Einführung in die organische Chemie 9783111708393, 9783111318844


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German Pages 587 [592] Year 1965

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Vorwort
Vorwort zur 2. Auflage
Inhaltsübersicht
Einleitung
1. Kapitel. Die Grundlagen der organischen Chemie
I. Teil Die Hauptklassen der organischen Verbindungen
2. Kapitel. Die Kohlenwasserstoffe
3. Kapitel. Die organischen Halogenverbindungen
4. Kapitel. Die einfachen organischen Sauerstoffverbindungen
5. Kapitel. Verbindungen mit mehreren Sauerstoff- Funktionen im Molekül
6. Kapitel. Die organischen Stickstoffverbindungen
7. Kapitel. Die organischen Verbindungen der übrigen Heteroelemente
8. Kapitel. Die cyclischen Verbindungen
9. Kapitel. Verbindungen mit anomalen Funktionen
II. Teil Sondergebiete
10. Kapitel. Die Grundlagen der Elektronentheorie der Valenz
11. Kapitel. Die zwischenmolekularen Beziehungen
12. Kapitel. Die Stereo- oder Raumchemie
13. Kapitel. Die organischen Mineralien
14. Kapitel. Die organischen Farbstoffe
15. Kapitel. Die Zucker oder Kohlenhydrate
16. Kapitel. Sonstige stickstofffreie Naturstoffe
17. Kapitel. Die stickstoffhaltigen Naturstoffe
18. Kapitel. Die Wirkstoffe
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Einführung in die organische Chemie
 9783111708393, 9783111318844

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E I N F Ü H R U N G IN D I E O R G A N I S C H E C H E M I E VON DR. F R I E D R I C H K L A G E S P R O F E S S O R D E R O R G A N I S C H E N C H E M I E AN D E R U N I V E R S I T Ä T

2., D U R C H G E S E H E N E

UND Ü B E R A R B E I T E T E

MÜNCHEN

AUFLAGE

M I T 60 A B B I L D U N G E N , 25 T A B E L L E N , 4 F O R M E L T A F E L N U N D 17 R A U M B I L D E R N

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. VORMALS

G. J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G • J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHH A N D L U N G • G E O R G R E I M E R . K A R L J . T R Ü B N E R • V E I T & COMP.

B E R L I N 1965

© Copyright 1966 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. Arehiv-Nr. 57 166 51. — Printed in Germany. — Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30

Vorwort Im Gegensatz zu den ausführlichen Lehrbüchern der organischen Chemie, bei denen die Darstellung der tieferen Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den einzelnen Verbindungen und Verbindungsklassen im Vordergrund des Interesses steht, hat ein kurzes einführendes Lehrbuch in erster Linie die Aufgabe, die wichtigsten Substanzklassen beschreibend darzustellen, um dem Studierenden zunächst einmal die Grundlagen für das spätere eingehende Studium seiner Wissenschaft zu vermitteln. Dementsprechend wurde in der vorliegenden „Einführung in die Organische Chemie", die vor allem für das beginnende Chemiestudium aber auch für diejenigen Studierenden bestimmt ist, die sich mit der Chemie als Nebenfach beschäftigen, unter Fortlassung der erst den Fortgeschrittenen interessierenden ausführlichen Abhandlung theoretischer Fragen sowie auch der Konstitutionsermittlung von Naturstoffen ein möglichst vollständiges Tatsachenmaterial gebracht, das im wesentlichen dem in den einführenden Vorlesungen gebrachten Stoff entspricht. Nur bei den Naturstoffen ist zuweilen der Bereich des unmittelbar zu Erlernenden etwas überschritten, damit das Buch dem Studierenden der Nachbardisziplinen später wenigstens in gewissem Umfang als Nachschlagewerk dienen kann. Abgesehen von dieser etwas abweichenden Aufgabenstellung wurde die in meinem großen Lehrbuch gebrachte Stoffeinteilung im wesentlichen beibehalten. Insbesondere sind ebenfalls im ersten Teil die wichtigsten Verbindungsklassen ohne den Ballast der sich oft nur schwer in diese einzuordnenden Naturstoffe und ohne die die geschlossene Darstellung oft störenden theoretischen Erörterungen abgehandelt worden. Auf diese Weise konnte im zweiten Teil einerseits bei den (nur die wichtigsten Grundtatsachen vermittelnden) theoretischen Kapiteln die Kenntnis der meisten Substanzklassen vorausgesetzt, andererseits die Beschreibung der Färb- und Naturstoffe ohne den Zwang zur Einordnung in bestimmte Verbindungsgruppen vorgenommen werden. Hinsichtlich der äußeren Gestaltung des Buches wurden die folgenden Neuerungen eingeführt: 1. Da erfahrungsgemäß bei Anfängerlehrbüchern oft das Bedürfnis besteht (insbesondere bei Verwendung als Repetitorium vor einem Examen), sich über bestimmte Punkte etwas eingehender zu orientieren, wurde des öfteren auf die eingehende Behandlung der gerade angeschnittenen Frage in meinem großen Lehrbuch hingewiesen. Diese Hinweise erfolgen wegen der sich bei Neuauflagen häufig ändernden Seitenzahlen stets durch Angabe der Bandzahl (fette römische Ziffern), Kapitelzahl und Zahl der Kapitelabschnitte bzw. -Unterabschnitte. Das Zitat III, Kap. 5, I I , 1 c bedeutet also die in Band III, 5. Kapitel, Hauptabschnitt I I , Unterabschnitt 1 c beschriebenen „OxoVerbindungen der p-Methanreihe". 2. Zur Erhöhung der Übersichtlichkeit sind (insbesondere im systematischen Teil und in den theoretischen Kapiteln) alle wichtigen, unbedingt zu erlernenden Gesetzmäßigkeiten durch dreifache Leitlinien am linken Seitenrand hervorgehoben.

Vorwort

VI

3. Als wichtigste Neuerung im chemischen Unterricht wurde die in anderen Disziplinen (z. B. in zahlreichen Lehrbüchern der Geometrie) bereits gebräuchliche Verwendung von Raumbildern zur Darstellung sterischer Probleme eingeführt. Gewiß, auch ohne Raumbilder kann man Chemie erlernen, aber gerade für den im Raumdenken ungeübten Anfänger dürfte das „Raumerlebnis" bei der Betrachtung derartiger Bilder von großem Wert sein; denn er erlernt so die für ein Verständnis der Stereochemie unerläßlichen Vorstellungen über die räumliche Gestalt seiner Moleküle gewissermaßen spielend. Auch vermag man auf diese Weise die Verhältnisse oft sogar noch besser wiederzugeben als durch Molekülmodelle. Als einige wenige der bei diesem ersten Versuch längst nicht ausgeschöpften Möglichkeiten seien angeführt: 1. die Kennzeichnung von Raumwinkeln (Raumbild 1 und 16), 2. die Sichtbarmachung von im Raum schwebenden Symmetrie- und Substituentenebenen (Raumbild 2, 6 usw.) oder auch von Symmetrieachsen (Raumbild 17) sowie schließlich 3. die Wiedergabe von „Raumformeln", die sich von den üblichen Schreibformeln auf dem Papier nur dadurch unterscheiden, daß sich die Buchstaben und Bindestriche im Raum befinden. Für die geometrische Konstruktion der Raumbilder bin ich Herrn Lehramtsassessor Peter G m e i n d l vom Institut für Geometrie an der Technischen Hochschule München zu großem Dank verpflichtet. Ferner danke ich meinem Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Chem. Caspar B o t t für zahlreiche wertvolle Anregungen und seine unermüdliche Mithilfe beim Lesen des Manuskriptes und der Korrekturen. München, im April 1961

Friedrich Klages

Vorwort zur 2. Auflage Die vorliegende zweite Auflage unterscheidet sich von der ersten insbesondere in den folgenden vier Punkten: 1. Die bisher semipolar formulierten Bindungen zwischen den Elementen der höheren Perioden und Sauerstoff sind, der fortschreitenden Erkenntnis entsprechend, nach Einführung des neuen Begriffs der p„-p„-Bindung allgemein wieder durch Doppelbindungen ersetzt worden, wie sie bereits in der klassischen organischen Chemie (vor 1920) gebräuchlich waren. 2. In Anlehnung an die moderne Nomenklatur der anorganischen Chemie wurden die Endungen -oxyd und -hydroxyd in Verbindungsnamen generell mit einem i, also -oxid bzw. -hydroxid, geschrieben. 3. Die Raumbildbeilage konnte durch Verwendung neuartiger, von Herrn Prof. Burckhardt (Berlin) entwickelter Farben und Farbbrillen wesentlich verbessert werden. Insbesondere ist bei gleichzeitiger Aufhellung der Brille der das Zustandekommen des Raumeindrucks störende Blauschatten im Blaubild nunmehr vollständig beseitigt. 4. Schließlich wurde auch der laufende Text noch einmal sorgfältig durchgesehen und (unter Vermeidung jeglicher Umfangvermehrung) durch zahlreiche Ergänzungen auf den neuesten Stand der Entwicklung gebracht. München, im Januar 1965

Friedrich Klages

Inhaltsübersicht 1. Kapitel

Die Grundlagen der organischen Chemie

I. Die Stellung der organischen Chemie in der Gesamtchemie 1. Gebietsabgrenzung 2. Die organische Chemie im Periodensystem der Elemente I I . Die Valenzbetätigung und ihre formelmäßige Wiedergabe 1. Die wichtigsten Bindungsarten und ihre Formulierung 2. Sonstige Zeichen und Symbole 3. Die Wertigkeit a) Die allgemeine Wertigkeit b) Die Bindigkeit c) Die oxydative Wertigkeit I I I . Der Molekülbegriff in der organischen Chemie 1. Allgemeine Definitionen 2. Die Isomerie 3. Die Tautomerie 4. Die Stereo- oder Raumisomerie a) Die Spiegelbildisomerie b) Die geometrische Isomerie IV. Analyse und Konstitutionsermittlung 1. Die Aufstellung der Summenformel a) Die Elementaranalyse b) Die Molekulargewichtsbestimmung 2. Die Ermittlung der Konstitution a) Die sich aus der Wertigkeit der Elemente ableitenden Gesetze b) Die Gruppenanalyse c) Die eigentliche Konstitutionsbestimmung I. T e i l 2. Kapitel

Die organischen Halogenverbindnngen

I. Allgemeines

3 3 3 4 5 5 8 9 10 10 10 11 11 12 13 14 14 37 19 19 19 20 21 21 22 22

D i e H a u p t k l a s s e n der o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n

Die Kohlenwasserstoffe

I. Die gesättigten Kohlenwasserstoffe oder Paraffine 1. Grundlegende Definitionen 2. Darstellung und Eigenschaften der Paraffine I I . Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe 1. Die Olefine 2. Die Polyolefine a) Kohlenwasserstoffe mit kumulierten Doppelbindungen b) Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen c) Kohlenwasserstoffe mit isolierten Doppelbindungen 3. Die Acetylene oder Alkine I I I . Die aromatischen Kohlenwasserstoffe 1. Die Grundlagen der Benzolchemie 2. Kohlenwasserstoffe mit einem Benzolkern 3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren Benzolkemen 8. Kapitel

Seite

29 29 29 32 38 38 47 47 48 50 50 55 55 63 65 67 67

VIII

Inhaltsübersicht Seite

I I . Die aliphatischen Halogenverbindungen 1. Die Alkylhalogenide 2. Die Halogen-olefine und Halogen-acetylene 3. Die aliphatischen Poly halogen verbindungen

68 68 71 72

I I I . Die aromatischen Halogenverbindungen 4. Kapitel

73

Die einfachen organischen Sauerstoffverbindungen

75

I . Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate 1. Die Alkohole und ihre Derivate a) Allgemeines b) Einzelne Alkohole c) Die Alkoholderivate a) Die Metall-alkoholate ß) Die Ester y) Die Äther 2. Die Enole 3. Die Phenole I I . Die Oxoverbindungen 1. Die Aldehyde a) Allgemeines b) Die gesättigten Aldehyde o) Die ungesättigten Aldehyde d) Die aromatischen Aldehyde e) Die Halogenaldehyde 2. Die Ketone a) Allgemeines b) Einzelverbindungen 3. Die Derivate der Aldehyde und Ketone a) Die Halogenderivate der Aldehyde und Ketone b) Die Sauerstoffderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Hydrate und Halbacetale ß) Die Acetale und Ketale c) Die Schwefelderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Schwefelwasserstoffderivate der Oxoverbindungen ß) Die Derivate der Sauerstoff säuren des Schwefels d) Die Stickstoffderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Ammoniakderivate der Aldehyde ß) Die Derivate der primären Amine (Schiffsche Basen oder Azomethine) 4. DieKetene I I I . Die Carbonsäuren und ihre Derivate 1. Allgemeines 2. Die Carbonsäurederivate a) Die Carbonsäure-chloride b) Die Sauerstoffderivate der Carbonsäuren a) Die Salze ß) Die Carbonsäure-ester y) Die Carbonsäure-anhydride 8) Die Orthocarbonsäure-ester e) Die Peroxyderivate der Carbonsäuren c) Die Stickstoffderivate der Carbonsäuren a) Die Carbonsäure-amide ß) Die Nitrile d) Die Schwefelderivate der Carbonsäuren 3. Einzelne Carbonsäuren a) Die gesättigten Carbonsäuren b) Die ungesättigten Carbonsäuren c) Die aromatischen Carbonsäuren d) Die Halogen-carbonsäuren

76 76 76 80 84 84 84 88 90 91

. .

96 96 96 103 105 106 107 107 107 111 112 112 112 112 113 114 114 115 115 115 .117 118 119 119 125 126 128 128 128 130 131 132 132 132 135 136 137 137 140 141 142

Inhaltsübersicht IV. Die Kohlensäurederivate 1. Die Halogenderivate der Kohlensäure 2. Die Sauerstoffderivate der Kohlensäure 3. Die Stickstoffderivate der Kohlensäure a) Die Cyansäure und ihre Derivate b) Die Cyanursäure und ihre Derivate c) Die Carbamidsäure und ihre Derivate d) Der Harnstoff und seine Derivate e) Das Guadinin 4. Die Schwefelderivate der Kohlensäure a) Schwefelkohlenstoff und Kohlenoxydsulfid b) Die Rhodanwasserstoffsäure oder Thio-cyansäure c) Die Derivate der Mono- und Dithio-kohlensäure

IX Seite

142 142 143 144 144 146 148 148 150 150 150 151 153

5. Kapitel Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül I . Die Polyhydroxyverbindungen 1. Die mehrwertigen Alkohole oder Polyalkohole 2. Die cyclischen Äther 3. Die mehrwertigen Phenole oder Polyphenole I I . Die Hydroxy-oxo-Verbindungen 1. Die Aldehyd- und Keton-alkohole 2. Die Phenol-aldehyde und Phenol-ketone I I I . Die Poly-oxo-Verbindungen 1. Die acyclischen Poly-oxo-Verbindungen a) Die 1,2 oder a-Dioxoverbindungen b) Die 1,3 oder /S-Dioxo Verbindungen c) Die 1,4 oder y-Dioxoverbindungen 2. DieChinone IV. Die Poly-Carbonsäuren 1. Die gesättigten Dicarbonsäuren 2. Die gesättigten Polycarbonsäuren 3. Die ungesättigten Polycarbonsäuren 4. Die aromatischen Polycarbonsäuren V. Die Hydroxy-carbonsäuren 1. Die aliphatischen Monohydroxy-monocarbonsäuren a) Die 1,2 oder a-Hydroxy-carbonsäuren b) Die 1,3 oder /J-Hydroxy-carbonsäuren c) Monohydroxy-monocarbonsäuren mit größerem Abstand zwischen Hydroxylund Carboxylgruppe 2. Die Lactone 3. Die Polyhydroxy-polycarbonsäuren 4. Die Phenol-carbonsäuren VI. Die Oxo-carbonsäuren 1. Die 1,2- oder a-Oxo-carbonsäuren 2. Die 1,3- oder /S-Oxo-carbonsäuren 3. Sonstige Keto-carbonsäuren

154 154 154 156 158 160 160 162 162 162 163 164 167 168 172 172 176 177 178 180 180 180 181

6. Kapitel Die organischen Stickstoff Verbindungen I . Die Aminoverbindungen 1. Die aliphatische Amine a) Allgemeines b) Die Derivate der aliphatischen Amine a) Die N-Alkyl-metallamide ß) Die Säurederivate der Amine y) Die Ammoniumsalze c) Einzelne aliphatische Amine 2. Die aromatischen Amine (Anilinbasen) a) Allgemeines b) Einzelne Amine

194 194 195 195 199 200 200 201 203 205 205 208

182 182 184 186 188 188 190 193

X

Inhaltsübersicht Seite

3. Die Aminoderivate der organischen SauerstoffVerbindungen 209 a) Die Amino-alkohole 209 b) Die Amino-phenole 210 c) Die Aminoderivate der OxoVerbindungen 211 d) Die Amino-carbonsäuren 211 a) Die 1,2- oder a-Amino-carbonsäuren 212 ß) Sonstige Amino-carbonsäuren 216 II. Die organischen Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen . . 217 1. Die organischen Derivate des Hydroxylamins 217 2. Die organischen Derivate des Hydrazins (Hydrazinoverbindungen) 219 III. Verbindungen mit ungesättigter Stickstoffkette 222 1. Die Diazoverbindungen 222 a) Die aliphatischen Diazoverbindungen 222 b) Die aromatischen Diazoverbindungen 225 2. Die Azoverbindungen 230 3. Verbindungen mit längerer Stickstoffkette 231 IV. Die Nitroverbindungen 232 1. Allgemeines 232 2. Die aliphatischen Nitroverbindungen 234 3. Die aromatischen Nitroverbindungen 236 V. Die Nitrosoverbindungen 238 7. Kapitel

Die organischen Verbindungen der übrigen Heteroelemente

241

I. Die organischen Schwefelverbindungen 1. Die organischen Derivate des zweiwertigen Schwefels a) Die Mercaptane und Thiophenole b) Die Thioäther c) Die Sulfensäurederivate 2. Die organischen Derivate der höheren Oxydationsstufen des Schwefels a) Die Sulfonsäuren und ihre Derivate b) Die Sulfone c) Die Sulfinsäuren d) Die Sulfoxide II. Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen 1. Die organischen Derivate des Selens und Tellurs 2. Die organischen Derivate des Phosphors, Arsens und Antimons a) Die organischen Phosphorverbindungen b) Die organischen Arsenverbindungen a) Allgemeines ß) Pharmazeutisch wichtige Arsenverbindungen c) Die organischen Antimonverbindungen 3. Die organischen Derivate des Siliciums und Germaniums 4. Die organischen Borverbindungen III. Die metallorganischen Verbindungen 1. Allgemeines 2. Einzelverbindungen a) Die alkalimetallorganischen Verbindungen b) Die magnesium- und aluminiumorganischen Verbindungen c) Die organischen Zink-, Cadmium- und Quecksilberverbindungen

241 241 242 243 244 244 245 250 250 251 252 252 252 253 255 255 257 257 258 260 260 260 265 265 266 267

8. Kapitel Die cyclischen Verbindungen I. Die alicyclischen Verbindungen 1. Die monocyclischen Ringsysteme a) Das Cyclopropan und seine Derivate b) Das Cyclobutan und seine Derivate c) Das Cyclopentan und seine Derivate d) Das Cyclohexan und seine Derivate e) Cycloheptan- und Cyclooctanverbindungen f) Cycloparaffine größerer Ringweite

268 269 269 270 271 272 273 276 277

Inhaltsübersicht

XI Seite

2. Die bi- und polycyclischen Verbindungen a) Die Spirane b) Die bicycliachen kondensierten Ringsysteme c) Polycyclische Ringsysteme II. Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus 1. Kondensierte aromatische Ringsysteme a) Allgemeines b) Das Naphthalin und seine Derivate c) Das Anthracen und seine Derivate d) Das Phenanthren und seine Derivate e) Höher kondensierte rein aromatische Ringsysteme f) Kohlenwasserstoffe mit kondensiertem Benzol- und Cyclopentan- bzw. Cyclopentadienring 2. Das Pyridin und seine Derivate a) Einfache Pyridinverbindungen b) Die Benzoderivate des Pyridins a) Das Chinolin und seine Derivate ß) Isochinolin und Acridin c) Sechsgliedrige Ringsysteme mit mehreren N-Atomen 3. Sauerstoff- und schwefelhaltige aromatische Sechsringe

278 278 279 281 282 282 282 283 286 287 288 289 291 291 295 295 296 297 298

I I I . Die aromatischen Fünfringe 1. Die Verbindungen vom Pyrroltypus a) Das Pyrrol und seine Derivate b) Indol und Carbazol c) Fünfringe mit mehreren N-Atomen a) Das Pyrazol und seine Derivate ß) Imidazol und die höheren Azole 2. Die Verbindungen vom Furantypus a) Das Furan und seine Derivate b) Die Oxazole und Furazane 3. Die Verbindungen vom Thiophentypus a) Das Thiophen und seine Derivate b) Das Thiazol und seine Derivate c) Das Selenophen

299 299 299 301 302 303 304 305 305 307 308 308 309 310

9. Kapitel Verbindungen mit anomalen Funktionen I. Das Kohlenoxid und seine Derivate 1. Das Kohlenoxid 2. Die Isonitrile oder Isocyanide 3. Die Knallsäure I I . Anomale metallorganische Verbindungen I I I . Die freien Radikale 1. Allgemeines 2. Die Triarylmethylradikale 3. Sonstige freie Radikale IV. Künstliche Isotopengemische in der organischen Chemie

311 311 311 313 314 315 316 316 317 318 319

II. Teil 10. Kapitel

Sondergebiete

Die Grundlagen der Elektronentheorie der Valenz

I. Der Bau des Kohlenstoffatoms II. Die Bindungen und Bindungssysteme der organischen Chemie 1. Die einfache Atombildung a) Allgemeines b) Der elektrostatische Feldeffekt c) Die Komplexbindung

325 325 329 329 329 330 331

XII

Inhaltsübersicht Seite

2. Die mehrfachen Atombindungen a) Das Elektronenmodell der Doppel- und Dreifachbindung b) Das reaktive Verhalten der Mehrfachbindungen c) die p„-d„-Bindung 3. Die Mesomerie a) Allgemeines b) Einzelne mesomere Bindungssysteme

332 332 334 336 336 336 341

III. Die wichtigsten Reaktionsarten der organischen Chemie 1. Allgemeines 2. Der polare Mechanismus oder Ionenmechanismus 3. Der atomare Mechanismus oder Radikalmechanismus

347 347 349 351

11. Kapitel Die zwischenmolekularen Beziehungen I. Die Natur der zwischenmolekularen Kräfte 1. Die allgemeine Assoziation oder die van der Waalschen Kräfte 2. Die elektrostatischen Anziehungskräfte 3. Die Wasserstoffbrücke 4. Die ji-Elektronenbrücke II. Die Assoziationserscheinungen ohne Verbindungsbildung 1. Die Löslichkeit 2. Die Mischkristallbildung III. Die zwischenmolekularen Verbindungen 1. Die Molekülverbindungen a) Die Wasserstoffbrückenverbindungen b) Die it-Elektronenbrückenverbindungen 2. Die Mischkristallisate

355 355 355 356 357 358 359 359 361 362 363 363 363 364

12. Kapitel

367

Die Stereo- oder Raumchemie

I. Die Stereoisomerie 1. Die Diastereomerie 2. Die Molekularasymmetrie 3. Die Stereoisomerie der Heteroelemente 4. Die Trennung optischer Antipoden 5. Die Konfigurationsbestimmung spiegelbildisomerer Verbindungen II. Die wahre Molekülgestalt 1. Die Raumerfüllung der Atome im Molekül 2. Die Valenzwinkel und die Ringspannung 3. Die freie Drehbarkeit und die Konformation der organischen Moleküle 4. Die Konstruktion von Molekülmodellen 13. Kapitel Die organischen Mineralien I. Die Kohle und ihre Veredelung 1. Die Verkokung 2. Die Tieftemperaturverkokung oder Verschwelung 3. Die Extraktion 4. Die Vergasung 5. Die Gewinnung künstlicher Benzine a) Die Kohlehydrierang b) Die Benzinsynthese von F. Fischer und H. Tropsch II. Das Erdöl 1. Allgemeines 2. Die Verarbeitung des Erdöls

367 367 369 370 372 374 377 377 379 379 382 385 385 386 388 388 388 389 389 389 390 390 391

Inhaltsübersicht

XIII Seite

14. Kapitel

Die organischen Farbstoffe

I. Allgemeines 1. Grundlegende Definitionen 2. Die chemischen Farbtheorien 3. Die Chemie der Faserfärbung I I . Die wichtigsten technischen Farbstoffe 1. Die Polymethin- oder Cyanin-Farbstoffe 2. Die merichinoiden Farbstoffe a) Die Triphenylmethan-Farbstoffe b) Die Chinonimin-Farbstoffe c) Die tricyclischen Farbstoffe der merichinoiden Reihe 3. Alizarin und Indigo a) Das Alizarin und verwandte Verbindungen b) Der Indigo und seine Derivate 4. Die Chinon-Küpenfarbstoffe 5. Die Azofarbstoffe 6. Die Schwefelfarbstoffe

393 393 393 394 397 399 399 400 400 402 402 404 404 405 406 408 411

I I I . Die wichtigsten Naturfarbstoffe 1. Die Carotinoide 2. Die Pyrrolfarbstoffe a) Die Porphinfarbstoffe b) Sonstige Pyrrolfarbstoffe 3. Die sich vom Flavon ableitenden Farbstoffe a) Die Flavon-farbstoffe b) Die Anthocyane 4. Die Pteridinfarbstoffe

411 411 413 413 416 417 418 418 419

15. Kapitel

421

Die Zucker oder Kohlenhydrate

I. Die allgemeine Chemie der Kohlenhydrate 421 1. Die Grundlagen der Zuckerchemie 421 2. Die physikalischen Eigenschaften und Beständigkeitsverhältnisse der Zucker . . . 424 3. Die unter Erhaltung der Oxydationsstufe verlaufenden Reaktionen der Zucker . . 425 a) Das Verhalten der Zucker als Alkohole 425 b) Die Reaktionen der Oxogruppe der Zucker 427 4. Die Reduktions- und Oxydationsprodukte der Kohlenhydrate 429 5. Der Auf- und Abbau von Kohlenhydraten 431 I I . Die Monosaccharide und verwandte Verbindungen 432 1. Die natürlichen Hexosen 432 2. Die natürlichen Pentosen 433 3. Die anomalen Monosaccharide 433 I I I . Die Oligosaccharide und die natürlichen Glykoside 434 1. Allgemeines 434 2. Die natürlichen Oligosaccharide 435 a) Die nicht-reduzierenden Disaccharide 435 b) Die reduzierenden Disaccharide 436 c) Höhere Oligosaccharide 438 3. Die natürlichen Glykoside 438 IV. Die Polysaccharide 440 1. Allgemeines 440 2. Die Cellulose und ihre Derivate 441 3. Die Stärke und verwandte Polysaccharide 442 4. Sonstige Polysaccharide 444

XIV

Inhaltsübersicht

16. Kapitel Sonstige stickstofffreie Naturstoffe I. Die Fette und verwandte Verbindungen 1. Die Fette und fetten öle 2. Die Phosphatide 3. Die Wachse und der Kork II. Die natürlichen Isoprenabkömmlinge 1. Allgemeines

Seite

446 446 446 449 449 450 450

2. Die acyclischen Isoprenabkömmlinge 451 a) Die acyclischen Terpene und ihre Sauerstoffderivate 451 b) Die acyclischen Sesqui-, Di-, Tri- und Tetraterpene und ihre Sauerstoffderivate 452 c) Der Kautschuk und verwandte Verbindungen 453 3. Die cyclischen Isoprenabkömmlinge a) Die monocyclischen Terpene und Campher (Menthanderivate) b) Die bicyclischen Terpene und Campher a) Die natürlichen Thujan-, Caran-, Pinan- und Fenchanderivate ß) Die Verbindungen der Camphanreihe c) Höhermolekulare cyclische Isopenabkömmlinge I I I . Die Steroide 1. 2. 3. 4. 5.

Allgemeines Die Sterine Die Gallensäuren Die pflanzlichen Herzgifte und verwandte Verbindungen Die Saponine

IV. Die natürlichen Phenole und Phenolderivate 1. 2. 3. 4.

Einkernige natürliche Phenole und Phenolderivate Die Depside Die organischen Gerbstoffe Lignin und Holz a) Das Aufbauprinzip und die Biogenese des Lignins b) Die Chemie des Holzes

17. Kapitel

Die stickstoffhaltigen Naturstoffe

I. Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine 1. Die natürlichen Aminosäuren a) Einzelverbindungen b) Aminosäurenachweis und Trennung von Aminosäuregemischen c) Die wichtigsten biochemischen Abbauprodukte der Aminosäuren 2. Die Peptidbindung und die Peptide a) Das Aufbauprinzip der Eiweißstoffe b) Der Abbau der Peptidbindungen c) Die Peptidsynthesen d) Die Oligopeptide 3. Die Eiweißstoffe oder Proteine a) Allgemeines b) Die Gerüsteiweißstoffe oder Skieroproteine c) Die globulären Proteine d) Die Eiweißkunststoffe und verwandte synthetische Kunststoffe II. Die natürlichen Pyrimidinderivate 1. Die einfachen natürlichen Purinabkömmlinge 2. Die Nucleoside und Nucleotide 3. Die Nucleinsäuren oder Polynucleotide

455 455 456 457 458 459 461 461 462 462 463 464 465 465 467 467 469 469 470 472 472 472 472 476 477 478 478 479 480 481 482 482 484 486 489 490 490 492 494

Inhaltsübersicht

XV Seite

I I I . Die Alkaloide

497

1. Allgemeines 2. Alkaloide, die einfachen Naturstoffen noch nahestehen a) Die sich vom Phenyl-alanin ableitenden einfachen Alkaloide b) Die Pyrrolidin-Alkaloide c) Die Piperidin-Alkaloide d) Die Pyridin-Alkaloide

497 500 500 500 501 502

3. Die bi- und polycyclischen Alkaloide einfacher Bauart a) Die Purin-Alkaloide b) Alkaloide mit brückenartig gebundenem N-Atom c) Die China-Alkaloide d) Die Iochinolin-Alkaloide 4. Polycyclische Alkaloide komplizierter Bauart a) Die Morphin-Alkaloide b) Die Carbolin-Alkaloide c) Die Strychnos-Alkaloide d) Die Mutterkorn-Alkaloide e) Das Colchicin f) Die Alkaloide der Steroidreihe

503 503 503 505 506 507 507 509 509 510 511 512

18. Kapitel

Die Wirkstoffe

I. Die Hormone und Vitamine 1. Die Hormone a) Die stickstoffhaltigen Hormone b) Die Steroidhormone 2. Die Vitamine a) Das Vitamin A b) Die Vitamin-B-Gruppe c) Das Vitamin C d) Die Vitamin-D-Gruppe e) Die Vitamine E bis K II. Die Antibiotika 1. Die Antibiotika mit breitem Wirkungsspektrum a) Die Penicilline b) Strepto-mycin und Chloramphenicol c) Die Tetracycline 2. Antibiotika mit speziellem Wirkungsbereich I I I . Die Coenzyme oder Cofermente 1. 2. 3. 4.

Allgemeines Die Adenosin-mononucleotide Die wasserstoffübertragenden Cofermente und die Atmungskette Sonstige Coenzyme

513 514 514 514 516 518 518 519 521 522 522 523 524 524 524 525 526 526 526 527 528 530

Autorenregister

533

Sachregister

535

Einleitung

1. K a p i t e l

Die Grundlagen der organischen Chemie I. Die Stellung der organischen Chemie in der Gesamtchemie 1. Gebietsabgrenzung Der Begriff organische Chemie hat sich im Laufe längerer Zeit entwickelt und deckt sich daher nicht mehr vollständig mit dem, was der Name wörtlich bedeutet. Er wurde ursprünglich von dem schwedischen Chemiker T . BEKGMAH geprägt (1777), der das Gesamtgebiet der Chemie in die beiden Untergruppen der anorganischen Chemie ( = Chemie der toten Materie) und der organischen Chemie ( = Chemie der organisierten Lebewesen) unterteilte. Danach sollte die organische Chemie also etwa der heutigen Biochemie entsprechen. BERGMAN glaubte sogar, daß die organische Chemie ohne jeden Übergang neben der anorganischen stände und besonderen Oesetzen gehorche, die durch eine geheimnisvolle Lebenskraft (vis Vitalis) bedingt seien. Diese Anschauung hat sich jedoch nicht halten können. Vor allem die Synthese des typisch „organischen" Harnstoffs aus dem seinerzeit als typisch „anorganisch" geltenden Ammoniumcyanat durch F. WÖHLEB (1828) zeigte eindeutig, daß beide Teilgebiete der Chemie als grundsätzlich gleichartig anzusehen sind und daß Übergänge zwischen ihnen bestehen. Auch wurden in der Folgezeit viele „organische" Stoffe hergestellt, die vollkommen zellfremd sind (z. B. Benzol, Naphthalin, nahezu alle Nitro-, Nitroso-, Azo- und Diazoverbindungen, die metallorganischen Verbindungen usw.). Die organische Chemie hat also nur sehr bedingt etwas mit dem organisierten Leben zu tun. Dagegen stellte es sich als gemeinsames Charakteristikum heraus, daß sämtliche organische Verbindungen Kohlenstoff als integrierendes Element enthalten. Trotz dieser Erkenntnisse wurde der Begriff der organischen Chemie in der alten Fassung beibehalten. D. h. man definierte sie nicht einfach neu als die Chemie des Kohlenstoffs, sondern zieht die Trennungslinie zwischen organischer und anorganischer Materie mitten durch die Chemie des Kohlenstoffs hindurch und rechnet seine einfachsten Derivate (wie z. B. die beiden Kohlenoxide, die Kohlensäure und ihre Salze, Graphit und Diamant, die Metallcarbide usw.) zur anorganischen Chemie. Infolge dieser komplizierten historischen Entwicklung (Näheres vgl. II, Kap. 1) ist es nahezu unmöglich, eine theoretisch begründete Grenzlinie zwischen organischer und anorganischer Chemie zu ziehen. Für unsere Betrachtung genügt die folgende kurze Definition: Die organische Chemie umfaßt diejenigen Verbindungen des Kohlenstoffs, in denen seine Befähigung zur Bildung von nicht-ionisierten, aus neutralen Molekülen aufgebauten Stoffen besonders deutlich zum Ausdruck kommt.

Kap. 1,1: Die Stellung der organischen Chemie in der Gesamtchemie

4

Obgleich die organische Chemie danach im wesentlichen nur die Chemie eines einzigen Elements darstellt, ist ihre Abgrenzung als gleichwertiges Teilgebiet gegenüber der Chemie sämtlicher übrigen Elemente sachlich durchaus gerechtfertigt; denn die Zahl der organischen Verbindungen, von denen z. Z. etwa 1,5 Millionen bekannt sein dürften, übertrifft die aller anderen Elemente um mehr als das Zehnfache. Auch haben sich in der organischen Chemie eine Reihe eigener, für sie mehr oder weniger charakteristischer Arbeitsmethoden entwickelt. Alles in allem entspricht die heute gültige Grenze zwischen organischer und anorganischer Chemie also mehr praktischen als theoretischen Erwägungen, und es gibt, wie bei allen derartigen durch die Praxis diktierten Abgrenzungen, eine relativ breite Gruppe von Substanzen (wie z. B. die Blausäure und ihre Salze), die man je nach der Betrachtungsweise das eine Mal dem einen und das andere Mal dem anderen Gebiet zuordnet. 2. Die organische Chemie im Periodensystem der Elemente Die besonderen Eigenschaften des Kohlenstoffs, die ihn zum Aufbau der zahlreichen organischen Verbindung befähigen, ergeben sich bereits aus seiner Stellung im Periodensystem der Elemente. Wie die nachstehend angeführten beiden ersten Perioden dieses Systems zeigen, stehen der Kohlenstoff und auch der Wasserstoff jeweils genau in der Mitte zwischen zwei Edelgasen. Sie zeigen infolgedessen eine minimale Tendenz zur Bildung von Ionen, die besonders für die Nachbarelemente der Edelgase charakteristisch ist, und ein maximales Bestreben zur festen Verknüpfung mehrerer Atome durch sog. Atombindungen. Besonders die Verbindung gleichartiger Atome miteinander führt hier in viel höherem Maße als bei den Nachbarelementen Bor, Stickstoff und Sauerstoff zu stabilen Bindungen (G—G- bzw. H—H-Bindung), so daß sich auf diese Weise viele Atome zu mehr oder weniger ausgedehnten Molekülen zusammenfassen lassen. Die Mannigfaltigkeit der Verknüpfungsmöglichkeiten ist besonders bei größeren Molekülen außerordentlich groß und macht dadurch die oben erwähnte Vielzahl von organischen Substanzen durchaus verständlich. D i e b e i d e n e r s t e n R e i h e n d e s P e r i o d e n s y s t e m s der E l e m e n t e

1

2

0

I

II

0 Nn

H

1

2 He

0

I

2 He

Li

3

II 4 Be

III

IV

V

VI

VII

VIII

5 B

6 C

7 N

8 0

9 F

10 Ne

1

2

Aus C—C-Bindungen allein kann man allerdings noch keine organischen Moleküle aufbauen, da die vier Valenzen des Kohlenstoffs räumlich auseinanderstreben (vgl. S. 14) und nicht derart abgebogen werden können, daß die Bildung eines valenzmäßig abgeschlossenen Moleküls aus wenigen C-Atomen möglich ist. Erst wenn man noch die der C—C- und H—H-Bindung hinsichtlich ihrer allgemeinen Beständigkeit sehr ähnliche Bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff (C—H-Bindung) hinzunimmt, kommt man zu größeren Molekülen, in denen die C-Atome miteinander durch C—C-Bindungen verknüpft und alle nach außen gerichtete Kohlenstoffvalenzen des Moleküls durch H-Atome abgesättigt sind.

