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German Pages 586 [592] Year 1961
F R I E D R I C H KLAGES Einführung in die organische Chemie
EINFÜHRUNG IN DIE ORGANISCHE CHEMIE VON
DR. F R I E D R I C H
KLAGES
Professor der organischen Chemie an der Universität München
M I T SO A B B I L D U N G E N , 25 T A B E L L E N , 4 F O R M E L T A F E L N U N D 17 R A U M B I L D E R N
W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
B E R L I N 1961
© Copyright 1961 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. G6scben'sche Verlagahandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Eeimer, Karl J. Triibner, Veit & Comp., Berlin W 30. — Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. Archiv-Nr. 52 116 81. — Printed in Germany. — Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 30
Vorwort Im Gegensatz zu den ausführlichen Lehrbüchern der organischen Chemie, bei denen die Darstellung der tieferen Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den einzelnen Verbindungen und Verbindungsklassen im Vordergrund des Interesses steht, hat ein kurzes einführendes Lehrbuch in erster Linie die Aufgabe, die wichtigsten Substanzklassen beschreibend darzustellen, um dem Studierenden zunächst einmal die Grundlagen für das spätere eingehende Studium seiner Wissenschaft zu vermitteln. Dementsprechend wurde in der vorliegenden „Einführung in die Organische Chemie", die vor allem für das beginnende Chemiestudium aber auch für diejenigen Studierenden bestimmt ist, die sich mit der Chemie als Nebenfach beschäftigen, unter Fortlassung der erst den Fortgeschrittenen interessierenden ausführlichen Abhandlung theoretischer Fragen sowie auch der Konstitutionsermittlung von Naturstoffen ein möglichst vollständiges Tatsachenmaterial gebracht, das im wesentlichen dem in den einführenden Vorlesungen gebrachten Stoff entspricht. Nur bei den Naturstoffen ist zuweilen der Bereich des unmittelbar zu Erlernenden etwas überschritten, damit das Buch dem Studierenden der Nachbardisziplinen später wenigstens in gewissem Umfang als Nachschlagewerk dienen kann. Abgesehen von dieser etwas abweichenden Aufgabenstellung wurde die in meinem großen Lehrbuch gebrachte Stoff einteilung im wesentlichen beibehalten. Insbesondere sind ebenfalls im ersten Teil die wichtigsten Verbindungsklassen ohne den Ballast der sich oft nur schwer in diese einzuordnenden Naturstoffe und ohne die die geschlossene Darstellung oft störenden theoretischen Erörterungen abgehandelt worden. Auf diese Weise konnte im zweiten Teil einerseits bei den (nur die wichtigsten Grundtatsachen vermittelnden) theoretischen Kapiteln die Kenntnis der meisten Substanzklassen vorausgesetzt, andererseits die Beschreibung der Färb- und Naturstoffe ohne den Zwang zur Einordnung in bestimmte Verbindungsgruppen vorgenommen werden. Hinsichtlich der äußeren Gestaltung des Buches wurden die folgenden Neuerungen eingeführt: 1. Da erfahrungsgemäß bei Anfängerlehrbüchern oft das Bedürfnis besteht (ins besondere bei Verwendung als Repetitorium vor einem Examen), sich über bestimmte Punkte etwas eingehender zu orientieren, wurde des öfteren auf die eingehende Behandlung der gerade angeschnittenen Frage in meinem großen Lehrbuch hingewiesen. Diese Hinweise erfolgen wegen der sich bei Neuauflagen häufig ändernden Seitenzahlen stets durch Angabe der Bandzahl (fette römische Ziffern), Kapitelzahl und Zahl der Kapitelabschnitte bzw. -Unterabschnitte. Das Zitat III, Kap. 5, I I , 1 c bedeutet also die in Band III, 5. Kapitel, Hauptabschnitt I I , Unterabschnitt 1 c beschriebenen „Oxoverbindungen der p-Methanreihe". 2. Zur Erhöhung der Übersichtlichkeit sind (insbesondere im systematischen Teil und in den theoretischen Kapiteln) alle wichtigen, unbedingt zu erlernenden Gesetzmäßigkeiten durch dreifache Leitlinien am linken Seitenrand hervorgehoben.
Vorwort
VI
3. Als wichtigste Neuerung im ehemischen Unterricht wurde die in anderen Disziplinen (z. B. in zahlreichen Lehrbüchern der Geometrie) bereits gebräuchliche Verwendung von Raumbildern zur Darstellung sterischer Probleme eingeführt. Gewiß, auch ohne Raumbilder kann man Chemie erlernen, aber gerade für den im Raumdenken ungeübten Anfänger dürfte das „Raumerlebnis" bei der Betrachtung derartiger Bilder von großem Wert sein; denn er erlernt so die für ein Verständnis der Stereochemie unerläßlichen Vorstellungen über die räumliche Gestalt seiner Moleküle gewissermaßen spielend. Auch vermag man auf diese Weise die Verhältnisse oft sogar noch besser wiederzugeben als durch Molekülmodelle. Als einige wenige der bei diesem ersten Versuch längst nicht ausgeschöpften Möglichkeiten seien angeführt: 1. die Kennzeichnung von Raumwinkeln (Raumbild 1 und 16), 2. die Sichtbarmachung von im Raum schwebenden Symmetrie- und Substituentenebenen (Raumbild 2, 6 usw.) oder auch von Symmetrieachsen (Raumbild 17) sowie schließlich 3. die Wiedergabe von „Raumformeln", die sich von den üblichen Schreibformeln auf dem Papier nur dadurch unterscheiden, daß sich die Buchstaben und Bindestriche im Raum befinden. Für die geometrische Konstruktion der Raumbilder bin ich Herrn Lehramtsassessor Peter Gm e i n d l vom Institut für Geometrie an der Technischen Hochschule München zu großem Dank verpflichtet. Ferner danke ich meinem Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Chem. Caspar B o t t für zahlreiche wertvolle Anregungen und seine unermüdliche Mithilfe beim Lesen des Manuskriptes und der Korrekturen. München, im April 1961 Friedrich Klages
Inhalt 1. Kapitel
Die Grundlagen der organischen Chemie
I. Die Stellung der organischen Chemie in der Gesamtehemie 1. Gebietsabgrenzung 2. Die organische Chemie im Periodensystem der Elemente I I . Die Valenzbetätigung und ihre formelmäßige Wiedergabe 1. Die wichtigsten Bindungsarten und ihre Formulierung 2. Sonstige Zeichen und Symbole 3. Die Wertigkeit a) Die allgemeine Wertigkeit b) Die Bindigkeit c) Die oxydative Wertigkeit I I I . Der Molekülbegriff in der organischen Chemie 1. Allgemeine Definitionen 2. Die Isomerie 3. Die Tautomerie 4. Die Stereo- oder Raumisomerie a) Die Spiegelbildisomerie b) Die geometrische Isomerie IV. Analyse und Konstitutionsermittlung 1. Die Aufstellung der Summenformel a) Die Elementaranalyse b) Die Molekulargewichtsbestimmung 2. Die Ermittlung der Konstitution a) Die sich aus der Wertigkeit der Elemente ableitenden Gesetze b) Die Gruppenanalyse c) Die eigentliche Konstitutionsbestimmung I. T e i l 2. Kapitel
Seite
3
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Die H a u p t k l a s s e n der o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n
Die Kohlenwasserstoffe
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I . Die gesättigten Kohlenwasserstoffe oder Paraffine 1. Grundlegende Definitionen 2. Darstellung und Eigenschaften der Paraffine I I . Die tingesättigten Kohlenwasserstoffe 1. Die Olefine 2. Die Polyolefine a) Kohlenwasserstoffe mit kumulierten Doppelbindungen b) Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen c) Kohlenwasserstoffe mit isolierten Doppelbindungen 3. Die Acetylene oder Alkine I I I . Die aromatischen Kohlenwasserstoffe 1. Die Grundlagen der Benzolchemie 2. Kohlenwasserstoffe mit einem Benzolkern 3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren Benzolkernen
29 29 32 38 38 47 47 48 50 60 55 55 63 65
3. Kapitel
67
Die organischen Halogenverbindungen
I . Allgemeines
67
VIII
Inhalt
I I . Die aliphatischen Halogenverbindungen 1. Die Alkylhalogenide 2. Die Halogen-olefine und Halogen-acetylene 3. Die aliphatischen Polyhalogenverbindungen I I I . Die aromatischen Halogenverbindungen 4. Kapitel
Die einfachen organischen Sanerstotiverbindnngen
I . Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate 1. Die Alkohole und ihre Derivate a) Allgemeines b) Einzelne Alkohole c) Die Alkoholderivate a) Die Metall-alkoholate ß) Die Ester y) Die Äther 2. Die Enole 3. Die Phenole I I . Die Oxoverbindungen 1. Die Aldehyde a) Allgemeines b) Die gesättigten Aldehyde c) Die ungesättigten Aldehyde d) Die aromatischen Aldehyde e) Die Halogenaldehyde 2. DieKetone a) Allgemeines b) Einzelverbindungen 3. Die Derivate der Aldehyde und Ketone a) Die Halogenderivate der Aldehyde und Ketone b) Die Sauerstoffderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Hydrate und Halbacetale ß) Die Acetale und Ketale c) Die Schwefelderivate der Aldehyde und Ketone et) Die Schwefelwasserstoffderivate der Oxoverbindungen ß) Die Derivate der Sauerstoffsäuren des Schwefels d) Die Stickstoffderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Ammoniakderivate der Aldehyde ß) Die Derivate der primären Amine (Schiffsche Basen oder Azomethine) 4. Die Ketene I I I . Die Carbonsäuren und ihre Derivate 1. Allgemeines 2. Die Carbonsäurederivate a) Die Carbonsäure-chloride b) Die Sauerstoffderivate der Carbonsäuren a) Die Salze ß) Die Carbonsäure-ester y) Die Carbonsäure-anhydride icht, die man beide am besten nach T H . S V E D B E R G mit Hilfe der Ultrazentrifuge mißt, c) die Berechnung aus der Diffusionsgeschwindigkeit (z. B. durch Membrane) sowie schließlich d) eine Reihe weiterer, mehr physikalischer Verfahren.
2 a: Das Gesetz der paaren Atomzahlen
21
Alle diese Molekulargewichtsbestimmungsmethoden sind relativ ungenau und weisen eine Fehlergrenze zwischen ^ 5 und i 10% auf (bei makromolekularen Stoffen u. U. sogar noch mehr). Diese Ungenauigkeit ist aber kein wesentlicher Nachteil, da sich das exakte Molekulargewicht leicht nachträglich aus der Summenformel ( = Summe der Atomgewichte, vgl. S. 12) errechnen läßt. Zur Abschätzung des Multiplikators der Verhältnisformel genügt aber eine u.U. noch gröbere Annäherung. Beispielsweise ergibt sieh bei der oben erwähnten Essigsäure selbst für den Fall, daß das gefundene Molekulargewicht um ± 17% um den wirklichen Wert schwankt, d. h. zwischen 50 und 70 liegen würde, noch mit ziemlicher Sicherheit der Multiplikator 2 für das Gewicht der in der Verhältnisformel zusammengefaßten Atome; denn sowohl für den Faktor 1 als auch für den Faktor 3 wären die Abweichungen viel zu groß. Mit Hilfe des Multiplikators 2 gelangt man dann zu der Summenformel C 2 H 4 0 2 , aus der sich schließlich an Hand von Atomgewichtstabellen das exakte MolehulargemcM zu 60,052 errechnet.
2. Die Ermittlung der Konstitution Die eigentliche Konstitutionsbestimmung, d. h. die Aufgabe, den Plan des Molekülaufbaus aus den in der Summenformel zusammengefaßten Atomen aufzuklären, kann man häufig durch Anwendung einiger allgemeiner Oesetzmäßigkeiten, die sich aus der Wertigkeit der Elemente ergeben, sowie durch die sog. Gruppenanalysen wesentlich erleichtern. a) Die s i c h aus der W e r t i g k e i t
der E l e m e n t e
ableitenden
Gesetze
Als Gesetz der paaren Atomzahlen bezeichnet man eine Beziehung zwischen der Wertigkeit der das Grundgerüst eines (nicht-ionisierten) Moleküls aufbauenden mehrwertigen Atome und der Zahl der die nach außen gerichteten Valenzen des Grundgerüstes besetzenden H-Atome. Enthält das Grundgerüst nämlich nur Elemente mit einer geraden Wertigkeitszahl, so ist die Gesamtzahl der Valenzen dieser Elemente zwangsläufig ebenfalls gerade. Von dieser geraden Valenzzähl werden nun für jede Bindung des Grundgerüstets zwei Valenzen, also wieder eine gerade Zahl benötigt, so daß für die nicht im Gerüst verankerten, durch Wasserstoff abgesättigten Valenzen nur eine gerade Zahl übrigbleiben kann. In analoger Weise wird bei Anwesenheit eines Atoms mit ungerader Wertigkeitszahl im Gerüst die Gesamtzahl der Valenzen und damit auch die Wasserstoffzahl ungerade. Die Wasserstoffzahl eines (nicht ionischen) Moleküls, das außer Wasserstoff nur Atome mit einer geraden Wertigkeitszahl enthält, muß also stets gerade und die eines Moleküls, das außerdem ein Atom (oder eine ungerade Anzahl von Atomen) mit ungerader Wertigkeitszahl enthält, muß ungerade sein. Mit Hilfe dieses Gesetzes der paaren Atomzahlen kann man u. a. nachprüfen, ob eine auf Grund der Elementaranalyse errechnete Bruttoformel überhaupt möglich ist. Findet man etwa infolge nicht sehr exakter Wasserstoffbestimmungen die ungefähren Summenformeln C l a H 2 3 j 2 0 1 4 oder C 12 H 23I7 N 3 , SO muß im ersten Fall die Wasserstoffzahl auf 24 (statt 23) und im zweiten Fall auf 23 (statt 24) abgerundet werden.
Ähnlich besagt das Gesetz der minimalen Bindungszahl (Näheres vgl. I, Kap. 1, V, ld), daß ein Molekül nicht mehr einwertige Atome oder Atomgruppen enthalten kann, als die Differenz aus der Gesamtzahl der Valenzen der mehrwertigen Atome und der zur Herstellung der Bindungen zwischen ihnen (für n Atome mindestens n-1 Bindungen zu je zwei Valenzen) benötigten Valenzen beträgt.
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Kap. 1, IV: Analyse und Konstitutionsermittlung
Z. B. kann man mit Hilfe des Gesetzes der minimalen Bindungszahl die Summenlormeln Ifir alle Paraftine berechnen, die, wie wir auf S. 5 gesehen haben, nur aus C—C- und C—H-Bindungen aufgebaut sind. Die n C-Atome eines jeden Paraffins besitzen nämlich 4 n Valenzen, von denen zur Ausbildung der minimalen Zahl der zum Zusammenhalt des Moleküls erforderlichen n—-1 C—C-Bindungen 2n—2 Valenzen benötigt werden. Es bleiben also 2n-\-2 Valenzen zur Bindung von Wasserstoff übrig, so daß sich die allgemeine Summenformel CnH2n+2 ergibt. Die Zahl von 2 n + 2 H-Atomen stellt gleichzeitig die Maximalzahl von H-Atomen in einem Kohlenwasserstoff dar, die auf Grund dieses Gesetzes niemals überschritten werden kann. Auch wenn die Wasserstoffzahl geringer ist als die soeben festgelegte Maximalzahl, ergeben sich interessante Schlüsse, denn dann müssen mehr als die Mindestzahl vonn—1 Bindungen zwischen den n Gerüstatomen bestehen. D.h. das Molekül muß für jeden Mindergehalt von zwei H-Atomen entweder einen Ring oder eine Doppelbindung enthalten. Hierfür kann als Beispiel wieder die Essigsäure herangezogen werden, deren Summenformel C 2 H 4 0 2 nur vier statt der für zwei C- und zwei O-Atome errechneten Maximalzahl von sechs H-Atomen enthält. Danach muß im Essigsäuremolekül eine Doppelbindung oder ein Ring vorliegen, von denen ersteres auch tatsächlich der Fall ist.
b) D i e G r u p p e n a n a l y s e Ein letztes Hilfsmittel der Konstitutionsermittlung ist durch die Gruppenanalysen gegeben, mit deren Hilfe — im Gegensatz zu der nur die Elemente selbst erfassenden Elementaranalyse — bestimmte Atomgruppen bekannter Struktur mit analytischer Genauigkeit erfaßt werden können, so daß man wenigstens von einigen Atomen bereits weiß, wie sie zusammengehören. Die wichtigsten dieser Gruppenanalysen sind: 1. die acidimetrische Titration organischer Säuren und Basen, 2. die Bestimmung der anorganischen Ionen in den Salzen der organischen Säuren und Basen (z. B. von Hai", SO^ - , Ba , Ag usw.) mit den üblichen anorganischen Analysenmethoden, 3 . die Bestimmung der Alkoxylgruppen nach ZEISEL und verwandte Methoden (z. B. von —O—CH3 und ^N—CH 3 , Näheres vgl. S. 89, 198), 4. die Acylbestimmung (—0—CO—CH 3 und ^)N—CO—R), 5 . Die Bestimmung von „aktivem" Wasserstoff nach T . ZEREWITINOFF (Näheres vgl. S. 263), 6. die Jodzahlbestimmung und andere Bestimmungsmethoden für die olefinische Doppelbindung (S. 44), 7. die Jodzahlbestimmung und andere Bestimmungsmethoden der Aldehydgruppe in der Kohlenhydratchemie (S. 427/8).
