Organische Chemie 9783111680347, 9783111294148


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Inhaltsverzeichnis
Lehrbücher der organischen Chemie und literarische Hilfsmittel der organisch-chemischen Forschung
Allgemeines
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Organische Chemie
 9783111680347, 9783111294148

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SAMMLUNG G Ö S C H E N

ORGANISCHE

BAND

38/38a

CHEMIE

von Dr. W I L H E L M in

S e c h s t e ,

SCHLENK

jun.

Mannheim

erweiterte

Auflage

M i t 16 A b b i l d u n g e n

WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung. J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung. Georg Reimer. Karl J . T r ü b n e r . Veit & Comp. BERLIN

1954

Alle

Rechte, einschl. der Hechte der Herstellung von P h o t o k o p i e n und Mikrofilmen, von der V e r l a g s h a n d l u n g vorbehalten

Archiv-Nr. 110038 Druck: T h o r m a n n & Goetsch, Berlin SW 61

Inhaltsverzeichnis Seite Lehrbücher der organischen Chemie und literarische Hilfsmittel der organisch-chemischen Forschung

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Allgemeines „Organische Chemie" Natur der Bindungskräfte in organischen Molekülen Valenzwinkel; Tetraedermodell des Kohlenstoffatoms Bindungsabstände; Bindungsfestigkeit Freie Drehbarkeit um einfache C-C-Bindung Ringspannung Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung Konjugierte Systeme, Resonanz, Mesomerie Arten von Isomerie I. Metamerie; Tautomerie II. Cis-trans-Isomerie (Geometrische Isomerie, Diastereoisomerie) III. Spiegelbild-Isomerie (Raumisomerie, Storeoisomerie, Enantiostereoisomeric, optische Isomerie) Räumlicho Gestalt organischer Moleküle Anwendung von Isotopen in der organischen Chemie

7 7 10 10 11 13 14 15 17 17 18 19 21 23

Spezieller Teil Einteilung der speziellen organischen Chemie Aliphatische Verbindungen Paraffine Cycloparaffine Ungesättigte Kohlenwasserstoffe I. Alkylene (Olefine) II. Kohlenwasserstoffe mit zwei Doppelbindungen III. Kohlenwasserstoffe mit dreifacher Bindung Halogensubstitutionsprodukte der Paraffine Alkylhalogenido Polyhalogenverbindungen Alkohole Gesättigte einwertige Alkohole Ungesättigte einwertig© Alkohole Mehrwertige Alkohole Äther Thioalkohole u n d Thioäther

25 25 25 33 35 35 39 43 46 46 48 51 52 58 59 62 63

4

Inhaltsverzeichnis

Ester anorganischer Säuren Nitroparaffine Amine Phosphine Alkylarsen Verbindungen Metallorganische Verbindungen Aldehyde und Ketone Carbonsäuren Paraffinmonocarbonsäuren („Fettsäuren") Fette Säurechloride Säureanhydride Säureester Säureamide Nitrile Isonitrile Ungesättigte Monocarbonsäuren Halogenfettsäuren Oxyfettsäuren Formelmäßige Darstellung optischer Antipoden; absolute Konfiguration Waldensche Umkehrungen Ketonsäuren Mehrbasische Carbonsäuren Paraffindicarbonsäuren Zweibasische ungesättigte Säuren Zweibasischc Oxysäuren Kohlehydrate Monosaccharide Pentosen Hcxosen Disaccharide Höhere Polysaccharide Stärke Glykogen Cellulose Alkoholische Gärung Glykolyse Biologische Oxydation Chemische Vorgänge bei der Muskelkontraktion Assimilation der Kohlensäure Aminosäuren Eiweißstoffe Stickstoffassimilation, Eiweiß-Stoffwechsel Enzyme (Fermente) Cyanverbindungen Kohlensäurederivate Purinderivate (Harnsäurcgruppc)

Seit© 65 67 68 71 72 73 75 84 84 87 90 91 92 94 96 97 97 99 101 103 107 108 111 III 114 115 118 119 127 128 130 132 133 134 134 137 140 142 143 144 145 149 152 154 158 161 167

Aromatische Verbindungen D i e Konstitution des Benzols Nomenklatur der Benzolderivate Merkmale der aromatischen Verbindungen

170 173 174

Inhaltsverzeichnis

5

Seite Substitutionsregeln 176 Aromatische Kohlenwasserstoffe 17 7 Halogensubstitutionsprodukte 178 Sulfonsäuren 180 Einwertige Phenole. Arylalkoholc 181 Zweiwertige Phenole 184 Dreiwertige Phenole 186 Aromatische Aldehyde 187 Aromatische Ketone 189 Aromatische Carbonsäuren 190 Aromatische Nitroverbindungen 196 Reduktion des Nitrobenzols 197 Aromatische Amine 200 Chemotherapeutica und Antibiotica 203 Diazoverbindungen 205 Umsetzungen der Diazoniumsalze 208 Diphenylderivate 210 Triphenylmethanderivate 211 F a r b e u n d chemische Konstitution organischer Verbindungen; Vorgänge beim Färben 216 Freie Radikale Hydroaromatische Verbindungen Kondensierte aromatische Ringsysteme Heterocyclische Verbindungen Kondensierte heterocyclische Verbindungen Alkaloide Vitamine und Hormone Register

218 220 226 231 237 243 246 255

Literaturverzeichnis

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Lehrbücher der organischen Chemie und literarische Hilfsmittel der organisch-chemischen Forschung L e h r b ü c h e r : A.

F.

H o l l e m a n , Lehrbuch der organischen Chemie, 30. Aufl., Berlin 1953. P. K a r r e r , Lehrbuch der organischen Chemie, 12. Aufl., Leipzig 1954. H. G i l m a n u. a., Organic Chemistry. An Advanced Treatise. 4 Bde. 2. Aufl. New York 1943/53. E . H. R o d d u. R. R o b i n s o n , Chemistry of Carbon Compounds. 5 Bde. Amsterdam, Brüssel, New York, Houston 1952 ff. K. H. M e y e r u. H. M a r k , Makromolekulare Chemie. 2. Aufl. Leipzig 1950. W . H ü c k e 1 , Theoretische Grundlagen der organischen Chemie. 5. Auflage, Leipzig 1944. 2 Bände. P. W a i d e n , Gcschichte der organischen C h e m i e seit 1880. Berlin 1941. H a n d b ü c h e r : F r i e d r i c h B e i l s t e i n , Handbuch der organischen Chemie. H o u b e n - W e y l , D i e Methoden der organischen Chemie. Stuttgart 1952 ff. R. A d a m s , Organic Reactions, I—VI, New York 1942—51. K. W i . n n a c k e r u. E . W e i n g ä r t n e r , Olganische Technologie. München 1952. R. H o u w i ,n k , Grundriß der Technologie der synthetischen Hochpolymeren. Leipzig 1952. H. R ö m p p , Chemic-Lexikcn. 2 Bde. 3. Aufl. Stuttgart 1952. M o n o g r a p h i e n über Teilgebiete sind im T e x t an den betreffenden Stellen in Fußnoten angeführt. R e f e r a t e über neu v e r ö f f e n t l i c h t e A r b e i t e n : „Chemisches Zentralblatt"; es berichtet in wöchentlich erscheinenden Heften vollständig über a l l e Untersuchungen auf sämtlichen Gebieten der reinen und angewandten C h e m i e . Einige der wichtigsten Z e i t s c h r i f t e n , die Originalberiohte über die E r g e b n i s s e organischchemischer Untersuchungen b r i n g e n : Justus Liebigs Annalen der Chemie. Chemische Berichte. Annales de chimie. (Frankreich.) Bulletin de la société chimique de France. (Frankreich.) Journal of the chemical society. (England.) Journal of the american chemical society. (Amerika.) Journal of organic chemistry. (Amerika.) Gazzetta chimica italiana. (Italien.) Recueil des travaux chimiques des Pays-Bas. Helvetica chimica acta. (Schweiz.)

(Holland.)

Allgemeines „Organische Chemie" Die organische Chemie ist die Chemie der Kohlenstoffverbindungen. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts meinte man, daß Kohlenstoffverbindungen nur in Organismen entstünden und nannte diese Stoffe daher kurzweg „organische Verbindungen". Die Gleichsetzung Kohlenstoffverbindung — organismisches Produkt war irrig, der Name aber ist geblieben. Die heutige Chemie zieht keine Grenzen zwischen solchen Kohlenstoffverbindungen, die, wie z. B. Eiweißstoffe, bisher nur auf biologischem Weg entstehen, solchen, die sowohl in der Natur wie im Laboratorium synthetisiert werden, und solchen schließlich, die — z. B. wegen Wasserempfindlichkeit — nur künstlich dargestellt werden können und unter biologischen Bedingungen nicht existenzfähig sind. Natui der Bindungskräfte in organischen Molekülen Die vornehmlich bei anorganischen Verbindungen anzutreffende heteropolare oder ionogene Bindung beruht bekanntlich auf gegenseitiger elektrostatischer Anziehung der Liganden. Sie kommt dadurch zustande, daß der eine Ligand ein oder mehrere Elektronen an den andern abgibt und dadurch sich selber ein- oder mehrfach positiv, den Partner ein- oder mehrfach negativ auflädt. Charakteristisch für die ionogene Bindung ist in erster Linie, daß sie verhältnismäßig leicht, z. B. schon bei der Auflösung der Verbindungen in Wasser, zerreißt und dabei, wie schon der Name andeutet, Ionen entstehen läßt. Außerdem ist für die Ionenbindung kennzeichnend, daß sie der räumlichen gegenseitigen Lagerung

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Allgemeines

der Liganden im einzelnen Molekül (nicht im Kristall!) Spiel gewährt. Die Bindekraft ist u n g e r i c h t e t . Zu ionogener Bindung befähigt sind in erster Linie Metalle und Halogene. In der organischen Chemie spielt ein andersartiger Bindungstyp die weitaus wichtigste Rolle: die „covalente" oder „homöopolare" Bindung, auch „Atombindung" genannt. Covalente Bindungen, beispielsweise im Molekül des Äthylalkohols H H I I H—C—C—O—H I I H H die Bindungen zwischen C und C; C und H; C und O; O und H, kommen dadurch zustande, daß je zwei Nachbaratome zur Bindung zwischen einander je ein Elektron beisteuern. Die nun „gepaarten" zwei Elektronen sind b e i d e n Nachbaratomen zugeordnet. Sie nehmen dabei weder streng definierbare Plätze ein, noch etwa durchlaufen sie konstante Bahnen, vielmehr bilden sie eine Art „Ladungswolke", deren örtliche Dichte sich von Augenblick zu Augenblick verändert, und die nur ihrer räumlichen Gesamtausdehnung nach angegeben werden kann. Die Ladungswolke verteilt sich bei der einfachen Bindung zentrosymmetrisch um die Bindungsrichtung. Man kann sie sich, grob veranschaulicht, als eine Art aufgeblähten Schlauch, von Atom zu Atom reichend, vorstellen, dessen Längsachse die Verbindungslinie zwischen den Atomen ist. Die covalente Einfachbindung wird üblicherweise, wie in dem obigen Formelbild, durch einen Strich symbolisiert. Wo kein Mißverständnis möglich ist, werden die Striche häufig weggelassen und die Atomsymbole unverbunden nebeneinander geschrieben, die obige Formel z. B. B . Eistert, Chemismus und Konstitution. Stuttgart 1948. M. I. S. Dewar, T h e Electronic Theory of Organic Chemistry. 1949. C. A. Coulson, Valence. Oxford 1952.

Oxford

Bindungskräfte in organ. Molekülen

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läßt man zu CH 3 CH 2 OH oder, noch einfacher, zu C 2 H 5 OH zusammenschrumpfen. Man bezeichnet die covalente Einfachbindung als a-Bindung, die an ihr beteiligten Elektronen als a-Elektronen. Wie hier als bekannt vorausgesetzt werden muß, verfügt Wasserstoff über 1 Valenzelektron, kann sich also für 1 covalente Bindung zur Verfügung stellen; Sauerstoff hat 2, Kohlenstoff 4 Valenzelektronen, demgemäß kann Sauerstoff zwei, Kohlenstoff vier covalente Bindungen eingehen. Die Erfahrung lehrt, daß das Kohlenstoffatom nicht nur vier covalente Bindungen eingehen k a n n , sondern daß in fast allen stabilen organischen Verbindungen nur Kohlenstoffatome anzutreffen sind, die die volle Zahl der Valenzelektronen betätigen: Kohlenstoff ist „vierwertig". Verbindungen, die Kohlenstoffatome enthalten, welche „ungepaarte" Elektronen tragen, sind äußerst selten (z. B. Kohlenoxyd C = O mit zwei ungepaarten Elektronen, Triphenylmethyl mit einem ungepaarten Elektron). Auch bei den homöopolaren Molekülen der organischen Chemie erweist sich die von der anorganischen Chemie her geläufige „Oktettregel" als erfüllt, wie sich z. B. anhand der obigen Formel des Äthylalkohols leicht nachrechnen läßt. Jedes Kohlenstoffatom „empfängt" von seinen vier Liganden je 1 Elektron; diese vier Elektronen sind zu den eigenen vier hinzuzurechnen, so daß sich das Atom im Molekül also von insgesamt acht Elektronen umgeben findet, wodurch „Edelgaskonfiguration" erreicht ist. Dem Sauerstoffatom mit seinen sechs Außenelektronen fehlen zur Ergänzung zwei Elektronen: eines davon wird durch die Bindung des Kohlenstoffatoms, das zweite durch die des Wasserstoffatoms gewonnen. Die Wasserstoffatome ihrerseits empfangen aus der kovalenten Bindung je ein Elektron und erlangen damit ebenfalls Edelgaskonfiguration ihrer Elektronenhülle. Die Kohlenstoffatome besitzen die Fähigkeit, sich mit ihresgleichen zu Ketten oder Ringen zu verknüpfen, deren Mannigfaltigkeit und Gliederzahl anscheinend keine Grenze hat. Diese Eigenschaft findet sich nur noch in sehr

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Allgemeines

unvollkommener Weise bei einigen andern Elementen, am deutlichsten beim Silicium, dem Element, das im periodischen System dem Kohlenstoff am nächsten zugeordnet ist. Mit der Gliederzahl 6 ist aber beim Silizium die Grenze der Verkettungsmöglichkeit erreicht1) und schon bei drei Gliedern sind die Siliciumketten im Vergleich zu denen des Kohlenstoffatoms äußerst brüchig. Valenzwinkel; Tetraedermodell des Kohlenstoffatoms Homöopolare Bindungen sind räumlich gerichtet. Beim Kohlenstoff verteilen sich die vier Valenzen in der größtmöglichen Symmetrie über den Raum, das heißt, sie schließen untereinander paarweise Winkel von je 109°28' ein wie die Verbindungslinien vom Mittelpunkt zu den Ecken eines regulären Tetraeders. Dieses „Tetraedermodell" gilt nur hinsichtlich der R i c h t u n g der Bindekräfte vom Kohlenstoffatom zu seinen vier Liganden; es darf nicht so interpretiert werden, daß etwa die vier Liganden genau die Ecken eines regulären Tetraeders einnehmen. Dies trifft nur ausnahmsweise zu, nämlich dann, wenn die Liganden alle den gleichen Abstand vom Kohlenstoffatom aufweisen. Zahlenwerte für Bindungsabstände s. S. 11. Die Valenzrichtungen des covalent gebundenen S a u e r s t o f f a t o m s schließen einen Winkel ein, der je nach der Art der beiden Liganden etwa 105 bis 112° beträgt. Das covalent gebundene S t i c k s t o f f atom ist zu denken als Spitze einer stumpfen Pyramide, deren drei Kanten, richtungsmäßig die Valenzen des Stickstoffs verkörpernd, miteinander Winkel von etwa 112° einschließen. Bindungsabstände, Bindungsfestigkeiten Röntgenographischen Messungen dankt man genaue Kenntnisse über die gegenseitigen Abstände der Atome in organischen Molekülen. Die Atomabstände hängen im außer wenn abwechselnd Sauerstoffatome in die Kette eingebaut werden.

Freie Drehbarkeit um einfache C—C-Bindung

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allgemeinen nur wenig von den sonstigen Substituenten im Molekül ab (Ausnahmen s. S.16), so daß sich Standardwerte angeben lassen. Bindungsabstände C—C 1,54 Ä C = C 1,33 Ä C = C 1,21 Ä C—H 1,09 C—O 1,43 C = 0 1,21 C—N 1,47 C = N 1,27 C = N 1,15 C—C1 1,77 Die Festigkeit der Bindung zwischen zwei Atomen wird zahlenmäßig durch den Energiebetrag (in Cal/Mol) ausgedrückt, der aufgewendet werden muß, um das Molekül an der betreffenden Stelle in zwei Stücke zu zerreißen. Eine Reihe von Näherungswerten gibt die folgende Tabelle wieder. Bindungsenergien C—H 87 Cal/Mol C—OH 70 Cal/Mol C—C 59 C—NH2 49 C = C 100 C—C1 67 C = C 123 Die Bindungsfestigkeit wird durch gewisse Substituenten an den betreffenden Atomen merklich beeinflußt (Extremfall s. S. 219). Freie Drehbarkeit um einfache C—C-Bindung Stellt man unter Berücksichtigung der relativen Atomabstände und der tetraedrischen Anordnung der vier Kohlenstoffvalenzen ein Modell der Verbindung Ä t h a n , H S C—CH 3 , her (Abb. 1; die ^^ großen Kugeln bezeichnen die Mittelpunkte I der beiden C-Atome, die kleinen die der HAtome), so zeigt sich, daß die genannten Faktoren die Raumfigur des Moleküls nicht eindeutig bestimmen. Willkürlich ist nämlich ^ Abb'1 in der Zeichnung, daß sich die Wasserstoffatome der einen Molekülhälfte gerade über denen der anderen Molekülhälfte befinden. Die Bedingung fixer

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Allgemeines

Atomabstände und tetraedrischer Anordnung würde auch dann erfüllt sein, wenn am Modell die Molekülhälften — mit der Bindungsrichtung der C—C-Bindung als Achse —• um einen beliebigen Winkel gegeneinander gedreht wären. Nun gibt es aber nur eine einzige Verbindung H3C—• CH 3 und trotz eines außerordentlich großen Beobachtungsmaterials hat man auch bei substituierten Äthanen vom Typus XH 2 C—CH 2 X und X 2 HC—CHX 2 und X 3 C—CX 3 niemals die Existenz von Isomeren beobachtet. Hieraus muß folgender Schluß gezogen werden: Bei der einfachen C—C-Bindung sind die beiden Kohlenstoffatome nicht vollkommen starr miteinander verknüpft, sondern sie haben die Fähigkeit, durch spontane Drehung der Molekülhälften um ihre Bindungsachse diejenige Stellung einzunehmen, in welcher sich die Liganden des einen CAtoms zu denen des anderen in einer begünstigten Lage befinden. („Freie Drehbarkeit".) W e l c h e räumliche Anordnung im einzelnen Fall meistbegünstigt ist, hängt in erster Linie von der Raumbeanspruchung und von der Polarität der Liganden ab. Beim unsubstituierten Äthan selbst sind die Wärmeschwingungen des Moleküls von der gleichen Größenordnung wie die Energie der Drehung, so daß hier keine bestimmte Stellung als beständig eingehalten anzunehmen ist. Bei Molekülen der Konstitution XH 2 C—CH 2 Y kann man sich vorstellen, daß die Substituenten X und Y weitestmöglich voneinander abgewendet sind, wenn jeder von ihnen relativ großen Raum beansprucht. Solche abgewendete Stellung ist ferner z. B. bei der Verbindung C1H 2 C—CH 2 C1 wahrscheinlich, weil die negativ polaren Chloratome wohl eine gewisse abstoßende Wirkung aufeinander ausüben. Freie Drehbarkeit liegt außer für die C—C-Bindung auch für die einfache Bindung zwischen Kohlenstoff und der Aminogruppe (—NH 2 ; NR'R) sowie der Hydroxylgruppe (—OH; —OR) vor. Der Beweis für die freie Drehbarkeit liegt hier, wie bei der Kohlenstoff-Kohlenstoff-

Ringspannung

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Bindung, in der Nichtexistenz von Cis-trans-Isomeren (s. S. 18), die beim Fehlen der Drehbarkeit zu erwarten wären. Das durch tausendfältige experimentelle Erfahrung erhärtete Axiom der freien Drehbarkeit covalenter Einfachbindungen steht auch mit der wellenmechanischen Deutung dieser Bindungsart, der Annahme einer zentrosymmetrisch um die Bindungsrichtung verteilten Ladungswolke, in Einklang. Ringspannung Sind zwei, drei, vier oder mehrere Kohlenstoffatome kettenartig aneinandergeknüpft, so ergibt sich für die Gestalt der Kette aus der Tetraedervorstellung nur, daß der Winkel zwischen je zwei benachbarten Kohlenstoffbindungen konstant (109°28') ist. Im übrigen kann auf Grund der freien Drehbarkeit die Kette um jede der vorhandenen Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen als Achse in sich verschwenkt werden und daher, je länger sie ist, desto mannigfaltigere Gestalt annehmen. Ein ringförmiger Zusammenschluß ist ohne wesentliche „Deformation" der Valenzrichtungen bei Ketten von fünf oder sechs Kohlenstoffatomen möglich.