Kap. 1, II: Die Valenzbetätigung und ihre formelmäßige Wiedergabe

5

Da alle Verbindungen dieses Typus, die wir auf S. 29 unter der Bezeichnung Paraffine kennenlernen werden, nur C—C- und C—H-Bindungen enthalten, sind sie im allgemeinen ziemlich reaktionsträge. Sie stellen in gewissem Sinne die Grundverbindungen der organischen Chemie dar, von denen sich alle übrigen organischen Substanzen durch Ersatz einer mehr oder weniger großen Anzahl von H-Atomen durch andere Atomarten (zusammenfassend auch Heteroatome genannt) ableiten. Die in derartigen Molekülen enthaltenen Atomgruppen mit Bindungen zwischen Kohlenstoff und den Heteroatomen (z. B. die C = 0 - , C = N - , C—Hai-Gruppe usw.) werden Funktionen oder, sofern sich von ihnen weitere Derivate ableiten (z. B. die C—ONa-Gruppe von der C—0—H-Gruppe) auch funktionelle Gruppen genannt. Sie sind meistens wesentlich reaktionsfähiger als das nur C—C- und C—H-Bindungen enthaltende Grundgerüst und setzen sich infolgedessen meistens unter vollständiger Erhaltung des Restmoleküls um. Wir kommen somit zu dem folgenden charakteristischen Aufbauprinzip der meisten organischen Verbindungen: Die organischen Substanzen bestehen aus einem nur C—C- und C—H-Bindungen enthaltenden reaktionsträgen Grundgerüst, an dem sich eine oder mehrere Funktionen (bzw. funktionelle Gruppen) befinden, die unter Erhaltung des Grundgerüsts umgesetzt werden können. Nur auf dieses allgemeine Bauprinzip ist es zurückzuführen, daß in der organischen Chemie nicht, wie vielfach bei den Silicium- und Borverbindungen, sämtliche Bindungen auf einmal reagieren, sondern selbst bei größeren Molekülen immer nur die wenigen aktiven Gruppen. Man wird dadurch in die Lage versetzt, die organischen Verbindungen vorsichtig „abzutasten", stufenweise abzubauen und systematisch zu synthetisieren. Kurz wir kommen zu einer Möglichkeit der eingehenden Erforschung der Kohlenstoffverbindungen, wie sie bei den Derivaten keines anderen Elements in diesem Maße gegeben ist und aus der besonderen Stellung des Kohlenstoffs im Periodensystem der Elemente zwanglos folgt.

II. Die Valenzbetätigung und ihre formelmäßige Wiedergabe Im Gegensatz zur Zeit vor dem ersten Weltkrieg wissen wir heute ziemlieh genau über die Natur der Atombindungen Bescheid und können gewisse Aussagen darüber machen, welche Atomteile an der Bindung beteiligt sind, und inwieweit diese Atomteile bei den verschiedenen Reaktionen in Mitleidenschaft gezogen werden (Näheres vgl. S. 348f.). Um diese Erkenntnisse auch formelmäßig zum Ausdruck zu bringen, muß man die verschiedenen in den Formeln gebräuchlichen Symbole mit viel größerer Sorgfalt anwenden, als es früher geschehen ist. Wir müssen uns deshalb vor der eigentlichen Besprechung der organischen Verbindungen noch kurz mit dem Wesen der modernen Elektronenformeln, die in diesem Buche ausschließlich Verwendung finden, vertraut machen. 1. Die wichtigsten Bindungsarten und ihre Formulierung Sämtliche Atombindungen sind materieller Natur und bestehen aus den Elektronen der Außenschalen der miteinander verbundenen Atome (vgl. S. 325 f.). Beispielsweise wird jede einfache Atombindung durch zwei derartige Außenelektronen (allgemein Elektronenpaar genannt) bewirkt. In einer Strukturformel wie

Kap. 1, II: Die Valenzbetätigung und ihre formelmäßige Wiedergabe

6

der nebenstehend wiedergegebenen Methanformel sagt also der Binde? JJ P JJ strich nicht mehr wie früher nur die Tatsache aus, daß das C-Atom | H

und die H-Atome durch Atombindungen miteinander verknüpft sind, sondern er repräsentiert nunmehr auch Substanz, und zwar jeweils ein Methan Elektronenpaar. Gleichzeitig symbolisieren die C- und H-Zeichen dann natürlich nicht mehr die vollständigen Atome, sondern nur noch den von Außenelektronen entblößten Atomrumpf, d. h. den Atomkern mit allen Innenelektronen. Um dieses Prinzip der Darstellung lediglich der Atomrümpfe durch die Elementsymbole in den gebräuchlichen Formeln vollständig durchführen zu können, ist es erforderlich, sämtliche Außenelektronen der Atome anderweitig zu erfassen. Dies kann, wie wir soeben gesehen haben, durch Bindestriche geschehen, doch gibt es daneben auch Außenelektronen, die nicht an Atombindungen beteiligt sind und Valenzbetätigungen, die nicht auf der Ausbildung einer Atombindung beruhen. Hier muß daher eine andersartige Symbolisierung der Außenelektronen vorgenommen werden. Im einzelnen spielen die folgenden Bindungsarten und sonstigen Anordnungsmöglichkeiten der Außenelektronen in der organischen Chemie eine Bolle: 1. die einfache Atombindung. Sie besteht aus einem den miteinander verbundenen Atomen gemeinsam angehörenden Elektronenpaar und beansprucht bei jedem der Atome eine Valenz. Die Wiedergabe erfolgt in der schon erwähnten Weise durch einen Valenzstrich. 2. die doppelte und dreifache Atombindung. Diese Bindungsarten beanspruchen jeweils zwei bzw. drei Valenzen der miteinander verbundenen Atome und bestehen aus zwei bzw. drei gemeinsamen Elektronenpaaren. Ihre Symbolisierung geschieht durch einen doppelten bzw. dreifachen Strich, so daß auch hier letzten Endes jeder Strich ein Elektronenpaar bedeutet. 3. die Elektrovalenz. Nimmt ein Atom durch Abgabe oder Aufnahme von Elektronen eine elektrische Elementarladung an, so liegt ebenfalls eine Valenzbetätigung vor. Z. B. gehen Natrium- oder Chloratome beim Übergang in ihre Ionen in den einwertigen Zustand über. Trotz dieser Valenzbetätigung sind die Ionen in den entstehenden Salzen aber nicht durch gemeinsame Elektronen, sondern nur durch elektrostatische Kräfte aneinander gekettet. Es ist also keine eigentliche Bindung entstanden, und man spricht daher besser nur von einer Elektrovalenz. Auch der Name Ionenbeziehung ist gebräuchlich. Die Elementsymbole dürfen hier natürlich nicht durch einen Bindestrich verbunden werden, weil sonst die Zahl der Außenelektronen zu groß würde. Man symbolisiert die Elektrovalenzen deshalb lediglich durch eingekreiste -f- - oder Zeichen und setzt im übrigen die Elementzeichen unmittelbar nebeneinander. Die Natriumalkoholate sind also nicht wie früher R—O—Na, sondern R—O e Na® zu formulieren. Daneben begegnet man auch der vereinfachten Schreibweise R—ONa. 4. die semipolare Bindung (früher auch semipolare Doppelbindung). Häufig sind zwei Atome sowohl durch gemeinsame Elektronen aneinander gebunden als auch entgegengesetzt elektrisch aufgeladen. Zwischen ihnen besteht also nicht nur eine richtige Atombindung, sondern auch eine je eine Elektrovalenz beanspruchende Ionenbeziehung. Derartige Bindungen, die also zur Hälfte „polarer" Natur sind, nennt man semipolare ( = halbpolare) Bindungen. Sie sind z. B. in dem Addukt von Ammoniak an Borfluorid (I) oder im Trimethyl-aminoxid (II) verwirklicht und sollten an sich im Sinne der Formeln Ia und IIa sowohl durch einen Bindestrich als auch durch Angabe der elektrischen Ladungen symbolisiert werden. Zur Ver-

7

1 : Die Elektronenformeln

einfachung wird dieser Bindungstypus jedoch heute allgemein durch einen zum negativ aufgeladenen Atom gerichteten Pfeil von Bindestrichlänge (Formeln I b und I I b ) wiedergegeben: H F I© l e H—N—B—F

H

F

H—N->B—F

i i

H

i

CH3 I© 0

ch3

I

HSC—N—0

Ah3

I

II

Ein derartiger Pfeil bedeutet also wie der Bindestrich stets ein Elektronenpaar, macht aber gleichzeitig eindeutige Aussagen über den Ladungszustand der miteinander verbundenen Atome. 5. das einsame Elektronenpaar. Verschiedene Elemente, wie z. B. der Stickstoff im Ammoniak- und der Sauerstoff im Wassermolekül, teilen nicht alle ihre Außenelektronen in Atombindungen mit anderen Atomen, sondern es werden einige Elektronen zur vollständigen Neutralisation der Kernladung von dem betreffenden Atom allein benötigt. Auch diese sog. einsamen oder ungebundenen Elektronen treten paarweise auf und werden deshalb durch einen Strich (pro Elektronenpaar) symbolisiert, der zur Erreichung eines gefälligeren Aussehens der Formeln quergestellt wird. Erst bei Mitberücksichtigung dieser einsamen Elektronenpaare können die Außenelektronen sämtlicher Atome vollständig erfaßt werden. 6. das Radikalelektron. Schließlich besteht in einigen selteneren Fällen auch die Möglichkeit, daß gewisse Atome, die eine unvollständige äußere Elektronenschale besitzen, in dieser ein nicht einem Elektronenpaar angehörendes Einzelelektron enthalten. Dies ist insbesondere bei den auf S. 316f. beschriebenen freien Radikalen sowie auch bei den freien Atomen der anorganischen Chemie der Fall. Derartige Einzel- oder auch Radikalelektronen werden durch einen Punkt gekennzeichnet (z. B. H3C- für das freie Methylradikal).

Als Beispiele einiger vollständiger Elektronenformeln, in denen die Punkte 1—5 zur Anwendung kommen, seien die Formeln des NatriumacetaJts und des Nitromethans angeführt: H HI

H

:OI 0 Na x O|

Natriumacetftt

H . y H—c—N;

;01

i

Kitroraethan

Sie lassen sofort erkennen, daß in beiden Verbindungen sämtliche H-Atome eine abgesättigte Zweierschale (Heliumschale) und sämtliche C-, 0 - und N-Atome eine vollständige Achterschale (Neonschale) enthalten. Ferner geben sie eindeutig wieder, daß die beiden O-Atome, von denen nur eine Atombindung ausgeht, wie im HydroxylIon negativ, und das N-Atom, von dem vier Atombindungen ausgehen, wie im Ammonium-Ion positiv aufgeladen sind. Diese vollständigen Elektronenformeln werden stets benötigt, wenn man den chemischen Charakter einer Verbindung, z. B. ihr Verhalten bei Reaktionen, möglichst weitgehend beschreiben will. In der Praxis, wo es häufig nur auf die Wiedergabe der Bindungsverhältnisse ankommt, werden sie dagegen vielfach wesentlich vereinfacht. Hier läßt man häufig die einsamen Elektronenpaare, die elektrischen Ladungszeichen und unter Zusammenfassung bekannter Atomgruppen durch ihre Summenformel (z. B. CH3- oder C2HS-Gruppe) auch die Bindestriche fort. Wie auf S. 31 gezeigt wird, sind selbst die Elementsymbole in solchen vereinfachten Formeln häufig nicht mehr erforderlich.

Kap. 1, II: Die Valenzbetätigung und ihre formelmäßige Wiedergabe

8

2. Sonstige Zeichen und Symbole An weiteren Zeichen und Symbolen werden in diesem Buch allgemein angewandt: 1. große eckige Klammern zur Hervorhebung von Ionenmolekülen, die eine nach außen in Erscheinung tretende Ladung tragen (also nicht von Zwitterionen). 2. einfache (nicht eingekreiste) + - und — -Zeichen zur Kennzeichnung von Ionenladungen, ohne daß die Ladung auf ein einzelnes Atom lokalisiert wird. Das Hydroxyl-Ion kann man danach e OH oder OH formulierrn. Besonders bei den in eckigen Klammern stehenden Formeln von ausgedehnteren Ionen ist es vielfach zweckmäßig, sowohl im Innern der Klammer die geladenen Atome durch eingekreiste Ladungszeichen als auch außen die Gesamtladung durch nicht eingekreiste Zeichen anzugeben: Q.

@

IO\

/Ol

10y

vOl

H H H H I® I I I® H—N—C—C—N—H I I I I H H H H Äthylen-diammonium-Ion

Oxalat-Ion

3. große runde Klammern. Sie dienen im Gegensatz zu den eckigen Klammern ausschließlich zur Hervorhebung von Zwischenprodukten bei Mehrstufenreaktionen, die nicht gefaßt werden können, also mehr oder weniger nur hypothetischer Natur sind (vgl. das Beispiel zu Punkt 4). 4. quer zu den Bindungen verlaufende dünn punktierte Hilfslinien zur Kennzeichnung derjenigen Stellen des reagierenden Moleküls, an denen die Spaltung eintritt. Die Linien bedeuten also keine Bruchstellen, die bereits im ruhenden Molekül vorhanden sind, und werden stets so gelegt, daß sie über den Verbleib des Bindungspaares Ausdruck geben. Beispielsweise wird die „Acylierung" eines Alkohols mittels eines Garbonsäurechlorids zum Carbonsäureester über das hypothetische Orthocarbonsäurederivat I folgendermaßen formuliert: O II R-C—C1

Carbonsäurechlorid

0-H +

H—0—R'

Alkohol

R—C

C1

O II

— HCl

R—C—0—R'

O—R' I

Oarbons&ureester

Hier werden also der Wasserstoff als Proton und das Chlor als CV-Ion herausgespalten. Ähnlich bedeutet die anschließende Formulierung der thermischen Zersetzung von Blei-tetramethyl in metallisches Blei und vier freie Methylradikale, daß in diesem Fall die Bindungselektronenpaare nicht als Ganzes bei einem der Reaktionspartner verbleiben, sondern jeweils unter Bildung von Radikalelektronen zerfallen:

CH. I ......

-PbJ..

—CH,

I ch3

Blei-tetramethyl

H I • Pb- + 4H—C. i Methylradikal

2 und 3 : Zeichen und Symbole, Wertigkeit

9

5. ein punktiertes Bindungszeichen zwischen zwei Elementsymbolen zur Wiedergabe einer nicht durch gemeinsame Elektronen bewirkten „zwischenmolekularen" Verknüpfung der Atome zweier Moleküle. Z . B . wird die Wasserstoffbrücke (S. 357), etwa in den Doppelmolekülen der Garbonsäuren (S. 363), auf diese Weise formuliert: H - ö ß\ x R—Qr ^C—R o—H icr

Doppelmolekül einer Carbonsäure

6. ein zwischen zwei Molekülformeln stehender Punkt (im Gegensatz zu dem nur an einem Atomsymbol stehenden Punkt für ein Radikalelektron) zur Beschreibung einer hinsichtlich der Bindungsstruktur nicht näher gekennzeichneten Verbindungsbildung zwischen den Molekülen (vgl. z. B. den Acetaldehyd-ammoniak, S. 116). R I 7. ein *, z. B. in H—C—OH, zur Kennzeichnung eines asymmetrischen C-Atoms. R' 8. Ferner sind die folgenden Buchstabensymbole zur gekürzten Wiedergabe größerer Atomgruppen (meistens Reste oder Radikale genannt), gebräuchlich: R bedeutet einen einwertigen organischen Kohlenwasserstoffrest schlechthin (also sowohl einen Alkyl- als auch einen Arylrest) und ist eine Abkürzung für den Ausdruck Radikal. R', R " usw. sind von R verschiedene Atomgruppen. Sie stehen in einem gewissen Gegensatz zu den Symbolen R 2 , R a usw., worunter mehrere gleichartige Reste R verstanden werden sollen. Alk, Alk' usw. bedeutet speziell einen Alkylrest. Dieser kann jedoch in entfernteren Molekülteilen auch aromatische Ringe enthalten. Ar, Ar', Ar" usw. werden in analoger Weise zur Symbolisierung aromatischer Radikale angewandt, und •jwar steht in diesen Atomgruppen das restliche Molekül stets unmittelbar am aromatischen Kern. Ac, Ac' usw. bezeichnen Säureradikale (speziell Carbonsäureradikale). Sie stellen also eine Abkürzung für die Atomgruppen Alk—CO— und Ar—CO— dar. Hai bedeutet ein Halogenatom. X ist ein negativer (d. h. elektroaffiner) Rest. Es steht insbesondere anstelle von —Hai, —OH, —OR, —OAc, —NH 2 , — NR 2 usw. Mt bedeutet ein einwertiges Metall (bzw. ein Äquivalent eines mehrwertigen Metalls), z. B . anstelle von Li, Na, % Zn, y3 AI oder auch der Gruppe —MgHal. RH? RIII» X„, XIH USW. bedeuten die entsprechenden mehrwertigen Atome bzw.

Atomgruppen. hg, al, fe usw. bedeuten das einem H-Atom entsprechende Äquivalent des betreffenden mehrwertigen Elements. 3. Die Wertigkeit Im Zusammenhang mit der Valenzbetätigung der Atome ist auch ihre Wertigkeit, d. h. die Zahl der von ihnen betätigten Valenzen, von Interesse. Dieser Wertigkeitsbegriff hat durch die moderne Elektronentheorie der Valenz eine gewisse Auf-

10

Kap. 1, II: Die Valenzbetätigung und ihre formelmäßige Wiedergabe

splitterung erfahren, und es soll im folgenden streng zwischen den drei Unterbegriffen: a) der allgemeinen Wertigkeit, b) der Bindigkeit und c) der oxydativen Wertigkeit unterschieden werden. a) Die a l l g e m e i n e W e r t i g k e i t

I

Als allgemeine Wertigkeit oder Wertigkeit schlechthin definiert man zweckmäßig die Gesamtheit der von einem Atom betätigten Valenzen.

Sie ist also stets gleich der Summe der von diesem Atom ausgehenden Atombindungen und der Elektrovalenzen (d. h. der von ihm aufgenommenen Elementarladungen). Der Sauerstoff ist danach im OH -Ion zweiwertig (eine Atombindung und eine Elektrovalenz) und der Stickstoff im Ammonium-Ion fünfwertig (vier Atombindungen und eine Elektrovalenz). Dsgl. beansprucht der semipolar gebundene Sauerstoff, z. B. in dem auf S. 7 formulierten Aminoxid, zwei Wertigkeitsstufen (je eine Atombindung und Elektrovalenz). b) Die B i n d i g k e i t Für die Konstitution der organischen Moleküle ist die Ausbildung von Atombindungen meistens von viel größerer Bedeutung als die Valenzbetätigung eines Atoms schlechthin. Man hat daher neben der Wertigkeit den neuen Begriff der Bindigkeit eingeführt und zwar bedeutet die Bindigkeit die Zahl der von einem Atom ausgehenden Atombindungen. Z. B. ist der Sauerstoff im 0 IT-Ion und bei semipolarer Bindung trotz seiner Zweiwertigkeit nur einbindig und der Stickstoff im Ammonium-Ion trotz seiner Fünfwertigkeit nur vierbindig. Zwischen Bindigkeit, allgemeiner Wertigkeit und Zahl der Elektrovalenzen besteht die leicht verständliche Beziehung: Hl

Bindigkeit = allgemeine Wertigkeit minus Zahl der Elektrovalenzen. c) D i e o x y d a t i v e W e r t i g k e i t Unter oxy dativer Wertigkeit eines Elements versteht man die Zahl der Redoxäquivalente, die zur Überführung eines freien Atoms dieses Elements in die betreffende Oxydationsstufe erforderlich sind. Bei Oxydationsäquivalenten spricht man von positiver und bei Reduktionsäquivalenten von negativer oxydativer Wertigkeit.

Da freie Atome im allgemeinen nicht zugänglich sind, wählt man als oxydativ 0-wertige Grundverbindungen meistens die freien Elemente, d. h. man definiert, daß bei der Bildung von Atombindungen zwischen gleichartigen Atomen (z. B. der C—C-, N—N-, 0—0- und Hai—Hai-Bindung) keine oxydative Wertigkeit beansprucht wird. Dsgl. hat es sich bei der Ähnlichkeit von Kohlenstoff und Wasserstoff als zweckmäßig erwiesen, auch die C—H-Bindung für beide Bindungspartner als oxydativ 0-wertig anzusehen. Unter diesen Umständen ist sowohl der Kohlenstoff als auch der Wasserstoff in allen Kohlenwasserstoffen oxydativ 0-wertig, und nur bei Verknüpfung beider Elemente mit negativen Liganden tritt eine (positive) oxydative Wertigkeit zutage. Beispielsweise steigt in der Reihe

11

Kap. 1, I I I : Der Molekülbegriff in der organischen Chemie x H—C—H I—C—H

i

5

i, > • H—C—0—H H—C—O—H A

Methan

Methanol

H. \;) C = 0

M

/,0

• H—C H—cf

0=C=0

V *

H Formaldehyd



Amelsensäure

Kohlendioxid

die Wertigkeit des Kohlenstoffs von links nach rechts von 0 über + 1, + 2 und + 3 auf + 4 an, und der Wasserstoff nimmt in den OH-Gruppen die Wertigkeit + 1 an. Der Wert einer derartigen Definition der Oxydationsstufe liegt darin, daß man aus ihr direkt die für die jeweiligen Reaktionen benötigten Redoxäquivalente ablesen kann. So erfordert etwa bei dem angegebenen Übergang vom Methan zu Kohlendioxid jeder der vier Schritte zwei Oxydationsäquivalente, weil jedesmal der Kohlenstoff in eine um eine Einheit höhere Oxydationsstufe übergeführt und ein am Kohlenstoff befindliches H-Atom + 1-wertig wird. Eine negative Oxydationsstufe nimmt der Kohlenstoff viel seltener an. Von praktischer Bedeutung sind lediglich die auf S. 260f. beschriebenen metallorganischen Verbindungen. Z. B. ist der Kohlenstoff im Lithium-methyl (Li—CH3) — 1-wertig.

III. Der Molekülbegriff in der organischen Chemie 1. Allgemeine Definitionen Die besondere Bedeutung des Molekülbegriffs für die organische Chemie macht exakte Definitionen erforderlich. I m folgenden soll stets

I

unter Molekül die Gesamtheit der Atome verstanden werden, die durch Atombindungen zu einem sich von der Umgebung deutlich abhebenden Gebilde höherer Ordnung zusammengehalten werden.

Hl

das einfachste ganzzahlige Verhältnis der Atome eines Moleküls

Danach sind das Wasser und die Mehrzahl der organischen Substanzen, nicht aber das Kochsalz aus Molekülen aufgebaut; denn die Natrium- und Chlor-Ionen des letzteren werden nur durch elektrostatische Kräfte aneinander gebunden. Sie können infolgedessen in Lösung (sowie in geringerem Ausmaß auch im festen Salz) ihre Plätze beliebig gegeneinander vertauschen und lassen kein sich von der Umgebung abhebendes NaCl-Molekül als höhere Einheit erkennen. Dagegen ist es durchaus möglich, daß die Ionen ihrerseits aus mehreren, durch Atombindungen aneinander geketteten Atomen bestehen (z. B. das Ammonium- und das Acetat-Ion), also Moleküle im Sinne der obigen Definition darstellen. Man unterscheidet deshalb allgemein zwischen Neutralmolekülen, die nur aus neutralen Atomen aufgebaut sind, und Ionenmolekülen, in denen eines (oder bei mehrwertigen Ionen auch mehrere) der Atome eine elektrische Elementarladung tragen. Schließlich gibt es auch neutrale Moleküle, die sowohl ein positiv als auch ein negativ geladenes Atom enthalten, also gewissermaßen beide Arten von Ionen in sich vereinigen. Hier spricht man von Zwitterionen. Die chemischen Reaktionen der organischen Chemie spielen sich stets am Atombindungsgerüst ab, d. h. es werden entweder bestehende Bindungen gelöst oder neue Bindungen gebildet. Meistens finden sogar unter Umgruppierung der Atome beide Vorgänge gleichzeitig statt. Reine Ionenreaktionen, wie z . B . die Fällung von Calciumoxalat, betrachtet dagegen der Organiker nicht als eigentliche chemische Umsetzung, sondern lediglich als eine gemeinsame Kristallisation voneinander unabhängiger Ionen. Für die Charakterisierung der Moleküle sind verschiedene Arten von Formeln in Gebrauch. A m einfachsten ist die Verhältnisformel, die als Ergebnis der Elementaranalyse (S. 19) lediglich

12

Kap. 1, III: Der Molekülbegriff in der organischen Chemie

wiedergibt. Aus ihr kann man außer über die im Molekül enthaltenen Elemente noch keinerlei Anhaltspunkte für den Molekülaufbau oder auch nur die Molekülgröße gewinnen. Beispielsweise beobachtet man die Verhältnisformel CH 2 0 eines „Kohlenhydrats" in gleicher Weise beim Formaldehyd (S. 103) mit einem C-Atom, der Essigsäure (S. 139) mit zwei C-Atomen, der unten formulierten Milchsäure mit drei C-Atomen und den auf S. 421 f, beschriebenen eigentlichen Kohlenhyraten mit fünf und sechs C-Atomen. 111 Hl

Unter Summen- oder Bruttoformel versteht man demgegenüber die Aufzählung aller in einem Molekül enthaltenen Atome.

Sie gestattet bereits die exakte Berechnung des Molekulargewichts, das bekanntlich als die Hl

Summe der Gewichte aller in dem Molekül enthaltenen Atome

definiert ist. Die Bruttoformel ist mit der Verhältnisformel stets durch einen einfachen ganzzahligen Faktor verbunden. So ist etwa die Bruttoformel der Essigsäure mit C 2 H 4 0 2 zweimal und die der Milchsäure mit C 3 H 6 0 3 dreimal so groß wie die oben angegebene Verhältnisformel CH a O. Aber auch die Bruttoformel gibt noch kein eindeutiges Bild vom Aufbau des Moleküls. Hierzu ist eine genaue Kenntnis vom Bauplan, für den die Ausdrücke Struktur oder Konstitution gebräuchlich sind, erforderlich. Dieser Bauplan des Moleküls wird allgemein durch die Struktur- oder Konstitutionsformeln wiedergegeben, in denen alle Atome, die in dem betreffenden Molekül durch eine Atombindung miteinander verknüpft sind, durch einen Strich (bzw. bei mehrfachen Bindungen durch mehrere Striche) verbunden werden, wie am Beispiel der schon mehrfach erwähnten Milchsäure gezeigt sei:

H

H

Strukturformel der Milchsäure

I n diesen Konstitutionsformeln bedeutet also jeder Strich eine Atombindung und stellt damit einen wesentlichen Bestandteil des Moleküls dar (vgl. S. 6). Die Strukturformeln geben im allgemeinen ein ausreichendes Bild des Moleküls wieder. Nur über die räumliche Anordnung der Atome im wirklichen Molekül sagen sie noch nichts aus und müssen deshalb bei räumlichen Betrachtungen durch Molekülmodelle (Näheres vgl. S. 382) oder Raumformeln (vgl. die Raumbilder 3, 4, 6, 7, 13, 14) ergänzt werden. 2. Die Isomerie Die Verknüpfung der Atome eines Moleküls ist außerordentlich fest, als ob sie mit „Häkchen" aneinander gekettet seien. Infolgedessen können die Atome eines Moleküls im allgemeinen nicht ihre Plätze vertauschen wie die Ionen eines Salzes. Da andererseits aber mehrere verschiedenartige Anordnungen einer gegebenen größeren Anzahl von Atomen durchaus möglich sind, bedeutet diese Verhinderung des Platztausches, daß jede denkbare Anordnung der gleichen Atome als eigene Molekülart aufgefaßt werden muß, die sich nicht ohne weiteres in Moleküle einer anderen Atomanordnung „umlagern" läßt.

13

3 : Die Tautomerie

III Hl Hl

Das Auftreten derartiger Verbindungen, deren Moleküle sich bei gleicher Bruttoformel nur in der Atomanordnung unterscheiden, nennt man Isomerie und die Substanzen gleicher Bruttoformel selbst Isomere.

Als Beispiel eines Isomeriefalles seien die Strukturformeln des Olycerin-aldehyds und des Dihydroxy-acetons (S. 162) angeführt, die beide die gleiche Bruttoformel C 3 H 6 0 3 aufweisen wie die oben formulierte Milchsäure, also ihrerseits auch mit dieser isomer sind :

I I C-" H—C O—H

H

Q—H

O

1 C—C—H

Q—H I H—C H

C—H

0

A

H Glycerin-aldehyd

0—H

11

H

Dihydroxy-aceton

Die Zahl der möglichen Isomeren wächst naturgemäß sehr rasch mit der Zahl der in einem Molekül enthaltenen Atome an. Einen ersten Einblick in die Vielzahl der Isomeriemöglichkeiten bei größeren Molekülen gibt die folgende Übersicht, in der die theoretisch errechneten Isomerenzahlen für gesättigte Kohlenwasserstoffe und einwertige Alkohole in Abhängigkeit von der Zahl der Kohlenstoffatome (n) zusammengestellt sind. Diese Zahlen vergrößern sich nochmals wesentlich, wenn man außer der normalen Isomerie (Normaldruck) auch die unter 4. beschriebene Stereoisomerie (kursive Zahlen) berücksichtigt: n

=

2

Paraffine Zahl der isomeren ] Alkohole =

j*

3 1 1 2 2

4 2 2 4 5

6 3 3 8 11

6 5 5 17 28

7 9 11 39 74

10 75 136 507 1553

20 366319 3395964 5622109 82299275

Danach übersteigt allein die Zahl der möglichen isomeren und stereoisomeren Alkohole mit 20 C-Atomen die auf S. 4 angegebene Zahl von 1500000 bekannten organischen Verbindungen um mehr als das 50fache!

3. Die Tautomerie In einigen Ausnahmefällen ist die oben postulierte Beständigkeit der Atomanordnung gegen eine Umgruppierung nicht gegeben, d. h. bestimmte Moleküle lagern sich mehr oder weniger leicht in isomere Moleküle um. Im einzelnen müssen wir die folgenden drei Fälle unterscheiden: 1. Die Moleküle sind unter Normalbedingungen noch beständig, und die Atomumgruppierung erfolgt erst bei höherer Temperatur oder unter dem Einfluß von Katalysatoren. Hier spricht man von einer Umlagerung oder Isomerisierung der betreffenden Substanz. 2. Nur eine der beiden Molekülarten ist so instabil, daß sie sich im Augenblick ihrer Bildung sofort isomerisiert. Dies ist u. a. bei vielen aliphatischen Nitrosoverbindungen der Fall, die im Augenblick der Bildung meistens spontan in die isomeren Oxime übergehen. (Bzgl. eines weiteren Beispiels vgl. S. 90): R—CH2—N=0 Nitrosoverbindung

Umlagerung^

R_-CH=N-OH Oxim

Es liegt also das Verschwinden einer Isomeriemöglichkeit vor.

14

Kap. 1, III: Der Molekülbegriff in der organischen Chemie

3. Schließlich können auch beide Molekülarten etwa gleich instabil sein und sich im Rahmen eines Gleichgewichts dauernd ineinander umlagern. Diese Möglichkeit ist u. a. beim Acetessigester (S. 192) verwirklicht, dessen Moleküle z. T. die Konstitution eines ß-Keto-buttersäureesters und z. T. die des isomeren ß-Hydroxy-crotonsäureesters aufweisen: O

ii

0

ii

HSC—C—CHj—C—O—R /3-Keto-buttersfiure-ester

Q—H

,

T

O

ii

H3C—C=CH—C—O—R 0-Hydroxy-crotonsäure-ester

Diese Erscheinung nennt man Tautomerie oder Desmotropie und die miteinander im Gleichgewicht stehenden Molekülarten die tautomeren oder desmotropen Formen einer Verbindung. Die Tautomerie ist danach dadurch charakterisiert, daß eine Substanz aus zwei sich gegenseitig ineinander umlagernden und aus diesem Grunde nicht voneinander trennbaren Molekülarten besteht. Tautomere Substanzen reagieren infolgedessen nach zwei verschiedenen Konstitutionsformeln. Durch die Bezeichnung „Formen" für die im Tautomeriegleichgewicht stehenden Molekülarten will man zum Ausdruck bringen, daß es sich nicht um selbständige Verbindungen handelt, sondern nur um verschiedene Strukturmöglichkeiten der gleichen Substanz. Beim Acetessigester könnte man z. B. von einer ß-Keto-buttersäure-Form (meistens kurz Ketoform genannt) und einer ß-Hydroxy-crotonsäure-Form (Enolform) sprechen. 4. Die Stereo- oder Raumisomerie Die Verknüpfung der Atome eines Moleküls durch Atombindungen ist im allgemeinen so fest, daß nicht nur eine Umgruppierung der Atome, sondern auch ein einfacher Platzaustausch zweier am gleichen Atom befindlicher Nachbaratome unmöglich ist. D. h. die Anordnung der vier an ein C-Atom gebundenen Atome bzw. Atomgruppen (allgemein Liganden oder Substituenten genannt) bleibt stets so erhalten, wie sie sich beim Aufbau des Moleküls eingestellt hat. Dieser Umstand hat einige weitere Isomerieerscheinungen zur Folge, die, weil sie durch den räumlichen Aufbau der Moleküle bedingt sind, als Stereo- oder Raumisomerie bezeichnet werden. Man unterscheidet zwei Arten der Stereoisomerie: a) die Spiegelbildisomerie und b) die geometrische Isomerie. a) D i e S p i e g e l b i l d i s o m e r i e Eine auf einer verschiedenartigen räumlichen Anordnung der Liganden eines C-Atoms beruhende Isomerie tritt naturgemäß nur dann in Erscheinung, wenn es verschiedene Arten der Anordnung gibt. Um die Möglichkeiten hierzu abschätzen zu können, ist es zunächst einmal erforderlich, sich mit der geometrischen Gestalt der Moleküle einer Kohlenstoffverbindung vertraut zu machen. Wie schon 1874 von J. H . V A N ' T H O F F postuliert und später durch die modernen physikalischen Methoden einwandfrei nachgewiesen wurde, ordnen sich die vier Substituenten eines C-Atoms tetraedrisch an, d.h. der Kohlenstoff befindet sich im Zentrum und die Liganden in den vier Ecken eines regelmäßigen Tetraeders (vgl. Raumbild 1 in der Beilage). In Abb. 1 ist ein derartiges Tetraedermodell einer KohlenstoffVerbindung schematisch wiedergegeben, in dem die beiden Liganden c gleichartig sind. Ein

4 a : Die Spiegelbildisomerie

15

derartiges Gebilde ist noch symmetrisch (z. B. stellt in Abb. 1 die Papierebene die Symmetrieebene dar), und es gibt nur eine einzige Atomanordnung. Dies geht u. a. aus folgendem Oedankenexperiment hervor: Vertauscht man die beiden Substituenten a und b, so ist es ohne weiteres möglich, das entstehende Tetraedermodell durch Verdrehung um die eingezeichnete Achse A—B um 180" mit dem ursprünglichen zur Deckung zu bringen. Ahnlich müßte man nach einer Vertauschung von b und c das Modell um die Verbindungslinie des Zentrums mit dem Liganden a drehen, um die Deckung zu erreichen. Kurz, welche Verschiebungen der Substituenten man auch vornimmt, es wird stets eine gleichartige Atomanordnung entstehen, die sioh durch Verdrehung des Modells mit der ursprünglichen zur Deckung bringen läßt.

