sahen sich vor die gleiche Schwierigkeit gestellt und fanden angesichts der Vieldeutigkeit des Terminus auch keine andere Lösung als die, dezisionistisch gerade die Bedeutung festzuhalten, die ihnen für ihr […] theoretisches und praktisches Vorhaben die passendste zu sein schien.“ (Canguilhem 1974: 161) Folgende Definition von Weißsein bildet den Bezugspunkt für die späteren Analysen: Weißsein wird als historisch gewachsenes, wandelbares, instabiles und dynamisches Konstrukt begriffen, das dennoch als wirkmächtiges Herrschaftsverhältnis in Form von sozialen Positionierungen die Gesellschaft strukturiert und dabei zu sozialen Ungleichheiten im Sinne einer Privilegierung von Weißen und einer Diskriminierung von People of Colour führt, wobei es für Weiße oft unsichtbar bleibt, für People of Colour hingegen als Gewalt und Unterdrückung bis hin zum Terror spürbar ist.
Weißsein bezieht sich somit auf alle in Kapitel 3.1.2.1 angesprochenen Ebenen: auf die Makroebene, auf der die Strukturen angesiedelt sind, auf die Mikroebene bezie-
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hungsweise die Individuen und auf die Ebene der Repräsentationen. Analytisch wird „weiß“ als eine Ausprägung der Kategorie ‚Rasse‘ begriffen, die mit anderen ungleichheitsgenerierenden Kategorien in Beziehung steht.
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Anwendung der Kritischen Weißseinsforschung
Die vielen Facetten von Weißsein werden durch die Medien sowohl aufgegriffen und damit repräsentiert als auch konstruiert. Dabei besteht für Medien zwar prinzipiell die Möglichkeit, Weißsein zu verhandeln und anzugreifen, in MainstreamMedienbeiträgen ist aber eher davon auszugehen, dass Weißsein unhinterfragt reproduziert und damit stabilisiert wird und Filme damit als „garment center of white fabrication“ (Foster 2003: 2) fungieren. Wissenschaftler*innen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Weißsein in Medienbeiträgen zu untersuchen, werden mit einigen Herausforderungen konfrontiert, die im Folgenden erläutert werden. Zunächst jedoch muss der Status von Weißsein als Kategorieausprägung geklärt werden. 3.2.2.1 Weißsein als Kategorieausprägung Dem in Kapitel 3.2.1.4 etablierten Sprachduktus folgend ist Weißsein keine Kategorie, sondern stellt eine Kategorieausprägung dar. ‚Weiß‘ ist die dominante, das heißt im Normalfall zu Privilegierung führende Ausprägung der Kategorie ‚Rasse‘. Wie in Kapitel 2.2.2 beschrieben, wird die Kategorie ‚Rasse‘ dabei als soziale Konstruktion aufgefasst, die nichtsdestoweniger immer noch häufig als essentialisiert dargestellt wird. Analog zu anderen Kategorieausprägungen wie männlich beziehungsweise weiblich gilt auch für weiß, dass die dieser Ausprägung zugeordneten Individuen kein homogenes Kollektiv bilden. Dieser Umstand wird in der Forschung häufig übersehen: „Many of the analyses, however, often fail to address the many social divisions within whiteness and among ethnoracial groups.“ (Brander Rasmussen et al. 2001: 12) Auch der Erziehungswissenschaftler Paul Croll kommt auf Basis seiner Literaturauswertung zu dem Schluss, dass es notwendig sei, „to consider group differences and the effects of social characteristics when exploring white racial identity“ (Croll 2007: 615). Wegen der intersektionalen Verflechtung mit anderen Kategorien kann deshalb von einer Gradualität von Weißsein gesprochen werden.8 3.2.2.2
Herausforderung I: Sichtbarmachung von Weißsein in fiktionalen Medien Weißsein ist als das Universelle, das Vielfältige, das (für Weiße) oft Unsichtbare, das Normale beschrieben worden. Alle diese Attribute führen dazu, dass Weißsein 8
Vergleiche hierzu auch Wollrads Differenzierung von Frauen als „Bestimmt-Weiß, Vielleicht-Weiß und Nicht-Weiß“ (Wollrad 2005: 89).
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analytisch nur auf Umwegen fassbar scheint. Zum Zeitpunkt der Formierung der Critical Studies of Whiteness schien es naheliegend, Weißsein in Abgrenzung zu Schwarzsein greifbar zu machen: “[W]hite is virtually unthinkable except in opposition to black“ (Dyer 1997: 51). Besonders bei der Analyse von Medienbeiträgen war die Rekonstruktion von Weißsein anhand von Schwarzsein die allgemein übliche Vorgehensweise. Da fiktionale Medien das Feld sind, das für die vorliegende Arbeit wesentlich ist, wird bei der folgenden Übersicht der bestehenden methodischen Ansätze bei der Sichtbarmachung von Weißsein der Schwerpunkt auf dem Medienbereich liegen. Dyer untersuchte Ende der 1980er Jahre mit JEZEBEL (US 1938, R: Wyler), SIMBA (GB 1955, R: Hurst) und NIGHT OF THE LIVING DEAD (US 1969, R: Romero) explizit Filme „in which non-white characters play a significant role“ (Dyer 1988: 47). Auch in jüngerer Vergangenheit gab es zahlreiche medienwissenschaftliche Arbeiten, die Weißsein über Schwarzsein identifiziert haben. So erforschten die Filmtheoretikerin Gwendolyn Audrey Foster und die Theologin Eske Wollrad beispielsweise, wie das Selbst weißer weiblicher Figuren in Abgrenzung zu Schwarzen Figuren definiert wird. Foster hat den Film I’M NO ANGEL (US 1933, R: Ruggles) mit Mae West analysiert (Foster 2003: 34–41) und kommt zu dem Schluss, dass die Schauspielerin Schwarze instrumentalisiert, um ihre eigene Transgender-Identität zu formieren: „[S]he performed all this hybridity and drag in a white female body, but she did so very much at the expense of black femaleness“ (Foster 2003: 37). Wollrad zeigt am Beispiel ihrer Analyse von DANGEROUS MINDS (US 1995, R: Smith), wie weiße weibliche Figuren gesellschaftliche Machtpositionen in Abgrenzung zu Schwarzen Figuren aufbauen (Wollrad 2005: 159-173). Die Medienwissenschaftlerin Caterina Fox untersucht in ihrer Studie zu Weißsein die ZDF-Kriminalreihe Der Alte und konzentriert sich damit explizit auf eine Fernsehreihe, in der eine Schwarze Figur in der Stammbesetzung vorkommt (Fox 2007).9 Die Vorgehensweise, Weißsein in Filmen mit Schwarzen Schauspieler*innen zu erforschen, führt jedoch zu der paradoxen Situation, dass wieder das Andere als das Markierte analysiert wird. Die Analyse von Weißsein anhand des Nicht-Weißen 9
Fox reflektiert den Umstand, eine Reihe zu untersuchen, in der eine Schwarze Figur vorkommt und wägt Vor- und Nachteile dieses Verfahrens gegeneinander ab (Fox 2007: 106). Überzeugend ist ihr Argument, dass auch Schwarze Figuren „Merkmale von Whiteness aufweisen können“ (Fox 2007: 106). Im Jahr 2015 gab es einen Generationswechsel bei Der Alte, in dessen Zuge der Schwarze Schauspieler Pierre SanoussiBliss, der seit 1997 die Rolle des Kriminaloberkommissars Axel Richter eingenommen hatte, abgelöst wurde. Bereits vor Pierre Sanoussi-Bliss war mit Charles M. Huber als Henry Johnson von 1986 bis 1997 ein Schwarzer Schauspieler in der Kriminalreihe vertreten (Fox 2007: 105f.).
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birgt damit die Gefahr, dass Weißsein gleichsam das bleibt, was nicht beziehungsweise nur indirekt dargestellt wird. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es beispielsweise die Praxis gab (und immer noch gibt) Schwarze im Film einzusetzen, um bestimmte Eigenschaften von Weißen hervorzuheben (Dyer 1997: 51). Es bleibt dennoch aus wissenschaftlicher Perspektive unbefriedigend, sich in der kritischen Weißseinsforschung einerseits von einer Forschungstradition abzugrenzen, die explizit das Andere untersucht, und stattdessen die weiße Norm analysieren zu wollen, dann aber bei der Erforschung dieser Norm doch in erster Linie wieder den Blick auf die Schwarzen beziehungsweise die People of Colour zu richten, um über Weißsein sprechen zu können. Dieses Missverhältnis zwischen Anspruch und Praxis ist auch Dyer aufgefallen, der sich die Frage stellte „If I continue to see whiteness only in texts in which there are also non-white people, am I not reproducing the relegation of non-white people to the function of enabling me to understand myself?“ (Dyer 1997: 13) und sich damit von seinen früheren Arbeiten abgrenzte. Er verweist darauf, dass Weißsein auch in Texten, in denen es nicht offensichtlich ist, identifiziert werden müsse (Dyer 1997: 14). Im Folgenden sollen einige Strategien von Wissenschaftler*innen vorgestellt werden, die alternative Wege zur Erforschung von Weißsein gewählt haben. Diese Verfahren werden dabei erläutert: • • • •
Erfassung von Weißsein durch den subversiven Einsatz hegemonialer wissenschaftlicher Methoden (Bonnelamé); Erfassung von Weißsein über das Nicht- beziehungsweise Über-Menschliche beziehungsweise Un-Mögliche (Foster); Untersuchung von Weißsein über ein Konglomerat von Körperlichkeit, Farbsymbolik, Landschaften und Lichteinsatz (Tischleder); Erfassung von Weißsein über andere ungleichheitsgenerierende Kategorien (Dietrich; Wollrad; Figge).
Dabei ist darauf zu verweisen, dass es sich um eine idealtypische Unterscheidung handelt. In der Realität sind die Ansätze nicht so klar voneinander abzugrenzen und es kommt auch innerhalb der einzelnen Studien und Filmanalysen zu Überschneidungen beziehungsweise zu einer Kombination verschiedener Ansätze. Als eine Strategie, Weißsein ohne Referenz zu Schwarzsein zu untersuchen, kann die Nutzung von für die Erforschung von „Fremden“ entwickelten ethnologischen Instrumentarien für die Analyse von Weißsein gelten. In diese Kategorie ist die bereits beschriebene Dissertation Bonnelamés einzuordnen (Piesche 2009: 14f.). Bonnelamé hatte das Ziel, als Schwarze Person mit den ethnologischen Methoden weißer Forscher*innen Weiße zu untersuchen. Diese Methode der subversiven Unterlaufung hegemonialer Praktiken in der Wissenschaft erscheint zwar zunächst als spezifisch für ethnologische Arbeiten, kann jedoch insofern auf die Analyse von
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Medienbeiträgen übertragen werden, als dass sie sich in der Fragestellung, unter welcher Filme, Artikel etc. untersucht werden, niederschlagen kann. So könnte Bonnelamés Studie zu den Initiationsriten weißer evangelischer Jugendlicher beispielsweise auch anhand kultureller Repräsentationen ausgewertet werden wie etwa dokumentarischer oder fiktionaler Filmaufnahmen. Foster beschäftigt sich mit Science Fiction- und Horror-Filmen, wobei sie erstere als „a zone in which issues of race can be evaded or subverted“ (Foster 2003: 11) begreift und beiden Genres die Möglichkeit bescheinigt, das Bild weißer Körperlichkeit zu erschüttern (Foster 2003: 67). Sie analysiert beispielsweise den Spielfilm PLANET OF THE APES (US 1968, R: Schaffner) und konstatiert, dass der Film Weißsein stabilisiert (Foster 2003: 17). Die Krankheit des Kolosses in THE AMAZING COLOSSAL MAN (US 1957, R: Gordon) interpretiert sie als „perhaps […] the burden of whiteness itself and, in particular, ‚responsible‘ white maleness“ (Foster 2003: 69). In ihrer Analyse von ATTACK OF THE 50 FOOT WOMAN (US 1958, R: Juran) lenkt sie den Blick auf die Verschränkungen von Weißsein mit sozialer Klasse, Geschlecht und Normen rund um Heteronormativität, Sexualität und Ehe (Foster 2003: 75f.). In diesen Analysen wird Weißsein also im Zusammenhang mit dem Nicht- beziehungsweise Über-Menschlichen untersucht respektive mit dem Unmöglichen oder Noch-Nicht-Möglichen. Science Fiction- und Horror-Filme bieten dabei eine Plattform zur Verhandlung von Weißsein, ohne direkt auf die Kategorie ‚Rasse‘ zu referieren, wodurch Weißsein einerseits stabilisiert, andererseits aber auch kritisiert werden kann. Damit bieten Filme dieser Genres einen aufschlussreichen Untersuchungsgegenstand für weißseinskritische Studien. Eine weitere Möglichkeit zur Untersuchung von Weißsein hat die Amerikanistin Bärbel Tischleder in ihrer Analyse des Spielfilms FARGO (GB, US 1996, R: Coen) aufgezeigt. Dabei war ihr Ziel, nachzuweisen, „daß whiteness auch ohne einen relevanten Bezug zum Nicht-Weißen bedeutsam ist“ (Tischleder 2001: 182). Sie analysiert Weißsein, indem sie nicht nur die narrative Ebene und die Figuren untersucht, sondern diese auch zu verwendeten Farbsymboliken und Lichtsetzung in Bezug setzt. So stellt sie fest, dass das Motiv des Schnees nicht nur „unbarmherzige Kälte“ ausdrücke, sondern auch mit den „bleichen Gesichtern der nordischen Protagonisten“ (Tischleder 2001: 176) korrespondiere und damit insgesamt in der Tradition stehe, einen Zusammenhang zwischen „[w]hiteness, nordische[m] Klima und Charakter“ (Tischleder 2001: 180, Herv. i. O.) herzustellen, auch wenn dieser Zusammenhang in FARGO immer wieder ironisch in Frage gestellt werde (Tischleder 2001: 181). Weiß stelle die „dominierende Farbe des Films“ (Tischleder 2001: 176) dar und „[w]eißes Licht“ werde „als Zeichen der Bedrohung“ (Tischleder 2001: 177) eingesetzt. Insgesamt kann Tischleders Analyse von FARGO damit als eine Strategie verstanden werden, die die „weiße Ethnizität“ (Tischleder 2001: 177), die im Film inszeniert wird, anhand einer Vielzahl unterschiedlicher Beobach-
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tungen herauszufiltern versucht und dabei auch historisch gewachsene Zusammenhänge berücksichtigt. Die letzte Strategie, Weißsein darstellbar zu machen, ist den Blick auf die Verknüpfung von Weißsein mit anderen ungleichheitsgenerierenden Kategorien beziehungsweise Kategorieausprägungen zu lenken. Dieser Ansatz beschäftigt sich häufig mit Komplexen wie weißen Weiblichkeiten (Dietrich 2007 unter Nutzung historischer Quellen zu Kolonialismus), weißer Mutterschaft (Wollrad 2005: 92-99, die ebenfalls eine historische Perspektive einbezieht) oder weißen Männlichkeiten (Figge 2015 in Bezug auf das Kino im Deutschland der 1950er Jahre). Neben diesen primär auf Weißsein und Geschlecht abzielenden Vorstößen gibt es auch Forscher*innen, die Komplexe fokussieren, die die Wechselwirkung von Weißsein mit anderen ungleichheitsgenerierenden Kategorien sichtbar machen. So befassen sich Untersuchungen zum sogenannten ‚White Trash‘ mit dem Zusammenspiel von Weißsein und sozialer Klasse (Wray & Newitz 1997; Wray 2006). Aufgrund seines Anspruchs, Weißsein in seiner Verwobenheit mit anderen ungleichheitsgenerierenden Kategorien sichtbar zu machen, kann der vorgestellte Ansatz als ‚intersektionaler Ansatz der kritischen Weißseinsforschung‘ bezeichnet werden. 3.2.2.3
Herausforderung II: Bestimmung der Zugehörigkeit zu Weißsein Eine praktische Schwierigkeit, die sich bei der Untersuchung von Weißsein in audiovisuellen Medien stellt, liegt in der Unterscheidung weißer von nicht-weißen Figuren. Dyer hat als Zugangsvoraussetzung zum Club der Weißen10 festgelegt, dass man von anderen Weißen als weiß akzeptiert werden muss: „[W]hite people are who white people say are white“ (Dyer 1997: 48). Damit wird die Frage nach der Zugehörigkeit zur Kategorieausprägung ‚weiß‘ zu einer Frage nach der Zuschreibung durch andere. Dies scheint zunächst im Hinblick auf die Analyse von Medienbeiträgen wenig hilfreich zu sein, da bei einer inhaltsanalytischen Arbeit keine Möglichkeit besteht, die vorgenommene Zuschreibung beispielsweise durch die Zuschauer*innen zu erheben. Jedoch können in fiktionalen Filmen Figuren durchaus durch die Filmschaffenden als weiß – oder nicht-weiß – markiert werden. Diese Markierungen können wiederum in einer qualitativen Filmanalyse entschlüsselt werden.
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Der Terminus „white club“ wurde von den Autor*innen der Zeitschrift „Race Traitor“ verwendet und wird dort zum Beispiel im Vorwort zur ersten Ausgabe aufgeführt: „The white race is a club, which enrolls certain people at birth, without their consent, and brings them up according to its rules. For the most part the members go through life accepting the benefits of membership, without thinking about the costs.“ (Race Traitor 1993)
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Historisch gesehen war die Markierung von Weißsein als weiß nicht immer vorhanden, sondern es mussten erst filmische Mittel erfunden werden, um weiße Figuren so zu codieren, dass die Zuschauer*innen Weißsein im Film erkennen können. Foster beschreibt die im frühen Hollywoodfilm übliche Praxis des „Whiteface“, bei der weiße Schauspieler*innen zu Beginn des 20. Jahrhunderts weißes Make-Up benutzen mussten: „It is worth noting that whites went to great lengths to foster the public’s acceptance of the construct of whiteness, which is clearly an artificial and performed ‚norm‘.“ (Foster 2003: 4, Herv. i. O.) Dies verdeutlicht erneut, dass ‚Hautfarbe‘ kein Merkmal ist, das selbstverständlich und eindeutig auf Weißsein verweist, sondern einer aktiven Inszenierung bedarf. Foster zeigt weiter auf, wie durch die Lichtsetzung und die Betonung der Differenzen von weißen und Schwarzen Figuren Whiteface verstärkt wurde (Foster 2003: 4). Es ist anzunehmen, dass diese Markierungen heute subtiler ausfallen beziehungsweise so selbstverständlich erkannt werden, dass auf den sprichwörtlichen dicken Farbstift verzichtet werden kann. Dennoch hat Tischleder herausgearbeitet, dass auch gegenwärtig noch häufig Licht in Filmproduktionen auf eine Art und Weise eingesetzt wird, die weiße Figuren als Norm fungieren lässt (Tischleder 2001: 127). Sie stellt fest, dass es „nicht explizit rassische Vorstellungen [sind], die die Entwicklung bestimmter Filmtechnologien geprägt haben, sondern unhinterfragte Normen und Ideale, die immanente whiteness westlicher Menschenbilder: Sie spiegeln sich in Hollywoods Darstellungsmodi und Beleuchtungscodes wider; mehr noch: Sie haben sich in die Technik selbst eingeschrieben und […] dominieren Hollywoods Körperästhetik bis heute.“ (Tischleder 2001: 128, Herv. i. O.)
Dyer verweist darauf, dass visuelle Kulturen große Anstrengungen darauf verwenden, Weißsein für das Auge sichtbar zu machen, um die Vergabe von Privilegien steuern zu können: „[S]ocial groups must be visibly recognisable and representable, since this is a major currency of communication and power. Being visible as white is a passport to privilege […] Visual culture demands that whites can be seen as whites“ (Dyer 1997: 44). Das ist bei der Analyse von Weißsein in audiovisuellen Medien von Vorteil. Jedoch verweist Dyer auch auf die paradoxe Situation, dass Weißsein zwar sichtbar sein muss, damit die Vergabe von Ressourcen und Privilegien im Sinne der weißen Mehrheitsgesellschaft geregelt werden kann, andererseits aber unsichtbar bleiben muss (Dyer 1997: 44f.), beispielsweise um den in Kapitel 2.1 beschriebenen Mythos der Gleichheit aller Menschen aufrechtzuerhalten. Außerdem wird Weißsein oft mit dem Nicht-Körperlichen verknüpft (Dyer 1997: 45) und kann deshalb nicht allein auf körperbezogene Merkmale rekurrieren.
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3.2.2.4
Herausforderung III: Gradualität von Weißsein und Hierarchien Als weitere Herausforderung bei der Analyse von Weißsein kommt hinzu, dass es wie beschrieben nicht statisch ist, sondern dynamisch und instabil. So galten Iren und Irinnen bei ihrer Ankunft in Amerika zunächst nicht als weiß und mussten sich in den USA ihren Status als – privilegierte – Weiße erst erkämpfen (Ignatiev 1995; Wollrad 2005: 74f.). Die dynamische Komponente von Weißsein führt dazu, dass nicht nur gesellschaftlich festgelegt wird, wer als weiß gilt und wer nicht, sondern es auch darum geht, als wie weiß eine Person angesehen wird. Das heißt, Weißsein ist eine Kategorieausprägung, die eine interne Hierarchie aufweist (Dyer 1997: 51), ein Umstand, der aus der Verknüpfung mit anderen ungleichheitsgenerierenden Kategorien resultiert und mit der Gradualität von Weißsein zusammenhängt. Diese wiederum rührt daher, dass Weißsein eben nicht nur auf visuellen Markern beruht, sondern neben dem Aussehen einer Person über deren Verhalten sowie von – vorhandenen oder zugeschriebenen – Merkmalen beispielsweise soziodemografischer Natur bestimmt wird. Dabei sind unterschiedliche Konstellationen denkbar, die kontextabhängig dazu führen, dass eine Person als sehr weiß oder weniger weiß beziehungsweise analog dazu als sehr Schwarz oder weniger Schwarz wahrgenommen wird. Gewisse Verhaltensweisen und Merkmale werden dabei als typisch für Weiße oder Schwarze angesehen und zwar zunächst einmal unabhängig davon, ob bestimmte Korrelationen tatsächlich überhäufig innerhalb dieser Gruppen vorkommen oder nicht. So wird beispielsweise Armut häufig mit Schwarzsein verknüpft, was vermutlich ein Grund dafür ist, dass weiße Menschen der Unterschicht – in den USA wie oben beschrieben auch als White Trash bezeichnet – als weniger weiß wahrgenommen werden. Man kann also festhalten: Je typischer das Aussehen und die Merkmale beziehungsweise Ausprägungen ungleichheitsgenerierender Kategorien empfunden werden sowie je mehr das Verhalten einer Person zur verbreiteten Vorstellung von Weißsein oder Schwarzsein passt, umso mehr wird dieser Person als weiß bzw. Schwarz wahrgenommen. Der in Kapitel 2.2.1 beschriebene Normmensch kann als Spitze der Hierarchie innerhalb der Gruppe der Weißen angesehen werden, Personen, die dem White Trash zuzurechnen sind, sind eher am unteren Ende der Rangordnung angesiedelt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Dyers Beobachtung, dass in der Kunst der Ton der ‚Hautfarbe‘ von unterschiedlichen Kategorien abhängt: Weiße Männer werden als dunkelhäutiger als weiße Frauen dargestellt und weiße Arbeiter*innen als dunkler als die Mitglieder der weißen Oberschicht (Dyer 1997: 57). Eine Taktik zum Machterhalt des Normmenschen besteht darin, untergeordnete Mitglieder zu inkludieren. Das mag auf den ersten Eindruck paradox erscheinen, erklärt sich aber dadurch, dass die Formierung von Gegenbewegungen tendenziell bestehende Machtgebilde gefährdet. Die selektive Übertragung von einer Reihe von Privilegien auf einzelne Kollektive (d.h. Personengruppen, die sich aus der gemein-
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samen Zugehörigkeit zu einer Kategorieausprägung bzw. der Verschränkung verschiedener Ausprägungen konstituieren) stärkt das Zugehörigkeitsgefühl dieser Gruppen zur Mehrheitsgesellschaft und verringert die Gefahr, dass diese Personen sich gemeinsam und mit Erfolg gegen bestehende Machtformationen auflehnen. Dies verhindert beziehungsweise erschwert damit die Solidarisierung zwischen den Individuen beziehungsweise Kollektiven, die nicht dem Normmenschen zuzurechnen sind und deswegen diskriminiert werden, also mit mehr oder weniger erheblichen Einschränkungen in Bezug auf Chancen und Ressourcen leben müssen. Wissenschaftlich interessant wird es nun an den Grenzbereichen von Weißsein. Hier lässt sich danach fragen, ob es Verstöße gegen die weiße Weltordnung gibt, die so gravierend sind, dass Menschen aus dem Club der Weißen ausgestoßen werden, also nicht mehr nach oben beschriebenem Muster trotz Abweichung integriert werden. Oder anders formuliert: Welches Merkmal muss eine Figur, die in Bezug auf ihre Erscheinung, also im Hinblick auf ihr Äußeres, ihre Sprache, ihre Herkunft etc. dem Normmenschen ganz oder nahezu entspricht, aufweisen beziehungsweise muss ihr zugeschrieben werden, damit sie trotz ihrer äußeren Normkonformität aus der Gruppe der Weißen ausgeschlossen wird? Und welche Strategien greifen fiktionale Narrative auf, um Konflikte dieser Art zu lösen? Einer dieser Grenzbereiche von Weißsein stellt – zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Deutschland – Pädophilie dar. (Weiße) Pädophile gehören oft im Hinblick auf ihre Erscheinung dem Normmenschen an, stellen aber aufgrund ihrer nicht sichtbaren sexuellen Neigung ein Tabu dar. Der Umgang mit Pädophilen in fiktionalen Medien ist damit in Bezug auf Weißsein ein idealer Gegenstand, um den Verhandlungen an den Demarkationslinien von Weißsein nachzuspüren. Dabei gilt es herauszufinden, inwiefern Filme Strategien entwickeln, Pädophile in die weiße Mehrheitsgesellschaft zu integrieren, oder ob diese aus dem Club der Weißen ausgeschlossen werden und falls ja, auf welche Art und Weise. Pädophilie kann damit als Teil der „cracks und fissures“ von Weißsein angesehen werden, die es ermöglichen, „whiteness as norm“ (Foster 2003: 2) zu entblößen. Dabei ist auch die Frage von Relevanz, ob der Normmensch, wenn sich hinter dessen ‚normalem‘ Äußeren ein Pädophiler verbirgt, mit anderen Sanktionen zu rechnen hat, als eine in einer oder mehreren Kategorieausprägungen von der Norm abweichende Figur, beispielsweise also ein nicht-weißer Pädophiler.
3.3
Z UM V ERHÄLTNIS UND W EISSSEIN
VON I NTERSEKTIONALITÄT
In den vorangegangenen Kapiteln wurde gezeigt, dass sich die kritische Weißseinsforschung und die Studien mit Intersektionalitätsansatz für ähnliche Zusammenhän-
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ge interessieren, aber einen unterschiedlichen Fokus setzen. Das innovative Moment der kritischen Weißseinsforschung ist die Verlagerung des Interesses von den negativ von Rassismus betroffenen Individuen, mit denen sich die traditionelle Rassismusforschung beschäftigt, hin zu den Personen, die von rassistischen Strukturen profitieren, und damit auf den weißen Normmenschen, wie aus dem folgenden Schaubild ersichtlich wird. Schaubild 1: Verhältnis von traditioneller Rassismusforschung und kritischer Weißseinsforschung
Die Intersektionalitätsforschung ist breiter angelegt als die kritische Weißseinsforschung, weil mit ihr prinzipiell alle ungleichheitsgenerierenden Kategorien und deren Ausprägungen sowie die gegenseitigen Wechselbeziehungen zwischen diesen untersucht werden können, wobei die Anzahl der untersuchten Kategorien je nach Untersuchungsgegenstand und Herangehensweise variieren kann. Sie betrachtet demnach die im Schaubild aufgeführten Kategorieausprägungen in ihren Zusammenhängen und konzentriert sich nicht wie die traditionelle Rassismusforschung beziehungsweise die kritische Weißseinsforschung nur auf jeweils ein Feld. Wie in Kapitel 3.1 beschrieben, wurde zunächst mit dem Intersektionalitätsansatz durch den Entstehungskontext bedingt auf marginalisierte Subjekte und den Kampf gegen die negativen Folgen bestehender sozialer Ungleichheiten fokussiert. In der Weiterentwicklung des Ansatzes sind jedoch vermehrt beide Seiten in den Blick gerückt: Es wurden sowohl Kategorieausprägungen betrachtet, die tendenziell zu Benachteiligungen führen, als auch solche, die tendenziell Privilegierung begünstigen, so wie die vielfältige Verwobenheit dieser in verschiedenen Subjektpositionen und in
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VON
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Herrschaftsverhältnissen (Schnicke 2014: 5). Die Ausweitung des Blicks in der Intersektionalitätsforschung auf die Norm beziehungsweise Privilegierung rührt auch daher, dass alle Menschen in ein komplexes Geflecht aus Dominanz und Dominierung eingebunden sind und eine starre Einteilung in „die Dominierten“ und „die Unterdrücker*innen“ deshalb der Komplexität der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Der Historiker Falko Schnicke sieht in der Untersuchung von Privilegien „ein Terrain, das bislang unterentwickelt ist, aber viel Potenzial verspricht“ (Schnicke 2014: 29), insbesondere wenn es gemeinsam mit Diskriminierungen examiniert wird (Schnicke 2014: 32). Der Rückschluss, dass sowohl die traditionelle Rassismusforschung als auch die kritische Weißseinsforschung damit gleichsam im Intersektionalitätskonzept aufgehen, greift jedoch zu kurz. Die Leistung der kritischen Weißseinsforschung liegt darin, eine oft übersehene und in Europa und Deutschland „verkannte Strukturkategorie“ (Arndt 2009b: 24) in den Vordergrund zu rücken. Das in Kapitel 3.2 als ‚intersektionaler Ansatz der kritischen Weißseinsforschung‘ bezeichnete Vorgehen, Weißsein selbst als interdependente Kategorie zu begreifen, soll hier aufgegriffen werden. Wie beschrieben wird Weißsein als eine Ausprägung der Kategorie ‚Rasse‘ betrachtet, die graduell ist, hierarchisch aufgebaut ist und die in ihrer Verschränkung mit anderen ungleichheitsgenerierenden Kategorien sichtbar gemacht werden kann. Weil Weißsein ein Konzept ist, das in Deutschland zumindest aus der Perspektive der weißen Mehrheitsgesellschaft außerhalb einschlägiger Forschungsprojekte und Diskussionen in links-politisch geprägten Räumen immer noch weitgehend unsichtbar gehalten wird, werden die anderen Kategorien als Referenzpunkte benötigt, um es greifbar zu machen. Weißsein kann man sich dabei als eine Form vorstellen, die unter einem weißen Blatt Papier liegt und deren Konturen erst sichtbar werden, wenn die weiße Fläche mit einem Bleistift schraffiert wird. Für die in dieser Arbeit durchgeführten Analysen wird ein integrativer Ansatz verfolgt, der sich dem Intersektionalitätskonzept verpflichtet fühlt, aber darüber hinaus ein besonderes Augenmerk auf die Kategorieausprägung Weißsein legt. Dominanzen werden von beiden Seiten in den Blick genommen und sowohl potenziell zu Diskriminierung führende als auch möglicherweise Privilegierung und Dominanz hervorrufende Ausprägungen von ungleichheitskonstruierenden Kategorien erfasst. Nicht nur die Analyse intersektionaler Verflechtungen, sondern auch die Sichtbarmachung weißer Normierungsprozesse kann dazu beitragen, Konstruktionen sozialer Ungleichheiten offenzulegen und damit einen Beitrag zur Abschaffung dieser zu leisten.
4
Inhaltliche Fokussierung: Pädophilie und die weiße Kernfamilie
In den folgenden Kapiteln wird eine inhaltliche Fokussierung auf zwei Bereiche stattfinden: Pädophilie (Kapitel 4.1) und die weiße Kernfamilie (Kapitel 4.2). Wie nachstehend kurz erläutert wird, besteht zwischen beiden ein wesentlicher Zusammenhang, auf welchen in Kapitel 4.3 näher eingegangen wird. Die beiden Felder werden im Analyseteil anhand der fiktionalen Filmbeispiele sowie der Beispiele aus dem journalistischen Bereich aus Perspektive des Intersektionalitätsansatzes und der kritischen Weißseinsforschung mit einer kultursemiotischen Methodik untersucht. Die Ausführungen in den folgenden Kapiteln bilden somit die inhaltliche Grundlage für die Analysen. 2014 waren Pädophilie und sexueller Missbrauch – zwischen denen sowohl alltagssprachlich als auch in manchen Medienbeiträgen nicht immer eindeutig differenziert wird – in den Medien äußerst präsent und zwar über alle Gattungs-, Format- und Genregrenzen hinweg, wobei die intensive Berichterstattung unabhängig von einem tatsächlichen ‚realweltlichen‘ Anstieg von Missbrauchsfällen erfolgte (Kapitel 4.1.1). In fiktionalen Spielfilmen wurde das Thema ebenso aufgegriffen wie in Printreportagen oder Dokumentarfilmen. Pädophilie hat in den letzten 50 Jahren einen enormen Bedeutungs- und Bewertungswandel erfahren (Kapitel 4.1.2) und scheint deshalb gut als Trägerin gesellschaftlicher Werte und Normen geeignet zu sein. Darüber hinaus bietet sich das Thema besonders für die konsequente Untersuchung von „whiteness qua whiteness“ (Dyer 1997: 4, Herv. i. O.) an, da davon auszugehen ist, dass Pädophilie in den Medien als Problem einer weißen Gesellschaft konstruiert wird, das diese in ihrem Inneren lösen muss, wie in Kapitel 4.1 weiter ausgeführt wird. Dazu kommt, dass Pädophile rein äußerlich häufig weitgehend dem in Kapitel 2.2.1 beschriebenen Normmenschen entsprechen beziehungsweise in Medienbeiträgen als weiß markiert werden. Hier ist es von besonderem Interesse zu untersuchen, welche narrativen Strategien in Medienbeiträgen für den Umgang mit Pädophilen als den ‚inneren Anderen‘ entworfen werden und wel-
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che Exklusions- und Inklusionsmechanismen dabei zum Tragen kommen. Der Zusammenhang zwischen Pädophilie und Weißsein wird in Kapitel 4.1.3 diskutiert. Die weiße Kernfamilie ist nicht nur konstitutiv für die weiße Gesellschaft, sondern ist zudem eine wichtige Größe im Kontext von sexuellem Kindesmissbrauch (Kapitel 4.2.1), wobei diese Übergriffe zwar häufig Pädophilen zugeschrieben werden, die Motivation für den sexuellen Missbrauch neben einer pädophilen Neigung aber auch andere Ursachen haben kann. Die Missbrauchstäter*innen kommen nach einer Untersuchung der Psychologin Eileen Peter und des Mediziners Bernhard Bogerts in über 40 Prozent der Fälle aus dem Kreis der Familienmitglieder selbst (Peter & Bogerts 2010: 46)1 und Kinder als (potenzielle) Missbrauchsopfer stellen wiederum einen Teil der Familie dar, dessen Bedeutung sich in den letzten Jahrhunderten grundlegend verändert hat (Kapitel 4.2.4). Die beiden Subjekte der Missbrauchskonstellation, erwachsene Täter*in und kindliches Opfer, entstammen damit häufig einer Familie. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass – auch wenn es sich um eine Fremdtäter*in handelt – die missbrauchten Kinder in fiktionalen Medienangeboten meist als Figuren gezeichnet werden, die in Familien eingebunden sind, weshalb diese Familien voraussichtlich eine wichtige Rolle in den untersuchten Medienbeiträgen spielen. Der Stellenwert, den Kinder heute gesellschaftlich und für ihre Eltern einnehmen, hat sich in den letzten Jahrhunderten grundlegend geändert. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Veränderungen sich zumindest teilweise in der aktuellen Bewertung von Pädophilie niederschlagen. Der heute in Deutschland vorherrschende und historische gewachsene Umgang mit Kindern als Individuen wird genauso wie die Einschätzung von Kindheit als Lebensphase dabei als dezidiert weiß-westlich erkannt. Die Vernachlässigung dieses Aspekts in öffentlichen Diskussionen führt dazu, dass die weißen Werte häufig absolut gesetzt werden und aus deutsch-westlicher Perspektive als Maßstab für die Bewertung anderer dienen. Anhand der weißen Kernfamilie können darüber hinaus 1
Peter und Bogerts zählen neben Blutsverwandten auch Stiefväter zu den Verwandten. Während leibliche Väter nur 6,3 Prozent der untersuchten Täter*innen stellen, handelt es sich bei 26,6 Prozent um Stiefväter. Des Weiteren machten andere Verwandte wie Großväter oder Onkel 9,4 Prozent der Täter*innen aus. Die von Peter und Bogerts untersuchte Fallzahl beträgt n = 64 und bezieht sich auf alle innerhalb eines Zeitraums von viereinhalb Jahren vom Landgericht Stendal wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Straftäter*innen. (Peter & Bogerts 2010: 45f.) Zu verweisen ist an dieser Stelle auf die im Fall von sexuellem Missbrauch als äußerst hoch einzustufende Dunkelziffer. Da bei Mord- und Totschlagsfällen die Aufklärungsrate sehr hoch ist (2014 lag sie bei 96,5 Prozent) und hier in über 50 Prozent der Fälle die Täter*innen Verwandte oder Lebenspartner*innen der Opfer waren (Polizeiliche Kriminalstatistik 2014: 7, 33), ist es nicht unwahrscheinlich, dass die von Peter und Bogerts ermittelten Zahlen trotz der geringen Fallzahl verallgemeinerbar sind.
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Bilder von weißer Mutterschaft (Kapitel 4.2.2) und weißer Vaterschaft (Kapitel 4.2.3) untersucht werden. Bisherige mediale Repräsentationen und Konstruktionen der weißen Kernfamilie zeigen diese als Norm auf, die aber in manchen Darstellungen als in Auflösung begriffen erscheint, beispielsweise wegen der Krise der Väter. Alternative Formen des familialen Zusammenlebens werden in verschiedenen Medienangeboten unterschiedlich bewertet. (Kapitel 4.2.5) Die vorangegangenen Überlegungen zu Pädophilie und der weißen Kernfamilie werden schließlich in Kapitel 4.3 zusammengeführt. Dabei wird das Augenmerk darauf gelenkt, inwiefern der (weiße) Pädophile als Feind der weißen Kernfamilie zu betrachten ist. Eine Analyse von Medienbeiträgen zum Thema Pädophilie, die den Blick auch auf das Ideal der weißen Kernfamilie lenkt und Verknüpfungen zwischen beiden Bereichen zu erkennen sucht, verspricht in verschiedener Hinsicht fruchtbar zu sein. Sie kann sowohl Erkenntnisse im Hinblick auf die weiße Gesellschaft an sich erbringen als auch auf deren Umgang mit Menschen, die aufgrund ihrer von der Norm abweichenden sexuellen Neigung äußerst negativ bewertet werden. Deshalb wird es hier als wichtig erachtet, sowohl Pädophilie als auch die weiße Kernfamilie einer weißseinskritischen und intersektionalen Betrachtung zu unterziehen. Welchen Zusammenhang die Medienbeiträge selbst zwischen den beiden Feldern auf narrativer Ebene herstellen, wird im Analyseteil (Kapitel 7 bis Kapitel 11) geklärt. Folgende Hypothesen sollen in diesem Zusammenhang überprüft werden (vgl. Kapitel 1): H 1: H 2:
Pädophilie wird in Medienbeiträgen als Angriff auf die weiße Kernfamilie und damit auf die weiße Gesellschaft in ihrer Gesamtheit inszeniert. Pädophilie wird in Medienbeiträgen als (krankhafter) Auswuchs sich verändernder Familienformen respektive der Auflösung der Kernfamilie inszeniert.
Die beiden Hypothesen stehen dabei nicht im Widerspruch zueinander, sondern können – insofern sie zutreffen – als sich gegenseitig verstärkend erachtet werden.
4.1
P ÄDOPHILIE
4.1.1
Pädophilie und sexueller Missbrauch: Einordnung, Definition und Statistik
Die gesellschaftliche Diskussion um Pädophilie und sexuellen Missbrauch läuft oft undifferenziert ab und lässt einen fundierten und lösungsorientierten Umgang mit einer Problematik, die für viele Menschen sehr real ist, vermissen. Dies ist aus meh-
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reren Gründen zu bemängeln. Erstens werden Menschen, die als Kind sexuell missbraucht werden, häufig gleich mehrfach zu Opfern. Zum einen müssen sie die eigenen Missbrauchserfahrungen verarbeiten, zum anderen wird ihren Erlebnissen sowohl auf privater als auch gesellschaftlicher und politischer Ebene mit Desinteresse begegnet oder ihre Erfahrungen werden verharmlost oder verleugnet. Die emotionale Belastung, die dadurch entsteht, dass Beweise für den Missbrauch geliefert werden müssen, die häufig fehlende Möglichkeit, diese Beweise rückwirkend zu erbringen sowie das teilweise damit einhergehende Vorenthalten von Entschädigungszahlungen spielen ebenfalls eine Rolle. Beispielsweise ließ nach der initialen Veröffentlichung der Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule in der Frankfurter Rundschau im Jahr 1999 (Schindler 1999) eine Reaktion auf die Vorkommnisse jahrelang auf sich warten (Dehmers 2011). Erst als das Thema 2010 von der selbigen Zeitung anlässlich der Hundertjahrfeier der Elite-Schule erneut aufgenommen wurde (Schindler 2010), schlug es mediale Wogen (Dehmers 2011). Dies kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass die Medien im Jahr 2010 durch die zum Jahresbeginn bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in Einrichtungen der katholischen Kirche wie dem Berliner Canisius-Kolleg der Jesuiten bereits sensibilisiert für das Thema waren. Bei der katholischen Kirche waren in den 1990er Jahren ebenfalls bereits Missbrauchsfälle öffentlich geworden, auch hier war ein gesellschaftlicher Aufschrei bis 2010 ausgeblieben. Die Zögerlichkeiten der Gesellschaft und der Politik, sich ernsthaft und angemessen mit dem Problem der sexualisierten Gewalt gegenüber Kindern auseinanderzusetzen, haben eine weitere Kehrseite. Denn es werden nicht nur die Missbrauchsopfer nicht angemessen unterstützt und soweit möglich finanziell entschädigt, sondern auch die Gruppe der nicht übergriffig gewordenen Pädophilen wird diffamiert und durch eine häufig anzutreffende pauschale Gleichsetzung mit Missbrauchstätern stigmatisiert und vorverurteilt. So vehement Übergriffe auf Kinder zu verurteilen sind, so vehement muss unterschieden werden zwischen Menschen mit pädophiler Veranlagung und Missbrauchstätern. Gleichwohl gilt es, Pädophile als besondere Risikogruppe für das Wohl von Kindern anzuerkennen. Doch gerade um Kinder vor Übergriffen durch Menschen mit pädophiler Veranlagung zu schützen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um Pädophile nicht übergriffig werden zu lassen, wie das etwa das Projekt KEIN TÄTER WERDEN anstrebt. Die Differenzierungen zwischen Menschen mit pädophiler Neigung einerseits und Missbrauchstätern andererseits ermöglicht es zudem, beide Gruppen näher zu beschreiben. So sind prinzipiell drei Konstellationen denkbar: 1. Menschen mit pädophiler Neigung, die nicht übergriffig geworden sind und damit nicht straffällig; 2. Menschen mit pädophiler Neigung, die sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern ausgeübt und sich dadurch strafbar gemacht haben; 3. Menschen ohne pädophile Neigung, die sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern ausgeübt und sich dadurch
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strafbar gemacht haben. Die im zweiten und dritten Punkt beschriebenen Konstellationen beschreiben beide Missbrauchstäter, jedoch unterscheidet sich die jeweilige Motivation für die Übergriffe, wie bei der folgenden Definition näher erläutert wird. Wichtig ist es dabei, zum einen anzuerkennen, dass nicht jeder Mensch mit pädophiler Neigung straffällig wird, und zum anderen Pädophilen Unterstützung zukommen zu lassen. Sie müssen ihre Sexualität ihr Leben lang unterdrücken, denn im Gegensatz zu anderen Formen der Sexualität, die von der heterosexuellen Norm abweichen, können sie ihre Sexualität nicht ausleben, ohne andere zu missbrauchen. Erschwerend hinzu kommt die gesellschaftliche Tabuisierung und Stigmatisierung des Themas, die zur Folge haben kann, dass die Betroffenen keine Therapie machen, welche wiederum dazu beitragen könnte, die Gefahr von Übergriffen zu verringern. Die öffentliche Meinung zu Pädophilie hängt stark von der Darstellung des Themas in den Medien ab: Wird dort unvoreingenommen, differenziert und aus verschiedenen Perspektiven über das Thema informiert, können die Rezipient*innen zu einer fundierten Haltung gelangen. Andererseits können mediale Repräsentationen, die Pädophilie mit Missbrauch gleichsetzen, dazu beitragen, die Stigmatisierung von Menschen mit pädophiler Neigung zu fördern, anstatt lediglich diejenigen zu verurteilen, die übergriffig geworden sind. Diese Differenzierung ist nur möglich, wenn die fachlichen Definitionen von Pädophilie und sexuellem Missbrauch bekannt sind und angewendet werden. Im Folgenden wird Pädophilie in Abgrenzung zu Missbrauch aus anderen Gründen definiert und die gesetzlichen Grundlagen zu Kindesmissbrauch werden vorgestellt. Pädophilie ist eine sexuelle Neigung, bei der eine Präferenz für Kinder besteht. Wie andere Sexualpräferenzen auch, besteht die Neigung im Normalfall ein ganzes Leben lang (Seto 2009, zit. n. Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 111). In der vierten Auflage des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-IV) werden drei Kriterien genannt, die zutreffen müssen, damit von Pädophilie gesprochen werden kann: 1. die Präferenz muss auf Kinder unter 14 Jahren – also vorpubertäre Kinder – zielen; 2. zwischen der pädophilen Person und dem Kind muss ein Altersabstand von mindestens 5 Jahren liegen; 3. die pädophile Person selbst muss mindestens 16 Jahre alt sein (Sigusch 2007: 114). Je nachdem ob die pädophile Person sich von Kindern des anderen Geschlechts, desselben Geschlechts oder von Kindern beider Geschlechter angezogen fühlt, spricht man von einer hetero-, homo- oder bisexuellen Pädophilie (Nedopil & Müller 2012: 247). Des Weiteren kann unterschieden werden zwischen Kernpädophilen, die ausschließlich Kinder präferieren, und Menschen, die zusätzlich teleiophil sind, also auch Erwachsene sexuell begehren (Ulonska 2008: 26; Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 111). Alltagssprachlich wird Pädophilie oft synonym mit Hebephilie verwendet, bei der eine sexuelle Neigung für Jugendliche besteht (Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 111).
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Bei einer vorliegenden pädophilen Veranlagung kann es zu sexuellem Missbrauch kommen, die Neigung muss aber nicht ausgelebt werden. Zur Differenzierung kann der Begriff ‚Pädosexualität‘ für sexuelle Übergriffe verwendet werden, die auf einer pädophilen Disposition basieren. Bei der Mehrheit der Fälle sexuellen Missbrauchs sind die Täter*innen nicht pädophil, sondern es liegen andere Gründe für die Übergriffe vor. Beispielsweise kann es sich um Menschen handeln, die Schwierigkeiten damit haben, erwachsene Sexualpartner*innen zu finden, weshalb es zu sogenannten „[s]exuellen ‚Ersatzhandlungen‘“ an Kindern kommt (Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 110f.). Neben körperlichem sexuellen Missbrauch ist das Betrachten kinderpornografischer Inhalte eine „weitere Form sexueller Ausbeutung von Kindern“, da bei der Produktion der Fotos und Videos sexuelle Straftaten an Kindern verübt wurden (Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 116). Unabhängig von der Form der sexualisierten Gewalt ist das Machtverhältnis stets dadurch geprägt, dass ein psychisch und physisch überlegener Erwachsener seine Rolle ausnutzt, um ein Kind seinen sexuellen Wünschen unterzuordnen. Neben der Differenzkategorie Sexualität ist die Kategorie Alter also in Bezug auf Pädophilie und sexuellen Missbrauch von entscheidender Bedeutung. Die strafgesetzlichen Bestimmungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern finden sich in § 176 des Strafgesetzbuches (StGB). Dort werden sexuelle Handlungen mit Kindern unter 14 Jahren untersagt. Des Weiteren regelt § 182 StGB den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen und § 174 StGB den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen. Der § 176 StGB als „Sexueller Mißbrauch von Kindern“ wurde im Jahr 1973 in das Strafgesetzbuch aufgenommen (BGBl 98/1973: 1727). Im 21. Jahrhundert kam es mehrfach zu einer Verschärfung der Gesetzeslage.2 § 184b StGB regelt die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornografischer Schriften, § 184c StGB den Bereich der jugendpornografischen Schriften. Insgesamt sind nach Schätzungen circa ein Prozent der männlichen Bevölkerung pädophil (Beier 2010, zit. n. Nedopil & Müller 2012: 247). Auch wenn es weibliche Pädophile gibt, ist mit über 97 Prozent die überwiegende Anzahl männlich, wobei die Dunkelziffer bei Frauen vermutlich höher ausfällt (Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 126). Die Sexualwissenschaftler*innen Laura F. Kuhle, Dorit Grundmann und Klaus M. Beier verweisen darauf, dass bei weiblichen Missbrauchstäterinnen meist keine pädophilen Motive, sondern – wesentlich häufiger als bei Männern – „Ersatzhandlungen“ vorliegen (Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 2
So wurden beispielsweise 2004 die Strafmaße für den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174) im Rahmen einer Gesetzesänderung hochgesetzt und 2008 auch Taten ohne Körperkontakt aufgenommen. Im Oktober 2014 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Erweiterung von § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB um technologische Mittel vorsieht. Das Gesetz wurde Anfang 2015 entsprechend geändert (BGBl 2/2015: 12).
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117). Pädophilie ist weiter kein schichtspezifisches Phänomen, sondern kommt in allen sozialen Klassen vor (UIonska 2008: 26; Lenard 2003: 160). Es gibt Präventivprogramme für Männer mit pädophiler Neigung, wie beispielsweise das bereits erwähnte Projekt KEIN TÄTER WERDEN, und Programme für bereits straffällig gewordene Pädophile. In beiden Fällen wird sowohl (psycho-)therapeutisch gearbeitet als teilweise zusätzlich medikamentös behandelt, wobei die Verschreibung von Antidepressiva und Antiandrogenen gängig ist (Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 124f.). Da sich, wie beschrieben, die pädophile Neigung nicht bei allen Betroffenen im Verhalten niederschlagen muss, andererseits aber die Motive für sexuellen Missbrauch vielfältig sind, gibt es keine Statistik, die ausweisen könnte, wie viele der pädophil veranlagten Personen in Deutschland übergriffig werden. Die Fallzahlen sexuellen Missbrauchs an Kindern in Deutschland nehmen seit Mitte der 2000er Jahre tendenziell ab. Waren es 2005 noch fast 17.800 Fälle versuchten und vollendeten Missbrauchs, verzeichnet die Statistik des Bundeskriminalamtes für 2014 knapp 14.400 Fälle (Bundespressekonferenz e.V. 2015: 8). Diese Tendenz trifft dagegen auf den Teilbereich der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung nach § 177 (Abs. 2, 3 und 4) und § 178 Strafgesetzbuch (StGB) nur eingeschränkt zu. Die Vergehen gegen diese Paragrafen waren bezogen auf die unter 14-jährigen Opfer im Jahr 2014 mit 207 Fällen zwar auf dem niedrigsten Stand seit 10 Jahren, der Wert schwankte sonst aber jährlich zwischen 236 und 267 Fällen (unter 6-jährige Opfer: zwischen 15 und 22 Fälle im Jahr im Zeitraum 2005 bis 2014, 20 Fälle im Jahr 2014) (Bundespressekonferenz e.V. 2015: 8). Weniger eindeutig ist die Lage in Bezug auf Kinderpornografie. Dort scheint sich die Anzahl der Fälle in der letzten Dekade auf circa 4.000 im Jahr eingependelt zu haben, abgesehen von zwei Ausreißern nach oben in den Jahren 2007 (über 8.000 Fälle) und 2008 (über 6.700 Fälle) (Bundespressekonferenz e.V. 2015: 9). Die seit 2010 verstärkt geführten Diskussionen zu Pädophilie und sexuellem Missbrauch in Deutschland sind damit nicht auf einen tatsächlichen sprunghaften Anstieg der bekannt gewordenen Fallzahlen zurückzuführen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die plötzliche Zunahme des Themas Pädophilie in der Darstellung fiktionaler Medien wie der Krimimalreihe Tatort nicht in der Realität zu suchen ist, sondern vermutlich ideologische Gründe hat.3
3
In der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ist dieses Problem aus der Nachrichtenwert-Theorie bekannt. Dort gibt es ebenfalls nicht immer einen Zusammenhang von Intra-Media-Daten (mediale Daten, also die Berichterstattung an sich) und ExtraMedia-Daten (‚realweltliche‘ Daten, z. B. Statistiken), d. h. der Anstieg eines Themas in den Medien muss nicht auf einen Anstieg entsprechender Ereignisse in der ‚Realwelt‘ zurückzuführen sein.
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4.1.1.1 Bewertung von Pädophilie im Zeitverlauf Welche sexuellen Praktiken legal sind, welche als ‚normal‘ gelten und welche gesellschaftlich zwar als abweichend markiert, aber noch toleriert werden, ist abhängig von kulturellen und den Zeitgeist betreffenden Bedingungen: „Jede Zeit, jede Kultur bezeichnet andere Begierden, Fetischisierungen und Eigenheiten als verdreht, verrückt, abnorm oder krank. Manchmal ereignet sich der Vorstellungs- und Bewertungswandel sehr schnell“ (Sigusch 2007: 113). Sexualität ist dabei nie nur privat gewesen – sie war schon immer politisch und ist ein Instrument, den Status quo, der den Normmenschen auf Kosten der als ‚anders‘ konstruierten Menschen privilegiert, zu erhalten. Sexualität hat demnach mit Macht zu tun und zwar nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern auch strukturell. Dies schlägt sich in Gesetzen nieder, die widerspiegeln, welche Art von Sexualität als wünschenswert erachtet wird. Sexualität weist dabei auch eine ökonomische Komponente auf: Die Reproduktion von Arbeitskräften ist unverzichtbar für eine kapitalistische Gesellschaft, vor allem für die deutsche, welche zu Einwanderung ein eher gespaltenes Verhältnis hat. Der gesellschaftliche Umgang mit Pädophilie bestätigt die zeitliche Bedingtheit sexueller Normen. Ende 2014 wurde ein Gesetz verabschiedet, welches den Verkauf oder Tausch von Nacktbildern von Kindern unter Strafe stellt. Nach § 184b Abs. 1 Nr. 1a StGB kann nun auch mit Freiheitsstrafe belegt werden, wer „eine kinderpornographische Schrift verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht“, die „die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ (BGBl 2/2015: 12) zum Inhalt hat. In den 1968er Jahren stellte sich die Situation ganz anders dar: In antiautoritären Erziehungsprinzipien folgenden Kindergärten, den sogenannten Kinderläden, sollten Kinder zur Erfahrung ihrer Sexualität ermuntert werden und diese nicht nur untereinander, sondern – sofern sie dies selbst initiierten – auch mit Erwachsenen ausprobieren können (Sager 2008: 61f.; 65). Wenngleich beide Standpunkte – die Strafbarkeit von manchen als harmlos empfundener Kinderbilder einerseits und die weitgehende sexuelle Freizügigkeit und Selbstbestimmung für Kinder andererseits – auch in ihrem jeweiligen zeitlichen Kontext extreme Positionen einer Diskussion darstellen, die durchaus nicht von der gesamten Öffentlichkeit geteilt werden, sind sie ein Indikator für den Rahmen, innerhalb dessen die Diskurse geführt werden, und damit für die prinzipiell möglichen Stoßrichtungen der Debatten. Um nachvollziehen zu können, wie es innerhalb von 50 Jahren in der Öffentlichkeit zu einem solchen Meinungsumschwung betreffend kindlicher Sexualität und damit verbundenen Phänomenen wie Pädophilie kommen konnte, wird zunächst die Bewertung von Sexualität und Pädophilie in diesem Zeitraum skizziert. Diese Zeitspanne bietet sich unter anderem deshalb an, weil ausführliche wissenschaftliche Diskussionen um Pädophilie in Deutschland erst ab Mitte der 1960er Jahre begannen (Michelsen 2015: 45). Anschließend wird
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ein Blick auf aktuelle Ereignisse geworfen, die im Hinblick auf Pädophilie und sexuellen Missbrauch an Kindern relevant sind. 4.1.1.2
Bewertung von Sexualität in Deutschland ab Mitte der 1960er Jahre Die späten 1960er Jahre sind im Hinblick auf die Bewertung von Sexualität besonders aufschlussreich. In diesem Zeitraum begannen zwei unterschiedliche Entwicklungen, anhand derer sich aufzeigen lässt, wie Liberalisierungsbefürworter*innen und Vertreter*innen konservativer Strömungen Deutungshoheit über das Machtfeld Sexualität zu erlangen trachteten. So kam es simultan zur „‚Entdeckung des Missbrauchs‘“ (Görgen, Griemmert & Kessler 2014: 33) von Kindern in der Bundesrepublik zu einer sexuellen Revolution, die unter anderem durch die Entwicklung der Antibabypille hervorgerufen worden war. Sie ging mit einer „Kommerzialisierung, Liberalisierung und Politisierung von Sexualität“ einher (Herzog 2005: 173), was auch eine Neubewertung der kindlichen Sexualität einschloss. Der Markt für pornografische Zeitschriften und Artikel boomte, Nacktheit dominierte die Werbung, Ehebruch wurde salonfähig (Herzog 2005: 174f.). Medien, Medizin und sogar Theologie orientierten sich immer mehr an den Forderungen der 1968er. Einfluss auf die Einstellung zu Sexualität hatten auch die Werke von Sigmund Freud zur kindlichen Sexualität sowie von Wilhelm Reich, der von der linken Bewegung viel rezitiert wurde und der kindliche Sexualität explizit gefördert wissen wollte (Herzog 2005: 195). In den 1970er Jahren setzten sich die Liberalisierungstendenzen fort, so entstand zum Beispiel im Anschluss an die Legalisierung männlicher Homosexualität die Schwulenbewegung (Herzog 2005: 272f.) und die Strafbarkeit von Abtreibungen unter bestimmten Umständen wurde im Jahr 1976 abgeschafft (Herzog 2005: 276). Die Angehörigen der linken Bewegung waren dennoch enttäuscht, weil sie ihren Traum von einer ineinandergreifenden sexuellen und politischen Befreiung als gescheitert ansahen (Herzog 2005: 277ff.). Ab den 1980er Jahren kam es unter anderem wegen des Ausbruchs von HIV und AIDS zu einem Ende der sexuellen Revolution und damit zu einer veränderten Haltung gegenüber Sexualität (Herzog 2005: 305f.; vgl. auch Barth 1987). Die Sexualgeschichte in der DDR vollzog sich aufgrund der dortigen spezifischen Situation – Sozialismus und Säkularisierung – anders als in Westdeutschland. Dennoch gibt es auch parallele Entwicklungen. Bis in die 1960er Jahre hinein war die DDR bezüglich der Sexualität von Konservatismus geprägt. So wurde Homosexualität offiziell abgelehnt, inoffiziell kam es jedoch 1957 zu einer nicht publik gemachten Aufforderung an die Behörden, homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Gleichgesinnten nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen (Herzog 2005: 238f.). Im Gegensatz zu den Entwicklungen in Westdeutschland gab es auch liberale Ansätze, beispielsweise was die Erwerbstätigkeit von Frauen anging, die Propagierung des gemeinschaftlichen Erledigens von häuslichen und erzieherischen Arbeiten so-
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wie in Bezug auf voreheliche sexuelle Aktivitäten (Herzog 2005: 233f.). Insgesamt gab es in der DDR keine sexuelle Revolution, sondern eine „schrittweise Evolution“ (Herzog: 2005: 233). 4.1.1.3
Bewertung von Pädophilie in Deutschland ab Mitte der 1960er Jahre In diesem Klima vollzog sich nun auch der Wandel der öffentlichen Meinung zu Pädophilie. Auf dem „8. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung“, der 1964 in Karlsruhe stattfand, wurde von den führenden Sexualwissenschaftler*innen der damaligen Zeit das Thema „Die Pädophilie und ihre strafrechtliche Problematik“ im gleichnamigen Sammelband diskutiert.4 Die 1965 in einem Sammelband erschienenen Vorträge geben einen guten Einblick in die Mitte der 1960er Jahre vorherrschenden Ansichten zu Pädophilie und anderen als nicht normal empfundenen Sexualpräferenzen abseits von den Ansichten avantgardistischer Studierendenbewegungen. Dabei fällt auf, dass die Beurteilung pädophiler Neigungen und Handlungen durchaus einen gewissen Variantenreichtum aufwies. Der Mediziner Siegfried Haddenbrock betonte das Verbot von Pädophilie, das er als unumstritten und universal gültig ansah (Haddenbrock 1965: 56), wohingegen Hans Giese, ebenfalls Mediziner und zudem Sexualforscher, zum einen versuchte, auch die positiven Seiten der Pädophilie zu sehen, wie beispielsweise das von ihm angeführte besondere Einfühlungsvermögen von Pädophilen gegenüber Kindern, und zum anderen auf andere Kulturen verwies, „die aus der Pädophilie durchaus ihren Nutzen zu ziehen verstehen“ (Giese 1965: 28). Auch Gemeinsamkeiten von Pädophilie und Homosexualität wurden diskutiert.5 Der Psychiater Albrecht Langelüddeke eröffnete seinen Vortrag mit der Frage, ob „ein Unterschied zwischen Homosexuellen, die sich auf Erwachsene beschränken, und den Pädophilen“ bestehe (Langelüddeke 1965: 91) und spricht sich für die positiven Aspekte der Kastration von „Sittlichkeitsverbrechern“ aus (Langelüddeke 1965: 95). Auch Haddenbrock sah eher Parallelen zwischen Pädophilie und Homosexualität als zwischen Pädophilie und Sadismus oder Vergewaltigungen (Haddenbrock 1965: 57). Er unterschied heterosexuelle und homosexuelle Pädophilie (Haddenbrock 1965: 60), die er zwar beide als abnorm betrachtete, aber dennoch darauf verwies, „daß bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit pädophiler Täter die Kriterien nicht ohne weiteres den Sexualerfahrungen des Normalen entnommen werden dürfen“ (Haddenbrock 1965: 57). Die 4
Der Sexualforscher Volkmar Sigusch bezeichnet beispielsweise den (Mit-)Herausgeber des Sammelbandes Hans Giese als „einflussreichste[n] Sexualwissenschaftler der Adenauer-Zeit“ (Sigusch 2013: 190).
5
Zur Kritik des auch heute teilweise noch unterstellten Zusammenhangs von Pädophilie und Homosexualität siehe die Dissertation des Erziehungswissenschaftlers Thomas Hertling (Hertling 2011: 97f.).
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Unterscheidung von normaler und nicht normaler Sexualität beziehungsweise von „‚Normalmenschen‘“ und Pädophilen (Giese 1965: 28) erscheint in diesem Sammelband als Konsens, ebenso die Ablehnung von Pädophilie in der Öffentlichkeit, die der Psychiater Hans Bürger-Prinz auf die „noch weiter steigende[] Wertung der Kindschaft“ zurückführt (Bürger-Prinz 1965: 21). Die Ergebnisse der Konferenz zeigen, dass man in wissenschaftlichen Kreisen weit davon entfernt war, Pädophilie neutral zu werten geschweige denn gutzuheißen. Auch in der Öffentlichkeit stießen trotz des großen Anklangs, den die Kinderläden fanden, gerade die Vorschläge, die die sexuelle Freiheit der Kinder betrafen so wie auch nur deren Nacktheit auf große Vorbehalte. Daneben wurde Mitte der 1960er Jahre auch kindliche Onanie als eine Praxis angesehen, von der man Kinder abhalten sollte (Sager 2008: 59). In scharfem Kontrast zu diesem Konsens standen die von der linken Studierendenbewegung Ende der 1960er Jahre vorgebrachten Forderungen nach der Befreiung der Sexualität von Kindern und Jugendlichen, wobei diese oft, aber nicht zwingend, sexuelle Begegnungen mit Erwachsenen einschlossen. Diese als abnormale und obsessive Auswüchse der 68er-Bewegung zu diffamieren, wird der Komplexität der Situation nicht gerecht. An der sexuellen Revolution nahmen durchaus auch Minderjährige teil. So beschreibt der Journalist Brügge 1968 in dem Spiegel-Artikel IHR KÖNNT UNS LIEBE ERLAUBEN, wie Schüler*innen sich mit ihrer Aufklärung unzufrieden zeigten, „Liebeszimmer für Oberschüler“ forderten, eigenen Sexualkundeunterricht organisierten und die Antibabypille verteilten (Brügge 1968). Selbst Geistliche waren aufgeschlossen gegenüber sexuellen Kontakten unter Jugendlichen (Herzog 2005: 185). Das war das Klima, in welchem in zahlreichen deutschen Städten Kinderläden entstanden – in Selbstorganisation der Eltern, die häufig, aber nicht immer, der linken Studierendenbewegung entstammten beziehungsweise Unterstützer*innen der Frauenbewegung waren (Baader 2008: 22). Im Zuge dieses Zeitgeists konnten sich Gedanken zur sexuellen Befreiung der Kinder entwickeln und auch der sexuelle Kontakt von Kindern mit Erwachsenen wurde denkbar. Die Motivation zu sexuellen Annäherungen Erwachsener an Minderjährige war bei der 68er-Bewegung zum Großteil eine andere als die pädophiler Triebtäter*innen: Den ‚1968ern‘ ging es, glaubt man ihrer Selbstdarstellung, um die freie Entfaltung der Kinder und nicht um ihre eigene Bedürfnisbefriedigung. Auch wenn die Konzepte der Kinderläden vielen zu weit gingen, wie sich beispielsweise an den Reaktionen auf den Dokumentarfilm ERZIEHUNG ZUM UNGEHORSAM (D 1969, R: Bott) zeigte (o. V. 1971: 109-117), herrschte doch eine Atmosphäre der Offenheit gegenüber jeglicher Sexualität und damit auch gegenüber der Sexualität von Kindern. Dies macht aus heutiger Sicht nachvollziehbar, warum sich Politiker*innen aus den unterschiedlichsten politischen Lagern in den 1980er Jahren für die Legalität von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen ausgesprochen haben, wie zum Beispiel die FDP-Politikerin Dagmar Döring und der GRÜNEN-Politiker Jürgen Trittin. Doch nicht nur von politischen Vertreter*innen,
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sondern auch von offiziellen Institutionen und in der Wissenschaft wurden pädosexuelle Handlungen nicht per se verurteilt. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass eine 1983 vom Bundeskriminalamt herausgegebene Studie zwischen ‚gewalttätigen‘ und ‚harmlosen‘ sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen unterschied (Baurmann 1996 [1983]).6 Laut des Soziologen Michael Baurmann gilt es zwischen „a. exhibitionistische[n] Handlungen, b. relativ oberflächliche[n], gewaltfreie[n] erotische[n] und sexuelle[n] Handlungen“ und „c. sexuelle[n] Gewalthandlungen und Bedrohungen“ zu differenzieren (Baurmann 1996: 521). Er geht zudem davon aus, dass es neben den „schwerwiegenderen Erscheinungsformen“ von „sexuelle[m] Mißbrauch[] von Abhängigen […] aus viktimologischer Sicht allerdings noch eine relativ harmlose Art des Sexualkontakts [gibt]“, etwa wenn „Erzieher und Abhängige ein unbefangenes Verhältnis zueinander haben, welches erotische und sexuelle Kontakte nicht ausschließt.“ (Baurmann 1996: 66) Diese Zitate zeigen anschaulich, welcher gesellschaftliche Wandel seitdem in Bezug auf die Beurteilung von sexuellen Handlungen Erwachsener mit Kindern stattgefunden hat. Erst 2013 wurde die Studie als Reaktion auf eine Anfrage des Magazins Focus von der Website entfernt (Hollweg, Siemens & Schattauer 2013). 4.1.1.4 Aktuelle Debatten zu Pädophilie Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts steht die öffentliche Meinung über Pädophilie offenbar fest. Dass sexuelle Begegnungen Erwachsener mit Kindern und minderjährigen Jugendlichen stets als Straftat zu werten sind, ist allgemein als Konsens akzeptiert. Doch noch immer ist der Aushandlungs- und Bewertungsprozess nicht abgeschlossen, auch wenn es bezüglich der Inhalte zu einer Verschiebung kam: weg von der Frage, ob Erwachsene und Kinder miteinander sexuell verkehren dürfen, hin zur Auslotung der Grenzen dessen, was schon als kinderpornografisch zu gelten hat und was nicht. In diesem Sinne sind die oben genannten Gesetzesverschärfungen zu verstehen, die die legale Anfertigung von Fotos mit nackten Kindern einschränken. Aktuelle Ereignisse tragen zweifellos dazu bei, Restriktionen zu fördern. So hat das Entdecken von Fotos nackter Jungen bei SPD-Politiker Sebastian Edathy 2013 nicht nur zu dessen Rücktritt als Bundestagsabgeordnetem geführt7, sondern auch die Diskussion zur Verschärfung der Gesetze mit initiiert. Im Spiegel 6
Hier muss angemerkt werden, dass die Studie sich allgemein mit Sexualdelikten befasst hat, nicht nur mit solchen zwischen Kindern und Erwachsenen. Der Autor geht jedoch davon aus, dass „Kinder besonders häufig in den Stichproben vertreten sein [dürften].“ (Baurmann 1996: 227)
7
Auf Edathys offizieller Website heißt es, der Rücktritt erfolgte aus „gesundheitlichen Gründen“ (www.edathy.de; Zugriff am 25.09.2014). Beim Aufrufen der Website wird man inzwischen direkt auf das Facebook-Profil Sebastian Edathys umgeleitet (Stand: 07.03.2016).
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äußerte sich Edathy zu Wort: „‚Ich bin nicht pädophil. In der Kunstgeschichte hat der männliche Akt, auch der Kinder- und Jugendakt, eine lange Tradition. Man muss keinen Gefallen daran finden, man darf es aber.‘“ (Medick & Nelles 2014) Vier Monate nach dieser Aussage wurden neben den Nacktbildern auch eindeutig kinderpornografische Materialien gefunden. Im März 2015 wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt. 2013, im Jahr der letzten Bundestagswahl in Deutschland, fand sich die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE unfreiwillig im Mittelpunkt einer Debatte wieder, deren zentrale Akteur*innen sie stellte. Dabei ging es um die in die 1970er und 1980er Jahre zurückgehenden Verbindungen heute noch aktiver Politiker*innen zu pädophilen Gruppierungen beziehungsweise um explizit pädophile Aussagen der Politiker*innen. Wie im taz-Artikel PÄDOPHILIE-AFFÄRE UND DIE GRÜNEN. DIE FATALE SCHWEIGESPIRALE dargestellt, war Jürgen Trittin, bis 2013 Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN im Bundestag, beispielsweise 1981 als Student Presseverantwortlicher des Göttinger Kommunalwahlprogramms der Alternativen-GrünenInitiativen-Liste (AGIL), in welchem von einzelnen Gruppierungen Liberalisierungen sexueller Tätigkeiten zwischen Erwachsenen und Kindern gefordert wurden, insofern diese einvernehmlich stattfinden (Walter & Klecha 2013). Auch zwei weiteren Politikern der GRÜNEN wurde ihre liberale oder sogar bewusst gutheißende Einstellung zu Pädophilie angelastet. Daniel Cohn-Bendit hatte sich schon 2001 dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, während seiner Zeit als Erzieher in den 1970er Jahren sexuelle Begegnungen mit Kindern gehabt zu haben. Diese Anschuldigungen werden auf die Schilderungen in seinem Buch „Le Grand Bazar“ (Cohn-Bendit 1975)8 zurückgeführt, welche er heute als fiktionale und bewusst zur Provokation eingesetzte Passagen verstanden wissen will. Volker Beck wurde ebenfalls mit dem Vorwurf der Solidarisierung mit pädophilen Lobbyist*innen konfrontiert, unter anderem wegen der Veröffentlichung eines Beitrags in dem Buch „Der pädosexuelle Komplex“. 2013 gaben die GRÜNEN deshalb eine Studie beim Göttinger Institut für Demokratieforschung in Auftrag zur Untersuchung der Haltung der Partei bezüglich Pädophilie in den 1980er Jahren (Göttinger Institut für Demokratieforschung 2014; vgl. auch Walter, Klecha & Hensel 2015). Die Studie beschreibt, wie die Partei DIE GRÜNEN zu einer Zeit entstand, in der sowohl in der Wissenschaft 8
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Spiegel-Artikel, der das Buch 1976, also im Jahr nach dem Erscheinen, bespricht. Zu Cohen-Bendits Arbeit als Erzieher heißt es dort lediglich: „Erst in den letzten Jahren wurde der Witzbold, auf seine Weise, seriös: Er schloß sich in Frankfurt einer Gruppe ‚Revolutionärer Kampf‘ an, kümmerte sich um Ausländer, Wohnkommunen und Kindergärten und gründete gemeinsam mit sieben Genossen eine ‚Karl-Marx-Buchhandlung‘.“ (o. V. Der Spiegel Nr. 22 /1976: 94) Cohn-Bendits Aussagen zu Geschlechtsverkehr mit Kindern bleiben in diesem Artikel hingegen unerwähnt.
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als auch in der Öffentlichkeit pädosexuelle Beziehungen als „überwiegend unschädlich“ angesehen wurden (Göttinger Institut für Demokratieforschung 2014: 3). Innerhalb der jungen Partei wurde das Thema der Straffreiheit sexueller Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern jedoch kontrovers diskutiert und so gab es neben Befürworter*innen auch kritische Stimmen (Göttinger Institut für Demokratieforschung 2014: 6f.). Doch nicht nur die Partei DIE GRÜNEN, auch Teile der FDP, insbesondere die links orientierten Nachwuchsgruppen, waren in den 1970er und 1980er Jahren offen für die Forderungen nach einer Straffreiheit von sexuellen Handlungen Erwachsener mit Minderjährigen und sehen sich heute wegen der damaligen Einstellung einiger ihrer Mitglieder Vorwürfen ausgesetzt. So trat zum Beispiel die Politikerin Dagmar Döring Mitte 2013 von der Bundestagskandidatur zurück nach Bekanntwerden des Aufsatzes „Soviel Liebe und Zärtlichkeit. Eine Frau liebt Kinder“ in dem Sammelband „Pädophilie heute“. Laut FAZ fordert sie in dem Text, den sie 1980 im Alter von 19 Jahren verfasst hat, die Straffreiheit von Geschlechtsverkehr mit Kindern und schildert eigene sexuelle Erlebnisse (o. V. 2013). Neben diesen Vorwürfen wegen einer Pädophilie gutheißenden Haltung in der Politik der 1970er und 1980er Jahre kommt es seit den 1990er Jahren im pädagogischen Bereich vermehrt zur Aufdeckung von Missbrauchsfällen. Bekannte Beispiele sind das Canisius-Kolleg Berlin, das Benediktinerkloster Ettal und die reformpädagogische Odenwaldschule, die seit Ende der 1990er Jahre immer wieder Vorwürfen wegen Missbrauchsfällen ausgesetzt war und im Sommer 2015 aufgrund schwindender finanzieller Mittel ihre Pforten endgültig schloss. 2010 gab es, wie bereits beschrieben, erneut eine größere Welle von Anzeigen und Vorwürfen, sowohl gegen die Odenwaldschule als auch gegen Einrichtungen der katholischen Kirche, was zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit dem Thema führte. Der Fall des prominentesten der angeklagten Erzieher*innen der Odenwaldschule, Gerold Becker, wurde inzwischen verfilmt (DIE AUSERWÄHLTEN D 2014, R: Röhl) und hatte am 1. Oktober 2014 seine Erstausstrahlung.9 Weiter existieren zwei Dokumentarfilme zur Odenwaldschule (UND WIR SIND NICHT DIE EINZIGEN D 2011, R: Röhl; GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT D 2011, R: Schmid & Schilling).
4.1.2
Pädophilie und Weißsein
Wie beschrieben unterscheidet sich Pädophilie insofern von anderen als Normabweichung markierten sexuellen Neigungen, dass es im Fall einer ausgelebten Sexualität aufgrund des Missbrauchs von Kindern durch Erwachsenen unumgänglich ist, pädosexuelle Handlungen eindeutig als unzulässig zu definieren. Dennoch kommt 9
Der Schauspieler Ulrich Tukur, der seit 2010 für den HR als Tatort-Kommissar ermittelt, spielt die Hauptrolle.
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Pädophilie wie anderen sexuellen Abweichungen auch in Bezug auf die weiße Gesellschaft die Funktion zu, die „natürliche Ordnung der Unordnung“ (Foucault 1983: 48, vgl. auch Chenier 2010: 36) aufrechtzuerhalten. Pädophile fungieren dabei als „‚innerer Feind‘“, gegenüber dem die ‚normale‘ – und das heißt damit auch die weiße – Kernfamilie als sicherer Ort imaginiert werden kann (Chenier 2010: 36): „In twentieth century discourses, homosexuals and paedophiles function as an ‚enemy within‘. In the bio political state, the family is ground zero for sexual normalisation; by externalising threats to childhood innocence, ‚stranger danger‘ maintains the fiction of the family as a safe haven from sexual danger.“ (Chenier 2010: 36) Vor dem zweiten Weltkrieg wurden Immigrant*innen sowie Mitglieder der Unterschicht als sexuelle Bedrohung von außen betrachtet (Chenier 2010: 37). Die Literaturwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin Elise Chenier sieht dabei den Hauptunterschied darin, dass diese sichtbar vom weißen, männlichen Normmenschen abwichen (Chenier 2010: 37), was beim weißen, männlichen Pädophilen nicht der Fall ist.10 Neben der Verdammung von Pädophilie zirkulieren weitere Narrative, die die Perspektive der weißen, westlichen Welt stützen. So kommt es neben dem „Othering“ von Pädophilen und Homosexuellen beispielsweise zu einer Abgrenzung gegenüber als sexuell abweichend beschriebenen Schwarzen Männern (Chenier 2010: 36): „In this narrative, the savage male African sexual object is reasserted, providing us with a foil to the West’s civilised subject.“ (Chenier 2010: 36) People of Colour werden dabei nie als sexuell ‚normal‘ dargestellt, sondern ihnen wird stets ein Überschuss an Sexualität zugeschrieben oder ihnen wird ein verminderter beziehungsweise nicht vorhandener Sexualtrieb bis hin zur Asexualität unterstellt (Chenier 2010: 41). Dies führt dazu, dass innerhalb des Kosmos der Normabweichung der weiße Pädophile den ‚normalen Pädophilen‘ darstellt (Chenier 2010: 41): „To put it more simply, if the victim of a sexual crime is a person of colour, the incident is typically read by the white mainstream as at worst, a reflection on their ‚race‘, or at best, a problem within a particular community. If the victim is white, and the assailant a person of colour, the crime is read through the lens of racial conflict and difference. Only when both the assailant and the victim are white is the assault read as a broad social problem affecting ‚everyone‘.“ (Chenier 2010: 41)
Dies zeigt sich auch daran, dass westlich-weiße Sextourist*innen mit Vorliebe für kindliche und minderjährige Sexualpartner*innen ihre Neigung in ‚armen‘ Ländern mit nicht-weißer Mehrheitsgesellschaft oft ungestraft ausleben können (Maurer 10
Hier gilt es zu ergänzen, dass selbstverständlich auch der weiße, männliche Pädophile Teil der Unterschicht sein und gegebenenfalls sichtbar vom Normmenschen abweichen kann.
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2014: 424). Unabhängig davon, ob es sich dabei um Pädophile handelt oder ob die Motivationslage eine andere ist, überkreuzen sich hier ökonomische Ungleichgewichte, die in den jeweiligen Ländern – häufig ehemaligen Kolonien ‚weißer Länder‘ – dazu führen, dass Kinderprostitution zur wirtschaftlichen Notwendigkeit wird, wohingegen die Sextourist*innen „[i]hr Verhalten […] nicht selten als Entwicklungshilfe [rechtfertigen]“ (Maurer 2014: 424). Zu untersuchen wäre darüber hinaus, inwiefern es innerhalb von Ländern mit weißer Mehrheitsgesellschaft aufgrund von rassistischen Einstellungen zu sexuellen Übergriffen von Weißen auf nicht-weiße Kinder kommt. Problematisch ist hier, dass aufgrund fehlender Daten und der Schwierigkeit, diese zu erheben, bisher wenig gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen (Kizilhan 2014: 400). Anhand von drei Beispielen soll erläutert werden, dass auch in Deutschland in der Vorstellung der Öffentlichkeit der ‚normale Pädophile‘ weiß ist. Das bereits angesprochene Präventivprogramm KEIN TÄTER WERDEN11 hat aktuell (Stand: November 2015) auf seiner Website drei Videospots, die das Programm bewerben. In einem der Spots, der ebenfalls den Titel „Kein Täter werden“ trägt, werden elf Männer vor einem neutralen Hintergrund gezeigt, von denen jeder ein Stück der folgenden Sätze sagt: „Schon früh hab ich gemerkt // dass ich anders ticke, war schon klar // wie man über solche wie mich denkt // krank // pervers // Abschaum. // Dacht ich ja auch. // Dabei habe ich meine Fantasie // noch nie ausgelebt. Durch die Therapie hab ich // gelernt: Niemand ist schuld an seiner sexuellen Neigung. // Aber jeder verantwortlich für sein Verhalten. Ich will kein Täter werden.“
Alle Männer tragen eine weiße Maske über dem Gesicht und weiße Handschuhe über Händen und Armen. Die Kleidung der Männer suggeriert, dass sie aus unterschiedlichen sozialen Schichten kommen. So gibt es einen Mann in Arztkittel und einen in Anzug mit Krawatte, andere sind in legerer Freizeitkleidung zu sehen oder in sportlichem Outfit.
11
www.kein-taeter-werden.de
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Screenshot 1: Spot „Kein Täter werden.“ (TC 00:06)
Screenshot 2: Spot „Kein Täter werden.“ (TC 00:08)
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Screenshot 3: Spot „Kein Täter werden.“ (TC 00:20)
Hinter der Maske des weißen Normmenschen verbirgt sich hier der Pädophile. Auch die beiden anderen Spots, die auf der Seite des Präventionsnetzwerks abrufbar sind, zeigen Menschen, die als Weiße markiert sind. In dem Spot „lieben sie kinder mehr, als ihnen lieb ist?“ sitzt ein pädophiler Mann im Zug einer weißen, blonden Mutter mit ihrem weißen, blonden Jungen gegenüber. Beide tragen helle Kleidung: die Mutter ein beiges Kostüm, der Junge ein helles kariertes Hemd, unter dem er ein hellgrau-weiß gestreiftes Langarmshirt trägt. Der dritte Spot, der den Titel „Kein Täter werden. Auch nicht im Netz.“ trägt, suggeriert den Ladeprozess eines Bildes im Internet und enthüllt nach und nach ein Foto von vier weißen Personen. Zunächst ist nur ein Mann zu sehen, der lächelnd auf einem Bett sitzt und einen unglücklich aussehenden Jungen mit freiem Oberkörper im Arm hält. Erst danach wird die untere Hälfte des Bildes sichtbar, wo eine lächelnde blonde Frau vor dem Bett auf dem Boden sitzt und die Hand des Mannes hält. Im Bildvordergrund befindet sich ein blondes Mädchen mit einem weißen T-Shirt, das in die Kamera strahlt. Nun wird auch erkennbar, dass der Junge nicht nackt ist, sondern nur einen freien Oberkörper hat und zudem eine helle Hose trägt. Screenshot 4: Spot „Kein Täter werden. Auch nicht im Netz.“ (TC 00:17)
Screenshot 5: Spot „Kein Täter werden. Auch nicht im Netz“ (TC 00:20)
Der Spot „Kein Täter werden. Auch nicht im Netz“ zeigt also ein Bild, das auf den ersten Blick verdächtig wirkt, sich dann aber als (vermutlich) harmlos herausstellt. Auch hier wird ein weißer Mann als Person gezeigt, die zunächst als pädophil wahrgenommen wird beziehungsweise als jemand, der eventuell sexuellen Miss-
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brauch begeht. In allen drei Spots wird also der weiße Normmensch als (potenzieller) Pädophiler präsentiert, dessen sexuelle Neigung nicht an visuellen Merkmalen festgemacht werden kann. Das Objekt der Lust im Spot „lieben sie kinder mehr, als ihnen lieb ist?“ und das vermeintliche Opfer im Spot „Kein Täter werden. Auch nicht im Netz.“ sind hellhäutige Jungen, deren Weißsein auf visueller Ebene durch ihre helle Kleidung verstärkt wird.
4.2
D IE
WEISSE
K ERNFAMILIE
UND IHRE
E LEMENTE
Im Folgenden wird unter Berücksichtigung historisch gewachsener Verhältnisse erörtert, wie die Norm der weißen Kernfamilie beziehungsweise der bürgerlichen Mittelschicht sozial und medial konstruiert wird. Bei der Untersuchung der weißen Kernfamilie und ihrer Elemente steht die Frage im Vordergrund, welche Funktion dieser in einer Gesellschaft mit weißen, westlichen, kapitalistischen, heteronormativen, patriarchalen, sexistischen und rassistischen Strukturen zukommt. Dies kann wichtige Hinweise darauf geben, was für Maßstäbe und Werte gesellschaftlichen Idealen und als ‚normal‘ erachteten Lebensweisen zugrunde liegen und bietet somit eine Grundlage für die spätere Analyse der Tatort-Folgen. Prämisse ist dabei, dass die Kernfamilie in Deutschland, wie sie anhand der aufgearbeiteten Literatur im Folgenden beschrieben wird, als weiße Kernfamilie konstruiert wird. Da die Kernfamilie aus den drei Elementen Mutter, Vater und Kind(ern) besteht, kann neben der Familie als Ganzes auch die Rolle der Mütter, Väter und Kinder einzeln betrachtet werden. Diskutiert werden also folgende vier Komplexe: die weiße Kernfamilie (Kapitel 4.2.1); weiße Mütter beziehungsweise weiße Mutterschaft (Kapitel 4.2.2); weiße Väter beziehungsweise weiße Vaterschaft (Kapitel 4.2.3); weiße Kinder beziehungsweise weiße Kindheit (Kapitel 4.2.4). Zudem wird vorgestellt, wie diese vier Bereiche in den Medien dargestellt werden (Kapitel 4.2.5). Im Hinblick auf Familien wird skizziert, wie sich die weiße Kernfamilie bestehend aus heterosexuellem, verheiratetem Elternpaar mit einem oder mehreren leiblichen Kindern als ‚Normalfamilie‘ und damit als aktuell akzeptierte Form des Zusammenlebens herausgebildet hat und welche Funktionen diese zu erfüllen hat. In Bezug auf weiße Mutterschaft wird zunächst die Rolle der weißen Mutter in der weißen Dominanzgesellschaft betrachtet, wobei hier auch historische Entwicklungen angesprochen werden, und dann der Blick auf aktuelle Phänomene wie Muttererwerbstätigkeit und deren gesellschaftliche Bewertung gelenkt sowie auf das gegenwärtig immer wichtiger werdende Thema der Auslagerung von Hausarbeit an Frauen mit Migrationshintergrund. Weiße Väter sind prinzipiell nahe an dem in Kapitel 2.2.1 beschriebenen Normmenschen positioniert und sollen im Hinblick auf ihre gewandelte Position in der weißen Kernfamilie bestimmt werden und in Bezug
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auf die in der wissenschaftlichen Literatur häufig angeführte ‚Krise der Männlichkeit‘. Wie weiße Mutterschaft und Vaterschaft, so ist auch die Kindheit einem Wandel unterlegen, der in groben Zügen dargestellt werden soll, bevor das Verständnis von Kindheit heute und die Funktion von Kindern für Eltern und Gesellschaft diskutiert werden. Es werden demnach zum einen die Funktionen von Frau, Mann und Kind(ern) innerhalb einer Familie betrachtet, dieser Blick wird zum anderen aber auch ausgedehnt auf die gesellschaftlichen Aspekte der verschiedenen Positionen. Darüber hinaus soll in den jeweiligen Teilbereichen deutlich herausgestellt werden, welche ungleichheitsgenerierenden Kategorien hier relevant sind und in welcher Form, wobei auch auf Überschneidungen geachtet wird. Dabei soll Weißsein über seine Manifestation mit anderen Kategorieausprägungen sichtbar gemacht werden.
4.2.1
Die weiße Kernfamilie
Die Kernfamilie, also „die selbstständige Hausgemeinschaft eines verheirateten Paares mit seinen unmündigen Kindern“ (Peuckert 2008: 16) ist gegenwärtig die familiale Form des Zusammenlebens, die als die „normale“ erscheint (Peuckert 2008: 20) und gesellschaftlich besonders akzeptiert wird sowie rechtlich begünstigt ist. Die Ehe ist statistisch gesehen heute weiterhin die häufigste Form der Lebensgemeinschaft eines Paares mit Kindern (Nave-Herz 2009: 21). Auch wenn die heterosexuelle Kernfamilie die Norm darstellt, an welcher andere Lebensentwürfe wie alleinerziehende Mütter oder Väter, unverheiratete Eltern, homosexuelle Familien etc. gemessen werden, hat sich diese Form des Zusammenlebens in Deutschland erst in den letzten 200 Jahren herausgebildet (Bargatzky 1997: 103). Zuvor war in Deutschland das gemeinschaftliche Wohnen in größeren Verbünden üblich, zu denen nicht nur Verwandte, sondern ein erweiterter Kreis von Personen gehörte, wie beispielsweise Mägde und Knechte in der im Mittelalter und in der Neuzeit vorherrschenden „große[n] Haushaltsfamilie“ (Weber-Kellermann 1984: 14–16, Herv. entf.). So bildete sich auch der Begriff ‚Familie‘ erst im späten 17. beziehungsweise vermehrt dann im 18. Jahrhundert heraus, wobei zuvor die Bezeichnung ‚Haus‘ gebräuchlich war (Gestrich 2013: 4). Ein historischer Blick auf die Familie macht darüber hinaus die Verknüpfung mit verschiedenen Herrschaftsstrukturen deutlich. So hat die Volkskundlerin Ingeborg Weber-Kellermann festgestellt, dass sich zum einen „als großes Leitmotiv das Prinzip des Patriarchalismus in immer neuen Kombinationsmustern wiederholt“ (Weber-Kellermann 1984: 10) und zum anderen ökonomische Verhältnisse großen Einfluss auf die Formen des Zusammenlebens haben (Weber-Kellermann 1984: 16). Der Zeitpunkt des Entstehens der Kernfamilie ist demnach auch nicht zufällig, sondern geht mit wirtschaftlichen Entwicklungen innerhalb einer kapitalistischen Ordnung einher. Durch die Industrielle Revolution
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kam es zu tiefgreifenden, strukturellen Veränderungen der Gesellschaft, im Zuge derer sich die sozialen Aufgaben und damit auch die von Familie und Ehe weiter ausdifferenzierten (Peuckert 2008: 20). Der Soziologe Rüdiger Peuckert sieht damit „die Herausbildung der bürgerlichen Kleinfamilie als ‚Normalfamilie‘ als Ergebnis eines funktionalen Differenzierungsprozesses von Gesellschaft“ (Peuckert 2008: 20, Herv. i. O.) an. Dadurch entstand das Ideal einer Familie, die nicht mehr in erster Linie auf ökonomischen Prinzipien basiert, sondern verstärkt durch emotionalen Austausch definiert wird (Peuckert 2008: 17). Dies führte auch zum Aufkommen der auf Monogamie beruhenden Liebesheirat (Peuckert 2008: 18f.) im Gegensatz zur durch Verwandte mitbestimmten Heirat mit vertraglichen Regelungen der Finanzen, die vor allem in der Oberschicht üblich war (Nave-Herz 2013: 122)12. Die Kernfamilie entstand zunächst im Bürgertum, bevor sie auch in anderen Schichten realisiert wurde, wobei Soziolog*innen erst seit den 1950er Jahren von einer tatsächlichen Dominanz der Kernfamilie in Deutschland sprechen (Peuckert 2008: 19; BeckGernsheim 2010: 17). Mit der Herausbildung der Kernfamilie verstärkte sich die Festlegung der Geschlechterrollen auf bestimmte Teilbereiche (Peuckert 2008: 19; Nave-Herz 2013: 44): Der Mann und Vater war für den Außenbereich und das Erwerbseinkommen zuständig, die Frau und Mutter für den Innenbereich, also Haushalt und Kindererziehung (Nave-Herz 2009: 38; Bargatzky 1997: 104), wobei die Position der Frau „sich damit mehr und mehr jener der unmündigen Kinder [näherte]“ (Bargatzky 1997: 104). Darüber hinaus kam es im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch zu einer Verstärkung der Vorstellung unterschiedlicher Charaktereigenschaften von Frauen und Männern, wobei der Frau die Merkmale „Passivität, Emotionalität und Mütterlichkeit“ zugeschrieben wurden, dem Mann hingegen „Aktivität, Rationalität und Berufsorientierung“ (Gestrich 2013: 5f.). Auffällig ist dabei, dass die Definition der Frau über ihre Rolle als Mutter auf der Seite des Mannes mit seiner Berufstätigkeit korrespondiert, wobei die Rolle des Mannes als Vater nicht als primäres Charakteristikum aufgefasst wird. Das Modell der Kernfamilie hat sich demnach historisch in einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umständen herausgeprägt. Dabei kommt es häufig zu einer Abwertung anderer Familienformen sowohl im eigenen Kulturkreis – sprich innerhalb von Deutschland – als auch gegenüber anderen, wobei die Herabminderung hier aus eurozentrischer Perspektive geschieht. Auch wenn das Ideal der Kernfamilie und die Institution der Ehe bereits seit Mitte der 1960er Jahre in Deutschland sowohl durch konkrete Lebensentwürfe als auch durch Kritik bestimmter 12
Als Beispiel dafür, wie lange die Herkunftsfamilie zumindest ein Mitbestimmungsrecht bei der Partner*innenwahl beanspruchte, nennt Nave-Herz den Umstand, dass noch bis vor rund 40 Jahren der potenzielle Ehemann die Erlaubnis der Brauteltern für die Heirat einholen musste (Nave-Herz 2013: 125).
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Gruppen hinterfragt wurden (Peuckert 2008: 21), fungiert die Form des Zusammenlebens von einem heterosexuellen verheirateten Paar aus der Mittelschicht mit eigenen biologischen Kindern (deren Anzahl nicht zu groß werden darf) in einer Wohngemeinschaft immer noch als Norm. Die Ausgestaltung des Zusammenlebens wird seit dem Voranschreiten der Auflösung des traditionellen Modells, nach dem der Vater für das Einkommen und die Mutter für Haushalt und Kinder verantwortlich ist, immer noch verhandelt und ist Grund für zahlreiche innerfamiliäre und gesellschaftliche Konflikte. Wie dargestellt, entstand die weiße Kernfamilie im Bürgertum. Die Dominanz der weißen Mittelschichtsfamilie führt dabei nicht nur zu einer Diskriminierung nicht-weißer Familien, sondern auch zur Abwertung weißer Familien der Unterschicht. In den USA werden diese als ‚White Trash‘ bezeichnet, ein Begriff, der die beiden ungleichheitsgenerierenden Kategorien Klasse und ‚Rasse‘ miteinander verbindet (Newitz & Wray 1997: 4; vgl. auch Kapitel 3.2.2.2). Diese sprachliche Herabsetzung finanziell schwacher Familien dient der Mittel- und Oberschicht dazu, ein gemeinsames Überlegenheitsgefühl zu entwickeln (Newitz & Wray 1997: 1). Zum White Trash werden dabei Familien gezählt, die finanziell schlecht gestellt sind, oft auf dem Land leben und häufig in sogenannten Trailer Parks wohnen, als ignorante Rassist*innen gelten und in denen die Männer angeblich ihre Frauen schlagen (Wray 2006: 2; Newitz & Wray 1997: 7; Bérubé & Bérubé 1997). In Deutschland gibt es keinen vergleichbaren rassistischen Terminus zur Bezeichnung ‚armer‘ weißer Familien. Als deutsches Äquivalent können eventuell die Begriffe ‚Hartzer*innen‘ oder ‚Hartz IV-Familie‘ gesehen werden, denn mit diesen werden ähnliche Merkmale verbunden: Armut, Arbeitslosigkeit, Ungepflegtheit, niedriger Bildungsstand, Kinderreichtum und Sozialwohnungen.13 In Bezug auf die heute in Deutschland vorkommenden Familienmodelle lässt sich aufgrund des „Familienbildungsprozess[es]“ folgende Typologisierung vornehmen: „1. Eltern-Familie aufgrund biologischer Elternschaft; 2. Adoptionsfamilie; 3. Stieffamilie bzw. Fortsetzungsfamilie; 4. Patchwork-Familie […]; 5. Pflegefamilie; 6. Inseminationsfamilie (= durch die Reproduktionsmedizin).“ (Nave-Herz 2008: 708) Die erste genannte Familienform entspricht dabei wie dargestellt der als ‚normal‘ empfundenen Familie, wohingegen die anderen Formen Abweichungen darstellen. Die Familiensoziologin Rosemarie Nave-Herz schlägt außerdem weitere Typologisierungen vor, die auf anderen Faktoren beruhen, wie beispielsweise der Anzahl der involvierten Generationen, der „Rollenbesetzung in der Kernfamilie“ 13
Da Hartz IV auch nicht deutsche Personen sowie nicht-weiße Deutsche beziehen können, stellt der Zusammenhang von Weißsein und Hartz IV-Bezug ein spannendes Feld für zukünftige Forschungsarbeiten dar, beispielsweise im Hinblick auf die mediale Darstellung von weißen ‚Hartz IV-Familien‘ und nicht-deutschen bzw. nicht-weißen Familien, die Hartz IV empfangen.
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(z. B. „Zwei-Eltern-Familie bzw. Eltern-Familie“ vs. „Ein-Eltern-Familie bzw. Vater- oder Mutter-Familie“ vs. die in Deutschland nicht zulässige „polygame Familie“), dem Wohnsitz und „der Erwerbstätigkeit der Eltern“, wobei dabei unterschieden werden kann zwischen Familien, in denen ein Elternteil Vollzeit arbeitet und das andere gar nicht, in denen beide Elternteile berufstätig sind und in denen beide Elternteile Karriere machen („Dual-Career-Family“) (Nave-Herz 2008: 708f.). Nach Nave-Herz kommen Familie und Ehe fünf Funktionen zu: Reproduktion, Sozialisation, Platzierung, Freizeit und Spannungsausgleich. Die Reproduktionsfunktion (Nave-Herz 2013: 79-88) der Familie regelt die Zeugung von Nachkommen14, wohingegen die Sozialisationsfunktion (Nave-Herz 2013: 88-91) sich mit der Erziehung dieser Nachkommen befasst. Bei der Platzierungsfunktion (NaveHerz 2013: 92-95) geht es um die Zuweisung der Nachkommen zu ihrer gesellschaftlichen Position, die beispielsweise vom (ermöglichten) Bildungsgrad abhängt. Die Freizeitfunktion (Nave-Herz 2013: 96-100) ist eine der neueren Funktionen der Familie und beschreibt das gemeinsame Verbringen von Erholungszeit. Die Spannungsausgleichsfunktion (Nave-Herz 2013: 100-102) hingegen zielt auf die emotionale Unterstützung der (Ehe-)Partner*innen beispielsweise im Hinblick auf berufliche Schwierigkeiten und der Eltern in Bezug auf ihre Kinder. Aus systemtheoretischer Sicht werden „[a]ls spezialisierte Leistung vom Familiensystem die Produktion und Stabilisierung der personellen Umwelten für alle übrigen Sozialsysteme erwartet“, womit die Familie für die Gesellschaft den Zweck der „Bildung und Erhaltung von Humanvermögen“ erfüllt (Nave-Herz 2013: 103), auch wenn dies durch romantische Vorstellungen von Liebesheirat und Familiengründung oft verdeckt bleibt (Nave-Herz 2013: 103). Die genannten Funktionen der Familie können im Hinblick auf die weißen, rassistischen, kapitalistischen und sexistischen Strukturen der Gesellschaft expliziert werden. So fungieren beispielsweise die Ehe und die sozialen Erwartungen bezüglich Treue, die besonders für Frauen gelten (Wollrad 2005: 93), als Absicherung dafür, dass aus einer (als weiße gedachten) Beziehung auch die ‚richtigen‘ Nachkommen hervorgehen. Während diese Regelungen früher auch gesetzlich festgeschrieben waren, beispielsweise im 1912 in Deutschland15 erlassenen „Mischehenverbot[]“ (Baquero Torres & Meyer 2014: 50), erreichten sie während der Zeit des Na-
14
Nave-Herz nennt neben der biologischen Reproduktionsfunktion noch die soziale Reproduktionsfunktion der Familie, worunter sie „die physische und psychische Regeneration ihrer Mitglieder“ (Nave-Herz 2013: 85) fasst, insbesondere die Erledigung häuslicher Tätigkeiten (Nave-Herz 2013: 86).
15
In den deutschen Kolonien wurden „Mischeheverbote“ bereits einige Jahre früher eingeführt (El-Tayeb 2001: 98).
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tionalsozialismus in den sogenannten Nürnberger Gesetzen16 beispielsweise durch die Sterilisation Schwarzer Menschen einen grausamen Höhepunkt, schlugen sich in den 1950er und 1960er Jahren darin nieder, dass Mutterschaft nur für weiße Frauen denkbar war (Baquero Torres & Meyer 2014: 65, 71) und werden heute immer noch fortgeführt, wenn auch eher implizit, etwa durch die Abwertung von Nachkommen von Migrant*innenfamilien. So beschwört der frühere SPD-Politiker Thilo Sarrazin etwa eine angebliche Übermacht der „Kopftuchmädchen“: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“ (Thilo Sarrazin im Interview mit der Kulturzeitschrift „Lettre International“ vom Herbst 2009, zit. n. Kalwa 2013: 263). Diese Beispiele verweisen auf die ungleichheitsgenerierenden Kategorien ‚Rasse‘/Ethnizität und Geschlecht und damit auf die rassistischen und sexistischen Aspekte der Reproduktionsfunktion, die hier mit den anderen genannten Funktionen zusammenwirkt und deren ökonomische Aufgabe beispielsweise darin besteht, Kapital17 in bestimmten Gruppen zu halten und es anderen vorzuenthalten. Die immer noch ungünstigere Position der Frau innerhalb der Familie, in der der Mann häufiger der Haupt- oder alleinige Verdiener ist und somit Vorteile bezüglich Reichtum und bei unverheirateten Paaren auch bei den Rentenpunkten erlangt, spiegelt die sexistische und patriarchale Seite des Systems wider. Die Weigerung hingegen, Homosexuellen eine der Hetero-Ehe gleichgestellte Heirat zu ermöglichen, zeigt die homophoben Seiten auf.
4.2.2
Weiße Mütter, weiße Mutterschaft
Im Folgenden sollen drei Aspekte weißer Mutterschaft erörtert werden: Zunächst wird die Rolle der weißen Mutter für die weiße Dominanzgesellschaft beleuchtet; als zweites soll die heute in vielen Zusammenhängen relevante und diskutierte Müttererwerbstätigkeit als Folge der veränderten Familienverhältnisse diskutiert werden; und drittens geht es um migrantische Haushaltshilfen und die Norm der weißen Mittelschichtsfrau und damit das Zusammenspiel von ‚Rasse‘, Klasse und Geschlecht. Bereits im Kaiserreich ist die „weiße Frau als Trägerin deutscher Kultur“ instrumentalisiert worden (Walgenbach 2005). Dabei wird die Mutterschaft weißer Frauen grundsätzlich anders als die Schwarzer Frauen bewertet. Wollrad sieht den Grund dafür darin, dass weiße Mütter „Kultur und damit zukünftige Herrschafts16
Zu den Nürnberger Gesetzen siehe ausführlich die Habilitation der Historikerin Corne-
17
Unter ‚Kapital‘ wird mit dem Soziologen Pierre Bourdieu „akkumulierte Arbeit“ ver-
lia Essner (2002). standen „entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter, ‚inkorporierter‘ Form“ (Bourdieu 1983: 183).
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eliten produzieren“, was eine Teilhabe an der „[w]eiße[n] männliche[n] Herrschaft“ bedeutet, wohingegen Schwarze Mütter „zukünftige auszubeutende Arbeitskräfte“ hervorbringen (Wollrad 2005: 91f.). Die weiße Mutterschaft ist damit konstitutiv für die weiße Gesellschaft insgesamt und auch für die weiße Vorherrschaft, denn „[w]eiße Dominanz ist ohne die Institution der Weißen Mutterschaft im biologischen Sinne nicht denkbar“ (Wollrad 2005: 93). Damit steht die weiße Mutterschaft damals wie heute im Dienste der von weißen, patriarchalen und sexistischen Strukturen durchdrungenen Gesellschaft. Die von der weißen Mehrheitsgesellschaft gewünschte, das heißt gesellschaftlich akzeptierte, geschätzte und mit Machtteilhabe belohnte weiße Mutterschaft, ist an Bedingungen geknüpft wie beispielsweise monogames Verhalten, Heterosexualität und Zugehörigkeit zur Mittelschicht, aber auch loyales Verhalten gegenüber weißen Männern, welches sich unter anderem in der Wahl weißer Männer als Ehe- und Sexualpartner niederschlägt (Wollrad 2005: 93ff.). Da weiße Weiblichkeit allerdings auch über Reinheit, Unschuld und Jungfräulichkeit definiert wird, stellt die weiße Mutterschaft, obwohl durch die weiße Gesellschaft gewünscht und gefordert, immer auch eine Unzulänglichkeit der weißen Frau dar, da sie nur über sexuelle Handlungen erlangt werden kann, wodurch die Reinheit befleckt und das Weißsein der Mütter getrübt wird (Wollrad 2005: 94): „Doch trotz des privilegierten Standes können selbst solche Weißen Frauen, die alle Kriterien der Institution Weißer Mutterschaft erfüllen, im christlich-kulturellen Kontext nie ganz Weiß werden, denn der Makel der Sexualität als Voraussetzung der Gebärarbeit bleibt als ‚Befleckung‘ an ihnen haften. Nur eine ist trotz Mutterschaft unbefleckt geblieben: die Jungfrau Maria. Im dominanten Christentum repräsentiert sie die ideale Verschmelzung von Weißsein, Weiblichkeit, Macht, Mutterschaft und Jungfräulichkeit.“ (Wollrad 2005: 94)
Die Relativität der heute vorherrschenden Vorstellungen von ‚guter Mutterschaft‘, zeigt sich auch darin, dass es diese so früher nicht gab. Der Historiker Edward Shorter bezeichnet „[g]ood mothering“ als „an invention of modernization“ (Shorter 1976: 168). Die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Deborah Chambers verweist auf die intersektionale Verknüpfung von weißer Mutterschaft mit Klasse und ‚Rasse‘, wenn sie für das Großbritannien der 1950er Jahre feststellt, dass „an ideology of ‚bad mothering‘ was firmly associated with working-class and non-white families“ (Chambers 2001: 53). Während die genannten Mechanismen heute zwar Diskurse um weiße Mutterschaft und die Rolle der Frauen in der Gesellschaft allgemein mitbestimmen, werden sie nicht direkt öffentlich verhandelt. Anders steht es jedoch um einen weiteren Aspekt der Mutterschaft, der Müttererwerbstätigkeit. Franz-Josef Wuermeling, erster Familienminister der Bundesrepublik Deutschland (1953–1962), äußerte sich mit folgenden Worten zur Erwerbstätigkeit von Müttern: „Mutterberuf ist Hauptberuf… und hat höheren Wert als jeder Erwerb-
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beruf. Und niemand kann zwei Hauptberufe gleichzeitig ausfüllen. Deswegen ist Müttererwerbstätigkeit ‚erzwungenes Unheil‘, dem mit aller Kraft entgegenzuwirken ist.“ (Beck-Gernsheim 2010: 9) Ein Blick auf § 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zeigt, wie sich die Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts langsam verschoben haben. So wurde die Formulierung „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, so weit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist“ (BGBl 26/1957: 609) 1976 durch die folgende Formulierung ersetzt „(1) Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen. […] (2) Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein. Bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben sie auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen.“ (BGBl 67/1976: 1421)18 Zwar hat sich in den letzten 60 Jahren an der Einstellung zur Erwerbstätigkeit von Müttern viel geändert und vor allem ab den 1970er Jahren setzte ausgelöst durch die Frauenbewegung und die Forderung nach mehr Gleichberechtigung (Beck-Gernsheim 2010: 10) ein verändertes Verständnis von Frauen, Mutterschaft und Erwerbstätigkeit ein. Dennoch hält die deutsche Bevölkerung im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern immer noch an traditionellen Vorstellungen von Mutterschaft fest (Nave-Herz 2013: 188). Die Ansicht, dass gute Mutterschaft nicht mit Erwerbstätigkeit vereinbar sei,19 ist immer noch in den Köpfen zahlreicher Menschen verankert und kann als ein Grund für den Verzicht vieler Frauen auf Kinder gelten (Nave-Herz 2002: 55). Weitere Ursachen für die seit Mitte der 1960er Jahren relativ kontinuierlich sinkende Geburtenrate in Deutschland können in der mangelnden Infrastruktur bezüglich der Betreuungsangebote gesehen werden, in der Möglichkeit der Geburtenkontrolle durch die Antibabypille und in dem Umstand, dass Frauen neben der Berufstätigkeit meist auch noch den Großteil der (unbezahlten) Hausarbeit sowie der Erziehungsarbeit leisten (Nave-Herz 2002: 53; 60), wodurch es aus kapitalismus- und patriarchatskritischer Sicht zu einer „doppelten Vergesellschaftung von Frauen“ (Becker-Schmidt 2003: 1) kommt. Am Beispiel der Kinderlosigkeit von Frauen lässt sich das Zusammenspiel von individuellen und 18
Auch wenn in diesem Rahmen nicht näher darauf eingegangen werden soll, darf an dieser Stelle doch ein Hinweis darauf nicht fehlen, dass die Frauen- und Familienpolitik in der DDR grundsätzlich anders gelagert war. Die Erwerbstätigkeit von Frauen wurde massiv gefördert und unter anderem durch den flächendeckenden Ausbau von Kinderkrippen möglich gemacht.
19
Die Diskussionen um das 2013 eingeführte Betreuungsgeld für Elternteile (faktisch nahezu ausschließlich von Müttern beantragt), die ihre Kinder unter drei Jahren zu Hause betreuen und keinen Krippen-/Kindergartenplatz in Anspruch nehmen, gründen u. a. auf dieser Vorstellung. Im Juli 2015 hat das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld schließlich für verfassungswidrig erklärt.