Abb. 2—3

Ringmodelle von mehr als sechs Gliedern sind gleichfalls „spannungsfrei", wenn man die Kohlenstoffatome nicht in eine Ebene zwingt, sondern sie räumlich, wie es das Prinzip der freien Drehbarkeit gestattet, „ausweichen" läßt. Dagegen herrscht in drei- und viergliedrigen Kohlenstoffringverbindungen beträchtliche Spannung, da bei dieser Anordnung der Atome der natürliche Valenzwinkel von 109°28' erheblich unterschritten ist. In bester

Allgemeines

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Übereinstimmung mit diesen theoretischen Forderungen aus dem Tetraedermodell und der Theorie der freien Drehbarkeit steht, daß fünf-, sechs- und höhergliedrige Ringsysteme, beurteilt nach der Verbrennungswärme, wesentlich höhere Bindungsfestigkeiten (größere Stabilität, geringere Spannung) aufweisen als drei- und viergliedrige. Der gleiche Sachverhalt kommt in der allgemeinen chemischen Erfahrung zum Ausdruck, daß sich fünf- und sechsgliedrige Ringe besonders leicht bilden und chemischen Einflüssen gegenüber wesentlich stabiler sind als dreiund viergliedrige. Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung Doppelbindung zwischen Kohlenstoffatomen pflegt man formelmäßig durch zwei Bindungsstriche wiederzugeben. \ c - c / H H / C " C \ H Äthylen H

Wie die Erfahrung lehrt, bedeutet jedoch in der Kohlenstoffchemie „doppelt gebunden" keineswegs „doppelt fest gebunden"; man weiß seit langem, daß die zwei Bindungsstriche nicht als additiver Ausdrudc für zwei Einfachbindungen aufzufassen sind. Die Annahme eines besondersartigen Bindungszustandes im Äthylen und in seinen Derivaten konnte durch die wellenmechanische Deutung der Valenz substanziert werden. Einer der beiden Bindungsstriche stellt in hoher Annäherung eine gewöhnliche 0-Bindung (s. S. 9) vor; der zweite Bindungsstrich symbolisiert eine andersartige, wesentlich lockrere Bindung, eine sogenannte ;t-Bindung. Auch diese zweite Bindung wird durch ein Elektronenpaar besorgt, von dem das eine Elektron vom einen, das andere vom anderen Nachbaratom herstammt. Die Ladungswolke dieser beiden jt-Elektronen ist jedoch nicht, wie die a- Wolke, zentrosymmetrisch um die Bindungsrichtung verteilt. Die maximale Ladungsdichte einer jt-Elektronenwölke liegt vielmehr in einer

Konjugation, Resonanz, Mesomerie

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Ebene. Hiervon ist eine Folge die Aufhebung der „freien Drehbarkeit" zwischen doppelt gebundenen Kohlenstoffatomen (s. Cis-trans-Isomerie, S. 18). Daß die Doppelbindung nicht besonders fest sein kann, sondern hinsichtlich angreifender Reagenzien geradezu locus minoris resistentiae im Molekül ist, hat lange vor der wellenmechanischen Deutung eine einfache, auf die räumlichen Verhältnisse gerichtete Betrachtung plausibel gemacht. Geht man nämlich vom Tetraedermodell aus, so ist man « im Fall des Äthylens zur Annahme einer sehr ; starken Deformation der Valenzrichtungen : gezwungen. Die Abb. 4 deutet an, wie weit bei zwei Kohlenstoffatomen, die bereits durch Abb. 4 e i n e einfache Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung verknüpft sind, die anderen Valenzenpaare auseinanderklaffen, und läßt erkennen, welch großer Deformation es zur Knüpfung der zweiten Bindung bedarf. Die Doppelbindung erscheint also schon nach dieser rein modellmäßigen Betrachtung als eine Stelle besonderer „Spannung" im Molekül.

X

In chemischer Hinsicht ist charakteristisch für die Doppelbindung, daß sie unter Aufnahme („Addition") zweier einwertiger Atome oder Atomgruppen in eine einfache Bindung übergehen kann. Konjugierte Systeme, Resonanz, Mesomerie Erhebliche Abweichungen von den Normwerten der Bindungsabstände und Bindungsfestigkeiten (S. 11) trifft man bei solchen Molekülen, die zwei (oder mehrere) Doppelbindungen enthalten, die miteinander „konjugiert" sind, das heißt, durch jeweils eine Einfachbindung voneinander getrennt sind. Das einfachste Beispiel hierfür ist das Butadien, das ein Paar konjugierter Doppelbindungen enthält; ein weiteres, besonders wichtiges Beispiel ist das Benzol mit einer cyclisch geschlossenen Gruppe von drei Doppelbindungen.

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Allgemeines H 2 C = CH—CH = CH 2

H

Butadien Benzol

In Systemen solcher Art treten die an den Doppelbindungen beteiligten K-Elektronen in eine besondere Wechselwirkung miteinannder, die „Resonanz" genannt wird. Man stellt sich vor, daß die ^-Elektronen dabei eine gemeinsame Ladungswolke bilden, die das gesamte konjugierte System umfängt. Zwei charakteristische Erscheinungen sind hierbei zu konstatieren: die Atomabstände der von den Doppelbindungen eingeschlossenen Einfachbindungen sind gegenüber dem Standardwert (s. S. 11) verringert, das Molekül ist also kontrahiert; und die Bindungen werden fester als sie in vergleichbaren unkonjugierten Molekülen sind, so daß im gesamten der Inhalt an Bindungsenergie höher ist, als sich additiv aus den Standardwerten (s. S. 11) errechnet. Diese Energiedifferenz, ein Gewinn an Bindungsenergie, wird als „Konjugationsenergie" oder „Resonanzenergie" bezeichnet. Moleküle dieser Art, in denen Elektronen vorkommen, deren Bereich nicht in Einzelbindungen lokalisiert ist, sondern sich über mehrere Atome hinweg erstreckt, nennt man „mesomere Systeme". In offenen konjugierten Systemen, wie z. B. den Derivaten R—CH = CH—CH = CH—R des Butadiens, ist die Mesomerie, d. h. die Verwischung des individuellen Charakters der Doppelbindungen und der von ihnen eingeschlossenen Einfachbindung nicht so stark ausgeprägt, daß der Unterschied zwischen diesen Bindungen völlig verloren wäre. Das beweist die erhalten gebliebene freie Drehbarkeit der mittleren Bindung einerseits und die Existenz von Cis-trans-Isomerie (s. S. 18) an den Doppelbindungen andererseits. Im cyclisch konjugierten System des Benzols dagegen ist die „Mesomerie" so vollständig, daß die benachbarten „Doppelbindungen" und „Einfachbindungen" des Systems einander vollkommen

Arten von Isomerie

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angeglichen und nicht mehr unterscheidbar sind (s. S. 172). Arten von Isomerie „Isomer" nennt man allgemein Produkte, die trotz gleicher Bruttoformel miteinander nicht identisch sind. Grund dieser Erscheinung ist, daß die Atome im Molekül räumlich verschieden angeordnet sind. Nach der Art der Verschiedenheit der räumlichen Anordnung kann man unterscheiden: „Metamerie", „Cis-trans-Isomerie", „Spiegelbild-Isomerie". I. M e t a m e r i e ;

Tautomerie

Das Wesen der Metamerie beruht darauf, daß die Atome in verschiedener Reihenfolge miteinander verknüpft sein können. Metamer sind z. B. die folgenden Verbindungen: 3 \CH—CH 2 —CH 3 CH 3 —CH 2 —CII 2 —CH 2 —CH 3 U. CH3/

und

CH 3 X /CH3 >C< CH/ \CH3

;

ferner

H H H H H H I I I I I I H—C—C—C—H und H—C—C—C—OH; I I 1 I I I H OH H H H H

ferner

H H I I H—C—C—OH I I H H

und

H H I I H—C—O—C—H. I I H H

Literatur s. S. 8. K. Froudcnbcrg, Stereochemie. Leipzig und Wien 193.3. — E . Wedekind, Stereochemie. Diese Sammlung, Bd. 201. — P. Niggli, Grundlagen der Stereochemie. Basel 1947. 2 S c h l e n k , Organische Chemie

Allgemeines

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Metamere Stoffe k ö n n e n miteinander verwandt sein, müssen es aber nicht; in vielen Fällen, z. B. im dritten der angeführten Beispiele, sind Stoffe miteinander metamer, die verschiedenen Körperklassen angehören. Der besondere Fall, daß sich zwei metamere Verbindungen durch Wandern eines Wasserstoffatoms reversibel ineinander umlagern können, wird als „ T a u t o m e r i e" oder „Desmotropie" bezeichnet; z. B.: H3C—C—CH2—COOC2H5 ^ H 3 C—C=CH—COOC 2 H 5 II OH O Keto-Enol-Tautomerie II.

Cis-trans-Isomerie

Die Verknüpfung zweier Kohlenstoffatome durch eine einfache Bindung gestattet, wie auf Seite 11 ausgeführt ist, freie Drehung. Sind zwei Kohlenstoffatome dagegen durch eine Doppelbindung, also durch zwei einander nicht deckende Bindungen, eine a-Bindung und eine 7tBindung (s. S. 14), miteinander verbunden, so ist damit eine zweidimensionale Bindung, eine „Bindungsebene", geschaffen und die Möglichkeit der freien Drehung aufgehoben. Das führt zu der Folgerung, daß bei den Verbindungen vom Typ XYC = CXY; XYC = CXZ; XYC = CZU je zwei Isomere existieren müssen.

(Die Kohlenstoffatome mit ihren Ligandenpaaren sind in der Ebene des Papiers liegend zu denken, die durch Doppelstrich angedeutete Doppelbindungsebene steht senkrecht zur Papierebene.)

Arten von Isomerie

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Eine sehr beträchtliche Anzahl experimentell aufgefundener Isamerenpaare der bezeichneten drei Typen bestätigt die Richtigkeit der entwickelten Vorstellung. Isomerie dieser Art wird als „Cis-trans-Isomerie" 1 ) bezeichnet. Cis (diesseits) und trans (jenseits) bezieht sich auf die durch die Doppelbindung festgelegte fiktive Bindungsebene. „Cis-form" nennt man diejenige, bei der auf der gleichen Seite der Ebene gleichartige oder wenigstens chemisch verwandte Atome bzw. Atomgruppen liegen; die Transform entspricht der entgegengesetzten Gruppierung. III.

Spiegelbild-Isomerie

Die Vorstellung der tetraedrischen Anordnung der vier Liganden des Kohlenstoffatoms führt zu der Konsequenz, daß es von Verbindungen, in denen ein Kohlenstoffatom mit vier untereinander verschiedenen Liganden verknüpft ist,

allgemein zwei Isomere geben muß. Die Abb. 5 läßt erkennen, daß sich die beiden Konfigurationen zueinander verhalten wie Bild und Spiegelbild, ohne miteinander zur Deckung gebracht werden zu können. Isomerie dieser Art wird als Spiegelbildisomerie oder als „optische Isomerie" (siehe unten) bezeichnet. E s hat sich gezeigt, daß die experimentell aufgefundenen Isomerenpaare dieser Art in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften nicht voneinander verschieden sind. Nur in bezug auf e i n e physikalische Eigen1) auch „Geometrische Isomerie" 2"

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Allgemeines

schaft unterscheiden sie sich scharf voneinander. Sie drehen die Schwingungsebene polarisierten Lichtes, das durch sie hindurchgeht, aus ihrer Lage, und zwar dreht das eine Isomere die Polarisationsebene nach links, das andere um den gleichen Betrag nach rechts, d. h. im Sinne des Uhrzeigers (Blick des Betrachters dem Licht entgegen gerichtet). Wegen dieser optischen Erscheinung wird Spiegelbild-Isomerie auch als „optische Isomerie" bezeichnet. Die beiden Isomeren werden „Antipoden" genannt und als „Rechtsform" und „Linksform" unterschieden. Ein äquimolekulares Gemisch von Rechts- und Linksform übt auf polarisiertes Licht keinen Einfluß aus, ist „optisch inaktiv"; es führt die Bezeichnung „Racemisches Gemisch" (von Acidum racemicum, Traubensäure, S. 116). Die Figuren der Abb. 5 lassen erkennen, daß das Molekül Cabcd keine Symmetrieebene besitzt, also unsymmetrisch ist. Das zentrale Kohlenstoffatom derartiger Verbindungen wird als „asymmetrisch" bezeichnet. Die Isomerie von Verbindungen mit einem vier verschiedene Atome oder Atomgruppen tragenden Kohlenstoffatom ist nur ein — wenn auch bei weitem der häufigste — Sonderfall der allgemeinen Erscheinung, daß u n s y m m e t r i s c h gebaute Moleküle stets in zwei nicht identischen spiegelbildlichen optisch aktiven Formen existieren können. Beispiele unsymmetrisch gebauter, optisch aktiver Moleküle, die k e i n „asymmetrisches Kohlenstoffatom" aufweisen, s. S. 211 u. S. 230.

Räumliche Gestalt organ. Moleküle

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In der Natur sind optisch aktive Verbindungen sehr häufig in der Rechtsform oder in der Linksform anzutreffen. Dagegen führt die Laboratoriumssynthese, die von optisch inaktiven Verbindungen ausgeht, stets zu racemischen Gemischen. Wird z. B. in einer Verbindung Caabc einer der Liganden a durch einen Substituenten ersetzt, so ist die Wahrscheinlichkeit der Substitution an beiden Stellen a gleich groß, so daß die beiden optischen Antipoden in gleicher Menge entstehen (Abb. 6). A

Abb. 6

Räumliche Gestalt organischer Moleküle Die Kenntnis von Bindungsabständen (S. 11) und Valenzwinkeln (S. 10) ermöglicht, Molekülmodelle zu konstruieren, die über die räumliche Lage der Mittelpunkte miteinander verknüpfter Atome orientieren. Ein Bild von der „wahren Gestalt", d. h. von der Raumerfüllung des Moleküls, ergibt sich jedoch erst bei gleichzeitiger Berücksichtigung der „Wirkungssphären" der miteinander verbundenen Atome. Man stellt sich die Wirkungssphäre als Kugelraum um den Atommittelpunkt vor. Der Wirkungsradius ist je nach der Atomart verschieden. Man nimmt an, daß der Wert einigermaßen davon unabhängig ist, mit welchen Substituenten das Atom verknüpft ist.

22

Allgemeines

Wirkungsradien einiger Atome in organischen Molekülen: C 1,3 Ä N 1,4 Ä H 0,95 S 1,55 O 1,23 C1 1,55 Stellt man nun das räumliche Bild eines Moleküls her, indem man um die entfernungs- und richtungsgetreu miteinander verknüpften Atommittelpunkte Kugeln mit den betreffenden Wirkungsradien konstruiert, so erhält man ein System von einander teilweise durchdringenden Kugeln resp. aneinander gereihten Kugelkalotten. Zwei Kalottenmodelle dieser Art zeigen Abb. 7 und 8.

Abb. 7

Abb. 8

Die beiden Verbindungen C 8 H 18 , n-Octan und Iso-octan (2,2,4-Trimethylpentan) sind miteinander metamer und in chemischer Hinsicht eng verwandt. Man sieht, wie stark sie sich jedoch hinsichtlich der räumlichen Gestalt

Anwendung von Isotopen

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ihrer Moleküle voneinander unterscheiden. In der Abbildung sind die Moleküle in idealer Streckung wiedergegeben. Diese Form größter Regelmäßigkeit ist nur im kristallisierten Zustand verwirklicht; im flüssigen und gasförmigen Aggregatzustand können sich die Moleküle im Verlauf der Wärmeschwingungen mannigfaltig verbiegen und verknäueln. Auch die möglichen Formänderungen dieser Gestalt kann man mit den üblichen Kalottenmodellen nachmachen und studieren. Kenntnis und Berücksichtigung des in derartigen Kalottenmodellen sinnfällig ausgedrückten Raumbedarfs der einzelnen Gruppen, zum Beispiel der Methyl-, Phenyl-, Carboxyl- oder Nitrogruppe, ist unter anderem besonders wichtig bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit zwei oder mehrere Gruppen in einem Molekül sich gegenseitig räumlich stören oder die Annäherung eines Reagenten behindern können. Auf „sterische Behinderung" dieser Art führt man z. B. die Tatsache zurück, daß sich tertiäre Alkohole schwerer verestern lassen als sekundäre, und diese schwerer als primäre: im primären Alkohol ist der die Hydroxylgruppe umgebende freie Raum für die Annäherung des Säuremoleküls am größten, im tertiären Alkohol am geringsten. Ein anderes Beispiel für sterische Hinderung bildet das Auftreten optischer Isomerer bei der Dinitrodiphensäure (S. 211) sowie bei gewissen Phenanthrenderivaten (S. 230). Besonders augenfällig wirkt sich der Raumbedarf von Molekülen schließlich bei der Bildung von „Einschlußverbindungen" (s. S. 165) aus. Anwendung von Isotopen in der organischen Chemie In den letzten anderthalb Jahrzehnten ist eine Untersuchungsmethode von fundamentaler Bedeutung zur Wirklichkeit geworden, die während der klassischen Ära G. Briegleb, Wirkungssphären von Atomen in Molekülen (Atomkalotten u. Molekülmodelle) Fortschr. d. ehem. Forschg., 1, 642 (1950).