Für unseren speziellen Fall der Essigsäure kann man mit Hilfe dieser Gruppenanalysen die Sonderstellung eines H-Atoms nachweisen; denn dieses gibt sich nicht nur nach Z E R E W I T I N O F F als aktiver Wasserstoff zu erkennen, sondern reagiert bereits derart sauer, das man es acidimetrisch titrieren kann. Damit ist aber die Anwesenheit einer Hydroxyl- (wahrscheinlich sogar einer Carboxyl-Jgruppe in der Essigsäure sichergestellt.
c) D i e e i g e n t l i c h e K o n s t i t u t i o n s b e s t i m m u n g Die Konstitutionsbestimmung selbst wird stets in der Weise durchgeführt, daß man die zu untersuchende Substanz solange chemisch umsetzt (meistens unter Abbau des Kohlenstoffgerüstes), bis man zu bekannten Verbindungen kommt, und daß man
2 o: Die Konstitutionsbestimmung
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dann aus der Art der Reaktion und der Reaktionsprodukte Rückschlüsse auf den Aufbau des ursprünglichen Moleküls zieht. Alle diese Folgerungen beruhen auf dem Prinzip der geringstmöglichen Strukturänderungen bei chemischen Reaktionen. D. h. man nimmt im Sinne der Ausführungen auf S. 5 an, daß bei jeder Reaktion das Grundgerüst des Moleküls weitmöglichst erhalten bleibt und die Funktionen sich nur insoweit umsetzen, wie es die Reaktionsgleichung angibt. Würde also z. B. beim oxydativen Abbau einer Substanz mit elf C-Atomen die Benzoesäure (S. 141) mit nur sieben G-Atomen als Abbauprodukt entstehen, so kann man mit Sicherheit schließen, daß der Benzolkern der Benzoesäure auch in dem Molekül der ursprünglichen Verbindung enthalten gewesen ist, und daß er genau an der Stelle der COOH-Gruppe eine aus fünf C-Atomen aufgebaute Seitenkette getragen hat:
Alk—C1 + H—C1
Zu ihrer Auslösung ist blaues Licht erforderlich, das die Chlormoleküle in die sehr reaktionsfähigen freien Chloratome aufspaltet. Erst diese sind die energiereichen Agenzien, die das Paraffinmolekül anzugreifen vermögen (bez. des Mechanismus vgl. S. 352). I n dieser C h l o r i e r u n g l e r n e n wir eine e r s t e w i c h t i g e Grundreaktion Chemie k e n n e n , die a l l g e m e i n Substitution genannt wird.
der
organischen
U n t e r Substitution v e r s t e h t m a n d e n E r s a t z eines beliebigen L i g a n d e n eines o r g a n i s c h e n M o l e k ü l s d u r c h e i n e n a n d e r e n u n a b h ä n g i g v o n d e m W e g e , auf d e m dieser A u s t a u s c h e r f o l g t . Z. B. wird bei der Paraffinchlorierung Wasserstoff durch Chlor „substituiert". Weiteren typischen Substitutionsreaktionen werden wir anschließend in der Sulfochlorierung und Nitrierung sowie später in der aromatischen Substitution (S. 60 f.), den Alkylierungsreaktionen (S. 70) und den Acylierungsreaktionen (S. 127) kennenlernen. 2. die Sulfochlorierung (vgl. a u c h S. 246). E r f o l g t die E i n w i r k u n g v o n Chlor in G e g e n w a r t v o n Schwefelfeldioxyd, so w i r d a u c h dieses i n d a s M o l e k ü l m i t e i n g e b a u t , u n d m a n e r h ä l t die Chloride d e r auf S. 245 f . b e s c h r i e b e n e n Sulfonsäuren (sog. Sulfochloride): -C1 • Alk—S0 2 —C1 + HCl Alk- -H: 3. die Nitrierung, d. h. die Einführung der Nitrogruppe(—N02, vgl. S.232f.) in das Molekül, die man mit Hilfe von Salpetersäure oder Distickstofftetroxyd in der Gasphase bei erhöhter Temperatur vornimmt:
2: Einzelne Paraffine Alk—H + HO—NO a
•
Alk—H + 0 2 N — N 0 2
Alk—N0 2 +
37 H20
Alk—N0 2 + H N 0 2
4. die Paraffinoxydation. Auch die gemäßigte Oxydation mit Luftsauerstoff, die bei etwa 100° in Gegenwart von fettsauren Schwermetallen vor sich geht, verläuft zunächst im Sinne einer Paraffinsubstituticm durch Sauerstoff. Ihr folgt jedoch sofort ein Zerfall der durch die Sauerstoffbeladung etwas labilisierten Kette unter Bildung von zwei Carbonsäuremolekülen: O Alk—CH aJ —CH 2 —Alk' datLon ° x y " > Alk—C—CH 2 —Alk' dation °xy~- > Alk—COOH +1 HOOC—Alk' Die Reaktion war im letzten Krieg von Bedeutung f ü r die Seifenherstellung 5. Die auf S. 41 näher beschriebene Dehydrierung.
aus
Hartparaffin.
Einzelverbindungen: Methan CH4, das Anfangsglied der Paraffinreihe, nimmt in mancher Beziehung eine Sonderstellung ein und steht der anorganischen Chemie noch nahe. Z. B. ist seine Gewinnung aus Aluminiumcarbid (S. 33) durchaus mit der Darstellung der flüchtigen Hydride anderer Elemente aus deren Metallderivaten vergleichbar. Ebenso ist der oberhalb 1000° in stärkerem Grade eintretende Zerfall des Methans in seine Elemente eine typisch anorganische Reaktion. Methan kommt als Hauptbestandteil der Gruben- und Erdgase in größeren Mengen mineralisch vor. Ferner entsteht es als Nebenprodukt der Kohlehydrierung (S. 389). Es ist daher ein leicht zugänglicher Stoff, dessen chemische Verwertung, abgesehen vielleicht von der Chlorierung zu Methylenchlorid (S. 72), noch in den Anfängen steckt. Technisch dient es in der Hauptsache als Brennstoff sowie als Wasserstoffquelle für Hydrierungsreaktionen. In letzterem Fall wird es mit Wasser zunächst zu Kohlenoxyd und Wasserstoff umgesetzt, von denen das Kohlenoxyd durch ein zweites Wassermolekül weiter zum Kohlendioxyd oxydiert werden kann. Im ganzen entstehen auf diese Weise aus einem Mol Methan vier Mole elementarer Wasserstoff: CH 4 + 2 H 2 0
•
C0 2 + 4 H 2
Bemerkenswert ist seine Stabilität bei Temperaturen unter 500°, auf Grund deren es zu den schwerst entzündlichen Kohlenwasserstoffen zählt 1 ). E s ist infolgedessen ein sehr „klopffester" Treibstoff, dessen Anwendbarkeit allerdings durch die mangelnde Komprimierbarkeit zu einem „Flüssiggas" etwas eingeschränkt wird. Äthan C 2 H 6 , das nächst höhere Homologe des Methans, begleitet dieses in geringen Mengen in den Gruben- und Erdgasen sowie als Nebenprodukt der Kohlehydrierung. Seine technische Bedeutung als Einzelverbindung ist jedoch gering. Propan C 3 H 8 , n-Butan C 4 H 1 0 und Isobutan CH 3 —CH(CH 3 )—CH a entstehen hauptsächlich als Nebenprodukte der Kohlehydrierung (S. 389) sowie auch des Crackingprozesses (S. 391). Da sie sich leicht unter Druck verflüssigen lassen, finden sie zusammen mit den Olefinen gleicher Kohlenstoffzahl (S. 47) technische Anwendung als Flüssiggas, d. h. als leicht vergasender, in Druckflaschen jedoch flüssiger und ein nur geringes Volumen beanspruchender Brennstoff. Iso-oetan (2,2,4-Trimethyl-pentan) (CH 3 ) 3 C—CH 2 —CH(CH 3 ) 2 besitzt bereits ein stark verzweigtes Molekül und ist als einziges einheitliches höheres Paraffin von Interesse als klopffester Fliegertreibstoff. Seine technische Gewinnung erfolgt u. a. durch „Alkylierung" von Isobutan mit Isobuten (vgl. S. 45).
Im Gegensatz zu den Einzelverbindungen finden Paraifingemische, die sich wegen der ähnlichen Siedepunkte der Komponenten nur schwer in ihre Bestandteile l
) Beispielsweise wird ein Methan-Luft-Gemisch im Gegensatz zum Knallgas an einem schwach glühenden Platinkontakt noch nicht entzündet. Auf Grund dieses unterschiedlichen Verhaltens kann man Wasserstoff bei der Gasanalyse neben Methan selektiv verbrennen.
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Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe
zerlegen lassen, eine verbreitete Anwendung in der organischen Chemie (bez. ihrer Verwendung als Brennstoffe vgl. S. 391). Die wichtigsten dieser Paraffingemische sind: 1. die zwischen 30 und 80° übergehenden, hauptsächlich die isomeren Pentane bis Heptane enthaltenden Paraffinfraktionen, die Gasolin« oder (in Anlehnung an den ähnlich siedenden Äther) Petroläther genannt werden. Man unterteilt sie weiter in den niedrigsiedenden (Sdp. 30—50°) und den hochsiedenden Petroläther (Sdp. 50—80°), die beide wichtige Lösungsmittel darstellen. 2. die zwischen 60 und 180° siedenden Benzine. Sie zerfallen bei der Feinfraktionierung in Leichtbenzin (Sdp. 60—110°), Schwerbenzin (100—150°) und Ligroin oder Lackbenzin (150—180°). Alle drei Fraktionen dienen ebenfalls als Lösungsmittel. 3. das kristallisierte Hartparaffin. Es besteht zur Hauptsache aus n-Paraffinen mit 24—40 C-Atomen im Molekül und schmilzt zwischen 50 und 60°. Es dient in der Technik zur Kerzenherstellung und als Ausgangsmaterial für die Paraffinoxydation (S. 37). 4. ein Weichparaffin genanntes, etwa tiefer schmelzendes Material, das bereits geringe Mengen von Isoparaffinen enthält und technische Anwendung als Paraffinwachs findet. 5. das Paratfinöl. Es stellt ein ziemlich dickflüssiges Giemisch zahlreicher Isoparaffine mittlerer Molekülgröße dar (C 20 —C i0 ) und enthält keine kristallisierenden Bestandteile mehr. Auch die mineralischen Schmieröle bestehen zum wesentlichen Teil aus derartigen Isoparaffinen. 6. makromolekulare Paraffine. Sie entstehen bei der Polymerisation von Olefinen und sind z. T. wichtige Kunststoffe. Insbesondere Polyäthylen, einer der häufigsten Kunststoffe überhaupt, gehört diesem Verbindungstypus an. Es verdankt seine wertvollen Eigenschaften u. a. dem Umstand, daß es sich als Paraffin fast allen Chemikalien gegenüber indifferent verhält, und daß es keinen „Weichmacher" benötigt. Ein makromolekulares Isoparaffin liegt im Polyisobutylen vor.
II. Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe Sind in einem Kohlenwasserstoff neben einfachen C—C-Bindungen auch G=GDoppel- oder G = G-Dreifachbindungen enthalten, so sinkt auf Grund des Gesetzes der minimalen Bindungszahl (S. 21) die Zahl der H - A t o m e unter die dort errechnete Maximalzahl von 2 n + 2 ab. Derartige Substanzen sind also nicht mehr an Wasserstoff „gesättigt" und werden aus diesem Grunde ungesättigte Kohlenwasserstoffe genannt. Man unterteilt sie in 1. die Olefine mit einer C=C-Doppelbindung, 2. die Poly-olefine mit mehreren C=C-Doppelbindungen und 3. die Acetylene oder Alkine mit einer oder mehreren C = C-Dreifachbindungen im Molekül. 1. Die Olefine Olefine sind Kohlenwasserstoffe, die außer C — H - und C—C-Einfachbindungen eine (und im engeren Sinne auch nur eine) G=G-Doppelbindung im Molekül enthalten. Sie stellen also typische organische Substanzen gemäß der auf S. 5 gegebenen Definition dar, deren Moleküle neben einem paraffinartigen Bezirk eine reaktionsfähige Stelle enthalten, eben die C—C-Doppelbindung. Sie ist für den chemischen Charakter der ganzen Verbindungsklasse verantwortlich und kann als Funktion im dort angegebenen Sinne betrachtet werden. Auf S. 22 haben wir gesehen, daß pro Doppelbindung zwei H-Atome weniger vom Kohlenstoffgerüst gebunden werden als beim ausschließlichen Vorliegen von Einfachbindungen. Die Olefine müssen also gegenüber den Paraffinen eine um zwei verminderte Wasserstoffzahl besitzen, d. h. die allgemeine Summenformel C n H2 n aufweisen. Da diese Formel durch die Zahl der
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1: Die Olefine, Allgemeines
C-Atome n teilbar ist, ergibt sich für sämtliche Olefine unabhängig von ihrer Molekülgröße die gleiche VerhäUnisformd CHa. Man vermag deshalb auf Grund der Elementaranalyse allein nicht zwischen einzelnen Olefinen zu unterscheiden. Im übrigen lassen sich die Olefine wie die Paraffine zu einer homologen Reihe zusammenfassen.
Die rationellen Namen der Olefine leiten sich von denen der Paraffine gleicher Kohlenstoffzahl durch Ersatz der Endung -an durch die neue Endung -en (früher auch -ylen) ab. Dem Äthan entspricht also das Äthen H 2 C=CH 2 (meistens Äthylen genannt), dem Propan das Propen (oder Propylen) H 2 C=CH—CH 3 und dem allgemeinen Namen Allcan die Bezeichnung Alken für ein Olefin schlechthin. Vom n-Bvten ab muß man mit einer weiteren, durch die Lage der Doppelbindung in der Kette bedingten Isomeriemöglichkeit rechnen. Man kennzeichnet diese Lage, ähnlich wie die Stellung der Paraffinseitenketten, durch Anführung der Nummer desjenigen C-Atoms, von dem aus sich die Doppelbindung zum nächst höheren C-Atom erstreckt, und zwar steht die Zahl hier am Ende des Namens. Außer dieser Stellungsisomerie beobachtet man die bereits auf S. 18 beschriebene geometrische Isomerie, so daß sich beispielsweise für das n-Bvten drei Isomere ergeben: HjC—CH—CH2—C H3
>=
=
-
H®
X
e
®
0
H-X
\
+
\ Alk— CH— CH—Alk' / Ii
>
Alk— C H = C H — A l k ' in
Die angeführte Abspaltung von Säuren aus ihren Estern stellt die wichtigste Olefinbildungsreaktion dar. Sie geht um so leichter vor sich, je stärker sauer die abgespaltene Verbindung H X ist, ist aber stets endotherm. Sie muß infolgedessen durch hohe Temperaturen oder die Anwesenheit von Alkalien, die die Säuren im Augenblick der Abspaltung neutralisieren, erzwungen werden. Die Reaktion verläuft nicht immer einheitlich, da häufig verschiedene H-Atome des Moleküls mit dem Liganden X zusammen austreten können, so daß ein Isomerengemisch (z. B. IV und V) entsteht: H CH=CH—CH
1
lk
Alk'
H
X
H
H
CH—¿H—¿H
¿H— CH=CH
Alk
Alk
Alk'
IV
Alk' v
An einzelnen Reaktionen sind erwähnenswert: 1. Die Abspaltung von Halogenwasserstoff aus den auf S . 6 8 f . beschriebenen Alkylhalogeniden (I für X = Hai) führt man am besten in Gegenwart starker Basen (Ätznatron, Natriumalkoholat sowie z. T. auch tertiären Aminen) durch. Eine thermische Abspaltung hat nur bei hochsiedenden Olefinen, die nicht mit dem Halogenwasserstoff abdestillieren, Bedeutung erlangt. 2. Die Abspaltung hochsiedender Säuren (z. B. von Schwefelsäure, Sulfonsäuren, höheren Fettsäuren) aus ihren Estern (I für X = Anion der betreffenden Säure) dient umgekehrt zur Darstellung flüchtiger Olef ine, die bei der meistens um 200° hegenden Reaktionstemperatur gasförmig entweichen. 3. Wasser ist nur noch eine sehr schwache „Säure" und kann deshalb aus seinen Alkylderivaten, den Alkoholen (I für X = OH), normalerweise bis zu deren Zersetzungstemperatur nicht mehr abgespalten werden. Man verwendet deshalb Katalysatoren, von denen die Erdmetalloxyde (A1j0 3 , T h 0 2 usw.), die man aus diesem Grund auch Dehydratisierungskatalysatoren nennt, ab etwa 250° wirksam sind. Konzentrierte Schwefel- oder Phosphorsäure können sogar schon bei 180° die Reaktion katalysieren. Ihre Wirkungsweise beruht auf der intermediären Bildung von
1: Darstellung und Eigenschaften von Olef inen
41
Estern, die dann die in 2. beschriebene Spaltung unter Regeneration der Säure erleiden. Hier entsteht das Wasser also bereits bei der Esterbildung und nicht bei der eigentlichen Abspaltungsreaktion: H h.O — R—CH—CHo —0—SO.H ~ h ' 3 0 ' , R — C H = C H , R—CH —CH —OH + HO—SO H 2
2
a
Außer Säuren kann m a n in einer Art innermolekularen Wunrzschen Synthese auch zwei an benachbarten C- Atomen befindliche Halogenatome mit Hilfe v o n Metallen herausspalten: Alk—CH II Alk—CH
Alk—CH —Hai + Zn I Alk'—CH -Hai
+
ZnHal 2
Die Reaktion bietet im Gegensatz zur HX-Abspaltung den Vorteil, daß die Doppelbindung nur eine einzige, vorher genau bestimmbare Lage einnimmt. Eine letzte wichtige Abspaltungsmöglichkeit liegt in der Dehydrierung, d. h. der Abspaltung v o n elementarem Wasserstoff aus Paraffinen vor: f i l Alk—CH—CH—Alk'
Pt «00—1000°
K—CH=CH—Alk'
+
H»
Die Reaktion ist die Umkehrung der auf S. 41 beschriebenen Olefinhydrierung und wird als solche durch die gleichen Katalysatoren (s. dort) sowie neuerdings auch durch Al 2 0 3 /Cr 2 0 3 Kontakte beschleunigt. Sie ist in Richtung der Dehydrierung ziemlich stark endotherm und erfordert daher hohe Reaktionstemperaturen (je nach Ausgangsparaffin 600—1000°). Die Lage der Doppelbindung kann wegen der Gleichwertigkeit der H-Atome nicht vorher bestimmt werden. Das Verfahren dient deshalb nur für die technische Gewinnung einfacher Olefine, die die hohen Temperaturen aushalten, und bei denen nur wenige Isomere entstehen können. Physikalische Eigenschaften. Wie Tabelle 2 zeigt, unterscheiden sich die Olefine in ihren Schmelz- u n d Siedetemperaturen nicht wesentlich v o n den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl. Nur die cis-Olefine ordnen sich wieder relativ schwer in ein Kristallgitter ein und schmelzen deshalb ähnlich niedrig wie die Isoparaffine. Tabelle 2 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n e i n i g e r O l e f i n e Summenformel
Name
Konstitution
c2h4 c3H6
Äthylen Propylen Buten-1
c4h8
cis-Buten-2 trans-Buten-2 1
n-Penten-1 ) CfiHio
CH 2 =CH 2 CH 2 =CH—CHg CH 2 =CH—CH 2 —CH 3 / = \
/
/ — CH 2 =CH—(CH 2 ) 2 —CH 3
trans-n-Penten-2 1 ) Trimethyl-äthylen
V
Smp.
Dichte/Temp. (flüssig)
—104° — 47° — 6°
—170» —185° —190°
0,576/—109» 0,647/—79° 0,630/10»
+
4°
—139»
+
1°
—106°
Sdp.