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strukturellen Faktoren gut beobachten: Norm- und Wertvorstellungen wie ‚Gute Mütter können nicht (Vollzeit) erwerbstätig sein‘ können sich zum einen direkt in einer individuellen Entscheidung von Frauen gegen Kinder niederschlagen, können andererseits aber auch auf struktureller Ebene wirksam werden, wenn sie beispielsweise implizit auf Aushandlungsprozesse bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen für Mütter und Eltern einwirken und auf die Bereitschaft der Politik, Angebote der Kinderbetreuung auszubauen. Da viele Gesetze zudem immer noch auf dem Bild der Kernfamilie mit traditioneller Rollenaufteilung rekurrieren und diese folglich begünstigen, haben Mütter – insbesondere im Scheidungsfall – oft mit weniger Rentenbezügen zu rechnen (Thiessen & Villa 2009: 10). Unter Bezug auf die Kategorie Klasse identifiziert Nave-Herz drei Gruppen von Müttern: 1. „[D]ie Mütter als ‚Vollzeit-Hausfrauen‘, die das traditionelle Modell praktizieren“; 2. „[D]ie erwerbstätigen Mütter mit niedrigem Einkommen und die in informellen Beschäftigungsverhältnissen arbeitenden“; 3. „[…] die erwerbstätigen Mütter mit privater Hilfe. Diese Hilfe kann sehr unterschiedlich organisiert sein […].“ (Nave-Herz 2009: 53f.) Den Diskussionen um die Erwerbstätigkeit von Müttern liegt häufig die Norm der weißen Mittelschichtsfrau zugrunde, also der dritten von Nave-Herz genannten Gruppe, ohne dass dies explizit gemacht werden würde. So geschieht die Kritik an einem Familienmodell mit traditioneller Rollenverteilung häufig aus der Perspektive weißer Frauen der Mittelschicht. Doch die Bedeutung der Familie variiert für verschiedene Gruppen von Frauen: Für Frauen der Unterschicht kann die Hausarbeit die bessere Alternative zu einer körperlich belastenden und nicht als Selbstverwirklichung verstandenen Erwerbstätigkeit sein und für Schwarze Frauen bietet die Familie oft einen Schutzraum vor Rassismus und ist deshalb positiv besetzt (Rommelspacher 1995: 99). Die ungleichheitsgenerierenden Kategorien Klasse, ‚Rasse‘ und Geschlecht wirken auch zusammen, wenn Frauen mit gutem Einkommen und höherem Bildungsgrad häusliche Tätigkeiten an eine Haushaltshilfe delegieren, die häufig Migrationshintergrund hat, was nicht von ungefähr wie ein sanfter Widerklang kolonialer Zeiten anmutet. Diese Übertragung von häuslichen Aufgaben an Dritte ist auch deshalb problematisch, „weil es sich zumeist um die – frauenpolitisch gesehen – sehr problematischen informellen Beschäftigungsverhältnisse handelt, also ohne Versicherungs- und Rentenanspruch bzw. -schutz“ (NaveHerz 2009: 53). Ein weiteres Beispiel für die Verknüpfung von Klasse, ‚Rasse‘ und Geschlecht ist der zu Tage tretende Rassismus, „wenn Tagesmütter sich weigern, Schwarze Kinder in Pflege zu nehmen“ (Rommelspacher 1995: 98).
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Dieser Überblick hat gezeigt, dass weiße Mütter und weiße Mutterschaft eingebettet ist in ein kapitalistisches System (beispielsweise im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit von Müttern), mit patriarchalen und sexistischen Wirkweisen (Stichwort: doppelte Vergesellschaftung), das oft mit neokolonial anmutenden Praktiken und einer bestimmten Klassenzugehörigkeit korrespondiert (Abgabe häuslicher Tätigkeiten an Frauen mit Migrationshintergrund).
4.2.3
Weiße Väter, weiße Vaterschaft
Im Folgenden wird der Begriff der ‚neuen Väter‘ eingeführt und dargestellt, weshalb heute von einer Krise des Mannes gesprochen wird, die auch mit dessen Position in der Familie in Zusammenhang steht. Im Gegensatz zur Mutterschaft ist die Vaterschaft weniger gut erforscht (Nave-Herz 2009: 55). Wenn man davon ausgeht, dass weiße heterosexuelle Männer den Normmenschen am ehesten verkörpern, ist es wenig verwunderlich, dass diese nicht speziell in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen gerückt wurden, sondern eher die von der Norm abweichenden ‚Anderen‘ im Interesse der Forscher*innen standen. Erste Studien zu Vätern gibt es in Deutschland erst seit den späten 1970er Jahren (Possinger 2013: 20). Es kann zwischen der traditionellen Vaterschaft mit herkömmlicher Rollenaufteilung zwischen Vater und Mutter und der sogenannten neuen Vaterschaft unterschieden werden (Possinger 2013: 16). Der Begriff der ‚neuen Väter‘ kam vor allem im Zuge von Änderungen bei der Elternzeitregelung auf im Zusammenhang mit Vätern, die Elternzeit in Anspruch nehmen. Er suggeriert, dass sich die Väter inzwischen stärker in die Familie einbringen. Die Realität sieht 2013 allerdings noch anders aus: Rund 80 Prozent der Väter, die Elternzeit nehmen, begnügten sich mit den zwei Monaten Mindestbezugsdauer und durchschnittlich wurden in Deutschland nur gut drei Monate Elternzeit durch Väter in Anspruch genommen (Statistisches Bundesamt 2015c: 1). Noch immer sind die Väter meistens die Hauptverdiener, während die Mütter sich um die Familie kümmern und dafür ihre Erwerbstätigkeit zeitweise oder dauerhaft aufgeben (Possinger 2013: 15). Die Vaterschaft kann zudem weitere finanzielle Vorteile mit sich bringen. Die Soziologin Rebecca Glauber hat dies für den US-amerikanischen Raum anhand des Prämienlohns untersucht und stellt fest, dass vor allem verheiratete weiße Männer durch Heirat und Nachwuchs profitieren. Während die Ehe eine Variable ist, ohne die in den USA auch als Vater keine Prämie erreicht wird, wirkt der Faktor ‚Rasse‘ auf die Höhe der Prämien ein (Glauber 2007: 63). Weiße Väter erhielten 7 Prozent mehr Lohn bei einem Kind und 11 Prozent mehr Lohn, wenn sie zwei Kinder hatten (Glauber 2007: 62). Glauber verortet den Prämienvorteil von Vätern damit im Schnittpunkt der Kategorien Geschlecht, Klasse und ‚Rasse‘ (Glauber 2007: 36).
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In den USA hat die seit den 1970er Jahren stattfindende Offenlegung von weißen Männern als Norm und die damit einhergehende Dezentrierung und Kritik an ihrer Macht dazu geführt, dass heute eine Krise des weißen Mannes konstatiert wird (Robinson 2000): „In post-sixties American culture, white men have become marked men, not only pushed away from the symbolic centers of American iconography but recentered as malicious and jealous protectors of the status quo.“ (Robinson 2000: 5, Herv. i. O.) Die Amerikanistin und Geschlechterforscherin Sally Robinson sieht darin eine Strategie weißer Männer, sich selbst als „physically wounded and emotionally traumatized“ zu präsentieren (Robinson 2000: 6). Die Krise des weißen Mannes und der Maskulinität ist dabei auch von Relevanz in Bezug auf die weiße Kernfamilie, da sie verknüpft ist mit dem Aufbrechen traditioneller Rollenbilder und Erwerbstätigkeit. So betrachtet die Soziologin Raewyn Connell die Brüchigkeit „hegemoniale[r] Männlichkeit“ unter anderem im Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit in der arbeitenden Klasse, die in Konflikt mit dem Verständnis vieler Männer als „‚Familienernährer[]‘“ gerät (Connell 2015: 147). Auch in Deutschland ist der Topos vom Mann in der Krise inzwischen angekommen und hat sich in Publikationen mit Titeln wie „Die Krise der Kerle. Männlicher Lebensstil und der Wandel der Arbeitsgesellschaft“ (Gesterkamp 2007), „Männer im Konflikt. Traditionen, ‚Neue Vaterschaft‘ und Kinderlosigkeit“ (Janzen 2010) oder einer Ausgabe der Zeitschrift „figurationen“ mit dem Titel „Krisenfigur Mann. Male crisis“ (vgl. z. B. Aufsatz von Kappert 2002 zu „normativer Männlichkeit“) niedergeschlagen. Ebenso wurde in Deutschland auch auf den Zusammenhang von Klasse und Geschlecht aufmerksam gemacht (Gesterkamp 2007). Die enge Verknüpfung traditioneller Vorstellungen von Männlichkeit mit Erwerbstätigkeit (Scholz 2007: 51) verweist auf die kapitalistische Komponente der ungleichheitsgenerierenden Kategorie Geschlecht, deren andere Seite die bereits erwähnte im Normalfall größtenteils durch Frauen geleistete und damit kostengünstige beziehungsweise kostenfreie Reproduktionsarbeit ist (Seeliger 2011: 85). Aktuelle Entwicklungen führen hier zu Diskrepanzen zwischen Erwartungen und Wirklichkeit und bergen damit ein Konfliktpotenzial, das sich auch innerhalb der familialen Verbünde bemerkbar macht.
4.2.4
Weiße Kinder, weiße Kindheit
Die gesellschaftliche Bedeutung von Kindern und Kindheit hat sich seit dem Mittelalter grundlegend geändert. Im Folgenden soll dieser Wandel kurz nachvollzogen werden, bevor auf die heutige Situation eingegangen wird und auf die Funktion, die Kinder aktuell innerhalb der weißen Kernfamilie einnehmen. Während unter dem Begriff „Kinder“ die „menschlichen Wesen“ selbst gefasst werden, soll „Kindheit“ als ein „sich wandelndes Ideensystem“ (Cunningham 2006: 12) begriffen werden.
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Prämisse ist dabei, dass die heute in Deutschland vorherrschende Vorstellung von Kindheit als eine spezifisch weiße erkannt werden kann. Denn auch wenn Kindheit regional sowie schichtspezifisch geprägt ist, hat der Historiker Hugh Cunningham festgestellt, „dass es in Europa und Nordamerika bestimmte vergleichbare Veränderungsmuster in der Erfahrung der Kindheit gibt, an der schließlich alle sozialen Schichten und beide Geschlechter ihren Anteil hatten“ (Cunningham 2006: 12) und die mit „der übergreifenden Geschichte der westlichen Gesellschaft“ (Cunningham 2006: 33) in Zusammenhang stehen. Dass Cunningham von einem spezifisch weiß-westlichen Kindheitsverständnis ausgeht, zeigt sich auch am Titel der englischen Originalausgabe („Children and childhood in Western society since 1500“), bei welchem im Gegensatz zum Titel der deutschen Ausgabe („Die Geschichte des Kindes in der Neuzeit“) explizit der Bezug zur westlichen Gesellschaft hergestellt wird. Der Umstand, dass in der deutschen Übersetzung des Titels der Begriff „Western society“ herausgekürzt wurde, verweist möglicherweise auf einen unterschiedlichen Grad an Reflektiertheit und Sichtbarkeit von Weißsein und ist ein weiterer Beleg für die These, dass in Deutschland unter ‚unseren Kindern‘ beziehungsweise ‚unserer Familie‘ implizit stets weiße Kinder und weiße Familien verstanden werden. Es wird hier als vertretbar erachtet, den Begriff „westlich“, wie Cunningham (2006) und andere ihn nutzen, weitgehend synonym zum Begriff „weiß“ zu setzen, denn die Gemeinsamkeiten zwischen den jeweiligen Bedeutungen erscheinen für den vorliegenden Kontext wichtiger als die Unterschiede. Der Literaturtheoretiker Edward W. Said benutzt die Begriffe „weiß“ und „westlich“ ebenso großteils synonym, wenn er beispielsweise den Binarismus von „white“ versus „colored“ in einem Zug mit „Occidental“ versus „Oriental“ und damit „westlich“ versus „östlich/orientalisch“ nennt und in diesem Zusammenhang sogar den Terminus „Occidental-white“ (Said 1979: 228, Herv. i. O.) verwendet. Im Mittelalter existierte Kindheit als vom Erwachsenenalter abgegrenzte Lebensphase zunächst nicht (Ariès 1980: 214). Mit dem Begriff ‚Kind‘ wurde auf verwandtschaftliche Beziehungen verwiesen, nicht auf ein bestimmtes Lebensalter (Bründel & Hurrelmann 1996: 16). „Kinder waren so etwas wie die Miniaturausgabe von Erwachsenen“, weshalb auch nicht zwischen einer Sphäre der Kinder und der Erwachsenen unterschieden wurde (Bründel & Hurrelmann 1996: 16). In den ersten Lebensjahren, in denen das Kind körperlich und geistig noch nicht in der Lage war, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wurde es von seiner Mutter oder einer Amme versorgt, doch sobald es eine gewisse Selbstständigkeit erlangt hatte, war diese Phase vorüber (Ariès 1980: 214). In dieser ersten Lebensphase war die Sterblichkeitsrate sehr hoch, weshalb dem etwaigen Tod von Babys beziehungsweise Kleinkindern keine hohe Bedeutung zugemessen wurde: Sie galten als ersetzbar (Ariès 1980: 214; Bründel & Hurrelmann 1996: 16). Somit kam es im Mittelalter zu einer „unterschiedslosen Vermischung der Altersstufen“ (Ariès 1980: 214). Eine
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Aufgliederung der ungleichheitsgenerierenden Kategorie ‚Alter‘ in Kinder, Jugendliche und Erwachsene, wie sie heute anzutreffen ist, gab es demnach noch nicht beziehungsweise sie begann sich in dieser Zeit erst zu formieren. Im späten Mittelalter machten sich erste Veränderungen bemerkbar. Erziehung und Bildung waren die Ideale, die im 14. Jahrhundert dazu führten, dass die Phase der Kindheit als solche begrifflich gefasst wurde, wobei dies ein exklusiv bürgerliches Phänomen war (Bründel & Hurrelmann 1996: 17f.). Folglich gab es auch noch keine Rechte, die Kinder in besonderer Weise schützten und erst ab Ende des 16. Jahrhunderts konnten Kinder mit einer besonderen Behandlung aufgrund ihres Alters rechnen (Ariès 1980: 186), wobei das Ziel der damaligen Erziehungsvorstellungen darin lag, „aus Kindern […] ehrbare, rechtschaffene Menschen, vernünftige Menschen“ (Ariès 1980: 217) zu machen. Damit erhielten Kinder einen Status als noch nicht fertige Menschen, welcher mit einer zweiten Komponente verknüpft wurde: Die Unzulänglichkeit der Kinder wurde zusammengedacht mit „ihrer Unschuld als dem wahren Widerschein göttlicher Reinheit“ (Ariès 1980: 192), eine Vorstellung die erst im 17. Jahrhundert Dominanz erlangte (Ariès 1980: 187). Im 18. Jahrhundert versuchte man, die Diskrepanz zu lösen zwischen der positiven Seite der Kindheit – der Unschuld – und den negativen Aspekten – der fehlenden Rationalität (Ariès 1980: 201f.). Die Kernfamilie, in deren Mittelpunkt das Kind steht, entstand innerhalb des Bürgertums in Folge der Industriellen Revolution, wobei sich in diesem Zuge die Familienform „von einer im größeren Familienverband mitproduzierenden Einheit zu einer Familie des Konsums wandelte“ (Bargatzky 1997: 103, Herv. i. O.). Im 20. Jahrhundert wurden Kinder gesellschaftlich hoch geschätzt, was die schwedische Pädagogin Ellen Key 1900 veranlasste, das 20. Jahrhundert als „Jahrhundert des Kindes“ zu bezeichnen (Cunningham 2006: 231). Kinder erlangten nun politische Bedeutung und zwar auch in Bezug auf die Verfolgung nationaler Interessen über die Landesgrenzen hinweg, beispielsweise indem sie in Parteiprogramme aufgenommen wurden: „Das war mehr als nur Innenpolitik, denn Kinder und Kindheit wurden zum Faktor der Rivalität zwischen den Staaten. Kinder galten als wertvollstes Gut eines Landes, das im Falle einer Vernachlässigung zum Niedergang und zum Verlust von Macht und Status gegenüber anderen Ländern führen würde.“ (Cunningham 2006: 243) Die veränderte Rolle der Kinder zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist auch darauf zurückzuführen, dass Kinder mehr zu Konsument*innen wurden und weniger als Teil der Wirtschaftskraft angesehen wurden, weshalb sich eine andere emotionale Bindung der Eltern an ihre Kinder entwickelte (Cunningham 2006: 252f.). Im Zuge der Ausdehnung der Schulpflicht wurde auch die Phase der Kindheit verlängert (Cunningham 2006: 247f.). Nach der NS-Zeit änderte sich die Rolle der Kinder nochmals, denn Kinder mussten in der Nachkriegszeit ihren Beitrag zum Überleben der Familie leisten (Schütze 2002: 76). Ihnen kam aber noch eine zweite Funktion
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zu, da sie nun auch verstärkt als „‚Hoffnungsträger‘“ für die Wünsche ihrer Eltern nach sozialem Aufstieg dienten (Schütze 2002: 76). Sie sollten in den wirtschaftlichen Krisenjahren der späten 1970er und der 1980er Jahre dafür gewappnet werden, einen Studienplatz oder eine Ausbildungsstelle zu ergattern (Schütze 2002: 76f.). In dieser Zeit zentrierte sich die Familie noch mehr um die Kinder und der Zweck des familialen Verbundes wurde vor allem darin gesehen, die individuelle Persönlichkeit der Kinder zu fördern (Schütze 2002: 77). Kindern wurde nun ein „‚Wert‘“ zugesprochen, der „primär mit Lebenserfüllung, mit Sinnstiftung, mit persönlichen Glückserwartungen, auch mit symbolischer Verlängerung der eigenen Existenz verbunden [wurde]“ (Münz 1983: 241): Es kam zu einer „Vergöttlichung der Kinder“ (Beck 1986: 177; vgl. auch Schütze 2002: 77). In Folge dieser Veränderungen wurde auch das Verhältnis von Eltern und Kindern höher bewertet, was auf Kosten der Beziehung der Eltern zueinander ging und weiterhin geht (Schütze 2002: 77f.). In den 1990er Jahren verschiebt sich die Funktion des Kindes erneut, wobei die Soziologin Yvonne Schütze davon ausgeht, dass Kinder nun nicht mehr als „‚Hoffnungsträger‘“ oder „‚Sinnstifter‘“, sondern als „‚Akteur in eigener Sache‘“ (Schütze 2002: 83) und damit als individuelle Wesen betrachtet werden, die zur Selbstständigkeit erzogen werden sollen – eine Eigenschaft, die durchaus auch im Eigeninteresse der Eltern liegt (Bründel & Hurrelmann 1996: 38f.). Im Gegensatz zu Schütze konstatieren die Psychologin Heidrun Bründel und der Soziologe und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann, dass die Funktion des Kindes als „Sinnerfüllung im Leben der Eltern“ weiter erhalten geblieben ist und einhergeht mit einer „Anerkennung der kindlichen Individualität und Subjektivität“ (Bründel & Hurrelmann 1996: 19). Sie weisen Kindern zudem eine Funktion „als Statussymbol, als Partnerersatz, als Vertraute und als Ersatz-Ich“ zu (Bründel & Hurrelmann 1996: 35). Als seit den 1970er Jahren konstant bewertet Schütze das Interesse der Eltern, ihre Kinder bestmöglich dabei zu unterstützen, einen guten Schulabschluss und damit eine – antizipierte – gute gesellschaftliche Stellung zu erreichen (Schütze 2002: 84). Forscher*innen, die ihren Blick auf die Leistungsorientiertheit lenken, bezweifeln, dass es heute noch eine wirkliche Kindheitsphase gibt, was sie mit der „leistungsorientierten Früherziehung“ begründen, in der sich der angesprochene Wille der Eltern, ihre Kinder in der Schule zu fördern, in einem „erbarmungslosen Wettbewerb um günstigste Ausgangssituationen im Schulbereich“ (Bründel & Hurrelmann 1996: 35) niederschlägt. Damit werden Kinder bereits im Grundschulalter in das Leistungssystem einer kapitalistischen Gesellschaft eingebunden. Andererseits ist Kindheit auch deshalb eng mit dem Kapitalismus verknüpft, weil die Entstehung der Idee dieser Lebensphase eng mit ökonomischen Veränderungen verbunden war: „Es war […] die ökonomische Entwicklung in der westlichen Welt, die sowohl den Übergang der Kindheitserfahrung von der Kinderarbeit zur Schule ermöglichte, als auch die Entwicklung der Idee, dass Kindheit eine Zeit der Familienzugehörigkeit sein sollte“ (Cunningham 2006: 14).
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Diskussionen um die Bewertung der Kindheit haben ihren Ausgangspunkt heute häufig in der simultanen Gültigkeit zweier gegensätzlicher Positionen: Zum einen sollen Kinder möglichst selbstständig sein, was Ähnlichkeiten mit der im Mittelalter gültigen Vorstellung von Kindern als kleinen Erwachsenen aufweist, zum anderen soll ein Kind aber auch „das Recht, ein Kind zu sein“ haben dürfen, was eine klare Differenzierung zwischen Kindern und Erwachsenen impliziert (Cunningham 2006: 275). Diese Auffassungen beeinflussen auch die Kategorieausprägungen in Bezug auf die ungleichheitsgenerierende Kategorie Alter, die je nach angelegter Klassifikation variieren können. So unterscheidet das Statistische Bundesamt beispielsweise zwischen den – strafrechtlich relevanten – Gruppen der Jugendlichen (14 bis 18 Jahre), Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) und Erwachsenen (über 21 Jahre) (Statistisches Bundesamt 2015a: 2), woraus sich folgern lässt, dass zur Menge der Kinder alle Menschen mit weniger als 14 Lebensjahren zählen. Aus psychologischer beziehungsweise soziologischer Sicht kann die Kindheit in zwei Phasen unterteilt werden, die frühe (bis 5 Jahre) und die späte Kindheit (bis 11 Jahre) (Bründel & Hurrelmann 1996: 28, Abb. 5). Innerhalb der weißen Kernfamilie kommt dem Kind, das immer noch mit Unschuld verbunden ist, eine besondere Funktion zu. Wenn die weiße Kernfamilie als Ideal der weißen Gesellschaft angesehen wird, da sie die Reproduktion dieser sicherstellt, kann das weiße Kind selbst als Krönung der weißen Kernfamilie gelten, da es das einzige reine und noch nicht mit Schuld beladene Familienmitglied darstellt, was sich unter anderem auch auf eine – antizipierte – sexuelle Unbeflecktheit bezieht. Die eingangs gestellte Frage, inwiefern die weiße Kernfamilie und ihre Elemente Diskriminierungspotenzial aufweisen, kann nach der historischen Herleitung und der Diskussion der heutigen Situation nun im Hinblick auf weiße Kinder beziehungsweise weiße Kindheit beantwortet werden. So wurde die westliche Vorstellung von Kindheit unter anderem deshalb als von sexistischen und patriarchalen Strukturen geprägt erkannt, weil die Erziehungsaufgabe innerhalb der Familie zum Ideal erhoben wurde und diese unbezahlte – oder im Hinblick auf das inzwischen vom Verfassungsgericht gekippte Betreuungsgeld schlecht bezahlte – Aufgabe meist der Mutter obliegt, die diese, wie in Kapitel 4.2.2 dargestellt, entweder zusätzlich zu einer Erwerbstätigkeit oder anstelle dieser erledigt. Gelebte Heteronormativität wird dabei für diese Art des Familienmodells vorausgesetzt. Des Weiteren ist die westlich-weiße Vorstellung von Kindheit, wie sie heute in Deutschland vorherrscht, eng mit der kapitalistischen Gesellschaftsform verknüpft, weil sie ihren Ursprung in veränderten ökonomischen Bedingungen hatte – welche wiederum in anderen Ländern nicht so gegeben waren beziehungsweise sind. Wenn die Relativität und historische Entstehung des Kindheitskonzepts, wie es heute im Westen vorherrscht, nicht erkannt wird – und falls sie erkannt wird, dieses als Spitze der bisherigen Entwicklung angesehen wird – und dieses folglich als universal gültig gesetzt wird, ebnet das den Grund für eine potenziell rassistische Haltung. Diese ist beson-
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ders dann verhängnisvoll, wenn sie zum Ausgangspunkt für weitreichende Entscheidungen wird, etwa in der Außenpolitik. Die Kritik an der Art der weltweiten Durchsetzung der im westlichen Kontext entstandenen Kinderrechtskonventionen soll nicht ihren Inhalt in Frage stellen. Es ist wichtig, die elementaren Rechte von Kindern über die Grenzen der wohlhabenden Länder hinaus zu schützen. Vor sexuellem Missbrauch und Kinderprostitution muss jedes Kind weltweit geschützt werden. Die Kritik entzündet sich vielmehr daran, dass einige Punkte der Kinderrechtskonventionen, wie das Verbot der Kinderarbeit und das Recht auf Bildung, in manchen Ländern aufgrund ihrer ökonomischen Voraussetzungen schwer umzusetzen sind. Anstatt jene Länder, die Teile der Kinderrechtskonvention nicht einhalten können oder wollen, als rückschrittlich zu markieren und zu sanktionieren, sollte mitbedacht werden, dass ihre ökonomischen Bedingungen allzu oft mit dem westlichen Kolonialismus zusammenhängen. So gilt es zweierlei zu beachten. Einerseits ist bei der Durchsetzung der Menschenrechte zu berücksichtigen, dass alle Menschen und insbesondere Kinder ein Anrecht auf menschenwürdige Lebensbedingungen haben. Andererseits besteht die Gefahr, Normen und Werte zu verabsolutieren, die unter bestimmten Bedingungen und in bestimmten Kontexten im Westen gewachsen sind. Der Anspruch des Westens, die Kinderrechte weltweit durchzusetzen, muss in Einklang gebracht werden mit den teilweise konträren Einstellungen bestimmter Regionen und Länder, die nicht zuletzt aus den dort bestehenden ökonomischen und kulturellen Bedingungen resultieren. Dabei sollte gerade aus westlich-weißer Perspektive die eigene Rolle im immer engmaschigeren Geflecht globaler wirtschaftlicher und politischer Abhängigkeiten reflektiert werden. Anstatt auf der sofortigen Durchsetzung aller Kinderrechte zu beharren, kann es angemessener sein, an den Stellschrauben zu drehen, die der eigenen Kontrolle unterliegen, und damit wirtschaftliche und politische Prozesse anzustoßen, die die Implementierung der Kinderrechtskonventionen fördern – auch wenn dies unter Umständen mit dem Verlust eigener Privilegien wie dem Import von Billigwaren einhergeht.
4.2.5
Die weiße Familie im Spiegel der Medien
Der „Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation e.V.“ (VPRT) hat 1998 aufgrund mehrerer drohender Klagen wegen Verstößen gegen die Jugendschutzbestimmungen durch Inhalte von Talkshows Verhaltensgrundsätze erarbeitet, die als freiwillige Selbstverpflichtung dienen sollten (Niehl 1998: 13.; Wagner 2000: 27, Fußnote 13). In diesen Verhaltensgrundsätzen findet sich eine interessante Formulierung im Hinblick auf Normvorstellungen:
120 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION „Zur Verdeutlichung einer Problemstellung gehört bei manchen Themen auch die Darstellung von außergewöhnlichen und abweichenden Einstellungen zu gesellschaftlich anerkannten Normen und Werten. Es ist jedoch darauf zu achten, dass das Außergewöhnliche nicht als das Durchschnittliche und das Abweichende nicht als das Normale erscheint.“ (Wagner 2000: 28, Herv. entf.)
In Bezug auf das Familienbild müssten demnach Abweichungen von der Norm der weißen Kernfamilie als solche gekennzeichnet werden. Genau diesen Punkt sieht der konservative Zeitungswissenschaftler Hans Wagner als nicht erfüllt an. Er kritisiert in einem Aufsatz im Sammelband zu den im Jahr 2000 stattgefundenen 15. Erlanger Medientagen den medialen Umgang mit der Familie scharf und bemängelt, dass man im Fernsehen kaum mehr „irgendwo auf eine ‚ganz normale‘ Familie in halbwegs positiven Umfeldern stößt: auf eine Familie mit Mutter, Vater und Kindern, die sich bemühen, miteinander auszukommen.“ (Wagner 2000: 22) Statt diesem Ideal der harmonischen Kernfamilie werden seiner Meinung nach ungesunde Abweichungen als „normal“ präsentiert, wie beispielsweise im Tatort KALTE HERZEN (D 2000, R: Thomas Bohn), welchen er als „Propaganda für die – nach der offenbaren Auffassung des regieführenden Drehbuchautors von vielen immer noch verkannte – Normalität einer Schwulenliebe“ ansieht (Wagner 2000: 24). Seine Kritik an den Mediendarstellungen lässt dabei erkennen, was er von seinem christlich geprägten Standpunkt aus als die Norm betrachtet, die er gerne in den Medien widergespiegelt hätte. So steht den kritisierten „zerbrechende[n] Ehebindungen“ die intakte Ehe gegenüber, den „vernachlässigte[n] Kinder[n]“ die von den Eltern beziehungsweise der Mutter umsorgten, der „Sexualität als pure[n] Lusttechnik“ die Sexualität zur Reproduktion und den „zerrüttete[n] Familien“ (Wagner 2000: 27) die Familien, bei der die verheirateten Eltern mit ihren eigenen Kindern zusammenleben. Dabei sieht er die Werte der „Humanität“ und der „Liebe“ in der kindlichen Erziehung durch die Mediendarstellung als gefährdet an (Wanger 2000: 29). Im Folgenden soll anhand eines kurzen Überblicks bisher geleisteter Forschungsarbeit zu der medialen Repräsentation und Konstruktion der weißen Kernfamilie und ihren Elementen aufgearbeitet werden, inwiefern die weiße Kernfamilie in den Medien als Norm präsentiert wird oder ob tatsächlich Abweichungen von traditionellen Vorstellungen diese hinfällig gemacht haben. Neben Arbeiten aus dem deutschsprachigen Raum (die sich im fiktionalen Bereich selten mit Deutschland, sondern größtenteils mit US-amerikanischen Medienbeiträgen beschäftigen) wird dabei auch auf Studien aus dem angloamerikanischen Raum zurückgegriffen, da diese teilweise explizit auf Weißsein im Familienkontext eingehen. Massenwirksame Medienbeiträge können als eine „powerful platform on which debates about the family and gendered power relations are staged“ (Chambers 2001: 100) angesehen werden. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass in den recherchierten Texten auch dann mit ‚Kernfamilie‘ eine weiße Familie gemeint ist,
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wenn dies nicht ausdrücklich genannt wird. So wird in einem Buch über „Family Fictions“ beispielsweise von der Repräsentation der „anderen“ Familie gesprochen, worunter „families of other races“ (Harwood 1997: 7) verstanden werden. Hinter diesem nicht näher explizierten Term „other races“ verbirgt sich ein Hinweis auf die weiße Norm. Denn die ‚Rasse‘, die hier nicht als ‚anders‘ wahrgenommen wird, ist selbstverständlich die der Weißen. Das kann als Beleg dafür gelten, dass in universalistischer Tradition der Weißen stets die weiße Kernfamilie gemeint ist, wenn ‚nur‘ von einer unspezifizierten Kernfamilie die Rede ist. Das Ideal der weißen Kernfamilie existiert im öffentlichen Diskurs nicht ungebrochen, sondern das Bild der Familie ist Spannungen und konträren Erwartungen und Vorstellungen ausgesetzt (Harwood 1997). So kann die Familie als ein Ort der Gegensätzlichkeiten betrachtet werden: als scheinbar natürliche Norm genauso wie als bedrohte Lebensform, als Ort der aus Reproduktionszwecken gelebten Sexualität wie als Ort der versteckten Sexualität, als privater wie als öffentlicher Verhandlungsgegenstand, als Schutzraum, aber auch als potenzieller Ort des Missbrauchs, als Ort der Selbstverwirklichung, der gleichzeitig geprägt ist von innerfamiliären Hierarchien (Harwood 1997: 5f.). Dabei kann der Familiarismus, also die „ideology of the nuclear family“ als dominant, aber auch als gesellschaftlich umkämpft angesehen werden: „Familism is therefore the hegemonising moment in a process of struggle over what the ideal family could, or should, look like.“ (Harwood 1997: 6) Dazu gehört ebenfalls die Orientierung an materiellen Dingen und damit auch am Konsum, die eine wichtige Eigenschaft der weißen Kernfamilie darstellt (Chambers 2001: 94). Analysen von Hollywoodblockbustern der 1980er Jahre haben ergeben, dass die Repräsentation der weißen Kernfamilie ein genuines Ziel von Hollywood ist (Harwood 1997: 7), viele Filme diese jedoch nicht als erstrebenswertes Ideal darstellen (Harwood 1997: 10; 174). Die Schuld am Zerfall der Familie wird dabei den Vätern zugewiesen (Harwood 1997: 174), die vor allem in Bezug auf Scheidungsfamilien in Erscheinung treten (Chambers 2001: 100). Chambers begreift die Krise des Väterlichen in den Medien als weißes Phänomen und führt es auf die Kluft zwischen der Vielfalt der gelebten Realität in Bezug auf Familienformen und dem Ideal der weißen Kernfamilie zurück (Chambers 2001: 107). Andererseits hebt Chambers hervor, dass alternative Formen des Zusammenlebens in medialen Repräsentationen häufig dysfunktional dargestellt werden, beispielsweise indem die sexuelle Normabweichung einzelner Familienmitglieder in den Vordergrund gerückt wird (Chambers 2001: 93). Deshalb sieht sie im Gegensatz zu Harwood eine Übereinstimmung von Medieninhalten und gängigen Diskussionen der Öffentlichkeit im Hinblick auf die weiße Kernfamilie, die „as the functional norm“ (Chambers 2001: 94) konstruiert wird. Auch die Literaturwissenschaftlerin Robyn Wiegman konstatiert für Mainstreamfilme „a disturbing reliance on narrative structures that foreground the bourgeois ideal as symbol of racial egalitarianism“ (Wiegman 1991: 312). Sowohl Chambers als auch Wiegman verweisen je-
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doch darüber hinaus auf andere Repräsentationen als die der Kernfamilie, beispielsweise in Soaps (Chambers 2001: 95). Die Medienwissenschaftlerin Anna Voigt hat die US-amerikanischen Serien Queer as folk und The L-word untersucht und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass auch Familien mit gleichgeschlechtlichen (in diesem Fall lesbischen) Eltern sehr nahe an der traditionellen Kernfamilie inszeniert werden, zumindest wenn die Kinder der Familie noch sehr klein sind (Voigt 2009: 169). Während eine der beiden Frauen den Part der (Haus-)Frau und Mutter übernimmt, bekleidet die andere Frau den Part der Ernährerin der Familie. Alternative Lebensentwürfe kommen in diesen Serien zwar auch vor, aber nur bei den Nebenfiguren ohne Kinder und kaum in Bezug auf die dargestellten Regenbogenfamilien (Voigt 2009). Unkonventionelle familiale Formen, die nicht als Normabweichung dargestellt werden, finden sich hingegen in Animationsfilmen, die damit auch für den Mainstream eine Plattform bieten, alternative Familienformen einzuführen. Die Film- und Fernsehwissenschaftlerin Lisa Gotto hat den Film FINDING NEMO (US 2003, R: Stanton & Unkrich) analysiert und kommt zu dem Schluss, dass in diesem Zeichentrickfilm alleinerziehende Väter als eine ‚normale‘ Form der Familie inszeniert werden (Gotto 2009: 251ff.). Im Hinblick auf Erwerbstätigkeit und Elternschaft lässt sich in MainstreamFilmen ebenso wie in der Gesellschaft ein unterschiedlicher Handlungsspielraum der verschiedenen Geschlechter feststellen. So haben weiße Mütter auf narrativer Ebene oft mit dem Dilemma zu kämpfen, entweder Kinder zu bekommen und berufliche Ambitionen zurückzustellen oder Karriere zu machen und darüber ihre mütterlichen Verpflichtungen zu vernachlässigen beziehungsweise auf Nachwuchs zu verzichten (Traube 1992, zit. n. Chambers 2001: 105). Nur die Normmenschen, sprich die weißen, heterosexuellen Väter der Mittelschicht, können beides parallel haben: „While men can enter a feminine domain, women are denied access to crossgendered roles and status. Although the rigid gender specificity of the separate spheres is broken down in such films, only men are allowed to occupy both spaces successfully.“ (Chambers 2001: 105) Während weiße Vaterschaft und Erwerbstätigkeit bei Männern der Mittelklasse in Filmen als positive Kombination dargestellt wird, wird sie bei weißen Vätern der Arbeiterklasse und nicht-weißen Vätern negativ angesehen (Chambers 2001: 107). Chambers stellt deshalb hier eine intersektionale Verknüpfung der ungleichheitsgenerierenden Kategorien ‚Rasse‘/Ethnizität, Nationalität, Klasse und Sexualität fest. Kinder wurden in den Hollywood-Filmen der 1980er Jahren als Maßstab für die Bewertung der Moralität von Handlungen herangezogen (Harwood 1997: 174). Diese Rolle war jedoch zwiespältig, weil sie häufig mit der Figur des krisenhaften Vaters in Konflikt geriet. Während Kinder als unbelastet, aber handlungsohnmächtig gezeigt wurden, wurden Väter als handlungsmächtig, aber scheiternd dargestellt (Harwood 1997: 175). Zu Beginn der 1990er Jahre ändert sich die Rolle der Kinder dann, sie rückten fortan nicht mehr nur als unschuldige Opfer, sondern auch als Tä-
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ter*innen in den Blick (Harwood 1997: 179). Zugleich schienen sich die Gefahren für sie vergrößert zu haben, beispielsweise durch Kindsentführungen oder Pädophile (Harwood 1997: 179). Insgesamt können damit sowohl Parallelen als auch Unterschiede zwischen medialen Repräsentationen und Konstruktionen und der in den vorherigen Kapiteln ermittelten Vorstellungen der weißen Kernfamilie in der Gesellschaft festgestellt werden. Medienbeiträge können sowohl alte Verhältnisse stabilisieren als auch destabilisieren. Je nach Untersuchungszeitraum und analysierten Filmen sind demnach unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten. Ebenso stellt sich die Frage, inwiefern eine Analyse deutscher Filme von den in den USA und Großbritannien erzielten Erkenntnissen abweicht.
4.3
D ER P ÄDOPHILE ALS F EIND DER WEISSEN K ERNFAMILIE
Im 20. Jahrhundert kam es zur Entwicklung verschiedener Narrative, die die weiße Kernfamilie als Ort der Sicherheit bestärkten. Ein Auslöser dafür waren neue wissenschaftliche Erkenntnisse im medizinischen Bereich. Um 1900 war die Bakteriologie soweit, Geschlechtskrankheiten eindeutig feststellen zu können (Jackson 2000: 80). Durch diese Fortschritte im Bereich der Bakteriologie entdeckten Ärzt*innen, dass eine Vielzahl von sehr jungen Mädchen Tripper hatte (Chenier 2010: 40). Trotz dem naheliegenden Verdacht, dass die Väter der Mädchen die Verursacher waren, wurden Mythen vom fremden, männlichen Täter bekräftigt (Chenier 2010: 40). Damit kam es zu einer „preservation of the private family through the externalisation of public danger“ (Chenier 2010: 40). In Nordamerika wurden die Diskussionen um Kindesmisshandlungen Ende der 1970er Jahre ersetzt durch Debatten über sexuellen Missbrauch, welche nicht mehr die Eltern als Täter*innen in den Fokus der Öffentlichkeit rückten, sondern stattdessen die unbekannte Täter*in (Chenier 2010: 38). Die Betonung der Gefahr des unbekannten Fremden gibt es auch in Deutschland, beispielsweise anschaulich dargestellt in dem Spielfilm M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (D 1931, R: Lang), wobei bei diesem Film nicht eindeutig geklärt ist, inwiefern der gesuchte Kindermörder pädophil ist beziehungsweise ob er die getöteten Kinder sexuell missbraucht hat oder nicht (Pfäfflin 2008: 362). Narrative rund um die „Stranger Danger“ zirkulieren auch heute noch und „affirm[] the status of the nuclear heterosexual family as idealised site for the production and reproduction of social and political norms.“ (Chenier 2010: 39) In Deutschland weist die Entwicklung des Diskurses Parallelen auf, beispielsweise im Hinblick auf die familienexterne Lokalisierung von Straftäter*innen, auch wenn hier der Zusammenhang zwischen Weißsein und Pädophilie noch nicht
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in den Fokus des wissenschaftlichen und öffentlichen Interesses geraten ist. Prämisse ist, dass Pädophilie in Deutschland ein Phänomen ist, das ‚unserer‘ Gesellschaft ergo der Mehrheitsgesellschaft zugeschrieben wird. Da diese als weiße Gesellschaft verstanden wird, wird Pädophilie zu einem weißen ‚Problem‘. Die Diffamierung von Menschen, die von der Norm abweichende sexuelle Neigungen haben, fungiert dabei als Abwehr- und Schutzmechanismus für die Kernfamilie (Chenier 2010: 39), welche „the main instrument of modern technologies in power in the biopolitical state“ (Chenier 2009: 40) ist. Der Angriff auf die antizipierte Unschuld des (weißen) Kindes wird hierbei zum Angriff auf die Gesamtgesellschaft stilisiert, womit das Kind nicht mehr das eigentlich Opfer der Attacke ist, sondern die weiße Kernfamilie (Chenier 2010: 40). Dabei wird die Gefahr im (männlichen) weißen Pädophilen gesehen, dem gegenüber sich die weiße Kernfamilie abgrenzen kann (Chenier 2010: 41). Sie braucht ihn dabei als inneren Feind, um selbst an Kontur zu gewinnen und die Ideale der Unschuld des Kindes sowie der Familie als Schutzraum zu bekräftigen. Der als abnormal deklarierte weiße Pädophile wird so zu einer Bestätigung für die Norm der weißen Kernfamilie. Zwei Umstände haben demnach dazu geführt, dass der weiße männliche Pädophile zum inneren Feind einer weißen Gesellschaft erklärt wurde. Erstens die Idealisierung der weißen Kernfamilie, als „safe haven from sexual and other dangers“ (Chenier 2010: 41) und die Idealisierung des Kindes als unschuldiges und asexuelles Wesen. Zweitens der Mechanismus, die Welt in binäre Oppositionen aufzuteilen und jeweils eine Ausprägung der Kategorie als Norm anzusehen und die andere als Abweichung, welche die Norm definiert und bestätigt (Wartenpfuhl 2000: 156; Hartmann 2002: 60f.; Chenier 2010: 41). Deshalb stellt der Homosexuelle – trotz vielfältiger Kritik an diesem Mechanismus – immer noch eine Bestätigung der heterosexuellen Norm dar (Hartmann 2002: 60f.) und der Mensch mit pädophiler Neigung stützt die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit – eine Idee, die zu hinterfragen heute kaum möglich ist, ohne sich dem Vorwurf der Verharmlosung von sexueller Gewalt gegenüber Kindern auszusetzen (Härtel 2014: 91). Aus dieser Sicht stellt Pädophilie die Lösung eines anderen Problems dar: Die Konstruktion der pädophilen Anderen hält den Mythos der kindlichen Unschuld aufrecht und führt dabei gleichzeitig zur Stärkung der Vorstellung der Sicherheit bietenden weißen Kernfamilie.20 Damit kann den in Kapitel 4 eingangs aufgeführten beiden Hypothesen noch eine dritte hinzugefügt werden:
20
Die Autorin betrachtet in dieser Arbeit beide beschriebenen Seiten von Pädophilie. Zum einen wird Pädophilie als Risikofaktor angesehen, da Menschen mit pädophiler Neigung zu Missbrauchstätern werden können. Zum anderen wird Pädophilie in ihrer Funktion zur Stabilisierung bestehender gesellschaftlicher Zustände untersucht.
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Die mediale Klassifikation von Pädophilen als ‚andersartig‘ hat die Funktion, die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit aufrechtzuerhalten und stützt damit das Ideal der weißen Kernfamilie.
Spannend ist es nun im Hinblick auf audiovisuelle Medienbeiträge zu untersuchen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, dass der (weiße) Pädophile zum einen eine Abweichung von der Norm darstellt, zum anderen aber aufgrund seiner äußerlichen Erscheinung nicht vom Normmenschen unterschieden werden kann. In diesem Rahmen interessiert auch, inwiefern mediale Darstellungen Wege und Möglichkeiten finden, den weißen Pädophilen etwa visuell oder sprachlich als ‚anders‘ zu markieren.
5
Methodik: Die Grenzüberschreitungstheorie
Nach der inhaltlichen Abklärung des Gegenstandes und der theoretischen Positionierung stellt sich nun im nächsten Schritt die Frage nach der geeigneten Untersuchungsmethode. Während Intersektionalitätsstudien in Deutschland wie beschrieben mehrheitlich soziologisch ausgerichtet und im Bereich der kritischen Weißseinsforschung vor allem geisteswissenschaftlich geprägt sind, gibt es bisher erst vereinzelt Arbeiten, die sich dem Forschungsfeld aus narratologischer und semiotischer Perspektive widmen und dabei versuchen, Intersektionalität und Weißsein gleichermaßen einzubeziehen. In Einklang mit McCall wird davon ausgegangen, dass die Produktion von Wissen von der benutzten Methodik abhängt: „[D]ifferent methodologies produce different kinds of substantive knowledge and […] a wider range of methodologies is needed to fully engage with the set of issues and topics falling broadly under the rubric of intersectionality“ (McCall 2005: 1774). Besonders bemängelt wird im Zusammenhang mit Intersektionalitätsstudien die fehlende Verwendung von Methoden, die stark abstrahieren, weil diese als „too simplistic or reductionist“ betrachtet werden und damit der hohen Komplexität des Forschungsgegenstandes nicht gerecht werden (McCall 2005: 1772). Semiotische Ansätze wie die Grenzüberschreitungstheorie, die Narrative formallogisch rekonstruieren, versprechen deshalb neue Erkenntnisse in Bezug auf den Forschungsgegenstand und die ihm zugrunde liegenden Theorien. Die Vorteile der Grenzüberschreitungstheorie liegen darin begründet, dass sie zum einen thematisch nicht beschränkt und damit offen gegenüber jeglichem Text ist und zum anderen eine äußerst präzise Betrachtung von Texten ermöglicht. Sie rekonstruiert Narrationen auf Basis logischer Implikationen und legt damit ein schematisches Vorgehen bei der Analyse nahe. Zudem eignet sie sich besonders zur Identifizierung und Auswertung von sozialen Normen und Normsystemen. Die Herausforderung besteht nun darin, sich die Vorzüge der Grenzüberschreitungstheorie zunutze zu machen, ohne die Besonderheiten des Untersuchungsfeldes aus den Augen zu verlieren: die hohe Komplexität von Intersektionalität und die Unsichtbarkeit von Weißsein.
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Im Folgenden soll zunächst die Grenzüberschreitungstheorie vorgestellt werden und zwar sowohl in ihrer originären Fassung als auch in ihrer Weiterentwicklung (Kapitel 5.1). Anschließend werden Anwendungsmöglichkeiten der Theorie entwickelt (Kapitel 5.2). Dabei werden die in Kapitel 2.4 skizzierten sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse zu gesellschaftlichen Normen herangezogen und mit einem zentralen Element der Grenzüberschreitungstheorie kombiniert: den Ordnungssätzen. Weiter werden verschiedene Möglichkeiten der Rekonstruktion von Ordnung und Ereignissen erläutert und die Arten der Ordnungswiederherstellung an einem Beispiel ausgeführt, bevor das in der Grenzüberschreitungstheorie wichtige Innenraum- und Außenraummodell mit den Feldern soziale Ungleichheiten und Pädophilie verbunden wird. In Kapitel 5.3 wird das methodische Vorgehen bei der vorliegenden Studie ausführlich beschrieben. Folgende Analyseschritte werden dabei anhand von Leitfragen verdeutlicht: die Rekonstruktion der Ordnung; die Rekonstruktion der Ereignisse und der Ordnungswiederherstellung; die Untersuchung der Raumstrukturen; die Übertragung auf ungleichheitsgenerierende Kategorien und Macht; und die Anwendung auf die Felder Pädophilie und die weiße Kernfamilie. Zuletzt wird die Auswahl der Folgen der Kriminalreihe Tatort begründet, die in späteren Kapiteln (Kapitel 7 bis Kapitel 9) einer detaillierten Analyse unterzogen werden.
5.1
E NTWICKLUNG DER G RENZÜBERSCHREITUNGSTHEORIE
5.1.1
Die Grenzüberschreitungstheorie nach Lotman
Die Grenzüberschreitungstheorie geht auf den russischen Zeichen- und Literaturtheoretiker Jurij Lotman zurück, der sie Anfang der 1970er Jahre entwickelte, um die narrative Struktur eines Textes erfassen zu können. Lotmans Ziel war es, eine Metasprache zu schaffen, mit welcher Textstrukturen möglichst objektiv und kulturunabhängig untersucht werden können. Um dies zu erreichen, arbeitet er mit Raummodellen (Lotman 1974: 343). Er geht davon aus, dass es in narrativen Texten immer mindestens zwei Räume gibt, die durch eine Grenze getrennt werden, welche normalerweise unüberschreitbar ist. Wenn nun eine Figur diese Grenze dennoch übertritt, liegt ein Ereignis vor: „Ein Ereignis im Text ist die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes“ (Lotman 1993: 332, Herv. entf.). Da die Grenze textgebunden ist, existieren auch Ereignisse nicht per se, sondern sind abhängig vom jeweiligen Text (Lotman 1974: 371). Die topographischen Räume verweisen auf semantische Felder und können dadurch mit weiteren semantischen Eigenschaften verknüpft werden, zum Beispiel wenn die Stadt für ‚Reich-
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tum‘ und das Land für ‚Armut‘ steht. Damit ist bei Lotman bereits impliziert, dass Grenzüberschreitungen sowohl topographisch als auch nicht-räumlich sein können (Lotman 1974: 359) – jedoch hat Lotman diese Unterscheidung zwischen räumlichen und nicht-räumlichen Grenzen nicht weiter systematisiert. Neben topographischen Räumen und semantisierten Räumen können in einem Text auch „abstrakte semantische Räume“ existieren, die nicht mit topographischen Räumen in Verbindung stehen, beispielsweise „die Räume ‚Reichtum‘ vs. ‚Armut‘“ (Bostnar, Pabst & Wulff 2002: 156, Herv. entf.). Nach Lotman weist jeder Text eine sujetlose Textschicht auf, der eine „klassifikatorische (passive)“ Funktion zukommt (Lotman 1993: 340), wodurch sie „eine bestimmte Welt und deren Organisation [bestätigt]“ (Lotman 1993: 336). Im Gegensatz dazu wird „[d]er sujethaltige Text […] auf der Basis des sujetlosen errichtet als dessen Negation“ (Lotman 1993: 338). Damit wird das Sujet des Textes durch die Grenzüberschreitung eines aktiven „Handlungsträger[s]“ beziehungsweise eines Kollektivs bestimmt (Lotman 1993: 340). Die Grenzüberschreitung ist als das Ereignis zu betrachten, durch das der sujethaltige Text den sujetlosen Text herausfordert (Lotman 1993: 336-340). Lotman schlägt vor, den kulturellen Raum in ein durch eine Grenze getrenntes „Innen“ und „Außen“ aufzuteilen, wobei das Verhältnis von „Innen“ und „Außen“ unterschiedlich ausgestaltet ist, je nachdem welches Weltbild dem Text zugrunde liegt (Lotman 1974: 368). Generell wird das „Innen“ jedoch als geschlossen und organisiert und das „Außen“ als offen und nicht strukturiert dargestellt, zeichnet sich also vor allem durch das Fehlen von Merkmalen aus (Lotman 1974: 350). Dies kann auch auf Kulturen übertragen werden: Die „‚eigene Kultur‘“ wird als Norm angesehen und als organisiert wahrgenommen, wohingegen andere Kulturen eher als „‚Nichtkultur[en]‘“ dargestellt werden, welche nicht organisiert und ausdifferenziert sind (Lotman 1974: 338).
5.1.2
Die Weiterentwicklung der Grenzüberschreitungstheorie durch Renner
Der Journalismusforscher und Erzähltheoretiker Karl N. Renner hat die Grenzüberschreitungstheorie in seiner Dissertation (1983) und mehreren Aufsätzen (1987; 2004; 2012; 2013) weiterentwickelt. Dabei hat er die Theorie zum einen durch den Einbezug der Mengenlehre von ihren Limitationen durch die Gebundenheit an Raummodelle befreit und den Faktor Zeit in die Theorie eingeführt (Renner 1983), zum anderen hat er den Gegenstandsbereich auf non-fiktionale Texte ausgedehnt (Renner 2004; Renner 2012; Renner 2013a) – eine Erweiterung, die auch bei Lotman bereits in Ansätzen vorhanden war. Durch den Fokus auf Mengen anstatt von
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Räumen können auch nicht-räumliche Gegebenheiten erfasst werden.1 Mengensysteme können räumlicher Natur oder sozialer Art sein, aber auch „Normensysteme“ und „metaphysische Ordnungen“ zählen dazu (Renner 1983: 92). Mengensysteme sind nicht exklusiv, das heißt, sie können sich überschneiden. Das bedeutet, dass eine Figur in einem fiktionalen Text beziehungsweise eine Protagonist*in in einem journalistischen Beitrag aufgrund ihrer Merkmale mehreren Mengen angehören kann (Renner 1983: 75). Zu welcher Menge beziehungsweise welchen Mengen ein Individuum gerechnet wird, ist aufgrund von Mengenabstraktoren feststellbar. Als Mengenabstraktoren können Adjektive, Orte oder auch Namen fungieren (Renner 1983: 91): „Die den Mengen entsprechenden Prädikate können dann zur Bildung von Ordnungssätzen […] verwendet werden“ (Renner 1983: 91). Dabei ist die Menge analog zu Lotmans Raummodell auch in Renners Variante in zwei Teile aufgegliedert: in eine Menge und eine Komplementärmenge, wobei „Innen“ der Menge und „Außen“ der Komplementärmenge entspricht (Renner 2004: 364). Die Figuren, die zur Menge („Innen“) gehören, beschreiben eine „nicht-triviale Teilmengenrelation“, die textabhängig ist und die „Unüberschreitbarkeit der Grenze“ festlegt (Renner 2004: 364f.). Die beiden Ausgestaltungen der Grenzüberschreitungstheorie in einen mengentheoretischen Ansatz, welcher über Ordnungssätze operationalisiert wird, und in die Funktionalisierung über Raumstrukturen stehen dabei nicht unabhängig nebeneinander, sondern können als zwei unterschiedliche Manifestationen eines Konzepts begriffen werden. So können Ordnungssätze sowohl soziale Normen erfassen als auch Raumstrukturen beschreiben. Räumliche Anordnungen wiederum können mit anderen Merkmalen verknüpft werden: „Da nämlich in sehr vielen Texten räumliche Kategorien entwickelt werden, insbesondere ‚innen vs außen‘ und ‚oben vs unten‘, lassen sich alle diese Texte im Hinblick darauf vergleichen, welche anderen Prädikate sie den räumlichen Kategorien zuordnen.“ (Renner 1983: 62) Da jeder der beiden Ansätze mit Vorzügen aufwartet, werden aus forschungspragmatischen Gründen beide in den Analysen (Kapitel 7 bis Kapitel 11) Verwendung finden. Durch die Loslösung vom Raummodell kommen Ereignisse in der mengentheoretischen Rekonstruktion durch Renner nicht mehr nur in Form von topographischen Grenzüberschreitungen vor, sondern können sich auch als Ordnungsverletzungen manifestieren (Renner 1983: 36). Neben räumlichen Grenzen kann ein Text auch soziale, nationale, religiöse und andere Grenzen etablieren (Renner 2004: 364). Die Ordnungssätze drücken bestimmte textrelative Regeln aus und bilden als Ordnungssystem den sujetlosen Text. Grenzüberschreitungen beziehungsweise Ordnungsverletzungen sind als Ereignisse zu betrachten und gehören damit der su1
Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass in medialen und v. a. in fiktionalen Darstellungen aus Gründen der Anschaulichkeit häufig auf Raumstrukturen zurückgegriffen wird, um soziale oder andere Beziehungen darzustellen.
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jethaften Textschicht an. Da Regelverletzungen auch topographisch sein können und der Begriff Grenzüberschreitung metaphorisch für Regelverletzungen stehen kann, werden die beiden Begriffe im Folgenden weitgehend synonym verwendet. Ordnungsverletzungen können auf verschiedene Weise entstehen und behoben werden. Renner nennt drei Arten der Entstehung: 1. „Grenzüberschreitung“: Die Ordnungsverletzung entsteht durch die Grenzüberschreitung und damit durch den Eintritt der Figur in einen anderen Raum beziehungsweise analog dazu durch den Wechsel der Figur von einer Menge zu einer anderen. 2. „‚Berufung‘ in einen anderen Raum“: Die Ordnungsverletzung entsteht dadurch, dass eine Figur Eigenschaften aufweist, die gegen die Ordnung des Raumes verstoßen, in dem sie sich befindet, beziehungsweise die gegen die für die Menge geltende Ordnung verstoßen, der die Figur angehört. 3. „Änderung der Raumordnung“: Die Ordnungsverletzung entsteht dadurch, dass die Ordnung sich ändert und eine Figur dadurch nun Eigenschaften hat, die gegen die neue Ordnung des Raumes beziehungsweise gegen die neue Ordnung der Menge verstoßen. (Renner 2004: 373) Nach dem „Konsistenzprinzip“ ist es das Ziel jedes – konventionell erzählten – Textes, die verletzte Ordnung der narrativen Welt und damit das Gleichgewicht wiederherzustellen (Renner 2004: 372; vgl. auch Renner 1983: 42f.). Dies kann auf drei Weisen geschehen: 1. „Rückkehr in den Ausgangsraum“: Die Ordnungsverletzung wird behoben, indem die Figur in den alten Raum beziehungsweise zur alten Menge zurückkehrt. 2. „Aufgehen im fremden Raum“: Die Ordnungsverletzung wird behoben, indem die Figur ihre Eigenschaften denen des neuen Raumes beziehungsweise der neuen Menge anpasst. 3. „Änderung der Raumordnung“ beziehungsweise Metatilgung: Die Ordnungsverletzung wird behoben, indem die Ordnung des Raumes beziehungsweise der Menge so angepasst wird, dass die Eigenschaften oder das Verhalten einer Figur keiner Regel mehr widersprechen. (Renner 2004: 373) Innerhalb eines Narrativs führen die Bewegungen von Figuren zu einem Extrempunkt hin (Renner 2004: 375). Beim Extrempunkt kann es sich um einen topographischen Extremraum handeln, aber ebenso um einen metaphorischen Raum beispielsweise einen sozialen Raum. Ausgehend von dieser Überlegung hat Renner die Extrempunktregel aufgestellt (Renner 1987; Renner 2004). Die Extrempunktregel ermöglicht die Beschreibung von Figurenbewegungen innerhalb eines semantischen Raumes, womit der Extrempunkt eine Ergänzung zur Grenzüberschreitung als
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raumübergreifender Bewegung bietet (Renner 1987: 117). Extrempunkte stellen dabei das Zentrum des Innenraums dar: „Als Extrempunkte sind […] die Endpunkte der verschiedenen semantischen Hierarchien zu verstehen, die der Text bzw. Film entwickelt, z. B. die Oben-Unten-Verteilung im topographischen und sozialen Raum […]“ (Renner 1987: 117). Prämisse ist dabei, dass abgegrenzte Räume eine Binnenstruktur aufweisen, welche wiederum hierarchisch organisiert ist (Renner 1987: 129). Der Extrempunkt kann zwei Funktionen haben. Er kann als Wendepunkt fungieren, wenn die Figur am Extrempunkt angelangt ihre Bewegungsrichtung ändert und in ihren Ursprungsraum zurückkehrt (Renner 1987: 128; Renner 2004: 375f.). Oder der Extrempunkt stellt den „Endpunkt einer Geschichte“ dar, wenn die Figur ihre Bewegung hier beendet und „den Zustand des Raums an[nimmt]“ beziehungsweise die Merkmale der Figur/Menge übernimmt, welche den Extrempunkt darstellt (Renner 2004: 376). Innerhalb des Narrativs erfüllt der Extrempunkt die Aufgabe, Emotionen zu lenken und damit zum Spannungsaufbau beizutragen (Renner 2002: 167f.). Das Erreichen des Extrempunkts durch die Figur stellt dabei das logische Ende eines narrativen Textes dar, da nach diesem Höhepunkt beziehungsweise der Auflösung des Konflikts die Geschichte zu Ende erzählt ist (Renner 1987: 130). Von besonderer Bedeutung im narrativen Gefüge ist das zentrale Ereignis. Dieses muss nicht mit dem Extremraum in Verbindung stehen, das Geschehen am Extrempunkt einer Geschichte muss nicht einmal ereignishaft sein, auch wenn der Extrempunkt der „Brennpunkt[] des Geschehens“ ist (Renner 1987: 116f.). Das zentrale Ereignis markiert die wichtigste Trennlinie in einem Text und gibt dadurch Aufschluss über die oberste Grenze. Es „[enthält] die narrative Aussage eines Textes in komprimierter Form“ (Renner 1983: 77) und stellt somit einen Indikator für das Weltbild des Textes dar. Mit Hilfe von Situationsbeschreibungen können die zeitlichen Vorgänge von Narrativen analysiert werden. Unter Situationsbeschreibungen versteht Renner eine „Klasse elementarer Sätze, die für jedes Individuum angeben, welche Prädikate zum Zeitpunkt ti auf das Individuum zutreffen oder nicht zutreffen“ (Renner 1983: 34). Situationsbeschreibungen zeigen die im Text etablierte Abfolge von Zeiteinheiten auf, indem sie diese in eine chronologische Reihenfolge bringen, die im Text so nicht gegeben sein muss (Renner 1983: 198).2 Die Integration der Ordnungsverletzungen beziehungsweise -behebungen in die Situationsbeschreibungen ergibt die Ereignisabfolge und damit die narrative Struktur eines Textes (Renner 1983: 193). Damit tritt ein Ereignis genau dann ein, wenn Ordnungssatz und Situationsbeschreibung konträr zueinander sind (Renner 1983: 36).
2
Beispielsweise kann ein Text achronologisch erzählt werden oder Rückblenden einbauen.
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5.2
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ANWENDUNG DER G RENZÜBERSCHREITUNGSTHEORIE
In den folgenden Kapiteln soll ausgeführt werden, wie die Grenzüberschreitungstheorie im Sinne einer gegenseitigen Befruchtung mit den in den Kapitel 2 und 3 formulierten Darstellungen zusammengebracht werden kann – vor allem zu sozialen Normen (Kapitel 2.4). Auch wenn die Grenzüberschreitungstheorie nicht nur für fiktionale, sondern auch für non-fiktionale Texte einsetzbar ist, liegt der Fokus dabei – dem Untersuchungsgegenstand (Kapitel 5.3) geschuldet – auf fiktionalen Texten. Prinzipiell werden die Überlegungen aber auch als auf non-fiktionale Texte wie journalistische Texte übertragbar erachtet. Zunächst soll die Relation zwischen Ordnungssätzen und sozialen Normen geklärt und dargelegt werden, welche Vorteile die formallogische Rekonstruktion sozialer Normen in Form von Ordnungssätzen bietet. Hierbei geht es in erster Linie um die Adressat*innen von Normen und den Zusammenhang mit Ungleichheit (partikulare Ordnungssätze) beziehungsweise Gleichheit (allgemeine Ordnungssätze). (Kapitel 5.2.1) Anschließend wird beschrieben, auf welche Art und Weise die Ordnung eines Textes sowie die vorkommenden Ereignisse rekonstruiert werden können: durch die explizite Formulierung von Ordnungssätzen; durch implizite Erschließung durch das als alltäglich Dargestellte; oder durch explizite beziehungsweise narrative Sanktionen (Kapitel 5.2.2). Die verschiedenen Möglichkeiten der Ordnungswiederherstellung werden anschließend an einem Beispiel konkretisiert (Kapitel 5.2.3). Zuletzt wird dargestellt, wie sich Innenraum und Außenraum in einem narrativen Text konstituieren und wie der Normmensch sowie der weiße Pädophile sich in dieses Modell integrieren lassen (Kapitel 5.2.4).
5.2.1
Ordnungssätze als formallogische Rekonstruktion sozialer Normen
Die Ordnungssätze spielen in der Grenzüberschreitungstheorie eine zentrale Rolle. Als Teil der sujetlosen Textschicht bestimmen sie das Weltbild des jeweiligen Textes. Damit bilden sie die Basis für die sujethafte Textschicht, denn ohne Ordnung kann es keinen Bruch mit dieser geben und damit kein Ereignis. Die innerhalb eines Textes etablierten Ordnungssätze können als Äquivalent zu den sozialen Normen in der ‚Realwelt‘ gesehen werden. Popitz’ Überlegungen zu Allgemein- und Partikularnormen sowie die damit verbundene Systematisierung von Personen im Hinblick auf den Geltungsbereich einer Norm haben demnach das Potenzial, dazu beizutragen, die Grenzüberschreitungstheorie weiter auszudifferenzieren. So stellt sich auch bei Ordnungssätzen die Frage nach den Normadressat*innen: Für wen gilt die Norm beziehungsweise der jeweilige Ordnungssatz? Nur für bestimmte in einem
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Text konstruierte Mengen von Figuren oder wird der Ordnungssatz als allgemeingültig formuliert? Die formallogische Rekonstruktion der Ordnungssätze in der Grenzüberschreitungstheorie bietet sich hier an, um den Geltungsbereich einer Norm festzuhalten. Jeder Ordnungssatz wird mit der Feststellung eröffnet, für wen er Gültigkeit beansprucht: ‚Für alle x gilt: …‘. 5.2.1.1 Partikulare Ordnungssätze und soziale Ungleichheit Diese Darstellung der Ordnungssätze schafft die Voraussetzung für die Identifizierung von sozialen Ungleichheiten, wie an weiteren Beispielen gezeigt wird. Ein Text kann beispielsweise folgenden Ordnungssatz etablieren: ‚Für alle x gilt: Wenn x eine Frau ist und x ein Kind hat, dann muss sich x um ihr Kind kümmern.‘ Das fiktive Szenario kann um einen weiteren Ordnungssatz ergänzt werden, der dem erstgenannten zugrunde liegt und auf der Vorstellung basiert, dass (mütterliche) Kindsfürsorge und Karriere sich gegenseitig ausschließen: ‚Für alle x gilt: Wenn x eine Mutter ist, darf x keine Karriere machen.‘ In diesem Fall bestimmt die Zugehörigkeit zu einer über die ungleichheitsgenerierende Kategorie Geschlecht definierte Teilmenge ‚Frauen‘ beziehungsweise ‚weibliche Figuren‘ die Optionen, die eine Figur hat, um Wohlstand zu erlangen und ihre berufliche Selbstverwirklichung voranzutreiben. Damit können die beiden Ordnungssätze als partikular beschrieben werden, da sie gruppenspezifisch sind und nur für die Menge aller Frauen gelten. Unter Einbezug der Überlegungen zur weißen Kernfamilie (Kapitel 4.2) sowie zu den Herrschaftssystemen (Kapitel 2.3) können Ordnungssätze wie die beiden beispielhaft genannten historisch verortet werden. So ist der Hintergrund der Ordnungssätze zum einen der Schutz der weißen Kernfamilie durch geschichtlich gewachsene Delegation der Erziehungs- und Fürsorgeaufgaben an die weiße Mutter. Zum anderen kann dieses Phänomen in einem größeren Kontext gesehen werden, wenn man die gesellschaftliche Bestimmung der weißen Frau als ‚Mutter und Fürsorgerin‘ als typisch für patriarchal, heteronormativ, kapitalistisch und (post-)kolonial strukturierte Systeme ansieht. Ein weiteres Beispiel für einen Ungleichheit evozierenden Ordnungssatz, den ein Text etablieren kann, stellt folgender Satz dar: ‚Für alle x gilt: Wenn x ein Mann ist und x Schwarz ist, dann ist x ein Ausländer.‘ Auf den ersten Blick scheint dieser Satz, der zwei Ausprägungen einer ungleichheitsgenerierenden Kategorie miteinander kombiniert und damit intersektional angelegt ist, neben einem etwaigen Unbehagen wegen einer potenziell falschen Zuordnung erst einmal keine negativen Konsequenzen für Schwarze Männer innerhalb eines narrativen Gefüges zu haben. Dieser Ordnungssatz kann jedoch um weitere ergänzt werden, die Rechte für Ausländer*innen einschränken (z. B. ‚Für alle x gilt: Wenn x eine Ausländer*in ist, dann darf x nicht dauerhaft in Deutschland leben/arbeiten/wählen etc.‘). Damit würden mit einem solchen Ordnungssatz alle Schwarzen Männer pauschal als Ausländer klassifiziert werden und infolgedessen mit Diskriminierungen zu rechnen haben –
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die Möglichkeit der Existenz eines Schwarzen Deutschen beziehungsweise Afrodeutschen ist in diesem Weltbild nicht vorgesehen. Selbstverständlich kann ein Text auch Ordnungssätze etablieren, die Privilegien festschreiben. These ist hierbei, dass privilegierende Ordnungssätze meist eher dem in Kapitel 2.2 definierten Normmenschen beziehungsweise einer ihm in verschiedenen Merkmalsausprägungen ähnelnden Personenmenge zugutekommen. 5.2.1.2 Allgemeine Ordnungssätze, Gleichheit und Weißsein Im Unterschied zu Partikularnormen gelten Allgemeinnormen nach Popitz für alle Gesellschaftsmitglieder und bedingen dadurch deren Gleichheit (Popitz 1980: 71). Die formallogische Rekonstruktion von Allgemeinnormen in Form eines Ordnungssatzes führt demnach zu folgender Formulierung: ‚Für alle x gilt: Wenn x ein Gesellschaftsmitglied ist, dann…‘. Entscheidend ist es nun zu identifizieren, wie in einem Text die Menge der Gesellschaftsmitglieder definiert wird. Popitz scheint, vermutlich seiner soziologischen Perspektive geschuldet, in erster Linie eine nationale Differenzierung vorzuschweben, denn er spricht von einer „Zugehörigkeit zur Sippe, zum Stamm, zum Volk“ (Popitz 1980: 71). Er benennt allerdings nicht die Kriterien, über die die Zugehörigkeit zu dieser nationalen beziehungsweise kulturellen Einheit bestimmt wird. Diese können rechtlicher Art (Staatsangehörigkeit) sein, aber auch eine Identifizierung über kulturelle Aspekte ist denkbar. Unter Einbeziehung der Erkenntnisse der kritischen Weißseinsforschung liegt die Vermutung nahe, dass die kulturelle Grenzziehung (auch) entlang der Kategorie ‚Rasse‘ vollzogen wird und eine Anerkennung als vollwertiges Gesellschaftsmitglied nur dann gegeben ist, wenn eine gesellschaftliche Zuschreibung zur Menge der Weißen erfolgt. Neben dieser Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung bezieht sich Popitz bei seinen Überlegungen zu Allgemeinnormen auf räumliche Vorstellungen: „Was drinnen für alle gilt, gilt jenseits der Mauern für keinen.“ (Popitz 1980: 72, Herv. i. O.) Die räumliche Definition von bestimmten Mengen an Individuen muss dabei nicht unbedingt mit nationalen Gruppierungen gleichgesetzt werden.3 Eine Möglichkeit der Bestimmung von Allgemeinnormen beziehungsweise allgemeinen Ordnungssätzen ist es, als Kriterium die durch das zentrale Ereignis definierte oberste Grenze eines Textes anzulegen, um entscheiden zu können, welche Figuren in einem Text zum ‚Innen‘ und welche zum ‚Außen‘ gehören. Andererseits können über Allgemeinnormen zwar Innen- und Außenraum voneinander abgegrenzt werden, es ist aber ebenfalls vorstellbar, dass Allgemeinnormen keine „scharfe[n] Kanten“ haben und somit auch für Nicht-Mitglieder gültig sind (Popitz 1980: 72).
3
Auch Subkulturen wie Burschenschaften etc. sind hier denkbar (vgl. Kapitel 6.2).
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So wird in der Tatort-Folge TOD EINER LEHRERIN (D 2011, R: Freundner) beispielsweise eine oppositionelle Dichotomie zwischen „Deutschland“ und „‚Afrika‘“4 aufgestellt. Dennoch beansprucht Kommissarin Lena Odenthal eine globale Gültigkeit des von ihr verteidigten Ordnungssatzes, der weibliche Beschneidung verbietet, indem sie sagt: „In Afrika ist das genauso falsch.“ (TC 1:24:05). Hier verläuft die oberste Grenze zwischen dem als fortschrittlich dargestellten „Deutschland“, wo Beschneidungen an Frauen und Mädchen gesetzlich verboten sind und folglich eine Regelverletzung darstellen, und dem als rückschrittlich präsentierten „‚Afrika‘“, wo weibliche Beschneidung „genauso falsch [ist]“, aber dennoch praktiziert wird. Dabei wird explizit gefordert, dass der Ordnungssatz nicht nur für den Innenraum und das Eigene gelten soll, sondern auch für diejenigen „jenseits der Mauern“. In diesem Fall manifestieren sich interessanterweise, auch und gerade in der Formulierung eines allgemeinen Ordnungssatzes und im Anspruch auf dessen Gültigkeit über den Bereich des Eigenen hinaus, ungleichheitsgenerierende Strukturen in Form eines eurozentristischen Überlegenheits- und Wahrheitsanspruchs im Hinblick auf Normen und Werte. 5.2.1.3
Normsetzer*innen, Normsender*innen und Normhüter*innen Neben den bereits erwähnten Normadressat*innen gibt es in einem narrativen Gefüge noch Normsetzer*innen, Normsender*innen und Normhüter*innen (Popitz 1980: 43), wobei alle drei Gruppen auch zeitgleich Adressant*innen einer Norm beziehungsweise eines Ordnungssatzes sein können. Normsetzer*innen sind die Figuren, die Ordnungssätze festlegen können und damit eine machtvolle Position innerhalb eines Narrativs einnehmen (Popitz 1980: 45). Diese Position kann als noch wirkmächtiger betrachtet werden, wenn die normsetzende Instanz nicht nur reziproke Ordnungssätze aufstellen kann, die für sie genauso wie für andere gelten, sondern auch nicht-reziproke Ordnungssätze, an die sie sich selbst nicht halten muss. Auch hier wird davon ausgegangen, dass normsetzende Instanzen häufig Figuren sind, die dem Normmenschen ähneln. Normhüter*innen fahnden aktiv nach Vergehen gegen Ordnungssätze und haben die Macht, diese zu sanktionieren (Popitz 1980: 44). In Kriminalgeschichten nehmen Angehörige der Menge der Polizist*innen beziehungsweise Kommissar*innen im Normalfall die Funktion der Normhüter*innen ein. Damit haben sie ebenfalls eine dominante Position inne, 4
Der Kontinent Afrika wird hier nur deshalb dem Land Deutschland gegenübergestellt, da in der Tatort-Folge TOD EINER LEHRERIN nicht wirklich zwischen den einzelnen Ländern und Kulturen Afrikas unterschieden wird. Die Setzung in Anführungszeichen soll dabei verdeutlichen, dass die Vorstellung, Afrika sei ein homogenes Land und nicht ein Kontinent mit einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturen, ein in diesem Film verwendetes Konstrukt ist.
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wenn sie auch nicht über den Inhalt der Normen bestimmen können, sondern als ausführende Gewalt zu betrachten sind. Der Literaturwissenschaftler und Mediensemiotiker Dennis Gräf sieht dies anders, indem er die Kommissar*innen per se als Normsetzer*innen einordnet und sie als Stellvertreter*innen der in einem Text insgesamt vertretenen Weltsicht ansieht, „weil die Ermittlerinnen als zur Norminstanz gehörend einen anderen Status als alle weiteren Figuren aufweisen: Sie sind an ihren eigenen Raum der ‚Detektion/Polizei‘ gebunden, der mit seinen spezifischen Merkmalen u. a. der Normkontinuität und -stabilität gerade in der Lage ist, Differenzierungen und Vergleiche im Kontext von Normen und Werten anhand des gesamten Figureninventars vorzuführen.“ (Gräf 2010: 231, Fußnote 159)
Inwiefern die Kommissar*innen lediglich Normen hüten oder auch setzen, wird durch die Analysen (Kapitel 7 bis Kapitel 9) zu bestimmen sein. Da Normhüter*innen als Vertreter*innen der Opfer eines Verbrechens beziehungsweise Unrechts angesehen werden können, wird ihnen unter Umständen zugestanden, dass sie „vom üblichen Verhalten abweich[en]“ (Popitz 1961: 194), um das Verbrechen aufzuklären beziehungsweise ein neues zu verhindern. Normsender*innen stellen die schwächste der drei Positionen dar. Ihre Aufgabe ist es, Ordnungssätze zu bekräftigen, beispielsweise durch Verbalisierung, Verhaltensverurteilung oder Sanktionsforderungen beziehungsweise -billigungen (Popitz 1980: 43f.). Die Aufteilung aller in einem Text vorkommenden Individuen nach den genannten Positionen bietet die Möglichkeit, diese gemäß ihrer Funktion im Hinblick auf soziale Normen beziehungsweise Ordnungssätze zu systematisieren. 5.2.1.4
Verbindlichkeit von Ordnungssätzen und ihr Zusammenhang mit Normen und Werten Im Hinblick auf die Verbindlichkeit von Normen wurde in Kapitel 2.4 in Anlehnung an Dahrendorf zwischen Muss-, Soll- und Kann-Erwartungen unterschieden (Dahrendorf 2006: 42). Diese Unterscheidung ist in Bezug auf die Formulierung in der Form von Ordnungssätzen schwierig umzusetzen, da Ordnungssätze stets MussRegelungen darstellen, zumindest im Hinblick auf den Personenkreis, für den sie gültig sind. Normen, die nur eingeschränkt verbindlich sind, lassen sich deshalb schwerlich in einem Ordnungssatz formalisieren. Unter Umständen können sie dennoch identifiziert werden, beispielsweise wenn das Verhalten einer Figur durch andere Figuren nicht gutgeheißen wird, es aber auch keine negativen Konsequenzen nach sich zieht. Eine weitere Möglichkeit, wie die Verbindlichkeit von Normen für die Analyse der Medienbeträge relevant werden kann, ist die fehlende Reaktion auf die Regelverletzung durch eine Figur. Beide Möglichkeiten führen jedoch im Umkehrschluss wiederum dazu, dass eine Regel beziehungsweise ein Ordnungssatz wegen fehlender Sanktionierung eventuell gar nicht erst als solcher erkannt werden
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kann beziehungsweise innerhalb des narrativen Textes in Frage gestellt wird. Insgesamt betrachtet erscheinen unverbindliche Normen damit als nicht zentral für die Analyse von Medienangeboten, was unter Umständen auch darauf zurückzuführen ist, dass in fiktionalen Narrativen im Gegensatz zur ‚Realwelt‘ aufgrund der begrenzten Erzählzeit Eindeutigkeit eine größere Rolle spielt, zumindest in Mainstream-Texten5. Als fruchtbar wird die strikte Differenzierung zwischen situationsbezogenen Normen und situationsübergreifenden Werten angesehen (Faltin 1990: 35). Hier gilt es, im Wissen um die komplexe Beziehung von Normen und Werten wo möglich die Werte zu identifizieren, die sich hinter den Ordnungssätzen verbergen, und diese in ihrem historischen Kontext und im Hinblick auf den Normmenschen zu interpretieren. Während Normen durch ihre Situationsbezogenheit sich im narrativen Text konkret manifestieren und deshalb in Form von Ordnungssätzen festgehalten werden können, stellt die Lokalisierung von Werten in weit größerem Maße ein interpretatives Moment dar. Beispielsweise lässt sich hinter den Ordnungssätzen, die Karriere und Mutterschaft verbieten, ein Hinweis auf den Wert der Familie erkennen, welcher wiederum durch die Ausführungen zur weißen Kernfamilie historisch hergeleitet wurde (Kapitel 4.2). Es sollen, wo vorhanden, in einem Text miteinander konkurrierende Wertsysteme zunächst offengelegt werden, um dann zu erörtern, welches Norm- und Wertsystem innerhalb eines Narrativs als das dominante dargestellt wird. Als dominant kann sich ein System beispielsweise dann erweisen, wenn anhand einer Figur beziehungsweise eines Kollektivs von Figuren eine bestimmte, auf einem Normsystem gründende Lösung für ein gesellschaftliches Problem in einem Text propagiert wird, das heißt, wenn die Weltsicht der Figur/des Kollektivs aufgrund der Darstellung im Text und der narrativen Lösung gegenüber alternativen Weltsichten bevorzugt wird.
5.2.2
Rekonstruktion von Ordnung und Ereignissen
Während, wie erwähnt, die Ordnung die sujetlose Textschicht darstellt, bilden die Ereignisse die sujethafte Textschicht. Beide stehen zueinander in einem Spannungsverhältnis: Ereignisse können nur auf Basis einer ihnen zugrunde liegenden Ordnung stattfinden und stellen gleichzeitig einen Angriff auf diese dar, da sie Regelbrüche sind, durch die die Ordnung verletzt wird. Unabhängig davon, wie innerhalb eines Textes mit Ordnungsverletzungen umgegangen wird (siehe dazu Kapitel 5.2.3), bietet das Auftreten eines Ereignisses die Möglichkeit, Rückschlüsse auf die Ordnungsstruktur des narrativen Textes zu ziehen. Daneben kann ein Text aber 5
An der ‚Realwelt‘ orientierte Mainstream-Texte können dabei in Abgrenzung zu Texten gesehen werden, die eindeutig alternative Weltbilder schaffen wollen oder Utopien darstellen, z. B. Sciene Fiction-Filme.
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auch eine Ordnung aufstellen, ohne dass diese verletzt werden muss. Unter Ordnung wird dabei „eine semantische, durch die konkrete Verfasstheit des jeweiligen Textes vorgegebene Dimension und die daraus abgeleitete Tiefenstruktur, die einer ideologischen entsprechen oder auf eine kulturell bekannte referieren kann“ (Krah 2006: 326f.) verstanden. Die Ordnung ist damit immer textabhängig und deshalb auch nur aus dem jeweiligen Text selbst ableitbar, auch wenn sie sich stets in irgendeiner Form zur ‚Realwelt‘ verhält. Die verschiedenen Möglichkeiten, die es gibt, um die Ordnung in einem Text zu rekonstruieren und damit die gültigen Ordnungssätze zu identifizieren, sollen im Folgenden in Anlehnung an den Literaturwissenschaftler Hans Krah vorgestellt werden. 5.2.2.1 Explizite Formulierung von Ordnungssätzen und implizite Erschließung Eine Möglichkeit, wie ein Text Ordnungssätze etablieren kann, ist durch die direkte Formulierung dieser Ordnungssätze durch Figuren beziehungsweise durch die Erzählinstanz6 in Form einer Voice-Over. Dies ist naturgemäß besonders häufig in der Exposition eines Textes der Fall (Krah 2006: 332; Renner 1983: 93). Es ist davon auszugehen, dass es einen Unterschied macht, wer den Ordnungssatz verbal formuliert und ob diese Figur als Normsetzer*in, Normhüter*in oder Normsender*in betrachtet werden kann. Die Ordnungssätze, die unmittelbar aus Figurenäußerungen hergeleitet werden können, können entweder im Laufe der Handlung in Frage gestellt werden oder auch nicht. Die verbalisierten Ordnungssätze müssen nun nur noch in eine formallogische Form überführt werden, wobei es zu entschlüsseln gilt, für wen sie gültig sind. Damit stellt diese Art der textuellen Vermittlung von Ordnung die direkteste dar und bietet die größte Eindeutigkeit für die Identifizierung der Ordnungssätze. Ordnungssätze lassen sich im Text auch anhand von als alltäglich dargestellten Positionen beziehungsweise als alltäglich dargestelltem Verhalten erkennen, 6
Die Frage nach der Erzählinstanz im Film ist schwierig zu beantworten und es ist nicht unumstritten, ob dieses Modell aus der Literaturwissenschaft überhaupt auf audiovisuelle Texte übertragen werden kann (Kuhn 2011: 75). Prinzipiell ist die Erzählinstanz im Film, im Gegensatz zu literarischen Texten, vielschichtiger aufgebaut und tritt nicht nur sprachlich – z. B. in einer Voice-Over – sondern auch visuell in Erscheinung, etwa durch Kameraperspektiven bzw. Kameraführung und die Montage (Kuhn 2011: 76f.). Der Rhetoriker und Filmarratologe Seymour Chatman unterscheidet in seinem Modell der filmischen Erzähler*in zwischen dem, was durch den „Tell-er“ sprachlich vermittelt wird und dem, was durch den „Show-er“ visuell gezeigt wird, wobei er auch eine sprachlich vermittelnde Voice-Over-Erzähler*in als dem „Show-er“ untergeordnet ansieht: „[…] the cinematic voice-over narrator is usually at the service of a larger narrative agent, the cinematic show-er.“ (Chatman 1990: 113)
140 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION „[e]twa, wenn bestimmte Geschehensabläufe oder Verhaltensweisen zueinander äquivalent sind, sich also paradigmatisch daraus eine Ordnung ableiten lässt, oder wenn bestimmte Zustände längere Zeit andauern, ohne dass dies als auffällig bewertet wäre, diese Zustände also nicht an eine spezielle Situation gebunden sind, sondern für eine bestimmte Dauer Gültigkeit besitzen […].“ (Krah 2006: 332)
Das, was im Text als gewöhnlich dargestellt wird, ist hierbei konstituierend für die Ordnung. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Wenn alle im Text vorkommenden erwachsenen, gegengeschlechtlichen Paare miteinander verheiratet sind und monogam zusammenleben, kann davon ausgegangen werden, dass der heterosexuellen Ehe und ihrer Ausgestaltung in häuslichen Lebensgemeinschaften mit sexueller Exklusivität in diesem Text ein paradigmatischer Status zukommt. Dies lässt sich in folgendem Ordnungssatz ausdrücken: ‚Für alle x und alle y gilt: Wenn x eine erwachsene Frau ist und y ein erwachsener Mann und beide miteinander eine romantisch-sexuelle Beziehung unterhalten, dann müssen sie verheiratet sein und monogam zusammenleben.‘ Die Bestimmung des Ordnungssatzes kann dabei anhand der Beobachtung erfolgen, dass alle in einem Text eingeführten Paare sich auf die beschriebene Weise verhalten und dies bei den im Text vorkommenden Figuren keine Reaktion des Erstaunens auslöst. Des Weiteren kann ein Text seine Ordnung dadurch deutlich machen, dass er bestimmtes Verhalten von Figuren negativ beurteilt und gegebenenfalls mit Sanktionen belegt. Daraus resultiert die dritte Möglichkeit der Identifikation von Ordnungssätzen: „Wenn Sachverhalte in der Reaktion von Figuren – oder der Erzählinstanz – als außergewöhnlich, als abweichend, als Verstoß gegen eine Ordnung bewertet werden, können die Grenze und die sie konstituierende Ordnung anhand der Überschreitung rekonstruiert werden. Denn solche Bewertungen präsupponieren natürlich eine Regel, gegen die verstoßen wird.“ (Krah 2006: 333) Explizite Sanktionen können vielfältiger Art sein und beispielsweise darin bestehen, dass eine Figur von anderen sozial ausgeschlossen wird, dass sie ins Gefängnis muss, dass sie verpflichtet wird, eine Geldstrafe zu bezahlen, oder dass ihr Verhalten öffentliche Missbilligung hervorruft. Die explizite Sanktionierung ermöglicht es den Rezipient*innen eines Beitrags die Sanktion innerhalb eines Textes direkt auf das Verhalten einer Figur zurückzuführen. Neben Sanktionen können hervorstechende Reaktionen der Figuren auf bestimmte Verhaltensweisen anderer Figuren auf normabweichendes Verhalten hindeuten, beispielsweise wenn sie sehr emotional oder aufgeregt agieren. Dabei ist auch auf Feinheiten wie die „Wortwahl und den Tonfall“ in Aussagen von Figuren zu achten (Kanzog 1991: 116). So können explizit im Text von Figuren verbalisierte Ordnungssätze wegen der negativen Interpretation durch andere Figuren für die Rezipient*innen als inakzeptabel disqualifiziert werden. Auch das Verhalten von Nebenfiguren spielt dabei eine Rolle, beispielsweise inwiefern sie durch Mimik und
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Gestik Zustimmung oder Betroffenheit signalisieren (Kanzog 1991: 116). Bei all diesen Indikatoren ist es möglich (und nötig), Textstellen als direkte Belege für die ermittelten Ordnungssätze heranzuziehen. Neben der Identifizierung von Ordnungssätzen anhand negativer Reaktionen auf das Verhalten einer Figur und/oder expliziter Sanktion der Figur wegen ihres Verhaltens, besteht auch die Möglichkeit, dass Figuren nicht direkt auf der diegetischen Ebene, sondern implizit durch die Erzählung selbst mit einer sogenannten narrativen Sanktion belegt werden. 5.2.2.2 Feststellung der Ordnung durch narrative Sanktionen Die Identifikation der Ordnung über narrative Sanktionen stellt einen Sonderfall dar, da die auf diese Weise ermittelten Ordnungssätze direkt auf die Erzählinstanz zurückgeführt werden können und dadurch ein besonderes Gewicht erhalten. Krah definiert narrative Sanktion folgendermaßen: „Narrative Sanktion ist eine Textstrategie, die die Ermittlung des Stellenwerts eines Sachverhalts auf die Handlungsebene verlagert und diese quasi als Beweisverfahren gebraucht. Anstatt direkt ein Verhalten als Normverstoß zu klassifizieren, indem eine solche Bewertung explizit verbal ausgesprochen und gesetzt wird, dient der weitere Gang der Handlung als Dokumentation und Bestrafung einer Normverletzung: Ein negativer Handlungsverlauf bzw. ein negativer Ausgang einer Handlung demonstriert, dass bereits die jeweilige Einstellung, die jeweils zugrunde liegenden Werte- und Verhaltensweisen selbst bereits den geltenden, vom Textgesamtsystem propagierten Normen widersprechen.“ (Krah 2006: 333f., Herv. i. O.)
Unter narrativer Sanktion wird demnach etwas Negatives verstanden, das einer Figur widerfährt, ohne dass es innerhalb des Textes einen expliziten Verweis – beispielsweise eine sprachliche Äußerung – darauf gibt, dass die negative Erfahrung eine Bestrafung des Verhaltens der Figur darstellt. Da alle Ereignisse und alles Geschehen eines Textes als bedeutungstragend aufgefasst werden können, kann eine narrative Sanktion dennoch als mit dem Verhalten von Figuren in Zusammenhang stehend aufgefasst werden und stellt gleichsam auf übergeordneter Ebene die Missbilligung des Verhaltens durch die Erzählinstanz dar. Um nochmals zu dem Beispiel der beruflich erfolgreichen Mutter aus Kapitel 5.2.1 zurückzukehren: Eine narrative Sanktion kann hier etwa darin bestehen, dass ihr Kind erkrankt. Die Berufstätigkeit der Mutter muss dabei im Text nicht explizit als ursächlich für die Krankheit des Kindes dargestellt werden, ist aber im gesamten narrativen Gefüge durch die Entwicklung der Handlung aus der Perspektive der Rezipient*in dennoch mit dieser in Zusammenhang zu bringen. Implizite narrative Sanktionen können verstärkt werden, indem sie neben negativ sanktioniertem Verhalten das als positiv bewertete gegenteilige Verhalten belohnen oder aber indem sie das negative Verhalten mehrfach zeigen und bestrafen. Damit stellen die Ergänzung beziehungsweise die Dopplung zwei Mittel zur Ver-
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deutlichung der Ordnung der Narration dar. Während die negative Sanktion als der Normalfall narrativer Sanktionen betrachtet werden kann, ist die positive narrative Sanktion ein Sonderfall, der in Ergänzung zur negativen Sanktion auftreten kann. Im konkreten Beispiel wäre denkbar, dass der berufstätigen Mutter mit dem kranken Kind eine Mutter gegenübergestellt wird, die als glückliche Hausfrau gezeigt wird und ein gesundes Kind hat, das sich zudem etwa durch eine besondere Begabung auszeichnen könnte. Unter Dopplung wird das mehrmalige Vorführen eines gleichen beziehungsweise ähnlichen Falls innerhalb der Narration verstanden: Nicht nur eine Mutter, sondern mehrere Mütter erfahren eine narrative Sanktion aufgrund ihrer Berufstätigkeit, beispielsweise durch Krankheit ihrer Kinder. Beide vorgestellten Mittel können als Beleg aufgefasst werden, dass den entsprechenden Ordnungssätzen und den Werten, auf die sie verweisen, innerhalb der Narration ein besonderer Stellenwert zukommt. Hier wird die These vertreten, dass gerade soziale Normen wie die des Verbots von gleichzeitiger Karriere und Mutterschaft, die unter Umständen einen gesellschaftlichen Konsens darstellen, aber gesetzlich in der ‚Realwelt‘ nicht zulässig sind, innerhalb eines Mainstream-Textes eher eine implizite Sanktion als eine explizite Sanktion erfahren. Narrative Sanktionen kommen demnach beispielsweise dann vor, wenn an der ‚Realwelt‘ orientierte filmische oder sprachliche Mainstream-Texte soziale Normen in Form von Ordnungssätzen aufweisen, die mit der Gesetzeslage der ‚Realwelt‘ in Widerspruch stehen. Denn gesetzlich ist, um beim obigen Beispiel zu bleiben, die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Deutschland eindeutig festgelegt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (GG Art. 3, Abs. 2). Es ist nun davon auszugehen, dass in solchen Fällen keine explizite Sanktion in Form einer direkten Bestrafung durch andere Figuren beziehungsweise Institutionen wie die Polizei erfolgt, sondern eine narrative Sanktion, welche zwar unterschwellig den gesellschaftlichen Konsens widerspiegeln kann und deshalb auf Akzeptanz bei den Zuschauer*innen hoffen darf, aber offiziell dem Gleichheitsprinzip widerspricht und deshalb nicht direkt vermittelt werden kann. Aus diesem Grund wird der innerhalb des Textes implizit präsupponierte Kausalzusammenhang durch die narrative Sanktion verschleiert. Falls diese These zutrifft, hätten wir es hier mit einem Fall zu tun, bei dem formal politisch korrekt erzählt wird, tatsächlich aber ein Beitrag zur medialen Produktion sozialer Ungleichheit geleistet wird – einem Fall also, in welchem unter Umständen die Gleichheit zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts vorausgesetzt wird, gleichzeitig aber Ungleichheit narrativ legitimiert wird (vgl. Kapitel 2.1). Diese Vermutung führt zu einer weiteren Hypothese. H 4:
Verhaltensweisen von Figuren, die gesetzlich erlaubt sind beziehungsweise aus einer politisch korrekten Position zu befürworten/akzeptieren sind, aber die voraussichtlich in der Mehrheitsgesellschaft konsensuell negativ bewer-
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tet werden, werden in Medienbeiträgen eher narrativ sanktioniert als explizit. Die in der Einleitung (Kapitel 1) angeführte Hypothese kann demnach konkretisiert werden, indem bei der Formulierung der abstrakte Begriff der impliziten Sanktion durch das Konzept der narrativen Sanktion ersetzt wird.
5.2.3
Möglichkeiten der Ordnungswiederherstellung
Wenn man davon ausgeht, dass ein Ereignis eine Narration ins Ungleichgewicht bringt und die Ordnung nach den in Kapitel 5.1.2 beschriebenen Möglichkeiten wieder in Balance gebracht werden muss, stellt sich die Frage, wie dies genau geschieht. Die drei Möglichkeiten der Ordnungswiederherstellung sollen beispielhaft an den beiden bereits eingeführten Ordnungssätzen ‚Für alle x gilt: Wenn x eine Frau ist und x ein Kind hat, dann muss sich x um ihr Kind kümmern.‘ und ‚Für alle x gilt: Wenn x eine Mutter ist, darf x keine Karriere machen.‘ demonstriert werden. Wenn eine weibliche Figur ein Kind hat, sich nicht um dieses kümmert und stattdessen Karriere macht, tritt innerhalb des Narrativs ein Ereignis7 ein, denn die Frau verletzt mit ihrem Verhalten die geltende Ordnung des Textes. Ihr Verhalten kann dabei wie in Kapitel 5.2.1 ausgeführt als Angriff auf die weiße Kernfamilie gelten und da diese konstituierend für die weiße Gesellschaft ist, als Angriff auf die weiße Gesellschaft schlechthin. Zugleich ist der Lebensstil der weiblichen Figur in diesem Beispiel als Infragestellung der Herrschaft des Normmenschen und der ihn stützenden patriarchalen sowie anderen Herrschaftsstrukturen zu verstehen. Nach dem Konsistenzprinzip, das die Auflösung der Ordnungsverletzung verlangt, muss die durch das Ereignis in Unordnung gebrachte Ordnung wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Es muss also innerhalb des Narrativs etwas geschehen, das die Ordnung restauriert. Die Ordnung kann beispielsweise dadurch wiederhergestellt werden, dass die Figur in den Ausgangsraum zurückkehrt. Im genannten Beispiel bedeutet das, dass die weibliche Figur ihr Verhalten ändert: ihren Job aufgibt oder die berufliche Arbeitsbelastung zumindest stark reduziert und sich vermehrt um ihr Kind kümmert. Auch wenn innerhalb des Textes kein Zustand präsentiert wird, in dem die Frau kinderlos war beziehungsweise keinen Job hatte („Ausgangsraum“), kann er als ursprünglicher und damit für den Fall der Arbeitslosigkeit beziehungsweise des Karriereverzichts als wünschenswert vorgeführter Zustand präsupponiert werden. 7
Streng genommen müsste man von zwei Ereignissen sprechen, da beide genannten Ordnungssätze verletzt werden, also zwei Regelübertretungen vorliegen. Da diese in dem angeführten Beispiel sehr eng miteinander verknüpft sind, werden sie der Übersichtlichkeit wegen als ein Ereignis betrachtet.
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Durch die Verhaltensänderung weist die Figur damit nun (wieder) Merkmale auf, die sie als normkonform kennzeichnen. Ihre Verhaltensänderung kann dabei durch eine negative Sanktion hervorgerufen werden. Diese kann entweder innerhalb des Narrativs als solche gekennzeichnet sein, zum Beispiel indem die Figur offensichtlich für das beschriebene Verhalten von anderen Figuren bestraft wird. Sie kann aber auch implizit in Form einer narrativen Sanktion geschehen, wenn etwa wie oben beschrieben das Kind erkrankt. Wenn die Mutter daraufhin ihre Berufstätigkeit aufgibt, um sich um ihr krankes Kind zu kümmern, ist die Ordnung wiederhergestellt, denn die Verletzung des Ordnungssatzes ‚Für alle x gilt: Wenn x eine Frau ist und x ein Kind hat, dann muss sich x um ihr Kind kümmern und dann darf x keine Karriere machen.‘ besteht nicht mehr, da der Widerspruch zwischen Ordnungssatz und Situationsbeschreibung aufgehoben ist.8 Eine Variation der Ordnungswiederherstellung durch „Rückkehr in den Ausgangsraum“ stellt das „‚Beuteholerschema‘“ (Renner 1983: 168) dar, bei dem die Figur nicht ohne irgendeine Art von Gewinn in den Ursprungsraum zurückkehrt. Die Ordnungsherstellung durch Sanktionierung und darauf folgende Ordnungswiederherstellung durch Verhaltensänderung kann als konservative Lösung betrachtet werden, weil die bisherigen Normen und damit die ‚alte‘ Ordnung bestätigt werden. Normen, die auf diese Weise durch Narrative bestärkt werden, können innerhalb öffentlicher Diskurse als – zu einem bestimmten Zeitpunkt –zentral angesehen werden. Die zweite Möglichkeit, ein „Aufgehen im fremden Raum“, ist bei dem genannten Beispiel schwieriger vorstellbar. Sie setzt voraus, dass die Ordnungsverletzung dadurch behoben wird, dass die Figur, die für den Regelbruch zu verantworten ist, ihre Eigenschaften denen des neuen Raumes anpasst. Wenn man die erfolgreiche Berufstätigkeit bei gleichzeitiger Elternschaft als Privileg des Mannes ansieht, dann ist die Karriere-Mutter als Figur zu betrachten, die unerlaubterweise den Raum/die Menge der Männer betreten hat. Ihr Geschlecht ist wiederum das Merkmal, das sie von den anderen Mitgliedern der neuen Menge trennt. Um den Widerspruch ihrer Anwesenheit im fremden Raum aufzulösen, muss die Frau zum Mann werden. Dies könnte beispielsweise dadurch passieren, dass der Mutter immer mehr als männlich interpretierbare Eigenschaften zugewiesen werden: in Bezug auf ihr Äußeres, aber auch auf ihr Verhalten. Es kann aber im extremsten Fall auch durch eine – narrativ erzählte – biologische Geschlechtstransformation geschehen. Erzähltheoretisch problematisch ist hierbei, dass die Familie stets aus den drei Komponenten ‚Mutter‘, ‚Vater‘ und ‚Kind(ern)‘ besteht und eine Transformation der Mutter in die Rolle des Mannes hier auch die Position des Vaters betrifft, dessen Rolle die transformierte Mutter nun beansprucht. Gleichzeitig müsste hier also der Vater ebenfalls einen Rollenwandel vollziehen, um fortan die Position der Mutter einzunehmen. 8
Oft enden Texte hier, auch wenn es keine abschließende Lösung gibt, weil beispielsweise unklar ist, ob die Mutter ihre Berufstätigkeit wieder aufnehmen wird oder nicht.
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Eine weitere Möglichkeit wäre, dass der Vater stirbt, was in einer Erzählung für die Mutter die Legitimation bieten könnte, die Vaterrolle auszufüllen, ohne dass es zu einem Rollenkonflikt kommt. Eine weitere Möglichkeit der Ordnungswiederherstellung besteht darin, dass die beruflich erfolgreiche Mutter stirbt. Auch dies kann als „Aufgehen im fremden Raum“ angesehen werden, wenn als höchste Grenze in einem Narrativ die zwischen den Geschlechtern (und nicht die zwischen Lebenden und Toten) etabliert wird. Diese Variante kann so interpretiert werden, dass der einzig zulässige Zustand der berufstätigen Mutter im fremden Raum derjenige ist, in dem sie nicht mehr lebt. Während die soziale Transformation der Mutter zum Mann/Vater durchaus als innovativ bezeichnet werden kann, ist der Tod der Mutter als konservative Lösung zu verstehen. Er stellt zudem keine wirkliche Lösung, sondern eher eine ‚Pseudolösung‘ dar, da zwar das ‚Problem‘ auf der diegetischen Ebene ‚gelöst‘ wird, aber keine in die ‚Realwelt‘ übertragbare Lösung und damit kein Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung geleistet wird. Das Modell der narrativen Lösung durch „Tötung von Figuren“ kann daher als eine „Entsemiotisierung der moralischen Probleme“ angesehen werden (Gräf 2010: 144, Herv. i. O.). In den bisher beschriebenen Beispielen der Ordnungswiederherstellung wurde das normabweichende Verhalten sanktioniert beziehungsweise musste die Figur sich ändern, um das Gleichgewicht des Textes wiederherzustellen. Prinzipiell ist aber auch noch eine andere narrative Lösung zur Ordnungswiederherstellung möglich: die Metatilgung. Diese impliziert eine „Änderung der Raumordnung“. Bei der Metatilgung muss sich nicht das Verhalten von Figuren ändern, sondern die Ordnung selbst wird angepasst, so dass das Verhalten der Figuren keine Ordnungsverletzung mehr darstellt. Im genannten Beispiel könnte der Ordnungssatz, der die karrierefördernde Berufstätigkeit von Müttern verbietet, außer Kraft gesetzt werden. Denkbar wäre auch eine Klausel, die die Delegierung von Reproduktionsarbeiten von Müttern an andere Personen legitimiert. Durch die Metatilgung ist das Verhalten nicht mehr ordnungswidrig und das Gleichgewicht des Narrativs auch ohne eine Verhaltensänderung der Figur(en) wiederhergestellt. Die Mutter ist in diesem Setting zur Neuerin beziehungsweise Normsetzerin geworden und hat einen Wandel eingeleitet. Diese Lösung zeigt das Potenzial von Texten, Ordnungssätze beziehungsweise soziale Normen zu verändern und damit für die Schaffung von zur ‚Realwelt‘ alternativen Weltbildern zu sorgen, wodurch zumindest theoretisch auch ein gesellschaftlicher Wandel angestoßen werden kann.
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5.2.4
Innen-/Außenraummodell und Pädophilie
Das Innenraum-/Außenraum-Modell von Lotman – beziehungsweise analog dazu die Vorstellung einer Menge und ihrer Komplementärmenge9 – eignet sich in besonderer Weise zur Analyse von sozialen Ungleichheiten und Pädophilie. Der Innenraum kann als Raum des Positiven, der Privilegien und der Legalität angesehen werden. Er steht damit für das ‚Eigene‘ wie für die weiße Gesellschaft allgemein. These ist hierbei einerseits, dass der Normmensch im Zentrum des Innenraums steht und damit die mächtigste Position einnimmt und andererseits, dass Figuren sich, wenn sie sich an die – dem Normmenschen nützenden – Regeln halten, ebenfalls im Innenraum aufhalten dürfen und Privilegien genießen, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. Damit ist der Innenraum hierarchisch strukturiert. Anhand der Ordnungssätze lassen sich diese beiden Thesen überprüfen. Es ist davon auszugehen, dass die Ordnungssätze eines Textes positive Auswirkungen für den Normmenschen beziehungsweise für Figuren haben, die diesem in vielen Kategorieausprägungen entsprechen. Andererseits erfahren Figuren, die vom Normmenschen abweichen, durch Partikularnormen Einschränkungen. Des Weiteren wird wie angesprochen angenommen, dass die normsetzende Instanz in einem Text eine dem Normmenschen nahestehende Position einnimmt. Der Normmensch kann als Zentrum des Innenraums gleichzeitig den Extrempunkt des Narrativs darstellen, dies muss jedoch nicht zwingend der Fall sein. Denkbar sind auch andere Konstellationen, beispielsweise dass eine Figur, die das Weltbild des Normmenschen angreift, den Extrempunkt bildet. Der Außenraum wiederum ist der Raum, der für das Negative, für Diskriminierung und für Illegalität steht.10 Der Außenraum ist der Raum des ‚Anderen‘ und kann mit Popitz als der Ort betrachtet werden, wo selbst die Allgemeinnormen aufhören können, gültig zu sein: „Was drinnen für alle gilt, gilt jenseits der Mauern für keinen. Der Außenstehende ist demnach derjenige, bei dem gerade das Allgemeinste, das allen Gemeinsame zu gelten aufhört.“ (Popitz 1980: 72, Herv. i. O.) Bei der Analyse eines Textes muss herausgearbeitet werden, wo der Text die Grenzen zieht zwischen denen, die noch zum Innen gehören und denen, die ins Außen verwiesen werden. Prinzipiell kann diese Grenze in jedem medialen Text anders gezogen werden. Bei der Betrachtung der Grenze zwischen Innen- und Außenraum gilt es zudem darauf zu achten, ob die Grenzziehung mit der Konstruktion von Ungleichheit einhergeht. 9
Innerhalb eines Textes kann es durchaus mehrere Mengen bzw. Komplementärmengen geben bzw. der Text kann einen Innenraum von einem Außenraum abgrenzen, welcher wiederum in mehrere Räume untergliedert ist (vgl. Bostnar, Pabst & Wulff 2002: 155).
10
Die Trennlinie zwischen Legalität und Illegalität kann dabei als oberste Grenze im Kriminalfilm angesehen werden (Bauer 1992: 45).
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Einen Fall von besonderem Interesse stellt das Feld Pädophilie dar. Der Prototyp des weißen Pädophilen ist in Bezug auf seine äußere Erscheinung nicht vom Normmenschen zu unterscheiden: Er ist westlich, weiß, deutsch, männlich, ablebodied, erwachsen und gehört der Mittelschicht an (vgl. Kapitel 2.2). Lediglich im Hinblick auf seine sexuelle Orientierung weicht der Pädophile vom Normmenschen ab, aber dieses Merkmal ist äußerlich zunächst nicht wahrnehmbar. Damit ist der Pädophile einerseits nahe am Zentrum des Innenraums anzusiedeln, andererseits kann er aber aufgrund der aktuellen eindeutigen Ablehnung von Pädophilie in der Öffentlichkeit als Feind im Inneren (vgl. Kapitel 4.3) betrachtet werden. Damit bedroht er den Innenraum und letztlich die weiße Gesellschaft als Ganzes von innen heraus. Hier stellt sich die Frage, welche Strategien gerade in audiovisuellen Medienbeiträgen entwickelt werden, um den Pädophilen auch visuell zu kennzeichnen oder ob die Texte – beispielsweise zur Generierung von Spannung in Kriminalgeschichten – mit der Unsichtbarkeit seines Stigmas spielen.
5.3
M ETHODISCHES V ORGEHEN
Zunächst wird für jeden Film11 ein Sequenzprotokoll angefertigt (Kanzog 1991: 136-151). Die schriftliche Erfassung des Ablaufs des Narrativs und die Transkription des Dialogs im Sequenzprotokoll bieten den Vorteil eines besseren Überblicks über den Film. Im nächsten Schritt wird eine Grafik erstellt, welche die Figurenkonstellation im Überblick aufzeigt (Krah 2006: 361-363). Nach dieser tabellarischen und visuellen Aufbereitung des Films kann der jeweilige Medienbeitrag mithilfe der Grenzüberschreitungstheorie rekonstruiert werden, um anschließend die Bezüge zu Pädophilie und der weißen Kernfamilie herausarbeiten zu können sowie ungleichheitsfördernde Strukturen zu identifizieren. Die einzelnen Analyseschritte werden im Folgenden weitgehend in der durchzuführenden Reihenfolge vorgestellt. In diesem Zuge werden Leitfragen formuliert, die die empirische Umsetzung erleichtern sollen. Dabei gilt es darauf zu achten, dass die in Kapitel 4 und Kapitel 5.2.2.2 benannten Hypothesen anhand der Antworten auf die Leitfragen überprüft werden können: H 1:
11
Pädophilie wird in Medienbeiträgen als Angriff auf die weiße Kernfamilie und damit auf die weiße Gesellschaft in ihrer Gesamtheit inszeniert.
Da in den Kapiteln 7 bis 9 Tatort-Folgen analysiert werden, ist folglich entweder von Text oder Film die Rede, wenn es um den Gegenstand der Analyse geht.