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Allgemeines

der organischen Chemie ein unerfüllbarer Wunschtraum war: die Möglichkeit, einzelne Atome, im chemischen Verhalten von den übrigen ihresgleichen nicht verschieden, zu „markieren" und ihren Verbleib bei Reaktionsabläufen zu verfolgen. Die Methode besteht darin, Isotope anstatt der „natürlichen" Elemente (bzw. anstatt der Elemente in ihrer gewöhnlichen Isotopenzusammensetzung) in organische Moleküle einzubauen oder sie, in Form geeigneter Verbindungen, für einen zu studierenden Reaktionsablauf zur Verfügung zu stellen und alsdann, nach Ablauf der Reaktion, in den erhaltenen Produkten oder in Bruchstücken derselben nach ihrem Verbleib zu fahnden. Zur Zeit kommt für die organische Chemie vor allem die Verwendung von Deuterium (D), 14C, l s O, 15N, 33 P in Betracht. Es ist nicht notwendig, die Isotopen an der betreffenden Stelle in 100%iger Reinheit einzusetzen, es genügt, sie in einem beliebigen, jeweils bekannten, von der natürlichen Norm abweichenden Prozentsatz zu verwenden. In der Regel begnügt man sich mit einem Sondergehalt von etwa 5—20% an dem jeweiligen Isotop. Soweit es sich um radioaktive Elemente handelt, wird die schließliche Suche und quantitative Bestimmung mit dem Geiger-Müller-Zählrohr durchgeführt; soweit die angewandten Isotopen radio-inaktiv sind, werden sie mit dem Massenspektrographen festgestellt. Beispiele für spezielle Anwendungen der Isotopenmethode sind auf Seite 93, 144, 145, 153 aufgeführt. Hier mag noch ein vielseitig anwendbares Analysenverfahren allgemeiner Art, die „Isotopenverdünnungsmethode" an einem Beispiel erläutert werden. Als man sich die Aufgabe stellte, den Leucingehalt von Hämoglobin zu ermitteln, stand eine Methode zur Verfügung, Leucin zwar in reiner Form, aber nicht quantitativ von den übrigen Aminosäuren abzutrennen. Man setzte nun dem zu analysierenden Gemisch, welches Leucin in unbekannter Menge enthielt, eine gemessene Menge von Leucin mit bekanntem Deuteriumgehalt zu, isolierte sodann die Leucinfraktion, ermittelte, wieviel „Deuteriumleucin" darinnen war und

Einteilung. — Paraffine

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konnte aus dem prozentuellen Verlust an markiertem Leucin auf den prozentuellen Verlust an Gesamtleucin, d. h. auf die ursprünglich vorhandene wahre M e n g e desselben zurückschließen.

Spezieller Teil Einteilung der speziellen organischen Chemie Verbindungen mit offenen Kohlenstoffketten werden unter der Bezeichnung Acyclische Reihe, Aliphatische Reihe oder Fettreihe zusammengefaßt. Die Bezeichnung „aliphatisch" (aleiphar, Fett) leitet sich von den Fetten, wichtigen Vertretern der Klasse, ab. Der Begriff „aliphatisch" deckt sich nicht ganz genau mit „acyclisch"; es werden nämlich auch die Cycloparaffine, die cyclischen Anhydride, kurz alle solche Verbindungen zur aliphatischen Gruppe gezählt, deren chemischer Charakter nicht maßgeblich durch den Ring bestimmt ist, sondern dem der eigentlichen aliphatischen Verbindungen nahesteht. Den acyclischen Verbindungen stehen die cyclischen Verbindungen gegenüber. Diese werden unterteilt in isocyclische, d. h. solche, die nur gleiche Ringglieder (nur Kohlenstoffatome) enthalten, und heterocyclische, d. h. solche, in deren Ringen neben Kohlenstoff noch andere Atome (Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel) enthalten sind. Unter den isocyclischen Verbindungen sind die Derivate des Benzols die wichtigsten; sie werden als „aromatische Verbindungen" zusammengefaßt. Aliphatisch« Verbindungen Paraffine. Allgemeine Formel C n H 2 n 4

ä

Alle Kohlenwasserstoffverbindungen, die keine Kohlenstoff-Doppel- oder Dreifachbindung und keine ringartige Verknüpfung im Molekül enthalten, lassen sich durch ein und dieselbe allgemeine Formel C n H 2 n + 2 wiedergeben. G. B. Cook u. I. F . Duncan, Modern Radiodiemical Praktice. Oxford 1952. B. T . Brooks, Th© Chemistry of the No-nbenzenoid Hydrocarbons. 2. Aufl. New York 1950.

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Aliphatische Verbindungen

Die Reihe dieser Verbindungen C n H 2 , ; + 2 oder (CH 2 ) n + 2H — eine arithmetische Reihe mit der Differenz (CH 2 ) — wird als „homologe Reihe" (das ist soviel als: Reihe „gleichgesetzlich" aufgebauter Verbindungen) bezeichnet. Gleich den Paraffinen lassen sich natürlich a l l e Verbindungen in homologen Reihen ordnen, die sich von den Paraffinen durch Ersatz eines, zweier oder mehrerer Wasserstoffatome durch andere Atome oder Atomgruppen ableiten. Man versteht unter homologen Reihen allgemein Reihen konstitutionell zusammengehöriger Verbindungen, deren einzelne Glieder sich um das Inkrement (CH 2 ) unterscheiden. (CH 3 OH, C 2 H 6 OH, C 3 H 7 OH usf.; CH 2 C1 2 , C 2 H 4 Cl 2 , C 3 H 6 C1 2 usf.) Da die einzelnen Glieder der homologen Reihen miteinander nicht nur formelmäßig „homolog" sind, sondern auch gattungsmäßig eng zusammengehören — chemische und physikalische Eigenschaften verschieben sich von Glied zu Glied im allgemeinen nur graduell —, ist der Begriff der homologen Reihe für die organische Chemie ein wertvolles Ordnungsprinzip. Nomenklatur Die ersten vier Glieder der Paraffinreihe besitzen unsystematisch gebildete Eigennamen: C H 4 Methan, C 2 H 6 Äthan, C 3 H 8 Propan, C 4 H 1 0 Butan. Die Namen der weiteren Verbindungen sind aus den griechischen Zahlwörtern gebildet: Pentan, Hexan, Heptan, Octan usf. Die Zusammengehörigkeit der Verbindung kommt durch die gemeinsame Endsilbe -an zum Ausdruck. In der systematischen Nomenklatur ist für die Paraffine der N a m e „Alkane" eingeführt. Die den Stammverbindungen C n H 2 n + 2 entsprechenden einwertigen G r u p p e n C n H 2 n + 1 bezeichnet man als Alkylgruppen oder „Alkylradikale". Den Einzelnamen des jeweiligen einwertigen Radikals bildet man aus dem Namen des Paraffins durch Anhängen der Nachsilbe „ y l " an Stelle von „ a n " : also Methyl, Äthyl usf.; anstatt Pentyl ist die Sonderbezeichnung „ A m y l " gebräuchlich. Unverzweigte Ketten nennt man „normal", die Verbindung

Paraffine

27

H H H H H H H H HC—C—C—C—C—C—C—CH H H H H H H H H wird dementsprechend als n-Octan (lies Normal-Octan) bezeichnet. In verzweigten Ketten werden zur Kennzeichnung der Substitutionsstellen die C-Atome der Hauptkette numeriert: CH 3 (1) (2) (3) (4) j (5) (6) (7) ch3—ch—ch2—ch—c—ch2—ch3

I CH3

I I CH2 CH3 I

ch3 2,5,5-Trimethyl-4-äthyl-heptan Den „normalen" Verbindungen pflegt man die Verbindungen mit verzweigten Ketten generell als „Iso-Verbindungen" gegenüberzustellen (z. B.: n-Octan •— Isooctan). Das Präfix „Iso"- wird übrigens nicht nur zur Kennzeichnung des Gegensatzes: geradkettig-verzweigt, sondern auch sonst zur Kennzeichnung von einander nahestehenden Isomeren angewandt.

Ein Kohlenstoffatom, das mit keinem oder nur mit einem anderen Kohlenstoffatom verknüpft ist, wie in der obigen Verbindung z. B. C ( 1 ) und C ( 7 ) , wird „primär", ein an zwei Kohlenstoffatome geknüpftes ( C ( , ) oder C ( 6 ) ) wird „sekundär" genannt; ist es an drei oder vier Kohlenstoffatome gebunden, z. B. C ^ bzw. C( 5 ), so heißt es tertiär bzw. quaternär. Je größer die Zahl der Kohlenstoffatome im Molekül ist, desto mannigfaltiger wird die Möglichkeit für Verzweigungen der Kette, desto größer also die Anzahl der Isomeren. Ihre Zahl wächst mit dem Molekulargewicht in äußerst starker Progression. A l l g e m e i n e E i g e n s c h a f t e n der Paraffine Die Paraffine sind farblose Verbindungen. Die niederen Glieder der Reihe bis zum Butan sind bei gewöhnlicher Temperatur gasförmig, geruchlos; die mitt-

Aliphatische Verbindungen

28

leren flüssig, von charakteristischem „Benzin"-geruch; die höheren fest und geruchlos. Für die Isomeren gilt die Regel, daß der Kohlenwasserstoff mit normaler Kette den höchsten, der mit am meisten verzweigter Kette den niedrigsten Siedepunkt hat: CH 3

CH3—CH2—CH2—CH2—CH3 n-Pentan Siedep. 36,3°

I H3C—C—CH3 | CH 3 2,2-Dimethylpropan Siedep. 9,5°.

In Wasser sind die Paraffine unlöslich, dagegen in allen gebräuchlichen organischen Lösungsmitteln (Alkohol, Äther, Aceton, Benzol, Benzin, Schwefelkohlenstoff, Chloroform) löslich. Der Name (parum affinis = zu wenig reaktionsfähig) soll ausdrücken, daß die Verbindungsklasse verhältnismäßig reaktionsträge ist. Unter geeigneten Bedingungen lassen sich die Paraffine indessen doch in mannigfacher Weise zur Reaktion bringen (s. S. 29). Derartige Umsetzungen sind z. T. auch technisch wichtig. Allgemeine

Synthesen

1. Paraffine lassen sich aus Alkylhalogeniden durch Ersatz des Halogens durch Wasserstoff darstellen. Man läßt Magnesium auf das Alkylhalogenid in ätherischer Lösung einwirken und zersetzt die erhaltene Verbindung durch Wasser: RHal + Mg->RMgHal; RMgHal + H O H - ^ R H + HOMgHal. (R=Alkylrest)

2. Aus Carbonsäuren C n H 2 n + ¡COOH lassen sich die Paraffine C n H 2 n + 2 durch Kohlendioxydabspaltung gewinnen: man erhitzt das Natriumsalz mit Ätznatron. CnH2

n

+ , ! COONa + NaO ; H

* Na2C03 + CnH2n + 2 •

Paraffine

29

3. Elektrolysiert man die wässerige Lösung eines carbonsauren Salzes ( C H 3 C O O N a ^ C H 3 C O O ' + Na'), so zerfallen die an der Anode entladenen Säurereste unter Kohlendioxydabspaltung und dimerisieren sich zum Paraffin, z. B. CH3COO' CH3COO CH 3 * • 2 C02 + | CH 3 COO' CH3COO CH 3 4. Die sog. „Wurtzsche Synthese" besteht in der Einwirkung von Natriummetall auf Alkylhalogenide z. B. 2 C 2 H 5 J-)-2 Na > 2NaJ + C 2 H 5 -C 2 H 5 . Die beiden letztgenannten Methoden sind „Aufbaumethoden", denn sie lassen Verbindungen mit höherer Kohlenstoffatomzahl aus solchen mit geringerer gewinnen. Umsetzungen Brom und Chlor wirken auf die Paraffine substituierend, z. B. H 3 C ; C H 3 + Br2 • CH 3 • CH 2 Br + HBr Äthan Äthylbromid jedoch entstehen hierbei meist Gemische verschieden hoch halogenierter und an verschiedenen Stellen des Moleküls halogenierter Produkte. Behandlung der Paraffine mit einem Gemisch von SOL> und Cl2 im ultravioletten Licht („Sulfochlorierung") führt zu Sulfochloriden, C n H 2 n + 2 + S0 2 + Cl 2 • CnH2ir+1S02Cl + HCl. Mit rauchender Schwefelsäure lassen sich Paraffine zu Alkylsulfonsäuren (s. S. 67) umsetzen. C„H 2n + 2 + H 2 S0 4 • CnH2ll +1S03H + H 2 0 . Einwirkung von Salpetersäure oder nitrosen Gasen führt je nach den Umständen zur Entstehung von Nitroparaffinen (s. S. 67), z. B. ch3-ch3+hno3 ch3-ch2no2+h2o, Äthan Nitroäthan

30

Aliphatische Verbindungen

oder unter oydativem Angriff äuf das Paraffinmolekül zur Bildung von Paraffincarbonsäuren (s. S. 84), etwa gemäß C,6H34 + 6 H N 0 3 Hexadekan

G15H31C00H+4H20 + 6N02. Palmitinsäure

Die Reaktion spielt sich jedoch nicht streng nach der formulierten Gleichung ab, da außer N 0 2 auch andere Reduktionsprodukte der Salpetersäure sowie Carbonsäuren mit kürzerer Kette entstehen. Neben Monocarbonsäuren können auch Dicarbonsäuren als Oxydationsprodukte auftreten. Oxydation der Paraffine zu Carbonsäuren läßt sich bei Verwendung von Katalysatoren auch mittels Luftsauerstoff durchführen. Für andere, gleichfalls technisch wichtige Synthesen dienen die Paraffine mittelbar als Ausgangsstoffe, indem sie zunächst durch „Crackung" (s. S. 33) z. B. CH3 • CH2 • CH3 —CH2 ~ CH2 + CH4 Propan

Äthylen

Methan

oder durch Dehydrierung, z. B. CH3—CH2—CH3 —CH3—CH—CH3 • I II OH3 OH2 iso-Butan

iso-Butylen

in die reaktionsfähigeren Olefine (s. S. 35) verwandelt und danach weiteren Umsetzungen zugeführt werden. Allgemein gilt für Paraffine die Regel, daß die verzweigten reaktionsfreudiger sind als die geradkettigen. Einzelbesprechungen: M e t h a n , CH4. Neben den unter 1 und 2 genannten allgemeinen Bildungsweisen kommen für das Methan einige spezielle in Betracht. Aus den Elementen Kohlenstoff und Wasserstoff entsteht Methan in exothermer Reaktion, jedoch bedarf es zum Eintritt der Reaktion einer erheblichen Aktivierungsenergie (der Temperatur des Lichtbogens). Praktisch ist die Reaktion bedeutungslos, weil bei den erforderlichen hohen Temperaturen das Gleichgewicht C + 4 H $ CH4

Paraffine

31

stark zugunsten der linken Seite verschoben ist (die endotherme Teilreaktion verläuft von rechts nach links!). Durchführbar ist dagegen die Reduktion von Kohlenoxyd zu Methan: CO + 6 H ->• CH 4 4- H 2 0 (Reaktionstemperatur 250° bis 300°, Verwendung von Nickel als Katalysator). Bei den großen Mengen Methan, die in den verschiedenen technischen Gasen (Erdgas, Kokereigas, Schwelgas, Crackgas) zur Verfügung stehen, hat die Reaktion jedoch heute praktisch keine Bedeutung mehr; technisch durchgeführt wird vielmehr die Gegenreaktion, CH 4 + O CO + 4 H, die partielle Verbrennung des Methans zu Kohlenoxyd und Wasserstoff („Synthesegas") für Methanolsynthese (s. S. 55) und Fiseher-Tropsch-Verfahren (s. S. 33). Präparativ brauchbar ist die Methode der Zersetzung von Aluminiumcarbid durch Wasser AI4C3 +12 H 2 0 4 Al(OH)3 + 3 CH 4 . Wichtig ist die Entstehung des Methans bei der trockenen Destillation von Steinkohle. Mengenmäßig macht das Methan etwa 30 Volum-Prozent des Leuchtgases aus und ist bezüglich der Heizkraft der wertvollste Anteil. In der Natur findet sich Methan als „Grubengas" in Steinkohlenbergwerken, sowie besonders als Hauptbestandteil des „Erdgases". Die Erdgasquellen (vor allem in Amerika) werden industriell ausgenutzt. In großer Menge fallen die gasförmigen Paraffine ferner beim Crackprozeß (S. 33) und bei den Verfahren zur Kohlenhydrierung (S. 33) als Nebenprodukte an. Ä t h a n ist ohne besonderes praktisches Interesse. Propan und Butan, unter Druck verflüssigbar, können als „Flüssiggas" zum Betrieb von Motoren dienen. E r d ö l . Die Erdöllager stammen aus den geologischen Epodien der Silur-, Devon-, Jura- und Tertiärzeit. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstanden die Erdöle aus dem Fett von Massenablagerungen von Plankton. Die bis jetzt nutzbar gemachten Hauptfundorte des Erdöls liegen in den Vereinigten Staaten, ferner in Mexiko, Venezuela, Borneo, Rußland und dem Iran. In Rußland befinden sich audi Ablagerungen fester Kohlenwasserstoffe, die teils aus Paraffinen, teils aus cyclischen Kohlenwasserstoffen verschiedener Art bestehen und

32

Aliphatische Verbindungen

wachstechnologisch wertvolle Eigenschaften haben: die sogen. Ozokerite. Ein weiteres Naturprodukt verwandter Art ist Asphalt. Die Paraffinkohlenwasserstoffe sind nicht die alleinigen Bestandteile der Erdöle. Diese enthalten vielmehr je nach den Fundorten neben oder anstatt der Paraffine Cycloparaffine (S. 33) und Benzolderivate. Besonders wichtig ist das Erdöl bekanntlich als Energiequelle zum Betrieb von Otto- und Dieselmotoren. Das natürliche Gemisch wird in Gruppen aufgeteilt, die durch physikalische Eigenschaften (Siedepunkt, spezifisches Gewicht, Viskosität) gekennzeichnet sind. Diese Zerlegung wird durch fraktionierte Destillation erreicht. Hauptfraktionen : Rohbenzin Siedepunkt 40—150° Petroleum im engern Sinn Siedepunkt 150—300° „Paraffinmasse" Siedepunkt über 350° „Pech" Rückstand. Das R o h b e n z i n wird durch Behandeln mit konzentrierter Schwefelsäure und Alkali und Waschen mit Wasser von nichtkohlenwasserstoffartigen Produkten gereinigt und in mehrere Anteile zerlegt: Petroläther, Siedepunkt 40—70°; Leichtbenzin, Siedepunkt 60—110° (das Motorenbenzin der Automobile); Schwerbenzin, Siedepunkt 100—150° (Betriebsstoff f ü r stehende Motoren). Auch das P e t r o l e u m wird „raffiniert"; es dient unter anderem als Lampenöl. Fraktionen von etwa 200 bis 370°, „Gasöl", werden zum Betrieb von Dieselmotoren verwendet. Die P a r a f f i n m a s s e wird in Treiböl, Schmieröl und festes Paraffin geschieden. Das Treiböl dient als Kraftstoff f ü r Dieselmaschinen, das Schmieröl, wie der Name sagt, als Schmiermittel, das feste Paraffin findet Verwendung zur Herstellung von Kerzen, zur Imprägnierung von Zündhölzern u. a. Halbfestes und besonders gereinigtes Paraffin wird als „Vaseline" bezeichnet. Das Pech wird in der Asphaltindustrie verwendet. Die Nachfrage nach den niedriger siedenden Fraktionen des Erdöls ist, vor allem auf Grund der Entwicklung der Automobilindustrie, wesentlich größer als die nach den höheren. A,. Treibs, Entstehung des Erdöls. Erdöl u. Kohle 1, 137 u. 185 (1948). A. N. Sachanen, T h e Chemical Constituents of Petroleum. New York 1945.