1 Gemisch ( 0,632/0°
+ 31°
—
0,640/20»
+ 36°
—
0,648/20°
+ 36°
—123»
Für die Pentene ist auch der alte Trivialname Amylene gebräuchlich.
0,657/25°
42
Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe
Auch hinsichtlich ihrer Lösungseigenschatten sind die Olefine den Paraffinen sehr ähnlich. Insbesondere gehören sie ebenfalls zu den typisch lipophilen und hydrophoben Substanzen. Größere Unterschiede zwischen Olefinen und Paraffinen beobachtet man dagegen im optischen Verhalten. Hier zeigen die Olefine vor allem charakteristische Absorptionsbanden im Ultraviolett und Infrarot, auf Grund deren die Anwesenheit einer C~C-Doppelbindung sofort erkannt werden kann.
Die chemischen Reaktionen der Olefine lassen sich in zwei Gruppen einteilen: die Umsetzungen der G=C-Doppelbindung und die des paraffinartigen MoleküUeils. Erstere sind die bei weitem wichtigsten, weil die Doppelbindung eine wesentlich größere Aktivität aufweist als die einfachen Bindungen der Paraffinmoleküle und dadurch den Olefinen ihren chemischen Charakter aufprägt. Fast alle Umsetzungen der C=C-Doppelbindung gehören einem dritten grundsätzlichen Reaktionstypus an, den Anlagerungs- oder Additionsreaktionen. Unter Anlagerung oder Addition versteht man die Umkehrung der Abspaltungsreaktion (S. 40), d. h. die Angliederung von zwei einwertigen Atomen bzw. Atomgruppen (den sog. Addenden) an die durch die Doppelbindung verknüpften Atome. Als Ausgleich für die hierbei erfolgende Neubildung zweier Atombindungen werden die eine der beiden Bindungen des Doppelbindungssystems und die ursprünglich zwischen den Addenden bestehende Bindung gelöst. Beispielsweise geht die Anlagerung von elementarem Brom an ein Olefin formal folgendermaßen vor sich: Br
Br—Br Alk— C H = CH—Alk'
Br Br
SpT
,f"" g d e r . Alk—CH—CH—Alk'
Bindungen
™duBg
der Bindungen
|
A
Br
ik_iH-(!H-Alk'
Man kann auf Grund dieses Reaktionsverlaufs grundsätzlich aus der Stellung der Addenden in dem Anlagerungsprodukt auf die Lage der Doppelbindung im Ausgangsolefin schließen. Doch ist eine derartige Konstitutionsbestimmung wegen der Möglichkeit einer Doppelbindungsverschiebung im Verlaufe der Reaktion nicht immer absolut sicher. Die wichtigsten Anlagerungsreaktionen lassen sich in sechs Gruppen einteilen: 1. Bei der Addition von Oxydations- und Halogenierungsmitteln treten an beide C-Atome negative (= elektroaffine) Addenden. Die verschiedenen möglichen Reaktionstypen sind in dem nachstehenden Formelbild zusammengestellt. a) Die Addition von zwei OH-Gruppen mittels Kaliumpermanganats geschieht bereits beim Schütteln des Olefins mit wäßriger KMn04-Lösung in der Kälte und dient zum qualitativen Oleiinnachweis (BAEYER-Probe). Das entstehende Olykol läßt sich allerdings meistens schlecht fassen, da leicht Weiteroxydation eintritt. Erst wenn man das Permanganat durch Blei-tetraacetat ersetzt, durch das zwei oxydationsstabile vereiterte Hydroxylgruppen (sog. Acoxygruppen) in das Molekül eingeführt werden, bleibt die Reaktion auf der Oxydationsstufe des Olykols (in Form von Olykol-acetat) stehen.
b) Die Reaktion mit Ozon ist keine einfache Anlagerung mehr, weil hierbei die C=C-Doppelbindung restlos zerstört wird und cyclische Verbindungen (z. B. II)
1: Die Olefinreaktionen Hai
Hai
J
¿H,—¿1 1,2-Chlorjod-paraffin
¿H 2 —¿H 2 1,2-Dlhalogen-paraffiD Hai
C1
+ Hai—Hai
OH
43 OH OH + 20H (mittels KMnO,ü T ¿ H a — ¿ H 2 Äthylen-glykol
+ Hai—OH
+ Pb(QAc). — Pb(OAc),
CH2—C H 2 Halogen-hydrin Hai
NO
+ Hai—NO
OAc
(jHj (jHj Glykol-acetat
CH2—CHS
CHa—CH2 Nltroso-halogenld
+0 (mittels C.H.—CO—00H Olefln-oxyd oder 0, bei 200—600«)
!
+ 0,
+ O,N—YP
CH,—C . -ch2 Pseudonltroslt
OAc
. Ih2 I I
V
CH a —¿i _ Dlnitro-paraffin
Ozonid
entstehen, die Ozonide genannt werden 1 ). Sie gehen bei der Einwirkung v o n katalytisch erregtem Wasserstoff (S. 44) in instabile Zwischenprodukte des Typus I I I über, die aus den auf S. 112 dargelegten Gründen sofort in zwei Oxoverbindungen (in unserem Beispiel in IV und V) zerfallen: H3C-. h5c2/
H s C h5c2
yC 3 H 7 C = C
H H
\S /v
N /
III
+ o,
\h
V
C3H7
N
H
H3CS^ yO—Ox
yC3H,
+ H,
HSC.
— H,0
HaC^ yC=0 H6C2 IV
C S H, + o=c^ H v
Die praktische Bedeutung der Reaktion liegt in der Möglichkeit einer relativ sicheren Bestimmung der Lage der Doppelbindung im Molekül, da bei der Ozonisierung die geringste Wahrscheinlichkeit einer Doppelbindungsverschiebung besteht. Die Bildung des Methyl-äthyl-keions (IV) und des Butyr-aldehyda (V) bei der Ozonspaltung läßt z. B. nur ein Olefin der Struktur I zu. Lediglich zwischen eis- und fmn*-Konfiguration kann man auf diesem Wege nicht entscheiden. c) Bez. der Olefinoxydblldnng vgl. S. 157. d) Während Jod an einfache Olefine nicht addiert wird, erfolgt die Anlagerung von Chlor und Brom im allgemeinen so rasch, daß man die Olefine direkt titrieren kann. Analytisch ge1 ) Nach neueren Versuchen von R. CRIEGEE kann man bei tiefer Temperatur auch ein Primärozonid isolieren, in dem noch eine einfache C—C-Bindung zwischen den ursprünglich doppelt verbundenen C-Atomen erhalten geblieben ist, bei deren Bildung also noch eine normale Addition des Ozonmoleküls stattgefunden hat. Dieses Primäraddukt lagert sich jedoch schon bei Raumtemperatur in das oben formulierte normale Ozonid (IE) um.
Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe
44
bräuchlich ist vor allem die Addition von Chlorjod, dessen Verbrauch sich leicht jodometrisch durch Rücktitration des nicht umgesetzten Anteils bestimmen läßt.
Das Verfahren dient unter der Bezeichnung Jodzahlbestimmung inabesondere in der Fettchemie zur quantitativen Erfassung der ungesättigten Fettsäuren. e) Die Halogenhydrinbildung geht nur formal im Sinne einer direkten Addition der unterhalogenigen Säuren vor sich. In Wirklichkeit treten nach einem in II, Kap. 4, II, 3 a a beschriebenen Mechanismus elementares Halogen und Wasser getrennt in Reaktion.
2. Säuren des Typus H X werden unter Bildung ihrer Ester angelagert. Die wichtigsten Anwendungsbeispiele sind wieder zu einem Formelbild zusammengefaßt : CH3— CH 2 —OSO 3 H
+ H—OSO a H
CH 2 —CH 2
+ H—OOC—Alk Carbonsäureester
Schwefelsäurehalbester + H—Hai
CH3-
+ H—ONO,
CH3—CH2—OH Alkohol
Alkylhalogenid
Salpetersäureester
Die HX-Addition ist als Umkehrung der auf S. 40 f. beschriebenen Abspaltungsreaktionen stets exotherm und erfordert bei genügend starken Säuren keine Katalyse. Z. B. werden einige gasförmige Olefine in 70%iger Schwefelsäure wie Ammoniak absorbiert. Die Addition von Garbonsäuren erfolgt schon wesentlich schwerer, und die Wasseranlagerung kann nur unter ähnlichen Temperatur- und Katalysatorbedingungen durchgeführt werden wie die Wasserahspaltung (S. 40). Der Reaktionsverlauf ist häufig nicht einheitlich, weil die Säureanlagerang in zwei Richtungen geschehen kann, so daß bei unsymmetrischen Olefinen die Bildung der beiden isomeren Addukte VI und VII möglich ist: R—CHX—CH¡¡—R'
+ X—H
R—CH= CH—R'
h—x
vi
VII
Hier gilt die wichtige Regel von MARKOWMKOW, daß der Wasserstoff nach Möglichkeit an das wasserstoffreichste und das Anion X an das wasserstoffärmste der an der Doppelbindung beteiligten C-Atome tritt. Bez. der theoretischen Begründung dieser Regel und einiger Ausnahmen vgl. II, Kap. 3, III, 8 u n d Kap. 4, II, 3 a ac und y.
3. Elementarer Wasserstoff kann wegen seiner Reaktionsträgheit nur in Gegenwart von Katalysatoren an die C=C-Doppelbindung angelagert werden. Das Verfahren wird deshalb allgemein katalytische Hydrierung genannt: Alk—CH=CH—Alk'
+ H, (Pt)
Alk— CH2— CH2—Alk'
Sie ist als Gegenreaktion der Dehydrierung (S. 41) exotherm und verläuft bis etwa 500° freiwillig. Bei höherer Temperatur tritt dann die erwähnte Umkehrung in Richtung der Dehydrierung ein. Als Katalysatoren verwendet man hauptsächlich die Metalle der achten Nebengruppe des Periodensystems, von denen Platin, Palladium und Nickel in Form des sehr aktiven RANEY-
1 : Die Olefiiireaktionen
45
1
Nickels ) schon bei Raumtemperatur, sonstige Nickelkontakte um etwa 100° wirksam sind. Weitere Katalysatoren, die allerdings erst bei höherer Temperatur arbeiten, sind metallisches Kupfer und Messing sowie Chrom in der Oxydationsstufe von Chromiten (z. B. Kupferchrom.it) und Molybdänsulfid. Soweit es sich um Metalle handelt, dürfte ihre Wirkungsweise auf der Bildung von Oberflächenlegierungen mit dem Wasserstoff (Näheres vgl. anorganische Lehrbücher) beruhen. Bez. des Mechanismus vgl. II, Kap. 4, I I , 5 c. D i e katalytische Hydrierung wurde erstmals v o n W . NORMANN (1902) in die Technik eingeführt als billigste Methode zur Fetthärtung (S. 448). Sie h a t sich inzwischen z u einem der wichtigsten technischen verfahren für Substanzen m i t C = C - , C = C-, C=0-, C=N-, G=NMehrfachbindungen sowie neuerdings auch m i t C—Hai- (und i m Kohlehydrierung [S. 389] bei sehr hohen Temperaturen sogar C—0-, C—N- u n d C—S-) Einfachbindungen entwickelt.
Reduktionsund N=0Verlauf der m i t G—C-,
Eigenartiger W e i s e k a n n die Hydrierung nur m i t katalytisch erregtem Wasserstoff durchgeführt werden. Andere auch sehr aktive R e d u k t i o n s m i t t e l , wie nasciererider Wasserstoff (z. B . Natrium¡Alkohol oder Zink/'Salzsäure) u n d selbst Lithium-aluminium-hydrid, lassen die isolierte C = C - D o p p e l b i n d u n g vollkommen intakt. 4. Ähnlich wie das H—H-Molekül kann man mitunter auch C—H-Verbindungen, d. h. Paraffine, an Olefine anlagern, wobei wegen der Aufhebung der Doppelbindung höhermolekulare Paraffine entstehen. Die Reaktion kommt praktisch also auf die Einführung eines Alkylrestes in das Paraffinmolekül hinaus und wird deshalb in der Technik Alkylierung genannt. Zur Anlagerung befähigt sind ausschließlich tertiäre C—H-Oruppen, so daß nur Isoparaffine synthetisiert werden können. Als Katalysatoren dienen konzentrierte Schwefelsäure öder LEWis-Säuren (z. B. Borfluorid). Ein praktisch wichtiges Beispiel stellt die Synthese von Isooctan (S. 37) durch Anlagerung von Isobutan an Isobuten dar. Die Addition verläuft hier entgegen der Regel von MARKO WNIKOW :
CH, HgC—C^CHj
CHA -f-
CH,
H—C—CHj
¿:
CH,
H— CH«—C—CH»
CH,
CH,
Isobuten
5. Ausschließlieh von technischem Interesse ist das von W. REPPE aufgefundene Verfahren der Carbonylierung, d. h. die Addition einer Wasserstoffverbindung HX unter gleichzeitigem Einbau eines KohlenoxydmolekSls, wobei ein Carbonsäurederivat synthetisiert wird. Einige Beispiele sind in folgendem Pormelbild zusammengestellt: .0 O + H-OH H 2 C = C H , + CO H,C—-CH,—G(f N NR2 OH Propionsäure
Propionsäure-amid + H—SR
H—OR
%/ C —RI
H 3 C— C H 2 — C\ \)R Propionsäure-ester
N r
gemischtes Propionsäure-carbonsäure-anhydrid
X
SR
Propionsäure-thioester
*) RANEY-Nickel wird aus einer Aluminium-Nickel-Legierung durch Herauslösen des Aluminiums mittels Natronlauge bei Raumtemperatur gewonnen. Es besitzt wegen dieser tiefen Bildungstemperatur eine ungewöhnlich große und aktive Nickeloberfläche.
46
Kap. 2, II: Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe
Die Reaktion wird durch Nickelcarbonyl und andere SchwermetaUderivate des Kohlenoxyds katalysiert. 6. Schließlich können sich die C=C-Doppelbindungen auch gegenseitig absättigen. Hier muß man zwei Möglichkeiten unterscheiden: a) Zwei Olefinmoleküle lagern sich unter Bildung eines Vlerrings zusammen: R—CH—CH.
+
CH a =CH—R
CHS—CH—R JjH,—CH—I
Ein derartiger Vorgang wird Dimerisation (von griech. SCro = zwei und (lipof = Teil) genannt. Er findet im allgemeinen erst bei komplizierteren Olefinen statt (vgl. S. 141).
b) Viele Olefinmoleküle lagern sich unter gegenseitiger Absättigung der Doppelbindungen zu einem längeren Kettenmolekül zusammen: R R R R I + 1 + 1 + 1 0 H = CHj C H = CH2 C H = C Ha CH= C R „ .....¿H— CHj
R ¿H—CH,
B ¿H—CH,
R + 1 CH=CH2
R ¿H— C H , -
R
|| Hier spricht man von einer Polymerisation (von griech. ttoAOs = viel). Sie verläuft nicht spontan (sonst wären ja die Olefine nicht beständig), sondern muß durch verschiedenartige Katalysatoren (insbesondere starke Säuren, Lewis-Säuren, Luftsauerstoff, organische Peroxyde, aluminium-organische Verbindungen und im Falle konjugierter Doppelbindungen [S. 49] auch Alkalimetalle) ausgelöst werden. Hierbei besetzen diese Agenzien die an der Polymerisation selbst nicht beteiligten beiden Enden des gebildeten Kettenmoleküls. Die Reaktion hat hauptsächlich technisches Interesse gefunden. Z. B. wird Polyäthylen (S. 38) durch Polymerisation von Äthylen gewonnen. Auch die Herstellung des Polyisobutylens (S. 38), der zahlreichen Polyvinylverbindungen (S. 52, 91), des Buna (S. 455), des Polyacrylsäurenitrils und vieler anderer Kunststoffe geschieht auf dem Wege einer derartigen Polymerisationsreaktion.
Der paraffinartige Molekülteil der Olefine ist so reaktionsträge, daß er normalerweise nicht unter Erhaltung der Doppelbindung umgesetzt werden kann. Nur der Wasserstoff an einem den eigentlichen Doppelbindungsatomen benachbarten CAtom (sog. Allylstellung, in Formel I durch Fettdruck hervorgehoben) ist durch die Doppelbindung etwas aktiviert und vermag einige spezielle Reaktionen zu geben. Von ihnen hat vor allem die Bromierung mit Bromsuccinimid (S. 68) präparative Bedeutimg erlangt, da sie (etwa im Gegensatz zur Verwendung von Brom selbst) die Substitution des allylständigen Wasserstoffs unter Vermeidung jeglicher Additionsreaktion gestattet: Br
R— CH— CH=CH a
H -_• c ,h.O,N—H p TT n u tt
R—¿H—CH=CH,
Q—OH *
R—CH—0H— 0ITo Ii
Eine andere interessante Reaktion ist die schon bei Raumtemperatur vor sich gehende Einschiebung eines Sauerstoffmoleküls zwischen den allylständigen Kohlenstoff und Wasserstoff zu der Peroxyverbindung II.
2: Die Polyolefine III ||l III
47
Eine derartige mit Luftsauerstoff schon bei Raumtemperatur spontan eintretende Oxydationsreaktion nennt man Autoxydation. Olefine sind wegen dieser Autoxydationsmöglichkeit vielfach luftempfindlich (vgl. z. B. den Kautschuk [S.454] und das Leinöl [S. 448]).
Einzelverbindungen. Äthylen (Athen) H 2 C=CH 2 , das Anfangsglied der Olefinreihe, wird präparativ meistens aus Alkohol durch Wasserabspaltung gewonnen. In der Technik steht es dagegen als Bestandteil mehrerer Industriegase (vor allem der Crackgase, S. 392) in derart großen Mengen zur Verfügung, daß man hier z. T. umgekehrt Alkohol durch Wasseranlagerung an Äthylen gewinnt. Es ist der wichtigste Ausgangsstoff zur Darstellung aliphatischer Verbindungen und hat heute schon das Acetylen an Bedeutung übertroffen. Seine Hauptanwendungsgebiete sind: die Herstellung von Polyäthylen (S. 38), die Synthese von Äthylbenzol (S. 65) und darüber hinaus des Styrols (S. 65) sowie die Oxydation zu Äthylen-oxyd. Propen (Propylen) H a C=CH—CH 3 , die drei auf S. 39 formulierten n-Butene (n-Bwtylene) und Isobuten (Isobutylen) H 2 C=C(CH 3 ) 3 kommen in noch größeren Mengen in den Crackgasen vor als Äthylen und sind daher ebenfalls wichtige Industrieprodukte. Der größte Teil wird in Form von Flüssiggas als Brennstoff verwertet. Chemisch interessant ist ihre Überführung in mittlere Alkohole durch Wasseranlagerung. Hierbei entsteht auf Grund der Regel von Markownikow aus Propen das Isopropanol (S. 82), aus allen drei n-Butenen das gleiche n-Butanol-2 CH3—CH(OH)—C2HS und aus Isobuten das tert.-Butanol (CH3)3C—OH. Isobuten wird ferner auf Isooctan (S. 37) und den Kunststoff Polyisobutylen (S. 38) verarbeitet.