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H 2:
H 3:
H 4:
Pädophilie wird in Medienbeiträgen als (krankhafter) Auswuchs sich verändernder Familienformen respektive der Auflösung der Kernfamilie inszeniert. Die mediale Klassifikation von Pädophilen als ‚andersartig‘ hat die Funktion, die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit aufrechtzuerhalten und stützt damit das Ideal der weißen Kernfamilie. Verhaltensweisen von Figuren, die gesetzlich erlaubt sind beziehungsweise aus einer politisch korrekten Position zu befürworten/akzeptieren sind, aber die voraussichtlich in der Mehrheitsgesellschaft konsensuell negativ bewertet werden, werden in Medienbeiträgen eher narrativ sanktioniert als explizit.
Hypothese vier verbindet dabei eine methodische Fragestellung mit einer inhaltlichen. Eine weitere Hypothese soll hier formuliert werden, um auch Ungleichheiten systematisch überprüfen zu können. Sie bezieht sich auf alle vier vorangegangenen Hypothesen und lautet: H 5:
Die Inhalte aller dieser Annahmen dienen dem Machterhalt des Normmenschen und festigen damit soziale Ungleichheiten.
Bei der Analyse der einzelnen Medienbeiträge wird zum einen möglichst systematisch vorgegangen, zum anderen aber genügend Raum gelassen, um gegebenenfalls spezifische Punkte zu erörtern, die nur in einem bestimmten Text eine Rolle spielen. Das bedeutet, dass die im Folgenden beschriebenen Schritte zwar prinzipiell bei allen Medienbeiträgen analog durchzuführen sind, bei der Interpretation der Ergebnisse jedoch Rücksicht auf die Eigenheiten des jeweiligen Films genommen werden muss. Dies kann beispielsweise zu einer unterschiedlichen Schwerpunktsetzung führen, je nachdem welche ungleichheitsgenerierenden Kategorien, Themen etc. in einem Film besonders wichtig sind. Wo angebracht, können bei der empirischen Umsetzung (Kapitel 7 bis 9) exemplarisch detaillierte Analysen von Schlüsselsequenzen/-szenen erfolgen.
5.3.1
Rekonstruktion der Ordnung
Zunächst muss die Ordnung des Textes rekonstruiert werden, bevor die innerhalb der Narration stattfindenden Ereignisse dargestellt werden können. Dazu werden die in einem Text relevanten Ordnungssätze identifiziert, wobei auf die in Kapitel 5.2.2 vorgestellten Möglichkeiten der Rekonstruktion zurückgegriffen wird. Eine Möglichkeit stellt die Identifikation von Ordnungssätzen anhand verbaler Äuße-
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rungen von Figuren12 dar. Dabei gilt es herauszufinden, welche Funktion im narrativen Gefüge Figuren einnehmen, die Ordnungssätze formulieren: Wer formuliert Ordnungssätze explizit? Wer sind die Normhüter*innen und Normsender*innen im jeweiligen Text? Wer fungiert als zentrale Norminstanz beziehungsweise als Normsetzer*in?
Weiter muss eruiert werden, wie groß der Geltungsbereich der formulierten Ordnungssätze ist. In Bezug auf den Geltungsbereich des jeweiligen Ordnungssatzes ist dessen formallogische Rekonstruktion sinnvoll, die zum einen die Adressat*innen des Ordnungssatzes aufführt (‚für alle x gilt‘) und zum anderen in Form von ‚Wenn…, dann…‘-Sätzen Aufschluss über das einer Position angemessene Verhalten gibt. Folgende Fragen sind in diesem Zusammenhang an den zu analysierenden Text zu richten: Für wen gilt ein Ordnungssatz, das heißt, wer sind die Normadressat*innen? Gilt ein Ordnungssatz nur für bestimmte, konstruierte Mengen von Figuren oder wird der Ordnungssatz als allgemeingültig formuliert, handelt es sich also um eine Allgemein- oder Partikularnorm? Ist der Ordnungssatz reziprok oder nicht-reziprok, das heißt, gilt er auch für die Figur, die ihn vermittelt, oder nicht? Werden die explizit formulierten Ordnungssätze im Verlauf der Narration in Frage gestellt? Gibt es also eine Diskrepanz zwischen Gültigkeitsanspruch und tatsächlicher Gültigkeit?
Die zweite Möglichkeit zur Rekonstruktion von Ordnungssätzen ist die Lokalisierung dessen, was in einem Text als das Alltägliche dargestellt wird. Was wird im Text längerfristig als gewöhnlich dargestellt?
Die dritte Möglichkeit besteht darin, zu bestimmen, wessen Verhalten negativ bewertet wird und wann es zu expliziten Sanktionen kommt: Welches Verhalten einer oder mehrerer Figuren wird von einer oder mehreren anderen Figuren negativ bewertet? Kommen explizite Sanktionen vor, wie beispielsweise sozialer Ausschluss oder angedrohte beziehungsweise verwirklichte Gefängnis- oder Geldstrafen?
12
In non-fiktionalen Texten kann die Position von Figuren von anderen Charakteren eingenommen werden, beispielsweise in journalistischen Beiträgen von Protagonist*innen. Dies gilt nicht nur für verbale Äußerungen, sondern bezieht sich auf die restlichen in Kapitel 5.3 geäußerten Überlegungen.
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Als letzte Möglichkeit können Ordnungssätze über die in einem Text vorkommenden narrativen Sanktionen identifiziert werden: Gibt es negative Erfahrungen einer Figur, die als Bestrafung ihres Verhaltens aufgefasst werden können? Wird die narrative Sanktion entweder durch narrative Belohnung des gegenteiligen Verhaltens oder durch die narrative Bestrafung des gleichen Verhaltens mehrerer Figuren verstärkt?
Beispiele für narrative Sanktionen sind Tod, Krankheit oder Unglück von Angehörigen oder der Figur selbst: ein erlittener Unfall, der Verlust des Arbeitsplatzes oder des Vermögens. Die auf diese Weise bestimmten Ordnungssätze können nun thematisch sortiert werden, wobei die Ordnungssätze, die sich mit dem gleichen Themenfeld beschäftigen, zu einer Gruppe zusammengefasst werden können.
5.3.2
Rekonstruktion der Ereignisse und der Ordnungswiederherstellung
Der nächste Analyseschritt, die Identifizierung der Ordnungsverletzungen, ist eng mit der Formulierung der Ordnungssätze verknüpft. Leitend ist dabei die Frage, welche Ereignisse innerhalb eines Films auftreten und wie die durch sie gestörte Ordnung nach dem Konsistenzprinzip wiederhergestellt wird. So kann beispielsweise negatives Verhalten, das zu einer expliziten Sanktion führt, als Regelbruch und damit als ereignishaft aufgefasst werden. Ebenso deuten narrative Sanktionen darauf hin, welches Verhalten innerhalb des Ordnungsgefüges des Films als ordnungswidrig aufzufassen ist. Ordnungssätze beschreiben in ihrer formallogischen Formulierung nicht zwingend eindeutige Verbote beziehungsweise Gebote, jedoch steckt hinter jedem Ordnungssatz ein Gebot/Verbot. Deshalb kann es erforderlich sein, die Ordnungssätze in Gebote und Verbote umzuformulieren, um die Ereignisse bestimmen zu können. Im Hinblick auf die Ereignisse interessiert vor allem, was das zentrale Ereignis eines Films ist, also das Ereignis, welches auf die Substanz des Narrativs verweist und damit auf die Aussage des Films. Hilfreich für die Ermittlung des zentralen Ereignisses ist es, den zentralen Ordnungssatz des Textes zu entschlüsseln, da dieser Ordnungssatz mit dem zentralen Ereignis in Zusammenhang steht. Was ist der zentrale Ordnungssatz? Weshalb ist er zentral? Sind ihm zum Beispiel andere Ordnungssätze untergeordnet? Auf welches zentrale Ereignis deutet er hin? Auf welche Aussage des Textes verweist das zentrale Ereignis?
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Anschließend kann der Blick auf die Art und Weise der Ordnungswiederherstellung gelenkt werden: Wie wird die verletzte Ordnung wiederhergestellt? Durch explizite oder implizite Sanktionen, durch die Eliminierung der Figur, die die Ordnung verletzt etc.?
5.3.3
Raumstrukturen
Während die bisher vorgestellte Rekonstruktion der Ordnung und Ereignisse über Ordnungssätze einen hohen Strukturierungsgrad aufweist, ist die Analyse der Raumstrukturen weniger stark systematisiert. Dafür sind die Raumstrukturen intuitiver erfassbar, unter anderem wegen der Möglichkeit, die Grenzüberschreitungen zu visualisieren. Die Betrachtung von Grenzüberschreitungen unter räumlichen Gesichtspunkten ergänzt damit die vorangegangenen Analyseschritte. Grundsätzlich können die Grenzüberschreitungen auf der Verletzung juristischer oder sozialer Normen beruhen, wobei diese auch in Zusammenhang stehen können. Juristische Normen entsprechen dabei Muss-Erwartungen (Dahrendorf 2006: 42; vgl. auch Kapitel 2.4.1) und beruhen auf gesetzlichen Vorschriften, die denen der ‚Realwelt‘ entsprechen können. Welche Ordnungssätze können als juristische Normen aufgefasst werden, welche als soziale? Werden juristische mit sozialen Normen verknüpft?
Analog zu den drei in Kapitel 5.2.3 dargestellten Möglichkeiten der als obligatorisch angenommenen Ordnungswiederherstellung sind bei der Analyse folgende Fragen hilfreich: Wird die Ordnung durch die „Rückkehr in den Ausgangsraum“ der grenzüberschreitenden Figur wiederhergestellt? Wird die Ordnung durch „Aufgehen im fremden Raum“ wiederhergestellt, das heißt, nimmt die Figur die Merkmale des neuen Raums an? Wird die Ordnung durch eine „Änderung der Raumordnung“ wiederhergestellt?
Weiter können die Werte analysiert werden, die mit den Grenzüberschreitungen in Verbindung stehen: Welche Werte werden über den Umgang mit dem Verstoß gegen juristische Normen transportiert? Welche über den Umgang mit dem Verstoß gegen soziale Normen?
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Für die Analyse der Grenzüberschreitungen ist die Anfertigung eines Situationsbeschreibungsprotokolls hilfreich, da über dieses die chronologische Struktur eines Narrativs erfasst werden kann. Bei Filmen mit starker Aufschlüsselung in einzelne Handlungsstränge, die nicht oder nur in geringem Ausmaß miteinander in Verbindung stehen oder aber so stark miteinander verquickt sind, dass die chronologische Abfolge der Handlungsstränge nicht rekonstruierbar ist, bietet es sich an, statt eines den ganzen Text umfassenden Protokolls Situationsbeschreibungen für einzelne Handlungsstränge anzufertigen. Während die Grenzüberschreitungen als Figurenbewegungen über – räumliche und/oder semantisch aufgeladene – Raumgrenzen hinweg aufgefasst werden können, bietet die Analyse des Extrempunktes die Möglichkeit, Figurenbewegungen innerhalb eines Raumes zu betrachten. Dabei können folgende Fragen an den Text gerichtet werden: Was ist der Extrempunkt, auf den eine Figur sich zubewegt? Welche Figur/welcher Ort/welches Feld etc. stellt den Extrempunkt dar? Womit ist der Extrempunkt inhaltlich beziehungsweise thematisch verknüpft? Was passiert am Extrempunkt? Stellt der Extrempunkt einen Wendepunkt dar, kehrt die Figur also von hier aus in den Ausgangsraum zurück? Oder kommt die Figurenbewegung am Extrempunkt zum Stillstand, fungiert der Extrempunkt also als Endpunkt?
Wie die Bestimmung des Extrempunktes, so hilft auch die Rekonstruktion des Innen- und des Außenraums dabei, die Binnenstruktur der Räume detaillierter erfassen zu können. Dabei geht es darum, folgende Fragen zu beantworten: Wie wird die Grenze vom Innen- zum Außenraum definiert? Wie ist der Innenraum strukturiert? Welche Merkmale zeichnen den Innenraum aus? Welche Figuren gehören zum Innenraum? Was wird als Außenraum konstituiert? Welche Figuren werden ihm zugewiesen? Werden als pädophil gekennzeichnete Figuren im Innen- oder Außenraum verortet?
5.3.4
Ungleichheitsgenerierende Kategorien und Macht
In Bezug auf ungleichheitsgenerierende Kategorien und Macht können drei verschiedene Bereiche untersucht werden: die Ordnungssätze, die Figurenhierarchien und die Positionierung der Figuren in Relation zum Normmenschen. Bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen Ordnungssätzen, Ungleichheit und Macht kann auf bereits erbrachte Ergebnisse zurückgegriffen werden. Diese Fragen leiten die Untersuchung:
M ETHODIK: D IE G RENZÜBERSCHREITUNGSTHEORIE
| 153
Inwiefern definieren die Ordnungssätze Privilegien oder Diskriminierungen? Gibt es Ordnungssätze, die durch ihren Inhalt für bestimmte Mengen von Figuren diskriminierend oder privilegierend wirken? Für wen wirken sie diskriminierend beziehungsweise privilegierend? Inwiefern stehen die auf Partikularnormen verweisenden Ordnungssätze in Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit? Welchen Zusammenhang gibt es mit Macht- und Herrschaftssystemen?
Weiter gilt es zu bestimmen, wie die Figuren, die die Macht besitzen, Ordnungssätze zu formulieren, auf Ebene des Textes gesellschaftlich positioniert werden. Generell können Normsetzer*innen dabei als mächtiger als Normhüter*innen angesehen werden, diese wiederum sind mächtiger als Normsender*innen. Es gilt nun herauszufinden, wie nahe sie jeweils am Normmenschen positioniert werden: Wird den Normsetzer*innen und Normhüter*innen im Text eine ähnliche gesellschaftliche Position zugewiesen wie dem Normmenschen oder werden sie als von diesem abweichend markiert?
Der Geltungsbereich der Ordnungssätze ist dabei ein weiterer Indikator dafür, wie machtvoll die Figur ist, welche den Ordnungssatz etabliert: Je größer der Geltungsbereich des Ordnungssatzes, desto mächtiger ist die Figur. Für die Analyse der Figurenhierarchien verspricht eine Auswertung der Sprechanteile und extratextuellen Marker aufschlussreich zu sein. Dadurch wird die narrative Analyse um eine Untersuchung der Oberflächenstruktur des jeweiligen Films ergänzt. Prämisse ist dabei, dass die Redeanteile einer Figur ein Indikator dafür sind, wie machtvoll die Stellung ist, die die Figur innehat: Wer eher zu Wort kommt, kann seine Position besser vertreten und durchsetzen. Die Möglichkeit zu haben, seine Meinung kundzutun, kann dabei als Privileg betrachtet werden. Das Sequenzprotokoll bietet die Grundlage für die Auswertung der Sprechanteile. Über den transkribierten Dialog können die Zeichen ermittelt werden, die jeder Figur zukommen und die als Maßstab für den Redeanteil dienen. Die Rangfolge kann abgeglichen werden mit den Macht- und Dominanzverhältnissen auf Figurenebene, die mithilfe kultursemiotisch-narratologischer Methoden ermittelt wurden. Neben den Redeanteilen kann die Reihenfolge der Namensnennung der Schauspieler*innen im Vorspann als extratextueller Marker zur Überprüfung der Rangfolge der Figuren dienen. Der dritte Bereich, der in Bezug auf Ungleichheit und Macht analysiert werden soll, ist die Positionierung der Figuren im Verhältnis zum Normmenschen und wie sich diese – über die Funktion als Normsetzer*in, Normhüter*in oder Normsender*in hinaus – auf Macht- und Dominanzstrukturen auswirkt. Dabei sind folgende Fragen relevant:
154 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION Werden die Figuren nahe am Normmenschen positioniert und wie weichen sie gegebenenfalls von diesem ab? Im Hinblick auf welche Ausprägungen ungleichheitsgenerierender Kategorien weichen sie ab? Wie steht die Positionierung in Relation zum Normmenschen im Verhältnis zur Dominanz einer Figur?
5.3.5
Anwendung auf die Felder Pädophilie und die weiße Kernfamilie
Ein Vergleich der Darstellung von Pädophilie in fiktionalen Medienbeiträgen mit der Klassifikation von Pädophilen in der ‚Realwelt‘ ist hilfreich, um die medialen Repräsentationen beziehungsweise Konstruktionen einordnen zu können. Dabei dienen die in den vorangegangenen Kapiteln anhand der Grenzüberschreitungstheorie vorgelegten Erkenntnisse als Grundlage. Die Analyse selbst stützt sich daneben auf die in Kapitel 4.1.1 erörterten ‚realweltlichen‘ Erkenntnisse zu Pädophilie. Folgende Fragen sind bei der Analyse des Textes im Hinblick auf Pädophilie hilfreich: Finden sich Indikatoren im Medienbeitrag, nach denen die Neigung einer Figur auch unter ‚realweltlichen‘ Kriterien als pädophil eingeordnet werden kann? Falls es in der Mediendarstellung Übergriffe wie sexuellen Missbrauch gibt: Sind die Handlungen auf eine pädophile Neigung zurückzuführen oder auf andere Motive? Oder bietet der Text keine Anhaltspunkte bezüglich der Motive für die Tat? Wird Pädophilie einseitig dargestellt oder werden verschiedene Facetten beleuchtet? Kommt auch die Perspektive der Pädophilen zum Tragen?
Weiter soll das Verhältnis von Pädophilie und Weißsein untersucht werden. Dabei gilt es, die nachstehenden Fragen zu beantworten: Können die als pädophil gekennzeichneten Figuren beziehungsweise die sexuellen Missbrauchstäter*innen als weiße Figuren verstanden werden? Können die Opfer sexuellen Missbrauchs als weiße Figuren gelesen werden? Wie werden Pädophile im Hinblick auf die weiße Gesellschaft positioniert? Werden sie zum Beispiel als Feinde aus dem Inneren der weißen Gesellschaft präsentiert?
Die Analyse der weißen Kernfamilie stützt sich wie die Untersuchung von Pädophilie auf inhaltliche und insbesondere historische Einsichten, die in anderen Forschungsbereichen geleistet wurden (vgl. Kapitel 4.2) sowie auf die in den vorherigen Analyseschritten erbrachten Erkenntnisse. Bezüglich der weißen Kernfamilie sind diese Fragen leitend:
M ETHODIK: D IE G RENZÜBERSCHREITUNGSTHEORIE
| 155
Welche Rolle spielt die weiße Kernfamilie? Nimmt sie einen hohen Stellenwert ein? Gibt es beispielsweise Ordnungssätze, die die Kernfamilie schützen? Wird das Ideal der weißen Kernfamilie propagiert? Spielt die nicht-intakte Kernfamilie eine Rolle und falls ja, wie wird diese bewertet?
In Bezug auf weiße Mutterschaft beziehungsweise weiße Vaterschaft können folgende Fragen die Analyse strukturieren: Welche Typen weißer Mütter/Väter werden gezeigt? Werden diese gegebenenfalls mit nichtweißen Müttern/Vätern kontrastiert? Wie wird gute Mutterschaft/Vaterschaft beziehungsweise schlechte Mutterschaft/Vaterschaft thematisiert? Wodurch? Welche Art der Mutterschaft/Vaterschaft wird als ‚normal‘ dargestellt, welche als abweichend?
Schließlich leitet folgender Fragenkatalog die Untersuchung der medialen Repräsentation weißer Kinder beziehungsweise weißer Kindheit: In welcher Position treten Kinder im jeweiligen Text in Erscheinung? Sind sie aktiv oder passiv dargestellt? Welche Funktion nehmen Kinder im Hinblick auf die weiße Gesellschaft ein?
Durch das beschriebene Verfahren wird das zu Beginn des Kapitel 5 gesetzte Ziel erreicht, die Präzision und das schematische Vorgehen der Grenzüberschreitungstheorie methodisch für Intersektionalität und Weißsein fruchtbar zu machen, ohne die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes aus den Augen zu verlieren.
5.3.6
Auswahl der Tatort-Folgen
Anfang 2014 kam es innerhalb eines Zeitraums von fünf Wochen zur Erstausstrahlung von drei Tatort-Folgen, die Pädophilie und sexuellen Missbrauch zum Thema hatten: ADAMS ALPTRAUM (26.01.2014), AUF EWIG DEIN (02.02.2014) und ABGRÜNDE (02.03.2014). Dies prädestiniert die Kriminalreihe für die Untersuchung der Konstruktion von Ungleichheit in den Medien am Beispiel von Pädophilie und sexuellem Missbrauch (zu den weiteren Gründen vgl. ausführlich Kapitel 6). Die Komplexität der intersektionalen und weißseinskritischen Herangehensweise erfordert dabei eine tiefgehende Analyse einzelner Medienbeiträge. Deshalb wird auf eine diachrone, alle Tatort-Folgen umfassende, quantitative Untersuchung in Bezug auf Pädophilie verzichtet und es werden stattdessen die drei aufgeführten TatortFolgen analysiert. Dieses Vorgehen ermöglicht es, den Status quo zum gesellschaft-
156 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
lichen Diskurs zu Pädophilie und sexuellem Missbrauch zu ermitteln, so wie er in der Kriminalreihe Tatort zu Beginn des Jahres 2014 geführt wurde. Vielversprechend ist dabei, dass der thematische Schwerpunkt bei jeder Folge anders gelagert ist: In der Folge AUF EWIG DEIN aus Dortmund tauchen neben einem jungen Mann, der vorpubertäre Mädchen entführt, vergewaltigt und tötet noch weitere – potenziell pädophile – Täter auf; im Saarbrücker Tatort ADAMS ALPTRAUM geht es um einen vermeintlich pädophilen Schwimmlehrer, der von einem über das Internet organisierten anonymen Flashmob zu Tode geprügelt wird; und die Folge ABGRÜNDE handelt von der Aufdeckung eines Pädophilenrings durch die Wiener Polizei. Eine Analyse der drei Tatort-Folgen anhand der in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeiteten forschungsleitenden Fragen verspricht darüber Aufschluss zu geben, wie Ungleichheit in den jeweiligen Folgen konstruiert wird. Daneben zeigt eine vergleichende Analyse auf, ob trotz der unterschiedlich gelagerten Schwerpunkte schlussendlich die gleichen Normen angesprochen und bestärkt beziehungsweise abgelehnt werden, oder ob die Darstellungen diesbezüglich variieren. Auf Basis der in Kapitel 4.1 durchgeführten Aufarbeitung des Pädophilie-Diskurses in den letzten fünfzig Jahren können diese Ergebnisse dann interpretiert werden. Gleiches gilt für die weiße Kernfamilie (vgl. Kapitel 4.2), wobei hier wie beschrieben ein enger Zusammenhang zum Feld Pädophilie präsumiert wird (vgl. Einleitung zu Kapitel 4). Das Thema Pädophilie wird in AUF EWIG DEIN am differenziertesten betrachtet. So ist es die einzige der drei Tatort-Folgen, in der eine als pädophil gekennzeichnete Figur eine Hauptrolle einnimmt und in der verschiedene Formen von Missbrauch angesprochen werden. Aus diesem Grund wird AUF EWIG DEIN am ausführlichsten untersucht und jeder Analyseschritt detailliert dargestellt. Bei den anderen beiden Folgen werden dieselben Punkte untersucht, aber es wird auf eine breite Herleitung jedes einzelnen Schrittes verzichtet. Vor der Analyse der drei Folgen soll jedoch zunächst die Eignung der Kriminalreihe Tatort ausführlich begründet werden. Außerdem wird erörtert, welche Vorarbeiten in diesem Feld bereits geleistet wurden und wie sich das Verhältnis der Tatort-Reihe zur Wirklichkeit gestaltet (Kapitel 6).
6
Untersuchungsgegenstand: Die Kriminalreihe Tatort
Für die Analyse von Ordnungssystemen und Normen, von Ordnungssätzen und dem Umgang mit Regelverletzungen eignen sich Kriminalgeschichten in besonderer Weise. Für eine intersektionale Analyse mit dem Schwerpunkt Weißsein bietet sich die Reihe Tatort an, da sie als Mainstream-Produkt einer Gesellschaft gelten kann, die sich vorwiegend als weiß definiert. Innerhalb der Fernseh-Kriminalfilme kommt dem Tatort eine besondere Stellung zu. In Kapitel 6.1 wird erörtert, was das Genre Kriminalgeschichte im Fernsehen im Allgemeinen und den Tatort im Besonderen für eine medien- und kulturwissenschaftliche Studie prädestiniert. Anschließend wird der Forschungsstand zu der populären Krimireihe im Hinblick auf soziale Ungleichheit, Pädophilie und die weiße Kernfamilie aufgearbeitet (Kapitel 6.2).1 Danach wird das Verhältnis von Tatort und Wirklichkeit diskutiert, wobei zu klären ist, ob die Reihe Realität spiegelt oder konstruiert, inwiefern sie Anleihen bei der Wirklichkeit macht, wie sie sich auf die Wirklichkeit auswirkt und wie sie sich gegenüber gesellschaftlichen Konflikten positioniert (Kapitel 6.3). Dies ist fernerhin im Hinblick auf die Konstruktion von Ungleichheit wichtig, da der Tatort zum einen kritisch auf bestehende Ungleichheiten hinweisen kann, zum anderen aber auch selbst an der Erschaffung beziehungsweise Aufrechterhaltung dieser beteiligt sein kann. Sowohl der Forschungsstand zum Thema Ungleichheit in der Kriminalreihe
1
Eine Aufarbeitung des gesamten Forschungsstandes zur Kriminalreihe Tatort wurde bereits von anderen Autor*innen vorgenommen und erfolgt deshalb in dieser Arbeit nicht. Für eine Übersicht über die bestehende Forschung zum Tatort siehe z. B. die Ausführungen zur „Fernseh- und Gesellschaftsgeschichte im Tatort“ (Hißnauer, Scherer & Stockinger 2014: 9f.; Zitat ist Teil des Titels) und Gräf (2010: 28-31). Zu den historischen Vorläufer*innen des Tatort siehe beispielsweise Otte zur NDR-Kriminalserie Stahlnetz (Otte 2013: 62-65) und Gräf ebenfalls zu Stahlnetz (Gräf 2010: 42-47) sowie zu den „Edgar Wallace“-Filmadaptionen (Gräf 2010: 33-42).
158 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tatort als auch die Überlegungen zu ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit dienen als Basis für die Analysen der Tatort-Folgen in den Kapiteln 7, 8 und 9.
6.1
K RIMINALGESCHICHTEN IM F ERNSEHEN UND DIE T ATORT -R EIHE
Kriminalgeschichten stellen ideale Narrative zur Analyse von sozialen Normen dar, weil sie stets Regeln, Regelverletzungen und Sanktionen thematisieren und damit explizit auf die „Normverletzung als Sujet bezogen“ sind (Kanzog 1991: 109, Herv. entf.). Da „[d]as Verbrechen an sich […] eine Verletzung einer Norm [dar]stellt“, gibt es in Kriminalgeschichten „zwangsläufig ein[en] Raum der Normsetzung und -einhaltung sowie ein[en] Raum der Normverletzung“, wodurch „explizit oder implizit ein Norm- und Wertsystem etablier[t]“ wird (Gräf 2010: 10f.). Kriminalgeschichten als Genre können in allen Medien vorkommen. Sie können Gegenstand von Romanen sein oder in Kinofilmen, Fernsehserien, Hörspielen und in Fortsetzungsromanen in Zeitungen erzählt werden. Für das Fernsehen produzierte Kriminalfilme werden dabei als besonders wichtig erachtet, da das Fernsehen immer noch die Funktion eines Leitmediums2 einnimmt. Dies geschieht sowohl quantitativ im Hinblick auf die Dauer der Mediennutzung und die durch Rezipient*innen empfundene Wichtigkeit (Engel & Breunig 2015: 312; vgl. auch Hasenbrink & Schmidt 2013: 4) als auch inhaltlich als „kulturelles Forum, auf dem alle Themen und Probleme dargestellt und verhandelt werden“ (Mikos 2014: 163). Damit bietet das Fernsehen eine Orientierungshilfe und nimmt Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. Kriminalfilme können definiert werden als „Filme um Verbrechen, mit Gangstern und Polizisten oder Detektiven. Filme, die ein Verbrechen und seinen Erfolg oder Misserfolg, dessen Aufklärung oder Verschleierung durch Polizisten oder Detektive zeigen.“ (Grob 2002: 325) Sie „handel[n] von den Überschreitungen der gesellschaftlich gegebenen Regeln und der Verfolgung und Ahndung des Gesetzesbruchs“ (Hickethier 2005: 11). Dadurch ermöglichen Kriminalfilme die Rekonstruktion der „explizite[n] oder implizite[n] Ordnungssätze, Leitgedanken und merkfähige[n] Maximen“ (Kanzog 1991: 110) eines Narrativs. Innerhalb des Fernsehens bieten nun Serien einen aufschlussreichen Untersuchungsgegenstand. In ihnen werden unter anderem „Orientierungen über gesellschaftlich erwünschte und weniger erwünschte Verhaltensweisen gegeben“ (Hickethier 2002: 551). Serien können durch ihre Konzentration auf „Konstanz und
2
Zum Begriff der ‚Leitmedien‘ und seiner unterschiedlichen Benutzung in der Wissenschaft siehe auch den gleichnamigen Aufsatz des Medienforschers Matthias Künzler (2013: 183f.).
U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND : DIE K RIMINALREIHE T ATORT
| 159
Kontinuität“ ein Bedürfnis „nach Erwartbarkeit und Wiedererkennbarkeit“ erfüllen und damit „eine Stabilität der Orientierung [eröffnen], wie sie in der außermedialen Wirklichkeit kaum noch erreichbar scheint“ (Dörner 2001: 158). Die Kriminalserie hat damit gleich in doppeltem Sinne eine stabilisierende Wirkung: zum einen weil Serien wie beschrieben generell „eine im Wesentlichen stabilisierende und bewahrende Funktion zukommt“ (Hickethier 2002: 551), zum anderen weil gerade Kriminalgeschichten mit ihrem grundsätzlichen Aufbau von Ordnungsstörung und -wiederherstellung „die Verunsicherung des modernen, in stetiger Veränderung lebenden Menschen zumindest im Raum der Medienfiktion beh[e]ben“ (Dörner 2001: 189) können. Deshalb ist davon auszugehen, dass Serien einen besonders fruchtbaren Untersuchungsgegenstand für gesellschaftliche Ungleichheit darstellen. Sie können „[a]ls ein besonderes Forum für politische Handlungen“ betrachtet werden (Dörner 2001: 168). Von den in Deutschland produzierten Fernseh-Kriminalreihen und -serien ist besonders der Tatort für eine wissenschaftliche Untersuchung geeignet. Die Annahme, die Reihe reflektiere „nichts weniger als den gesellschaftlich-kulturellen und sozialen Status Deutschlands“ (Gräf 2010: 31) macht sie zu einem beliebten Gegenstand für kultur- und medienwissenschaftliche Studien. Der Tatort hat eine ungleich größere Reichweite als andere Kriminalserien, einzelne Folgen können sogar regelmäßig die höchsten Zuschauer*innenzahlen im fiktionalen Angebot des deutschen Fernsehens überhaupt verzeichnen.3 Durch seine lange Laufzeit von inzwischen bald 50 Jahren und die große Anzahl der produzierten Folgen – im Herbst 2016 erfolgt die Erstausstrahlung der 1000. Folge – bietet sich der Tatort als „Dauertext des Deutschen Fernsehens“ (Wenzel 2000: 7) für diachrone Untersuchungen an. Darüber hinaus eignet sich die Reihe, um den Status quo gesellschaftlich relevanter Themen zu verschiedenen Zeitpunkten zu bestimmen. Denn der Tatort bezieht seine soziale Bedeutung nicht zuletzt daraus, dass in ihm aktuelle Probleme beziehungsweise als Problem wahrgenommene Themenfelder verhandelt werden, um seinem selbst gesetzten gesellschaftspolitischen Anspruch gerecht zu werden. Weil die Kriminalreihe Tatort das Produkt einer weißen und westlichen Gesellschaft ist, ist sie dabei als Medium zu lesen, in welchem die Werte eben dieses Kollektivs verhandelt werden. Als Mainstream-Reihe und Massenphänomen stellt der Tatort damit einen idealen Untersuchungsgegenstand für die Konstruktion sozialer Ungleichheit dar.
3
So belegten einzelne Folgen der Tatort-Reihe im Jahr 2015 beispielsweise drei Plätze der Top 10 der am meisten gesehenen Sendungen in Deutschland – und das als einzige fiktionale Sendung, denn die anderen Plätze wurden von Fußballsendungen eingenommen (Zubayr & Gerhard 2016: 150).
160 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
6.2
F ORSCHUNGSSTAND : U NGLEICHHEIT
IM
T ATORT
Bei einer Aufarbeitung des Forschungsstandes zum Thema soziale Ungleichheit in der Tatort-Reihe stellt sich zunächst die Frage, inwiefern das Thema in den existierenden Studien überhaupt aufgegriffen wird. Falls dies der Fall ist, gilt es festzustellen, ob es zentral gesetzt oder nur nebenbei ‚abgearbeitet‘ wird. Ebenso interessiert, inwiefern das Thema Ungleichheit in vorhandenen Studien mit den eingeführten einschlägigen Theorien Intersektionalität und kritische Weißseinsforschung verknüpft wird, ob andere Theorien mit ähnlichem Ansatz zum Tragen kommen oder ob eine theoretische Fundierung in Bezug auf Ungleichheit unter Umständen fehlt. Zunächst ist festzustellen, dass es aktuell noch keine Forschungsarbeiten gibt, die dezidiert und umfassend die Konstruktion von Ungleichheit durch die Kriminalreihe Tatort in den Blick nehmen. Um besser beurteilen zu können, aus welchem Kontext die Beobachtungen stammen, die im Folgenden zu jeder Kategorie aufgeführt werden, werden zunächst die Studien kurz in Bezug auf ihren methodischen und fachlichen Standpunkt sowie das zentrale Forschungsanliegen eingeordnet, welche durch den Blickwinkel, unter dem sie die Tatort-Reihe untersuchen, für die vorliegende Arbeit fruchtbar zu sein versprechen. Als zuträglich werden Arbeiten zum Tatort dann erachtet, wenn sie eine oder mehrere der in Kapitel 2.2 für das Thema Pädophilie als relevant definierten ungleichheitsgenerierenden Kategorien ‚Rasse‘/Ethnizität, Klasse, Gender und Sexualität aufgreifen4 – entweder einzeln oder in ihrer intersektionalen Verknüpfung. Von besonderem Interesse ist dabei, ob in erster Linie Kategorieausprägungen untersucht werden, die normabweichend sind, oder ob auch der Normmensch als solcher in den Blick der Forschung rückt, ob also in der wissenschaftlichen Rekonstruktion der Tatort-Folgen nur auf die Abweichung von der Norm fokussiert wird oder auch auf die Norm selbst. Das Augenmerk liegt darüber hinaus auf Analyseergebnissen in Bezug auf die Felder Pädophilie beziehungsweise Kindesmissbrauch und Familie. Da der Tatort Untersuchungsgegenstand unzähliger wissenschaftlicher Arbeiten geworden ist – und in mindestens ebenso vielen nicht-wissenschaftlichen Texten aufgegriffen wurde –, konzentriert sich die folgende Aufarbeitung auf thematisch relevante Monografien. Wo immer es neue Erkenntnisse verspricht oder ein Punkt verdeutlicht werden kann, werden dabei Ergebnisse weiterer Studien und Analysen eingeflochten.
4
Dabei können die Kategorien bzw. bestimmte Kategorieausprägungen in der jeweiligen Folge sowohl im Vordergrund stehen und explizit thematisiert werden oder nur implizit wirken. Fakt ist aber, dass alle ungleichheitsgenerierenden Kategorien in jeder TatortFolge eine Rolle spielen und nicht nur, wenn vorrangig eine Ausprägung betrachtet wird, die nicht die Norm darstellt.
U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND : DIE K RIMINALREIHE T ATORT
6.2.1
| 161
Ortner und Walk: Migration und Integration im Tatort
Die Kommunikationswissenschaftlerin Christina Ortner und die Kommunikationsund Medienwissenschaftlerin Anna-Caterina Walk beschäftigen sich beide mit Migration und Integration im Tatort. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass bei ihren Analysen die Kategorie ‚Rasse‘ beziehungsweise Ethnizität eine entscheidende Rolle spielt. Das Thema Migration im Tatort ermöglicht prinzipiell, eine weißseinskritische Forschungsperspektive einzunehmen, wenn auch die beiden Titel der Studien „Migranten im tatort“ (Ortner 2007) und „Das Andere im Tatort“ (Walk 2011) den Blick bereits auf die als ‚anders‘ Markierten lenken und nicht auf die Norm. Dieser erste Eindruck bestätigt sich in Bezug auf Ortners kommunikationswissenschaftliche Studie, die sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegt ist.5 Ortner hat sich zum Ziel gesetzt, zum einen den Stellenwert, der dem Thema Migration im Tatort zukommt, zu evaluieren und zum anderen anhand einer Inhaltsanalyse von fünf ausgewählten Folgen zu untersuchen, inwieweit die Repräsentationen in der Krimireihe für die gesellschaftliche Integration von Migrant*innen förderlich sind (Ortner 2007: 8). Bereits Ortners Definition von Migrant*innen („ein Mensch […], der sein Heimatland verlassen und sich in einem anderen Land auf längere Zeit niedergelassen hat“ – Ortner 2007: 74) erweist sich im Hinblick auf die methodische Umsetzung als kritisch, wie Ortner selbst erkennt: „In Bezug auf Figuren aus dem Tatort ist die Abgrenzung dieser Begriffe in der oben angeführten Definition problematisch, da aus dem analysierten Material oft nicht hervorgeht, ob Migrantenfiguren in Deutschland geboren wurden, wie lange sie schon dort leben und ob sie die Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht.“ (Ortner 2007: 11) Auch die Schwierigkeiten, die sich aus dem Konstruktcharakters der binären Einteilung in ‚die Migrant*innen‘ auf der einen Seite und ‚die Deutschen‘ auf der anderen ergeben, sind Ortner bewusst (Ortner 2007: 23f.). Aus dieser Erkenntnis zieht sie allerdings keine Konsequenzen und auch eine methodisch umsetzbare Definition von Migrant*innen fehlt, wenn Ortner in ihrem Leitfaden pauschal zwischen „Migrantenfiguren“ und „Deutsche[n]“ unterscheidet (Ortner 2007: 78f.) und auf weitere Kategorien wie ‚Deutsche mit Migrationshintergrund‘ verzichtet. Anzunehmen ist, dass Ortner sich bei der Bestimmung dessen, wer in einer Tatort-Folge als Migrant*in und wer als Deutsche*r anzusehen ist, an ihrem voraussichtlich vorhandenen weißen Mehrheitswissen orientiert hat und deshalb neben Indikatoren wie akzentfreier Sprache 5
Ortner untersucht zum einen alle 533 bis Ende 2003 erschienenen Folgen daraufhin, ob das Thema Migration in ihnen eine Rolle spielt und unterzieht zum anderen fünf ausgewählte Folge einer detaillierteren Analyse. Diese Folgen sind: BRANDWUNDEN (D 1998, R: Rönfeldt), FETISCHZAUBER (D 1996, R: Näter), IN DER FALLE (D 1998, R: Fratzscher), KINDER DER GEWALT (D 1999, R: Verbong) und REISE INS NICHTS (D 2002, R: Griesmayr). (Ortner 2007: 73-77)
162 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
auch Merkmale wie ‚Hautfarbe‘ und als nicht-deutsch wahrgenommenes Äußeres zum Tragen kamen. Dabei besteht die Gefahr, Figuren fälschlicherweise dann als nicht-deutsch einzuordnen, wenn sie äußerlich sichtbar von der weißen Norm abweichen. Aus den genannten Gründen tragen Ortners Erkenntnisse wenig zur wissenschaftlichen Rekonstruktion der medialen Konstruktion von Ungleichheit durch den Tatort bei, wie sie die vorliegende Studie anstrebt. Walk untersucht die Tatort-Reihe aus Sicht der Cultural Studies und ist sich des Konstruktcharakters von ungleichheitsgenerierenden Kategorien sowie der Zusammenhänge von Differenzkonstruktionen und Macht bewusst (vgl. dazu etwa ihre Forschungsfragen, Walk 2011: 12f.). Sie beschäftigt sich unter anderem mit den Kategorien ‚Rasse‘ (Walk 2011: 34f.) und Geschlecht (Walk 2011: 35-37) und bezieht dabei auch Erkenntnisse der Intersektionalitätsforschung ein (Walk 2011: 39f.). Dabei richtet sie ihrem Forschungsinteresse geschuldet den Blick vornehmlich darauf, „was letztendlich als das Andere repräsentiert und konstruiert wird“ (Walk 2011: 59) und benennt die Norm selbst dabei nur als Referenzpunkt, dessen Existenz durch die Abgrenzung zum Anderen erfahrbar wird. So spricht sie die Kategorien Sexualität und ‚Rasse‘/Ethnizität beispielsweise nur an, wenn eine Abweichung zur Norm vorliegt, wie im Film FAMILIENAUFSTELLUNG (D 2009, R: Schlichter) durch die Figur der Anwältin Dilek Ilhan, die als homosexuelle Deutsche mit türkischen Migrationshintergrund dargestellt wird (Walk 2011: 95). Im Gegensatz zu Ortner macht Walk die Indikatoren transparent, mit deren Hilfe sie sich dem als ‚anders‘ Konstruierten annähert. Als Indikatoren dienen beispielsweise Körperlichkeiten (Schwangerschaft) oder Symbole (Kopftuch, Kleidung), die in Filmen verwendet werden, um die ‚Andersartigkeit‘ herzustellen (Walk 2011: 59-87). Walks Analysen bringen einige in Bezug auf ungleichheitsgenerierende Kategorien und ihre Ausprägungen interessante Einsichten hervor, beispielsweise dass im Tatort WEM EHRE GEBÜHRT (D 2007, R: Maccarone)6 die Kommissarin Charlotte Lindholm als „stereotyp männlich[e]“ Figur konstruiert wird, wohingegen ihr Mitbewohner Martin Felser ihr weibliches Pendant bildet (Walk 2011: 89). Auch intersektionale Verflechtungen werden angesprochen, allerdings entwickelt Walk kein methodisches Instrumentarium, um diese über Beobachtungen hinaus systematisch erfassen zu können. Wegen des fehlenden Einbezugs einer weißseinskritischen Perspektive7 kommen ihre Ergebnisse leider nicht über die Erkenntnis hinaus, dass in
6
Die Folge WEM EHRE GEBÜHRT wurde aufgrund des thematisierten Missbrauchs eines alevitischen Vaters an seiner Tochter massiv von alevitischen Interessensgruppen kritisiert und der die Folge produzierende Sender NDR wegen Volksverhetzung angezeigt.
7
Ein Beispiel für eine dezidiert weißseinskritische Studie bietet Fox, die sich mit den „Konstruktionen von Whiteness in der Krimireihe ‚Der Alte‘“ (das Zitat entspricht dem Titel der Studie) beschäftigt hat (Fox 2007; vgl. auch Kapitel 3.2.2.2).
U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND : DIE K RIMINALREIHE T ATORT
| 163
zwei der drei von ihr untersuchten Tatort-Folgen8 „die türkischen Familien stereotyp dargestellt werden“ und „die Repräsentationen dieser [der türkischen, MK] Kultur in Stellvertretung von Familiendarstellungen […] klischeehaft und von Stereotypen durchzogen“ sind (Walk 2011: 102). Sie schließt mit der Kritik, dass „die Krimireihe ‚Tatort‘ ihr Potenzial besser nutzen“ könnte, „um eine differenzierte Repräsentation des Anderen zu ermöglichen“ (Walk 2011: 102).
6.2.2
Buhl: gesellschaftspolitische Themen im Tatort des Jahres 2009
Der Kulturwissenschaftler Hendrik Buhl hat sich in seiner 2013 veröffentlichten Dissertation mit dem Thema „Tatort. Gesellschaftspolitische Themen in der Krimireihe.“ beschäftigt. Er untersucht mit heuristischer Methodik 26 Tatort-Folgen, die im Jahr 2009 ihre Erstausstrahlung hatten und die nach seiner Meinung eine gesellschaftspolitische Relevanz aufweisen (Buhl 2013: 72f.). Seine Arbeit verspricht im Hinblick auf die mediale Konstruktion von Ungleichheit aufschlussreich zu sein, weil Buhl in seinen Analysen unter anderem die Themen sexuelle Identität, Integration und Arbeit aufgreift, was die Verbindung zu den ungleichheitsgenerierenden Kategorien Sexualität, ‚Rasse‘/Ethnizität und Klasse nahelegt. Sexualität im Tatort des Jahres 2009 Buhl thematisiert Sexualität dann, wenn sie als ‚anders‘ markiert ist und versucht nicht, die heteronormative Norm zu rekonstruieren. So analysiert Buhl den Tatort TÖDLICHER EINSATZ (D 2009, R: Fürneisen) mit den beiden Ermittler*innen Lena Odenthal und Mario Kopper unter der Überschrift „Homosexualität in Männergesellschaften“ (Buhl 2013: 232), wonach sein Fokus auf männlicher Homosexualität liegt. Dabei gibt er zu Protokoll, dass das Thema zwar verhandelt werde, aber nicht zentral sei (Buhl 2013: 234). Ausgangspunkt des Films TÖDLICHER EINSATZ ist die Existenz eines homosexuellen SEK-Mitglieds, das seine sexuelle Identität aufgrund der Befürchtung homophober Diskriminierung verheimlicht. Buhl bemängelt die stereotype und stark sexualisierte Darstellung eines Schwulenclubs (Buhl 2013: 233; vgl. auch Gräf & Krah 2010: 82f.). Insgesamt kann der Film als Plädoyer für eine gegenüber nicht-heterosexuellen Lebensformen offenere Gesellschaft gelesen werden. So diskutieren die Kommissar*innen Odenthal und Kopper, die aufgrund ihrer Position als Normhüter*innen (vgl. Kapitel 5.2.1.3) im Kriminalfilm in Bezug auf Normen und Wertvorstellungen einen besonderen Status genießen, die Schwie-
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Neben FAMILIENAUFSTELLUNG und WEM EHRE GEBÜHRT untersucht Walk die Folge BAUM DER ERLÖSUNG (A 2009, R: Sicheritz).
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rigkeit gelebter Homosexualität in bestimmten, als besonders männlich gekennzeichneten Milieus (Buhl 2013: 234). Weiter wird das Outing des SEK-Mannes emotionalisierend und potenziell Empathie evozierend vorgetragen (Buhl 2013: 235). Im Bodensee-Tatort HERZ AUS EIS (D 2009, R: Herzog) gibt es ebenfalls einen homosexuellen Kontakt, dieses Mal zwischen zwei männlichen Jugendlichen eines Elite-Internats, wobei Buhl die Art der Darstellung als wenig zuträglich für Toleranz gegenüber Homosexuellen ansieht. Er konstatiert stattdessen, dass die Repräsentation „im Rahmen der Figurenzeichnung lediglich als weiteres Versatzstück zum Ausweis der skrupellosen Bösartigkeit und Amoralität des Protagonisten [dient]“ (Buhl 2013: 228). Neben Homosexualität rekonstruiert Buhl Bisexualität als eine Abweichung, die in den 2009 erschienenen Tatort-Folgen dargestellt wird. In der Folge TOTE MÄNNER (D 2009, R: Jauch) wird ein männlicher Prostituierter von der Frau einer seiner Kunden ermordet. Die Eliminierung des Prostituierten durch die weiße, schwangere Frau kann dabei als Versuch angesehen werden, „das im Werden begriffene Familienglück auf diese Weise [zu] retten“ (Buhl 2013: 235). In dieser Lesart kann Bisexualität als eine Bedrohung der weißen Kernfamilie interpretiert werden. Buhl spricht zudem kurz das Thema Kindesmissbrauch an, das im Kieler Tatort BOROWSKI UND DIE HEILE WELT (D 2009, R: Froschmayer) vorkommt und bei dem er eine klare Positionierung von Seiten der Filmemacher*innen gegen Gewalt gegenüber Kindern feststellt (Buhl 2013: 77; 254). Auch Krah geht davon aus, dass bei diesem Thema „[d]ie Fronten […] durch den moralischen Konsens a priori geklärt [sind]“ (Krah 2000: 61). Im Gegensatz dazu identifiziert der Germanist und Medienwissenschaftler Björn Otte Kindesmissbrauch und Pädophilie in dem nur ein Jahr vor BOROWSKI UND DIE HEILE WELT ausgestrahlten Tatort VERDAMMT (D 2008, R: Pfeiffer) als kontroverses Thema (Otte 2013: 314)9. ‚Rasse‘/Ethnizität im Tatort des Jahres 2009 Die Kategorie ‚Rasse‘/Ethnizität untersucht Buhl ebenfalls in ihrer normabweichenden Ausprägung, indem er Tatort-Folgen zum Thema Migration und Integration in den Blick nimmt. Während in BAUM DER ERLÖSUNG die „maßgebende Norminstanz“ Kommissar Moritz Eisner „eine in der Debatte um Integration auf kon9
Ob die Themenfelder Pädophilie und sexueller Missbrauch in dieser Folge wirklich kontrovers dargestellt werden, kann jedoch bezweifelt werden, da beide Kommissare als vorrangig an der Etablierung und Durchsetzung beteiligte Figuren sehr negativ gegenüber Menschen mit (potenzieller) pädophiler Neigung eingestellt sind. Interessant ist, dass wie auch in der in Kapitel 7 analysierten Tatort-Folge AUF EWIG DEIN der Schauspieler Hans-Jochen Wagner eine der Figuren mit pädophiler Neigung darstellt. Hans-Jochen Wagner ist ab 2017 Kommissar in der neuen Tatort-Location Schwarzwald.
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senspolitisch breiter Basis stehende [konservative, MK] Position“ innehat (Buhl 2013: 247), nehmen auch Kommissarin Inga Lürsen und Kommissar Nils Stedefreund in FAMILIENAUFSTELLUNG konsensfähige Standpunkte ein, unterscheiden sich aber in ihren jeweiligen Ansichten (Buhl 2013: 248; 251) und bieten damit ein gewisses Maß an Bandbreite bezüglich der Positionen. Die verschiedenen Meinungen der Kommissar*innen erscheinen hier als Variationen eines gesellschaftlichen Konsenses, der den Bezugsrahmen festlegt und damit bestimmt, welche Ansichten als vertretbar und öffentlich kommunizierbar gelten (Hall 2001: 363f.; vgl. auch Morgenstern 2002: 64). Interessant ist, dass Buhl die Perspektive der bereits erwähnten Figur der Anwältin Dilek Ilhan als Personifikation der allgemeinen Textperspektive ergo als Sichtweise der Erzählinstanz ansieht, diese Figur jedoch innerhalb des narrativen Gefüges ermordet wird. Auch bei Buhl, wie zuvor schon bei Walk und Ortner, findet eine Konzentration auf die als ethnisch sowie auch sexuell ‚anders‘ markierten Figuren statt und eine weißseinskritische Perspektive fehlt. Dass man auch die Norm in den Blick nehmen kann, ohne einen ausgewiesenen weißseinskritischen Standpunkt einzunehmen, zeigt ein Aufsatz des Islam- und Kulturwissenschaftlers Markus Schmitz, der ebenfalls die Tatort-Folge FAMILIENAUFSTELLUNG analysiert hat. Schmitz liest besagte Tatort-Folge „als konsequente filmdramaturgische Adaption der rhetorischen Figur Muslimische Parallelgesellschaft“ und betrachtet sie als mediale Konstruktion „eines internen Anderen“, welcher die Existenz des Eigenen erst ermöglicht (Schmitz 2010: 105, Herv. i. O.). In postkolonialer Manier konstatiert er, dass diese Art der Darstellung von Muslim*innen „den Angehörigen der deutschen Dominanzgesellschaft nicht nur erlaubt zu wissen, wo sie stehen, sondern sie außerdem in die Lage versetzt, sich (ihr Selbst) und das der Anderen zu (er-)kennen“ (Schmitz 2010: 109). Damit wird der weiße Standpunkt zwar nicht als solcher benannt, aber implizit vorausgesetzt und zudem analog zur Vorgehensweise der Grenzüberschreitungstheorie mit einem Innen- und Außenraum-Modell verknüpft. Schmitz geht dabei davon aus, dass die im Tatort FAMILIENAUFSTELLUNG konstruierte muslimische Parallelgesellschaft „das verlustig gegangene konstituierende Außen [ersetzt], indem es dieses als einen verhüllten Parallelraum inmitten deutscher Städte präsentiert“ (Schmitz 2010: 110). Schmitz’ Vorstellung des „konstitutive[n] Außen im Inneren des nationalen Raumes“ (Schmitz 2010: 113) betont damit die Funktionalisierung des konstruierten Anderen, der konstitutiv für die westlich-weiße Gesellschaft ist, die als offen und tolerant gegenüber von der Heteronormativität abweichenden Lebensentwürfen dargestellt wird. Damit offenbart sich auch das Zielpublikum, das die Filmemacher*innen – vermutlich unbewusst – vor Augen hatten, als mehrheitsdeutsch-weiß (Schmitz 2010: 116).
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Klasse im Tatort des Jahres 2009 An vielen Stellen beschäftigt sich Buhl mehr oder minder direkt mit der Kategorie der sozialen Klasse. So analysiert er mehrere Filme10 im Hinblick auf den Themenkomplex Arbeit und Gewerkschaft. In der Folge HERZ AUS EIS, die wie bereits erwähnt in der Subkultur11 eines Elite-Internats angesiedelt ist, kommt es zu einer Verknüpfung von Reichtum und gewissenloser Kriminalität. Der Film beschreibt die „Wohlstandsverwahrlosung“ (Buhl 2013: 77) von reichen, weißen Jugendlichen, wobei die antreibende Täterin Viktoria interessanterweise die einzige von ihnen ist, die nicht dem Adel oder zumindest einer reichen Unternehmerfamilie entstammt (Buhl 2013: 229). Buhl geht zwar nicht ausführlich auf die Rolle der Familie ein, diese ist jedoch im Kontext des Internats stets unterschwellig von Bedeutung, auch wenn beziehungsweise gerade weil sie häufig durch ihre Abwesenheit gekennzeichnet ist. Die kriminellen Machenschaften der reichen Sprösslinge können hierbei zumindest teilweise auf fehlende familiäre Strukturen12 und eine Vernachlässigung der Kinder durch ihre Eltern zurückgeführt werden: So „erscheinen einige der moralisch verkommenen, Drogen konsumierenden Internatsschüler als Spiegelbilder und Opfer einer sich nicht um sie kümmernden Elternschaft, deren Agieren auf einem entfesselt wertfreien Markt hemmungslose und amoralische Sprösslinge gebiert.“ (Buhl 2013: 229) In Buhls Studie wird keine Perspektive der kritischen Weißseinsforschung eingenommen und intersektionale Verwobenheiten von ungleichheitsgenerierenden Kategorien werden nur am Rande angesprochen. Dennoch stellt seine Arbeit aufgrund der aufgeführten Bezüge zu Kindesmissbrauch und Familie sowie zu den genannten Kategorien einen Anknüpfungspunkt für die Rekonstruktionsprozesse der medialen Konstruktion von Ungleichheit durch die Krimireihe Tatort dar.
10
Zu den von Buhl analysierten Filmen zählen unter anderem die Folgen KASSENSTURZ (D 2009, R: Montag), UM JEDEN PREIS (D 2009, R: Fratzscher) und SCHWEINEGELD (D 2009, R: Fürneisen).
11
Zum Begriff der Subkultur im Kontext von Kriminalfilmen siehe auch Otte, der Subkulturen auf eine „Abgrenzung der Angehörigen von den in einer Gesellschaft dominierenden Lebensstilen, Erwartungen und Werten“ zurückführt, wobei er davon ausgeht, dass „[d]ie Angehörigen […] eine eigene Gesellschaft im Kleinen [entwerfen], in der sie nach eigenen, selbst gewählten Normen leben können.“ (Otte 2013: 175). Nach dieser Definition vertreten Subkulturen in narrativen Gefügen ein eigenes Weltbild, das dem Weltbild des Außenraums widerspricht.
12
Die Familie als brüchiges Gebilde ist auch in anderen Tatort-Folgen des 21. Jahrhunderts präsent, beispielsweise in DER DUNKLE FLECK (D 2002, R: Bringmann) (Gräf & Krah 2010: 93).
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6.2.3
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Gräf: Tatort als kultureller Speicher
Gräf beschäftigt sich in seiner kultur- und medienwissenschaftlich ausgerichteten Dissertation „Tatort. Ein populäres Medium als kultureller Speicher“ (Gräf 2010) mit der Funktion der Reihe als Speicher kulturellen Wissens und arbeitet die bisher erschienenen Folgen nach Jahrzehnten geordnet auf. Gegenüber Buhl, der vornehmlich das Jahr 2009 und damit das neue Jahrtausend in den Blick genommen hat, stellt seine Studie damit eine Erweiterung um eine historische Perspektive dar. Sie ist für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung, da sie zum einen durch die diachrone Herangehensweise und den damit einhergehenden Überblick über die Entwicklungen von Diskursen in der gesamten Tatort-Reihe im Lauf der Jahrzehnte ein breites inhaltliches Fundament bietet und unterschiedliche ungleichheitsgenerierende Kategorien fokussiert, weshalb sie auch im Hinblick auf die Konstruktion von Ungleichheit Erkenntnisse verspricht. Zum anderen bedient sich Gräf einer mediensemiotischen Methodik und liefert somit auch in methodischer Hinsicht verschiedene Anknüpfungspunkte. Aufgrund dieses Umstandes wird seine Studie hier ausführlicher gewürdigt als andere Quellen. Zunächst soll anhand von Gräfs Befunden skizziert werden, welche Diskurse für die jeweiligen Jahrzehnte innerhalb der Kriminalreihe zentral sind. Da Gräf sowohl die Kategorie Sexualität, die er als „rekurrente[n] Zeichenträger“13 ansieht (Gräf 2010: 117), als auch die Kategorie Geschlecht an vielen Stellen aufgreift und analysiert, werden beide Kategorien anschließend gesondert betrachtet, um zu eruieren, wie sich ihre Darstellung im Tatort seit 1970 geändert hat. 6.2.3.1
Diachrone Untersuchung der Diskurse in der Tatort-Reihe
Der Tatort der 1970er Jahre „De[n] Tatort der 70er Jahre“ sieht Gräf als beherrscht von einem Diskurs zum „‚Bürgertum‘“ an (Gräf 2010: 52). Das legt nahe, dass die Kategorie Klasse eine wichtige Rolle spielt und zwar sowohl in Gräfs Analyse als auch in den TatortFolgen selbst. Als „zentrale Norm der 70er Jahre“ identifiziert er die Norm der „Wahrung eines gesellschaftlichen Scheins“, was er auf das Bedürfnis zurückführt, unter Anbetracht gesellschaftlicher Veränderungen zumindest im Privaten den Anschein von Ordnung zu erhalten (Gräf 2010: 147, Herv. entf.). Dabei stellt er einer13
Vgl. dazu auch Gräf und Krah: „Sexualität, insbesondere ‚abweichende‘, kann […] als Zeichen verwendet werden, das auf etwas Anderes verweist. Sie selbst wird damit zur Projektionsfläche, zum Inventar, an das Zusatzbedeutungen gehängt werden. Sexualität fungiert als Label und Stigma, um deutlich zu kennzeichnen, dass die Position bestimmter Figuren abzulehnen ist.“ (Gräf & Krah 2010: 9)
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seits fest, dass „Kriminalität […] sich auf den deutschen Raum [beschränkt], sie wird nicht von außen initiiert, sondern entsteht aus dem eigenen Raum heraus“ (Gräf 2010: 144). Die in Kapitel 4 aufgestellte These, dass Pädophile im Tatort vermutlich als Gefahr aus dem Inneren der weißen Gesellschaft dargestellt werden, fügt sich somit in dieses Schema der „Kriminalität […] aus dem eigenen Raum“ ein. Andererseits konstatiert Gräf, dass sich der Innenraum in den 1980er Jahren „erst in der Defensive strukturiert hat, als Abwehr vom Äußeren“, mit dem Ziel der „Lokalisierung des ‚Fremden‘ und Kriminellen, das als amorphes (internationales) Gebilde präsentiert wird“ (Gräf 2010: 305, Herv. entf.). In diesem Zuge wurde „alles, was die eigene Gesellschaft bedroht als Störung interpretiert und es auszugrenzen versucht“ (Gräf 2010: 305, Herv. entf.). Dass in den 1970er Jahren vor allem Folgen erschienen sind, die nach dem Muster „Howhecatcheshim“ funktionieren und im Gegensatz zum „Whodunit“ nicht die Frage nach der Täter*in, sondern nach der Jagd auf diese in den Vordergrund stellen, interpretiert Gräf als Verlagerung von „der Tätersuche auf die Motivsuche oder ein Motivverständnis“ (Gräf 2010: 145f., Herv. i. O.): „Eine solche Strategie versteht sich in den 70er Jahren als eine Art (norm-)einübende Narration, will doch der Film für das ‚Warum‘ der Tat sensibilisieren und fokussiert diese Frage über die gesamte Länge der Narration. Damit erlangt die Motivation einen enormen Stellenwert, die im Gegenmodell des Whodunit am Ende des Films zügig nachgeliefert wird, um die Narration zu rechtfertigen.“ (Gräf 2010: 146, Herv. i. O.)
Diese Beobachtung Gräfs, dass Folgen, die nach dem Schema ‚How(s)hecatcheshim/her‘ funktionieren, sich eingehender mit Motiven beschäftigen, verspricht auch aufschlussreich zu sein für die Untersuchung von Ungleichheit im Tatort, da in diesen Filmen vermutlich bestimmte Kategorien eher verhandelt als lediglich bestätigt werden. Gerade im Hinblick auf das Thema Pädophilie gilt es hier zu überprüfen, ob die Täter*innen den Figuren und den Zuschauer*innen bereits früh bekannt sind oder ob das Thema in erster Linie dem Final Twist am Ende des Films dient. Neben der Funktionalisierung der Filme, die nach dem Schema ‚How(s)hecatcheshim/her‘ funktionieren, als „Motivverständnis“-Filme, sind weitere Szenarien möglich, etwa dass das Motiv der bereits früh bekannten Täter*in vor allem auf dramaturgischer Ebene zur Spannungssteigerung eingesetzt wird, weil die Zuschauer*innen nicht wissen, ob es zu weiteren Missbrauchs- und Mordfällen kommen wird. Der Tatort der 1980er Jahre Zentrales Thema im Tatort der 1980er Jahre ist die – meist misslingende – „Suche nach Bindung und Identität“ (Gräf 2010: 272, Herv. entf.). Die zwar angestrebten, aber nicht zu verwirklichenden positiven zwischenmenschlichen Beziehungen äu-
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ßern sich dabei unter anderem in brüchigen Familienverhältnissen (Gräf 2010: 274). Während in den 1970er Jahren das Verbrechen im Raum des Privaten angesiedelt war und von dort aus nach außen drang, verhält es sich in den 1980er Jahren genau umgekehrt: Die Gefahr droht aus dem öffentlichen Bereich, von wo aus sie auf den Privatraum übergreift, ein Muster, das sich im Tatort der 1990er Jahre fortsetzt (Gräf 2010: 270). Als Folge der antizipierten Trennung von Individuum und Gesellschaft, „verweigern die Filme eine tatsächliche gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Problemen“ (Gräf 2010: 275). Die Quelle der Verbrechen wird einem Außenraum zugeschrieben, welcher häufig außerhalb von Deutschland liegt: „Der Ursprung des Verbrechens wird semantisch ausgelagert, damit wird gleichzeitig jegliche Verantwortung an unbekannte Dritte abgegeben, die von den Filmen als kriminelle Netzwerke inszeniert oder anzitiert werden.“ (Gräf 2010: 269f.) Dies wird auch durch die Themen widergespiegelt, die sowohl „Drogenhandel und Schmugglerbanden“ als auch „Kindesmissbrauch“ umfassen (Gräf 2010: 270). Unter anderem durch das Aufgreifen des Themas Kindesmissbrauch kommt dem Kind in den Tatort-Folgen der 1980er Jahre eine besondere Rolle zu (Gräf 2010: 275).14 Mit Blick auf den Wandel des Themas Pädophilie im öffentlichen Diskurs (Kapitel 4.1) erscheint es nachvollziehbar, dass das Thema (pädophiler) Kindesmissbrauch im Tatort erst Ende der 1980er Jahre beziehungsweise vermehrt dann in den 1990er Jahren auftaucht, wo es wegen der Aufdeckung von Missbrauchsfällen in den Medien besonders virulent ist. Der Tatort der 1990er Jahre Wie bereits in den 1980er Jahren, so ist auch in den 1990er Jahren die Beschäftigung mit dem Innenraum in der Tatort-Reihe zentral. Während es in den 1980er Jahren um die „Strukturen eines deutschen ‚Inneren‘“ ging, das an konkreten Problematiken wie Arbeitslosigkeit oder Giftmüll festgemacht wurde, wird das Innere ab 1990 „zum Wert an sich“, was Gräf unter anderem auf die Wiedervereinigung zurückführt (Gräf 2010: 303f., Herv. entf.). Angriffe können dabei sowohl von außen aus dem Ausland kommen und mit der Kategorie ‚Rasse‘ beziehungsweise Ethnizität korreliert werden als auch aus dem Inneren der weißen Gesellschaft, beispielsweise wenn Homosexualität mit Kriminalität verknüpft wird (Gräf 2010: 305). Der Innenraum wird dabei in den 1990er Jahren ausdifferenziert und fungiert als Wert, der nach außen hin abgeschirmt werden muss, um die eben erst 14
Gräf führt als Beispiel die Folge KINDERLIEB (D 1991, R: Hofmann) an, welche jedoch erst Anfang der 1990er Jahre erschienen ist. Ein Beispiel für einen Tatort-Film der 1980er Jahre, bei dem es um Kindesmissbrauch geht, ist die Folge LEICHE IM KELLER (D 1986, R: Ariel), in welcher ein Fotograf vorkommt, der junge Mädchen fotografiert und zur Zwangsprostitution im Ausland zwingt.
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gefundene „kulturelle Identität“ Deutschlands zu schützen (Gräf 2010: 305, Herv. entf.). Die Ausdifferenzierung führt zur Existenz von Subkulturen und einem Wertepluralismus (Gräf 2010: 306). Das als ‚anders‘ Markierte – seien es Ausländer*innen oder Homosexuelle – muss dabei im Sinne einer toleranten Willkommenskultur integriert werden, was durch die Tiefenstruktur der Filme jedoch nihiliert wird: „Auf der Oberfläche der Filme wird alles Abweichende und Andere integriert, in der Tiefenstruktur jedoch zementieren sich die Grenzen; die Filme leisten lediglich eine Pseudo-Integration.“ (Gräf 2010: 307f., Herv. i. O.) In Bezug auf Pädophilie stellt sich die Frage, inwiefern hier innerhalb der Tatort-Folgen überhaupt der Versuch möglich ist, eine Integration der Pädophilen – als Gefahr aus dem Inneren – anzustreben oder ob es bei Aufdeckung sexuellen Missbrauchs beziehungsweise beim Bekanntwerden einer vorliegenden pädophilen Neigung einer Figur zu einem direkten Ausschluss aus der Gesellschaft kommt. Der Tatort ab dem Jahr 2000 Gräf sieht die Tatort-Folgen der 1990er Jahre insgesamt als „Wegbereiter“ für die Filme des nächsten Jahrtausends an, da nicht wie in den Dekaden davor ein das Gros der Filme umgreifender Diskurs etabliert wird (Gräf 2010: 312, Herv. entf.). In den Filmen der 2000er Jahre werden in den unterschiedlichen Tatort-Folgen diverse Subkulturen zum Innenraum, wobei der Außenraum aus Sicht der Mitglieder des Innenraums als unbedeutend angesehen wird: „Was zählt, ist das ‚Eigene‘, das als maßgeblich für die gesamte Gesellschaft interpretiert wird.“ (Gräf 2010: 316) Des Weiteren beziehen sich die Folgen entweder auf die Vergangenheit, der eine besondere Rolle für die Gegenwart zukommt und die damit ein „historizistische[s] Innen“ erschafft, oder das Innen basiert auf dem „gruppenspezifische[n] Wissen“ seiner Mitglieder (Gräf 2010: 317, Herv. entf.). Konstitutiv für die Filme des neuen Jahrtausends ist außerdem eine Unsicherheit der Figuren, die ausgelöst wird durch eine Überforderung mit den vielfältigen Möglichkeiten, ihr Leben zu führen (Gräf 2010: 319f.).15 Normabweichungen können dabei sowohl als zulässig als auch als unzulässig konstruiert werden (Gräf 2010: 321). Die Fragmentarisierung der Gesellschaft in Subkulturen führt laut Gräf in Filmen der späten 2000er Jahre zu sozialen Ungleichheiten, welche kriminelle Akte auslösen (Gräf 2010: 321). Diese kriminellen Akte werden nicht per se verurteilt, da sie mit der „gesellschaftlichsoziale[n] Ohnmacht“ der Täter*innen begründet werden können (Gräf 2010: 321). Insgesamt diagnostiziert Gräf für den Tatort des angehenden 21. Jahrhunderts, dass 15
Dieser Umstand hat auch dazu geführt, dass neue Formen des filmischen Erzählens aufgetreten sind, so zum Beispiel in den sogenannten „Variantenfilme[n]“, die „[d]as Spiel mit den Möglichkeiten“ nicht nur inhaltlich behandeln, sondern zudem auf die Struktur des Narrativs übertragen (Klamt 2015, siehe u. a. Titel der Studie).
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entweder „wünschenswerte Weltentwürfe“ präsentiert werden oder es zu „einem Bejammern der vorgeführten Realität“ kommt (Gräf 2010: 322). 6.2.3.2
Die Kategorie Sexualität im Tatort
Sexualität im Tatort der 1970er Jahre Eine Kategorie, die Gräf im Tatort der 1970er Jahre und auch darüber hinaus als besonders wichtig ansieht, ist Sexualität (Gräf 2010: 117; 148). Sexualität ist in den 1970er Jahren bedeutsam im Hinblick auf die bürgerliche Ehe. Der Ehebruch, der nicht in seiner Körperlichkeit gezeigt wird, ist nicht als emotionale Verletzung von Individuen zu sehen, sondern in seiner gesellschaftlichen Bedeutung als Angriff auf die „bürgerliche Institution“ der Ehe selbst (Gräf 2010: 119). Am wichtigsten ist es den betrogenen Figuren, den Schein einer monogamen und intakten Ehe zu wahren (Gräf 2010: 123). Interessanterweise sind die Ehebrecher*innen meist nur „‚eingeheiratet[]‘“ in die Bürgerschicht (Gräf 2010: 122f.) – damit „fungieren die […] nicht-standesgemäßen Figuren aus einem Außenraum als Katalysatoren für den Zusammenbruch der bürgerlichen Strukturen“ (Gräf 2010: 122f.), wodurch Untreue mit den unteren Schichten korreliert wird. Homosexualität ist in den Tatort-Folgen der 1970er Jahre noch nicht direkt thematisierbar, sondern wird „codiert [d]ar[ge]stell[t]“ wie beispielsweise in dem Film CHERCHEZ LA FEMME ODER DIE GEISTER VOM MUMMELSEE (D 1973, R: ten Haaf) (Gräf 2010: 123). Gräf interpretiert dies dahingehend, dass die Nichtbenennung von Homosexualität indirekt auf eine als „problematisch[]“ aufgefasste „sexuelle[] Andersartigkeit“ verweist (Gräf 2010: 126). Insgesamt wird die Kategorie Sexualität in den 1970er Jahren eng mit der Kategorie Klasse verknüpft und dient somit als Trägerin „zentrale[r] Paradigmen“ (Gräf 2010: 123) wie der bereits genannten Scheinwahrung als oberster gesellschaftlicher Norm (Gräf 2010: 150). Eine ergänzende Sichtweise bietet Krah, der Sexualität im Tatort der 1970er Jahre als mit der Kategorie Alter verwoben ansieht, wenn er „Sex […] als kulturelles Zeichen der Jugendgeneration“ beschreibt, das der bürgerlichen Ehe, die von „Triebbeherrschung und Unterdrückung von Emotionen“ gekennzeichnet sei, konträr gegenüberstehe (Krah 2000: 57f.). Sexualität im Tatort der 1980er Jahre Die Darstellung von Sexualität im Tatort der 1980er Jahre unterscheidet sich maßgeblich von den Repräsentationen und Konstruktionen der 1970er Jahre (Gräf 2010: 248). Sie zeichnet sich durch mehr Offenheit aus und ist auf eine Art und Weise in die Narrative integriert, die es ermöglicht, dass sie sowohl direkt verhandelt und problematisiert werden kann als auch implizit und ohne Schwierigkeiten erscheinen
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kann (Gräf 2010: 248). Sexualität wird sowohl in ihrer ‚normalen‘ Form gezeigt als auch als „pervertierte[] bzw. krankhafte[] ‚Sexualität‘“. Die als krankhaft dargestellten Formen von Sexualität werden dabei als eine „enorme Abweichung“ gezeigt, welche als von der Unmenschlichkeit der Gesellschaft selbst hervorgebracht zu interpretieren ist (Gräf 2010: 249). Hier stellt sich die Frage, ob Pädophilie als sexuelle Abweichung im aktuellen Tatort ebenfalls als Produkt der weißen, westlichen Gesellschaft präsentiert wird oder ob andere Ursachen beziehungsweise gegebenenfalls keine Ursachen auftauchen. Interessant ist dabei ebenfalls, inwiefern Pädophilie als etwas Unausweichliches dargestellt wird oder ob sie als therapierbare beziehungsweise kontrollierbare Abart von Sexualität erscheint, wie beispielsweise in der Tatort-Folge DIE NEUE (D 1989, R: Schulze-Rohr), in der es zwar nicht um Pädophilie geht, aber um Sexualstraftaten. In DIE NEUE werden verschiedene Tatverdächtige eingeführt, die alle in der Vergangenheit bereits als Sexualstraftäter auffällig geworden sind. Bei zwei von ihnen wird „[d]ie Abweichung […] durch psychologische bzw. psychoanalytische Erklärungsstrategien als potenziell erklärbar gesetzt und nicht als definitiv pervers stigmatisiert“ (Gräf 2010: 244, Herv. entf.). Die Möglichkeiten und Grenzen von Therapien werden hierbei aufgezeigt, da eine der beiden Figuren erfolgreich therapiert worden ist, die andere hingegen als therapieresistent beschrieben wird (Gräf 2010: 245; vgl. auch Krah 2000: 52). Krah sieht Sexualität in den Tatort-Folgen der 1980er Jahre nicht länger als mit Jugend verknüpft an, was er daran festmacht, dass Probleme mit der Sexualität im privaten Bereich nicht mehr hinreichend sind für kriminelle Handlungen (Krah 2000: 60). Allerdings weist er deutlich darauf hin, dass sich das nur auf „[n]ormale[n] Sex“ beziehe (Krah 2000: 60), wobei hier anzunehmen ist, dass Krah damit auf einvernehmliche heterosexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen referiert. Sexualität im Tatort der 1990er Jahre In den Tatort-Filmen der 1990er Jahre wird in Bezug auf die Kategorie Sexualität „die Differenz von ‚Normalität‘ und sexueller Abweichung […] zunehmend zur Handlungsachse und zum Merkmal der Figurenzeichnung“ (Krah 2000: 54). Homosexualität ist dabei eine Kategorieausprägung von Sexualität, die als Abweichung von der Norm gekennzeichnet wird und besonders wichtig erscheint. Gräf hebt positiv hervor, dass das Thema Homosexualität im Tatort angekommen sei (Gräf 2010: 297). Problematisch sei jedoch, dass von Homosexuellen „ein Bild von Unnatürlichkeit und de[r] Eindruck eines Mangels an Authentizität“ gezeichnet (Gräf 2010: 299, Herv. entf.) und Homosexualität mit HIV korreliert werde (Gräf 2010: 297f.). Während also zu begrüßen ist, dass homosexuelle Figuren im Tatort der 1990er Jahre erscheinen, ist zu kritisieren, dass sie als „gesellschaftliches Problem“ betrachtet werden (Gräf 2010: 301, Herv. entf.). Krah bemängelt in diesem Kontext,
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dass bei „Fernsehschwule[n]“ „das Interesse nicht an ihnen als Personen, sondern als Zeichen besteht“ (Krah 2000: 56). Laut Krah werden im Tatort der 1990er Jahre auch Bezüge zu Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen hergestellt. „Die Ware Kind als Sexobjekt“ (Krah 2000: 61) stellt dabei ein häufiges Thema dar, wie etwa in den Tatort-Folgen FRAU BU LACHT (D 1995, R: Graf) und KINDERLIEB sowie LAURA, MEIN ENGEL (D 1994, R: Runze) und MANILA (D 1998, R: Stein von Kamienski) (Gräf & Krah 2010: 45). In Krahs Interpretation interessiert dabei weniger der Einzelfall, sondern dieser dient primär als Beispiel für ein gesellschaftliches Phänomen (Krah 2000: 61). Sexualität im Tatort des 21. Jahrhunderts16 Die von Krah und Gräf für das 21. Jahrhundert getroffene Aussage zum NichtVorhandensein homosexueller Kommissar*innen, laut der eine „Norminstanz […] nur sein [kann], wer sich im Raum der Ordnung befindet, und eine homosexuelle Ordnung ist im Tatort-Kosmos schlicht und ergreifend nicht vorgesehen“ (Gräf & Krah 2010), muss inzwischen revidiert werden, denn mit Liz Ritschard gibt es im Schweizer Tatort eine Kommissar*in, die lesbisch ist (SCHMUTZIGER DONNERSTAG CH 2013, R: Levy) und seit 2015 mit dem Berliner Ermittler Robert Karow einen schwulen bzw. bisexuellen Kommissar (z. B. WIR – IHR – SIE D 2016, R: Fischer; weiter ÄTZEND D 2015, R: Zahavi).17 Während in den 1970er Jahren Triebtäter*innen kriminelle Akte mit sexuellem Hintergrund begingen, hat sich das im 21. Jahrhundert grundlegend geändert: „Der mittlerweile wissenschaftlich gebildete und sich selbst therapierende Triebtäter ist unschuldig, der ‚normale‘ Familienvater erscheint seiner Tochter als pädophiler 16
Auf die Kategorie Sexualität geht Gräf bei seinem – im Verhältnis zu den anderen Dekaden sehr knappen – Überblick über die Tatort-Filme des 21. Jahrhunderts nicht gesondert ein, weshalb hier auf Ergebnisse der Studie von Gräf und Krah (2010) verwiesen wird.
17
Bezeichnend ist dabei, dass die erste homosexuelle Kommissar*in im Tatort nicht schwul, sondern lesbisch war, wohingegen Schwule sonst vorzuherrschen scheinen, wenn Homosexualität anhand von Nebenfiguren im Tatort thematisiert wird. Die Vermutung liegt nahe, dass dies etwas damit zu tun hat, dass männliche Homosexuelle generell als größere Bedrohung wahrgenommen werden (vgl. z. B. der inzwischen abgeschaffte § 175 StGB, der sexuelle Handlungen nur zwischen Männern verbot). Anspielungen auf mögliche homosexuelle Orientierungen gab es ebenfalls bei dem Frankfurter Kommissar Frank Steier (ES IST BÖSE D 2012, R: Kornatz). Weiter hat sich der neue Assistent des Kölner Teams in der Folge BENUTZT als schwul geoutet (D 2015, R: Seume) und tritt inzwischen auch gemeinsam mit seinem Freund auf (TANZMARIECHEN
D 2017, R: Jauch).
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Mörder.“ (Gräf & Krah 2010: 63) Pädophile kommen damit in dieser Sichtweise aus dem Kreis der Familie selbst, die sie durch ihre Veranlagung latent oder durch Taten bedrohen. Hier herrscht also kein Stranger Danger-Narrativ vor (vgl. Kapitel 4), sondern die Gefahr droht aus dem Inneren der weißen Kernfamilie. In den Jahren nach 2000 geht es im Tatort nicht darum, Gründe für von der Norm abweichendes sexuelles Verhalten ausfindig zu machen, stattdessen „manifestiert sich die Krimireihe als Moralinstanz: Sexuelle ‚Perversionen‘ gilt es nicht zu psychologisieren, sondern auf einer moralischen Ebene zu kommentieren (oder gar zu verurteilen)“ (Gräf & Krah 2010: 69). Gerade im Hinblick auf Pädophilie ist ein filmischer Umgang mit dem Thema wahrscheinlich, der auf eine Moralisierung anstatt auf eine Psychologisierung setzt. Bezeichnend für die 2000er Jahre ist dabei auch, dass Sexualität häufig im Status des Nicht-Manifestierten verharrt und der Wunsch der Figuren nach körperlicher Zärtlichkeit und Triebbefriedigung keine Erfüllung findet (Gräf & Krah 2010: 97f.). Dabei wird Sexualität „zum Zeichen eines Wünschenswerten, zum Zeichen all dessen, was die Gesellschaft einem vorenthält“ (Gräf & Krah 2010: 98). Wo Sex praktiziert wird, wird er zum „Maßstab, an dem moralische Kompetenzen gemessen werden“ wie in der Folge LIEBE MACHT BLIND (D 2006, R: Fratzscher) (Gräf & Krah 2010: 100). Auf die intersektionale Verknüpfung von Sexualität und Geschlecht verweisen Gräf und Krah zwar, erachten den Gegenstand aber als so komplex, dass sie sich laut eigener Aussage innerhalb ihrer relativen kurzen Schrift „Sex & Crime“ nicht angemessen damit auseinandersetzen können (Gräf & Krah 2010: 109). Wie auch immer die Funktion von Sexualität in den jeweiligen Jahrzehnten genau ausgestaltet ist, es kann festgehalten werden, dass Sexualität in ihren verschiedenen Ausprägungen stets Trägerin verschiedener gesellschaftlicher Konstrukte war und immer noch ist. Insgesamt kann das durch den Tatort vermittelte Bild von Sexualität dabei zusammen mit Gräf und Krah als ein konservatives betrachtet werden, denn in der Kriminalreihe erweist sich „das ‚Gesetz der Serie‘“ immer auch als „ein ‚Gesetz der Sitte‘“ (Gräf & Krah 2010: 110f.). 6.2.3.3 Die Kategorie Geschlecht im Tatort Geschlechterrollen im Tatort der 1970er Jahre Auch für die Verhandlung der Kategorie Geschlecht bietet Gräfs Arbeit Anhaltspunkte. Die Tatort-Folgen der 1970er Jahre zeigen Emanzipationsversuche von Frauen, die auf der narrativen Ebene aber als nicht Erfolg versprechend dargestellt werden: „Alle Abweichungen von Frauenfiguren werden schlussendlich sanktioniert“, wodurch „die Filme implizit die geltenden Geschlechterrollen der 70er Jahre [bestätigen]“ (Gräf 2010: 150). In diesem Kontext bezieht sich Gräf auch auf die im Hinblick auf die Kategorie Geschlecht ‚normale‘ Ausprägung des Mannes, dessen Status nur implizit dargestellt wird, was Gräf – in Übereinstimmung mit Erkennt-
U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND : DIE K RIMINALREIHE T ATORT
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nissen der Gender Studies – darauf zurückführt, dass seine Rolle soweit gefestigt ist, dass sie „nicht expliziert“ werden muss, „sondern vorausgesetzt [wird]“ (Gräf 2010: 152). Dabei sind die Männer in den Filmen der 1970er Jahren in ein „patriarchalisches Modell“ eingebunden, „das sie unter allen Umständen verteidigen“ (Gräf 2010: 152, Herv. entf.). Wie bereits im Hinblick auf Sexualität vorgetragen wurde, so ist in den 1970er Jahren die Verhandlung von Geschlechterrollen Teil der Basis, auf der die zentrale Norm der Scheinwahrung transportiert wird: „Wenn die Filme auch auf der Oberfläche stets eine sich entgrenzende und ausprobierende Sexualität sowie Figuren in geschlechtlichen Selbstfindungsprozessen vorführen, so ist doch die narrative Struktur der Scheinwahrung die bestimmende, um die es thematisch geht.“ (Gräf 2010: 150) Geschlechterrollen im Tatort der 1980er Jahre Im Tatort der 1980er Jahren hat sich das Frauen- und Männerbild im Gegensatz zu den Darstellungen der 1970er Jahre gewandelt. Männliche Figuren werden vermehrt über ihre Körper definiert und zugleich als emotionaler als Frauen gezeigt, wie beispielsweise in Form der 1981 als Kommissar eingeführten Figur Horst Schimanski (Gräf 2010: 275f.). Allerdings wird dies dadurch kompensiert, dass es schlussendlich doch wieder als männlich gekennzeichnete Charaktere sind, die weiblichen Figuren helfen: „Die männliche Figur wird […] als notwendig gesetzt, um die aus der Ordnung geratene Frau wieder in einen Zustand der Ordnung zu führen.“ (Gräf 2010: 276) Das veränderte Frauenbild im Tatort macht Gräf in erster Linie an der verstärken Beachtung der „Konstruktion von Weiblichkeit und Emanzipation“ fest (Gräf 2010: 232, Herv. entf.). Dass die Emanzipation von Frauen dabei eher beiläufig abgehandelt wird, sieht Gräf als Indiz dafür an, dass der Diskurs inzwischen schichtübergreifend geführt wird: „Doch gerade durch dieses Nebenbei, das hier als narrative Strategie erscheint, manifestiert sich die zunehmende Relevanz des Diskurses, der dezidiert nicht ein elitärer Diskurs ist, wie es noch in der Regel in den 70er Jahren der Fall ist“ (Gräf 2010: 232, Herv. i. O.). Interessant ist dabei Gräfs Befund, dass Weiblichkeit nur dann als legitim erscheint, „wenn sie männliche Züge aufweist“ (Gräf 2010: 239f.). Neben diesen emanzipativen Ansätzen vermittelt der Tatort aber auch ein konservatives Bild, wenn er in verschiedenen Folgen der 1970er und 1980er Jahre suggeriert, dass die Rolle der Frau zwingend die einer Mutter ist. So zeigt Krah auf, dass im Tatort Frauen aus der Oberschicht, die kinderlos bleiben, aus diesem Grund kriminell werden (Krah 2000: 58). In der Folge SPIEL MIT DEM FEUER (D 1987, R: Storch) äußert sich eine weibliche Figur, die die schwangere Freundin ihres Manns getötet hat, mit den Worten „Viel-
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leicht, wenn wir Kinder gehabt hätten…“ (Krah 2000: 58) und legt damit nahe, dass ihre unerfüllten Mutterwünsche ursächlich für den von ihr verübten Mord seien.18 Geschlechterrollen im Tatort der 1990er Jahre Für die 1990er Jahre identifiziert Gräf in Bezug auf die Kategorie Geschlecht zwei Modelle. Entweder wird ein dominanter, patriarchaler und als überlegen gezeigter Kommissar im Team mit einer ihm untergeordneten, femininen Ermittlerin auf Täter*innenfang gesendet wie im Düsseldorfer Tatort mit Hauptkommissar Bernd Flemming und Kommissarin Miriam Koch oder eine distanzierte Ermittlerin ohne private Bindungen wie Lena Odenthal in Ludwigshafen arbeitet alleine (Gräf 2010: 309f.). Durch den Vergleich von Koch und Odenthal kommt Gräf zu der Einsicht, dass es „eine Hierarchisierung von Weiblichkeitskonzeptionen“ gäbe, die auf der privaten Bindungslosigkeit der weiblichen Figur beruhe: „Je mehr Distanz, umso größer die Fähigkeit zur Normgarantie und -stabilität.“ (Gräf 2010: 310, Herv. entf.) Gräf geht davon aus, dass es in den 1990er Jahren zu einer Darstellung kommt, in der männliche Figuren problematisiert werden. Dabei wird der Drang von Männern, Dominanz auszuüben, als etwas Negatives präsentiert. Gräf ordnet das Aufkommen von Filmen, die durch Männer begangenen Kindesmissbrauch zeigen, in diesen Kontext ein. (Gräf 2010: 310) Geschlechterrollen im Tatort ab dem Jahr 2000 Im neuen Jahrtausend kommt es zu einer divergierenden Darstellung des weiblichen Geschlechts. Während die Figuren der Kommissarinnen wie Lindholm, Lürsen und Odenthal „als konsequente Ordnungs- und Moralinstanzen“ repräsentiert werden, werden weibliche Nebenfiguren häufig in der Rolle des Opfers von männlichen Tätern gezeigt (Gräf 2010: 320). Gräf interpretiert das männliche Verhalten dabei als Abwehr der weiblichen Emanzipationsbestrebungen, dem die Furcht um den Verlust von Macht zugrunde liegt (Gräf 2010: 320). Die Figur des Hamburger Kommissars Casstorff ist in Bezug auf Geschlechterkonstruktionen hervorzuheben, weil er als alleinerziehender Vater eingeführt wird und damit stellvertretend für ein neues Familienmodell steht, das allerdings für Nebenfiguren noch nicht in Frage zu kommen scheint (Gräf 2010: 320): „Insgesamt setzt der Tatort des 21. Jahrhunderts ein gleichberechtigtes Rollenverständnis als wünschenswert, führt aber in der Regel über die narrativen Tiefenstrukturen der einzelnen Filme den illusionistischen Charakter dieses Wünschenswerten vor.“ (Gräf 2010: 320f., Herv. i. O.) Durch seine 18
Ein Beispiel aus den 1970er Jahren, in welchem der gleiche Kausalzusammenhang hergestellt wird, stellt die Tatort-Folge RECHNUNG MIT EINER UNBEKANNTEN (D 1978, R: Becker) dar (Krah 2000: 58).
U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND : DIE K RIMINALREIHE T ATORT
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differenzierte Betrachtung von Männern und Frauen kann Gräfs Studie als für den vorliegenden Kontext ertragreicher erachtet werden als Arbeiten, die in erster Linie eine mehr oder minder deskriptive Darstellung der ab den 1980er Jahren im Tatort ermittelnden weiblichen Kommissarinnen bieten (beispielsweise Polm 1999; Holtgreve 2000; Krieg & Spitzendobler 2013), obwohl er keinen intersektionalen und weißseinskritischen Ansatz wählt.
6.2.4
Fazit Forschungsstand
Auch wenn die Kriminalreihe Tatort bisher noch nicht aus einem weißseinskritischen, intersektionalen Blickwinkel untersucht worden ist, hat die Auswertung bereits vorhandener Studien einige Anhaltspunkte über die Ausgestaltung ungleichheitsgenerierender Kategorien insbesondere auch in ihrem Zusammenhang mit der Darstellung von Pädophilie und Familie ergeben. Besonders zu den relevanten Kategorien Sexualität und Geschlecht gab es umfangreiche und für diese Arbeit relevante Ergebnisse, etwa dass Weiblichkeit im Tatort der 1980er Jahre nur dann akzeptiert wird, wenn sie stereotype Männlichkeit nachahmt (Gräf 2010: 239f.), oder dass Homosexualität im Tatort der 1990er Jahre kriminalisiert wird (Gräf 2010: 305). Auffällig ist dabei jedoch, dass fast ausschließlich normabweichende Ausprägungen von Kategorien fokussiert werden und der Normmensch selbst selten in den Blick gerückt wird. Am ehesten interessierte die Norm an sich in einem Aufsatz von Schmitz (2010) und in Ansätzen auch bei Gräf (2010). Auch die Konstruktion medialer Ungleichheit ist in keiner der Arbeiten der Schwerpunkt. Dies zeigt die Notwendigkeit, dieses Thema von gesellschaftlicher Relevanz mit den in Kapitel 3 als wichtig identifizierten einschlägigen Theorien der kritischen Weißseinsforschung und des Intersektionalitätskonzepts anzugehen, um das Wissen zur Reihe Tatort einerseits und zur medialen Konstruktion von Ungleichheit andererseits zu erweitern. Von Nutzen ist dabei der Umstand, dass Kriminalgeschichten eine Plattform zur Verhandlung sozialer Normen bieten.
6.3
D IE K RIMINALREIHE T ATORT ZUR W IRKLICHKEIT
6.3.1
Tatort als Spiegel oder als Konstrukteur gesellschaftlicher Realität?
UND IHR
V ERHÄLTNIS
Die Kriminalreihe Tatort ist sowohl als Spiegel als auch als Konstrukteurin von Realität bezeichnet worden. Hinter diesen beiden Benennungen verbergen sich zwei unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenhang von Medien und Realität. Zum
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einen wird die Ansicht vertreten, dass Medien die Realität reflektieren und präsentieren. Nach dieser Vorstellung greifen sie in der primären Realität vorhandene Diskurse auf, bilden diese ab und sind damit tendenziell eher passive und neutrale Vermittler*innen der ‚Realwelt‘. Zum anderen existiert die Auffassung, dass Medien die Realität konstruieren und beeinflussen, beispielsweise indem sie Diskurse in der primären Realität initiieren, womit sie tendenziell eher aktive Akteurinnen sind. Dem ersten Modell, Medien beziehungsweise den Tatort als Spiegel der Realität zu begreifen, liegt ein realistisches Weltverständnis zugrunde, denn hier wird davon ausgegangen, dass eine vormediale Realität prinzipiell existiert und deshalb abgebildet werden kann. Dies korrespondiert generell eher mit der Vorstellung einer schwachen beziehungsweise gemäßigten Medienwirkung, da die Medien nur die vormediale Wirklichkeit repräsentieren und demnach keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Realität haben. Das zweite Modell, in welchem Medien respektive der Tatort als Konstrukteur*innen der Realität gesehen werden, ist mit (radikal-)konstruktivistischen Vorstellungen vereinbar, da Medienbeiträge zur Konstruktion der ‚Realität‘ beitragen. Dies korrespondiert generell mit der Vorstellung einer eher starken Medienwirkung, da die Realität als solche nicht existiert beziehungsweise nicht existieren muss und die Vorstellung der Wirklichkeit von den Medien aktiv (mit)geprägt wird.
6.3.2
Anleihen bei der Wirklichkeit
Hier wird eine Position eingenommen, die sich auf den Konstruktcharakter des Tatort konzentriert, aber das Vorhandensein einer ‚Realwelt‘ nicht in Frage stellt. Dabei werden die Tatort-Folgen als „sekundäre semiotische Systeme“ begriffen, die sich vorfilmischer „primärer Zeichen“ (Gräf 2010: 20, Herv. entf.; vgl. auch Lotman 1993: 22f.19; Kanzog 2007: 49; Bauer 1992: 42) aus der ‚Realwelt‘ bedienen, aber gleichzeitig eine eigene Wirklichkeit im Sinne einer möglichen Welt erschaffen (zum Possible Worlds-Ansatz vgl. Ryan 1992; vgl. auch Gräf 2010: 11; zum Verhältnis ‚Realwelt‘ und fiktionale Welt siehe Kanzog 1991: 10920). Da der Tatort auf primäre vorfilmische Zeichen rekurriert, ist ein grundlegendes Verständnis dieser für die Rezipient*innen unerlässlich, denn ohne dieses Vorwissen wäre eine Rekonstruktion der Bedeutung der Zeichen im Film durch die Zuschauer*innen erschwert oder sogar unmöglich. Dieses Vorwissen beinhaltet auch implizite Kenntnisse der weißen deutschen Kultur, in welcher die Tatort-Reihe verankert ist (Gräf 19
Lotman spricht von Kunst allgemein und bezeichnet diese als „ein sekundäres modell-
20
Der Germanist und Erzähltheoretiker Klaus Kanzog plädiert dafür, dass „[d]as Verhält-
bildendes System“ (Lotman 1993: 22, Herv. entf.). nis von Außenwelt und Fiktionalität […] in jeder Sendung neu wahrgenommen und näher bestimmt werden [muß]“ (Kanzog 1991: 109, Herv. i. O.).
U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND : DIE K RIMINALREIHE T ATORT
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2010: 20f.; Bauer 1992: 42). Die Verwendung primärer, also ‚realweltlicher‘ Zeichen äußert sich beispielsweise durch das Aufgreifen folgender historisch und kulturell verortbarer Erscheinungen: „(städte-)bauliche Zustände, die jeweilige Mode, das Auto- und Möbeldesign und technische Standards wie z. B. stationäre und später mobile Telefone“ (Buhl 2013: 37). Von besonderer Bedeutung ist dabei der starke Lokalbezug der Reihe, welcher dazu führt, dass geographische Räume präsentiert werden, die der Zuschauer*in aus ihrer eigenen Erfahrung oder aus der Medienrezeption vertraut sind und die als „Authentizitätssignale“ verstanden werden können (Gräf 2010: 13, Herv. entf.). Aus der Benutzung solcher Elemente aus der ‚Realwelt‘ erwächst der „mimetische[] Charakter“ (Gräf 2010: 13, Herv. entf.) der Reihe, welcher es den Zuschauer*innen wiederum erleichtert, das Gesehene in ihre Lebenswelt zu übertragen. Dies wird verstärkt durch das Aufgreifen „[z]eittypische[r] Lebensstile, Einstellungen und Werthaltungen“ welche „mit aktuellen Problemlagen [verbunden]“ werden, „die sich in Form gesellschaftspolitischer Themenbezüge, aber auch ganz beiläufig in den Krimis materialisieren“ (Buhl 2013: 37). Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die kulturelle Verankerung der Reihe in der ‚Realwelt‘ sich nicht nur darin äußert, was innerhalb der einzelnen Folgen präsentiert wird, sondern auch gerade darin, was nicht thematisiert wird (Gräf 2010: 22, 31) – also dadurch, welche Gruppen nicht mittels sprechender Figuren repräsentiert werden und wessen Positionen demnach nicht massenwirksam im Tatort vertreten werden. In diesem Zusammenhang können sich Ungleichheitsstrukturen übertragen, ohne dass es eine diskriminierende Darstellung innerhalb einer Folge gibt. Gräfs Befund, der Tatort spiegle „nichts weniger als den gesellschaftlichkulturellen und sozialen Status Deutschlands“ wider und leiste „damit einen zentralen und relevanten Beitrag zur Mentalitätsgeschichte deutscher Kultur“ (Gräf 2010: 31) stützt dabei die in Kapitel 6.1 geäußerte Auffassung, dass der Tatort als Teil der weißen Mainstream-Kultur angesehen werden kann. Dafür spricht auch, dass es sich bei den im Tatort erzählten Narrativen „um Kriminalgeschichten [handelt], die einen Raum deutscher Kultur fokussieren und deutsche Problemkonstellationen verhandeln“ (Gräf 2010: 25, Herv. i. O.). Prämisse ist hierbei, wie bereits erwähnt, dass die deutsche Kultur innerhalb von deutschen Mainstream-Medienbeiträgen als weiße Kultur konstruiert wird.
6.3.3
Auswirkungen auf die Wirklichkeit
Auch wenn die mögliche Welt, die eine Tatort-Folge schafft, in ihren logischen Sinnzusammenhängen erst einmal ein abgeschlossenes Konstrukt darstellt, kann die Tatort-Folge infolge ihrer Rezeption durch die Zuschauer*innen und deren Eingebundenheit in die ‚Realwelt‘ zu einer möglichen Einflussquelle und zum potenziel-
180 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
len Motor für Veränderungen oder zu einer stabilisierenden Kraft gesellschaftlicher Verhältnisse werden. So ist der Tatort aufgrund seiner hohen Zahl an Zuschauer*innen als „eine beachtliche gesellschaftspolitische Einflußgröße“ (Bauer 1992: 19) zu betrachten. Dabei können auf die „fiktive Vergemeinschaftung“21 während der Rezeption der Medienbeiträge durch Anschlusskommunikation „soziale Vergemeinschaftungseffekte“ folgen (Dörner 2001: 161). Dies kann beispielsweise geschehen, indem im Tatort Lösungen für gesellschaftliche Konfliktfälle präsentiert werden, die von den Rezipient*innen als handlungsleitend aufgefasst werden oder indem bestehende Werte und Normen aktualisiert und dadurch bestätigt werden. Unabhängig davon, ob und in welcher Form Fernsehserien und -reihen wie der Tatort nun konkrete Wirkungen nach sich ziehen, reicht – gemäß dem Thomas Theorem (siehe Kapitel 2.2) – der Glaube daran, dass das Dargestellte einen Effekt hat, bereits aus, um Diskussionen in Gang zu setzen. So hat Ursula Lehr, die von 1988 bis 1991 das Amt der Bundesfamilienministerin bekleidete, nach der Ausstrahlung einer Folge der ZDF-Fernsehserie Schwarzwaldklinik (D 1985–1989) im Januar 1989 die Repräsentation einer Frau kritisiert, die ihre Berufstätigkeit zugunsten ihres kranken Kindes aufgibt (Dörner 2001: 165). Sie war demnach davon ausgegangen, dass die im Hinblick auf die Kategorie Geschlecht Ungleichheit evozierende beziehungsweise bestehende Ungleichheit verstärkende Darstellung in der fiktionalen Fernsehserie reale Auswirkungen in der Gesellschaft haben wird, indem Einstellungen der Zuschauer*innen beeinflusst werden.22
6.3.4
Positionierung des Tatort durch Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Konflikte
In dieser Arbeit wird also sowohl die repräsentative Funktion des Tatort anerkannt, der „als ‚Seismograph‘ deutscher Befindlichkeiten und Mentalitäten“ (Gräf 2010: 8) fungiert und „kulturelle Denkweisen und Praktiken [präsentiert]“ (Gräf 2010: 10,
21
Unter fiktiver Vergemeinschaftung versteht der Politikwissenschaftler Andreas Dörner,
22
Ein weiteres Beispiel für die antizipierte Wirkung populärer Fernsehserien ist der Um-
dass „viele Menschen gleichzeitig das gleiche sehen“ (Dörner 2001: 161). stand, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Jahr 1996 die im Ersten ausgestrahlte Fernsehserie Klinik unter Palmen (D 1996–2003) finanziell unterstützt hat. Ihre Lobbyarbeit sahen die Verantwortlichen des BMZ voraussichtlich auch deshalb als wirksam an, weil „ein fiktiver Mitarbeiter des BMZ an der Seite von Dr. Hofmann (Wussow) Aufklärungsarbeit leisten [durfte]“ (Dörner 2001: 170f.). Auch die bereits erwähnte Kölner Tatort-Folge MANILA zum Thema Zwangsprostitution von Kindern wurde vom BMZ finanziell unterstützt (Dörner 2001: 170, Fußnote 21).
U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND : DIE K RIMINALREIHE T ATORT
| 181
Herv. entf.) und damit „als Indikator für grundsätzliche gesellschaftliche und kulturelle Veränderungsprozesse befragt werden kann“ (Viehoff 2005: 100), als auch seine „Fähigkeit, gesellschaftliche Diskurse zu initiieren, zu prägen und zu bereichern“ (Gräf 2010: 9). Das heißt, die Kriminalreihe Tatort ist zum einen eingebunden in ein kulturelles System, dessen (vorfilmischer) Zeichen sie sich bedient, zum anderen bringt sie eine eigene Welt mit einer eigenen Ordnung hervor, die der der ‚Realwelt‘ mehr oder weniger entsprechen kann, aber nicht muss. Diese möglichen Welten können, wie aufgezeigt, durch die Rezeption durch die Zuschauer*innen wiederum Folgen in der ‚Realwelt‘ nach sich ziehen, wodurch die Tatort-Reihe auf das kulturelle System, in das sie eingebunden ist, rückwirkt. Dabei kann sich der Tatort in vielfältiger Weise in ein Verhältnis zum kulturellen System setzen, dem er angehört. Die Tatort-Reihe beziehungsweise einzelne Folgen der Reihe23 können die Normen und Werte der ‚Realwelt‘ bestätigen, womit sie konservativ-verstärkend wirken; sie können sich von diesen abgrenzen, ohne eine Alternative zu bieten und damit kritisch-verneinend sein; oder sie können Alternativen zur bestehenden Ordnung vorschlagen und damit innovativ-erneuernd wirken (vgl. Kapitel 2.5). Gräf geht davon aus, dass der Tatort stets „konsensfähige Lösungen anbietet“ (Gräf 2010: 18), also Lösungen, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Verständnis und Konsens bei der Mehrheit der Zuschauer*innen stoßen werden. Problematisch ist dabei, dass Gräf vorschlägt, diesen Konsens anhand der Filme selbst zu bestimmen und nicht über extramediale Daten beziehungsweise eine historische Untersuchung: „Was als Konsens gilt, ist den Filmen selbst zu entnehmen: Die diachrone Analyse der Reihe führt vor, dass sich in bestimmten Zeiten bestimmte Konfliktfelder und Lösungsmodelle häufen.“ (Gräf 2010: 19) Wenn die Filme jedoch als Indikator für die Kultur dienen müssen, deren Zustand zu bestimmen ist, besteht die Gefahr, dass konträre Weltbilder, die Alternativen zur Ordnung der ‚Realwelt‘ anbieten, ausgeblendet oder übersehen werden und damit das insbesondere fiktionalen Formaten eigene Potenzial, innovative Lösungen für gesellschaftliche Konflikte einzubringen, nicht bemerkt wird. Ein weiteres Problem besteht in der Annahme, Tatort-Filme böten immer konsensuale Lösungen für gesellschaftliche Konfliktfälle an. Dies hat auch Gräf erkannt, wenn er anmerkt, dass die Lösung auch darin bestehen kann, schwierige Konfliktfälle ausweichend zu lösen und dabei das gesellschaftlich relevante Problem offen zu lassen:
23
Auch wenn jede Tatort-Folge ein eigenes Weltbild schafft, kann davon ausgegangen werden, dass die einzelnen Folgen im Verbund der Reihe „einen gemeinsamen Bezugsrahmen“ (Gräf 2010: 12, Herv. i. O.) erhalten. Innerhalb dieses Bezugsrahmens können jedoch durchaus auch konträre Weltbilder dargestellt werden.
182 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION „Konsensuale Lösungen können im Falle des Tatort Teillösungen sein, die bestimmte Problembereiche (stillschweigend) ausblenden; es können aber auch ausweichende Lösungen sein, die die Lösung auf andere Ebenen des Films verlagern, indem sie z. B. die Lösung gesellschaftlicher Probleme auf das konkret zu lösende Delikt verlagern; in Bezug auf gesellschaftliche Missverhältnisse können Lösungen auch verweigert werden. […] so dass […] untersucht werden kann, welche spezifischen Lösungsstrategien wann bevorzugt werden und wie diese […] in die Narration integriert werden.“ (Gräf 2010: 18, Herv. i. O.)
Die Kopplung gesellschaftlicher Probleme an Kriminalfälle bietet demnach die Möglichkeit, Konflikte der Gesellschaft nur scheinbar zu lösen, denn die Lösung des Kriminalfalls kann zugleich eine Lösung des gesellschaftlichen Konflikts darstellen, sie kann aber auch unabhängig davon erfolgen: „Wenn die kriminalistische Ordnung wiederhergestellt ist, gelten nicht zwangsläufig auch alle anderen Probleme als gelöst“ (Gräf 2010: 19). Dies bedeutet, dass der Tatort nicht immer eine konsensuale Lösung anbietet, sondern komplexe Probleme auf narrativer Ebene auch simpel lösen kann (beispielsweise durch Eliminierung einer Figur, vgl. Analysefrage in Kapitel 5.2.3) und damit eben gerade keine Lösung für das Problem von gesellschaftlicher Relevanz bietet.
7
Analyse der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN
7.1
I NHALTSANGABE
UND
F IGURENKONSTELLATION
Das Dortmunder Team um Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) und Hauptkommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) sind in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN einem Vergewaltiger und Mörder von jungen Mädchen auf der Spur. Die erste Leiche, die sie im Wald vergraben finden, ist die der entführten Marie Bartok. Verdächtig ist zunächst der Stiefvater Maries, Gunnar Stetter (Hans-Jochen Wagner), auf dessen Computer pornografische Fotos von Mädchen gefunden wurden, weshalb sich Maries Mutter Katja Bartok von ihm getrennt hat. Als nächstes verschwindet Lisa Passek, die ebenfalls nur noch tot aufgefunden werden kann. Anfänglich bezichtigen die Kommissar*innen hier ebenfalls ihren Vater, Stefan Passek (Martin Reik), der von der Mutter geschieden ist und die Reinigungsfirma Epple leitet. Kurzzeitig richtet sich der Verdacht auch gegen Lisas Aushilfslehrer Pascal Burger1, der bereits einmal wegen sexueller Belästigung von einer Schülerin angeklagt worden ist, die ihre Anzeige jedoch später zurückgezogen hatte. Markus Graf (Florian Bartholomäi) gerät ins Visier der Ermittler*innen, da er für die Reinigungsfirma Epple arbeitet, die sowohl in Maries als auch in Lisas Schule tätig ist. Er ist Faber bereits bekannt, weil Faber vor 15 Jahren dessen Vater Thomas Graf wegen Mord und Vergewaltigung an jungen Mädchen hinter Gitter gebracht hatte. Graf stellt sich als der Mörder heraus und verlangt von Faber, dass dieser, wegen der Demütigungen, die sein Vater im Gefängnis ertragen musste, von einem Hochhaus springt. Andernfalls wolle er das Versteck des noch lebenden letzten Opfers, Annika Görges, nicht verraten. Die Kommissar*innen gewinnen den Wettlauf mit der Zeit, Annika wird gefunden, Graf wird festgenommen. Er hat zudem vermutlich den Unfalltod von Grafs Frau und Tochter herbeigeführt. Hauptkommissarin Bönisch sowie ihre Kolleg*innen Oberkommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel) und
1
Personen, die nicht im Film auftreten, sondern nur sprachlich erwähnt werden, können keine Schauspieler*innen zugeordnet werden.
184 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Oberkommissar Daniel Kossik (Stefan Konarske) beschäftigen neben der Fallermittlung private Angelegenheiten. Bönisch wird von dem Callboy Toni Kelling (Jo Weil) erpresst, mit dem sie verkehrt hat und der ihre Beziehung öffentlich machen will, wenn sie ihm nicht hilft, die drohende Anklage der Staatsanwaltschaft wegen des Verkaufs von Kokain abzuwenden. Dalays und Kossiks Beziehung zerbricht an Dalays ungewollter Schwangerschaft, da Dalay eigenmächtig beschließt, das Kind abzutreiben. Die folgende Figurenaufstellung2 zeigt die Relationen an, in denen die verschiedenen Figuren des Films zueinander stehen:
2
Zur Methodik der Visualisierung von Figurenkonstellationen siehe Krah (2006: 361-363; vgl. auch Kapitel 5.3).
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
Schaubild 2: Figurenkonstellation in AUF EWIG DEIN
EWIG
DEIN
| 185
186 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
7.2
R EKONSTRUKTION VON O RDNUNG UND E REIGNISSEN
Im Folgenden werden die Ordnung und die sie störenden Ereignisse in der TatortFolge AUF EWIG DEIN rekonstruiert. Nach der Identifikation der Ordnungssätze (Kapitel 7.2.1) werden der Geltungsbereich der Ordnungssätze und die Funktion der Figuren bei der Normvermittlung bestimmt (Kapitel 7.2.2). Anschließend geht es um die Ereignisse und die Art der Ordnungswiederherstellung, die nach dem Konsistenzprinzip notwendig ist (Kapitel 7.2.3). In diesem Kontext wird auch das zentrale Ereignis ermittelt. Wegen der horizontalen Erzählweise der Tatort-Episoden aus Dortmund wird, wo es Sinn ergibt, auf vorherige beziehungsweise zukünftige Folgen verwiesen, beispielsweise wenn ein Handlungsstrang aus einer früheren Folge in AUF EWIG DEIN zu einer narrativen Sanktion führt.