»

Für unseren Fall der Kohlenstoffverbindung folgt aus dieser zunächst rein geometrischen Betrachtung, daß bei Gleichheit von mindestens zwei der an einem C-Atom befindlichen Liganden nur eine Atomanordnung möglich und damit keine Stereoisomerie zu erwarten ist.

Sind dagegen vier verschiedene Liganden mit dem C-Atom verbunden (Abb. 2), so kann man keine Symmetrieebene mehr durch das Tetraedermodell legen, und dieses wird asymmetrisch. Hier führt jede Vertauschung zweier beliebiger Substituenten (z. B. von c und d) zu einem neuen, ebenfalls asymmetrischen Tetraedermodell (Abb. 3), das mit dem ersten nicht mehr zur Deckung gebracht werden kann, um welche Achse man es auch zu drehen versucht. Abb. 2 und 3 geben also zwei ver-

Abb. 1 Tetraedermodell einer Kohlenstoffverbindung mit zwei gleichartigen Substituenten

Abb. 2 Tetraedermodell einer Kohlenstoffverbindung mit vier verschiedenen Liganden

Abb. 3 Das gleiche Modell nach Vertauschung der Liganden c und d

Abb. 4 Das in Abb. 2 gezeigte Modell nach Verdrehung in Spiegelstellung zu Abb. 3

16

Kap. 1, I I I : Der Molekülbegriff in der organischen Chemie

schiedene Anordnungsmöglichkeiten der vier Liganden wieder, die ohne Vertauschung zweier beliebiger Substituenten nicht ineinander überführbar sind. Zwei derartige asymmetrische Tetraeder kann man jedoch durch Verdrehung (in unserem Fall um die Verbindungslinie des Zentrums mit dem Liganden a als Achse) stets in Spiegelstellung zueinander bringen. Z. B. befindet sich in Abb. 4 das in Abb. 2 wiedergegebene Modell in Spiegelstellung zu dem in Abb. 3 wiedergegebenen. Hierbei zeigt sich deutlich, daß sich die beiden möglichen tetraedrischen Anordnungen der Liganden wie Bild und Spiegelbild verhalten.

Kehren wir jetzt von den Tetraedermodellen zu den Kohlenstoff Verbindungen zurück. Hier sind also bei Besetzung des C-Atoms mit vier verschiedenen Liganden zwei unterschiedliche Molekülarten gleicher Konstitution zu erwarten, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten. Jede auf einer derartigen asymmetrischen räumlichen Atomanordnung beruhende Isomerie nennt man Spiegelbildisomerie und die jeweiligen Atomanordnungen der Moleküle (im Gegensatz zu der in beiden Fällen gleichen Konstitution) Konfiguration. Wie unterscheiden sich nun spiegelbildisomere Substanzen voneinander ? Wie Abb. 3 und 4 zeigen, sind in den Molekülen sämtliche Atomabstände und Dimensionen exakt die gleichen — man nennt derartige Gebilde deshalb auch geometrisch gleichwertig —, und infolgedessen verhalten sie sich allen symmetrischen (sog. skalaren) Einflüssen gegenüber (z. B. hinsichtlich ihrer Schmelz- und Siedepunkte, der Löslichkeit und auch der meisten chemischen Reaktionen) völlig gleichartig. Erst bei räumlich gerichteten (sog. vektoriellen) Einwirkungen treten Unterschiede des Verhaltens zutage, die zur Charakterisierung und Trennung der spiegelbildisomeren Stoffe herangezogen werden können. Das wichtigste Beispiel einer derartigen vektoriellen Einwirkung liegt in der schon seit 1815 bekannten optischen Aktivität vor. Sie beruht auf der Drehung der Polarisationsebene von linear polarisiertem Licht beim Durchstrahlen einer aus asymmetrischen Molekülen aufgebauten Substanz (oder auch bei asymmetrischer Anordnung symmetrischer Moleküle) und dient allgemein zur Beschreibung der betreffenden Stoffe (Näheres über das Zustandekommen der optischen Aktivität vgl. II, Kap. 2, II, 5). Eine weitere Möglichkeit der vektoriellen Beeinflussung eines asymmetrischen Moleküls besitzen wir in der Umsetzung mit anderen asymmetrischen Molekülen, auf der die wichtigsten Methoden zur Trennung asymmetrischer Substanzen beruhen (vgl. S. 373).

Die Drehung der Polarisationsebene von polarisiertem Licht ist für zwei spiegelbildisomere Verbindungen wegen der geometrischen Gleichwertigkeit ihrer Moleküle stets entgegengesetzt gleich groß. Man nennt zwei spiegelbildisomere Stoffe deshalb allgemein optische Antipoden (auch der wenig schöne Ausdruck enantiomorphe Formen ist in Gebrauch). Die Mischung der Antipoden im molekularen Verhältnis 1 : 1 ist wegen der Kompensation der entgegengesetzt gleich großen „Drehwerte" immer optisch inaktiv. Sie wird racemisches Gemisch, bzw. soweit sie in einem eigenen Kristallgitter vorhegt (vgl. S. 364), Racemat genannt. Schließlich hat sich für das mit vier verschiedenen Liganden besetzte C-Atom der Ausdruck asymmetrisches Kohlenstoffatom eingebürgert. Außer dem asymmetrischen C-Atom kennt man noch eine Reihe weiterer Möglichkeiten zur Ausbildung asymmetrischer Moleküle, die natürlich ebenfalls das Auftreten einer Spiegelbildisomerie zur Folge haben. Hier spricht man von einer Molekfilasymmetrie (Näheres vgl. S. 369 f.).

Die Benennung zweier optischer Antipoden erfolgt seit jeher auf Grund der optischen Aktivität als der am meisten in die Augen fallenden Eigenschaft, in der sie sich

4 b : Die geometrische Isomerie

17

unterscheiden. Hierzu werden vor den für beide Antipoden gleichen Grundnamen die Zeichen ( + ) - für die rechts- und (—)- für die linksdrehende Verbindung gesetzt, so daß Namen wie (+)-Weinsäure oder (—)-Glycerin-ctldehyd entstehen. In gleichem Sinne verwandte man früher auch auch die Präfixe D- (von lat. dexter = rechts) und L- (von lat. laevurn = links) für den rechts- bzw. linksdrehenden Antipoden. Hier hat es sich später jedoch eingebürgert, diese Präfixe für die Kennzeichnung der Konfiguration des Moleküls (vgl. auch S. 374f.) zu gebrauchen, indem man alle Verbindungen, die hinsichtlich dieser Konfiguration mit der rechtsdrehenden Weinsäure übereinstimmen, einer B-Reihe und alle entgegengesetzt konfigurierten Stoffe einer L-Reihe zuordnete. Die D-Mandelsäure stimmt also konfigurativ mit der rechtsdrehenden Weinsäure (= D- Weinsäure) überein. Sie dreht die Polarisationsebene aber nach links, so daß man sie ganz exakt als D(—)-Mandelsäure bezeichnet. Ähnlich besagt der Ausdruck L(—)-Milchsäure, daß die linksdrehende Milchsäure entgegengesetzt konfiguriert ist wie die linksdrehende Mandelsäure und der L- Reihe angehört. Die formelmäßige Wiedergabe der Konfiguration in der Papierebene bereitete zunächst einige Schwierigkeiten, da die Tetraederzeichnungen als allgemeine Schreibweise zu umständlich sind. Am besten bewährt haben sich die Projektionsformeln von E . FISCHES, für deren Ableitung nochmals kurz auf die Geometrie der Tetraedermoleküle eingegangen sei. Im Raumbild 2 (s. Beilage) ist ein Tetraedermodell in einer Stellung wiedergegeben, in der sich das zentrale C-Atom und die beiden links stehenden Liganden in einer waagerechten Ebene befinden. Dann ordnen sich die beiden anderen Liganden mit dem zentralen C-Atom aber in einer senkrechten Ebene an. Wir kommen somit zu dem wichtigen Satz: In jedem Molekül mit vier tetraedrisch um ein Zentralatom angeordneten Liganden kann man diese paarweise zu zwei Gruppen zusammenfassen, deren „Substituentenebenen" (d. h. die durch jeweils zwei Liganden und das Zentralatom gekennzeichneten Ebenen) senkrecht aufeinander stehen. Als Folge dieser Verhältnisse erscheinen die beiden dick ausgezogenen Verbindungslinien zwischen den Liganden in der Blickrichtung der Schnittgeraden der beiden Substituentenebenen wie zwei sich im rechten Winkel kreuzende Oeraden.

Hiervon macht man nun bei der Ableitung der FiscHERSchen Projektionsformeln Gebrauch, indem man das Molekül in Richtung der Schnittgeraden der Substituentenebenen auf die zu beiden Ebenen senkrechte dritte Koordinatenebene projiziert. Eine derartige Projektion ist im Raumbild 3 für zwei über der Papierebene schwebende entgegengesetzt konfigurierte Tetraedermodelle durchgeführt. Dreht man die Tetraedermodelle so, daß stets die vom Betrachter abgewandten und der Projektionsebene zugekehrten Liganden oberhalb und unterhalb des G-Atoms erscheinen und die nach vorn gerichteten, dem Betrachter zugewandten Liganden rechts und links vom C-Atom, so erhält man in völlig eindeutiger Weise die abgebildeten ebenen Projektionsformeln, die sich ebenfalls wie Bild und Spiegelbild verhalten, und ohne Herausklappen aus der Projektionsebene n i c h t zur D e c k u n g gebracht werden können. Auch geht wie bei den Raummodellen beim Vertauschen zweier beliebiger Substituenten gegeneinander die eine Formel in die andere über. Die Konfigurationsverhältnisse der asymmetrischen C-Atome werden also durch diese Formeln bestens zum Ausdruck gebracht. b) D i e g e o m e t r i s c h e I s o m e r i e Die zweite der oben erwähnten Stereoisomeriemöglichkeiten ist bei Molekülen verwirklicht, die vier Atome oder Atomgruppen in einer Ebene angeordnet enthalten, 2

Kl agea

t

Einführung org. Chemie

Kap. 1, III: Der Molekülbegriff in der organischen Chemie

18

aus der sie nicht herausgedreht werden können. Dies ist z. B. bei dem unten formulierten 1,2-Dibrom-äthylen der Fall, da bei einer C=C-Doppelbindung eine Verdrehung der C-Atome gegeneinander unmöglich ist (Näheres vgl. S. 333). Hier liegen infolgedessen die H- und Br-Atome starr in einer Ebene (in unserem Fall in der Papierebene), und man muß zwischen den Anordnungsmöglichkeiten I und II unterscheiden. Beide können sich wie bei der Spiegelbildisomerie nicht ineinander umlagern, da außer der verhinderten Drehung auch hier ein direkter Platzaustausch der an einem C-Atom befindlichen Substituenten nicht möglich ist: BrW

r\/

,Br H

Br. I

H

r\S

.H Br II

geometrisch Isomere Formen des 1,2-Dlbromäthylens

Br. Br

\/-i

r\/

,H

X

H

1,1-Dlbrom-ithylen

Jede derartige Isomerie nennt man geometrische Isomerie, weil sich die isomeren Molekülarten (im Gegensatz zur Spiegelbildisomerie) bereits in ihrer geometrischen Gestalt unterscheiden. In dem speziellen Fall der Isomerie von Äthylenderivaten spricht man auch von Äthylenisomerie oder allgemeiner von Cistrans-Isomerie. (Bzgl. einer weiteren Möglichkeit der geometrischen Isomerie vgl. S. 368.) Wie die angeführten Formeln der 1,2-Dibrom-äthylene erkennen lassen, ist es zum Auftreten einer solchen geometrischen Isomerie unbedingt erforderlich, daß sich an jedem der beteiligten C-Atome zwei verschiedenartige Substituenten befinden. Andernfalls, wie z. B. bei dem daneben formulierten 1,1-Dibrom-äthylen, würde jede Vertauschung zweier Liganden an einem C-Atom zu einer mit der ursprünglichen identischen Atomanordnung führen, d. h. nur eine Molekülart möglich sein. Dagegen ist es nicht notwendig, daß alle vier Substituenten verschiedenartig sind, sondern die an verschiedenen C-Atomen befindlichen Substituenten können durchaus die gleichen sein, wie es in I und II auch tatsächlich der Fall ist. Nomenklatur. Die äthylenisomeren Verbindungen benennt man meistens nach der gegenseitigen Stellung der charakteristischen Liganden zueinander. Sind diese benachbart, so dient die (klein geschriebene) Vorsilbe eis- zur Beschreibung (I ist also ein cis-l,2-Dibrom-äthylen), während man bei der in II wiedergegebenen Stellung von trans-Verbindungen (z. B. trans-l,2-Dibromäthylen) spricht (daher der Name Cis -trans-Isomerie). Bei Stickstoffverbindungen sind statt der Ausdrücke cis- und trans- auch die in gleicher Weise angewandten Vorsilben syn- und anti- in Gebrauch (vgl. S. 117, 225).

Weiterhin kann man aus den angeführten Formeln I und II ersehen, daß die Atomabstände in derartigen geometrischen isomeren Molekülarten verschieden groß sind. Infolgedessen verhalten sie sich allen skalaren Einflüssen gegenüber unterschiedlich und können auf Grund dieser unterschiedlichen Eigenschaften wie andere Isomere leicht voneinander getrennt werden. Andererseits bewirkt das Auftreten der geometrischen Isomerie allein noch keine räumliche Asymmetrie. Für Moleküle des Typus I oder II ist z. B. die Papierebene die Symmetrieebene. Geometrisch isomere Substanzen sind daher, soweit sie keine eigentlichen Asymmetriezentren im Molekül enthalten (vgl. S. 368), nicht optisch aktiv und können auch nicht in optische Antipoden aufgespalten werden. Wie oben schon kurz angedeutet, beschränkt sich die Cis-trans-Isomerie durchaus nicht nur auf Verbindungen, die Doppelbindungen im Molekül enthalten, sondern ist grundsätzlich bei allen Substanzen möglich, in deren Molekülen sich vier Atomgruppen starr in einer Ebene anordnen. Letzteres ist insbesondere bei „cyclischen" Verbindungen oft der Fall, deren Ringatome

Kap. 1, IV: Analyse und Konstitutionsermittlung

19

durch die Ringbindungen an der gegenseitigen Verdrehung verhindert werden. Als Beispiel zweier derartiger geometrisch isomerer Ringverbindungen seien die Formeln der beiden möglichen p-Dichlor-cyclohexane angeführt, in denen die sich in eis- bzw. trans-Stellung befindlichen vier Atome durch Fettdruck hervorgehoben sind: H

er

\

/CHü—CH2\ CH A

/

H

/ ° \XC1 —CH/

„cis"-p-Dichlor-cyclohexan

C ,

W

\ /CK,—CH2X OH,—CH 2

/H X

CI

„tran8"-p-Dlchlor-cyoIohexan

IV. Analyse und Konstitutionsermittlung Eine der interessantesten Aufgaben der organisch-chemischen Forschung besteht in der Aufstellung und dem exakten Beweis der Konstitutionsformeln der zahlreichen Kohlenstoffverbindungen. Dieses Ziel ist um so schwerer zu erreichen, als man die Moleküle wegen ihrer Kleinheit nicht einzeln „in die Hand nehmen" und untersuchen kann, sondern seine Schlüsse stets nur indirekt aus dem chemischen oder physikalischen Verhalten einer sehr großen Zahl von Molekülen ziehen muß. Man glaubte deshalb anfangs vielfach sogar, daß derartige Konstitutionsbestimmungen nicht allgemein durchführbar seien. Dieser Pessimismus war jedoch ungerechtfertigt, und es sollen im folgenden die wichtigsten chemischen Wege zur Ermittlung der Struktur organischer Stoffe kurz erörtert werden. I. Die Aufstellung der Summenformel Jeder Versuch einer Konstitutionsbestimmung setzt die genaue Kenntnis der Zahl und der Art der Atome voraus, die das Molekül zusammensetzen. Man muß also stets mit der Aufstellung der Summenformel beginnen. Hierzu sind erforderlich: a) die Elementaranalyse und b) die Molekulargewichtsbestimmung. a) D i e E l e m e n t a r a n a l y s e Zur quantitativen Erfassung der in einer organischen Substanz enthaltenen Elemente ist es notwendig, das Molekül vollständig zu zerstören und die verschiedenen Atomarten einzeln zu bestimmen (Elementaranalyse). Hierzu dienen die folgenden Verfahren, die früher meistens mit 100—300 mg (Makronalyse), heute dagegen mit 20—50 mg (Halbmikroverfahren) oder gar nur 3—5 mg des betreffenden Stoffs (Mikroanalyse) durchgeführt werden. 1. Die Bestimmung von Kohlenstoff und Wasserstoff geschieht seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts stets gemeinsam nach dem Verfahren von J . v. L I E B I G . Dieses beruht auf einer vollständigen Verbrennung der organischen Substanz (mit Kupferoxid oder elementarem Sauerstoff an Platinkontakten) und der quantitativen Erfassung der Verbrennungsprodukte Kohlendioxid, und Wasser. 2 . Auch bei der Stickstoffbestimmung nach J . B . DUMAS, die ebenfalls aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammt, wird die Substanz vollständig verbrannt. Hierbei liefern alle stickstoffhaltigen Gruppen elementaren Stickstoff, dessen Menge, da sämtliche anderen gasförmigen Verbrennungsprodukte von konzentrierter Kalilauge absorbiert werden, leicht gasometriseh gemessen werden kann. 3. Die Bestimmung von Sauerstoff geschah bis zum ersten Weltkrieg ausschließlich indirekt durch Berechnung aus der Differenz der Summe der Gehalte aller übrigen Elemente gegen 100%. Erst in neuerer Zeit sind auch verschiedene Methoden zur direkten Erfassung des Sauerstoffs 2*

20

Kap. 1, IV: Analyse und Konstitutionsermittlung

entwickelt worden, bei denen er quantitativ in die analytisch leicht bestimmbaren Verbindungen Wasser oder Kohlenoxid übergeführt wird (Näheres vgl. I, Kap. 1, V, la). 4. Zur Bestimmung der übrigen Nichtmetalle wird die Substanz meistens nach L. CARIUS (im Bombenrohr mit konzentrierter Salpetersäure) oder in der WURTZSCHMITT bombe (mit Natriumperoxid) aufgeschlossen, d. h. wiederum vollständig verbrennt, wobei die betreffenden Elemente in ihre stabilsten, analytisch leicht erfaßbaren Oxydationsstufen übergehen. Die eigentliche Bestimmung der Elemente geschieht dann nach anorganischen Verfahren. 5. Die Metalle werden durch Verglühen der organischen Substanz an der Luft oder durch Abrauchen mit konzentrierter Schwefelsäure in die Oxide, Carbonate oder Sulfate übergeführt und dann entweder direkt gewogen oder ebenfalls mit Hilfe anorganischer Methoden bestimmt.

I

Als Ergebnis der Elementaranalyse erhält m a n zunächst die Gehalte an den einzelnen Elementen in Gewichtsprozenten.

Hieraus errechnen sich durch Division der Gewichtsanteile der einzelnen Atomarten durch die betreffenden Atomgewichte die Atomanteile, die m a n schließlich auf die kleinstmöglichen ganzen Zahlen bringt, u m zu der auf S. 11 definierten Verhältnisformel zu gelangen. Beispielsweise besteht die Essigsäure nur aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Sie liefert bei der C,H-Bestimmung einen Kohlenstoffgehalt von 39,98% und einen Wasserstoffgehalt von 6,71%, woraus sich für den Sauerstoff (aus der Differenz gegen 100%) ein Gehalt von 53,31% errechnet. Dividiert man nun diese Zahlen durch die Atomgewichte (C: 12,01, H : 1,008, 0 : 16,00), s o g e l a n g t m a n z u d e n Atomanteilen

ersichtlicher Weise der Verhältnisformel CiHjOj entsprechen. b) D i e

C3I330H6I660O3j330, die in leicht

Molekulargewichtsbestimmung

Wie schon auf S. 12 betont, ist die Summenformel einer Verbindung gleich einem ganzzahligen Vielfachen der Verhältnisformel. Die Zahl, mit der die letztere multipliziert werden muß, erhält m a n a m besten aus dem Molekulargewicht, da dieses definitionsgemäß gleich demselben Vielfachen des Gewichts der in der Verhältnisformel zusammengefaßten Atome ist. D a s Molekulargewicht gestattet uns also die Berechnung aus der Verhältnisformel.

der

Summenformel

Zur Bestimmung des Molekulargewichts stehen uns die folgenden Methoden zur Verfügung : 1. Die schon von J. B. DUMAS eingeführte Dampfdichtebestimmung, die unter Berücksichtigung des für alle Gase gleichen Molvolumen von 22,4 Litern (reduziert) direkt das Gewicht eines Mols in g, d. h. also das Molekulargewicht liefert. 2. Die verschiedenen osmotischen Methoden (Näheres vgl. physikalisch-chemische Lehrbücher), von denen vor allem das Verfahren der Gefrierpunktserniedrigung eines geeigneten Lösungsmittels (Kryoskopie) von großer praktischer Bedeutung ist. Aber auch die Siedepunktserhöhung (Ebullioskopie) und die direkte Bestimmung des osmotischen Drucks, letztere besonders bei Stoffen mit sehr hohem Molekulargewicht (sog. makromolekularen Substanzen), finden häufig Anwendung. Schließlich ist es in neuerer Zeit gelungen, ein auf der Dampfdruckerniedrigung beruhendes halbautomatisches Verfahren zu entwickeln. 3. Für die Molekulargewichtsbestimmung makromolekularer Stoffe sind weiterhin in Gebrauch: a) die Berechnung aus der Viskosität der Lösungen (III, Kap. 3, II, 2 b), b) die Berechnung aus der Sedimentationsgeschwindigkeit oder aus dem Sedimentationsgleichgewicht, die man beide am besten nach TH. SVEDBERG mit Hilfe der Ultrazentrifuge mißt, c) die Berechnung aus der Diffusionsgeschurindigkeit (z. B. durch Membrane) sowie schließlich d) eine Reihe weiterer, mehr physikalischer Verfahren.

2 a: Das Gesetz der paaren Atomzahlen

21

Alle diese Molekulargewichtsbestimmungsmethoden sind relativ ungenau und weisen eine Fehlergrenze zwischen ^ 5 und ^ 10% auf (bei makromolekularen Stoffen u. U. sogar noch mehr). Diese Ungenauigkeit ist aber kein wesentlicher Nachteil, da sich das exakte Molekulargewicht leicht nachträglich aus der Summenformel ( = Summe der Atomgewichte, vgl. S. 12) errechnen läßt. Zur Abschätzung des Multiplikators der Verhältnisformel genügt aber u. U. eine noch gröbere Annäherung. Beispielsweise ergibt sich bei der oben erwähnten Essigsäure selbst für den Fall, daß das gefundene Molekulargewicht um ± 17% um den wirklichen Wert schwankt, d. h. zwischen 50 und 70 liegen würde, noch mit ziemlicher Sicherheit der Multiplikator 2 für das Gewicht der in der Verhältnisformel zusammengefaßten Atome; denn sowohl für den Faktor 1 als auch für den Faktor 3 wären die Abweichungen viel zu groß. Mit Hilfe des Multiplikators 2 gelangt man dann zu der Summenformel C 2 H 4 0 2 , aus der sich schließlich an Hand von AtomgewieMstabeUen das exalcte Molekulargewicht zu 60,052 errechnet.

2. Die Ermittlung der Konstitution Die eigentliche Konstitutionsbestimmung, d. h. die Aufgabe, den Plan des Molekülauflaus aus den in der Summenformel zusammengefaßten Atomen aufzuklären, kann man häufig durch Anwendung einiger allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, die sich aus der Wertigkeit der Elemente ergeben, sowie durch die sog. Gruppenanalysen wesentlich erleichtern. a) Die sich aus der W e r t i g k e i t der E l e m e n t e ableitenden

Gesetze

Als Gesetz der paaren Atomzahlen bezeichnet man eine Beziehung zwischen der Wertigkeit der das Grundgerüst eines (nicht-ionisierten) Moleküls aufbauenden mehrwertigen Atome und der Zahl der H-Atome, die die nach außen gerichteten Valenzen des Grundgerüstes besetzen. Enthält das Grundgerüst nämlich nur Elemente mit einer geraden Wertigkeitszahl, so ist die Gesamtzahl der Valenzen dieser Elemente zwangsläufig ebenfalls gerade. Von dieser geraden Valenzzahl werden nun für jede Bindung des Grundgerüstets zwei Valenzen, also wieder eine gerade Zahl benötigt, so daß für die nicht im Gerüst verankerten, durch Wasserstoff abgesättigten Valenzen nur eine gerade Zahl übrigbleiben kann. In analoger Weise wird bei Anwesenheit eines Atoms mit ungerader Wertigkeitszahl im Gerüst die Gesamtzahl der Valenzen und damit auch die Wasserstoffzahl ungerade. Die Wasserstoffzahl eines (nicht ionischen) Moleküls, das außer Wasserstoff nur Atome mit einer geraden Wertigkeitszahl enthält, muß also stets gerade und die eines Moleküls, das außerdem ein Atom (oder eine ungerade Anzahl von Atomen) mit ungerader Wertigkeitszahl enthält, muß ungerade sein. Mit Hilfe dieses Gesetzes der paaren Atommhlen kann man u. a. nachprüfen, ob eine auf Grund der Elementaranalyse errechnete Bruttoformel überhaupt möglich ist. Findet man etwa infolge nicht sehr exakter Wasserstoffbestimmungen die ungefähren Summenformeln C 1 2 H 2 3 ) 2 0 1 4 oder C 12 H 23I ,N 3 , SO muß im ersten Fall die Wasserstoffzahl auf 24 (statt 23) und im zweiten Fall auf 23 (statt 24) abgerundet werden.

Ähnlich besagt das Gesetz der minimalen Bindungszahl (Näheres vgl. I, Kap. 1, V, ld), daß ein Molekül nicht mehr einwertige Atome oder Atomgruppen enthalten kann, als die Differenz aus der Gesamtzahl der Valenzen der mehrwertigen Atome und der zur Herstellung der Bindungen zwischen ihnen (für n Atome mindestens n-1 Bindungen zu je zwei Valenzen) benötigten Valenzen beträgt.

22

Kap. 1, IV: Analyse und Konstitutionsermittlung

Z. B. kann man mit Hilfe des Gesetzes der minimalen Bindungszahl die Summenlormeln für alle Paraffine berechnen, die, wie wir auf S. 5 gesehen haben, nur aus C—C- und C—H-Bindungen aufgebaut sind. Die n C-Atome eines jeden Paraffins besitzen nämlich 4 n Valenzen, von denen zur Ausbildung der minimalen Zahl der zum Zusammenhalt des Moleküls erforderlichen n—1 C—C-Bindungen 2n—2 Valenzen benötigt werden. Es bleiben also 2n-\-2 Valenzen zur Bindung von Wasserstoff übrig, so daß sich die allgemeine Summenformel CnH2n+2 ergibt. III III III

Die Zahl von 2 n + 2 H-Atomen stellt gleichzeitig die Maximalzahl von H-Atomen in einem n C-Atome enthaltenden Kohlenwasserstoff dar. Sie kann auf Grund dieses Gesetzes niemals überschritten werden.

Auch wenn die Wasserstoffzahl geringer ist als die soeben festgelegte Maximalzahl, ergeben sich interessante Schlüsse, denn dann müssen mehr als die Mindestzahl von n—1 Bindungenzwischen den n Gerüstatomen bestehen. D.h. das Molekül muß für jeden Mindergehalt von zwei H-Atomen entweder einen Bing oder eine Doppelbindung enthalten. Hierfür kann als Beispiel wieder die Essigsäure herangezogen werden, deren Summenformel C 2 H 4 0 2 nur vier statt der f ü r zwei C- und zwei O-Atome errechneten Maximalzahl von sechs H-Atomen enthält. Danach muß im Essigsäuremolekül eine Doppelbindung oder ein Bing vorliegen, von denen ersteres auch tatsächlich der Fall ist. b) D i e

Gruppenanalyse

E i n l e t z t e s H i l f s m i t t e l der K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g ist durch die Gruppenanalysen gegeben, m i t deren Hilfe — i m Gegensatz z u der nur die E l e m e n t e selbst erfassenden E l e m e n t a r a n a l y s e — bestimmte Atomgruppen bekannter Struktur mit analytischer Genauigkeit erfaßt w e r d e n können, so daß m a n wenigstens v o n einigen A t o m e n bereits weiß, wie sie zusammengehören. D i e wichtigsten dieser Gruppenanalysen sind: 1. die acidimetrische Titration organischer Säuren u n d Basen, 2. die B e s t i m m u n g der anorganischen Ionen in d e n Salzen der organischen Säuren u n d B a s e n ( z . B . v o n Hai", S O ; ~ , B a Ag usw.) m i t d e n üblichen anorganischen Analysenmethoden, 3. die B e s t i m m u n g der Alkoxylgruppen n a c h Z E I S E L u n d v e r w a n d t e M e t h o d e n (z. B . v o n — 0 — C H 3 u n d ) ; N — C H 3 , N ä h e r e s vgl. S. 89, 198), 4. die Acylbestimmung ( — 0 — C O — C H 3 u n d

CO—R),

5. D i e B e s t i m m u n g v o n „ a k t i v e m " Wasserstoff nach T. ZEBEWITINOFF (Näheres vgl. S. 263), 6. die Jodzahlbestimmung u n d andere B e s t i m m u n g s m e t h o d e n für die olefinische Doppelbindung (S. 44), 7. die Jodzahlbestimmung u n d andere B e s t i m m u n g s m e t h o d e n der A l d e h y d g r u p p e in der Kohlenhydratchemie (S. 427/8). Für unseren speziellen Fall der Essigsäure kann man mit Hilfe dieser Gruppenanalysen die iSonderstellung eines H-Atoms nachweisen; denn dieses gibt sich nicht nur nach ZEREWITINOFF als aktiver Wasserstoff zu erkennen, sondern reagiert bereits derart sauer, das man es acidimetrisch titrieren kann. Damit ist aber die Anwesenheit einer Hydroxyl- (wahrscheinlich sogar einer Carboxyl-jgruppe in der Essigsäure sichergestellt. c) D i e e i g e n t l i c h e

Konstitutionsbestimmung

D i e Konstitutionsbestimmung selbst wird s t e t s in der W e i s e durchgeführt, d a ß m a n die z u untersuchende S u b s t a n z so lange chemisch umsetzt (meistens unter Abbau des Kohlenstoffgerüstes), bis m a n z u bekannten Verbindungen k o m m t , u n d d a ß m a n

2 c: Die Konstitutionsbestimmung

23

dann aus der Art der Reaktion und der Reaktionsprodukte Rückschlüsse auf den Aufbau des ursprünglichen Moleküls zieht. Alle diese Folgerungen beruhen auf dem Prinzip der geringstmöglichen Strukturänderungen bei chemischen Reaktionen. D. h. man nimmt im Sinne der Ausführungen auf S. 5 an, daß bei jeder Reaktion das Grundgerüst des Moleküls weitmöglichst erhalten bleibt und die Funktionen sich nur insoweit umsetzen, wie es die Reaktionsgleichung angibt. Würde also z. B. beim oxydativen Abbau einer Substanz mit elf G-Atomen die Benzoesäure (S. 141) mit nur sieben C-Atomen als Abbauprodukt entstehen, so kann man mit Sicherheit schließen, daß der Benzolkern der Benzoesäure auch in dem Molekül der ursprünglichen Verbindung enthalten gewesen ist, und daß er genau an der Stelle der COOH-Gruppe eine aus fünf C-Atomen aufgebaute Seitenkette getragen hat:

ursprüngliche Substanz

Benzoesäure

Entsteht dagegen beim Abbau einer ebenfalls elf C-Atome enthaltenden zweiten Substanz Phthalsäure (S. 178), so folgt mit der gleichen Sicherheit, daß sich die nicht im Benzolkern enthaltenen fünf C-Atome auf zwei Seitenketten verteilen, die sich in sog. Orthostellung (vgl. S. 56) am Benzolkern befinden: y \ / ,

R

.. v

Abbau

R'

ursprüngliche Substanz

A /

a ti oxydativer

c o o h

.

^

COOH Phthalsäure

Jede Konstitutionsbestimmung umfaßt eine mehr oder weniger große Anzahl derartiger Abbau-1) und sonstiger Umwandlungsreaktionen, die in summa das vollständige Aufbauschema des Moleküls erkennen lassen bzw. andere Strukturmöglichkeiten mit Sicherheit ausschließen. Schon über die Auswahl zweckmäßiger Abbaureaktionen lassen sich jedoch keine allgemeine Regeln mehr aufstellen, da diese Reaktionen von Fall zu Fall individuell mit den speziellen Eigenschaften der betreffenden Verbindung abgestimmt werden müssen. Die Heranziehung geeigneter Umsetzungen ist vielmehr ein wesentlicher Teil der Konstitutionsermittlung, von dessen mehr oder weniger geschickten Ausführung die Sicherheit der Ergebnisse maßgeblich beeinflußt wird. Insbesondere die Aufstellung der Strukturformeln komplizierter Naturstoffe ist infolge dieser mühevollen Planung häufig mit einer jahrzehntelangen intensiven Forschungsarbeit verbunden gewesen und zählt mit Recht zu den Großtaten auf dem Gebiet der organischen Chemie. Als einfaches Beispiel für die Durchführung einer derartigen Konstitutionsbestimmung sei wieder auf die Essigsäure zurückgegriffen. Für die Summenformel C a H 4 0 2 stehen unter Berücksichtigung der Wertigkeitsverhältnisse der beteiligten Atome im wesentlichen die folgenden fünf Strukturformeln zur Debatte, die sämtlich die auf Grund des Gesetzes der minimalen Bindungszahl (S. 21) geforderte Doppelbindung (bzw. einen Ring) enthalten: ] ) Eine Zusammenstellung einiger charakteristischer Abbaureaktionen findet sich in I, Kap. 12, IV, 3. Bez. der praktischen Durchführung von Konstitutionsbestimmungen vgl. die zahlreichen Beispiele in III. Kap. 5 und Kap. 7, III.