2. Die Polyolefine Enthält ein Kohlenwasserstoff mehrere C=C-Doppelbindungen, so hängen seine Eigenschaften in charakteristischer Weise von deren Stellung zueinander ab. Man unterscheidet drei typische Fälle: a) die kumulierten, b) die konjugierten und c) die isolierten Doppelbindungen. Die Benennung der Polyolefine geschieht durch Einschiebung des griechischen Zahlworts für die Zahl der Doppelbindungen zwischen den Orundnamen des Kohlenwasserstoffs und die für die Olefine charakteristische Endung -en. Außerdem werden wie bei den einfachen Olefinen die Ziffern derjenigen C-Atome an den Namen angehängt, von denen die Doppelbindungen ausgehen, so daß Namen wie Buta-dien-1,3 (CH 2 =CH—CH=CH 2 ), Hexa-trien-1,3,5 (CH 2 =CH—CH= =CH—CH=CH 2 ) usw. entstehen. In letzterem Fall kommen in dem Namen also zwei griechische Zdhlworte vor, und zwar die Zahl der C-Atome, im Grundnamen und die der Doppelbindungen in der Endung. Als Gruppennamen für die Kohlenwasserstoffe mit zwei, drei oder vier Doppelbindungen haben sich außerdem die Ausdrücke Diene (sprich Di-ene) Triene und Tetraene eingebürgert.
a) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t k u m u l i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n Stehen mehrere Doppelbindungen unmittelbar nebeneinander, so nennt man sie kumuliert (von lat. cumulus — Haufen). Entsprechend heißen Kohlenwasserstoffe mit kumulierten Doppelbindungen Kumulene bzw. im einfachsten Fall der Kumulierung von nur zwei Doppelbindungen auch Allene. Von allen C-Atomen im Innern einer Kumulenkette gehen zwei Doppelbindungen aus, die die vier Valenzen vollständig absättigen. Diese C-Atome tragen also keine sonstigen Liganden mehr und können nicht als Verzweigungsalome des Kohlenstoffgerüsts fungieren. Die Allene und Kumulene sind ohne praktische Bedeutung geblieben, haben aber in der theoretischen organischen Chemie Interesse wegen ihrer nahen Beziehungen zu den Verbindungen mit konjugierten G=C-Dreifachbindungen (vgl. II, Kap. 3, III, 3 b/?) sowie wegen ihres sterischen Auf baue gefunden. Allen, das Anfangsglied der Reihe, wird am besten durch Bromentzug aus
Kap. 2, I I : Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe
48
2,3-Dibrom-propen (I) erhalten, da bei anderen Verfahren (z. B. einer zweimaligen Bromwasserstoffabspaltung aus 1,2-Dibrom-propan) leichter die Bildung einer C =C-DreifacKbindung (oder in anderen Fällen auch eines konjugierten Doppelbindungssystems) erfolgt: Br Br H 2 C=C—CH,,
znBr *
H2C=C=CH2
I
ioo°
Allen
r
H.jC—C=CNa Allylen-natrlum
Allen zeigt infolge der Häufung der Doppelbindungen einen relativ hohen Energieinhalt und ist ziemlich instabil. Z. B. verharzt es leicht und geht bei der Einwirkung von Natrium bei 100° in das Natriumderivat des bereits der Acetylenreihe angehörenden isomeren Aüylens über. Höhere Kumulene mit bis zu sieben kumulierten Doppelbindungen sind insbesondere in der aromatischen Reihe dargestellt worden (vgl. I, Kap. 2, III, 3 c).
b) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t k o n j u g i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n Zwei oder mehrere Doppelbindungen sind konjugiert, wenn sich zwischen ihnen jeweils eine einfache Bindung befindet. Dieser Begriff der Konjugation umfaßt außer der rein strukturellen Kennzeichnung der gegenseitigen Lage der Doppelbindungen auch eine Reihe physikalischer und chemischer Effekte, denn die Doppelbindungselektronen vermögen sich über die Einfachbindung hinweg gegenseitig zu beeinflussen. Es entsteht dadurch bis zu einem gewissen Grade ein neues Bindungssystem mit eigenen Eigenschaften, das außer den daran beteiligten Doppelbindungen auch die dazwischen liegenden Einfachbindungen mit einschließt (Näheres vgl. S. 337f.). Die Darstellung der Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen kann in viel höherem Maße als die der mit kumulierten Doppelbindungen durch Abspaltungsreaktionen erfolgen, weil von den drei Möglichkeiten der Bildung 1. eines Kumulensystems, 2. einer C = G-Dreifachbindung und 3. zweier konjugierter Doppelbindungen : CH2=C=CH—CH3 Br
kumulierte Doppelb. — 2HBr
:-
I - — 2 HBr CH3
C=C
CH3
|
Br |
CH,—CH—CH—CH,
er(II)-acetylenid, die beim Einleiten von Acetylen in ammoniakalische Kupfer(I)- bzw. Silbersalzlösung bzw. in eine alkalische Kalium-quecksilberjodidlösung sofort ausfallen. Von weiteren Reaktionen des Acetylenwasserstoffs ist lediglich die ebenfalls von W. Reppe untersuchte Anlagerung der C = C—H-Gruppe an die C=0-Doppelbindung von Oxoverbindungen von praktischem Interesse als neue Methode zum Aufbau von C—C-Bindungen. Sie führt zu äthinylsubstituierten Alkoholen und wird deshalb Äthinylierung genannt: OH LÄthinyl-carbinol ( = Propargyl-alkohol)
OH +H,C = 0
H
_
C
_
C
_
H
+2H.C = 0
(
OH
H , I - F E C - I H
A
Butin-dlol-1,4
Ohne Katalysatoren, als welche hauptsächlich Schwermetallacetylenide in Anwendung kommen, lassen sich die gleichen Synthesen nur im Sinne von G E I G N A R D reaktionen (S. 264) durchführen, d. h. man muß das Acetylen durch die teureren LeichtmetaUacetylenide, die nunmehr natürlich in stöchiometrischen Mengen benötigt werden, ersetzen. Acetylen (Äthin) HC = CH, das Anfangsglied der Reihe, ist ein technisches Großprodukt und wird durch Hydrolyse von Calciumcarbid, durch thermische Zersetzung von Kohlenwasserstoffen im Kohlelichtbogen oder schließlich auch durch partielle Verbrennung von Methan bei hohen Temperaturen gewonnen. Die letzteren beiden Reaktionen sind möglich, weil Acetylen sehr stark endotherm ist und seine Bildung infolgedessen auf Grund des Prinzips von L E C H A T E L I E R (vgl. anorgan. Lehr-
Kap. 2, I I I : Die aromatischen Kohlenwasserstoffe
55
bücher) gerade bei sehr hohen Temperaturen, wenn sich andere organische Verbindungen bereits vollständig zersetzen, besonders begünstigt wird. Aus dem gleichen Grunde gehört Acetylen zu den wenigen organischen Verbindungen, die in Sternatmosphären nachgewiesen wurden. Als Folge seiner stark endothermen Natur — die Bildungswärme aus den Elementen beträgt + 56 kcal/Mol, ist also mit der Wärmetönung der Knaügasreaktion (—58 kcal/Mol Wasser) vergleichbar! — zersetzt sich Acetylen, leicht unter schweren Explosionen in die Elemente. Für seine technische Handhabung ist es deshalb von großer Bedeutung, daß es von Aceton unter nur geringem Überdruck zu 50% igen, noch völlig explosionsbeständigen Lösungen aufgenommen wird. Diese kommen unter dem Namen DlSSOUS-Ga« in den Handel und werden heute allgemein an Stelle des gefährlichen verflüssigten Acetylens verwandt. Eine weitere Folge seines endothermen Charakters ist die sehr hohe Verbrennungswärme des Acetylens, denn bei der Oxydation wird der hohe Energieinhalt der Verbindung zusätzlich freigesetzt. Acetylen liefert daher sehr heiße Flammen, was für seine wichtigste Verwendung als Leuchtgas und als Brennstoff f ü r die autogene Schweißung von Bedeutung ist.
Für den Organiker interessanter ist seine chemische Weiterverarbeitung, die auf den angezeigten Wegen der Vinylierung, Carbonylierung und Äthinylierung zu einer großen Zahl von organischen Verbindungen führt. Acetylen war deshalb zeitweilig das wichtigste Einfallstor zur technischen Gewinnung aliphatischer Verbindungen. (Eine ausführliche Zusammenstellung der hier gegebenen technischen Möglichkeiten findet sich auf Tafel I am Ende des Buches.) Heute ist es jedoch wegen seines hohen Preises (ebenfalls als Folge der zu seiner Darstellung erforderlichen hohen Energiezufuhr) vielfach schon wieder von dieser Spitzenposition verdrängt. Besonders vom Äthylen und Äthylalkohol aus sind viele der in Tafel I angeführten Stoffe billiger herzustellen (z. B. Acetaldehyd [S. 105] und damit alle dessen Folgeprodukte). Desgl. gewinnt man Butadien seit einigen Jahren billiger aus n-Butan (vgl. S. 50). Bez. der sehr interessanten Polyacetylene vgl. I, Kap. 2, II, 4.
III. Die aromatischen. Kohlenwasserstoffe 1. Die Grundlagen der Benzolchemie Wie auf S. 29 definiert, ist die Grundverbindung aller aromatischer Substanzen das Benzol, ein sechsgliedriger Ringkohlenwasserstoff mit drei konjugierten Doppelbindungen, dem A. KEKUL£ schon im Jahre 1865 eine der beiden gleichwertigen Strukturformeln I oder II zuerteilte: H .c H /
H a
H \ H
H =CS
HC
CH
V H
H
I und I I können schon durch Wanderung der Doppelbindungen (d. h., da die Bindungen aus Elektronen bestehen, durch Elektronenverschiebungen) ineinander übergehen, ohne daß eines der zwölf Atome dadurch seine Lage zu ändern braucht. Wie wir später (S. 336 f.) sehen werden, beobachtet man bei allen Substanzen, bei denen dieses möglich ist, eine besonders enge Wechselwirkung zwischen den beteiligten Bindungselektronen, die Mesomerie genannt wird und im Falle des Ben-
Kap. 2, I I I : Die aromatischen Kohlenwasserstoffe
56
zols mit einer Energieabgabe von 36 kcal/Mol verbunden ist. Diese durch die Mesomerie bedingte Aromatisierungsenergie, die mehr als die halbe Wärmetönung der Knallgasreaktion von —58 kcal/ Mol Wasser beträgt (!), stabilisiert das Molekül derart, daß alle normalen Olefinreaktionen unterdrückt werden und das Benzol seinen eigenen chemischen Charakter, eben das typisch aromatische Verhalten, zeigt.
I
l n dieser Aromatisierungsenergie ist also die Hauptursache dafür zu sehen, daß man die Benzolderivate als aromatische Kohlenwasserstoffe von den Olefinen und Acetylenen als aliphatischen Kohlenwasserstoffen abgrenzt.
Die Isomerieverhältnisse der Substitutionsprodukte des Benzols sind wegen der hohen Symmetrie des Sechsrings, der meistens Benzolkern oder kurz Kern genannt wird, wesentlich einfacher als die der n-Hexanderivate (als Ver< \
ci. f
Ck
/Cl
y—Cl
er gym-Trlchlorbenzol
as-Trichlorbenzol
vlc-Trlchorbenzol
Man kann also aus der Zahl der Trisubstitutionsprodukte, die aus einem disubstituierten Benzol bei der Einführung eines (beliebigen) dritten Substituenten entstehen, eindeutig rückwärts auf die gegenseitige Stellung der Substituenten in der Ausgangsverbindung schließen. Die Benennung der Benzolderivate erfolgt in besonders reichlichem Maße durch Trivialnamen (vgl. Tabelle 4, S. 64). Für die rationellen Namen verwendet m a n die gleichen Prinzipien wie in der aliphatischen Reihe, indem m a n das Benzol selbst als Grundverbindimg wählt u n d alle seine Derivate als dessen Substitutionsprodukte benennt (z.B. Äthyl-benzol, Hexamethyl-benzol usw.). Sofern der Benzolkern sich in der Seitenkette befindet, sind wieder eine Reihe v o n Radikalnamen in Gebrauch, die bis auf die gemeinsame Endung -yl in allen praktisch wichtigen Fällen ebenfalls reine Trivialnamen sind:
59
1 : Die Anlagerungsreaktionen dea Benzols y~CH3 Phenyl-
BenzyL-
C
H
o-Tolyl-
a
—
^
—
C
H
p-Tolyl-
=
CH—CH 2 —
Clnnamyl-
Als Gruppennamen für einen aromatischen Rest schlechthin, dessen Bindung von einem Kernatom ausgeht, dient schließlich der dem Ausdruck Alkyl der aliphatischen Reihe nachgebildete Namen Aryl. Die chemischen Reaktionen des Benzolkeras sind ausschließlich Doppelbindungsreaktionen, die jedoch als Folge der erwähnten großen Aromatisierungsenergie weitgehend von denen der Olefine und Polyolefine abweichen. Man unterscheidet zwischen 1. den Additions- und 2. den Substitutionsreaktionen des Benzolsystems: Zu 1. Bei jeder Anlagerang zweier beliebiger Addenden an eine der Doppelbindungen des Benzolkerns (z. B. zu I) wird die cyclische Konjugation zwischen den drei Doppelbindungen und damit die Aromatisierung aufgehoben. Diese Reaktion muß also um ca. 36 kcal/Mol weniger Energie liefern als eine normale Olefinaddition und wird infolgedessen endotherm. Normale Additionsreaktionen an den Benzolkern können deshalb nur in wenigen Fällen durchgeführt werden. Hat eine derartige Anlagerung aber einmal stattgefunden, so ist schon das Primärprodukt (z. B. I) nicht mehr aromatisch und lagert an sein sehr aktives konjugiertes Doppelbindungssystem rascher weitere Addenden an (unter Bildung von I I und III), als es selbst aus Benzol nachgebildet wird. D. h. man kann die Additionsreaktionen meistens nicht auf der ersten Stufe unterbrechen, sondern sie verlaufen sofort weiter bis zur gesättigten Verbindung (in unserem Beispiel bis zum Cyclohexan, III) : \
/
-
(endotherm und langsam)
_
( / ~ \ ) ^ \
/
j
I
+H
-
(exotherm und rasch)
> f/~'\) y^
/
j
II
(exotherm und rasch)
>
\
/ III
Praktisch durchführbar ist vor allem die soeben formulierte katalytische Hydrierung. Sie erfordert etwas energischere Bedingungen (erhöhte Temperaturen oder aktivere Katalysatoren) als die Olefinhydrierung, so daß es immer möglich ist, olefinische Doppelbindungen unter Intaktlassung des Benzolkerna zu hydrieren. Wesentlich schwieriger geht bereits die Addition von Chlor oder Brom zu den Hexahalogen-cyclohexanen vor sich. Sie gelingt nur oberhalb 100° und unter der aktivierenden Wirkung von Sonnen- oder UV-Bestrahlung, verläuft also über die freien Halogenatome (vgl. S. 36). Schließlich findet auch mit Ozon eine normale Reaktion statt. Hierbei bildet sich unter Abbau sämtlicher Doppelbindungen das Ozonid IV, das bei der Hydrolyse in drei Moleküle Glyoxal übergeht und dadurch für die Konstitution des Benzols beweisend ist:
0
++ 33 Q0 | % /
->
A B \ ? I HC
H
yò
l\ xch o
I \ \ / yO
•CH
+SHO '°-
+ ä H
H H 3 0=C—C=0 Glyoxal
+
3H,0,
Kap. 2, I I I : Die aromatischen Kohlenwasserstoffe
60
Z u 2. Die aromatische Substitution b e r u h t wie die P a r a f f i n s u b s t i t u t i o n (S. 36) f o r m a l auf d e m A u s t a u s c h eines a n Kohlenstoff g e b u n d e n H-Atoms gegen a n d e r e einwertige Reste. Sie g e h t jedoch n a c h einem gänzlich a n d e r e n Mechanism u s vor sich u n d stellt eine der Addition v e r w a n d t e Doppelbindungsreaktion dar. Beispielsweise erfolgt die Halogenanlagerung an eine C=C-Doppelbindung meistens unter ionogener Aufspaltung des Hal2-Moleküls in zwei mehr oder weniger deutlich voneinander getrennten Stufen (Näheres vgl. II, Kap. 4, II, 3 a a), und es bildet sich zunächst das Zwischenprodukt V. Dieses hat nun aber zwei Möglichkeiten der Weiterreaktion: a) das Haf-Anion füllt mit einem seiner einsamen Elektronenpaare die Oktettlücke des positiv geladenen C-Atoms aus. Dies ist bei der Addition der Fall, b) Das Halogen-Ion spaltet das am chlorierten Kohlenstoff befindlichen H-Atom als Proton ab, und dessen ursprüngliches Bindungselektronenpaar stellt wieder eine Doppelbindung her, so daß in summa eine Substitution stattgefunden hat: b...
Hai Reaktion a
Hx
>C=C
4. K a p i t e l
Die einfachen organischen Sauerstoffverbindungen Die Eigenschaften der organischen Sauerstoffverbindungen hängen in starkem Maße davon ab, wieviel Valenzen eines C-Atoms jeweils an Sauerstoff gebunden sind. Man unterteilt sie infolgedessen in die folgenden vier Substanzklassen: 1. die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate mit oxydativ einwertigem Kohlenstoff. In ihnen liegt nur eine G—O-Bindung vor, und als zweiter Ligand des Sauerstoffs fungiert im einfachsten Fall ein H-Atom. D. h. wir kommen, wie schon der Name Hydroxy- sagt, zu hydroxylgruppenhaltigen Stoffen als Grundverbindungen, von denen sich alle anderen Substanzen dieser Reihe durch Ersatz des Hydroxylwasserstoffs durch andere Atome bzw. Atomgruppen als Derivate ableiten. 2. die Oxoverbindungen und ihre Derivate mit oxydativ zweiwertigem Kohlenstoff. Hier liegen bereits zwei G—O-Bindungen vor, so daß die Grundverbindungen die Carbonylgruppe C = 0 enthalten. In den Derivaten wird der doppelt gebundene Sauerstoff dann entweder durch einwertige Sauerstoffreste (z. B. zwei —OR- oder —OAc-Gruppen) ersetzt oder, wenn man den Begriff etwas weiter faßt, auch durch andere negative Reste (z. B. = N — R , (—SR)2 usw.). 3. die Carbonsäuren und ihre Derivate mit oxydativ dreiwertigem Kohlenstoff. OH 1 von Hier ist die einfachste Grundfunktion die Carboxylgruppe — Derivate wiederum durch Ersatz sowohl der OH-Gruppe als auch des Carbonylsauerstoffs durch andere sauerstoffhaltige Reste (—OMe, —OAc, —OR usw.) oder im erweiterten Sinne durch sonstige negative Atome bzw. Atomgruppen (z. B. —Hai, —NH 2 , = N USW.) ableiten. 4. die Kohlensäure und ihre Derivate mit oxydativ vierwertigem
Kohlenstoff.