Cycloparaffine

33

Durch Uberhitzung gelingt es, die großen, schwerflüchtigen Moleküle zu zerreißen und in kleinere, niedriger siedende zu verwandeln („Crackbenzin"). Die Crackung kann rein thermisch oder unter Mitverwendung von Katalysatoren geschehen. Die bei der Crackung als Nebenprodukt entstehenden gasförmigen Kohlenwasserstoffe, insbesondere die Verbindungen mit 4 und 5 C-atomen, lassen sich, soweit sie ungesättigt (s. S. 35) sind, thermisch oder mittels geeigneter Katalysatoren wieder zu größeren Molekülen polymerisieren. Bei der Polymerisation entstehen vorzugsweise Kohlenwasserstoffe mit verzweigten Ketten, die als besonders „klopffeste" Kraftstoffe wertvoll sind („Polymerbenzin"). B r a u n k o h l e n s c h w e l e r e i . Bei der trockenen Destillation von Braunkohle wird ein Teer gewonnen, der hauptsächlich aus höheren Kohlenwasserstoffen besteht und teils auf festes Paraffin, teils auch durch Crackung und Hydrierung auf flüssige Brennstoffe aufgearbeitet wird. K o h l e v e r f l ü s s i g u n g . Durch Hydrierung, das heißt Vermehrung des Wasserstoffgehaltes, läßt sich die feste Kohle, deren Anwendung zur Krafterzeugung auf den Dampfkessel beschränkt ist, in die vielseitiger verwertbaren flüssigen Brennstoffe verwandeln. Großtechnisch wird die Kohlehydrierung nach zwei grundsätzlich verschiedenen Verfahren ausgeführt. Das I. G.-Verfahren (Bergius-Verfahren) besteht darin, daß feingemahlene Braunkohle in Schweröl aufgeschwemmt und unter 200 Atmosphären Druck in Gegenwart geeigneter Katalysatoren mit Wasserstoff auf 400—500° erhitzt wird. Die Braunkohle wird dabei zu flüssigen Kohlenwasserstoffen hydriert. Nach dem Verfahren von Fischer-Tropsch wird „Wassergas", ein Gemisch von Kohlenoxyd und Wasserstoff (s. S. 31), mittels geeigneter Katalysatoren bei 200—300° unter wenig erhöhtem Drude in Kohlenwasserstoffe verwandelt. Es entstehen hierbei fast ausschließlich geradkettige Paraffine. Durch Oxydation mittels Luftsauerstofis und geeigneter Katalysatoren lassen sich Paraffine in Fettsäuren überführen.

Cycloparaffine. Allgemeine Formel C n H 2n Wie nach der Wurtzschen Synthese durch Natriummetall aus Alkylhalogenid Halogen abgespalten wird und durch zwischenmolekulare Kondensation zwei Moleküle zu einer Kette zusammengeschlossen werden, so läßt Lit. s. s. 25. 3 S c h l e n k , Organische C h e m i e

Aliphatische Verbindungen

34

sich bei endständig dihalogenierten Paraffinen eine Halogenabspaltung erreichen, die zu einem innermolekularen Zusammenschluß führt. E s entstehen dabei Ringe, soviel Methylengruppen (CH 2 ) enthaltend, als im angewendeten Dihalogenid enthalten waren. /CH 2 Br Z. B . : H 2 C < + 2 Na \CH2Br 1,3-Dibrompropan

/CH2 H2C\ | + 2 NaBr. XCH 2 Cyclopropan

Die Leichtigkeit, mit welcher der Ringschluß erreicht wird, und andererseits die Beständigkeit der Ringe gegen thermische und chemische Einflüsse, ist nach dem auf Seite 13 über Ringspannung ausgeführten von der Zahl der in der Kette vorhandenen Kohlenstoffatome abhängig. Fünf- und Sechsring weisen, der Forderung der Spannungstheorie entsprechend, besondere Stabilität auf. Bei Verbindungen vom Siebenring aufwärts wird der Ringschluß zunehmend schwieriger, weil die statistische Wahrscheinlichkeit, daß die E n d e n des Moleküls einander durch Wärmeschwingungen gerade so nahe kommen, wie es zum Ringschluß nötig ist, desto geringer wird, je länger die Kette ist. Als gesättigte Kohlenwasserstoffe sind die Cycloparaffine bezüglich Reaktionsträgheit den Paraffinen ähnlich; sie besitzen für die synthetische C h e m i e wenig Bedeutung. Soweit sie sich reaktionsfähiger als die offenen Paraffine erweisen, liegt die Veranlassung in der Spannung. So wird Cyclopropan durch B r o m oder Schwefelsäure unter Addition zur offenen Kette aufgespalten: /CH 2 H2C< I X

CH2

Cyclopropan /CH2

H2C< I X

C H

2

+

Br + I Br

H

I

O—SO3H

/CH 2 Br H2C(

\CH2Br

1,3-Dibrompropan /CH3

-V H 2 C
>C = C< x H H/ H OH ; Äthylalkohol Äthylen 2. Durch Abspaltung von Halogenwasserstoff aus Alkylhalogeniden unter der Einwirkung von Alkoholat, z. B. H 3 C—CH 2 —CH 2 C1+KOC 2 H 5 -> ^ CH 3 —CH = CH 2 + KCl + C 2 H 5 OH. n-Propylchlorid KaliumPropylen Alkohol alkoholat 3. Technisch wichtige Bildungsweisen der Alkylene bestehen in der Crackung und in der Dehydrierung von Paraffinen (s. S.. 33). Eigenschaften. Die Glieder der homologen Reihe bis zum Buten-(l) einschließlich sind bei gewöhnlicher Temperatur gasförmig, die höheren flüssig bzw. fest, gleichen also den Paraffinen. Auch die Löslichkeitsverhältnisse der beiden Reihen stimmen überein (vgl. S. 28). Charakteristisch für die Alkylene ist das Additionsvermögen. 1. Durch Addition von zwei Atomen Wasserstoff gehen die Alkylene in die betreffenden Paraffine über, z. B. CH 3 V

CH3\

>CH—CH 3 CH/ CH/ asym. Dimethyläthylen 2-Methylpropan Die Hydrierung gelingt am besten bei Verwendung von Platin als Katalysator, ferner mit Nickelkatalysatoren. 2. Besonders leicht verläuft die Addition von Halogen, vor allem Brom. Lit. s. S. 25.

>C = CH 2 + 2 H ^

38

Aliphatische Verbindungen

CH 3 CH = CHCH 3 + Br 2 - > CH 3 CHBr—CHBrCH 3 . Buten-(2) 2,3-Dibrombutan 3. Auch Sauerstoff wird von den Olefinen bei Gegenwart eines geeigneten Katalysators addiert: CH2 = C H 2 + O CH 2 —CH 2 . Äthylen

Äthylenoxyd

4. Halogenwasserstoff, besonders leicht Jodwasserstoff, wird unter Bildung von Alkylhalogenid addiert. CH 2 = CH 2 + HJ CH 3 CH 2 J. Äthylen Äthyljodid 5. Konzentrierte Schwefelsäure lagert sich gleichfalls an und führt zu Alkylschwefelsäuren CH 2 = CH 2 CH 3 —CH 2 I H 0S03H O-SOoH Äthylschwefelsäure 6. Eine für Konstitutionsbestimmungen von Äthylenen wichtige Reaktion ist die Umsetzung mit Ozon 0 3 . Hierbei wird die C, C-Doppelbindung aufgespalten. Es schieben sich zwei Sauerstoffatome des Ozons in peroxydischer und das dritte in ätherartiger Bindung ein: c = c < + o

3

/

> c
C
C = O + R"MgHal^ >C< R'/ R ' / ^OMgHal Keton ¿„ HaOR —C< + HOMgHal R'/ XOH tert. Alkohol /H H. M H—C/ + RMgHal )C< ^O W \ OMgHal Formaldehyd HsO * RCH2OH +HOMgHal. prim. Alkohol

Von Aldehyden gelangt man so zu sekundären, von Ketonen zu tertiären Alkoholen; Anwendung von Formaldehyd führt zu primären Alkoholen. Die t e c h n i s c h e Darstellung der handelswichtigen Alkohole geschieht nach besonderen Verfahren, die bei den Einzelbesprechungen der Alkohole geschildert werden. E i g e n s c h a f t e n . Die niedrigen Glieder der homologen Reihe sind flüssig, von C 12 an sind die Alkohole

54

Aliphatische Verbindungen

fest. Alle sind farblos; die flüssigen besitzen charakteristischen Geruch und teils narkotische, teils giftige Wirkung auf den Organismus. Methyl-, Äthyl- und Propylalkohol sind mit Wasser in jedem Verhältnis mischbar, vom Butylalkohol an nimmt die Löslichkeit rasch ab. Formal können die Alkohole mit den amphoteren Metallhydroxyden verglichen werden. Einerseits ist die Hydroxylgruppe durch Säurereste ersetzbar (Esterbildung, S. 46), andererseits kann aber auch das Wasserstoffatom der Hydroxylgruppe durch gewisse Metalle, vor allem Alkalimetalle, substituiert werden: C2H5OH + Na C2H5ONa + H . Äthylalkohol Natriumäthylat Von Wasser werden die Alkoholate („Methylat", „Äthylat" usw.) sofort zu Alkohol und Alkalihydroxyd hydrolisiert. Gegen Oxydationsmittel, z. B. Chromsäure, verhalten sich primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole verschieden. Primäre Alkohole werden zunächst in Aldehyde, dann in Carbonsäuren verwandelt, und zwar in solche mit ebensoviel Kohlenstoffatomen, wie sie selber aufwiesen. CH3CH2OH + O -> CH3 c e XH Äthylalkohol Acetaldehyd CH^Cf

XH

+ O -> CH3

+H 2 O

Cf

xOH Acetaldehyd Essigsäure Sekundäre Alkohole werden zu Ketonen oxydiert CH ;)X CH 3X >CH0H + 0 - ^ > C = 0 + H20; CH/ CH/ sek. Propylalkohol Aceton

nur unter intensiven Reaktionsbedingungen schreitet die Oxydation weiter und führt unter Aufspaltung des Moleküls bei der Carbonylgruppe zu Carbonsäuren (und zwar solchen von geringerer Kohlenstoff atomzahl).

Alkohole Tertiäre Alkohole sind gegen Oxydationsmittel bei mäßigten Versuchsbedingungen resistent. Energische handlung oxydiert unter Aufspaltung des Moleküls Carbonsäuren mit geringerer Kohlenstoffatomzahl. Der Oxydationsverlauf gibt somit eine Handhabe Unterscheidung, ob ein primärer, sekundärer oder tiärer Alkohol vorliegt.

55 geBezu zur ter-

M e t h y l a l k o h o l , CH :! OH, wird synthetisch in großem Maßstab aus Kohlenoxyd und Wasserstoff gewonnen.

CO + 2H2 -»- CH3OH.

Das notwendige Kohlenoxyd-Wasserstoffgemisch steht der Technik in Form des sogenannten Wassergases zur Verfügung, das durch Uberleitung von Wasserdampf über glühenden Koks gewonnen wird: C+H2O->H2+CO. Die Umwandlung des Wassergases in Methylalkohol wird unter Verwendung geeigneter Katalysatoren, vor allem Zinkoxyd und Chromoxyd, bei etwa 400° und 200 Atmosphären Druck durchgeführt. Neben dieser Gewinnungsmethode spielt die früher wichtige Darstellung durch trockene Destillation von Holz heute keine Rolle mehr. Methylalkohol ist sehr giftig. Schon Genuß geringer Mengen führt zu Erblindung oder Tod. Die Hauptmenge des erzeugten Methylalkohols wird von der Farbstoffindustrie aufgenommen (Herstellung von Formaldehyd sowie Dimethylanilin und anderen Methylverbindungen). A e t h y l a l k o h o l , C 2 H 5 OH, wird durch Vergärung von Traubenzucker (Glucose) mittels Hefe hergestellt: C 6 H, 2 0 6 -> 2 C 2 H 5 OH + 2 C 0 2 . Glucose Ausgangsmaterial des technischen Verfahrens ist die Stärke (Hauptbestandteil der Kartoffel und des Getreides). Das Polysaccharid Stärke wird zunächst durch ein Ferment, die Diastase (in keimender Gerste enthalten), in das Disaccharid Maltose (Malzzucker) übergeführt. Durch Einwirkung der Hefe erfolgt dann Abbau der Maltose zum Monosaccharid Glucose C 1 2 H 2 2 O n + H 2 0 -> 2 C 6 H 1 2 0 6 Maltose Glucose

56

Aliphatische Verbindungen

und schließlich die Vergärung nach der oben gegebenen Bruttogleichung. (Über den Reaktionsmechanismus der Vergärung siehe S. 137). Bei der „Kartoffelbrennerei" gestaltet sich die Alkoholfabrikation wie folgt: Die Kartoffeln werden durch Erhitzen auf 140° in Stärkekleister verwandelt. Diesem setzt man nach Abkühlung die Diastase in Form zerquetschter Gerstenkeimlinge („Malz") zu. Die Verzuckerung geschieht bei 60°. Die erhaltene Maltoselösung wird auf 20—30° gebracht und mit Hefe versetzt, welche die Maltose in Glukose verwandelt und letztere zu Alkohol vergärt. Aus der vergorenen Maische, deren Alkoholgehalt etwa 15% beträgt, läßt sich durch geeignete Destillationsverfahren etwa 95%iger Alkohol gewinnen; höhere Konzentrierung ist durch einfache Destillation nicht zu erreichen, da schließlich ein binäres Gemisch von der konstanten Zusammensetzung 95,5% Alkohol und 4,5% Wasser übergeht. Durch Zusatz von Benzol läßt sich aber erreichen, daß das Wasser in Form eines nur 32% Alkohol enthaltenden ternären Gemisches Benzol-Wasser-Alkohol bei einem niedrigeren Siedepunkt übergeht, als ihn der Alkohol zeigt; dieser bleibt mithin der Hauptmenge nach in der Destillierblase — nunmehr wasserfrei — zurück und braucht nur noch durch abermalige Destillation von dem Überschuß angewandten Benzols befreit zu werden. Auch aus dem Polysaccharid Cellulose kann Alkohol gewonnen werden; man verwendet dabei nicht Rein-cellulose, sondern Holz als Rohstoff. Dieses, vielmehr die darin enthaltene Cellulose, wird zunächst durch Behandeln mit kalter konzentrierter Salzsäure (Bergiusverfahren) oder mit heißer verdünnter Schwefelsäure (Scholler-verfahren) „verzuckert" (in Glucose übergeführt). Die gewonnene Glucose wird mit Hefe vergoren. Synthetisch läßt sich Alkohol aus Acetylen auf dem Weg über Acetaldehyd (S. 81) gewinnen. Der Aldehyd wird katalytisch hydriert („Carbidsprit"). In Fabrik und Laboratorium dient Aethylalkohol als wichtiges Lösungsmittel; er ist Ausgangspunkt für viele pharmazeutische Produkte (Chloroform, Jodoform u. a.), dient in der Medizin als Desinfiziens und zur Konservierung anatomischer Präparate; er wird ferner als Beimengung zu Motorenbenzin und -benzol verwendet. Eine große Menge von Alkohol wird in Form von Genußmitteln verbraucht.

57

Alkohole

Reiner Alkohol ist bekanntlich hoch besteuert; nur der vergällte oder „denaturierte", d. h. durch Zusatz von Methylalkohol, Toluol oder Pyridinbasen ungenießbar gemachte Alkohol ist steuerfrei. Einige der h ö h e r e n Paraffinalkohole sind Bestandteile des sogenannten Fuselöls, eines bei der technischen Alkoholgärung anfallenden Nebenproduktes, so n-Propylalkohol, Isobutylaikohol, zwei Amylalkohole, Hexyl- und Heptylalkohole. Sie entstammen nicht, wie der Aethylalkohol, dem Zucker, sondern den Eiweißstoffen der Rohprodukte. Durch die Wirkung der Hefe erfolgt bei den Spaltprodukten des Eiweiß, den Aminosäuren, Ersatz der Aminogruppe durch Hydroxyl und Kohlendioxydabspaltung: rchnh2- cooh+h2o Es existieren zwei 3

2

1

rch2oh+nh3+co2.

Propylalkohole:

CH 3 CH 2 CH 2 OH n-Propylalkohol Propanol-(l)

und

3

2

1

CH 3 CHOHCH 3 Isopropylalkohol. Propanol-(2)

Nach dem auf S. 54 Gesagten sind durch Oxydation voneinander zu unterscheiden. Von der Formel des B u t y l a l k o h o l s (Butanols), C4H9OH, sind vier Isomere denkbar; sie sind sämtlich bekannt. Der „Isobutylalkohol", (CH 3 ) 2 CHCH 2 OH, wird technisch analog dem Methanol aus Kohlenoxyd und Wasserstoff gewonnen (vgl. S. 55). Unter den isomeren A m y l a l k o h o l e n (Pentanolen), CsH^OH, befinden sich zwei, die miteinander optisch isomer sind (siehe S. 19), nämlich die beiden Antipoden der Formel CH 3 v ( 2 ) / H (3) > C < (1) xCH OH CH3—ch2' 2 2-Methyl-butanol-(l). (4)

(Das asymmetrische Kohlenstoffatom (2) ist durch den Drude hervorgehoben.) Das eine der beiden Isomeren, die linksdrehende Form, ist Hauptbestandteil des aus dem Fuselöl zu gewinnenden Gärungsamylalkohols. C e t y l a l k o h o l , CH 3 (CH 2 ) 1 4 CH 2 OH, Schmelzpunkt 50°, kommt im Walrat, einem in der Schädelhöhle des Pottwales zu findenden Öl, vor. M y r i c y l a l k o h o l , C 3 1 H 4 3 OH,

Aliphatische Verbindungen

58

Schmelzpunkt 85,5°, findet sich als Palmitinsäureester im Bienenwachs. Gemische höherer Alkohole lassen sich technisch durch Umsetzung von Olefinen mit Kohlenoxyd und Wasserstoff über Kobaltkontakten bei 150° unter Druck gewinnen („Oxosynthese"): rch2—ch2—ch2oh

R — C H = C H j + CO + H 2

^ RCH(CH 3 )—CH 2 OH. Ungesättigte einwertige Alkohole V i n y l a l k o h o l CH 2 = CHOH, die erste Verbindung der homologen Reihe, ist nicht darstellbar, weil unbeständig; jedoch sind Ester und Aether des Vinylalkohols beständig. A l l y l a l k o h o l , CH 2 = CHCH 2 OH, Sdp. 97 wird durch Erhitzen von Glycerin mit Oxalsäure dargestellt, als Zwischenprodukt bildet sich ein Oxalsäureester des Glycerins; H 2 C—; OH I i + H C — : OH I • ' H 2 C—OH Glycerin

H i O—C = 0 ; i H : O—C=0

->

Oxalsäure

H 2 C — O—C = 0 i i H C — O—C = 0 I H 2 C—OH Glycerin-di-oxalsäureester CH 2

- > CH + 2 C02. I CH 2 OH Allylalkohol Auch aus Allylchlorid, das seinerseits durch Chlorierung von Propylen zu gewinnen ist, wird Allylalkohol technisch dargestellt. Oxydation überführt Allylalkohol in den entsprechenden Aldehyd (Acrolein) und weiter in Acrylsäure. CHj CH 2 • CH 2 CH

I

CH 2 OH Allylalkohol

->• CH

I ^O

C


CH

\ X)

CC=C< R /

X R

H

Brs

\

/

H

R-C-C-R Br/

Me0H

\Br

\ / H R—C—C—R .

H

Hü/

NDH

Die Hydroxyle der Glykole zeigen die gleichen Eigenschaften wie die der einwertigen Alkohole; so sind sie durch Halogen ersetzbar, zu Alkoholat-, Ester- und Ätherbildung befähigt und zeigen Oxydationsmitteln gegenüber verschiedenes Verhalten, je nachdem ob sie an primären, sekundären oder tertiären Kohlenstoffatomen sitzen. A e t h y l e n g l y k o l , Glykol, CH 2 OH—CH 2 OH, eine viskose, süßschmeckende Flüssigkeit (glykys: süß), wird durch Addition von Unterchloriger Säure an Aethylen und Hydrolyse des so erhaltenen „Aethylenchlorhydrins" dargestellt. G l y c e r i n , C H 2 O H . CHOH CH 2 OH, ist in der Natur sehr verbreitet; sämtliche tierischen und pflanzlichen Fette und Öle sind Ester dieses Alkohols mit organischen Säuren („Glyceride"). Die „Verseifung" dieser natürlichen Glyceride (siehe S. 93) ist die Hauptquelle der technischen Gewinnung des Glycerins. CH 2 OOCR CH 2 OH I | RCOOMe CHOOCR' + 3 MeOH -^CHOH + R'COOMe. | | R"COOMe CH 2 OOCR" CH 2 OH Eine andere Darstellungsmöglichkeit ist die Vergärung von Zucker bei Gegenwart von Natriumbisulfit (siehe S. 140).