Kap. 1, IV: Analyse und Konstitutionsermittlung

24 0=C—OH ¿H3 I

0—CH 33 Y

H—C—OH

H—C=O

H—C=0

H—(Loh

II

H2i—O—H

III

ni—C -OH

IV

v

Eine erste Ausscheidung ist schon auf Grund einer Gruppenanalyse möglich, die, wie wir auf S. 22 gesehen haben, für das Vorliegen einer (aber auch nur einer) Hydroxylgruppe spricht. Damit fallen die Formeln I I des Ameisensäuremethylesters und I I I des Äthen-diols bereits fort. Weiterhin läßt sich die Essigsäure durch geeignete Reduktionsreaktionen in Äthan (S. 37) überführen. Hierdurch wird die direkte Verknüpfung der beiden C-Atome bewiesen, was ebenfalls gegen die Formel I I spricht. Die Formeln IV (des Olykolaldehyds) und V (seiner hypothetischen „Cyclohalbacetalform", S. 161) lassen sich schließlich auf Grund des Verhaltens der Essigsäure gegen Oxydationsmittel ausschließen; denn die in IV und V enthaltenen Atomgruppen, in denen sich Sauerstoff und Wasserstoff am gleichen C-Atom befinden, werden leicht zur Stufe der Carboxylgruppe (—C00H) oxydiert. IV und V sollten bei Oxydation also sofort in Oxalsäure (H00C—C00H) übergehen, während Essigsäure zu den oxydationsstabilsten organischen Substanzen überhaupt gehört. Nur ein Molekül der Konstitution I, dessen eines C-Atom in eine oxydationsstabile CH¡-Gruppe eingebaut ist, und dessen anderes C-Atom wegen Erreichung der (ohne Spaltung der C—C-Bindung) höchstmöglichen Oxydationsstufe ebenfalls nicht weiter oxydiert werden kann, macht diese Oxydationsstabilität der Essigsäure verständlich. D a d a s e r w ä h n t e P r i n z i p d e r geringstmöglichen Strukturveränderungen kein strenges Gesetz, s o n d e r n n u r eine Regel mit vielen Ausnahmen d a r s t e l l t , ist keine d e r a r t i g e chemische S t r u k t u r b e s t i m m u n g absolut sicher. M a n m u ß vielmehr i m m e r m i t der Möglichkeit v o n Irrtümern r e c h n e n , die d u r c h u n e r w a r t e t e Molekülumlagerungen b e d i n g t sind. E s h a t sich d e s h a l b als z w e c k m ä ß i g erwiesen, d a s E r g e b n i s einer S t r u k t u r a u f k l ä r u n g d u r c h Synthese zu e r h ä r t e n , d. h. n a c h z u p r ü f e n , o b die „gezielte" S y n t h e s e einer V e r b i n d u n g m i t d e r vermuteten Konstitution zu einem m i t der ursprünglichen S u b s t a n z identischen Stoff f ü h r t . E i n e d e r a r t i g e S y n t h e s e n e n n t m a n eine Totalsynthese, w e n n sie v o n d e n freien Elementen a u s g e h t (bzw. in der P r a x i s v o n V e r b i n d u n g e n , die schon a u s d e n freien Elementen s y n t h e t i s i e r t w o r d e n sind). N a t ü r l i c h sind solche T o t a l s y n t h e s e n n u r d a n n f ü r die K o n s t i t u t i o n beweisend, w e n n sie übersichtlich v e r l a u f e n u n d d a s Aufbauprinzip der synthetisierten Verbindung e r k e n n e n lassen. Im Falle der Essigsäure liegt eine die Konstitution beweisende Totalsynthese etwa in der Umsetzung von Lithium-methyl mit Kohlendioxid vor, die unter Anlagerung des ersteren an eine der C=0-Doppelbindungen des letzteren zum Lithium-acetat führt:

H 3 C—Li + 0 = C = 0



OLi Lithium-methyl

+ H+

y/°

H3C—Cf

Lithium-acetat

"

Li

H3C—Cf O—H Essigsäure

Aus dieser Synthese geht eindeutig hervor, daß die Essigsäure eine unveränderte Methylgruppe und ein bis zur Oxydationsstufe + 3 oxydiertes C-Atom enthalten muß, was nur mit der angenommenen Struktur vereinbar ist. Als Gegenbeispiel einer unübersichtlich verlaufenden, keine Rückschlüsse auf die Struktur des Syntheseproduktes gestattenden Reaktion sei die bekannte Bildung von Kohlenoxid-Kalium bei der Umsetzung äquimolekularer Mengen von Kohlenoxid und metallischem Kalium bei höherer Temperatur (vgl. anorganische Lehrbücher) angeführt:

2 c: Die Totalsynthese 2 K + 2 CO



25

KO—C=C—OK Kohlenoxid- kalium

Hier kann man aus dem Reaktionsverlauf nicht einmal den Schluß ziehen, daß jeweils zwei Moleküle Kohlenoxid zur Synthese nur eines Moleküls des Kohlenoxid-kalium-Anions erforderlich sind, geschweige denn ableiten, daß ein Zusammenschluß der beiden C-Atome durch eine Acetylenbindung erfolgt.

Auch bei Synthesereaktionen gilt somit das Prinzip der geringstmöglichen Strukturänderungen nicht mit absoluter Sicherheit, und es kommen zuweilen rungen vor. Jede chemische Konstitutionsbestimmung

Molekülumlage-

(einschließlich der Totalsynthese)

ist

infolgedessen mit einer gewissen Unsicherheit belastet, die nur in mühevoller Kleinarbeit durch Vergleich eines möglichst großen Tatsachenmaterials beseitigt werden kann. Besonders bei den einfachen organischen Verbindungen, die z. T. seit über 100 Jahren intensiv bearbeitet worden sind, decken sich die zahlreichen Beobachtungen derart vollständig mit der angenommenen Konstitution, daß man hier auf absolut gesichertem Boden wandelt. Bei komplizierteren

Naturstoffen

ist es dagegen mehrfach

vorgekommen, daß eine allgemein als endgültig angesehene Konstitutionsformel auch nach Jährzehnten noch auf Grund neuer Beobachtungen revidiert werden mußte. Neben der hier beschriebenen Konstitutionsermittlung auf chemischem Wege sind in neuerer Zeit in zunehmendem Maße auch physikalische Methoden zur Lösung von Strukturfragen herangezogen worden. Vor allem die in II, Kap. 2 beschriebenen Verfahren der röntgenographischen Kristallanalyse, der Lichtabsorption (einschließlich des vitravioletten und infraroten Spektralbereichs) und der Kemresonanz haben sich als wertvolle Hilfsmittel des Chemikers erwiesen.

I. T e i l

Die Hauptklassen der organischen Verbindungen

2. K a p i t e l

Die Kohlenwasserstoffe III III

Kohlenwasserstoffe sind Verbindungen, die nur aus Kohlenstoff und Wassert°ff bestehen. Man unterteilt sie auf Grund ihres chemischen Verhaltens zweckmäßig in drei Gruppen: 1. die Paraffine oder gesättigten Kohlenwasserstoffe, die außer C—H-Bindungen nur einfache C—G-Bindungen im Molekül enthalten und die man wie wir auf S. 5 gesehen haben, als Grundverbindungen der organischen Chemie betrachten kann. 2. die ungesättigten Kohlenwasserstoffe, in deren Kohlenstoffgerüst eine oder auch mehrere C=C-Doppel- oder G^C-Dreifachbindungen eingebaut sind, und 3. die aromatischen Kohlenwasserstoffe, die sich vom Benzol, einem aus sechs C-Atomen aufgebauten und drei Cf=C-Doppelbingungen enthaltenden Ringkohlenwasserstoff (S. 55), ableiten. Sie stellen an sich nur eine Untergruppe der ungesättigten Kohlenwasserstoffe dar, zeigen aber eine besondere Reaktionsweise, so daß ihre Abgrenzung als selbständige Gruppe sachlich gerechtfertigt ist. s

Die allgemeine Bedeutung der aromatischen Kohlenwasserstoffe ist sogar so groß, daß man ihnen häufig die Gesamtheit der übrigen (gesättigten und ungesättigten) Kohlenwasserstoffe als gleichwertige Verbindungsklasse unter dem Namen aliphatische Kohlenwasserstoffe gegenüberstellt. Da diese Unterteilung auch auf die sieh von den Kohlenwasserstoffen durch Einführung von Heteroatomen ableitenden übrigen organischen Verbindungen ausgedehnt wird, ergibt sich somit eine scharfe Zweiteilung der organischen Chemie in aliphatische1) oder Fettverbindungen einerseits und aromatische2) oder Benzolverbindungen andererseits. Die Unterschiede zwischen beiden Substanzklassen sind jedoch nicht grundsätzlicher Natur, und man beobachtet zahlreiche Übergänge zwischen ihnen.

m

I. Die gesättigten Kohlenwasserstoffe oder Paraffine 1. Grundlegende Definitionen Paraffine ) sind Kohlenwasserstoffe, deren C-Atome nur durch einfache C—GBindungen zu einem nicht ringgeschlossenen Molekül (sog. Kettenmolekül) verknüpft werden. 3

*) Von griech. öAEi

Alk-



i/ 2 Alk—Alk

Ii

Physikalische Eigenschaften. Der Aggregatzustand der organischen Stoffe hängt hauptsächlich von den zwischenmolekularen Kräften ab, die in leicht verständlicher Weise mit der Molekülgröße zunehmen (vgl. auch S. 355). Infolgedessen beobachtet man bei den Paraffinen (und ähnlich auch in anderen homologen Reihen) ein mit zunehmender Molekülgröße stetiges Ansteigen der Siede- und Schmelztemperaturen. Wie Tabelle 1 erkennen läßt, sind die niederen Paraffine bis zum Butan bei Raumtemperatur gasförmig, die mittleren flüssig und die höheren Normalparaffine (von C17Hgg ab) fest. Beim Nonadecan erreicht der Siedepunkt bereits die Zersetzungstemperatur. Höhere Paraffine können deshalb nur im Vakuum oder Hochvakuum destilliert werden. Beim Vergleich mit anderen organischen Verbindungen gilt mit wenigen Ausnahmen (vgl. z. B. S. 73) die Regel: Paraffine und andere Kohlenwasserstoffe zeigen von allen organischen Stoffen gleicher Kohlenstoffzahl jeweils die niedrigsten Siedepunkte. Die Schmelzpunkte der Isoparaffine liegen meistens wesentlich tiefer als die der n-Paraffine, weil sich die verzweigten Moleküle im allgemeinen schwieriger in ein Kristallgitter einbauen lassen als die Moleküle mit streng linearer Kohlenstoffkette. Viele Isoparaffine konnten sogar überhaupt noch nicht zur Kristallisation gebracht werden. Nur bei sehr regelmäßiger Molekülgestalt beobachtet man höhere Schmelzpunkte, die u. U. die der isomeren n-Paraffine um mehr als 100° übersteigen. Hierfür seien zwei charakteristische Beispiele angeführt, deren symmetrisches Bauprinzip man durch die eingeklammerten Kurznamen, denen nicht mehr die längste Kohlenstoffkette als Hauptkette zugrunde liegt, treffend zum Ausdruck bringen kann:

2,2-Dimethylpropan (Tetramethyl-methan) Schmp. — 20*

2,2,3,3-Tetramethylbutan (Hexamethyl-äthan) Schmp. + 104°

Hinsichtlich der Lösungseigenschaften nehmen die Paraffine eine dem Wasser und wasserähnlichen Stoffen extrem entgegengesetzte Stellung ein. Sämtliche C—C-

35

2: Die Paraffineigenschaften Tabelle 1 Die p h y s i k a l i s c h e n D a t e n einiger P a r a f f i n e 1. normale Paraffine Formel CH, C2H6 C3H8 cIH10 c SH 1 2 C,H 14 C 8 H 18 CIOH22 CUH24 C 16 H 32 C2„H42 C 21 H 44 C3OH62 C50H102 C70H112

Name Methan Äthan Propan Butan Pentan Hexan Octan1) Decan 1 ) Undecan2) Pentadecan Eikosan Heneikosan Triakontan Pentakontan Heptakontan

Siedepunkt —164° — 89 — 45 1 + 36 69 126 173 195 271 205/15 mm 219/15 mm 304/15 mm 200/M. D. 3 ) 300/M. D. 3 )

Schmelzpunkt —184° —172 —190 —135 —131 — 94 — 57 — 30 — 27 10 38 40 66 92 105

Dichte/Temp. (flüssig) 0,415/—164° 0,546/—89 0,584/—45 0,600/0 0,634/15 0,660/20 0,704/18 0,730/20 0,741/20 0,769/20 0,778/38 0,740/100 — — —

*) Häufig auch mit k geschrieben, also Oktan und Dekan. 2 ) Streng genommen Hendecan, doch hat sich hier inkonsequenterweise die aus dem lateinischen abgeleitete Bezeichnung Undecan eingebürgert. 3 ) Molekulardestillation.

und C—H-Gruppen werden nämlich von Wasser nicht benetzt (Näheres vgl. S. 359). Infolgedessen lösen sich die Paraffine nicht in Wasser und werden auch von Wasser nicht gelöst. Solche Stoffe nennt man hydrophob (von griech. öSwp = Wasser und (Xos = Freund) Stoffen. Zusammenfassend kann man also sagen: I

Paraffine sind typisch hydrophobe und lipophile Verbindungen. Sie werden in dieser Eigenschaft von keiner anderen organischen Verbindungsklasse übertroffen.

Chemisches Verhalten. Als Folge der schon auf S. 4 erwähnten Reaktionsträgheit der C—C- und C—H-Bindungen I s i n d die Paraffine unter 100° zu fast überhaupt keinen Umsetzungen befähigt, und auch über 100° finden nur relativ wenige übersichtlich verlaufende Reaktionen statt. Wie ebenfalls schon erwähnt, ist diese chemische Indifferenz der Paraffine (und paraffinähnlichen Gruppen) eine wesentliche Voraussetzung für den charakteristischen Aufbau der organischen Verbindungen aus einem reaktionsträgen Grundgerüst mit wenigen aktiven Funktionen. Trotz dieser chemischen Indifferenz sind die Paraffine aber nicht völlig reaktionslos. Nur müssen die angreifenden Agenzien mit einer genügenden Aktivierungsenergie zur Einwirkung kommen, um die Reaktionsträgheit zu überwinden. 3*

36

Kap. 2,1: Die gesättigten Kohlenwasserstoffe oder Paraffine

Beispielsweise setzen sich alle Paraffine mit elementarem Fluor schon bei Zimmertemperatur unter Feuererscheinung vollständig zu Tetrafluorkohlenstoff und Fluorwasserstoff um. Mit Sauerstoff tritt die Reaktion erst bei höherer Temperatur ein, führt aber in analoger Weise unter Abbau aller 0—C- und C—H-Bindungen zu den Oxydationsendprodukten Kohlendioxid und Wasser, ein Vorgang, der wegen seiner sehr hohen Wärmetönung zu den wichtigsten Energielieferanten unserer Wirtschaft gehört. Eine andere bei höherer Temperatur vor sich gehende Paraffinreaktion ist die Vercrackung. Sie beruht auf dem Zerreißen langer Kohlenstoffketten als Folge zu starker thermischer Molekülschwingungen und führt zunächst zu einem Zerfall des Moleküls in zwei freie Alkylradikale. Diese erleiden dann sekundäre Umsetzungen, von denen die wichtigste eine ähnliche Disproportionierung in Paraffin und Olefin ist, wie wir sie als Nebenreaktion der WURTZsehen Synthese (S. 34) kennengelernt haben:

Alk—CH2— CH2-—Alk'

5

' g p ^ g 6 > l Alk— ¿H— CIL. + Alk' /

> Alk—CH=CH 2 + H—Alk'

Von allen diesen Paraffinreaktionen rechnet man nur die letztere, bei der wenigstens Teile des Kohlenstoffgerüsts erhalten bleiben, noch zur organischen Chemie. Sie ist vor allem von praktischer Bedeutung für den Crackingprozeß hochsiedender Erdölfraktionen (S. 391), dem sie auch ihren Namen verdankt. Für den Organiker wichtiger sind einige Umsetzungen des Paraffinwasserstoffs. Sie führen allerdings meistens nicht zu einheitlichen Produkten, weil alle H-Atome in Reaktion treten können, man hier also des Vorteils eines reaktionsträgen Grundgerüstes mit nur wenigen aktiven Gruppen verlustig geht. Die Reaktionen haben daher im wesentlichen nur technisches Interesse gefunden. Erwähnenswert sind vor allem: 1. die Chlorierung mit elementarem Chlor, die im Sinne der folgenden Bruttogleichung verläuft: Alk-:-H + Cl—Gl

»

Alk—C1 + H—C1

Zu ihrer Auslösung ist blaues Licht erforderlich, das die Chlormoleküle in die sehr reaktionsfähigen freien Chloratome aufspaltet. Erst diese sind die energiereichen Agenzien, die das Paraffinmolekül anzugreifen vermögen (bez. des Mechanismus vgl. S. 352). In dieser Chlorierung lernen wir eine erste wichtige Grundreaktion der organischen Chemie kennen, die allgemein Substitution genannt wird. Unter Substitution versteht man den Ersatz eines beliebigen Liganden eines organischen Moleküls durch einen anderen unabhängig von dem Wege, auf dem dieser Austausch erfolgt. Z. B. wird bei der Paraffinchlorierung Wasserstoff durch Chlor „substituiert". Weiteren typischen Substitutionsreaktionen werden wir anschließend in der Sulfochlorierung und Nitrierung sowie später in der aromatischen Substitution (S. 60f.), den Alkylierungsreaktionen (S. 70) und den Acylierungsreaktionen (S. 127) kennenlernen. 2. die Sulfochlorierung (vgl. auch S. 246). Erfolgt die Einwirkung v o n Chlor in Gegenwart von Schwefelfeidioxid, so wird auch dieses in das Molekül mit eingebaut, und man erhält die Chloride der auf S. 245f. beschriebenen Sulfonsäuren (sog. Sulfochloride): Alk—H + S0 2 + Cl -Cl • Alk—S0 2 — Cl + HCl 3. die Nitrierung, d. h. die Einführung der Nitrogruppe{—N02, vgl.S.232f.) in das Molekül, die man mit Hilfe von Salpetersäure oder Distickstofftetroxid in der Gasphase bei erhöhter Temperatur vornimmt:

2 : Einzelne Paraffine Alk—H + H O — N 0 2



Alk—N0 2 + H 2 0

Alk—H + 0 2 N — N 0 2



Alk—NO a + H N 0 2

37

4. die Paraffinoxydation. Auch die gemäßigte Oxydation mit Luftsauerstoff, die bei etwa 100° in Gegenwart von fettsauren Schwermetallen vor sich geht, verläuft zunächst im Sinne einer Paraffinsubstitution durch Sauerstoff. I h r folgt jedoch sofort ein Zerfall der durch die Sauerstoffbeladung etwas labilisierten Kette unter Bildung von zwei Carbonsäuremolekülen: O y

Alk— CH,—CH,—Alk' °* " > Alk—C—CH 2£ —Alk' dation °* y " > Alk—COOH + HOOC—Alk' 3 2 1 dation Die Reaktion war im letzten Krieg von Bedeutung f ü r die Seifenherstellung 5. Die auf S. 41 näher beschriebene Dehydrierung.

aus

Hartparaffin.

Einzelverbindungen: Methan CH4, das Anfangsglied der Paraffinreihe, nimmt in mancher Beziehung eine Sonderstellung ein und steht der anorganischen Chemie noch nahe. Z. B. ist seine Gewinnung aus Aluminiumcarbid (S. 33) durchaus mit der Darstellung der flüchtigen Hydride anderer Elemente aus deren Metallderivaten vergleichbar. Ebenso ist der oberhalb 1000° in stärkerem Grade eintretende Zerfall des Methans in seine Elemente eine typisch anorganische Reaktion. Methan kommt als Hauptbestandteil der Gruben- und Erdgase in größeren Mengen mineralisch vor. Ferner entsteht es als Nebenprodukt der Kohlehydrierung (S. 389). Es ist daher ein leicht zugänglicher Stoff, dessen chemische Verwertung, abgesehen vielleicht von der Chlorierung zu Methylenchlorid (S. 72), noch in den Anfängen steckt. Technisch dient es in der Hauptsache als Brennstoff sowie als Wasserstoffquelle für Hydrierungsreaktionen. In letzterem Fall wird es mit Wasser zunächst zu Kohlenoxid und Wasserstoff umgesetzt, von denen das Kohlenoxid durch ein zweites Wassermolekül weiter zum Kohlendioxid oxydiert werden kann. Im ganzen entstehen auf diese Weise aus einem Mol Methan vier Mole elementarer Wasserstoff: CH 4 + 2 H 2 0



C02 + 4H2

Bemerkenswert ist seine Stabilität bei Temperaturen unter 500°, auf Grund deren es zu den schwerst entzündlichen Kohlenwasserstoffen zählt 1 ). E s ist infolgedessen ein sehr „klopffester" Treibstoff, dessen Anwendbarkeit allerdings durch die mangelnde Komprimierbarkeit zu einem „Flüssiggas" etwas eingeschränkt wird. Äthan C 2 H 6 , das nächst höhere Homologe des Methans, begleitet dieses in geringen Mengen in den Gruben- u n d Erdgasen sowie als Nebenprodukt der Kohlehydrierung. Seine technische Bedeutung als Einzelverbindung ist jedoch gering. Propan C 3 H 8 , n-Butan C 4 H 1 0 und Isobutan CH 3 —CH(CH 3 )—CH 3 entstehen hauptsächlich als Nebenprodukte bei den verschiedenen Verfahren der Erdölaufbereitung (S. 391/2). Da sie sich leicht unter Druck verflüssigen lassen, finden sie zusammen mit den Olefinen gleicher Kohlenstoffzahl (S. 47) technische Anwendung als Flüssiggas, d. h. als leicht vergasender, in Druckflaschen jedoch flüssiger und ein nur geringes Volumen beanspruchender Brennstoff. Iso-octan (2,2,4-Trimethyl-pentan) (CH 3 ) 3 C—CH 2 —CH(CH 3 ) 2 besitzt bereits ein stark verzweigtes Molekül und ist als einziges einheitliches höheres Paraffin von Interesse als klopffester Fliegertreibstoff. Seine technische Gewinnung erfolgt u. a. durch „Alkylierung" von Isobutan mit Isöbuten (vgl. S. 45).

Im Gegensatz zu den Einzelverbindungen finden Paraffingemische, die sich wegen der ähnlichen Siedepunkte der Komponenten nur schwer in ihre Bestandteile 1

) Beispielsweise wird ein Methan-Luft-Gemisch im Gegensatz zum Knallgas an einem schwach glühenden Platinkontakt noch nicht entzündet. Auf Grund dieses unterschiedlichen Verhaltens kann man Wasserstoff bei der Gasanalyse neben Methan selektiv verbrennen.

38

Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe

zerlegen lassen, eine verbreitete Anwendung in der organischen Chemie (bez. ihrer Verwendung als Brennstoffe vgl. S. 391). Die wichtigsten dieser Paraffingemische sind: 1. die zwischen 30 und 80° übergehenden, hauptsächlich die isomeren Pentane bis Heptane enthaltenden Paraffinfraktionen, die Gasoline oder (in Anlehnung an den ähnlich siedenden Äther) Petroläther genannt werden. Man unterteilt sie weiter in den niedrigsiedenden (Sdp. 30—50°) und den hochsiedenden Petroläther (Sdp. 50—80°), die beide wichtige Lösungsmittel darstellen. 2. die zwischen 60 und 180° siedenden Benzine. Sie zerfallen bei der Feinfraktionierung in Leichtbenzin (Sdp. 60—110°), Schwerbenzin (100—150°) und Ligrom oder Lackbenzin (150—180°). Alle drei Fraktionen dienen ebenfalls als Lösungsmittel. 3. das kristallisierte Hartparaifin. Es besteht zur Hauptsache aus n- Paraffinen mit 24—40 C-Atomen im Molekül und schmilzt zwischen 50 und 60°. Es dient in der Technik zur Kerzenherstdlung und als Ausgangsmaterial für die Paraffinoxydation (S. 37). 4. ein Weichparaffin genanntes, etwa tiefer schmelzendes Material, das bereits geringe Mengen von Isoparaffinen enthält und technische Anwendung als Paraffinwachs findet. 5. das Paraffinöl. Es stellt ein ziemlich dickflüssiges Gemisch zahlreicher Isoparaffine mittlerer Molekülgröße dar (C20—C40) und enthält keine kristallisierenden Bestandteile mehr. Auch die mineralischen Schmieröle bestehen zum wesentlichen Teil aus derartigen Isoparaffinen. 6. makromolekulare Paraffine. Sie entstehen bei der Polymerisation von Olefinen und sind z. T. wichtige Kunststoffe. Insbesondere Polyäthylen, einer der häufigsten Kunststoffe überhaupt, gehört diesem Verbindungstypus an. Es verdankt seine wertvollen Eigenschaften u. a. dem Umstand, daß es sich als Paraffin fast allen Chemikalien gegenüber indifferent verhält, und daß es keinen „Weichmacher" benötigt. Makromolekulare Isaparaffine liegen im Polypropylen und Polyisobutylen vor.

I I . Die u n g e s ä t t i g t e n Kohlenwasserstoffe Sind in einem Kohlenwasserstoff neben einfachen C—C-Bindungen auch G=GDoppel- oder G=C-Dreifachbindungen enthalten, so sinkt auf Grund des Gesetzes der minimalen Bindungszahl (S. 21) die Zahl der H-Atome unter die dort errechnete Maximalzahl von 2n + 2 ab. Derartige Substanzen sind also nicht mehr an Wasser stoff „gesättigt" und werden aus diesem Grunde ungesättigte Kohlenwasserstoffe genannt. Man unterteilt sie in 1. die Olefine oder Alkene mit einer C=C-Doppelbindung, 2. die Poly-olefine mit mehreren C=C-Doppelbindungen und 3. die Acetylene oder Alkine mit einer oder mehreren C =C-Dreifachbindungen im Molekül. 1. Die Olefine

Die Olefine (zur Unterscheidung von den Polyolefinen zuweilen auch Monoolefine genannt) sind Kohlenwasserstoffe, die außer C—H- und C—C-Einfachbindungen eine (und im engeren Sinne auch nur eine) C=C-Doppelbindung im Molekül enthalten. Sie stellen also typische organische Substanzen gemäß der auf S. 5 gegebenen Definition dar, deren Moleküle neben einem paraffinartigen Bezirk eine reaktionsfähige Stelle enthalten, eben die G=G-Doppelbindung. Sie ist für den chemischen Charakter der ganzen Verbindungsklasse verantwortlich und kann als Funktion im dort angegebenen Sinne betrachtet werden.

Auf S. 22 haben wir gesehen, daß pro Doppelbindung zwei H-Atome weniger vom Kohlenstoffgerüst gebunden werden als beim ausschließlichen Vorliegen von Einfachbindungen. Die Olefine müssen also gegenüber den Paraffinen eine um zwei verminderte Wasserstoffzahl besitzen, d. h. die allgemeine Summenformel CnH2n aufweisen. Da diese Formel durch die Zahl der

39

1: Die Olefine, Allgemeines

C-Atome n teilbar ist, ergibt sich für sämtliche Olefine unabhängig von ihrer Molekülgröße die gleiche VerhäUnisformel CH2. Man vermag deshalb auf Grund der Elementaranalyse allein nicht zwischen einzelnen Olefinen zu unterscheiden. Im übrigen lassen sich die Olefine wie die Paraffine zu einer homologen Reihe zusammenfassen.

Die rationellen Namen der Olefine leiten sich von denen der Paraffine gleicher Kohlenstoffzahl durch Ersatz der Endung -an durch die neue Endung -en (früher auch -ylen) ab. Dem Äthan entspricht also das Athen H 2 C=CH a (meistens Äthylen genannt), dem Propan das Propen (oder Propylen) H 2 C=CH—CH 3 und dem allgemeinen Namen Alkan die Bezeichnung Alken für ein Olefin schlechthin. Vom n-Buten ab muß man mit einer weiteren, durch die Lage der Doppelbindung in der Kette bedingten Isomeriemöglichkeit rechnen. Man kennzeichnet diese Lage, ähnlich wie die Stellung der Paraffinseitenketten, durch Anführung der Nummer desjenigen C-Atoms, von dem aus sich die Doppelbindung zum nächst höheren C-Atom erstreckt, und zwar steht die Zahl hier am Ende des Namens. Außer dieser Stellungsisomerie beobachtet man die bereits auf S. 17f. beschriebene geometrische Isomerie, so daß sich beispielsweise für das n-Buten drei Isomere ergeben: HaC=CH—CH2—(I Ig

H\

/H

>= \CH3

H3C

Buten-l oder a-Butylen

C

eis-

EL H3C

Buten-2 oder 0-Butylen

XCH3

>= \H C

trans-

Statt der Nummern dienen in der angedeuteten Weise vielfach auch griechische Buchstaben zur Wiedergabe der Lage der Doppelbindung. Die den Alkylresten entsprechenden ungesättigten Kohlenwasserstoftreste werden durch die Endung -enyl benannt. Einige Beispiele sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt:

I —CH=CHj —CH=CH—CH3 —CH2—CH=CH2 CH2=C—CHa—CHs —CH2—CH=CH—CH3 Äthenyl(Vinyl-)

Propenyl-1 (Propenyl-)

Propenyl-3 (AUyl-)

Buten-l-yl-2

Buten-2-yl-l

In diesen rationellen Radikalnamen muß man sowohl die Nummer des C-Atoms anführen, von dem die Doppelbindung ausgeht, als auch die desjenigen Atoms, durch das die Bindung des Radikals an das restliche Molekül erfolgt. In der Praxis sind für die einfachsten Radikale die eingeklammerten z. T. wesentlich kürzeren Trivialnamen in Gebrauch. Auch zweiwertige Radikale, die durch eine Doppelbindung an die Hauptkette angeschlossen sind, werden zur Benennung von Olefinen verwandt. Sie führen die Endung -yliden (z. B. Äihyliden H a C—CH= oder Benzyliden C„H 5 —CH=).

Vorkommen. Die Olefine treten wegen der Reaktionsfähigkeit der C=C-Doppelbindung nur noch in untergeordneten Mengen als Begleiter der Paraffine mineralisch auf. Dagegen trifft man sie in zahlreichen technischen Produkten, die bei höherer Temperatur entstanden sind, als Vercrackungsprodukte (S. 36) anderer organischer Stoffe an (z. B. im Leuchtgas, im Steinkohlenteer, im Crackbenzin usw.). Ferner sind in der belebten Natur einige kompliziertere Olefine (vor allem die Terpene, S. 450f.) und auch Polyolefine (z. B. der Kautschuk, S. 453) aufgefunden worden. Für die Darstellung der Olefine können grundsätzlich alle bei den Paraffinen beschriebenen Methoden verwandt werden, wenn man von analogen Verbindungen ausgeht, die bereits die Doppelbindung im Molekül enthalten. Es muß lediglich die eine Bedingung erfüllt sein, daß diese unter den Reaktionsbedingungen nicht an-

Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe

40

gegriffen wird. Daneben gibt es noch eine zweite, praktisch viel wichtigere Möglichkeit: die Einführung einer C=C-Doppelbindung in ein nur aus einfachen C—CBindungen aufgebautes Kohlenstoffgerüst. Diese Herstellung einer Doppelbindung geschieht mit Hilfe einer zweiten Grundreaktion der organischen Chemie, der Abspaltung oder Eliminierung. Unter Abspaltungs- oder Eliminierungsreaktion versteht man die Lösung der Bindungen zweier an benachbarten Atomen eines Moleküls befindlicher einwertiger Liganden und NeuVerknüpfung der hierbei frei werdenden vier Valenzen zu der zweiten Bindung einer Doppelbindung und einer einfachen Bindung zwischen den abgespaltenen Atomgruppen. Beispielsweise wird bei der Abspaltung eines Säuremoleküls H X aus ihren Estern (I) sich das H-Atom als Proton und die X-Gruppe als Anion vom Kohlenstoff lösen, und die vier Elektrovalenzen in den (in Wirklichkeit nicht frei auftretenden) Molekülbruchstücken (II) sättigen sich anschließend unter Ausbildung zweier neuer Atombindungen zu den Reaktionsendprodukten (III) ab: /

hl

Alk— CH— CH—Alk' I



X0



\

2;

\ Alk— GH— CH—Alk' / Ii

H—X •

Alk—CH=CH—Alk' in

Die angeführte Abspaltung von Säuren aus ihren Estern stellt die wichtigste Olefinbildungsreaktion dar. Sie geht um so leichter vor sich, je stärker sauer die abgespaltene Verbindung H X ist, ist aber stets endotherm. Sie muß infolgedessen durch hohe Temperaturen oder die Anwesenheit von Alkalien, die die Säuren im Augenblick der Abspaltung neutralisieren, erzwungen werden. Die Reaktion verläuft nicht immer einheitlich, da häufig verschiedene H-Atome des Moleküls mit dem Liganden X zusammen austreten können, so daß ein Isomerengemisch (z. B. IV und V) entsteht: H CH=CH—CH Alk

Alk'

H


a-Amino-carbonsäurenitrU

b) Bei der Addition aller anderen polaren Verbindungen des Typus HX oder H2Y entstehen unbeständige Substanzen der Strukturen I bzw. III, die beim Versuch ihrer Isolierung sofort den Aldehyd zurückbilden (vgl. S. 112), aber auch anderweitig stabilisiert werden können. Z. B. neigen Verbindungen des Typus I vielfach dazu, mit einem zweiten HX-Molekül unter Wasseraustritt „acetalartige" Produkte (II) mit zwei einwertigen negativen Resten an einem C-Atom zu liefern:

R—CH=0

: ,OH / R—CH

+ HX , ^

+ H:X,-H,0

/ R—CH

^X i

\ x Ii

Eine der Rückbildung des Aldehyds analoge Stabilisierungsreaktion beobachtet man bei allen Verbindungen des Typus III (mit einem H-Atom am Liganden Y) in der Abspaltung von Wasser unter Bildung einer C = Y-Doppelbindung (IV):

R—CH=0

, fH,Y

-

yOR R--CH ; ^YII III

~ Hl° • >

R—CH=Y IV

Auf beiden Stabilisierungsreaktionen beruhen die wichtigsten Darstellungsverfahren für die später (S. 112f.) beschriebenen Aldehyd- und Ketonderivate. Wir können uns deshalb an dieser Stelle mit der Formulierung einiger Anwendungsbeispiele begnügen:

100

Kap. 4, II : Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

/OH

+

R — ÒH

H,0

R

— H,0

^OH

H

+

,0—Alk

H:—0—Alk

R—CH

— H,0

\)—Alk

—Alk

Halbacetal

Aldehydhydrat

/OH. R—ÖH

Z 0 -CH

Acetal

+ H—Hai

;

^Hal

H—S—R'

+

r

H—Hai

R—ÒH

— H—S—R'

^S—R'

Halogenhydrin

unbest. Add. Verb.

y OH

+ NH,

R - C H

\ NH

— NH,

R — C H = 0

Aldehyd-ammonlak

S—R' RR-DH

^S—R' Mercaptal

verschiedene Folgeprodukte

R—CH=NH

Aldehydimio

OH

— H,0

R—CH

\

R — CH=N—R'

;H —R'

unbest. Add. Verb.

Schiffsche Base

c) Die Reduktion der Aldehyde zu den primären Alkoholen ist die Umkehrreaktion der zu ihrer Bildung führenden Alkoholdehydrierung und kann sowohl mit katalytisch erregtem als auch mit nascierendem Wasserstoff durchgeführt werden. Die katalytische Hydrierung findet vor allem in der Technik Anwendung, während man den nascierenden Wasserstoff (z. B. Natrium/Alkohol oder Lithium-aluminiumhydrid) präparativ bevorzugt. Eine interessante weitere Reduktionsmöglichkeit besteht in der Verwendung anderer Alkohole als wasserstoffabgebende Reduktionsmittel. Da diese hierbei zur Stufe der Oxoverbindung dehvdriert werden, stellt sich letzten Endes ein Gleichgewicht zwischen zwei Oxohörpern und zwei Alkoholen ein: R — C H = 0

+

R — CH2—OH

R—CH,—OH

R ' — C H = 0

Die von H . M E E R W E I N und R. PONÏTDORF 1 9 2 5 aufgefundene Reaktion wird durch Aluminiumalkoholate katalysiert und verläuft nach einem in I, Kap. 4, II, I a näher beschriebenen Mechanismus. Sie kann nach R. OPPENAUER ( 1 9 3 7 ) auch umgekehrt zur Dehydrierung eines Alkohols zum Aldehyd ausgewertet werden.

d) Die Aldehyde sind wie die Olefine (S. 46) zur Polymerisation befähigt, die hauptsächlich durch Säuren ausgelöst wird. Sie führt beim Formaldehyd in wäßrigem Medium im Sinne der folgenden Gleichung zu mehr oder weniger langen Kettenmolekülen (im Durchschnitt 100—150 HaCO-Einheiten) : n C H , = 0

+ H-OH

HO—CH2—O-CCH2—0^L-CH2—OH L

11—2

Bei höheren Aldehyden beobachtet man dagegen meistens die Bildung cyclischer Produkte aus nur wenigen Aldehydmolekülen (vgl. S. 105), oder die Polymerisation bleibt ganz aus (z. B. bei aromatischen Aldehyden).

101

1 a: Die Redoxreaktionen der Aldehyde

Zu 2. Der am CarbonyLkohlenstoff stehende Wasserstoff wird leicht oxydativ entfernt, wobei die Aldehyde in. Garbonsäuren übergehen. Z. B. tritt mit Luftsauerstoff Autoxydation ein. Hier entsteht primär durch Einbau des 02-Moleküls eine Percarbonsäure (in Analogie zur Peroxidbildung bei der Autoxydation der Olefine, S. 47), die ihrerseits ein zweites Aldehydmolekül zu oxydieren vermag. In summa werden also pro Molekül 0 2 zwei Carbonsäuremoleküle gebildet:

R— Cf

+ 0=0

• R—C^

H

sP

+ R-CH=o ,

\>—OH

+

OH

r^C^

OH

Percarbonsäure Hl

Sämtliche Aldehyde sind aus diesem Grunde

luftunbeständig.