Bei den Derivaten der Oxoverbindungen, der Carbonsäuren und auch der Kohlensäure trifft man danach vielfach Verbindungen an, in denen statt des Sauerstoffs andere Heteroatome an den Kohlenstoff gebunden sind, die also streng genommen organische Derivate dieser Heteroelemente darstellen. Da sie aber meisten durch einfache hydrolytische Spaltungareaktionen in die entsprechenden Sauerstoffverbindungen übergeführt werden können, aus denen sie auch leicht wieder rückwärts entstehen, faßt man sie allgemein mit diesen zu einer Verbindungsidasse zusammen und definiert sie als Derivate der Sauerstoffverbindungen. Substanzen mit der Gruppe —CO—C1 zählt man also nicht mehr zu den organischen Halogenverbindungen sondern zu den Sauerstoffverbindungen, und zwar sind sie speziell Carbonsäure-chloride.
76
Kap. 4 , 1 : Die HydroxyVerbindungen und ihre Derivate
I. Die Hydroxyverbindungen 1 ) und ihre Derivate Ahnlich wie bei den Habgenverbindungen beobachtet man auch bei den Hydroxyverbindungen ein verschiedenartiges Verhalten, wenn die OH-Gruppe an einem paraffinischen, olefinischen oder aromatischen C-Atom steht. Man unterscheidet deshalb zwischen den drei Untergruppen der Alkohole, Enole und Phenole als voneinander unabhängigen Substanzklassen. 1. Die Alkohole und ihre Derivate a) Allgemeines Alkohole sind Verbindungen, die eine Hydroxylgruppe an einem paraffinartigen C-Atom enthalten. Daneben können sich (wie bei den Alkylhalogeniden, S. 68) in den entfernteren Molekülteilen auch Mehrfachbindungen, aromatische Reste oder Halogenatome befinden, so daß sich eine weitere Unterteilung in die gesättigten, ungesättigten und aromatischen Alkohole sowie die Halogenalkohole ergibt. Auch von der Carburierungsstufe der Alkohole ab.
des hydroxylierten C-Atoms hängen einige Eigenschaften
Man spricht daher weiterhin von primären, sekundären und tertiären Alkoholen, denen sich als Anfangsglied der Reihe noch der nulläre Methylalkohol zugesellt: CH 3 —OH
R—CH 2 —OH
miliarer
primärer
Rv R Alkohol
)CH—OH
sekundärer
Doch werden diese Abarten im allgemeinen nicht mehr als selbständige trachtet und haben deshalb auch keine eigenen Namen erhalten.
R-^ ) Ci — O H
TU
R
tertiärer
Verbindungsklassen
be-
Die uns zunächst interessierenden gesättigten Alkohole leiten sich auf Grund dieser Definition von den Paraffinen durch Ersatz eines H-Atoms durch eine Hydroxylgruppe ab. Sie besitzen also die Summenformel C n H 2 n + 20, die man auch in der Form C n H 2n + iOH schreiben kann. Die letztere Möglichkeit läßt bereits die Sonderstellung eines H-Atoms erkennen, das sich als OH-Wasserstoff von dem paraffinischen GH-Wasserstoff grundsätzlich unterscheidet und zu den auf S. 78f. beschriebenen Reaktionen befähigt ist. Die Benennung der Alkohole geschieht nach verschiedenen Prinzipien. Meistens hängt man den Gruppennamen Alkohol als Endung an den Namen des die OHGruppe tragenden Alkylrestes an (z. B. Methyl-alkohol H3C—OH, Isopropyl-alkohol [CH3]2CH—OH usw.). Die Genfer Nomenklatur charakterisiert die Hydroxyverbindungen dagegen durch die Endung -ol, die an den vollen Namen des zugrundeliegenden Kohlenwasserstoffs gehängt wird, so daß sich bei den von den Paraffinen abgeleiteten Alkoholen die Gesamtendung -anol ergibt (z. B. Methanol [ = Methylalkohol], Propanol-2 [ = Isopropylalkohol] usw.). Diese zweite Benennungsart wird in neuerer Zeit in der Praxis bevorzugt, um bei Nichtfachleuten eine Verwechslung anderer Alkohole mit dem Äthylalkohol zu vermeiden. Z. B. wird bei dem Namen Methanol niemand auf den Gedanken eines trinkbaren Alkohols kommen. Bis zum Jahre 1950 in Deutschland allgemein Oxyverbindungen genannt.
1 a: Die Darstellung von Alkoholen
77
Auch die Namen Hydroxy-methan für den Methyl- und 2-Hydroxy-propan für den Isopropylalkohol sind an sieh exakt. Von dieser Benennungsmöglichkeit wird aber in der Praxis nur zur Kennzeichnung von Hydroxylgruppen in Verbindungen Gebrauch gemacht, in denen die Alkoholnatur nur eine Nebenfunktion darstellt (wie etwa in der ß-IIydroxy-biUtersäure, S. 192). Ein letzter Nomenklaturvorschlag geht schließlich von dem veralteten Namen Carbinol für das Methanol aus und definiert alle übrigen Alkohole als substituierte Carbinole. Danach wäre der oben erwähnte Isopropylalkohol ein Dimethyl-carbinol. Diese Bezeichnungsart ist besonders bei regelmäßig aufgebauten tertiären Alkoholen, wie etwa dem auf S. 83 erwähnten Triphenyl-carbinol, gebräuchlich. Auch spricht man häufig vom Carbinolkohlenstoff, wenn man das hydroxylierte C-Atom, hervorheben will.
Vorkommen. In den Alkoholen begegnen wir der ersten Gruppe von organischen Substanzen, die in größerem Umfang in der belebten Natur auftreten. Vor allem der Äthylalkohol, aber auch einige andere niedere Alkohole sind als Gärungsprodukte der Kohlenhydrate leicht zugängliche Verbindungen, die bis vor kurzem ausschließlich auf diesem Wege gewonnen wurden. Weitere Alkohole, wie z. B. die Wachsalkohole (S. 450), trifft man nur in Form ihrer Ester natürlich an, und schließlich gibt es noch eine Reihe von Naturstoffen der Alkoholreihe, wie die Hydroxy-carbonsäuren (S. 180f.) oder die Kohlenhydrate (S. 421 f.), in denen die OH-Gruppe neben anderen Funktionen im Molekül enthalten ist, so daß sie nicht mehr zu den Alkoholen im engeren Sinne gehören. Die Darstellung der niederen Alkohole geschieht vielfach nach Spezialverfahren. Daneben kommen als allgemein anwendbare Methoden in Betracht: 1. die schon beschriebene Wasseranlagerung an Olefine (S. 44), die neuerdings sogar für die technische Äthylalkoholgewinnung von Bedeutung geworden ist. Sie führt nach der Regel von M a r k o w n i k o w bei allen höheren Olefinen nur zu den sekundären oder gar tertiären Alkoholen, die infolgedessen oft leichter zugänglich sind als die primären Alkohole. (Vgl. z. B. Isopropanol und tert.-Butanol, S. 82). 2. die Esterhydrolyse (Näheres vgl. S. 86), die praktisch allerdings nur zur Alkoholdarstellung aus natürlich vorkommenden Estern dient, da man die Ester meistens umgekehrt aus den Alkoholen gewinnt. 3. die ebenfalls bereits beschriebene Hydrolyse von Alkylhalogeniden (S. 70). Auch sie ist nur von geringer praktischer Bedeutung, weil einerseits ihr Anwendungsbereich durch die konkurrierende Eliminierungsreaktion (S. 40) stark eingeschränkt ist, andererseits meistens wiederum die Gegenreaktion, die Darstellung der Alkylhalogenide aus den Alkoholen (S. 69), in der Praxis bevorzugt wird. 4. die Hydrolyse der aliphatischen Amine (S. 198). Sie kann im allgemeinen nur oberhalb 300° mit den bekannten Dehydratisierungskatalysatoren (S. 40) durchgeführt werden, ist aber ebenfalls z. T. von einer Olefinbildung als Konkurrenzreaktion begleitet:
R—CH2—CH—NH,2
AI,O a , H , 0 > 300°
c
R — CH2— CHj—OH R — C H = CHj
+
H20
+
NH3
Um so wichtiger ist der schon bei tiefer Temperatur vor sich gehende indirekte Austausch der Amino- gegen die Hydroxylgruppe bei der Einwirkung von salpetriger Säure (Näheres bez. des Mechanismus vgl. S. 223). Auch hier beobachtet man die Bildung von Olef inen als Konkurrenzreaktion: R—CH2—CHa—OH R—CH=CH
2
+
HaO
Kap. 4 , 1 : Die HydroxyVerbindungen und ihre Derivate
78
5. Schließlich kann man noch die höher oxydierten Kohlenstoffverbindungen (Oxoverbindungen, Carbonsäuren und ihre Derivate) bis zur Alkoholstufe reduzieren (Näheres vgl. S. 100, 109, 124, 130). In den physikalischen Eigenschaften der Alkohole treten erstmals größere Abweichungen von denen der Kohlenwasserstoffe auf. Wie Tabelle 6 erkennen läßt, sind besonders die Siedepunkte in Anbetracht des relativ niedrigen Molekulargewichts sehr hoch, was auf die schon vom Wasser her bekannte starke Assoziationstendenz der Hydroxylgruppe (H-Brückenbildung, vgl. S. 357) zurückzuführen ist. Dagegen liegen die Schmelzpunkte wie bei den Kohlenwasserstoffen ziemlich tief, so daß die wichtigeren niederen Alkohole bei Normaltemperatur sämtlich Flüssigkeiten sind.
Tabelle 6 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n einiger Alkohole Trivialname
Genf. Nomenklatur
Sdp. 65° 78 97 82
Smp.
D/Temp.
— 97° —114 —126 — 90
0,792/20° 0,789/20 0,804/20 0,788/16
Methylalkohol Äthylalkohol Propylalkohol Isopropylalkohol
Methanol Äthanol Propanol-1 Propanol-2
n-Butylalkohol Isobutylalkohol tert. -Butylalkohol
n-Butanol-1 2-Methyl-propanol-1 2-Methyl-propanol-2
117 108 83
— 80 —108 + 25
0,810/20 0,805/10 0,789/20
n-Amylalkohol Gärungsamyl- "1 aktiv alkohol j inaktiv Amylenhydrat
n-Pentanol-1 2-Methylbutanol-1 3-Methyl-butanol-1 2-Methyl-butanol-2
138 128 131 102
— 79
0,787/15 0,815/25 0,813/20 0,807/25
— —
—
8
Auch die LösungsverhSltnisse werden durch die Hydroxylgruppe, entscheidend beeinflußt. Hier begegnen wir erstmals hydrophilen (d. h. wasserlöslichen) Substanzen, und zwar reicht die Solvatationskraft der OH-Gruppe aus, um Alkohole mit bis zu drei (im Fall des tert.-Butanola sogar vier) C-Atomen in jedem Verhältnis in Wasser zu lösen. Vom n-Butanol ab geht die Löslichkeit in Wasser jedoch immer mehr zurück und ist etwa beim Decanol (10 C-Atome) wegen des Überwiegens des hydrophoben Alkylrestes vollständig verschwunden. Neben diesen hydrophilen zeigen die Alkohole aber auch lipophile Eigenschaften. Z. B. sind sie in wasserfreiem Zustand sämtlich mit Kohlenwasserstoffen unbegrenzt mischbar (vgl. auch S. 360).
Das chemische Verhalten der Alkohole wird ausschließlich durch die Hydroxylgruppe bedingt, die in jeder Beziehung mit der Hydroxylgruppe des Wassers verglichen werden kann. Im einzelnen unterscheidet man die folgenden sechs Reaktionsmöglichkeiten: 1. Der Hydroxylwasserstoff läßt sich durch Metalle oder andere anorganische und auch organische Reste ersetzen. Hierbei kommt man zu den auf S. 84 f. ausführlich beschriebenen Alkoholderivaten. 2. Der Hydroxylsauerstoff ist zur Komplexbildung befähigt. Z. B. entstehen mit Zinkchlorid stark saure Komplexe der Struktur I, die in Lösung fast vollständig ionisiert sind (zu II):
79
1 a: Alkoholreaktionen
_X
Alk—0( 2R—OH -f
ZnCl2
/C1
Alk—0 Ameisensäure-methylester
Formaldehyd + Harnstoff
— H,0
Kunststoffe
J
+O
Propargylalkohol, Butindiol, Butadien, Buna usw.
Ameisensäure
(vgl. Tafel I)
Methanol wirkt auf den Organismus stärker berauschend als Äthylalkohol, ist aber im Gegensatz zu diesem ein zwar nicht sehr starkes, doch sehr gefährliches Gift (tödliche Dosis etwa 25 g), da auch bei Aufnahme noch nicht tödlich wirkender Mengen häufig schwere Dauerschäden, insbesondere Erblindung, eintreten. Selbst das Einatmen der Dämpfe ist auf die Dauer schädlich. Äthylalkohol (Äthanol) C 2 H 5 —OH, meistens Alkohol schlechthin, Weingeist oder Spiritus g e n a n n t , ist eine d e r a m l ä n g s t e n b e k a n n t e n organischen V e r b i n d u n g e n ü b e r h a u p t . W e d e r der freie Alkohol, n o c h seine D e r i v a t e k o m m e n in n e n n e n s w e r t e m U m f a n g in der N a t u r vor, d o c h e n t s t e h t er als biochemisches A b b a u p r o d u k t d e r Kohlenhydrate (insbesondere d e r Olucose) bei d e r e n Vergärung m i t Hefe. Diese alkoholische Gärung ist die älteste für die Darstellung einer reinen Verbindung ausgewertete biochemische Reaktion. Sie stellt auch heute noch das wichtigste technische Alkoholgewinnungsverfahren dar, weil die Möglichkeit besteht, außer der teuren reinen Olucose auch die wesentlich billigere Stärke und den bei der Holzverzuckerung anfallenden billigen Holzzucker der Reaktion zu unterwerfen. Formal verläuft die Gärung nach der folgenden summarischen Gleichung (Näheres bez. des Mechanismus vgl. III, Kap. 8 III, 2 c « ) : C„H 12 0 6
•
2 C 2 H 6 OH +
2 C0 2
Danach wird also günstigstenfalls nur die Hälfte des Gewichtes der Glucose in Alkohol übergeführt, doch enthält dieser zwei Drittel der C-Atome und, was für seine Verwendung als Brennstoff wichtig ist, sämtliche Reduktionsäquivalente der ursprünglichen Glucose, so daß der Gärungsprozeß wohl mit einem gewissen Substanzverlust, jedoch mit keinem wesentlichen Energieverlust verbunden ist. N e b e n der alkoholischen G ä r u n g h a t in n e u e r e r Zeit a u c h die schon e r w ä h n t e Wasseraddition an Äthylen (S. 47) p r a k t i s c h e A n w e n d u n g z u r Alkoholherstellung gefunden. Alkohol bildet m i t W a s s e r ein azeotropes (d. h . konstant siedendes) Gemisch v o n 9 5 , 5 % Alkohol u n d 4 , 5 % W a s s e r . E r k a n n d e s h a l b d u r c h f r a k t i o n i e r t e Destillation n i c h t vollständig e n t w ä s s e r t w e r d e n . 6
K l a g es, Einfahrung org. Chemie
82
Kap. 4 , 1 : Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate
Zur Darstellung eines völlig wasserfreien (sog. absoluten) Alkohols muß man infolgedessen entweder wasserentziehende Mittel verwenden, die jedoch mit dem Alkohol nicht reagieren dürfen (am bekanntesten ist die Destillation über gebrannten Kalk, die etwa 99,8%igen Alkohol liefert), oder aber die fraktionierte Destillation in Gegenwart von Benzol oder Tetrachlorkohlenstoff vornehmen, die nicht mit Wasser mischbar sind und dadurch die Abtrennung des Wassers vom Alkohol erleichtern. Näheres über diese und andere Verfahren zur Alkoholentwässerung vgl. I, Kap. 4, I, 1 b. Die bekannteste Eigenschaft des Alkohols ist seine berauschende Wirkung, die mit keiner nennenswerten Giftigkeit verbunden ist u n d ihn daher zu einem der wichtigsten Genußmittel macht. Für den Chemiker interessanter ist die chemische Weiterverarbeitung des Alkohols zu Äther (S. 89), zahlreichen Estern u n d vor allem zu Acetaldehyd (S. 105), v o n dem aus dann alle in Tafel I angeführten Folgeprodukte zugänglich sind. III Hl
Für die Gewinnung dieser Stoffe ist also der Äthylalkohol ein des Acetylens als Einfallstor in die aliphatische Chemie.