7.2.1
Rekonstruktion der Ordnungssätze
Das primäre Interesse bei der Herausarbeitung der Ordnungssätze, welche als Teil der Ordnung der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN zu betrachten sind, ist nicht methodischer, sondern inhaltlicher Art. Es wird also nicht in erster Linie darauf abgezielt, die Art der Ordnungsvermittlung eines Textes zu bestimmen, sondern die inhaltliche Struktur der Ordnung. Deshalb werden die Ordnungssätze nach inhaltlichen Kriterien gruppiert. Die ersten sechs Ordnungssätze beschäftigen sich dabei mit dem Thema Sexualität und ihrer Bestrafung, Ordnungssatz 7 mit der Bestrafung für die Zerstörung des Lebens anderer. Die Ordnungssätze 8 und 9 haben die intakte Familie zum Thema, wohingegen die Ordnungssätze 10 und 11 Professionalität auf beruflicher Ebene regeln. Die Ordnungssätze 12 und 13 thematisieren männliche Prostitution, der Ordnungssatz 14 Drogenhandel und die Ordnungssätze 15 und 16 Traumata und den legitimen Umgang mit diesen. Im Folgenden werden die einzelnen Ordnungssätze hergeleitet, wobei es an dieser Stelle noch nicht um konkrete Ordnungsverletzungen und die Art der Ordnungswiederherstellung geht (siehe ausführlich dazu Kapitel 7.2.3). „Mädchen töten ist nicht normal“ (Faber bei TC 41:21) schleudert Faber Graf entgegen, als dieser lamentiert, getrennt von seinem kleine Mädchen vergewaltigenden Vater in verschiedenen Heimen aufzuwachsen, hätte ihn „so viel Kraft und Energie gekostet wie ein normales Leben zu führen.“ (Graf bei TC 41:17). Damit etabliert Faber den zentralen Ordnungssatz im narrativen Gefüge der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN, der um den implizierten Straftatbestand der Vergewaltigung erweitert und formallogisch ausgedrückt lautet: ‚Für alle x gilt: Wenn x Mädchen vergewaltigt und tötet, dann ist x keine normale Straftäter*in.‘ (OS 1) Der Ordnungssatz kann deshalb als zentral gelten, weil sich um ihn herum die gesamte Handlung der
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
EWIG
DEIN
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Kriminalgeschichte entspinnt. Die anderen Handlungsstränge, beispielsweise um Bönisch und den Callboy Kelling oder um die Schwangerschaft von Dalay durch Kossik, stellen dem gegenüber Nebenstränge dar. Ein zweiter Ordnungssatz, der in den Komplex ‚pervertierte Sexualität und ihre Bestrafung‘ eingeordnet werden kann, ist: ‚Für alle x gilt: Wenn x ein Mann ist, der auf kleine Mädchen steht, dann ist x pädophil.‘ (OS 2) Ordnungssatz 2 kann aus Dialogen zwischen Faber und Stetter geschlossen werden, in denen Faber Stetter auf eine teils empathische, teils ironische Art und Weise3 (Faber zu Stetter: „Deswegen ist man nicht gleich ein Pädophiler.“ TC 20:38) zu verstehen gibt, dass man, wenn man Fotos kleiner Mädchen im Internet tauscht, durchaus „einer dieser Perversen“ (Stetter bei TC 10:12) ist, von denen Stetter sich abgrenzen will. Die Identifizierung von Ordnungssatz 2 ist hier demnach über die negative Bewertung von Stetters Verhaltens durch Faber erfolgt. Da deutlich gemacht wird, dass Stetter mit einer Bestrafung (Androhung einer expliziten Bestrafung) zu rechnen hat, auch wenn er unter Umständen mit einem Bußgeld davonkommt (vgl. Faber bei TC 10:19), gilt darüber hinaus der Ordnungssatz: ‚Für alle x gilt: Wenn x kinderpornografische Fotos besitzt, macht sich x strafbar.‘ (OS 3)4 Wie Ordnungssatz 1 verdeutlicht, werden Menschen, die Mädchen vergewaltigen und töten, im Weltbild von AUF EWIG DEIN nicht als ‚normale‘ Straftäter*innen betrachtet. Entsprechend fällt auch die notwendige Bestrafung aus, denn wie Faber ausführt, dürfe Graf senior „nie wieder ausm Gefängnis raus“, weil er „genau da weitergemacht [hätte], wo er aufgehört hat“ (Faber bei TC 30:08) – eine Meinung, die innerhalb der Tatort-Folge auch vom Europäischen Gerichtshof geteilt und damit weiter legitimiert wird, da Thomas Grafs Antrag auf Aufhebung der Sicherungsverwahrung abgelehnt wurde (vgl. Faber bei TC 27:15). Dies mündet in Ordnungssatz 4: ‚Für alle x gilt: Wenn x keine normale Straftäter*in ist, dann muss x ins Gefängnis und darf dort nie wieder heraus.‘ (OS 4) Die Bestrafung beschränkt sich aber nicht auf den Gefängnisaufenthalt, sondern ‚nicht-normale‘ Straftäter*innen müssen im Gefängnis damit rechnen, gedemütigt zu werden, wie M. Graf Kommissar Faber vorwirft: „Sie haben keine Ahnung von den Demütigungen, die mein Vater ertragen musste. Sie haben sein Leben zerstört und damit auch meins.“ (Graf bei TC 1:14:37). Damit verweist Graf auf zwei weitere, im narrativen Gefüge 3
Fabers Ermittlungstaktik, sich in die Täter*innen hineinzuversetzen und aus ihrer Sicht mögliche Gedanken zu formulieren, nutzt er hier, um sich durch Empathie das Vertrauen von Stetter zu sichern. Teilweise kommentiert er Stetters Aussagen aber auch ironisch, beispielsweise wenn er auf Stetters Antwort, dass nur 30 bis 40 kinderpornografische Fotos auf dessen Rechner sichergestellt werden konnten, antwortet: „Ach so, mehr nicht?“ (Faber bei TC 10:09).
4
Inwiefern die besagten Fotos tatsächlich als kinderpornografisch anzusehen sind, wird in Kapitel 7.5 erörtert.
188 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
gültige Ordnungssätze, die mit pervertierter Sexualität und ihrer Bestrafung zu tun haben: ‚Für alle x gilt: Wenn x keine normale Straftäter*in ist, dann wird x im Gefängnis gedemütigt.‘ (OS 5) und ‚Für alle x gilt: Wenn x im Gefängnis gedemütigt wird, dann wird dadurch das Leben von x zerstört.‘ (OS 6) Ordnungssatz 7 ist dem Bereich ‚Bestrafung für die Zerstörung des Lebens anderer‘ zuzuordnen und beschreibt, dass Menschen, die das Leben anderer zerstören, dafür sterben müssen: ‚Für alle x gilt: Wenn x verantwortlich für die Zerstörung des Lebens von y ist, dann muss x dafür sterben.‘ (OS 7) Dieser Ordnungssatz wird ebenfalls von Graf verbalisiert, der möchte, dass Faber für die Zerstörung des Lebens seines Vaters bestraft wird: „Ich wollte, dass Sie dasselbe durchmachen wie er. Ein Leben ohne jede Hoffnung. Und dass Sie daran zugrunde gehen.“ (Graf bei TC 1:14:52). Die beiden Ordnungssätze, die sich mit der intakten Familie und den Konsequenzen einer möglichen Trennung der Eltern beschäftigen, werden nicht verbal geäußert, sondern können aus dem narrativen Verlauf von AUF EWIG DEIN erschlossen werden. Ordnungssatz 8 besagt: ‚Für alle x und alle y gilt: Wenn x Vater und y Mutter eines gemeinsamen Kindes sind, dann müssen x und y zusammenbleiben.‘ (OS 8) Ordnungssatz 9 bezieht sich auf die Folgen, die eintreten, wenn es zu einem Verstoß gegen Ordnungssatz 8 kommt: ‚Für alle x und alle y gilt: Wenn x Vater und y Mutter eines gemeinsamen Kindes sind, dann wird dieses Kind bei einer Trennung geschädigt.‘ (OS 9) Die Grundlage dieser Ordnungssätze bietet der Umstand, dass in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN sowohl die Eltern der entführten und ermordeten Marie Bartok getrennt leben, wobei Marie bei ihrer Mutter und ihrem pädophilen Stiefvater Stetter aufwuchs, als auch die Eltern des zweiten Opfers, Lisa Passek, eine unschöne Scheidung hinter sich hatten (vgl. Passek bei TC 14:58). Die Schädigung, die Lisa durch die Scheidung der Eltern davonträgt, wird direkt von ihrem Vater angesprochen: „[S]ie [Lisa, MK] hat’s nicht so gut weggesteckt.“ (Passek bei TC 15:05). Lisa Passek leidet zudem unter schwerem Asthma (vgl. Dalay bei TC 11:39). Die noch viel größere Schädigung, die Lisa und Marie ereilt, und die als narrative Sanktion für die Eltern aufgefasst werden kann, ist aber, dass beide entführt und getötet werden. Einzig von Annika Görges, die nur entführt, aber nicht ermordet wird, ist nichts über die familiären Verhältnisse bekannt. Die vierte Gruppe von Ordnungssätzen betrifft die berufliche Professionalität der Kommissar*innen und ist auf Äußerungen Bönischs zurückzuführen. So fordert Bönisch an verschiedenen Stellen mehr Professionalität von ihrem emotional agierenden Kollegen Faber ein, beispielsweise mit den Worten: „Es ist unprofessionell, voreilige Schlüsse zu ziehen und sich auf einen Täter zu versteifen.“ (Bönisch bei TC 30:31). Dies kann in den Ordnungssatz 10 übersetzt werden: ‚Für alle x und alle y gilt: Wenn x eine Kriminalkommissar*in ist und y eine tatverdächtige Person, dann darf x keine voreiligen Schlüsse ziehen und sich nicht auf y versteifen.‘ (OS 10) Mit seinem Konterangriff „Sie sind der Profi. Ich bin der Chef vom Ganzen“ (Faber bei TC 30:35) etabliert Faber eine Ausnahmeregelung für sich in der
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Funktion des Chefs und damit Ordnungssatz 11: ‚Für alle x gilt: Wenn x Chef*in des Ermittlungsteams ist, muss x sich nicht an Ordnungssatz 10 halten.‘ (OS 11) – eine Position, die ebenfalls an anderer Stelle im Film von ihm bekräftigt wird.5 Mit Popitz kann man diesen Ordnungssatz als „Ausklammerung“ (Popitz 1980: 71) begreifen, wobei Popitz diesen Begriff in Bezug auf Allgemeinnormen mit Ausnahme verwendet (vgl. auch Kapitel 2.4.5). Kommissar Krüger verhandelt den Fall von Toni Kelling, der als Callboy arbeitet und Kokain an seine Kund*innen verkauft hat. Aus seinen abwertenden Aussagen gegenüber Kelling („Ach, tun Sie immer alles, worum man Sie bittet, ja? Gut, Sie sind Callboy… Da macht man vermutlich, was von einem verlangt wird. Womit verdienen Sie eigentlich mehr? Mit Dealen? Oder mit Vögeln?“ – Krüger bei TC 3:07) sowie Kellings Verhalten als Faber ihn einschüchtert6 lässt sich der Ordnungssatz ableiten: ‚Für alle x gilt: Wenn x ein Mann ist, dann darf x sich nicht prostituieren.‘ (OS 12) Unwissend, dass Bönisch eine Kundin von Kelling gewesen ist, sagt Krüger zu ihr: „Der Typ ist nen Callboy. Mal ehrlich, wie frustriert müssen Frauen sein, dass sie zu so einem gehen? Kriegen die zu Haus nicht, was sie brauchen?“ (TC 5:20) und äußert damit sein Unverständnis gegenüber Frauen, die für Sex bezahlen. Gemeinsam mit dem Versuch Kellings, Bönisch zu erpressen (wobei der Erpressungsversuch als eine Variante narrativer Sanktion interpretiert werden kann, vgl. Kapitel 7.2.2), wenn er damit droht, publik zu machen, dass sie seine Dienste zu früheren Zeiten in Anspruch genommen hat, deutet das darauf hin, dass Frauen, die zu männlichen Prostituierten gehen, gegen gesellschaftliche Konventionen verstoßen, was in Ordnungssatz 13 mündet: ‚Für alle x und alle y gilt: Wenn x eine Frau ist und y ein männlicher Prostituierter, darf x nicht mit y verkehren.‘ (OS 13) Durch den Handlungsstrang mit Kelling ergibt sich auch Ordnungssatz 14, der besagt: ‚Für alle x gilt: Wenn x mit Kokain dealt, dann macht sich x strafbar.‘ (OS 14) Dieser Ordnungssatz kann auf eine – noch nicht ausgeführte, aber durch Krüger angekündigte – explizite Sanktion in Form einer Gefängnisstrafe zurückgeführt werden. Zuletzt bestimmen noch zwei Sätze zu Traumata und dem Umgang mit diesen die Ordnung der Welt in AUF EWIG DEIN. So kann man aus Bönischs Ausspruch 5
Bönisch ist schlecht gelaunt, weil sie von Kelling erpresst wird. Als Faber sie auffordert, doch bitte den „privaten Ärger dort zu lassen, wo er hingehört“ (Faber bei TC 44:38) und Bönisch ihn daraufhin auf seine eigene, nicht immer galante Art verweist, sagt Faber: „Von mir ist man nix anderes gewohnt, von Ihnen schon. Zwei von meiner Sorte können wir uns nicht leisten“ (TC 44:44) und stellt damit ebenfalls seinen Sonderstatus heraus.
6
Faber greift Kelling verbal an und nimmt ihn zwischendurch grob in den Arm. Kelling zeigt sich sofort eingeschüchtert und verlässt fluchtartig das Hotelzimmer, wobei ihm Faber noch ein „Und nie ohne Kondom“ (TC 6:57) hinterherruft.
190 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Faber gegenüber („Sie trauern nicht, das ist Ihr Problem“ – Bönisch bei TC 8:41) in Bezug auf dessen Umgang mit dem Tod seiner Familie schließen, dass der Ordnungssatz ‚Für alle x gilt: Wenn x Familienangehörige verliert, dann muss x trauern.‘ (OS 15) Gültigkeit hat. Ebenfalls zur Gruppe der Ordnungssätze mit dem Thema ‚Traumata und der Umgang mit diesen‘ ist Ordnungssatz 16 zu zählen: ‚Für alle x gilt: Wenn x ein traumatisches Erlebnis hat, dann wird das Leben von x nachhaltig davon beeinflusst.‘ (OS 16) Dieser Ordnungssatz ist auf Grafs Aussage „Dabei müssten doch grade Sie [Faber, MK] wissen, was derartig traumatische Ereignisse mit einem Menschen machen.“ (Graf bei TC 41:30) zurückzuführen. Die folgende Tabelle zeigt die Ordnungssätze, die die Ordnung der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN konstituieren, im Überblick:
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Tabelle 2: Ordnungssätze in AUF EWIG DEIN Nr. OS 1
OS 2
OS 3
OS 4
Inhalt
Thema
Für alle x gilt: Wenn x Mädchen vergewaltigt und
Sexualität und ihre
tötet, dann ist x keine normale Straftäter*in.
Bestrafung
Für alle x gilt: Wenn x ein Mann ist, der auf kleine
Sexualität und ihre
Mädchen steht, dann ist x pädophil.
Bestrafung
Für alle x gilt: Wenn x kinderpornografische Fotos
Sexualität und ihre
besitzt, macht sich x strafbar.
Bestrafung
Für alle x gilt: Wenn x keine normale Straftäter*in
Sexualität und ihre
ist, dann muss x ins Gefängnis und darf dort nie
Bestrafung
wieder heraus. OS 5
OS 6
OS 7
Für alle x gilt: Wenn x keine normale Straftäter*in ist,
Sexualität und ihre
dann wird x im Gefängnis gedemütigt.
Bestrafung
Für alle x gilt: Wenn x im Gefängnis gedemütigt wird,
Sexualität und ihre
dann wird dadurch das Leben von x zerstört.
Bestrafung
Für alle x gilt: Wenn x verantwortlich für die Zerstö-
Bestrafung für die
rung des Lebens von y ist, dann muss x dafür sterben.
Zerstörung des Lebens anderer
OS 8
Für alle x und alle y gilt: Wenn x Vater und y Mutter
Intakte Familie
eines gemeinsamen Kindes sind, dann müssen x und y zusammenbleiben. OS 9
Für alle x und alle y gilt: Wenn x Vater und y Mutter
Intakte Familie
eines gemeinsamen Kindes sind, dann wird dieses Kind bei einer Trennung geschädigt. OS 10
Für alle x und alle y gilt: Wenn x eine Kriminal-
Berufliche
ermittler*in ist und y eine tatverdächtige Person, dann
Professionalität
darf x keine voreiligen Schlüsse ziehen und sich nicht auf y versteifen. OS 11
Für alle x gilt: Wenn x Chef*in des Ermittlungsteams
Berufliche
ist, muss x sich nicht an Ordnungssatz 10 halten.
Professionalität
192 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Nr. OS 12
OS 13
Inhalt
Thema
Für alle x gilt: Wenn x ein Mann ist, dann darf x
Männliche
sich nicht prostituieren.
Prostitution
Für alle x und alle y gilt: Wenn x eine Frau ist
Männliche
und y ein männlicher Prostituierter, darf x nicht
Prostitution
mit y verkehren. OS 14
Für alle x gilt: Wenn x mit Kokain dealt, dann macht
Drogenhandel
sich x strafbar. OS 15
OS 16
Für alle x gilt: Wenn x Familienangehörige verliert,
Traumata und der
dann muss x trauern.
Umgang mit diesen
Für alle x gilt: Wenn x ein traumatisches Erlebnis
Traumata und der
hat, dann wird das Leben von x nachhaltig
Umgang mit diesen
davon beeinflusst.
Wie dargestellt wurde, werden die meisten der aufgeführten Ordnungssätze explizit formuliert. Teilweise konnten die Ordnungssätze auch über narrative Sanktionen (OS 8 und OS 9; teilweise auch OS 13) und explizite Sanktionen beziehungsweise die Androhung dieser (OS 3 und OS 14) sowie über negative Bewertung des Verhaltens anderer (OS 2, OS 12, OS 13) erschlossen werden.
7.2.2
Geltungsbereich der Ordnungssätze und Funktion der Figuren bei der Normvermittlung
Während es im vorangegangenen Kapitel darum ging, die Ordnungssätze zu identifizieren, welche in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN aufgestellt werden, soll im Folgenden analysiert werden, welche Gültigkeit diese haben. Dafür wird auf Erkenntnisse aus der Soziologie rekurriert und diese werden für die Grenzüberschreitungstheorie fruchtbar gemacht und weiter ausgebaut (vgl. Kapitel 5.2.1). Hierzu wird ein näherer Blick darauf geworfen, wer Ordnungssätze formuliert, mit welchem Gültigkeitsanspruch und mit welcher tatsächlichen Gültigkeit und welche Funktion die Figuren damit innerhalb des Narrativs einnehmen: die der Normsetzer*innen, Normhüter*innen oder Normsender*innen. Ordnungssatz 1 beruht auf einer expliziten Formulierung durch Faber und beansprucht Allgemeingültigkeit. Er wird innerhalb des Filmverlaufs nicht in Frage gestellt. Da die anderen Mitglieder des Ermittlungsteams diese Norm zwar nicht verbalisieren, aber durch ihre Handlungen und durch ihre Bewertungen der Entführun-
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EWIG
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| 193
gen und Morde stützen, kann davon ausgegangen werden, dass Faber hier als Normhüter und nicht als Normsetzer fungiert. Gleiches trifft für die Ordnungssätze 2 und 3 zu, wobei Ordnungssatz 2, wie beschrieben, nicht explizit von Faber formuliert wird, sondern auf dessen negative Bewertung des Verhaltens von Stetter zurückzuführen ist. Dieser weist den Ordnungssatz zwar von sich („Ich bin nicht einer von diesen Perversen“ – Stetter bei TC 10:12), wird aber im Vergleich zu Faber als nicht dominant dargestellt und unterläuft außerdem seine eigenen Worte dadurch, dass er Fotos von Minderjährigen tauscht. Ordnungssatz 2 ist nichtreziprok, da er nur für Männer gilt, die auf kleine Mädchen stehen, und dies auf Faber nicht zutrifft. Bei Ordnungssatz 3 handelt es sich um eine Allgemeinnorm, die auf der Androhung einer expliziten Strafe durch Faber basiert. Auch im Hinblick auf die Ordnungssätze 2 und 3 erscheint Faber als Hüter der Norm. Ordnungssatz 4 beschreibt eine Partikularnorm, die sich nur auf ‚nicht-normale‘ Straftäter*innen bezieht und von Faber explizit formuliert wird. Da Faber selbst kein ‚nicht-normaler‘ Straftäter ist, stellt Ordnungssatz 4 eine nicht-reziproke Partikularnorm dar. Das Besondere an dieser Norm ist, dass sie, wie angeführt, zusätzlich durch die von Faber angesprochene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs legitimiert wird, welcher T. Grafs Antrag auf Entlassung aus der Sicherungsverwahrung nicht stattgibt. Sowohl Faber als auch der Europäische Gerichtshof können dabei als Normhüter*innen betrachtet werden. Während die Ordnungssätze 1 bis 4 damit auf Faber zurückzuführen sind, der in allen vier Fällen als Normhüter auftritt, und alle der vier Ordnungssätze nicht in Frage gestellt werden, beruhen die Ordnungssätze 5, 6 und 7 auf expliziten Äußerungen seines Kontrahenten Markus Graf. Bei der Etablierung der Ordnungssätze 5 und 6 dient Graf als Normsender, wobei Ordnungssatz 5 die Rolle einer reziproken Partikularnorm einnimmt7 und Ordnungssatz 6 die Rolle einer Allgemeinnorm. Ordnungssatz 7 beschreibt ebenfalls eine Allgemeinnorm, die Graf versucht als Normsetzer zu etablieren, woran er aber scheitert, da er es nicht schafft, Faber in den Tod zu treiben. Damit erweist sich der von ihm etablierte Ordnungssatz als nicht beziehungsweise nur eingeschränkt gültig: Faber wird für die Zerstörung von T. Graf durch die Auslöschung seiner Familie bestraft und diese Tat ist vermutlich auf M. Graf zurückzuführen. Bei den Ordnungssätzen 8 und 9 handelt es sich um einen Sonderfall, denn die Ordnungssätze wurden anhand von narrativen Sanktionen identifiziert. Deshalb kann hier davon ausgegangen werden, dass sie nicht einzelnen Figuren, sondern der Erzählinstanz selbst zuzuordnen sind, die hier als Normsetzerin fungiert. Beide Ordnungssätze beschreiben Partikularnormen, die nur für Väter und Mütter gelten, 7
Es erscheint hier gerechtfertigt, von einer reziproken Norm auszugehen. Denn der Kontext, in dem Graf diese Norm verbalisiert, beinhaltet, dass damit zu rechnen ist, dass Graf das gleiche Schicksal wie seinem Vater widerfährt.
194 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
und beide werden nicht in Frage gestellt. Da die Ordnungssätze von der Erzählinstanz etabliert werden, entfällt die Frage nach der Reziprozität hier. Wie vermutet (Hypothese 4, vgl. Kapitel 5.2.2.2) handelt es sich bei den beiden Ordnungssätzen, die anhand von narrativen Sanktionen etabliert werden, um Normen, die zwar einen Konsens in der Mehrheitsgesellschaft finden könnten, aber nicht mit der Gesetzeslage in der ‚Realwelt‘ übereinstimmen. Ordnungssatz 10 ist auf eine explizite Äußerung von Kommissarin Bönisch zurückzuführen und beschreibt eine Partikularnorm, die nur für Kommissar*innen gilt und reziprok ist, also Bönisch selbst einschließt. Bönisch versucht hier als Normsetzerin zu wirken. Die von ihr etablierte Norm, die sich auf berufliche Professionalität aller Kommissar*innen bezieht, wird jedoch insofern eingeschränkt, als Faber ihr gegenüber direkt eine Ausnahme formuliert und sich damit durch den von ihm etablierten und nicht angefochtenen Ordnungssatz 11 als Chef des Teams aus dem Geltungsbereich von Ordnungssatz 10 ausschließt. Über seine hierarchisch höhere Position in der Teamkonstellation hat er damit seine Machtposition demonstriert und nimmt erneut die Rolle des Normsetzers ein. Ordnungssatz 12 erschließt sich aus Krügers negativem Verhalten gegenüber Kelling und kann als reziproke Partikularnorm betrachtet werden, welche für alle Männer gilt. Diese Norm wird dadurch verstärkt, dass Faber den Callboy Kelling ebenfalls wie ein ‚Weichei‘ behandelt und dieser durch Fabers machomäßige Drohgebärden eingeschüchtert von der Erpressung absieht und flieht. Die Norm wird damit nicht in Zweifel gezogen. Mit Ordnungssatz 13 versucht sich Kommissar Krüger erneut als Normsetzer. Seine explizite Formulierung der nicht-reziproken Partikularnorm wird allerdings durch Bönischs schlagfertige Antwort in Frage gestellt. Kellings Erpressungsversuch, der auf der Annahme beruht, es könne für Bönisch zu Nachteilen führen, wenn er ihrer Familie und ihren Kolleg*innen erzählt, dass Bönisch in der Vergangenheit seine Kundin war, kann jedoch als Untermauerung von Ordnungssatz 13 dienen und als eine (abgeschwächte) Variante narrativer Sanktion aufgefasst werden. Denn zum einen ist der Zweck der Erpressung nicht primär, Bönisch zu schaden, sondern Kelling will sich damit selbst retten, und zum anderen führt der Erpressungsversuch zwar zu negativen Konsequenzen (psychischer Druck, Bönischs Arbeitsfähigkeit leidet darunter), aber das ‚Worst Case Scenario‘ tritt nicht ein und auch eine negative moralische Bewertung durch den Vorgesetzten Faber bleibt weitgehend aus, da dieser lediglich kurz auf ihren Ehemann verweist und ansonsten von einer Beurteilung ihres Verhaltens absieht.8 Ordnungssatz 14 ist eine Allgemeinnorm, die nicht beanstandet wird. Er lässt sich aus dem ‚Fall Kelling‘ ableiten und wird vor allem von Kommissar Krüger durch An-
8
Andererseits bleibt hier unklar, ob die Erpressung bei umgekehrten Geschlechterverhältnissen nicht ebenso denkbar wäre.
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EWIG
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| 195
drohung einer expliziten Strafe verdeutlicht. Krüger nimmt hier die Funktion eines Normhüters ein. Ordnungssatz 15 wird von Bönisch explizit als Allgemeinnorm formuliert. Wenn man Fabers Zusammenbruch in Grafs Garten9 als Form der Trauer ansieht, kann man diesen Ordnungssatz als bestätigt ansehen. Bönisch ist in diesem Fall Normsetzerin. Allerdings muss man der Interpretation, den körperlichen Zusammenbruch als Trauer zu betrachten, nicht zwingend folgen. In diesem Fall wäre der Ordnungssatz widerlegt. Da der Ordnungssatz keine zentrale Rolle im Film spielt, kann hier in Kauf genommen werden, dass die Frage nach der wahrscheinlicheren Interpretation offenbleibt. Ordnungssatz 16 stellt ebenfalls eine Allgemeinnorm dar und wird von Graf ausgesprochen. Der Ordnungssatz wird nicht angefochten. Da er als Gemeinplatz angesehen werden kann, fungiert Graf hier als Normsender und nicht als Normsetzer. Die folgende Tabelle zeigt im Überblick, wer welchen Ordnungssatz wie etabliert beziehungsweise bestätigt, mit welchem Gültigkeitsanspruch und welcher tatsächlichen Gültigkeit und wie die Funktion der Figur im Hinblick auf die Norm zu beurteilen ist:
9
Faber entdeckt hier, dass Graf alle Erinnerungsstücke an seine verstorbene Tochter und Ehefrau verbrannt hat (TC 54:43).
Inhalt
OS 5
OS 4
OS 3
*innen Graf in der Sicherheitsverwahrung bleiben muss Wird nicht in Frage gestellt
tig für nicht-normale Straftäter*innen, nicht-reziprok Partikularnorm: nur
Gerichtshof
(EuGH)
Graf
muss x ins Gefängnis und darf
dort nie wieder heraus.
Für alle x gilt: Wenn x keine
Straftäter*innen,
wird x im Gefängnis gedemütigt.
reziprok
gültig für nicht-normale
Explizit
normale Straftäter*in ist, dann
Normsender
NormhüterWird legitimiert durch Entscheidung des EuGH, dass T.
Partikularnorm: nur gül-
Explizit
päischer
Normhüter
Faber/Euro-
Wird nicht in Frage gestellt
Für alle x gilt: Wenn x keine
ziten Strafe
macht sich x strafbar.
Allgemeinnorm
normale Straftäter*in ist, dann
einer expli-
pornografische Fotos besitzt,
Für alle x gilt: Wenn x kinder-
Androhung
hier als dominant
dann ist x pädophil.
Faber
gestellt, aber Faber erscheint
tig für Männer, die auf kleine Mädchen stehen,
Verhalten/ Bewertung
ist, der auf kleine Mädchen steht, nicht-reziprok
Wird durch Stetter in Frage
Partikularnorm: nur gül-
OS 2 Für alle x gilt: Wenn x ein Mann
Normhüter
Normhüter
Wird nicht in Frage gestellt
Allgemeinnorm
Explizit
Faber
Faber
Funktion
Tatsächliche Gültigkeit
Gültigkeitsanspruch
Art
Ursprung
Negatives
keine normale Straftäter*in.
vergewaltigt und tötet, dann ist x
OS 1 Für alle x gilt: Wenn x Mädchen
Nr.
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Tabelle 3: Ursprung und Gültigkeit der Ordnungssätze in AUF EWIG DEIN sowie Funktion der jeweiligen Figur
Für alle x gilt: Wenn x im Gefängnis
OS 6
OS 9
OS 8
Narrative Sanktion
instanz
Sanktion
instanz
Erzähl-
Narrative
Erzähl-
Mütter gültig
nur für Väter und
Partikularnorm:
Mütter gültig
nur für Väter und
Wird nicht in Frage gestellt
Wird nicht in Frage gestellt
Normsetzerin
Normsetzerin
Versuch der Normsetzung
Gescheiterter
Normsender
Funktion
EWIG
Kind bei einer Trennung geschädigt.
men Kindes sind, dann wird dieses
Für alle x und alle y gilt: Wenn x Vater und y Mutter eines gemeinsa-
und y zusammenbleiben.
men Kindes sind, dann müssen x
Für alle x und alle y gilt: Wenn x Vater und y Mutter eines gemeinsaPartikularnorm:
Wird im narrativen Verlauf nicht
Wird nicht in Frage gestellt
Tatsächliche Gültigkeit
in den Tod treiben
Allgemeinnorm
Allgemeinnorm
Gültigkeitsanspruch
ist, dann muss x dafür sterben.
Explizit
Explizit
Art
bestätigt: Graf kann Faber nicht
Graf
Graf
Ursprung
für die Zerstörung des Lebens von y
OS 7 Für alle x gilt: Wenn x verantwortlich
das Leben von x zerstört.
gedemütigt wird, dann wird dadurch
Inhalt
Nr.
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OS 13
OS 12
OS 11
OS 10
Nr.
Ermittler*innen gül-
nicht an Ordnungssatz 10 halten.
für Männer gültig,
Verhalten
Normsetzerin, aber Norm wird eingeschränkt auf alle Ermittler*innen außer Chef*in
Wird durch Bönischs Antwort in Frage gestellt, aber durch Erpressungsversuch bestätigt
Partikularnorm: nur für Frauen gültig, nicht-reziprok
Explizit + Variante narrativer Sanktion
Krüger/ (Kelling)
Prostituierter, darf x nicht mit y
verkehren.
Normsetzer
Für alle x und alle y gilt: Wenn x
reziprok
Wird nicht in Frage gestellt
Partikularnorm: nur
Negatives
Normsetzer
Normsetzer
Funktion
eine Frau ist und y ein männlicher
dann darf x sich nicht prostituieren.
Für alle x gilt: Wenn x ein Mann ist,
Krüger/Faber
für den Chef der tig, nicht-reziprok
Wird nicht in Frage gestellt
Partikularnorm: nur
Für alle x gilt: Wenn x Chef*in des
Ermittlungsteams ist, muss x sich
Explizit
geschränkt
Faber
(OS 11) ein-
reziprok
und sich nicht auf y versteifen.
Ausnahmeregelung
für Kommis-
Wird durch eine
Partikularnorm: nur sar*innen gültig,
Gültigkeit
anspruch
eine Kriminalermittler*in ist und y
Explizit
Bönisch
Für alle x und alle y gilt: Wenn x
Tatsächliche
Gültigkeits-
eine tatverdächtige Person, dann darf x keine voreiligen Schlüsse ziehen
Art
Ursprung
Inhalt
198 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
OS 16
OS 15
OS 14
Nr.
davon beeinflusst.
wird das Leben von x nachhaltig
matisches Erlebnis hat, dann
Für alle x gilt: Wenn x ein trau-
trauern.
angehörige verliert, dann muss x
Für alle x gilt: Wenn x Familien-
Graf
Bönisch
Explizit
Explizit
Strafe
expliziten
sich x strafbar.
Androhung
Art
einer
Krüger
Ursprung
Kokain dealt, dann macht
Für alle x gilt: Wenn x mit
Inhalt
Allgemeinnorm
Allgemeinnorm
Allgemeinnorm
Gültigkeitsanspruch
Wird nicht in Frage gestellt
Wird nicht in Frage gestellt
Wird nicht in Frage gestellt
Tatsächliche Gültigkeit
Normsender
Normsetzerin
Normhüter
Funktion
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200 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
7.2.3
Ereignisse und Ordnungswiederherstellung
Unter methodischen Gesichtspunkten kann zunächst differenziert werden zwischen Ordnungssätzen, die Klassifikationen (z. B. OS 1 und OS 2) beziehungsweise Beobachtungen von Sachverhalten (z. B. OS 5 und OS 6) beschreiben, und Ordnungssätzen, die direkte Verbote ausdrücken (z. B. OS 12 und OS 13). Da hinter jedem Ordnungssatz ein Gebot („Man muss…“) beziehungsweise ein Verbot („Man darf nicht…“) steht, lassen sich die Ordnungssätze durch Umformulierung jedoch vereinheitlichen. Bei manchen Ordnungssätzen ist die Art der Umformulierung naheliegend, bei anderen muss aufgrund des Kontextes im Text ermittelt werden, welches Gebot oder Verbot sich hinter dem jeweiligen Ordnungssatz verbirgt. So kann beispielsweise Ordnungssatz 2 neu formuliert werden als das Verbot, pädophil zu sein, weil alle im Film als pädophil dargestellten Personen10 kriminelle Handlungen begehen und es eine grundlegende Prämisse von Kriminal- beziehungsweise Polizeifilmen darstellt, dass Kriminalität verboten ist. Pädophile erscheinen hier als Menschen, die ihren als pervers gekennzeichneten Sexualtrieb nicht im Griff haben und sich deshalb entweder zwanghaft an Kindern vergehen oder Missbrauch durch kinderpornografische Fotos betreiben. Entsprechend kann man auch die anderen, noch nicht bereits als Gebot beziehungsweise Verbot formulierten Ordnungssätze auf ein solches zurückführen (OS 5 und OS 6; OS 8 und OS 9; OS 10 und OS 11). Die folgende Tabelle gibt die Ordnungssätze in ihrer formallogischen Formulierung sowie in ihrem Äquivalent als Gebot beziehungsweise Verbot wieder:
10
In Kapitel 7.5 wird thematisiert, inwiefern bei den Figuren Graf und Stetter auch nach ‚realweltlichen‘ Maßstäben eine pädophile Neigung unterstellt werden kann.
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Tabelle 4: Ordnungssätze in AUF EWIG DEIN: formallogisch und als Gebot/Verbot formuliert Nr.
Formallogisch formulierter OS
Als Gebot/Verbot formulierter OS
OS 1
Für alle x gilt: Wenn x Mädchen
Man darf nicht Mädchen
vergewaltigt und tötet, dann ist x keine
vergewaltigen und töten.
normale Straftäter*in. OS 2
Für alle x gilt: Wenn x ein Mann ist,
Man darf nicht pädophil sein.
der auf kleine Mädchen steht, dann ist x pädophil. OS 3
OS 4
OS 5
Für alle x gilt: Wenn x kinderpornografi-
Man darf nicht kinderporno-
sche Fotos besitzt, macht sich x strafbar.
grafische Fotos besitzen.
Für alle x gilt: Wenn x keine normale
Man muss als nicht-normale
Straftäter*in ist, dann muss x ins Gefäng-
Straftäter*in für immer im
nis und darf dort nie wieder heraus.
Gefängnis bleiben.
Für alle x gilt: Wenn x keine normale
Man darf keine nicht-normale
Straftäter*in ist, dann wird x im
Straftäter*in sein.
Gefängnis gedemütigt. OS 6
Für alle x gilt: Wenn x im Gefängnis ge-
Man darf keine nicht-normale
demütigt wird, dann wird dadurch das
Straftäter*in sein.
Leben von x zerstört. OS 7
Für alle x gilt: Wenn x verantwortlich für
Man darf nicht das Leben
die Zerstörung des Lebens von y ist, dann
anderer zerstören.
muss x dafür sterben. OS 8
Für alle x und alle y gilt: Wenn x Vater
Man darf sich nicht trennen, wenn
und y Mutter eines gemeinsamen Kindes
man ein gemeinsames Kind hat.
sind, dann müssen x und y zusammenbleiben. OS 9
Für alle x und alle y gilt: Wenn x Vater
Man darf sich nicht trennen, wenn
und y Mutter eines gemeinsamen Kindes
man ein gemeinsames Kind hat.
sind, dann wird dieses Kind bei einer Trennung geschädigt.
202 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Nr.
Formallogisch formulierter OS
Als Gebot/Verbot formulierter OS
OS 10
Für alle x und alle y gilt: Wenn x eine
Man darf, wenn man eine
Kriminalermittler*in ist und y eine
Kriminalermittler*in ist, nicht
tatverdächtige Person, dann darf x keine
voreilige Schlüsse in Bezug auf
voreiligen Schlüsse ziehen und sich nicht
tatverdächtige Personen ziehen.
auf y versteifen. OS 11
Für alle x gilt: Wenn x Chef*in des
Man darf, wenn man eine Kriminal-
Ermittlungsteams ist, muss x sich nicht
ermittler*in ist, nicht voreilige
an Ordnungssatz 10 halten.
Schlüsse in Bezug auf tatverdächtige Personen ziehen, außer wenn man Chef*in eines Ermittlungsteams ist.
OS 12
OS 13
OS 14
OS 15
OS 16
Für alle x gilt: Wenn x ein Mann ist,
Man darf sich nicht prostituieren,
dann darf x sich nicht prostituieren.
wenn man ein Mann ist.
Für alle x und alle y gilt: Wenn x eine
Man darf nicht mit männlichen
Frau ist und y ein männlicher Prostituier-
Prostituierten verkehren, wenn man
ter, darf x nicht mit y verkehren.
eine Frau ist.
Für alle x gilt: Wenn x mit Kokain dealt,
Man darf nicht mit
dann macht sich x strafbar.
Kokain dealen.
Für alle x gilt: Wenn x Familien-
Man muss trauern, wenn man
angehörige verliert, dann muss x trauern.
Familienangehörige verliert.
Für alle x gilt: Wenn x ein traumatisches
Man darf nicht ignorieren, dass
Erlebnis hat, dann wird das Leben von x
traumatische Erlebnisse das Leben
nachhaltig davon beeinflusst.
nachhaltig beeinflussen.
Die vorangegangene Umformulierung ermöglicht es nun im nächsten Schritt, Ordnungsverletzungen – also Ereignisse – im Text zu identifizieren. M. Graf und sein Vater T. Graf verstoßen beide gegen den zentralen Ordnungssatz (OS 1), indem sie mehrere Mädchen vergewaltigen und töten. T. Graf wird dafür zum einen juristisch bestraft, indem er in lebenslängliche Sicherungsverwahrung kommt. Zum zweiten wird er dort durch andere Gefängnisinsass*innen gedemütigt. Drittens kommt es zu einer Selbstbestrafung, denn T. Graf begeht Suizid durch Erhängen. Am Ende des Films wird M. Graf festgenommen und es ist damit zu rechnen, dass diese Festnahme ähnliche Konsequenzen wie bei seinem Vater haben wird. So sagt Bönisch
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
EWIG
DEIN
| 203
zu Graf: „Sie versuchen schon Ihr ganzes Leben lang so zu sein wie Ihr Vater. Sie versuchen ihn zu kopieren, so zu sein wie er […].“ (TC 1:19:15). Faber ist der gleichen Meinung: „Sie führn das Erbe Ihres Vaters fort, aber eben effektiver und raffinierter.“ (Faber bei TC 1:20:00). Auch die Art, wie Graf die Leichen ablegt, entspricht der seines Vaters (vgl. Faber bei TC 24:24). Durch die Verhaftung und den somit antizipierten Tod Grafs in der Sicherungsverwahrung ist die Ordnung wiederhergestellt. Auffällig ist, dass alle anderen Ordnungssätze, gegen die M. Graf verstößt, mit der Ordnungswiederherstellung im Rahmen der von Ordnungssatz 1 verletzten Ordnung ebenfalls wiederhergestellt sind, die Strafe also hier so hoch ausfällt, dass alle anderen – weniger schlimmen Vergehen – gleichsam mit abgegolten werden. Dies untermauert die Zentralität von Ordnungssatz 1. Wie beschrieben stellt das zentrale Ereignis die wichtigste Grenzüberschreitung in einem Text dar und markiert damit die bedeutsamste Grenze. Darüber hinaus verweist es auf „die narrative Aussage eines Textes“ (Renner 1983: 77; vgl. auch Kapitel 5.1.2). Da Ordnungssatz 1 (‚Mädchen vergewaltigen und töten ist nicht normal.‘) die zentrale Aussage der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN ist, muss das zentrale Ereignis mit ihm in Zusammenhang stehen. M. Graf setzt sich innerhalb der in der Folge erzählten Zeit drei Mal über diesen Ordnungssatz hinweg. Den Verstößen seines Vaters T. Graf wird hier nicht weiter nachgegangen. Im Film werden sie zwar erwähnt, ohne dass jedoch auf konkrete Fälle eingegangen wird, da die Taten bereits in der Vergangenheit liegen. Das erste Opfer M. Grafs ist Marie Bartok, welche er entführt, mehrfach missbraucht und anschließend tötet. Sein zweites Opfer, Lisa Passek, entführt und tötet er ebenfalls, wegen eines Asthma-Anfalls kommt es aber nicht zur einer Vergewaltigung. Das dritte Opfer, Annika Görges, wird nach der Entführung unversehrt von der Polizei gefunden. Hier ist also feststellbar, dass die Intensität der Verbrechen – beeinflusst durch äußere Faktoren – abnimmt. Damit stellt das Initialereignis in Bezug auf Ordnungssatz 1, nämlich die Entführung, Vergewaltigung und Ermordung Maries, das zentrale Ereignis in AUF EWIG DEIN dar. Graf und Stetter haben beide ein sexuelles Interesse an jungen Mädchen und tauschen Fotos dieser aus. Damit verstoßen sie gegen die Ordnungssätze 2 und 3. Stetter muss vermutlich mit einem Bußgeld rechnen, außerdem trifft ihn eine moralische Teilschuld am Tod seiner Stieftochter, bei M. Graf erfolgt die Ordnungswiederherstellung im Rahmen von Ordnungssatz 1. Ordnungssatz 4 wird in AUF EWIG DEIN nicht durch ein Ereignis in Frage gestellt. Innerhalb des Narrativs muss T. Graf für immer im Gefängnis bleiben und stirbt dort, die Figurenbewegung kommt hier somit endgültig zum Stillstand, womit der Ordnungssatz bestätigt wird. Ordnungssatz 5 wird ebenfalls bestätigt, denn T. Graf wird im Gefängnis gedemütigt. T. Graf und M. Graf verstoßen gegen Ordnungssatz 6, denn beide sind nichtnormale Straftäter. Die Ordnungswiederherstellung erfolgt hier im Rahmen von Ordnungssatz 1.
204 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Die Ordnungswiederherstellung von Ordnungssatz 7 ist ebenfalls eng mit der Ordnungswiederherstellung im Rahmen des zentralen Ordnungssatzes verknüpft, allerdings ist der Fall hier komplexer. T. Graf und M. Graf verletzen Ordnungssatz 7, weil beide das Leben mehrerer Mädchen zerstört haben. M. Graf hat zudem versucht, Fabers Leben zu ruinieren, indem er dessen Familie angreift. Während T. Graf bereits gestorben ist, weisen die Parallelen zwischen T. Graf und seinem Sohn M. Graf darauf hin, dass M. Graf ebenfalls im Gefängnis sterben wird („Im Knast erwartet Sie dasselbe wie Ihren Vater.“ – Faber zu Graf bei TC 1:21:23), hier wird also eine Ordnungswiederherstellung in der Zukunft antizipiert. Faber hat – zumindest in der Sichtweise von M. Graf – das Leben von M. Graf und dessen Vater zerstört, weshalb M. Graf es für notwendig erachtet, dass Faber sterben muss. Sein Versuch, Faber in den Freitod zu treiben, scheitert jedoch. Dies kann als Modifikation des Ordnungssatzes 7 angesehen werden, beispielsweise indem eine Ausnahmeregelung formuliert wird, die besagt, dass man als Polizist*in beziehungsweise als Person, die einem höheren moralischen Ziel dient, das Leben von nichtnormalen Straftäter*innen zugrunde richten darf. Da M. Graf jedoch erfolgreich damit ist, Fabers soziales Umfeld auszulöschen, indem er – so legt es der Film nahe – dessen Familie tötet und die Erinnerungsstücke an Frau und Tochter zerstört, bleibt Faber zwar die als ‚Höchststrafe‘ anzusehende Strafe des Todes erspart, er muss aber ausgelöst durch M. Graf dennoch für die Destruktion der Familie Graf und den Suizid von T. Graf büßen. Ordnungssätze 8 und 9 verbieten die Trennung von Elternpaaren, wobei Ordnungssatz 9 diesen Sachverhalt insofern spezifiziert beziehungsweise begründet, als dass es in ihm um die Schädigung des gemeinsamen Kindes im Falle einer Trennung geht. Das Verbot der Trennung von Eltern wird von mehreren Figuren(paaren) missachtet: Marie Bartok wächst ohne ihren leiblichen Vater auf; Frau und Herr Passek lassen sich scheiden; Frau Graf stirbt früh, weshalb ihr Sohn alleine beim Vater aufwächst. Die beiden Kommissar*innen Dalay und Kossik hingegen trennen sich, weil sich Dalay dagegen entscheidet, Kossiks Kind zu bekommen. Im Fall von Lisa Passek, der Tochter von Frau und Herrn Passek, wird die Schädigung des Kindes verbal betont, denn Herr Passek antwortet auf Fabers Frage, ob seine Tochter etwas bei der Scheidung „abgekriegt“ (Faber bei TC 15:03) hätte: „Ja, sie hat’s nicht so gut weggesteckt.“ (Passek bei TC 15:04). Damit verweist Passek auf einen direkten Kausalzusammenhang zwischen Scheidung und Schädigung des betroffenen Kindes. Die Ordnungswiederherstellung erfolgt im Falle der Familien Bartok und Passek durch eine narrative Sanktion: Sowohl Marie Bartok als auch Lisa Passek werden entführt und getötet. Hier liegt eine Verdeutlichung des Zusammenhangs durch Dopplung vor (vgl. Kapitel 5.2.2.2), da der gleiche Prozess (Verstoß gegen OS 8, Bestrafung durch Entführung und Tötung des Kindes) zwei Mal gezeigt wird. Darüber hinaus gibt es ein – wenn auch nicht weiter ausgeführtes – Positivbeispiel, denn der Tatverdächtige Erik Polatschek ist die einzige erwähnte Figur
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
EWIG
DEIN
| 205
mit intakter Familie und stellt sich – in der Logik des Films folgerichtig – auch schnell als unschuldig heraus. Die Ordnung wird hier auf radikale Art und Weise wiederhergestellt, denn implizit wird durch die Narration suggeriert, dass nichtintakte Familien nicht überlebensfähig sind: Durch den Tod des Kindes als schwächstes Familienmitglied wird die Familie als solche ausgelöscht, da die beiden ohnehin durch Trennung vereinzelten Elternteile keine Familie mehr darstellen. Auch die Möglichkeit einer Ersatzvaterschaft wie im Falle von G. Stetter für Marie Bartok erscheint als zum Scheitern verurteilt, da der Stiefvater sich als pädophil entpuppt und Fotos seiner Stieftochter im Internet tauscht, wodurch er unwissentlich deren Entführung, Vergewaltigung und Tötung auslöst. Die narrative Sanktion verdeckt hier wie in Kapitel 5.2.2.2 vermutet einen Zusammenhang, der unter Wahrung politischer Korrektheit sonst so nicht hätte dargestellt werden können und bestätigt somit Hypothese 4: H 4:
Verhaltensweisen von Figuren, die gesetzlich erlaubt sind beziehungsweise aus einer politisch korrekten Position zu befürworten/akzeptieren sind, aber die voraussichtlich in der Mehrheitsgesellschaft konsensuell negativ bewertet werden, werden in Medienbeiträgen eher narrativ sanktioniert als explizit.
In der Gesellschaft wird hierbei vermutlich die Trennung von Familien konsensuell negativ bewertet, weil Schädigungen der Kinder befürchtet werden, beispielsweise im Falle einer Scheidung beziehungsweise wenn Kinder ohne beide (leiblichen) Elternteile aufwachsen. In Bezug auf die nicht-intakte Familie Graf wird die Ordnung auf andere Art und Weise wiederhergestellt. Der Tod der Mutter führt dazu, dass M. Graf alleine beim Vater und damit in einer nicht-intakten Familie lebt. Die kriminelle Entwicklung von M. Graf wird als Machwerk des Vaters artikuliert, der sein eigenes perverses Verhalten als Maßstab für die Erziehung anlegt (vgl. den ‚empathischen Dialog‘ beziehungsweise Dialog aus Täter*innenperspektive von Faber und Bönisch, in welchem sie rekonstruieren, wie T. Graf seinem Sohn beigebracht hat, Mädchen zu vergewaltigen und zu töten, ab TC 50:21). Hier hat also eine unkonventionelle Familienform (alleinerziehender Vater) den Sadismus und die auf minderjährige Mädchen fixierte gewalttätige sexuelle Neigung des Kindes hervorgebracht oder zumindest ein Umfeld geschaffen, in welchem es diese entwickeln kann (Bestätigung von H 2). Wie bereits in den vorangegangenen Fällen, in denen T. und M. Graf als Täter auftauchen, erfolgt auch hier die Ordnungswiederherstellung im Kontext von Ordnungssatz 1. Faber verstößt gegen den von Bönisch formulierten Ordnungssatz, der verbietet, dass Kriminalermittler*innen voreilige Schlüsse ziehen und sich auf eine Täter*in versteifen (OS 10). Diese Ordnungsverletzung wird aber innerhalb des Narrativs sofort wieder aufgehoben, indem Faber eine Ausnahmeregelung einbringt (OS 11),
206 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
die ihn als Chef von dieser Regel entbindet. Callboy Kelling handelt dem in Ordnungssatz 12 festgehaltenen Verbot der Prostitution von Männern zuwider. Die verbale Abwertung durch Kommissar Krüger und die verbale und körperliche Einschüchterung durch Faber können als Bestrafung für seine Tätigkeit als Callboy angesehen werden. Die durch seine illegitime Berufstätigkeit gestörte Ordnung wird ebenfalls dadurch rekonstituiert, dass Kelling vermutlich wegen des mit seiner Tätigkeit als Prostituiertem in Zusammenhang stehenden Handels mit Rauschgift mit einer Gefängnisstrafe zu rechnen hat, die gleichzeitig ein Ende seiner Aktivitäten als Callboy bedeutet. Ordnungssatz 13 untersagt Frauen mit männlichen Prostituierten zu verkehren. Dies hat Bönisch – allerdings in der Vergangenheit (vgl. TatortFolge MEIN REVIER D 2012, R: Jauch – und weniger deutlich gezeigt in der Folge ALTER EGO D 2012, R: Jauch) missachtet, was ihr nun zum Verhängnis wird. Bönisch wird von Kelling erpresst, was als Variante einer narrativen Sanktion für ihre Vergehen in der Vergangenheit angesehen werden kann (vgl. Kapitel 7.2.2). Um sich Kellings zu entledigen, benötigt sie Fabers Hilfe. Den Intimkontakt mit Kelling hat sie bereits vorher aufgegeben (vgl. Folge EINE ANDERE WELT D 2013, R: Herzog). Neben seiner Berufswahl verletzt Kelling, wie erwähnt, wegen des Handels mit Kokain ein weiteres Verbot, das in Ordnungssatz 14 festgelegt ist. Der Verstoß gegen diesen Ordnungssatz bietet erzähltheoretisch gesehen die Möglichkeit einer direkten Bestrafung, da der Handel mit Rauschgift auch in der ‚Realwelt‘ einen Gesetzesbruch darstellt. So wird Kelling wegen des Verkaufs von Drogen festgenommen und muss mit einer Freiheitsstrafe rechnen, womit die Ordnung wiederhergestellt wird, indem das störende Element an den Unort Gefängnis verwiesen wird (zum Unort Gefängnis vgl. Kapitel 7.3.1). Die Ordnungssätze 15 und 16, die besagen, dass man beim Verlust von Familienangehörigen trauern muss (OS 15) beziehungsweise nicht ignorieren darf, dass traumatische Ereignisse das Leben nachhaltig beeinflussen (OS 16), werden beide von Faber missachtet. Der Zusammenbruch Fabers, als dieser im Garten von Graf die verbrannten Erinnerungsstücke an seine Familie sieht, kann als Ausdruck der Trauer angesehen werden. Sein körperliches Zusammensinken, bei welchem er von Bönisch gestützt wird, die zuvor bemängelt hatte, dass Faber nicht trauere, stellt in dieser Interpretation die Wiederherstellung der Ordnung dar. In der folgenden Tabelle werden die Ordnungssätze, Täter*innen (hier im Sinne von Figuren, die gegen den Ordnungssatz verstoßen), Ordnungsverletzungen und Ordnungswiederherstellungen in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN nochmals zusammengefasst:
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
EWIG
DEIN
| 207
Tabelle 5: Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in AUF EWIG DEIN Ordnungssatz (OS)
Täter*in
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
Vergewaltigung und
Juristische Bestrafung:
Wenn x Mädchen ver-
Tötung mehrerer
lebenslängliche Siche-
gewaltigt und tötet,
Mädchen
OS 1: Für alle x gilt:
T. Graf
rungsverwahrung;
dann ist x keine
interne Bestrafung:
normale Straftäter*in./
Demütigung durch andere
Man darf nicht Mäd-
Gefängnisinsassen;
chen vergewaltigen
Selbstbestrafung: Suizid
und töten.
durch Erhängen M. Graf
OS 2: Für alle x gilt:
M. Graf
steht, dann ist x pädo-
Festnahme; ähnliche
Tötung mehrerer
Konsequenzen wie bei
Mädchen
T. Graf erwartbar
M. Graf steht auf
OWH siehe OS 1
kleine Mädchen
Wenn x ein Mann ist, der auf kleine Mädchen
Vergewaltigung und
Stetter
phil./Man darf nicht
Stetter steht auf
Stetter muss vermutlich
kleine Mädchen
mit einem Bußgeld rechnen
pädophil sein. OS 3: Für alle x gilt:
Auf Stetters PC werden
Stetter muss mit einem
Wenn x kinderporno-
Stetter
30–40 kinderporno-
Bußgeld rechnen; ihn
grafische Fotos besitzt,
grafische Fotos
trifft eine moralische
macht sich x straf-
gefunden
Teilschuld an der
bar./Man darf nicht
Vergewaltigung und
kinderpornografischen
Tötung seiner Stieftochter
Fotos besitzen.
M. Graf
M. Graf hat mit Stetter
OWH siehe OS 1
Fotos getauscht OS 4: Für alle x gilt:
Keine
Wenn x keine normale
OV
Straftäter*in ist, dann muss x ins Gefängnis und darf dort nie wieder heraus./Man muss als nicht-normale
Keine OV
[OS 4 wird bestätigt, weil T. Graf im Gefängnis stirbt]
208 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Ordnungssatz (OS)
Täter*in
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
T. Graf ist ein nicht-
OWH siehe OS 1;
Straftäter*in für immer im Gefängnis bleiben. OS 5: Für alle x gilt:
T. Graf
normaler Straftäter
Wenn x keine normale wird x im Gefängnis gedemütigt./Man darf
[Demütigungen im Gefängnis dienen der OWH]
Straftäter*in ist, dann M. Graf
M. Graf ist ein nicht-
OWH siehe OS 1
normaler Straftäter
keine nicht-normale Straftäter*in sein. OS 6: Für alle x gilt:
T. Graf
Wenn x im Gefängnis
T. Graf ist ein nicht-
OWH siehe OS 1;
normaler Straftäter
[das Leben von T. Graf
gedemütigt wird, dann
wird durch die
wird dadurch das Leben
Demütigungen zerstört,
von x zerstört./Man darf
er begeht Suizid]
keine nicht-normale Straftäter*in sein.
M. Graf
OS 7: Für alle x gilt:
T. Graf
M. Graf ist ein nicht-
T. Graf hat das Leben
Wenn x verantwortlich
von mehreren Mädchen
für die Zerstörung des
zerstört
Lebens von y ist, dann muss x dafür
OWH siehe OS 1
normaler Straftäter
M. Graf
sterben./Man darf nicht das Leben anderer zerstören.
Faber
OWH siehe OS 1
M. Graf hat das Leben
OWH siehe OS 1;
von mehreren Mädchen
[Parallelen zwischen M.
zerstört; M. Graf ver-
Graf und seinem Vater
sucht, Fabers Leben zu
lassen vermuten, dass er
zerstören, indem er
ebenfalls im Gefängnis
dessen Familie angreift
sterben wird]
Faber hat das Leben
Faber wählt nicht den
von T. und M. Graf
Freitod, allerdings hat
zerstört
M. Graf seine Familie getötet und ihn dadurch bestraft. Deshalb Modifikation von OS 7: Für alle x gilt: Wenn x verantwort-
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
Ordnungssatz (OS)
Täter*in
EWIG
DEIN
| 209
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH) lich für die Zerstörung des Lebens eines anderen ist und x eine Ermittler*in ist, dann muss x nicht dafür sterben.
OS 8: Für alle x und
K. Bar-
Marie Bartok wächst
OWH durch narrative
alle y gilt: Wenn x
tok &
ohne leiblichen
Sanktion (Entführung,
Vater und y Mutter
Maries
Vater auf
Vergewaltigung und Tö-
eines gemeinsamen
Vater
Kindes sind, dann müssen x und y zusammenbleiben./Man darf sich nicht trennen, wenn
Fr. Pas-
Fr. Passek und
OWH durch narrative
sek & S.
S. Passek lassen sich
Sanktion (Entführung und
Passek
scheiden, Lisa Passek
Tötung von Lisa Passek)
leidet darunter
man ein gemeinsames Kind hat.
tung von Marie Bartok)
Fr. Graf
Fr. Graf stirbt, M. Graf
OWH durch Gefängnis-
&
gerät auf Abwege
aufenthalt und Tod von T. Graf und voraussichtlich
T. Graf
Gefängnisaufenthalt und Tod von M. Graf OS 9: Für alle x und
Siehe
alle y gilt: Wenn x
OS 8
Siehe OS 8
[Die Figur von Markus Graf bestätigt durch
Vater und y Mutter
negative Umkehrung den
eines gemeinsamen
OS (er ist ein ‚nicht
Kindes sind, dann wird
intaktes‘ Kind, das aus
dieses Kind bei einer
einer nicht-intakten
Trennung geschä-
Familie stammt)]
digt./Man darf sich nicht trennen, wenn man ein gemeinsames Kind hat. Faber glaubt trotz
Faber formuliert eine
alle y gilt: Wenn x eine
OS 10: Für alle x und
[Faber]
fehlender Beweise,
Ausnahmeregelung. Es
Kriminalermittler*in ist
dass nur M. Graf als
gilt OS 11: Wenn man
und y eine tatver-
Täter*in in Frage
Chef ist, braucht man sich
210 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Ordnungssatz (OS)
Täter*in
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
dächtige Person, dann
kommt. Aber: keine
nicht an OS 10 zu halten.
darf x keine voreiligen
OV, da es eine Aus-
Schlüsse ziehen und
nahmeregelung für
sich nicht auf y verstei-
Faber gibt, siehe OS 11
fen./Man darf, wenn man eine Kriminalermittler*in ist, nicht voreilige Schlüsse in Bezug auf tatverdächtige Personen ziehen, außer wenn man Chef*in des Ermittlungsteams ist. OS 11: Für alle x gilt:
Siehe
Wenn x Chef*in des
OS 10
Siehe OS 10
Siehe OS 10
Kelling arbeitet
Verbale Abwertung Kell-
als Callboy
lings durch Krüger und
Ermittlungsteams ist, muss x sich nicht an Ordnungssatz 11 halten./Man darf, wenn man eine Kriminalermittler*in ist, nicht voreilige Schlüsse in Bezug auf tatverdächtige Personen ziehen, außer wenn man Chef*in des Ermittlungsteams ist. OS 12: Für alle x gilt:
Kelling
Wenn x ein Mann ist, dann darf x sich nicht
verbale und körperliche
prostituieren./Man darf
Einschüchterung durch
sich nicht prostituieren,
Faber; voraussichtlich Ge-
wenn man ein Mann ist.
fängnisstrafe für Kelling (vgl. OS 14)
OS 13: Für alle x und
Bönisch
Bönisch hatte Ge-
Bönisch wird erpresst
alle y gilt: Wenn x eine
schlechtsverkehr mit
(Variante einer narrativen
Frau ist und y ein
dem Callboy Kelling
Sanktion), braucht Fabers
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
Ordnungssatz (OS)
Täter*in
EWIG
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| 211
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
männlicher Prostituier-
Hilfe, trifft sich nicht
ter, darf x nicht mit y
mehr mit Callboy Kelling
verkehren./Man darf nicht mit männlichen Prostituierten verkehren, wenn man eine Frau ist. OS 14: Für alle x gilt:
Kelling
Wenn x mit Kokain
Kelling verkauft seinen
Kelling wird festgenom-
Kundinnen Kokain
men und muss mit einer Freiheitsstrafe rechnen
dealt, dann macht sich x strafbar./Man darf nicht mit Kokain dealen. Faber trauert laut Bö-
Faber bricht zusammen
Wenn x Familienange-
nisch nicht um
als er die verbrannten Er-
hörige verliert, dann
seine Familie
innerungsstücke an seine
OS 15: Für alle x gilt:
Faber
muss x trauern./Man
Familie sieht – dies kann
muss trauern, wenn man
als Form von Trauer auf-
Familienangehörige
gefasst werden
verliert. OS 16: Für alle x gilt:
Faber ignoriert,
Faber bricht zusammen,
Wenn x ein traumati-
Faber
dass sein Leben durch
weil Graf die Erinne-
sches Erlebnis hat, dann
traumatische Erlebnisse
rungsstücke an seine
wird das Leben von x
nachhaltig beeinflusst
Familie verbrannt hat
nachhaltig davon beein-
wird
flusst./Man darf nicht ignorieren, dass traumatische Erlebnisse das Leben nachhaltig beeinflussen.
7.3
R AUMSTRUKTUREN
Eine Analyse der Raumstrukturen ermöglicht es, die Grenzen, die ein Text etabliert, näher zu beleuchten. Ein Raum wird hierbei nicht nur als topografischer Ort, son-
212 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
dern auch als sozialer Raum verstanden. Die Analyse der Grenzüberschreitungen anhand von Raumstrukturen ist dabei als komplementär zu ihrer Rekonstruktion durch die Verletzung der Ordnungssätze zu begreifen und schafft den Vorteil, die Grenzüberschreitungen leichter erfassbar darzustellen. Es bietet sich dabei an, zunächst die Figurenbewegungen über Raumgrenzen hinweg in Bezug auf Kriminalität zu untersuchen, also im Hinblick auf Ordnungsverstöße, die eine gesetzliche Grundlage haben und damit als juristische Verstöße gegen Gesetzesvorschriften betrachtet werden können. Diese korrespondieren voraussichtlich mit entsprechenden Regeln in der ‚Realwelt‘. Die gesetzlichen Vorschriften stellen Muss-Erwartungen im Sinne von Dahrendorf dar (Dahrendorf 2006: 42), wobei Verstöße gegen diese durch den Staat beziehungsweise die Polizei sanktioniert werden dürfen (Kininger 1971:203; Faltin 1990: 30; vgl. auch Kapitel 2.4.1). Dabei gilt es auch herauszuarbeiten, welche Art der Ordnungswiederherstellung im Hinblick auf räumliche Strukturen greift (Rückkehr in den Ausgangsraum, Aufgehen im Gegenraum, Metatilgung) und welche Werte über die Sanktionierung der Verstöße gegen juristische Normen transportiert werden. (Kapitel 7.3.1) In einem zweiten Schritt können dann die Ordnungsverstöße analysiert werden, die eher auf sozialen Normen basieren, wobei hierbei darauf zu achten ist, ob beziehungsweise wie die sozialen Normen mit kriminellen Taten verknüpft werden. Darüber hinaus gilt es auch hier zu identifizieren, inwieweit die sozialen Normen Werte transportieren. (Kapitel 7.3.2) Anschließend wird näher auf die Bewegungen innerhalb eines Raums eingegangen, um den Extrempunkt bestimmen zu können. Außerdem werden die Grenzen, die den Innenraum vom Außenraum trennen, untersucht. (Kapitel 7.3.3)
7.3.1
Figurenbewegungen und Kriminalität
Da in Kriminalgeschichten im Normalfall der narrative Konflikt anhand der Überschreitung der Grenzlinie zwischen Kriminalität und Legalität aufgebaut wird, können diese beiden Räume als Standardräume von Kriminalfilmen betrachtet werden. Mord ist das ‚klassische‘ Vergehen in der Tatort-Reihe, um das herum sich in den meisten Fällen die restliche Geschichte entspinnt. In der Folge AUF EWIG DEIN treten M. Graf und T. Graf als Mörder auf, wobei die Morde an Minderjährigen jeweils in Verbindung mit den Straftatbeständen der Entführung und teilweise auch der Vergewaltigung stehen. Mit der Durchführung der Straftaten begeben sich T. und M. Graf vom Raum der Legalität in den Raum der Illegalität. Dabei wird präsupponiert, dass jeder Mensch, wenn er zur Welt kommt, als Kind zunächst einen Zustand der Unschuld einnimmt, von dem aus ein Abdriften in den Raum der Illegalität geschehen kann.11 Der Film stützt diese These insofern, als anhand von 11
Theoretisch können fiktionale Texte hier auch andere Positionen einnehmen, beispielsweise wenn Kinder aufgrund ihrer Nationalität oder weil sie PoC sind per se in
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
EWIG
DEIN
| 213
M. Graf dargestellt wird, wie dieser durch seinen Vater als Verbrecher sozialisiert wird, wobei ‚es‘ zwar in ihm stecken muss (vgl. Faber, der gedanklich in T. Graf schlüpft und in dieser Rolle über M. Graf nachdenkt: „Ob’s in dir steckt?“ TC 50:27), aber vorher nicht ausgelebt wurde, weshalb sich M. Graf zunächst noch im Raum der Legalität befindet. Eine Übersicht über die Situationsbeschreibungen des Handlungsstranges um T. Graf zeigt auf, wie es zu Ordnungsverstößen und zur Ordnungswiederherstellung kommt. Eckige Klammern verweisen auf Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen, also in der Zeit vor der erzählten Zeit des Filmes12.
einem Film als schuldig dargestellt werden. Gleiches gilt prinzipiell auch für journalistische Beiträge. 12
Während die erzählte Zeit sich auf die Zeit bezieht, von der innerhalb eines Narrativs erzählt wird, verweist die Erzählzeit auf die Zeitspanne, die für die Rezeption der Geschichte benötigt wird und beträgt bei einer Tatort-Folge demnach in etwa 90 Minuten.
214 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 6: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um T. Graf in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
T. Graf ist unschuldig.
SB[1]
T. Graf entführt, vergewaltigt
Verstoß gegen OS 1
und ermordet Mädchen. SB[2.1]
T. Graf wird festgenommen.
SB[2.2]
T. Graf muss für immer ins
Folgerung nach OS 4
Gefängnis. SB[2.3]
T. Graf wird im Gefängnis
Folgerung nach OS 5
gedemütigt. SB[2.4]
T. Graf begeht Suizid.
Folgerung nach OS 4 und OS 7
SB[3]
T. Graf ist tot.
Restitution OS 1
Analog dazu findet die Entwicklung M. Grafs statt, auch wenn die Fortführung nach der Festnahme hier nur so antizipiert werden kann, wie es der Film nahelegt. Geschweifte Klammern verweisen dabei auf Ereignisse, die voraussichtlich in der Zukunft stattfinden werden.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
EWIG
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| 215
Tabelle 7: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um M. Graf und Vergewaltigung und Mord in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
M. Graf ist unschuldig.
SB1
M. Graf entführt, vergewaltigt
Verstoß gegen OS 1
und ermordet Mädchen. SB2.1
M. Graf wird festgenommen.
SB{2.2}
M. Graf muss für immer ins
Folgerung nach OS 4
Gefängnis. SB{2.3}
M. Graf wird im Gefängnis
Folgerung nach OS 5
gedemütigt. SB{2.4}
M. Graf begeht Suizid.
Folgerung nach OS 4 und OS 7
SB{3}
M. Graf ist tot.
Restitution OS 1
Die Übersicht der narrativen Struktur der Handlungsstränge um T. und M. Graf zeigt zweierlei auf. Zum einen wird der Verlauf von Ordnungsverletzung und -wiederherstellung in der Geschichte T. Grafs vorweggenommen und erfährt dadurch in der Wiederholung anhand von M. Graf eine Dopplung. Dies verweist auf die Zentralität des Ereignisses ‚Vergewaltigung und Tötung von Mädchen‘. Zum anderen wird die Verletzung von Ordnungssatz 1 nicht durch die Festnahme und Inhaftierung der Figur getilgt, sondern die Ordnung wird erst durch den Tod des jeweiligen Täters rekonstituiert, was die besondere Schwere des Verbrechens aufzeigt. Hinter den entsprechenden Ordnungssätzen verbirgt sich dabei der Wert des Lebens sowie der körperlichen – auch sexuellen – Unversehrtheit von Minderjährigen. Dass es sich bei den Missbrauchs- und Mordopfern um junge Mädchen handelt, zeigt des Weiteren den wichtigen Stellenwert des Kindes in AUF EWIG DEIN. Das Gefängnis kann als ein Unort betrachtet werden, der „eine physikalisch existente, lokalisierbare Größe“ (Däumer, Gerok-Reiter & Kreuder 2010: 14) darstellt. In Anlehnung an den Philosophen Michel Foucault können Gefängnisse damit als Gegenräume angesehen werden, „die außerhalb aller Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen“ (Foucault 2006: 320). Das Gefängnis wird somit zu einem „gesellschaftlich eingeschlossenen Ausgeschlossenen“ (Lüdeke 2006:
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459). Auch der Raum des Gefängnisses ist binnenstrukturiert. Zum einen kann er in den Bereich des ‚normalen‘ Gefängnisses aufgegliedert werden, der durch Freiheitsentzug als Ort der Buße mit dem Ziel einer Resozialisierung in der Zukunft imaginiert werden kann. Zum anderen kann auf den Freiheitsentzug eine Sicherungsverwahrung erfolgen, welche als zweiter zeitlich und nicht örtlich zu lesender ‚Bereich‘ des Gefängnisses für die ‚nicht-normalen‘ Straftäter*innen einen ‚Point of no Return‘ darstellt. Die Sicherungsverwahrung wird in AUF EWIG DEIN für T. und auch M. Graf als einziger Ort imaginiert, an dem sie existieren dürfen (Faber zur Sicherungsverwahrung von T. Graf bei TC 30:08: „Er durfte nie wieder ausm Gefängnis raus.“). Innerhalb der Menge der Insass*innen, die sich in Sicherungsverwahrung befinden, nehmen nun pädosexuelle Mörder*innen eine Extremposition ein, da sie von den anderen Gefängnisinsass*innen gedemütigt werden, ihre Straftat also auch unter den extremen Straftaten als am verachtenswertesten beurteilt wird. Als Point of no Return kann der Zustand der Sicherungsverwahrung nur auf einem Weg verlassen werden: durch den Tod der sich in ihm befindenden Individuen. Der Tod stellt damit den letzten zu betretenden Raum dar, der nicht mehr physischer Art ist, sondern je nach Weltauffassung als absoluter Nicht-Ort oder transzendenter Ort begriffen werden kann. Gesellschaften, die Straftaten mit Gefängnisaufenthalten sanktionieren, stellen dabei den Wert der Bestrafung über den Wert der Vergebung. Die Sicherungsverwahrung, also das Wegsperren von Täter*innen zum Schutz der Bürger*innen, deutet zudem auf den Wert der Sicherheit hin, der mit den oben genannten Werten des Lebens und der unversehrten Körper korrespondiert. Im Weltbild der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN werden die Verbrechen von T. und M. Graf in Form der Vergewaltigung und Tötung von Mädchen als besonders schwerwiegend eingestuft und rechtfertigen damit den langjährigen Gefängnisaufenthalt mit anschließender Sicherungsverwahrung. T. und M. Graf können dabei als Figuren angesehen werden, die nach dem Prinzip des – nicht unumstrittenen – „Feindstrafrechts“ behandelt werden (Jakobs 2004). Dabei werden sie als Unmenschen betrachtet, die als nicht resozialisierbar erscheinen. Diese Bewertung wird von M. Graf verbalisiert, der seinen Vater im Gespräch mit Faber als „Tier“ bezeichnet (Graf bei TC 1:04:06). Kelling und Stetter sind neben T. und M. Graf die beiden anderen Figuren, die im Gefüge des Films die Rolle von Tätern im juristischen Sinne einnehmen: Kelling, weil er mit Kokain gedealt hat und Stetter, weil er kinderpornografische Fotos im Internet getauscht hat.13 Diese beiden Vergehen werden als weniger schlimm dargestellt als die von M. Graf und T. Graf, wobei M. Graf ebenfalls Fotos getauscht hat. Darauf erfolgt allerdings wegen der Schwere der anderen Verbrechen innerhalb des Narrativs keine gesonderte Sanktionierung. Der Raum der Illegalität erscheint somit als binnenstrukturiert, er ist aufgeteilt in einen Raum der minder13
Zur Diskussion, ob die Fotos kinderpornografisch sind, vgl. Kapitel 7.5.1.
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schweren Verbrechen (Kinderpornografie, Rauschgifthandel) und einen der schweren Verbrechen (Entführung, Vergewaltigung und Tötung von Mädchen). Da auch Kinderpornografie eine Art des Missbrauchs an Minderjährigen darstellt, transportiert Ordnungssatz 3 ebenfalls den Wert des Kindes. Sowohl auf minderschwere Verbrechen als auch auf schwere Verbrechen kann eine Bestrafung erfolgen, die in einem Gefängnisaufenthalt resultiert. So wird Kelling voraussichtlich wegen des Handels mit Drogen ins Gefängnis müssen, wobei bei ihm das mehrmalige Ausführen einer minderschweren strafbaren Handlung durch Addition zu einem mittelschweren Vergehen geführt hat („Ist nicht das erste Mal, dass man den Herren mit Koks erwischt. Dieses Mal warn es 30 Gramm. Bei seinen Vorstrafen bringt ihm das locker 2, 3 Jahre.“ – Krüger bei TC 23:03). Krüger spricht von „Vorstrafen“ (Plural), was darauf schließen lässt, dass Kelling bereits mindestens zwei Mal zuvor „mit Koks erwischt“ worden ist. Dazu trägt auch bei, dass dem aktuellen Vergehen eine besondere Schwere zugesprochen wird: Die Menge Kokain, die Kelling bei sich trägt, ist dieses Mal besonders groß und seine Lieferung hat eine seine Kundinnen in Lebensgefahr gebracht (Wert des Lebens). Wie bei den anderen Straftaten kann man auch hier von einem Wert des regelkonformen Verhaltens ausgehen.
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Tabelle 8: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Kelling und Drogenhandel in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
Kelling ist unschuldig.
SB[1]
Kelling dealt mit Kokain.
Verstoß gegen OS 14
SB[2]
Kelling wird bestraft.
Restitution OS 14
SB[3]
Kelling dealt erneut mit Kokain.
Verstoß gegen OS 14
SB[4]
Kelling wird bestraft.
Restitution OS 14
SB[5.1]
Kelling dealt erneut mit Kokain.
Verstoß gegen OS 14
Kelling wird dieses Mal mit
Steigerung des Verstoßes gegen OS 14
SB[5.2]
einer großen Menge Kokain erwischt. SB[5.3]
Eine von Kelling belieferte
Steigerung des Verstoßes gegen OS 14
Kundin befindet sich in Lebensgefahr. SB6 SB{7}
Kelling wird festgenommen. Kelling muss für 2-3 Jahre
Restitution OS 14
ins Gefängnis.
Bei Stetter ist ein Gefängnisaufenthalt unwahrscheinlich. Faber erzählt ihm, dass er wahrscheinlich mit einem ‚Bußgeld‘ und damit ‚mit einem blauen Auge‘ davonkomme (Faber bei TC 10:19 und TC 20:19). Eine schwere Strafe wird aber aufgrund der von Faber als „verbissen“ (TC 20:07) bezeichneten Kollegin – und Mutter – Bönisch nicht ausgeschlossen. Aus dramaturgischer Sicht dienen Fabers Strafandrohungen beziehungsweise die Versuche der Solidarisierung dazu, Stetter mehr Informationen zu entlocken, weshalb hier die explizite Verbalisierung keinen direkten Verweis auf ein innerhalb der Narration zu erwartendes Strafmaß darstellen muss.
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Tabelle 9: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Stetter und Kinderpornografie in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
Stetter ist unschuldig.
SB[1]
Stetter tauscht kinder-
Verstoß gegen OS 3
pornografische Fotos. SB[2]
Stetter besitzt kinder-
Verstoß gegen OS 3
pornografische Fotos. SB3
Stetters PC wird durchsucht, die Fotos werden gefunden.
SB{4}
Stetter bekommt ein
Restitution OS 3
Bußgeld auferlegt.
Innerhalb der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN werden damit klare Figurenbewegungen vorgegeben. Figuren, die minderschwere Verbrechen begehen, werden dafür mit Gefängnisaufenthalt oder einem Bußgeld bestraft, eine Resozialisation in die Gesellschaft und damit eine Rückkehr in den Ausgangsraum der Legalität erscheint bei Kelling und Stetter als möglich. Figuren hingegen, die äußerst schwere Verbrechen begangen haben und dazu zählen M. Graf und T. Graf, müssen in Sicherungsverwahrung und dürfen „nie wieder ausm Gefängnis raus“ (Faber bei TC 30:08). Die folgende Grafik verdeutlicht diese Mechanismen, wobei die gestrichelten Pfeile Figurenbewegungen vorwegnehmen, die innerhalb des Narrativs angekündigt beziehungsweise antizipiert werden, aber noch nicht ausgeführt sind. Durchgestrichene Pfeile markieren Bewegungen in den Ausgangsraum, die Figuren nicht durchführen können.
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Schaubild 3: Figurenbewegungen und juristische Normen in AUF EWIG DEIN
Anhand dieses Modells wird ersichtlich, dass eine Rückkehr in den Ausgangsraum der Legalität und damit in einen Raum der Gesellschaft, in welchem man sich als freier Mensch bewegen kann, nur dann möglich ist, wenn man keine sehr schlimmen Verbrechen begangen hat. Der Trieb, Mädchen zu vergewaltigen und zu töten wird hier als so stark angesehen (vgl. Faber über T. Graf: „Er hätte genau da weitergemacht, wo er aufgehört hat.“ TC 30:10), dass eine Verhaltensänderung der Figur hin zu normkonformem Verhalten ausgeschlossen erscheint. Wer als nicht-normale und damit besonders kriminelle Straftäter*in ein schweres Verbrechen begangen hat, geht im neuen Raum auf, in diesem Fall durch den Tod, der ein Entkommen in die Freiheit endgültig verhindert. Damit finden sich in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN zwei Möglichkeiten der Ordnungswiederherstellung: die Rückkehr in den Ausgangsraum (minderschwere Verbrechen) beziehungsweise das Aufgehen im neuen Raum (schwere Verbrechen).
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In ihrer Funktion als Normhüter*innen werden die Ermittler*innen in Kriminalgeschichten wie dem Tatort mit dem Raum der Illegalität konfrontiert und haben den Auftrag, diesen Raum möglichst ‚leer‘ zu halten, also bereits geschehene Straftaten aufzudecken und weitere zu verhindern, sei es durch die Inhaftierung und/oder die Bestrafung von Straftäter*innen. Die Resozialisation hingegen ist ein Bereich, mit dem sie nichts mehr zu tun haben und der im Normalfall in Kriminalfilmen keine Rolle spielt. Die Kommissar*innen kommen dabei nicht nur physisch und topografisch mit den Tatorten als Orten des Verbrechens in Berührung, sondern können sich auch gedanklich in die Welt beziehungsweise die Köpfe der Straftäter*innen und damit noch tiefer in den Raum der Illegalität begeben – ein Vorgehen, das als Markenzeichen Fabers angesehen werden kann, der häufig einen empathischen Zugang wählt und in diesem Zustand aus Sicht der Täter*innen die möglichen Gedanken dieser verbalisiert und damit gleichsam eine geistige Grenzüberschreitung mit dem Ziel der Verbrechensaufklärung vornimmt.
7.3.2
Figurenbewegungen und Verstöße gegen soziale Normen
Während im vorangegangen Kapitel auf die im Zusammenhang mit kriminellen Verstößen relevanten Raumstrukturen und Figurenbewegungen eingegangen wurde, sollen nun die Regelverstöße in den Blick rücken, die auf sozialen Normen und nicht auf juristischen Gesetzen beruhen. Beide Arten der Ordnungsverletzung lassen sich dabei gleichermaßen auf das Nicht-Einhalten der in AUF EWIG DEIN relevanten Ordnungssätze (vgl. Kapitel 7.2.1) zurückführen. Kommissarin Bönisch hatte Intimkontakt mit dem Prostituierten Kelling, womit ein Verstoß gegen Ordnungssatz 13 vorliegt. Bereits in einer früheren Tatort-Folge (EINE ANDERE WELT) beendet Bönisch ihre Beziehung mit Kelling. Dass dies als Restitution von Ordnungssatz 13 nicht ausreichend ist, wird dadurch gezeigt, dass sie nun wegen ihrer Vergangenheit von Kelling erpresst wird. Erst mithilfe ihres männlichen Chefs Faber kann Bönisch Kelling beikommen. Damit hat sie die Beziehung zu ihm endgültig gekappt, Ordnungssatz 13 ist wiederhergestellt. Die Besonderheit hierbei ist also, dass die Strafe für Bönischs Regelverstoß gleichsam ‚nachgeliefert‘ wird und erst eintritt, nachdem sie sich wieder normkonform verhält – und damit zum Ausgangsraum (sozialer) Legitimität zurückkehrt ist (Tabelle 10).
222 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 10: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Bönisch in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0] SB[1]
Bönisch ist unschuldig. Bönisch verkehrt mit
Verstoß gegen OS 13
dem Callboy Kelling. SB[2]
Bönisch verkehrt nicht
Restitution von OS 13?
mehr mit Kelling. SB2
Bönisch wird von
Variation einer narrativen Sanktion
Kelling erpresst. SB3
Faber hilft Bönisch,
Restitution von OS 13
Kelling loszuwerden.
Passek und Bartok verstoßen gegen Ordnungssatz 8, weil sie nicht mehr mit der Mutter beziehungsweise dem Vater ihres Kindes zusammenleben. Bei beiden findet die Ordnungswiederherstellung durch eine narrative Sanktion statt, die darin besteht, dass die Tochter entführt und ermordet wird. Marie Bartok wurde zudem vergewaltigt, was eine Verstärkung der narrativen Sanktion darstellt (vgl. Kapitel 5.2.2.2) und damit erklärt werden kann, dass Bartok mit Stetter zusammengelebt hat, der sich als Mensch mit pädophilen Neigungen herausstellt und Fotos seiner Stieftochter im Internet getauscht hat.
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| 223
Tabelle 11: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Passek in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
Passek ist unschuldig.
SB[1]
Passek lebt mit Lisas Mutter zusammen.
SB[2]
Passek lässt sich von
Verstoß gegen OS 8
Lisas Mutter scheiden. SB3
Passeks Tochter Lisa wird
Narrative Sanktion; dadurch Restitution von
entführt und ermordet.
OS 8; gleichzeitig Bestätigung von OS 9
Tabelle 12: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Bartok in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
Bartok ist unschuldig.
SB[1]
Bartok lebt mit Maries Vater zusammen.
SB[2]
Bartok lebt nicht mehr mit
Verstoß gegen OS 8
Maries Vater zusammen. SB[3]
Bartok lebt mit Stetter zusammen.
SB4
Bartoks Tochter Marie wird
Narrative Sanktion Teil 1
entführt und vergewaltigt. SB5
Bartok trennt sich von Stetter.
SB6
Bartoks Tochter Marie wird
Narrative Sanktion Teil 2; dadurch Restitution
ermordet aufgefunden.
von OS 8; gleichzeitig Bestätigung von OS 9
224 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Die Ordnungswiederherstellung kann in beiden Fällen als Rückkehr in den Ausgangsraum betrachtet werden, wobei hier eine Art ‚negatives Beuteholer*innenschema‘ (siehe Renner 1983: 168 zum „Beuteholerschema“ bzw. vgl. Kapitel 5.2.3) beziehungsweise ‚Verlustschema‘ zum Tragen kommt: Die Figuren verlieren bei ihrem ‚Ausflug‘ in den Raum der Illegalität mit ihrem Kind etwas Wertvolles. Damit werden sie gleichsam auch in einen Raum zurückverwiesen, der chronologisch betrachtet als frühere Entwicklungsstufe ihres Daseins bestand, denn sie leben nun wieder – soweit dies aus dem Film hervorgeht – alleine, ohne Partner*in und ohne Kind. Während Kelling mit dem Handel von Kokain gegen eine juristische Regel verstößt (OS 14), stellt seine Arbeit als Callboy einen Verstoß gegen eine soziale Norm dar (OS 12). Aus Gründen politischer Korrektheit ist es schwierig, einen solchen Verstoß explizit zu sanktionieren, denn dies würde der geschlechtlichen Gleichberechtigung widersprechen und Männer per se von bestimmten Berufsgruppen ausschließen. Eine Art, wie auf Erzählebene damit umgegangen werden kann, ist die narrative Sanktion, wie am Beispiel von Passek und Bartok gezeigt wurde. Anhand von Kelling lässt sich nun noch eine weitere Möglichkeit nachweisen, eine Figur für ein Vergehen zu bestrafen, das juristisch (in der ‚Realwelt‘) legitim ist. Kelling wird nicht wegen der Verletzung der sozialen Norm infolge seiner Tätigkeit als Callboy festgenommen, sondern wegen einer gesetzlich nicht erlaubten Handlung (Drogenhandel), womit das juristische Vergehen mit einem sozial unerwünschten verknüpft wird, um so auf narrativer Ebene durch die Bestrafung des ersten Vergehens das zweite mit bestrafen zu können. Tabelle 13: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Kelling und Prostitution in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
Kelling ist unschuldig.
SB[1]
Kelling arbeitet als Callboy.
SB2
Kelling wird festgenommen
[Festnahme wegen
(wegen Kokain).
Verstoß gegen OS 14]
Kelling muss ins Gefängnis
Restitution von OS 12
SB{3}
(wegen Kokain).
Verstoß gegen OS 12
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| 225
Der gleiche Mechanismus greift auch bei Stetter und Graf in Bezug auf ihre pädophilen Neigungen, die einen Verstoß gegen Ordnungssatz 2 darstellen. Bei beiden erfolgt die Bestrafung aufgrund konkreter Vergehen. Da, wie aufgezeigt (vgl. Kapitel 7.2.3), jedoch Pädophilie innerhalb des narrativen Gefüges kriminalisiert wird, kann die Sanktionierung wegen der strafbaren Akte auch als eine Sanktionierung für die pädophile Neigung an sich angesehen werden, womit Ordnungssatz 2 im Rahmen der Restitution der anderen Ordnungssätze ebenfalls wiederhergestellt und damit bestätigt wird. Tabelle 14: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um M. Graf und Pädophilie in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
Graf ist unschuldig.
SB[1]
Graf entdeckt seine
Verstoß gegen OS 2
(pädophilen) sexuellen Neigungen. SB2
Graf wird festgenommen
[Festnahme wegen
(wegen Vergewaltigung
Verstoß gegen OS 1]
und Mord). SB{3}
Graf muss ins Gefängnis
Restitution von OS 2
(wegen Vergewaltigung und Mord).
Tabelle 15: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Stetter und Pädophilie in AUF EWIG DEIN SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0] SB[1]
Stetter ist unschuldig. Stetter entdeckt seine (pädo-
Verstoß gegen OS 2
philen) sexuellen Neigungen. SB2
Stetters PC wird durchsucht, die Fotos werden gefunden.
[Anklage wegen Verstoß gegen OS 3]
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SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB{3}
Stetter bekommt ein Bußgeld
Restitution von OS 2
auferlegt (wegen Besitz und Tausch von kinderpornografischen Fotos).
Schaubild 4 zeigt die verschiedenen Figurenbewegungen im Hinblick auf die Räume der Legalität und der sozialen Illegalität auf: Schaubild 4: Figurenbewegungen und soziale Normen in AUF EWIG DEIN
Während die Ordnungswiederherstellung aufgrund von Vergehen gegen soziale Normen im Falle von Bönisch und Kelling als komplett vollzogen betrachtet werden kann – wenn sie auch bei Kelling nicht im Film dargestellt wird, sondern auf einen zukünftigen Zeitpunkt der Straftilgung verwiesen wird –, ist sie bei Passek und Bartok sowie bei Graf und Stetter nicht auf die gleiche Weise abgeschlossen.
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| 227
Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Makel zurückbleibt, da die Elternteile mitverantwortlich für den Tod ihrer Kinder gemacht werden und Stetter und Graf eine Neigung aufweisen, die als kriminell und gleichzeitig nicht veränderbar präsentiert wird.
7.3.3
Extrempunkt und Innen-/Außenraum
Nach der Analyse der Figurenbewegungen zwischen verschiedenen Räumen über eine Grenze hinweg (vgl. Kapitel 7.3.1 und Kapitel 7.3.2) soll nun noch einmal ausführlicher auf Bewegungen innerhalb der Räume eingegangen werden, um die Binnenstruktur der Räume und damit den Extrempunkt des Narrativs zu identifizieren. Wie anhand von Schaubild 3 ersichtlich wurde, führt der Weg, der im Raum der Illegalität beginnt, für T. Graf und voraussichtlich auch für M. Graf über den Raum des Freiheitsentzugs und der Sicherungsverwahrung im Gefängnis in den Tod, wo die Figurenbewegung endet. Kommissar Faber, der den Kontrahenten von M. Graf bildet, muss M. Graf auf diesen Weg folgen, um ihn fassen zu können. In der unter diesem Aspekt wichtigsten Sequenz auf dem Hochhaus versucht M. Graf, Kommissar Faber zu einem Sprung in den Freitod zu treiben. Faber fesselt Graf mit Handschellen an sich und droht, ihn mit in den Tod zu reißen, wenn Graf nicht verrät, wo er das letzte entführte Mädchen versteckt hält. Die Situation endet damit, dass Graf zwar nicht das Versteck preisgibt, aber aus Versehen den entscheidenden Hinweis darauf offenbart und anschließend abgeführt wird. Damit stellt das Dach des Hochhauses den Extrempunkt dar, sowohl inhaltlich als auch topografisch. Der Extrempunkt fungiert für Faber als Wendepunkt, denn er kann von hier aus wieder in den Raum der Legalität zurückkehren. Für Graf verweist der Extrempunkt hingegen auf den Endpunkt, denn nun wird der beschriebene Weg vom Freiheitsentzug über die Sicherungsverwahrung im Gefängnis bis in den Tod seinen Lauf nehmen, wie die narrative Parallelsetzung mit seinem Vater nahelegt. Aus den beiden Modellen (Schaubild 3 und Schaubild 4) lässt sich ein Innenraum-/Außenraummodell für die Tatort-Folge AUF EWIG DEIN ableiten. Figuren, die nicht gegen Ordnungssätze verstoßen, gehören eindeutig dem Raum der Legalität an, wohingegen Figuren, die Regeln brechen, zumindest bis zum Zeitpunkt der Ordnungswiederherstellung dem Raum der Illegalität zuzurechnen sind. Der Innenraum wird dabei mit dem Raum der Legalität korreliert, wohingegen der Außenraum als Raum der Illegalität definiert wird. Mengentheoretisch ausgedrückt kann man somit die Menge der ‚legalen‘ Figuren von der Menge der ‚illegalen‘ Figuren unterscheiden. Die Haupttrennlinie zwischen dem Raum der Legalität und dem Raum der Illegalität verläuft zwischen erlaubter und verbotener Sexualität. T. und M. Grafs Morde und Sexualdelikte stehen in Zusammenhang mit ihren als pädophil gekennzeichneten Neigungen ebenso wie Stetters (minderschweres) Vergehen des
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Tausches kinderpornografischer Fotos. Kellings und Bönischs Regelverstöße hängen mit dem Ausüben beziehungsweise der Inanspruchnahme von männlicher Prostitution zusammen und sind damit ebenfalls in den Bereich der Sexualität einzuordnen. Die oberste Grenze bilden dabei physische Missbrauchshandlungen, die sich gegen Kinder richten und damit womöglich auf eine pädophile Neigung zurückzuführen sind. Wie dargestellt, ist den Figuren, die diese Grenze einmal überschritten haben (T. und M. Graf), der Rückweg in den Raum der Legalität verwehrt. Alle anderen mit der ungleichheitsgenerierenden Kategorie Sexualität in Verbindung stehenden Normverstöße erscheinen als – beispielsweise durch Bestrafung und/oder durch Buße – abgeltbar, die Figuren können in den Raum der Legalität zurückkehren. Auffällig ist, dass Bönisch von den fünf Figuren, deren Ordnungsverletzungen auf sexuellem Verhalten beziehungsweise einer sexuellen Neigung beruht, die einzige weibliche Figur ist, wobei ihr Verhalten (Besuch von Prostituierten) stereotyperweise mit Männlichkeit verbunden wird. In dieser Lesart stellt ihr Verhalten nicht nur im Hinblick auf die Kategorie Sexualität, sondern auch auf die Kategorie Geschlecht eine Grenzüberschreitung dar. Die andere große Grenzziehung steht in Zusammenhang mit dem Feld ‚Familie‘. Anhand der verheerenden Folgen, die bei einer Trennung der Eltern suggeriert werden (Schändung und Eliminierung des Kindes), wie exemplarisch an Bartok und Passek gezeigt wird, wird implizit das Ideal der intakten Familie propagiert. Da im Falle der zerrütteten Familien einmal eine Mutter (Bartok) und einmal ein Vater (Passek) visuell im Film auftritt, wird hier eine Norm etabliert, die gleichermaßen für alle Elternteile gilt unabhängig vom Geschlecht. Im nächsten Kapitel soll näher darauf eingegangen werden, wie die Kategorie Geschlecht und gegebenenfalls noch weitere ungleichheitsgenerierende Kategorien mit diesen beiden vom Text etablierten Grenzen (normkonforme vs. normverletzende Sexualität; normkonforme vs. normverletzende Familienformen) in Zusammenhang stehen.
7.4
U NGLEICHHEITSGENERIERENDE K ATEGORIEN UND M ACHT
Für die Analyse der Macht- und Dominanzstrukturen sowie der Konstruktion von Ungleichheit in AUF EWIG DEIN werden vier verschiedene Schritte durchgeführt. Erstens werden die Ordnungssätze auf ihren Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit und Machtstrukturen untersucht (Kapitel 7.4.1). Zweitens wird ein Blick auf die Machtkämpfe geworfen, die die Ermittler*innen mit anderen Figuren und teilweise auch untereinander führen (Kapitel 7.4.2). Drittens rücken die Figurenhierarchien der Ermittler*innen in den Fokus, die anhand der Sprechanteile und anhand extratextueller Marker überprüft werden (Kapitel 7.4.3). Und schließlich wird un-
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| 229
tersucht, inwiefern die Figuren in AUF EWIG DEIN nahe am Normmenschen positioniert werden und wo sie gegebenenfalls von diesem abweichen (Kapitel 7.4.4).
7.4.1
Ordnungssätze, Ungleichheit und Macht
Im Zusammenhang mit den Ordnungssätzen kann ein erster Blick auf mögliche soziale Ungleichheiten innerhalb der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN geworfen werden. Figuren, die Ordnungssätze festlegen können, haben dabei eine besondere Machtposition inne. Der Gültigkeitsbereich der Ordnungssätze kann als Indikator für das diskriminierende beziehungsweise privilegierende Potenzial von Ordnungssätzen angesehen werden. So können Figuren durch Ordnungssätze, die sie betreffen, ergo die für sie gültig sind, in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden oder aber Sonderrechte genießen. Es werden folgende Fragen aus Kapitel 5.3.4 aufgegriffen: Inwiefern definieren die Ordnungssätze Privilegien oder Diskriminierungen? Gibt es Ordnungssätze, die durch ihren Inhalt für bestimmte Mengen von Figuren diskriminierend oder privilegierend wirken? Für wen wirken sie privilegierend beziehungsweise diskriminierend? Inwiefern stehen die auf Partikularnormen verweisenden Ordnungssätze in Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit? Und weiter: Welchen Zusammenhang gibt es mit Macht- und Herrschaftssystemen? Darüber hinaus soll herausgearbeitet werden, welche Figuren normvermittelnd auftreten und wie diese in Relation zum Normmenschen positioniert sind. Die Fähigkeit, Normen zu transportieren, bietet dabei eine Möglichkeit, Macht auszuüben. Während Normsetzer*innen am mächtigsten sind, da sie Ordnungssätze etablieren können, sind Normhüter*innen ebenfalls mit gewisser Macht ausgestattet, da sie befugt sind, Ordnungssätze zu verteidigen und zu bewahren. Normsender*innen hingegen sind am unteren Ende der Hierarchie anzuordnen, da ihnen lediglich die Funktion zukommt, Normen zu transportieren. Eine Figur kann dabei im Hinblick auf verschiedene Ordnungssätze unterschiedliche Funktionen einnehmen. Auffällig ist, dass Faber die Figur ist, die am häufigsten normvermittelnd auftritt. Insgesamt vier Ordnungssätze verdeutlicht Faber in der Funktion eines Ordnungshüters, darunter den zentralen Ordnungssatz. Als Normsetzer etabliert er einen Ordnungssatz, der für ihn die Ausnahme zu einer Regel bestimmt (OS 11) und außerdem unterstützt er Kommissar Krüger bei der Etablierung eines weiteren Ordnungssatzes (OS 12). Keiner der Ordnungssätze, mit denen er ursächlich in Relation steht, wird darüber hinaus im Verlauf der Narration in Frage gestellt, sondern alle erweisen sich als gültig. Damit nimmt Faber – und mit ihm eine dem Normmenschen ähnliche Figur – im Hinblick auf die Bestätigung beziehungsweise Etablierung von Ordnungssätzen die dominanteste Position ein, wird also nicht nur als Normhüter aktiv, sondern ist auch die normsetzende Instanz in AUF EWIG DEIN. Graf ist zwar auch durch verbale Aussagen konstitutiv an der Ordnungsvermittlung
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beteiligt, allerdings zum einen in erster Linie als Normsender und zum anderen scheitert er daran, die für ihn zentrale Norm (OS 7) zu setzen. Die anderen Figuren sind weniger dominant im Hinblick auf die Vermittlung von Ordnungssätzen, da sie es entweder nicht schaffen, Ordnungssätze zu etablieren, oder die von ihnen etablierten Ordnungssätze einen weniger wichtigen Rang im narrativen Gefüge einnehmen (vgl. z. B. OS 13 und OS 15). Wie angesprochen, verweist Ordnungssatz 11 auf die machtvolle Position Fabers, die er aufgrund seiner Sonderstellung als Chef der Ermittlung genießt und auch immer wieder einfordert. Die von ihm formulierte und gültige Ausnahmeregelung, die ihn davon entbindet, professionell zu ermitteln, ist dabei ein Zeichen für die Privilegien, die Faber genießt. Auf narrativer Ebene wird Fabers Vorgehen zusätzlich dadurch legitimiert, dass er mit seinen unkonventionellen und teilweise emotionalen Ermittlungsmethoden in AUF EWIG DEIN – aber auch in anderen Dortmunder Tatort-Folgen – erfolgreich ist und seine im Verlauf des Ermittlungsprozesses früh geäußerte Vermutung, dass Graf der Täter ist, sich als richtig erweist. Auch Ordnungssatz 5 ist aufschlussreich in Bezug auf die in AUF EWIG DEIN geltenden Macht- und Dominanzverhältnisse. Er verweist darauf, dass nichtnormale Straftäter*innen – und diese werden in der Tatort-Folge mit männlichen Kindsmördern und -vergewaltigern gleichgesetzt – innerhalb der Hierarchie der Verbrecher*innen ganz unten stehen. Die Demütigungen, die sie im Gefängnis ertragen müssen, sind dabei so groß, dass ihr Leben zerstört wird (OS 6). Sie werden damit innerhalb der Ordnung des Films weder als gesellschaftskompatibel dargestellt noch dürfen sie unter menschenwürdigen Bedingungen im Gefängnis leben, obwohl dies bereits an sich als ‚Unort‘ angesehen werden kann (vgl. Kapitel 7.3.1). Ordnungssatz 1, der die Klassifikation von ‚nicht-normalen‘ Straftäter*innen (OS 1) zum Inhalt hat, sowie die Ordnungssätze, die sich mit den Folgen beschäftigen, die eine solche Klassifikation nach sich zieht (OS 4 – OS 6), gelten zwar per definitionem nicht nur für Männer, de facto gibt es in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN aber keine Mädchen schändenden und mordenden weiblichen Figuren, weshalb diese Ordnungssätze als geschlechtsspezifisch begriffen werden können. Beide Klassifikationen, sowohl die als Mädchenmörder (OS 1) als auch die als Mensch mit pädophiler Neigung (OS 2) ziehen dabei negative Konsequenzen nach sich. Wer als ‚nicht-normaler‘ Straftäter Mädchen entführt, vergewaltigt und tötet (OS 1), muss für immer ins Gefängnis (OS 4), wo er Demütigungen ausgesetzt ist (OS 5) und wo schließlich sein Leben zerstört wird (OS 6). Wer pädophil ist (OS 2), begeht auch kriminelle Akte, so zumindest zeigt es der Film auf, und besitzt zum Beispiel kinderpornografische Fotos, wofür er bestraft werden muss (OS 3). Männer werden in diesem Fall als dominant gegenüber Mädchen dargestellt, diese Dominanz spielt sich jedoch im Bereich des Nichtzulässigen ab und wird deshalb streng bestraft. Die harte Bestrafung spiegelt dabei auch den hohen Wert wider, den das Kind in der Gesellschaft einnimmt (vgl. Kapitel 4.2.4).
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Einige der Ordnungssätze, die als Partikularnormen begriffen werden können, ziehen die Trennlinie zwischen Normadressat*innen und nicht von der Norm betroffenen Personen noch eindeutiger anhand der ungleichheitsgenerierenden Kategorie Geschlecht. Diese partikularen Ordnungssätze betreffen dabei entweder ausschließlich Männer oder ausschließlich Frauen. Ordnungssatz 13, der zum Inhalt hat, dass Frauen nicht mit männlichen Prostituierten verkehren dürfen und in Zusammenhang mit Kommissar Krügers Aussage steht, dass Frauen, die zu Callboys gehen, sehr frustriert sein müssten (vgl. Krüger bei TC 5:22) zeugt von sozialer Ungleichheit, weil für Frauen hier bei gleichem Sachverhalt andere Regeln als für Männer gelten. Dadurch werden die legitimen Handlungsmöglichkeiten von Frauen in Bezug auf ihre Sexualität eingeschränkt und Ordnungssatz 13 führt infolgedessen im narrativen Gefüge des Films zu Diskriminierung gegenüber Frauen. Er ist eingebettet in ein patriarchal und heteronormativ strukturiertes System, das zum einen Männern im Hinblick auf Sexualität andere Rechte wie Frauen gewährt und zum anderen von heterosexuellen Lebensmodellen ausgeht und andere sexuelle Identitäten ausblendet. Die Art der Bestrafung Bönischs (Erpressung als Variante einer narrativen Sanktion) sowie die von ihr benötigte Hilfe des männlichen Kollegen werden dabei als Indiz dafür gelesen, dass der Film in diesem Fall die soziale Ungleichheit auf narrativer Ebene konstruiert und nicht in erster Linie in der ‚Realwelt‘ möglicherweise vorhandene Ungleichheiten repräsentiert. Die Werte, die hier geschützt werden, sind die der Ehe und der (ehelichen) Treue (vgl. Kapitel 4.2.1), denn Bönisch ist verheiratet und betrügt ihren Mann durch die Treffen mit dem Callboy. Aber auch die Handlungsmöglichkeiten von Männern werden in Bezug auf Sexualität limitiert, in diesem Fall in Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit. So bezieht sich Ordnungssatz 12 nur auf Männer. Diese werden zum einen benachteiligt, weil sie in ihrer Berufswahl eingeschränkt werden und nicht als Prostituierte arbeiten dürfen. Andererseits kann die Abwertung eines Dienstleistungsverhältnisses, in welchem der Mann die Frau ‚bedient‘, als unpassend für ein heteronormativ und patriarchal angelegtes Weltbild angesehen werden, in welchem sexuelle Dienstleistungen nur vom als ‚schwach‘ antizipierten Geschlecht am als ‚stark‘ konstruierten Geschlecht – in Bezug auf angenommene Körperkraft, Geisteskraft und finanzielle Leistungsstärke – denkbar sind. Männliche Prostitution durchbricht diese gesellschaftlichen Konventionen und muss damit – aus konservativ-dominanter Sicht – unterbunden werden. Damit zusammenhängend werden demnach klar abgegrenzte Geschlechterrollen eingefordert, deren Überschreitung einen Regelverstoß darstellt und entsprechend geahndet wird.
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7.4.2
Die Machtkämpfe der Ermittler*innen
Jede der Ermittler*innen hat in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN eine direkte Kontrahent*in: Faber muss sich mit M. Graf auseinandersetzen, Bönisch mit Kelling und Dalay und Kossik miteinander (vgl. Schaubild 2). Im Folgenden soll analysiert werden, wer sich jeweils auf welche Art und Weise durchsetzen kann und damit dominant ist. Der Konflikt zwischen Faber und Graf stellt sich dabei als am existentiellsten dar, denn es geht in letzter Konsequenz darum, ob einer der beiden sterben wird. Graf möchte Faber in den Freitod treiben, wohingegen eine Verhaftung Grafs, wie der Film suggeriert, zu dessen Suizid im Gefängnis führen wird. Zum verbalen Showdown kommt es am Ende des Films auf dem Dach eines Hochhauses, welches auch den Extrempunkt von AUF EWIG DEIN markiert (vgl. Kapitel 7.3.3). Faber schafft es schließlich, Graf einen wichtigen Hinweis auf das Versteck des letzten Opfers zu entlocken, und nimmt Graf anschließend fest. Er hat sich als der Stärkere der beiden im Machtkampf erwiesen, übersteht den Kampf allerdings nur mit Verlusten, denn Graf ist nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Tod seiner Ehefrau und Tochter verantwortlich, sondern hat auch alle Erinnerungsstücke an diese verbrannt. Bönisch wird vom Callboy Kelling erpresst, weil sie in der Vergangenheit eine seiner Kundinnen gewesen ist. Sie reagiert aggressiv und selbstbewusst („Du hast deinen Job gemacht, ich hab bezahlt, fertig.“ Bönisch bei TC 37:53), kann seinem Erpressungsversuch allerdings nichts entgegensetzen und lässt sich schließlich darauf ein, sich mit Kelling in einem Hotelzimmer zu treffen. Sie vertraut sich Faber an, der zu dem Treffen im Hotel dazu kommt und Kelling sowohl körperlich einschüchtert als auch verbal bedroht: „Ich könnt ja sagen, ich knall Sie ab. Ich schick’ Ihnen ein paar Schläger auf den Hals, wenn sie nicht aufhören, meine beste Mitarbeiterin zu erpressen.“ (Faber bei TC 46:15). Bönisch hat sich damit zwar gegen Kelling durchgesetzt, jedoch hat sie das nicht alleine geschafft, sondern nur mithilfe ihres männlichen Vorgesetzten Faber. Auch in anderen Situationen erscheint sie zwar als starke Frau, die Faber Kontra gibt, ihm in letzter Konsequenz aber – wie auch in der beruflichen Konstellation – unterlegen ist (z. B. Sequenz 39). Die hierarchischen Positionen innerhalb des Teams werden damit im Text immer wieder untermauert, wobei Faber die Rangfolge anführt. Dalay ist von ihrem Kollegen und (Noch-)Partner Kossik schwanger. Dass Kossik die Situation erst einmal überdenken will, blockt sie ab: „Ich werd nicht schwanger durch die Gegend laufen, bis du in Ruhe über alles nachgedacht hast.“ (Dalay bei TC 33:49). Auf Kossiks am nächsten Morgen geäußerten Wunsch, das Kind zu behalten, reagiert sie mit Bedenken und äußert die Angst, „am Ende mit dem ganzen Risiko allein“ (Dalay bei TC 36:32) dazustehen. Schließlich beschließt sie, die einzige Möglichkeit wahrzunehmen, die sie die Kontrolle behalten lässt und
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treibt das Kind ab. Sie bezieht Kossik in diese Entscheidung nicht ein und ignoriert seine wiederholten Anrufe, als sie auf dem Weg zur Frauenärztin ist. In dieser Situation hat sich Dalay damit als dominantere Figur erwiesen, wobei ihre Befürchtungen, sich als Mutter im Gegensatz zum Mann nicht aus der Verantwortung ziehen zu können, auf Geschlechterverhältnisse Bezug nehmen, in denen Frauen benachteiligt werden.