Findet die Oxydation in Gegenwart von Wasser statt, so bilden sich zunächst die Aldéhyd-hydrate (V, vgl. auch S. 112), die dann besonders leicht dehydrierend weiteroxydiert werden: H R—C=0

+

H20

H /OH R — OH v



X) B

r

-

C

f OH

Hier kann man spezielle Oxydationsmittel anwenden, die selbst keinen Sauerstoff übertragen und deshalb andere oxydierbare Substanzen schonen. Geeignet sind vor allem SchwermetaUIonen in alkalischem Medium, z. B. ammoniakalische Silbersalzlösungen in Gegenwart von Natronlauge, die mit Aldehyden schon in der Kälte einen Silberspiegel abscheiden, oder alkalische Lösungen von Kupfer (II)-komplexen (hauptsächlich FEHLING sehe Lösung, S. 185), die durch Aldehyde zu Kupfer (I)-oxid reduziert werden. Beide Reagenzien dienen zum Aldehydnachweis. Präparativ zieht man die billigeren starken Oxydationsmittel (Salpetersäure, Bichromat usw.) vor, da die entstehenden Carbonsäuren praktisch oxydationsstabil sind (S. 124), also keiner Schonung bedürfen. Da die Aldehyde sowohl reduziert als auch oxydiert werden können und energiereicher sind als die hierbei entstehenden Alkohole und Carbonsäuren, vermögen sie sich auch in diese zu disproportionieren. Das bekannteste Verfahren dieser Art ist die Reaktion von CANNIZZAKO, die bei der Einwirkung starker Alkalilaugen auf Aldehyde vor sich geht und neben den Alkoholen die Salze der Garbonsäuren liefert: 2 R—CH=0 +

NaOH



R—CH a —OH +

R—COONa

Der Reaktion von CANNIZZARO sind im allgemeinen nur tertiäre Aldehyde (d. h. Aldehyde, in denen die —CH=0-Gruppe an einem tertiären, keinen Wasserstoff mehr enthaltenden C-Atom steht) zugänglich, da andernfalls in dem stark alkalischen Medium die unter 3. beschriebenen Kondensationsreaktionen eintreten. Eine andere Möglichkeit der Disproportionierung tritt in Gegenwart von Aluminium, -isoprtypylat bei höherer Temperatur ein (TisaHTSCHENKo-Reaktion). Hier fehlt das zur Disproportionierung in Säure und Alkohol erforderliche Molekül Wasser, und man erhält infolgedessen den u m ein H a O-Molekül ärmeren Ester:

2 R—CH=0

Ai[OCH(CH,),]3

(

j^c^0 0—CH 2 —R

Kap. 4, II: Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

102

Schließlich wird in der Biochemie zuweilen auch eine enzymatische Aldehyddisproportionierung (oder Dismutatüm, wie man hier häufig sagt) in den freien Alkohol und die freie Carbonsäure beobachtet. Z. B. findet bei der alkoholischen Gärung eine derartige Dismutation zwischen zwei verschiedenen Aldehyden statt (Näheres vgl. IH, Kap. 8, III, 2 ca).

Zu 3. Die Aktivierung der der CO-Gruppe benachbarten CH-Gruppen ist so stark, daß diese zu einer großen Reihe von Reaktionen befähigt sind, die bei den Kohlenwasserstoffen noch nicht durchgeführt werden können. I m einzelnen müssen hervorgehoben werden: a) eine erleichterte Substituierbarkeit des Wasserstoffs. Z. B. läßt sich die aktive Methylgruppe des Acetaldehyds bereits bei tiefer Temperatur ohne besondere Katalyse halogenieren, sulfonieren oder nitrieren. Weiterhin wird in den Substitutionsprodukten die C—C-Bindung zwischen dem Carbonylkohlenstoff und der aktiven Methylgruppe derart labilisiert, daß man sie anschließend leicht hydrolytisch unter Bildung eines Substitutionsproduktes des Methans und von Ameisensäure (bzw. eines ameisensauren Salzes) zerlegen kann: H03S— CH2—S03H + HC: Methandisulfonsäure

HSO. CH—CH=0 hso3

Hal 3 CH +

OH

Halogenoform

HC:

\

ONa

+ 3 Hai,

+ 2 H,SO,

- 3 HHal

• 2 H,0

Trihalogen-acetaldehyd

Acetaldehyd-dlsulfonsäure

C H , — C H = 0 + 2 HNO,

— 2H,0

o2Nx

H,0

/CH—CH=0

02nx

o

02N—CH,—N02 + HC

OH

Dinitro-acetaldehyd

Dinitromethan

Eine weitere bekannte Substitutionsreaktion tritt bei der Einwirkung von salpetriger Säure ein. Hier werden zwei H-Atome ersetzt, und es entstehen die sog. Isonitrosoverbindnngen, die chemisch zu den auf S. 117 beschriebenen Oximen gehören und sich zu Verbindungen mit zwei Oxogruppen im Molekül (S. 163) hydrolysieren lassen. Die gleiche Dioxoverbindung kann man auch durch direkte Oxydation der aktiven Methylengruppe mit Selendioxid gewinnen: Oxydation mit Selendioxid

R 0=CH—¿;H 2 + 0 = N - 0 H

R ~H'°-

R

0 = CH—C —N--0II _+Sg[0°H-> 0 = C H — C = 0 Iaonitroaoderivat = Oxim

Dloxoyerbindung

l b : Die gesättigten Aldehyde

103

b) Wird bei der Substitution des aktiven Methylenwasserstoffs ein organischer Rest eingeführt, so liegen Kondensationsreaktionen vor, die für die Synthese von C—C-Bindungen praktische Bedeutung erlangt haben. Bei der einfachsten Reaktion dieser Art lagert sich unter der katalytischen Einwirkung schwacher Alkalien die aktivierte CH-Gruppe des einen Aldehydmoleküls formal an die C=0-Doppelbindung eines zweiten Aldehydmoleküls an. Wie am Beispiel des Acetaldehyds gezeigt sei, entstehen hierbei Körper, die gleichzeitig eine Aldehyd- und eine Hydroxylgruppe enthalten. Sie werden deswegen allgemein Aldole genannt und haben der ganzen Reaktion den Namen Aldolkondensation gegeben: H O I 0=CH—CH 2 +

II CH—CHS

A1ko.11 ^

OH I 0=CH—CH2—CH—CH3 Acet-aldol

Streng genommen handelt es sich bei der Aldolkondensation jedoch noch um keine eigentliche Kondensation (vgl. S. 61), da keine Abspaltung irgendwelcher Molekülteile erfolgt. Sie stellt vielmehr nur eine Anlagerung dar. Man kann die Reaktion jedoch durch Verwendung anderer Katalysatoren (hauptsächlich von sekundären Aminen und deren Acetaien, sowie von starken Säuren) auch mit einer Wasserabspaltung verknüpfen und kommt dann zu einer eckten Kondensation. Z. B. entsteht bei dieser „Crotonaldehyd-kondensation" aus zwei Molekülen Acetaldehyd direkt der Crotonaldehyd:

=0

+

HJCH—CH=0

PiperidiD^ &cet&t

CH,—CH=CH—CH=0 +

H,0

Crotonaldehyd

Die Kondensationsreaktionen sind neben der CannizA iio-Disproportionierung die Hauptursache dafür, daß die Aldehyde zu den ausgesprochen alkalilabilen Verbindungen gehören. b) Die g e s ä t t i g t e n A l d e h y d e Formaldehyd H 2 CO, das Anfangsglied der Reihe, ist ein wichtiges technisches Zwischenprodukt, das durch dehydrierende Oxydation von Methanol mit Luftsauerstoff bei Rotglut an Kupferkontakten gewonnen wird. Er ist bei Zimmertemperatur gasförmig und besitzt eine wesentlich aktivere Garbonylgruppe als sämtliche anderen Aldehyde, so daß er im Gegensatz zu diesen in freiem Zustand (besonders bei Versuchen der Verflüssigung unter Druck) äußerst leicht polymerisiert. Statt des reinen Aldehyds selbst verwendet man deshalb meistens entweder sein Paraformaldehyd genanntes makromolekulares Polymerisationsprodukt (S. 100) oder seine etwa 40%ige wäßrige Lösung (sog. Formalin-lösung), in der er zum überwiegenden Teil in Form seines Hydrats HO—CH 2 —OH vorliegt, für das auch der Name Methylen-glykol gebräuchlich ist.

I

Formaldehyd findet hauptsächlich zu Kondensationsreaktionen Verwendung, zu denen er wegen seiner stark aktiven Carbonylgruppe in besonderem Maße befähigt ist.

So tritt bei der gemischten Kondensation von Formaldehyd mit anderen eine aktive Methylengruppe enthaltenden Aldehyden immer die C=0-Gruppe des Formaldehyds in Reaktion, und es werden sämtliche aktiven H-Atome des anderen Reaktionspartners adolartig substituiert. Beispielsweise entsteht mit Acetaldehyd der Trihydroxymethyl-acetaldehyd, der unter den Reaktionsbedingungen allerdings gleich weiter zum Pentaerythrit (S. 156) reduziert wird:

Kap. 4, I I : Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

104

HaC=0 H. H 2 C = 0 + H—C—CH=0 H2C=0 &/

/HO—CH~ \ >• HO—CH 2 —C—CH=0 \HO—CH 2 / /

HO—CH2 > HO—CH2—C—CH2—OH HO—CHj/

°n

Trihydroxymethyl-acetaldehyd

Penta-erythrit

Weiterhin ist v o n Interesse die kondensierende Herausspaltung von Wasser zwischen Formaldehyd einerseits u n d zwei aktivierten CH-Gruppen oder zwei NHGruppen andererseits, da hierbei kleinere Moleküle zu einem größeren Molekül verknüpft werden: / C

- H +

)NH +

0 + II OH,

H

o

h n /

+

11 " yJC—CH2—CX

— HO

>

^

^

^

ch2 Die sind:

wichtigsten

Anwendungsmöglichkeiten

für diese

„Vernetzungsreaktion"

1. die Herstellung des Kunststoffes Bakelit und von anderen Phenol-Formaldehyd-Eondensaten, bei denen der Formaldehyd im Sinne der ersten Gleichung die o- oder auch p-ständigen G-Atome zweier Phenolmoleküle miteinander verknüpft. Hierbei bilden sich neben den oben formulierten —CH 2 — auch —CH 2 —O—CH 2 —Brücken zwischen den Benzolkernen aus. Die Vernetzung erfolgt in allen drei Bichtungen des Raumes und führt zu einem sehr eng verflochtenen, sich durch die ganze Phase hindurch erstreckenden dreidimensionalen Biesenmolekül (oder Makromolekül), das bei Ausbildung von ungefähr 80% aller möglichen Brücken etwa die folgende, zur Vereinfachung der Verhältnisse nur zweidimensional wiedergegebene Struktur besitzt:

(für A = CH 2 oder CH2—O—CH2)

105

1 c : Die ungesättigten Aldehyde

2. die nach einem ähnlichen Prinzip im Sinne der zweiten Gleichung vor sich gehende Verknüpfung sehr vieler Harnstoffmoleküle zu dem ebenfalls dreidimensionalen Makromolekül der Harnstoff-Formaldehyd-Polykondensate (S. 149) und 3. die auf S. 489 beschriebene „Härtung" des Milcheiweißstoffes Casein zu dem Kunststoff Galalith. 4. die auf S. 204 formulierte MANNICH-Reaktion.

Physiologisch zeigt der Formaldehyd eine starke Giftwirkung, vor allem gegenüber Mikroorganismen, auf Grund deren verdünnte Formalinlösungen als Desinfektionsmittel Verwendung finden. Gleichzeitig tritt er wegen dieser Giftwirkung niemals frei in der Natur auf. Acetaldehyd H3C—CHO ist ebenfalls ein wichtiges Zwischenprodukt für technische Synthesen. Er wurde bis etwa 1960 ausschließlich durch Wasseranlagerung an Acetylen (S. 52) oder Dehydrierung von Äthylalkohol gewonnen, doch hat seither die oxydierende Wasseranlagerung an Äthylen mit Luftsauerstoff in Gegenwart von Palladium (II)-chlorid und Kupfer(II)-chlorid als Oxydans alle älteren Verfahren zurückgedrängt. Die verschiedenen Möglichkeiten seiner Weiterverarbeitung sind in Tafel I im Zusammenhang mit den vom Acetylen aus zugänglichen Stoffen zusammengestellt. Die Polymerisation des Acetaldehyds führt im Gegensatz zu der des Formaldehyds nur zu niedermolekularen Ringmolekülen. Unter der katalytischen Wirkung von konzentrierter Schwefelsäure entsteht bei Raumtemperatur fast explosionsartig der trimere (flüssige) Paraldehyd, während man bei tieferen Temperaturen mit Chlorwasserstoff als Katalysator den kristallinen tetrameren Metaldehyd erhält, der unter dem Decknamen Meta Verwendung als Hartspiritus findet: °\

H 3

/

c = o '

+ HO-Alk

t

\

/O—Alk

x

>
Cv

0 _ A l k

+ 2 HO Alk' \ /O-Alk' . )c( + 2 HO—Alk (l^acetalisierung) / \,_Alk'

Die Acetale finden auf Grund dieser Eigenschaften häufig Anwendung an Stelle der freien Oxoverbindungen, um Reaktionen in oxydierendem, oder stark alkalischem Medium vorzunehmen.

c) D i e S c h w e f e l d e r i v a t e d e r A l d e h y d e u n d K e t o n e a) Die Schwefelwasserstoffderivate der Oxoverbindungen Die freien Thio-aldehyde R — C H = S und Thioketone R 2 C = S sind äußerst unbeständige Verbindungen, die bisher noch nicht rein dargestellt werden konnten und deshalb kein größeres Interesse gefunden haben.

Wesentlich wichtiger sind die den Acetalen entsprechenden Mercaptale, die in voller Analogie zur Acetaldarstellung bei der Einwirkung von Mercaptanen (S. 242) auf Oxoverbindungen unter der katalytischen Einwirkung von starken Säuren oder Zinkchlorid entstehen: Hi- -S—R

3=0

H T oder ZnCl,

+ H - -S—R

/ S - R

x

/
c=c=o

.Hai

X

O

NH2

Carbons&ure-amid

/CH—C N

R

Man betrachtet die Ketene deshalb trotz der niedrigeren Oxydationsstufe des Carbonylkohlenstoffs vielfach als Carbonsäurederivate, und zwar speziell, weil die Säuren selbst durch Wasseranlagerung aus ihnen entstehen, als deren innermolekulare Anhydride. Carbomethylen H 2 C = C = 0 , der Grundkörper der Reihe, wird meistens Keten schlechthin genannt und heute praktisch ausschließlich durch Wasserabspaltung aus Essigsäure bei 600—800° gewonnen. Es ist ein unerträglich riechendes Gas, das sich erst bei —56° kondensiert (also um 76° tiefer als der nur um zwei H-Atome reichere Acetaldehyd!). In der Technik dient es als Acetylierungsmittel, z. B . zur Darstellung von Essigsäureanhydrid (S. 139) aus Eisessig. Kohlensaboxid 0 = C = C = C = 0 , ein die Augen und Atmungsorgane stark reizendes Gas vom Kondensationspunkt 7°, ist ein Diketen, und zwar speziell das monomolekulare Dianhydrid der Malonsäure (S. 174). Die Verbindung enthält nur noch Kohlenstoff und Sauerstoff im Molekül und weist somit formal die Zusammensetzung eines Kohlenstoff'oxids auf. Doch liegt insofern kein echtes Oxid vor, als nicht alle C-Atome gleichartig an Sauerstoff gebunden sind und damit nicht die sich aus der Verhältnisformel errechnende oxydative Wertigkeit besitzen. Vielmehr handelt es sich um eine komplizierte organische Verbindung, die zufällig nur aus den Elementen Kohlenstoff und Sauerstoff aufgebaut ist. Einem weiteren derartigen „anomalen Kohlenstoffoxid" werden wir auf S. 179 begegnen.

III. Die Carbonsäuren und ihre Derivate 1. Allgemeines Nimmt der Kohlenstoff die Oxydationsstufe 3 an, so kann er nicht mehr mit nur einem O-Atom abgesättigt werden. Er trägt vielmehr im einfachsten Fall ein doppelt gebundenes Carbonylsauerstoffatorn und eine Hydroxylgruppe, so daß man zusammenfassend von einer Carboxylgruppe —CO—OH (abgekürzt meistens —COOH geschrieben) spricht.

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

120

Alle Stoffe, die eine derartige Carboxylgruppe enthalten, werden wegen ihrer sauren Natur Carbonsäuren genannt. Sie weisen die allgemeine Formel R—COOH auf, und R kann wieder sowohl gesättigt als auch ungesättigt, aromatisch und halogenhaltig sein. Da der Carboxylkohlenstoff mit drei Valenzen an Sauerstoff gebunden ist, vermag er nur noch eine C—C-Bindung auszubilden. Hl

Er ist also stets 'primär und steht an einem Kettenende.

Die Benennung der Carbonsäuren geschieht in ungewöhnlich hohem Maße durch Trivialnamen. Daneben gibt es zwei rationelle Bezeichnungsarten: Die Genfer Nomenklatur geht wieder von den Kohlenwasserstoffen gleicher Kohlenstoffzahl aus, an deren Namen die Gruppenbezeichnung -säure gehängt wird. Die Ameisensäure HCOOH heißt danach Methan-säure und die Essigsäure H3C—COOH Äthan-säure. Daneben ist es aber auch üblich, die gesamte Carboxylgruppe als Substituent eines um ein C-Atom ärmeren Kohlenwasserstoffs zu betrachten. Danach wäre die Essigsäure eine Methan-carbonsäure und die Benzoesäure C6H5—COOH eine Benzol-carbonsäure. Zwischen beiden Nomenklaturprinzipien muß man scharf unterscheiden, denn Ausdrücke wie Methan-säure und Methan-carbonsäure bezeichnen jeweils zwei verschiedene, in ihrer Zusammensetzung um eine CHi-Gruppe voneinander abweichende Carbonsäuren.

Vorkommen. Die Carbonsäuren treten z. T. in freier Form, z. T. in Form ihrer Derivate in sehr großer Zahl in der Natur auf und sind maßgeblich am Aufbau wichtiger Lebensstoffe (z. B. der Fette) beteiligt. Auch bei biochemischen Abbauprozessen, insbesondere dem Kohlenhydrat- und Eiweißabbau, spielen eine Reihe von Carbonsäuren eine wichtige Rolle als Zwischenprodukte. Für die Darstellung der Carbonsäuren kommen vor allem drei Verfahren in Betracht : 1. die Oxydation von Verbindungen mit einer niedrigeren Oxydationsstufe des Kohlenstoffs, 2. die Einführung der Carboxylgruppe mit Hilfe synthetischer Reaktionen, und 3. die Carbonsäurebildung bei Abbaureaktionen. Zu 1. Primäre Alkohole und Aldehyde lassen sich ohne Schwierigkeit zu Carbonsäuren oxydieren, weil die Carboxylgruppe jeweils die Endstufe der Oxydation darstellt, man also keine Überschreitung der Carbonsäurestufe zu befürchten braucht: R—CH,—OH

Oxydation

R—CH=0

Oxydation

R—COOH

Schwieriger ist die Oxydation endständiger Methylgruppen zu Carboxylgruppen durchzuführen, weil sie erst unter energischeren Bedingungen angegriffen werden, als sie die sekundären oder gar tertiären CH-Gruppen zur Oxydation erfordern. Es treten infolgedessen leicht unerwünschte Nebenreaktionen ein. Nur in besonderen Fällen, wie z. B. bei der oxydativen Umwandlung aromatischer Methylseitenketten in Carboxylgruppen (S. 63), wird daher dieses Verfahren zur Carbonsäuredarstellung herangezogen.

Zu 2. Die älteste bekannte Carbonsäuresynthese ist die K o L B E S c h e Nitrilsynthese, die auf der Alkylierung des Cyanid-Ions mit Alkylhälogeniden beruht. Sie führt primär zu den Carbonsäure-nitrilen (S. 135), die sich dann sekundär leicht zu den Carbonsäuren selbst hydrolysieren lassen: R—Hai

+

NaiCN

- Na Hai

R—C=N Carbonsäure-nitril

Hydrolyse

R—COOH Carbonsäure

1: Die Darstellung der Carbonsäuren

121

Die Reaktion hat viele Variationen erfahren. Insbesondere kann man das Cyanid-Ion mit Hilfe der SANDMEYER-Reaktion (S. 227) und der Cyanidschmelze aromatischer Sulfonsäuren (S. 248) auch arylieren und so zu aromatischen Garbonsäuren gelangen. (Bez. weiterer Möglichkeiten vgl. I, Kap. 4, I I I , 1 und Kap. 12, I I I , 1 a.)

Ein der KoLBEschen Nitrilsynthese ähnlicher Aufbau von Carbonsäuren und ihren Derivaten liegt in der Carbonylierungsreaktion (S. 45, 52) vor. Hier wird das dem Cyanid-Ion nahe verwandte Kohlenoxid (vgl. S. 311/2) mit Hilfe von Olefinen oder Acetylen alkyliert. Weiterhin kann man die erst später behandelten GRiGNARoreaktionen zur Carbonsäuresynthese verwenden, indem man metallorganische Verbindungen (meistens GRIGNASDVerbindungen des Typus Rr—MgHal) mit Kohlendioxid umsetzt (S. 264): ß

R—MgHal +

0=C=0

*

JO Hydrolyae

K~c(



R - o f

OMgHal

OH

Eine ähnliche Einführung des Carboxylkohlenstoffs ist in der aromatischen Reihe auch mit Hilfe halogenhaltiger Kohlensäurederivate nach dem FRIEDEL-CRAFTSYerfahren möglich. Die Reaktionen verlaufen in voller Analogie zu der bereits formulierten Ketonsynthese (S. 60) und führen zu Carbonsäurederivaten. Die wichtigsten Möglichkeiten sind in folgendem Formelbild zusammengestellt: J
—°=N

+ Br-feN ^HBi

r

+ Cl-CQ-Cl - HCl

>

/S +i A «ini 1C1 *\\

V X

Amid

NH 2

+ Cl-CO-KH, - HCl

I

|

J

\ \=s

V HTT

Nitril /

1

^ \

C 1

Säurechlorid

+C1 CQQAlk - HCl

A \ n

\

r

—'

J OAlk

Ester

Schließlich sind auch einige Methoden bekannt, in bereits vorhandenen Carbonsäuren den organischen Rest zu verlängern. Einige derartige Reaktionen werden wir später in der Zimtsäuresynthese (S. 141) und den vom Malonester (S. 174) und Acetessigester (S. 191) ausgehenden Synthesen kennenlernen. (Bez. weiterer Verfahren vgl. I, Kap. 4, I I I , 1).

Zu 3. Bei den meistens oxydativ durchgeführten Abbaureaktionen organischer Verbindungen, die vor allem zum Zwecke der Konstitutionsermittlung in großer Zahl vorgenommen werden, fallen die Molekülbruchstücke im allgemeinen in Form von Carbonsäuren an (vgl. z. B. die auf S. 110 formulierte oxydative KetonspaMung). Derartige Abbaureaktionen finden auch zur Carbonsäuredarstellung praktische Anwendung, wenn ein billiges Ausgangsmaterial in genügender Menge zur Verfügung steht. So hat man beispielsweise die Adipinsäure (S. 176) längere Zeit durch oxydative Ringöffnung des durch Phenolhydrierung leicht zugänglichen Cyclohexanons (S. 275) gewonnen: \N

= /

/

—OH

\

X



\=0 /

x

Cyclohexanon

Oxydation ^ Ringöffnung

/

\

\CQ0H

^COOH

Adipinsäure

Physikalische Eigenschaften: Wie Tabelle 10 erkennen läßt, zeigt die Carboxylgruppe eine stark siedepunktserhöhende Wirkung, die auf ihre Befähigung zur Ver-

122

Kap. 4, III: Die Carbonsäuren und ihre Derivate

knüpfung von zwei Carbonsäuremolekülen durch Wasserstoffbrücken zu einem Doppelmolekül (S. 363) zurückzuführen ist. Auch die Schmelzpunkte sind aus diesem Grunde höher als bei den bisher beschriebenen Verbindungen. Die flüchtigen Carbonsäuren riechen meistens unangenehm. Der charakteristische Eigengeruch tritt bei den niederen Säuren erst bei größerer Verdünnung in Erscheinung (z. B. der säuerliche Geruch der Essigsäure und der schweißartige Geruch der Buttersäure), weil diese Säuren in hoher Konzentration unerträglich stechend riechen und dadurch die empfindlichen Geruchsnerven lähmen. Hinsichtlich der Lösungseigenschaften können die Carbonsäuren mit den Alkoholen verglichen werden. Die Carboxylgruppe ist jedoch noch stärker hydrophil als die Carbinolgruppe, und man beobachtet infolgedessen bis zur Buttersäure (bei den Alkoholen nur bis zum Propanol) eine unbegrenzte Mischbarkeit mit Wasser. Ferner sind sämtliche Carbonsäuren in organischen Lösungsmitteln gut löslich. Insbesondere Ameisensäure und Essigsäure finden wegen dieser hervorragenden Eigenschaften häufig Anwendung als Lösungsmittel und als Reaktionsmedium. Tabelle 10 Die physikalischen K o n s t a n t e n einiger Carbonsäuren Trivialnamen Genf. Nomenklatur Ameisensäure Essigsäure Propionsäure Buttersäure Valeriansäure Capronsäure Acrylsäure Benzoesäure

Methansäure Äthansäure Propansäure n-Butansäure n-Pentansäure n-Hexansäure Propensäure —

Formel

Sdp.

Smp.

D/T flüssig

HCOOH CH3—COOH CH3—CH2—COOH CH3—(CH2)2—COOH CH3—(CH2)3—COOH CH3—(CH2)4—COOH CH2=CH—COOH C6H6—COOH

101° 118 141 153 187 205 141 249

8,4» 16,6 —20 — 5 —35 —4 + 13 + 122

1,226/18° 1,049/20 0,999/15 0,960/19 0,940/19 0,930/20 1,062/16 —

PK,1) 3,75 4,75 4,88 4,81 4,80 4,84 4,25 4,19

Chemische Umsetzungen sind sowohl in der Carboxylgruppe als auch im organischen Rest möglich. Doch treten sie an Reichhaltigkeit hinter den Aldehydreaktionen zurück. Im einzelnen müssen hervorgehoben werden: 1. die Reaktionen des Carboxylwasserstoffs, 2. die Substitution der gesamten Hydroxylgruppe, 3. die Reaktionen der Carbonylgruppe, 4. die Reaktionen der aktiven Methylengruppe, 5. das Verhalten gegen Oxydations- und Reduktionsmittel und 6. Abbaureaktionen. Zu 1. Wie schon der Name sagt, sind Carbonsäuren echte Säuren, die Kohlensäure aus ihren Salzen freisetzen und mit Alkalilaugen scharf titriert werden können. Ihre Säurestärke ist jedoch relativ gering. Die p Ks -Werte der einfachen Carbonsäuren liegen zwischen 4 und 5, und man kann infolgedessen die Säuren in Mischung mit ihren Salzen zur Pufferung der H+-Ionenkonzentration verwenden (vgl. physikochemische Lehrbücher). Statt durch die früher gebräuchliche Dissoziationskonstante charakterisiert man heute die Säurestärke meistens durch den pKg-Wert. Hierunter versteht man (in Analogie zu dem verwandten Begriff des pH-Wertes) den negativen dekadischen Logarithmus der Säuredissoziationskonstante. In analoger Weise stellt der PKb-Wert den negativen Logarithmus der Basendissoziationskonstante basischer Verbindungen dar. Ist einer dieser Werte z. B. gleich 0,00002 (=2-10~ 5 ) so errechnet sich der PK8- bzw. ps:b-Wert zu 4,7. Man vermeidet auf diese Weise die umständliche Wiedergabe der Zehnerpotenzen.

1: Die Reaktionen der Carbonsäuren

123

Typische Reaktionen des Carboxylwasserstoffs sind die Salzbildung mit und die Veresterung mit Diazomethan (S. 223): R-COOMt

R—COOH

t

+ch'N
C1CH2—COOH

roter Phosphor

+ 0 ' 1 ' ~ ™'-> C1.CH—COOH roter Phosphor

Chloressigsäure

+ 0'1'~ ° c l roter Phosphor

Dichloresslgsäure

CLC—COOH 9 Trichloresslgsäure

Erst bei verschiedenen Carbonsäurederivaten betrachtet man eine stärkere Aktivierung der Methylengruppe. Hier muß vor allem auf die Befähigung der Carbonsäureester zur Esterkondensation (S. 130) und der Anhydride zur PE RK I N sehen Zimtsäuresynthese (S. 141) hingewiesen werden. Auch beruht die katalytische Wirkung des roten Phosphors bei der oben formulierten Essigsäurechlorierung auf der intermediären Bildung des Säurechlorids, das eine relativ stark aktivierte Meihylengruppe besitzt (Näheres vgl. I, Kap. 4, III, 1).

124

Kap. 4, III: Die Carbonsäuren und ihre Derivate

Zu 5. Da einerseits die Carboxylgruppe ohne Zerstörung des Kohlenstoffskeletts nicht weiter oxydiert werden kann, andererseits die benachbarte Methylengruppe gegen Oxydationsmittel weitgehend beständig ist, besteht außer der eigentlichen Verbrennung bei höherer Temperatur keine Möglichkeit, das Carbonsäuremolekül in der Nähe der Carboxylgruppe oxydativ anzugreifen. Die gesättigten Carbonsäuren gehören aus diesem Grunde zu den oxydationsstabilsten Verbindungen, die die organische Chemie kennt. Sie können in dieser Beziehung direkt mit den Paraffinen verglichen werden. Diese außerordentlich hohe Beständigkeit der gesättigten Carbonsäuren gegen Oxydationsmittel geht insbesondere aus der Tatsache hervor, daß das starke Oxydans Chromtrioxid meistens in siedendem Eisessig als Reaktionsmedium zur Anwendung kommt, ohne daß man einen Essigsäureabbau befürchten muß. Auch bleibt die beschriebene oxydative Ketonspaltung (S. 110) aus diesem Grund auf der Stufe der Carbonsäuren stehen.

Die Reduktion der Carboxylgruppe erfolgt wegen der Inaktivität der C = 0 Doppelbindung ebenfalls bedeutend schwerer als die der Oxoverbindungen, so daß man auch bei Reduktionsreaktionen Eisessig als Medium verwenden kann (z. B. ZinkstaubjEisessig). Eine Reduktion der freien Carbonsäuren war deshalb bis vor kurzem nur bei 300—400° mit katalytisch erregtem Wasserstoff möglich. Erst die Einführung des Lithium-aluminiumhydrids in die präparative organische Chemie gestattete es, die Carbonsäuren auch bei niedrigerer Temperatur zu reduzieren. Wie schon kurz erwähnt (S. 97) wird bei all diesen, von den freien Carbonsäuren ausgehenden Reduktionen die Aldehydstufe glatt übersprungen, und es entstehen direkt die primären Alkohole: R—COOH

» ^R—CH=oj



+ H

' ••> R—CH3—OH

Zu 6. Bei der erwähnten Oxydationsbeständigkeit der Carbonsäuren ist es von um so größerer praktischer Bedeutung, daß es eine Reihe anderer Möglichkeiten gibt, ihre Kohlenstoffkette abzubauen. Hierbei wird stets nur das Carboxyl-C-Atom entfernt, das sich häufig sogar ohne Änderung der Gesamtoxydationsstufe im Sinne einer Hydrolyse abspaltet: a) Dies ist z. B. bei der Decarboxylierung der Fall, die meistens durch thermische Zersetzung der carbonsauren Salze mit überschüssigem Alkali geschieht: R—COOXa +

NaOS

Erhltze

° .

R—H +

Na2CO,

Die Reaktion verläuft nur in der aromatischen Reihe glatt, da die Alkalisalze der aliphatischen Carbonsäuren leicht Nebenreaktionen eingehen (z. B. eine Ketonbildung im Sinne der Kalksalzdestillation, S. 108). Einige besonders aktivierte Säuren (z. B. die Malonsäure [S. 174], die 1,3Keto-carbonsäuren [S. 191] und die Phenöl-carbonsäuren [S. 186]) decarboxylieren beim Erhitzen auch schon ohne Alkali unter CO^-Abspaltung: R—('00 H

R—H +

C0 2

b) Bei der in Gegenwart konzentrierter Schwefelsäure zuweilen vor sich gehenden Kohlenoxidspaltung der Carbonsäuren wird die Gesamtoxydationsstufe ebenfalls

2: Die Carbonsäurederivate

125

nicht geändert. Nur erhält man hier den Rest R in der höheren Oxydationsstufe des Alkohols und den Carboxylkohlenstoff in der niedrigeren Stufe des Kohlenoxids: R —C

Y

; 0: N

0—H

R—OH

+

C = 0

Die Reaktion ist nicht allgemein durchführbar und gelingt bei den einfachen Carbonsäuren nur im Falle der Trimethyl-essigsäure (S. 140). Bei komplizierteren Säuren, insbesondere den tx.-B.ydroxy- (S. 180) und a-Ketocarbonsäuren (S. 188) tritt sie dagegen verhältnismäßig leicht ein.

c) Schließlich kennt man eine Reihe von Abbaureaktionen, die mit einer Erhöhung der Gesamtoxydationsstufe um zwei Äquivalente einhergehen, so daß der Alkylrest in der Oxydationsstufe eines Alkohols und der Carboxylkohlenstoff in der des Kohlendioxids anfällt. Hier ist vor allem der Hunsdiecker-Abbau zu nennen, bei dem die Silber salze der Carbonsäuren mit elementarem Halogen (meistens Brom oder Jod) umgesetzt werden. Als Zwischenprodukt tritt vermutlich das gemischte Anhydrid (I) von Carbonsäure und unterhalogeniger Säure auf: R—CO—OjAg +

Br—Br

— AgBr

(lt—OO-O—Br)

R—Br

+

C0 2

Neuerdings konnte die Reaktion durch Umsetzung der freien Carbonsäuren mit den freien Halogenen in Gegenwart von Quecksilberoxid wesentlich vereinfacht werden. Ferner gehört diesem Reaktionstyp der bekannte HoFMANNsche Abbau der Carbonsäureamide (S. 135) sowie die nahe verwandten Abbauarten von Th. Curtius und W. Lossen (Näheres vgl. I, Kap. 4, III, 2 d 6 und £) an.

2. Die Carbonsäarederivate Unter Carbonsäurederivaten versteht man alle Verbindungen, in denen unter Erhaltung der Oxydationsstufe 3 des Carboxylkohlenstoffs entweder der Carboxylwasserstoff durch positive oder die Sauerstoffunktionen der Carboxylgruppe durch negative Atome bzw. Atomgruppen ersetzt sind. Die Benennung der Carbonsäurederivate geschieht vielfach durch Anhängung der Gruppenbezeichnung an den Namen der betreffenden Säure (z. B. Essigsäure-amid, Benzoesäure-anhydrid usw.). Daneben sind für die häufig wiederkehrenden Säurereste aber auch Radikalnamen gebräuchlich. Beispielsweise wird der bei der Substitution .0

der Hydroxylgruppe unverändert bleibende Rest R — ( a l l g e m e i n Acylrest genannt) oft für Nomenklaturzwecke verwandt und hierzu durch die an den Wortstamm des Säurenamens gehängte Endung -yl gekennzeichnet. So leitet sich etwa von der Stearinsäure der Stearylrest (z. B . in Stearyl-chlorid) ab. Ferner dient zur Benennung des in den Salzen und Estern enthaltenen Restes R—CO—O— die bei den Salzen übliche Endung -at. Jedoch wird der Name hier durch Setzen des Radikalnamens an das Wortende gebildet (z. B . Natrium-stearat oder Äthyl-falmitat).