Konkurrent
Von den mittleren Alkoholen sind Isopropanol (Isopropylalkohol) (CH3)2CH—OH, Butanol-2 (sek. Butylallcohol) H3C—CH(OH)—C2H6 und tert.-Butanol (tert.-Butylalkohol, Trimethylcarbinol) (CH3)3C—OH von praktischer Bedeutung als Lösungsmittel und als Ausgangssubstanzen zur Darstellung anderer Verbindungen (z. B. ihrer Essigester). Sie werden durch Wasseranlagerung an die entsprechenden Olef ine (Propen, die verschiedenen n-Butene und Isobuten) synthetisiert. n-Butanol-1 (meistens kurz Butanol oder Butylalkohol genannt) C 4 H 9 —OH kann wieder biochemisch durch einen speziellen Gärungsprozeß gewonnen werden. Es dient ebenfalls als Lösungsmittel. Von den acht isomeren Pentanolen (mit fünf C-Atomen), die auch Amylalkohole genannt werden, treten die beiden Isoverbindungen I und I I :
3-Methyl-butanol-l
2-Methyl-butanol-l II
I 1
als Nebenprodukte der alkoholischen Gärung in den Fuselölen ) auf. Ihre Mischling wird Gärnngsamylalkohol genannt. Er war früher von einer gewissen praktischen Bedeutung als leicht zugänglicher mittlerer Alkohol, bis er durch die oben angeführten synthetischen Alkohole verdrängt wurde. In I I begegnen wir der ersten Verbindung mit einem asymmetrischen C-Atom. Von ihr existieren also zwei optische Antipoden, von denen der linksdrehende im Gärungsalkohol enthalten ist. Als wichtigste ungesättigte Alkohole seien der Allylalkohol H 2 C = C H — C H 2 — O H und der Propargylalkohol H C ^ C — C H 2 — O H erwähnt, v o n denen wir den letzteren bereits als Anlagerungsprodukt des Acetylens an Formaldehyd kennengelernt haben (S. 54). Die höheren Homologen des Allylalkohols erleiden in Gegenwart v o n Schwefelsäure die interessante u n d auch präparativ häufig ausgewertete Allylumlagerung, bei der die Doppelbindung und die Hydroxylgruppe ihre Plätze tauschen (vgl. z. B. S. 451/2): Unter Fuselöl wird eine Gruppe von höher siedenden, noch mit Wasserdampf flüchtigen und mit Wasser nicht mehr mischbaren Alkoholen verstanden, die beim anaeroben (d. h. unter Luftabschluß erfolgenden) Abbau der Eiweiß-Aminosäuren des Vergärungsgutes und der Hefe entstehen. Sie reichern sich im Nachlauf der eigentlichen Alkoholdestillation an, destillieren aber bereits mit den ersten Anteilen des Wassers über und sind daher in schlechten Schnäpsen (Fusel) enthalten, deren schädliche Nachwirkung sie durch ihre Giftigkeit bewirken. Zu ihnen gehört außer den beiden Oärungsamylalkoholen u. a. auch das Isobutanol (CH3)aCH—CH2—OH, dessen Gewinnung aus dem Fuselöl sich jedoch nicht lohnt.
1 b : aromatische Alkohole, Halogenalkohole OH
83
OH
|
R— C H = C H — CH—R'
H,SO.
I
^
R—CH—CH=CH—R'
Der einfachste aromatische Alkohol ist der Benzylalkohol C 6 H 6 —OH, der in freiem Zustand und verestert in geringen Mengen in der Natur auftritt und in der Biechstoffindustrie Verwendung findet. Chemisch zeigt er keine Besonderheiten. Erat wenn man das Carbinol-C-Atom stärker aryliert, beobachtet man wie bei den aromatischen AIkylhalogeniden (S. 71) eine aktivierende Wirkung der Benzolkerne. Im Benzhydrol (C 8 H 6 ) 2 CH—OH und vor allem imTriphenylcarbinol (C„H6)3C—OH läßt sich daher die Hydroxylgruppe viel leichter als in den gesättigten Alkoholen substituieren. Z. B. liefert Triphenylcarbinol schon mit verdünnten Lösungen der Halogenwasserstoffe in Eisessig quantitativ und praktisch momentan die Tritylhalogenide.
Die wichtigsten Halogenalkohole sind die allgemein Halogenhydrine genannten 1,2- oder ß--Halogenalkohole, die man durch Anlagerung von Halogenwasserstoffen an Olefinoxyde (S. 157) oder von unterhalogenigen Säuren an Olefine (S. 44) sowie schließlich durch partielle Halogenierung von Glykolen mit Halogenwasserstoffen (S. 154) gewinnt: CH AX I )o CH/
, +
H—C1
Athylen-oxyd
>
Cl—CH,—CH,—OH
CH 2 =CH 2
„ ' T"TO L
HO-CH2-CH2-OH
Äthylen- oder Glykol-chlorhydrln
Äthylen-glykol
Sie dienen als Alkylierungsmittel, um einen hydroxylhaltigen Älkylrest Moleküle einzuführen, d . h . ß-substituierte Alkohole darzustellen: + Na-SH
nxx
qjj
+
in andere
•• H,N—CH,—CH,—OH
-NaCl ¿ff-Mercapto-äthylalkohol
/?-Amino-äthylalkohol
Auch Derivate der Hydroxylgruppe sind bekannt. Als Beispiele seien die Natriumalkoholate angeführt, die sofort unter innermolekularer Alkylierung des Sauerstoffs Ringschluß zu cyclischen Äthern erleiden (vgl. auch S. 156): CH 2 —CH 2 CH,—CH 2 OiNa ¿1
i
Natrlum-Sthylen-chlorhydrin
cit> CH 2
,
0
0;Na
Äthylenoxyd
Cir,2 CH
CH 2 —CH,
— C ¿ H • — H
xr
¿1
Natrium- 0-chlor-butanolat
CI CH 2
2
Tetrahydrofuran
Einige Polfhalogen-alkohole haben pharmazeutische Bedeutung erlangt. Trichlor-äthylalkohol C13C—CH2—OH ist als biochemisches Reduktionsprodukt des Chlorais (S. 107) vermutlich die eigentliche aktive Substanz bei dessen Verwendung als Hypnotikum. Der analoge Tribrom-äthylalkohol Br3C—CH2—OH wird technisch durch Reduktion von Bromal (S. 107) gewonnen und dient unter dem Decknamen Avertin als Basisnarkotikum. Auch das durch Anlagerung von Chloroform an Aceton in Gegenwart von Alkali entstehende Chloreton: CH 3 X
;C c == o0 +
H—CC1 H—cci,3
CH/ ist ein Hypnotikum und Anästhetikum. 6»
g0H
— ^>
I "
ci C1ac—c—< 3 C—C—OH ¿H.
Chloreton
84
Kap. 4, I : Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate
c) Die A l k o h o l d e r i v a t e I n den wichtigsten Alkoholderivaten ist der Hydroxylwasserstoff durch andere Atome oder Atomgruppen ersetzt. Man unterscheidet: a) die Metallalkoholate, in denen das O-Atom an Metall gebunden, b) die Ester, in denen es mit einem Säurerest, und c) die Äther, in denen es mit einer zweiten Alkylgruppe verknüpft ist.
I
a) Die Metall-alkoholate Ähnlich wie die Metallhydroxyde vom Wasser leiten sich die Metallalkoholate von den Alkoholen durch Ersatz des Hydroxylwasserstoffs durch Metall ab.
Benennung. Man kennzeichnet die Alkoholate wie die salzartigen Verbindungen durch die Endung -at, die an den vollen Namen des Alkohols angehängt wird (z. B. Natrium-methanolat, bzw. allgemein Metall-alkoholate). Bei den alten Alkoholnamen läßt man (nicht ganz korrekt) den Gruppennamen -alkohol- meistens fort und spricht kurz von Natrium-meihylat (statt Natrium-methylalkoholat), Kalium-äthylat usw.
Die Darstellung der Metall-alkoholate geschieht in analoger Weise wie die der Metallhydroxyde durch Auflösen des Metalls in dem betreffenden Alkohol: Alk—OH +
Me
•
Alk—OMe +
]
/2 H 2
Die uns hauptsächlich interessierenden Alkalimetall-alkoholate lassen sich aus den hierbei entstehenden Lösungen nur schwer in Substanz gewinnen, da sie sich stets mit Kristallalkohol abscheiden, der erst unter Bedingungen entfernt werden kann, bei denen z. T. bereits Zersetzung eintritt. Man verarbeitet deshalb meistens die alkoholischen Lösungen direkt weiter. Auch hinsichtlich ihrer Eigenschaften ähneln die Alkalimetall-alkoholate den Alkalimetall-hydroxyden. Vor allem sind sie ebenfalls starke, vollständig ionisierte Basen, die (in gleicher Weise wie die Alkalihydroxyde in Wasser) zur Basenkatalyse von sich in alkoholischem Medium abspielenden Reaktionen verwandt werden. Da die Alkohole und Wasser nahezu die gleiche Acidität besitzen, sind die OH~- undO—Alk Ionen auch annähernd gleich stark basisch. Infolgedessen stellt sich zwischen Wasser, dem betreffenden Alkohol und den zugehörigen Anionen stets ein Oleichgewicht ein: Alk—0" +
H20
—"
Alk—OH +
OH" ,
dessen Lage durch das jeweils im Überschuß vorliegende Reaktionsmedium stark zugunsten von dessen Ionen verschoben wird. In Wasser befinden sich also unabhängig davon, ob man die Metallhydroxyde oder die Alkoholate löst, stets überwiegend die OH -Ionen, während man beim Lösen von Natriumhydroxyd in Alkohol überwiegend O—Alk -Ionen erhält, so daß man auch auf diesem Wege eine (allerdings nicht ganz wasserfreie) Alkoholatlösung gewinnen kann.
ß) Die Ester Ersetzt man den Hydroxylwasserstoff der Alkohole durch den Rest Ac einer Säure Ac—OH, so gelangt man zu den Estern. Diese besitzen also die allgemeine Strukturformel R—0—Ac und stellen damit in gleicher Weise Derivate der Alkohole R—OH und der Säure Ac—OH dar. Ihre Benennung geschieht meistens nach der Säure, indem man entweder deren Namen mit dem des Alkylrestes kombiniert (z. B. Essigsäure-äthylester, C 2 H 6 —0—CO—CH 3 Schwefeleäure-dimethylester (CH 3 0) 2 S0 2 usw.), oder aber den Ester als „Alkylsalz" der betreffenden
lo ß: Die Ester
85
1
Säure ) auffaßt (z. B. Äthyl-aceiat, Dimethylsulfat usw.). Nur in Ausnahmefällen ist daneben auch eine Kennzeichnung als Säurederivat des betreffenden Alkohols gebräuchlich (z. B. Triacetylcdlulose, S. 442).
Die wichtigsten Darstellungsmethoden für Ester sind 1. die direkte Wasserabspaltung zwischen Säure und Alkohol: Alk—0—H +
H—0—Ac
•
Alk—0—Ac +
H20
Sie verläuft bei starken Säuren bei erhöhter Temperatur von selbst und muß bei schwachen Säuren (insbesondere bei Carbonsäuren) durch Säurekatalyse erzwungen werden. Häufig stellt sich nur ein für die Esterbildung relativ ungünstiges Oleichgewicht ein, dessen Lage durch Abfangen des gebildeten Wassers durch Schwefelsäurezusatz (über die an sich erforderliche katalytische Menge hinaus) oder durch Abdestillieren des entstehenden Esters bzw. Wassers zugunsten der Veresterung verschoben werden kann. 2. die schon beschriebene Anlagerung von Säuren an Olefine (S. 44), die wegen der Regel von M A B K O W N I K O W ZU den Estern der sekundären und tertiären Alkohole führt, 3. die Alkylierung der Säuren (bzw. ihrer Salze). Z. B. setzen sich die Silbersalze besonders glatt mit den Alkylhalogeniden zu Estern um: Ac—OMe
+
Hai—Alk
•
Ac—O—Alk +
MeHal
Für die Methylierung der freien Säuren eignet sich vor allem Diazomethan (S. 224).
4. die Acylierung der Alkohole mit Säurechloriden oder anderen Acylierungsmitteln, die man zweckmäßig in basischen Medien (z. B. in Pyridin) zur Bindung der entstehenden Säure durchführt (Näheres vgl. S. 128): Alk - O — H +
Cl- CO—R
Pyridin
.
Alk—O—CO—R +
Pyridin-HCl
Physikalische Eigenschaften. Die Ester sind wegen des Fehlens der assoziierenden Hydroxylgruppe relativ niedrig siedende Substanzen mit geringer Kristallisationsneigung. Die Mehrzahl der einfachen Ester ist daher bei Raumtemperatur flüssig2). In ihren Löslichkeitseigenschaften ähneln sie den Kohlenwasserstoffen und Halogenverbindungen, sind jedoch nicht mehr so stark hydrophob. Insbesondere die niedrigen Glieder der Reihe werden in merklichem Umfang durch Wasser gelöst.
Von den chemischen Umsetzungen der Ester sind vor allem die solvolytischen Spaltungsreaktionen von Interesse, die sowohl an der 0—Alk- als auch an der 0—AcBindung vor sich gehen können. *) Diese Benennungsart ist in erster Linie auf die gleiche formelmäßige Zusammensetzung der Ester und Salze zurückzuführen, darf aber niemals dazu verleiten, auch gleiche Bindungsverhältnisse in beiden Verbindungsklassen anzunehmen, d. h. die Ester wirklich als Salze zu formulieren. Denn im Gegensatz zu den Salzen stehen in den Estern die Alkylreste nicht als Carboniumkationen (S. 335) den Säureanionen gegenüber (Alk + OAc~), sondern sie sind durch echte Atombindungen an das Säure-Anion gebunden (Alk—0—Ac), so daß neutrale Moleküle entstehen. 2 ) Kristallisierte Ester einfacher Alkohole, die häufig zu deren Identifizierung benötigt werden, leiten sich insbesondere von der 3,5-Dinitro-benzoesäure ab.
Kap. 4, I: Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate
86
1. Die solvolytische Spaltung der Alk—0-Bindung, z. B. mit Ammoniak, verläuft nach der Gleichung: Alk;—0—Ac + H:—NH2
•
Alk—NH2 + HO—Ac
Sie kommt also praktisch auf eine Alkylierung des Ammoniaks hinaus und wird deshalb auch alkylierende Spaltung genannt. Ester können demnach analog den Alkylhalogeniden als Alkylierungsmittel dienen. Hierbei gilt die allgemeine Regel, daß die Tendenz eines Esters zur Übertragung des Alkylrestes auf basische Reagenzien der Acidität der veresterten Säure, d. h. der Tendenz zur Übertragung des Protons auf die gleiche basische Verbindung, parallel läuft. Ester starker Säuren (wie z. B. die Dialkylsulfate) sind infolgedessen gute Alkylierungsmittel. 2. Eine solvolytische Spaltung der 0—Ac-Bindung ist nicht allgemein durchführbar, sondern erfolgt (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nur dann, wenn der Acylrest ein doppelt gebundenes O-Atom enthält, wie es bei den Garbonsäure- und Salpetrigsäureestern der Fall ist. Hier kann sich das spaltende Agens intermediär an die C = 0 - bzw. N = 0 - Doppelbindung zu einem Orthosäurederivat anlagern, das dann (neben der an sich auch möglichen Rückreaktion seiner Bildung) in anderer Richtung wieder aufspaltet, so daß sieh eine Substitution an der Acylgruppe ergibt: ,0 XT ,0 R_C/ . + ' R—C—X ~ °~ Alk ^ R-c/ — ix\ \ X 0—Alk OAlk: Carbonsäureestcr
Orthocarbonsäure-Derlvat
Im Endeffekt wird also ein Acylrest auf ein anderes Molekül übertragen, und m a n spricht daher a u c h v o n einer acylierenden
Ester Spaltung,
die zu der großen
Gruppe der Acylierungsreaktionen (S. 127) gehört. Sie verläuft stets viel leichter als die alkylierende Spaltung. Carbonsäure- und Salpetrigsäureester zählen also nicht mehr zu den Alkylierungsmitteln, sondern sind typische Acylierungsmittel. Die wichtigsten solvolytischen Spaltungsreaktionen der Ester sind: a) die Hydrolyse, die allgemein Yerseifung genannt wird (bzgl. der Entstehung des Namens vgl. S. 448) und bei alkylierendem und acylierendem Verlauf zu den gleichen Reaktionsprodukten führt (bez. weiterer Einzelheiten vgl. S. 129) : R—S02—O—Alk + HO—H R—Cf
-Hy^"i"adee-
.0 ^0—Alk + H[
OH
acylierende^ Hydrolyse
R—S02—OH + Alk—OH ,0 R—C f \qH
+
Alk—OH
b) die Aminolyse, die bei der alkylierenden Spaltung (wie bereits formuliert) zu einem Alkylamin und bei der acylierenden Spaltung zu einem Säureamid führt. c) die Alkoholyse, die bei der alkylierenden Spaltung einen Äther und bei der acylierenden Spaltung einen anderen Ester liefert und hier deshalb Umesterung genannt wird :
87
1 e ß : Die Ester anorganischer Säuren Alk—O—S() 2 —R
N)—Alk
i- Hi—O—CH a
+
H—O—CH"3 :
alkylierende Alkoholyae
acyllerende Alkoholyae (Umesterung)
Alk—0—CH 3 +
HO—S02—R
+
HO—Alk
O-CH3
Auch die Umesterung muß durch Säuren, oder Alkalien (als welche in dem alkoholischen Reaktionsmedium natürlich nur die Alkoholate in Betracht kommen, vgl. S. 84) beschleunigt werden.
Einzelverbindungen. Da die Eigenschaften der Ester hauptsächlich durch den zugehörigen Säurerest bedingt sind, beschränkt sich der folgende Überblick zunächst auf die Ester der anorganischen Säuren, während die für den Organiker wichtigeren Carbonsäurester erst später bei den Carbonsäurederivaten behandelt werden (vgl. S. 128 f.). Als Ester der Halogenwasserstoffsäuren können in gewissem Sinne die Alkylhalogenide aufgefaßt werden, doch stellen sie insofern keine echten Ester dar, als sie keinen Brückensauerstoff enthalten und infolgedessen nur Säurederivate aber keine Alkoholderivate (im engeren Sinne) sind. Dies äußerst sich u. a. darin, daß sie keine acylierende sondern nur eine alkylierende Spaltung erleiden können. Auf dieser beruht ihre Verwendung als Alkylierungsmittel.
Von der Schwefelsäure leiten sich zwei Reihen von Estern ab. Ist nur eine der beiden Hydroxylgruppen verestert, so liegen noch echte Säuren der Struktur R—0—S0 2 —OH vor, die Alkylschwefelsäuren genannt werden. Sie sind bei Raumtemperatur gegen Wasser stabil und werden nur durch Alkalien aufgespalten. Oberhalb 100° wirken sie auch schwächer basischen Substanzen gegenüber als Alkylierungsmittel, z. B. entstehen mit Alkoholen deren Äther (S. 88). Technische Bedeutung haben die Schwefelsäurehalbester höherer Alkohole ( > C12) erlangt, da ihre Salze, die sog. Fettalkoholsulfonate, seifenähnliche Eigenschaften aufweisen und als neutrale Waschmittel (z. B. Fewa) Verwendung finden. In den Dialkylsulfaten 0 2 S(0R) 2 sind beide Hydroxylgruppen der Schwefelsäure verestert. Sie sind starke Alkylierungsmittel, die schon in der Kälte langsam durch Wasser zersetzt werden. Praktische Anwendung als solche haben vor allem Dimethylund Diäthylsulfat gefunden. Die Salpetersäureester der einfachen Alkohole haben keine praktische Bedeutung erlangt. Dagegen werden wir später in den Nitraten der Polyallcohole (z. B. Olycerin- [S. 156] und Cdluloae-trinitrat [S. 442]) wertvolle Spreng- und z. T. auch Kunststoffe kennenlernen. Die Ester der salpetrigen Säure entstehen sehr leicht beim bloßen Zusammentreffen der Alkohole mit freier salpetriger Säure bzw. N2O3: Alk—O—H + HO—INO
Alk—O—N=0
Wie erwähnt, erleiden sie bei ihren Reaktionen eine acylierende Spaltung. Äthyl- und auch Amylnitrit werden deshalb präparativ als Nitrosierungsmütel verwandt. In der Pharmazie dient Äthylnitrit C 2 H 6 —O—NO zur Asthmabekämpfimg. Von der Phosphorsäure sind primäre Alk—0—PO(OH) 2 , sekundäre (AlkO) 2 PO—OH und tertiäre Ester (AlkO) 3 PO bekannt. Die primären Ester sind ziemlich hydrolysenbeständig und spielen in der Biochemie eine große Rolle, da die Natur ihre Hydroxyverbindungen vielfach nur über die Phosphorsäureester umzusetzen vermag (vgl. z. B. III, Kap. 8, I I I , 1). Einige tertiäre Ester, vor allem Triisobutyl- und Tribresyl-phosphat, finden in der Kunststofftechnik Anwendung als Weichmacher.