61

Alkohole

Glycerin kann technisch auch aus Propylen dargestellt werden. Bei 400—600° reagiert Chlor mit Propylen substituierend anstatt unter Addition und bildet Allylchlorid. Dieses wird mit Unterchloriger Säure umgesetzt und das Dichlorhydrin wird zu Glycerin hydrolysiert: CH3CH=CH2+C12 Propylen

C H 2 C 1 C H = C H 2 + HCl; Allylchlorid

+ci2

+H 2 O

CH2ClCH=CH2-*CH2ClCHOHCH2Cl-*CH2OHCHOHCH2OH Allylchlorid Dichlorhydrin Glycerin Glycerin ist gleich dem Glykol eine viskose Flüssigkeit von süßlichem Geschmack; es ist sehr hygroskopisch, mit Wasser und Alkohol in jedem Verhältnis mischbar, in Äther unlöslich. Entsprechend seiner dreifachen Alkoholfunktion vermag es drei Reihen von Estern zu bilden, je nachdem ob eine, zwei oder drei Hydroxylgruppen verestert werden. Der Trisalpetersäureester, „Nitroglycerin", ist als Explosivstoff wichtig. CH2OH l ! CH OH + I i CH2OH

H:0N02 H 0N02 HONOj

CH2—O—N02 I CH—O—N02 I CH 2 —O—NO 2

Die Bezeichnung „Nitroglycerin" ist unrichtig, denn Nitroverbindungen sind durch die Gruppierung C — N 0 2 gekennzeichnet; hier dagegen liegt ein gewöhnlicher Salpetersäureester, also die Gruppierung C — O — N 0 2 , vor. Für technische Zwecke wird das Nitroglycerin nicht in flüssiger Form verwendet, sondern, aufgesaugt von Kieselgur, pulverig als „Dynamit", oder in Mischung mit Nitrocellulose als „Sprenggelatine". Große Mengen von Glycerin, das physiologisch unschädlich ist, werden zur Herstellung von kosmetischen Mitteln verwendet, weil es gutes Lösungsvermögen besitzt, nicht verdunstet, leicht in die Haut eindringt und diese geschmeidig macht. Weitere Anwendungen: bei der Fabrikation von Druckerschwärze und Appreturen. Die vier- und mehrwertigen Alkohole, bei Zimmertemperatur kristalline Substanzen, können durch Reduktion der entsprechenden Monosaccharide gewonnen werden.

62

Aliphatische Verbindungen Äthei

Als Äther bezeichnet man Verbindungen, die durch Austritt von Wasser zwischen zwei alkoholischen Hydroxylgruppen gebildet werden: R—O—i H + H—O :—R' - > R—O—R' . Sind die beiden an das Sauerstoffatom gebundenen Kohlenwasserstoffreste identisch, so spricht man von „einfachen" Äthem (R—O—R), andernfalls von gemischten Äthem (R—O—R'). Präparativ führt die Wasserabspaltung aus Alkohol nur bei den niedrigen Gliedern der homologen Reihe zu günstiger Ausbeute. Als allgemein anwendbare Darstellungsmethode dient dagegen die Reaktion zwischen Alkoholaten und Alkylhalogeniden. RONa + HalR — ROR -hNaHal RONa + HalR' - > ROR' + NaHal. Die Äther sind chemisch sehr indifferent. Mit Natriummetall, Alkalien, Säuren, Phosphorhalogeniden reagieren sie bei gewöhnlicher Temperatur überhaupt nicht. Halogenwasserstoff, insbesondere Jodwasserstoff, zersetzt allerdings bei erhöhter Temperatur im Sinne der Gleichungen C 2 H 5 OC 2 H 6 + H J - ^ C 2 H 5 J + C 2 H 5 OH C 2 H 5 OC 2 H s + 2 HJ ^ C 2 H 5 J + C 2 H 6 J + H2O . D i ä t h y l ä t h e r , C2H 5 OC 2 H 5 , kurzweg „Aether" genannt, wird technisch durch Wasserabspaltung aus Aethylalkohol dargestellt: entweder durch Erhitzen mit konzentrierter Schwefelsäure (daher der alte Name „Schwefeläther") oder durch Überleiten von Alkoholdämpfen über Tonerde, die auf etwa 250° erhitzt ist. Äther ist eine Flüssigkeit von sehr geringer Viskosität und geringem spezifischem Gewicht ( D = 0 , 7 2 ) . Wegen des niedrigen Siedepunktes (36°) und kleiner Verdampfungswärme ist Äther schon bei Zimmertemperatur sehr flüchtig. Ätherdampf-Luftgemische sind in weitem Mischungsverhältnis explosiv. Im Laboratorium dient Äther als vielseitiges Lösungsmittel, in der Medizin als Narkosemittel.

Thioalkohole und Thioäther

63

Thioalkohole und Thioäther Können die Alkohole ROH und die Äther ROR formal als Mono- bzw. Di-alkylderivate des Wassers H — O — H aufgefaßt werden, so sind die Thioalkohole RSH und Thioäther RSR analog als Substitutionsprodukte des Schwefelwasserstoffs H — S — H zu betrachten. T h i o a l k o h o l e werden gebildet, wenn man auf Alkylhalogenid anstatt Kaliumhydroxyd (Alkoholdarstellung!) Kaliumhydrosulfid einwirken läßt: RHal + KSH - > RSH + KHal. Man kennt eine ganze Reihe biologisch sehr wichtiger Naturstoffe, welche die „Sulfhydrylgruppe" (—SH) der Thioalkohole enthalten, z. B. die Aminosäuren Cystein und Methionin (S. 148) und das Coenzym A (S. 88). Thioalkohole sind schwache Säuren, die sich, in Wasser nur wenig löslich, in Alkalilauge unter Salzbildung auflösen. Auch Schwermetallsalze der Thioalkohole sind bekannt, z. B. Verbindungen des zweiwertigen Quecksilbers, Hg

V

SR

deren Entdeckung zu der Bezeichnung der Klasse RSH als „Mercaptane" Anlaß gab (mercurium = Quecksilber). Die Salze der Thioalkohole oder Mercaptane werden „Mercaptide" genannt. Die Mercaptane besitzen durchdringenden widerlichen Geruch. Bei gelinder Oxydation — z. B. unter Einwirkung von Luftsauerstoff — gehen sie in Dialkyldisulfide über (in Analogie zur Umwandlung des Ammoniumhydrosulfids NH4SH in das „gelbe Schwefelammon" NH 4 S—SNH 4 ): RSH +1/2O z + HSR ->- H 2 0 + RSSR. Zur Klasse der Alkylpolysulfide gehören die Thioplaste („Perduren" oder „Thiokol"), quellbeständige kautschukähnliche Werkstoffe. Sie werden durch Erwärmen von Dichlorparaffinen mit Natriumpolysulfid hergestellt. C1 (CH 2 ) n C1+Na 2 S 4 —>—-(CH 2 ) „ - S 4 - ( C H 2 ) „ — S 4 —(CH 2 ) „ — Energische Oxydation von Mercaptanen führt zu Sulfonsäuren, Verbindungen, die den Schwefligsäureestern isomer sind

64

Aliphatische Verbindungen R—S—H

R—S = 0 X OH.

T h i o ä t h e r lassen sich aus sekundärem Kaliumsulfid (K2S) und Halogenalkyl gewinnen: K—S—K + 2 HalR R—S—R + 2 KHal. Ein anderer Darstellungsweg besteht in der Einwirkung von Halogenalkyl auf Mercaptid, RSMe + HalR RSR + MeHal. 2,2'-Dichlordiäthylthioäther („Lost", „Gelbkreuz"), eine ätzende, farblose Flüssigkeit, wurde im ersten Weltkrieg als Kampfstoff verwendet. Durch gemäßigte Oxydation werden Thioäther in „Sulfoxyde", durch stärkere Oxydation in „Sulfone" übergeführt:

Thioäther Sulfoxyd Sulfon Bei den Alkylsulfonsäuren (s. oben), Sulfoxyden und Sulfonen begegnet man einem besonderen Bindungstyp, der als „semipolare Bindung" bezeichnet wird. Das Wesen dieser Bindungsart soll am letztgenannten Beispiel näher erläutert werden. Das Schwefelatom besitzt sechs Außenelektronen. Je eines derselben paart sich in normaler Weise mit je einem Elektron der einwertigen Alkyle R, wobei zwei normale covalente Einfachbindungen entstehen. Die beiden noch verbleibenden Elektronenpaare am Schwefel besorgen die Bindung der beiden Sauerstoffatome. Man hat Grund zu der Annahme, daß die Bindungen zu den Sauerstoifatomen n i c h t wie bei Doppelbindungen (z.B. C = 0 ) unter gleichzeitiger Gestellung von je zwei Elektronen der Sauerstoffatome zustande kommen, also je ein a- und jr-Bindungspaar vorstellen (s. S. 14), sondern daß in diesem Fall die Sauerstoffatome ihre Elektronen „für sich behalten". An der Bindung zum Sauerstoffatom ist also hier nur jeweils e i n Elektronenpaar beteiligt, was im Formelbild durch den e i n fachen Formelstrich ausgedrüdct ist, wobei das Elektronenpaar nicht, wie bei einer gewöhnlichen covalenten Einfachbindung (s. S. 7) hälftig von beiden Liganden herstammt, sondern nur

Ester anorganischer Säuren

65

vom Schwefelatom erstellt wird. Diese einseitige Elektronengabe wird durch die Pfeilrichtung des Bindungsstriches symbolisiert. Die Oktettregel (s. S. 9) ist bei dieser Formulierung erfüllt: das Schwefelatom findet sich von acht Elektronen umgeben, ebenso die Sauerstoffatome. Das nämliche trifft, wie man leicht nachzählen kann, für die oben benutzten Formeln der Alkylsulfonsäure und des Sulfoxyds zu. Im Sulfoxyd bleiben zwei der sechs Außenelektronen des Schwefelatoms an der Bindung der Liganden unbeteiligt. Formelmäßig wird ein solches „einsames Elektronenpaar" bisweilen durch einen waagrechten Strich besonders zum Ausdruck gebracht:

Ester anorganischer Säuren Die durch Vereinigung von Alkohol mit Säuren unter Wasseraustritt entstehenden Verbindungen werden Ester genannt. F ü r die Darstellung der Ester anorganischer kommen hauptsächlich drei W e g e in Betracht:

Säuren

1. Direkte Einwirkung der Säure auf den Alkohol O 2 N—OH+HOC 2 H 5 O 2 N—O—C 2 H 5 . Äthylnitrat 2. Einwirkung von Säurechloriden auf Alkohole:

Diäthylsulfat

Schwefelsäurechlorid

3. Umsetzung von Silbersalzen mit Alkylhalogeniden ,OC 3 H 7 °;Ag

JC,H7

Silbersulfat 5

Schlenk,

Organische

Chemie

OC 3 H 7 Dipropylsulfat

66

Aliphatische Verbindungen

Die Reaktion Säure + Alkohol i* H 2 0 +Ester ist umkehrbar. Bei gewöhnlicher Temperatur werden die Ester von Wasser langsam hydrolysiert. Rascher findet diese Spaltung beim Kochen mit Alkali oder verdünnten Säuren statt. Die Ester der Halogenwasserstoffs ä u r e n , die Alkylhalogeriide, wurden bereits besprochen (S. 46). Von der S c h w e f e l s ä u r e leiten sich — analog den primären und sekundären Salzen — primäre und sekundäre Ester ab. Die primären Ester, meist als „Alkylschwefelsäuren" bezeichnet, sind stark saure, in Wasser lösliche Flüssigkeiten. Sie bilden mit Basen Salze, z. B. /OC2H5

0 2 S
0 2 S
- o2s
C 2 H 5 NH 2 . Alkynitrite dagegen sind durch verdünnte Kalilauge glatt verseifbar, bei der Reduktion liefern sie Alkohol und Ammoniak. Technisch lassen sich Nitroparaffine durch Nitrierung von Paraffinen mit Salpetersäure in der Gasphase gewinnen. Nitromethan, -äthan und -propan, farblose Flüssigkeiten von ätherartigem Geruch, finden in neuerer Zeit zunehmend als Lösungsmittel Verwendung.

Amine Als Amine bezeichnet man die Kohlenwasserstoffderivate des Ammoniaks. Je nachdem, ob ein, zwei oder drei Wasserstoffatome des Ammoniaks durch Kohlenwasser-

Amine

69

stoffreste ersetzt sind, spricht man von primären, sekundären und tertiären Aminen. CH 3 NH 2 (CH 3 ) 2 NH (CH 3 ) 3 N. Methylamin Dimethylamin Trimethylamin (Primäres Amin) (Sekundäres Amin) (Tertiäres Amin) Diese Bezeichnungsweise hat also bei den Aminen einen andern Sinn als bei den Alkoholen (s. S. 51); die Verbindung (CH 3 ) 3 CNH 2 Z. B. gilt nicht als „tertiäres" Amin. Die drei Valenzen des Stickstoffatoms im Ammoniak und in den Aminen schließen Winkel von 112° miteinander ein. Daraus ergibt sich als Gestalt der Aminmoleküle eine dreikantige, flache Pyramide, deren Spitze vom Stickstoffatom gebildet wird. Es scheint jedoch, daß das Molekül nicht sehr starr ist. Es sprechen gewichtige Befunde dafür, daß das Molekül im Verlauf der normalen Wärmeschwingungen in sein Spiegelbild übergehen kann, indem das Stickstoffatom zwischen seinen drei Liganden, d. h. durch die Basis der Pyramide, auf die andere Seite hindurchschwingt. Gleich dem Ammoniak addieren die Amine Säuren, wobei „Alkylammoniumsalze" (primäre, sekundäre, tertiäre) entstehen: (CH 3 ) 2 NH + HJ (CH 3 ) 2 NH 2 J. Dimethylamin Dimethylammoniumjodid Zur selben Verbindungsklasse gelangt man durch Addition von Halogenalkyl an Amin: (CH 3 ) 2 NH + CH 3 J - > (CH 3 ) 3 NHJ. Dimethylamin Methyljodid Trimethylammoniumjodid Trimethylamin und Jodmethyl vereinigen sich zu Tetramethylammoniumjodid, einer Verbindung, aus der durch Einwirkung feuchten Silberoxydes Tetramethylammoniumhydroxyd zu gewinnen ist: ( C H 3 ) 4 N J + A g O H - v AgJ + (CH 3 ) 4 NOH. Das Tetramethylammoniumhydroxyd entspricht dem in wässerigem Ammoniak anzunehmenden Ammoniumhydroxyd, ist jedoch eine viel stärkere Base. In den Ammoniumverbindungen sind die vier Wasserstoffatome bzw. die sie ersetzenden Kohlenwasserstoffreste tetraedrisch um das Stickstoffatom gruppiert. Tetraalkylammoniumsalze, in denen alle vier Alkylreste verschieden sind, können, in Übereinstimmung mit dieser Vorstellung, in optisch aktive

Aliphatische Verbindungen

70

Formen zerlegt werden, wie Verbindungen mit einem asymmetrischen Kohlenstoffatom (s. S. 19). B i l d u n g s w e i s e n . Läßt man Alkylhalogenid auf Ammoniak einwirken, so bleibt es meist nicht bei der Bildung eines Monoalkylammoniumsalzes, RJ+NH3 RNHJ, sondern es entstehen neben dem primären auch sekundäre, tertiäre und quaternäre Ammoniumhalogenide. Aus dem zunächst erhaltenen primären Salz wird nämlich durch überschüssiges Ammoniak teilweise das freie Amin gebildet, RNH3J + NH3 RNH 2 +NH 4 J, dieses ist der neuerlichen Alkylierung zugänglich, R N H 2 + R J ^ R 2 NH 2 J und so fort. Die ausschließliche Gewinnung p r i m ä r e r Amine kann durch Reduktion von Nitrilen, R C N RCH 2 NH 2 ; Reduktion von Oximen oder Hydrazonen, RCH = NOH -*• RCH 2 NH 2 ; RCH = N — N H , R C H 2 N H 2 + NH 3 ; oder Alkylierung von Phthalimidkalium (S. 195) und anschließende Spaltung geschehen. O O

/\/C\ j -

/\/C\

NK+JCH3 — j c

j

n-ch

3

\Z\q/

/

o

o

y^/COOK -j

|

+ H2N-ch3

Eine technisch wichtige Darstellung primärer und sekundärer Amine geht von Aldehyden aus (s. S. 77). R e a k t i o n e n d e r A m i n e . Analytisch lassen sich primäre, sekundäre und tertiäre Amine an ihrem Verhalten gegen salpetrige Säure unterscheiden:

Phosphine

71

Primäre Amine geben Alkohol, Wasser und Stickstoff C 2 H«

N;H2+0;N OH

C 2 H 5 0 H + H 2 0 + N2;

sekundäre Amine geben sogenannte Nitrosamine, gelbe, in Wasser wenig lösliche Flüssigkeiten, die durch starke Säuren wieder in sekundäre Amine zurückzuverwandeln sind: (CH 3 ) 2 N ! H + H O i NO -»• ( C H 3 ) 2 N - N 0 + H 2 0 ; tertiäre Amine sind gegen salpetrige Säure beständig. Ein scharfer Nachweis für p r i m ä r e Amine ist die Umsetzung mit Chloroform und Kalilauge zuIsonitrilen(S.50). Die drei Methylamine und das primäre Äthylamin sind gleich dem Ammoniak Gase und sehr leicht wasserlöslich. Die mittleren Glieder der homologen Reihe sind Flüssigkeiten. Zwei Oxyamine oder Aminoalkohole kommen in der Natur häufig vor, teils frei, teils als Bestandteile der physologisch wichtigen Phosphatide, nämlich das „ C h o l a m i n " , NH 2 CH 2 CH 2 OH, und das „ C h o 1 i n", ein quaternäres Ammoniumhydroxyd der Formel CH3X

CH 3 —N—CH 2 —CH 2 OH . ch/ÖÜ

Als P h o s p h a t i d e bezeichnet man fettähnliche Substanzen, die sich aus Glycerin, Fettsäuren, Phosphorsäure und einer basischen Komponente nach folgendem Prinzip aufbauen: Ein Molekül Orthophosphorsäure ist einerseits mit einer Hydroxylgruppe eines Moleküls Glycerin, andererseits mit einem Aminoalkohol verestert. Die zwei restlichen Hydroxylgruppen des Glycerins sind durch Fettsäuren verestert. Die am besten bekannte Gruppe der Phosphatide, die Lecithine, enthalten als basische Komponente Cholin. Phosphine Die den Alkylderivaten des Ammoniaks entsprechenden Derivate des Phosphorwasserstoifs PH 3 , die Phosphine, be-

72

Aliphatische Verbindungen

sitzen gleich den Aminen Additionsvermögen gegenüber Säuren, die quaternären Phosphoniumbasen R4POH sind ebenso starke Basen wie die Tetraalkylammoniumhydroxyde. Die Alkylphosphine sind, abgesehen vom gasförmigen Monomethylphosphin, Flüssigkeiten, in Wasser nicht löslich. Sie sind autoxydabel, einige sogar selbstentzündlich. Darstellbar sind Phosphine durch Alkylierung von Phosphoniumjodid PH4J und Spaltung der erhaltenen Alkylphosphoniumjodide mittels Alkali, z.B.: P H J - > PH3RJ

PH 2 R.