Für beide Arten von Säureresten sind bei den einfachen Carbonsäuren Trivialnamen in Gebrauch, die sich von den in der Pharmazie auch heute noch gebräuchlichen alten lateinischen Namen der betreffenden Säure ableiten und deshalb den Zusammenhang mit den deutschen Säurenamen nicht ohne weiteres erkennen lassen. In Tabelle 11 sind die wichtigsten dieser Trivialnamen denen der zugehörigen Carbonsäuren gegenübergestellt:

126

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate Tabelle 11

Die T r i v i a l n a m e n e i n i g e r C a r b o n s ä u r e n und d e r s i c h von i h n e n a b l e i t e n d e n R e s t e Säure Ameisensäure Essigsäure Buttersäure Benzoesäure Zimtsäure

Acylrest

Salz

Formyl Acetyl Butyryl Benzoyl Cinnamoyl

Formiat Acetat Butyrat Benzoat Cinnamat

Säure

Salz

Milchsäure Weinsäure Brenztraubensäure Bernsteinsäure Korksäure

Acylrest

Lactat Tartrat Pyruvat Succinat Suberat

Lactyl Tartryl Pyruvyl Succinyl Suberyl

Die Einteilung der Carbonsäurederivate geschieht wie die der Derivate der Oxoverbindungen zweckmäßig nach den in ihnen enthaltenen HeteroelemerUen. a) Die Carbonsäure-chloride Die wichtigsten Halogenderivate der Carbonsäuren sind ihre Chloride. Sie leiten sich von den freien Säuren durch Ersatz der Hydroxylgruppe durch Chlor ab und werden in der Praxis auch mit Hilfe einer derartigen Substitutionsreaktion hergestellt. Als Chlorierungsmittel verwendet man hierbei (neben Phosgen, vgl. S. 143) die gleichen anorganischen Polyhalogenverbindungen wie bei der Halogenierung der Alkohole, nämlich Phosphorpentachlorid, Thionylchlorid und Phosphortrichlorid: O

-

R—C^ OH

+

PC1

'

>

+ soc'i-^ +v.ra. ,

POCl s +

HCl

+

so 2 + HCl i/3 H3PO3

+ +

o

R — C^ C1

Die Benennung erfolgt durch die Gruppenbezeichnung -chlorid (z. B. Essigsäure-chlorid oder Acetyl-chlorid. Man muß hier (und entsprechend auch bei anderen Carbonsäurederivaten) streng unterscheiden zwischen den Carbonsäure-chloriden und den Chlor-carbonsäuren. Steht die Funktionsbezeichnung nach dem Namen der Säure bzw. ihres Radikals, wie bei den Säurechloriden, so liegt immer ein Säurederivat vor. Steht sie dagegen davor, wie bei den Chlor-carbonsäuren, so handelt es sich um eine neue Carbonsäure, die durch Substitution der ersten Säure im organischen Molekülrest entstanden ist und ihrerseits wieder Säurederivate bilden kann. So stammen z. B. von der Essigsäure einerseits das Säurederivat Acetylchlorid, andererseits die neue Carbonsäure Chlor essigsaure ab. Von letzterer kann dann sekundär ein eigenes Säurechlorid, das CMor-acetyl-chlorid, abgeleitet werden: Cl—CH 2 —CO—C1 Chlor-acetylchlorid




H 3 C—CO—C1 Acetylchlorid

Physikalische Eigenschaften. Die Carbonsäurechloride enthalten keinen assoziierenden Wasserstoff mehr und zeigen infolgedessen ziemlich niedrige Schmelz- und Siedepunkte (z. B. siedet Acetylchlorid mit 51° um 67° tiefer als Essigsäure). Sie werden schon durch Luftfeuchtigkeit langsam zersetzt und rauchen deshalb an der Luft. Auf die Augen und Atmungsorgane üben sie eine unerträgliche Reizwirkung aus. Die Anfangsglieder der aliphatischen Reihe sind wasserlöslich, werden aber sofort nach der Auflösung unter starker Wärmetönung stürmisch zersetzt, während

2 a: Die Acylierungsreaktion

127

die reaktionsträgeren und praktisch wasserunlöslichen aromatischen Säurechloride kurzzeitig in wäßriger Suspension haltbar sind und auch umgesetzt werden können (vgl. S. 128).

Von den chemischen Umsetzungen der Carbonsäurechloride ist nur ihre Tendenz zum Austausch des Chloratoms gegen andere negative Atome bzw. Atomgruppen bemerkenswert, die praktisch auf eine Übertragung des Acylrestes auf diese Gruppen hinausläuft. Der Vorgang wird deshalb Acylierung genannt, und die Carbonsäurechloride sind typische A cylierungsmittel. Wie die in folgendem Formelbild zusammengestellten zahlreichen Anwendungsbeispiele zeigen, liegt in dieser Acylierungsreaktion eines der wichtigsten Darstellungsverfahren für andere Garbonsäurederivate vor: O

R—C:/

XNH

R—C y

/ R—C V

R— j

Säure Jodid

Säurefluorid }

R—(xf NH—NH2

+ HO—R' — HCl

+ H.N-NH, - HCl H

O R—C J

V NH—OH

+ NaSH — NaCl

0 J R—C:\ c SH

0—R'

Säureester

C1 I + H - ° , R—•Qtf —HCl

o

N

0H

Carbonsäure

J

+ H, — HCl

+ NaS—R' - NaCl

» V S—R'

Thlocarbonsäure

\

R-C


R—COOH +

HO—Alk

Sie ist die Umkehrreaktion der oben formulierten Veresterung wie diese nur bis zu einem Gleichgewicht.

und verläuft

Die eigentliche Hydrolyse erfordert Temperaturen um 100° u n d starke Mineralsäuren als Katalysator, kann aber oberhalb 150° auch ohne Katalysatoren durchgeführt werden. Neben der säurekatalysierten Hydrolyse besteht auch die Möglichkeit einer alkalischen Esterspaltung, die nach der alkalischen Fettspaltung zu den Seifen (S. 448) allgemein Verseiiung genannt wird. Sie geht schon bei Raumtemperatur relativ rasch vor sich und ist dadurch charakterisiert, daß die bei der Hydrolyse entstehende freie Carbonsäure infolge des alkalischen Reaktionsmediums in neutralisierter Form anfällt: R—CO —O—Alk +

HONa

>

B^-COONa +

HO—Alk

Die Wirkung des Alkalis ist also nicht mehr katalytisch, denn es wird ein Mol des Spaltungsmittels verbraucht, und das Reaktionsgleichgewicht verschiebt sich wegen des Abfangens der freien Carbonsäuren bis zur vollständigen Esterverseifung. b) die der Umacetalisierung

(S. 114) analoge Umesterung:

A) XJV~\ R—C ^ +I H:0—Alk' \ o - -Alk

Ä) T>— C N-" R f \ )

^

+

HO—Alk

Alk'

Sie führt immer zu einem Oleichgewicht und wird sowohl durch Säuren als auch durch Basen (hier durch Alkali-alkoholate) katalysiert. Die Reaktion findet praktische Anwendung zur Freisetzung komplizierterer Alkohole aus ihren Estern mit Hilfe einfacher Alkohole. c) die Aminolyse: Ä) tri -vrxT R—C ^ +; "Hi—NH 2 \)—Alk

,

/O RT> — CR f J + X NH2

HO—Alk

Sie erfordert als einzige Reaktion dieser Gruppe keine Katalyse und dient sowohl zur Darstellung v o n Carbonsäureamiden (S. 133) als auch zur Freisetzung der alkoholischen Esterkomponente. 9

K l a g e s , Einführung org. Chemie

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

130

Als weitere Reaktion der Estergruppe sei die mit Lithium-aluminium-hydrid eintretende reduzierende Spaltung zu zwei Alkoholmolehülen erwähnt, die hauptsächlich zur Reduktion der Säurekomponente des ursprünglichen Esters Anwendung findet: L1A1H

R—COO—Alk

*-

R-CH2—OH +

HO—Alk

Ferner ist die Carbonestergruppe zur Umsetzung mit metaUorganischen Verbindungen (S. 264) und zu der unten beschriebenen Esterkondensation befähigt.

Zu 2. Die aktive Methylengruppe der Ester k a n n im Gegensatz zu der der freien Carbonsäuren einige Kondensationsreaktionen eingehen, von denen die wichtigste die in Gegenwart von Natriumalkoholat oder Natriumamid vor sich gehende Ester- oder CLAiSENkonden8ation ist. Bei ihr treten zwei Estermoleküle im Sinne der folgenden summarischen Gleichung zu einem 1,3-Keto-carbonsäureester zusammen: O

R'

O

II

I

II

R—C—O—Alk +

0

H:—CH—C—-0—Alk

-HO-Alk: A1K

R'

II I

'-

O

II

R—C—CH—C—0—Alk

Eine ähnliche Reaktion ist auch zwischen der aktiven Methylengruppe eines Ketons und der Alkoxygruppe eines Carbonsäureesters möglich und führt dann zu 1,-3-Diketonen: O

II

R—Ci—O—Alk +

:

R'

0

I

II

H—CH—C—Alk

-HO-Alk Alt

-

O R'

O

II 1

II

R—C—CH—C—Alk

Die Esterkondensation eröffnet im Zusammenhang mit den auf S. 165 und 190/1 beschriebenen Spaltungsreaktionen der 1,3-Diketone und 1,3-Keto-carbonsäureester eine wichtige Synthesemöglichkeit zum Aufbau höherer Ketone und Carbonsäuren. Bez. des ziemlich komplizierten Reaktionsmechanismus vgl. I, Kap. 12, I I I , 2 d und II, Kap. 4, III, 2. y) Die Carbonsäure-anhydride Unter Carbonsäure-anhydriden versteht m a n die aus zwei Carbonsäuremolekülen unter Wasseraustritt entstehenden Verbindungen der allgemeinen Struktur R—CO—0—CO—R'. J e nachdem, ob R und R ' gleich oder verschiedenartig sind, unterscheidet man zwischen symmetrischen und unsymmetrischen Anhydriden. Darstellung. Die direkte Wasserabspaltung aus zwei Molekülen einer Carbonsäure läßt sich mit wenigen Ausnahmen (vgl. z. B. 139, 176, 178f.) nur schwierig durchführen. Man gewinnt die Anhydride deshalb meistens durch Acylierung eines carbonsauren Salzes mit einem Carbonsäurechlorid oder Keten als Acylierungsmittel, eine Reaktion, die auch zur Darstellung unsymmetrischer Anhydride geeignet ist: R- CO—OXa

+

Cl—CO—R'

~yaC1-

R— CO—0—CO—R'

Ferner kann man freie, Garbonsäuren durch Kochen mit den Anhydriden anderer Carbonsäuren (meistens mit Essigsäureanhydrid) auf dem Wege einer „Umanhydrisierung" in ihre Anhydride umwandeln. In Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen können hierbei sowohl das gemischte Anhydrid beider Säuren (I) als auch das symmetrische Anhydrid der zu anhydridisierenden Säure (II) entstehen:

2 b y und ö: Carbonsäureanhydride, Orthocarbonsäuieester o T)

,0

c" Vvtx

Oxi

+ 2 Acet-anhydrid - 2 Essigsäure ^

\ /

^

GleichgewichtsetoteUung =

H,C— CO

R—C0 N R—CO7

R—CO.

131

;o

o H,C—CO

Ii

Die Carbonsäureanhydride sind ziemlich hochsiedende Substanzen, deren flüchtige Vertreter einen ähnlich stechenden Geruch aufweisen wie die zugehörigen Säuren. Sie stellen ebenfalls wichtige Acylierungsmittd dar, die wie die Carbonsäurechloride (S. 127) einen Acylrest auf andere Substanzen zu übertragen vermögen:

/ 0 0;V C—R

R—C

+

X—

R—C\

-p Xv—Vv OH

xr

X

X

Da bei diesen Acylierungsreaktionen stets einer der beiden Acylreste als Säure freigesetzt wird, ist günstigenfalls eine 50°/oige Ausnutzung der organischen Materie des Anhydrids möglich. Hierdurch wird die praktische Anwendbarkeit, insbesondere der Anhydride der höheren Carbonsäuren, stark eingeschränkt. Die Carbonsäureanhydride reagieren nur mit stärker basischen Stoffen (Ammoniak, Am,ine, Alkalien usw.) spontan und bedürfen bei der Acylierung von Alkoholen der Katalyse. Praktisch angewandt werden konzentrierte Schwefelsäure und Zinkchlorid als saure sowie Pyridin und Natriumacetat als basische Katalysatoren. Die aktive Methylengruppe der Carbonsäureanhydride läßt sich bereitB ohne Schwierigkeiten chlorieren, nitrieren und sulfonieren. Ferner ist sie zu einigen Kondensationsreaktionen befähigt, von denen wir die PERKlNsche Zimtsäuresynthese noch kennenlernen werden (S. 141). ó) Die Orthocarbonsäure-ester Orthocarbonsänren der Struktur R—C(OH)3 sind nicht bekannt, weil Verbindungen mit drei Hydroxylgruppen an einem C-Atom noch unbeständiger sind als die Hydrate und Halbacetale der Oxoverbindungen mit nur zwei derartigen Substituenten an einem C-Atom (S. 112). Dagegen existieren einige Orthocarbonsäurederivate, bei denen wegen des Fehlens einer Hydroxylgruppe die Verringerung der Zahl der negativen Substituenten am Carboxyl-C-Atom durch Abspaltung einer Wasserstoffverbindung nicht mehr möglich ist. Die wichtigsten von ihnen sind die Orthocarbonsäure-ester, die man am besten durch Umsetzen der Nitrile (S. 135) mit drei Molekülen Alkohol und einem Mol Chlorwasserstoff über die salzsauren Imido-ester (S. 136) als Zwischenprodukte gewinnt (bez. weiterer Darstellungsmethoden vgl. I, Kap. 4, III, 2ce):

R—C=N + Nitril 9*

HO—Alk +

HCl

i: //AH,¿ + Cr • R- -(."? x 0—Alk

/O—Alk 4- 9TT f>—Alk / X AT > R—C—0—Alk N}—Alk

salzsaurer Imldoester

Orthocarbonsäure-ester

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

132

D i e Orthocarbonsäure-ester sind d e n Acetalen ähnliche alkalibeständige Subs t a n z e n , die wegen der H ä u f u n g der A l k o x y g r u p p e n a m z e n t r a l e n C - A t o m eine diesen g e g e n ü b e r n o c h m a l s stark gesteigerte Säurelahilität aufweisen. Als erstes Hydrolysenprodukt e r h ä l t m a n die normalen l a n g s a m e r d u r c h S ä u r e n weiter g e s p a l t e n w e r d e n : /O—Alk T> r/ rt All O—Alk X)—Alk

+ H,0, + Spuren H — 2 Alk—OH

"

UR

(sehr rasch)

O n/y —C\

Ester,

die d a n n wesentlich

+ H,0, + starke Säuren ^ÄIk=ÖH

O—Alk

JO >

(langsam)

\ OH

Eine praktische Anwendungsmöglichkeit dieser starken Tendenz zur Abgabe von zwei Alkoxyresten haben wir auf S. 113 in der Darstellung von Ketalen durch Umsetzung von Orthocarbonsäureestern mit Ketonen kennengelernt. e) D i e P e r o x y d e r i v a t e der C a r b o n s ä u r e n Da das Hydroperoxid zwei substituierbare H-Atome enthält, liefert es zwei Arten von Acylderivaten: 1. die Percarbonsäuren R—CO—O—OH und 2. die Diacyl-peroxide R—CO—O—O CO—R. Zu 1. Die Percarbonsäuren erhält man am besten durch partielle Spaltung der leichter darstellbaren Diacyl-peroxide mit Natriumalkoholat: R—CO—0—O- CO—R +

R'—ONa



R—CO—O—ONa +

R'_0—CO—R

Sie sind den Carbonsäuren ähnliche Stoffe mit einer diesen gegenüber deutlich verminderten Acidität. Ferner neigen sie als Peroxyverbindungen leicht zur Verpuffung oder gar zu schweren Explosionen. Per-ameisensäure und Per-essigsäure finden technische, Per-benzoesäure präparative Anwendung als spezielle Oxydationsmittel (z. B. zur Überführung von Olef inen in Olefinoxide, S. 43, 157). Zu 2. Die Diacyl-peroxide werden bei der Acylierung des Hydroperoxids mit den üblichen Acylierungsmitteln als Primärprodukt gewonnen. Sie sind wesentlich beständiger als die Percarbonsäuren, so daß z. B. Dibenzoyl-peroxid auch in freiem Zustand ohne Explosionsgefahr gehandhabt werden kann. Die Diacyl-peroxide neigen bei höherer Temperatur zu einem langsamen Zerfall in zwei Sauerstoffradikale, die zur Auslösung von Radikalkettenreaktionen (S. 353) befähigt sind: R—CO—0-i-0—CO—R

*

2R—CO—O-

>

Folgeprodukte

Hierauf beruht die wichtigste praktische Anwendung der Diacyl-peroxide als Polymerisationskatalysatoren in der Kunststoffindustrie. c) D i e S t i c k s t o f f d e r i v a t e d e r

Carbonsäuren

Oi) Die C a r b o n s ä u r e - a m i d e U n t e r Carbonsäure-amiden ( a b g e k ü r z t h ä u f i g a u c h Carbonamide g e n a n n t ) vers t e h t m a n (wie bei d e n a n o r g a n i s c h e n S ä u r e a m i d e n ) V e r b i n d u n g e n , in d e n e n die Säurehydroxylgruppe d u r c h eine NH2-Gruppe e r s e t z t ist. I h n e n k o m m t also die allgemeine S t r u k t u r f o r m e l R — C O — N H 2 zu. Man kann die Säureamide aber auch als Acylderivate des Ammoniaks auffassen. Hier besteht die Möglichkeit, daß nicht nur ein, sondern auch zwei oder gar alle drei Ammoniak-H-Atome durch einen Acylrest substituiert sind, und man unterscheidet dementsprechend zwischen primären, sekundären und tertiären Säure-amiden-,

2 c a : Die Carbonsäureamide

133 o

R— C ^ .NH2

^>NH i — x o

I

primäres Carbonsäureamid

yN—C—R ^^ \>

R

sekundäres Carbonsäureamid

tertiäres Carbonsäureamid

Im folgenden werden wir uns nur mit den primären Carbonsäure-amiden beschäftigen.

Die Amide der einfachen Carbonsäuren kommen nicht natürlich vor. Dagegen trifft man häufig carbonsäureamidartige Bindungen in Naturstoffen an, von denen an dieser Stelle insbesondere auf die Peptidbindungen der Eiweißstoffe (S. 478f.) hingewiesen sei. Für die Darstellung der Carbonsäure-amide gibt es vor allem zwei Möglichkeiten: 1. die Acylierung des Ammoniaks mit Hilfe der üblichen Acylierungsmittel. Sie erfordert bei der Verwendung von Carbonsäurechloriden oder -anhydriden stets ein zweites Mol Ammoniak zur Neutralisation der entstehenden freien Säure: R

JO vf

,0

+ H—XII2

>-

R—Cf

+Im

+ H—X

' »

NH 4 + X"

Man acyliert deshalb häufig mit den Carbonsäureestern, da der hierbei freigesetzte Alkohol nicht mit dem Ammoniak reagieren kann (vgl. die Formulierung auf S. 129). Selbst die freien Carbonsäuren können bei höherer Temperatur als Acylierungsmittel verwandt werden, obgleich hier die primär beim Zusammengeben von Säure und Ammoniak stattfindende Ammoniumsalzbildung erheblich stört (Näheres vgl. I, Kap. 4. I I I , 2 da).

2. die Wasseranlagerung an Nitrile, die durch Alkalien oder (seltener) Säuren katalysiert wird und stets vorsichtig durchgeführt werden muß, damit die entstehenden Amide nicht anschließend hydrolytisch gespalten werden (s. unten): R— C=N +

H20

>

R— c/

( nh2

+H

' ° > R—COOH + NH3 | '

Physikalische Eigenschaften. Die Säureamidgruppe übt die stärksten Assoziationskräfte aller bisher beschriebenen Funktionen aus. Infolgedessen sieden sämtliche Carbonsäureamide oberhalb 200° und sind mit Ausnahme des Formamids bei Raumtemperatur fest. Ferner besitzt Formamid bereits ein wasserähnliches Lösungsvermögen für zahlreiche Salze und ist als erste organische Substanz, die wir kennenlernen, ausgesprochen lipophob, d. h. unlöslich in Äther, Chloroform und ähnlichen organischen Solventien.

Chemisches Verhalten Die Carbonsäureamide sind amphotere Substanzen, die sowohl mit starken Säuren als auch mit starken Basen leicht hydrolysierende Salze bilden. Lediglich einige schwerlösliche Schwermetallsalze sind etwas hydrolysebeständiger. Weiterhin zeigen die Carbonsäureamide eine Tautomerie mit einer Carbonsäure-imidForm: X) /OH t.

i\p— L"-.

V

nh2 Carbonsäure-amid

Tautomerie

-t*—

/

\\"H Carbonsäure-imid

»

134

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

bei der das Gleichgewicht allerdings sehr stark zugunsten der Amid-Form verschoben ist. Doch sind zahlreiche beständige Derivate der Imid-Form bekannt (vgl. z. B. S. 136). Von den eigentlichen Umsetzungen der Carbonamidgruppe muß hervorgehoben werden: 1. die hydrolytische Spaltung. Sie erfolgt bereits ziemlich schwer und erfordert selbst beim Zusatz konzentrierter Mineralsäuren oder konzentrierter Alkalien stundenbis tagelanges Kochen. Weder die Säurespaltung noch die Alkalihydrolyse sind katalytische Vorgänge, denn in ersterem Falle wird das entstehende Ammoniak, in letzterem Falle die entstehende Carbonsäure durch das Spaltungsmittel neutralisiert: H20 +

+

o

NH,

+

HCl

R—COOH

+

NaOH

R—COONa +

XH4C1 NH 3

Eine wesentlich mildere Spaltungsmöglichkeit besteht in der Umsetzung der Carbcmsäureamide mit salpetriger Säure (Reaktion von BOUVEAIXT), die, vermutlich über eine unbeständige Diazoverbindung (I) als Zwischenprodukt, direkt zu der freien Carbonsäure und elementarem Stickstoff führt: R—CO—NH 2

+

0 = N—OH

— H,0

(R—CO — N = N —OH I

-N,

R—CO—OH

2. die Reduktion zum primären Amin gleicher Kohlenstoffzahl. Sie kann nur mit Lithium-aluminiumhydrid durchgeführt werden und überspringt wie die entsprechende Reduktion der Carbonsäuren (S. 124) und Carbonsäureester (S. 130) die Aldehydstufe : LiAlH,

R—CO—NH,

R—CH„—NH„

3. die bei der Einwirkung von elementaren Halogenen eintretende Bildung von N-Halogen-carbonsäureamiden: R—CO—NH- H +

Hai—Hai

R—CO—NH—Hai +

HHal

Diese stellen eine neue Verbindungsklasse dar und zeichnen sich vor allem durch ihre Halogenierungstendenz aus, auf Grund deren sie als Halogenierungsmittel verwandt werden können (vgl. N-Brom-acetamid und N-Brom-succinimid, S. 68). Eine weitere interessante Reaktion der N-Halogen-carbonsäureamide ist die in Gegenwart von Alkalien erfolgende Abspaltung von Halogenwasserstoff zu dem instabilen Zwischenprodukt II, einem sog. Azen, das sofort in dem angegebenen Sinn eine Umlagerung zu dem Isocyansäureester (S. 145) I I I erfährt, der unter den Reaktionsbedingungen hydrolytisch in das um ein C-Atom ärmere primäre Amin (IV) und Kohlendioxid zerfällt: O II _ /H R—C—N + OH" Er R—N= C = 0 Iii

H,0, -

Umlagerung

Br~

Hydrolyse

R—NH 2 + IV

C0 2

2 o ß: Die Nitrile

135

Die trotz des komplizierten Mechanismus recht glatt verlaufende Reaktion wurde zu Ehren ihres Entdeckers HoFMANNScher Abbau von Carbonsäureamiden genannt.

Ähnlich wie vom Ammoniak leiten sich auch von anderen organischen und anorganischen Aminoverbindungen säureamidartige Acylverbindungen ab. Die wichtigsten von ihnen sind: T> XV

OV

NH—NH2

Carbonsäure-hydrazid

T>

XV

fi/r X

-p X

NH—OH

Hydroxamsäure

r\//— XN3

V

X

Carbonsäure-azid

V

T>



p//

OV

X

NH—R'

N-Alkyl-carbonsäureamid

ß) Die Nitrile In den Nitrilen ist der gesamte Sauerstoff der Carboxylgruppe durch ein N-Atom substituiert. Ihnen kommt somit die allgemeine Strukturformel R—C = N zu. Die Namen der Nitrile schließen sich eng an die der Acylverbindungen an. Nur wird die Endung -yl des Acylnamena durch die Endung -o ersetzt (z. B. Aceto-nitril H3C—CN, Butyro-nitril C3H,—CN usw.). Daneben ist auch eine Benennung als Alkylderivate der Blausäure gebräuchlich. Danach hieße das Acetonitril Methyl-cyanid und das Butyro-nitril Propyl-cyanid.

Die Nitrile sind mit wenigen Ausnahmen (z. B. Amygdalin, S. 439) Kunstprodukte. Zu ihrer Darstellung dient außer den bereits beschriebenen Verfahren der KoLBESchen Nitrilsynthese (S. 120) und der Wasserabspaltung aus den Aldoximen (S. 118) vor allem die beim Erhitzen mit Phosphorpentoxid leicht vor sich gehende Wasserabspaltung aus Carbonsäureamiden (oder aus deren noch wasserreicheren Vorstufen, den Ammoniumsalzen der betreffenden Carbonsäuren): R

COO~NH 4 +

R-CO-NH,

R_

C

=N

Eigenschaften. Die Nitrile sind tief schmelzende, nicht unangenehm riechende Flüssigkeiten, die in Anbetracht der Tatsache, daß sie keinen assoziierenden Wasserstoff enthalten, ziemlich hoch sieden (Acetonitril z. B. bei 82°). Das chemische Verhalten der Nitrile ist hauptsächlich durch die C = N-Dreifachbindung bedingt, die in gewisser Beziehung mit der C=0-Doppelbindung verglichen werden kann. Allerdings ist sie wesentlich reaktionsträger als diese (z. B. bilden die Nitrile keine Hydrate, Ammoniakate usw.). Direkt lassen sich nur katalytisch erregter Wasserstoff und metallorganische Verbindungen anlagern:

NUgX R—CH 2 —NH 2

.

+ 2 H

-

R—C=N

+ '~ B

MBX

.

R-C-R'

O Hydrolya

%

R-C-R'

Ferner gelingt beim Kochen mit starken Alkalien die schon auf S. 133 kurz gestreifte Wasseranlagerung zum Carbonsäureamid, die wahrscheinlich auf einer primären Addition des OH -Ions beruht.

Interessanter ist die Säurekatalyse verschiedener Anlagerungsreaktionen, da hier das Proton zunächst vom Stickstoff unter Bildung eines Nitrilium-Ions R—C=NH +

136

K a p . 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

aufgenommen wird, dessen Dreifachbindung bereits derart aktiv ist, daß die Nitriliumsalze selbst (mit wenigen Ausnahmen) nicht mehr beständig sind (F. K L A G E S 1955). Sie lagern vielmehr sofort ein zweites Mol der Säure an (z. B. Chlorwasserstoff zum Hydrochlorid des Carbonsäure-imidchlorids) oder zugesetzte basische Stoffe zu den entsprechenden Carbonsäureimidderivaten:

JU-C^N

+ HC1

>

NH,

+ HCl

( [R—C^NH] er

S

,NH„2

\ 0—R

er

+ HO—R.

C1

Carbonsäure-imid Chloridhydrochlorid

Nitrilium-chlorid (nicht existenzfähig)

R—C S

er

R—C

:NH,

+ NH S

er

R—C n

Carbonaäure-imidoesterhydrochlorid

NH,

Carbonsäure-amidinhydrochlorid

Den salzsauren Imido-estern sind wir bereits als Zwischenprodukten bei der Orthocarbonsäureestersynthese begegnet (S. 131). Sie gehen bei der Einwirkung von Basen unter Chlorwasserstoff abspaltung in die neutralen Imido-ester R — C ( = N H ) — 0 — A l k über, die wegen des Pehlens der OH-Gruppe nicht mehr zur Tautomerie mit einer Carbonsäureamidform befähigt sind und infolgedessen zu den wenigen stabilen Carbonsäure-imidderivaten gehören. Die den salzsauren Amidinen als Basen zugrunde liegenden freien Amidine R—C( = N H ) — N H 2 zählen mit pj£ b -Werten < 2,0 (gegenüber einem pK b -Wert des Ammoniaks von 4,75) zu den stärkst basischen Stickstoffverbindungen, die wir kennen (bez. der Ursache dieser starken Basizität vgl. S. 341).

d) D i e S c h w e f e l d e r i v a t e d e r C a r b o n s ä u r e n Die wichtigsten Schwefelderivate der Carbonsäuren sind die Thiocarbonsäuren. Sie treten in den beiden tautomeren Formen I (bei weitem überwiegend) und I I auf, von denen sich zwei Reihen von Ester ableiten, die als Thio- (bzw. Thiol-) und Thion-carbonsäureester bezeichnet werden: ß IV

/O Veresterung

#

S—R'

SH

Thio(l)-carbonsäureester

I

/OH ^

_£\.

/

VjX

/O—R' Veresterung

S

II

Ji

/

\S

Thion-carbonsäureester

Die Thio(l)-carbonsäureester stellt man am besten durch Acylierung von Mercaptanen mit Säurechloriden dar (S. 127, 243). Sie zeigen eine gewisse Acylierungstendenz und können als Acylierungsmittel Verwendung finden. Von dieser Möglichkeit macht u. a. auch die Natur Gebrauch, indem sie ihre Acetylierungsreaktionen mit dem komplizierten Thiolcarbonsäureester Acetyl-coenzym A (S. 528) durchführt. Von weiteren Schwefelderivaten der Carbonsäuren seien nur die Formeln der Dithio-carbonsäuren mit zwei und der Trithio-orthocarbonsäureester mit drei S-Atomen am Carboxylkohlenstoff angeführt:

s

R — Cf SH Dithio- carbonsäuren

s-r; R—C^-S—R N S—R' Trithio- ortho carbonsäureester

137

3 a: Die Ameisensäure

3. Einzelne Carbonsäuren a) Die g e s ä t t i g t e n Carbonsäuren Die Ameisensäure (Methansäure, Acidum formicicum) H—COOH wurde schon 1670 im Ameisengift entdeckt (WRAY) und ist auch im Gilt der Brennessel enthalten. Ameisensäure nimmt als Anfangsglied der Reihe eine gewisse Sonderstellung ein, die dadurch bedingt ist, daß sie als einzige Carbonsäure ein leicht abspaltbares H-Atom am Carboxylkohlenstoff gebunden enthält und infolgedessen in nahe Beziehungen zu beiden Oxiden des Kohlenstoffs treten kann. Z. B. wird Ameisensäure technisch in Form ihres Natriumsalzes durch Anlagerung von Natriumhydroxid an Kohlenoxid gewonnen und kann mit Hilfe wasserentziehender Mittel (P 2 0 5 , konz. Schwefelsäure) auch rückwärts wieder eine Wasserabspaltung zu Kohlenoxid erfahren: — H,0

( H j S O , oder P , 0 5 )

I 0=0

111

; +

NaOH

1 2 °~ 1 5 °°

a—8 At

,

H—COONa

I >

+

_

H—COOH

Kohlenoxid ist also das monomolekulare Anhydrid der Ameisensäure.

Die Beziehungen zum Kohlendioxid kommen vor allem in der großen Oxydationsempfindlichkeit der Ameisensäure zum Ausdruck. Diese enthält nämlich im Gegensatz zu allen anderen Carbonsäuren noch eine Aldehydgruppe und kann deshalb verhältnismäßig leicht zum Kohlendioxid dehydriert werden (z. B. mit typischen Aldehydreagenzien wie ammoniakalischer Silberoxidlösung)-. IH H

H

0=1—OH

' >

0=C=0

Diese Dehydrierungstendenz ist sogar so groß, daß Ameisensäure als einzige bekannte Verbindung bei Raumtemperatur elementaren Wasserstoff abzuspalten vermag. Die Reaktion ist allerdings nur in schwach, alkalischen Medien möglich. Physiologisch zeichnet sich Ameisensäure durch eine starke Qiftwirlcung, insbesondere gegenüber Kleinlebewesen aus. Sie dient deshalb vielfach als Antiseptikum.

Auch bei den Derivaten der Ameisensäure lassen sich noch gewisse Beziehungen zum Kohlenoxid erkennen. Vor allem zeigen alle Derivate des Typus HCO—X, in denen sich X von einer starken Säure ableitet (z. B. Formylchlorid HCO—C1 oder Ameisensäureanhydrid HCO—0—CHO) eine große Zerfallstendenz in Kohlenoxid und die Säure HX. Derartige Substanzen sind daher nur bei tiefen Temperaturen beständig (z. B. Formyl-chlorid < —30°) oder überhaupt noch nicht dargestellt worden (z. B. Ameisensäureanhydrid). Basische Verbindungen HX, wie etwa Natronlauge, Ammoniak oder auch Alkohole in Gegenwart des stark basischenAlkoholat-Ions, kann man dagegen leicht an Kohlenoxid unter Bildung recht beständiger Derivate (Natriumformiat [s. oben] Formamid und Ameisensäureester) anlagern: HCO—NH2

C = 0

+ H0~Alk >

HCO—O—Alk

Das interessanteste Ameisensäurederivat ist die zur anorganischen Chemie zählende Blausäure H—C^N, die das Nitrii der Ameisensäure darstellt. Wegen

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

138

ihrer stark endothermen. Natur (s. unten) bildet sie sich (ähnlich wie Acetylen, S. 54) relativ leicht bei sehr hohen Temperaturen (z. B . in Sternatmosphären und in einem in stickstoff- u n d wasserstoffhaltiger Atmosphäre brennenden Kohlelichtbogen). Die Gewinnung der Blausäure geschieht meistens durch Zersetzen ihrer Salze mit Schwefelsäure. Die Salze stellt man im wesentlichen nach anorganischen Methoden dar, z. B. das Blutlaugensalz durch Verglühen stickstoffhaltiger organischer Substanzen mit Eisen und Pottasche und das Natriumcyanid aus Ammoniak, Kohle und metallischem Natrium bei 800°. In letzterem Fall wurdenNatriumarnid und Natrium-cyanamid (I, S. 146) als Zwischenprodukte nachgewiesen: ~H' >

2Na + 2NH3

2NaNH 2

° >

NaN=C=NNa I

+ C

-

2NaC=N

Eine typisch organische Bildungsreaktion ist die Wasserabspaltung aus Formamid, die man mit der Formamidbildung selbst verknüpfen kann, indem man z. B. Kohlenoxid und Ammoniak bei Temperaturen oberhalb 400° über Dehydratisierungskatalysatoren leitet: IC=0I

+

NH S

500

'

CO—NH 2 j

~H,° .