7.4.3
Figurenhierarchien: Sprechanteile und extratextuelle Marker
Neben der Analyse der narrativen Strukturen von AUF EWIG DEIN bietet die Untersuchung der Oberflächenstruktur der Tatort-Folge eine weitere Herangehensweise, um die bisherigen Erkenntnisse im Hinblick auf Hierarchien und Ungleichheiten zu ergänzen. Die Sprechanteile der Figuren werden als Marker dafür angesehen, wie viel Macht eine Figur hat. Es ist davon auszugehen, dass Figuren, die eine machtvolle Position einnehmen, höhere Redeanteile aufweisen, weil sie eher zu Wort kommen als diskriminierte und unterprivilegierte Figuren, denn wer spricht, kann sich erklären, andere beeinflussen und seine/ihre Meinung vertreten. Wer nicht sprechen darf, dem beziehungsweise der bleiben diese Möglichkeiten verwehrt. Damit bietet die Auswertung der Sprechanteile der Figuren eine Möglichkeit, die in den vorangegangenen Kapiteln analysierten Machtverhältnisse auf Figurenebene empirisch zu überprüfen. Dazu wurden die Redebeiträge anhand der transkribierten Dialoge ausgewertet und so die Anzahl der Zeichen pro Figur bestimmt, um diese anschließend ins Verhältnis zueinander zu setzen.
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Diagramm 1: Sprechanteile in AUF EWIG DEIN14
Sprechanteil in Zeichen
14000 12000 10000 8000 6000 4000 2000 0
Figuren
Aus Diagramm 1 wird ersichtlich, dass Fabers Sprechanteil deutlich über dem aller anderen Figuren liegt. An zweiter Stelle steht Hauptkommissarin Bönisch, welche gut zwei Drittel der Redezeit Fabers hat. Graf liegt an dritter Stelle. Die beiden jungen Kommissar*innen Dalay und Kossik haben nahezu den gleichen Redeanteil, der sie deutlich als Untergebene und Zuarbeiter*innen von Faber und Bönisch ausweist, da ihre Redebeiträge jeweils weniger als ein Drittel des Sprechanteils von Faber und immer noch weniger als die Hälfte des Sprechanteils von Bönisch ausmachen. Die Auswertung der Sprechanteile bietet auch Aufschluss in Bezug auf die ungleichheitsgenerierende Kategorie Geschlecht. So ist die Gruppe der Frauen beziehungsweise weiblichen Figuren in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN mit 31,5 Prozent des Sprechanteils deutlich unterrepräsentiert. Ein weiterer Indikator, der herangezogen werden kann, um die Hierarchien der Figuren zu überprüfen, ist die Reihenfolge der Nennung der Namen der Schauspieler*innen im Vorspann, also eine Betrachtung von Informationen auf extratextueller Ebene.
14
Die Sprechanteile beruhen auf einer Auswertung des im Sequenzprotokoll transkribierten Dialogs. Dabei wurden alle Zeichen abzüglich der Leerzeichen gezählt.
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Screenshot 6: Vorspann AUF EWIG DEIN (TC 00:45)
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Screenshot 7: Vorspann AUF EWIG DEIN (TC 00:50)
In der bei deutscher Sprache üblichen Lesart von links nach rechts und von oben nach unten bestätigt die Reihenfolge der Namen die Anordnung, die sich durch die Wortbeiträge ergibt, allerdings nur in Bezug auf die Ermittler*figuren: Jörg Hartmann (Faber), Anna Schudt (Bönisch), Aylin Tezel (Dalay) und Stefan Konarske (Kossik) (Screenshot 6).15 Damit werden die Kommissar*innen, wie in der TatortReihe üblich, vor den übrigen Schauspieler*innen genannt. Direkt nach ihnen wird der Name „Florian Bartholomäi“ eingeblendet, also des Schauspielers, der die Figur von Graf spielt (Screenshot 7) und damit die wichtigste Figur darstellt, die nicht zum Stammensemble gehört.
7.4.4
Normmensch und Normabweichung
Der Normmensch hat, wie beschrieben (Kapitel 2.4.5), ein Interesse daran, den IstZustand zu erhalten, da er für ihn von Vorteil ist. Er besitzt die meiste Macht und profitiert von Ungleichheit, indem er Privilegien genießt. Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, welche Figuren in AUF EWIG DEIN als dem Normmenschen ähnlich inszeniert werden, wie die entsprechenden Figuren gegebenenfalls dennoch von diesem abweichen und ob sie als machtvoll und dominant dargestellt werden. Etwaige Abweichungen können dabei beispielsweise auf einer Zuschreibung zu nichtdominanten Ausprägungen der ungleichheitsgenerierenden Kategorien ‚Rasse‘, Klasse und Geschlecht sowie Sexualität beruhen. Der Chef des Ermittlungsteams, Faber, stellt die dominanteste Figur dar und hat die größte Macht: Er kann die meisten Ordnungssätze etablieren (Kapitel 7.4.1), er gewinnt den Machtkampf gegen seinen Kontrahenten M. Graf (Kapitel 7.4.2), er
15
Aylin Tezel wird zwar vor Stefan Konarske genannt, obwohl ihr Sprechanteil etwas geringer ist, aber da die Sprechanteile nahezu gleich groß sind, fällt dies nicht als Abweichung ins Gewicht. Eine Auswertung der drei vor AUF EWIG DEIN ausgestrahlten Tatort-Folgen aus Dortmund mit dem Team um Faber hat ergeben, dass die Reihenfolge der Ermittler*innen in allen Episoden die gleiche ist.
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hat den mit Abstand größten Sprechanteil aller Figuren und der ihn mimende Schauspieler Jörg Hartmann wird auch im Vorspann an erster Stelle genannt (Kapitel 7.4.3). Dabei ist die Figur Faber innerhalb der Narration gesellschaftlich so positioniert, dass sie dem Normmenschen weitgehend entspricht: Faber wird als weiß, westlich, männlich und able-bodied präsentiert, seine berufliche Position lässt auf eine Zugehörigkeit zur Mittelschicht schließen. In Bezug auf die Kategorie Klasse gibt es aber auch die auffälligste Deviation, denn äußerlich wird Faber durch seine ungepflegte Erscheinung und seine abgetragene Kleidung als abweichend von der Norm der Mittelschicht gezeigt. Dies wird mehrfach innerhalb des Films thematisiert. So teilt ihm der Verdächtige Passek mit, er stelle keine Obdachlosen ein, als Faber bei ihm in der Reinigungsfirma erscheint, um ihn zu befragen. Faber stellt klar, dass er in der Funktion eines Kriminalermittlers vorspreche, worauf Passek antwortet: „Die nehmen da jetzt auch schon jeden.“ (Passek bei TC 14:46). Als Faber ein vornehmes Restaurant betritt, um mit dem Austern schlürfenden Graf zu sprechen, will ihn der Kellner zunächst nicht in den Speiseraum lassen. Erst als Faber ihm seinen Dienstausweis zeigt, gewährt er ihm Zutritt. Dramaturgisch stellt Fabers in Bezug auf seine soziale Klasse abweichende Kleidung eine Möglichkeit dar, seinen inneren Zustand der Unruhe und Zerrissenheit wegen des ungeklärten Todes seiner Familie auszudrücken. Damit wird Faber zwar in Bezug auf Ungleichheit als ‚andersartig‘ inszeniert, allerdings durch ein äußerliches und leicht zu änderndes Merkmal. Von besonderem Interesse ist nun die Darstellung von M. Graf und Stetter, da anhand dieser beiden Figuren überprüft werden kann, ob beziehungsweise wie Figuren, die aufgrund ihrer pädosexuellen Neigung von der sexuellen Norm abweichen, als ‚anders‘ gekennzeichnet werden (vgl. Kapitel 4.3). Da Faber und Graf oppositionell zueinander inszeniert werden, soll die Darstellung Grafs im Vergleich mit Faber erfolgen. Beide sind männlich und westlich-weiß, wobei Faber in den Vierzigern ist und Graf 29 Jahre alt ist. Beide haben einen ‚normalen‘ BMI und sind able-bodied, doch hier enden die Gemeinsamkeiten. Während Fabers Äußeres ungepflegt erscheint, wirkt Graf gepflegt: Faber ist unrasiert, Graf rasiert; Faber hat wirre Locken, Graf kurze gekämmte Haare; Faber hat Falten, Graf ein glattes Gesicht; Faber trägt ein beiges Hemd und einen Trenchcoat, Graf meist ein weißes Hemd häufig in Kombination mit einem Jackett (vgl. Screenshot 8 bis Screenshot 11). Darüber hinaus ist Faber bekannt für seine schnoddrige Ausdrucksweise, Graf drückt sich gewählt aus; Faber ist ruppig, während Graf höflich ist; Faber trinkt Bier, Graf bevorzugt Wein.
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Screenshot 8: Faber in AUF EWIG DEIN (TC 1:04:37)
Screenshot 9: Graf in AUF EWIG DEIN (TC 1:04:06)
Screenshot 10: Faber in AUF EWIG DEIN (TC 1:08:41)
Screenshot 11: Graf in AUF EWIG DEIN (TC 55:51)
Graf stellt damit aufgrund seiner äußeren Erscheinung, seines Sprachstils und seiner Umgangsformen die normgerechtere Figur der beiden dar. Während Faber jedoch heterosexuell ist (er hatte eine Ehefrau und Tochter), weicht Graf im Hinblick auf die Kategorie Sexualität von der Norm ab. Er wird als Mensch mit sadistischen Zügen und krankhafter Sexualität gekennzeichnet, der seine sexuelle Neigung auf illegitime Weise an jungen Mädchen auslebt. Wie beschrieben, findet diese Kennzeichnung keinen Niederschlag auf der visuellen Ebene, sondern wird lediglich sprachlich etabliert. Neben den fehlenden konkreten Handlungen im Bild wird Graf in keiner Einstellung mit einem der entführten Mädchen zusammen gezeigt.16 Graf hat die direkte Konfrontation mit Faber gesucht, andernfalls hätten ihn die Ermittler*innen unter Umständen nicht überführen können. Er stellt damit tatsächlich den unsichtbaren inneren Feind dar (vgl. Kapitel 4.1.3 und Chenier 2010: 36), der nicht äußerlich erkennbar ist und der abgesehen von seiner sexuellen Neigung dem Normmenschen sehr ähnlich ist. Sein Angriff auf die weißen Mädchen (vgl. Kapitel 7.5.2) wird dabei als Angriff auf weiße Kernfamilien inszeniert, die mit dem Tod der Mädchen ihre komplette Auflösung erfahren. Die weiße Kernfamilie wiederum 16
Eine Ausnahme stellt eine kurze Einstellung dar, in der Grafs Foto auf einem Monitor im Präsidium projiziert wird und – in einiger Entfernung – ein Foto von Lisa Passek an der Pinnwand hängt (TC 51: 46).
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ist konstitutives Element der weißen Gesellschaft, weshalb Grafs Angriff auch dieser gilt. Stetter ist die zweite Figur, der eine pädophile Neigung zugeschrieben wird und nimmt ebenfalls eine dem Normmenschen nahestehende Position ein. Er ist weiß, westlich und able-bodied. Zwar hat er eine kräftigere Statur als beispielsweise Faber und Graf, jedoch ist er immer noch der Ausprägung ‚normaler‘ BMI zuzuordnen. Stetter ist ein „erfolgreicher Unternehmensberater“ und „hat Kohle“ (Faber bei TC 6:45). Damit gehört er der oberen Mittelklasse an. Allerdings gibt es einige Indikatoren, die zumindest vorübergehend einen sozialen Abstieg suggerieren. So sind Fußballspielgeräusche aus dem Fernseher hörbar, als Faber ihn befragt, sein Hotelzimmer ist unordentlich und er betrinkt sich mit Schnäpsen aus der Minibar, was die vielen leeren Fläschchen verdeutlichen. Bei einem Besuch Fabers trägt er ein weißes Achselshirt (Sequenz 28). Seine Erklärungsversuche, warum er Fotos von Marie im Internet getauscht hat, wirken fadenscheinig: „Das ganze Internet. Marie kam in nen Alter, da hat sie ihren Körper entdeckt und da wollt ich, ja, einfach wissen, was da draußen für Gefahren auf sie lauern.“ (Stetter bei TC 10:46). Wie Graf weist auch Stetter äußerlich keine Merkmale auf, die ihn als ‚andersartig‘ kennzeichnen. Auch hier geschieht die Klassifikation als Pädophiler rein verbal. Stetter wird nicht gemeinsam mit den Opfern sexueller Gewalt gezeigt. Zwar ist er auf einem Foto zusammen mit seiner Stieftochter zu sehen, jedoch ist dieses als ‚normales‘ Familienfoto einzuordnen. Ebenso befindet sich sein Foto auf dem an die Wand projizierten Bildschirm im Präsidium neben dem der entführten Lisa Passek, jedoch kann auch diese räumliche Zusammenrückung im Rückblick nur als falsche Fährte angesehen werden, denn Stetter hat nichts mit Lisas Verschwinden zu tun. Im Gegensatz zu Graf wird Stetters Vergehen als weniger schlimm dargestellt und er wird als Person gezeigt, die ihre Taten bereut, indem er beim Anblick des Fotos von Maries obduziertem Körper in Tränen ausbricht (Screenshot 13). Stetter kann damit als ‚bekehrbarer‘ Feind aus dem Inneren angesehen werden. Screenshot 12: Stetter in AUF EWIG DEIN (TC 10:14)
Screenshot 13: Stetter in AUF EWIG DEIN (TC 1:01:31)
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Der Callboy Kelling kann analog zu Stetter und Graf als eine Figur betrachtet werden, die äußerlich dem Normmenschen ähnelt, aber in Bezug auf ihre Sexualität eine Abweichung von diesem aufweist. Damit stellt sie ebenfalls eine Bedrohung aus dem Inneren dar, da Kelling durch seine Arbeit als Prostituierter patriarchale Strukturen untergräbt. Er wird jedoch nicht als tatsächliche Gefahr repräsentiert, sondern eher als Witzfigur, die leicht einzuschüchtern ist. Er hat Angst vor dem Gefängnis und weist mit seinen Befürchtungen („Weißt du, was die da mit mir machen?“ Kelling bei TC 45:42) nochmals auf die Normabweichung seiner Tätigkeit als Callboy hin. Als Faber so tut, als ob er ihn in den Magen boxen wolle, geht Kelling nicht in die Offensive, sondern zuckt zusammen und duckt sich vor Faber weg (TC 46:30). Faber ruft Kelling „Und nie ohne Kondom“ (TC 46:57) über den Hotelflur hinterher, womit er ihn weiter degradiert. Kommissarin Bönisch stellt eine Figur dar, die ebenfalls nahe am Normmenschen positioniert ist. Zwar weicht sie im Hinblick auf ihr Geschlecht von diesem ab, jedoch wird sie in vielen Bereichen als Figur gezeigt, die Merkmale aufweist, die ansonsten häufig Männern zugeschrieben werden. So stellt sie mit ihrer rationalen und professionellen Art das Gleichgewicht zum emotionalen und intuitiven Faber dar. Sie wird als technisch versiert gezeigt, wenn sie ihrem Kollegen Krüger ein Computerprogramm erklärt (Sequenz 31). Außerdem hat sie einen ausgeprägten Sexualtrieb (vgl. z. B. auch Folge KOLLAPS D 2015, R: Zahavi) und hat Kelling in der Vergangenheit für sexuelle Dienstleistungen bezahlt. Wegen des Verhältnisses mit Kelling bekommt sie jedoch auch Schwierigkeiten und muss Faber um Hilfe bitten, um gegen Kelling anzukommen. Außerdem ist sie Faber auf beruflicher Ebene hierarchisch untergeordnet (vgl. Kapitel 7.4.2 und Kapitel 7.4.3). Am Ende gelingt Bönisch ein kleiner Triumph über Faber, indem sie – nachdem sie ihren Blick über den duschenden Faber schweifen lassen hat (Sceenshot 14 und Screenshot 15) – Fabers Kleidung zum Waschen mitnimmt. Daneben kann diese Begebenheit auch als Bönischs Beihilfe zu Fabers Reinigung von den vergangenen Erlebnissen („Sie trauern nicht, das ist das Problem“ – Bönisch bei TC 8:41) angesehen werden.
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Screenshot 14: Bönisch in AUF EWIG DEIN (TC 1:26:33) .
Screenshot 15: Bönisch beobachtet Faber beim Duschen in AUF EWIG DEIN (TC 1:26:35)
Dass ihr als Frau und Mutter ausgerechnet durch das Waschen von Wäsche eine kleine Machtdemonstration gelingt, kann einerseits wegen einer traditionell Frauen zugeordneten Tätigkeit als Minderung dieser gesehen werden – die Frau darf sich nur mit konservativen ‚weiblichen Waffen‘ wehren –, zeigt andererseits aber aufgrund ihrer ansonsten eher männlich konnotierten Verhaltensweise die komplexe und vielschichtige Figurendarstellung der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN. Im Gegensatz zu Bönisch wird Faber zwar als machtvollste Figur inszeniert, ist jedoch auch eine gebrochene Gestalt, deren Abweichung vom Normmenschen durch visuelle Indikatoren übermittelt wird. Damit wird bestätigt, was Faber-Darsteller Jörg Hartmann im Interview über den Tatort aus Dortmund sagt: „[…] es gibt nie die weißen Figuren und nie die schwarzen, es sind bei uns immer unterschiedliche Nuancierungen von grau. Und das, finde ich, ist enorm spannend.“ (Langenbahn 2015) In Bezug auf den Normmenschen und mögliche Abweichungen von diesem lohnt auch ein Blick auf die beiden Figuren Passek und Bartok. Beiden Figuren ist gemeinsam, dass sie nicht mehr mit dem jeweils anderen Elternteil ihres Kindes zusammenleben und deshalb narrativ bestraft werden. Dabei wird mit Passek ein Vater gezeigt, dessen Tochter entführt und getötet wird, und mit Bartok eine Mutter, der dasselbe Schicksal widerfährt. Die Repräsentation der beiden Figuren variiert jedoch in Übereinstimmung mit ihrer Abweichung vom Normmenschen. So ist Passek, der als Mann dem Normmenschen nähersteht, der Chef einer Reinigungsfirma. Er nimmt damit im Beruf eine Führungsposition ein und wird zudem nur in seinem Büro in der Firma und somit am Arbeitsplatz gezeigt. Er kann als Angehöriger der oberen Mittelschicht angesehen werden, denn auch wenn ihm das Reinigungsunternehmen nicht gehört, lässt seine Aussage, dass seine Exfrau bei der Scheidung „den Hals nicht vollgekriegt“ habe (Passek bei TC 15:00) darauf schließen, dass er wohlhabend ist beziehungsweise dass er zumindest genug besitzt, um ausgebeutet zu werden. Passek ist eine aktive und aggressive Figur, er gibt seinen Angestellten Anweisungen und droht Faber mit körperlicher Gewalt als dieser ihn provoziert (vgl. Passek bei TC 15:19). Zu seiner Tochter scheint Passek kein enges Verhältnis
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zu haben, sondern er vermutet bei Fabers Erscheinen eher, dass diese selbst eine Regelwidrigkeit begangen hat („Was hat sie angestellt?“ – Passek bei TC 14:52). Bartok hingegen, die als Frau in Bezug auf die Kategorie Geschlecht eine Abweichung vom Normmenschen darstellt, wird nur im Privatraum gezeigt. Ob sie in einem Arbeitsverhältnis steht, bleibt unklar. Ihr ehemaliger Lebensgefährte Stetter ist ein „erfolgreicher Unternehmensberater“ und „hat Kohle“ (Faber bei TC 6:45), weshalb sie vermutlich nicht darauf angewiesen wäre, selbst arbeiten zu gehen. Bartok wohnt in einem Haus mit großem Garten, was als Indikator für die obere Mittelschicht aufgefasst werden kann, ebenso wie der Klavierunterricht ihrer Tochter Marie. Bartok wird als passive Figur gezeigt, denn die meiste Zeit sitzt sie gefasst am Tisch und spricht mit zurückgenommener Stimme. Sie scheint ein Vertrauensverhältnis zu ihrer Tochter gehabt zu haben, denn diese hat ihr von einem Lehrer erzählt, von dem Bartok glaubt, dass Marie „ein bisschen für ihn geschwärmt“ (Bartok bei TC 9:26) habe. Außerdem hat ihre Tochter bei ihr gelebt, Passeks Tochter scheint hingegen bei dessen Exfrau zu wohnen. Dass bei Passek und Bartok trotz Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Ausprägungen der Kategorie Geschlecht die Verletzung desselben Ordnungssatzes zu einer analogen Art der Ordnungswiederherstellung geführt hat, ist zunächst als ein Anzeichen für Gleichheit zu werten. Jedoch hat der Vergleich der beiden Figuren auch gezeigt, wie Abweichungen im Hinblick auf das Geschlecht in unterschiedlichen Charakterzeichnungen münden. So wird der Mann in dieser Konstellation als beruflich präsent, Führungsperson, aktiv und aggressiv gezeigt, die Frau hingegen im Privatraum und passiv, womit stereotype Geschlechterbilder bedient und damit soziale Ungleichheiten festgeschrieben werden. Die seit dem 19. Jahrhundert auftretenden Vorstellungen über die Rollenverteilung der Geschlechter, nach denen Männer die Eigenschaften „Aktivität, Rationalität und Berufsorientierung“ und Frauen die Merkmale „Passivität, Emotionalität und Mütterlichkeit“ (Gestrich 2013: 5f.; vgl. auch Kapitel 4.2) aufweisen, werden demnach in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN bestätigt.
7.5
P ÄDOPHILIE
7.5.1
Die fiktionale Darstellung im Vergleich mit der ‚Realwelt‘
UND SEXUELLER
M ISSBRAUCH
Zieht man die in Kapitel 4.1.1 aufgeführten Kriterien für die Bestimmung einer pädophilen Neigung heran, um zu überprüfen, ob M. Graf und Stetter auch in der ‚Realwelt‘ als pädophil zu klassifizieren wären, ergibt sich zunächst ein positives Ergebnis: Grafs und Stetters Interesse richtet sich auf Kinder unter 14 Jahren; der Altersabstand zu den Kindern beträgt mindestens fünf Jahre; Graf und Stetter sind
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beide älter als 15 Jahre. Die Mädchen, auf die sich ihr – damit als heterosexuelle Pädophilie zu klassifizierendes (Nedopil & Müller 2012: 247) – Begehren richtet, sind 12 bis 13 Jahre alt. Das gleiche Alter war auch der Präferenzbereich von M. Grafs Vater, T. Graf. Während bei M. Graf davon ausgegangen werden kann, dass er kernpädophil ist, sich sein Interesse also ausschließlich auf Kinder richtet, sind Stetter beziehungsweise T. Graf aufgrund der Beziehung zu Katja Bartok beziehungsweise zu Frau Graf vermutlich zusätzlich teleiophil, das heißt ihre sexuelle Präferenz richtet sich neben Kindern auch auf Erwachsene (Ulonska 2008: 26; Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 111). Da sexueller Missbrauch von Kindern häufig nicht auf Pädophilie zurückzuführen ist, stellt sich bei M. Graf und Stetter die Frage, ob andere Ursachen vorliegen. Insbesondere bei M. Graf ist wegen der sadistischen Vorgehensweise anzunehmen, dass seine Motivation auf eine Mischung von Sadismus und sexuellem Interesse an Kindern zurückzuführen ist. Bönisch interpretiert den Prozess des Tötens im Gespräch mit Faber als Ausspielen von Macht (Bönisch bei TC 50:56). Eine pädophile Neigung kann nach ‚realweltlichen‘ Kriterien dennoch sowohl bei Graf als auch bei Stetter diagnostiziert werden, wenn man das Chatprotokoll heranzieht, welches das online stattfindende Gespräch zwischen den beiden darstellt. Das Protokoll ist zwar nur so kurz im Bild zu sehen, dass von den Zuschauer*innen während der Rezeption höchstens Bruchstücke gelesen werden können – außer man stoppt den Film –, kann bei einer genaueren Auswertung jedoch trotzdem als Grundlage für die pädophilen Gedanken Grafs und Stetters dienen. Sie bezeichnen minderjährige Mädchen im Chat als „kleine Knospe[n]“ und „kleine[] Biest[er]“ mit „weich[er] und samtig[er]“ Haut und „lüstern[em]“ „Blick“. Im Verlauf dieses Gesprächs schreibt VirgoBabe09 alias Graf: „Sie sind so zart, unschuldig, und doch verdorben.“ (TC 16:22). Faber geht davon aus, dass Graf und Stetter „dieselben Fantasien“ (Faber bei TC 59:21) haben und demnach beide pädophil sind. Unabhängig von der dramaturgischen Notwendigkeit der Etablierung der Figur Stetter für den Kriminalfall lässt sich hier in Bezug auf die mediale Konstruktion von Ungleichheit ergänzend die Vermutung aufführen, dass die Figur Stetter die Bandbreite der möglichen Spielarten von Pädophilie erweitern soll, indem er neben dem sadistischen Kindesmörder eine weitere und weniger schlimme Variante des Pädophilen darstellt. So wird mit Stetter eine Figur eingeführt, die zwar durch den Tausch von innerhalb des Films als kinderpornografisch klassifizierten Fotos eine Straftat begeht, die aber nicht physisch übergriffig wird. Was für M. Graf gleichsam das Vorspiel zu tatsächlichen Verbrechen darstellt, sind für Stetter „reine Gedankenspiele“ (Stetter bei TC 20:49). Die Vergehen von Graf verstoßen, wenn man die Gesetzeslage aus der ‚Realwelt‘ heranzieht, gegen § 176 StGB, der den „[s]exuelle[n] Mißbrauch von Kindern“ regelt, und dafür eine „Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren“ vorsieht. Graf kann darüber hinaus als Mörder klassifiziert werden, da er wie in
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§ 211 StGB festgehalten, „zur Befriedigung des Geschlechtstriebs […] einen Menschen tötet“ und dafür „mit lebenslanger Freiheitsstrafe“ rechnen muss. Dies entspricht der von Faber getroffenen Aussage, T. Graf dürfe nie wieder aus dem Gefängnis entlassen werden (TC 30:08) und kann wegen der Parallelsetzung der Figuren T. Graf und M. Graf ebenso für M. Graf angenommen werden. Strafrechtlich betrachtet erfolgt sexueller Missbrauch von Kindern nicht nur durch tatsächliche physische Handlungen, sondern auch die Nutzung von Kinderpornografie ist dazu zu rechnen, wie § 184b StGB Abs. 1 zu entnehmen ist: „Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer […] eine kinderpornographische Schrift verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht.“ Dabei kann der Inhalt der Schrift neben „sexuelle[n] Handlungen“ an Kindern auch in einem „ganz oder teilweise bekleideten Kind[] in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ oder der „sexuell aufreizenden Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes“ bestehen (§ 184b StGB Abs. 1). Das Strafmaß der Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren stimmt nicht mit Fabers Aussage überein, dass Stetter lediglich mit einem Bußgeld zu rechnen habe. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, inwiefern die im Film gezeigten Fotos ‚realweltlich‘ tatsächlich als Kinderpornografie einzuordnen sind, denn die in § 184b StGB Abs. 1 genannten Kriterien werden bei den in AUF EWIG DEIN gezeigten Fotos eher nicht erfüllt.17 Die einzigen Fotos, die dabei im Film zu sehen sind, zeigen zum einen ein Mädchen von hinten, das Hotpants und ein Bikinioberteil trägt (Screenshot 16) und zum anderen ein leicht bekleidetes Mädchen, das aufgeschürfte Knie hat (Screenshot 17). Nun mag es zum einen rechtliche Gründe haben, diese Fotos und nicht eindeutigere zu nutzen, denn auch der Tatort darf keine kinderpornografischen Inhalte verbreiten. Zum anderen wäre es jedoch von Produktionsseite vermeidbar gewesen, die Fotos überhaupt ‚on Screen‘ darzustellen. In der gewählten Lösung, Fotos zu zeigen, aber ohne eine eindeutig pornografische Ausrichtung, können die Abbildungen dazu beitragen, die Grenze dessen, was als kinderpornografisch empfunden wird, weiter zu verschieben, wodurch der Tatort in diesem Fall eine aktive Rolle bei der Konstruktion sozialer Wirklichkeit einnimmt.
17
Die dargestellte Klassifikation beruht auf den im Strafgesetzbuch genannten Kriterien. Dabei soll nicht unterstellt werden, dass ein Gericht nicht zu einer anderen Beurteilung kommen könnte.
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Screenshot 16: Als kinderpornografisch klassifizierte Fotos in AUF EWIG DEIN (TC 16:28)
Screenshot 17: Als kinderpornografisch klassifizierte Fotos in AUF EWIG DEIN (TC 16:32)
In der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN sind alle drei als pädophil etablierten Figuren Männer (M. Graf, Stetter, T. Graf), was die statistische Verteilung von Pädophilie in der ‚Realwelt‘ widerspiegelt, nach der über 97 Prozent der Pädophilen männlichen Geschlechts sind (Kuhle, Grundmann & Beier 2014: 116). Bezüglich der Klassenzugehörigkeit ist festzustellen, dass sowohl M. Graf als auch Stetter der oberen Mittelschicht angehören, weshalb der Film hier nicht aufzeigen kann, dass Pädophilie ein schichtübergreifendes Phänomen ist (Ulonska 2008: 26; Lenard 2003: 160). Sexueller Missbrauch geschieht häufig durch Menschen aus dem direkten Umfeld von Kindern (Peter & Bogerts 2010: 46), was in AUF EWIG DEIN zwar nicht in Bezug auf Graf zutrifft, aber auf Stetter, der Fotos seiner Stieftochter Marie im Internet getauscht hat, auch wenn er nicht körperlich übergriffig geworden ist. AUF EWIG DEIN ist ein Film, der nicht nach dem dramaturgischen Prinzip „Whodunit“, sondern nach dem Prinzip ‚How(s)hecatcheshim/her‘ funktioniert (vgl. Kapitel 6.2.3). Wenn man mit Gräf davon ausgeht, dass bei Filmen mit dieser Struktur das Verständnis des Motivs der Mörder*in im Vordergrund steht (Gräf 2010: 145f.), dann müssten in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN die Beweggründe M. Grafs für seine Verbrechen ausführlich behandelt werden. Verglichen mit anderen Tatort-Folgen ist dies durchaus der Fall, auch wenn Pädophilie nicht eingehender betrachtet wird: Die Zuschauer*innen erfahren Grafs Vorgeschichte (Sozialisation durch seinen pädophilen und sadistischen Vater), bekommen Einblick in die pädophile Gedankenwelt (Protokoll des Chats zwischen Graf und Stetter) und ihnen wird Grafs persönliche Motivation nähergebracht, Faber zu schädigen (aus Liebe zu seinem Vater, welchen Faber festgenommen hat, vgl. Dialog zwischen Faber und Graf auf dem Hochhaus). Insgesamt lässt sich feststellen, dass es trotz einiger Abweichungen eine starke Korrelation zwischen der ‚realweltlichen‘ Klassifikation von Pädophilie und der Darstellung dieser in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN gibt. Das gleiche trifft auf die ‚realweltliche‘ Gesetzeslage zu sexuellem Missbrauch und deren Bestrafung und auf die in AUF EWIG DEIN etablierten entsprechenden Ordnungssätze sowie auf
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die Art der Ordnungswiederherstellung zu. Einen verschiedene Seiten widerspiegelnden Diskurs, etwa in Bezug auf die verschiedenen Facetten von Pädophilie oder durch eine Repräsentation, die wenn schon nicht Empathie so doch zumindest ein Nachvollziehen pädophiler Neigungen ermöglicht, gibt es aufgrund der Kriminalisierung der Pädophilen in der fiktionalen Repräsentation dieser in AUF EWIG DEIN jedoch nicht. Die Darstellungen in der Tatort-Folge bestätigen damit die in Kapitel 4.1.2.3 ausgeführte gegenwärtige öffentliche Meinung zu Pädophilie, wobei die Grenzen dessen, was Kinderpornografie ist, hier noch enger gezogen werden als in der ‚realweltlichen‘ Rechtsprechung. Das Thema Pädophilie steht damit im Tatort AUF EWIG DEIN zwar im Mittelpunkt, da es mit dem wichtigsten Ordnungssatz (OS 1) korreliert wird und damit auch das zentrale Ereignis (Vergewaltigung und Tötung von Mädchen) mit Pädophilie in Zusammenhang steht, aber erfährt darüber hinaus keine differenzierte Betrachtung. Der Umstand, dass in AUF EWIG DEIN das narrative Gleichgewicht letztlich nur durch den Tod der körperlichen Missbrauch begehenden Pädophilen wiederhergestellt werden kann, unterstreicht zum einen den hohen (negativen) Stellenwert, der sexualisierter Gewalt gegen Kinder eingeräumt wird, zum anderen stellt er aber auch eine Pseudolösung dar. So wird das ‚Problem‘ der pädophilen Straftäter in der Tatort-Folge zwar narrativ gelöst, diese Lösung lässt sich aber nicht in die ‚Realwelt‘ übertragen, es kommt mit Gräf zu einer „Entsemiotisierung der moralischen Probleme“ (Gräf 2010: 144, Herv. entf.; vgl. auch Kapitel 5.2.3).
7.5.2
Pädophilie und Weißsein
Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch wird in AUF EWIG DEIN als Problem der Mehrheitsgesellschaft dargestellt. Da diese Mehrheitsgesellschaft in Deutschland als eine weiße Gesellschaft imaginiert wird, erscheint Pädophilie als Problem dieser weißen Gesellschaft. Pädophile werden damit als Feinde aus dem Inneren der weißen Gesellschaft präsentiert. Sowohl die Pädophilen selbst als auch die Opfer sexueller Gewalt können als weiße Figuren gelesen werden. Damit stimmen die erbrachten Ergebnisse mit Cheniers Aussage überein, dass nur wenn sowohl die Missbrauchstäter*in als auch das Missbrauchsopfer weiß sind, das Problem als das einer weißen Gesellschaft aufgefasst wird: „Only when both the assailant and the victim are white is the assault read as a broad social problem affecting ‚everyone‘.“ (Chenier 2010: 41) Im Folgenden soll nach visuellen Markern im Film gesucht werden, die diese Ergebnisse weiter stützen können. Dabei werden zunächst M. Graf und Stetter als pädophile Täter in den Blick genommen, bevor die Missbrauchsopfer näher betrachtet werden. Wie in Kapitel 3.2.1.3 dargelegt, kann Weißsein beispielsweise durch die Verwendung weißer Objekte unterstrichen werden, etwa durch weiße Gegenstände oder
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Kleidung. Sowohl bei Graf als auch bei Stetter gibt es in dem Raum, der jeweils als Wohnort dient – bei Graf das Wohnzimmer seines Hauses, bei Stetter das Hotelzimmer – einen weißen beziehungsweise hellen Vorhang (Screenshot 18 bis Screenshot 21).18 Dabei dient ein Vorhang zum einen dazu, ungewollte Blicke abzuhalten. Andererseits symbolisiert er die weiße Fassade, die Graf und Stetter als Normmenschen haben. Screenshot 18: Graf in AUF EWIG DEIN (TC 55:37)
Screenshot 19: Graf in AUF EWIG DEIN (TC 55:42)
Screenshot 20: Stetter in AUF EWIG DEIN (TC 9:40)
Screenshot 21: Stetter in AUF EWIG DEIN (TC 9:42)
In dieser Lesart kann Grafs Blick nach draußen (Screenshot 18) nicht nur als das Betrachten seines zerstörerischen Werks angesehen werden, denn er beobachtet in diesem Moment Faber, der die verbrannten Erinnerungsstücke findet und zusammenbricht. Er kann darüber hinaus gleichzeitig als Möglichkeit für Faber – und auch die Zuschauer*innen – interpretiert werden, einen Blick in Grafs Inneres zu werfen.
18
Interessant ist in diesem Kontext, dass sich das von dem Sender „Das Erste“ veröffentlichte Pressefoto, das eine ähnliche Einstellung wie Screenshot 18 zeigt, von der Farbgebung deutlich von der Darstellung im Film unterscheidet. Im Foto ist der Vorhang eindeutig
grün,
während
er
im
Film
eher
weiß
erscheint.
Vgl.
http://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/sendung/tatort_dortmund_auf_ewigdein-bildergalerie-100.html#. Letzter Zugriff: 05.11.2015.
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Bei den Opfern der Entführung und teilweiser Vergewaltigung und Tötung handelt es sich ausschließlich um weiße, 12- bis 13-jährige Mädchen mit heller Haut und blonden, rotblonden oder hellbraunen Haaren. In manchen Fällen wird das Weißsein der Mädchen visuell durch ihre Kleidung unterstrichen. So trägt Annika Görges beispielsweise, als sie gefunden wird, ein weißes Shirt, eine beige Hose und weiße Socken (Screenshot 22), wobei sie den Blick von der Kamera abwendet. Auf dem Fahndungsfoto hingegen erkennt man ihre rotblonden Haare und das durch die Verwendung eines Blitzes ausgebrannte und damit unnatürlich weiße Gesicht, das durch den dunklen Hintergrund des Fotos noch mehr zu leuchten scheint (Screenshot 23). Lisa Passek ist auf dem Fahndungsfoto mit einem blassblauen Oberteil bekleidet und hat außerdem neben ihren weißblonden Haaren sehr helle Haut (Screenshot 24). In der kurzen Einstellung, die sie im Top Shot auf dem Seziertisch zeigt, wirkt ihre Haut ebenfalls sehr fahl und verschmilzt nahezu mit dem weißen Hintergrund (Screenshot 25). Im Tod erreichen die jungen Mädchen damit den ultimativen Status von Weißsein, was der von Dyer analysierten Verknüpfung von Weißsein und Tod entspricht (Dyer 1988: 44; vgl. auch Kapitel 3.2.1.3). Lediglich Marie Bartok, die Graf als einzige der drei Mädchen sexuell missbraucht hat, hat etwas dunklere Haare und trägt auf den Fahndungsfotos bunte beziehungsweise dunkle Kleidung (Screenshot 26). In der Aufnahme, die ein Foto von ihr auf dem Seziertisch zeigt, hat sie ein blasses Gesicht mit dunklen Augenringen (Screenshot 27), wirkt aber nicht so hell wie die – nicht vergewaltigte – Lisa Passek. Sowohl die Analyse der Opfer sexualisierter Gewalt als auch die der Täter hat im Hinblick auf visuelle Marker ergeben, dass beide als Teil der weißen Gesellschaft inszeniert werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage Kossiks als er mit Dalay darüber diskutiert, ob es möglich ist, dass die Täter*in Lisa Passek auf einer belebten Straße entführt haben könnte. Während Dalay die Meinung vertritt, dass dies durchaus der Fall sein könnte, da – auch wenn es jemand beobachtet hätte – nicht zwingend Hilfe erfolgt sein müsse, antwortet Kossik: „Wenn ein paar Glatzen nen Schwarzen tottreten, ja gut, dann vielleicht. Aber ein dreizehnjähriges Mädchen? Am helllichten Tag? Da ruf ich doch zumindest mal die Polizei an.“ (TC 12:18). Er stellt dabei einen Dualismus zwischen Schwarzen auf, die von Neonazis niedergeschlagen werden, wobei er hier Zivilcourage unwahrscheinlich findet und weißen jungen Mädchen, bei denen man hilft oder zumindest die Polizei informiert. Dies verdeutlicht den besonderen Schutzbedarf, den weiße Mädchen genießen, und die damit verbundene moralische Verpflichtung auch Unbeteiligter, ihnen im Zweifelsfall schützend zur Seite zu stehen. Auf der anderen Seite zeugt es von Rassismus, wenn, wie Kossik mutmaßt, gegenüber Schwarzen in Notsituationen keine Hilfe erfolgt.
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Screenshot 22: Annika in AUF EWIG DEIN (TC 1:23:11)
Screenshot 23: Annika in AUF EWIG DEIN (TC 48:33)
Screenshot 24: Fotos von Stetter und Lisa in AUF EWIG DEIN (TC 7:17)
EWIG DEIN
Screenshot 26: Ermittlungsfotos von Marie in AUF EWIG DEIN (TC 6:02) .
Screenshot 27: Fotos von Maries Leichnam in AUF EWIG DEIN (TC 1:01:20)
7.6
D IE
WEISSE
Screenshot 25: Lisas Leichnam in AUF (TC 1:10:38)
K ERNFAMILIE
UND IHRE
E LEMENTE
Wie für eine Tatort-Folge, in der es um Pädophilie geht, anzunehmen ist, spielt die Familie in AUF EWIG DEIN eine wichtige Rolle. Während die in Bezug auf sexuellen Missbrauch gezeigten Täter*innen alle weiße Männer der oberen Mittelschicht sind, handelt es sich bei den Opfern des Missbrauchs um junge, weiße, hellhäutige Mädchen (Kapitel 7.5.2), die aus nicht-intakten Familien kommen. Deshalb trifft die Eltern, die für die zerrütteten Familienverhältnisse verantwortlich gemacht werden,
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eine Mitschuld am ihren Töchtern zugefügten Leid und an deren Tod. Im Folgenden wird die Rolle der weißen Kernfamilie in AUF EWIG DEIN analysiert (Kapitel 7.6.1) und anschließend wird auf die Darstellung der einzelnen Elemente der Familie in dieser Tatort-Folge näher eingegangen: die weißen Mütter beziehungsweise weiße Mutterschaft (Kapitel 7.6.2), die weißen Väter beziehungsweise weiße Vaterschaft (Kapitel 7.6.3) und schließlich die weißen Kinder beziehungsweise weiße Kindheit (Kapitel 7.6.4).
7.6.1
Die weiße Kernfamilie
Im Folgenden soll überprüft werden, inwiefern das westlich-weiße Ideal der intakten (weißen) Kernfamilie, das historisch gewachsen ist (Kapitel 4.2), auch in AUF EWIG DEIN propagiert wird. In der Tatort-Folge nimmt die intakte Kernfamilie einen hohen Stellenwert ein. Dieser zeigt sich bereits daran, dass im Film zwei Ordnungssätze etabliert werden, die sich mit der intakten Familie beschäftigen. Dabei geht es zum einen darum, dass Eltern leiblicher Kinder sich nicht trennen dürfen (OS 8) und zum anderen darum, dass Kinder nicht gemeinsam lebender Eltern geschädigt werden (OS 9). Alle Familien, die nicht intakt sind, müssen demnach mit negativen Konsequenzen rechnen: Die Töchter werden entführt, vergewaltigt und getötet, die Jungen hingegen werden selbst zu Entführern, Vergewaltigern und Mördern. So handelt es sich bei den ersten beiden Mordopfern, Marie Bartok und Lisa Passek, um Töchter, die von ihrer Mutter in Abwesenheit des leiblichen Vaters aufgezogen werden. M. Graf hingegen wächst bis zu seinem 14. Lebensjahr (TC 25:00) allein bei seinem Vater auf, der ein nicht-normaler Straftäter ist und seinen Sohn ebenfalls zu genau einem solchen erzieht. Nach der Inhaftierung seines Vaters verbringt er die Zeit bis zu seiner Volljährigkeit in insgesamt drei Heimen (TC 26:50). Faber äußert dazu die Ansicht, dass eine genetische Prädisposition für M. Graf besteht, ebenfalls zu einem nicht-‚normalen‘ Straftäter zu werden, wenn er auf Grafs Aussage, nichts mit den Entführungen zu tun zu haben, entgegnet: „Ja, bei dem Stammbaum…“ (Faber bei TC 41:00). Das Ideal einer intakten Familie spielt auch eine Rolle bei Dalays Entscheidung, ob sie das Kind von Kossik bekommen soll oder nicht. Die schlimmste Vorstellung, die sie hat, ist, dass ihr gemeinsames Kind in einer nicht-intakten Familie aufwachsen könnte: „Was ist, wenn uns was passiert? Dann wächst das Kind ohne Vater oder ohne Mutter auf.“ (Dalay bei TC 32:52). Nur eine intakte Kernfamilie, also eine, die aus Vater, Mutter und Kind besteht, bietet demnach das richtige Umfeld für die gesunde Entwicklung des Nachwuchses. Kossik möchte das Kind zwar im Gegensatz zu Dalay bekommen, doch seine Argumentation stützt sich in diesem Aspekt weitgehend auf die gleichen Vorstellungen einer funktionierenden Familie: „Ich möchte, dass wir das Kind bekommen. Wir sind zu zweit. Wir haben Eltern.
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Das schaffen wir schon irgendwie.“ (Kossik bei TC 35:54). Auch er vermittelt hier, dass man zu zweit sein muss und außerdem selbst eine intakte Familie haben sollte, um Kinder ordentlich großziehen zu können. Es gibt also hohe Anforderungen an tatsächliche oder potenzielle Väter und Mütter – und wenn man diesen nicht gerecht werden kann, wird das Kind getötet: entweder durch Einwirkung von außen wie bei Marie Bartok und Lisa Passek oder durch eine Abtreibung wie im Falle des ungeborenen Kindes von Dalay und Kossik.
7.6.2
Weiße Mütter, weiße Mutterschaft
Die weiße Mutter ist für die weiße Gesellschaft von besonderer Bedeutung, weil sie durch das Gebären weißer Kinder die Grundlage für „[w]eiße Dominanz“ schafft (Wollrad 2005: 93; vgl. auch Kapitel 4.2.2). ‚Gute Mutterschaft‘ ist dabei in den Vorstellungen der westlichen Kultur traditionell mit Fürsorge und Aufopferung verbunden. In der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN wird ein Spektrum unterschiedlicher Typen von Müttern gezeigt. Insgesamt vier dieser Mütter spielen eine Rolle, die wichtig genug ist, dass sie auch im Bild zu sehen sind. Die anderen werden nicht gezeigt (Frau Passek, Frau Polatschek) beziehungsweise sind bereits tot (Frau Faber, Frau Graf) und werden deshalb hier nicht berücksichtigt. Dalays Schwangerschaft nimmt einen großen Raum in AUF EWIG DEIN ein. Sie wird zu Beginn des zweiten Drittels des Films eingeführt (Sequenz 41) und spielt von da an immer wieder eine Rolle. Dalay ist eine potenzielle Mutter, die über ihre Schwangerschaft nicht glücklich ist. Von Kossik bekommt sie nicht direkt die uneingeschränkte positive Resonanz, die sie sich erhofft hatte und beschließt unter anderem, weil sie und Kossik beide Kriminalbeamt*innen sind – entgegen Kossiks Willen –, das Kind abzutreiben. Dabei wird sie jedoch nicht als gefühlskalt, sondern als emotional und gleichzeitig reflektiert gezeigt. So hat sie beispielsweise im Präsidium einen emotionalen Ausbruch, als Faber eines der verschwundenen Mädchen als „Nachschub“ (Faber bei TC 48:56) bezeichnet und entgegnet ihrem Chef aufgewühlt: „Mein Gott, Faber. Wir sprechen hier immer noch von nem Menschen, ja, von nem kleinen Mädchen. Das ist nicht irgendein Problem, das man mal ebenso entsorgt und sich Nachschub holt.“ (Dalay bei TC 48:58). Durch diese Aussage wird Dalay als Figur gekennzeichnet, die sich Gedanken über die Abtreibung macht und diese nicht leichtfertig vornehmen lässt. Dalays unfreiwillige Schwangerschaft und ihre Entscheidung abzutreiben ist auch im Hinblick auf Weißsein interessant. Die Figur Nora Dalay hat ebenso wie die sie verkörpernde Schauspielerin Aylin Tezel türkischen Migrationshintergrund, wobei es auf der Website des Senders „Das Erste“ über die „als deutsch-türkische Tochter aufgewachsen[e]“ Figur Dalay heißt: „Ihre Wurzeln und ihre Familie sind
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kein Thema mehr für sie.“19 Dalay ist damit zum einen eine Figur, die als nichtweiß gekennzeichnet ist, zum anderen aber bestrebt ist, dies möglichst in den Hintergrund zu drängen – was von ihrem Umfeld nicht immer akzeptiert wird. So wird sie beispielsweise in der Folge HYDRA (D 2015, R: Weegman) von einer Gruppe Neonazis überfallen, zu der auch Kossiks Bruder Tobias gehört. Wenn man Dalay als Person of Colour einordnet, wäre ein Kind von ihr und Kossik ebenfalls nichtweiß und stellte damit keinen wünschenswerten Nachwuchs für eine als weiß gedachte Gesellschaft dar (Kapitel 4.2.1 und Kapitel 4.2.2). Bönischs Mutterschaft wird in der Folge AUF EWIG DEIN nur einmal kurz angesprochen, ansonsten wird sie nicht thematisiert. Faber instrumentalisiert ihre Mutterschaft, wenn er versucht, Stetter damit unter Druck zu setzen, dass seine Kollegin zweifache Mutter sei und deshalb den Fall „[v]erbissen“ betrachten würde (Faber ab TC 20:02). Faber ist es auch, der anspricht, dass Bönisch verheiratet sei, als diese ihm von der Erpressung durch den Callboy erzählt: „Weiß Ihr Mann Bescheid über Ihre Freizeitgestaltung? Ruft er deshalb nicht mehr an?“ (Faber bei TC 45:27). Bönisch wird folglich als untreue Ehefrau mit starkem Sexualtrieb gezeigt und damit in einer Rolle, die sonst eher Männern vorbehalten bleibt und im Gegensatz zu dem Bild einer fürsorglichen Mutter steht. In späteren Tatort-Folgen wird die Mutterrolle der Kommissarin Bönisch eingehender thematisiert.20 Mit Bartok wird in AUF EWIG DEIN eine Mutter gezeigt, die um ihre ermordete und geschändete Tochter Marie trauert. Sie befürchtet, ihr pädophiler Expartner Stetter könnte Maries Mörder sein (Bartok bei TC 7:18). Aufgrund des Verstoßes gegen Ordnungssatz 8 erscheint das Verbrechen an ihrer Tochter als narrative Sanktion. Frau Luschek ist die Mutter von Lea Luschek, die die beste Freundin der verschwundenen Annika ist und deshalb eine Zeug*innenaussage bei der Polizei machen muss. Dabei wird Lea von ihrer Mutter unterstützt. Frau Luschek kann dabei als die sorgende und ihrer Tochter beistehende Mutter angesehen werden, womit sie am ehesten dem traditionellen Mutterbild entspricht. Bezeichnenderweise handelt es sich bei ihr um eine Figur ohne Sprechanteil.
19
http://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/kommissare/team-dortmund-faber-
20
In der Folge KOLLAPS wird Bönischs Rolle als Mutter, die sich nicht genügend um ihre
boenisch-dalay-kossik100.html. Letzter Zugriff: 28.12.2015. Kinder kümmert, ausführlich dargestellt. Ihr Mann will sich von ihr scheiden lassen und hat das alleinige Sorgerecht für die gemeinsamen Söhne beantragt und zwar mit deren Einverständnis. Dies zeigt, dass es im Tatort aus Dortmund für eine Frau auf Dauer nicht legitim ist, sich wie ein Mann zu verhalten, wenn sie gleichzeitig mit ihren Kindern zusammenleben will.
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7.6.3
Weiße Väter, weiße Vaterschaft
Analog zu den verschiedenen Typen von Müttern in AUF EWIG DEIN lassen sich in der Tatort-Folge auch verschiedene Typen von Vätern identifizieren, die teilweise eine größere und teilweise eine weniger wichtige Rolle spielen. Während der tatverdächtige Vater Erik Polatschek nur einmal sprachlich erwähnt wird und deshalb vernachlässigt werden kann, wird der bereits verstorbene, pädosexuell-sadistische Vater T. Graf immer wieder sprachlich aufgegriffen und soll deshalb hier im Hinblick auf seine Vaterschaft untersucht werden. Da M. Grafs Mutter „[f]rüh gestorben“ ist, ist M. Graf „beim Vater aufgewachsen“ (Faber bei TC 24:59). T. Graf ist als alleinerziehender Vater einzuordnen. T. Graf, der von den Ermittler*innen als „brutale[r] Mörder“ (Bönisch bei TC 49:40) und als „perverse Drecksau“ (Faber bei TC 40:40) bezeichnet wird, erscheint als Vater und Erziehungsinstanz völlig ungeeignet. Er sozialisiert seinen Sohn in seinem Sinne und leitet ihn nach seinem Vorbild dazu an, zum Mörder und Vergewaltiger von minderjährigen Mädchen zu werden. T. Graf kann damit als absoluter Un-Vater angesehen werden, dessen morbide Erziehungsmethoden (vgl. Vermutungen von Faber in der Rolle Grafs bei TC 51:11: „Ich lass zu, dass du mich dabei beobachtest, wie ich sie vergewaltige, die Mädchen. Wie ich sie töte. Bis du selbst so weit bist.“) dazu geführt haben, dass sein Sohn ebenfalls zum Vergewaltiger und Mörder wird. Dennoch behauptet Graf, dass er seinen Vater geliebt habe und deshalb Fabers Familie zerstört habe (vgl. Graf bei TC 1:14:49). Die durch den Film nahegelegte Tötung von Fabers Familie durch M. Graf hat Faber zum Witwer gemacht, der nicht nur seine Frau, sondern auch seine Tochter verloren hat. Er kann damit als ehemaliger beziehungsweise verwaister Vater betrachtet werden. An dem Tag, an dem seine Frau und Tochter starben, war Faber beruflich beschäftigt: Er ermittelte damals gegen T. Graf. Außerdem war Faber am Tag der Geburtstagsfeier seiner Tochter nicht zu Hause. Die Selbstvorwürfe, die Faber sich deshalb vermutlich macht, werden von M. Graf ausgesprochen: „Sie warn beim letzten Geburtstag Ihrer Tochter nicht zu Hause. Das muss weh tun. Ich wette, dass tut es. Jeden Tag. Wie Ihre Tochter mit dieser süßen Krone die Kerzen ausgepustet und wie Ihre Ehefrau sie in den Arm genommen hat. Dieses Glück, das die beiden in dem Moment empfanden, während Sie… irgendein Tier jagten? So wie jetzt auch. Hat sich’s gelohnt darauf zu verzichten? Auf diesen letzten großen gemeinsamen Moment? Falls es Sie tröstet: Ich hatte diesen letzten großen Moment mit meinem Vater auch nicht mehr.“ (Graf bei TC 1:03:44)
Faber war also wegen seiner Arbeit nicht bei der Geburtstagsfeier seiner Tochter dabei und hatte damit berufliche Interessen über seine Familie gestellt. Außerdem
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konnte er seine Familie nicht beschützen und hat diese durch seine Berufswahl erst in die gefährliche Situation gebracht, die letztendlich ihren Tod bedeutete. Damit lassen sich Grafs Anschuldigungen auch so interpretieren, dass Faber ein schlechter Vater war und deshalb den Tod seiner Familie mit zu verantworten hat. Graf versucht die potenziellen Schuldgefühle Fabers für sich zu nutzen und bietet ihm an, „als Buße […] [f]ür das Versagen bei Ihrer Tochter Leonie“ Suizid zu begehen und damit eines der Opfer Grafs zu retten und seinem „Leben“ dadurch „wieder einen Sinn [zu] geben“ (Graf bei TC 1:06:07). Faber lässt sich zum Schein auf dieses Angebot ein, doch es gelingt ihm, Graf Annikas Versteck zu entlocken, auch ohne vom Dach des Hochhauses zu springen. Dadurch werden die Anschuldigungen Grafs relativiert und Faber wird auf narrativer Ebene als ‚guter Vater‘ rehabilitiert, indem er ein fremdes Mädchen rettet und maßgeblich zu Grafs Verhaftung beiträgt. Stetter verkörpert als ‚pädophiler Stiefvater‘ einen weiteren Vatertyp. Nicht eindeutig geklärt werden kann, ob er kernpädophil ist und nur wegen Marie eine Beziehung mit deren Mutter eingegangen ist, oder ob er zusätzlich teleiophil ist und sich auch von erwachsenen Frauen sexuell angezogen fühlt (vgl. Kapitel 7.5.1). Weil Stetter nicht Maries leiblicher Vater ist, kann die Familie Bartok als nichtintakt betrachtet werden (Verstoß gegen OS 8). Innerhalb des Weltbildes von AUF EWIG DEIN ist eine solche Familie als dysfunktional zu betrachten und damit kann Stetters missbräuchlicher Tausch von Fotos von Marie als logische Konsequenz einer als nicht akzeptabel angesehen Verbindung interpretiert werden. Passek hingegen stellt das Gegenstück zu Stetter dar – er hat eine biologische Tochter, lebt aber nicht mehr mit der Mutter zusammen. Außerdem stellt er sich als nicht pädophil heraus. Er steht exemplarisch für den Typ Vater, der seine Familie verlässt (ebenfalls Verstoß gegen OS 8). Seine ruppige und aggressive Art lässt ihn wenig sympathisch erscheinen. Damit spiegeln die Väter in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN durchaus den Topos des Mannes in der Krise wider (vgl. Kapitel 4.2.3). Männer erscheinen als gut darin, Geld zu verdienen (Passek, Stetter) und sind erfolgreich in ihrem Beruf (Faber, ebenfalls Passek und Stetter), versagen aber dafür als Väter. Wenn sie dann zudem noch eine abweichende Sexualität aufweisen und pädophil sind, behindern sie den Erhalt der Gesellschaft, indem sie die Nachfahrinnen anderer Eltern missbrauchen und töten.
7.6.4
Weiße Kinder, weiße Kindheit
Kinder erscheinen in AUF EWIG DEIN vor allem als Opfer, besonders wenn es sich um Mädchen handelt. Sie werden als Objekte gezeigt, die durch pädophile Missbrauchstäter gefährdet sind, und nicht als aktive Akteur*innen. Lea ist das einzige Mädchen, welches außer den entführten Töchtern im Film zu sehen ist und die zu-
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dem als einzige eine – kleine – Sprechrolle hat. Bei ihrer Vernehmung im Revier wird sie von ihrer Mutter auch körperlich unterstützt, indem die Mutter ihr beruhigend die Arme auf die Schultern legt (TC 57:30). Die Mädchen erscheinen als unschuldig und teilweise als unverstanden von ihren Eltern – so mag Annika Pferde, „[a]ber ihre Eltern sagen, das kann sie sich abschminken“ (Lea bei TC 57:57). Dies stellt den Auslöser dafür da, dass Kevin alias M. Graf als angeblicher Pferdeliebhaber eine Möglichkeit findet, um Annika zu entführen. Die Namen der drei entführten Mädchen (Marie, Lisa, Annika) können alle als moderne Varianten christlicher Namen (Maria, Elisabeth, Anna) angesehen werden und somit als christlich-weiße Werte widerspiegelnde Namen. Im Tod gehen die weißen Mädchen komplett im Weißsein auf (Dyer 1988: 44; vgl. auch Kapitel 3.2.1.3 sowie Kapitel 7.5.2). Weiße Kinder sind die Zukunftssicherung der weißen Gesellschaft und so können ihr Missbrauch und ihre Tötung auch als Angriff auf die weiße Gemeinschaft als solche angesehen werden. Die Wichtigkeit des Weißseins der Mädchen zeigt sich auch daran, dass die Schauspielerin Leonie Potthoff, die Lea spielt, „[i]n der Maske […] dann ordentlich Make-up [bekam], da sie zu dunkelhäutig sei“ (Gerber 2014). Einen besonderen Fall stellt M. Graf dar, der im Film zwar als 29-jähriger und damit volljähriger Mann auftritt, dessen Jugend und Sozialisation durch den zu Morden fähigen Vater jedoch immer wieder sprachlich aufgegriffen wird. Er wurde ebenfalls als Jugendlicher nicht als Persönlichkeit ernst genommen, weshalb er – fälschlicherweise – nicht verdächtigt worden ist, an den Vergewaltigungen und Morden seines Vaters beteiligt gewesen zu sein: „Der hat das nicht erst mit 14 erfahren. Der Junge hatte damals ausgesagt, dass er nix von allem wusste und wir haben ihm geglaubt, weil wir ihm glauben wollten. Aber nur, weil sich damals keiner vorstellen konnte, wie nen Kind in so ner Umgebung aufwächst.“ (Faber bei TC 49:47). Wegen der Annahme, dass Kinder per se unschuldig sind, waren die Ermittler*innen fälschlicherweise auch bei Graf davon ausgegangen, dass er wegen seiner Minderjährigkeit kein Täter sein könne.
7.7
Z WISCHENFAZIT
ZU
AUF EWIG D EIN
Die anhand der Analyse von AUF EWIG DEIN erbrachten Ergebnisse ermöglichen es, die aufgestellten Hypothesen (Übersicht siehe Kapitel 5.3) zu überprüfen. Während H 4 eine methodische Annahme ist, beschreiben die übrigen Hypothesen inhaltliche Aspekte. Im Folgenden werden zunächst die inhaltlichen Hypothesen (H 1, H 2, H 3 und H 5) mit den Analyseergebnissen abgeglichen (Kapitel 7.7.1), bevor die methodische Hypothese (H 4) ebenfalls überprüft wird (Kapitel 7.7.2).
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7.7.1
EWIG
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Inhaltliche Erkenntnisse
Hypothese 1 besagt, dass Pädophilie in Medienbeiträgen als Angriff auf die weiße Kernfamilie und damit auf die weiße Gesellschaft in ihrer Gesamtheit inszeniert wird. In der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN lassen sich einige Anhaltspunkte finden, die Hypothese 1 bestätigen. So wird mit M. Graf eine Figur gezeigt, die aufgrund ihrer sadistischen und vermutlich pädophilen Veranlagung die Existenz der weißen Kernfamilie bedroht, indem er den Nachwuchs weißer Eltern missbraucht und tötet (vgl. Kapitel 7.6.3). Da die weiße Kernfamilie konstitutiv für den Erhalt der weißen Gesellschaft ist, stellt die Tötung der Mädchen nicht nur einen Angriff auf die weiße Kernfamilie dar, sondern kann auch als Bedrohung der weißen Gesellschaft selbst angesehen werden (vgl. Kapitel 7.4.4 und Kapitel 7.6.4). Der pädophile Missbrauchstäter verkörpert damit tatsächlich den unsichtbaren inneren Feind (vgl. Kapitel 4.1.3 und Chenier 2010: 36), der nicht äußerlich erkennbar ist und der abgesehen von seiner sexuellen Neigung dem Normmenschen sehr ähnelt. Hypothese 1 kann somit durch die Analyse der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN plausibilisiert werden, wobei Pädophile deshalb eine Gefahr darstellen, weil ihnen ein zwanghafter Trieb, ihre Sexualität auszuleben und dabei Missbrauch an kleinen Mädchen zu begehen, unterstellt wird. Hypothese 2 besagt, dass Pädophilie in Medienbeiträgen als (krankhafter) Auswuchs sich verändernder Familienformen respektive der Auflösung der Kernfamilie inszeniert wird. Insbesondere die Darstellung der Familienverhältnisse von M. Graf bestätigen Hypothese 2. Ausführlich wird im Film dargestellt, wie es dadurch, dass M. Graf wegen des frühen Tods seiner Mutter alleine bei einem als krank und pervers präsentierten Vater aufwuchs, dazu kommen konnte, dass auch M. Graf selbst zu einem pädosexuellen Mörder wird (vgl. Kapitel 7.2.3). M. Graf kam also aus einer nicht-intakten Kernfamilie und hat sich aufgrund der Sozialisation durch den Vater und des fehlenden Einflusses seiner Mutter negativ entwickelt. Mit Stetter gibt es eine zweite als pädophil gekennzeichnete Figur in AUF EWIG DEIN, die Hypothese 2 stützt. Über Stetters Kindheit und Jugend erfährt die Zuschauer*in zwar nichts, aber seine Position als Stiefvater – also eine Position, die nicht originär Teil der Kernfamilie ist, sondern auf sich verändernde Familienformen zurückzuführen ist – ermöglicht ihm den Missbrauch durch den Tausch von Fotos von Marie und so kann auch die Figur Stetter als krankhafter Auswuchs der Auflösung der Kernfamilie verstanden werden. Zwischen dem weißen Haupttäter M. Graf und den weißen minderjährigen Opfern wird eine binäre Opposition aufgebaut: Graf ist aktiv, die Mädchen sind passiv; Graf ist lebendig, die Mädchen sind tot (Marie, Lisa) oder verharren in Schockstarre (Annika); Graf ist schuldig, die Mädchen sind unschuldig; Graf ist sexuell, die Mädchen sind asexuell; Graf ist erwachsen, die Mädchen sind noch vorpubertär;
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Graf bekommt die umfassende Möglichkeit, seine Position sprachlich zu verdeutlichen, die von ihm entführten Mädchen kommen nicht zu Wort; Graf wird als gerissen gezeigt, denn die Polizei kann ihm nichts nachweisen, die Mädchen sind naiv und Annika geht freiwillig mit dem angeblichen Pferderetter Kevin alias Graf mit. Durch diese oppositionelle Darstellung werden zwei Pole konstruiert, wobei am einen Ende grausame pädophile Triebtäter stehen und am anderen die unschuldigen Mädchen. Damit kann auch Hypothese 3 als zutreffend angesehen werden, da durch die Binarität von Pädophilen und weißen Kindern die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit aufrechterhalten wird, wodurch das Ideal der weißen Kernfamilie gestützt wird. Hypothese 5, in der es darum geht, dass die vorherigen Hypothesen (inklusive H 4), wenn sie sich bestätigen, den Machterhalt des Normmenschen und damit soziale Ungleichheiten festigen, kann nur in Bezug auf die Mediendarstellung und nicht auf die ‚Realwelt‘ überprüft werden. Chefermittler Faber wurde als dominanteste Figur in AUF EWIG DEIN identifiziert (vgl. Kapitel 7.4) und mit ihm ein Individuum, das nahe am Normmenschen positioniert ist. Der als sexuell abweichend dargestellte M. Graf wurde als sein direkter Kontrahent eingeführt (vgl. Kapitel 7.4.2) und Fabers ‚Sieg‘ über Graf bietet ihm die Möglichkeit, sich zu profilieren. Andererseits gelang es Graf auch, Faber zu schaden, und so stellt Fabers Sieg keinen vollkommenen Triumph dar. Unter anderem anhand der Nebenfiguren Passek und Bartok konnte gezeigt werden, dass der Film tendenziell ein patriarchalen Werten verpflichtetes Weltbild festigt, indem er den Vater Passek aktiv in führender beruflicher Tätigkeit zeigt, die Mutter Bartok hingegen eher passiv im Privatraum. Konstruktionen wie diese können dazu beitragen, die Macht des Normmenschen zu vergrößern und Ungleichheiten zu verstärken. Insgesamt lässt sich Hypothese 5 im Hinblick auf die Analyseergebnisse der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN dennoch nicht eindeutig belegen, auch wenn es einige Hinweise für die Plausibilität der These gibt. Die Zentralität des Themas Pädophilie innerhalb der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN, die sich auch bereits daran zeigt, dass der zentrale Ordnungssatz (OS 1) mit Pädophilie zu tun hat, hat es ermöglicht, für die Hypothesen 1, 2 und 3 ein eindeutiges positives Ergebnis zu erbringen, denn diese Hypothesen konnten alle plausibilisiert werden. Insgesamt wird in AUF EWIG DEIN ein düsteres Weltbild gezeichnet, das der deutschen weißen Gesellschaft keine verheißungsvolle Zukunft verspricht. Pervertierte Sexualität und das Fehlen von zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Erwachsenen, die gemeinsame Kinder haben, werden dabei als die Faktoren ausgemacht, die zum Verstoß gegen die Regeln der Ordnung des Films führen und zudem die Existenz der weißen Gesellschaft als solche bedrohen. Wenn weiße Familien nicht mehr intakt sind, das heißt die leiblichen Eltern nicht mehr gemeinsam ihre Kinder erziehen, dann besteht für die weiße Gesellschaft keine Zukunft – so wird es in AUF EWIG DEIN gezeigt. Am Ende kann von den drei entführten Mäd-
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A UF
EWIG
DEIN
| 257
chen noch eines lebendig gefunden werden, Kommissarin Dalay hingegen entschließt sich dazu – im Film direkt im Anschluss an die Rettung der noch lebenden Annika –, ihr ungeborenes Kind abzutreiben.
7.7.2
Methodische Erkenntnisse
Hypothese 4 formuliert eine methodische Annahme, welche im Folgenden überprüft werden soll. Sie besagt, dass juristisch erlaubte beziehungsweise politisch zu befürwortende Verhaltensweisen, die gesellschaftlich tendenziell negativ bewertet werden, eher narrativ als explizit sanktioniert werden. Dieser Sachverhalt ist vor allem in Bezug auf die Ordnungssätze 8 und 9 zur intakten Familie gegeben sowie in Bezug auf die Ordnungssätze 12 und 13 zu männlicher Prostitution. So gibt es in der ‚Realwelt‘ kein gesetzliches Verbot für Eltern, sich zu trennen, und alleinerziehende Elternteile können staatliche Unterstützung beantragen. Auch in Bezug auf die Prostitution von Männern gibt es keine juristischen Einschränkungen gegenüber Frauen, weder was die Ausübung des Berufs durch Männer noch die Inanspruchnahme der Dienstleistungen durch Frauen angeht. Aus einer ‚politisch korrekten‘ Perspektive dürfte es also weder für getrennte Eltern noch für männliche Prostituierte und deren weibliche Kundinnen zu Sanktionen kommen. Doch die Gesetzeslage und politische Position müssen nicht zwingend die moralische Bewertung durch die Öffentlichkeit widerspiegeln. Gerade in Bezug auf Familien kann angenommen werden, dass ein großer Teil der Bevölkerung weiter davon ausgeht, dass Kinder nur in (weißen) ‚intakten‘ Familien ohne Schaden zu nehmen aufwachsen können. Männliche Prostitution hingegen passt nicht zu einem patriarchal orientierten Weltbild, in welchem sexuelle Dienstleistungen nur vom als ‚schwach‘ gedachten Geschlecht am als ‚stark‘ antizipierten Geschlecht ausgeführt werden dürfen. Im Falle der die Familie betreffenden Ordnungssätze (OS 8: Verbot der Trennung von Eltern; OS 9: Kinder getrennter Eltern werden geschädigt) hat die Analyse ergeben, dass es bei Verstößen, wie angenommen, zu einer narrativen Sanktion kommt. Dieses Ergebnis wird weiter gesichert, weil es innerhalb der Narration zu einer Dopplung kommt: In zwei Fällen werden die Mädchen entführt und getötet, wenn sich ihre (leiblichen) Eltern getrennt haben. Die Drastik des Ausmaßes der Strafe verweist dabei auf die Wichtigkeit der Ordnungssätze im Weltbild der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN. Die Ordnungswiederherstellung im Rahmen der beiden Ordnungssätze stützt demnach Hypothese 4. Die Analyse des Ordnungssatzes 12 (Verbot der Prostitution von Männern) und des Ordnungssatzes 13 (Verbot für Frauen mit männlichen Prostituierten zu verkehren) liefert hingegen ein weniger eindeutiges Ergebnis in Bezug auf Hypothese 4. Die Figur (Kelling), die gegen Ordnungssatz 12 verstößt, erfährt eine Bestrafung im Zuge eines anderen, juristisch eindeutigen Vergehens (Drogenhandel). Diese Art
258 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
der indirekten Bestrafung wurde in AUF EWIG DEIN auch in anderen Fällen nachgewiesen (so bei Graf und Stetter in Bezug auf OS 2, vgl. Kapitel 7.3.2). Die Ordnungswiederherstellung wegen des Verstoßes gegen Ordnungssatz 13 durch die weibliche Ermittlerin Bönisch geschieht zum einen anhand der negativen Bewertung des Prostitutionsbesuchs von Frauen allgemein durch einen ihrer Kollegen und zum anderen anhand einer Variante der narrativen Sanktion. Diese besteht in einem Erpressungsversuch, der zwar nicht zur Aufdeckung des sexuellen Verhältnisses führt, aber aufgrund des psychischen Drucks, den er auslöst, dennoch als indirekte Bestrafung aufgefasst werden kann. Damit kann aufgrund der Analyseergebnisse Hypothese 4 plausibilisiert werden, wobei neben der narrativen Sanktion noch ein weiterer Mechanismus identifiziert wurde, der ebenfalls benutzt wird, um den Transport sozialer Normen zu verschleiern. Dieser besteht in der Bestrafung von Vergehen gegen soziale Normen anhand der Bestrafung für Vergehen der gleichen Person gegen juristische Normen. Damit lässt sich als Ergebnis entsprechend festhalten: Verhaltensweisen von Figuren, die gesetzlich erlaubt sind beziehungsweise aus einer politisch korrekten Position zu befürworten/akzeptieren sind, die aber voraussichtlich in der Mehrheitsgesellschaft konsensuell negativ bewertet werden, werden in Medienbeiträgen wie der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN eher indirekt als explizit sanktioniert, beispielsweise durch eine narrative Sanktion oder durch die Bestrafung von sozialen Vergehen anhand von ebenfalls durch die gleiche Figur getätigten juristischen Vergehen.
8
Analyse der Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM
8.1
I NHALTSANGABE
UND
F IGURENKONSTELLATION
Der vom Saarländischen Rundfunk produzierte Tatort ADAMS ALPTRAUM wurde am 26. Januar 2014 erstausgestrahlt. Es ist der dritte Fall des seit 2013 in Saarbrücken ermittelnden Teams um Hauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow). In dieser Folge haben es Stellbrink und seine Kollegin Lisa Marx (Elisabeth Brück) mit einem Fall von Selbstjustiz zu tun: Der ehrenamtliche Schwimmtrainer Sven Haasberger (Markus Hoffmann) wird von einer Horde vermummter Gestalten derart getreten, dass er ins Koma fällt. Grund für den Flashmob ist, dass Haasberger angeblich über einen Chat im Internet sexuelle Kontakte zu minderjährigen Jungen gesucht hat. Haasbergers Verlobte Maren Tilly (Julia Schneider) hat selbst einen Sohn im entsprechenden Alter und befürchtet zunächst, Haasberger könnte diesen missbraucht haben. Ein Gespräch mit ihrem Sohn beweist aber schnell das Gegenteil. Die Eltern der Kinder, die bei Haasberger im Schwimmtraining waren, zeigen sich besorgt. Bert Kaarweiler (Johannes Quester), der Vater von Finn (Daniel Neu), einem Jungen mit Trisomie 21, zeigt Haasberger an, weil dieser Finn angeblich sexuell missbraucht hat. Stellbrink findet mit seinen psychologischen Kenntnissen und seiner empathischen Art heraus, dass Finns Aussage nicht stimmt. Im Lauf der Ermittlungen stellt sich schließlich heraus, dass Haasbergers adoleszente Tochter Anna (Inga Lessmann) im Namen ihres Vaters unter dem Nicknamen ‚Adam‘ den Chat geführt hat. Anna hatte sich vernachlässigt gefühlt, weil Haasberger sie und ihre alkoholkranke Mutter Claudia (Barbara Ullmann) verlassen hatte. Jonas (Jonas Schlagowsky) und Ben (Iason Becker), die beiden Söhne der Staatssekretärin Barbara Seitz-Ehrmann (Mélanie Fouché), hatten mit ‚Adam‘ alias Anna gechattet und Jonas hat schließlich den Lynchflashmob über ein Internetforum mit Pädophilie-Gegner*innen initiiert. Haasberger stirbt im Krankenhaus. Stellbrink, Marx und der Kriminaltechniker Horst Jordan (Hartmut Volle) stellen den im Netz organisierten Pädophiliegegner*innen eine Falle: Stellbrink gibt sich
260 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
als Pädophiler aus. Bei dem wie erhofft einsetzenden Flashmob gegen ihn werden die Täter*innen festgenommen. Die folgende Figurenaufstellung1 gibt eine Übersicht über die Verhältnisse der verschiedenen Figuren zueinander, einschließlich der mit virtuellen Identitäten geführten Beziehungen: Schaubild 5: Figurenkonstellation in ADAMS ALPTRAUM
1
Zur Methodik der Visualisierung von Figurenkonstellationen siehe Krah (2006: 361-363; vgl. auch Kapitel 5.3).
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
8.2
| 261
R EKONSTRUKTION VON O RDNUNG UND E REIGNISSEN
Um die Ordnung und die ordnungsstörenden Ereignisse in ADAMS ALPTRAUM untersuchen zu können, werden zunächst die Ordnungssätze rekonstruiert und zwar sowohl in ihrer formallogischen Formulierung als auch in Form von Geboten beziehungsweise Verboten. Im Zuge der Herleitung der Ordnungssätze wird darauf eingegangen, ob diese Partikular- oder Allgemeinnormen darstellen, reziprok sind oder nicht und wer die Ordnungssätze in welcher Funktion – als Normsetzer*in, Normhüter*in oder Normsender*in – etabliert (Kapitel 8.2.1). Anschließend wird der zentrale Ordnungssatz bestimmt und die in der Tatort-Folge auftretenden Ordnungsverletzungen sowie die Art der Ordnungswiederherstellung werden analysiert (Kapitel 8.2.2).
8.2.1
Rekonstruktion der Ordnung
Wie in der formallogischen Schreibweise üblich (vgl. Kapitel 5.2.1), wird einem Ordnungssatz immer vorangestellt, für wen er gilt. Er kann entweder für eine Person gelten (‚für alle x gilt‘) oder ein Verhältnis von zwei Personen zueinander festlegen (‚für alle x und alle y gilt‘). Dabei wird für jeden Ordnungssatz neu bestimmt, wer mit x beziehungsweise mit x und y gemeint ist. Folgende Ordnungssätze sind Teil der Ordnung in der Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM:
262 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 16: Ordnungssätze in ADAMS ALPTRAUM Nr. OS 1
Inhalt – formallogisch
Inhalt – Gebot/Verbot
Thema
Für alle x und alle y gilt:
Man darf sich als
Pädophilie/
Wenn x ein Erwachsener ist
Erwachsener Kindern
Sexueller
und y ein Kind, dürfen sich x
nicht sexuell annähern.
Missbrauch
Selbstjustiz
und y nicht sexuell annähern. OS 2
Für alle x und alle y gilt:
Man darf andere nicht
Wenn y ein Verbrechen be-
bestrafen, außer man gehört
gangen hat, dann darf x y
zum Polizei-/Justizapparat.
nicht selbst bestrafen, außer x ist ein Angehörige*r des Polizei-/Justizapparates. OS 3
Für alle x und alle y gilt:
Man darf Internetidentitäten
Gefahren des
Wenn y eine Internetidentität
nicht trauen.
Internets
Man darf andere Menschen
Verleumdung
Wenn y ein Mensch ist, dann
nicht verleumden,
und Familie
darf x y nicht verleumden,
insbesondere nicht
insbesondere nicht, wenn x
seine Eltern.
ist, dann darf x y nicht trauen. OS 4
Für alle x und alle y gilt:
das Kind von y ist. OS 5
OS 6
Für alle x gilt: Wenn x eine
Man darf als Mutter nicht
Familie und
Mutter ist und viel arbeitet,
viel arbeiten, sondern man
Rolle der Frau
kann sich x nicht ordentlich
muss sich ordentlich um sei-
um ihre Kinder kümmern.
ne Kinder kümmern.
Für alle x gilt: Wenn x ein
Man muss sich als Vater um
Familie und
Vater ist, dann darf er sein
seine Kinder und seine Frau
Rolle des
Kind und seine Frau nicht
kümmern und darf diese
Mannes
vernachlässigen und diese
nicht verlassen.
nicht verlassen.
Ordnungssatz 1 ergibt sich aus dem Verhalten aller in ADAMS ALPTRAUM auftretenden Figuren und beschreibt eine Allgemeinnorm, die nicht in Frage gestellt wird. So sind sich beispielsweise Stellbrink und Marx lediglich uneinig, ob Sven Haasberger ein pädophiler Missbrauchstäter gewesen sein könnte oder nicht (vgl. Sequenz 21). Jedoch besteht kein Zweifel darüber, dass beide sexualisierte Gewalt ge-
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 263
genüber Kindern ablehnen, mit Schuld gleichsetzen und auf eine pädophile Neigung zurückführen. So nimmt Marx öfter die Position ein, dass Haasberger pädophil gewesen sein könnte, etwa wenn sie fragt: „Was, wenn der aufopferungsvolle Ehrenamtler mit der Heirat eigentlich nur seinen pädophilen Neigungen nachgehen möchte und er vielleicht sogar nur heiratet, um an den Sohn der Braut ranzukommen.“ (Marx bei TC 23:27). Auch Jordan nennt das Chatprotokoll „Schweinkram“ (TC 24:23) und sieht sich nicht in der Lage, es Stellbrink vorzulesen. Am extremsten findet sich die Ablehnung von Pädophilie und Missbrauch in der Perspektive der Flashmobber*innen, die Haasberger ins Koma schlagen und aktiv gegen die „pädophilen Schweine“ (Jonas bei TC 1:07:37) vorgehen. Neben dem tätlichen Angriff auf Haasberger sprayen sie den Schriftzug „Kinderficker“ sowohl auf Haasbergers Auto (TC 11:38) als auch auf das Wohnzimmerfenster seiner Lebensgefährtin (TC 27:02).2 Während alle diese Figuren als Normsender*innen fungieren, kommt den Ermittler*innen darüber hinaus die Aufgabe zu, die Einhaltung von Ordnungssatz 1 als Normhüter*innen zu überwachen. Inwiefern sie dieser Pflicht nachkommen, kann in ADAMS ALPTRAUM nicht geklärt werden, da es keine pädosexuelle Straftat gibt. Allerdings weist Jonas stellvertretend für die Selbstjustiz ausübenden Pädophiliegegner*innen darauf hin, dass die Polizei und der Justizapparat dem Problem nicht gewachsen sind: „Ihr kriegt diese pädophilen Schweine nicht. Und wenn schon, was macht ihr dann mit denen? Nix. Gar nix. Die kriegen höchstens Mal nen Account gesperrt. Fertig. Aber dann machen die eben woanders weiter.“ (Jonas bei TC 1:07:37). Es ist also nicht hinterfragter Konsens innerhalb des Weltbildes von ADAMS ALPTRAUM, dass sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern tabu sind. Nur wie diese bestraft werden sollen, wird verhandelt. Die Schwere des Verbrechens zeigt sich auch daran, dass eine potenzielle Täter*in nicht mehr zu ihrem ‚normalen‘ Leben zurückkehren kann, auch wenn sie sich als unschuldig erweist. So sagt Jordan über den verleumdeten Haasberger: „Selbst wenn es Sven Haasberger gelungen wäre, seine Unschuld zu beweisen. Tss, irgendwas wär hängengeblieben. […] Der hätte nie wieder als Jugendtrainer arbeiten können.“ (Jordan bei TC 1:23:58). Ordnungssatz 2 verbietet Selbstjustiz und ist auf folgende explizite Äußerung Stellbrinks zurückzuführen: „Jetzt keine Selbstjustiz. Das können wir jetzt echt nicht gebrauchen. Da sind wir nicht besser als die.“ (TC 22:42). Stellbrink fungiert hier als Normhüter, denn er verbalisiert die als gültig vorausgesetzte Norm nicht 2
Dass Haasberger ehrenamtlich als Schwimmlehrer kleine Jungen trainiert, kann dabei als dramaturgischer Kniff verstanden werden. Denn seine Tätigkeit legt den Zuschauer*innen nahe, Haasberger könnte tatsächlich pädophile Neigungen haben und sich deshalb in Räumen bewegen, wo Kinder aufgrund ihrer Badekleidung exponiert und verletzlich erscheinen.
264 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
nur, sondern verteidigt sie auch, beispielsweise indem er versucht, Anna von Selbstjustiz abzuhalten. Ordnungssatz 2 wird außerdem dadurch verstärkt, dass die Ermittler*innen mit Erfolg die „Meute von gewaltbereiten Selbstjustizlern“ (Stellbrink bei TC 1:04:04) ausfindig machen und vor Gericht bringen. Anna und die Flashmobber*innen stellen Ordnungssatz 2 in ADAMS ALPTRAUM zwar durch ihr Verhalten in Frage, indem sie Selbstjustiz ausüben beziehungsweise es versuchen. Doch sowohl die meisten Totschläger*innen aus der Flashmobgruppe als auch Anna werden überführt, was zeigt, dass Ordnungssatz 2 durch sie nicht dauerhaft in Frage gestellt wird. Während Privatpersonen andere Menschen nicht selbst bestrafen dürfen, sind der Polizei- beziehungsweise der Justizapparat dazu legitimiert, Straftäter*innen festzunehmen und zu sanktionieren. Ordnungssatz 2 enthält somit eine Ausnahmeregelung und damit eine partikulare Ergänzung. Diese mit den Vorschriften in der ‚Realwelt‘ korrespondierende Regelung wird in der Tatort-Folge dadurch gezeigt, dass der Polizei innerhalb des Narrativs (sowie innerhalb der Tatort-Reihe insgesamt), die Aufgabe zukommt, Straftäter*innen zu ermitteln und festzunehmen. Ordnungssatz 3 besagt, dass man Identitäten im Internet nicht trauen darf. Er ist allgemein gültig und beschreibt damit eine Allgemeinnorm. Der Ordnungssatz ergibt sich durch den Handlungsverlauf, da alle Figuren in ADAMS ALPTRAUM, die Internetidentitäten trauen, einerseits falsch mit ihrer Vermutung liegen, mit wem sie chatten,3 und ihre Aktivitäten im Internet andererseits schwerwiegende Folgen haben, die sie selbst so nicht herbeiführen wollten: Annas Verleumdung ihres Vaters sowie Jonas’ Hetze führen zum Tod des unschuldigen Haasbergers. Diese ungewollten Konsequenzen und die moralische Schuld, die Anna und Jonas damit auf sich laden, kann als eine Spielart narrativer Sanktion interpretiert werden. Explizit bestraft für ihre Mitschuld an Haasbergers Tod werden Jonas und Anna hingegen nicht. Als Variante narrativer Sanktion kann Ordnungssatz 3 somit auf die Erzählinstanz zurückgeführt werden. Verbal bekräftigt wird Ordnungssatz 3 von Stellbrink, der Ben verdeutlicht, dass sich im Internet hinter einem Profil nicht immer die Person verbergen muss, die diese vorgibt, zu sein: Ben:
Stellbrink:
3
Dieser Adam hat meinem Bruder mal ein Bild von sich geschickt. Und er hat auch erzählt, in welchem Schwimmverein er trainiert. Er war’s doch. Mhm. Naja, weißt du, man kann so ein Bild losschicken und sagen, das bin ich. Es hätte aber auch jemand anders sein können, meinst du nicht? (TC 1:05:26 – TC 1:05:43)
Anna denkt sie chattet mit Ben, dabei ist es Jonas; Jonas denkt er chattet mit ‚Adam‘ alias Haasberger, dabei ist es Anna.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 265
Die Erzählinstanz und Stellbrink fungieren in Bezug auf Ordnungssatz 3 als Normsetzer*innen. Ordnungssatz 4 drückt aus, dass man niemanden verleumden darf, vor allem nicht seine Eltern (Allgemeinnorm mit partikularer Verstärkung). Dies wird anhand von Anna gezeigt, die ihren Vater in Verruf bringt und dadurch ungewollt dessen Tötung auslöst, was – analog zu Ordnungssatz 3 – als eine implizite Sanktion angesehen und damit der Erzählinstanz zugeschrieben werden kann. Der Ordnungssatz wird durch eine Strafpredigt Stellbrinks an Anna verdeutlicht: „Du musst natürlich mit ner Anzeige wegen vorsätzlicher Verleumdung rechnen. Aber viel schlimmer ist doch… Wie willst du denn den Rest deines Lebens mit dieser Schuld leben? Du hast dein ganzes Leben noch vor dir.“ (Stellbrink bei TC 1:22:05). Stellbrink fungiert hier als Normsender, denn er verbalisiert die als Allgemeingut zu betrachtende Norm lediglich und etabliert sie nicht grundsätzlich. Zudem handelt es sich um eine soziale Norm, die er – zumindest in dieser Tatort-Folge – nicht schützen kann, weshalb er Annas Verhalten erst im Rückblick negativ bewerten und moralisch verwerfen, aber nicht verhindern kann. Auch Jonas denunziert Haasberger im Internet, allerdings wird eine mögliche Sanktion hier nicht konkretisiert. Es ist davon auszugehen, dass dieser zusätzlich zur Verleumdung wegen „so eine[r] Art passive[r] Mittäterschaft“ (Stellbrink bei TC 41:59) am tätlichen Angriff auf Haasberger verurteilt werden wird. Ordnungssatz 5 beschreibt eine Partikularnorm, bei der es expliziter als bei Ordnungssatz 4 um die Familie geht. Er definiert die Rolle der Frau innerhalb der Kernfamilie. Ordnungssatz 5 besagt, dass man nicht zu viel arbeiten darf, um sich als Mutter ‚richtig‘ um seine Kinder kümmern zu können. Dieser Ordnungssatz kann anhand einer narrativen Sanktion von Staatssekretärin Barbara Seitz-Ehrmann rekonstruiert werden, welche die Erziehungsaufgaben ihres minderjährigen Sohns Ben gegen Bezahlung eines Honorars an den älteren Sohn Jonas überträgt. Die narrative Sanktion besteht darin, dass die beiden Söhne von Seitz-Ehrmann verschwinden. Sie wird dadurch verdeutlicht, dass genau in dem Moment ihr jüngerer Sohn wieder auftaucht, in welchem Seitz-Ehrmann zusammenbricht und voller Verzweiflung ihren Mann anruft, der sich gerade auf einer Auslandsreise befindet (vgl. Kapitel 8.6, Screensho 42 und Screenshot 43). Wie bei narrativen Sanktionen üblich, können diese auf die Erzählinstanz zurückgeführt werden (vgl. Kapitel 7.2.2), womit die Frage nach der Reziprozität für Ordnungssatz 5 nicht beantwortet werden kann.4 Zugleich wird der Ordnungssatz darüber transportiert, dass Stellbrink sich zu verschiedenen Zeitpunkten implizit erstaunt und abwertend gegenüber Seitz4
Ordnungssätze sind dann reziprok, wenn sie für die Figur, die den Ordnungssatz formuliert, ebenso gültig sind wie für die anderen Adressat*innen. Deshalb kann bei Ordnungssätzen, die durch die Erzählinstanz aufgestellt werden, nicht zwischen reziproken und nicht-reziproken Ordnungssätzen unterschieden werden.
266 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Ehrmanns Verhalten als Mutter zeigt, so beispielsweise, wenn diese ihm sagt, dass sie nicht wisse, wo sich ihr Sohn am Vortag aufgehalten habe: Stellbrink: Seitz-Ehrmann: Stellbrink:
Wissen Sie, wo Ben gestern Nachmittag war? Nein. Aha. (TC 34:42 – TC 34:45)
Kurz danach fragt Stellbrink nach, wer sich um Ben kümmere, solange seine Mutter auf Dienstreise in Berlin sei: Stellbrink: Seitz-Ehrmann: Stellbrink:
Und wer kümmert sich um Ben? Der Junge ist doch erst zwölf. Wir zahlen Jonas, dem Älteren, ein Honorar, damit er sich um Ben kümmert. Ein Honorar, so kann man es natürlich auch machen. (TC 35:11 – TC 35:20)
Diese und weitere thematisch ähnlich gelagerte Kommentare Stellbrinks sind eher unterschwellig und können damit als Unterstützung der Erzählinstanz angesehen werden, die Ordnungssatz 5 als Normsetzerin etabliert. In der Tatort-Folge werden keine alternativen Modelle dargestellt, wie beispielsweise Mütter, die trotz eines hohen beruflichen Arbeitspensums erfolgreich sind in der Kindererziehung oder Väter, die die ‚traditionellen‘ Mutteraufgaben hauptamtlich übernehmen,5 womit der Ordnungssatz 5 hier nicht in Frage gestellt wird. Ordnungssatz 6 bezieht sich nun auf die Rolle des Vaters innerhalb der Kernfamilie und stellt damit ebenfalls eine Partikularnorm dar. Er kann aus Annas Motiv für die Rufschädigung an ihrem Vater erschlossen werden, denn Anna gibt als Begründung für ihre Verleumdung an, dass Haasberger „immer für die anderen Kinder da“ gewesen sei und nie für sie: „Dann hat er uns auch noch verlassen. Mama hat echt schwer gesoffen, okay, aber trotzdem.“ (Anna bei TC 1:22:42). Damit stellt Anna einen Kausalzusammenhang her zwischen ihrem Verhalten, das schlussendlich zum Tod Haasbergers führt, und dessen Entschluss, seine Tochter und Ehefrau zu verlassen. Anna behauptet nicht nur, dass Haasberger sie vernachlässigen würde, sondern dies wird zudem im Film vorgeführt. So zeigt Haasberger sich überrascht, als Anna ihn vom Schwimmbad abholt (Sequenz 2) und verabschiedet sich nach der Preisverleihung direkt von ihr, weil er eigene Pläne hat (vgl. Sequenz 4).6 Anna 5
Unklar bleibt, inwieweit der Vater Kaarweiler die Erziehung seines Sohns alleine leis-
6
Vergleich hierzu auch Screenshot 34 bis Screenshot 39, die visuell verdeutlichen, wie
tet (vgl. Kapitel 8.6). Anna durch eine Glaswand abgetrennt einsam auf ihren Vater wartet, der sich um Kinder kümmert, die nicht seine eigenen sind.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 267
versucht hier, eine nicht-reziproke Norm zu setzen, wobei sie erfolgreich darin ist, Haasberger zu schädigen. Jedoch wird die physische Präsenz des Vaters im Weltbild von ADAMS ALPTRAUM weniger hoch bewertet, als dass der Vater sich um sein Kind/seine Kinder kümmert. So wird mit Stellbrink ein weiterer Vater gezeigt, der seine Familie verlassen hat. Im Gegensatz zu Haasberger widmet sich Stellbrink aber weiterhin seinem 15-jährigen Sohn Moritz, dessen Besteigung des Berges Denali in Alaska in ADAMS ALPTRAUM immer wieder thematisiert wird: Stellbrink hat eine Tafel mit dem Denali in sein Büro gestellt, wo er markiert, wo sich sein Sohn gerade befindet und führt enthusiastische Telefongespräche mit ihm. Der Film endet mit einer Sequenz, in der Stellbrink einen Anruf von Moritz bekommt, als dieser auf dem Berggipfel angekommen ist (Sequenz 120). Dass Moritz dieses Highlight der Reise mit seinem Vater teilt, verdeutlicht das gute Verhältnis der beiden zueinander. Ordnungssatz 6 wird folglich durch die Erzählinstanz modifiziert in: ‚Für alle x gilt: Wenn x ein Vater ist, dann darf er sein Kind nicht vernachlässigen.‘ Stellbrink und Haasberger können dabei als komplementäre Figuren begriffen werden, da sie in Bezug auf ihre Lebensführung (der Vater lebt von der Familie getrennt) die gleiche Grundkonstellation aufweisen, jedoch unterschiedliche Rollen bei der Ausgestaltung einnehmen. Die folgende Tabelle zeigt im Überblick auf, welche Ordnungssätze in ADAMS ALPTRAUM vorkommen, wer als Urheber*in fungiert, mit welchem Gültigkeitsanspruch und welcher tatsächlichen Gültigkeit:
OS 4
OS 3
OS 2
Figuren und
Figuren
Wird nicht in
Allgemeinnorm
Sanktion
narrativer
nicht verleumden, insbesondere
nicht, wenn x das Kind von y ist.
Frage gestellt
Stellbrink
Verstärkung
Wird nicht in Allgemeinnorm
Strafpredigt
Erzählinstanz/
Für alle x und alle y gilt: Wenn y ein Mensch ist, dann darf x y
mit partikularer
bestätigt
Sanktion
Variante
den Handlungsverlauf
Stellbrinks/
gestellt, sondern durch
rungen/ Variante narrativer
Stellbrink
eine Internetidentität ist, dann darf x y nicht trauen.
Wird nicht in Frage
Verbale Äuße-
Erzählinstanz/
Für alle x und alle y gilt: Wenn y
Allgemeinnorm
apparates
Polizei- / Justiz-
jedoch überführt
Justizapparates.
gestellt, diese werden
regelung für Angehörige des
Erzählinstanz/
regelung:
dann darf x y nicht selbst
narrativer Verlauf]
und Anna in Frage
Ausnahme-
implizit
bestrafen, außer x ist ein
Flashmobber*innen
mit partikularer
Ausnahme:
[Ausnahme-
Angehörige*r des Polizei- /
Wird von den
Allgemeinnorm
Explizit;
Stellbrink;
Aussagen
Gültigkeit
anspruch
Frage gestellt
Tatsächliche
Gültigkeits-
Für alle x und alle y gilt: Wenn y ein Verbrechen begangen hat,
Kind, dürfen sich x und y nicht sexuell annähern.
einschlägige
Verhalten der
Alle auftretenden
Für alle x und alle y gilt: Wenn x
OS 1
ein Erwachsener ist und y ein
Art
Ursprung
Inhalt
Nr.
Normsender*in
Normsetzer*in
Normhüter
Normsender*innen; Ermittler*innen: zudem Normhüter*innen
Funktion
268 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 17: Ursprung und Gültigkeit der Ordnungssätze in ADAMS ALPTRAUM sowie Funktion der jeweiligen Figur
difiziert]
OS 6 [mo-
der OS wird jedoch wegen des Positivbeispiels Stellbrinks durch die Erzähl-
Väter, nichtreziprok
Verleumdung
Modifikation
durch Erzähl-
instanz
er sein Kind nicht
vernachlässigen.
instanz modifiziert
Anna ist erfolgreich damit, ihren Vater zu schädigen,
Partikularnorm: nur gültig für
Sanktion des Vaters durch
Stellbrink
Wird nicht in Frage gestellt
Tatsächliche Gültigkeit
Für alle x gilt: Wenn x ein Vater ist, dann darf
Anna bzw.
durch Stellbrink
arbeitet, kann sich x sagen von
Mütter
implizite Aus-
Unterstützung
nicht ordentlich um ihre Kinder kümmern.
Partikularnorm: nur gültig für
Narrative Sanktion und
Erzählinstanz/
Für alle x gilt: Wenn x eine Mutter ist und viel
anspruch
OS 5
Gültigkeits-
Art
Ursprung
Inhalt
Nr.
Normsetzer*in
Anna; Modifikation durch Erzählinstanz
Normsetzung durch
Eingeschränkt erfolgreicher Versuch der
Funktion
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
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270 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
8.2.2
Der zentrale Ordnungssatz, Ereignisse und Ordnungswiederherstellung
Im Tatort ADAMS ALPTRAUM fungiert Ordnungssatz 2 ‚Für alle x gilt: Wenn y ein Verbrechen begangen hat, dann darf x y nicht selbst bestrafen.‘ als zentraler Ordnungssatz im Weltbild des Filmes. Damit hat der zentrale Ordnungssatz nichts mit Pädophilie/sexuellem Missbrauch zu tun, sondern mit Selbstjustiz. Ordnungssatz 2 stellt den Ordnungssatz dar, von welchem aus sich alle anderen Handlungsstränge entwickeln. So ist dem Thema Selbstjustiz der Ordnungssatz zu Pädophilie/Missbrauch (OS 1) untergeordnet, denn die pädophile Neigung des Totschlagopfers Haasberger hat sich dessen Tochter ausgedacht, um diesem zu schaden und sich dafür zu rächen, dass er seine Familie verlassen hat. Damit hat sie gegen Ordnungssatz 4 verstoßen, der somit ebenfalls dem zentralen Ordnungssatz unterzuordnen ist. Im Film kommt hingegen keine Figur vor, die tatsächlich pädophile Neigungen hat oder sexuelle Gewalt gegen Kinder anwendet, und sprachlich wird nicht näher auf das Thema eingegangen. Desgleichen kann Ordnungssatz 3 unter den zentralen Ordnungssatz subsumiert werden – denn das Verbot, Identitäten aus dem Internet zu trauen, bezieht sich auf den Umstand, dass es ansonsten zu Akten der Selbstjustiz mit tödlichem Ausgang kommen kann. Der Verstoß gegen Ordnungssatz 6 ist gewissermaßen der Auslöser für Annas Verleumdung, welche den Stein ins Rollen bringt und schließlich zum Tod Haasbergers führt. Ordnungssatz 6 nimmt einen wichtigen Rang ein, wird dann allerdings modifiziert, da im Film anhand von Stellbrink ein Positivbeispiel des abwesenden Vaters gezeigt wird, womit der Ordnungssatz an seiner Wirkkraft einbüßt (vgl. modifizierte Version, Tabelle 17). Ordnungssatz 5 schließlich ist weniger eng mit Ordnungssatz 2 verbunden, steht allerdings auch nicht zu diesem in Konkurrenz, da die Regelung bezüglich der Berufstätigkeit von Müttern nicht so sehr im Mittelpunkt des Geschehens steht, wie das Feld der Selbstjustiz. Die Zentralität von Ordnungssatz 2 bestätigt sich ebenso, wenn man einen Blick auf die in ADAMS ALPTRAUM vorkommenden Ereignisse und die Art der Ordnungswiederherstellung wirft. Tabelle 18 gibt einen Überblick über alle Ordnungsverletzungen der Tatort-Folge. Sowohl im Hinblick auf die Verletzung von Ordnungssatz 3 (Internetidentitäten darf man nicht trauen) als auch teilweise im Hinblick auf die Verletzung von Ordnungssatz 4 (Verleumdungsverbot) erfolgen beide Ordnungswiederherstellungen im Rahmen von Ordnungssatz 2, dessen zentrale Position hierdurch bekräftigt wird. Des Weiteren wird aus der Tabelle ersichtlich, dass es in ADAMS ALPTRAUM zu keiner Übertretung des Ordnungssatzes 1 (Pädophilie/ Missbrauch) kommt. Ordnungssatz 1 ist damit zwar Teil der sujetlosen Textschicht, trägt aber aufgrund des Fehlens eines mit ihm in Zusammenhang stehenden Ereig-
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 271
nisses nicht zur sujethaften Textschicht bei (vgl. Kapitel 5.1.2) und ist folglich auch nicht der wesentliche Ordnungssatz der Tatort-Folge. In diesem Kontext lässt sich auch das zentrale Ereignis von ADAMS ALPTRAUM identifizieren, da dieses wie üblich mit dem wichtigsten Ordnungssatz verknüpft ist. Als zentrales Ereignis kann die vermeintliche Bestrafung Haasbergers durch den sich in einem tätlichen Angriff manifestierenden Akt der Selbstjustiz durch die Flashmobber*innen angesehen werden, der durch Jonas ausgelöst und durch Anna initiiert wird. Während der Angriff Haasbergers zu Beginn des Films stattfindet, wird ein ähnliches Ereignis durch die Ermittler*innen am Ende des Films provoziert, um die Totschläger*innen festnehmen zu können. Die oberste Grenze ist hier also die von einer als zulässig betrachteten Justiz, zu welcher legitimierte staatliche Instanzen gehören, zur nicht erlaubten und damit kriminellen Selbstjustiz durch die Flashmobber*innen sowie durch Anna und Jonas. Die narrative Aussage des Textes beinhaltet demnach im Einklang mit dem zentralen Ordnungssatz, dass Selbstjustiz verboten ist.
272 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 18: Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in ADAMS ALPTRAUM Ordnungssatz (OS)
Täter*in
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
OS 1: Für alle x und
Keine OV
Keine OV
[Vermeintlich durch den Tod Haasbergers]
alle y gilt: Wenn x
[vermeint-
[vermeintlicher Miss-
ein Erwachsener ist
lich Haas-
brauch von Jungen durch Haasberger]
und y ein Kind,
berger
dürfen sich x und y
alias
nicht sexuell an-
„Adam“]
nähern./Man darf sich als Erwachsener Kindern nicht Sexuell annähern. OS 2: Für alle x und
Anna
Anna will Tot-
Strafanzeige gegen Anna
alle y gilt: Wenn y
schläger*innen ihres
wegen Verleumdung;
ein Verbrechen be-
Vaters bestrafen, greift
moralische Teilschuld am
gangen hat, dann darf
Jonas und Ben an
Tod ihres Vaters Haasberger
x y nicht selbst bestrafen, außer x ist ein Angehörige*r des
Jonas
Polizei-/Justizapparates.
Jonas hetzt Flash-
Vermutlich Anzeige von
mobber*innen gegen
Jonas wegen passiver Mit-
Haasberger auf
täterschaft; moralische Teilschuld am Tod Haasbergers
OS 3: Für alle x und
Flashmob-
Flashmobber*innen
Flashmobber*innen
ber*innen
prügeln Haasberger ins
werden wegen Totschlags
Koma/in den Tod
Haasbergers inhaftiert
Anna traut „Ben“,
OWH siehe OS 2
Anna
alle y gilt: Wenn y eine Internetidentität ist, dann darf x y
chattet aber mit Jonas Jonas
ten nicht trauen. OS 4: Für alle x und
OWH siehe OS 2
chattet aber mit Anna
nicht trauen./Man darf Internetidentitä-
Jonas traut „Adam“,
Ben
Ben traut „Adam“,
OWH siehe OS 2 (Jonas)
chattet aber mit Anna Anna
Anna verleumdet ihren
OWH durch Strafanzeige
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
Ordnungssatz (OS)
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
alle y gilt: Wenn y
Vater durch ‚pädophile
gegen Anna wegen Ver-
ein Mensch ist, dann
Chats‘ und durch An-
leumdung
darf x y nicht ver-
zeige bei der Polizei
leumden, insbesondere nicht, wenn x das
Täter*in
| 273
Jonas
Kind von y ist./Man darf andere Menschen nicht verleum-
Jonas verleumdet
OWH voraussichtlich
Haasberger im Internet
durch Strafanzeige
bei antipädophilen
gegen Jonas wegen
Flashmobber*innen
Verleumdung; zudem: OWH siehe OS 2
den, insbesondere nicht seine Eltern. OS 5: Für alle x gilt:
Seitz-
Seitz-Ehrmann macht
OWH durch narrative
Wenn x eine Mutter
Ehrmann
Karriere als Staats-
Sanktion (die beiden
ist und viel arbeitet,
sekretärin und überlässt
Söhne Seitz-Ehrmanns
kann sich x nicht or-
die Aufsicht für den
verschwinden)
dentlich um ihre Kin-
jüngeren Sohn Ben
der kümmern./Man
dem älteren Sohn Jonas
darf als Mutter nicht
gegen Bezahlung
viel arbeiten, sondern man muss sich ordentlich um seine Kinder kümmern. Haasberger verlässt
OWH durch Eliminierung
Für alle x gilt: Wenn
OS 6 [modifiziert]:
Haasberger
seine Familie und
Haasbergers und damit
x ein Vater ist, dann
kümmert sich nicht
durch eine narrative
darf er sein Kind
um Anna
Sanktion7
nicht vernachlässigen./Man muss sich als Vater um sein Kinder kümmern.
7
Da der Tod Haasbergers zwar auf konkrete Handlungen von Figuren zurückzuführen ist, aber nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände eingetreten ist, wird er hier als narrative Sanktion begriffen.
274 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
8.3
R AUMSTRUKTUREN
Ergänzend zur methodisch stärker strukturierten Rekonstruktion der Ordnungssätze sollen im Folgenden die Grenzüberschreitungen in ADAMS ALPTRAUM anhand der leichter zugänglichen und visuell darstellbaren Raumstrukturen analysiert werden. Die Grenzüberschreitungen der Figuren lassen sich dabei nicht immer eindeutig nach Vergehen gegen juristische Normen und Vergehen gegen soziale Normen unterscheiden, da die Normverstöße teilweise stark miteinander verknüpft sind. So ist die Schuldfrage am Tod Haasbergers nicht einfach zu beantworten, denn Anna, Jonas und die Flashmobber*innen trifft alle eine Teilschuld: Anna, weil sie ihren Vater verleumdet, Jonas, weil er Haasberger an die Flashmobber*innen verrät, und die Flashmobber*innen selbst, weil sie schließlich den Tod Haasbergers körperlich herbeiführen. Die starke Verknüpfung von juristischen und moralischen Vergehen ergibt sich dabei auch aus dem Umstand, dass Selbstjustiz eine Kategorie ist, die auf das Tatmotiv abzielt, die Tat selbst aber zumeist einen juristischen Normverstoß darstellt. Zunächst sollen die Ereignisse in ADAMS ALPTRAUM aus der im Film als verurteilenswert dargestellten Sicht der antipädophilen Flashmobber*innen aufgezeigt werden, bevor versucht wird, die Grenzüberschreitungen im Hinblick auf Vergehen gegen eher juristische Normen und anschließend im Hinblick auf Verstöße gegen eher soziale Normen darzustellen. Wie in den Kapiteln 8.2.1 und 8.2.2 dargelegt, gibt es keinen Regelverstoß gegen Ordnungssatz 1. Wegen Annas Akt der Verleumdung halten aber sowohl Jonas als auch die Flashmobber*innen Haasberger für einen pädosexuellen Missbrauchstäter. Aus ihrer Perspektive kommt es demnach zu einem Verstoß gegen Ordnungssatz 1, wobei sie mit dem tätlichen Angriff auf Haasberger versuchen, die vermeintlich gestörte Ordnung wiederherzustellen. Da sie von einem tatsächlichen Missbrauch ausgehen (vgl. der Schriftzug „Kinderficker“, siehe Kapitel 8.2.1), kann das angebliche Vergehen Haasbergers als Verstoß gegen eine juristische Norm (vgl. Kapitel 4.1.1 für die korrelierenden Paragraphen in der ‚Realwelt‘) angesehen werden. Durch den Angriff auf Haasberger und dessen Tod im Krankenhaus wird die Ordnung – aus Sicht der Flashmobber*innen – restituiert (vgl. Tabelle 19).
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 275
Tabelle 19: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstranges um Haasberger in ADAMS ALPTRAUM aus Sicht der Flashmobber*innen8 SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
Haasberger missbraucht Jungen.
Verstoß gegen OS 1
SB1
Haasberger wird vom Flashmob
(Teil-)Restitution OS 1
ins Koma geprügelt. SB2
Haasberger stirbt im
(Teil-)Restitution OS 1
Krankenhaus.
Da Haasberger sich im Verlaufe des Films als unschuldig herausstellt, erscheint der Angriff der Flashmobber*innen doppelt verurteilenswert, denn sie verstoßen nicht nur gegen das Verbot, Selbstjustiz zu üben, sondern ihr Opfer ist zudem eine unschuldige Person. Das Weltbild der Flashmobber*innen wird damit dekonstruiert, sie haben sich selbst in den Raum der Illegalität begeben und werden wegen Totschlags angeklagt werden (vgl. Marx bei TC 1:21:22: „Somit hätten wir fast alle Totschläger gefasst.“). Anna und Jonas begeben sich durch die Verleumdung von Haasberger wie die Flashmobber*innen in den Raum der (juristischen) Illegalität. Selbstjustiz kann damit als ein Bereich dieses Raums angesehen werden, welcher sich wiederum in verschiedenen Vergehen gegen juristische Normen manifestiert, wie eben Verleumdung und Totschlag. Das Strafmaß bleibt unklar, bei Anna erfährt die Zuschauer*in lediglich, dass diese „mit ner Anzeige wegen vorsätzlicher Verleumdung“ (Stellbrink bei TC 1:22:05) zu rechnen habe, gleiches gilt voraussichtlich für Jonas, wobei dieser zusätzlich ein passiver Mittäter ist. Da die Flashmobber*innen wegen Totschlags angeklagt werden, ist bei ihnen ein Gefängnisaufenthalt als Strafe am wahrscheinlichsten. Betrachtet man nun den Angriff auf Haasberger nicht aus Perspektive der Flashmobber*innen, sondern aus der dominanten Sicht des Films, so wird erneut deutlich, dass nahezu alle Ordnungsverstöße mit dem Thema Selbstjustiz zu tun haben:
8
Eckige Klammern verweisen auf Ereignisse, die vor der erzählten Zeit des Filmes stattgefunden haben und beispielsweise nur sprachlich vermittelt werden (vgl. Kapitel 7.3.1).