Alkylarsenverbindungen Vom Arsenwasserstoff AsH3 leiten sich die Alkylarsine und ALkylarsoniumVerbindungen ab. Im Unterschied zu den Aminen und Phosphinen fehlt den Arsinen das Vermögen, Säure zu addieren; dagegen sind Trialkylarsine befähigt, Alkylhalogenid anzulagern und Tetraalkylarsoniumhalogenid zu bilden. Größeres Interesse als die Arsine besitzen die sogenannten „Kakodyl "-Derivate (kakodes, übelriechend), Verbindungen, denen die Atomgruppe

(Kakodylgrappe) gemeinsam ist. Beim Erhitzen von arseniger Säure mit Kaliumacetat wird (CH3)2AS—O—AS(CH3)2, K a k o d y l o x y d , erhalten. Mit Säuren gibt das Kakodyloxyd Salze, z. B. (CH 3 ) 2 As—O—As(CH 3 ) 2 + 2 HCl

2 (CH 3 ) 2 ASC1 + H 2 0 .

Kakodylchlorid Die dem aliphatischen Kakodylchlorid entsprechende Verbindung Diphenylarsinchlorid (C6H5)2AsCl sowie das Diphenylarsincyanid (C6H5)2AsCN fanden im ersten Weltkrieg als „Blaukreuzkampfstoffe" Verwendung. Mittels Zink läßt sich Kakodylchlorid weiterhin in Dikakodyl überführen (CH 3 ) 2 AS j C L + Z n + C L I AS(CH 3 ) 2

(CH 3 ) 2 As—As(CH 3 ) 2 .

Metallorganische Verbindungen

73

Metallorganische Verbindungen Unter den Alkylverbindungen der Metalle sind weitaus die wichtigsten die Organomagnesiumverbindungen. Die nach ihrem Entdecker gewöhnlich „Grignardsche Verbindungen" genannten Organomagnesiumhalogenide werden dargestellt durch Einwirkung von Kohlenwasserstoffhalogenid auf Magnesiummetall in trockenem Äther, z. B. C 2 H 5 J+Mg C 2 H 5 MgJ. Äthyljodid Äthylmagnesiumjodid Die Organomagnesiumverbindungen sind äußerst luftund feuchtigkeitsempfindliche Stoffe. In der Regel werden sie, ebenso wie die Diazoniumsalze (S. 208), nicht als solche isoliert, sondern nur in Lösung hergestellt und als Zwischenprodukte weiter verarbeitet. Da sie sich mit außerordentlich vielen Typen organischer und anorganischer Stoffe umsetzen lassen, sind die Grignardverbindungen für die synthetische Chemie sehr wertvoll. Mit Wasser zersetzen sie sich unter Bildung von Kohlenwasserstoffen: C 2 H 5 MgCl+HÖH -v + HOMgCI. + C 2 H 6 Äthylmagnesiumchlorid Äthan In der Einwirkung von Kohlendioxyd besteht eine Synthese von Carbonsäuren /O „O R—Mg—C1+C0 2 -*• R—CC R-CT + HOMgCI. xOH ^OMgCl Aus Nitrilen lassen sich durch Umsetzung mit Grignardverbindungen Ketone darstellen: JN-MgCl +2H2O CH3• CN+C 2 H 5 • MgCl -»- CH 3 -C R—C C = 0 + MeC0 3 . CH

xo

Ausgangspunkt des Verfahrens ist Essigsäure, die auf dem Weg über Acetaldehyd aus Acetylen gewonnen ist. Die Essigsäure wird dampfförmig über erhitzte Metalloxyde oder Carbonate geleitet. Durch katalytische Umsetzung kann Aceton auch in einem einzigen Arbeitsgang direkt aus Acetylen, Wasser und Luft gewonnen werden:

C

+2HsO

> 2 CH 3 CHO

+02

— H 2 CO s — 1

^2 CH3COOH ->J CH 3 COCH 3 -

Ein anderes Darstellungsverfahren beruht auf einer besonderen Vergärung von Kohlenhydraten (z. B. Kartoffelstärke) mittels bacillus macerans oder einiger anderer Bakterien. Aceton dient als vielseitiges Lösungsmittel, zur Quellung von Nitrocellulose, ferner zur Herstellung von Jodoform (Seite 50), u. a. 6»

Aliphatische Verbindungen

84

Carbonsäuren Die „Säuren" unter den Kohlenstoffverbindungen weisen zum allergrößten Teil ein und dieselbe Atom/.O gruppe, —C- HCOONa. Einer Reihe von Oxydationsmitteln gegenüber (Silbersalzen, Mercuriverbindungen, Permanganat) zeigt die Ameisensäure Reduktionswirkung. M HO—C/ + O X) Ameisensäure

~

J

/OH" HO—C^ |

^H20+C0

2

Kohlensäure

In der Strukturformel der Ameisensäure läßt sich die f ü r /H A l d e h y d e typische Atomgruppe —Cx' erkennen. Die ^O Oxydation der Ameisensäure zu Kohlensäure stellt unter diesem Gesichtspunkt gewissermaßen den Übergang eines „Aldehyds" in die zugehörige „Carbonsäure" vor. Mit wasserentziehenden Mitteln, wie konzentrierter Schwefelsäure, wird aus Ameisensäure Wasser abgespalten. H

HO

K : >C=0

* H 2 0 + CO.

E s s i g s ä u r e , CH 3 COOH, Schmelzpunkt 16,5°, Siedepunkt 118°, wird durch katalytische Hydratisierung von

86

Aliphatische Verbindungen

Acetylen und Oxydation des erhaltenen Acetaldehyds dargestellt. ^O C H = C H + H20 — > CH3C
2 C 2 H 5 OH + 2 C 0 2 . Als Phosphorsäuredonator dient bei der Phosphorylierung Adenosintriphosphorsäure(Adenylpyrophosphorsäure, s. S. 143), welche hierbei zur Adenosinmonophosphorsäure (S. 170) wird, die Übertragung der Phosphorsäure geschieht durch Phosphorylasen. Im Verlauf der Reaktion II kehrt die Phosphorsäure im Kreislauf wieder zur Adenosinmonophosphorsäure zurück. Die Wasserstoffübertragung auf den Acetaldehyd von der Glycerin- bzw. Triosephosphorsäure gemäß IVa bzw. IV geschieht durch die Cozymase (S. 156), indem dieses Coenzym intermediär den Wasserstoff aufnimmt (zur „Dihydrocozymase" wird) und dann an den Acetaldehyd weitergibt (Reoxydation zu Cozymase). Künstlich läßt sich der normale Ablauf der Gärung auf folgende zwei Arten in andere Bahnen lenken: 1. Wird durch Zusatz von Natriumbisulfit der nach III gebildete Acetaldehyd in Form der schwer löslichen Additionsverbindung „abgefangen", so kann das nach I anfallende Glycerin nicht mehr nach IV aus dem System verschwinden, infolgedessen tritt Reaktion Ia wieder in ihr Recht, und die Reaktionsfolge ist also I, Ia, II, III usf. (Glyceringewinnung). 2. Bei Zusatz von Carbonat tritt an Stelle von Reaktion IV eine Disproportionierung des Acetaldehyds zu Essigsäure und Alkohol: IVb) 2 Acetaldehyd -> Essigsäure + Alkohol. Reaktionsfolge ist also: I, Ia, II, III, IVb usf. Als Endprodukte erscheinen Essigsäure, Alkohol, Glycerin, Kohlendioxyd. Glykolyse Die alkoholische Gärung ist die energieliefernde Reaktion im Stoffwechsel einiger Heferassen. Ganz ähnlichen Gesetzen folgt der anaerobe Kohlehydratabbau

Glykolyse

141

im tierischen Gewebe, die sogenannte Glykolyse oder Milchsäuregärung. Bis zur Bildung der Brenztraubensäure ist der Reaktionsverlauf in beiden Fällen der gleiche. Infolge des Fehlens der Carboxylase ist jedoch der Brenztraubensäure beim anaeroben Kohlehydratabbau im Muskel die Möglichkeit des Übergangs in Acetaldehyd genommen. Sie wird zu Milchsäure hydriert und zwar, ganz analog zu den Verhältnissen bei der Reduktion des Acetaldehyds, anfangs von der nach Ia entstehenden Glycerinphosphorsäure, später vorwiegend von dem nach I gebildeten Triosephosphat. I. Hexosediphosphorsäure 2 Triosephosphorsäure. Ia. 2 Triosephosphorsäure ->• Glycerinphosphorsäure +Phosphoglycerinsäure. II. Phosphoglycerinsäure Brenztraubensäure. Illa. Brenztraubensäure+Glycerinphosphorsäure Milchsäure+Triosephosphorsäure III. Brenztraubensäure+Triosephosphorsäure -»Milchsäure+Phosphoglycerinsäure. Die an die Spaltung I sich anschließende Kettenreaktion hat also, zunächst durch Ia in Gang gebracht, im weiteren Verlauf die Folge II, III; II III; usw. Mit der Alkoholgärung hat wahrscheinlich auch der oxydative Totalabbau der Kohlehydrate im Stoffwechselprozeß (s. unten) die Anfangsphasen gemeinsam. Als Regulator der Kohlehydrat abbauenden Feimente spielt das von der Pankreasdrüse erzeugte Insulin eine wichtige Rolle. Durch Insulingabe lassen sich die Kohlehydratwechselstörungen bei Diabetes temporär beheben. Audi die im Organismus getätigte Umwandlung von Kohlehydrat in Stoffe der beiden wichtigen anderen Nährstoffgruppen vollzieht sich wahrscheinlich über Reaktionsphasen der Gärung. Die Umwandlung von Kohlehydrat in Eiweiß dürfte über Brenztraubensäure als Zwischenglied erfolgen, CH3COCOOH Brenztraubensäure

>- C H 3 C H N H 2 C O O H , Alanin

142

Aliphatische Verbindungen

die Verwandlung in Fett auf dem Weg über Acetaldehyd durch Aldolkondensation mit anschließender Reduktion der Hydroxylgruppen und Oxydation der Aldehydgruppe. Biologische Oxydation Die Oxydation der organischen Substanz in der Zelle, die „Zellatmung", ist der Fundamentalprozeß, der dem Organismus die -Energie liefert für endotherme chemische Umwandlungen und Synthesen — nur die grüne Pflanze vermag zur Kohlehydratsynthese die Energie des Sonnenlichtes zu nutzen — und f ü r mechanische Leistungen, wie Bewegung und Aufrechterhaltung einer Temperaturdifferenz zur Umgebung. Di© zu oxydierenden Substanzen werden in der Zelle nicht direkt durch Sauerstoff angegriffen und zu Kohlendioxyd und Wasser verbrannt. Die Oxydation besteht vielmehr zunächst in einem Entzug von Wasserstoff, einer „Dehydrierung", z. B.: CH3CHOHCOOH Milchsäure

CH3COCOOH + 2 H ; Brenztraubensäure CH 2 COOH 2 CH3COOH • | + 2 H; CH 2 COOH COOHCH 2 CH 2 COOH * COOHCH = CHCOOH + 2 H. Bernsteinsäure Fumarsäure Die bei der Dehydrierung entstandenen Produkte werden auf Wegen, die noch nicht in allen Einzelheiten völlig geklärt sind, je nach ihrer Art über die Reaktionsstufen von Wasseranlagerung, erneuter Dehydrierung, Disproportionierung, Decarboxylierung weiter abgebaut. Auch der bei der Dehydrierung entbundene Wasserstoff verfällt nicht direkt der Oxydation durch Sauerstoff, sondern muß erst eine lange Kette von Substanzen durchwandern, bis er den Sauerstoff erreicht. Den Transport besorgen hierbei wasserstoffübertragende Enzyme, die „Dehydrasen" (s. S. 156).

Muskelkontraktion

143

Chemische Vorgänge bei der Muskelkontraktion Eine wichtige Rolle spielt der Kohlehydratabbau, sowohl der anaerobe (die Glykolyse) wie der aerobe (die Verbrennung der durch die Glykolyse entstandenen Milchsäure) bei der Muskelbewegung. Beide Prozesse sind stark exotherm, ganz besonders der aerobe Abbau. Jedoch bildet die bei dem Ablauf dieser Reaktionen gelieferte Energie nicht die unmittelbare Quelle der Muskelkraft. Wie man festgestellt hat, setzt der Kohlehydratabbau erst n a c h der Kontraktion ein und liefert lediglich die Energie nach, die bei der vorangegangenen Kontraktion verbraucht worden ist. Das gleiche gilt für die Zerfallsreaktionen zweier weiterer Stoffe, der Kreatinphosphorsäure und der Adenylpyrophosphorsäure (s. S. 140), die miteinander und mit den beiden Prozessen des Kohlehydratabbaus in der Weise verknüpft sind, daß jede Zerfallsreaktion durch ihre Energielieferung zur Resynthese der Spaltprodukte der ihr vorausgegangenen Reaktion (im folgenden Schema der darüberstehenden Reaktion) führt. Die vier Reaktionen sind also energetisch „hintereinander geschaltet". I. Adenylpyrophosphorsäure->Adenylsäure+2 Phosphorsäure II. Kreatinphosphorsäure -^-Kreatin + Phosphorsäure III. Glykogen -^Milchsäure IV. Milchsäure (od. C 6 H 1 2 0 6 ) ^ C 0 2 + H 2 0 . Die bei der Verbrennung der Milchsäure (LY) gewonnene Energie dient also zur Resynthese von Glykogen aus Milchsäure (JI 1 ) •—• es ist hierbei nur die Verbrennung von 2 0 % der nach III gebildeten Milchsäure notwendig, um die übrigen 8 0 % wieder zu Glykogen zurückzuverwandeln —, die durch Spaltung des Glykogens ( H.) gewonnene Energie dient zur Resynthese von Kreatinphosphorsäure ( " ), und die bei der Spaltung der Kreatinphosphorsäure (I* ) gewonnene zur Resynthese von Adenylpyrophosphorsäure ( ). Ganz ausschließlich gilt, wie bemerkt sei, diese Aufeinander-

144

Aliphatische

Verbindungen

folge allerdings nicht. So kann die Verbrennung der Milchsäure (IY ) auch direkt zur Resynthese von Kreatinphosphorsäure verwertet werden ( J I ) außer oder anstatt zur Resynthese von Glykogen (iL 1 ). Die Dephosphorylierung der Adenylpyrophosphorsäure ( J , ) ist der erste der zur Zeit genau bekannten chemischen Reaktionen, die mit der Muskelkontraktion in Zusammenhang stehen. Auch diese Reaktion aber ist nicht die Ursache der Kontraktion, sondern nur ein E r h o l u n g s prozeß. Der v o r den beschriebenen Reaktionen ablaufende Fundamentalprozeß, der bei der Muskelbewegung die Umwandlung der chemischen Energie in mechanische bewirkt, ist noch unbekannt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Ionenreaktion, möglicherweise um die Folgen einer Mobilisierung von Kaliumionen. Assimilation der Kohlensäure Eine der fundamentalen Reaktionen des Lebens ist die „Assimilation" der Kohlensäure, die nach der Bruttogleichung 6 C 0 2 + 6 H 2 0 -> C 6 H 1 2 0 6 + 6 0 2 in grünen Pflanzen unter Verbrauch der Energie des eingestrahlten Sonnenlichtes vor sich geht und in der Reduktion von Kohlensäure zu Kohlehydrat besteht. Der Verlauf dieser Reaktion, die sich in vielen Stufen abspielt, ist erst bruchstückweise bekannt. Mit Hilfe von 1 4 C 0 2 wurde als (bisher) erstes Zwischenprodukt Phosphoglycerinsäure (s. S. 138) festgestellt. Es ist möglich, daß der weitere Weg zum Kohlehydrat wenigstens teilweise der Umkehrung der Reaktionsfolge der Gärung (s. S. 138) gleicht. Die Phosphoglycerinsäure denkt man sich durch Carboxylierung einer (noch nicht erfaßten) C 2 -verbindung entstanden, die also auf die Kohlensäure reduzierend wirkt. Die Reduktionskraft des ganzen Systems geht letztlich auf Wasserstoff zurück, der unter A. Szent-Györgyi, York 1952.

Chemistry

of

Muscular

Conlraction.

2. Aufl.

New

Aminosäuren

145

der Einwirkung des Lichtes aus Wasser entbunden wird. Durch Verwendung von 1 8 0 hat man festgestellt, daß aller nach der obigen Bruttogleichung entstehender Sauerstoff aus den Wassermolekülen, nicht aus der Kohlensäure, stammt. Aminosäuren Als Aminosäuren bezeichnet man Carbonsäuren, in deren Kohlenwasserstoffrest ein Wasserstoffatom durch die Aminogruppe ersetzt ist. Nach der Stellung der Aminogruppe in bezug auf die Carboxylgruppe unterscheidet man a-, ß-, y-, 8-Verbindungen. 5

y

ß

a

R • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • COOH . Die Aminosäuren bilden die Bausteine der Eiweißstoffe. Als Spaltprodukte der Proteine werden fast ausschließlich a-Aminosäuren erhalten; sie sind sämtlich •—• bis auf das Glykokoll, das kein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthält — optisch aktiv, und zwar weisen fast alle 1-Konfiguration auf. COOH I H2N—C—H I R 1-Aminofettsäure Synthetisch lassen sich Aminosäuren gewinnen durch Einwirkung von Ammoniak auf halogenierte Fettsäuren: NH3 + ClCH2COOH NH2CH2COOH + HCl; Chloressigsäure Aminoessigsäure („Glykokoll") oder durch Reduktion der Oxime von Ketonsäuren: H

CH3—C—CH2—CH2COOH II -9- CH3—CH—CH2—CH2COOH. Ii

NOH Oxim der y-Ketovaleriansäure

I

NH2 y-Aminovaleriansäure

E . I. Rabinowitch, Photosynthesis. 2 Bde. New York 1945 u. 1951. A. Pirson, Photosynthese. Fortschritte d. Botanik 14, 289 (1953). 10 S c h l e n k , Organische Chemie

146

Aliphatische Verbindungen

Die wichtigen a-Aminosäuren lassen sich im besonderen noch nach folgenden zwei Methoden darstellen:. 1. Uberführung von Aldehyden oder Ketonen in Cyanhydrine, Umsetzung der Cyanhydrine mit Ammoniak zu Aminonitrilen und Verseifung der Nitrile zu den Carbonsäuren: H H .CN H /CN RC = O + HCN > RC< NH RC< xHO xNHj Aldehyd ^RCH(NH?)COOH. a-Aminosäure 2. Reduktion von a-Ketonsäuren in Gegenwart von Ammoniak: CHsCOCOOH+2 H + N H 3

CH 3 CH(NH 2 )COOH + H ä O.