H—C=N

Blausäure siedet bereits bei 26° u n d ist sehr stark endotherm (die Bildungswärme aus den Elementen beträgt + 31 kcal/Mol). Sie erleidet deshalb leicht Zersetzung oder Polymerisation zu einem Azulminsäure genannten makromolekularen Produkt, so daß sie nur in reinem Zustand oder bei Stabilisierung durch Arsen-(111)-chlorid längere Zeit aufbewahrt werden kann. Physiologisch ist Blausäure ein starkes Gift, das durch Blockierung des Eisens in den Atmungsfermenten die Oxydationsprozesse der Zelle lähmt. Trotzdem tritt sie gelegentlich frei in der belebten Natur auf, z. B. als Spaltprodukt des Amygdalins in den bitteren Mandeln (S. 439). Obgleich sich die Blausäure strukturell von der Ameisensäure ableitet, sind nur wenige Umsetzungen bekannt, durch die sie in Ameisensäure selbst oder andere Ameisensäurederivate umgewandelt wird. Eine praktische Bedeutung hat lediglich ihre Überführung in Form-imidoester und Orthoameisensäureester erlangt, die bei der Einwirkung von alkoholischer Salzsäure wie bei jedem anderen Nitril vor sich geht (vgl. die Formulierung auf S. 136). Ihren eigentlichen Charakter als eine von der Ameisensäure unabhängige Verbindung erhält die Blausäure durch den Umstand, daß sie eine gewisse Tendenz aufweist, in das mit dem Kohlenoxid isostere (vgl. auch S. 311 f.), zu völlig neuartigen Reaktionen befähigte Cyanid-Ion überzugehen. Die Blausäure dissoziiert aus diesem Grunde den Wasserstoff viel leichter als Proton ab als sämtliche anderen Ameisensäurederivate und nimmt den Charakter einer (allerdings sehr schwachen) Säure mit dem p K s -Wert 9,32 (etwa mit den Phenolen vergleichbar) an: , r © -ie ® H—CsN . . H + L !C=NI J isostermit |C=0! Die durch diese elektrolytische Dissoziation der Blausäure überhaupt erst ermöglichten Ionenreaktionen des Cyanid-Ions (einschließlich seiner Tendenz zur Bildung von Schwermetallkomplexen) haben nichts mehr mit der Chemie der Ameisensäure zu tun und gehören im wesentlichen zum anorganischen Bereich. Organische Reaktionen des Cyanid-Ions sind einerseits die Cyanhydrinsynthese (S. 99), andererseits die ebenfalls bereits erwähnte KOLBEsche Nitrilsynthese (S. 120). Die letztere nimmt insofern einen etwas komplizierteren Verlauf als dort formuliert, als der Alkylrest nicht nur an den Kohlenstoff des Cyanid-Ions zu den Nitrilen, sondern auch an den Stickstoff unter Bildung von Isonitrilen (S. 313) treten kann:

3 a: Die gesättigten Carbonsäuren Alk—C=NI



r'

+

139 .

|C=N|

Tiitril

IC=N—Alk Isonitril

Früher glaubte man auf Grund dieser beiden Alkylierungsmögliohkeiten des Cyanid-Ions eine Taatomerie der Blausäure zwischen einer Nitril- und einer Isonitrilform annehmen zu können. Doch ist die Beteiligung der letzteren am Gleichgewicht niemals eindeutig nachgewiesen worden: H—C=NI

H+ +

Nitrllform

r © LlC=NlJ

dissoziierte Form (der Blausäure)

±=?

e © IC=N—H Isonitrilform

Die Essigsäure ( Ä t h a n s ä u r e , acidum aceticum) H 3 C—COOH ist die am längsten bekannte und auch heute noch praktisch wichtigste Carbonsäure. Ihre Gewinnung geschah früher durch mikrobiologische Alkoholoxydation (Weinessig) oder aus den bei der trockenen Destillation von Holz anfallenden Produkten (Holzessig). Heute geht man in der Technik entweder vom Acetylen aus (vgl. Tafel I) oder setzt Kohlenoxid mit Methanol im Sinne einer Carbonylierungsreaktion um: H3C-OH

+

CO

25(^—3 50

HsC-COOH

Reine Essigsäure riecht unerträglich stechend und erstarrt bereits bei 16,5° zu eisähnlichen Kristallen, weshalb sie auch Eisessig genannt wird. Von der Ameisensäure unterscheidet sie sich hauptsächlich durch ihre außerordentliche Oxydationsbeständigkeit, auf die schon früher hingewiesen wurde (S. 124) und der sie ihre vielseitige Verwendung als Lösungs- und Reaktionsmedium verdankt. Ferner dient sie über ihre Derivate als Ausgangsverbindung für zahlreiche Synthesen. Das wichtigste Essigsäurederivat ist das Anhydrid HSC—CO—O—CO—CH3 (meistens kurz Acetanhydrid genannt). Es wird heute im großen durch Wasserabspaltung aus zwei Molekülen Essigsäure bei 700° oder durch Einleiten von Keten in Eisessig gewonnen und findet hauptsächlich Anwendung als technisches Acetylierungsmittel (z. B. für die Herstellung sämtlicher Acetatfasern). Fernergehen von ihm mehrere Synthesen aus (z.B. die PERKlNsche Zimtsäuresynthese, S. 141). Essigsäure-äthylester (Essigester) H3C—CO—0—CaH6 wird technisch mit Hilfe der auf S. 101 beschriebenen Disproportionierung von Acetaldehyd in Gegenwart von Aluminium-isopropylat hergestellt. Er besitzt einen angenehmen fruchtartigen Geruch und dient hauptsächlich als Lösungsmittel sowie als Ausgangsmaterial für Synthesen (z. B. für die Acetessigestergewinnung). Aluminiumacetat (essigsaure Tonerde) findet in der Pharmazie Anwendung als Antiseptikum und Adstringens. Während die Propionsäure HSC—CH2—COOH ohne praktische Bedeutung geblieben ist, begegnen wir in der Buttersäure HSC—(CH2)2—COOH der ersten in natürlichen Fetten (vor allem in der Kuhbutter) auftretenden Carbonsäure. Sie kommt auch in freiem Zustand ziemlich häufig in der Natur vor, z. B . als Stoffwechselprodukt im menschlichen und tierischen Schweiß, als Schreckmittel im Drüsensekret einiger Laufkäfer, sowie als Fettspaltungsprodukt in ranziger Butter, deren Geruch sie jedoch nur z. T. bedingt. Ihre Darstellung erfolgt entweder aus Kohlenhydraten auf biochemischem Wege (Buttersäuregärung) oder synthetisch über Butanol oder Bviyraldehyd. Buttersäure ist noch mit Wasser unbegrenzt mischbar, wird aber leicht ausgesalzen. Die wäßrigen Lösungen schäumen ähnlich stark wie Seifenlösungen. Buttersäure-äthyl- und -isobutylester dienen in der RiechstoffIndustrie zur Erzeugung eines künstlichen Ananasaromas. Isobuttersäure (CH3)2CH—COOH wird durch Oxydation von Isobutanol gewonnen und kommt frei im Johannisbrot vor. Die sich von den verschiedenen Pentanen ableitenden Säuren heißen Valeriansäuren und sind alle vier bekannt:

Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate

140 COOH I ) (CH 2 3 I CH 3

COOH I

COOH I

CH2

I CHg—CH—CH 3

n-Valeriansäure

Isovalerianaäure

COOH ICv

*CH CH 3 CH 2 —CH 3

I N CH 3/ CH 3 CH 3

Methyläthylessigsäure

Trimethylessigsäure (Piyalinsäure)

Von den höheren gesättigten Carbonsäuren interessieren nur die mit einer unverzweigten geradzahligen Kohlenstoffkette als Bestandteile der Fette. Sie haben der gesamten Gruppe der gesättigten aliphatischen Carbonsäuren den Namen Fettsäuren1) gegeben und werden gemeinsam mit den Fetten auf S. 447 f. besprochen. b) D i e u n g e s ä t t i g t e n

Carbonsäuren

Die wichtigsten u n g e s ä t t i g t e n Carbonsäuren m i t oc,ß-Stellung der olefinischen Doppelbindung e n t s t e h e n relativ leicht d u r c h A b s p a l t u n g der Verbindungen H X aus Carbonsäuren, die a m ständigen C-Atom einen negativen Liganden X e n t h a l t e n : Oll

II

I i i

R -CH

( IT-COÜH

— HaO ;

+ H,0

0-Hydroxy-carbonsäure

R—CH=CH—COOH

— HCl

^

C1

H

I

I

_ R—CH— CH—COOH

+ HCl

a,0-ungesättigte Carbonsäure

0-Chlor-carbonsäure

Die a,ß-ungesättigten Carbonsäuren sind e t w a s stärker sauer als die gesättigten Säuren (Der p K s - W e r t erniedrigt sich etwa u m % Einheit). Die C=C-Doppelbindung ist sehr a k t i v u n d besonders zur Addition von polarisierten Verbindungen des T y p u s H X befähigt. Hierbei t r i t t der A d d e n d X stets in U m k e h r u n g der oben f o r m u lierten Bildungsreaktion a n das ß-ständige C-Atom. Eine interessante neuartige Reaktion b e o b a c h t e t m a n beim Schmelzen der Alkalisalze der a.,ß-ungesättigten Säuren m i t überschüssigem Alkalihydroxid a n der L u f t . Hierbei f i n d e t eine oxydierende Hydrolyse der C = C - D o p p e l b i n d u n g u n t e r Bildung von Essigsäure u n d der um zwei G-Atome ärmeren gesättigten Garbonsäure s t a t t . (Bez. des Mechanismus vgl. I, K a p . 4, I I I , 3 b ) : Alk—CH=CH—COONa

+ ^aOH +

Alk—COONa +

H3C—COONa

Auch bei anderer Lage der Doppelbindung tritt diese Spaltung ein (VÄRRENTRAPPda unter den Reaktionsbedingungen die C=C-Bindung in die ^

CH=CH—COOH + HOOC—CH 3

Zimtsäure tritt in einer stabilen trans- und einer labilen cis-Form auf. Von ihren Reaktionen ist einerseits die schon bei der Destillation unter Atmosphärendruck erfolgende Decarboxylierurtg zu Styrol, andererseits die beim Belichten der kristallisierten Säure vor sich gehende Dimerisierung (S. 46) hervorzuheben. Als Dimerisierungsprodukte entstehen die Truxillsäure und die Isotruxillsäure nebeneinander, von denen jede wieder eine Reihe von stereoisomeren Formen ausbildet (Näheres vgl. I, Kap. 11, I, 2b): CrHC I CH I CH

COOH I CH I CH

COOH C„H5 Truxillsäure


CH=Ci R Dialkylfuran

'

R CH2—C^-OH

R

CH:: = c / '

R

R Dialkylpyrrol

CKj—C=S

— H,S

CH2— Cf= S

CH:= c /

R

s 3 H = C/ VN R Dialkylthiophen

Snccin-dialdehyd (Bernsteinsäure-dialdehyd) OCH—CH2—CH2—CHO, das Anfangsglied der Reihe, kann durch Reduktion von Bernsteinsäure-dichlorid gewonnen werden. Er liefert bei den oben formulierten Cyclisierungsreaktionen die heterooyclischen Grundverbindungen Furan, Pyrrol und Thiophen seibat. 2. Die Chinone Unter Chinonen versteht man sechsglieclrige cyclische Dioxoverbindungen, in denen die 0=0-Gruppen in den Ring eingebaut sind und durch zwei 0=CDoppelbindungen zu einem konjugierten Doppelbindungssystem verknüpft werden. Vom Benzol leiten sich nur zwei derartige Chinone ab, da lediglich bei o- und pStellung der O-Atome die Forderung der Konjugation sämtlicher Doppelbindungen erfüllt werden kann: O 0 H = CV - < CH c=o HC 0=C H XC= c/ H H

>

o-Benzo-chinon

p-Benzo-chinon

E s galt daher seinerzeit als wichtige Bestätigung der klassischen Strukturlehre, daß es tatsächlich niemals gelungen ist, ein m-CMnon darzustellen. Auch beim Ersatz des Sauerstoffs durch Stickstoff oder z. T. auch Kohlenstoff bleibt der chinonartige Charakter bestehen. Man grenzt derartige Stoffe als chinoide Verbindungen gegen die eigentlichen Chinone ab. Sie stehen in einem gewissen Gegensatz zu den benzoiden Substanzen mit drei Ringdoppelbindungen. Die Benennung der Chinone erfolgt allgemein nach dem aromatischen Kohlenwasserstoff, von dem sie sich ableiten. So entsprechen dem Benzol das 0- und das p-Benzo-chinon, dem Toluol und Xylol die Tolu- und Xylochinone, sowie dem Naphthalin und Anthracen die Naphtho- und Anthra-chinone.

2 : Die Chinone

169

Für die Darstellung der Chinone kommt in erster Linie die dehydrierend verlaufende Oxydation der entsprechenden Dihydroxy-benzole (S. 158) in Betracht, deren einfachster Vertreter aus diesem Grunde den Namen Hydrochinon (S. 159) erhalten hat: HO—/ \

V—OH /

..

,

( A g , 0 oder CrO.)

Hydrochinon

Daneben ist zuweilen auch eine direkte Oxydation der aromatischen Kohlenwasserstoffe bis zur

Chinonstufe möglich. Besonders NaphthoWeise hergestellt.

(S. 285) und Anthrachinon

(S. 287) werden auf diese

Die einfachen Chinone sind gelbe bis rote kristallisierte Substanzen, die sich an der Luft ziemlich rasch zersetzen. Erst in der Naphthalin- und besonders in der Anthracenreihe werden die Chinone beständiger. Trotz ihrer nahen Beziehungen zu den Benzolverbindungen sind die Chinone keine aromatischen Substanzen mehr, weil das charakterische aromatische Doppelbindungssystem fehlt. Mit ihm entfällt nämlich auch die Aromatisierungsenergie von 36 kcal/Mol (S. 56) und die durch sie bedingte Molekülstabilisierung. Die chemischen Eigenschaften der Chinone ähneln infolgedessen mehr denen der ungesättigten Ketone. Man kann sie unterteilen in: 1. die Reaktionen der 0=0-Doppelbindungen, 2. die Reaktionen der 0=0-Doppelbindungen, 3. die Umsetzungen des 0=0—0=0-Systems, 4. die Reduktionsreaktionen und 5. die Ghinhydronbildung. Zu 1. Die C = 0 -Doppelbindungen der Chinone treten nur verhältnismäßig selten isoliert in Erscheinung. Eine typische Anlagerung tritt z. B . bei der Einwirkung metallorganischer Verbindungen ein, die zu cyclischen, doppelt ungesättigten Ketonalkoholen, den sog. Ghinolen führt: j^

0=c/ X

=

\ c = 0 + R—Mt

=

/



MtO

^

\c/~\c=0

,

Hydroly8e

X = = /

HO

> 0 0 ^ 0 X

=

/

Chinol

Auch eine Substitution der 0-Atome durch stickstoffhaltige Reste kann durchgeführt werden.

Z. B. erhält man bei der Reaktion mit'JIydroxylamin nacheinander das Chinon-monoxim, und das

Chinon-dioxim:

HO - X I I ,

+

0=

^>=0

~H,°



HO—N=

=

^Cl

°

, I

Kap. 5, III: Die Poly-oxo-Verbindungen

170

andererseits die Diensynthese angeführt. Bei letzterer reagiert das Chinon als dienophile Komponente (vgl. S. 50) und kann Butadien zu Naphtho- und Anthrachinonderivaten anlagern: O

\

+ I

+ O Tetrahydro-naphthochinon

Oktahydro-anthrachinon

Zu 3. Schwach basische Verbindungen des Typus HX werden in 1,4-Stellung an das C=C—C=0-System addiert. Das hierbei entstehende primäre Additionsprodukt (I) lagert sich wegen der Aromatisierungstendenz des Seehsrings sofort unter Enolisierung der Ketogruppe in ein aromatisches Hydrochinonderivat um, das im Falle der Einwirkung von Anilin Anilino-hydrochinon genannt und durch unverändertes Chinon sofort weiter zum Anilino-chinon dehydriert wird, so daß in summa die Substitution eines H-Atoms durch einen Anilinorest stattgefunden hat. Bei überschüssigem Anilin tritt die gleiche Reaktionsfolge ein zweites Mal ein, und man erhält das ebenfalls isolierbare Dianilino-chinon, das schließlich noch die O-Atome im Sinne der unter 1. beschriebenen Substitutionsreaktion gegen Phenyliminogruppen unter Bildung von Azophenin austauschen kann: OH +

h2N—/

— /

lagerung '

ii 0

— N H — ^

¿H A n ilino-hyd rochinon

o H,

-H,

/

V n h - / \

I—NH0 Anilino-chinon + 2 HtN-

Dianilino-chinon

2H,0

|—NH

-N= -NH—

= N — /

Azophenin

Zu 4. Bei ßeduktionsreaktionen treten zwei H-Atome an die beiden O-Atome unter 1,6-Addition. Hierbei wird das aromatische System regeneriert, und es entsteht ein Hydrochinon \ 0i = -

= 00 6

+

HO

/

\

OH

Die Chinonhydrierung ist die Gegenreaktion der oben erwähnten Chinondarstellung durch Dehydrierung von Hydrochinonen. Beide Vorgänge werden durch Platin katalysiert, so daß sich an einer Platinoberfläche ein bestimmtes Gleichgewicht zwischen Chinon, Hydrochinon

2: Einzelne Chinone

171

und elementarem Wasserstoff einstellt, das bei Konstanthaltung der Chinon- und Hydrochinonkonzentrationen in einem bestimmten Wasserstoff druck zum Ausdruck kommt. Dieser ist unter Normalbedingungen allerdings außerordentlich niedrig (10-23-7 At, Näheres vgl. II, Kap. 4, I, 3) und kann nicht direkt bestimmt werden. Ein in eine Chirum-Hydrochinon-Lösung eingetauchtes Platinblech zeigt jedoch das gleiche Potential, wie eine Wasserstoffelektrode unter dem Gleichgewichtsdruck zeigen würde. Hier liegt somit eine praktisch sehr einfach durchzuführende Möglichkeit vor, eine Elektrode konstanten Waaserstoffpotentials zu konstruieren, die den Namen Chinhydronelektrode erhalten und sich für die Bestimmung von Bedoxpotentialen bestens bewährt hat. Die Chinone (und auch andere chinoide Verbindungen) haben wegen dieser leichten Hydrierbarkeit eine gewisse praktische Bedeutung als Wasserstoffacceptoren für Dehydrierungsreaktionen erlangt.

»

D a sie hierbei selbst keinen Sauerstoff abgeben, kann man in der Durchführbarkeit eines Oxydationsvorganges mit chinoiden Verbindungen als Oxydantien einen strengen Beweis für den dehydrierenden Verlauf erblicken.

Zu 5. Bringt man äquimolekulare Mengen von Chinon und Hydrochinon in Lösung zusammen, so beobachtet man eine starke Farbvertiefung, und es scheidet sich bei genügend hoher Konzentration eine ,,Molekülverbindung" beider Komponenten ab, die Chinhydron genannt wird. Auf die Kräfte, die die beiden Moleküle auch in Lösung zu einem Gebilde höherer Ordnung verknüpfen, wird erst auf S. 358 näher eingegangen. Wir können uns deshalb an dieser Stelle mit der üblichen Formulierung als Additionsverbindung begnügen:

Chinhydron

Die Chinhydrone sind nur in saurer Lösung beständig. Bei der Einwirkung von Alkalien tritt entweder die auf S. 318 beschriebene Semichinonbildung oder vollständige Zersetzung ein. Einzelverbindungen. Während p-Benzochlnon (vgl. die Formel auf S. 168), als einfachstes Chinon meistens Chinon schlechthin genannt, eine mit Wasserdampf flüchtige, stechend riechende, gelbe Substanz darstellt, liegt das isomere o-Benzochinon (kurz o-Chinon) in Form nicht mehr mit Wasserdampf destillierbarer, geruchloser roter Kristalle vor. o-Chinon ist wegen der Nachbarstellung der CO-Gruppen wesentlich unbeständiger als die p-Verbindung. Nur die letztere hat deswegen eine gewisse praktische Bedeutung als Dehydrierungsmittel und zur Herstellung der Chinhydronelektrode erlangt. Seine präparative Gewinnung geschieht durch Oxydation von Anilin mit Bichromat/Schwefelsäure (Näheres vgl. I, Kap. 4, II, 5). Dipheno-chinon ist ein Chinon des Biphenyls (S. 65). Bei seiner Hydrierung werden unter Aufnahme von ebenfalls nur zwei H-Atomen gleich zwei Sechsringe aromatisiert-.

0==/3=0 Dipheno-chinon

, +*

-

HO-^Z/^Z/^011 Dipheno-hydrochinon

Hier ist infolge der dabei freiwerdenden doppelten Aromatisierungsenergie die hydrochinoide Form im Gleichgewicht stark begünstigt, und man beobachtet ein besonders hohes Oxydationspotential der entsprechenden Chinhydronelektrode.

Kap. 5, IV: Die Polycarbonsäuren

172

Von den zahlreichen Chinonderivaten sei lediglich das bereits kurz erwähnte (S. 169) Ghinonmonoxirn angeführt, das eine interessante Tautomerie mit einem aromatischen Körper, dem p-Nitroso-phenol zeigt (Näheres vgl. S. 240).

IV. Die Polycarbonsäuren Verbindungen mit mehreren Carboxylgruppen im Molekül kommen zahlreich in der Natur vor und werden vielfach als Abbauprodukte bei der Konstitutionsaufklärung anderer Naturstoffe erhalten. Sie stellen infolgedessen eine sehr wichtige Körperklasse dar, die jedoch im Gegensatz zu den bisher besprochenen Verbindungsgruppen weniger wegen ihrer allgemeinen Eigenschaften, sondern hauptsächlich wegen der Bedeutung der Einzelverbindungen von Interesse ist. 1. Die gesättigten Dicarbonsäuren Infolge der primären Natur der Carboxyl-C-Atome enthalten die aliphatischen Dicarbonsäuren die Carboxylgruppen stets an den beiden Enden einer mehr oder weniger langen Kohlenstoffkette. Sie haben meistens Trivialnamen erhalten, doch ist mit Hilfe der für die einfachen Carbonsäuren abgeleiteten Nomenklaturprinzipien (S. 120) auch eine rationelle Benennung möglich (vgl. Tabelle 12). Wegen der starken von den Carboxylgruppen ausgehenden Assoziationskräfte können die Dicarbonsäuren in keinem Fall mehr destilliert werden. Ferner zeigen sie durchweg ziemlich hohe Schmelzpunkte (besonders die niedrigen Glieder der Reihe), die stets bei den Säuren mit gerader Kohlenstoffzahl merklich höher liegen als bei den ungeradzahligen Säuren. Interessant ist auch das Verhältnis der ersten zur zweiten Dissoziationskonstanten. Die ihm entsprechende Differenz der PE,- Werte beträgt bei den Anfangsgliedern der Reihe mehrere Einheiten und sinkt später auf den annähernd konstanten (in I, Kap. 5, IV, 1 theoretisch begründeten) Wert von 0,8 Einheiten ab. Tabelle 12 Die physikalischen K o n s t a n t e n und pk s -Werte einiger gesättigter Dicarbonsäuren Trivialname Oxalsäure Malonsäure Bernsteinsäure Glutarsäure Adipinsäure Pimelinsäure Korksäure Azelainsäure Sebacinsäure

rationeller Name Äthan-disäure Propan-disäure Butan-disäure Pentan-disäure Hexan-disäure Heptan-disäure Octan-disäure Nonan-disäure Decan-disäure

Formel

Smp.

PKsl

Pk s2

HOOC—COOH HOOC—CH2—COOH HOOC—(CH2)2—COOH HOOC—(CH2)3—COOH HOOC—(CH2)4—COOH HOOC—(CH2)6—COOH HOOC—(CH2)6—COOH HOOC—(CH2)7—COOH HOOC—(CH2)8—COOH

189,5° 136 185 98 151 105 140 107 134

1,23 2,85 4,19 4,36 4,41 4,48 4,51 4,55 4,55

4,19 5,36 5,35 5,28 5,28 5,31 5,33 5,34 5,34

Einzelverbindungen. Oxalsäure HOOC—COOH kommt in Form ihrer Salze verschiedentlich in der Natur vor, z . B . als saures Kaliumsalz KH 3 (C 2 0 4 ) 2 -2 H 2 0 (Kleesalz) im Sauerklee (Oxalis) oder als Calciumoxalat, das sich zuweilen auch in den Blasensteinen abscheidet (Oxalatstein), im Harn.

173

1: Die Oxalsäure und ihre Derivate

Ihre Gewinnung erfolgt in der Technik nach einem empirischen, hinsichtlich des Verlaufs undurchsichtigen Verfahren durch Erhitzen von cellulosehaltigen Stoffen (z. B. Sägespänen) mit Alkalilaugen auf 200°. Chemisch interessanter ist einerseits die reduktive Verknüpfung der C-Atome zweier KoMendioxidmoleküle mittels Natriums bei höherer Temperatur, andererseits die dehydrierende Verknüpfung der C-Atome zweier Formiat-Anionen beim trockenen Erhitzen:

C0 2

111 111

+

Na

COONa

H—COONa

COONa

H—COONa

I

Oxalsäure zählt bereits zu den starken Säuren (vgl. Tab. 12) und gehört wie die Blausäure dem Grenzgebiet zwischen organischer und anorganischer Chemie an.

Typisch anorganische Reaktionen sind z. B. die Calciumoxalatfäüung und die Bildung zahlreicher Schwermetallkomplexe des Oxalat-Ions, die besonders sterisch von einem gewissen Interesse sind (Vgl. z. B. S. 371/2).

Der organische Charakter der Oxalsäure kommt vor allem in der durch die Belastung des C-Atoms mit negativen Liganden verursachten Labilität der G—G- Bindung zum Ausdruck, die die der 1,2-Dioxoverbindungen (S. 163) noch übertrifft. Eine Aufspaltung kann einerseits wie dort auf oxydativem Wege (z. B. ebenfalls durch Hydroperoxid/Fe++-Ionen oder bei der Manganometrie durch Kaliumpermanganat) zu zwei Molekülen Kohlendioxid, andererseits unter Erhaltung der Gesamtoxydationsstufe zu einem Gemisch von Kohlenoxid und Kohlendioxid erfolgen (letzteres z. B. durch Wasserabspaltung mittels konzentrierter Schwefelsäure): 2co 2

HOOC—COOH

co +

co,

Während Oxalylchlorid C1—CO—CO—C1 aus Oxalsäure und Phosphorpentachlorid ohne Schwierigkeit gewonnen und zur Synthese anderer Oxalsäurederivate verwandt werden kann, existieren eigenartiger Weise keine Oxalsäure-anhydride, weil sie im Augenblick ihrer Bildung sofort in ein Gemisch von Kohlendioxid und Kohlenoxid zerfallen. Ein cyclisches Ureid der Oxalsäure ist die aus Harnstoff und Oxalylchlorid erhältliche Parabansäure, die als Abbauprodukt der Harnsäure (S. 491) von Interesse ist und bei der partiellen elektrolytischen Reduktion in das Glycinderivat Hydantoin (S. 215) übergeht: 0 = C —CI 0=C

-C1

Oxalylchlorid

+

HNH

i >c=o

HNH

-~2HC1

0=C—NH \

0=C—NH Parabans&ure

0=C—NH Reduktion

,

I

\

C

=

Q

D—1ÍH Hydantoin

Das eigenartigste Oxalsäurederivat ist ohne Zweifel das Dicyan (im älteren Schrifttum häufig auch freies Gyan oder Gyan schlechthin genannt), das als Dinitril zur Oxalsäure in einem ähnlichen Verhältnis steht wie die Blausäure zur Ameisensäure. Es ist ein stark endothermes, sich bei —21° kondensierendes, farbloses Gas, das ebenfalls teils zur organischen, teils zur anorganischen Chemie gerechnet wird. Einige typisch organische Bildungsreaktionen und Umsetzungen, bei denen es sich wie ein Oxalsäurederivat verhält, sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt :

Kap. 5, IV : Die Polycarbonsäuren

174

COOH 7

+ 2 NH,

CO—NH.2

COOH

~

CO—NH,

2 H

,



— 2 H,0

C = N •

Oxamid

r

+ HsS

C=N

ç / • '

NH

C

f

N

+ HaS

SH

.NH

Y Ci

C=N

SH

N H

SH , Dicyan

Hydrolyse

Flaveanwasserstoff (Thio-oxamidsäure)

Rubeanwasserstofr" (Thio-oxamid)

Bei den typisch anorganischen Umsetzungen weist das Dicyan bis zu einem gewissen Grade den Charakter eines freien Halogens auf, was wesentlich dazu beigetragen hat, die Gyangruppe als Pseudohalogen zu bezeichnen. Die wichtigsten dieser Reaktionen als „freies Pseudohalogen" sind: 1. die der Hypohahgenitbildung entsprechende hydrolytische Spaltung der C—C-Bindung zu Alkalicyaniden und -cyanaten bei der Einwirkung von Alkalilaugen, 2. die Verbrennung von Alkalimetallen in einer Dicyanatmosphäre unter Feuererscheinung zu Alkalicyaniden und 3. die schon mit schwefliger Säure durchführbare reduzierende Spaltung der C—C-Bindung zu zwei Molekülen Blausäure: NaC=N NaO—C=N

C=

+ 2 NaOH

I

" —H.O

I

C=

N N

2 KC=N

, „ — — >

2HC=N

Die nächsthöhere Dicarbonsäure hat den Namen Malonsäure erhalten und kann durch „Carboxylierung" von Essigsäure auf dem Umweg über die Chloressigsäure und Cyanessigsäure synthetisiert werden: NaOOC—CH2 —C1' + Na|C=N — N a O O C — C H a — C = N

Hydrolyae

> HOOC—CHa—COOH

cyanessigsaurca Natrium

Malonsäure

In ihr wird die mittelständige Methylengruppe in ähnlicher Weise von zwei Seiten her aktiviert wie in den 1,3-Diketonen (S. 165). Man beobachtet infolgedessen auch eine ähnlich leichte Spaltbarkeit des Moleküls, die hier besonders in der bei etwa 150° erfolgenden Deearboxylierung zur Essigsäure zum Ausdruck kommt: HOOC--CH,- - COOH

150

'

>

HOOC—CH3 +

C0 2

Die Aktivierung der Methylengruppe tritt noch deutlicher im Malonsäure-diMhylester (meistens kurz Malonester genannt) zutage, der so stark sauer ist, daß er mit Natriumalkoholat sofort ein Natriumsalz (I) bildet, das (ebenfalls in Analogie zu den 1,3-Diketonen, S. 165) am Kohlenstoff äthyliert und acyliert werden kann: ROOC v ROOC

/

TTT

+ 2

N a 0 R

—ROH '

ROOCv ROOC

.Na®

V / X \ 0

i

H

Alkylierung bzw. Acylierung '

ROOC v ROOC

x

R(bzw.Ac)

X

H

\ „ /

Da sich auch die C-substituierten Malonsäuren leicht decarboxylieren lassen, hat man in dieser Alkylierung des Malonesters einen Weg, aus Essigsäure im Rahmen einer Dreistufenreaktion durch Einführung eines Alkylrestes eine höhere Carbonsäure aufzubauen:

1: Malonsäure, Bernsteinsäure

HOOC

ROOC

I

OJ:l

3

1. Carboxyllerung 2. Veresterung

I

175

HOOC 1. C-Alkylierung 2. Esterverselfung

ROOC

HOOC

I y11

-au£

-CO,

L — ^

HOOC

Das cyclische Ureid der Malonsäure heißt Barbitursäure. Es kann durch Erhitzen der Malonsäure mit Harnstoff gewonnen werden und tritt in zwei tautomeren Formen auf, von denen die aromatische Imidform im Gleichgewicht überwiegt:

H,C /

CO—OH 'CO —OH

+

HO.

H —NHV

/ H —NH'

CO

CO—NH

• 2H,0

/ HC

^>CO

CO—NH

C = = N

\

C—OH

HO Amidform

Barbitursäure

Imidform

Während die Imidform mit einem PK9-Wert von 4,02 stärker sauer ist als Essigsäure, zeigt die Amidform, die man durch zweifache Alkylierung der CH.2-Oruppe in nicht mehr aromatisierbare, stabile Derivate überführen kann, bereits eine gewisse Basizität (z. B. ist der pK b -Wert des Veronais [s. unten] = 7,95). Eine Reihe dieser C,C-Dialkyl-barbitnrgäuren zeigen hypnotische Eigenschaften und dienen als Schlafmittel. Die wichtigsten Vertreter sind in folgendem Formelbild zusammengestellt:

C6H9X C2H5/

C

\ CO—NH > =°

Veronal = Diäthyl-barbUursäure

:2H6/

Fhanodorm = Äthyl-cyclohexenylbarbitursäure

C

\ CO—NH > =°

Lumlnal = Phenyl-ithylbarbltursäure

/

CO—NH

C6H5N C

/CO—NH \c=0

C

c2h5

/CO—N—CH3 ^>C=0 s CO—NH

Fromlnal = K-Methyl-luminal

c

\

/c=°

Dial = Diallyl-barbiturs&ure

c6h9N CH„

/CO—N—CH. ^>C=0 CO—NNa Evipan

Bernsteinsäure HOOC—CHa—CH2—COOH wurde von Libavius und C b o l l bereits um die Wende des 17. Jahrhunderts als thermisches Zersetzungsprodukt des Bernsteins entdeckt. Sie ist ein Naturprodukt, das in einigen Pflanzen frei auftritt und vor allem als wichtige Zwischenverbindung beim biochemischen Essigsäureabbau im Rahmen des Citronensäurecyclus (vgl. Hl, Kap. 8, III, 2 d ß) fungiert. Ihre technische Gewinnung geschieht hauptsächlich über das bei der Addition von zwei Molekülen Formaldehyd an Acetylen entstehende Butindiol-1,4 (S. 54) durch Hydrierung der Dreifachbildung und Oxydation der Carbinol- zu Carboxylgruppen (vgl. Tafel I). Von ihren chemischen Umsetzungen sind nur einige Ringschlußreaktionen von Interesse, die zunächst zu cyclischen Derivaten und von diesen aus durch Reduktion zu einer Reihe von wichtigen Heterocyclen führen:

K a p . 5, I V : Die Polycarbonsäuren

176 CELj—CO

über NH 4 -8alz

NH CH2—CO'

C H — C O — O H I CH —

CH,—CO.

250»

Succinimld

Berns teinsäureanhydrid

!

:NH Pyrrolidon

>

NH CH=CH' Pyrrol

l

l CH=CH.

C H = CH.

CH=CH V 3H2

;o

C O — O H

\

CH=CH

CH 2 —CO >

o

CH

Thiophen

CH,—CH,

Furan

Butyrolacton

Bemerkenswert ist vor allem die wegen der Bildung eines Fünfringes auffallend erleichterte ArihyArisierung, die gegenüber der Gewinnung von Acetanhydrid (S. 139) bereits bei einer um 460° niedrigeren Temperatur vor sich geht. Adipinsäure wurde früher durch o x y d a t i v e Spaltung des aus Phenol leicht erhältlichen Cyclohexanons hergestellt (vgl. S. 121 u n d 275). H e u t e zieht m a n die billigere Carbonylierung v o n Tetrahydrofuran (S. 158) v o r : CH2— CHg^ O CH,—C /

+ 2 CO, + H , 0

ch2— c h 2 — c o o h ¿H 2 — CHj— c o o h Adipinsäure

Adipinsäure wird i m Körper wie eine einlache Fettsäure in der Backpulverindustrie als Ersatz für Weinsäure ein wichtiges Zwischenprodukt für die Nylonherstellung

abgebaut u n d f i n d e t deshalb Verwendung. Ferner ist sie (S. 489).

2. Die gesättigten Polycarbonsäuren D a sich C - A t o m e der Oxydationsstufe 3 nur a n Kettenenden befinden können, m ü s s e n Verbindungen m i t mehr als zwei Carboxylgruppen i m Molekül s t e t s eine verzweigte Kohlenstoffkette enthalten. Methan-tricarbonsäure HC(—COOH) 3 , die einfachste Tricarbonsäure, ist wegen der Häufung der Carboxylgruppen an einem C-Atom von Interesse. Hier ist die Decarboxylierungstendenz schon so groß, daß die freie Säure nicht mehr existenzfähig ist, denn hier tritt auch bei Zimmertemperatur schon Kaihlendioxidabspaltung zu Malonsäure ein. Die Säure kann jedoch in Form ihres Esters, den man am besten durch Acylierung von Natriummalonester mit Chlorameisensäureester darstellt: AlkOOC—Cl +

Na:CH(—COOAlk) 2

—HC(—COOAlk)

3

stabilisiert werden. In ihm zeigt die Methingruppe bereits einen deutlich sauren Charakter. Diese CH-Acidität steigt in dem Cyanoform genannten Trinitril der Methan-tricarbonsäure H C ( C s N ) 3 sogar bis zur Säurestärke der starken Mineralsäuren an.

3: Die ungesättigten Polycarbonsäuren

177

Als Beispiel einer Tricarhomäure, deren Carboxylgruppen sich an verschiedenen C-Atomen befinden, sei die Tricarballylsäure angeführt, die daa gleiche Kohlenstoffgerüst wie die Citronensäure

COOH COOH COOH I I I CE^ CH CH2

(S. 185) besitzt.