88
Kap. 4 , 1 : Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate
y) Die Äther In den Äthern ist der Hydroxylwasserstoff der Alkohole durch einen zweiten Alkylrest ersetzt, so daß sich die allgemeine Strukturformel Alk—0—Alk (bzw. Alk—0—Alk') ergibt. Sind beide Alkylreste gleich, so liegen symmetrische Äther vor, während man bei verschiedenartigen Alkylresten von asymmetrischen Äthern spricht. Diese leiten sich also von zwei verschiedenen, untereinander „gleichberechtigten" Alkoholen ab. Die Benennung der Äther geschieht aus dem letzteren Grunde meistens nicht nach einem der Alkohole, sondern, um die Gleichwertigkeit der beiden Alkylreste zu betonen, direkt als Dialkylderivate des Sauerstoffs (z. B. Dimethyl-äther H 3 C—0—CH 3 , Methyl-äthyl-äther H 3 C—0—C 2 H 5 usw.). Nur die Äther komplizierterer Alkohole bezeichnet man zweckmäßig als deren Alkyderivate (z. B. Trimethyl-glycerin, Pentamethyl-glucose). Schließlich faßt man zuweilen auch die gesamte —OR-Gruppe (sog. Alkoocy-Gruppe) als Substituent f ü r ein H-Atoms einer komplizierteren Verbindung auf, deren Ähternatur nur von untergeordneter Bedeutung ist (z. B. Methoxy-essigsäure H 3 C—0—CH 2 —COOH).
Die Darstellung der einfachen Äther erfolgt am besten durch Wasserentzug aus den zugrundeliegenden Alkoholen mittels Schwefelsäure. Hierbei wird zunächst aus einem Alkoholmolekül und der Schwefelsäure die Alkylschwefelsäure (S. 87) gebildet (Gleichung I), die dann in der zweiten Phase bei etwa 130° das zweite Alkoholmolekül alkyliert (Gleichung II), so daß sich in summa eine Wasserabspaltung aus zwei Molekülen des Alkohols ergibt1). I II I + II
Alk!—OH +
Alk:—0—S0 3 H + Alk—O—H +
Alk—O—SO a H +
Hi—0—S03H HiO—Alk
H—O—Alk
>
H20
Alk—0—Alk +
H 2 SO,4
Alk—0—Alk +
H20
Für die Gewinnung der komplizierteren Äther zieht man die Alkylierung des einen Alkoholmoleküls mit einem Alkylierungsmittel vor. Z. B. stellte schon A. W. WiLLiAMSON (1850/51) Äther durch Umsetzung von Alkylhalogeniden mit Natriumalkoholaten her. Heute verwendet man statt des Alkoholats besser den Alkohol selbst in Gegenwart von Silberoxyd oder Silbercarbonat: Alk—OH + Hai—Alk' + 7 2 A g 2 0
•
Alk—O—Alk' + AgHal + V2 H 2 0
Methylierungen führt man häufig auch mit dem billigeren Dimethylsulfat durch. Hier dient Natronlauge zum Abfangen der entstehenden Säure.
(S. 87)
I n den physikalischen Eigenschaften nähern sich die Äther wieder sehr den Kohlenwasserstoffen. Sie sieden etwa gleich hoch wie die Paraffine mit einer gleichen Anzahl schwerer Atome2). Z. B. ist der Siedepunkt des Diäthyläthers (34,5°) mit dem des n-Pentans (36°) und der des Dipropyläthers (91°) mit dem des n-Heptans (98°) vergleichbar. Auch in ihren lipophilen Lösungseigenschaften ähneln die Äther den Kohlenwasserstoffen, doch sind sie daneben bereits deutlich hydrophil. So ist etwa der gewöhnliche Äther bereits zu 8% in Wasser löslich, und zahlreiche Methyläther sind sogar mit Wasser in jedem Verhältnis mischbar (z. B. Trimethylglycerin und Pentamethyl-glucose). Nach MAXIMOW bildet sich in einer Dreistufenreaktion sogar das Dialkyhulfat als intermediäres Alkylierungsmittel. 2 ) D. h. wie diejenigen Paraffine, die beim Ersatz des Äthersauerstoffs durch eine CH 2 -Gruppe entstehen.
1 c y: Die Äther
I
89
Chemisches Verhalten Wegen des Fehlens des Hydroxylwasserstoffs sind die Äther wesentlich weniger umsatzfreudig als die Alkohole und gelten bereits als ausgesprochen reaktionsträge.
Insbesondere die Ätherspaltung bereitet gewisse Schwierigkeiten und gelingt nur in Gegenwart von konzentrierten Mineralsäuren oder von Komplexbildnern (LEWis-Säuren). Praktisch wichtig ist die Zerlegung mit konz. Jodwasserstoffsäure in die Alkyljodide: Alk—O—Alk' + 2 H J
•
Alk—J +
J—Alk' +
H20
Sie kann bei längerem Kochen vollständig durchgeführt werden und eignet sich besonders zur quantitativen Erfassung der leicht abdestillier baren niederen Alkyljodide (bis etwa zum Propyljodid). Das Verfahren ist von Z E I S E L unter der Bezeichnung Methoxyl- bzw. Äthoxylbestimmung in die analytische Chemie eingeführt worden (vgl. S. 22). Die Ätherspaltung mit Komplexbildnern (z. B. mit Borchlorid) führt intermediär zur Bildung einer Komplexverbindung (I), in der die 0—C-Bindung stärker polarisiert und daher leichter spaltbar ist (vgl. S. 332): Alk. yO +
C1 i B—C1
•
¿1
C1 | .l>—Gl
Alk ^ \ )
:
I
,C\ •
Alk—0—Bf
+ Alk—C1
¿1
Von den sonstigen Reaktionen der Äther ist nur die schon bei Raumtemperatur in Gegenwart von Luftsauerstoff eintretende Autoxydation erwähnenswert, die primär zur Peroxyverbindung I I und von dieser aus zu einer Reihe weiterer PeroxyVerbindungen führt, die zusammenfassend als Ätherperoxyde bezeichnet werden (Näheres vgl. I, Kap. 4, I, 2 c):
O—O—H H3C— CH2—0—C2H5
-t-^-*
H3C—¿H—O— CjH6
•
sonstige Ätherperoxyde
II
Alle diese Ätherperoxyde zeigen als Derivate des Hydroperoxyds eine starke Explosionsneigung. Da sie sich wegen ihres hohen Siedepunkts in den Eindampfrückständen des Äthers anreichern, III Hl III
ist die Verwendung eines nicht von Peroxyden befreiten (namentlich schon monatelang an der Luft stehenden) Äthers als später wieder abzudampfendes Lösungs- und Extraktionsmittel außerordentlich explosions- und feuergefährlich.
Einzelverbindungen. Von den niederen Äthern hat nur der meistens Äther schlechthin genannte Diäthyl-äther C 2 H 6 —0—C 2 H 5 eine weitverbreitete Anwendung als niedrigsiedendes (Sdp. 34,5°) Lösungsmittel für fettartige Stoffe jeder Art gefunden. Wegen der erwähnten Feuergefährlichkeit wird er jedoch immer mehr durch das billige Methylenchlorid (S. 72) verdrängt. Auf den Organismus wirkt Äther berauschend und in höheren Dosen auch narkotisierend ein. Hierauf beruht seine frühere Verwendung als Inhalationsnarkotikum. In den Äthern der aromatischen Alkohole kann man bei a-Stellung der A ylreste die eine C—O-Bindung unter den Bedingungen der katalytischen Hydrierung (S. 44) unter Bildung des betreffenden aromatischen Kohlenwasserstoffs und eines Alkohols zerlegen:
90
K a p . 4, I : Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate C6H6—CHa—O—Alk
+
Ha
•
C,H6—CH,
(C,H5)2-CH-0-Alk
+
Ha
•
(C,H 6 ) 2 CH 2 +
+
(C8H6)3-C-0-Alk
+
H2
•
(C 6 H 6 ) 3 CH
H O
A l k
+
Hier bietet sieh also eine Möglichkeit der Ätherspaltung unter Schonung aller anderen hydrolysierbaren Gruppen, von der häufig praktischer Gebrauch gemacht wird. Die Trityl-äther werden durch „Tritylierung" von Alkoholen mit Tritylchlorid in Pyridin (S. 71) besonders leicht gebildet. Die Tritylgruppe dient deshalb häufig als leicht wieder abspaltbare (z. B. durch Hydrierung, s. oben, aber auch durch Hydrolyse) „Schutzgruppe" für die alkoholische Hydroxylgruppe, um diese bei Reaktionen an anderen Molekülteilen zu blockieren. Weiterhin ist es häufig von p r a k tischer Bedeutung, daß sich nur primäre, nicht aber mehr sekundäre und tertiäre Alkohole tritylieren lassen (wegen sterischer Hinderung, vgl. II, Kap. 7, I V , 2).
2. Die Enole III III
Enole sind Verbindungen, in denen die Hydroxylgruppe an einem olefinischen G-Atom steht, so daß sie die Gruppe ^C=C—OH enthalten.
Sie weichen in ihren Eigenschaften bereits deutlich von den Alkoholen ab, und man grenzt sie deshalb von diesen als eine eigene Verbindungsklasse ab. Zu ihrer Benennung wird die für die OH-Gruppe charakteristische Endsilbe -ol an die Endsilbe -en für die Olefine gehängt, so daß sich die zusammengesetzte Endung -enol ergibt, die zugleich als Gruppenname Enole für die ganze Verbindungsklasse dient. Das in freiem Zustand nicht existenzfähige einfachste Enol ( H 2 C = C H — O H ) führt also den offiziellen Namen Äthenol, wird aber in der Praxis meistens (nur formal richtig) Vinylalkohol genannt.
In den Enolen begegnen wir der ersten Verbindungsklasse, für die die auf S. 12f. angeführte Voraussetzung für das Auftreten isomerer organischer Verbindungen, die Stabilität der Atomverknüpfung in den Molekülen, nicht erfüllt ist. Sie lagern sich daher jedesmal, wenn sie im Rahmen einer Reaktion entstehen (z. B. durch Spaltung ihrer Ester oder Äther), mit unmeßbar großer Geschwindigkeit in die wesentlich energieärmeren isomeren Oxoverbindungen (Aldehyde oder Ketone, vgl. S. 96 f.) um, d. h. es liegt hier das schon auf S. 13 beschriebene Verschwinden einer Isomeriemöglichkeit vor: B— CH=CH—0—Alk Eno.äther
Hydr°'yae
>
( l i — C H = C H — 0 H; ]
R—CH2—CH=0
Enol (unbeständig)
Oxoverbindung
Die einfachen Enole sind infolgedessen nicht existenzfähig, und man kennt nur kompliziertere Verbindungen, in denen die Enolgruppierung durch andere Funktionen des Moleküls stabilisiert wird (vgl. z. B. S. 166, 363). Wir wollen aus diesem Grunde an dieser Stelle auf die übliche Beschreibung von Einzelverbindungen verzichten und uns zunächst lediglich auf das chemische Verhalten der Enolgruppe selbst beschränken. Die enolische Hydroxylgruppe zeichnet sich gegenüber der alkoholischen durch eine deutlich gesteigerte Acidität aus. Die Enole sind infolgedessen sehr schwache, in Natronlauge unter Salzbildung lösliche Säuren, die hinsichtlich ihrer Säurestärke mit den Phenolen (S. 92) verglichen werden können. Ferner geben die Enole (ebenfalls wie die Phenole, S. 93) mit Eisen(III)-chlorid charakteristische Farbreaktionen, durch die sie sich deutlich von den Alkoholen unterscheiden. Die C=C-Doppelbindung wird durch die Hydroxylgruppe aktiviert und erleidet leicht Substitutionsreaktionen zu Derivaten der isomeren Oxoverbindung. Im Falle der Einwirkung der freien Halogene wird hierbei vermutlich ein ähnliches Primär-
91
3: Die Phenole
produkt (I) wie bei der normalen Olefinaddition (S. 60) gebildet, das sich dann aber sekundär durch Abspaltung des Hydroxylwasserstoffs als Proton unter gleichzeitiger Ausbildung einer C=0-Doppelbindung stabilisiert: Hai
Hai R—CH=CH—OH
+Hal>
I
®
R—CH— CH—OH Hai"
— HHal
R— ¿ H — C H = 0
Erst wenn man von den Enolen zu den Enolderivaten übergeht, in denen der bewegliche Hydroxylwasserstoff durch Säurereste (Enol-ester) oder Alkylgruppen ersetzt ist (Enol-äther), kommt man zu stabileren Verbindungen. Die Anfangsglieder der Reihe, die Vinyl-ester H2C=CH—0—Ac (z. B. Vinyl-acetat) und Vinyl-äther H 2 C=CH—O—R (z. B. Vinyl-methyl-äther), deren Gewinnung aus Acetylen und Säuren bzw. Alkoholen wir auf S. 52 kennengelernt haben, zeichnen sich durch eine starke Polymerisationsneigung der Doppelbindung aus. Sie dienen deshalb als Ausgangsmaterialien für die Herstellung von Kunststoffen (Polyvinyl-ester und Polyvinyläther).
3. Die Phenole Phenole sind aromatische Hydroxylverbindungen, in denen sich die OHGruppe (im Gegensatz zu den aromatischen Alkoholen, S. 83) unmittelbar an einem Kern-C-Atom befindet. Ihre Benennung geschieht häufig durch Trivialnamen. Die daneben gebräuchlichen rationellen Namen fassen die Phenole entweder als Substitutionsprodukte des Phenols auf (z. B. o-, m- und p-Chlor-phenol) oder als Hydroxylderivate anderer aromatischer Verbindungen (z. B. p-Hydroxy-benzoesäure HO—p-C8H4—COOH).
Vorkommen. Phenol und seine niederen Homologen treten als pyrogene Zersetzungsprodukte der SauerstoffVerbindungen der Kohle im Steinkohlenteer (S. 387) auf, der lange Zeit die wichtigste, heute aber bei weitem nicht mehr ausreichende technische Phenolquelle darstellte. In der belebten Natur beobachtet man weiterhin eine Reihe komplizierterer phenolischer Verbindungen, die auf S. 465f. zusammenfassend beschrieben werden. Die Darstellung der Phenole geschieht meistens durch Einführung der Hydroxylgruppe in den aromatischen Kern. Hierfür stehen vor allem die folgenden drei Verfahren zur Verfügung: 1. die schon kurz erwähnte Alkalispaltang aromatischer Halogenverbindnngen (S. 73): Ar -Ilai +
Na:OH
•
Ar—OH +
NaHal
Die Reaktion dient hauptsächlich zu" Gewinnung des Phenols selbst und wird in der Praxis mit Natronlauge bei 350° unter Druck ausgeführt. Daneben ist bei 400—450° in der Dampfphase über Kupferkontakten auch eine reine Hydrolyse ohne Alkalizusatz möglieh.
2. die auf S. 248 näher beschriebene Alkalischmelze yon arylsulfonsauren Salzen: Ar—SO a Na +
NaiOH
Ar—OH +
Na2S03
Diese früher ebenfalls für die Phenolgewinnung gebräuchliche Reaktion wird in neuerer Zeit zunehmend durch die Alkalispaltung des Chlorbenzols (S. 73) und das auf S. 94 formulierte Cumol- Verfahren verdrängt.
3. der Ersatz der Amino- durch die Hydroxylgruppe, der am bequemsten auf dem Umweg über die Diazoniumsalze und deren thermische Zersetzung in wäßriger Lösung (Phenolverkochung, Näheres vgl. S. 227) durchgeführt werden kann:
92
Kap. 4, I: Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate Ar—NH2 2
>
[ÄT—N=N]+X~
1
"~
rung(3.226)
H X
>
Ar-OH
(Erhitzen) Diazoniumsalz
Unter sehr energischen Bedingungen, die etwa mit denen bei der entsprechenden Alkoholgewinnung (S. 77) verglichen werden können (300° in Gegenwart von starken Mineralsäuren, Zinkchlorid oder Borfluorid als Katalysatoren), ist auch eine direkte hydrolytische Spaltung der Ar—N-Bindung möglich.
In den physikalischen Eigenschaften sind die Phenole mit den mittleren Alkoholen vergleichbar. Insbesondere sieden sie wie diese ziemlich hoch und sind in Wasser nur noch begrenzt löslich (bzw. im Falle des Phenols selbst erst bei erhöhter Temperatur mit ihm unbegrenzt mischbar). Wegen ihres hohen Schmelzpunktes und ihrer Luftunbeständigkeit — insbesondere in alkalischem Medium werden sie leicht unter starker Verfärbung autoxydiert — haben die Phenole im Gegensatz zu den Alkoholen keine Verwendung als Lösungsmittel gefunden. Tabelle 7 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n einiger P h e n o l e Trivialnamen
Rationelle Namen
Sdp.
Smp.
Dichte/Temp.