276 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 20: Alle Situationsbeschreibungen (SB) in ADAMS ALPTRAUM (ausgenommen Verstöße gegen OS 6)9 SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[0]
Haasberger hat sein leibliches
Verstoß gegen OS 6
Kind Anna vernachlässigt. SB1
Ben/Jonas chatten mit „Adam“
Verstoß gegen OS 2, OS 3 und OS 4
alias Haasberger alias Anna. Anna gibt sich dabei als pädophiler Haasberger aus. SB2
Jonas verleumdet Haasberger
Verstoß gegen OS 2 und OS 4
im Internet. SB3
Anna verleumdet Haasberger
Verstoß gegen OS 2 und OS 4
bei der Polizei. SB4
Haasberger wird vom Flashmob
Verstoß gegen OS 2
ins Koma geprügelt. SB5
Anna greift Jonas und Ben an,
Verstoß gegen OS 2
um an den Laptop zu kommen und sich an den Flashmobber*innen zu rächen. SB6
SB7
SB8
Haasberger stirbt im
Restitution OS 6 durch
Krankenhaus.
Eliminierung Haasbergers
Jonas muss voraussichtlich mit
(Teil-)Restitution OS 4 und OS 2,
einer Strafanzeige wegen
in diesem Zuge auch
Verleumdung rechnen.
(Teil-)Restitution von OS 3
Die Flashmobber*innen werden
(Teil-)Restitution OS 2
festgenommen und wegen Totschlags angeklagt. SB9
9
Anna muss mit einer Straf-
(Teil-)Restitution OS 4 und OS 2,
Gegen die Ordnungssätze 1 und 3 gibt es in ADAMS ALPTRAUM keine Verstöße, vergleiche Tabelle 18.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
SB
Inhalt
| 277
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
anzeige wegen Verleumdung
in diesem Zuge auch
rechnen und mit der
(Teil-)Restitution von OS 3
(Teil-)Schuld am Tod ihres Vaters Haasberger leben.
Anhand der Situationsbeschreibungen können die Bewegungen der Figuren über räumliche und soziale Raumgrenzen hinweg in Bezug auf den Verstoß gegen juristische Normen visuell dargestellt werden. Schaubild 6: Figurenbewegungen und juristische Normen in ADAMS ALPTRAUM
Das Schaubild verdeutlicht, dass der Raum der juristischen Illegalität in ADAMS ALPTRAUM nur aus Akten der Selbstjustiz besteht. Das bedeutet, alle Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften werden getätigt, um Rache an einer Person zu nehmen, die – aus Sicht der Täter*innen – durch die öffentlichen Organe nicht oder nicht hart genug bestraft wird. Während Anna „mit ner Anzeige wegen vorsätzlicher Verleumdung rechnen [muss]“ (Stellbrink zu Anna bei TC 1:22:05), wird über das Strafmaß nichts ausgesagt, weshalb unklar bleibt, ob sie mit einem Gefängnisauf-
278 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
enthalt rechnen muss.10 Über die Sanktion von Jonas wird der Zuschauer*in ebenfalls nichts mitgeteilt. Da auch er Verleumdung betrieben hat, kann von einer ähnlichen Bestrafung wie bei Anna ausgegangen werden.11 Dabei kommt bei Jonas noch erschwerend hinzu, dass er sich zusätzlich durch passive Mittäter*innenschaft strafbar gemacht hat und bei Anna, dass sie ihren Vater, den sie „doch geliebt“ (Stellbrink zu Anna bei TC 1:22:49) habe, verraten hat und nun „den Rest“ ihres „Lebens mit dieser Schuld leben“ (Stellbrink zu Anna bei TC 1:22:15) muss. Bei Anna bleibt also ein Makel zurück, aufgrund dessen sie nur verändert in den Raum der Legalität zurückkehren kann, wonach bei ihr ein negatives Beuteholer*innenschema greift (vgl. Kapitel 7.3.2).12 Die Flashmobber*innen werden wegen Totschlags festgenommen, wobei hier – zieht man die ‚realweltlich‘ übliche Bestrafung als Anhaltspunkt heran13 – ein Gefängnisaufenthalt wahrscheinlich ist. Um die Grenzüberschreitungen im Hinblick auf soziale Normverstöße visualisieren zu können, muss zunächst noch der Handlungsstrang um Staatssekretärin Seitz-Ehrmann analysiert werden, da dieser weder chronologisch noch inhaltlich in die vorherige Situationsbeschreibung integrierbar war:
10
‚Realweltlich‘ beträgt das Strafmaß für „Üble Nachrede“ bis zu einem Jahr Freiheitsentzug oder eine Geldstrafe bzw. „wenn die Tat öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften […] begangen ist“ bis zu zwei Jahre Freiheitsentzug oder eine Geldstrafe (§ 186 StGB), wobei hier auch relevant ist, welches Alter die Straftäter*in hat, was bei Anna und Jonas nicht genau erzählt wird.
11
Eine alternative Interpretation ist, dass Jonas seine Schuld abbüßt, indem er der Polizei dabei hilft, die Flashmobber*innen festzunehmen (vgl. Sequenz 97). Allerdings hat Jonas wie Anna Verleumdung über das Internet betrieben und damit liegt die Annahme nahe, dass er eine ähnliche juristische Bestrafung erfahren wird.
12
Gleiches gilt prinzipiell für Jonas.
13
Im § 212 StGB zu „Totschlag“ heißt es: „Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft“ (Abs. 1) bzw. „[ist] [i]n besonders schweren Fällen […] auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen“ (Abs. 2).
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 279
Tabelle 21: Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstranges um SeitzEhrmann in ADAMS ALPTRAUM SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB0
Seitz-Ehrmann arbeitet viel und
Verstoß gegen OS 5
kümmert sich nicht um ihre Söhne. SB1
Die Söhne von Seitz-Ehrmann
Narrative Sanktion
verschwinden. SB2
Seitz-Ehrmann arbeitet nicht
Restitution OS 5
und sucht nach ihren Söhnen bzw. will sich um ihre Söhne kümmern. SB2
Die Söhne von
‚Narrative Belohnung‘
Seitz-Ehrmann tauchen wieder auf.
Das Verschwinden der Söhne Seitz-Ehrmanns stellt eine narrative Sanktion für die Vernachlässigung ihrer Erziehungspflichten dar (Verstoß gegen OS 5). Genau in dem Moment, in dem sie einen emotionalen Zusammenbruch erleidet und zum ersten Mal in Privatkleidung im Privatraum auftritt, taucht ihr jüngerer Sohn Ben wieder auf (vgl. auch Kapitel 8.6, Screenshot 42 und Screenshot 43). In den folgenden Einstellungen mit Seitz-Ehrmann wird gezeigt, wie sie sich um den 12-jährigen Ben und den älteren Sohn Jonas kümmert. Unklar bleibt, ob es sich um einen dauerhaften Zustand handelt oder ob Seitz-Ehrmann wieder zu ihrer umfassenden Berufstätigkeit zurückkehrt, die eine Erziehungstätigkeit ausschließt, und ihr Aufenthalt im Raum der Legalität deshalb nur von kurzer Dauer ist. Aus methodischer Sicht kann dies als Strategie von Filmen angesehen werden, Pseudolösungen für gesellschaftliche Probleme zu präsentieren: Die Probleme werden nicht inhaltlich beziehungsweise nicht dauerhaft gelöst, sondern auf eine Art und Weise, die zwar die Ordnung innerhalb des Narrativs wiederherstellt, aber nicht auf die ‚Realwelt‘ übertragbar ist. Wie Seitz-Ehrmann so hat auch Haasberger sein Kind vernachlässigt (Verstoß gegen OS 6), weshalb seine Tochter ihn im Internet verleumdet und so unbeabsichtigt seinen Tod herbeiführt. Haasberger kann einmal die eigentlich unüberschreitbare Grenze vom Tod zurück zum Koma –als eine Art Zwischenraum weder wirk-
280 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
lich zum Leben, noch zum Tod gehörend – überqueren (symbolisiert durch das hellgraue Kreuz ganz rechts in Schaubild 7), doch ist klar, dass er, falls er aufwachen sollte (was er nicht tut), „nicht mehr der sein wird“ (Stellbrink bei TC 15:02), der er einmal war. Der Haasberger, der im Koma liegt, ist damit nicht mehr der Haasberger vor dem Unfall, weshalb die Grenze zwischen Tod und Leben aufrechterhalten bleibt. Er ist aus dem Raum der Toten zurückgekehrt14, aber die Merkmale, die er nun aufweist, passen nicht mehr zum Raum der Lebenden – so muss er beispielsweise künstlich beatmet werden und ist demnach nicht mehr aus eigener Kraft lebensfähig. Haasbergers Tod stellt eine Restitution des Ordnungssatzes 6 dar und kann als Variante einer narrativen Sanktion für die Vernachlässigung der Tochter begriffen werden, da diese seinen Tod zwar auslöst, aber dies nicht ihr Ziel war. Auch in diesem Fall stellt die Eliminierung der Figur eine Scheinlösung dar, allerdings präsentiert der Film mit Stellbrink eine Figur, anhand derer eine ‚gute Vaterschaft‘ trotz Trennung von der Familie exemplifiziert wird (vgl. Kapitel 8.6). Schaubild 7: Figurenbewegung und soziale Normen in ADAMS ALPTRAUM
Nach der Analyse der raumüberschreitenden Figurenbewegungen in ADAMS ALPsoll nun der Blick auf die Bewegungen innerhalb der Räume gelenkt werden, um den Extrempunkt untersuchen zu können. Der Bus kann als Raum begriffen werden, der die Plattform für den Kampf zwischen Repräsentant*innen der Legalität (Polizei) und den Vertreter*innen der illegalen Selbstjustiz (FlashTRAUM
14
„Der Mann war zwar tot. Also faktisch tot. Zehn Minuten lang. Aber dann haben sie ihn zurückgeholt.“ (Jordan bei TC 5:20).
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 281
mobber*innen) bietet und stellt damit den Extrempunkt der Tatort-Folge dar (Sequenzen 105 und 107–110). Kommissar Stellbrink begibt sich als angeblich pädophiler Straftäter in den Raum der Illegalität, um die Flashmobber*innen, die den Angriff auf Haasberger verübt haben, fassen zu können. Dabei wird Spannung generiert, indem die Falle, die die Ermittler*innen den Flashmobber*innen stellen, sich zugleich als Falle für Stellbrink entpuppt: Da Stellbrink nicht angegriffen worden ist, wird der Einsatz abgebrochen und der Kommissar fährt ohne Schutz des SEK im Bus zum Präsidium zurück, als dann doch ein Angriff erfolgt. Der Anschlag auf Stellbrink könnte damit zu einem Endpunkt werden, wenn die Täter*innen es schaffen, ihn – wie zuvor Haasberger – so sehr zu verletzen, dass er stirbt. Doch Stellbrink wird mithilfe der hinzueilenden Kollegin Marx und des SEK befreit und ist nicht lebensgefährlich verwundet worden. Damit wird der Extrempunkt für ihn zum Wendepunkt, er kann in den Raum der Legalität zurückkehren. Für die Flashmobber*innen hingegen wird der Bus zum Endpunkt, denn sie werden festgenommen und können ihre selbstjustizlerischen Aktivitäten nun nicht länger fortführen. Dadurch wird das Aufeinandertreffen im Bus, das die Möglichkeit einer Ordnungstransformation birgt (wenn die Flashmobber*innen als Vertreter*innen des Gegenraums Stellbrink als zentrale Figur und Vertreter der Menge der Selbstjustizgegner*innen töten würden), zu einer Bestätigung von den von Stellbrink gesetzten beziehungsweise repräsentierten Normen. Der Bus als Extrempunkt ist zudem im Hinblick auf Weißsein aufschlussreich, unter anderem wegen der verwendeten Farbsymbolik. Die Selbst- beziehungsweise Lynchjustiz kann als ein Teil von Weißsein betrachtet werden, der auf Unzivilisiertheit deutet und deshalb unterbunden werden muss. Die stets schwarz vermummten Flashmobber*innen können dabei aufgrund ihrer illegalen Taten in ADAMS ALPTRAUM als weniger weiß angesehen werden als die sich im Raum der Legalität befindlichen Figuren. Die Rauchbombe, die das SEK in den Bus wirft (Screenshot 28), woraufhin das ganze Bild kurz nahezu vollständig weiß wird (Screenshot 29), kann als Machtdemonstration des ‚guten Weißseins‘ gelesen werden, denn der weiße Nebel wirkt zwar zunächst verschleiernd, fördert aber mittelfristig die Wahrheit zu Tage, da durch ihn die Flashmobber*innen überwältigt werden können. Damit stellt die Sequenz im Bus auch den Endpunkt für die illegalen Aktivitäten dar.
282 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Screenshot 28: Das SEK wirft eine Rauchbombe in den Bus in ADAMS ALPTRAUM (TC 1:19:23)
Screenshot 29: Im Bus erschwert eine Rauchbombe die Sicht in ADAMS ALPTRAUM (TC 1:19:30)
Die Haupttrennlinie, die in ADAMS ALPTRAUM den Raum der Legalität vom Raum der Illegalität scheidet, ist die der Selbstjustiz. Alle Figuren, die gegen juristische Normen verstoßen, sei es durch Verleumdung oder durch Totschlag, machen das, um Selbstjustiz zu üben. Sie gehen also davon aus, dass sie für Gerechtigkeit sorgen. Der Innenraum repräsentiert somit den Raum der Legalität und damit auch der legalen Justiz und ist vom als illegal gekennzeichneten Außenraum der Selbstjustiz getrennt. Während der Innenraum damit das (gute) Zentrum des Weißseins darstellt, können sowohl Selbstjustiz als auch Pädophilie als Gefahren aus dem Inneren angesehen werden, die unter Kontrolle gebracht werden müssen. Damit stellt der Außenraum die (böse) Peripherie des Weißseins dar. Die Aufteilung in Innen- und Außenraum erfolgt in ADAMS ALPTRAUM demnach nicht über Weiße versus Nicht-Weiße, sondern über eine Hierarchie von Weißsein, die auf der Unterscheidung von guten versus bösen beziehungsweise kriminellen Weißen beruht. Sowohl Anna als auch Jonas und die Flashmobber*innen bewegen sich durch ihre Ordnungsverstöße vom Innen- in den Außenraum. Die Folgen von Selbstjustiz werden dabei als nicht kontrollierbar dargestellt: Anna wünscht sich für Haasberger den sozialen Tod, doch er stirbt zudem körperlich; Jonas will, dass Haasberger „Prügel krieg[t]“ (Jonas bei TC 1:08:24) und nicht dass er stirbt; und die Flashmobber*innen hatten voraussichtlich auch nicht vor, Haasberger zu töten, wobei sie dies auch nicht zu bereuen scheinen (vgl. Dialog zwischen Dubois und Jordan ab TC 1:10:39: Dubois: „Die werden nach der Katastrophe mit Haasberger nicht kommen.“ – Jordan: „Da irren Sie sich aber gewaltig. Schauen Sie sich die Beiträge an. Die überschlagen sich ja förmlich vor Begeisterung. Die glauben doch im Ernst, dass sie für Gerechtigkeit sorgen.“). Des Weiteren tauchen immer wieder Formulierungen auf, die die Aktivitäten der Selbstjustizler*innen als nicht steuerbar beschreiben, sondern darauf verweisen, dass „die ganze Sache […] aus dem Ruder gelaufen [ist]“ (Jordan bei TC 1:24:16; vgl. auch Stellbrink bei TC 1:22:59 und Jonas bei TC 1:08:44).
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 283
Die zweite Grenzziehung, die in ADAMS ALPTRAUM eingeführt wird, hängt mit dem Feld ‚Familie‘ zusammen. Konkret geht es um die Pflichten der Eltern ihren Kindern gegenüber, die vor allem darin bestehen, dass Eltern Zeit in ihre (leiblichen) Kinder investieren müssen. In der Tatort-Folge gibt es sowohl Figuren, die sich liebevoll und fürsorglich um ihre Kinder kümmern (Tilly, Kaarweiler) als auch solche, die dieser Pflicht nicht nachkommen: Seitz-Ehrmann wegen ihrer Berufstätigkeit und Haasberger wegen seines „ehrenamtliche[n] Engagement[s] in der Jugendarbeit“, das bei ihm „wirklich über das normale Maß hinaus [geht]“ (Bürgermeisterin bei TC 2:46).
8.4
U NGLEICHHEITSGENERIERENDE K ATEGORIEN UND M ACHT
Während die Ordnungssätze 1 und 3 als Allgemeinnormen betrachtet werden können und deshalb voraussichtlich innerhalb von ADAMS ALPTRAUM nicht zu Diskriminierung und Privilegierung führen, stellen die Ordnungssätze 5 und 6 Partikularnormen dar und können für die sie betreffenden Kollektive besondere Rechte oder Pflichten ausdrücken und damit entweder privilegierend oder diskriminierend wirken. Die Ordnungssätze 2 und 4 beschreiben zwar Allgemeinnormen, enthalten jedoch eine partikulare Sonderregelung. So bezeichnet Ordnungssatz 2 zwar in erster Linie eine Allgemeinnorm, enthält aber eine partikulare Ausnahmeregelung, in welcher festgelegt wird, dass Angehörige des Polizei-/Justizapparates Straftäter*innen bestrafen dürfen, wodurch der Justiz besondere Rechte eingeräumt werden. Allerdings hat die Justiz einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen, weshalb dieses Recht in einer ausdifferenzierten Gesellschaft mit Aufgabenteilung nicht als Privileg anzusehen ist. Problematisch wird es nun aber, wenn bestimmte Gruppen von Menschen davon ausgeschlossen sind, Teil des Justizapparates zu werden.
284 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Screenshot 30: Stellbrink in ADAMS ALPTRAUM (TC 1:05:20) .
Screenshot 31: Detailaufnahme von Stellbrinks Auge in ADAMS ALPTRAUM (TC 1:20:54)
Screenshot 32: Dubois in ADAMS ALPTRAUM (TC 31:07)
Screenshot 33: Marx in ADAMS ALPTRAUM (TC 19:12)
In ADAMS ALPTRAUM sind die Mitarbeiter*innen der Polizei alle weiß. Mit Stellbrink, Dubois und Marx haben darüber hinaus auffällig viele von ihnen blaue Augen (vgl. Screenshot 30 bis Screenshot 33), was als visuell verstärkendes Element im Hinblick auf ihr Weißsein angesehen werden kann (Campbell 2009: 59). Die Sexualität der Ermittler*innen wird nicht angesprochen, aber da Stellbrink einen Sohn hat, kann bei ihm davon ausgegangen werden, dass die Figur heterosexuell angelegt ist. Auch in Bezug auf Alter und soziale Klasse entsprechen die Polizeiangehörigen der Norm. Somit ist Geschlecht die einzige ungleichheitsgenerierende Kategorie, innerhalb welcher in ADAMS ALPTRAUM eine normabweichende Ausprägung in Bezug auf die Mitarbeiter*innen der Polizei zulässig erscheint. Insgesamt ist die Unterrepräsentanz bestimmter, normabweichender Gruppen nicht zwingend problematisch, wenn sie für eine einzelne Tatort-Folge attestiert wird, sondern muss im Hinblick auf die komplette Reihe betrachtet werden. Dies erfordert eine quantitative Überprüfung der These, dass die Position der Ermittler*innen fast immer von dem Normmenschen nahestehenden Figuren eingenommen wird, welche häufig normvermittelnd auftreten und deshalb als besonders machtvoll einzustufen sind. Ordnungssatz 4 stellt ebenfalls eine Allgemeinnorm mit partikularer Komponente dar, da potenzielle Verstöße besonders gravierend erscheinen, wenn Kinder
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 285
ihre Eltern verraten. Dahinter steht die Norm der Solidarität innerhalb von Familien, wodurch der Wert der Familie betont wird. Da die Kategorie ‚Kind‘ hier nicht auf ein bestimmtes Alter, sondern auf ein Verwandtschaftsverhältnis zielt, das jeder Mensch theoretisch in seinem Leben einnimmt, fällt die partikulare Einschränkung nicht allzu schwer ins Gewicht und der Ordnungssatz kann weiter als Allgemeinnorm betrachtet werden. Ordnungssatz 5 hingegen wirkt eindeutig diskriminierend, denn er differenziert Elternteile nach ihrem Geschlecht und bestärkt die Norm, dass Mütter sich ordentlich um ihre Kinder kümmern müssen, was zugleich – in der Ordnung des Films – impliziert, dass Frauen mit Kindern keine Karriere machen können und nicht über ein ‚normales‘ Maß hinaus außerhäuslich arbeiten dürfen. Die Übernahme unbezahlter Reproduktionsarbeit durch Frauen führt wiederum zu einer finanziellen Stärkung der Position des (männlichen) Normmenschen in einem an kapitalistischen und patriarchalen Werten orientierten System. Ordnungssatz 6 hingegen erlegt Vätern Pflichten auf, indem er vorschreibt, dass diese ihre Kinder nicht vernachlässigen dürfen. Dies wird anhand der Figur Haasbergers gezeigt, denn dieser stirbt schlussendlich, weil er sich nicht genügend um seine Tochter Anna gekümmert hat und diese ihn deshalb verleumdet: Anna:
Stellbrink: Anna:
Er war immer für die andern Kinder da. Nie für mich. Dann hat er uns auch noch verlassen. Mama hat echt schwer gesoffen, okay, aber trotzdem. Anna, Mensch, du hast ihn doch geliebt. Ich will einfach, dass er weiß, was es bedeutet, allein zu sein. (TC 1:22:36 – TC 1:22:57)
Auch für Väter kann es also ernsthafte Konsequenzen – hier: tödliche – haben, wenn sie ihre leiblichen Kinder vernachlässigen. Allerdings muss hier das Verfügbarsein für die eigenen Kinder nicht wie bei Müttern mit einer Reduzierung der beruflichen Aktivitäten einhergehen15. Ein Verlassen der Familie erscheint ebenfalls zulässig, wenn sich der Vater weiterhin um sein Kind kümmert, wie am Beispiel von Stellbrink gezeigt wird. Für Familienväter gibt es in ADAMS ALPTRAUM demnach weniger strenge Pflichten als für Familienmütter, aber ein Vergehen gegen diese wird ungleich härter sanktioniert als bei Frauen. Sowohl Ordnungssatz 5 als auch Ordnungssatz 6 verweisen auf elterliche Pflichten und den Wert der intakten Kernfamilie. Nach der Auswertung der Ordnungssätze im Hinblick auf Macht und soziale Ungleichheit werden nun die Figuren in ADAMS ALPTRAUM im Hinblick auf ihre 15
Ob und wann Kinder ein Alter erreichen, in welchem Eltern sich nicht mehr um sie kümmern müssen, wird in ADAMS ALPTRAUM nicht thematisiert.
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Nähe oder Distanz zum Normmenschen überprüft, wobei auch Machtrelationen unter den Figuren in den Fokus rücken. In Bezug auf die Präsentation von Ordnungssätzen ist Stellbrink die dominanteste Figur, da er am häufigsten normvermittelnd auftritt. Er wirkt an der Installierung des Ordnungssatzes 1 mit, fungiert als Normhüter des Ordnungssatzes 2 und etabliert gemeinsam mit der Erzählinstanz die Ordnungssätze 3, 4 und 5. Damit kommt ihm eine machtvolle Position bei der Sichtbarmachung und Durchsetzung der Ordnung zu. Mit seinem runden Gesicht, der hellen Haut, den rosig glänzenden Wangen, seinen blauen Augen und blonden Haaren ist er in Bezug auf sein Äußeres direkt als Angehöriger der weißen Mehrheitsgesellschaft und als dem Normmenschen ähnelnde Figur erkennbar (vgl. Screenshot 30). So wird er als gesellschaftlich nahe am Normmenschen inszeniert: weiß, westlich, männlich, heterosexuell und able-bodied. Außerdem ist er in mittlerem Alter und Angehöriger der Mittelschicht. Innerhalb seines beruflichen Umfeldes gibt es zwar einige als weiblich klassifizierte Figuren, die einen höheren Status haben als er: die Staatsanwältin Dubois sowie die Staatssekretärin Seitz-Ehrmann, die „direkt nach der Innenministerin“ Stellbrinks „höchste Vorgesetzte“ (Marx zu Stellbrink bei TC 33:11) ist. Damit sind die drei hierarchisch als am höchsten zu bewertenden beruflichen Positionen durch Frauen besetzt: die der – nicht in Erscheinung tretenden – Innenminister*in, die der Staatssekretär*in und die der Staatsanwält*in. Doch obwohl Stellbrink sich damit eigentlich in einer untergeordneten Stellung befindet, versucht er sich gegen seine Vorgesetzten durchzusetzen oder missachtet bei Erfolglosigkeit seiner Bemühungen die von ihnen aufgestellten Regeln. So nimmt er beispielsweise der Staatssekretärin ihr Handy ab und teilt ihr mit, dass er trotz ihres Einspruchs vorhabe, in ihrer Abwesenheit mit Ben zu sprechen und ihr Haus zu durchsuchen (ab TC 35:24). Seitz-Ehrmann nimmt sich das Handy zurück und ruft ihre Duz-Freundin Dubois an („Ja, Nicole, hier ist Barbara.“ – Seitz-Ehrmann bei TC 35:59). Die Staatsanwältin Dubois weist Stellbrink an, mit der Vernehmung von Ben und der Hausdurchsuchung bis zum nächsten Tag zu warten, womit die Staatssekretärin sich behauptet zu haben scheint. Doch Stellbrink setzt sich über diese Vorschrift hinweg – immer im Dienste der Ermittlungen. Er versucht, über eine Hecke auf Seitz-Ehrmanns Grundstück vorzudringen, wird davon aber von Marx abgehalten. Dies führt jedoch nicht zu Einsicht gegenüber den Regeln: „Lisa, die Zeit läuft uns weg. Ich muss mit dem Jungen sprechen. Da ist mir doch die Dubois egal.“ (Stellbrink zu Marx bei TC 40:02). Stellbrinks fehlender Respekt gegenüber seinen weiblichen Vorgesetzten wird auf narrativer Ebene dadurch legitimiert, dass sich seine Intuition bezüglich des Falls als richtig erweist. Als am nächsten Tag die offizielle Vernehmung Bens in Anwesenheit von Seitz-Ehrmann stattfinden soll, lässt diese Stellbrink und sein Team zunächst längere Zeit warten (vgl. Stellbrink bei TC 46:12). Dies verweist zum einen auf den vollen Terminkalender von Seitz-Ehrmann. Es kann aber andererseits auch als Machtdemonstration verstanden werden, denn Seitz-Ehrmann ent-
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schuldigt sich nicht für ihre Verspätung, sondern herrscht Stellbrink stattdessen wegen des Polizeiaufgebots vor ihrem Haus an (vgl. Seitz-Ehrmann bei TC 46:43). Seitz-Ehrmann mag Stellbrink zwar dienstlich hierarchisch übergeordnet sein, in Bezug auf Moralität stellt Stellbrink jedoch die maßgebliche Instanz dar. Dies wird dadurch deutlich, dass er Seitz-Ehrmann immer wieder auf subtile Weise zu verstehen gibt, dass sie ihre Söhne vernachlässige (vgl. dazu neben dem hier aufgeführten Beispiel auch die Erläuterungen zu Ordnungssatz 5 in Kapitel 8.2): Stellbrink: Seitz-Ehrmann: Stellbrink: Seitz-Ehrmann:
Ist das denn normalerweise so üblich, dass die beiden woanders übernachten und dann ihre Laptops mitnehmen? Nein. Aber wir waren um zwölf Uhr hier verabredet. Mhm. Haben Sie das miteinander persönlich abgesprochen? Ich hab ihnen auf die Mailbox gesprochen. (TC 47:34 – TC 47:45)
Die Vorschriften seiner direkten Vorgesetzten, der Staatsanwältin Dubois, missachtet Stellbrink nicht nur im Hinblick auf den Durchsuchungsbefehl beziehungsweise den Zeitpunkt der Befragung Bens, sondern er bestellt auch Finn ins Präsidium, um ihn ohne die Anwesenheit der erforderlichen Psycholog*in zu befragen. Als Dubois dieses Gespräch abbricht und Stellbrink zurechtweist, reagiert er uneinsichtig und selbstbewusst: Dubois:
Stellbrink: Dubois: Stellbrink:
Sie verstoßen wiederholt und bewusst gegen die Anweisung. Gut, dass ist jetzt nicht wirklich was Neues, aber Sie werden hier nicht den Psychologen spielen. Den brauch ich nicht zu spielen, ich bin Psychologe. Das ist mir bekannt, aber hier sind Sie ein Polizist. Holen Sie bitte einen Externen ran. Ich brauche fünf Minuten, um rauszufinden, ob da was gelaufen ist zwischen Finn und Haasberger. (TC 29:57 – TC 30:13)
Zwar schafft es Dubois in diesem Augenblick, die Befragung zu unterbinden, doch lädt Stellbrink mithilfe des Kriminaltechnikers Jordan den Zeugen Finn nochmals ins Präsidium ein und dieses Mal gelingt es ihm, die für ihn relevanten Informationen zu erhalten (Sequenz 79 bis Sequenz 83). An anderer Stelle wird Stellbrinks Überlegenheit gegenüber Dubois demonstriert, indem er diese dafür lobt, seine Erkenntnisse nachvollziehen zu können. Jordan und Stellbrink erklären Marx und Dubois, wie sie darauf gekommen sind, dass es sich bei dem auf den ersten Blick nicht zu identifizierenden jungen Mann in einem Überwachungsvideo um Jonas Seitz-Ehrmann handeln müsse. Langsam sprechend versucht Dubois den Gedankengang der Männer nachzuvollziehen („Der eine Sohn ist also ein mögliches Op-
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fer und der andere ein möglicher Täter.“ – Dubois bei TC 43:41), wofür sie von Stellbrink mit einem „Bingo.“ (Stellbrink bei TC 43:46) belohnt wird. Hier werden also die Hierarchien umgekehrt: Stellbrink und Jordan erklären Dubois die Sachlage, sie versteht diese und wird von Stellbrink dafür gelobt. Stellbrink weist einige Eigenschaften auf, die stereotyperweise häufiger Frauen zugeschrieben werden: Er ist einfühlsam, kann gut auf Kinder und Jugendliche eingehen, ist kommunikativ und entscheidet häufiger aus dem Bauch heraus. Allerdings beruhen Stellbrinks empathische Eigenschaften auf seinem beruflichen Hintergrund als Psychologe und damit wissenschaftlich-rationalen Kenntnissen. Weiter wird Stellbrink trotz seiner Intuition als strukturiert und als Führungsperson gezeigt (vgl. Stellbrink bei TC 13:54: „Also wir haben drei Baustellen. Erstens, wir müssen den Jungen finden. […] Zweitens, wir müssen die Eltern zusammentrommeln im Schwimmverein. Und drittens, was ist mit der Lebensgefährtin von diesem Haasberger?“ sowie Stellbrink bei TC 1:06:31 zu Marx und einem Polizisten: „Also, du links, ich rechts, du kommst mit und Sie alarmieren den Wachschutz, komm.“). Seine Kollegin Marx hingegen ist schweigsam, körperlich fit (vgl. z. B. Sequenzen 104 und 106) und kühl-rational (Marx bei TC 32:47: „Gefühle werden im Allgemeinen überbewertet.“). Sie weicht demnach zwar im Hinblick auf ihr biologisches Geschlecht vom Normmenschen ab, steht diesem aber sonst relativ nahe, auch wenn sie im Vergleich zu Stellbrink als weniger dominant erscheint. Gleiches trifft auf die Staatssekretärin Seitz-Ehrmann und die Staatsanwältin Dubois zu, die zwar beruflich in einer Machtposition sind und ebenfalls in allen Kategorieausprägungen außer dem Geschlecht dem Normmenschen entsprechen, die aber dennoch – wie aufgezeigt – als weniger dominant als Stellbrink erscheinen. Sowohl Seitz-Ehrmann als auch Dubois werden als weiß, westlich, able-bodied und mittleren Alters gezeigt. Nimmt man das große Haus mit Schwimmingpool und ausgedehntem Garten von Seitz-Ehrmann sowie die anzunehmende Dual-Career-Ehe („Mein Mann und ich sind beruflich doch recht eingespannt, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ – Seitz-Ehrmann zu Stellbrink bei TC 34:54) als Indikatoren für ihre soziale Klasse, gehört die Familie Seitz-Ehrmann eher der Oberschicht als der Mittelschicht an, womit sie im Hinblick auf die Klasse von der Norm abweicht. Als Seitz-Ehrmanns Pendant aus der Unterschicht kann Claudia Haasberger gelten, die Exfrau von Sven Haasberger. Beide Frauen können nicht auf ihren Ehemann zählen, entweder, weil er sie verlassen hat – wie im Falle von Claudia Haasberger – oder weil er wie der Gatte von Seitz-Ehrmann im Ausland verweilt und deshalb als Unterstützung in einer Notsituation ausfällt (vgl. Sequenz 85). Beide Figuren kümmern sich nicht um ihre Kinder: Seitz-Ehrmann delegiert die Erziehungsaufgaben an den älteren Sohn, Claudia Haasberger wird von ihrer Tochter Anna versorgt, nicht umgekehrt (vgl. Sequenzen 37 und 43). Man kann hier von einer pathogenen „Parentifizierung“ (Bürgin & Rost 2005: 262; vgl. auch Kapitel 8.6) sprechen, denn Jonas und Anna müssen Erziehungsaufgaben übernehmen bezie-
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hungsweise Erwachsene versorgen und zwar in einem Maße, welches sie überfordert. Genauso wie bei Seitz-Ehrmann, gibt es auch bei Claudia Haasberger Indikatoren für ihre Abweichung von der Norm im Hinblick auf die ungleichheitsgenerierende Kategorie soziale Klasse. So arbeitet und wohnt Claudia Haasberger zusammen mit ihrer Tochter Anna in einer Wäscherei. Ihre Alkoholabhängigkeit unterstreicht ihren sozialen Status. In den Sequenzen, die in beziehungsweise vor der Wäscherei spielen, ist stets eine Atmospur16 hörbar, zu der auch das entfernte Bellen von Hunden gehört, was den Eindruck eines ärmeren Wohnmilieus weiter verstärkt. Figuren, die in Bezug auf ihre soziale Klasse nicht zur Norm der Mittelschicht gehören, legen in ADAMS ALPTRAUM moralische Maßstäbe an, die im Weltbild des Films nicht gutgeheißen werden, weil sie dem zentralen Ordnungssatz (Verbot der Selbstjustiz) widersprechen. Diesen Figuren wird also eine gewisse moralische Unreife zugesprochen und zwar sowohl den Kindern beziehungsweise jungen Erwachsenen (Anna, Jonas und Ben), die gegen den Ordnungssatz verstoßen, als auch ihren Eltern (v. a. den Müttern Claudia Haasberger und Seitz-Ehrmann), die ihre Erziehungspflichten vernachlässigt haben und ihre Kinder nicht mit den ‚richtigen‘ moralischen Maßstäben vertraut gemacht haben. Tilly hingegen, die einzige Mutter in ADAMS ALPTRAUM, die der Mittelschicht zugerechnet werden kann (sie wohnt z. B. in einem großen Haus, fährt aber einen Kleinwagen), wird als fürsorglich gegenüber ihrem Sohn gezeigt (vgl. Sequenz 64). Das Positivbeispiel verdeutlicht die Unmoral der Figuren, die in Bezug auf die soziale Klasse von der Norm abweichen. Im letzten Schritt kann die Rangordnung der Figuren in ADAMS ALPTRAUM anhand von Sprechanteilen und außertextuellen Marken überprüft werden. Die grafische Übersicht zeigt die Verteilung der Redeanteile nach Zeichen.
16
Als Atmospur wird die Tonspur bezeichnet, die nur atmosphärische Geräusche also den Raumklang beinhaltet – etwa in Abgrenzung zu den Tonspuren, die Dialog enthalten.
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Sprechanteil in Zeichen
Diagramm 2: Sprechanteile in ADAMS ALPTRAUM17 18000 16000 14000 12000 10000 8000 6000 4000 2000 0
Figuren
Das Diagramm zeigt, dass Stellbrinks Sprechanteil mit Abstand am größten ist. Ihm folgt Jordan, dessen Redebeitrag allerdings nur noch etwas mehr als die Hälfte dessen von Stellbrink einnimmt. Hauptkommissarin Marx liegt mit gut einem Drittel des Redeanteils von Stellbrink auf dem dritten Platz. Außer Jonas schafft es sonst keine weitere Figur über die 2000 Zeichen-Marke. Im Hinblick auf die Kategorie Geschlecht sind die Sprechanteile ungleichgewichtig verteilt. Mit knapp 70 Prozent nehmen die männlich markierten Figuren mehr als zwei Drittel des Redeanteils ein. Durch einen Blick auf die Reihenfolge der Nennung der Schauspieler*innen im Vorspann kann die durch den Redeanteil ermittelte Rangordnung im Hinblick auf die Ermittler*innen teilweise bestätigt werden (vgl. Screensot 34 bis Screenshot 39).
17
Die Sprechanteile beruhen auf einer Auswertung des im Sequenzprotokoll transkribierten Dialogs. Dabei wurden alle Zeichen abzüglich der Leerzeichen gezählt.
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Screenshot 34: Vorspann ADAMS ALPTRAUM (TC 0:34)
Screenshot 35: Vorspann ADAMS ALPTRAUM (TC 0:42)
Screenshot 36: Vorspann ADAMS ALPTRAUM (TC 0:47)
Screenshot 37: Vorspann in ADAMS ALPTRAUM (TC 0:52)
Screenshot 38: Vorspann ADAMS ALPTRAUM (TC 0:59)
Screenshot 39: Vorspann ADAMS ALPTRAUM (TC 1:07)
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Devid Striesow, der den Kriminalhauptkommissar Jens Stellbrink verkörpert, wird als erstes genannt. Ihm folgt mit Elisabeth Brück die Darstellerin von Kriminalhauptkommissarin Lisa Marx. Damit entspricht diese Tatort-Folge der üblichen Vorgehensweise der Reihe, zunächst die Namen der Schauspieler*innen zu nennen, die die Kommissar*innen spielen. Interessant ist nun, dass der Kriminaltechniker in ADAMS ALPTRAUM einen größeren (Rede-)Raum einnimmt als die Hauptkommissarin Marx, was unter Umständen darauf zurückgeführt werden kann, dass Marx eher als schweigsame Figur angelegt ist, wohingegen Jordan gerne ausschweifend erzählt, was ihm auch bisweilen einen Rüpel von Marx einbringt („Horst. Komm mal auf den Punkt.“ – Marx bei TC 43:04). Die Staatsanwältin Dubois ist keine sehr re-
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destarke Figur, die sie verkörpernde Schauspielerin Sandra Steinbach wird im Vorspann jedoch – bei der in Deutschland üblichen Lesart von links nach rechts und oben nach unten – vor Hartmut Volle genannt.18 Die Reihenfolge der übrigen Schauspieler*innen korrespondiert nicht mit der Rangfolge nach Redeanteilen (vgl. Screenshot 34 bis Screenshot 39 und Diagramm 2), sondern ist vor allem thematisch beziehungsweise nach familiärer Zugehörigkeit der Figuren geordnet. Die Betrachtung der Redeanteile und des Vorspanns hat die vorherigen Analyseergebnisse bekräftigt, nach denen Stellbrink die dominanteste Position in der Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM innehat.
8.5
P ÄDOPHILIE
UND SEXUELLER
M ISSBRAUCH
In ADAMS ALPTRAUM kommt keine Figur mit sexuellem Interesse an Kindern vor. Der Figur Haasberger werden jedoch von einer Gruppe anderer Figuren aufgrund von Verleumdung pädophile Neigungen zugeschrieben, wobei diese Gruppe auch davon ausgeht, dass es zu Missbrauchsfällen gekommen ist. Diese Verleumdung, die außer Kontrolle gerät, ist der Ausgangspunkt des Kriminalfalls, denn der vermeintlich pädosexuelle Missbrauchstäter Haasberger wird bei einem Anschlag so schwer verletzt, dass er schließlich stirbt. Dabei werden Pädophile in ADAMS ALPTRAUM implizit immer wieder mit Missbrauchtstäter*innen gleichgesetzt (vgl. z. B. die Aussagen von Marx in Sequenz 26 und von Jonas in Sequenz 95). Die Möglichkeit, dass Haasberger pädophil gewesen sein könnte, aber keinen Missbrauch begangen hat, wird weder von den Ermittler*innen noch von anderen Figuren angesprochen. Der Film zeigt zwar, wie leicht es zu irrtümlichen Anschuldigungen kommen kann (vgl. den Dialog zwischen Kaarweiler und seinem Sohn Finn, Sequenz 29), aber es wird nicht auf mögliche Motive von Pädophilen beziehungsweise deren Perspektive eingegangen. So werden die Gedanken von Pädophilen nicht aufgeführt und das Chatprotokoll von „Adams“ Annäherungsversuchen an Kinder über Onlineforen wird weder groß im Bild gezeigt noch vorgelesen (vgl. Sequenz 34). Im Weltbild von ADAMS ALPTRAUM wird sexualisierte Gewalt gegen Kinder eindeutig verurteilt und da Pädophilie mit sexualisierter Gewalt gleichgesetzt wird, wird diese ebenso verurteilt. Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch von Kindern spielt dabei zwar auf der Dialogebene immer wieder eine Rolle, aber wird nicht inhaltlich dis-
18
Dies weicht von den beiden bisherigen Folgen des Teams aus Saarbrücken um Kommissar Stellbrink ab, in welchen die Schauspielerin Sandra Steinbach im Vorspann stets nach Hartmut Volle auf einer extra Folie aufgeführt wird (vgl. MELINDA D 2013, R: Salonen; EINE HANDVOLL PARADIES D 2013, R: Salonen).
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kutiert, sondern lediglich dramaturgisch instrumentalisiert. So ermöglicht der Themenkomplex Pädophilie/sexueller Missbrauch wie beschrieben das Missverständnis, auf dem der tödliche Flashmob basiert. Dabei wird die sexuelle Neigung der Pädophilie als etwas – zumindest wenn sie ausgelebt wird – derart Schlimmes angesehen, dass der Akt der Selbstjustiz durch die Flashmobber*innen zumindest ansatzweise nachvollziehbar wird (vgl. z. B. Marx, die Pädophile dämonisiert und für unmenschlich erklärt, wenn sie davon spricht, dass sie den Eltern, deren Kinder an Haasbergers Schwimmtraining teilgenommen hatten, „erklären musste, dass sie ihre Kinder zwei Mal die Woche dem Teufel anvertraut haben“ – TC 16:59). Damit wird das Thema Pädophilie nicht direkt verhandelt, sondern ist Teil der sujetlosen Textschicht. Die Wertung von Pädophilie als eindeutig ‚nicht-normal‘ und abartig wird dabei als Vorwissen präsupponiert. Dies kann man auch als Indikator für den Stand des aktuellen Diskurses zu Pädophilie in der ‚Realwelt‘ werten: Es besteht ein gesellschaftlicher Konsens, dass Pädophilie nicht ‚normal‘, sondern krankhaft ist und unterbunden werden muss, wobei der als abnorm gekennzeichneten pädophilen Neigung sowohl ‚realweltlich‘ als auch in ADAMS ALPTRAUM die Norm der Heterosexualität gegenübersteht (vgl. Teaser des eingeblendeten Zeitungsartikels bei TC 27:22: „Statt mit Frau chattete Trainer mit kleinen Jungs“). Nur über die Art der Ausgestaltung des Verhinderns pädosexueller Gewalt wird in ADAMS ALPTRAUM verhandelt (Selbstjustiz vs. Polizeieinsatz). Das eigenmächtige Bestrafen von Straftäter*innen ist auch das eigentliche Thema der Tatort-Folge (vgl. Kapitel 8.2): Pädophilie dient in erster Linie als Kontrastfolie und eröffnet die Möglichkeit, die Handlungen der Flashmobber*innen zumindest emotional nachvollziehbar zu machen beziehungsweise rational über die Massivität des ‚Verbrechens Pädophilie‘ die brutalen Handlungen des Lynchmobs als begreifbar darzustellen. Das Thema Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch eignet sich auch deshalb in besonderer Weise als Kontrastfolie, weil es emotional besetzt ist und gesellschaftlich ein Konsens über die Bewertung als negativ vorausgesetzt werden kann. Pädophile Missbrauchstäter*innen werden zwar durch die Perspektive der Flashmobber*innen, die Jonas verbalisiert (vgl. Sequenz 95), als ein Problem dargestellt, das der Staat beziehungsweise die Justiz nicht nach gültigem Recht lösen kann, jedoch bleibt dies die Sichtweise eines negativ präsentierten (Flash-) Mobs und wird weder widerlegt noch bestätigt, da in ADAMS ALPTRAUM keine Figuren mit pädophiler Neigung auftreten. In ADAMS ALPTRAUM ist nicht die Tatsache kritisch zu betrachten, dass sexueller Missbrauch von Kindern eindeutig abgelehnt wird, sondern der Fakt der fehlenden Differenzierung zwischen Missbrauch und Pädophilie und die damit einhergehende Vorverurteilung von Menschen mit pädophiler Neigung. Auch die Missbrauchsopfer werden eindimensional gezeichnet und kommen nicht selbst zu Wort. Der Beitrag dieser Tatort-Folge zum gesellschaftlichen Diskurs zu Pädophilie und sexuellem Missbrauch ist demnach nicht nur als wenig gewinnbringend einzustu-
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fen, weil er keine neuen Aspekte in die Diskussion einbringt, sondern der Film kann darüber hinaus Vorurteile schüren beziehungsweise existierende Fehlannahmen unterfüttern. Dies löst weder das faktisch existente Problem von sexuellem Kindesmissbrauch noch trägt es bei zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit Menschen mit pädophiler Neigung, welcher zum Ziel haben sollte, Übergriffe zu verhindern und nicht Pädophile zu stigmatisieren.
8.6
D IE
WEISSE
K ERNFAMILIE
Im Folgenden werden sowohl die Darstellung der weißen Kernfamilie als auch ihrer Elemente analysiert. Der hohe Stellenwert, welcher der Kernfamilie in der TatortFolge ADAMS ALPTRAUM zugeschrieben wird, zeigt sich bereits daran, dass sich zwei Ordnungssätze explizit mit der Rolle der Mutter beziehungsweise des Vaters beschäftigen (OS 5 und OS 6) und ein weiterer Ordnungssatz teilweise auf die Rolle des Kindes abzielt (OS 4). Auch liegt der Auslöser für den Kriminalfall darin begründet, dass Anna aus einer nicht-intakten Familie stammt, da ihr Vater Haasberger sie und die alkoholkranke Mutter Claudia verlassen hat. Anna muss für ihre Mutter sorgen und wird dadurch im Sinne einer Rollenumkehr parentifiziert. Diese Umstände wiederum sind der Grund, weshalb Anna Haasberger verleumdet, was schlussendlich zu seinem Tod führt. Jonas und Ben stammen ebenfalls aus einer zumindest zeitweise nicht-intakten Familie, denn ihre Mutter, die Staatssekretärin Seitz-Ehrmann, ist mehr ab- als anwesend und der Vater verweilt über die gesamte erzählte Zeit des Filmes im Ausland. Jonas wird von seinen Eltern parentifiziert, er findet sich in der Position des Ersatzerziehungsberechtigten für seinen kleinen Bruder Ben wieder und evoziert, um seinen Bruder zu schützen, den tödlichen Flashmob gegen Haasberger. Sowohl bei Jonas als auch bei Anna liegt dabei eine pathogene Parentifizierung vor, denn die beiden müssen „Aufgaben und Funktionen für einen oder beide Elternteile übernehmen […], die mit der Realität […] [ihrer] Existenz nicht vereinbar sind“ (Bürgin & Rost 2005: 262), weil sie diesen Aufgaben noch nicht gewachsen sind. In der Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM werden dabei verschiedene Familienmodelle vorgeführt. Familie Seitz-Ehrmann stellt äußerlich die intakte Kernfamilie dar und damit als „Zwei-Eltern-Familie“ (Nave-Herz 2008: 708; vgl. auch Kapitel 4.2.1) den ‚normalen‘ Familientypus. Jedoch handelt es sich auch um eine „Dual-Career-Family“ (Nave-Herz 2008: 709), wobei aus der fordernden Berufstätigkeit beider Eltern eine „Wohlstandsverwahrlosung“19 (Müller 2008: 67) der Kinder
19
Zur kritischen Betrachtung des Terminus ‚Wohlstandsverwahrlosung‘ siehe den Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers, der auf die Konstruktionen von Elternschaft und
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resultiert. Bei der Wohlstandsverwahrlosung „geht es um Kinder und Jugendliche, denen es an persönlicher Zuneigung und Zuwendung durch ihre Eltern fehlt. Diese versuchen die fehlende Zeit für die Erziehung und Hingabe an ihre Kinder oft durch vermehrte materielle Zuwendung auszugleichen.“ (Müller 2008: 67) Es kommt also wie bei der Familie Seitz-Ehrmann zu einer Kompensation von Liebe, Fürsorge und aufgewendeter Zeit durch Geld. Die von Sven Haasberger verlassene Familie kann als „Ein-Eltern-Familie“ beziehungsweise „Mutter-Familie“ (Nave-Herz 2008: 709) betrachtet werden. Dies trifft auch auf Stellbrinks Familie zu, denn seine Exfrau lebt mit dem gemeinsamen Sohn alleine. Bei Kaarweiler ist unklar, ob es sich um eine „Vater-[…]Familie“ (Nave-Herz 2008: 709) handelt. Die Familie von Tilly stand kurz davor, offiziell von einer „Mutter-Familie“ zu einer „Stieffamilie bzw. Fortsetzungsfamilie“ (Nave-Herz 2008: 708) transformiert zu werden, doch die geplante Eheschließung kann aufgrund von Haasbergers Tod nicht mehr stattfinden. Damit kommt in ADAMS ALPTRAUM außer der dysfunktionalen Familie SeitzEhrmann keine klassische Kernfamilie im Sinne einer „Zwei-Eltern-Familie“ vor. Den zerrütteten beziehungsweise aus traditioneller Perspektive nicht funktionstüchtigen Familien werden kontrastierend Fotos der Familie Haasberger gegenübergestellt, als diese noch als Kernfamilie glücklich vereint war (vgl. Screenshot 40 Screenshot 41). Screenshot 40: Fotos der intakten Familie Haasberger in ADAMS ALPTRAUM (TC 26:17)
Screenshot 41: Fotos der intakten Familie Haasberger in ADAMS ALPTRAUM (TC 26:21)
Aus einer westlich-weißen Perspektive ist ‚gute Mutterschaft‘ an mütterliche Fürsorge für Kinder und Familie gekoppelt, wobei eine allzu umfassende Erwerbstätigkeit dies auszuschließen scheint (zu den Unterschieden zwischen weißer und Schwarzer Mutterschaft siehe Kapitel 4.2.2). Diese Vorstellung von guter Mütterlichkeit ist in Deutschland immer noch weit verbreitet (vgl. Nave-Herz 2013: 55, 188). Die Norm stellt dabei die weiße Mutter aus der Mittelschicht dar, die im GeReichtum sowie historische Bezüge (Stichwort: Verwöhnung) eingeht (Oelkers 2006: 259f.).
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gensatz zur Arbeiterinnen-Mutter meist Hilfe bei der Kindererziehung und Haushaltsführung in Anspruch nehmen kann (Nave-Herz 2009: 53f.). In ADAMS ALPTRAUM finden sich diese Vorstellungen wieder. Dabei kommen verschiedene Typen (weißer) Mütter vor. Während die Staatssekretärin Seitz-Ehrmann als die ihre Kinder vernachlässigende Karrieremutter und Claudia Haasberger als die von ihrem Mann verlassene, alkoholsüchtige und ‚pflegebedürftige‘ Mutter, die von der traditionellen Norm abweichenden Varianten weißer Mutterschaft repräsentieren, entspricht Tilly als fürsorgliche Mutter mit neuem Lebenspartner der Norm am ehesten. Seitz-Ehrmann vertraut ihrem älteren Sohn gegen ein Honorar die Betreuung des jüngeren Sohns an und löst damit das ‚Problem‘ der Kindererziehung mit finanziellen Mitteln. Sie gibt damit ihre Erziehungsverantwortung ab und wird als wenig fürsorglich präsentiert. So ist ihre erste Reaktion, als sie erfährt, dass ihr 12-jähriger Sohn Ben eventuell sexuell missbraucht worden sein könnte, Unwillen über eine Störung ihres Zeitplans: „Das passt mir jetzt alles so was von überhaupt nicht.“ (Seitz-Ehrmann bei TC 35:02). Sie wird damit als empathielos gezeigt und als Frau, bei der berufliche Termine selbstverständlich vor privaten kommen. Innerhalb des Narrativs wird Seitz-Ehrmann die Möglichkeit gewährt, zu guter weißer Mutterschaft zurückzukehren. Wenn man das Verschwinden ihrer Söhne als narrative Sanktion für ihre Vernachlässigung der Mutterpflichten aufgrund ihrer Berufstätigkeit begreift (vgl. Kapitel 8.2.1), dann kann ihr Zusammenbruch am Telefon als Rückkehr zu guter weißer Mütterlichkeit gesehen werden. Dies wird auch durch die Farbsymbolik und durch das Aufrufen traditioneller Vorstellungen von Geschlechterrollen untermauert. Während Seitz-Ehrmann fast ausschließlich in dunklen Kostümen gezeigt wird, die als Berufskleidung angesehen werden können, ist sie in der Sequenz ihres emotionalen Kollapses (Sequenz 85) im Privatraum in einem weißen Bademantel zu sehen. Dabei steht sie in ihrem Garten vor dem Swimmingpool, wodurch die Reinwerdung der Figur neben der symbolischen Farbe ihrer Kleidung weiter unterstrichen wird (Screenshot 42). Am Telefon bittet sie ihren Mann weinend um Hilfe und will, dass er aus den USA zurückkehrt. Die narrative Belohnung für ihre Besinnung auf ihre mütterlichen Pflichten und für ihren angedeuteten Prioritätenwechsel tritt umgehend ein, indem just im Moment ihres Zusammenbruchs ihr jüngerer Sohn Ben zurückkehrt (Screenshot 43).
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Screenshot 42: Staatssekretärin SeitzEhrmann in ADAMS ALPTRAUM (TC 1:00:26)
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Screenshot 43: Ben kehrt zurück in ADAMS ALPTRAUM (TC 1:00:43) .
Dem häufig – vor allem im Kontrast zu anderen Kulturen – geäußerte Glauben des weißen Westens, für Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern weitgehend gesorgt zu haben, wird dadurch auf der Oberfläche der Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM entsprochen, indem Frauen wie Seitz-Ehrmann in beruflichen Führungs- und Machtpositionen gezeigt werden. Implizit wird diese Machtposition jedoch dekonstruiert und die Frau wieder in erster Linie über ihr Geschlecht und ihre Rolle als Mutter definiert, indem die Figur der Mutter für ihre karriereorientierte Erwerbstätigkeit narrativ sanktioniert wird. Wie beschrieben (vgl. Kapitel 8.4), kann Claudia Haasberger als Gegenstück Seitz-Ehrmanns aus der Unterschicht angesehen werden. Claudia wird in erster Linie über ihre soziale Klasse definiert, sie ist aufgrund ihrer Wohn- und Arbeitssituation sowie ihrer Alkoholprobleme Teil des White Trash (vgl. Kapitel 4.2.1). Über die Audiospur wird der Eindruck eines unsozialen Wohnmilieus weiter verstärkt (vgl. Kapitel 8.4). Wie Barbara Seitz-Ehrmann, so ist auch Claudia Haasberger eine Figur, die ihren mütterlichen Pflichten nicht nachkommt, sondern Verantwortung abgibt: Die parentifizierte Anna kümmert sich mehr um ihre Mutter als diese um sie. Der Wille, diese Situation zu ändern, ist bei beiden nicht erkennbar. Dies steht in Einklang mit der Beobachtung des Ethnologen und Soziologen Matt Wray, dass Weiße der sozialen Unterschicht „more like a caste than a class“ seien (Wray 2006: 3). Claudia Haasberger stellt damit ebenfalls eine Frau dar, die in ihrer Rolle als Mutter versagt, bei ihr gibt es jedoch kein – zumindest vorübergehendes – Bekenntnis zur traditionellen Mutterrolle wie bei Seitz-Ehrmann. Tilly, die Verlobte von Sven Haasberger, erfüllt von den drei im Film vorkommenden Müttern am ehesten das Idealbild der weißen Mütterlichkeit. Sie übernimmt in ihrer Mutterrolle Erziehungsverantwortung und wird als liebevolle, sich sorgende und unterstützende Mutter aus der Mittelschicht gezeigt, zum Beispiel wenn sie ihrem Sohn Tim bei den Hausarbeiten hilft und ihn nach möglichen Annäherungsversuchen durch Sven Haasberger fragt (Sequenz 64). Darüber hinaus wird sie nicht bei Erwerbstätigkeiten gezeigt, die sie von der Kindererziehung ab-
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halten und hat kein Alkoholproblem. Außerdem wollte sie Sven Haasberger heiraten und damit ein traditionelles Familienmodell eingehen. Weibliche Fürsorge in der Mutterrolle und traditionelle Vorstellungen von Familie und Ehe werden zusammengebracht, wenn die Figur Tilly in ADAMS ALPTRAUM eingeführt wird (Sequenz 22): Sie trägt ein weißes Hochzeitskleid, das nicht nur Symbol für Reinheit und Schönheit ist, sondern zudem den Wert der konservativen Institution Ehe als Symbol einer christlich-paternalistischen Gesellschaft unterstreicht. Doch auch Tilly hat einen Makel, den Sohn, der nicht vom zukünftigen Ehepartner stammt. Und so wird auch ihr kein Glück vergönnt, denn ihr Verlobter Haasberger stirbt. Neben den verschiedenen Muttertypen kommen in ADAMS ALPTRAUM auch unterschiedliche Typen von (weißen) Vätern vor: Stellbrink, der von seiner Familie getrennt lebt; Haasberger, der seine Familie verlassen hat und sich um ‚fremde‘ beziehungsweise nicht leibliche Kinder kümmert; der nicht im Bild erscheinende und lediglich verbal angesprochene Ehemann von Seitz-Ehrmann, der ebenfalls eine Variante des abwesenden Vaters darstellt; und Kaarweiler, der überfürsorgliche Vater eines Jungen mit Trisomie 21. Alle Vaterfiguren, die im Film on Screen auftreten, sind als weiß, able-bodied und Angehörige der Mittelschicht inszeniert und damit als nahe am Normmenschen. Kommissar Stellbrink stellt dabei den physisch abwesenden, aber emotional am Leben seines Sohns Moritz teilhabenden Vater dar, er übernimmt demnach Erziehungsverantwortung. Dies zeigt sich in den Telefongesprächen zwischen Vater und Sohn, in welchen Stellbrink sich überschwänglich nach den Fortschritten bei der Besteigung des Denalis erkundigt. Haasberger wird ebenfalls als enthusiastisch und engagiert gezeigt, allerdings nur, wenn es um sein ehrenamtliches Schwimmtraining geht – seine eigene Tochter Anna hingegen vernachlässigt er. Sein Engagement für ‚fremde‘ Kinder kann dabei nicht die fehlende Fürsorge für seine leibliche Tochter kompensieren. Kaarweiler hingegen stellt den beschützenden und überfürsorglichen Vater dar, der fälschlicherweise annimmt, sein Sohn Finn sei sexuell missbraucht worden. Über die Mutter von Finn erfährt die Zuschauer*in nichts. So bleibt unklar, ob Kaarweiler alleinerziehend ist oder ob er mit der Mutter zusammenlebt und ihm nur vorwiegend die Aufgabe zukommt, sich um Finn zu kümmern, womit er dem Typ des ‚neuen Vaters‘ (vgl. Kapitel 4.2.3) entsprechen würde. Kinder werden in ADAMS ALPTRAUM als schützenswerte Wesen dargestellt (vgl. z. B. die Ansprache von Marx an die Eltern im Schwimmbad, Sequenz 26). Ben, Tim und Finn sind außerdem im Gegensatz zu den Jugendlichen beziehungsweise jugendlichen Erwachsenen in der Tatort-Folge unschuldig. So hat Ben zwar geglaubt, dass sich hinter der Internetidentität „Adam“ der Schwimmtrainer Haasberger verbirgt, er hat diesen jedoch nicht verleumdet und damit im Gegensatz zu
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seinem zumindest formal erwachsenen Bruder Jonas20 sowie der vermutlich ungefähr gleichaltrigen Anna nicht zu dessen Tod beigetragen. Die Schuld der jungen Erwachsenen Jonas und Anna wird jedoch dadurch relativiert, dass sie nicht in einem Umfeld aufgewachsen sind, dass sich positiv auf ihre Entwicklung ausgewirkt hätte und beide offensichtlich innerhalb ihrer Familie parentifiziert werden und Aufgaben übernehmen müssen, denen sie nicht gewachsen sind: Anna muss sich um ihre alkoholkranke Mutter kümmern (vgl. Screenshot 44), Jonas übernimmt die Aufsicht und Erziehung seines kleinen Bruders (vgl. Screenshot 45). Beide werden dabei als fürsorglich, verantwortungsvoll und pflichtbewusst gezeigt. Screenshot 44: Anna deckt ihre Mutter Claudia zu in ADAMS ALPTRAUM (TC 26:03)
Screenshot 45: Jonas schmiert Brote für sich und Ben in ADAMS ALPTRAUM (TC 49:50)
Bei der Erfüllung dieser Aufgaben treten Konflikte auf: Anna und ihre Mutter werden vom Vater verlassen, Jonas Bruder Ben wird vermeintlich von einem Missbrauchstäter bedroht. Daraufhin werden beide aktiv, um ihre Familie zu schützen, können die Wirkung ihrer Taten aber nicht richtig einschätzen, weshalb die Dinge „aus dem Ruder“ laufen. Jonas will dabei seine Probleme nicht, wie von seinem kleinen Bruder vorgeschlagen, mithilfe der Mutter angehen (Sequenz 70), sondern will sie stattdessen finanziell lösen: „Wir holen alles Geld von der Bank und dann zahl ich ihn [den Hacker, MK] dafür, dass er das mit dem Chat wieder zurechtbiegt, okay?“ (Jonas bei TC 50:26). Er verwendet also ihm bekannte und in seiner Familie übliche Muster zur Problemlösung, was bei den Seitz-Ehrmanns bedeutet, andere Menschen dafür zu bezahlen, dass sie unliebsame Arbeiten erledigen. Neben den jungen Erwachsenen werden in ADAMS ALPTRAUM auch Kinder als Akteur*innen gezeigt, jedoch ist deren Aktionsradius begrenzt. Ben schafft es nach dem Angriff auf ihn und seinen Bruder, aus eigener Kraft zurück zu seinem Eltern20
Dass Jonas bereits volljährig ist, erfährt die Zuschauer*in zum einen dadurch, dass er einen Führerschein hat und Auto fährt und ergibt sich zum anderen aus Seitz-Ehrmanns Aussage gegenüber ihrem Ehemann am Telefon: „Ich weiß, dass Jonas erwachsen ist.“ (Seitz-Ehrmann bei TC 1:00:30).
300 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
haus zu kommen (Sequenz 85), und Finn erzählt seinem Vater, dass Haasberger ihn angefasst habe, weil er das Gefühl hat, dass dies die Antwort ist, die sein Vater von ihm erwartet (Sequenz 82). Alle in der Tatort-Folge auftretenden Kinder (Ben, Finn, Tim) haben Sprechrollen. Sie werden zwar als verletzlich gezeigt, aber sind lediglich gefährdet und keine tatsächlichen Opfer, denn in ADAMS ALPTRAUM kommt es nur vermeintlich zu sexuellem Missbrauch. Auffällig ist dabei, dass Ben sich im Gegensatz zu seinem Bruder ‚erwachsen‘ benimmt und es aus eigener Kraft zurück zu seinem Elternhaus schafft. Die jungen Erwachsenen Anna und Jonas verhalten sich hingegen ungewollt destruktiv, obwohl beziehungsweise gerade weil sie versuchen, Verantwortung zu übernehmen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Probleme und damit auch der Kriminalfall in der Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM aus dem mangelnden Interesse der Eltern für ihre Kinder erwächst beziehungsweise aus der fehlenden Beachtung und Liebe, die diese erfahren und den daraus resultierenden umgekehrten familiären Verantwortlichkeiten. So kümmert sich Haasberger nicht genügend um seine Tochter Anna (seine letzten Worte, bevor er ins Koma geprügelt wird, sind: „Sorry, Anna.“ – Haasberger bei TC 3:43), diese wiederum muss für ihre alkoholkranke Mutter sorgen. Seitz-Ehrmann hat wenig intimen Kontakt zu ihren Kindern und überträgt die Erziehungsaufgaben auf Jonas, den sie bezahlt, damit er auf Ben aufpasst. Kaarweiler hingegen ist zwar ein liebevoller Vater, aber auch überfürsorglich und überbehütend, was ebenfalls negative Effekte in Form der falschen Beschuldigung Haasbergers durch seinen Sohn Finn nach sich zieht. Die weiße Kernfamilie wird im Weltbild von ADAMS ALPTRAUM als dysfunktional und brüchig gezeigt, wobei die nicht-intakte Familie in letzter Konsequenz zur Auslöschung eines Menschenlebens führt.
8.7
Z WISCHENFAZIT
ZU
ADAMS ALPTRAUM
Hypothese 1 besagt, dass Pädophilie in Medienbeiträgen als Angriff auf die weiße Kernfamilie und damit die weiße Gesellschaft an sich inszeniert wird. Diese These kann in ADAMS ALPTRAUM plausibilisiert werden. Da Pädophilie mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder gleichgesetzt wird, muss die Hypothese jedoch entsprechend modifiziert werden: Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch von Kindern wird demnach in ADAMS ALPTRAUM als Angriff auf die weiße Kernfamilie und die weiße Gesellschaft verstanden. Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch wird hier nicht nur im Weltbild der Flashmobber*innen als Gefahr für kleine Jungen angesehen, sondern auch von den Ermittler*innen eindeutig negativ bewertet und verurteilt. Nur über die Ausgestaltung der Bestrafung sexueller Missbrauchstäter besteht in der Tatort-Folge Uneinigkeit. Die weiße Kernfamilie wird als in ih-
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A DAMS A LPTRAUM
| 301
rer Auflösung begriffen gezeigt (vgl. Kapitel 8.6). Die vermeintlichen Opfer des angeblichen Missbrauchstäters sind Kinder, die jeweils nur mit einem (leiblichen) Elternteil zusammen gezeigt werden (Ben, Finn, Tim). Vor allem die älteren Kinder der Familien (Anna und Jonas) werden mit Aufgaben belastet, denen sie noch nicht gewachsen sind. Dies stellt den Auslöser für die Verleumdung Haasbergers durch Anna dar und die Anstiftung zum Angriff auf Haasbergers durch Jonas, weshalb Haasbergers Tod kausal auf die sich verändernden und damit negativ bewerteten Familienformen zurückgeführt werden kann. Hypothese 2, nach der Pädophilie in Medienbeiträgen als (krankhafter) Auswuchs sich verändernder Familienformen respektive der Auflösung der Kernfamilie inszeniert wird, kann durch die Analyse von ADAMS ALPTRAUM nicht bestätigt werden. Auch wenn keine tatsächlichen Pädophilen beziehungsweise Missbrauchstäter*innen vorkommen, deutet die durch Haasbergers vernachlässigte Tochter ausgelöste Kettenreaktion, die schlussendlich seinen Tod herbeiführt, darauf hin, dass die Auflösung der Kernfamilie schwerwiegende Folgen haben kann. Die veränderten Familienformen werden dabei zwar kritisiert, aber nicht in einen Kausalzusammenhang mit sexuellen Perversionen beziehungsweise Pädophilie gebracht. Hypothese 3 prognostiziert, dass die mediale Klassifizierung von Pädophilen als ‚andersartig‘ die Funktion hat, die Ideale der kindlichen Unschuld und Reinheit sowie der weißen Kernfamilie aufrechtzuerhalten. Sie kann plausibilisiert werden, muss jedoch wie Hypothese 1 um sexuellen Missbrauch erweitert werden. So wird Pädophilie in Zusammenhang mit dem als zwingend damit verbundenen Missbrauch als das Böse schlechthin dargestellt und dient damit als Kontrast zu den Kindern, die als schützenswerte Wesen und als potenzielle Sexualopfer präsentiert werden (vgl. Kapitel 8.6). Das Fehlen von Figuren, die als Pädophile beziehungsweise sexuelle Missbrauchsäter*innen inszeniert werden, trägt weiter dazu bei, dass deren Motive nicht erläutert werden und sie stattdessen pauschal verurteilt werden. Hypothese 4, bei der es um die Verschleierung politisch nicht korrekter Positionen durch die Erzählweise wie beispielsweise in Form einer narrativen Sanktion geht, kann in ADAMS ALPTRAUM bestätigt werden. Verschiedene Ordnungssätze definieren die Rollen von Frauen und Männern innerhalb der Kernfamilie, wobei gerade der Ordnungssatz, der ausdrückt, dass gute Mutterschaft nicht vereinbar mit umfangreicher Erwerbstätigkeit ist (OS 5), vermutlich einen nicht öffentlich vertretbaren Konsens darstellt. Die Figur, die gegen den Ordnungssatz verstößt, da sie eine berufliche Führungsposition innehat und sich nicht selbst um die Erziehung ihrer Kinder kümmert, wird durch das Verschwinden ihrer Söhne narrativ sanktioniert. Dabei wird die Sanktion in dem Moment aufgehoben, in welchem sie sich auf ihre Mutterpflichten besinnt. Ebenso wird die Figur, die gegen den Ordnungssatz verstößt, dass sich Väter um ihre Kinder kümmern müssen (OS 6), mit der narrativen Sanktion des Todes bestraft. (vgl. Kapitel 8.2, 8.3 und 8.6)
302 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Hypothese 5 bezieht sich auf die vorangegangenen Hypothesen und geht davon aus, dass eine Bestätigung dieser dazu führt, dass der Machterhalt des Normmenschen gefestigt wird und soziale Ungleichheiten damit fortgeschrieben werden. Sie kann hier nur eingeschränkt bestätigt werden, da Hypothese 2 anhand von ADAMS ALPTRAUM nicht überprüft werden konnte. Festzuhalten ist, dass mit Kommissar Stellbrink eine nahe am Normmenschen positionierte Figur die mächtigste Position innerhalb von ADAMS ALPTRAUM einnimmt (vgl. Kapitel 8.4).
9
Analyse der Tatort-Folge ABGRÜNDE
9.1
I NHALTSANGABE
UND
F IGURENKONSTELLATION
Chefinspektor1 Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) legen sich in der Tatort-Folge ABGRÜNDE mit den Mächtigen an. Franziska Kohl, eine Kollegin, mit der Eisner einst ein Verhältnis hatte, wird tot aufgefunden. Sie liegt in einem Verlies, in welchem der Pfarrer und Inhaber einer Altbausanierungsfirma, Huberto Podowski, jahrelang das junge Mädchen Melanie Pölzl festgehalten hatte. Melanie war in dieser Zeit sexuell missbraucht worden. Kohls Exmann Friedrich (Robert Meyer) händigt Chefinspektor Eisner das Notizbuch von Franziska aus und so bewegen sich Eisner und Fellner auf den Spuren Kohls und decken einen Ring von Kinderschänder*innen auf, zu dem die High Society Wiens gehört. Ihr Vorgesetzter Ernst Rauter (Hubert Kramar) hindert sie zunächst an ihren Ermittlungen. Leutnant Markus Frey (Michael Dangl), ein Kollege der beiden, der sich für sozial benachteiligte Kinder in dem Verein „Free Kids“ engagiert und mit der älteren Schwester von Melanie Pölzl liiert ist, scheint in die illegalen Tätigkeiten verstrickt zu sein. Als Eisners Auto manipuliert wird und seine Tochter Claudia (Tanja Raunig) infolgedessen einen schweren Unfall erleidet, greift Eisner seinen Kollegen Frey körperlich an. Er wird daraufhin vom Dienst suspendiert und Fellner gibt ihre Waffe aus Solidarität ebenso ab. Nun ermitteln die beiden ohne den Schutz, aber auch ohne die Restriktionen ihrer dienstlichen Position weiter. Sie entdecken, dass Podowski nicht allein agiert hat, sondern zusammen mit dem Immobilienmakler Werner Nussbacher (Thomas Mraz). Sie haben mit Freys Hilfe unter dem Deckmantel von „Free Kids“ junge Mädchen entführt und diese reichen Männern wie dem
1
Wegen häufig wechselnder Benennung der Dienstgrade von Eisner und Fellner orientieren sich die hier benutzten Bezeichnungen an der Website des Senders „Das Erste“ zum Tatort ABGRÜNDE: http://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/sendung/tatort-wien-abgruende-100.html. Letzter Zugriff: 18.12.2014.
304 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
wohlhabenden Generalmajor Paul von Fichtenberg (Heinz Trixner) für sexuelle Dienste angeboten. Henriette von Fichtenberg (Elfriede Schüsseleder) hat mit dem Verein „Allievi Austria“ die Programme von „Free Kids“ großzügig finanziell unterstützt. Nussbacher hatte Podowski als Bauernopfer umgebracht und wägt sich in Sicherheit, weil er die Missbrauchsfälle mit einer Videokamera aufgenommen hatte und die Bänder als seine Lebensversicherung ansieht. Mit Hilfe der Kollegin Julia Wiesner (Stefanie Dvorak) kommen Eisner und Fellner an die Akte der „Soko Melanie“, die ihnen wichtige Hinweise liefert. Als Eisner zum Schein mit einem Gewehr auf Nussbacher schießt, verliert dieser die Nerven, erschießt Frey und steckt das Gebäude, das als neues Bordell diente, in Brand. Fellner und Eisner gelingt es, ein im Bordell verstecktes Mädchen zu retten. Auf der Flucht wird Nussbacher überfahren und stirbt, die Videokassetten verschwinden. Eisner macht von Fichtenberg mit einem Trick glauben, er habe ein Videoband, das von Fichtenbergs sexuelle Aktivitäten mit kleinen Mädchen belegt, und treibt ihn damit in den Suizid. Das folgende Schaubild zeigt, wie die in ABGRÜNDE vorkommenden Figuren zueinanderstehen2:
2
Zur Methodik der Visualisierung von Figurenkonstellationen siehe Krah (2006: 361-363; vgl. auch Kapitel 5.3).
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
Schaubild 8: Figurenkonstellation in ABGRÜNDE
| 305
306 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
9.2
R EKONSTRUKTION VON O RDNUNG UND E REIGNISSEN
Im folgenden Kapitel werden zunächst die in der Tatort-Folge ABGRÜNDE vermittelten Ordnungssätze rekonstruiert, wobei darauf zu achten ist, wer sie mit welchem Geltungsanspruch einbringt (Kapitel 9.2.1). Anschließend werden der zentrale Ordnungssatz, die Ereignisse und die Art der – nach dem Konsistenzprinzip notwendigen – Ordnungswiederherstellung bestimmt (Kapitel 9.2.2).
9.2.1
Rekonstruktion der Ordnung
In der Tatort-Folge ABGRÜNDE sind folgende Ordnungssätze relevant: Tabelle 22: Ordnungssätze in ABGRÜNDE Nr. OS 1
Inhalt – formallogisch
Inhalt – Gebot/Verbot
Thema
Für alle x und alle y gilt:
Man darf als Erwachsener
Sexueller
Wenn x erwachsen ist und y
keinen Sex mit Minder-
Missbrauch
minderjährig, dann darf x
jährigen haben.
keinen Sex mit y haben. OS 2
Für alle x und alle y gilt:
Implizit: Man muss Kinder
Sexueller Missbrauch
Wenn x ein Kind aus sozial
aus sozial schwachen
schwacher Familie ist und y
Familien vor Missbrauchs-
ein Missbrauchstäter, dann ist
tätern schützen.
x ein ideales Opfer für y. OS 3
Für alle x und alle y gilt:
Implizit: Man muss als
Sexueller
Wenn x Polizist*in ist und y
Polizist*in Missbrauchstäter
Missbrauch
ein Missbrauchstäter, dann ist
für ihre Vergehen zur
x nicht in der Lage, y für ihre
Rechenschaft ziehen.
Vergehen zur Rechenschaft zu ziehen. OS 4
Für alle x und alle y gilt:
Man muss als suspendierte
Sexueller
Wenn x eine vom Dienst
Ermittler*in Missbrauchstäter
Missbrauch
suspendierte Polizist*in ist
mit allen Mitteln – auch
und y ein Missbrauchstäter,
illegalen – bekämpfen.
dann hat x alle Freiheiten, um y zu bekämpfen.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
Nr. OS 5
| 307
Inhalt – formallogisch
Inhalt – Gebot/Verbot
Thema
Für alle x und alle y gilt:
Man darf als korrupte Person
Solidarität und
Wenn x korrupt ist und/oder
bzw. als perverser „feiner
Korruption/ Perversion
ein perverser „feiner Herr“
Herr“ andere korrupte Perso-
und y korrupt ist und/oder ein
nen bzw. andere perverse
perverser „feiner Herr“, dann
„feine Herren“ nicht verraten.
darf x nicht gegen y vorgehen und y nicht gegen x vorgehen. OS 6
Für alle x und alle y gilt:
Man muss die „Drecksarbeit“
Macht und
Wenn y ein mächtiger Mann
verrichten, wenn man von
Abhängigkeit
ist und x von y abhängig ist,
mächtigen Männern
dann macht x für y die
abhängig ist.
„Drecksarbeit“. OS 7
Für alle x und alle y gilt:
Man darf als Polizist*in
Polizei und
Wenn y eine Polizist*in ist
andere Polizist*innen nicht
Verhalten
und x eine Polizist*in ist,
körperlich angreifen.
dann darf x y nicht körperlich angreifen. OS 8
Für alle x und alle y gilt:
Man darf als Mann nicht mit
Wenn x ein Mann ist und y
einer verheirateten Frau Sex
eine verheiratete Frau, dann
haben, v. a. nicht mit einer
darf x mit y keinen Sex ha-
verheirateten Kollegin.
Ehe und Treue
ben, insbesondere nicht, wenn die Frau seine Kollegin ist. OS 9
Für alle x gilt: Wenn x eine
Man muss Vergehen wieder-
Offizier*innen
Offizier*in ist, die das Wer-
gutmachen oder sich selbst
und Verhalten
tesystem der Offizier*innen
bestrafen, wenn man eine
verinnerlicht hat, dann über-
richtige Offizier*in ist.
nimmt x die Verantwortung für ihr Vergehen und trägt die Konsequenzen.
Bei den Ordnungssätzen 1 bis 4 geht es um sexuellen Missbrauch. Welches Motiv diesem zugrunde liegt und ob es sich bei den sexuellen Missbrauchshandlungen
308 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
beispielsweise um Übergriffe von Pädophilen oder um die Ausübung von Macht in Verknüpfung mit Sexualität handelt, wird nicht angesprochen. Ordnungssatz 1, der Sex zwischen Erwachsenen und Minderjährigen verbietet, erschließt sich aus dem gesamten Handlungsverlauf und dem Verhalten der Figuren, die dabei als Normsender*innen auftreten – beispielsweise Marianne Pölzl. So ist der Ausgangspunkt der Ermittlungen zwar der Tod der Kommissarin Franziska Kohl, doch es wird schnell deutlich, dass diese sterben musste, weil sie einem „Kinderpornoring“ (Frey bei TC 27:26) auf der Spur war. Eisner und Fellner, die versuchen, die Machenschaften der Missbrauchstäter*innen zu unterbinden, sind hierbei zusätzlich Normhüter*innen. Ordnungssatz 1 wird weiter von der Erzählinstanz etabliert, welche als Normsetzerin für narrative Sanktionen zu verantworten ist. Dass alle Missbrauchstäter*innen im Verlauf des Films eines unnatürlichen Todes sterben, kann dabei als narrative Sanktion aufgefasst werden. Der Ordnungssatz stellt eine Partikularnorm dar, da er nur für Erwachsene gültig ist. Weil er für die Figuren, die ihn im Film ansprechen, ebenfalls gültig ist, wird er als reziprok aufgefasst. Da die Missbrauchstäter alle männlich sind (von Fichtenberg, gegebenenfalls Frey, Podowski und Nussbacher), wird die Bezeichnung im Folgenden nur in der männlichen Form aufgeführt. Damit sind die Ordnungssätze 2, 3 und 4 geschlechterspezifisch formuliert. Ordnungssatz 2, der Kinder aus sozial schwachen Familien als prädestinierte Opfer sexualisierter Gewalt beschreibt und als nicht-reziproke Partikularnorm aufzufassen ist, wird explizit durch Fellner formuliert („Ich will ja nicht gleich was Böses unterstellen, aber Kinder aus sozial schwachen Familien sind natürlich das gefundene Fressen für Pädophile.“ TC 47:50), die hierbei die Funktion der Normsenderin einnimmt. Marianne Pölzl, die Mutter der missbrauchten Melanie, verbalisiert Ordnungssatz 3. Mit dem Satz „Ihr werdet’s die Sauhund nie kriegen.“ (Pölzl bei TC 41:47) verweist sie auf die Machtlosigkeit der Polizei gegenüber Personen, die Kinder sexuell missbrauchen. Sie kann dabei als Normsenderin betrachtet werden, da sie den Ordnungssatz – welcher einen Zustand ausdrückt, den sie bemängelt – nicht setzt, sondern lediglich in Worte fasst. Ordnungssatz 4 beinhaltet, dass vom Dienst suspendierte Polizist*innen Missbrauchstäter mit allen Mitteln bekämpfen dürfen, gemäß dem Sprichwort ‚Der Zweck heiligt die Mittel‘. Als Fellner ihren Kollegen Eisner dafür lobt, dass er Frey „verdroschen“ (TC 1:02:13) habe, reagiert dieser verstimmt: „Ja, und was haben wir jetzt davon?“ (Eisner bei 1:02:14). Daraufhin antwortet Fellner: „Alle Freiheiten. Wir müssen sie nur nutzen.“ (TC 1:02:16). Diesen Satz wiederholt Eisner nahezu wörtlich (TC 1:14:29), als er die Idee hat, Nussbacher mit Gewehrschüssen wachzurütteln, um die Mächtigen „gegeneinander aus[zu]spielen“ (Eisner bei TC 1:14:50). Die Dopplung der expliziten Formulierung von Ordnungssatz 4 durch die beiden Kommissar*innen zu unterschiedlichen Zeitpunkten verweist auf seine Wichtigkeit. Eisner und Fellner fungieren hier als Normsetzer*innen, da sie die reziproke Partikularnorm etablieren. Der Ordnungssatz wird zur Rechtfertigung für Regelübertretungen, die teilweise über
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
| 309
das in der Tatort-Reihe übliche Maß an großzügiger Gesetzesauslegung durch die Kommissar*innen hinausgehen, und ist auf Eisners und Fellners besonderen Status als suspendierte Ermittler*innen zurückzuführen. Zudem werden die beiden Kommissar*innen nicht für ihre illegalen Ermittlungsmethoden bestraft, sondern ihre Vorgehensweise wird von ihrem Vorgesetzen Rauter legitimiert, der am Ende des Films die Suspendierung aufhebt: Rauter: Eisner: Fellner: Rauter:
Sagts einmal. Wieso haben die plötzlich so eine Panik aufgerissen? Keine Ahnung. Ich kann mir des überhaupt net erklären. Naja. Dann passt’s eh. Übrigens. Die Waffen und Ausweise könnts euch wieder abholen. Also, wenns es noch haben wollts. (TC 1:24:11 – TC 1:24:30)
Bei Ordnungssatz 5 geht es um Solidarität unter kriminellen beziehungsweise von der Norm abweichenden Personen. Der Ordnungssatz, welcher als nicht-reziproke Partikularnorm aufzufassen ist, kann auf zwei explizite Äußerungen Eisners zurückgeführt werden, der dabei als Normsender fungiert. So verweist Eisners Aussage „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ (Eisner bei TC 45:38) auf das für korrupte Personen geltende Verbot, andere korrupte Personen zu verraten. Auf der auditiven Ebene verdeutlicht immer wieder eingespieltes Krähenkreischen (Sequenz 2 und Sequenz 46), dass der gesamte Kosmos der Tatort-Folge ABGRÜNDE von der durch die Krähen symbolisierten Korruption durchzogen ist. Auch als Eisner Paul von Fichtenberg am Ende des Films durch einen Trick überführt, sind Krähen zu hören (Sequenz 95). Weiter sagt Eisner zu Fellner: „[D]u kannst davon ausgehen, dass diese feinen Herren fest zusammenhalten, weil jeder vom anderen die Perversionen kennt.“ (Eisner bei TC 1:14:07). Damit wird die Pflicht des Zusammenhaltes der perversen „feinen Herren“ verbalisiert. Da in der Tatort-Folge alle auftretenden perversen „feinen Herren“ korrupt sind, können beide Aussagen zu einem Ordnungssatz (OS 5) zusammengefasst werden. Der von Eisner als Normsender explizierte Ordnungssatz 5 wird zudem von der Erzählinstanz gestützt, da alle korrupten Personen am Ende des Films tot sind, was als narrative Sanktion aufgefasst werden kann und die Gültigkeit des Ordnungssatzes bestätigt. Die Erzählinstanz fungiert dabei als Normsetzerin. Auch Ordnungssatz 6 hat die kriminellen Machenschaften der Mächtigen zum Inhalt, dieses Mal allerdings mit Fokus auf die „Drecksarbeit“ (Eisner bei TC 1:13:56), die die Handlanger für die Mächtigen verrichten müssen. Da alle Handlanger in ABGRÜNDE männlich sind (Podowski, Frey, Nussbacher; im weitesten Sinn auch Rauter, der sich zunächst an die Befehle seiner Vorgesetzten hält), ist Ordnungssatz 6 geschlechterspezifisch und gilt nur für Männer. Damit stellt er eine
310 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Partikularnorm dar. Ordnungssatz 6 kann ebenfalls aus einer Aussage Eisners geschlossen werden, die dieser in seiner Funktion als Normsender während eines Gesprächs mit seiner Kollegin Fellner macht: Eisner: Fellner: Eisner:
Ich glaub, dass sie [Franziska Kohl, MK] unserem magischen Generalmajor zu nahegekommen ist. So einer macht sich doch net selber die Finger schmutzig. Die Drecksarbeit machen immer die Nussbachers und die Freys dieser Welt. Ein Fichtenberg sorgt dann dafür, dass ein Mord offiziell zu einem Unfall hingedreht wird. (TC 1:13:50 –TC 1:14:03)
„[D]ie Nussbachers und Freys dieser Welt“ stehen dabei für die Handlanger der Mächtigen, während der Generalmajor Paul von Fichtenberg die Mächtigen repräsentiert. Ordnungssatz 6 ist nicht reziprok, da Eisner sich weigert, die „Drecksarbeit“ für die Mächtigen zu erledigen. Er wird nicht in Frage gestellt. Ordnungssatz 7 verbietet es Polizist*innen, andere Polizist*innen anzugreifen. Er kann daraus geschlossen werden, dass Eisner von Rauter vom Dienst suspendiert wird, als er einen Kollegen körperlich angeht. Rauter spricht die Suspendierung dabei explizit aus: „Herr Oberstleutnant Eisner, ich muss Sie vom Dienst suspendieren. Waffe und Dienstausweis, bitte.“ (Rauter bei TC 57:11).3 Es handelt sich bei Ordnungssatz 7 um eine reziproke Partikularnorm, die nur für Polizist*innen gilt. Rauter kann als Normsender begriffen werden. Ordnungssatz 8 zielt auf das Verbot für Männer, mit einer verheirateten Frau Sex zu haben, insbesondere wenn es sich bei der Frau um eine Kollegin handelt. Er kann aus Aussagen Fellners rekonstruiert werden, die zu Eisner wegen dessen Affäre mit dem Mordopfer Franziska Kohl sagt: Fellner: Eisner: Fellner:
[…] Du bist immer so korrekt. Und dann gibt’s da auf einmal solche Abgründe. Abgründe? Naja, schon. Sich mit einer verheirateten Frau und noch dazu einer Kollegin heimlich in einem Dorf treffen auf nen schnellen Fick. (TC 49:26 – TC 49:38)
Der Exmann von Kohl rügt Eisner ebenfalls, weil dieser ihm „die Ehe kaputt gemacht“ (Friedrich Kohl bei TC 12:09) habe und Eisner deshalb – und weil er Franziska Kohl noch nicht einmal geliebt habe – „genauso ein Arschloch wie alle ande3
Rauter spricht Eisner hier förmlich mit Dienstgrad und Nachnamen an, obwohl sich die beiden ansonsten duzen.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
| 311
ren“ (Friedrich Kohl bei TC 13:00) sei. Sowohl Fellner als auch Friedrich Kohl fungieren hier als Sender der nur für Männer gültigen Partikularnorm, welche nicht auf den Prüfstand gestellt wird. In Ordnungssatz 9 geht es um die Verpflichtung von Offizier*innen, die Verantwortung für ihre Vergehen zu übernehmen. Dies kann entweder bedeuten, dass sie ihre Vergehen wiedergutmachen oder – wenn dies nicht möglich ist – sich selbst bestrafen müssen. Die nur für Offizier*innen gültige Partikularnorm wird ebenfalls von Eisner als Normsender verbalisiert, der den Generalmajor Paul von Fichtenberg vor die Wahl stellt: Entweder führt Eisner eine MiniDV-Kassette, die angeblich Aufnahmen des Generalmajors beim Missbrauch von Mädchen enthält, seiner Frau und dem Staatsanwalt vor oder von Fichtenberg „regel[t] die Angelegenheit wie ein richtiger Offizier“ (Eisner bei TC 1:26:43). Auch Eisner selbst ist ein Offizier (Rauter spricht ihn als „Oberstleutnant Eisner“ an bei TC 57:12), der ein Vergehen begangen hat (Verstoß gegen OS 8). Bei ihm lässt sich der Fehltritt jedoch wiedergutmachen. Es werden demnach zwei konkrete Möglichkeiten gezeigt, wie Offizier*innen mit ihren Vergehen umgehen können: das Erfüllen einer moralischen Pflicht oder Selbstmord. Tabelle 23 gibt einen Überblick über den Ursprung der Ordnungssätze, die Art, wie diese vermittelt werden, den Gültigkeitsanspruch und die tatsächliche Gültigkeit sowie die Funktion der Figuren bei der Normvermittlung:
OS 3
OS 2
Aussagen von
keinen Sex mit y haben.
auf illegale Weise bei
Missbrauchstätern nur
gültig; nicht-reziprok
nicht in der Lage, y für ihre
Vergehen zur Rechenschaft
zu ziehen.
Fellner kommen den
Polizist*innen
ein Missbrauchstäter, dann ist x
Erweist sich als richtig: Eisner und
nur für
Partikularnorm:
Erweist sich als richtig
Todes
eines unnatürlichen
führt bzw. sterben alle
doch am Ende über-
stellt, diese werden je-
Herren“ in Frage ge-
Wenn x Polizist*in ist und y
Explizit
nicht-reziprok
ideales Opfer für y.
Pölzl
Familien gültig;
Für alle x und alle y gilt:
sozial schwachen
schwacher Familie ist und y ein
Partikularnorm:
Missbrauchstäter, dann ist x ein
Explizit
reziprok
gültig;
Erwachsene
nur für
Wird durch die „feinen
Gültigkeit
anspruch Partikularnorm:
Tatsächliche
Gültigkeits-
nur für Kinder aus
Fellner
Eisner
verhalten
Figuren-
Sanktion/
Narrative
Art
Wenn x ein Kind aus sozial
Für alle x und alle y gilt:
verhalten und
minderjährig, dann darf x Fellner und
Erzähl-
instanz/Figuren-
Für alle x und alle y gilt:
OS 1
Ursprung
Wenn x erwachsen ist und y
Inhalt
Nr.
Normsenderin
Normsenderin
Normhüter*innen
Eisner und Fellner:
sender*innen;
Figuren: Norm-
Normsetzerin;
Erzählinstanz:
Funktion
312 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 23: Ursprung und Gültigkeit der Ordnungssätze in ABGRÜNDE sowie Funktion der jeweiligen Figur
illegalen Ermittlungsmethoden nicht bestraft werden
vom Dienst suspendierte Polizist*innen gültig; reziprok
Eisner
vom Dienst suspendierte Polizist*in ist
OS 7
OS 6
OS 5
Eisner und Fellner für ihre
dann darf x y nicht körperlich angreifen
Für alle x und alle y gilt: Wenn y eine Polizist*in ist und x eine Polizist*in ist,
Wird durch Eisner in Frage gestellt, der Frey angreift und dafür suspendiert wird
Polizist*innen gültig; reziprok
Sanktion
gültig; nicht-reziprok
„Drecksarbeit“.
Partikularnorm: nur für
Männern Abhängigen
Explizit/
Frage gestellt
die von den mächtigen
mächtiger Mann ist und x von y
abhängig ist, dann macht x für y die
Rauter
Wird nicht in
Für alle x und alle y gilt: Wenn y ein
Partikularnorm: nur für
vorgehen und y nichtgegen x vorgehen.
Normsender
Normsender
gültig; nicht-reziprok
Explizit
Normsetzerin
von Fichtenberg) zu Sanktionen führen (Tod)
perverse „feine Herren“
Sanktion
instanz
„feiner Herr“, dann darf x nicht gegen y
Eisner
Erzählinstanz:
gegen OS 5 (Nussbacher,
ist und/oder ein perverser „feiner Herr“
und y korrupt ist und/oder ein perverser
Eisner: Normsender;
Wird bestätigt, da Verstöße
Partikularnorm: nur für korrupte Personen bzw.
Explizit/ narrative
Eisner/ Erzähl-
Für alle x und alle y gilt: Wenn x korrupt
und y ein Missbrauchstäter, dann hat x alle Freiheiten, um y zu bekämpfen.
Normsetzer*innen
Erweist sich als richtig, da
Partikularnorm: nur für
Explizit
Fellner/
Gültigkeit
Für alle x und alle y gilt: Wenn x eine
Funktion
OS 4
Tatsächliche
Gültigkeitsanspruch
Art
Ursprung
Inhalt
Nr.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
| 313
OS 9 Explizit Offizier*innen
tung für sein Vergehen übernimmt
hen und trägt die Konsequenzen.
sich selbst tötet; durch Eisner, der Verantwor-
von Fichtenberg, der
Wird bestätigt: durch
Frage gestellt
Verantwortung für sein/ihr Verge-
gültig; reziprok
system der Offizier*innen verinnerlicht hat, dann übernimmt x die
Partikularnorm: nur für
Eisner
Offizier*in ist, die das Werte-
Für alle x gilt: Wenn x eine
Kolleg*innen; (nicht-reziprok)
Verstärkung für
gültig; partikulare
nur für Männer
Wird nicht in
Gültigkeit
anspruch Partikularnorm:
Tatsächliche
Gültigkeits-
Sex haben, insbesondere nicht,
Friedrich Kohl
te Frau, dann darf x mit y keinen
Explizit
Art
wenn die Frau seine Kollegin ist.
Fellner/Unterstützung durch
Für alle x und alle y gilt: Wenn x
OS 8
Ursprung
ein Mann ist und y eine verheirate-
Inhalt
Nr.
Normsender
Normsender*innen
Funktion
314 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
| 315
Auffällig ist, dass die Ordnungssätze fast ausschließlich explizit vermittelt werden, also auf direkte Äußerungen einzelner Figuren zurückzuführen sind. Feststellen lässt sich zudem, dass die Ordnungssätze alle als Partikularnormen definiert sind, also nur für bestimmte Personengruppen gelten. Außerdem sind die meisten Ordnungssätze nicht-reziproke Partikularnormen, das heißt, die Person, die die Norm im narrativen Gefüge vermittelt, ist selbst nicht von dieser betroffen. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass die nicht-reziproken von Eisner und Fellner formulierten Ordnungssätze teilweise (OS 5, OS 6 und OS 9) die Weltsicht der Antagonist*innen widerspiegeln und somit nur für diese, nicht aber für Eisner und Fellner gültig sind.
9.2.2
Der zentrale Ordnungssatz, Ereignisse und Ordnungswiederherstellung
Ordnungssatz 5 und damit die Solidarität der Korrupten beziehungsweise der perversen „feinen Herren“ untereinander ist der zentrale Ordnungssatz in ABGRÜNDE. Ordnungssatz 6 kann Ordnungssatz 5 subsumiert werden, da er das Verhältnis der Mächtigen und ihrer Handlanger konkretisiert, indem er die Abhängigkeit letzterer von den Mächtigen festlegt. Vetternwirtschaft, die undurchsichtigen Seilschaften der Mächtigen „da oben“ (Eisner bei TC 46:47), Korruption und Vertuschung sind damit die zentralen Themen in der Tatort-Folge ABGRÜNDE. Die anderen Ordnungssätze sind diesen Themen untergeordnet. So bietet das emotionsbesetzte Feld des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Ordnungssätze 1–4) in erster Linie die moralische Rechtfertigung für die illegalen Ermittlungsmethoden und für die als Selbstjustiz zu bezeichnenden Bestrafungen der (ausschließlich männlichen) Täter durch die suspendierten Komissar*innen Eisner und Fellner. Ordnungssatz 7 erfüllt vornehmlich eine dramaturgische Funktion, denn er bietet die Möglichkeit, die Suspendierung Eisners inhaltlich zu begründen, die wiederum Grundlage für die weitere Lösung des Falls darstellt, da sie Ermittlungsmethoden fernab von polizeilichen Regeln erlaubt. Ordnungssatz 8 bezieht sich auf ein in der Vergangenheit liegendes Vergehen von Eisner und begründet die emotionale Involviertheit des Chefinspektors in den Fall, wird aber nicht zentral gesetzt. Ordnungssatz 9 nimmt ebenfalls keine herausragende Stellung innerhalb des Textes ein, auch wenn seine Verbalisierung durch Eisner kurz vor Ende des Films seine Prominenz erhöht. Ordnungssatz 9 eröffnet aus erzähltheoretischer Sicht eine Möglichkeit für Eisner, den Generalmajor von Fichtenberg in den Tod zu treiben, zeigt aber andererseits auf, dass für verschiedene Arten von Vergehen unterschiedliche Konsequenzen erforderlich sind: Eisner kann seine moralische Schuld, welche er wegen seiner Affäre mit Franziska Kohl auf sich geladen hat, büßen, für den pädosexuellen von Fichtenberg hingegen bleibt als Möglichkeit zur Sühne nur der Freitod.
316 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Anhand der Auflistung aller Ordnungsverletzungen und der Art der Ordnungswiederherstellungen in ABGRÜNDE soll die Zentralität von Ordnungssatz 5 überprüft werden: Tabelle 24: Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in ABGRÜNDE Ordnungssatz (OS)
Täter*in
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
Sexueller Missbrauch
OWH siehe OS 5
OS 1: Für alle x und
Von Fich-
alle y gilt: Wenn x
tenberg;
von Melanie und
erwachsen ist und y
unklar:
anderen Mädchen
minderjährig, dann
Podowski,
darf x keinen Sex mit
Nussbacher,
y haben./Man darf als
Frey
Erwachsener keinen Sex mit Minderjährigen haben. OS 2: Für alle x und
(Polizei)
alle y gilt: Wenn x
Polizei kann Mädchen
Eingeschränkte OWH:
aus sozial schwachen
Ein Mädchen wird durch
ein Kind aus sozial
Familien (z. B.
(suspendierte) Ermitt-
schwacher Familie ist
Melanie) nicht vor
ler*innen gerettet und ein
und y ein Miss-
sexuellem Missbrauch
anderes Mädchen (Mela-
brauchstäter, dann ist
schützen
nie) rettet sich selbst, ist aber geschädigt
x ein ideales Opfer für y./Man muss Kinder aus sozial schwachen Familien vor Missbrauchstätern schützen. OS 3: Für alle x und
(Polizei)
Polizei kann Mädchen
alle y gilt: Wenn x
(z. B. Melanie) nicht
Polizist*in ist und y
vor sexuellem Miss-
ein Missbrauchstäter,
brauch schützen
dann ist x nicht in der Lage, y für ihre Vergehen zur Rechenschaft zu ziehen./Man muss als Polizist*in
OWH siehe OS 2
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
Ordnungssatz (OS)
Täter*in
| 317
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
Keine OV
[OS 4 wird bestätigt, weil
Missbrauchstäter für ihre Vergehen zur Rechenschaft ziehen. OS 4: Für alle x und
Keine OV
alle y gilt: Wenn x
Eisner und Fellner mit
eine vom Dienst sus-
ihren illegalen Methoden
pendierte Polizist*in
erfolgreich sind und ihr
ist und y ein Miss-
Vorgesetzter Rauter ihr
brauchstäter, dann hat
Vorgehen legitimiert]
x alle Freiheiten, um y zu bekämpfen./Man muss als suspendierte Ermittler*in Missbrauchstätern mit allen Mitteln – auch illegalen – bekämpfen. OS 5: Für alle x und
Nussbacher,
Nussbacher erschießt
alle y gilt: Wenn x
von Fichten-
Frey und hat vermut-
überfahren und stirbt;
korrupt ist und/oder
berg, (Frey)
lich wie Frey mit dem
Frey wird erschossen;
Tod: Nussbacher wird
ein perverser „feiner
Tod Podowskis zu tun;
von Fichtenberg tötet
Herr“ und y korrupt
von Fichtenberg er-
sich vermutlich selbst
ist und/oder ein per-
mordet vermutlich
verser „feiner Herr“,
Nussbacher und
dann darf x nicht ge-
initiiert die anderen
gen y vorgehen und y
Morde; alle drei sind
nicht gegen x vorge-
voraussichtlich in den
hen./Man darf als
Tod von Kohl
korrupte Person bzw.
verwickelt
als perverser „feiner Herr“ andere korrupte Personen bzw. andere perverse „feine Herren“ nicht verraten. OS 6: Für alle x und
(von Fich-
(von Fichtenberg
(von Fichtenberg stirbt);
alle y gilt: Wenn y
tenberg)
bringt Nussbacher
[OS 7 wird ansonsten
318 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Ordnungssatz (OS)
Täter*in
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
ein mächtiger Mann
vermutlich selbst um
bestätigt, weil Nuss-
ist und x von y
und erledigt hier als
bacher und Frey die
abhängig ist, dann
feiner Herr die
„Drecksarbeit“ für von
macht x für y die
„Drecksarbeit“)
Fichtenberg machen]
„Drecksarbeit“./Man muss die „Drecksarbeit“ verrichten, wenn man von mächtigen Männern abhängig ist. Eisner greift seinen
OWH dadurch, dass
alle y gilt: Wenn y
Kollegen Frey
Eisner den Fall löst und
eine Polizist*in ist
körperlich an
sein Vorgesetzter Rauter
OS 7: Für alle x und
Eisner
und x eine Polizist*in
daraufhin seine Suspen-
ist, dann darf x y
dierung zurücknimmt
nicht körperlich angreifen./Man darf als Polizist*in andere Polizist*innen nicht körperlich angreifen. OS 8: Für alle x und
Eisner hatte in der
OWH dadurch, dass
alle y gilt: Wenn x
Eisner
Vergangenheit eine
Eisner die Mörder*innen
ein Mann ist und y
Affäre mit seiner
Kohls aufspürt und ihre
eine verheiratete
Kollegin Kohl
angefangenen Ermittlun-
Frau, dann darf x mit
gen zu Ende bringt
y keinen Sex haben, insbesondere nicht, wenn die Frau seine Kollegin ist./Man darf als Mann nicht mit einer verheirateten Frau Sex haben. OS 9: Für alle x gilt:
Eisner
Eisner hatte in der
OWH siehe OS 8: Eisner
Wenn x eine Offi-
Vergangenheit eine
erfüllt seine moralische
zier*in ist, die das
Affäre mit seiner
Pflicht, indem er den Fall
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
Ordnungssatz (OS)
Ordnungsverletzung
Ordnungswieder-
(OV)
herstellung (OWH)
Wertesystem der Of-
Kollegin Kohl und hat
von Franziska Kohl löst;
fizier*innen verinner-
keine Verantwortung
OS 9 wird außerdem
licht hat, dann über-
dafür übernommen,
bestätigt, weil der
nimmt x die Verant-
obwohl er ein
Generalmajor von
wortung für ihr Ver-
Offizier ist
Fichtenberg augen-
gehen und trägt die
Täter*in
| 319
scheinlich Suizid begeht
Konsequenzen./Man muss Vergehen wiedergutmachen oder sich selbst bestrafen, wenn man eine richtige Offizier*in ist.
Die Übersicht zeigt, dass es bei zwei Ordnungssätzen keine Verstöße gibt (OS 4 und – mit Einschränkung, siehe Tabelle 24 – OS 6). Die Verletzung der Ordnungssätze 2 und 3 besteht nur, wenn man die ihnen zugrunde liegenden Verbote heranzieht. Die Polizei wird als Institution gezeigt, die nicht die Mittel hat, sexuelle Missbrauchstäter aufzuspüren und festzunehmen. Es bleibt unklar, wer dabei in ABGRÜNDE als sexueller Missbrauchstäter einzustufen ist. So ist nur bei von Fichtenberg eindeutig klar, dass er sexualisierte Gewalt gegen Mädchen angewendet hat, denn das erklärt, warum er Nussbacher (vermutlich) mit dem Auto überfahren hat und die MiniDV-Tapes mit den Aufnahmen aus dem „Geheimbordell“ (Eisner bei TC 1:10:43) gestohlen hat. Dass Frey vermutlich ebenfalls pädophil beziehungsweise sexuell an Kindern interessiert ist (vgl. Kapitel 9.5), lässt sich aus dem Werbevideo des Vereins „Free Kids“ schließen, in welchem Frey Kindern körperlich nahe kommt, zum Beispiel dadurch, dass er einem Kind beim Klettern hilft und ihm dabei an den Po fasst (Sequenz 54, siehe auch Screenshot 55, Kapitel 9.5). Es fehlen hingegen Verweise darauf, ob Nussbacher – und auch Podowski – vornehmlich am finanziellen Gewinn der „Geheimbordelle“ interessiert waren oder ob sie selbst an den illegalen sexuellen Aktivitäten teilgenommen haben. Da sie ebenso wie von Fichtenberg am Ende des Films tot sind, ist die durch die Verletzung von Ordnungssatz 1 gestörte Ordnung jedenfalls uneingeschränkt wiederhergestellt, wobei hier die narrative Lösung durch Eliminierung der Figuren keine auf die Wirklichkeit übertragbare Lösung darstellt, weder für das gesellschaftliche Problem der Korruption noch für den sexuellen Missbrauch von Kindern. Darüber hinaus erfolgt die Ordnungswiederherstellung hier im Zuge der Rekonstitution von Ordnungssatz 5, da der Tod der Figuren kausal mit ihrem Verstoß gegen diesen Ord-
320 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
nungssatz zusammenhängt. Eisner verstößt gegen Ordnungssatz 7, wobei die Ordnung wiederhergestellt wird, indem Rauter die Suspendierung Eisners aufhebt. Wie oben dargelegt, kommt Ordnungssatz 7 beziehungsweise der Verletzung dieses Ordnungssatzes innerhalb der Narration damit vornehmlich eine dramaturgische Funktion zu. Die Verletzung von Ordnungssatz 8 bezieht sich auf eine in der Vergangenheit liegende Regelübertretung Eisners. Eisner büßt seine Schuld, indem er Kohl, wie von ihrem Exmann gefordert, „wenigstens im Tod gerecht [wird]“ (Friedrich Kohl bei TC 13:13). Wie zuvor beschrieben, ist dieser Ordnungssatz in ABGRÜNDE jedoch nicht zentral und wird gleichsam ‚nebenbei‘ abgehandelt. Gleiches gilt für Ordnungssatz 9, den Eisner ebenfalls verletzt, weil er keine Verantwortung für sein Fehlverhalten (Affäre mit einer Kollegin) übernommen hat. Ordnungssatz 9 wird gemeinsam mit der Ordnungswiederherstellung im Zuge von Ordnungssatz 8 rehabilitiert. Damit hat die Übersicht über die Ereignisse und die Ordnungswiederherstellungen die Zentralität von Ordnungssatz 5 bestätigt.
9.3
R AUMSTRUKTUREN
Um die juristischen und sozialen Grenzüberschreitungen in der Tatort-Folge ABGRÜNDE aufzuschlüsseln, wird zunächst der chronologische Verlauf der Narration anhand von Situationsbeschreibungen (SB) rekonstruiert. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Situationsbeschreibungen:
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
| 321
Tabelle 25: Alle Situationsbeschreibungen (SB) in ABGRÜNDE4 SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB[1]
Eisner hat ein Verhältnis mit
Verstoß gegen OS 8 und gegen OS 9
seiner Kollegin Franziska Kohl. SB[2]
SB[3]
Eisner beendet das Verhältnis
(Teil-)Restitution OS 1 – moralische Schuld
mit Franziska Kohl.
verbleibt, weil Eisner Kohl nicht geliebt hat
Podowski, Nussbacher und Frey
Verstoß gegen OS 1
betreiben ein Kinderbordell in Podowskis Pfarrerhaus und halten dort Melanie Pölzl fest. SB[4]
Melanie Pölzl entkommt. Nuss-
Verstoß gegen OS 5
bacher und Frey töten Podowski im Auftrag des Generalmajors von Fichtenberg. SB[5]
Nussbacher und Frey betreiben
Verstoß gegen OS 1
ein Kinderbordell im Gebäude von „NuPo Consulting“. SB[6]
Nussbacher und Frey töten
Verstoß gegen Grundsatz
Franziska Kohl im Auftrag des
„Du darfst (die Guten) nicht töten“5
Generalmajors von Fichtenberg. Eisner und Fellner nehmen die Ermittlungen auf. SB7
Eisner greift Frey körperlich an,
Verstoß gegen OS 7
weil seine Tochter mit seinem manipulierten Dienstwagen einen Unfall hatte.
4
Gegen den Ordnungssatz 4 gibt es in ABGRÜNDE keine Verstöße, gegen die Ordnungssätze 2, 3 und 6 nur sehr eingeschränkt (vgl. Tabelle 24, Kapitel 9.2.2).
5
Der Sachverhalt, dass der Tod der ‚Bösen‘ in ABGRÜNDE vertretbar erscheint, der der ‚Guten‘ wie z. B. von Franziska Kohl jedoch nicht, wird später in diesem Unterkapitel näher erläutert. Eckige Klammern verweisen auf in der Vergangenheit liegende Ereignisse (vgl. auch Kapitel 7.3.1).