Tricarballylsäure

3. Die ungesättigten Polycarbonsäuren Die am längsten bekannten ungesättigten Dicarbonsäuren sind die Maleinsäure und die Fumarsäure. Sie stehen im Verhältnis der Äthylenisomerie (S. 18) zueinander, und an ihnen wurden auch die Erscheinungen der geometrischen Isomerie erstmals studiert. Insbesondere boten sie schon frühzeitig eine Möglichkeit der Konfigurationsbestimmung, denn nur die Maleinsäure vermag ein innermolekulares cyclisches Anhydrid zu bilden. Ihr muß man daher die cis-Konfiguration mit räumlich benachbarten Carboxylgruppen zuordnen, so daß für die Fumarsäure nur die trans-Konfiguration übrigbleibt: H—C—COOH Ii

tt n

- H»Q

H—C—COOH

>

H—C—COv ||

\q

H-C-CO7

Maleinsäure

.

'

HOOC—C—H ||

Keine

H—C—COOH

Anhydridbildung-"

Fumarsäure

MaleJasäure-anhydrid

Fumarsäure ist etwas energieärmer als Maleinsäure und wird daher aus dieser beim Erhitzen über den Schmelzpunkt (150°) oder bei UV-Bestrahlung spontan gebildet. Eine Rückumlagerung in die Maleinsäure ist erst oberhalb 300° möglich, bei welcher Temperatur Fumarsäure direkt in Maleinsäureanhydrid übergeht, das dann hydrolytisch zu Maleinsäure aufgespalten werden kann. Zwischen beiden Säuren bestehen also folgende Übergänge: CH—COOH CH—COOH

„ . .... .

Bei Aktivierung __

HOOC—CH M

,„„,

300*

CH—COOH

sp•

RaNMt +

R'—H

b) die Alkylierung zu höheren Aminen, die nach den gleichen Methoden geschieht wie die auf S. 196 beschriebene Alkylierung des Ammoniaks. c) die Acylierung des Stickstoffs, die zu am Stickstoff alkylierten Amiden von Carbonsäuren oder anorganischen Säuren (S. 200) führt und gegenüber der schon erwähnten Acylierung des Ammoniaks (S. 133) nichts wesentlich Neues bietet.

Zu 3. Die Oxydation des Stickstoffs gelingt am einfachsten bei den tertiären Aminen, die keine NH-Oruppen mehr enthalten und infolgedessen bei der Einwirkung von Peroxyverbindungen ohne weitere Komplikationen in die Aminoxide (S. 218) übergeführt werden können: R3dNI

5

+

° . .

^

(aus Peroxy-Verbindungen)

R43 N - 0 Amlnoxid

Ferner kann man primäre Amine mit tertiärem (und deshalb am Kohlenstoff nicht weiter oxydierbaren) Alhylrest relativ leicht zu Nitroverbindungen oxydieren: (CH 3 ) 3 c-NH 2

0*ydatlop

••

(CH 3 ) 3 C-N0 2

Zu 4. Die C—N-Bindung ist sehr beständig und kann nur oberhalb 300° an Dehydratisierungskatalysatoren hydrolysiert (S. 77) oder durch überkonzentrierte Jodwasserstoffsäure bei etwa 150° acidolytisch aufgespalten werden (letzteres in Analogie zur ZEiSELschen Alkoxylbestimmung der Äther, S. 89):

1 b: Die Derivate der aliphatischen Amine + H J

Alk—NH2

>

+

Alk—NHjJ"

p.J »

199

Alk—J +

NH«J~

Das Verfahren dient unter der Bezeichnung Methylimidbestimmung (exakter wäre Methylaminobestimmung) zum quantitativen Nachweis von N-Alkylgruppen (S. 22). Um so wichtiger sind verschiedene Möglichkeiten der indirekten Lösung der C—N-Bindung (durch Einführung von Hilfsgruppen), f ü r die in Abhängigkeit vom Alkylierungsrad des Stickstoffs verschiedene Methoden ausgearbeitet wurden: a) Primäre Amine reagieren mit salpetriger Säure unter Bildung von Alkoholen oder Olefinen, und elementarem Stickstoff. Vermutlich bildet sich intermediär das Diazoniumscdz III, dessen C—N-Bindung wegen der Bildungstendenz des N ¡¡-Moleküls dann spontan zerfällt: : © V ,—N=NJ

+ O— N —OH, + H X

R—(" 112—CQj—N" II2

— 2H.0

"

in + H

- N,



'° HX

R—CH2—CH2—OH

HX

R—CH=CH,

b) Die sekundären Amine werden nach J . v. BRAUN ZU N,N-Dialkyl-carbonsäureamiden (IV) acyliert, die nach Überführung in die Carbonsäureamidchloride (V) die Tendenz aufweisen, die beiden Alkylgruppen unter Bildung der Nitrile (VI) in Form von AIkylhalogeniden zu eliminieren: Alk.

O II :N—C—R

PCI, - POCL,

Alk'

C1 C1 Alk V \ Z . ^ n — c — :R Alk

N = C — R + 2 Alk—C1 vi

IV

e) Auch das wichtigste Verfahren zum Abbau tertiärer Amine stammt von J . v. BRAUN. Danach werden diese mit Hilfe von Bromcyan zu einem (nicht isolierbaren) quartären Ammoniumsalz des Cyanamids (VII) acyliert, das sofort ein Alkylhalogenidmolekül zum Dialkyl-cyanamid (VIII) abspaltet: Alk. Alk^NI + Br—C=N Alk

Alk. Alk-^N—C=N ; Br~ Air

Alkx )N—C=N + Alk—Br Air VIII

d) Die quartären Ammoniumsalze baut man am besten nach A. W. HOFMAKN durch thermische Zersetzung der quartären Ammoniumbasen ab (Näheres vgl. S. 202).

b) D i e D e r i v a t e d e r a l i p h a t i s c h e n A m i n e Ahnlich wie von den Alkoholen leiten sich auch von den Aminen durch Ersatz des am Heteroatom gebundenen Wasserstoffs eine Reihe von Derivaten ab. Es sind dies 1. die den Alkoholalten entsprechenden Metallamide und 2. die den Estern entsprechenden Säurederivate der Amine, während die den Äthern entsprechenden höher alkylierten Verbindungen als sekundäre und tertiäre Amine noch zu den Aminen selbst und nicht zu ihren Derivaten gerechnet werden. Alle beiden Gruppen von Derivaten lassen sich naturgemäß nur von den primären und sekundären Aminen gewinnen,

Kap. 6,1: Die Ammoverbindungen

200

die noch NH-Oruppen im Molekül enthalten. Ihnen schließt sich 3. in den Ammoniumsalzen noch eine weitere Gruppe v o n Derivaten an, die auch v o n den tertiären Aminen gebildet werden. a) Die N-Alkyl-metallamide Die in erster Linie interessierenden Alkalimetallderivate der primären und sekundären Amine, deren wichtigste Bildungsreaktionen bereits erwähnt wurden (S. 198), sind dem Natriumamid verwandte, sehr unbeständige Verbindungen, die wie dieses durch Wasser und Alkohole sofort stürmisch unter Freilegung der Amine solvolysiert werden. Gegen Äther sind sie dagegen beständig und die Lithiumderivate der sekundären Amine auch in ihm löslich. Hierauf beruht ihre gelegentliche Verwendung als stark basische Kondensationsmittel anstelle des in Äthern unlöslichen Natriumamids. ß) Die Säurederivate der Amine Die bei der Acylierung der Amine entstehenden Verbindungen des Typus R — N H — A c (bzw. R 2 N — A c ) sind nicht nur Säurederivate von Aminen, sondern gleichzeitig auch N-Alkylderivate von Säureamiden. Sie werden am besten auch als derartige Säurederivate charakterisiert. Soweit sie sich v o n Carbonsäuren ableiten, unterscheiden sie sich nicht wesentlich v o n den einfachen Carbonsäur eamiden (S. 132 f.), so daß wir uns hierauf die Beschreibung einiger anorganischer und Sulfonsäurederivate beschränken wollen. Die sich von der salpetrigen Säure ableitenden Dialkyl- (oder auch Diaryl-)nitrosamine bilden sich spontan beim Zusammentreffen von freiem sekundären Amin und freier salpetriger Säure im Sinne einer Nitrosierungsreaktion (vgl. S 238): - H.o +

HO—;N=0

+ H,O (Säuren) Dialkyl-(aryl-)nitrosamin

as-Dialkyl-(aryl-)hydrazln

Sie sind hochsiedende gelbe Substanzen, die durch Kochen mit starken Säuren wieder rückwärts in ihre Bildungskomponenten zerlegt werden können. Ferner gehen sie bei der Reduktion der NO-Gruppe in asymmetrische Dialkyl-hydrazine über. Bei der analogen „Nitrosierung" primärer Amine entstehen vermutlich zunächst ebenfalls Nitrosamine (R—NH—NO). Diese sind jedoch wegen der Nachbarstellung von NH- und NOGruppe sehr unbeständig und lagern sich mit ganz wenigen Ausnahmen (vgl. S. 225) sofort in die auf S. 222 f. beschriebenen Diazoverbindungen um. Die entsprechenden Derivate der Salpetersäure (R—NH—N0 2 und R 2 N—N0 2 ) werden Nitramine genannt, sind aber ohne praktische Bedeutung geblieben. Eine dritte Gruppe von Verbindungen entsteht bei der Einwirkung von unterhalogenigen Säuren auf Amine. Hier werden stets alle am Stickstoff befindlichen H-Atome durch Halogen ersetzt, und man erhält die N-Halogen-amine: •2 iro Ol 2HS0

R—NCL2

';

Alkyl-(aryl-)dichloramiii

R2. NC. H

+ HO — Cl — H,o—>

R„N—Cl

Dialkyl-(aryl-)chloramin

Sie sind niedrigsiedende Verbindungen, die die Atmungsorgane stark reizen und z. T. leicht explodieren. Das Halogen ist ähnlich reaktionsfähig wie in den elementaren Halogenen. Man kann die Halogenamine daher als Halogenierungsmittel verwenden (8. 68). I n den Amiden der Sulfonsäuren (Sulfonamiden, vgl. auch S.248) schließlich ü b t der „Sulfonylrest" eine derart stark aeidifizierende Wirkung aus, daß der am Stick-

201

1 b y. Die Ammoniumsalze

Stoff befindliche Wasserstoff noch sauer ist. Die Sulfonylderivate der primären Amine (I) lösen sich deshalb in Natronlauge, während die der sekundären Amine (II), denen die NH-Gruppe fehlt, gegen Alkalilaugen indifferent sind und tertiäre Amine sich überhaupt nicht mehr sulfonieren lassen: attx

+ ci-so.-R' HC1

+ Na0H

R—NH—S0 2 —R'

• Cl--so,--R' HC1 + Cl--S02--R'

R 2 N—S0 2 —R' Ii

+ Na0H

»

>

Salzbildung keine Salzbildung

keine Sulfonylierung

Man kann auf diese Weise primäre, sekundäre und tertiäre Amine voneinander trennen (GlNSBEEG-Trennung). y) Die Ammoniumsalze Die Oniumsalze der organischen Amine schließen sich hinsichtlich ihrer Bildung und auch ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften eng an die Salze des Ammoniaks an (vgl. anorganische Lehrbücher). Es soll deshalb an dieser Stelle nur auf die neuartigen, typisch organischen Eigenschaften hingewiesen werden. Die Benennung der organischen Ammoniumsslze erfolgt leider etwas unsystematisch. Statt der exakten Bezeichnung als substituierte Ammoniumsalze (z. B. Methyl-ammoniumchlorid H S C—NH a + Cl-) ist vielfach noch eine veraltete Nomenklatur gebräuchlich, die von der irrigen Vorstellung ausgeht, daß es sich in diesen Salzen um „hydratartige." Additionsverbindungen der Säuren an die Amine handelt. Man findet daher in der Literatur häufig Namen wie Methylaminchlorhydrat oder Meihylamin-hydrochlorid für die oben formulierte Verbindung. Die OniumIonen der mit Trivialnamen belegten Amine werden schließlich allgemein durch die die an den Aminnamen gehängte Endung -ium gekennzeichnet. Beispielsweise leiten sich vom Anilin die Anilinium-salze, vom Pyridin die Pyridiniumsalze ab usw.

Für die Darstellung der Ammoniumsalze ist es wichtig, daß ihre Bildung im Gegensatz zu der der Salze der Hydroxylbasen ohne Wasseraustritt direkt aus der Säure und Base erfolgt: R3NI +

[R3NH]+2

H—X

Man kann die Säure und Base daher auch in hydrophoben Lösungsmitteln (z. B. in Äther) aufeinander einwirken lassen. Die noch eine NH-Gruppe enthaltenden Ammonium-Ionen sind wie das unsubstituierte Ammonium-Ion selbst schwach sauer und spalten infolgedessen das Proton bei der Einwirkung stärkerer Basen sofort ab. Die mit Säuren entstehenden Salze sämtlicher organischen Amine bilden daher bei der Einwirkung von Natronlauge unmeßbar rasch die freien Amine zurück, die als nicht mehr salzartige Verbindungen durch „Ausäthern" aus dem Reaktionsgemisch entfernt werden können. r ® ~l+ Lr—nh 3 J e r

+ OH_r.- -

r—nh 2 +

h2o

Ähnlich wie der Wasserstoff spalten sich auch die Alkylreste aus den Ammonium-Ionen leichter ab als aus den neutralen Aminen. Viele Spaltungsreaktionen der C—N-Bindung, wie z.B.

Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen

202

die Methylimidbestimmung (S. 199) und die Synthese von Diaryt-aminen (S. 206), werden deswegen in saurem, Medium über die A mmoniumsalze durchgeführt.

Eine besondere Klasse von AmmoniumVerbindungen sind die quartären Ammoniumsalze, die aus den Aminen nicht mehr mit Säuren, sondern nur noch durch Alkylierung mit den üblichen Alkylierungsmitteln dargestellt werden können: Alk I® Alk—N—Alk I Alk

Alk Alk—Al + Alk

i :lk

+ AgQH — AgX

Alk 1+ Alk—N—Alk

OH

Alk

Tetraalkyl-ammoniumsalz

Tetraalkyl-ammonlum-hydroxyd

Hier ist der Ammoniumstickstoff Wasserstoff frei, und es kann infolgedessen bei der Einwirkung von Natronlauge keine Rückbildung der tertiären Amine mehr stattfinden. Die Tetraalkylammonium-Ionen sind daher gegen die OH~-Ionen so beständig, daß man die bei den einfachen Ammonium-Ionen nicht existenzfähigen Ammoniumhydroxide sogar in kristallisiertem Zustand gewinnen kann (allerdings nur in Form der Hydrate). Diese Tetraalkyl-ammonium-hydroxide verhalten sich chemisch wie die Alkalihydroxide. Insbesondere sind sie ebenfalls vollständig ionisiert und bilden mit Säuren nur unter Wasserabspaltung Salze. Ihre Stabilität ist jedoch nicht sehr groß. Schon bei mäßig erhöhter Temperatur besteht eine gewisse Tendenz, einen der Alkylreste auf das Hydroxyl-Ion unter Bildung von Alkoholen (oder deren Dehydratisierungsprodukten Olefin und Wasser) zu übertragen: [r—CH,—CH,—NAlkJ + OH

Erhitzen

INAlk3 -f R—CH=CH 2 + INAlk3 +

H20

R—CH2—CHj—OH

Die Reaktion wird nach ihrem Entdecker HoFMANNScher Abbau quartärer Ammoniumbasen genannt. Im allgemeinen geht die Olefinlnldung etwas leichter vor sich als die Alkoholbildung. Dies geht auch aus der Tatsache hervor, daß Methylgruppen schwerer als alle anderen Alkylgruppen eliminierbar sind. Es ist deshalb möglich, auf diesem Wege auch aus normalen (allerdings keine Methylgruppen am Stickstoff enthaltenen) Aminen die Alkylreste abzuspalten, indem man sie erst „erschöpfend" bis zu den quartären Ammoniumsalzen methyliert, und dann die längeren Alkylgruppen aus den Ammoniumbasen als Olef in eleminiert (HOFHANN scher Aminabbau durch erschöpfende Methylierung). Bekanntlich verlangt die Elektronentheorie der Valenz, daß der mit vier Liganden besetzte quartäre Stickstoff nicht elektroneutral sein kann, sondern als Ammoniumstickstoff stets eine positive Elementarladung trägt. Diese Forderung steht in einem gewissen Widerspruch zur Abscheidung eines neutralen „freien Tetramethylammoniums" bei der Elektrolyse von Tetramethylammoniumsalzen an Quecksilberkaihoden. Da das CHS freie Tetramethylammonium aber nur in metallischer Phase als Amalgam I© existiert, ist dieser Widersprach bloß scheinbar; denn in einer metallischen H,C—N—CH, Phase liegen die Metalle ebenfalls in Form ihrer Kationen vor, die von einem Elektronengas umgeben sind. Es ist daher gut denkbar, daß bei der Elektrolyse das Quecksilber die Tetramethyl-ammonium-lonen

1 o: Einzelne aliphatische Amine

203

unverändert aufnimmt und daß zum Ladungsausgleich ein Elektron in das metallische Elektronengas eintritt. Dem freien Tetramethylammonium muß man also die vorstellende „metallische" Struktur I mit einem nicht zum Kationenmolekül gehörenden Einzelelektron zuerteilen. Es liegt hier also einer der wenigen Fälle des Einbaus einer organischen Substanz in eine metallische Phase vor. c) E i n z e l n e a l i p h a t i s c h e A m i n e Die primären Amine, deren wichtigste Darstellungsmöglichkeiten bereits beschrieben wurden, zeigen die folgenden, z. Teil zu ihrem Nachweis geeigneten speziellen Reaktionen, auf die an anderen Stellen dieses Buches ausführlich eingegangen wird: 1. die beim Kochen mit Chloroform und Alkali eintretende Bildung von Isonitrilen, die an ihrem intensiven und widerwärtigen Geruch bereits in Spuren zu erkennen sind (vgl. S. 313), 2. die Bildung von Isocyansäureestern bei der Einwirkung von Phosgen auf ihre Salze (vgl. S. 145), 3. die Senfölbildung bei der Einwirkung von Schwefelkohlenstoff (vgl. S. 152), 4. die Bildung ScmFFScher Basen mit Oxoverbindungen (S. 117), 6. die Bildung von Alkoholen bzw. Olefinen bei der Einwirkung von salpetriger Säure (S. 77, 223), 6. die Bildung alkalilöslicher Sulfonsäureamide (S. 201). Methylamin H 3 C—NH a , das Anfangsglied der Reihe, tritt im Bingelkraut in geringer Menge natürlich auf. Benzylamin C,H5—CH2—NH2 verhält sich trotz der Anwesenheit eines Benzolkerns im organischen Best wie ein normales aliphatisches Amin. Insbesondere ist es im Gegensatz zu den Anilinbasen (S. 206) mit einem PKb-Wert von 4,62 relativ stark basisch. Benzedrin (x-Methyl-ß-phenyl-äthylamin) C6H6—CH2—CH(CH3)—NH2 steht konstitutionell bereits dem Alkaloid Ephedrin (S. 500) nahe. Es übt ähnlich wie Coffein eine stark stimulierende Wirkung auf das Nerven- und Kreislaufsystem aus und findet in diesem Sinne pharmazeutische Anwendung (vgl. auch das unten beschriebene Pervitin). Im ß-Chlor- und ß-Brom-äthyl-amln Hai—CHa—CHa—NH2 liegen die einfachsten Halogen-alkyl-amine vor. Sie sind frei nicht existenzfähig, weil die Alkylhalogenidgruppe sofort mit der Aminogruppe unter innermolekularer Alkylierung zu einem cyclischen Amin reagiert: CH2I—Hai I 1 H CH a —NH 0-Halogen-äthylamin

— HHal

CH

*

LS

NH

Äthylen-imin

Man kann sie jedoch in Form ihrer nicht mehr cyclisierbaren Ammoniumsalze

stabilisieren.

Spezielle Methoden für die Darstellung sekundärer Amine sind u. a. die Reduktion (z.B. die katalytische Hydrierung) der C•• • N-Mehrfachbindungen von Isonitrilen (I) oder ScHiFFSchen Basen (II): R—N=CI I

+ 2 H |

> R—NH—CH 3

;

R—CH=N—R' Ii

sowie die auf S. 240 formulierte Alkalispaltung von

+H,

->-

R—CH 2 —NH—R'

p-Nitroso-dialkylanilinen.

Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen

204

Die wichtigsten allgemeinen Reaktionen haben wir in der Nitrosaminbildung (S. 200) und dem v . BKAUNschen Abbau von Dialkyl-carbonsäureamiden (S. 199) bereits kennengelernt. Dimethylamin (CH3)2NH, das Anfangsglied der Reihe, kommt in geringen Mengen in der Heringslake vor. Sein salzsaures Salz zeigt eigenartigerweise eine starke Löslichkeit in Chloroform und Methylenchlorid. Diäthylamin (C2H5)2NH ist das niedrigste bei Zimmertemperatur flüssige sekundäre Amin und findet als solches häufig praktische Anwendung anstelle des Dimethylamins. Das gleiche gilt für das cyclische sekundäre Amin Piperidin (S. 205). Pervitin C6H5—CH2—CH(CH3)—NH—CH3 ist das N-Methylderivat des oben erwähnten Benzedrins und dient in ähnlicher Weise in der Pharmazie als Stimulans. Die tertiären Amine werden am besten durch Alkylierung von Ammoniak oder anderen Aminen mit Oxoverbindungen in Gegenwart von Reduktionsmitteln gewonnen (z. B. nach LEUCKABT, S. 196), da sie hierbei als Endstufe der Alkylierung anfallen. Für tertiäre Aminoderivate des Malonesters und anderer Verbindungen mit ähnlich stark aktivierter CH-Gruppe hegt eine weitere wichtige Bildungsmöglichkeit in der MANNieilreaktion vor, die auf der gleichzeitigen Kondensation eines Formaldehydmoleküls mit der aktivierten CH-Gruppe und der NH-Gruppe eines sekundären Amins beruht: ( Alk'OOC)2CH—;H -

O + II CH2

H—NAlk 2

~ H *° ».

(Alk'OOC)2CH—CH2—NAlkj

Sie stellt eine praktische Anwendung der auf S. 104 formulierten Verknüpfung der Moleküle zweier Wasserstoffverbindungen durch Formaldehyd dar. (Bez. des Mechanismus vgl. I, Kap. 6, I, 1 c v). Die tertiären Amine stehen zu den primären und sekundären Aminen in einem ähnlichen Verhältnis wie die Äther zu den Alkoholen. Insbesondere sind sie wegen des Fehlens einer NH-Gruppe wie die Äther nicht mehr zur Bildung von Metall- und Säurederivaten befähigt. Man verwendet sie wegen dieser Indifferenz als säurebindendes Reaktionsmedium für Acylierungsreaktionen (S. 128) sowie in beschränktem Umfang auch als Lösungsmittel für GüiQNARDverbindungen (S. 265). Eine Reaktion, die auf der anderen Seite nur bei den tertiären Aminen möglich ist, ist die Oxydation zu Aminoxiden (S. 198 und 218). Lediglich hinsichtlich des Salzbildungsvermögens verhalten sich alle drei Klassen von Aminen gleichartig. Trimethylamin (CH3)3N kommt neben Dimethylamin in der Heringslake vor und ist der Hauptträger des Fischgeruchs. Von ihm leiten sich einige natürlich vorkommende quartäre Ammoniumverbindungen ab, von denen wir dem Cholin (S. 210), Neurin (S. 210) und Betain (S. 216) später noch begegnen werden. Triäthylamin (C2H6)3N hat als einfachstes bei Zimmertemperatur flüssiges aliphatisches tertiäres Amin eine beschränkte präparative Anwendung als säurebindendes Reaktionsmedium (s. oben) gefunden. In Analogie zu den Di- und Polyalkoholen gibt es auch eine Reihe von Di- und Polyaminen, die jedoch nur als Einzelverbindungen von Interesse sind. Äthylen-diamin H2N—CH2—CH2—NH2 ist eine ölige, glycerinartige Flüssigkeit vom Siedepunkt 117°. Es neigt wie Glykol (S. 155) zur Bildung cyclischer Schwermetallkomplexe, von denen der dem Tetrammin-kupfer-Ion entsprechende Kupfer (II)-Komplex bereits formuliert wurde (S. 198). Seine höheren Homologen mit vier und fünf C-Atomen haben die Trivialnamen Putrescin (= Tetramethylen-diamin) H 2 N—(CH 2 ) 4 —NH 3 und Cadaverin ( = Pentamethylen-diamin)

2 a: Die Anilinbasen, Allgemeines

205

H2N—(CH2)6—NH2 erhalten. Die an sich tingiftigen Basen kommen als Abbauprodukte der Eiweißaminosäuren Arginin und Lysin (S. 474) in faulendem Eiweiß vor und wurden deshalb früher irrtümlich für Leichengifte gehalten. Das um noch eine CH2-Gruppe reichere Hexamethylen-diamin H2N—(CH2)6—NHa wird durch Reduktion von Adipinsäure-dinitril im großen gewonnen und ist neben Adipinsäure (S. 176) die zweite wichtige Herstellungskomponente für die Nylonfaser (vgl. S. 489). Einige komplizierte Polyamine mit sekundären Aminogruppen treten im menschlichen Sperma auf. Sie haben deshalb die Namen Spermidin und Spermin erhalten: und

H 2 N—(CH 2 ) 3 —NH—(CH 2 ) 4 —NH 2

H 2 N—(CH 2 ) 3 —NH—(CH 2 ) 4 —NH—(CH 2 ) 3 —NH 2

Spermidin

Spermin

Schließlich kennt man auch die den cyclischen Äthern (S. 156) entsprechenden cyclischen Amine, deren Eigenschaften in gleicher Weise von der Ringweite abhängen. Besonderes Interesse beansprucht daher wiederum die dreigliedrige Ringverbindung Äthylen-imiii, deren Bildung aus den ß-Halogenäthylaminen bereits beschrieben wurde (S. 203). Es zeigt wie die Olefinoxide (S. 157) infolge starker Ringspannung eine gewisse Tendenz, Verbindungen des Typus H X unter Ringsprengung anzulagern, wobei ß-substituierte Äthylaminverbindungen entstehen:

H •Nv

+ H,0

HO— CH2— CH2—NH2

diC

Äthanolamin

r

+ NH,

H2N— CHa— CHj—NH2 Äthyiendiamin

CH,

Äthylen-imin

+ tü I CO

r

R— S—CH2— CH2—NH2

Alk—O—CHj— CH2—NH2 Amino-Sther

Hai— CHa— CH 2 —NH 2

Amino-thioäther

Haiogenäthyl-amin

Die höhereil gesättigten cyclischen Amine verhalten sich (ebenfalls in Analogie zu den entsprechenden cyclischen Äthern) wieder wie normale aliphatische Amine. Von ihnen seien nur das Pyrrolidin und das Piperidin angeführt, die durch Hydrierung der billigen aromatischen Heterocyclen Pyrrol (S. 299f.) und Pyridin (S. 294) leicht zugänglich sind: HC=CH HC=CH" Pyrrol

:NH

+ 2H,

H,C—CH, HoC—CH, Pyrrolidin

NH

H


, o JT /CH 2 CH2V ' . H 2 C^ /NH ch2—ch2

+ 3H

Piperidin

Pyrrolidin (fälschlicherweise auch Teiramethylen-imin genannt) kommt natürlich als Nebenbase des Nicotins im Tabak vor, während Piperidin (Pentamethylen-imin) in Form seines Piperinsäurederivates das wichtigste Pfefferalkaloid (S. 501) darstellt. Auf seine präparative Bedeutung wurde bereits hingewiesen (S. 204). 2. Die aromatischen Amine (Anilinbasen) a) A l l g e m e i n e s In den aromatischen Aminen ist die Aminogruppe stets unmittelbar an einen aromatischen Kern gebunden.

Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen

206

Sie werden nach ihrem einfachsten Vertreter auch Anilinbasen genannt und kommen mit Ausnahme einiger komplizierterer Verbindungen nicht natürlich vor. Dagegen stellen sie wichtige technische Zwischenprodukte dar, vor allem für Farbstoffsynthesen. Die Gewinnung der primären Anilinbasen geschieht fast ausschließlich durch Reduktion der der gerade in der aromatischen Reihe leicht herstellbaren Nitroverbindungen (Näheres vgl. S. 236). Die sekundären und tertifiren Basen kann man auf diesem Wege jedoch nicht erhalten, so daß man hier auf die verschiedenen Verfahren zur Alkylierung oder auch Arylierung der primären Amine zurüokgreifen muß. Beispielsweise führen vom Anilin die folgenden beiden Arylierungsreaktionen zum Diphenylamin: + Cl-

, — HCl

(150—250* über Cu und K,CO,) + Cl-H.N-

>

— NH.Cl (Erhitzen) Anilin

O-^O Diphenylamin

Physikalische Eigenschaften. Die Anilinbasen sieden wesentlich höher als die aliphatischen Amine gleicher Kohlenstoffzahl (vgl. Tab. 13, S. 197). Sie sind die einzigen Amine, die in dieser Beziehung mit den entsprechenden Hydroxyverbindungen, den Phenolen, verglichen werden können (vgl. Tab. 7, S. 92). Die chemischen Reaktionen der Anilinbasen lassen sich in 1. die der Aminogruppe und 2. die des aromatischen Kerns unterteilen. Zu 1. Die Aminogruppe ist im allgemeinen zu den gleichen Umsetzungen befähigt wie in der aliphatischen Reihe. Insbesondere bildet sie ebenfalls mit Säuren Salze. 111 Lediglich die Basizität ist bei allen Anilinbasen wesentlich geringer als bei den ||| aliphatischen Aminen. Beispielsweise steigt der pKb-Wert bei Einführung des ersten Arylrestes in das Ammoniakmolekül von 5 auf etwa 9,5 an (vgl. Tab. 13, S. 197), erreicht beim Diphenylamin bereits den Wert 13 und wird beim Triphenylamin schließlich schon so groß, daß die Basizität unter die des Wassers absinkt. Triphenylamin bildet deswegen nur noch mit sehr starken Säuren (z. B. Perchlorsäure) in Wasser sofort vollständig hydrolysierende Salze. Auch ist es nicht mehr möglich, vom Triphenylamin ausgehend, quartäre Tetraaryl-ammoniumsalze zu synthetisieren. Die Ursache dieser starken Basizitätsverminderung ist auf eine Mesomerie zwischen der Aminogruppe und dem aromatischen Kern zurückzuführen, die in II, Kap. 3, I I I , 2 näher erörtert wird.

In gleicher Weise wie in der aliphatischen Reihe verlaufen: a) die Alkylierung und Acylierung der Aminogruppe. Erstere führt ebenfalls zu den quartären Ammoniumsalzen als Endprodukten, bei deren Zersetzung nach A. W. HOFMANN stets nur die Alkylgruppen abgespalten werden: Ar—NH2 + 2

1

3Hai—R

+

2 ya0

IL>

— 2H.O, - 2 NaCl

[AT—NRs]+HaF 3

Hoflnanmcher

Abbau

. Ar—NR 2 + 2

R-OH

Die acylierten aromatischen Amine werden in Analogie zu den Säureamiden Anilide genannt. b) die Isonitrilreaktion der primären Amine. c) die Nitrosaminbildung der sekundären Amine. d) die Aminoxidbildung der tertiären Amine.

2 a: Die Substitution von Anilinbasen

207

Die C—N-Bindung der Anllinbasen ist ähnlich beständig wie die der aliphatischen Amine, kann aber bei der Thermostabilität vieler aromatischer Verbindungen verhältnismäßig leicht durch Erhitzen mit Säuren (vgl. S. 92) oder Zinkchlorid als Katalysatoren auf 280—290° hydrolysiert werden: f

\—NH„

+ H,0 (H+ oder ZnCl,)

-OH +

NH 3

Zu 2. Da die Aminogruppe wie die Hydroxylgruppe ein Substituent 1. Ordnung ist (S. 62), wird die Reaktionsfähigkeit des Benzolkerns in den Anilinbasen in ähnlicher Weise erhöht wie in den Phenolen. Abgesehen von der Mercurierung sind die aromatischen Amine deshalb grundsätzlich zu den gleichen Substitutionsreaktionen befähigt, die früher (S. 93) für die Phenole formuliert wurden, und auch hier treten die Substituenten stes in o- oder p-Stellung zur NH 2 -Gruppe in den Kern ein. Jedoch gibt es auch einige Unterschiede gegenüber den Phenolen: a) Die primären und sekundären aromatischen Amine werden häufig ebenso leicht in der Aminogruppe wie im Kern substituiert. Man kann daher nicht immer von vornherein entscheiden, wo die Substitution erfolgt. Z. B. erhält man bei der unten formulierten Nitrosierung primär die N-Nitrosoverbindungen (= Nitrosamine) und bei der Sulfonierung primär die N-Svlfonsäuren (= Sulfamidsäuren). Vielfach werden die Verhältnisse noch dadurch kompliziert, daß ein bereits am Stickstoff befindlicher Ligand nachträglich in den Kern ivandert. Z. B. ist das aus Methyl-anilin und salpetriger Säure entstehende Nitrosamin derart labil, daß es als Nitrosierungsmittel gegenüber dem Kern wirkt und schon in Gegenwart geringer Säuremengen in die kernnitrosierte Verbindung, das p-Nitroso-methylanilin, übergeht (Umlagerung von 0. F I S C H E R und E. H E P P ) :

N—O + HO- N=0 - H,0

Methyl- phenyl-nitrosamin

p-Nitroso-methylantlin

Ähnlich verläuft die Sulfonierung des Anilins zur Svlfanilsäure (S. 249) in zwei Stufen über die Phenylsulfamidsäure als Zwischenprodukt: /

\ — N H 2 + HO—SOaH " H ' ° >

V - N H — SO„H

Phenylsulfamidsäure

180«

•NH» Sulfanilsäure

Eine ausschließliche Kernsubstitution beobachtet man demgegenüber bei den tertiären Anilinbasen, da hier der Stickstoff nur noch zur Aufnahme von Älkylresten zu quartären Ammoniumsalzen befähigt ist. Z. B. wird Dimethyl-anilin sofort im Kern nitrosiert (S. 240) und liefert bei der Kupplungsreaktion (S. 229) ohne Zwischenverbindung den Azokörper. b) An der Wechselwirkung zwischen Kern und Aminogruppe ist das ungebundene Elektronenpaar des Stickstoffs beteiligt. Wird dieses durch Salzbildung blockiert, so muß also auch die Aktivierung des Benzolkerns verschwinden. In Übereinstimmung mit dieser Forderung beobachtet man in sehr stark saurem Medium keine Kernaktivierung mehr, und die hier vorliegende —NH 3 + -Gruppe ist (im Gegensatz zur

Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen

208

—NH2-Gruppe) zu einem Substituent 2. Ordnung geworden, der stärker in m-Stellung dirigiert und desaktivierend wirkt als alle anderen Substituenten 2. Ordnung (vgl. S. 62). Infolge dieser Verhältnisse wird die Substitution der Anilinbasen durch sehr starke Säuren deutlich gehemmt (z. B. die Nitrierung in Gegenwart von zuviel Schwefelsäure). Schon in schwach saurer Lösung ist jedoch bei der geringen Basizität der Anilinbasen immer genügend freies Amin im Dissoziationsgleichgewicht vorhanden, um die Substitution zu ermöglichen. Geht man dann gar zu neutralem oder alkalischem Medium über, wie z. B. bei der sehr milde Bedingungen erfordernden Nitrosierung (S. 238) oder Kupplung mit Diazoverbindungen (S. 229), so verschwinden die Schwierigkeiten gänzlich, und die Substitution geht ähnlich leicht vor sich wie bei den Phenolen. c) Eine neuartige Reaktionsmöglichkeit des Kerns beobachtet man schließlich in der besonders in Gegenwart von Säuren leicht erfolgenden oxydativen Herausspaltung des zur Aminogruppe p-ständigen Wasserstoffs. Diese kann einerseits zwischen dem Kern und einer Aminogruppe unter Bildung sekundärer aromatischer Amine: -H + O + H _ N H - V

V

z. B. mit CrOj/H.SO, andererseits zwischen den p-ständigen C-Atomen zweier Aminmoleküle unter Bildung eines Diphenylderivates erfolgen. Letzteres ist z. B. bei dem bekannten Salpetersäurenachweis mit Hilfe einer Lösung von Diphenyl-amin in konzentrierter Schwefelsäure der Fall. Hier bildet sich aus dem Diphenylammonium-Ion (I) zunächst durch Dehydrierung das Diphenylderivat II, das anschließend eine nochmalige Dehydrierung zu dem tiefblauen zweiwertigen Ion III eines Diphenochinon-diiminfarbstoffs erfährt: H

^

H

v

H

I® -N—