Die Aminosäuren zeigen amphoteres Verhalten: sie sind auf Grund der NH 2 -Gruppe zur Salzbildung mit Säuren, auf Grund der Carboxylgruppe zur Salzbildung mit Basen befähigt. In der wässerigen Lösung der Aminosäuren liegt ein Gleichgewicht vor: /NH 3 OH /NH 3 OH RCH< ^RCH< ^ X c ° O H Anio^COOH + H ' / NH3 • + OH' / NH3- + OH' :£RCH< x COOH xCOO'+H" Kation Zwitterion Die Dissoziationskonstante der Carboxylgruppe ist etwas höher als die der Aminogruppe, infolgedessen zeigen die Aminosäuren saure Reaktion. a-, ß-, v-Aminosäuren weisen einen charakteristischen Unterschied auf, der sein Analogon bei den a-, ß- und y-Oxysäuren hat. a-Aminosäuren sind zu einer der Lactidbildung entsprechenden Wasserabspaltung befähigt:

Aminosäuren

147

H : NH—CH2—CO ; OH HO i OO- CH,—NU i H

NH—CH2 " >C0+2H20. CH2—NH / Diketopiperazin

Oc/ x

ß-Aminosäuren spalten leicht Ammoniak ab und bilden dabei gleich den ß-Oxysäuren Olefincarbonsäuren H2NCH2CH2COOH * NH3 + CH 2 =CHCOOH. /?-Aminopropionsäure Acrylsäure Y- und 8-Aminosäuren spalten intramolekular Wasser ab und bilden den Lactonen analoge „Lactame" CH 2 —CH 2 —CH 2 —C = O CH 2 —CH 2 —CH 2 —C = O I I I N H 1 N H NH2 OH y-Aminobuttersäure Lactam der /-Aminobuttersäure a-Aminoessigsäure, G l y k o k o l l , NH2CH2COOH, wurde zuerst bei der Hydrolyse von Leim erhalten und besitzt süßen Geschmack, daher der Name (Glykokoll = Leimsüß). Benzoylglykokoll kommt im Pferdeharn vor. Man nimmt an, daß die Bildung der Hippursäure im Organismus die Bedeutung einer Entgiftung von Benzoesäure hat. C 6 H 5 Cco I II NH—CO H2N NH—C— iXIF Harnsäure Alloxan NH—ICO NH2 ! I -| I CO C—NH\ — > CO OC NH X + C0 2 . I I >co I I >CO X x NH—C—NH NH—CH—NH Harnsäure Allantoin Harnsäure ist das Endprodukt des Eiweißstoffwechsels bei den Tierklassen der Vögel und Reptilien. In der Natur finden sich Ablagerungen von Vogelexkrementen, etwa 90% Harnsäure enthaltend, stellenweise in ungeheuren Mengen (Guano). Der Harn der Säugetiere enthält Harnsäure nur in geringer Menge. Bei gewissen pathologischen Zuständen des Säugetierorganismus scheidet sich Harnsäure dagegen in den Gelenken (Gicht) oder in der Harnblase ab (Blasensteine). Die Harnsäure ist eine schwache Säure; sie vermag zwei Wasserstoffatome gegen Metall auszutauschen. Die Salze leiten sich von einer tautomeren Form der Verbindung ab N = COH I I HOC C—NH i_C-N>COH-

Purinderivate

169

Das Lithiumsalz ist durch besonders große Löslichkeit ausgezeichnet, was man bei Gicht therapeutisch in der Weise zu nutzen sucht, daß man dem Organismus Lithiumverbindungen zuführt. Zum analytischen Nachweis der Harnsäure dampft man das zu prüfende Produkt mit Salpetersäure ein und versetzt mit Ammoniak: das Auftreten intensiv roter Farbe zeigt Harnsäure an („Murexidreaktion"). Im Tierreich wie im Pflanzenreich findet sich eine große Anzahl höchst wichtiger Verbindungen, die das gleiche eigentümliche bicyclische Kohlenstoff-Stickstoffgerüst aufweisen wie die Harnsäure. Für die rationelle Nomenklatur dieser Stoffe wird die Verbindung P u r i n als Bezugsobjekt zugrunde gelegt, (1)

(6)

CH I I (7) (2) HC (5) C—NH\ II II > C H (8), (3) N C N^ (4) (9) Purin wobei die Ringglieder wie vorstehend numeriert werden. T h e o b r o m i n und K a f f e i n finden sich in Tee, Kaffee, Kakao und anderen Produkten pflanzlichen Ursprungs. NH—CO H 3 CN—CO I I /CH3 I | /CH3 CO C — N < CO C—N< I II >CH | || >CH H 3 CN C—NT H 3 CN—C—Nr Theobromin Kaffein X a n t h i n , H y p o x a n t h i n , A d e n i n und G u a n i n sind als Spaltprodukte der Nucleinsäuren aufgefunden worden. NH—CO NH—CO NH—C = NH I I I I I I CO C—NH CH C—NH CH C—NH 1 11 ^>CH II II *>CH NH-C-N^ N C—N^ Xanthin Hypoxanthin

H II ^CH N—C-N/^ Adenin

170

Aromatische Verbindungen N = C—OH I I H 2 N—C C—NH

II II >CH N—C—Nr Guanin Die genannten Purinbasen sind glucosidisch mit Zucker zu „Nucleosiden", diese weiterhin esterartig mit Phosphorsäure zu „Nucleotiden" verknüpft. Z. B.: Adenin; Adenin + Ribose; Adenin+ Ribose +Phosphorsäure „Adenosin" „Adenosinphosphorsäure" oder „Adenylsäure" Purinbase Nucleosid Nucleotid „Nucleinsäuren" sind Polynucleotide. Die an Eiweiß gebundenen Nucleinsäuren werden als „Nucleoproteide" bezeichnet; sie sind Hauptbestandteil der Zellkerne im Tierund Pflanzenreich.

Aromatische Verbindungen Die Konstitution des Benzols Grundsubstanz der sog. aromatischen Verbindungen ist das Benzol. Die Bruttoformel des Benzols ist C e H ö ; die Kohlenstoffatome sind in der Form eines sechsgliedrigen Ringes angeordnet, wie sich aus der Tatsache ergibt, daß das Benzol bei der Hydrierung in Cyclohexan übergeht; auf Grund der Zahl der zu beobachtenden isomeren Derivate steht fest, daß jedes der vorhandenen Kohlenstoffatome ein Wasserstoffatom trägt, und daß die sechs CH-Gruppen untereinander gleichwertig sind: es gibt nämlich keine Isomerie bei mono-substituiertem Benzol, dagegen existieren bei disubstituierten Benzolen jeweils drei Isomere. Diesen Tatsachen wird die Anordnung der sechs CHGruppen in der Form eines regulären Sechseckes gerecht: H HC/ I HCV

XCII

I

yCH

H

Konstitution des Benzols

171

Es bleibt die Frage, in welcher Weise sich die vierte Valenz des Kohlenstoffes betätigt. Unter den vielen Vorstellungen, die für die Struktur des Benzols entwickelt wurden, kommt nur die ursprüngliche, von Kekule stammende, mit dem von der Chemie des Methans her überkommenen Prinzip normal viervalenter Kohlenstoffatome aus; sie sieht im Benzolmolekül drei alternierende Doppelbindungen vor: X

CH

HC^CH HC

S . yCH '

CH Benzol

y \

X

HC

CX

XC

HCI \

II CH

I HC

/ jj (A) c

CH \

c

ICH I /

H (B)

Dieses Formelbild ist jedoch ohne besondere Annahmen nicht zu halten. Erstens läßt es zwei verschiedene Ortho-disubstitutionsprodukte (A und B) erwarten; im Gegensatz zu dieser Forderung konnten solche Isomere niemals isoliert werden. Zweitens erscheint das Benzolmolekül nach dem Formelbild durch den Besitz dreier Doppelbindungen stark ungesättigt, was dem zu beobachtenden chemischen Verhalten entschieden widerspricht. Eine Erklärung für das Fehlen von Isomeriefällen im Sinne der Formeln A und B gibt die Annahme, daß die eine dieser Formen jeweils energetisch begünstigt ist und sich deshalb die andere Form des Disubstitutionsproduktes, falls sie primär je entsteht, spontan durch Verlagerung der drei Doppelbindungen im Ring in die begünstigte Form umwandelt. Für das trotz dreier Doppelbindungen in der Benzolformel relativ recht gesättigte Verhalten des Benzols hat J. T h i e l e eine Interpretation gegeben. Wie Thiele fand und seitdem in vielen Fällen bestätigt worden ist, pflegen an Systemen konjugierter Doppelbindungen, d. h. solchen, bei denen zwei Doppelbindungen durch eine einfache Bindung getrennt sind, Additionen in 1,4-Stellung,

172

Aromatische Verbindungen

also nur an den E n d e n des Systems, zu erfolgen (s.S.40):

c—c=c— Beim Benzol sind die drei Doppelbindungen so angeordnet, daß sie alle paarweise zueinander konjugiert sind, daß also kein Ende des Systems, somit auch keine begünstigte Angriffstelle für Additionen vorhanden ist. Die Kekule-formel des Benzolringes, modifiziert durch die Annahme des Oscillierens der Doppelbindung und ergänzt durch die Vorstellung paarweiser Absättigung der Partialvalenzen, mußte jahrzehntelang genügen. Sie gibt jedoch den wahren Tatbestand nicht wieder. Es müßten z. B. diesem Formelbild entsprechend die Abstände zwischen den sechs Kohlenstoffatomen alternierend dem der üblichen Doppel- und Einfachbindung oder, bei sehr raschem „Oscillieren" der Bindungen allenfalls dem Mittelwert dieser Bindungsabstände entsprechen, d. h. 1,54 Ä und 1,33 Ä bzw. 1,44 Ä sein. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Abstand zwischen den Kohlenstoffatomen des Benzolringes beträgt durchgängig 1,39 Ä. Diese „Kontraktion" des Moleküls sowie die sonstigen Eigentümlichkeiten des Benzols sind durch einen besondersartigen Bindungszustand bedingt, der nicht durch die klassischen Formelsymbole ausgedrückt werden kann. Von den vier Valenzelektronen, die jedes Kohlenstoffatom besitzt, dienen im Benzolring zwei zur Bindung der beiden Nachbarkohlenstoffatome und je eines zur Bindung des Wasserstoffatoms. D a das Wasserstoffatom seinerseits ebenfalls ein Elektron liefert, folgt, daß jede der Bindungen, von C zu C und von C zu H, wie üblich, durch je zwei Elektronen besorgt wird (tj-Bindungen). Das übrigbleibende vierte Elektrpn (rc-Elektron) des Kohlenstoffatoms ist nicht lokalisiert zu denken. Vielmehr hat man sich vorzustellen, daß die insgesamt sechs restlichen Elektronen der sechs Kohlenstoffatome eine „rc-Elektronen-Gesamtwolke" bilden, die dem ganzen Ring gemeinsam zugehört. Der Fall, daß Elektronen nicht an einem Einzelatom bzw. einer Einzel-

Nomenklatur der Benzolderivate

173

bindung lokalisiert sind, sondern über ein mehrgliedriges System verteilt zu denken sind, wird als „Mesomerie" bezeichnet. Weiteres über Mesomerie s. S. 15. Für den besonderen Bindungszustand im Benzolring hat man kein neues Formelsymbol eingeführt. Man benutzt gewöhnlich die Formel Kekules, oder, vereinfachend, ein Sechseck, dessen sechs Ecken die CH— gruppen bedeuten. / \ I I c6h6 Nomenklatur der Benzolderivate Das dem Methyl der aliphatischen Reihe entsprechende einwertige Radikal C 6 H 5 wird Phenyl, das zweiwertige Radikal C e H 4 Phenylen genannt. Die einwertigen Radikale alkylierter aromatischer Kohlenwasserstoffe werden gattungsmäßig als „Aryle" bezeichnet, wenn die Funktionsstelle des Radikals ein Kohlenstoffatom des_Benzolringes, des sogenannten „Kerns", ist, z. B. CH 3 Ca + Ca(OH) 2

>-

+ 2 CaC03

Das Benzol und seine Homologen sind wasserunlösliche brennbare Flüssigkeiten. Die niedrigen Homologen führen besondere Eigennamen. Name Benzol . . . Toluol . . . m-Xylol . . . Mesitvlen . . Äthylbenzol

Formel

Siedepunkt

C 6 H, C6H5CH3 C 6 H 4 (CH 3 ) 2 C 6 H 3 (CH 3 ) 3 (1,3,5) C6H5C2H5

80,2° 110,8° 139,3° 164° 136°

Halogensubstitutionsprodukte Die Reaktion zwischen elementarem Chlor oder Brom und Benzol vollzieht sich bei Abwesenheit von Katalysatoren mit sehr geringer Geschwindigkeit; als Reaktions-

Halogensubstitutionsprodukte des Benzols

179

Produkte werden unter diesen Umständen vorwiegend Additionsverbindungen erhalten, z. B. Hexabrombenzol. Hx /Br CH hc^NCH HC^^CH

H\c Br/

3 Br,

H \ c Br/

CH

\y

/\

\/

H/

C

/H \Br

C/

H

\Br

xBr

Bestimmte Stoffe, z. B. Aluminiumbromid, erhöhen die Umsatzgeschwindigkeit und lassen anstatt der Additionsverbindungen Substitutionsverbindungen gewinnen. Treten zwei Halogenatome an den Kern, so bilden sich hauptsächlich 1,2- und 1,4-Verbindungen, bei Eintritt von drei Halogenatomen werden die Stellen 1, 2, 4 besetzt. Fortgesetztes Halogenieren führt bis zum Hexaprodukt. Bei der Halogenierung der Alkylderivate des Benzols hängt der Reaktionsverlauf von den Versuchsbedingungen ab; als Faktoren machen sich dabei, abgesehen von stofflichen Katalysatoren, Temperatur, Licht und Konzentrationsverhältnis geltend: Bei Lichtausschluß und bei niedriger Temperatur wird der K e r n halogeniert, und zwar vorwiegend in o- und p-Stellung. /NCH3

i^CHj + Br2

CH3 bezw.

Toluol

+ HBr Br\/

Br

o-Bromtoluol

p-Bromtoluol

Licht, z. B. Tageslicht, führt dagegen hauptsächlich zur Halogenierung der Seitenkette. ^>CH3 + Br2 — * Toluol

^ C H 2 B r + HBr. Benzylbromid

180

Aromatische Verbindungen

Anwendung von Halogen in großem Überschuß begünstigt gleichfalls Halogenierung der Seitenkette. Zugabe von Eisenhalogenid als Katalysator unterdrückt dagegen den Angriff auf die Seitenkette völlig und beschleunigt die Substitution am Kern. In den chemischen Eigenschaften sind die kernhalogenierten und die seitenketten-halogenierten Benzole wesentlich verschieden. Aralkylhalogenide gleichen im wesentlichen den Alkylhalogeniden, in den Arylhalogeniden dagegen ist das Halogenatom sehr reaktionsträge; Alkoholat, Alkalihydroxyd, Cyankalium, Ammoniak wirken z. B. überhaupt nicht ein, außer bei sehr hoher Temperatur. Lediglich gegenüber Metall und Organometallverbindungen zeigen sich kernhalogenierte Benzole gut reaktionsfähig: die Wurtzsche und die Grignardsche Synthese lassen sich meist ohne Schwierigkeit durchführen. Die genannten Halogenderivate beiderlei Art sind bei gewöhnlicher Temperatur Flüssigkeiten und besitzen charakteristischen Geruch. Die Benzylhalogenide (C 6 H 5 CH ä • Hai) haben heftige Reizwirkung auf die Augen. Sulfonsäuren

Bei der Einwirkung konzentrierter oder rauchender Schwefelsäure auf Benzol und Homologe wird, wie bereits erwähnt, ein Wasserstoffatom des Kerns durch die Sulfogruppe S 0 3 H ersetzt. Die sulfonsäuren Salze sind wasserlöslich, was von praktischer Bedeutung ist: Farbstoffe werden häufig durch Einführung der Sulfogruppe wasserlöslich gemacht. Die Sulfogruppe kann durch die Hydroxyl- oder die Cyangruppe ersetzt werden: QH5SO3K+2KOH >- C 6 H 5 0K + K2S03-I-H20; Kaliumphenolat QH5SO3K + KCN C6H5CN + K2SO3. Benzonitril Behandlung der Sulfonsäuren mit Phosphorpentachlorid führt zu Sulfochloriden, Umsatz dieser Chloride mit Ammoniak zu Sulfamiden (vgl. Saccharin, S. 190).

Einwertige Phenole. — Arylalkohole ^ONa C4H5S - O + PC15 "o yCl C6H5S - O

+ NH3

181

yd >- C6H5S ->0 + POCI3 + NaCl "o Benzolsulfochlorid /NH2 V C6H5S - O + HCl Benzolsulfamid

Durch Reduktion

der Arylsulfonsäuren

Arylsulfinsäuren, A r — u n d

lassen

sich

weiterhin Thiophenole,

ArSH, erhalten (Ar bedeutet Arylrest). Uber die oben benutzten Formeln mit semipolaren Bindungen s. S. 64. Einwertige Phenole. Arylalkohole Als Phenole werden Benzolderivate bezeichnet, in denen Hydroxyl direkt an den Kern gebunden ist. Phenole besitzen den Charakter schwacher Säuren: sie lösen sich in wässerigem Alkali unter Bildung von Phenolaten: QH5OH+NaOH >- H 2 0 + CiHjONa. Die Darstellung von AlkohoLaten gelingt auf diesem Weg nicht. In anderer Hinsicht weist die phenolische Hydroxylgruppe dagegen Analogien zum alkoholischen Hydroxyl auf; so läßt sie sich verestern und veräthern. QH5OH+

Ck >CCH 3 (X

V QH5OOCCH3+HCI;

EssigsäurePhenol Acetylchlorid phenylester QHjONa + CICH3 * C6H5OCH3 + NaCl. Natriumphe- Methyl- Phenyl-methylnolat dilorid äther, „Anisol" Phenol sowie die drei untereinander isomeren „Kresole" (o-, m-, p-Oxytoluol) finden sich in beträchtlicher

Aromatische Verbindungen

182

Menge im Steinkohlenteer. Sie werden aus den entsprer chenden Fraktionen durch Ausschütteln mit Alkali isoliert. Für s y n t h e t i s c h e Darstellung kommen folgende Wege in Betracht: Alkalischmelze sulfonsaurer Salze: QH5SO3K+2KOH * C6H50K+K2S03+H20; Umsetzung von primären Arylaminen mit salpetriger Säure (s. S. 205). NjH2+0{Nj0H

^C6H50H+N2+H20.

Die in den Benzolkern eingeführte Hydroxylgruppe reaktiviert die beiden o-Wasserstoffatome und das pWasserstoffatom (s. S. 176). Mit Brom z. B. setzt sich Phenol sehr leicht um im Sinne der Gleichung: OH OH 1 n,. J |

| + 3 Br 2



|

|

+ 3 HBr.

I

Br

Phenol Tribromphenol Ebenso leicht lassen sich die beiden o-Wasserstoffatome und das p-Wasserstoffatom durch die Nitrogruppe substituieren: OH OH / \ o2n/\no2 I + 3 H0N02 V I I + 3 H20 . no2

„Pikrinsäure"

Einwirkung von salpetriger Säure führt zu p-Nitrosophenol: OH OH I

/\

/\

1

+ HONO

• l

) I NO

+ H 2 0.