322 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
SB
Inhalt
Verstöße und Ordnungswiederherstellungen
SB8
Eisner wird vom Dienst suspen-
Sanktion wegen Verstoß gegen OS 7 und
diert und Fellner gibt ebenfalls
damit Restitution von OS 7
Waffe und Dienstausweis ab. SB9
Nussbacher und Frey betreiben
Verstoß gegen OS 1
in Nussbachers Immobilie ein Kinderbordell. SB10
Eisner und Fellner nutzen alle
Bestätigung von OS 4;
Freiheiten, um die Missbrauchs-
ebenfalls Bestätigung von OS 3
täter und ihre Handlanger zu überführen. Eisner scheucht Nussbacher mit Gewehrschüssen auf. SB11
Nussbacher tötet Frey.
Verstoß gegen OS 5 durch Nussbacher; gleichzeitig (Teil-)Restitution von OS 1 durch narrative Sanktion von Frey
SB12
Von Fichtenberg tötet Nussbacher.
Verstoß gegen OS 5 durch von Fichtenberg, gleichzeitig (Teil-)Restitution OS 5, denn Nussbacher war nicht solidarisch (vgl. SB11); gleichzeitig (Teil-)Restitution von OS 1 durch narrative Sanktion von Nussbacher
SB13
SB14
Rauter nimmt die Suspendie-
Aufhebung der Sanktion gegen Eisner und
rung von Eisner und
Fellner wegen der Verletzung von OS 7,
Fellner zurück.
damit Bestätigung von OS 4
Eisner bringt von Fichtenberg
Restitution von OS 9 (Eisners Verstoß) sowie
dazu, Suizid zu begehen.
Bestätigung von OS 9 durch den Suizid von Fichtenbergs; (Teil-)Restitution OS 8 (moralische Schuld); gleichzeitig Restitution OS 5, denn von Fichtenberg war nicht solidarisch; gleichzeitig (Teil-)Restitution von OS 1 durch narrative Sanktion von Fichtenbergs
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
| 323
Wie anhand der Tabelle ersichtlich wird, liegen sowohl gegen den Ordnungssatz 1 (Verbot von Sex zwischen Erwachsenen und Kindern) als auch gegen Ordnungssatz 5 (Korruptionsverbot bzw. Solidaritätsgebot) mehrere Verstöße vor. Während das Verbot von sexuellem Missbrauch dabei eine juristische Norm darstellt, ist das Gebot zu Solidarität unter Korrupten beziehungsweise unter perversen „feinen Herren“ als soziale Norm aufzufassen. Der Tod von Nussbacher sowie der Freitod des von Fichtenberg können dabei als Restitution des Ordnungssatzes 5 begriffen werden, denn alle Figuren, die diesem Ordnungssatz nicht Folge geleistet haben, sind eliminiert worden. Ordnungssatz 7 (Verbot körperlicher Angriffe unter Polizist*innen), gegen den ebenfalls verstoßen wird, ist eine juristische Norm, der Verstoß gegen Ordnungssatz 8 (Verbot von Herbeiführung eines Ehebruchs) hingegen ist als Regelbruch mit einer sozialen Norm zu begreifen. Weil alle Figuren sterben, die gegen Ordnungssatz 1 verstoßen haben (Podowski, Nussbacher, Frey, von Fichtenberg), indem sie Kinder selbst sexuell missbraucht haben oder aber anderen Männern für sexuelle Aktivitäten verkauft haben, kann ihr Tod auf übergeordneter Ebene als narrative Sanktion aufgefasst werden. Da sich in ABGRÜNDE die zentrale(n) Grenzüberschreitung(en) gegen eine soziale und nicht gegen eine juristische Norm richten, werden zunächst die Figurenbewegungen im Hinblick auf soziale Normen dargestellt:
324 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Schaubild 9: Figurenbewegungen und soziale Normen in ABGRÜNDE
Das Schaubild zeigt, dass mit Frey, Nussbacher und von Fichtenberg alle drei Figuren,6 die gegen Ordnungssatz 5 verstoßen, nicht resozialisiert werden können, sondern in den Raum des Todes übergehen. Da dies dieselben Figuren sind, die auch Verstöße gegen den Ordnungssatz 1 begehen – auch wenn nicht eindeutig ist, ob sie alle selbst Kinder sexuell missbrauchen oder ein Kinderbordell betreiben und die Kinder damit anderen feilbieten – ist das Problem des sexuellen Missbrauchs hier durch den Tod der Figuren auf narrativer Ebene ebenfalls gelöst. Jedoch bietet der Film ABGRÜNDE damit keine auf die gesellschaftliche Ebene übertragbare Lösung an: weder für das Feld der Korruption, noch für das des sexuellen Missbrauchs. Ein 6
Podowski kann als vierte Figur der Liste derer, die korrupt sind und deshalb als nicht resozialisierbar erscheinen, hinzugefügt werden. Aus Platzgründen und da seine Vergehen vor Einsatz der (visuell) erzählten Zeit liegen, wird er hier nicht mit aufgeführt.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
| 325
Beispiel für eine Figur, die gegen eine soziale Norm verstößt und resozialisiert wird, bietet Eisner. Seine Schuld am Ehebruch seiner Kollegin Kohl kann dadurch gesühnt werden, dass er ihren Mord aufklärt und den „Kinderpornoring“ (Frey bei TC 27:26) aufdeckt, dem sie auf der Spur war. Für ihn ist eine Rückkehr in den Raum der Legalität folglich möglich. Um die Verbrecher*innen zu überführen, muss Eisner gemeinsam mit seiner Kollegin Fellner jedoch juristische Grenzen überschreiten. Wegen seines Status als suspendierter Ermittler fallen diese Verstöße gegen Gesetzesvorschriften besonders gravierend aus, was jedoch implizit mit der Schwere der Verbrechen moralisch begründet wird beziehungsweise als vertretbar erscheint. So werden Eisner und Fellner auch von ihrem Vorgesetzten Rauter rehabilitiert (vgl. Kapitel 9.2.1). Eisners Angriff auf seinen Kollegen Frey ist damit ein Vergehen, das im Rückblick wegen Freys dunklen Machenschaften als angemessen erscheint. Eisner kann auch im Hinblick auf seinen Verstoß gegen eine juristische Norm (Ordnungssatz 7) in den Raum der Legalität zurückkehren, während das Frey, Nussbacher und von Fichtenberg nicht möglich ist, da diese in den Raum des Todes übergehen. Die Figurenbewegungen im Hinblick auf Kriminalität und damit juristische Normen können folgendermaßen visualisiert werden:
326 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Schaubild 10: Figurenbewegungen und juristische Normen in ABGRÜNDE
In der Tatort-Folge ABGRÜNDE wird demnach eindeutig unterschieden zwischen den wahrhaft ‚Bösen‘ Frey, Nussbacher und von Fichtenberg, die eindimensional und moralisch schlecht dargestellt werden, und den ‚Guten‘, die zwar wie Eisner auch Verstöße gegen Normen begehen, aber diese Fehler (wie beispielsweise die Verleitung zum Ehebruch) entweder wiedergutmachen können oder aus – in der Perspektive der Filmes – moralisch zu befürwortenden Motiven handeln (vgl. die genutzten „Freiheiten“ bei der Ermittlung als suspendierte Polizist*innen). Dies wird dadurch verdeutlicht, dass der Tod der ehemaligen Chefermittlerin Kohl Betroffenheit unter Eisner und Fellner auslöst, der Tod der Missbrauchstäter beziehungsweise von deren Handlangern hingegen als gerechte Strafe für ihre Vergehen erscheint und im Falle des Generalmajors von Fichtenberg sogar durch Eisner provoziert wird. Implizit transportiert der Film dadurch die Botschaft: Die Bösen darf man ermorden beziehungsweise zum Selbstmord anstiften, die Guten nicht.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
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Screenshot 46: Die Villa der Familie von Fichtenberg in ABGRÜNDE (TC 1:00:49)
Screenshot 47: Fellner und Eisner warten vor dem Tor der Villa in ABGRÜNDE (TC 1:01:11)
Screenshot 48: Eisner und Fellner warten vor dem Tor der Villa in ABGRÜNDE (TC 1:01:17)
Screenshot 49: Die Hausangestellte öffnet das Tor zum Anwesen in ABGRÜNDE (TC 1:02:26)
Screenshot 50: Eisners letzte Begegnung mit von Fichtenberg vor dessen Villa in ABGRÜNDE (TC 1:26:10)
Screenshot 51: Von Fichtenberg begeht vermutlich Selbstmord in ABGRÜNDE (TC 1:17:10)
Im nächsten Schritt soll der Blick auf Bewegungen innerhalb der Räume gelenkt werden, um den Extrempunkt von ABGRÜNDE zu identifizieren. Die Figur Paul von Fichtenberg stellt in der Tatort-Folge das absolut Böse dar, denn nur bei ihm ist zweifelsfrei klar, dass er selbst Kinder sexuell missbraucht hat. Er ist außerdem der Mächtigste der drei Bösen, da er politischen und finanziellen Einfluss hat, etwa durch den von seiner Frau unterstützten Verein „Allievi Austria“. Sein Wohnsitz,
328 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
das Schloss der Familie von Fichtenberg, ist als Zentrum des bösen Weißen anzusehen (Screenshot 46). Es ist von einem hohen Zaun umgeben, der als Raumgrenze fungiert, und Eisner und Fellner müssen „[a]lle Freiheiten […] nutzen“ (Fellner bei TC 1:02:16),7 um von der Hausangestellten Adele, die als Hüterin des Tors fungiert, Einlass gewährt zu bekommen (Screenshot 47, Screenshot 48, Screenshot 49). Nachdem sie die Grenze passiert haben und durch das Tor getreten sind, herrscht Adele Fellner an, dieses zu schließen (Sequenz 67) – die Raumgrenze muss gewahrt werden, auch – oder gerade wenn – die suspendierten Kommissar*innen in das Zentrum der Gegner*innen beziehungsweise der Illegalität vordringen. Am Zaun vor dem Anwesen der von Fichtenbergs findet dann auch das letzte ‚Duell‘ zwischen Eisner und von Fichtenberg statt, in welchem Eisner den Generalmajor mit einem Bluff dazu bringt, sich selbst umzubringen. Eisner gibt vor, noch eine MiniDV-Kassette gefunden zu haben, auf der zu sehen ist, wie Fichtenberg Sex mit minderjährigen Mädchen hat. Dass die Macht von Paul von Fichtenberg hier bereits geschwächt ist, wird auf visuell-räumlicher Ebene dadurch verdeutlicht, dass das Tor zur Villa und damit symbolisch zum Zentrum des Bösen offensteht, als Eisner dort auf den Generalmajor trifft (Screenshot 50). Eisner spricht vor dem Tor mit von Fichtenberg, dieser bewegt sich jedoch, als Eisner wegfährt, mit einer Pistole in der Hand auf das Tor zu und wird sich vermutlich innerhalb seines Reiches erschießen (Screenshot 51). Die oberste Grenze in ABGRÜNDE ist die zwischen Korruption und Solidarität beziehungsweise Loyalität. Mit diesen Werten sind jeweils zahlreiche weitere verbunden (Schaubild 11). Eisner und Fellner stehen dabei stellvertretend für das Gute, für Solidarität und Moral, Unbestechlichkeit, Integrität, Gemeinwohl, Gerechtigkeit und Freundschaft, für Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Verbundenheit und Treue. Sie sind damit auch die Vertreter*innen des vom Film propagierten Weltbildes, das sich auf narrativer Ebene am Ende durchsetzt, wohingegen das System ihrer Antagonist*innen auseinanderbricht. Diese werden verkörpert durch von Fichtenberg, Nussbacher und Frey und stehen für Partikularismus und Perfidie, für Korruption, Eigenwohl, Egoismus und Einzelkämpfer*innentum, für Vertuschung, Verrat und Untreue.
7
Fellner zeigt trotz Suspendierung ihren ‚Ersatz‘-Dienstausweis vor und nutzt damit ihre Freiheiten.
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Schaubild 11: Innen- und Außenraum in ABGRÜNDE
Moral und Gerechtigkeit werden dabei höher bewertet als Rechtstreue, also das Einhalten von ‚realweltlichen‘ Vorschriften und juristischen Gesetzen – welche nicht deckungsgleich mit Ordnungssätzen sein müssen, das heißt in Tatort-Folgen nicht gelten müssen. Die (uneigennützige) Solidarität zwischen Eisner und Fellner, die Grundbedingung für deren Erfolg bei der Überführung der Kriminellen ist, kommt dabei vor allem in einer Sequenz zum Vorschein, in der Fellner vor Rauter demonstrativ ihre Waffe und ihren Dienstausweis neben die von Eisner legt und damit zum einen ihre Missbilligung gegenüber Rauters Entscheidung, Eisner zu suspendieren, ausdrückt und zum anderen ihre bedingungslose Loyalität mit Eisner zeigt (Sequenz 64). Der hohe Stellenwert, den Loyalität in der Moral ‚der Guten‘ in ABGRÜNDE einnimmt, wird auch deutlich, wenn Eisner zu Fellner sagt: „Du bist der Wahnsinn. […] Weil du mich nicht hängenlässt. Und die Franzi auch nicht.“ (Eisner bei TC 11:26). Auch an anderen Stellen wird das Themenfeld Korruption immer wieder angesprochen und – einmal mehr, einmal weniger explizit – negativ bewertet. So sagt die Pathologin Veronika Resnik (Eva Billisich), als sie Eisner und Fellner erzählt, dass die Leiche von Kohl deshalb nicht obduziert werde, weil es sich angeblich um einen Unfall gehandelt habe: „Wie’s halt oft so spielt bei uns im schönen Österreich.“ (Resnik bei TC 8:18). Hiermit drückt sie aus, dass es sich bei der Vertuschung des Mordes von Kohl um keinen Einzelfall handelt. Als Eisner und Fellner herausfinden, dass Frey bei den Ermittlungen rund um den Fall Melanie Pölzl ein schwerer Fehler unterlaufen ist, konstatiert Fellner: „Trotzdem hat man den Frey nachher in die Soko Melanie geholt. Wie, der verbockt des Ganze und wird auch noch befördert.“ (Fellner bei TC 23:50). Eisners Antwort zeigt wie das Zitat Resniks, dass dies eine übliche Praxis darstellt: „Ja. Des kennen wir doch, oder?“ (Eisner bei TC 23:59). Die Machenschaften des als marode und korrupt präsentierten Polizei- und Justizapparates werden von Fellner folgendermaßen zusammengefasst: „Hinweise verschlampt. Beweisstücke vernichtet. Zeugen bestochen. Die Akten frisiert. Wahnsinn…“ (Fellner bei TC 35:19). Während Fellner jedoch noch an
330 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
die Unbestechlichkeit zumindest der Staatsanwaltschaft glaubt, vertraut Eisner niemandem mehr, der in der Hierarchie über ihm steht: Fellner: Eisner:
Fellner: Eisner:
Magst du zur Staatsanwaltschaft gehen? Ja, super Idee, ja. Die da ganz oben werfen uns die ganze Zeit Knüppel zwischen die Beine. Also gehen wir zu denen da ganz oben, um uns über die da ganz oben zu beschweren. […] Du glaubst die Staatsanwaltschaft steckt da auch mit drin? Bibi, da geht’s um Seilschaften, um Verbindungen. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Das ist ein Anruf. Hey, Herr Hofrat, hallo sei lieb und richt mir das. Schaust dir den an, bist ein echter Freund. Und wenn bei dir mal was sein sollte, bitte, Anruf genügt. Und weißt, was das Schlimmste ist? Dass an diesen Klischees immer was Wahres ist. Und je beschissener das Klischee ist, umso wahrer ist es. (TC 45:19 – TC 45:59)
Auch Marianne Pölzl äußert sich in Zusammenhang mit dem Tod von Kohl zum Thema Verschleierung und Korruption, wobei sie die Medien in diese verstrickt sieht: „Ich hab geglaubt des war ein Unfall. Weil’s in der Zeitung gestanden ist. Komisch, dass man das immer glaubt, obwohl man eh weiß…“ (Pölzl bei TC 41:37). Weitere Grenzziehungen in ABGRÜNDE verlaufen zwischen (männlichen) sexuellen Missbrauchstätern und Erwachsenen mit ‚normalen‘ sexuellen Vorlieben (OS 1), zwischen Kindern aus sozial schwachen Familien und anderen Kindern (OS 2), sowie zwischen Polizist*innen und Missbrauchstätern (OS 3 und OS 4). Hier geht es um den Wert des Kindes in einer heterosexuellen Gesellschaft, wobei besonders Kinder aus unteren sozialen Klassen gefährdet sind und folglich geschützt werden müssen. Des Weiteren wird differenziert zwischen Polizist*innen, die gegenüber anderen Polizist*innen gewalttätig werden und solchen, die das nicht tun (OS 7). Dahinter steht der Wert der Gewaltfreiheit unter Gleichgesinnten und damit auch wieder der Wert der Solidarität und Loyalität. Darüber hinaus wird der Wert der Ehe angesprochen, indem zwischen Ehebrecher*innen (Eisner, Franziska Kohl) und treuen Ehepartner*innen (Friedrich Kohl) unterschieden wird (OS 8). Als Basis der Ehe kann nun wiederum die Solidarität angesehen werden. Solidarität muss zum einen zwischen Eheleuten herrschen, wird aber in ABGRÜNDE zum anderen auch besonders unter Männern eingefordert, denn diese dürfen ihren Geschlechtsgenossen nicht deren arbeitende Ehefrauen ausspannen. So ist das Vergehen besonders schlimm, wenn es sich bei der Frau, die ein Mann einem anderen Mann ausspannt, um eine Kollegin handelt (OS 8). Schließlich gibt es eine Grenzziehung zwischen den „richtige[n] Offizier[en]“ (Eisner bei TC 1:26:44) und ‚nicht richtigen‘ Offizier*innen, wobei erste den Ehrenkodex befolgen und letztere nicht.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
9.4
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U NGLEICHHEITSGENERIERENDE K ATEGORIEN UND M ACHT
Wie angesprochen, können in ABGRÜNDE alle Ordnungssätze, außer Ordnungssatz 1, als Partikularnormen aufgefasst werden. Da bei Ordnungssatz 1 die von ihm betroffene Gruppe über ihr Alter definiert wird, ist er nicht diskriminierend, da im ‚Normalfall‘ jeder Mensch das Erwachsenenalter erreicht und sich somit an Ordnungssatz 1 halten muss. Der Ordnungssatz verweist auf den Wert des Kindes, das geschützt werden muss. Ordnungssatz 2 bezieht sich ebenfalls auf die ungleichheitsgenerierende Kategorie Alter in Verbindung mit den Kategorien soziale Klasse, Sexualität und Geschlecht. Da „Kinder aus sozial schwachen Familien“ (Fellner bei TC 47:53) als ‚ideale Opfer‘ von Missbrauchstätern angesehen werden, kann diese Gruppe von Menschen als besonders gefährdet und damit benachteiligt betrachtet werden. Dabei wird die finanzielle Notsituation der Eltern ausgenutzt, indem ihre Kinder im Feriencamp der „Free Kids“ – ohne deren Wissen – zu potenziellen Missbrauchsopfern werden. Ordnungssatz 3 verweist zwar auf die Unzulänglichkeit von Polizist*innen bei der Verfolgung von Missbrauchstätern, stellt aber keine per se diskriminierende Partikularnorm dar. Durch Ordnungssatz 4 hingegen wird ein Privileg für suspendierte Polizist*innen formuliert, denn diese müssen sich im Handlungsgefüge von ABGRÜNDE nicht an die Regeln halten, die im Dienst stehende Ermittler*innen einzuhalten haben, sondern dürfen sich außerhalb des Gesetzes bewegen – immer jedoch innerhalb moralisch vertretbarer Verhaltensweisen und zum Zweck des Schutzes der ‚Guten‘. Das Privileg ist insofern damit begründet, dass Eisner und Fellner selbstlos die Missbrauchstäter und deren ‚Zulieferer‘ zur Strecke bringen und dass dies nur mit den Mitteln der Mächtigen und Bösen möglich zu sein scheint. Die Ordnungssätze 2, 3 und 4 sind im Hinblick auf die Missbrauchstäter geschlechterspezifisch formuliert. Weibliche Missbrauchstäterinnen kommen in der Tatort-Folge ABGRÜNDE nicht vor. Alle männlichen Figuren in ABGRÜNDE haben damit Schuld auf sich geladen: die ‚Bösen‘ also die Missbrauchstäter mehr, die ‚Guten‘ weniger, wie Eisner, der eine Kollegin zum Ehebruch verleitet, oder Rauter, der den Mächtigen hörig ist, damit er seine Privilegien wahrt. Durch die Verknüpfung von Männlichkeit und Bösartigkeit werden in ABGRÜNDE Männer benachteiligt, indem diese als über das Geschlecht definierte Gruppe insgesamt negativ repräsentiert werden. Ordnungssatz 5 beschreibt eine Partikularnorm, die für korrupte Menschen beziehungsweise perverse „feine Herren“ gilt. Er wirkt weder diskriminierend noch privilegierend, stärkt die „feinen Herren“ beziehungsweise die Korrupten aber insofern, als dass diese, solange sie zusammenhalten, nicht angreifbar sind. Ordnungssatz 6 hingegen beschreibt die Privilegien, die die Mächtigen innerhalb der Menge der Korrupten besitzen: Sie können, vermutlich aufgrund von finanziellem Vermö-
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gen und den richtigen Beziehungen, die „Drecksarbeit“ an die Personen übertragen, die von ihnen abhängig sind. Ordnungssatz 7 stellt ebenfalls eine Partikularnorm dar und verbietet die Gewalttätigkeit unter Polizist*innen, wobei Zuwiderhandlung mit Suspendierung vom Dienst sanktioniert wird. Sie gilt für alle Polizist*innen gleichermaßen und wirkt deshalb nicht benachteiligend. Ordnungssatz 8 kann als eine geschlechterspezifische Diskriminierung von Männern aufgefasst werden, denn die Schuld für die negativen Konsequenzen der Affäre von Eisner und seiner Kollegin Kohl wird in ABGRÜNDE ausschließlich ihm zugewiesen: Er ist derjenige, der „die Ehe“ von Franziska und Friedrich Kohl „kaputt gemacht [hat]“ (Friedrich Kohl bei TC 12:09). Ordnungssatz 9 verweist auf das Wertesystem der Offizier*innen, in welchem der Selbstbestrafung und damit der Ehre ein höherer Stellenwert zukommt, als das bei den Nicht-Offizier*innen der Fall ist. Da die Wahl, eine Offizier*innenlaufbahn einzuschlagen, prinzipiell eine freiwillige Entscheidung ist, wird dieser Ordnungssatz nicht als benachteiligend aufgefasst. Nicht nur der Inhalt der Ordnungssätze, sondern auch wer diese festlegen beziehungsweise vermitteln darf, hat mit Machstrukturen zu tun. Eisner ist eindeutig die Figur, die die meisten Ordnungssätze vermittelt. Drei Ordnungssätze (OS 58, OS 6 und OS 9) transportiert er als Normsender, an der Vermittlung zwei weiterer Ordnungssätze ist er als Normhüter (OS 1) beziehungsweise Normsetzer (OS 4) beteiligt. Chefinspektor Eisner ist dabei eine Figur, die nahe am Normmenschen positioniert ist. Er ist weiß, männlich, heterosexuell, able-bodied und gehört der Mittelklasse an. In Bezug auf sein Alter lässt sich eine leichte Abweichung von der Norm feststellen, denn er ist im Vergleich zur Durchschnitts-Kommissar*in der TatortReihe vermutlich eher als etwas älter einzuordnen. Weiter weicht er als alleinerziehender Vater einer noch bei ihm im Haushalt lebenden jugendlichen, aber bereits volljährigen Tochter von der Norm ab. Ebenfalls eine dominante Position bei der Vermittlung von Ordnungssätzen nimmt die Figur der Majorin Fellner ein. Als Normsenderin vermittelt sie Ordnungssatz 2 sowie – gemeinsam mit Friedrich Kohl – Ordnungssatz 8 und transportiert weiter zusammen mit Eisner als Normhüterin Ordnungssatz 1 und ebenfalls mit Eisner als Normsetzerin Ordnungssatz 4. Auch Fellner steht dem Normmenschen nahe, entspricht allerdings im Hinblick auf die ungleichheitsgenerierende Kategorie Geschlecht sowie ebenso in Bezug auf ihr Alter nicht der Norm. Außerdem weicht sie als trockene Alkoholikerin von der Norm ab, was in der Folge ABGRÜNDE jedoch nur implizit thematisiert wird (vgl. Sequenz 2, Sequenz 3 und Sequenz 52) und dadurch lediglich für die mit den Vorfolgen vertraute Zuschauer*in verständlich ist. Das hierarchische Verhältnis von Eisner und Fellner ist in dieser Tatort-Folge nicht eindeutig geklärt. So bleibt unklar, inwiefern Eisner seiner Kollegin Fellner vorgesetzt ist, die als Assistentin von ihm angefangen hat (vgl. Tatort-Folge VER8
Ordnungssatz 5 wird von Eisner gemeinsam mit der Erzählinstanz etabliert.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
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A 2011, R: Murnberger). Die auf der Website von „Das Erste“ aufgeführten Dienstgrade geben hier keinen Aufschluss, denn eigentlich ist eine Major*in (Fellner) höher eingestuft als eine Chefinspektor*in (Eisner).9 Rauter hingegen nennt Eisner einen „Oberstleutnant“ (Rauter bei TC 57:11), als er ihn suspendiert. Da die Dienstgrade der Ermittler*innen sich von Folge zu Folge zu ändern scheinen, verspricht eine Auswertung dieser wenig aufschlussreich zu sein. Eisner und Fellner gehen stets kollegial und wohlwollend miteinander um, wenn auch nicht immer freundlich, deshalb fällt ein etwaiger Hierarchieunterschied in ABGRÜNDE nicht stark ins Gewicht. So gilt beispielsweise auch der reziproke Ordnungssatz 4 für beide Ermittler*innen gleichermaßen, denn beide haben durch die Suspendierung „alle Freiheiten“. Die „Chefermittlerin“ (Eisner bei TC 9:50) und ehemalige Leiterin der „Soko Melanie“ Franziska Kohl ist als weibliche Führungsperson gekennzeichnet und war die Vorgesetzte von Frey. Sie erscheint zwar als beharrlich – so ermittelt sie auch noch nach ihrer Karenzierung10 weiter – und hatte das richtige Gespür, was den Fall Melanie angeht, wie ihre für Eisner und Fellner hilfreichen Notizen zeigen. Allerdings hat sie im Gegensatz zu Eisner und Fellner ohne die Unterstützung einer Partner*in gearbeitet und sich dabei selbst in Gefahr gebracht (vgl. Eisner bei TC 5:58: „[…] würdest du als Frau allein in so ne Folterkammer gehen?“; vgl. auch Frey bei TC 8:53: „Die Chefin ist ständig da unten herumgekrochen […] Wir haben sie zweimal dort rausholen müssen.“). Damit existiert die einzige weibliche Person in leitender Position im Tatort ABGRÜNDE nur als Leiche. Die hierarchisch höchste Stelle im Kommissariat wird in ABGRÜNDE von einer als dem Normmenschen nahestehenden Figur eingenommen, denn Sektionschef Rauter steht ganz oben in der Hierarchie und ist gegenüber Eisner und Fellner weisungsbefugt. Dass er zu „denen da oben“ (Eisner bei TC 46:47) gehört, auch wenn er nicht an der Spitze der Mächtigen anzusiedeln ist, zeigt ein Dialog zwischen Eisner und ihm: GELTUNG
Rauter: Eisner: Rauter: Eisner: Rauter: Eisner:
9
Du hast den Akt zum Fall Melanie angefordert. Ja. Und du hast ihn mir nicht gegeben. Weil mir die Hände gebunden sind. Ja, ja. Und wer bindet sie dir? Minister. Staatsanwälte. Deine Frau?
Die Pathologin Veronika Resnik spricht Eisners Chefrolle an, wenn sie zu Fellner sagt: „Den Chef kenn ich gut.“ (Resnik bei TC 5:16). Allerdings bleibt hier unklar, ob sie hier auf ihr hierarchisches Verhältnis zu Eisner anspielt oder das von Fellner.
10
In Österreich werden Beurlaubungen von Beamt*innen ‚Karenzierung‘ genannt.
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Rauter: Eisner:
Sehr witzig. Ich hab dir gestern schon gesagt, lass die Finger von der Sache. Das ist ein Befehl. Und außerdem besser für uns alle. Wieso? Weil du dann keine Loge mehr am Opernball kriegst oder was? (TC 18:12 – TC 18:38)
Dass Rauter im Sinne der Mächtigen handelt, bringt ihm demnach gesellschaftliche Privilegien ein, wie beispielsweise besonders gute Plätze beim Opernball. Die einzige Figur, die in ABGRÜNDE als Verkörperung der Mächtigen gelten kann und nicht nur als eine Person, die diesen zuarbeitet, ist der Generalmajor Paul von Fichtenberg und damit ein älterer, weißer Mann, der aufgrund seiner Sexualität (er missbraucht kleine Mädchen) und durch seine soziale Klasse vom Normmenschen abweicht. Er wohnt mit seiner Frau und Tochter in einem Schloss, wo Angestellte die Hausarbeiten übernehmen, und ist damit Teil der gesellschaftlichen Oberschicht Wiens. Er wird als befehlshaberisch (Sequenz 69), überheblich und sexuell pervers gezeigt und verkörpert damit in seiner Eindimensionalität das absolut Böse. Seine machtvolle Position wird dabei durch die Bildsprache untermauert: Beim ersten Zusammentreffen des Generalmajors mit den Kommissar*innen im Schloss wird er oben auf einer Treppe gezeigt und Eisner und Fellner blicken zusammen mit der Hausangestellten Adele von unten zu ihm hinauf (Screenshot 52 und Screenshot 53). Neben dem Bildaufbau und den Größenverhältnissen (Screenshot 53), trägt die eingespielte, bedrohlich klingende Musik dazu bei, von Fichtenberg als Antagonist zu den beiden Ermittler*innen zu etablieren. Screenshot 52: Von Fichtenberg in ABGRÜNDE (TC 1:04:48)
Screenshot 53: Eisner, Fellner und Adele in ABGRÜNDE (TC 1:04:51)
Eine weitere Möglichkeit der Hierarchisierung der Figuren kann anhand einer Auswertung der Redebeiträge in ABGRÜNDE erfolgen (Diagramm 3). Mit über 13.000 Zeichen ist Eisner die Figur mit dem größten Sprechanteil. An zweiter Stelle folgt seine Partnerin Fellner mit etwas mehr als 1000 Zeichen weniger. Im Vergleich zu den beiden Ermittler*innen weisen die anderen Figuren einen geringen Redeanteil auf und liegen alle bei der 2000-Zeichen-Marke (Rauter) beziehungsweise darunter.
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Diagramm 3: Sprechanteile in ABGRÜNDE11
Sprechanteil in Zeichen
16000 14000 12000 10000 8000 6000 4000 2000 0
Figuren
Damit dominieren die beiden Ermittler*innen in Bezug auf den Umfang der Redebeiträge eindeutig die Dialogebene des Films, wohingegen andere Figuren kaum zu Wort kommen. Im Hinblick auf die ungleichheitsgenerierende Kategorie Geschlecht lässt sich feststellen, dass ein weitgehend ausgeglichenes Verhältnis der Sprechanteile besteht. Die als männlich markierten Figuren dominieren nur leicht mit knapp 54 Prozent. Harald Krassnitzer, der Eisner mimt und Adele Neuhauser, die Fellner verkörpert, sind entsprechend der Sprechanteile an erster beziehungsweise zweiter Stelle im Vorspann genannt. Die Reihenfolge der weiteren Namen der Schauspieler*innen entspricht hingegen nicht der Verteilung der Redeanteile unter den Figuren, sondern diese sind weitgehend inhaltlich gruppiert: Michael Dangl (Frey) und Thomas Mraz (Nussbacher); Hubert Kramar (Rauter) und Stefanie Dvorak (Wiesner); Eva Billisich (Resnik) und Tanja Raunig (Claudia Eisner); Heinz Trixner (Paul von Fichtenberg), Elfriede Schüsseleder (Henriette von Fichtenberg) und Margarethe Tiesel (Hausangestellte Adele); sowie Martina Spitzer (Marianne Pölzl), Robert Meyer (Friedrich Kohl) und Alexander Fennon (Dr. Koppenburg). Die Auswertung der Position der Figuren im Hinblick auf die Ordnungssätze, die Sprechanteile und die Nennung im Vorspann zeigt, dass Eisner die dominanteste Figur in der Tatort-Folge ABGRÜNDE darstellt, wobei Fellner ihm nahezu gleichkommt, da sie nur einen minimal geringeren Redeanteil hat und an zweiter Stelle im Vorspann genannt wird.
11
Die Sprechanteile beruhen auf einer Auswertung des im Sequenzprotokoll transkribierten Dialogs. Dabei wurden alle Zeichen abzüglich der Leerzeichen gezählt.
336 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
9.5
P ÄDOPHILIE
UND SEXUELLER
M ISSBRAUCH
Bei Nussbacher, Frey und Podowski ist nicht eindeutig geklärt, ob sie lediglich Zulieferer der Mädchen für die Kinderbordelle waren (vgl. Eisner bei TC 46:11) oder auch selbst sexuellen Missbrauch begangen haben (vgl. Kapitel 9.2.2). Nur bei von Fichtenberg erzählt der Film eindeutig, dass dieser sich an Mädchen vergangen hat, denn sonst wäre er nicht auf den Bluff von Eisner hereingefallen (Sequenz 95). Bei Frey legt der Ausschnitt aus dem Video der „Free Kids“, den Fellner sich ansieht, nahe, dass er ein Interesse an sexuellem Kontakt mit Minderjährigen haben könnte: Er wird dabei gezeigt, wie er Kindern beim Spielen ‚hilft‘ und sie dabei unter anderem an der Hüfte und am Po berührt (Screenshot 54 und Screenshot 55). Screenshot 54: Frey hilft Kind im Video von „Free Kids“ in ABGRÜNDE (TC 47:45)
Screenshot 55: Frey stützt Kind beim Klettern am Po im Video von „Free Kids“ in ABGRÜNDE (TC 48:09)
Aus welchem Motiv der Generalmajor sowie gegebenenfalls Frey und die anderen Handlanger sich an Minderjährigen sexuell vergehen und ob ihren Taten eine pädophile Neigung zugrunde liegt oder ob sie beispielsweise sadistische Lust dabei empfinden, andere zu quälen und Macht über sie auszuüben (vgl. Kapitel 4.1.1), wird in ABGRÜNDE nicht thematisiert (vgl. Kapitel 9.2.1). Majorin Fellner benutzt zwar an einer Stelle das Wort „Pädophile“ (TC 47:58), jedoch kann dies als undifferenzierter Allgemeingebrauch angesehen werden und muss hier nicht zwingend als Verweis auf eine sexuelle Neigung aufgefasst werden.12 Auch formal sind die Kriterien von Pädophilie nicht eindeutig erfüllt, denn Melanie war zwar vor ihrer Entführung noch unter 14 Jahre alt, blieb aber auch noch nach Eintreten ihrer Pubertät in Gefangenschaft (vgl. zur Differenzierung von Pädophilie und Hebephilie Kapitel 4.1.1).
12
Darauf deutet auch hin, dass Frey von einem „Kinderpornoring“ spricht (TC 27:26), was den Fokus weiter verschiebt von ausschließlich physischem sexuellen Missbrauch hin zu einer etwaigen kommerziellen Vermarktung der dabei aufgenommenen Materialien.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
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Damit werden die Hintergründe der Missbrauchsfälle nicht aus Sicht der Täter dargestellt. Auch die Opferperspektive wird nur indirekt gezeigt, die betroffenen Mädchen selbst kommen nicht zu Wort und sind nur sehr kurz im Bild zu sehen (vgl. Screenshot 56 und Screenshot 57). Melanies Mutter, Marianne Pölzl, betont, dass das Leben ihrer Tochter durch die Entführung und jahrelange Misshandlung völlig zerstört sei: „Weißt, was mir die Psychologin gesagt hat? Nach der Entführung? Ich soll mir ein leeres Grab kaufen. Damit ich einen Platz hab, wo ich mit meinem Kind reden kann. Ein Grab. Und weißt was? Das hab ich jetzt da drin. Viel ist nicht mehr übrig von ihr.“ (Pölzl bei TC 41:56)13. Damit werden nicht nur die Missbrauchsopfer selbst, sondern auch die Angehörigen dieser als leidende Opfer gezeigt. Screenshot 56: Melanie in ABGRÜNDE (TC 38:50)
Screenshot 57: Das zweite Opfer in ABGRÜNDE (TC 1:23:33)
Alle in ABGRÜNDE gezeigten Opfer sexualisierter Gewalt sind damit minderjährige Mädchen, alle Täter beziehungsweise potenziellen Täter weiße Männer mittleren bis höheren Alters. Während der Generalmajor aufgrund seines Lebensstils (Schloss, Hausangestellte) zur Oberschicht zu zählen ist, sind der Pfarrer und Altbausanierer Podowski, der Immobilienmakler Nussbacher und der Leutnant Frey der Mittelschicht zuzurechnen. Melanie Pölzls Weißsein ist dabei dadurch getrübt, dass sie als Teil der Unterschicht zum White Trash (vgl. Kapitel 4.2.1) gehört. Voraussichtlich trifft dies auch auf das zweite im Film gezeigte Opfer zu (Screenshot 57), denn „Kinder aus sozial schwachen Familien sind natürlich das gefundene Fressen für Pädophile“ (Fellner bei TC 47:53). Die Low Key-Aufnahmen der beiden Missbrauchsopfer (Screenshot 56 und Screenshot 57) suggerieren damit gerade im Vergleich mit der blonden Katja von Fichtenberg, die an ihrer Geburtstagsfeier (Sequenz 68) gut ausgeleuchtet und in heller Kleidung gezeigt wird (Screenshot 62, Kapitel 9.6), dass diese als weniger rein und weiß zu betrachten sind.
13
Vgl. auch folgende Aussage von Marianne Pölzl: „Außer kalt ist der Melanie gar nichts mehr.“ (Pölzl bei TC 38:57).
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Die Grausamkeit des sexuellen Missbrauchs wird nicht verbalisiert oder in Handlungen gezeigt, sondern über die Ausstattung und damit visuell erzählt (Screenshot 58 und Screenshot 59). Dabei wird nicht über sprachliche Beschreibungen, sondern über Details im Bild emotionalisiert, wie etwa durch eine Toilettenpapierrolle am Ende des Bettes (Screenshot 59) im „Kinderpuff“ (Fellner bei TC 1:07:07). Screenshot 58: Das „Kinderpuff“ in ABGRÜNDE (TC 1:12:08) .
Screenshot 59: Toilettenpapierrolle im „Kinderpuff“ in ABGRÜNDE (TC 1:11:40)
In Bezug auf seine dramaturgische Struktur entspricht die Tatort-Folge ABGRÜNDE eher einer „How(s)hecatcheshim/her“- als einer „Whodunit“-Struktur (Kapitel 6.2.3.1). Da das zentrale Thema in ABGRÜNDE jedoch nicht sexueller Missbrauch ist, sondern Korruption (vgl. Kapitel 9.2.2 und Kapitel 9.3), liegt der Fokus nicht auf den Motiven für die Verbrechen, sondern auf dem ihnen zugrunde liegenden korrupten System, das von Eisner und Fellner nur zu brechen ist, indem sie selbst mit illegalen Methoden ermitteln. Insgesamt können in der Tatort-Folge aus den genannten Gründen keine starken Bezüge zur ‚realweltlichen‘ Klassifikation beziehungsweise Betrachtung von Pädophilie festgestellt werden. Es gibt jedoch starke Ähnlichkeiten mit dem ‚realweltlichen‘ Fall von Kindesentführung und Missbrauch von Natascha Kampusch, die am 2. März 1998 im Alter von 10 Jahren in Niederösterreich entführt und über acht Jahre festgehalten worden war. Bei den Ermittlungen im Fall Kampusch hatte es immer wieder Pannen und Fehler gegeben, wobei „denen da oben“ (Eisner bei TC 46:47) die Schuld für Verschleierung und Vertuschung zugesprochen wurde. So wurde unter anderem gegen die fünf Staatsanwälte ermittelt, die sich mit dem Fall Kampusch beschäftigt hatten. Zu den zahlreichen Parallelen zwischen dem ‚realweltlichen‘ Fall Natascha Kampusch und dem fiktiven Fall Melanie Pölzl gehören folgende Beispiele: der Chefermittler im Fall Kampusch, Franz Kröll, starb wie Franziska Kohl,14 die ehe-
14
Man beachte die Ähnlichkeit der beiden Namen, die sich zum einen daraus ergibt, dass Franziska die weibliche Form des Namens Franz ist, dass sowohl Vor- als auch Nach-
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malige Leiterin der Soko Melanie in ABGRÜNDE, nach Beendigung der offiziellen Ermittlungen, wobei es nach Ansichten von Krölls Bruder kein Selbstmord war; der Entführer von Kampusch, Wolfgang Priklopil, stürzte sich wie Huberto Podowski in ABGRÜNDE nach der Flucht der von ihnen gefangen gehaltenen Mädchen vor einen Zug, wobei der Selbstmord in beiden Fällen angezweifelt wurde, weil der Körper noch gut erhalten ist; im Fall Kampusch gab es eine 12-jährige Zeugin, die wie Mehmet (Yüsa Durak) in ABGRÜNDE berichtete, dass zwei Männer Natascha beziehungsweise Melanie in einen Wagen gezerrt hätten und nicht nur einer; wie Chefermittler Kröll hatte sich auch Chefermittlerin Kohl in ABGRÜNDE abends auf der Terrasse handschriftlich Notizen in einem Buch gemacht und dabei eine Zigarette geraucht. (Jüttner 2012; Seeh 2013) Diese Parallelen, von denen es noch zahlreiche weitere gibt, verweisen auf den gesellschaftskritischen Impetus der Tatort-Folge ABGRÜNDE, denn die Verwendung von Details aus dem ‚realweltlichen‘ Fall Kampusch zeigt auf, dass der Plot in ABGRÜNDE nicht rein fiktiv ist, sondern dass Korruption und Vertuschung Probleme sind, die aktuell in Österreich präsent sind: „Wie’s halt oft so spielt bei uns im schönen Österreich.“ (Resnik bei TC 8:18). Gerade aus diesem Grund hätte die Tatort-Folge durch eine differenzierte Darstellung sowohl der Motive der Täter als auch der Perspektive der Missbrauchsopfer zu einer Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Diskurses beitragen können.
9.6
D IE
WEISSE
K ERNFAMILIE
Da es in der Tatort-Folge ABGRÜNDE drei Familien gibt, die unterschiedlichen sozialen Schichten entspringen und verschiedene Verbundskonstellationen widerspiegeln (alleinerziehend versus intakte Kernfamilie), wird die weiße Kernfamilie im Folgenden nicht wie bisher anhand der drei Blöcke ‚weiße Mütter/weiße Mutterschaft‘, ‚weiße Väter/weiße Vaterschaft‘ und ‚weiße Kinder/weiße Kindheit‘ untersucht, sondern die drei Familien werden vergleichend analysiert. Über die Ursprungsfamilien der Täter von Fichtenberg, Nussbacher und Frey sowie Podowski und damit darüber, wie diese selbst als Kinder aufgewachsen sind, wird in ABGRÜNDE nichts vermittelt. Damit können deren Handlungen nicht zwingend auf ein schädliches Umfeld in der Kindheit zurückgeführt werden. Chefinspektor Eisner wird als alleinerziehender Vater gezeigt, der mit seiner jungen, aber bereits erwachsenen Tochter Claudia zusammenwohnt. Seine berufli-
namen mit den gleichen Buchstaben anfangen und dass Kröll und Kohl beide einsilbige Namen sind und einen ähnlichen Klang haben.
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che Partnerin Fellner hat mit Eisner eine freundschaftliche, fast schon eheähnliche Beziehung – wenn auch ohne sexuelle Komponente15. Screenshot 60: Eisner kümmert sich um seine Tochter Claudia in ABGRÜNDE (TC 1:13:05)
Screenshot 61: Eisner kümmert sich um seine Tochter Claudia in ABGRÜNDE (TC 1:13:06)
Fellner versteht sich gut mit Claudia, schläft öfter bei Eisner auf dem Sofa und wird von einem Arzt im Krankenhaus für Claudias Mutter gehalten (Sequenz 57). Eisner ist weder überfürsorglich noch vernachlässigt er seine Tochter, sondern kümmert sich liebevoll um sie, als diese im Krankenhaus ist (Screenshot 60 und Screenshot 61). Familie von Fichtenberg, zu welcher mit dem Generalmajor Paul von Fichtenberg ein (sexueller Missbrauchs-)Täter gehört, stellt ein Beispiel für die nach außen intakte Familie dar mit jedoch überdurchschnittlich alten und reichen Eltern. Das glückliche Leben der Familie entpuppt sich damit als Trugbild, denn Paul von Fichtenberg missbraucht junge Mädchen und ist ein Mörder. Kinder erscheinen in der Familie von Fichtenberg als höchstes Gut, sie werden umsorgt und unterhalten. Beim Besuch der Ermittler*innen im Schloss der von Fichtenbergs findet gerade eine Feier anlässlich Katja von Fichtenbergs zehntem Geburtstag statt. Das Geburtstagskind ist blond, trägt helle Kleidung, eine rosaweiße Krone, hat einen weißen Zauberstab in der Hand und singt das Lied „Magic“ (Screenshot 62). Nachdem Henriette von Fichtenberg mit den Ermittler*innen gesprochen hat, entschuldigt sie sich mit den Worten „Katja würde mir nie verzeihen, wenn ich ihren Auftritt versäume.“ (H. von Fichtenberg bei TC 1:03:46) und betont damit den hohen Stellenwert, den ihre Tochter in ihrem Leben einnimmt. Während Henriette von Fichtenberg visuell in die Nähe der Tochter gerückt wird – sie trägt ebenfalls rosa und weiße Kleidung und hat blonde Haare (Screenshot 63 und Screenshot 64) –, hebt sich der dunkel gekleidete Generalmajor von der Gruppe hell gekleideter Geburtstagsgäste sowie von seiner Frau ab (Screenshot 65).
15
In einer späteren Folge (STERNSCHNUPPE A 2016, R: Riebl) wird die Möglichkeit eines sexuellen Verhältnisses zwischen Eisner und Fellner ausführlich thematisiert.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
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Screenshot 62: Katja von Fichtenberg singt das Lied „Magic“ in ABGRÜNDE (TC 1:03:57)
Screenshot 63: Henriette von Fichtenberg in ABGRÜNDE (TC 1:03:12) .
Screenshot 64: Henriette von Fichtenberg in ABGRÜNDE (TC 1:03:23)
Screenshot 65: Generalmajor Paul von Fichtenberg in ABGRÜNDE (TC 1:04:11)
Die dritte in der Tatort-Folge ABGRÜNDE auftretende Familie ist Familie Pölzl. Sie wohnt in einem Hochhaus in einer Großwohnsiedlung (Screenshot 66). Der Vater scheint nicht existent, er tritt weder auf noch wird seine Abwesenheit thematisiert. Marianne Pölzl hat ein Achselshirt an und raucht (Screenshot 67), beides Merkmale, die im Kontext der Wohnung in der Plattenbausiedlung als Indikatoren für die Zugehörigkeit zur Unterschicht gelesen werden können. Sie wird jedoch nicht als schlechte weiße Mutter der Unterschicht gezeigt, sondern kümmert sich um Melanie und bringt ihr regelmäßig Wärmflaschen, damit diese nicht friert. Sie ist ebenfalls als Opfer der Entführung und des Missbrauchs der Tochter gekennzeichnet (vgl. Kapitel 9.5).
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Screenshot 66: Wohnbausiedlung in ABGRÜNDE (TC 37:27)
Screenshot 67: Marianne Pölzl in ABGRÜNDE (TC 40:32)
Damit sind Familie Pölzl und Familie von Fichtenberg als Gegenpole angelegt, was auf verschiedenen Ebenen vermittelt wird: auf der Ebene der Ausstattung durch die Kleidung der Figuren; durch die stark voneinander abweichenden Wohnsituationen in einer Plattenbauwohnung respektive in einem Schloss; durch die Farbgebung, denn in der Wohnung der Familie Pölzl herrschen Grautöne und gedeckte Farben vor, wohingegen Weiß, Rosa und bunte Farben im Schloss dominieren, was durch den schwarz gekleideten Generalmajor durchbrochen wird. Gemeinsam mit der Lichtsetzung lässt sich damit eine ‚High Key‘-Kindheit, die Kindern der sozialen Oberschicht vorbehalten bleibt (vgl. Screenshot 62), von einer ‚Low Key‘-Kindheit unterscheiden, in der Kinder aus der unteren sozialen Schichten zu möglichen Opfern werden (vgl. Screenshot 56). Insgesamt kann man damit für die Tatort-Folge ABGRÜNDE im Hinblick auf die weiße Kernfamilie zu zwei Befunden gelangen. Zum einen ist feststellbar, dass verschiedene Schattierungen von Weißsein vorkommen, die sich vor allem in den unterschiedlichen sozialen Klassen der Familien manifestieren, wobei die Mittelklasse-Familie als Norm angesehen werden kann. Die intakte Familie nimmt hingegen einen weniger wichtigen Status ein, da sich hinter ihrer Fassade die sexuellen Perversionen des Vaters verstecken. Der zweite Befund stützt dieses Ergebnis, denn er zeigt die Verwobenheit verschiedener Kategorien auf. So stehen in ABGRÜNDE vor allem drei Konstellationen im Vordergrund: ‚arm‘ und Tochter (bzw. Mutter) in der Opferfunktion (Melanie bzw. Marianne Pölzl); ‚reich‘ und Vater in der Täterfunktion (Paul von Fichtenberg); und der Mittelklasse-Vater (Eisner) in der Funktion des Helden, der den männlichen Täter überführt und das weibliche und minderjährige Opfer rettet. Damit wird die Passivität der ‚Armen‘, die Unmoral der ‚Reichen‘ sowie die Aktivität der Mittelschicht betont, wobei es zu einer intersektionalen Verknüpfung der ungleichheitsgenerierenden Kategorien soziale Klasse und Geschlecht kommt, welche mit den Faktoren ‚Position innerhalb der Kleinfamilie‘, Aktivitätsgrad, Moral und Kriminalität gekreuzt werden.
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
9.7
W EISSSEIN UND S CHNEE
ALS
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M OTIV
In der Tatort-Folge ABGRÜNDE kommt es wie in Kapitel 3.2.1.3 beschrieben zu einer symbolischen Aufladung der Farbe Weiß, die in Zusammenhang mit dem Weißsein von Personen beziehungsweise einer Gesellschaft gebracht wird. Dies geschieht vor allem über das Setting des Films im winterlich-weißen Österreich (Screenshot 68 und Screenshot 69) sowie die Verbindung der Farbe Weiß mit dem Tod. Die Ermittler*innen Eisner und Fellner bewegen sich durch eine schneebedeckte Landschaft, wobei sich unter der Schneedecke Abgründe auftun. In diesem Sinne kann der Schnee auch als Metapher für die Fassade einer weißen Gesellschaft betrachtet werden, hinter welcher sich die perfiden Machenschaften und die perversen Gelüste eines Teils dieser Gesellschaft verstecken, der damit als Feind aus dem Inneren zu betrachten ist. Screenshot 68: Blick auf das verschneite Wien vom Dach des Polizeipräsidiums in ABGRÜNDE (TC 9:14)
Screenshot 69: Eisner und Fellner fahren durch Schneelandschaften in ABGRÜNDE (TC 32:35) .
Die drei als eindeutig böse gekennzeichneten Figuren von Fichtenberg, Nussbacher und Frey werden dabei als emotionslos gegenüber ihren Opfern, als kalt und berechnend gezeigt. Eine Verbindung von „[w]hiteness, nordische[m] Klima und Charakter“ (Tischleder 2001: 180, Herv. i. O.), die Tischleder in ihrer Analyse des Spielfilms FARGO konstatiert, kann damit auch für ABGRÜNDE festgestellt werden. So scheinen die Gebäude, in denen sich die Kriminellen aufhalten, stets besonders eng mit dem Motiv des Schnees verbunden zu sein. Von Fichtenbergs Villa ist verschneit (Screenshot 46) und sowohl vor Nussbachers Wohnhaus (Screenshot 70) als auch vor seiner Immobilie (Screenshot 71) liegt Schnee. Alle drei Figuren sterben vor einer weißen Fassade: Nussbacher wird im Schnee überfahren (Screenshot 72), von Fichtenberg wird sich vermutlich vor seiner Villa im Schnee erschießen (vgl. Screenshot 51 und Kapitel 9.3) und Frey liegt erschossen auf einer hellen Tischplatte (Screenshot 73).
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Screenshot 70: Schnee vor Nussbachers Haus in ABGRÜNDE (TC 1:15:18)
Screenshot 71: Schnee vor Nussbachers Immobilie in ABGRÜNDE (TC 1:19:51)
Screenshot 72: Nussbacher liegt überfahren im Schnee in ABGRÜNDE (TC 1:24:58)
Screenshot 73: Frey liegt erschossen auf einem hellen Tisch in ABGRÜNDE (TC 1:20:11)
Damit wird über die Bildebene eine enge Verbindung der Farbe Weiß – insbesondere von weißem Schnee – und Bosheit hergestellt, wobei der Tod ‚auf weißem Grund‘ auch als ein Sieg des guten Weißseins gelesen werden kann: Das durch die Missbrauchstäter und ihre Handlanger repräsentierte ‚Böse im Weißsein‘ wurde an die Oberfläche befördert und dort für alle sichtbar eliminiert. Damit endet der Film zwar – aus Sicht des dominierenden Weltbildes des Textes – positiv, denn alle Bösen sind besiegt. Dies behält jedoch einen Beigeschmack, denn der Triumph über die bösen Weißen war nur möglich, indem die beiden Ermittler*innen außerhalb des Gesetzes agiert und die Kriminellen mit ihren eigenen Waffen geschlagen haben.
9.8
Z WISCHENFAZIT
ZU
ABGRÜNDE
Hypothese 1, die besagt, dass Pädophilie in Medienbeiträgen als Angriff auf die weiße Kernfamilie und damit auf die weiße Gesellschaft in ihrer Gesamtheit inszeniert wird, kann anhand der Tatort-Folge ABGRÜNDE bestätigt werden. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass korrekterweise hier von sexuellem Missbrauch und nicht von Pädophilie gesprochen werden muss (vgl. Kapitel 9.5). In ABGRÜNDE er-
A NALYSE DER T ATORT -FOLGE A BGRÜNDE
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scheint demnach sexueller Missbrauch als Angriff auf die weiße Kernfamilie beziehungsweise die weiße Gesellschaft. Dem ‚normalen‘ System, für das stellvertretend die Figuren Eisner und Fellner stehen, wird dabei das System der männlichen Missbrauchstäter und deren Handlanger gegenübergestellt, die korrupt sind und pervers. Da zu deren grundlegend als schlecht aufgefasstem System mächtige Personenkreise gehören, stellt deren Wirken eine besondere Gefahr dar, die in erster Linie Kinder beziehungsweise Familien betrifft. Hypothese 2 konnte durch die Analyse von ABGRÜNDE nicht bestätigt werden, denn die als abnormal präsentierten sexuellen Neigungen der Mächtigen werden nicht durch Erfahrungen in deren eigener Kindheit motiviert – sie werden also nicht als krankhafter Auswuchs sich verändernder Familienformen gezeigt. Auch werden die Familien der von sexualisierter Gewalt betroffenen Mädchen nicht in einen Kausalzusammenhang mit deren Entführung gesetzt, das heißt, es wird in ABGRÜNDE nicht – beispielsweise durch narrative Sanktionen – nahegelegt, dass Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch auf die Auflösung der Kernfamilie zurückzuführen und damit die Schuld der Eltern der Entführungsopfer ist. Dass die mediale Klassifikation von Pädophilen (bzw. von sexuellen Missbrauchstäter*innen) als ‚andersartig‘ die Funktion hat, die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit aufrechtzuerhalten und damit das Ideal der weißen Kernfamilie stützt (Hypothese 3), kann durch die Analyse von ABGRÜNDE teilweise bestätigt werden. So werden die beiden Mädchen, die exemplarisch für die Entführungsopfer des Missbrauchsrings stehen, als unschuldig präsentiert, sind jedoch nur kurz im Bild zu sehen und werden damit als passive, nichtsprechende Figuren gezeigt. Ebenso sind sie in ihrer Position als Kinder aus Familien der Unterschicht dem White Trash zuzuordnen (vgl. Kapitel 9.5) und werden mittels Lichtsetzung und Farbgebung als weniger rein und weiß präsentiert als beispielsweise die Tochter der von Fichtenbergs. Die von Fichtenbergs stehen vordergründig für das Ideal der weißen, intakten Kernfamilie, eine Fassade, die jedoch durch die perversen Machenschaften des Vaters Paul von Fichtenberg dekonstruiert wird (vgl. Kapitel 9.6). Nach Hypothese 4 werden Verhaltensweisen von Figuren, die erlaubt beziehungsweise aus politisch korrekter Position zu befürworten sind, die aber gleichzeitig als in der Mehrheitsgesellschaft negativ bewertet anzusehen sind, eher narrativ als explizit sanktioniert. In ABGRÜNDE ahndet die Erzählinstanz Normverstöße durch narrative Sanktionen, was sich daran zeigt, dass alle Mitglieder der Menge der Missbrauchstäter beziehungsweise deren Handlanger am Ende des Films eines unnatürlichen Todes gestorben sind. Diese narrativen Sanktionen können als Pseudolösung für ein gesellschaftliches Problem angesehen werden, welches als nicht auf legalem Wege lösbar erscheint. Das Verhalten der Missbrauchstäter ist dabei zwar nicht erlaubt beziehungsweise aus politisch korrekter Position zu befürworten, andererseits gibt es in Österreich keine Todesstrafe, weshalb deren Bestrafung durch den Tod juristisch gesehen ebenso wie aus einer politisch korrekten Perspek-
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tive betrachtet nicht zulässig ist. In Bezug auf ABGRÜNDE gilt damit eine Variante von Hypothese 4: Verhaltensweisen von Figuren, die nicht erlaubt sind und die in der Mehrheitsgesellschaft als äußerst negativ und moralisch verwerflich bewertet werden, können aus politisch korrekter Position nicht mit der Höchststrafe des Todes belegt werden, weshalb dies über eine narrative Sanktion geschieht. Der Mechanismus der ‚Verschleierung‘ von Kausalzusammenhängen, die öffentlich so nicht vertreten werden dürfen (Wenn x ein sehr schlimmes Verbrechen begeht, muss x sterben), durch narrative Sanktionen, ist hier demnach gegeben, womit Hypothese 4 plausibilisiert wird. Hypothese 5, die darauf abzielt, dass die positive Überprüfung der vorherigen Hypothesen dazu führt, dass die Macht des Normmenschen erhalten bleibt und damit soziale Ungleichheiten gefestigt werden, kann mit Einschränkung bejaht werden. Die mächtigste Position ist in ABGRÜNDE zwar mit Chefinspektor Eisner mit einer nahe am Normmenschen stehenden Figur besetzt (vgl. Kapitel 9.4), aber seine Partnerin Fellner nimmt ebenfalls eine dominante Position ein. Auch darüber hinaus werden soziale Ungleichheiten in der Tatort-Folge zwar als vorhanden gezeigt, aber zumindest in Bezug auf die Machenschaften der Mächtigen als nicht unüberwindbar präsentiert, wenn auch den Mächtigen nur mit illegalen Methoden beizukommen ist.
10
Tatort-Analysen: Ergebnisse und Vergleich
Im Folgenden sollen die in den vorherigen Kapiteln erbrachten Analysen der drei Tatort-Folgen einander vergleichend gegenübergestellt werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifizieren zu können. Dabei wird vor allem das Themenfeld Pädophilie/sexueller Missbrauch näher in den Blick genommen (Kapitel 10.1) sowie auf die Darstellung der weißen Kernfamilie eingegangen (Kapitel 10.2). Dann werden die Hypothesen im Hinblick auf alle zuvor erbrachten Ergebnisse nochmals abschließend überprüft (Kapitel 10.3). Es wird davon ausgegangen, dass die Hypothesen durch Beobachtungen, die diese stützen, plausibilisiert werden können. Dies kann zwar keine abschließende Verifikation der Hypothesen bedeuten, aber es ermöglicht dennoch, Aussagen im Hinblick auf das Untersuchungsmaterial zu treffen und auf Tendenzen zu verweisen.
10.1
P ÄDOPHILIE
UND SEXUELLER
M ISSBRAUCH
Die Rekonstruktion der Ordnung der drei Tatort-Folgen hat ergeben, dass nur in der Folge AUF EWIG DEIN Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch1 das zentrale Thema darstellt. In den anderen beiden Folgen wird Pädophilie/sexueller Missbrauch nur als Aufhänger des Falles benutzt und es dominieren andere Themen: Selbstjustiz in ADAMS ALPTRAUM und Korruption in ABGRÜNDE. Bei allen drei Folgen bilden angebliche (ADAMS ALPTRAUM) oder tatsächliche (AUF EWIG DEIN, ABGRÜNDE) Kindesentführung und sexualisierte Gewalt die Grundlage der Ermittlungen, auch wenn die Mordopfer in zwei Folgen keine Kinder sind, sondern in 1
Da die Folgen nicht zwischen Pädophilie und sexuellem Missbrauch von Kindern unterscheiden – lediglich in AUF EWIG DEIN, wo die Motive der Missbrauchstäter*innen ausschnittsweise angeführt werden – wird im Folgenden ebenfalls auf eine Differenzierung verzichtet.
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ADAMS ALPTRAUM ein potenzieller Missbrauchstäter und in ABGRÜNDE eine in Missbrauchsfällen ermittelnde Polizistin. Damit steht lediglich in der Folge AUF EWIG DEIN das Thema Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch im Fokus des Geschehens. Es ist zudem die einzige Folge, in welcher auch Gedanken der Pädophilen/der Missbrauchstäter*innen widergespiegelt werden, jedoch ohne dass um Verständnis für deren Position geworben wird. In allen drei Folgen kommt es zu einer Gleichsetzung von Pädophilen/sexuellen Missbrauchstäter*innen mit Tieren: In AUF EWIG DEIN spricht Graf davon, dass Faber „ein Tier jagte[]“ (TC 1:04:06); in ADAMS ALPTRAUM nennt Jonas die Missbrauchstäter*innen „pädophile[] Schweine“ (TC 1:07:38); und in ABGRÜNDE spricht Marianne Pölzl davon, dass die Polizei „die Sauhund nie kriegn“ (TC 41:48) werde. Damit kommt es zu einer Verunmenschlichung der Täter*innen. In ABGRÜNDE erlaubt dies den Ermittler*innen sogar, Missbrauchstäter in den Tod zu treiben. Aufgrund ihres Status als suspendierte Polizist*innen sind ihre illegalen Ermittlungsmethoden als Selbstjustiz zu begreifen, wobei diese hier – anders als in ADAMS ALPTRAUM – als moralisch zulässig gezeigt wird. Wie im Konzept des Feindstrafrechts werden sexuelle Missbrauchstäter*innen dabei als Unpersonen angesehen. Dadurch heiligt der Zweck die Mittel und die Moral wird über das (juristische) Gesetz gestellt. Dabei ist auch in den untersuchten Tatort-Folgen mehrheitlich ein Phänomen zu beobachten, welches Gräf und Krah für die Tatort-Folgen in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends konstatiert haben: Die Tatort-Reihe fungiert „als Moralinstanz“ und „[s]exuelle ‚Perversionen‘“ werden nicht „psychologisier[t], sondern auf einer moralischen Ebene […] kommentier[t] (oder gar […] verurteil[t])“ (Gräf & Krah 2010: 69; vgl. auch Kapitel 6.2.3.2). Während in AUF EWIG DEIN Ansätze einer Psychologisierung der pädophilen Täter feststellbar sind, bleiben diese in ABGRÜNDE und ADAMS ALPTRAUM aus. Die These, dass die Polizei den Missbrauchstäter*innen nicht gewachsen ist, wird sowohl in ADAMS ALPTRAUM (Jonas: „Ihr kriegt diese pädophilen Schweine nicht.“ TC 1:07:37) als auch in ABGRÜNDE (Marianne Pölzl: „Ihr werdet’s die Sauhund nie kriegn.“ TC 41:47) explizit aufgestellt. In ABGRÜNDE wird die These teilweise bestätigt, da die Ermittler*innen die Missbrauchstäter zwar fassen können, aber dies nur gelingt, weil sie während der Ermittlungen suspendiert waren und deshalb mit illegalen Tricks agieren konnten. In ADAMS ALPTRAUM findet keine Überprüfung dieser These auf narrativer Ebene statt, da in der Folge die Täter*innen nicht wegen sexuellem Missbrauch von Kindern gesucht werden, sondern gegen sie aufgrund von Selbstjustiz/Totschlag ermittelt wird. Problematisch an der Art der Darstellung der Themen Pädophilie und sexueller Missbrauch in den drei untersuchten Tatort-Folgen ist, dass es zu einer Vermischung von Pädophilie und Missbrauch kommt und nicht differenziert wird zwischen nicht-pädophilen Missbrauchstätern, pädophilen Missbrauchstätern und Menschen mit pädophiler Neigung, die keinen Missbrauch begehen. Insgesamt können
T ATORT -A NALYSEN : E RGEBNISSE UND V ERGLEICH
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die Filme keine Denkanstöße zur Lösung des gesellschaftlichen Problems der Pädophilie und der von ihr ausgehenden Missbrauchsgefahr liefern, sondern verstärken vermutlich durch die Stereotypisierung von Opfern und Tätern lediglich vorhandene Ressentiments.2
10.2
D IE
WEISSE
K ERNFAMILIE
In Bezug auf die weiße Kernfamilie haben sich unterschiedliche Erkenntnisse ergeben. Während in AUF EWIG DEIN und in ADAMS ALPTRAUM die weiße Kernfamilie eine zentrale Rolle einnimmt, spielt sie in ABGRÜNDE – für eine Tatort-Folge, in der es um sexuellen Missbrauch geht – eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. In AUF EWIG DEIN wird der Zerfall der weißen Kernfamilie negativ bewertet, indem nicht-intakte Familien mit narrativen Sanktionen rechnen müssen. So werden die Töchter alleinerziehender Mütter entführt und teilweise auch vergewaltigt und getötet, wohingegen der Sohn eines alleinerziehenden Vaters zu einem Vergewaltiger und Mörder junger Mädchen wird. Männer sind dabei zwar beruflich erfolgreich, versagen aber als Väter und spiegeln damit den Mann in der Krise wider. In ADAMS ALPTRAUM herrscht ein traditionelles Mutterbild vor: Mütter sollen sich um ihre Familie kümmern, statt Karriere zu machen. Vätern kommt zwar ebenfalls die Pflicht zu, sich um ihre Familie zu kümmern, jedoch schließt das bei ihnen eine Karriere nicht aus. Implizit werden die Eltern als Schuldige für den Tod des ‚Flashmobopfers‘ Haasberger dargestellt. Denn nur, weil sie sich nicht um ihre Kinder gekümmert haben, kam es zu der Verkettung unglücklicher Umstände, die zum Tod von Haasberger führten. Da die Erwachsenen und vor allem die Mütter ihren Aufgaben nicht nachkommen, müssen die Jugendlichen sie übernehmen. Man kann hierbei von einer pathogenen Parentifizierung (vgl. Kapitel 8.4) sprechen, denn die Jugendlichen sind den Aufgaben noch nicht gewachsen und scheitern folglich. Die durch Anna und Jonas angestoßene Kettenreaktion kann damit als Folge ihrer Parentifizierung gelesen werden. In beiden Tatort-Folgen wird die weiße Kernfamilie als dysfunktional und brüchig gezeigt und ihre Zukunft und damit auch die der weißen Gesellschaft insgesamt negativ bewertet.
2
Inwiefern diese Vermutung zutrifft, muss durch empirische Forschungsarbeiten überprüft werden.
350 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
10.3
Ü BERPRÜFUNG DER H YPOTHESEN
Hypothese 1 konnte in der Analyse jeder der drei Tatort-Folgen bestätigt werden. Allerdings muss sie modifiziert werden, da keine Differenzierung zwischen Pädophilen und sexuellen Missbrauchstäter*innen stattfindet. Demnach wird Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch von Kindern im Tatort als Angriff auf die weiße Kernfamilie und damit auf die weiße Gesellschaft in ihrer Gesamtheit inszeniert. Die – ausschließlich männlichen – sexuellen Missbrauchstäter stellen dabei Feinde aus dem Inneren der weißen Gesellschaft dar. Wie Hypothese 1 müssen auch Hypothesen 2 und 3 umformuliert werden, indem das Thema Pädophilie um sexuellen Missbrauch ergänzt wird. Für die Richtigkeit von Hypothese 2 haben sich weniger Anhaltspunkte ergeben. Während die Analyse von AUF EWIG DEIN Hypothese 2 bestätigt, da das alleinige Aufwachsen beim Vater als ursächlich für die Laufbahn des Missbrauchstäters angesehen wird, kann die Hypothese anhand von ABGRÜNDE und ADAMS ALPTRAUM nicht verifiziert werden. In diesen beiden Folgen kommen entweder keine sexuellen Missbrauchstäter vor (ADAMS ALPTRAUM) oder es wird nichts über deren Kindheit bekannt und die Familien der Opfer stehen ebenfalls nicht in einem Zusammenhang mit der Entführung und Vergewaltigung (ABGRÜNDE), so wie dies in AUF EWIG DEIN der Fall ist. Hypothese 3 wurde durch ADAMS ALPTRAUM und AUF EWIG DEIN plausibilisiert und durch ABGRÜNDE teilweise bestätigt. In AUF EWIG DEIN wird der sexuell abweichende Mörder Graf am deutlichsten in binärer Opposition zu den unschuldigen, naiven und passiven Mädchen gezeigt. In ADAMS ALPTRAUM kommen zwar keine pädophilen Figuren vor beziehungsweise keine Figuren, die sexuelle Missbrauchstäter*innen sind, da diese jedoch als eine (als vorhanden angenommene) Gruppe trotzdem pauschal als das Böse schlechthin präsentiert werden, fungieren sie auch in Abwesenheit als Kontrast zu den als unschuldig inszenierten Kindern, die als mögliche Opfer verletzlich und schutzbedürftig gezeigt werden. In der Folge ABGRÜNDE werden die weiblichen jungen Opfer zwar als unschuldig gezeigt, aber, da sie zur Unterschicht und damit zum White Trash gehören, nicht als ‚klassisch‘ rein. Das Ideal der weißen Kernfamilie wird am Beispiel einer Familie aus der Oberschicht, der einer der Missbrauchstäter entspringt, dekonstruiert. Damit kann für die untersuchte Tatort-Folge weitgehend, aber nicht uneingeschränkt, plausibilisiert werden, dass die mediale Klassifikation von Pädophilen beziehungsweise sexuellen Missbrauchstäter*innen als ‚andersartig‘ die Funktion hat, die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit aufrechtzuerhalten und damit das Ideal der weißen Kernfamilie zu stützen. Hypothese 4 kann durch die Tatort-Folgen ADAMS ALPTRAUM und AUF EWIG DEIN plausibilisiert werden. ABGRÜNDE liefert ebenfalls Hinweise auf die Bestäti-
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gung von Hypothese 4, wobei es sich hierbei um eine Variante der Verschleierung von Zusammenhängen durch narrative Sanktionen handelt. Als besonders verwerflich dargestellte Straftaten werden durch die Erzählinstanz geahndet und mit dem Tod bestraft. Zwar ist die Todesstrafe rechtlich nicht zulässig, wird aber unter Umständen in Bezug auf Missbrauchstäter*innen von (Teilen) der Mehrheitsgesellschaft als moralisch angemessen empfunden (vgl. hierzu auch Kapitel 11.1). In ADAMS ALPTRAUM wird eine ‚Karrieremutter‘ narrativ sanktioniert, indem ihre Söhne verschwinden. Ein Vater, der sich nicht um seine Tochter kümmert, wird ebenfalls narrativ sanktioniert, indem er erschlagen wird. In AUF EWIG DEIN kommt es zu narrativen Sanktionen von Eltern, die sich trennen, wobei der Zusammenhang durch eine Dopplung weiter verdeutlicht wird: Zwei Elternpaare werden exemplarisch für ihre Trennung narrativ sanktioniert, indem ihre Töchter entführt, getötet und teilweise auch sexuell missbraucht werden. Zudem gibt es in dieser Folge eine weitere Art der impliziten Sanktion, die im Gegensatz zur expliziten Sanktion die Bestrafung nicht in direkten Zusammenhang mit dem Vergehen setzt. Dabei wird die Sanktion dadurch verschleiert, dass ein soziales Vergehen anhand eines juristischen bestraft wird. Demzufolge wird hier das Instrumentarium an indirekter Sanktion um weitere Methoden neben der narrativen Sanktion ergänzt. Dieses Vorgehen der substitutiven Bestrafung sozialer Vergehen durch juristische kann auch als Form der narrativen Sanktion aufgefasst werden. Verhaltensweisen von Figuren, die gesetzlich erlaubt sind beziehungsweise aus einer politisch korrekten Position zu befürworten/zu akzeptieren sind, die zeitgleich aber in der Mehrheitsgesellschaft voraussichtlich negativ bewertet werden, werden demnach in Medienbeiträgen eher indirekt als explizit sanktioniert, beispielsweise durch narrative Sanktionen. Die Überprüfung von Hypothese 5 hat sich als schwierig erwiesen. Zunächst muss festgestellt werden, dass die Hypothese, die besagt, dass die Inhalte der sich aus den vorherigen Hypothesen ergebenden Annahmen dem Machterhalt des Normmenschen dienen, nur im Hinblick auf die Medienbeiträge selbst beantwortet werden kann und nicht auf die ‚Realwelt‘. Aber auch mit dieser Einschränkung kann Hypothese 5 nur bedingt bestätigt werden. In allen drei Tatort-Folgen nimmt eine weiße, männliche, der Mittelschicht zugehörige Figur die mächtigste Position ein und damit eine Figur, die nahe am Normmenschen positioniert wird: Faber in AUF EWIG DEIN, Stellbrink in ADAMS ALPTRAUM und Eisner in ABGRÜNDE. In ABGRÜNDE ist Eisner mit seiner Kollegin Fellner jedoch eine ebenfalls dominante Partnerin zur Seite gestellt. Weiter kommen sie ‚den Mächtigen‘ nur mit illegalen Methoden bei. Die Sprechanteile der Figuren geben weiter Aufschluss über ein Missverhältnis im Hinblick auf die Repräsentation verschiedener Ausprägungen der ungleichheitsgenerierenden Kategorie Geschlecht. So haben die weiblichen Figuren in ADAMS ALPTRAUM und AUF EWIG DEIN weniger als ein Drittel Redeanteil (31,2 Prozent bzw. 31,5 Prozent). Lediglich in der Folge ABGRÜNDE fällt das Ver-
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hältnis nur leicht zu Ungunsten der Frauen aus (46,1 Prozent versus 53,9 Prozent). Insgesamt kann Hypothese 5 trotz dieser Hinweise nicht eindeutig bestätigt werden.
11
Weiterentwicklung des Analyseansatzes
Bisher sind mit den Analysen der Tatort-Folgen ausschließlich fiktionale Texte untersucht worden. Wie in Kapitel 2.5 erläutert wurde, wirken an der Konstruktion gesellschaftlicher Realität und an der Konstitution von Öffentlichkeit sowohl fiktionale als auch non-fiktionale Medienbeiträge mit. Im Folgenden wird ein Exkurs in den Bereich des Journalismus vorgenommen, um zum einen die Darstellung von Pädophilie und der weißen Kernfamilie mit den Konstruktionen in den fiktionalen Tatort-Folgen vergleichen zu können und zum anderen das Potenzial zu verdeutlichen, das eine ähnliche methodische Herangehensweise für eine mediengattungsübergreifende Analyse bietet. Wie Renner mit seinen Studien zur SPDFührungskrise (Renner 2012) und zur Guttenberg-Plagiatsaffäre (Renner 2013a) gezeigt hat, kann die Grenzüberschreitungstheorie auch zur Analyse non-fiktionaler Texte verwendet werden. Mit dem Panorama-Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE und den Gerichtszeichnungen von Edathy können zwei unterschiedliche non-fiktionale mediale Darstellungsformen untersucht werden, in denen es dennoch um das gleiche Thema geht: Edathy und Pädophilie. Dabei bietet der PanoramaBeitrag vor allem die Möglichkeit, die Repräsentation des Themas Pädophilie in non-fiktionalen Medienangeboten anhand einer Rekonstruktion der in dem Beitrag vorkommenden Ordnungssätze näher zu untersuchen und dadurch den Umgang mit Pädophilen in der Gesellschaft herauszuarbeiten. Eine Analyse der Gerichtszeichnungen zum Edathy-Prozess hingegen verspricht aufschlussreich zu sein im Hinblick auf die Verknüpfung von Pädophilie und Weißsein in journalistischen Medienangeboten. Bei der Untersuchung des Panorama-Beitrags gilt es darüber hinaus potenziell erforderliche Abweichungen in der Methodik zu dokumentieren, wobei das Ziel ist, sich möglichst eng an der Vorgehensweise der Tatort-Analysen zu orientieren, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erhöhen. Bei der Analyse der Gerichtszeichnungen muss von vornherein ein anderer Ansatz gewählt werden, da die Rekonstruktion der Zeichnungen anhand der Grenzüberschreitungstheorie nicht möglich ist, sondern eine stärker interpretatorische und offene Haltung vonnöten ist.
354 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
11.1
ANALYSE DES P ANORAMA -B EITRAGS E DATHY -AFFÄRE : H ASS AUF P ÄDOPHILE
Im Folgenden soll der Panorama-Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE mithilfe der Grenzüberschreitungstheorie analysiert werden. Nach einer Inhaltsangabe (Kapitel 11.1.1) werden zunächst die Ordnungssätze rekonstruiert (Kapitel 11.1.2), bevor dargelegt wird, inwiefern der Beitrag ein humanistisches Weltbild als wünschenswert darstellt (Kapitel 11.1.3). Anschließend werden die Ereignisse und die Wiederherstellung der Ordnung untersucht und der zentrale Ordnungssatz sowie das zentrale Ereignis und damit die Gesamtaussage des Films bestimmt (Kapitel 11.1.4). Die Analyse der Raumstrukturen konzentriert sich auf Einschluss- und Ausschlussmechanismen, die innerhalb des Beitrags in Bezug auf Pädophile praktiziert werden (Kapitel 11.1.5). Daran schließt sich die Analyse der ungleichheitsgenerierenden Kategorien und ihres Zusammenhangs mit Macht an (Kapitel 11.1.6). Hier muss vermutlich von der methodischen Herangehensweise bei der Analyse der fiktionalen Medienangebote abgewichen werden, da eine Bestimmung der Hierarchien unter den Personen im Panorama-Beitrag nicht analog zur Ermittlung der Rangfolge der in den Tatort-Folgen vorkommenden Figuren über die Nennung der Schauspieler*innen im Vorspann und über die Sprechanteile erfolgen kann. Im Hinblick auf die beiden Themen Pädophilie und weiße Kernfamilie (Kapitel 11.1.7) ist zu erwarten, dass Pädophilie aufgrund des journalistischen Mediums differenzierter als in den Tatort-Folgen dargestellt wird, die weiße Kernfamilie jedoch eine weniger große Rolle spielt. Im Fazit werden die erbrachten Ergebnisse mit denen der Tatort-Analysen abgeglichen (Kapitel 11.1.8).
11.1.1
Inhaltsangabe
Der Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE ist am 18. Dezember 2014 in dem politischen Fernsehmagazin Panorama zum ersten Mal ausgestrahlt worden. Das Magazinstück ist inklusive Anmoderation und Abspann acht Minuten lang, Regie führten Ben Bolz und Johannes Jolmes. Der Beitrag nimmt die Edathy-Affäre als Aufhänger, um den Umgang der Gesellschaft mit Pädophilen zu hinterfragen. Der Film startet mit einem schriftlichen Zitat und Vox Pops1 von Menschen, die Edathy und Pädophile pauschal verdammen („Alle erschießen. Da bin ich ganz ehrlich.“ TC 1:12; „Ich würde sie von unten verblute lassen und von oben ersticke.“ TC 1:22). Anhand der beiden Fallbeispiele Ingo und Max wird die Perspektive von
1
‚Vox Populis‘ ist lateinisch und bedeutet ‚die Stimme des Volkes‘. Im Fernsehjournalismus sind Vox Pops, wie sie abgekürzt genannt werden, kurze O-Töne von Passant*innen, die sich darin zu einem vorgegebenen Thema äußern.
W EITERENTWICKLUNG
DES
A NALYSEANSATZES
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Pädophilen aufgezeigt. Beide sind dabei so aufgenommen, dass sie nicht erkennbar sind und ihre Stimmen werden nachgesprochen. Ingo und Max machen eine Therapie, um mit ihrer Neigung besser umgehen zu können und nicht zum Missbrauchstäter zu werden. Professor Michael Osterheider, der das Netzwerk „Kein Täter werden“ vertritt, erläutert als Experte den Zusammenhang von pädophiler Neigung und Missbrauchshandlungen. Anhand von Barbara Schäfer-Wiegand, Vorsitzende der Kinderschutzstiftung „Hänsel + Gretel“, wird gezeigt, wie Menschen von einer ablehnenden Haltung gegenüber Pädophilie zu einer verständnisvollen Gesinnung kommen können. Schäfer-Wiegand setzt sich für den Ausbau von Therapieplätzen für Pädophile ein. Immer wieder wird im Beitrag betont, dass Therapien für Pädophile das Mittel seien, welches Kinder am ehesten vor Übergriffen schützt. Politiker*innen der SPD werden wegen ihrer undifferenziert negativen Haltung gegenüber Pädophilen in der Edathy-Affäre kritisiert. Der Film schließt mit der Bemerkung des Sprechers, dass auch Pädophile Menschen seien.
11.1.2
Rekonstruktion der Ordnungssätze
Die in dem Panorama-Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE etablierten Ordnungssätze können prinzipiell zwei grundlegend verschiedenen Weltbildern zugeordnet werden. Das eine Weltbild wird repräsentiert durch die Menschen, die Vorurteile gegenüber Pädophilen haben. Dieses Weltbild wird in dem PanoramaBeitrag als gesellschaftlich weit verbreitet konstruiert. Die Vorurteilsträger*innen hassen Pädophile und würden sie am liebsten ermordet sehen. Sie setzen Pädophilie mit sexuellem Missbrauch gleich, so Moderatorin Anja Reschke: „Die öffentliche Meinung ist klar: Wer pädophil ist, ist entweder ein Kinderschänder oder lädt sich Kinderpornos runter.“ (Reschke bei TC 0:13). Das Weltbild der Vorurteilsträger*innen wird zum einen von den zu Beginn des Films interviewten Passant*innen vertreten und zum anderen durch die Moderatorin sowie durch Professor Osterheider verbalisiert, welche sich dabei jedoch auf die Meinung der PädophilenHasser*innen beziehen und sich erkennbar von diesem Weltbild distanzieren. Das alternative Weltbild wird durch Reschke, Osterheider und Schäfer-Wiegand sowie die beiden Männer mit pädophiler Neigung, Ingo und Max, repräsentiert. In diesem wird davon ausgegangen, dass Pädophile ihre Neigung nicht selbst zu verantworten haben, nicht zwingend zu sexuellen Missbrauchstäter*innen werden und durch eine Therapie positiv beeinflusst werden können. Nachfolgend werden zunächst die im Weltbild der Vorurteilsträger*innen gültigen Ordnungssätze rekonstruiert, bevor die im alternativen Weltbild geltenden Ordnungssätze herausgearbeitet werden. Reschke formuliert bereits in der Anmoderation den ersten Ordnungssatz des Weltbildes der Vorurteilsträger*innen: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann ist x der am meisten geächtete aller Verbrecher.‘ (Reschke: „Es gibt ja auch nichts,
356 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
was so geächtet ist, wie Pädophilie.“ TC 0:10). In der Aussage eines Passanten über Pädophilie wird der Ordnungssatz erneut explizit angesprochen: „Das ist die größte Schweinerei.“ (Passant 1, TC 1:15). Da es sich bei beiden im Film vorkommenden Fallbeispielen von Menschen mit pädophiler Veranlagung um Männer handelt und auch die angeführte Statistik („geschätzte[] 240.000 pädophile[] Männer[] in Deutschland“ – Sprecher bei TC 6:56) sich ausschließlich auf das männliche Geschlecht bezieht, werden Ordnungssatz 1 und die anderen Pädophile betreffenden Ordnungssätze geschlechtsspezifisch formuliert und nicht gegendert. Der zweite Ordnungssatz drückt aus, dass Pädophile immer auch Täter sind: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann ist x ein Straftäter.‘ (OS 2) Er wird in verschiedenen Varianten durch Reschke und Osterheider verbalisiert, die damit die Meinung der vorurteilsbehafteten Gesellschaftsmitglieder aufzeigen. So spricht Reschke in der Anmoderation davon, dass in der öffentlichen Meinung nicht zwischen Pädophilen und „Kinderschändern“ beziehungsweise Männern, die Missbrauch durch das Betrachten von Kinderpornos begehen, differenziert werde (TC 0:13). Osterheider greift ebenfalls die „Vorstellung in der Bevölkerung auf“, nach der „jemand, der pädophil ist, zwangsläufig auch Übergriffe auf Kinder“ (Osterheider bei TC 4:01) tätige. Im Weltbild der Vorurteilsträger*innen haben Pädophile keinen Platz auf dieser Welt, wie in Ordnungssatz 3 festgelegt ist. Dieser Ordnungssatz spiegelt sich in den Vox Pops der Passant*innen wider: „So Mensche sind einfach krank, die gehöre net uf die Welt.“ (Passantin 2 bei TC 1:27); „So wat geht nicht.“ (Passantin 1 bei TC 1:20 über Pädophile). Auch die Vorsitzende einer Kinderschutzstiftung, Schäfer-Wiegand, verweist auf diese Meinung: „Pädophil veranlagte Menschen darf es eigentlich nicht geben in der Gesellschaft.“ (Schäfer-Wiegand bei TC 5:19). Der Umgang mit Pädophilen wird dabei von Passant*innen formuliert, die in kurzen Statements bei einer Straßenumfrage ihre Meinung kundtun, und kann in Ordnungssatz 4 zusammengefasst werden: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann sollte man x töten.‘ Passant 1 spricht davon, dass man Pädophile „[a]lle erschießen“ (TC 1:12) solle, Passantin 2 schlägt vor, sie „von unten verblute [zu] lassen und von oben [zu] ersticke“ (TC 1:23), da „so Mensche […] einfach krank“ seien und nicht „uf die Welt“ (TC 1:27) gehörten. Passantin 1 ist weniger drastisch, sie fordert ‚lediglich‘ pädophile Menschen wegzusperren und formuliert damit eine zu Ordnungssatz 4 alternative Möglichkeit des Umgangs mit Pädophilen. Die zitierten Politiker*innen präsentieren ebenfalls das Weltbild der Vorurteilsträger*innen. Der SPD-Politiker Sigmar Gabriel formuliert Ordnungssatz 5 (‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil handelt, dann kann x nicht Mitglied im Deutschen Bundestag sein.‘) und Ordnungssatz 6 (‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil handelt, dann passt x nicht zur SPD.‘), wobei sich das ‚pädophile Handeln‘ im Weltbild der Vorurteilsträger*innen nach Ordnungssatz 2 zwanghaft aus der pädophilen Disposition ergibt. Bei der Setzung von Ordnungssatz 6 wird Gabriel durch bestätigende Talk-
W EITERENTWICKLUNG
DES
A NALYSEANSATZES
| 357
show-Interviewausschnitte von Manuela Schwesig und Thomas Oppermann unterstützt. Auch der Sprecher konstatiert, dass die Politik oftmals ebenso reflexhaft auf Pädophile reagiere wie die Öffentlichkeit (vgl. Sprecher bei TC 2:57). Damit wird explizit verbalisiert, dass die vorherrschenden Meinungen über Pädophilie innerhalb der Bevölkerung mit den Meinungen der Politiker*innen gleichzusetzen seien. Die folgende Tabelle zeigt die im Weltbild der Vorurteilsträger*innen gültigen Ordnungssätze im Überblick: Tabelle 26: Ordnungssätze in EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE – Weltbild der Vorurteilsträger*innen Nr.
Inhalt (Weltbild der
Ursprung
Thema
Vorurteilsträger*innen) OS 1
Für alle x gilt: Wenn x
Reschke (bezieht sich
Rangfolge der Ver-
pädophil ist, dann ist x der
auf die Gesellschaft),
brecher*innen: Pädo-
am meisten geächtete
Passant
phile = die schlimmsten Verbrecher
aller Verbrecher. OS 2
OS 3
OS 4
Für alle x gilt: Wenn x
Reschke und Osterheider
Schuldfrage:
pädophil ist, dann ist x
(beziehen sich beide auf
Pädophile = Täter =
ein Straftäter.
die Gesellschaft)
schuldig
Für alle x gilt: Wenn x
Passantin 1; Passantin 2
Pädophile =
pädophil ist, dann gehört x
Anwesenheitsverbot
nicht auf diese Welt.
im Raum ‚Welt‘
Für alle x gilt: Wenn x
Passant 1; Passantin 2
pädophil ist, dann sollte
Pädophilie = Todesurteil
man x töten. OS 5
OS 6
Für alle x gilt: Wenn x
Gabriel
Unvereinbarkeit von
pädophil handelt, dann
Mitgliedschaft im
kann x nicht Mitglied im
Deutschen Bundestag
Deutschen Bundestag sein.
und Pädophilie
Für alle x gilt: Wenn x
Gabriel, Schwesig,
Unvereinbarkeit von
pädophil handelt, dann
Oppermann
SPD-Mitgliedschaft
passt x nicht zur SPD.
und Pädophilie
Im alternativen Weltbild gelten Ordnungssätze, die denen des Weltbildes der Gesellschaft konträr gegenüberstehen oder zusätzliche Aspekte von Pädophilie be-
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leuchten. Um sie von den Ordnungssätzen des Weltbildes der Vorurteilsträger*innen unterscheiden zu können, werden sie mit einem Sternchen (*) versehen. Ordnungssatz 1* bezieht sich auf die Unheilbarkeit von Pädophilie: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, wird x immer pädophil bleiben.‘ (OS 1*) Er wird von Ingo, einem Menschen mit pädophiler Neigung, explizit formuliert, wobei er sich hier auf das bezieht, was ihm in der Therapie beigebracht wurde: „Gleich in der ersten Sitzung wurde uns gesagt: ‚Sie sind pädophil und das werden Sie Ihr Leben lang bleiben‘.“ (Ingo bei TC 1:50). Ordnungssatz 2* betrifft die Frage nach der Schuld von Pädophilen. Im Gegensatz zu Ordnungssatz 2 im Weltbild der Vorurteilsträger*innen werden Menschen mit pädophiler Neigung in Ordnungssatz 2* als unschuldig angesehen: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann kann x nichts dafür.‘ (OS 2*) Der Ordnungssatz wird über verschiedene Aussagen von Protagonist*innen und Akteur*innen etabliert: über ein Statement des Psychiaters und Experten Osterheider, der Pädophilen beibringt, „dass sie dafür nichts können“ (Osterheider bei TC 6:41), über den OffKommentar („Denn Pädophilie ist eine Veranlagung. Man hat sie oder man hat sie nicht. Jeden kann es treffen.“ Sprecher bei TC 2:41) und über den ‚Betroffenen‘2 Ingo („Ich hab’s mir ja nicht ausgesucht.“ Ingo bei TC 2:38). Ordnungssatz 3* hat zum Inhalt, dass Pädophilie nicht in einer Kausalbeziehung zu sexuellen Straftaten steht: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann wird x nicht automatisch zum Täter.‘ (OS 3*) Ordnungssatz 3* steht damit ebenfalls in Opposition zu Ordnungssatz 2. Er kann zum einen über eine explizite Formulierung des Sprechers identifiziert werden („Ingo ist […] pädophil und kein Kinderschänder. Er hat nie ein Kind missbraucht.“ TC 1:31) und zum anderen über Aussagen des Betroffenen Max („Ich bin pädophil. […] Das definiert mich nicht als irgendwie schlechten Menschen oder so was.“ Max bei TC 6:27) und zudem über ein Statement des Experten Osterheider: „Die Vorstellung in der Bevölkerung ist schon die, dass jemand, der pädophil ist, zwangsläufig auch Übergriffe auf Kinder macht. Das stimmt nicht. Wir kennen auch viele Menschen mit ner pädophilen Neigung oder ner pädophilen Störung, die tatsächlich gar keine strafbaren Handlungen gemacht haben.“ (Osterheider bei TC 4:01). Ordnungssatz 4* bezieht sich auf die Aufgabe, welche die Gesellschaft Pädophilen gegenüber zu erfüllen hat: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann muss die Gesellschaft x die Möglichkeit geben, sich zu öffnen.‘ (OS 4*) Ordnungssatz 4* lässt sich aus einem Off-Kommentar erschließen, in welchem der Sprecher betont, wie wichtig es sei, dass die Gesellschaft sich Pädophilen gegenüber öffne, damit 2
‚Betroffene‘ stellen in Fernsehbeiträgen Personen dar, die als Beispiel für ein bestimmtes Thema dienen. Sie sind im Gegensatz zu den Expert*innen, die – beispielsweise akademisch erworbenes – Wissen zu einem Themenfeld haben, von diesem persönlich ‚betroffen‘ und können deshalb ihre eigenen Erfahrungen ausdrücken.
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DES
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diese nicht straffällig würden (vgl. Sprecher bei TC 4:14). Außerdem wird der Ordnungssatz von Ingo bestätigt, der darauf verweist, „dass es Pädophile gibt, die ein normales Leben führen möchten, aber gar nicht dazu in der Lage sind, wenn sie so viel Feindseligkeit in der Gesellschaft spüren.“ (Ingo bei TC 3:49). Ordnungssatz 5* beinhaltet ebenso einen Auftrag an die Gesellschaft, welche Pädophilen helfen muss, beispielsweise durch die Bereitstellung von Therapieplätzen: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann muss man x helfen, zum Beispiel indem man x einen Therapieplatz anbietet.‘ (OS 5*) Der Ordnungssatz lässt sich aus mehreren Aussagen Schäfer-Wiegands herleiten. Sie beschreibt zum einen, dass es Menschen mit pädophiler Neigung gebe, die keinen Missbrauch an Kindern begehen wollten, jedoch Hilfe benötigten, um dies zu schaffen (vgl. SchäferWiegand bei TC 4:33). Dabei vertritt sie die Meinung, dass „man […] sich ihrer annehmen [muss]“ (TC 5:34). Ordnungssatz 6* basiert auf Ordnungssatz 5* und begründet die Pflicht, Pädophilen zu helfen, mit dem Schutz von Kindern: ‚Für alle x gilt: Wenn x Kinder schützen will, dann muss x Pädophilen helfen, zum Beispiel indem x ihnen einen Therapieplatz anbietet.‘ (OS 6*; siehe dazu Schäfer-Wiegand über Pädophile: „[M]an muss sich ihrer annehmen. Man kommt nicht drum herum. Aus Liebe zu den Kindern.“ TC 5:34). Ordnungssatz 7* befasst sich mit der Aufgabe der Politik, die darin besteht, dass Anlaufstellen und Therapieplätze für Menschen mit pädophiler Neigung geschaffen werden müssen: ‚Für alle x gilt: Wenn x eine Politiker*in ist, dann muss x Therapieplätze und Anlaufstellen für Pädophile schaffen.‘ (OS 7*) Der Ordnungssatz kann aus Kommentaren des Sprechers geschlossen werden, der bemängelt, dass „[i]n der Politik […] kaum jemand was über das Thema Therapien für Pädophile wissen [möchte]“ (TC 5:15) und es „nicht genügend Anlaufstellen für Pädophile in Deutschland [gibt]“ (TC 6:48), wobei er sich bei der letzten Aussage auf die Einschätzung des Experten Osterheider bezieht. Ordnungssatz 8* drückt die Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussion des Themas Pädophilie aus: ‚Für alle x gilt: Wenn x die Gesamtheit der Mitglieder der Gesellschaft ist und im Umgang mit pädophil veranlagten Menschen weiterkommen will, dann muss x das Thema auch in der Öffentlichkeit thematisieren.‘ (OS 8*). Er ist auf ein Statement Schäfer-Wiegands zurückzuführen, die sagt: „Wenn wir im Umgang mit pädophil veranlagten Menschen weiterkommen wollen, dann müssen wir das Thema auch in der Öffentlichkeit thematisieren. Und wir müssen es laut tun, dass es alle hören, damit wir am Ende insgesamt gewinnen.“ (Schäfer-Wiegand bei TC 7:20). Ordnungssatz 9* bezieht sich auf die Aufgabe der Pädophilen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann kann x lernen, Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen.‘ (OS 9*) Er wird durch eine Aussage Osterheiders verdeutlicht, in der Osterheider sich auf Menschen mit pädophiler Neigung bezieht: „Wir versuchen, ihr Verantwortungsbewusstsein zu wecken. Und ihnen auch zu sagen, dass sie dafür
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nichts können, dass sie aber eine Verantwortung dafür übernehmen können, dass eben durch diese Neigung Kinder nicht zu Opfern werden.“ (Osterheider bei TC 6:35). Im letzten Satz des Films, der wie üblich aus einem Off-Kommentar besteht3, wird nochmals ein Ordnungssatz etabliert, der besagt: ‚Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann ist x trotzdem auch ein Mensch.‘ (OS 10*) Der Sprecher ergänzt dabei die Aussage Schäfer-Wiegands, dass man Pädophilen helfen müsse, damit am Ende alle im Interesse der Kinder gewinnen, um folgende Sätze: „Und auch im Interesse der pädophil veranlagten Menschen. Denn Menschen sind sie auch.“ (Sprecher bei TC 7:43). Ordnungssatz 10* steht den Ordnungssätzen 3 und 4 des Weltbildes der Vorurteilsträger*innen konträr gegenüber. Da durch Ordnungssatz 10* das Menschsein der Pädophilen betont wird, kann das alternative Weltbild auch als humanistisches Weltbild bezeichnet werden. Die Ordnungssätze des alternativen, humanistischen Weltbildes sind in folgender Tabelle zusammengefasst:
3
Um ‚das letzte Wort‘ nicht aus der Hand zu geben, enden journalistische Filme mit Sprecher*in in der Regel mit einem Off-Kommentar und nicht mit einem O-Ton.
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DES
A NALYSEANSATZES
| 361
Tabelle 27: Ordnungssätze in EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE – humanistisches Weltbild Nr.
Inhalt (humanistisches
Ursprung
Thema
Weltbild) OS 1*
OS 2*
Für alle x gilt: Wenn x
Ingo
Pädophilie ist
immer pädophil bleiben.
nicht heilbar
Für alle x gilt: Wenn x
Osterheider,
Schuldfrage:
pädophil ist, dann kann x
Sprecher, Ingo
Pädophile = unschuldig
nichts dafür. OS 3*
Heilbarkeit:
pädophil ist, dann wird x
Für alle x gilt: Wenn x
Sprecher,
Schuldfrage:
pädophil ist, dann wird x
Osterheider, Max
Pädophile sind nicht automatisch Täter
nicht automatisch zum Täter. OS 4*
Für alle x gilt: Wenn x
Sprecher, Ingo
Aufgabe der Gesell-
pädophil ist, dann muss
schaft: Offenheit
die Gesellschaft x die
gegenüber Pädophilen
Möglichkeit geben, sich zu öffnen. OS 5*
Für alle x gilt: Wenn x
Schäfer-Wiegand
Aufgabe der Gesell-
pädophil ist, dann muss
schaft: Hilfe leisten
man x helfen, zum Bei-
und Therapieplätze
spiel indem man x einen
anbieten
Therapieplatz anbietet. OS 6*
Für alle x gilt: Wenn x
Schäfer-Wiegand
Kinder schützen will,
Begründung: Kindeswohl
dann muss x Pädophilen helfen, zum Beispiel indem x den Pädophilen einen Therapieplatz anbietet. OS 7*
Für alle x gilt: Wenn x
Sprecher,
Aufgabe der Politik:
eine Politiker*in ist, dann
(Osterheider)
Anlaufstellen und
muss x Therapieplätze
Therapieplätze
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Nr.
Inhalt (humanistisches
Ursprung
Thema
Weltbild) und Anlaufstellen für
einrichten
Pädophile schaffen. OS 8*
Für alle x gilt: Wenn x
Schäfer-Wiegand
Aufgabe der Gesell-
die Gesamtheit der Mit-
schaft: Pädophilie
glieder der Gesellschaft
thematisieren
ist und im Umgang mit pädophil veranlagten Menschen weiterkommen will, dann muss x das Thema auch in der Öffentlichkeit thematisieren. OS 9*
OS 10*
Für alle x gilt: Wenn x
Osterheider
Aufgabe der
pädophil ist, dann kann x
Pädophilen: Ver-
lernen, Verantwortung
antwortung für
für seine Handlungen
Handlungen
zu übernehmen.
übernehmen
Für alle x gilt: Wenn x pädophil ist, dann ist x
Sprecher
Pädophile = Menschen
trotzdem auch ein Mensch.
Den durch den Sprecher vermittelten Ordnungssätzen wird dabei ein besonderes Gewicht zugemessen, denn die Sprecher*innen von Fernsehbeiträgen können – insofern sie nicht im Bild erscheinen4 – als heterodiegetische Erzählinstanz aufgefasst werden (Lahn & Meister 2008: 67).
4
Wenn die Sprecher*in nicht nur den Off-Kommentar wiedergibt, sondern zudem im Bild erscheint, wird von einer homodiegetischen Erzählinstanz gesprochen (Lahn & Meister 2008: 67).
W EITERENTWICKLUNG
11.1.3
DES
A NALYSEANSATZES
| 363
Versuch der Etablierung eines humanistischen Weltbildes
Beide in EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE präsentierten Weltbilder haben das übergeordnete Ziel, „unsere Kinder“ (Reschke bei TC 0:36) zu schützen. Die Herangehensweise ist dabei jedoch unterschiedlich. Im Weltbild der Vorurteilsträger*innen soll das Problem durch eine Eliminierung der Verursacher*innen, ergo der pädophilen Menschen, geschehen, im alternativen Weltbild hingegen durch deren Versorgung mit Therapieplätzen und Anlaufstellen. Welches Weltbild der Magazinbeitrag dabei bevorzugt, wird bereits in der Anmoderation deutlich gemacht. Diese enthält folgendes Statement der Moderatorin Reschke: „Dadurch, dass die Gesellschaft sie [die Pädophilen, MK] so verachtet und sie zwingt, im Verborgenen zu bleiben, bringen wir unsere Kinder nur noch mehr in Gefahr.“ (Reschke bei TC 0:30). Damit wird die Verachtung von Menschen mit pädophiler Neigung explizit als falsche Lösung des Problems präsentiert. Das Weltbild der Humanist*innen hingegen kann als wünschenswerte Zukunftsvision angesehen werden, die sich noch nicht durchgesetzt hat. In der Grenzüberschreitungstheorie entspricht die Etablierung des humanistischen Weltbildes damit einer Metatilgung, denn die dort gültigen Regeln sollen die bisherige gesellschaftliche Ordnung ersetzen. Im Folgenden soll der Aufbau des Stückes nachvollzogen werden, um herauszuarbeiten, wie die Struktur des Beitrags das humanistische Weltbild stützt und das Weltbild der Vorurteilsträger*innen dekonstruiert. Der Film besteht aus folgenden Elementen: einordnende und Fakten vorbringende Off-Kommentare; emotionalisierende Vox Pops von Vorurteilsträger*innen; zwei Fallbeispiele Betroffener beziehungsweise pädophiler Menschen; O-Töne von Politiker*innen; und Statements zweier Expert*innen. Nach der Anmoderation durch Reschke, welche wie aufgezeigt bereits das Ergebnis des Beitrags vorwegnimmt, startet das eigentliche Stück mit Zitaten und Vox Pops von Passant*innen zu Edathy, in welchen dieser beschimpft und Pädophile allgemein als Unmenschen und damit ‚nicht lebenswerte Wesen‘ aufgefasst werden. Die Drastik des Zitats und der Vox Pops erschwert dabei eine mögliche Identifikation der Zuschauer*innen mit der Position der Vorurteilsträger*innen. Im Anschluss an den letzten Vox Pop wird mit Ingo das erste Fallbeispiel eingeführt. Im Weltbild der Vorurteilsträger*innen stellt Ingo5 bereits durch seine Existenz eine Ordnungsverletzung dar, da – wie im letzten Vox Pop gesagt wird – „[s]o Mensche […] net uf die Welt [gehöre]“ (Passantin 2 bei TC 1:27), Ingo jedoch „auf dieser Welt [ist]“ (Sprecher bei TC 1:31). Direkt im Anschluss an diesen Satz ent-
5
Gleiches gilt prinzipiell für den zweiten Betroffenen, den pädophilen Max, wobei der Zusammenhang im Beitrag nicht so explizit wie bei Ingo aufgezeigt wird.
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zieht der Sprecher den vorhergehenden Vox Pops die Grundlage für die Behauptung, dass alle Pädophilen Täter seien, indem er in Bezug auf den Pädophilen Ingo klarstellt: „Er ist pädophil und kein Kinderschänder. Er hat nie ein Kind missbraucht.“ (Sprecher bei TC 1:33). Der Betroffene Ingo bekommt anschließend Raum, seine Position selbst darzustellen und um Verständnis für seine sexuelle Neigung zu werben, die er sich „ja nicht ausgesucht“ (Ingo bei TC 2:39) habe. Nachdem zunächst die Perspektive der Pädophilen angerissen wurde, schwenkt der Beitrag nochmals zurück zum Aufhänger, dem Fall Edathy, und kritisiert die Art und Weise des Umgangs der SPD-Politiker*innen mit Edathy, wobei deren Verhalten anhand von drei O-Tönen vorgestellt wird. Dieser Block des Beitrags schließt mit einer Einschätzung Ingos, in welcher er zwar Verständnis für die Position der SPD-Politiker*innen äußert, aber auch konstatiert, dass Pädophile nicht automatisch Täter seien und nur ein normales Leben führen könnten, wenn sie nicht ständig angefeindet werden würden (vgl. Ingo bei TC 3:38). Nach diesen Sequenzen wird der Beitrag auf eine höhere Ebene überführt, da es nun nicht mehr um Edathy geht, sondern um den gesellschaftlichen Umgang mit Pädophilen im Allgemeinen. Professor Osterheider wird vorgestellt, der als Experte auftritt und dem deshalb Fachwissen zugeschrieben wird. Er widerspricht der pauschalen These, nach der Pädophile auch zwangsläufig Täter seien: „Das stimmt nicht.“ (Osterheider bei TC 4:06). Mit Schäfer-Wiegand wird eine weitere Expertin eingeführt. Schäfer-Wiegand hat in Bezug auf die Öffnung, die die Gesellschaft Pädophilen gegenüber zu leisten hat, „nicht immer so gedacht, doch inzwischen ist sie davon überzeugt“ (Sprecher bei TC 4:21), dass diese notwendig ist. Mit ihr wird dadurch eine Person präsentiert, die einen Wandel durchgemacht hat – und zwar den Wandel, den die Zuschauer*in aus Sicht der Filmemacher*innen ebenfalls vollziehen sollte, weshalb Schäfer-Wiegand als – aus Perspektive der Autor*innen – positiver Identifikationspunkt dienen kann. Der Sprecher stellt Schäfer-Wiegands Position dar, nach der Therapieplätze für Pädophile der „beste Schutz der Kinder“ (Sprecher bei TC 5:03) seien. Nun wird mit dem Pädophilen Max das zweite Fallbeispiel eingeführt. Es hat die Funktion, die Wirksamkeit der Unterstützung in Form von Therapieplätzen zu zeigen, denn „Max hätte sich ohne Hilfe vielleicht an kleinen Mädchen vergangen“ (Sprecher bei TC 5:40). Der Experte Osterheider ordnet den Lerneffekt von Max ein, indem er die Vorgehensweise gegenüber Pädophilen bei der Therapie beschreibt: „Wir versuchen, ihr Verantwortungsbewusstsein zu wecken. Und ihnen auch zu sagen, dass sie dafür nichts können, dass sie aber eine Verantwortung dafür übernehmen können, dass eben durch diese Neigung Kinder nicht zu Opfern werden.“ (Osterheider bei TC 6:35). Der Sprecher spitzt dies zu, indem er die Forderung nach mehr Therapieplätzen und nach einer „offene[n] Debatte“ (Sprecher bei TC 7:15) über das Thema Pädophilie in der Öffentlichkeit explizit formuliert. Sein Argument wird durch Schäfer-Wiegand gestützt, die betont, dass ein Schutz der
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DES
A NALYSEANSATZES
| 365
Kinder nur möglich sei, wenn das Thema Pädophilie „in der Öffentlichkeit thematisier[t]“ (Schäfer-Wiegand bei TC 7:30) werde. Der Sprecher erweitert diese Forderung in seinem Schlussstatement, indem er unterstreicht, dass Pädophile trotz ihrer Neigung auch Menschen seien. Deshalb sollte ihnen auch um ihrer selbst willen geholfen werden und nicht nur, um Kinder zu schützen. Da der Sprecher als Erzählinstanz eine zentrale Position einnimmt und das letzte Statement im Film zudem als abschließende Beurteilung angesehen werden kann, kommt seiner Aussage ein besonders wichtiger Stellenwert zu. Die Essenz des Beitrags ist demnach, dass alle Seiten Verantwortung übernehmen müssen: die Pädophilen ebenso wie die Gesellschaft und die Politik. Der Magazinbeitrag verfolgt damit ein didaktisches Ziel. Ein aus Sicht des Films falsches, aber in der Gesellschaft als vorherrschend angenommenes Paradigma (Pädophile sind Täter und müssen aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden) soll durch ein humanistischeres und erfolgversprechenderes Weltbild abgelöst werden, demgemäß Kinder am besten dadurch geschützt werden können, dass man Pädophile in die Gesellschaft integriert. Dies wird durch die Abgrenzung zu drastischen und emotionalisierenden Vox Pops erreicht sowie durch die eindeutige Positionierung des Sprechers als heterodiegetische Erzählinstanz und durch die Anführung von Expert*innenwissen, welches die Position des Sprechers stützt. Der Beitrag hat dadurch eine argumentative Struktur. Es werden Argumente beider Seiten aufgeführt, wobei die rationalen Argumente der Humanist*innen durch ‚Positivbeispiele‘ untermauert werden, was die Argumente der Vorurteilsträger*innen emotional und irrational erscheinen lässt.