Einwertige Phenole

183

Phenol („Carbolsäure") wirkt baktericid, ätzt aber ganz allgemein organisches Gewebe. Es wurde lange Zeit •—• mit Unrecht — für ein geeignetes Desinfiziens bei Wundbehandlung gehalten. In der Technik findet Phenol u. a. Verwendung zur Herstellung der P h e n o l - A l d e h y d k u n s t h a r z e . Phenole lassen sich auf Grund der Reaktivierung der Wasserstoifatome in o- und p-Stellung mit Aldehyden kondensieren, beispielsweise gemäß °

H

I

/ \

HCH 11II

°

H

I

/ \

HCH 11II

°,H I

| |!H O H:| |;H O H:| | + Formaldehyd usw. \ / Form- \ / \ / Phenol aldehyd OH OH OH | CH 2 I CH 2 I

Bei Anwendung eines geeigneten Mengenverhältnisses der Komponenten und unter gewissen Arbeitsbedingungen werden aus Phenolen und Aldehyden auf Grund derartiger Kondensationsvorgänge harzartige Produkte erhalten, die einerseits plastisch, also beliebigen Formungsprozessen zugänglich und andererseits durch Erhitzen „härtbar" sind: die Formlinge verlieren beim Erhitzen ihre Plastizität und das gehärtete Produkt besitzt erhebliche Widerstandsfähigkeit sowohl gegenüber diemischen Einflüssen als medianischen Beanspruchungen. Der Vorgang der Härtung beruht vermutlich darauf, daß die Anfangskondensationsprodukte (oben schematisch formuliert) in Ortho- und ParaStellung mit Formaldehyd weiter reagieren, wodurch Vernetzung der Moleküle herbeigeführt wird. Phenol-Formaldehydharze, die Sulfogruppen enthalten, werden als „Basenaustausdier" zur Wasserenthärtung verwendet. Von den Phenolen zu unterscheiden sind die Arylalkohole, z. B. C 6 H 5 CH 2 OH, Benzylalkohol. Diese Verbindungsklasse weist im allgemeinen die Eigenschaften aliphatischer Alkohole a u f ,

Aromatische Verbindungen

184

Zweiwertige Phenole OH

OH

À/ O H

OH

Â

I I

 I I

I I

\ / \ 0 H Brenzcatediin

Resorcin

Y OH Hydrochinon

Brenzcatechin läßt sich durch Kalischmelze von Phenol-o-sulfonsäure oder durch Hydrolyse von o-Chlorphenol mittels Alkali bei 190° erhalten. Der Monomethyläther des Brenzcatechins heißt Guajakol (I); / \ _ 0 - C H I ' ' J—OH Guajakol

3

II

HO/N—CH(OH)CH2NHCH3 ' ' HO\ I Adrenalin

die Verbindung findet sich in Buchenholzteer. Ein Derivat des Brenzcatechins ist das Adrenalin (II), ein in der Nebenniere der Wirbeltiere vorkommender Stoff von Hormoncharakter. Adrenalin wirkt auf dem W e g über Reizung des Sympathikus; es verursacht u. a. Verengung der Arterien. Adrenalin wird auch synthetisch hergestellt und in die Antipoden getrennt. Die linksdrehende Form ist physiologisch 15mal so wirksam als die rechtsdrehende. H y d r o c h i n o n wird durch Reduktion von Chinon (S. 1 8 5 ) dargestellt. Auf Grund seiner reduzierenden Eigenschaften (siehe unten) findet es ebenso wie Brenzcatechin in der Photographie als Entwickler Verwendung. R e s o r c i n gewinnt man durch Kalischmelze von Benzol1,3-disulfonsäure. D i e für die einwertigen P h e n o l e typischen Reaktionen finden sich auch b e i den zweiwertigen. D a r ü b e r hinaus sind von den letztgenannten das o- u n d p - D e r i v a t noch durch e i n e besondere E i g e n s c h a f t gekennzeichnet: Oxydationsmittel dehydrieren B r e n z c a t e d i i n u n d Hydrochinon unter B i l d u n g sogenannter Chinone, wobei zwei der sechs latenten Benzolvalenzen in Anspruch g e n o m m e n werden.

Zweiwertige Phenole

185

Somit sind die Chinone keine eigentlichen Benzolderivate, sondern Diketone mit zwei Doppelbindungen. O

OH

/ \

l+O

»||

OH Hydrochinon

0

||+HA

p-Chinon

O

l H + o—+ X/j° Brenzcatediin o-Chinon

+ H2O

Aus Resorcin in analoger Reaktion ein „m-Chinon" herzustellen, gelingt nicht, weil in diesem Fall die Ausbildung von Doppelbindungen nicht möglich ist, wie man sofort erkennt, wenn man versucht, eine entsprechende Formel aufzuschreiben. Alle p-Chinone sind gelb, alle o-Chinone rot. Die Farbigkeit der Chinone im allgemeinen und der generelle Unterschied von o- und p-Chinonen im besonderen stimmt gut mit den wiedergegebenen Strukturformeln überein. Es liegen zwei typische, voneinander verschiedene Systeme sogenannter gekreuzt-konjugierter Doppelbindungen vor. II II —c=c—c—c=c— / \ Gekreuzt konjugierte || || Doppelbindungen Y

p-chinoides System o-chinoides System p - C h i n o n , kurzweg Chinon genannt, wird meist durch Oxydation von Anilin (C^H^Ni^) mittels Chromsäure dargestellt, o - C h i n o n läßt sich durch Oxydation von Brenz-

186

Aromatische Verbindungen

catechin mittels Silberoxyds erhalten. Die Chinone sind kristalline, flüchtige Verbindungen von stechendem Geruch. Sie vermögen als Oxydationsmittel zu wirken (Rückverwandlung zu Dioxybenzolen). In vielem zeigen sie das Verhalten von Diketonen; so ist p-Chinon zur Bildung eines Monoxims (I) und eines Dioxims (II) befähigt. NOH

NOH

T II II 1 \ / II O

TT II

11

II

\/

II NOH

Das Monoxim ist desmotrop mit p-Nitrosophenol (S. 182) NOH II

NO I

/\

II II I I \ / \ / II I O OH Von gewöhnlichen Diketonen unterscheiden sich die Chinone durch das Vermögen, als Oxydationsmittel zu wirken (unter Rückverwandlung in Dioxybenzole). OH

Dreiwertige Phenole

I

Hör p H I \ /

HOL V

n

OH

,

u

j

JOH n

l

OH

i

JOH V OH

Das vicinale Trioxybenzol, P y r o g a l l o l , Erhitzen von Gallussäure dargestellt: OH OH H O , / ^ ¡OH '

HOj/\|OH I

I I CÖÖiH

^

wird durch

+ co2.

Aromatische Aldehyde

187

Alkalische Pyrogallol-Lösungen absorbieren Sauerstoff und werden wegen dieser Eigenschaft in der Gasanalyse benutzt. Der Verlauf des Oxydationsvorganges ist nicht geklärt. Pyrogallol wird wegen seines Reduktionsvermögens auch als photographischer Entwickler werwendet. Sym. Trioxybenzol, P h l o r o g l u c i n , wurde beim Abbau vieler Pflanzenstoffe, z. B. der Blütenfarbstoffe, aufgefunden. Synthetisch läßt es sich durch Kalischmelze von Benzoltrisulfonsäure gewinnen. Die Verbindung vermag in zwei tautomeren Formen zu reagieren: H H, HO; I H!

OH ^

0=J/^=0

H

JH 2

HJ x

ÖH

o

Mit Acetylchlorid ist z. B. gemäß der „Enolformel" ein Triacetat, mit Hydroxylamin dagegen, wie bei einem Triketon, ein Trioxim erhältlich. Phloroglucin gilt als Reagens auf Lignin (salzsaure Phloroglucinlösung verursacht Rotfärbung; es handelt sich dabei wahrscheinlich nicht um eine Reaktion des Lignins selbst, sondern um Umsetzung geringer Mengen von carbonylhaltigen Begleitstoffen); ferner als Reagens auf Pentosen (Violettfärbung; Reaktionsverlauf unbekannt).

Aromatische Aldehyde Benzaldehyd,

C 6 H 5 C• C 6 H 5 CHO.

In Naturstoffen wird Benzaldehyd häufig angetroffen, u. a. als Glucosid „Amygdalin" in den bitteren Mandeln. Im Amygdalin ist das Cyanhydrin (vgl. S. 76) des Benzaldehyds, das Mandelsäurenitril, glucosidisch mit einem Bisaccharid (Gentiobiose) verknüpft.

xC6H5

HOCH



C6H5N2C1 + 2 H 2 0. Benzoldiazoniumchlorid

206

Aromatische Verbindungen

Den Sinn der Benennung der Körperklasse als „Diazo"Verbindungen erläutert ein Vergleich mit der Klasse der „Azo"-Verbindungen: Azoverbindung: C6H5N = NC i H 5 (Azobenzol) Diazoverbindung: C6H5N = NOH (Diazohydrat). Bei den Azoverbindungen trifft auf 1 organisches Radikal 1 Atom „azote" (Stickstoff), bei den Diazoverbindungen treffen auf 1 organisches Radikal deren zwei. Bei den Diazoverbindungen sind zwei strukturell verschiedene Typen zu unterscheiden: 1. Verbindungen mit der Formel Ar—N—X „Diazoniumverbindungen", III N 2. Verbindungen mit der Formel Ar—N = N—X „Diazohydrate" bzw. „Diazotate". Die Verbindungen, die bei der Umsetzung der primären Amine mit salpetriger Säure in saurer Lösung erhalten werden, weisen stets „Diazoniumstruktur" auf; sie besitzen den Charakter von Salzen. C6H5NC1 QHj—N • + Cl\ III III N N Die Endung „onium" weist auf die Analogie der Verbindungen mit den Ammoniumsalzen hin, die gleichfalls ein koordinativ vierwertiges Stickstoffatom mit einer ionogenen Valenz enthalten. Bei der Behandlung von Diazoniumchlorid mit Silberoxyd wird Diazoniumhydroxyd in Freiheit gesetzt, C6H5—N—C1 + AgOH C6H5—N—OH + AgCl, III III N N eine Verbindung, die das Ammoniumhydroxyd an Basizität wesentlich übertrifft. Angesichts dessen überrascht es zunächst, daß die Verbindung amphoteres Verhalten zeigt: Zusatz von Kalilauge führt nämlich zur Entstehung

Diazoverbindungen

207

einer Verbindung C 6 H 5 N 2 O K . Diese scheinbare Unstimmigkeit ist so zu erklären, daß das stark basische Diazoniumhydroxyd in einem Gleichgewicht mit einer tautomeren Form, dem Diazohydrat, steht, das seinerseits den Charakter einer schwachen Säure besitzt: C 6 H 5 —NOH ^L C 6 H 5 —N + OH' III

III

N N Diazoniumhydroxyd ^

C 6 H 5 —N ^ Q H 5 — N + H - . II II HON 'ON Diazohydrat

Z u g a b e von Alkali ( K ' + O H ' ) führt dementsprechend zur Salzbildung gemäß C 6 H 5 —N + H' + OH' + K" II 'ON

* H 2 0 + C 6 H 5 —N II KON

Die Auffassung der Diazotate als Verbindungen mit der Gruppierung —N = NO—• wird dadurch gestützt, daß sie in zwei isomeren Formen zu beobachten sind. Die Struktur R—N—OMe ließe eine solche Isomerie unerklärt; die Struktur III

N —N—N—OMe läßt dagegen zwei Isomere voraussehen, die zueinander im Verhältnis einer cis-trans-Isomerie stehen. R—N R—N II II MeO—N N—OMe Dem im Tautomeriegleichgewicht mit Diazoniumhydroxyd stehenden Diazohydrat sowie dem primär entstehenden Diazotat wird die Syn-Form, dem durch spontane Umlagerung unter Energieabgabe entstehenden Isodiazotat wird die AntiForm zugeschrieben. Mittels verdünnter Säure läßt sich aus Isodiazotat das Isodiazohydrat in Freiheit setzen; dieses lagert sich spontan zu Phenylnitrosamin um: C 6 H 5 —N II NOH Isodiazohydrat

->

QHSNH I NO Phenylnitrosamin

208

Aromatische Verbindungen Umsetzungen

der

Diazoniumsalze

In kristallinem Zustand sind die Diazoniumsalze explosiv; einer Isolierung in festem Zustand bedarf es indessen nicht, wenn die Verbindungen als Zwischenprodukte dienen. Die Umsetzungen, die sich mit den Diazoniumsalzen durchführen lassen, sind außerordentlich vielfältig. Reaktionen, die unter Abspaltung des Stickstoffs vor sich gehen: 1. E r s a t z d e r D i a z o g r u p p e d u r c h H y d r o x y 1 findet beim Erwärmen der wässerigen Lösung der Diazoniumsalze statt: QH 5 N 2 C1 + h 2 o > C6H5OH + N2 + HCl. 2. E r s a t z d u r c h A l k o x y l vollzieht sich analog beim Erwärmen mit Alkohol: C6H5N2 + HOC 2 H 5 — C 6 H 5 O C 2 H 5 + HCl + N 2 . 3. E r s a t z d u r c h W a s s e r s t o f f läßt sich durch Reduktionsmittel, wie z. B. Stannitlösung, erreichen: C6H5N2C1 + 2 H

> C6H6 + N2 + HCl.

4. E r s a t z d u r c h H a l o g e n erfolgt bei Behandlung des Diazoniumsalzes mit dem betreffenden Halogenid einwertigen Kupfers („Sandmeyersche Reaktion"). C6H5N2C1 + CuBr C6H5N2C1 + CuCl

^ C6H5Br + N2 + CuCl • C6H5C1 + N2 + CuCl.

5. E r s a t z d u r c h d i e C y a n g r u p p e findet bei Einwirkung von Kupfer-I-cyanid (gelöst in Cyankalium) statt und führt zu Nitrilen C6H5N2C1 + CuCN C 6 H 5 CN + N2 + CuCl. Nach dem Gesagten gelingt es mit Hilfe der Diazoniumverbindungen, ausgehend von Aminen (indirekt also von Nitroverbindungen bzw. Kohlenwasserstoffen) folgende Produkte darzustellen: Phenole, Äther, Kohlenwasserstoffe, Halogenide, Nitrile.

Diazoniumsalze

209

Reaktionen, bei denen der Stickstoff im Molekül verbleibt: 1. R e d u k t i o n

zuArylhydrazin

C 6 H 5 N 2 C1 + 4 H

> C 6 H 5 NH—NH 2 -HC1

läßt sich am besten mittels salzsaurer Zinnchlorürlösung oder durch Behandeln mit Bisuliit und Spalten der gebildeten Hydrazobenzolsulfonsäure mit Salzsäure durchführen: C6H5N2C1 + 2 NaHSOj + H 2 0 C6H5NH.NHS03H + NaHS04 + NaCl; Hydrazobenzolsulfonsäure

C 6 H 5 N H . N H S 0 3 H + HCl + H 2 O C6H5NHNH2,HC1 + H2SO4.

2.

Kupplungsreaktionen

Mit Phenolen bilden sich in alkalischer Lösung Oxyazoverbindungen C6H5N2C1 + HC6H4OH C6H5N = NC6H4OH. Mit tertiären aromatischen Aminen in schwach saurer Lösung tritt Kupplung zu Aminoazoverbindungen ein C6HSN2C1 + HC6H4N(CH3)2

* C6H5N = NC6H4N(CH3)2.

Bei primären und sekundären Aminen in schwach saurer Lösung konkurrieren die Reaktionen I. C6H5N2X + H2NC6H5 zj: C6H5—N=N—NHC6H5+HX II. C 6 H 5 N 2 X + HC 6 H 4 NH 2 - >

Q H J — N = N—C 6 H 4 NH 2 + HX,

die zu Diazoaminoverbindungen (I) bzw. Aminoazoverbindungen (II) führen. Reaktion I ist umkehrbar, Reaktion II nicht; beim Stehen des Reaktionsgemisches in der Kälte verwandelt sich daher die Diazoaminoverbindung allmählich in die Aminoazoverbindung: C6H5—N = N—NHC6H5 + HX C6H5N2X + H2NC6H5 -> C6H5N2C6H4NH2 + HX. Die Oxyazo- und Aminoazoverbindungen sind Repräsentanten der wichtigen Klasse der A z o f a r b s t o f f e .

\4 S c h l e n k , Organische Chemie

Aromatische Verbindungen

210

Die Methode der Kupplung läßt außerordentlich viele Variationen zu, denn es können die verschiedensten Diazoniumsalze mit den verschiedensten aromatischen Aminen, Phenolen oder Substitutionsprodukten derselben gekuppelt werden. Ist die p-Stelle zur Amino- oder Oxygruppe besetzt, so tritt Kupplung in o-Stellung ein. Zuweilen werden Moleküle in p- und o-Stellung substituiert, so daß Tetrazoverbindungen entstehen. B i s m a r c k b r a u n entsteht bei der Einwirkung von salpetriger Säure auf m-Phenylendiamin; es ist ein Gemisch von verschiedenen Farbstoffen, das u. a. folgendes Kupplungsprodukt enthält: N2C1 + H ^

NH;-

^>NH 2

NHz — Nur"

N=N-^ NH^

^>NH 2

Helianthin wird durch Kupplung von diazotierter Sulfanilsäure mit Dimethylanilin erhalten:

ho 3 s-N 2 Cl+HN(CH3)a

Die freie Säure ist gelb, das Natriumsalz rot; das Salz wird als Indikator („Methylorange") in der Acidimetrie verwendet. Diphenylderivate D i p h e n y l , QH 5 —C 6 H 5 , kann durch direkte Kondensation zweier Benzolringe nach der Wurtzschen Methode durch Einwirkung von Natrium auf Brombenzol dargestellt werden. Es bildet sich pyrogen auch unmittelbar aus Benzol (beim Durchleiten von Benzoldämpfen durch glühende Röhren). Das p-Diaminoderivat des Diphenyls, Benzidin, entsteht, wie bereits besprochen, durch spontane Umlagerung von Hydrazobenzol bei geeigneter Wasserstoffionenkonzentration. Bei einigen Diphenylderivaten, z. B. bei der 6,6'-Dinitrodiphensäure,

Triphenylmethanderivate NO2

211

O2N

ci—1> \

COOH

HOOC

ist eine eigentümliche Art von Isomerie bekannt: sie lassen sich in optisdie Antipoden spalten, ohne daß asymmetrische Kohlenstoffatome vorliegen. Der Grund ist in einer durch die „Sperrigkeit" der in den o-Stellungen befindlichen Liganden verursachten Aufhebung der freien Drehbarkeit zu suchen. Wie an einem die Raumerfüllung des Moleküls maßgetreu wiedergebenden Modell (s. S. 21) festzustellen ist, können die Nitrogruppen und Carboxylgruppen der Diphensäure nicht aneinander vorbeigedreht werden. Dementsprechend sind für das Molekül der Säure zwei räumlich verschiedene, nicht miteinander deckbare Konfigurationen möglich, die sich zueinander verhalten wie Bild und Spiegelbild: NO2

NO2

(Der linke Ring jeder der beiden Figuren ist in der Papierebene liegend, der rechte senkrecht zu ihr zu denken.) Triphenylmethanderivate Triphenylrnethan (C 6 H 5 ) 3 CH, wird erhalten durch Kondensation von Chloroform mit Benzol vermittels Aluminiumchlorid als Katalysator: 3 C 6 H 6 + C13CH (C6H5)3CH + 3 HCl. Durch Oxydationsmittel wie Bleidioxyd wird Triphenylrnethan leicht in Triphenylcarbinol (C 6 H 5 ) 3 COH verwandelt. Derivate des Triphenylcarbinols, die an den p-Stellen zum Methankohlenstoffatom Aminogruppen oder Hy14*

Aromatische Verbindungen

212

droxylreste t r a g e n , sind als M u t t e r s u b s t a n z e n einer b e s o n d e r e n Klasse v o n F a r b s t o f f e n , d e r T r i p h e n y l m e t h a n f a r b s t o f f e , interessant. Praktisch w e r d e n diese V e r b i n d u n g e n nicht d u r c h nachträgliche E i n f ü h r u n g d e r g e n a n n t e n S u b s t i t u e n t e n , s o n d e r n in d e r W e i s e dargestellt, d a ß v o n v o r n h e r e i n e n t s p r e c h e n d substituierte K o m p o n e n t e n m i t e i n a n d e r k o n d e n s i e r t w e r d e n . M a l a c h i t g r ü n . Beim Erhitzen von Benzaldehyd mit Dimethylanilin und Zinkchlorid wird Tetramethyldiaminotriphenylmethan erhalten. /C6H4N(CH3)2. C 6 H 5 CHO + 2 HC 6 H 4 N(CH 3 ) 2 — > C 6 H 5 C H < N C6H4N(CH3)2. Die Verbindung ist farblos („Leukomalachitgrün"). Gelinde Oxydation überführt in das entsprechende gleichfalls farblose Carbinol („Malachitgrünbase") /C6H4N(CH3)2. C6H5C(OH)( X C6H4N(CH3)2. Mit Säuren bildet diese Verbindung unter Wasseraustritt und Umlagerung des benzoiden Systems in ein chinoides ein intensiv gefärbtes Salz, „Malachitgrün". y

< \

_ _

OH X I I / N ( C H 3 ) 2 >-C< / \ / \ \ _^N(CH3)2

x

+

HCl

o

N(CH 3 ) 2

•—H2O +

/

N(CH 3 ) 2 C1 P a r a f u c h s i n . Durch geeignete Oxydationsmittel lassen sich zwei Moleküle Anilin mit einem Molekül p-Toluidin folgendermaßen kondensieren:

Triphenylmethanderivate

213

>NH 2 NH 2
— C H 3 + 30

NH. „Pararosanilin" Salzbildung führt zum Farbstoff: NH 2

\

/

L / N H


"c