11.1.4
Der zentrale Ordnungssatz, Ereignisse und Ordnungswiederherstellung
Im Folgenden sollen die im Panorama-Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE vorkommenden Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen analysiert werden. Anschließend wird auf das zentrale Ereignis des Beitrags eingegangen. Es muss klar unterschieden werden, aus wessen Perspektive ein Ereignis stattfindet: aus der der Vorurteilsträger*innen oder aus der der Humanist*innen. Da das alternative Weltbild der Humanist*innen innerhalb des Beitrags bevorzugt wird (Kapitel 11.1.3), wird zunächst untersucht, gegen welche Ordnungssätze dieses Weltbildes es Verstöße gibt, bevor die Ereignisse analysiert werden, die aus Sicht der Vorurteilsträger*innen auftreten. Dabei kann das Weltbild der Humanist*innen als wünschenswert, aber noch nicht verwirklicht angesehen werden. Aus diesem Grund kann streng genommen nicht von Ordnungswiederherstellungen gesprochen werden, sondern stattdessen kommt es gegebenenfalls zur Änderung der Raumordnung durch die Etablierung einer neuen Ordnung und damit zu einer Metatilgung (Renner
366 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
2004: 373; vgl. auch Kapitel 5.1.2). Da zum einen die alternative Ordnung in Teilen bereits umgesetzt ist und weil zum anderen auch in Bezug auf noch nicht fest installierte Ordnungssätze theoretische Verstöße vorliegen können, wird im Hinblick auf das alternative Weltbild dennoch mit den Begriffen Ordnungsverletzung und -wiederherstellung operiert. Ordnungssatz 1* (Wenn x pädophil ist, dann wird x immer pädophil bleiben) wird dadurch bestätigt, dass Ingo und Max immer pädophil bleiben und ihnen die Unabänderlichkeit ihrer Neigung in der Therapie von Expert*innen so beigebracht wird. Ordnungssatz 2* (Wenn x pädophil ist, dann kann x nichts dafür) wird ebenfalls nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt, indem der Sprecher konstatiert: „Jeden kann es treffen.“ (Sprecher bei TC 2:46). Mit Ordnungssatz 3* (Wenn x pädophil ist, dann wird x nicht automatisch zum Täter) liegt ein weiterer Ordnungssatz vor, der nicht verletzt wird, aber innerhalb der Narration eine Bestätigung erfährt, denn Ingo „ist pädophil und kein Kinderschänder. Er hat nie ein Kind missbraucht.“ (Sprecher bei TC 1:33) und auch Max „sagt, er hat nie ein Kind missbraucht“ (Sprecher bei TC 6:17). Gegen Ordnungssatz 4* (Wenn x pädophil ist, dann muss die Gesellschaft x die Möglichkeit geben, sich zu öffnen) liegen Verstöße vor. Zum einen hat SchäferWiegand diesen Ordnungssatz in der Vergangenheit missachtet. Diese Ordnungsverletzung ist aber inzwischen getilgt, denn „Barbara Schäfer-Wiegand hat nicht immer so gedacht, doch inzwischen ist sie davon überzeugt“ (Sprecher bei TC 4:15), dass die Gesellschaft ein offeneres Klima gegenüber Pädophilen schaffen muss. Da die Gesellschaft Menschen mit pädophiler Neigung aktuell nicht die Möglichkeit gibt, sich zu öffnen, verstößt sie gegen Ordnungssatz 4*. Um die Ordnung ins Gleichgewicht zu bringen, muss die Gesellschaft sich also zukünftig Pädophilen gegenüber öffnen. Gleiches gilt für Ingos Eltern, die ebenfalls als Teil der Gesellschaft betrachtet werden können: „Ich würde mir wünschen, dass meine Eltern es verstehen können, dass ich es [pädophil, MK] bin und damit schon genug gestraft bin. Und mir jetzt nicht deswegen noch eine extra Bürde auflegen, weil sie’s nicht akzeptieren wollen, dass ich pädophil bin.“ (Ingo bei TC 2:26). Gegen die Ordnungssätze 5* (Wenn x pädophil ist, dann muss man x helfen, zum Beispiel indem man x einen Therapieplatz anbietet) und 6* (Wenn x Kinder schützen will, dann muss x Pädophilen helfen, zum Beispiel indem x den Pädophilen einen Therapieplatz anbietet) liegen ebenfalls Verstöße vor, denn es gibt nicht genügend Anlaufstellen und Therapieplätze in Deutschland, wie der Sprecher unter Berufung auf den Experten Osterheider anmerkt (vgl. Sprecher bei TC 6:48). Gegen Ordnungssatz 7* (Wenn x eine Politiker*in ist, dann muss x Therapieplätze und Anlaufstellen für Pädophile schaffen) wird ebenso verstoßen, denn die Politik schafft nicht genügend Therapieplätze. Dieser Regelbruch ist bereits teilweise getilgt, denn „[i]mmerhin hat die Bundesregierung nach dem Fall Edathy die Mittel für das Netzwerk ‚Kein Täter werden‘ deutlich erhöht.“ (Sprecher bei TC 7:01).
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DES
A NALYSEANSATZES
| 367
Dies stellt zugleich eine teilweise Ordnungswiederherstellung in Bezug auf die Zuwiderhandlungen gegen die Ordnungssätze 5* und 6* dar beziehungsweise kann als Beginn einer Metatilgung interpretiert werden. Neben den Ordnungssätzen zu Therapieplätzen wird auch Ordnungssatz 8* missachtet, in welchem es um die Thematisierung von Pädophilie in der Öffentlichkeit geht (Wenn x die Gesamtheit der Mitglieder der Gesellschaft ist und im Umgang mit pädophil veranlagten Menschen weiterkommen will, dann muss x das Thema auch in der Öffentlichkeit thematisieren). Die Forderung, Ordnungssatz 8* zu beachten, wird innerhalb des Weltbildes der Humanist*innen weiter aufrechterhalten, zu einer Ordnungswiederherstellung beziehungsweise Änderung der bestehenden Ordnung kommt es innerhalb des Beitrags nicht. Ordnungssatz 9* (Wenn x pädophil ist, dann kann x lernen, Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen) wird bestätigt, indem die beiden im Beitrag vorkommenden Personen mit pädophiler Neigung, Ingo und Max, lernen, Verantwortung für ihr Tun zu tragen. Ordnungssatz 10* stellt den Hauptunterschied zum Weltbild der Vorurteilsträger*innen dar, da die Betrachtung von Pädophilen als Menschen oder Unmenschen die Basis für die anderen Ordnungssätze bildet. Die Positionierung dieses Ordnungssatzes ganz am Ende des Films unterstreicht quasi als Schlussplädoyer seine Wichtigkeit im humanistischen Weltbild. Ordnungssatz 10* (Wenn x pädophil ist, dann ist x trotzdem auch ein Mensch) wird von den Passant*innen missachtet, die Pädophile als Unmenschen darstellen. Zu einer veränderten Haltung der Passant*innen und damit einer Ordnungswiederherstellung – beziehungsweise einer vollständigen Metatilgung – kommt es innerhalb des Beitrags vordergründig nicht. Jedoch kann der Film als Versuch angesehen werden, einen Gesinnungswandel der Zuschauer*innen herbeizuführen und damit eine Metatilgung zu initiieren, die nicht auf die Ebene des Beitrags beschränkt bleibt, sondern ‚realweltlich‘ wirkt.
368 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 28: Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE – humanistisches Weltbild Ordnungssatz (OS)
OS 1*: Für alle x gilt:
Täter*in
Keine OV
Ordnungs-
Ordnungswieder-
verletzung (OV)
herstellung (OWH)
Keine OV
Bestätigung von OS 1*:
Wenn x pädophil ist,
Ingo und Max werden
dann wird x immer
immer pädophil bleiben
pädophil bleiben.
und lernen dies in der Therapie.
OS 2*: Für alle x gilt:
Keine OV
Keine OV
Bestätigung von OS 2* durch Expertenmeinung,
Wenn x pädophil ist, dann kann x nichts
Sprecher und
dafür.
Aussage Ingos
OS 3*: Für alle x gilt:
Keine OV
Keine OV
Bestätigung von OS 3*,
Wenn x pädophil ist,
da Ingo und Max keine
wird x nicht automa-
Täter sind.
tisch zum Täter. OS 4*: Für alle x gilt:
Gesellschaft;
Gesellschaft gibt
Erfolgt nicht im Beitrag.
Wenn x pädophil ist,
Ingos Eltern;
Pädophilen nicht
Ausnahme: OV Schäfer-
dann muss die Gesell-
(Schäfer-
die Möglichkeit,
Wiegands wurde bereits
schaft x die Möglich-
Wiegand)
sich zu öffnen.
in der Vergangenheit ge-
keit geben, sich
tilgt. Forderung: Gesell-
zu öffnen.
schaft muss Pädophilen die Möglichkeit geben, sich zu öffnen.
OS 5*: Für alle x gilt:
Es gibt nicht
Teilweise Tilgung, da
Wenn x pädophil ist,
Gesellschaft
genügend Thera-
die Bundesregierung
dann muss man x hel-
pieplätze und An-
bereits Fördergelder
fen, zum Beispiel in-
laufstellen für Pä-
erhöht hat.
dem man x einen The-
dophile.
rapieplatz anbietet. OS 6*: Für alle x gilt: Wenn x Kinder schützen will, dann muss x Pädophilen helfen, zum
Gesellschaft
Siehe OS 5*
OWH siehe OS 5*
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Ordnungssatz (OS)
Täter*in
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Ordnungs-
Ordnungswieder-
verletzung (OV)
herstellung (OWH)
Siehe OS 5*
OWH siehe OS 5*
Das Thema
Erfolgt nicht im Beitrag.
Pädophilie wird
Forderung: Gesellschaft
Beispiel indem x den Pädophilen einen Therapieplatz anbietet. OS 7*: Für alle x gilt:
Politiker*innen
Wenn x eine Politiker*in ist, dann muss x Therapieplätze und Anlaufstellen für Pädophile schaffen. OS 8*: Für alle x gilt:
Gesellschaft
Wenn x die Gesellschaft ist und im Um-
nicht in der Öf-
muss das Thema Pädo-
gang mit pädophil ver-
fentlichkeit thema-
philie in der Öffentlich-
anlagten Menschen
tisiert.
keit thematisieren.
Keine OV
Bestätigung von OS 9*:
weiterkommen will, dann muss x das Thema auch in der Öffentlichkeit thematisieren. OS 9*: Für alle x gilt:
Keine OV
Wenn x pädophil ist,
Ingo und Max haben
dann kann x lernen,
gelernt, Verantwortung
Verantwortung für
für ihr Handeln zu
seine Handlungen zu
übernehmen.
übernehmen. OS 10:* Für alle x gilt:
Passant*innen stel-
Erfolgt nicht im Beitrag.
Wenn x pädophil ist,
len Pädophile als
Forderung: Gesellschaft
dann ist x auch ein
Unmenschen dar.
muss sich öffnen und
Mensch.
Passant*innen
Hilfe anbieten.
Die obige Tabelle zeigt die Ordnungsverletzungen im Weltbild der Humanist*innen und die Art der Ordnungswiederherstellungen beziehungsweise der ausstehenden Ordnungswiederherstellungen im Überblick. Als Täter*innen werden dabei die Personen bezeichnet, die gegen einen Ordnungssatz verstoßen.
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Aus Sicht der Vorurteilsträger*innen sind Pädophile keine Menschen. Ordnungssatz 1 (Wenn x pädophil ist, dann ist x der am meisten geächtete aller Verbrecher) wird innerhalb dieses Weltbildes nicht hinterfragt, da alle Passant*innen sich übereinstimmend sehr negativ über Pädophile äußern. Auch im Gesamtkonzept des Filmes wird der Ordnungssatz durch die Moderatorin Reschke als gültig dargelegt. Allerdings wird seine Berechtigung im Folgenden unter anderem durch einzelne Statements und den Aufbau des Beitrags (vgl. Kapitel 11.1.3) in Frage gestellt – so auch durch Ordnungssatz 3*, der besagt, dass Pädophile nicht automatisch Täter sind und der damit den korrespondierenden Ordnungssatz 1 und die Ordnung des Weltbildes der Vorurteilsträger*innen insgesamt ‚herausfordert‘. Gegen Ordnungssatz 2 (Wenn x pädophil ist, dann ist x ein Straftäter) wird aus Perspektive des Weltbildes der Gesellschaft durch die Existenz von Ingo und Max verstoßen. Da beide pädophil, aber keine Straftäter sind, kann Ordnungssatz 2 als widerlegt gelten. Ordnungssatz 3* des alternativen Weltbildes macht hier also Ordnungssatz 2 des Weltbildes der Gesellschaft obsolet, womit letzterer für ungültig erklärt wird. Ordnungssatz 3 (Wenn x pädophil ist, dann gehört x nicht auf diese Welt) wird angegriffen durch die Existenz von Ingo (und Max), denn: „Ingo ist auf dieser Welt.“ (Sprecher bei TC 1:31). Die Berechtigung seines Daseins wird durch Ordnungssatz 10* verankert, womit Ordnungssatz 10* als wichtiger als Ordnungssatz 3 präsentiert wird. Ordnungssatz 4 (Wenn x pädophil ist, dann sollte man x töten) wird ebenfalls durch Ordnungssatz 10* außer Kraft gesetzt, denn wenn Pädophile auch Menschen sind, dann darf man sie nicht töten.6 Die Ordnungssätze 5 (Wenn x pädophil handelt, dann kann x nicht Mitglied im Deutschen Bundestag sein) und 6 (Wenn x pädophil handelt, dann passt x nicht zur SPD) wurden durch Edathy verletzt, da er Mitglied der SPD beziehungsweise des Deutschen Bundestages war. Durch seinen Ausschluss aus der SPD/dem Deutschen Bundestag würde die Ordnung – aus Sicht des Weltbildes der Vorurteilsträger*innen – wiederhergestellt werden. Jedoch wird diese Problemlösung über einen Ausschluss anhand der pauschalisierenden O-Töne der Politiker*innen innerhalb des Narrativs kritisiert. Tabelle 29 gibt einen Überblick über die Ordnungsverletzungen im Weltbild der Vorurteilsträger*innen und die Art der Ordnungswiederherstellungen, die wie dargestellt teilweise auf Ablösung dieser Ordnungssätze durch Ordnungssätze aus dem humanistischen Weltbild beruhen:
6
So können die Argumente der vorurteilsbehafteten Passant*innen gerade darauf zurückgeführt werden, dass sie Pädophile versachlichen und als Unmenschen darstellen (vgl. Vox Pops) und deren Tötung dadurch gerechtfertigt wird.
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Tabelle 29: Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE – Weltbild der Vorurteilsträger*innen Ordnungssatz (OS)
OS 1: Für alle x gilt: Wenn
Täter*in
Keine OV
Ordnungs-
Ordnungswieder-
verletzung (OV)
herstellung (OWH)
Keine OV
Teilweise Ablösung
x pädophil ist, dann ist x der
durch OS 3*: Pädophile
am meisten geächtete
sind nicht automatisch
aller Verbrecher.
Verbrecher, aber sie sind dennoch geächtet.
OS 2: Für alle x gilt: Wenn
Ingo, Max
Ingo und Max
x pädophil ist, dann ist x
sind pädophil,
ein Straftäter.
aber keine
Ablösung durch OS 3*
Straftäter. OS 3: Für alle x gilt: Wenn
Ingo, Max
Ingo und Max
x pädophil ist, dann gehört
leben auf dieser
x nicht auf diese Welt.
Welt.
OS 4: Für alle x gilt: Wenn
Ingo, Max
Ingo und Max
x pädophil ist, dann sollte
leben auf dieser
man x töten.
Welt und werden
Ablösung durch OS 10*
Ablösung durch OS 10*
nicht getötet. OS 5: Für alle x gilt: Wenn
Edathy
x pädophil handelt, dann
‚Handelt
Edathy wird aus dem
pädophil‘
Deutschen Bundestag
kann x nicht Mitglied im
ausgeschlossen.
Deutschen Bundestag sein. OS 6: Für alle x gilt: Wenn x pädophil handelt, dann
Edathy
‚Handelt
Edathy soll aus der SPD
pädophil‘
ausgeschlossen werden.7
passt x nicht zur SPD.
Die Besonderheit am Magazinbeitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE ist, dass im Gegensatz zu den Tatort-Folgen eine argumentative Struktur verfolgt wird, 7
Der Ausschluss Edathys, der vor allem von Gabriel angestrebt wurde, fand bisher nicht statt [Stand: 21.03.2017]. Die Bundesschiedskommission der SPD entschied, dass Edathy seine SPD-Mitgliedschaft für fünf Jahre ruhen lassen muss. Diese Frist begann im Februar 2016.
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bei der zwei gegensätzliche Thesen vergleichend untersucht werden, wobei die Struktur auch als Pro-Contra-Argumentation verstanden werden kann. Die beiden Thesen sind hier „Pädophile sind Menschen und gehören auf diese Welt“ versus „Pädophile sind keine Menschen und gehören nicht auf diese Welt“, wobei erstere dem Weltbild der Humanist*innen zuzuordnen ist und letztere dem Weltbild der Vorurteilsträger*innen. Die anderen Ordnungssätze ergeben sich aus der jeweiligen Grundthese. So erscheint es im Weltbild der Vorurteilsträger*innen legitim, Pädophile zu töten, weil sie als Unmenschen und Straftäter gelten. Im Weltbild der Humanist*innen jedoch muss ihnen geholfen werden, weil sie zur Menge der Menschen gehören. Damit ist Ordnungssatz 3 im Weltbild der Vorurteilsträger*innen als zentral anzusehen, während Ordnungssatz 10* zentral für das humanistische Weltbild ist. Das zentrale Ereignis aus Sicht des Weltbildes der Vorurteilsträger*innen stellt demnach die Existenz von Ingo und Max dar. Da dieses Weltbild jedoch im Gegensatz zu dem der Humanist*innen nicht als wünschenswert inszeniert wird, kann das Ereignis zwar als grundlegend für den Beitrag erachtet werden, jedoch nicht als insgesamt zentral. Für die narrative Aussage von EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE ist in diesem Fall nicht das Ereignis selbst von Bedeutung, sondern dessen narrative Auflösung. Die Ordnung wird folglich innerhalb des Beitrages nicht dadurch wiederhergestellt, dass die Ordnungsverletzung aufgehoben wird, sondern indem der Ordnungssatz (OS 3) für ungültig erklärt und durch einen anderen (OS 10*) ersetzt wird. Der Magazinbeitrag stellt damit einen Versuch dar, durch eine Metatilgung ein Weltbild durch ein anderes zu ersetzen, wobei der wichtigste Unterschied bei den Weltbildern der jeweilige Umgang mit Menschen mit pädophiler Neigung ist.
11.1.5
Raumstrukturen
Auch für journalistische Beiträge können die Visualisierungen räumlicher Strukturen dabei helfen, die innerhalb eines Textes gezogenen Grenzen leichter wahrzunehmen als dies über die systematischere, aber weniger anschauliche Rekonstruktion der Ordnungssätze der Fall ist. Da es in dem Panorama-Beitrag EDATHYAFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE wie dargestellt zwei oppositionelle Weltbilder gibt, existieren auch zwei Vorstellungen davon, wer zum Innen- und wer zum Außenraum gehört. Im Weltbild der Vorurteilsträger*innen gehören die ‚normalen‘ Gesellschaftsmitglieder zum Innenraum, der als Raum der Legalität definiert wird. Dies sind die Erwachsenen mit ‚normaler‘ Sexualität sowie Kinder. Pädophile hingegen werden gleichgesetzt mit Missbrauchstäter*innen und gehören dem Raum der Illegalität an. Sie stellen das Zentrum des Raums der Illegalität dar, da „[e]s […] nichts [gibt], was so geächtet ist, wie Pädophilie“ (Reschke TC 0:10). Während die nicht-
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pädophilen Menschen den Innenraum bevölkern, werden die Pädophilen im Weltbild der Vorurteilsträger*innen nicht nur als Straftäter*innen, sondern zudem als Unmenschen dargestellt und stellen damit den Extrempunkt des Außenraums dar. Die oberste Grenze verläuft hier somit zwischen (nicht-pädophilen) Menschen und den als Unmenschen und Straftäter*innen aufgefassten Pädophilen. Wenn man Pädophilie als gesellschaftliches Problem betrachtet – wie die Vorurteilsträger*innen dies tun –, so besteht hier die ‚Lösung‘ in der Exklusion und Eliminierung der Pädophilen („Alle erschießen.“ – Passant bei TC 1:12). Schaubild 12: Innen-/Außenraum-Modell EDATHY-AFFÄRE – Weltbild der Vorurteilsträger*innen
Das humanistische Weltbild hingegen, das der Beitrag als alternatives Weltbild aufbaut und eindeutig bevorzugt, verortet die Pädophilen generell im Innenraum und damit im Raum der Legalität. Damit sie nicht straffällig werden, indem sie Kinder missbrauchen oder kinderpornografische Materialien konsumieren, muss ihnen in der Sichtweise der Humanist*innen geholfen werden, beispielsweise durch eine Therapie. Sonst besteht die Gefahr, dass sie in den Raum der Illegalität übertreten. Die Lösung für das gesellschaftliche Problem Pädophilie besteht hier also in der Inklusion und Therapie der Pädophilen. Die oberste Grenze verläuft demnach nicht zwischen nicht-pädophilen Menschen und den als ‚Unmenschen‘ betrachteten Pädophilen, sondern zwischen Menschen jeder sexuellen Disposition und straffällig gewordenen Pädophilen. Dabei wird deren Straffälligkeit als durch das ‚richtige‘ Verhalten der Gesellschaft ‚vermeidbar‘ dargestellt. Dies kann als eine Strategie verstanden werden, (weiße) Pädophile gesellschaftlich zu integrieren und sie nicht aus dem Club der Weißen auszuschließen. Inwiefern eine Integration auch bei dem
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straffällig gewordenen Politiker Edathy möglich ist, der aufgrund seines Migrationshintergrundes als nicht-weiß gelesen werden kann, löst der Film interessanterweise nicht auf. So wird die Edathy-Affäre zwar als Aufhänger genutzt, am Schluss des Films wird dieses Beispiel aber nicht mehr aufgegriffen (vgl. Kapitel 11.1.3). Schaubild 13: Innen-/Außenraum-Modell EDATHY-AFFÄRE – humanistisches Weltbild
Während das Weltbild der Vorurteilsträger*innen damit die Lösung des ‚Problems Pädophilie‘ in der Exklusion und Eliminierung der Pädophilen sieht, ist die Lösung im narrativ bevorzugten Weltbild der Humanist*innen diametral dazu gelagert, denn sie besteht in der Inklusion und Therapie der Pädophilen.
11.1.6
Ungleichheitsgenerierende Kategorien und Macht
Im Weltbild der Vorurteilsträger*innen stehen Pädophile am untersten Ende der Hierarchie (OS 1). Pädophile werden mit Straftätern gleichgesetzt (OS 2) und dadurch diskriminiert, denn in der Logik des Films sollten eigentlich Ordnungssätze 2* und 3* gültig sein, welche beinhalten, dass Pädophile nicht automatisch Straftäter sind. Da Pädophilen im Weltbild der Vorurteilsträger*innen das Recht auf Leben abgesprochen wird und sie als Unmenschen betrachtet werden, liegt außerdem in der ‚Realwelt‘ ein Verstoß gegen die im Grundgesetz allen Menschen zugesicherte Würde vor (GG Art. 1, Abs. 1). Zusätzlich verstößt diese Haltung innerhalb des Beitrags gegen Ordnungssatz 10*. Die Diskriminierung findet hier aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer von der Norm abweichenden Ausprägung der ungleichheitsgenerierenden Kategorie Sexualität statt. Diese wird im Film als mit der Aus-
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prägung ‚männliches Geschlecht‘ verknüpft dargestellt und damit mit einer der Norm entsprechenden Ausprägung. Während das Weltbild der Vorurteilsträger*innen vorwiegend über kurze Vox Pops von Passant*innen transportiert wird, wobei hier weibliche Passantinnen überwiegen, wird das alternative Weltbild der Humanist*innen ausführlich und anhand von Autoritätspersonen dargestellt. So können sowohl die Vorsitzende der Kinderschutzstiftung „Hänsel + Gretel“, Schäfer-Wiegand, als auch der Psychiater, Professor Osterheider, aufgrund ihrer beruflichen Position als Führungskräfte eingeordnet werden. Das Weltbild der Humanist*innen wird weiter maßgeblich über den von einem Mann gesprochenen Off-Kommentar vermittelt, dem als direkter Vertreter der Filmemacher*innen ebenfalls besonderes Gewicht zukommt. Alle diese Autoritätspersonen sind relativ nahe am Normmenschen positioniert. Über die beiden ‚Betroffenen‘, Ingo und Max, kann diesbezüglich keine Aussage getroffen werden, da außer ihrer Zugehörigkeit zur Menge der Männer mit pädophiler Veranlagung keine Informationen über ihre gesellschaftliche Positionierung übermittelt werden. Abweichend zur Analyse der Tatort-Folgen können extratextuelle Marker bei der Untersuchung des Panorama-Beitrags nicht herangezogen werden, um die innerhalb eines Beitrags auftretenden Individuen zu hierarchisieren. Der Abspann gibt lediglich Auskunft darüber, dass sowohl die Autor*innenschaft als auch die technisch-gestalterischen Positionen Kamera und Schnitt ausschließlich von Personen mit männlichem Namen übernommen wurden. Dies wird insofern relativiert, als die Sendungsleitung Anja Reschke und Volker Steinhoff obliegt, wobei erstere aufgrund ihrer Funktion als Moderatorin präsenter ist. Die im Weltbild der Humanist*innen gültigen Ordnungssätze 4* bis 9* stellen keine Diskriminierungen dar, sondern sind als Forderungen an verschiedene Gruppierungen zu verstehen, die insgesamt alle Gesellschaftsmitglieder betreffen. So richten sie sich an die Gesellschaft beziehungsweise Öffentlichkeit im Allgemeinen und an Politiker*innen und an Pädophile im Speziellen. Der Grundtenor ist dabei, dass man Verantwortung für sein eigenes Tun und seine eigene Haltung übernehmen muss (vgl. Kapitel 11.1.3).
11.1.7
Die Darstellung von Pädophilie, sexuellem Missbrauch und der weißen Kernfamilie
Pädophilie wird im Panorama-Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE differenziert betrachtet. Es wird beispielsweise eindeutig zwischen der pädophilen Neigung an sich und Menschen, die aufgrund dieser Neigung zu Straftäter*innen werden, unterschieden. Die verschiedenen Arten sexualisierter Gewalt gegen Kinder werden zwar nicht ausführlich dargestellt, aber es wird an mehreren Stellen
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zwischen körperlichem sexuellem Missbrauch und dem Konsum kinderpornografischer Materialien unterschieden (vgl. Reschke bei TC 0:13; Sprecher bei TC 6:17). Eine Differenzierung zwischen pädophilen und nicht-pädophilen Missbrauchstäter*innen findet jedoch im Beitrag EDATHY-AFFÄRE nicht statt, denn der Fokus liegt nicht auf den Motiven für einen möglichen Missbrauch, sondern auf dem gesellschaftlichen Umgang mit der Disposition. Die Perspektive der Pädophilen selbst wird ebenfalls thematisiert, wobei diese dabei auch Gelegenheit haben, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen und ihren Wunsch zu äußern, „ein normales Leben [zu] führen“ (Ingo bei TC 3:50). Es wird dabei deutlich, dass viele Pädophile unter ihrer Neigung leiden und auch unter der gesellschaftlichen Verachtung, die ihnen entgegenschlägt. Weniger Raum nimmt in dem Film hingegen die Vermittlung harter Fakten zu Pädophilie ein. Eine Ausnahme stellt hierbei die Nennung der geschätzten Anzahl von Männern mit pädophiler Veranlagung in Deutschland dar (Sprecher bei TC 6:56). In Bezug auf die Bewertung von Pädophilie nimmt der Magazinbeitrag eine klare Position ein, indem er sich von der als in der Öffentlichkeit dominant dargestellten pauschalen und extremen Abwertung von Pädophilie distanziert und stattdessen ein offenes Klima fordert, in welchem über die sexuelle Neigung öffentlich diskutiert werden kann. Dies stellt zusammen mit der Forderung nach mehr Therapieplätzen laut den Filmemacher*innen eine Notwendigkeit dar, um Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Damit leistet der Film einen bedeutsamen Beitrag zur aktuellen öffentlichen Debatte über Pädophilie. Wie negativ die gegenwärtige Stimmung gegen Pädophile dabei ist, zeigt sich nicht nur anhand der polarisierenden Vox Pops zu Beginn des Films, sondern wird auch durch die Darstellung von Menschen mit pädophiler Neigung auf der audiovisuellen Ebene sichtbar. Die beiden Pädophilen Ingo und Max sind unkenntlich gemacht (Screenshot 74 bis Screenshot 77) und ihre Stimmen wurden nachgesprochen. Dies veranschaulicht, wie tabuisiert und verpönt Pädophilie ist: Ein direktes Interview, in welchem der Interviewte seine Persönlichkeit preisgibt, ist undenkbar.
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Screenshot 74: Ingo in EDATHY-AFFÄRE (TC 1:38)
Screenshot 75: Ingo in EDATHY-AFFÄRE (TC 1:51)
Screenshot 76: Max in EDATHY-AFFÄRE (TC 5:40)
Screenshot 77: Max in EDATHY-AFFÄRE (TC 6:03)
Da keine Fakten bezüglich der Positionierung der Männer mit pädophiler Veranlagung im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zu Ausprägungen von ungleichheitsgenerierenden Kategorien offengelegt werden, soll darüber an dieser Stelle nicht spekuliert werden. Lediglich die Zugehörigkeit zur Ausprägung ‚männliches Geschlecht‘ kann als gesichert angenommen werden. Tatsächliche oder mögliche Opfer sexuellen Missbrauchs werden nicht gezeigt. Da Reschke in der Anmoderation von „unsere[n] Kinder[n]“ (Reschke bei TC 0:35) spricht, wird eine Assoziation mit weißen Kindern nahegelegt (vgl. Kapitel 2.2.2 zum Zusammenhang von Deutschsein und Weißsein). Da dies der einzige Hinweis bleibt, wird der Interpretation an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen. Da nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob die Pädophilen sowie mögliche Missbrauchsopfer als Weiße zu betrachten sind, lassen sich bezüglich der weißen Kernfamilie anhand des Panorama-Beitrags EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE keine gesicherten Erkenntnisse ableiten. Reschkes Aussage, dass man „unsere Kinder“ (Reschke bei TC 0:35) schützen müsse, weist dabei eher auf ein Verständnis von Kindern als Teil der deutschen Gesellschaft hin als auf die Vorstellung von Kindern als Teil eines Familienverbandes. Explizit angesprochen werden die Eltern nur einmal, wenn es darum geht, dass Ingos Eltern dessen sexuelle Neigung
378 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
nicht akzeptieren und er sich mehr Verständnis von ihnen wünscht (vgl. Ingo bei TC 2:26).
11.1.8
Fazit und Vergleich mit den Tatort-Analysen
Im Hinblick auf die anhand der Filmanalysen überprüften Hypothesen können durch die Untersuchung des Panorama-Beitrags EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE keine eindeutigen Aussagen getroffen werden, unter anderem deshalb, weil die weiße Kernfamilie keinen großen Stellenwert im Film einnimmt und die Reinheit der Kinder zwar anklingt, aber Kinder lediglich als abstrakte Bezugsgröße dienen und als schützenswerte Opfer auftreten, nicht jedoch selbst zu sehen oder zu hören sind. Weiter kommen keine narrativen Sanktionen vor, weshalb auch die Hypothese, die sich auf die Methodik bezieht (H 4), nicht überprüft werden kann. Dies ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass es sich bei EDATHY-AFFÄRE um einen argumentativen Meinungsbeitrag handelt und nicht um ein narratives Format. Dennoch können die Ergebnisse der Untersuchung des Panorama-Beitrags mit denen der Filmanalysen verglichen werden. Der Panorama-Beitrag zeigt zwei grundlegende und mehr oder minder stark ausgestaltete Weltbilder auf. So ist das Weltbild der Vorurteilsträger*innen zwar im Gegensatz zum Weltbild der Humanist*innen weniger ausdifferenziert und plakative und menschenverachtende Statements seiner Vertreter*innen erschweren eine mögliche Identifikation der Zuschauer*innen (Kapitel 11.1.3). Dennoch weist das Weltbild der Vorurteilsträger*innen eine Reihe von Ordnungssätzen auf. Diese stehen in Opposition zum Weltbild der Humanist*innen. Es gibt Parallelen, aber auch Unterschiede zu den Darstellungen im Tatort, vor allem zu der Folge ADAMS ALPTRAUM, in welcher ebenfalls zwei Weltbilder konstruiert werden. Dabei wird das Weltbild der Flashmobber*innen in ADAMS ALPTRAUM schemenhafter dargestellt als das Weltbild der Vorurteilsträger*innen im Panorama-Beitrag und weist kein eigenes (ausgeprägtes) Ordnungssystem auf. Die Perspektive der Flashmobber*innen bietet in ADAMS ALPTRAUM vorrangig eine Gegenposition zur Position der normvermittelnden Kommissar*innen, gegenüber der die Abgrenzung stattfindet und die eine Möglichkeit bietet, die ‚richtige‘ Haltung zum Thema Selbstjustiz beziehungsweise der Bestrafung von potenziellen Missbrauchstäter*innen zu präsentieren. In der Tatort-Folge ADAMS ALPTRAUM ist das Weltbild der ‚Guten‘ beziehungsweise des Polizeiapparates und des Rechtssystems damit bereits etabliert und soll innerhalb der Narration vor Angriffen von außen geschützt werden. Im Magazinbeitrag EDATHY-AFFÄRE hingegen soll dem bestehenden und als moralisch verwerflich präsentierten existierenden Weltbild eine alternative Ordnung entgegengesetzt werden. Im Panorama-Beitrag geht es also darum, etwas Neues zu schaffen und gesellschaftliche Zustände zu verändern.
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Diese Beobachtungen sollen nicht zu der Annahme verleiten, dass journalistische Beiträge generell ein größeres Potenzial haben, neue Ordnungen zu etablieren als fiktionale Formate.8 Dennoch zeigt die vergleichende Analyse, inwiefern journalistische Medienangebote gesellschaftliche Diskussionen in neue Richtungen lenken und damit Impulse für die Änderung der öffentlichen Meinung geben können. Dabei bewegt der Panorama-Beitrag sich insoweit innerhalb der bestehenden Diskussion, als dass sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen klar abgelehnt werden. Dessen ungeachtet kann das Werben um Verständnis für die als hilfsbedürftig und nicht per se als schuldig betrachteten Pädophilen als revolutionäres Element in der Debatte zu Pädophilie aufgefasst werden. Dem Panorama-Beitrag EDADTHY-AFFÄRE kommt damit eine wichtige Funktion bei der Konstruktion von Realität und beim Abbau von Diskriminierung zu. Er leistet unter diesem Gesichtspunkt erheblich mehr als die analysierten Tatort-Folgen zum Thema Pädophilie, welche vorrangig alte Klischees bestätigen, Pädophile undifferenziert betrachten und als die eindeutig Bösen dramaturgisch funktionalisieren. Lediglich die Folge AUF EWIG DEIN bietet dabei eine Ausnahme, denn wie im Panorama-Beitrag kommt hier ebenfalls die Perspektive der Pädophilen selbst zum Tragen, auch wenn diese als weniger nachvollziehbar dargestellt wird. Der journalistische Beitrag EDATHY-AFFÄRE ist außerdem, obwohl er wesentlich kürzer als die Tatort-Folgen ist (8 Minuten versus rund 90 Minuten Spielzeit im Tatort), fokussierter auf das Thema Pädophilie und stellt dieses ungleich differenzierter dar. In den Tatort-Folgen ADAMS ALPTRAUM und ABGRÜNDE dient Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch nur als Aufhänger und die eigentlichen Themen sind mit Selbstjustiz (Kapitel 8) beziehungsweise Korruption (Kapitel 9) anders gelagert. Dafür bieten die Tatort-Folgen komplexere Geschichten an und können im Hinblick auf ihren Detailreichtum besser in Bezug auf die weiße Kernfamilie und auf das intersektionale Zusammenspiel verschiedener ungleichheitsgenerierender Kategorien untersucht werden. Während das politische Magazin Panorama für eine spezifische Form des Journalismus steht, der reflektieren statt reißerisch berichten möchte, stellt sich die Frage, wie andere Formen des Journalismus – insbesondere narrative Formen – mit dem Thema Pädophilie umgehen. Als Gegenstück zum kritischen Journalismus, den sich Panorama auf seine Fahnen geschrieben hat, kann der Boulevard-Journalismus angesehen werden, als dessen populärste Vertreterin in Deutschland die BildZeitung fungiert. Ein Blick auf die Berichterstattung zu Edathy anlässlich der Einstellung des Gerichtsverfahrens gegen ihn kann als Indiz für die Haltung des Boulevard-Journalismus dienen. Auf bild.de heißt es in Bezug auf die titelgebende Frage, ob Edathy zu leicht davonkäme: „Juristisch ist an dem Beschluss in Verden vermut8
Um dies zu überprüfen, müsste eine größere Anzahl unterschiedlicher journalistischer beziehungsweise non-fiktionaler und fiktionaler Formate untersucht werden.
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lich nichts auszusetzen“ (Thewalt & Voss 2015). Auch wenn angezweifelt wird, ob Edathy sein Vergehen bereut, da dieser auf seiner Facebook-Seite erklärt hat, er habe im Gericht kein Geständnis abgegeben („Ob einer, der etwas ehrlichen Herzens bereut, eine solche Erklärung abgibt?“ Thewalt & Voss 2015, Herv. i. O.), bleibt eine moralische Bewertung des Gerichtsbeschlusses damit aus. Damit werden die sieben im Artikel gestellten Fragen relativ neutral beantwortet und ein für die BildZeitung nicht unüblicher effekthascherischer Schreibstil bleibt ebenso aus wie eine Pauschalverurteilung von Pädophilen. Der Tenor des Bild-Artikels weicht damit nicht in dem Ausmaß von der Darstellung in dem Panorama-Beitrag EDATHYAFFÄRE ab, wie das unter Umständen für zwei Medien mit sehr unterschiedlich ausgerichteter Art der Berichterstattung hätte erwartet werden können, leistet aber auch keinen neuen Beitrag zur Diskussion, wie das durch EDATHY-AFFÄRE der Fall ist.
11.2
D ER F ALL E DATHY : G ERICHTSZEICHNUNGEN
Die Bedeutung von Weißsein und Pädophilie beziehungsweise sexuellem Missbrauch in journalistischen Beiträgen kann besonders gut an den während des Edathy-Prozesses angefertigten Gerichtszeichnungen aufgezeigt werden. Aufgrund des Authentizitätsdogmas gibt es im Journalismus normalerweise nur fotografische Bilder. Die Annahme, dass gezeichnete Bilder weniger authentisch sind als Fotografien, kann dabei als kulturelle Konvention betrachtet werden. Diese Konvention existiert hierzulande beispielsweise nicht im Hinblick auf Wissenschaftszeichnungen, welche als glaubwürdig gelten. Da im Gericht, wie im Gerichtsverfassungsgesetz festgelegt, während der Verhandlung keine Filmaufnahmen gemacht werden dürfen (GVG § 169) und auch das Anfertigen von Fotos auf Basis des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG §§ 176-179) häufig untersagt wird, liegen bei der Gerichtsberichterstattung im Normalfall lediglich Zeichnungen vor und keine fotografischen Aufnahmen oder Videomaterial. Diese Zeichnungen spiegeln nun bis zu einem gewissen Grad die Interpretation der Zeichner*in wider: beispielsweise in Bezug auf die Haltung und die Mimik der abgebildeten Personen, auf deren Körperfülle, aber auch auf deren ‚Hautfarbe‘ und Haarfarbe. Dieser interpretatorische Spielraum ermöglicht es, unterschiedliche Gerichtszeichnungen im Hinblick auf Weißsein vergleichend zu analysieren. Dabei interessiert, wie die aufgrund seiner indischen Abstammung von der Norm des weißen Mannes abweichende ‚Hautfarbe‘ Edathys von den Künstler*innen interpretiert wird und ob es weitere äußere Merkmale gibt, mit deren Hilfe Edathy als ‚anders‘ markiert wird. Dabei steht es den Zeichner*innen prinzipiell offen, Edathy über seine Zugehörigkeit zur Kategorie ‚Rasse‘ als ‚anders‘ zu kennzeichnen oder dies
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zu unterlassen. Weiter kann aufgrund der Gradualität von Weißsein (vgl. Kapitel 3.2.2.4), die ebenso für Schwarzsein angenommen werden kann, eine mögliche Rassifizierung der Personen in den Gerichtszeichnungen unterschiedlich stark ausfallen.9 Aus diesen Gründen erscheint es gerechtfertigt, die Gerichtszeichnungen zur Untersuchung von Weißsein heranzuziehen, auch wenn nicht völlig von der Hand gewiesen werden kann, dass Weißsein und Schwarzsein auf diese Weise in Abgrenzung zueinander untersucht werden, eine Vorgehensweise, die kritisch zu betrachten ist (siehe dazu Kapitel 3.2.2.2). Da in der vorliegenden Studie nicht angestrebt wird, die Repräsentation Edathys in den Zeichnungen mit seinem ‚tatsächlichen‘ Aussehen beziehungsweise der Darstellung auf Fotografien zu vergleichen, spielt es bei der Analyse der Bilder keine Rolle, ob die Künstler*innen vorhandene Merkmale überzeichnet haben oder ob sie Edathy ‚real‘ nicht vorhandene Charakteristika zugeschrieben haben. Die Analyse stützt sich lediglich auf das, was in den Gerichtszeichnungen sichtbar ist und vergleicht die Darstellung Edathys mit der der anderen vorkommenden Personen. Weiter wird überprüft, inwiefern sich Edathys Äußeres in den verschiedenen Gerichtszeichnungen unterscheidet. Es gilt vor allem herauszuarbeiten, ob Edathy ähnlich wie die anderen Männer dargestellt wird oder ob er als ‚anders‘ gekennzeichnet wird und falls ja, wie. Besonders die Merkmale, die Edathys Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zur Menge der Weißen markieren, sind dabei von Interesse. Daneben sollen etwaige Muster identifiziert werden, die sich in den verschiedenen Zeichnungen wiederholen. Mit dieser Vorgehensweise sollen eigene Zuschreibungen vermieden und die Konstruktion von Weißsein bei den verschiedenen Zeichnungen anhand möglichst neutraler Beobachtungen analysiert werden. Die forschungsleitende Frage ist hierbei, ob Edathy äußerlich als der Norm entsprechend dargestellt wird oder nicht und ob er demnach wegen des Besitzes kinderpornografischen Materials und einer potenziell damit einhergehenden pädophilen Neigung als Feind aus dem Inneren der weißen Gesellschaft (Kapitel 4.3) oder als nicht-weißer und damit externer Feind präsentiert wird.10 Dabei wird herausgearbeitet, ob und wie Edathys von der Norm abweichende sexuelle Neigung innerhalb der Repräsentationen mit der Kategorie ‚Rasse‘/Ethnizität korreliert wird. Dies kann durch den Vergleich mit den anderen auf den Bildern vorkommenden Perso9
Hier sei nochmals an die bereits in Kapitel 3.2.1.3 genannte Beobachtung Dyers erinnert, nach der in der Kunst der gewählte Farbton der ‚Hautfarbe‘ mit anderen Kategorien korreliert und beispielsweise Mitglieder der Unterschicht als dunkler als Mitglieder der Oberschicht dargestellt werden (Dyer 1997: 57).
10
Weißsein und Deutschsein werden dabei von der weißen Mehrheitsgesellschaft im Normalfall zusammengedacht, weshalb als nicht-weiß wahrgenommene pädophile Menschen als externe Feinde betrachtet werden können (zum Zusammenhang von Deutschsein und Weißsein siehe auch Kapitel 2.2.2).
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nen untersucht werden. Als Quelle wurden zwei in „Das Erste“ ausgestrahlte Tagesschau- beziehungsweise Tagesthemen-Beiträge ausgewählt, in denen verschiedene Gerichtszeichnungen vorkommen. Bei der Analyse findet die Tonebene keine Berücksichtigung, sondern es wird ausschließlich die visuelle Ebene über Screenshots der Gerichtszeichnungen ausgewertet. Der Beitrag AUFTAKT IN VERDEN: PROZESS GEGEN FRÜHEREN SPDABGEORDNETEN EDATHY (D 2015, A: Hapke) wurde zu Beginn des Prozesses gegen Edathy am 23. Februar 2015 ausgestrahlt. Der Beitrag EDATHY-PROZESS EINGESTELLT: GESTÄNDNIS ZWEITER KLASSE? (D 2015, A: Henkel) befasst sich mit dem Ende des Verfahrens und wurde am 2. März 2015 ausgestrahlt. In EDATHY-PROZESS EINGESTELLT wird eine Vielzahl unterschiedlicher Gerichtszeichnungen verwendet, wobei diese sowohl in statischen Aufnahmen gezeigt werden als auch mithilfe von Schwenks. Im Beitrag AUFTAKT IN VERDEN hingegen wird nur eine Gerichtszeichnung in verschiedene Einstellungen aufgelöst (Screenshot 78 bis Screenshot 82). Auf den Gerichtszeichnungen sind neben Edathy teilweise noch der Richter Jürgen Seifert, Edathys Anwalt Christian Noll und der Staatsanwalt Thomas Klinge abgebildet. Auffällig ist dabei, dass es sich bei der einzigen in AUFTAKT IN VERDEN gezeigten Zeichnung offensichtlich um dasselbe Bild handelt, das auch im EDATHYPROZESS EINGESTELLT vorkommt, in letzterem Beitrag das Gesicht Edathys jedoch nachbearbeitet zu sein scheint. Außerdem variiert die Farbgebung, wie beispielsweise anhand der auf dem Tisch liegenden Unterlagen ersichtlich wird, die einmal eher rot und einmal eher pink aussehen (Screenshot 78, Screenshot 79 und Screenshot 82 versus Screenshot 83). Dies kann entweder beim Schnitt des Beitrags verändert oder ebenfalls von der Zeichner*in des Bildes nachbearbeitet worden sein.11 Auf die Möglichkeit, im Schnitt Veränderungen vorzunehmen, verweist ebenso eine leichte Verzerrung: Im Beitrag AUFTAKT IN VERDEN erscheint das Bild gestauchter als in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT, wie anhand der Gesichter von Edathys Anwalt, dem Richter und dem Staatsanwalt erkennbar ist.
11
In diesem Fall ist eine Veränderung durch die Zeichner*in wahrscheinlicher, da sich nicht nur die Farbe der Akten geändert hat, sondern die Akten zudem in der in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT
vorkommenden Version weitere ausgemalte Flächen auf-
weisen, die zuvor nicht ausgefüllt waren.
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Screenshot 78: Richter Seifert und Staatsanwalt Klinge in AUFTAKT IN VERDEN (TC 1:22)
Screenshot 79: Edathy und Anwalt Noll in AUFTAKT IN VERDEN (TC 1:27) .
Screenshot 80: Edathy in AUFTAKT IN VERDEN (TC 1:29)
Screenshot 81: Richter Seifert in AUFTAKT IN VERDEN (TC 1:33)
Screenshot 82: Staatsanwalt Klinge in AUFTAKT IN VERDEN (TC 1:36)
In der ersten Zeichnung12 (Screenshot 78 bis Screenshot 82) ist Edathy die einzige Person, die dunkle Haare hat. Die Haare sind dabei schwarz mit gräulichem 12
Auch wenn die analysierten Bilder wegen ihrer Farbigkeit der Malerei zugeordnet werden könnten, wird sich hier an dem gebräuchlichen Ausdruck „Gerichtszeichnung“ orientiert und deshalb von Zeichnungen gesprochen. Wenn es um farbige Bereiche im Bild geht, wie beispielsweise mit dem Pinsel ausgemalte Flächen, wird hingegen der Begriff ‚malen‘ verwendet.
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Schimmer gezeichnet und die Haarfläche ist komplett ausgemalt (Screenshot 80). Die drei anderen Männer haben dagegen helle Haare, die nicht ausschraffiert sind. Die Konturen der Haare des Anwalts von Edathy und des Richters sind mit einem roten und einem gelben Stift gezeichnet und legen nahe, dass diese Personen helle, rotblonde Haare haben (Screenshot 79 und Screenshot 81). Die Haare des Staatsanwalts sind mit einem schwarzen Stift umrandet, was den Eindruck von weißen Haaren erweckt, besonders in Kombination mit dem weißen Bart, dessen Konturen ebenfalls mit einem dunklen Stift angedeutet werden (Screenshot 78 und Screenshot 82). Während Edathys Gesicht in einem Braunton gehalten ist, sind die Gesichter der drei anderen wesentlich heller und nicht vollständig durchgezeichnet, sondern es wurden lediglich bestimmte Bereiche mit einem rötlich-beigen Ton schattiert. In Bezug auf die Helligkeit des Gesichts ist Edathy demnach im Vergleich als ‚dunkler‘ einzuordnen, die drei anderen Männer hingegen als ‚heller‘. Des Weiteren wird Edathy durch seinen äußerst spitz zulaufenden Haaransatz als ‚anders‘ markiert. Diese sogenannte „Witwenspitze“ ist in Kunst und Literatur häufig ein Merkmal Satans beziehungsweise des Teufels und erinnert an berühmte Theaterdarstellungen von Goethes Mephisto. Diese Assoziation wird durch die als markant und spitz gezeichneten Augenbrauen Edathys, die große, scharf zulaufende Nase, die zur Seite – aus dem Bildrand – schielenden Augen und die starken Falten im Mundbereich sowie die braun gehaltene Gesichtsfarbe verstärkt. Darüber hinaus stellt die Kleidung ein Merkmal dar, aufgrund dessen Edathy als ‚anders‘ markiert wird, denn er trägt zwar wie sein Anwalt und der Staatsanwalt Jackett, Hemd und Krawatte, jedoch ist sein Jackett nicht schwarz wie bei den anderen, sondern blau. Der Richter trägt eine schwarze Robe, womit seine Position von der der anderen unterscheidbar wird. Durch die Farbe Schwarz kann er jedoch mit den beiden Anwälten zu einer Menge zusammengefasst werden, die als die Menge der ‚weißen Männer‘ beschrieben werden kann. Deren Erscheinung als Weiße wird durch den Kontrast der dunklen Kleidung mit der ‚Hautfarbe‘ ihrer Gesichter sowie mit ihren hellen Haaren betont. Auffällig ist, dass Edathy zwar wegen der Farbe seines Anzugs von den anderen Männern separiert wird, die Art der Kleidung jedoch dabei keinen Indikator für eine abweichende Klassenzugehörigkeit darstellt, sondern auf Edathys Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum beziehungsweise seine bisherige Position als Spitzenpolitiker verweist.13 13
Interessant ist im Zusammenhang mit Edathys Prozess und seiner Position als Politiker, dass ihm unterstellt wurde, das Verfahren sei nur deshalb eingestellt worden, weil Edathy Mitglied der Menge der Politiker*innen ist: „Sebastian Edathy wird geschont, weil er ein Politiker ist – Mitglied einer Elite, in der keine Krähe der anderen ein Auge aussticht.“ (Herwartz 2015) Die in dem Artikel von n-tv verwendete Formulierung entspricht dabei fast wörtlich der in der Tatort-Folge ABGRÜNDE vorkommenden Metapher, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushacke (vgl. Inspektor Eisner bei
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Die bisherigen Beobachtungen treffen ebenso auf die im Beitrag EDATHYPROZESS EINGESTELLT gezeigte Zeichnung zu (Screenshot 83, siehe auch für die Vergrößerung Screenshot 84), wobei diese wie beschrieben bis auf Edathys Kopf und die Farbe der Akten auf dem Tisch identisch mit der eben analysierten Zeichnung zu sein scheint. Edathys Gesichtszüge sind hier etwas runder gehalten und er schielt nicht nach außen. Die charakteristische Witwenspitze, die markanten Augenbrauen und die große, lange Nase sowie die tiefen Falten im Mundbereich sind jedoch erhalten geblieben. Sein Gesicht ist hier ebenfalls komplett ausgemalt, in diesem Fall in einem rötlich braunen Farbton. Die Differenzierung über die Kleidung wird besonders in der Einstellung erkennbar, in der Edathy mit allen drei anderen Männern gemeinsam im Bild erscheint (Screenshot 83). Insgesamt kann in Bezug auf beide Zeichnungen festgehalten werden, dass Edathy als nicht-zugehörig und nicht-weiß dargestellt wird. In einer weiteren Gerichtszeichnung sind die ‚Hautfarben‘ und Haarfarben der Beteiligten anders dargestellt (Screenshot 85 bis Screenshot 88), wobei der Staatsanwalt auf der Zeichnung dieses Mal nicht vorkommt. So hat der Richter rotbraune, lockige Haare, Edathys Anwalt hingegen dunkelbraunes, glattes Haar. Die Darstellung von Edathys Haaren ist jedoch weitgehend konstant, denn auch hier sind seine Haare schwarzgrau und haben eine markante Witwenspitze. Auch in Bezug auf seine Gesichtszüge ähnelt die Darstellung der vorherigen, die Nase ist groß und spitz, die Augenbrauen sind eher eckig als rund und sein Gesichtsausdruck wirkt dämonisch, weil der Bereich um die Augen besonders dunkel gehalten ist. Dieses Mal ist Edathys Blick zur Bildmitte auf den Richter hin ausgerichtet, wobei sein Zeigefinger, der unter dem Kinn aufliegt und in Richtung des Richters zeigt, diese Blickachse verstärkt und als Zeichen von Aggressivität gewertet werden kann. Was die Gesichtsfarbe betrifft, so ist diese bei allen drei Männern beige gehalten, wobei das Gesicht des Richters und das von Edathy durchgängig ausgemalt sind. Auch die Kleidung wird hier weniger als Differenzmerkmal eingesetzt als bei der vorherigen Zeichnung, da Edathys Jackett ebenso wie das Jackett seines Anwalts beziehungsweise die Robe des Richters in einem Grauton gehalten ist, wobei das Grau etwas heller als bei der Kleidung der beiden anderen ist. Hier kann also nicht davon gesprochen werden, dass Edathy vorrangig über rassifizierte Körpermerkmale aus dem Kreis der Weißen ausgeschlossen wird. Er wird dennoch durch die Überzeichnung bestimmter Gesichtsmerkmale und seine Mimik als ‚anders‘ markiert und über die Blickachse und seine Gestik als Kontrahent des Richters inszeniert.
TC 45:38), wobei in beiden Fällen derselbe Missstand kritisiert wird. Christoph Herwartz spiegelt hier allerdings lediglich eine Meinung wider, die in der Öffentlichkeit vorherrscht, und widerlegt im seinem Artikel, dass Edathy eine Sonderbehandlung erhalten hätte.
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Screenshot 83: Alle vier Männer in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT (TC 2:20) .
Screenshot 84: Eigene Vergrößerung von Edathy in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT (TC 2:20)
Screenshot 85: Edathy, Anwalt Noll und Richter Seifert in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT (TC 1:52)
Screenshot 86: Richter Seifert in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT (TC 1:55).
Screenshot 87: Edathys Anwalt in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT (TC 1:59)
Screenshot 88: Edathy in EDATHYPROZESS EINGESTELLT (TC 2:03)
Auf der dritten Zeichnung ist außer Edathy nur der Staatsanwalt abgebildet (Screenshot 89), wobei die Darstellung des Staatsanwaltes eine überarbeitete Version seiner Darstellung in der ersten analysierten Zeichnung sein könnte (vgl. Screenshot 78 und Screenshot 83 versus Screenshot 89). Der Staatsanwalt hat abweichend zu der anderen Gerichtszeichnung hier blondes Kopfhaar. Edathy ist in zwei verschiedenen Körperhaltungen abgebildet, einmal hat er den Kopf nach unten gesenkt und einmal blickt er geradeaus. In Bezug auf den Haaransatz und seine Au-
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genbrauen ähnelt die Darstellung den vorherigen, wobei bei der gesenkten Kopfhaltung erkennbar wird, dass er am Hinterkopf eine kahle Stelle hat. Vergleicht man die Gesichtsfarbe der beiden Männer, so fällt auf, dass sie bei Edathy dunkler ist als beim Staatsanwalt, wobei der Unterschied hier weniger gravierend ausfällt als bei der ersten Zeichnung (vgl. Screenshot 89 und Screenshot 90 versus Screenshot 78 bis Screenshot 80 sowie Screenshot 82 und Screenshot 83). Screenshot 89: Edathy und der Staatsanwalt Klinge in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT (TC 2:05)
Screenshot 90: Eigene Vergrößerung von Edathy in EDATHY-PROZESS EINGESTELLT (TC 2:05)
Schließlich kommt in dem Beitrag EDATHY-PROZESS EINGESTELLT noch eine weitere Gerichtszeichnung vor. In dieser ist Edathy alleine zu sehen (Screenshot 91 und Screenshot 92). Die Kamera schwenkt dabei über das Bild und zeigt zunächst seine Hände und dann sein Gesicht. Auffällig an dieser Zeichnung ist vor allem, dass die Zeichner*in dem Gesicht wesentlich mehr Zeit gewidmet zu haben scheint als den Händen, denn im Gegensatz zu den Händen ist das Gesicht detailreich gezeichnet und komplett ausgemalt. Dies führt zu dem Effekt, dass Edathys Hände viel heller als sein Gesicht erscheinen. Im Hinblick auf die Gesichtsmerkmale und Edathys Mimik werden die Beobachtungen bestätigt, die bereits anhand der vorherigen Analysen gemacht worden sind. Screenshot 91: Edathy in EDATHYPROZESS EINGESTELLT (TC 2:09)
Screenshot 92: Edathy in EDATHYPROZESS EINGESTELLT (TC 2:12)
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Insgesamt kann damit festgestellt werden, dass Edathy in allen Gerichtszeichnungen als ‚anders‘ markiert wird und außer in einer Zeichnung (Screenshot 85 bis Screenshot 88) in Abgrenzung zu den anderen auftretenden Männern als Person of Colour und damit nicht-weiß dargestellt wird. Die Differenz wird zum einen über Edathys im Vergleich zu den anderen abgebildeten Männern dunkleren Hautton erzeugt, der ihn als Abweichung von der Norm kennzeichnet. Hingegen sind der Richter, der Staatsanwalt und der Anwalt Edathys in Bezug auf ihr Äußeres als Weiße und damit dem Normmenschen nahestehend gezeichnet, wobei ihre Darstellung in Bezug auf Hautton und Haarfarbe weitgehend kongruent ist und deshalb bei ihnen keine graduellen Unterschiede im Hinblick auf ihr Weißsein wahrgenommen werden können. Zum anderen wird Edathy aufgrund seiner Dämonisierung von den anderen Personen abgegrenzt, was über die Betonung verschiedener Gesichtsmerkmale sowie den als äußerst spitz zulaufend dargestellten Haaransatz erreicht wird. Edathy ist in den Gerichtszeichnungen demnach nicht als Feind aus dem Inneren repräsentiert, sondern wird als ethnisch ‚anders‘ markiert, wobei die ethnische Devianz hier mit einer Zugehörigkeit zum Bösen beziehungsweise Satanischen korreliert wird. Damit wird er als externer Feind dargestellt, der aus dem Außenraum in die weiße Gesellschaft eingedrungen ist und diese bedroht. Da es in den Gerichtsverhandlungen um den Besitz von kinderpornografischem Material geht, wird weiter sein sexuell abweichendes Verhalten intersektional mit Schwarzsein verknüpft. Implizit wird hier also ein Zusammenhang hergestellt zwischen Edathys Herkunft beziehungsweise der ihm zugeschriebenen ‚Rasse‘14 und seinen sexuellen Neigungen. Die eindeutige Darstellung Edathys als Nicht-Weißer über die Art der Gestaltung seiner ‚Hautfarbe‘ kann dabei als Rassifizierung betrachtet werden15 und weist damit eine andere Qualität auf als beispielsweise die Differenzmarkierung über Kleidung.16 Im Gegenzug wirken die anderen drei vorkommenden Männer umso mehr der Menge der Weißen zugehörig, weil Edathy als ‚anders‘ gekennzeichnet wird. Damit lassen sich die analysierten Gerichtszeichnungen in eine lange
14
Zum Konstruktcharakter des Kategorie ‚Rasse‘ siehe Kapitel 2.2.2.
15
Edathy als Person of Colour zu kennzeichnen und aus der Gruppe der (weißen) Deutschen auszuschließen, scheint auch das Ziel vieler Edathy-kritischer Veröffentlichungen und Kommentare im Internet zu sein, die entweder auf Edathys indischen Migrationshintergrund verweisen und/oder ihn mit seinem nicht eingedeutschten Namen „E dathiparambil“ bezeichnen und dadurch Edathys Markierung als ‚anders‘ bekräftigen und den Prozess seines Ausschlusses aus der Mehrheitsgesellschaft fortschreiben.
16
Dies soll nicht bedeuten, dass es nicht auch denkbar wäre, Kleidung als Differenzmarkierung, die soziale Ungleichheit betont, einzusetzen. Besonders im Hinblick auf die ungleichheitsgenerierende Kategorie soziale Klasse wird Kleidung vermutlich häufig zur Hervorhebung bzw. Konstruktion von Unterschieden instrumentalisiert.
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Tradition der Konstitution von Weißsein anhand der Abgrenzung zu Schwarzsein einordnen (vgl. Kapitel 3.2.2.2 und Dyer 1997: 51).
11.3
E RGEBNISSE
Der Exkurs in den Journalismus hat sich als fruchtbar erwiesen. Als Beispiel für die Analyse eines non-fiktionalen Medienbeitrags zu Pädophilie mithilfe der Grenzüberschreitungstheorie wurde der Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE des politischen Magazins Panorama untersucht. In diesem Panorama-Beitrag werden zwei Weltbilder konstruiert, wobei sich diese vorrangig in Bezug auf den Umgang mit Pädophilen unterscheiden. Im Weltbild der Vorurteilsträger*innen werden Pädophile als Unmenschen betrachtet und ausgeschlossen, im alternativen Weltbild hingegen, das der Film aufbaut und das als humanistisches Weltbild bezeichnet werden kann, sollen Pädophile in die Gesellschaft integriert werden. Dies kann erreicht werden, indem die Gesellschaft sich ihnen gegenüber öffnet und ihnen Therapieplätze anbietet. In dem Panorama-Beitrag wird das humanistische Weltbild bevorzugt, weshalb hier vom Versuch der Etablierung einer neuen Ordnung gesprochen werden kann. Der Panorama-Beitrag hat sich damit, obwohl es sich um einen Meinungsbeitrag mit Appell handelt und nicht um ein narratives Format, als gewinnbringend für die Untersuchung von Pädophilie anhand der Grenzüberschreitungstheorie erwiesen. Prinzipiell erscheinen für eine solche Analyse alle Formate geeignet, die narrativen Charakter haben, in denen also eine Geschichte erzählt wird. So ist es beispielsweise denkbar, nach demselben Prinzip längere Formate wie Dokumentarfilme zu untersuchen. Um Weißsein auf der visuellen Ebene zu analysieren, haben sich Gerichtszeichnungen zum Edathy-Prozess angeboten, wobei hier der interpretatorische Spielraum, den die Zeichner*innen bei der Anfertigung haben, Möglichkeiten für die Untersuchung eröffnet. Dabei wurden Screenshots der Gerichtszeichnungen aus den beiden Tagesschau- beziehungsweise Tagesthemen-Beiträgen AUFTAKT IN VERDEN: PROZESS GEGEN FRÜHEREN SPD-ABGEORDNETEN EDATHY und EDATHY-PROZESS EINGESTELLT: GESTÄNDNIS ZWEITER KLASSE? einer genaueren Analyse unterzogen. Hier wird Schwarzsein genutzt, um in Kombination mit einer Dämonisierung Edathys durch Überzeichnung bestimmter Gesichtsmerkmale seine Abweichung von der Norm aufgrund seiner ‚andersartigen‘ sexuellen Neigung sichtbar zu machen. Dies führt dazu, dass Edathy nicht wie die (ausschließlich männlichen) Täter in den Tatort-Analysen als Feind aus dem Inneren der weißen Gesellschaft konstruiert wird, sondern als nicht-weißer, externer Feind.
12
Schlussbetrachtung
12.1
Z USAMMENFASSUNG DER E RGEBNISSE
12.1.1
Ergebnisse der Analysen der Tatort-Folgen
Die eingangs aufgestellten Hypothesen wurden anhand der drei analysierten TatortFolgen AUF EWIG DEIN, ADAMS ALPTRAUM und ABGRÜNDE überprüft, wobei sie sich als weitgehend zutreffend erwiesen. Die Hypothesen 1, 2 und 3 müssen dahingehend korrigiert werden, dass der Begriff ‚Pädophilie‘ um ‚sexuellen Missbrauch‘ zu erweitern ist, da zwischen den beiden Sachverhalten in den Tatort-Folgen häufig nicht differenziert wird beziehungsweise bei sexuellen Missbrauchstäter*innen offenbleibt, ob ihre Motive mit einer pädophilen Neigung zu tun haben oder nicht. Die Analysen haben demnach belegt, dass Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch als Angriff auf die weiße Kernfamilie und damit auf die weiße Gesellschaft in ihrer Gesamtheit inszeniert wird (H 1). Nur in einer Folge (AUF EWIG DEIN) wurde Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch als (krankhafter) Auswuchs sich verändernder Familienformen respektive der Auflösung der Kernfamilie inszeniert (H 2). In den anderen beiden Folgen wurde dieser Zusammenhang nur bedingt hergestellt, da in diesen andere Themen im Vordergrund standen: Selbstjustiz in ADAMS ALPTRAUM und Korruption in ABGRÜNDE. So kommen in ADAMS ALPTRAUM nur vermeintlich Missbrauchstäter*innen beziehungsweise Pädophile vor. In ABGRÜNDE hingegen spielt die Familie eine untergeordnete Rolle, weshalb hier ebenso kein Zusammenhang zwischen Familienmodell und Pädophilie hergestellt werden kann. Als weitgehend richtig hat sich die Hypothese erwiesen, nach welcher der medialen Klassifikation von Pädophilen beziehungsweise sexuellen Missbrauchstäter*innen als ‚andersartig‘ die Funktion zukommt, die Idee der kindlichen Unschuld und Reinheit aufrechtzuerhalten, womit das Ideal der weißen Kernfamilie gestützt wird (H 3). In AUF EWIG DEIN etwa wurde eine binäre Opposition zwischen dem männlichen Sexualstraftäter und den als unschuldig und passiv gezeigten weiblichen, jungen Opfern aufgebaut. Die Analyse der Folge ABGRÜNDE
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konnte Hypothese 3 nur teilweise plausibilisieren: Die weiblichen Entführungsopfer, die nur sehr kurz gezeigt werden, sind zwar im Gegensatz zu den Tätern passiv, aber sie werden als Teil der Unterschicht und damit des White Trash sowie durch die verwendete Lichtsetzung und Farbgebung als weniger rein konstruiert als beispielsweise die Tochter eines adeligen Missbrauchstäters. Hypothese 4 beschreibt die Verschleierung von öffentlich so nicht kommunizierbaren, aber vermutlich gesellschaftlich akzeptierten Bestrafungen mithilfe narrativer Sanktionen. In allen drei Tatort-Folgen kommen narrative Sanktionen vor, die Zusammenhänge verschleiern und die zwar voraussichtlich auf einen Konsens in der weißen Mehrheitsgesellschaft treffen, aber nicht öffentlich geäußert werden können. Beispielsweise wird in ADAMS ALPTRAUM die ihre Kinder vernachlässigende ‚Karrieremutter‘ narrativ sanktioniert, indem ihre beiden Söhne verschwinden. Der Zeitpunkt der Aufhebung der Sanktion fällt dabei mit einer Besinnung der Figur auf ihre mütterlichen Pflichten zusammen und verdeutlicht damit die innerhalb des Narrativs hergestellte Kausalbeziehung. In AUF EWIG DEIN werden Eltern, die sich trennen, narrativ sanktioniert, indem ihre Töchter entführt, getötet und teilweise auch sexuell missbraucht werden. Der Zusammenhang wird auf narrativer Ebene verstärkt, indem die Sanktion nicht nur anhand eines Elternpaares vorgeführt wird, sondern an zweien. In dieser Folge tritt zudem noch eine Variante verschleiernder Sanktionen auf: Ein männlicher Prostituierter1 wird wegen Drogenhandels angeklagt, womit auf narrativer Ebene der Verstoß einer Figur gegen eine soziale Norm ersatzweise anhand der Bestrafung für eine juristische Regelverletzung abgegolten wird. Auch in ABGRÜNDE kann eine Variante der narrativen Sanktion identifiziert werden, denn dort sterben alle Missbrauchstäter und deren Handlanger eines unnatürlichen Todes, womit sowohl das Problem der Korruption als auch das des sexuellen Missbrauchs zumindest auf narrativer Ebene gelöst wird, auch wenn diese Lösung nicht ‚realweltlich‘ anwendbar ist. Mithilfe der Analyse der Ordnungswiederherstellung anhand indirekter Bestrafungen konnte insgesamt plausibilisiert werden, dass Verhaltensweisen von Figuren, die gesetzlich erlaubt sind, aber die voraussichtlich in der Mehrheitsgesellschaft negativ bewertet werden, eher indirekt als explizit sanktioniert werden (H 4). Formal betrachtet wird demnach politisch korrekt erzählt, tatsächlich werden aber auf narrativer Ebene Benachteiligungen legitimiert, was als Beitrag zur Konstruktion sozialer Ungleichheiten aufgefasst werden kann. Es hat sich dabei gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen gesellschaftlich erwünschten oder verpönten Verhaltensweisen und der Verschleierung von Sanktionen durch der Erzählinstanz zugeschriebene narrative Sanktionen komplexer zu sein scheint, als zunächst angenommen wurde. Die Untersuchung der genauen Umstände bietet damit einen voraussichtlich lohnenswerten Gegenstand für zukünftige Forschungsarbeiten. 1
Männliche Prostitution wird in der Tatort-Folge AUF EWIG DEIN als verboten gesetzt.
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Schließlich wurde davon ausgegangen, dass die Inhalte aller vorherigen Hypothesen dem Machterhalt des Normmenschen dienen und damit soziale Ungleichheiten stärken (H 5). Eine Überprüfung dieser Hypothese hat sich als schwierig erwiesen. Zum einen kann sich eine Bestätigung aufgrund des gewählten Forschungsdesigns zunächst einmal nur auf Medienbeiträge und damit auf die Ebene symbolischer Repräsentationen (Winker & Degele 2010: 18) beziehen, weshalb keine Aussage über ‚realweltliche‘ Konsequenzen getroffen werden kann. Aber auch mit dieser Einschränkung konnte die Hypothese nur bedingt plausibilisiert werden. Ein Indiz für ihre Richtigkeit hat sich beispielsweise aus dem Umstand ergeben, dass in allen drei Tatort-Folgen mit dem jeweiligen Kommissar eine nahe am Normmenschen positionierte Figur die mächtigste Position im narrativen Gefüge einnimmt. Eine quantitative Untersuchung der Sprechanteile hat dies im Hinblick auf die ungleichheitsgenerierende Kategorie Geschlecht bestätigt, denn die Redebeiträge der weiblichen Figuren liegen mit jeweils weniger als einem Drittel in ADAMS ALPTRAUM und AUF EWIG DEIN deutlich sowie mit 46 Prozent in ABGRÜNDE knapp unter denen der als männlich markierten Figuren. Sowohl im Hinblick auf die Repräsentation bestimmter Personengruppen als dominante Figuren – etwa durch das Bekleiden von Positionen, die einen hohen Anteil an der Setzung von Normen haben, wie im Tatort die Kommissar*innen – als auch auf die Sprechanteile sollte dabei in der Tatort-Reihe zumindest Binnenpluralität vorherrschen. Das bedeutet, dass Ausgewogenheit nicht unbedingt in einer einzelnen Tatort-Folge erreicht werden muss, aber sich innerhalb der Reihe bei Heranziehen mehrerer Episoden ergeben sollte. Dies war bei den drei untersuchten Folgen nicht der Fall.
12.1.2
Exkurs in den Journalismus
Der Exkurs in den Journalismus hatte zum einen das Ziel, zu überprüfen, ob die bei den Analysen der fiktionalen Beiträge angewandte Methodik prinzipiell auf nonfiktionale Medienangebote übertragbar ist, und zum anderen auf inhaltlicher Ebene Parallelen und Unterschiede der Darstellung von Pädophilie und sexuellem Missbrauch in fiktionalen und journalistischen Medien herauszuarbeiten. Als Beispiel für einen journalistischen Medienbeitrag wurde das Stück EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE aus der politischen Magazinsendung Panorama ausgewählt, welches als Aufhänger den Fall Edathy nutzt, um sich mit dem Thema Pädophilie generell zu befassen. Wie die Tatort-Folgen wurde auch EDATHY-AFFÄRE im Jahr 2014 ausgestrahlt. Es handelt sich dabei um einen Meinungsbeitrag, der sich mit dem Appell an die Zuschauer*innen richtet, Pädophile stärker in die Gesellschaft zu integrieren. Die argumentative Struktur macht den Film nur bedingt mit den narrativen Tatort-Folgen vergleichbar, was als Manko der Vorgehensweise anzusehen ist. Dennoch wurden einige interessante inhaltliche Ergebnisse erbracht, wobei bei der
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Analyse versucht wurde, sich stark an der Struktur der Tatort-Analysen zu orientieren. Die Grenzüberschreitungstheorie hat sich demnach ebenso für nicht-narrative Texte als fruchtbar erwiesen, auch wenn sie ihre Stärken vor allem bei der Analyse narrativer Texte entfalten kann. Im Beitrag EDATHY-AFFÄRE werden zwei Weltbilder aufgebaut, die sich diametral gegenüberstehen. Das Weltbild derer, die gegenüber Pädophilen vorurteilsbehaftet sind, wird dabei als aktuell gültig, aber unmenschlich dargestellt. Das Weltbild der Humanist*innen hingegen ist ausdifferenzierter, wobei aufgezeigt wird, dass Pädophile Menschen sind, die ihre Neigung nicht ausleben müssen und Kinder am besten geschützt werden können, indem die Gesellschaft sich Pädophilen gegenüber öffnet und Therapieplätze schafft. Damit wird in dem PanoramaBeitrag versucht, bestehenden Einstellungen zu Pädophilie etwas entgegenzusetzen und eine Alternative im Umgang mit pädophil veranlagten Menschen aufzuzeigen. Dies kann als Versuch, eine neue Ordnung zu etablieren, aufgefasst werden und verdeutlicht das innovative Moment, welches journalistische Medienangebote aufweisen können. Auf diese Weise wird ein Beitrag zur Dekonstruktion von Vorurteilen geleistet und folglich zur Dekonstruktion von Ungleichheit, zumindest in Bezug auf Pädophilie. In den Tatort-Folgen hingegen werden stereotype Positionen gestärkt, da im Hinblick auf Pädophile keine neuen beziehungsweise verständnisfördernden Perspektiven in die Diskussion eingebracht werden. Auch im Hinblick auf andere ungleichheitsgenerierende Kategorien haben die Tatort-Filme ihr Potenzial, entgegen konventioneller Erzählmuster alternative Weltbilder anzubieten, nicht ausgespielt, sondern bleiben ungleichheitsfördernden Herrschaftsstrukturen verhaftet. Daraus ergibt sich das bemerkenswerte Ergebnis, dass innerhalb der untersuchten Medienangebote den journalistischen Beiträgen das größere Vermögen zugesprochen werden muss, neue Weltbilder zu entwerfen und damit möglicherweise Impulse für eine Veränderung der Gesellschaft zu geben. Erklärt werden kann dies unter Umständen damit, dass der Tatort als Mainstream-Reihe zur Trivialliteratur zu zählen ist, welche die Funktion hat, zu unterhalten. Hierbei sind Lösungen, die nicht „konsensfähig[]“ (Gräf 2010: 18) sind, für den gesellschaftlichen Umgang mit Problemen aufgrund ihres Irritationsmoments nicht erwünscht. Alternative Weltbilder sind deshalb vermutlich eher im Bereich künstlerisch-avantgardistischer Filme zu suchen.2 Das Ergebnis kann demnach nicht verallgemeinert werden, sondern bedarf einer umfangreicheren Analyse weiterer Beiträge, zu denen neben nicht dem 2
Interessanterweise befassen sich aktuelle Tatort-Folgen, die mit dem Regelwerk der Reihe brechen, selten mit gesellschaftspolitisch relevanten und/oder aktuell brisanten Themen. Beispielhaft zu nennen sind hier die Folgen aus Wiesbaden mit Kommissar Felix Murot: WIE EINST LILLY (D 2010, R: Borries), DAS DORF (D 2011, R: Dohnányi), SCHWINDELFREI (D 2013, R: Dohnányi), IM SCHMERZ GEBOREN (D 2014, R: Schwarz), WER BIN ICH? (D 2015, R: Günther).
S CHLUSSBETRACHTUNG
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Mainstream angehörenden Spielfilmen auch Dokumentarfilme gehören sollten sowie unterschiedliche journalistische Darstellungsformen und vor allem auch narrative journalistische Formate (siehe Kapitel 12.2). Als Beispiel für non-fiktionale Formate wurden weiter Gerichtszeichnungen vom Edathy-Prozess analysiert, welche den beiden im Sender „Das Erste“ ausgestrahlten Beiträgen AUFTAKT IN VERDEN: PROZESS GEGEN FRÜHEREN SPDABGEORDNETEN EDATHY sowie EDATHY-PROZESS EINGESTELLT: GESTÄNDNIS ZWEITER KLASSE? entnommen wurden. Ziel dieser Analyse war vorrangig, die Darstellung von Weißsein in Zusammenhang mit Pädophilie in journalistischen Medien herauszuarbeiten. Da sich die Untersuchung ausschließlich auf die Gerichtszeichnungen fokussierte, war eine Analyse anhand der Grenzüberschreitungstheorie dabei nicht möglich. Edathy wird in den Gerichtszeichnungen als abweichend markiert, wobei bestimmte Merkmale überzeichnet werden, wodurch ein dämonisierender Effekt entsteht. Edathys indischer Migrationshintergrund und damit die ungleichheitsgenerierende Kategorie ‚Rasse‘/Ethnizität wird dabei genutzt, um Edathy – gegenüber den ebenfalls auf den Zeichnungen vorkommenden Personen des Anwalts, Richters und Staatsanwalts – als normabweichend zu kennzeichnen. Damit stellt er keinen Feind aus dem Inneren der weißen Gesellschaft dar, sondern wird als nicht-weißer, externer Feind konstruiert und kann deshalb von der Gesellschaft abgespalten werden. Die Differenzmarkierung erfolgt bei Edathy also in Abweichung zu den Figuren in den Tatort-Folgen über die zugeschriebene und nicht der Norm entsprechende Ausprägung der Kategorie ‚Rasse‘/Ethnizität.
12.2
F AZIT
UND
AUSBLICK
Das Thema Pädophilie und sexuelle Gewalt an Kindern gewinnt sowohl gesamtgesellschaftlich als auch medial weiter an Bedeutung. Durch die Aufdeckung von immer mehr Missbrauchsfällen an renommierten beziehungsweise zumindest eine lange Tradition aufweisenden Institutionen – bei Einrichtungen der katholischen Kirche wie dem Canisius-Kolleg ebenso wie bei der Odenwaldschule und den Regensburger Domspatzen – nimmt die Präsenz des Themas in den Medien nicht ab. Ebenso beschäftigen sich zahlreiche fiktionale Filme (DIE AUSERWÄHLTEN, die Neuhaus-Verfilmung BÖSER WOLF – EIN TAUNUSKRIMI D 2016 R: Rosenmüller; OPERATION ZUCKER D 2012, R: Kaufmann sowie die Fortsetzung OPERATION ZUCKER – JAGDGESELLSCHAFT D 2016, R: Hormann) und Serien-Folgen (die beiden Tatort-Folgen DAS VERKAUFTE LÄCHELN D 2014, R: Senn und REBECCA D 2016, R: Dag) ebenso wie Dokumentarfilme (GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT, UND WIR SIND NICHT DIE EINZIGEN) mit Pädophilie und sexualisierter Gewalt an Kindern. Der enorme Bewertungswandel, den das Thema in den letzten 50 Jahren erfahren hat,
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zeigt anschaulich, dass im Zusammenhang mit Pädophilie und dem sexuellen Umgang Erwachsener mit Kindern soziale Normen und Werte diskutiert und verschoben wurden. Dabei wird Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern gesellschaftlich immer restriktiver gehandhabt. Aktuelle Gesetzesänderungen deuten darauf hin, dass der Aushandlungsprozess hier noch nicht abgeschlossen ist. Als ein Grund für die geänderte Haltung gegenüber Pädophilen kann der gestiegene Wert angesehen werden, der dem Kind innerhalb der weißen Kernfamilie aber auch in der Gesellschaft als Ganzes zukommt. Kinder werden nicht mehr als Zukunftssicherung oder Arbeitskräfte verstanden, sondern sind Teil des Selbstverwirklichungsplans der Eltern und werden als höchstes Gut der Gesellschaft betrachtet, zumindest wenn sie der ‚richtigen‘ (sprich: weißen) ‚Rasse‘ angehören.3 Ein weiterer Grund, weshalb der Normmensch als Täter in den Fokus des öffentlichen Interesses rücken konnte, liegt darin, dass seine Macht nicht mehr ungebrochen ist. Im Zuge von Emanzipationsbewegungen diskriminierter Gruppen – wie Frauen, People of Colour und Homosexuellen – wurde seine Position als Zentrum der Macht hinterfragt und der ihm Dominanz zusichernde Status quo angegriffen. Dies kann als einer der Gründe für die häufig konstatierte Krise des (weißen) Mannes gelten. In diesem spannungsreichen Gefüge brüchig gewordener Selbstverständlichkeiten ist es nun denkbar geworden, den Normmenschen sowohl in der Wissenschaft als auch in den Medien in den Fokus des Interesses zu rücken und dies auch beziehungsweise gerade dann, wenn sich hinter seiner ihn schützenden Fassade sexuelle Abweichungen verbergen und er eine Gefahr für das Wohl von Kindern darstellt. Die analysierten Tatort-Filme folgen diesem Trend, können jedoch lediglich Pseudolösungen für gesellschaftliche Probleme bieten, etwa, wenn in ABGRÜNDE die Täter am Ende alle eines unnatürlichen Todes sterben, was zu einer Aufhebung des Problems auf der narrativen Ebene führt, aber keine auf die ‚Realwelt‘ übertragbare Lösung darstellt. Insgesamt zeichnen die analysierten Tatort-Folgen ein düsteres Bild der Gesellschaft, denn dysfunktionale und brüchige Familien (AUF EWIG DEIN, ADAMS ALPTRAUM) sowie eine korrupte Oberschicht, der nur mit illegalen Ermittlungsmethoden beizukommen ist (ABGRÜNDE), führen in Kombination mit der pervertierten Sexualität erwachsener Männer zu einer unsicheren und mit Pessimismus zu betrachtenden Zukunft.
3
So hat sich Beatrix von Storch, stellvertretende Parteivorsitzende der AfD, beispielsweise im Januar 2016 für den Schusswaffengebrauch an deutschen Grenzen auch gegenüber geflüchteten Kindern ausgesprochen (Meiritz 2016). Nachdem ein ‚Shitstorm‘ gegen sie losbrach, nahm sie die Aussage zurück. Dies stellt zwar eine extreme Position dar, die vehemente Kritik erfuhr, jedoch zeigt die fehlende Wertschätzung für Kinder von Geflüchteten in einem Land, in welchem die Kinderzahl massiv sinkt, dass nicht allen Kindern der gleiche Wert zugeschrieben wird.
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Nur auf den ersten Blick scheint der als krank, sexuell abartig und kriminell gekennzeichneten Variante des Normmenschen dabei in der Figur des (männlichen) Kommissars ein ‚gesundes‘ Pendant in machtvoller Position gegenüberzustehen. Denn abgesehen von Stellbrink in der Folge ADAMS ALPTRAUM werden auch die Kommissare nicht als eindimensional gut gezeigt. Vor allem Kommissar Faber in AUF EWIG DEIN entspricht dabei dem Topos des Mannes in der Krise. Das heißt, auch ohne dass den Kommissaren eine krankhafte Sexualität zugeschrieben wird, sind sie nur noch bedingt gesellschaftskompatibel (wie Faber in AUF EWIG DEIN) und leben getrennt von ihren Frauen und (mit Ausnahme von Kommissar Eisner in ABGRÜNDE) auch von ihren Kindern, die entweder bei der Exfrau wohnen oder gestorben sind. Dennoch muss der von Gräf gemachten Beobachtung, dass „der Tatort des 21. Jahrhunderts ein gleichberechtigtes Rollenverständnis als wünschenswert [setzt], […] aber in der Regel über die narrativen Tiefenstrukturen der einzelnen Filme den illusionistischen Charakter dieses Wünschenswerten vor[führt]“ (Gräf 2010: 320f., Herv. i. O.) nach den durchgeführten Analysen zumindest teilweise widersprochen werden. So weist ADAMS ALPTRAUM beispielsweise verschiedene Frauen in Führungspositionen auf, zeigt also ein wünschenswertes Rollenverständnis als bereits verwirklicht an. Dies unterminiert der Film jedoch durch seine Tiefenstruktur, indem er den männlichen Kommissar als die Figur vorführt, die zwar nicht im Hinblick auf ihre berufliche Stellung, wohl aber auf ihr tatsächliches Verhalten am dominantesten ist und zudem die moralische Instanz darstellt. Hier wird demnach nicht auf einer Metaebene die wünschenswerte Gleichheit als Utopie demaskiert, sondern der Film stellt diese als bereits erfolgreich umgesetzt dar, unterläuft sie dann aber selbst, indem er doch wieder unterschwellig die Figur, die dem Normmenschen am nächsten kommt, als die mächtigste präsentiert und dadurch Ungleichheiten festigt. Gerade für die Untersuchung von medialen Konstruktionen von Ungleichheit, von Norm und Normabweichung, von Privilegierungen und Diskriminierungen stellt das für die vorliegende Studie ausgewählte und aktuell bedeutsame Thema Pädophilie und sexueller Missbrauch damit einen geeigneten Gegenstand dar. Für das Ziel, die mediale Konstruktion von Ungleichheit vor allem anhand von Normen zu untersuchen, hat sich die Grenzüberschreitungstheorie als fruchtbar erwiesen. Ihre systematische und strukturierte Vorgehensweise bietet in Bezug auf eine intersektional angelegte und weißseinskritische Analyse von Medienbeiträgen die Möglichkeit, Ordnungssysteme von Texten zu identifizieren und die Konstruktion von Normen anhand von Ordnungsverletzungen durch Figuren und Sanktionen für diese Vergehen zu bestimmen. Die vorliegende Studie leistet damit auch einen Beitrag zur Erweiterung des methodischen Instrumentariums der Erforschung von Ungleichheit. Für zukünftige Forschungsarbeiten bietet es sich an, den Untersuchungsgegenstand auf weitere mediale Genres und Kommunikationsgattungen auszudehnen.
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So stellt sich beispielsweise die Frage, ob die aufgestellten Hypothesen auch anhand von Genres, die Normen nicht so explizit thematisieren wie Kriminalgeschichten, plausibilisiert werden können. Weiter gilt es zu erforschen, ob der Kunst zuzurechnende Medienbeiträge anders als die Mainstream-Reihe Tatort alternative und nicht mehrheitskonforme Weltbilder entwerfen. Dazu muss überprüft werden, ob journalistische Beiträge regelmäßig Impulse liefern, um bestehende Ordnungssysteme zu ändern, oder ob der analysierte Panorama-Beitrag eine Ausnahme darstellt. Dabei kann speziell an die quantitative Kommunikationsforschung der Auftrag ausgesprochen werden, eine größere Anzahl von journalistischen und fiktionalen Medienbeiträgen unter diesem Aspekt vergleichend zu untersuchen. In diesem Zuge sollte auch der Boulevardjournalismus Beachtung finden. Dies stellt Herausforderungen an die Operationalisierung, denn rein quantitativ-inhaltsanalytisch sind Norm- und Ordnungssysteme nicht zu bestimmen und auch die Untersuchung von Weißsein bedarf einer in die Tiefe gehenden Analyse. Außerdem bietet es sich an, in größeren, interdisziplinär ausgerichteten Forschungsteams mehrstufige Studien durchzuführen, in denen medien-, kommunikations- und sozialwissenschaftliches Know-how kombiniert wird, um mediale Darstellung, Rezeptionsprozess und den Einfluss auf Meinungen und Einstellungen sowie die Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik in ihren Zusammenhängen zu erforschen und damit nicht nur die Repräsentationsebene, sondern auch Mikro- und Makroebene zu untersuchen. Dies bietet die Möglichkeit, Hypothese 5, nach der der Status quo des Normmenschen medial gestützt wird, zu überprüfen, was mit einem kultursemiotischen Methodeninstrumentarium nur eingeschränkt möglich gewesen ist. Die Untersuchung der medialen Konstruktion von Ungleichheit im Allgemeinen und der Bereiche Pädophilie beziehungsweise sexueller Missbrauch und weiße Kernfamilie im Besonderen bleiben demnach brisante, gesellschaftlich relevante und damit lohnenswerte Forschungsfelder, die in zukünftigen Studien weiter wissenschaftlich durchleuchtet werden sollten. Dabei können Folgestudien inhaltlich auf den hier erzielten Ergebnissen aufbauen, welche unter Anwendung eines innovativen methodischen Ansatzes in Form einer Kombination kultursemiotischer, narratologischer Konzepte mit intersektionalen und weißseinskritischen Theorien erbracht wurden. Gerade im Hinblick auf die Ebene der Medien gilt es, die erbrachten Erkenntnisse zu erweitern. Denn da sowohl fiktionale als auch non-fiktionale Medien eine Plattform für die Verhandlung der öffentlichen Meinung bilden und damit Einfluss auf Werte und Normen nehmen, bleibt die kulturwissenschaftliche Untersuchung von Medienbeiträgen im Zusammenhang mit Ungleichheit ein Feld von hoher gesellschaftlicher Bedeutsamkeit.
Literaturverzeichnis
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Filmverzeichnis
J OURNALISTISCHE B EITRÄGE
UND
D OKUMENTARFILME
ERZIEHUNG ZUM UNGEHORSAM (D 1969) Sender: Das Erste/Regie: Gerhard Bott GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT (D 2011) Sender: SWR, HR/Regie: Luzia Schmidt & Regina Schilling Panorama-Beitrag EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE (D 2014) Sender: NDR/Autoren: Ben Bolz und Johannes Jolmes Datum der Ausstrahlung: 18.12.2014, 22 Uhr Tagesschau-Beitrag AUFTAKT IN VERDEN: PROZESS ABGEORDNETEN EDATHY (D 2015) Sender: Das Erste/Autor: Thorsten Hapke Datum der Ausstrahlung: 23.02.2015, 20 Uhr
GEGEN FRÜHEREN
SPD-
Tagesthemen-Beitrag EDATHY-PROZESS EINGESTELLT: GESTÄNDNIS ZWEITER KLAS2015) Sender: Das Erste/Autorin: Angelika Henkel (NDR) Datum der Ausstrahlung: 02.03.2015, 22.15 Uhr SE? (D
UND WIR SIND NICHT DIE EINZIGEN (D 2011) Sender: 3Sat/Regie: Christoph Röhl
F ERNSEHSERIEN UND - REIHEN Der Alte (D 1977 bis heute) Sender: ZDF
426 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Deutschland sucht den Superstar (D 2002 bis heute) Sender: RTL Germany’s Next Topmodel (D 2006 bis heute) Sender: ProSieben Klinik unter Palmen (D 1996 bis 2003) Sender: Das Erste Queer as folk (US, CAN 2000 bis 2005) Sender: Showtime (US); Showcase (CAN) Schwarzwaldklinik (D 1985 bis 1989) Sender: ZDF Stahlnetz (D 1958 bis 1968) Sender: NDR Star Trek – The Next Generation/Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (US 1987 bis 1994) Sender: verschiedene/Syndikation (Produktion: Paramount Pictures) The L-word (US 2004 bis 2009) Sender: Showtime
S PIELFILME ATTACK OF THE 50 FOOT WOMAN/ANGRIFF DER 20 METER FRAU (US 1958) Regie: Nathan H. Juran BÖSER WOLF – EIN TAUNUSKRIMI (D 2016) Sender: ZDF/Regie: Marcus O. Rosenmüller DANGEROUS MINDS/DANGEROUS MINDS – WILDE GEDANKEN (US 1995) Regie: John N. Smith DIE AUSERWÄHLTEN (D 2014) Sender: Das Erste/Regie: Christoph Röhl FARGO/FARGO (GB, US 1996) Regie: Joel Coen FINDING NEMO/FINDET NEMO (US 2003) Regie: Andrew Stanton; Unkrich, Lee
F ILMVERZEICHNIS
I’M NO ANGEL/ICH BIN KEIN ENGEL (US 1933) Regie: Wesley Ruggles IMITATION OF LIFE/[kein deutscher Titel] (US 1934) Regie: John M. Stahl IMITATION OF LIFE/SOLANGE ES MENSCHEN GIBT (US 1959) Regie: Douglas Sirk JEZEBEL/JEZEBEL – DIE BOSHAFTE LADY (US 1938) Regie: William Wyler KING KONG/KING KONG UND DIE WEISSE FRAU (US 1933) Regie: Merian C. Cooper; Ernest B. Schoedsack KING KONG/KING KONG (US, NZ, D 2005) Regie: Peter Jackson M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (D 1931) Regie: Fritz Lang NIGHT OF THE LIVING DEAD/DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN (US 1969) Regie: George A. Romero OPERATION ZUCKER (D 2012) Sender: Das Erste/Regie: Rainer Kaufmann OPERATION ZUCKER – JAGDGESELLSCHAFT (D 2016) Sender: Das Erste/Regie: Sherry Hormann PLANET OF THE APES/PLANET DER AFFEN (US 1968) Regie: Franklin J. Schaffner SIMBA/SIMBA (GB 1955) Regie: Brian D. Hurst THE AMAZING COLOSSAL MAN/DER KOLOSS (US 1957) Regie: Bert I. Gordon
T ATORT -F OLGEN Tatort ABGRÜNDE (A 2014)/Folge 902 Sender: ORF/Regie: Harald Sicheritz Tatort ADAMS ALPTRAUM (D 2014)/Folge 897 Sender: SR/Regie: Hannu Salonen
| 427
428 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tatort ÄTZEND (D 2015)/Folge 962 Sender: RBB/Regie: Dror Zahavi Tatort ALTER EGO (D 2012)/Folge 844 Sender: WDR/Regie: Thomas Jauch Tatort AUF EWIG DEIN (D 2014)/Folge 898 Sender: WDR/Regie: Dror Zahavi Tatort BAUM DER ERLÖSUNG (A 2009)/Folge 717 Sender: ORF/Regie: Harald Sicheritz Tatort BENUTZT (D 2015)/Folge 967 Sender: WDR/Regie: Dagmar Seume Tatort BOROWSKI UND DIE HEILE WELT (D 2009)/Folge 732 Sender: NDR/Regie: Florian Froschmayer Tatort BRANDWUNDEN (D 1998)/Folge: 384 Sender: RB/Regie: Detlef Rönfeldt Tatort Cherchez la femme oder Die Geister vom Mummelsee (D 1973)/Folge 27 Sender: SWF/Regie: Wilm ten Haaf Tatort DAS DORF (D 2011)/Folge 819 Sender: HR/Regie: Justis von Dohnányi Tatort DAS VERKAUFTE LÄCHELN (D 2014)/Folge 928 Sender: BR/Regie: Andreas Senn Tatort DER DUNKLE FLECK (D 2002)/Folge 511 Sender: WDR/Regie: Peter F. Bringmann Tatort DIE NEUE (D 1989)/Folge 224 Sender: SWF/Regie: Peter Schulze-Rohr Tatort EINE ANDERE WELT (D 2013)/Folge 886 Sender: WDR/Regie: Andreas Herzog Tatort EINE HANDVOLL PARADIES (D 2013)/Folge 869 Sender: SR/Regie: Hannu Salonen Tatort ES IST BÖSE (D 2012)/Folge 836 Sender: HR/Regie: Stefan Kornatz
F ILMVERZEICHNIS
Tatort FAMILIENAUFSTELLUNG (D 2009)/Folge 721 Sender: RB/Regie: Mark Schlichter Tatort FETISCHZAUBER (D 1996)/Folge: 331 Sender: NDR/Regie: Thorsten Näter Tatort FRAU BU LACHT (D 1995)/Folge 322 Sender: BR/Regie: Dominik Graf Tatort HERZ AUS EIS (D 2009)/Folge 723 Sender: SWR/Regie: Ed Herzog Tatort HYDRA (D 2015)/Folge 931 Sender: WDR/Regie: Nicole Weegmann Tatort IM SCHMERZ GEBOREN (D 2014)/Folge 920 Sender: HR/Regie: Florian Schwarz Tatort IN DER FALLE (D 1998)/Folge: 379 Sender: BR/Regie: Peter Fratzscher Tatort KALTE HERZEN (D 2000)/Folge 440 Sender: SWR/Regie: Thomas Bohn Tatort KASSENSTURZ (D 2009)/Folge 720 Sender: SWR/Regie: Lars Montag Tatort KINDER DER GEWALT (D 1999)/Folge: 411 Sender: WDR/Regie: Ben Verbong Tatort KINDERLIEB (D 1991)/Folge 250 Sender: WDR/Regie: Ilse Hofmann Tatort KOLLAPS (D 2015)/Folge 958 Sender: WDR/Regie: Dror Zahavi Tatort LAURA, MEIN ENGEL (D 1994)/Folge 291 Sender: MDR/Regie: Ottokar Runze Tatort LEICHE IM KELLER (D 1986)/Folge 179 Sender: NDR/Regie: Pete Ariel Tatort LIEBE MACHT BLIND (D 2006)/Folge 647 Sender: RBB/Regie: Peter Fratzscher
| 429
430 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tatort MANILA (D 1998)/Folge 383 Sender: WDR/Regie: Nikolaus Stein von Kamienski Tatort MEIN REVIER (D 2012)/Folge 849 Sender: WDR/Regie: Thomas Jauch Tatort MELINDA (D 2013)/Folge 860 Sender: SR/Regie: Hannu Salonen Tatort REBECCA (D 2016)/Folge 971 Sender: SWR/Regie: Umut Dag Tatort RECHNUNG MIT EINER UNBEKANNTEN (D 1978)/Folge 87 Sender: WDR/Regie: Wolfgang Becker Tatort REISE INS NICHTS (D 2002)/Folge: 520 Sender: SR/Regie: Hartmut Griesmayr Tatort SCHMUTZIGER DONNERSTAG (CH 2013)/Folge 862 Sender: SF/Regie: Dani Levy Tatort SCHWEINEGELD (D 2009)/Folge 746 Sender: RBB/Regie: Bodo Fürneisen Tatort SCHWINDELFREI (D 2013)/Folge 889 Sender: HR/Regie: Justus von Dohnányi Tatort SPIEL MIT DEM FEUER (D 1987)/Folge 193 Sender: SWF/Regie: Wolfgang Storch Tatort STERNSCHNUPPE (A 2016)/Folge 974 Sender: ORF/Regie: Michi Riebl Tatort TANZMARIECHEN (D 2017)/Folge 1011 Sender: WDR/Regie: Thomas Jauch Tatort TOD EINER LEHRERIN (D 2011)/Folge 809 Sender: SWR/Regie: Thomas Freundner Tatort TÖDLICHER EINSATZ (D 2009)/Folge 733 Sender: SWR/Regie: Bodo Fürneisen Tatort TOTE MÄNNER (D 2009)/Folge 737 Sender: RB & WDR/Regie: Thomas Jauch
F ILMVERZEICHNIS
Tatort UM JEDEN PREIS (D 2009)/Folge 744 Sender: BR/Regie: Peter Fratzscher Tatort VERDAMMT (D 2008)/Folge 687 Sender: WDR/Regie: Maris Pfeiffer Tatort VERGELTUNG (A 2011)/Folge 793 Sender: ORF/Regie: Wolfgang Murnberger Tatort WEM EHRE GEBÜHRT (D 2007)/Folge 684 Sender: NDR/Regie: Angelina Maccarone Tatort WER BIN ICH? (D 2015)/Folge 968 Sender: HR/Regie: Bastian Günther Tatort WIE EINST LILLY (D 2010)/Folge 781 Sender: HR/Regie: Achim von Borries Tatort WIR – IHR – SIE (D 2016)/Folge 989 Sender: RBB/Regie: Torsten C. Fischer
| 431
Weitere Verzeichnisse
TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1:
Kategorien, Ausprägungen und Diskriminierungsformen | 30
Tabelle 2:
Ordnungssätze in AUF EWIG DEIN | 191
Tabelle 3:
Ursprung und Gültigkeit der Ordnungssätze in AUF EWIG DEIN sowie Funktion der jeweiligen Figur | 196
Tabelle 4:
Ordnungssätze in AUF EWIG DEIN: formallogisch und als Gebot/Verbot formuliert | 201
Tabelle 5:
Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in AUF EWIG DEIN | 207
Tabelle 6:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um T. Graf in AUF EWIG DEIN | 214
Tabelle 7:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um M. Graf und Vergewaltigung und Mord in AUF EWIG DEIN | 215
Tabelle 8:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Kelling und Drogenhandel in AUF EWIG DEIN | 218
Tabelle 9:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Stetter und Kinderpornografie in AUF EWIG DEIN | 219
Tabelle 10:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Bönisch in AUF EWIG DEIN | 222
Tabelle 11:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Passek in AUF EWIG DEIN | 223
Tabelle 12:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Bartok in AUF EWIG DEIN | 223
Tabelle 13:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Kelling und Prostitution in AUF EWIG DEIN | 224
434 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Tabelle 14:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um M. Graf und Pädophilie in AUF EWIG DEIN | 225
Tabelle 15:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstrangs um Stetter und Pädophilie in AUF EWIG DEIN | 225
Tabelle 16:
Ordnungssätze in ADAMS ALPTRAUM | 262
Tabelle 17:
Ursprung und Gültigkeit der Ordnungssätze in ADAMS ALPTRAUM sowie Funktion der jeweiligen Figur | 268
Tabelle 18:
Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in ADAMS ALPTRAUM | 272
Tabelle 19:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstranges um Haasberger in ADAMS ALPTRAUM aus Sicht der Flashmobber*innen | 275
Tabelle 20:
Alle Situationsbeschreibungen (SB) in ADAMS ALPTRAUM (ausgenommen Verstöße gegen OS 6) | 276
Tabelle 21:
Situationsbeschreibungen (SB) des Handlungsstranges um SeitzEhrmann in ADAMS ALPTRAUM | 279
Tabelle 22:
Ordnungssätze in ABGRÜNDE | 306
Tabelle 23:
Ursprung und Gültigkeit der Ordnungssätze in ABGRÜNDE sowie Funktion der jeweiligen Figur | 312
Tabelle 25:
Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in ABGRÜNDE | 316
Tabelle 26:
Alle Situationsbeschreibungen (SB) in ABGRÜNDE | 321
Tabelle 27:
Ordnungssätze in EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE – Weltbild der Vorurteilsträger*innen | 357
Tabelle 28:
Ordnungssätze in EDATHY-AFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE – humanistisches Weltbild | 361
Tabelle 28:
Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in EDATHYAFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE – humanistisches Weltbild | 368
Tabelle 29:
Ordnungsverletzungen und -wiederherstellungen in EDATHYAFFÄRE: HASS AUF PÄDOPHILE – Weltbild der Vorurteilsträger*innen | 371
VERZEICHNIS DER DIAGRAMME Diagramm 1: Sprechanteile in AUF EWIG DEIN | 234 Diagramm 2: Sprechanteile in ADAMS ALPTRAUM | 290 Diagramm 3: Sprechanteile in ABGRÜNDE | 335
W EITERE V ERZEICHNISSE
| 435
VERZEICHNIS DER SCHAUBILDER Schaubild 1: Verhältnis von traditioneller Rassismusforschung und kritischer Weißseinsforschung | 84 Schaubild 2: Figurenkonstellation in AUF EWIG DEIN | 185 Schaubild 3: Figurenbewegungen und juristische Normen in AUF EWIG DEIN | 220 Schaubild 4: Figurenbewegungen und soziale Normen in AUF EWIG DEIN | 226 Schaubild 6: Figurenkonstellation in ADAMS ALPTRAUM | 260 Schaubild 7: Figurenbewegungen und juristische Normen in ADAMS ALPTRAUM | 277 Schaubild 8: Figurenbewegung und soziale Normen in ADAMS ALPTRAUM | 280 Schaubild 9: Figurenkonstellation in ABGRÜNDE | 305 Schaubild 10: Figurenbewegungen und soziale Normen in ABGRÜNDE | 324 Schaubild 11: Figurenbewegungen und juristische Normen in ABGRÜNDE | 326 Schaubild 12: Innen- und Außenraum in ABGRÜNDE | 329 Schaubild 13: Innen-/Außenraum-Modell EDATHY-AFFÄRE – Weltbild der Vorurteilsträger*innen | 373 Schaubild 14: Innen-/Außenraum-Modell EDATHY-AFFÄRE – humanistisches Weltbild | 374
ÜBERSICHT SEQUENZEN TATORT-FOLGE AUF EWIG DEIN Nr.
TC Tatort-Vorspann ab 00:00
1
00:32 - 01:37
2
01:38 - 02:00
3
02:01 - 02:09
4
02:10 - 02:48
5
02:49 - 03:12
6
03:13 - 03:35
436 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Nr.
TC
7
03:36 - 04:01
8
04:02 - 04:16
9
04:17 - 04:36
10
04:37 - 05:14
11
05:15 - 05:57
12
05:58 - 07:16
13
07:17 - 09:31
14
09:32 - 10:57
15
10:58 - 11:10
16
11:11 - 11:25
17
11:26 - 11:28
18
11:29 - 12:26
19
12:27 - 12:48
20
12:49 - 13:23
21
13:24 - 14:26
22
14:27 - 15:32
23
15:33 - 15:34
24
15:35 - 15:59
25
16:00 - 16:12
26
16:13 - 17:45
27
17:46 - 19:23
28
19:24 - 21:22
W EITERE V ERZEICHNISSE
Nr.
TC
29
21:23 - 21:29
30
21:30 - 22:18
31
22:19 - 23:28
32
23:29 - 26:05
33
26:06 - 26:27
34
26:28 - 27:44
35
27:45 - 28:05
36
28:06 - 28:19
37
28:20 - 28:20
38
28:21 - 29:04
39
29:05 - 31:32
40
31:33 - 31:37
41
31:38 - 35:14
42
35:15 - 35:18
43
35:19 - 37:38
44
37:39 - 38:36
45
38:37 - 39:35
46
39:36 - 39:55
47
39:56 - 42:56
48
42:57 - 43:22
49
43:23 - 43:30
50
43:31 - 44:24
| 437
438 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Nr.
TC
51
44:25 - 45:37
52
45:38 - 45:40
53
45:41 - 47:01
54
47:02 - 47:38
55
47:39 - 48:24
56
48:25 - 49:37
57
49:38 - 51:56
58
51:57 - 52:05
59
52:06 - 54:05
60
54:06 - 54:14
61
54:15 - 55:40
62
55:41 - 56:48
63
56:49 - 58:30
64
58:31 - 59:27
65
59:28 - 1:01:01
66
1:01:02 - 1:01:08
67
1:01:09 - 01:01:46
68
1:01:47 - 1:02:13
69
1:02:14 - 1:02:37
70
1:02:38 - 1:06:19
71
1:06:20 - 1:07:00
72
1:07:01 - 1:07:44
W EITERE V ERZEICHNISSE
Nr.
TC
73
1:07:45 - 1:08:52
74
1:08:53 - 1:10:35
75
1:10:36 - 1:11:09
76
1:11:10 - 1:13:13
77
1:13:14 - 1:13:18
78
1:13:19 - 1:13:24
79
1:13:25 - 1:13:49
80
1:13:50 - 1:14:07
81
1:14:08 - 1:14:20
82
1:14:21 - 1:15:07
83
1:15:08 - 1:15:11
84
1:15:12 - 1:16:15
85
1:16:16 - 1:17:34
86
1:17:35 - 1:20:43
87
1:20:44 - 1:20:56
88
1:20:57 - 1:21:33
89
1:21:34 - 1:21:40
90
1:21:41 - 1:21:51
91
1:21:52 - 1:22:04
92
1:22:05 - 1:23:15
93
1:23:16 - 1:23:58
94
1:23:59 - 1:24:22
| 439
440 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Nr.
TC
95
1:24:23 - 1:24:53
96
1:24:54 - 1:25:55
97
1:25:56 - 1:26:17
98
1:26:18 - 1:26:47
99
1:26:48 - 1:27:00 Tatort-Abspann bis 1:27:40
ÜBERSICHT SEQUENZEN TATORT-FOLGE ADAMS ALPTRAUM Nr.
TC Tatort-Vorspann ab 00:00
1
00:32 - 01:29
2
01:30 - 01:43
3
01:44 - 03:22
4
03:23 - 03:56
5
03:57 - 04:31
6
04:32 - 04:57
7
04:58 - 05:49
8
05:50 - 06:29
9
06:30 - 07:04
10
07:05 - 07:31
11
07:32 - 07:42
12
07:43 - 07:52
W EITERE V ERZEICHNISSE
Nr.
TC
13
07:53 - 09:00
14
09:01 - 09:32
15
09:33 - 09:41
16
09:42 - 10:34
17
10:35 - 10:54
18
10:55 - 11:11
19
11:12 - 11:16
20
11:17 - 11:42
21
11:43 - 14:02
22
14:03 - 14:31
23
14:32 - 15:28
24
15:29 - 16:23
25
16:24 - 16:27
26
16:28 - 18:16
27
18:17 - 18:51
28
18:52 - 19:14
29
19:15 - 19:46
30
19:47 - 20:07
31
20:08 - 20:12
32
20:13 - 21:34
33
21:35 - 22:49
34
22:50 - 25:03
| 441
442 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Nr.
TC
35
25:04 - 25:40
36
25:41 - 25:54
37
25:55 - 26:20
38
26:21 - 26:55
39
26:56 - 27:06
40
27:07 - 27:11
41
27:12 - 27:29
42
27:30 - 28:10
43
28:11 - 28:50
44
28:51 - 28:55
45
28:56 - 29:50
46
29:51 - 31:36
47
31:37 - 32:32
48
32:33 - 33:26
49
33:27 - 33:35
50
33:36 - 34:12
51
34:13 - 35:10
52
35:11 - 36:43
53
36:44 - 37:03
54
37:04 - 38:24
55
38:25 - 38:39
56
38:40 - 39:49
W EITERE V ERZEICHNISSE
Nr.
TC
57
39:50 - 40:05
58
40:06 - 40:17
59
40:18 - 40:46
60
40:47 - 41:50
61
41:51 - 43:49
62
43:50 - 44:16
63
44:17 - 44:21
64
44:22 - 45:50
65
45:51 - 46:10
66
46:11 - 47:22
67
47:23 - 48:58
68
48:59 - 49:31
69
49:32 - 49:37
70
49:38 - 50:34
71
50:35 - 50:45
72
50:46 - 51:02
73
51:03 - 53:01
74
53:02 - 53:29
75
53:30 - 53:37
76
53:38 - 54:31
77
54:32 - 55:08
78
55:09 - 56:22
| 443
444 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
Nr.
TC
79
56:23 - 57:32
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| 445
446 | M EDIEN UND NORMKONSTRUKTION
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| 447
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| 449
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