Phenol
Hydroxy-benzol
181°
41°
1,054/45°
o-Rresol m-Rresol p-Kresol
l-Hydroxy-2-methyl-benzol l-Hydroxy-3-methyl-benzol l-Hydroxy-4-methyl-benzol
191 202 202
31 11 34
1,048/20 1,034/20 1,035/20
Xylenol-1,2,3 Xylenol-1,3,4
l-Hydroxy-2,3-dimethyl-benzol l-Hydroxy-3,4-dimethyl-benzol
212 225
75 63
1,169/15 1,023/17
Chemisches Verhalten Die Phenole sind echte Enole, denn auch in ihnen steht die Hydroxylgruppe an einem C-Atom, von dem eine C=C-Doppelbindung ausgeht. Man beobachtet infolgedessen in beiden Reihen von Verbindungen analoge Umsetzungen, die auch hier zweckmäßig in 1. die Reaktionen der Hydroxylgruppe und 2. die Reaktionen des organischen Molekülteils, d. h. in diesem Fall des aromatischen Kerns, unterteilt werden. Zu 1. Die phenolische Hydroxylgruppe ist ähnlich schwach sauer wie die enolische, und zwar beträgt der pu - Wert ( = negativer Logarithmus der Säuredissoziationskonstante, vgl. S. 122, Anm. 1) bei den einfachen Phenolen 10—11. Die Säurestärke ist also etwa mit der der Blausäure (p K = 9,32) oder der unterjodigen 8 Säure (pK = 10,5) zu vergleichen. Die Phenole werden infolge dieser Säurenatur von Natronlauge unter Bildung der salzartigen Natrium-phenolate gelöst. Jedoch reicht die Acidität nicht mehr zur Freisetzung von Kohlendioxyd aus Natriumbicarbonatlösungen aus. Vielmehr kann man umgekehrt die Phenole aus ihren Salzen durch Einleiten von Kohlendioxyd gewinnen. Auf diesem charakteristischen Verhalten beruht eine qualitative Methode zur Abtrennung der Phenole von allen zur Carbonatzersetzung befähigten stärkeren Säuren, insbesondere von Carbonsäuren.
3: Phenolreaktionen
93
Eine weitere Reaktion der Hydroxylgruppe, die die Phenole mit den Enolen gemeinsam haben, ist die Bildung wasserlöslicher farbiger Komplexsalze mit Eisen(III)-Ionen in schwach saurer bis neutraler Lösung, die als qualitative Nachweisreaktion für Phenole Verwendung findet. In der Mehrzahl der Fälle beobachtet man blaue bis violette Farbtönungen, doch kommen auch grüne, braune und selbst rote Färbungen vor, die dann für die betreffenden Phenole charakteristisch sind. Ähnlich wie die Substitution des Halogens (S. 73) wird auch die der Hydroxylgruppe durch den Benzolkern wesentlich erschwert, so daß man von dieser Reaktionsmöglichkeit in der Praxis keinen Gebrauch macht. Wichtig ist nur der reduktive Ersatz der Hydroxylgruppe durch Wasserstoff, der bei der trockenen Destillation der Phenole über Zink (sog. Zinkstaubdestillation) eintritt: Ar—OH +
Zn
200
~ 3 0 0 ° ->
Ar—H
+
ZnO
Die Reaktion hat zur Konstitutionsaufklärung von Naturstoffen Verwendung gefunden, um auf einfache Weise die Phenole in die ihnen zugrunde liegenden Kohlenwasserstoffe überzuführen.
Zu 2. Der aromatische Kern wird durch die Hydroxylgruppe in ähnlicher Weise aktiviert wie die C=C-Doppelbindung der Enole. Die Phenole sind deshalb Substitutionsreaktionen viel leichter zugänglich als das Benzol selbst. Z. B. geht die Bromierung des Phenols im Gegensatz zu der des Benzols bereits ohne Katalysatoren vor sich und führt selbst in der Kälte und bei Verwendung von Bromwasser unmeßbar rasch und quantitativ zum o,o',p-Tribrom-phenol, das bei einem Bromüberschuß sogar noch mit einem vierten Brommolekül unter Aufhebung des aromatischen Systems zum Tribromphenolbrom weiterreagiert:
_OH
+3Br
_/Br '->
— 3HBr
Br—
HO—^
N=0
p-Nitrosophenol
Auf die Bildung derartiger Nitrosophenole mit anschließender weiterer Kondensation ist die bei der Einwirkung von Kaliumnitrit und konzentrierter Schwefelsäure auf Phenole auftretende intensive Blaufärbung zurückzuführen, die unter der Bezeichnung LiEBERHANNsche Farbreaktion bisweilen zum qualitativen Phenolnachweis dient. b) die als Eupplungsreaktion bezeichnete Einführung der Azogruppe mit Hilfe von Diazoverbindungen in alkalischem Medium (Näheres vgl. S. 229):
94
K a p . 4, I : Die Hydroxyverbindungen und ihre Derivate N a O — V - H
+
NaO—N=N—Ar
~
Na0H
_
N a O — — N = N — A r
c) die als Mercurierung bezeichnete Einführung von Quecksilber, die im Gegensatz zur Bildung anderer metallorganischer Verbindungen bereits bei der Einwirkung von Quecksilber-(II)acetat in alkoholischer Lösung erfolgt: +
A c — 0 - Hg—0—Ac
•
HO—^
Hg—OAc +
Ac—OH
d) die Kondensation mit Carbonylverbindungen, bei der jeweils der gesamte Carbonylsauerstoff durch zwei Phenolreste ersetzt wird, wie am Beispiel der Phenolphthaleinbildung (vgl. S. 401) gezeigt sei:
+
o=;c'
yC=o
H,0 (ZnCl,)
Phenolphthalein
Die Reaktion kann bei Verwendung von Formaldehyd in schwach alkalischem (und auch schwach saurem) Medium so gelenkt werden, daß unter Verknüpfung sehr vieler Moleküle hochmolekulare Stoffe entstehen, die wichtige Kunststoffe (Bakelite, vgl. S. 104) darstellen.
Einzelverbindungen. Phenol (Carbolsäure) CSH5—OH wurde 1834 von F. RUNGE im Steinkohlenteer entdeckt. Es ist ein technisches Großprodukt, dessen Gewinnung heute entweder durch Alkalispaltung von Chlorbenzol (S. 73) oder nach dem modernen Cumol-Phenol-Verfahren geschieht. Beim Cumol-Phenol-Verfahren wird zunächst aus Benzol und Propen nach F R I E D E L - C R A F T S das Cumol synthetisiert, das in Gegenwart von Luftsauerstoff Autoxydation zur Peroxyverbindung I erleidet. Diese läßt sich dann mit Schwefelsäure in die Verbindung II umlagern, die unbeständig ist und sofort in Phenol und Aceton zerfällt:
+ Benzol
+o,
A1C1, oder H,S0,
Propen
j—OOH i
Cumol
CH 3 -OH
(Umlagerung)
^
\—OH
+
¿=0
¿H3 ir
Phenol
Aceton
Phenol ist eine sich an der Luft langsam rötlich färbende, kristallisierte Substanz. Es dient in der Technik als Zwischenprodukt für die Herstellung der Phenol-Formaldehyd-Kondensate (Bakelite, S. 104), der Pikrinsäure (S. 238) und zahlreicher pharmazeutischer Produkte. Von pharmazeutischem Interesse ist weiterhin seine Giftwirkung, insbesondere auch gegenüber Kleinlebewesen, auf Grund deren es Verwendung als Desinfektionsmittel findet. In den Körper eingeführtes oder auch in ihm durch biochemischen Abbau von Tyrosin (S. 474) entstehendes Phenol wird sofort durch Überführung in das Kaliumsalz des Schwefelsäurehalbesters C6HS—0—S03K (oder das Glykosid der Glucuronsäure, S. 432) entgiftet und im Harn abgeschieden.
95
3: Die Phenoläther Die drei Monomethylphenole führen den Trivialnamen Kresole: H3C o
V O H o-Kresol
m-Kresol
p-Kresol
Sie kommen ebenfalls im Steinkohlenteer vor und sind in Wasser bereits ziemlich schwer löslich, so daß sie zur Anwendung in wäßriger Phase in Seifenlösung emulgiert werden müssen. Eine derartige Emulsion von gereinigtem Kresol zeigt gegenüber Phenol eine gesteigerte Desinfektionsioirkung und dient unter dem Schutznamen Lysol als wichtiges Desinficiens. Technisch wird diese Desinfektionswirkung zur Holzimprägnierung ausgenützt, wozu sich die Kresole infolge ihrer geringen Wasserlöslichkeit ebenfalls besser eignen als das Phenol selbst. In der chemischen Industrie dienen die Kresole wie das Phenol als Zwischenprodukte für die Herstellung von Kunststoffen, Sprengstoffen usw. Die sich von den Xylolen ableitenden Dimethyl-phenole werden Xylenole genannt. Von den sechs möglichen Isomeren kommen einige ebenfalls im Steinkohlenteer vor. Sie haben jedoch ebensowenig eine praktische Bedeutung erlangt wie sämtliche übrigen höheren Homologen des Phenols (abgesehen von den auf S. 465f. beschriebenen Naturstoffen). Durch Substitution des Hydroxylwasserstoffs gelangt man zu einer Reihe v o n Phenolderivaten, die den analogen Alkoholderivaten in jeder Beziehung entsprechen. Von ihnen haben wir die den Alkoholaten ähnlichen Metallphenolate bereits kennengelernt (S. 92). Sie werden jedoch wegen der stärker sauren Natur des Phenols durch Wasser nicht mehr vollständig hydrolysiert. Die Phenolester anorganischer Säuren haben (abgesehen von der bereits erwähnten Bedeutung des Schwefelsäurehalbesters des Phenols als biochemisches Entgiftungsmittel und dem ebenfalls schon erwähnten Trikresyl-phosphat, S. 87) bisher kein größeres Interesse gefunden. V o n den Phenoläthern sind zwei Reihen bekannt: die aromatisch-aliphatischen Aryl-alkyl-äther und die rein aromatischen Diaryläther. Sie entstehen bei der U m setzung der Phenolate mit Alkylierungs(z. B. Dimethylsulfat) bzw. Arylierungsmitteln (z. B. Chlorbenzol bei höherer Temperatur) und entsprechen in ihren Eigenschaften weitgehend den aliphatischen Äthern. Lediglich hinsichtlich der Spaltungsreaktionen bestehen einige Unterschiede. Die Ar—O-Bindung ist nämlich (wie in den Phenolen selbst) noch schwerer spaltbar als die aliphatische C—O-Bindung und wird durch Jodwasserstoff säure nicht mehr angegriffen. Diaryläther werden infolgedessen nach ZEISEL nicht gespalten, u n d aus Aryl-alkyläthern entsteht neben d e m Alkyljodid das freie Phenol: Alk—J Neuartig ist eine gewisse Alkalilabilität der Aryl-Sauerstoff-Bindung, auf Grund deren man die aromatischen Äther im Gegensatz zu den aliphatischen oberhalb 200° durch konzentrierte Alkalilaugen (oder auch durch Natriumamid) solvolytisch aufspalten kann. Ferner werden sie durch Alkalimetalle zerlegt: Ar—0—Ar +
2Me
Ar—OMe +
Me—Ar
Phenyl-methyl-äther C a H 6 —0—CH a hat wegen seiner nahen Beziehungen zum Anisaldehyd (S. 466) den Trivalnamen Anisol erhalten. Diphenyl-äther C,H S —0—C,H 6 , der einfachste rein aromatische Äther, entsteht bei der Phenolgewinnung durch Alkalischmelze von Chlorbenzol als Nebenprodukt (aus Chlorbenzol und bereits gebildetem Phenolat) und findet wegen seines geraniumartigen Geruchs Anwendung in der Riechstoffindustrie.
96
Kap. 4,11: Die Oxoverbindungen
II. Die Oxoverbindungen Wie schon auf S. 75 angedeutet, enthalten die Oxoverbindungen ein oxydativ zweiwertiges C-Atom, das bei den einfachsten Verbindungen der Reihe in eine Carbonylgruppe ( = C=0-Gruppe) eingebaut ist. Im einzelnen müssen wir uns mit den folgenden vier Verbindungsklassen beschäftigen: 1. den Aldehyden, in denen sich die CO-Gruppe am Kettenende, und 2. den Ketonen, in denen sie sich im Innern einer Kohlenstoffkette befindet. Von ihnen leiten sich 3. die Derivate der Aldehyde und Ketone ab, in denen der Carbonylsauerstoff durch andere negative Reste ersetzt ist. Schließlich kennt man als weitere Klasse von Oxoverbindungen noch 4. die Ketene, die durch Kumulierung der 0=0- mit einer C=C-Doppelbindung charakterisiert sind. Wegen der Anwesenheit einer Carbonylgruppe wurden die Grundverbindungen der Reihe früher vielfach Carbonylverbindungen schlechthin genannt. Dieser Name ist jedoch nicht eindeutig, weil auch die Carbonsäuren und die Kohlensäure sowie zahlreiche ihrer Derivate eine COGruppe besitzen, also zu den Carbonylverbindungen gerechnet werden müssen. Man hat deshalb den Namen Oxoverbindungen zur speziellen Benennung der Carbonylverbindungen mit oxydativ zweiwertigem Kohlenstoff eingeführt.
1. Die Aldehyde a) A l l g e m e i n e s Aldehyde sind auf Grund vorstehender Definition Verbindungen, in denen das endständige O-Atom einer Kohlenstoffkette die Oxydationsstufe 2 aufweist. Es ist also einerseits doppelt an ein O-Atom gebunden und trägt andererseits noch ein H-Atom. Die Aldehyde besitzen somit die allgemeine Formell—CH=0. J e nachdem, ob der Rest R gesättigt, ungesättigt, aromatisch oder halogenhaltig ist, unterscheidet man (wie bei den Alkylhalogeniden und Alkoholen) zwischen gesättigten, ungesättigten, aromatischen und Halogenaldehyden. Die gesättigten Aldehyde, in denen R einen einfachen Alkylrest darstellt, leiten sich danach von den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl durch Ersatz zweier endständiger H-Atome durch ein O-Atom ab. Sie weisen also die allgemeine Summenformel, C n H2nO auf und besitzen zwei H-Atome weniger als die gesättigten Alkohole (S. 76), was in dem Namen Aldehyd (von lat. o/koholus deAj/drogenatus) zum Ausdruck kommen soll.
Die Benennung der Aldehyde geschieht meistens nach den Carbonsäuren, die aus ihnen durch Oxydation entstehen, indem man entweder an den Wortstamm des Säureradikalnamens (S. 126) oder an den des Säurenamens selbst die Gruppenbezeichnung -aldehyd anhängt (z. B. leiten sich von der Ameisensäure, Essigsäure und Capronsäure die Aldehyde Formaldehyd, Acetaldehyd und Capronaldehyd ab). Die Genfer Nomenklatur geht dagegen wieder von den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl aus und charakterisiert die Einführung des Carbonylsauerstoffs durch die Endung -dl, die wie die Endung -ol der Alkohole an den vollen Namen des Kohlenwasserstoffs angehängt wird (z. B. Äthanal für H 3 C—CHO, Butanal für H 3 C— (CH2)2—CHO usw.). Vorkommen. Die niederen Aldehyde sind sehr reaktionsfähige und unbeständige Verbindungen, die weder mineralisch, noch als Naturstoff frei auftreten können. Erst die Aldehyde mittlerer Molekülgröße werden etwas beständiger und kommen natürlich vor. Man trifft sie vor allem als charakteristische Duftstoffe in den verschiedenen ätherischen ölen an (vgl. z. B. S. 452/466).
Für die Darstellung der Aldehyde kommen vor allem in Betracht: 1. die partielle Oxydation primärer Alkohole und 2. die partielle Reduktion von Garbonsäuren oder ihren Derivaten (bez. weiterer Möglichkeiten vgl. I, Kap. 4, II, l a ) .
1 a : Die Darstellung von Aldehyden
97
Zu 1. Die (dehydrierend verlaufende) Oxydation primärer Alkohole zu Aldehyden haben wir bereits auf S. 79 f. kennengelernt. Sie ist bei der leichten Zugänglichkeit der Alkohole die wichtigste Aldehydgewinnungsmethode, III erfordert aber stets besondere Vorsichtsmaßnahmen, damit die Aldehyde nicht Hl weiter zu Carbonsäuren oxydiert werden (S. 80 und 101). Am sichersten vermeidet man die Weiteroxydation der Aldehyde, wenn man den Wasserstoff elementar (also ohne Verwendung eines Oxydationsmittels) abspaltet. Die Reaktion erfordert jedoch Temperaturen um 250° und einigen apparativen Aufwand (Näheres vgl. I, Kap. 4, II, l a ) . Man dehydriert deshalb meistens mit einem der üblichen Oxydationsmittel und entfernt den Aldehyd aus dem Reaktionsgemisch durch rasches Abdestillieren.
Zu 2. Die Reduktion der Carbonsäuren zu Aldehyden schießt noch leichter über das Ziel hinaus, weil die reaktionsfähigen Aldehyde viel schneller reduziert werden als die relativ reaktionsträgen Garbonsäuren. Man erhält bei deren Reduktion daher im allgemeinen nur die primären Alkohole (S. 124). Erst in neuerer Zeit sind einige brauchbare Verfahren ausgearbeitet worden, die stets von Carbonsäurederivaten ausgehen. Am wichtigsten sind: a) die von K. W. R O S E N M U N D (1923) eingeführte katalytische Hydrierung der Carbonsäurechloride (S. 126) mit Hilfe vergifteter Katalysatoren, die die weitere Hydrierung der Aldehyde nicht mehr beschleunigen: R—CO—C1
+ H
'
>
R—CH=0
+
HCl
b) die Reduktion der N-Methyl-carbonsäureanilide (I) mit Lithium-aluminiumhydrid, die aus noch nicht ganz geklärten Gründen auf der Aldehydstufe stehenbleibt: O CH 3 II I R—C—N—C 6 H 5
HCH,
O II R—C + ¿
L1A1H,
CH 3 I HN—C,H 5
I
Physikalische Eigenschaften: Da die Aldehydgruppe keinen assoziierenden Wasserstoff enthält, sieden die gesättigten Aldehyde wesentlich tiefer als die zugehörigen Alkohole: Tabelle 8 Die physikalischen K o n s t a n t e n einiger Aldehyde übliche Benennung
Genfer Nomenklatur
Formaldehyd Acetaldehyd Propionaldehyd Butyraldehyd Valeraldehyd Capronaldehyd
Methanal Athanal Propanal n-Butanal n-Pentanal n-Hexanal
Benzaldehyd Zimtaldehyd
Phenylmethanal /2-Phenyl-pro penal
7
K l a g e s , Einführung org. Chemie
Sdp.
Smp.
Dichte/Temp.
—21° +20 49 75 104 128
— 92° —123 — 81 — 97 — 92
0,815/20° 0,788/13 0,807/20 0,817/20 0,819/11 0,834/20
178 251
— 26 — 8
—
1,050/20 1,050/20
Kap. 4, II: Die Oxoverbindungen
98
Hinsichtlich der Löslichkeitsverhältnisse können die Aldehyde mit den Alkoholen verglichen werden, da sie wie diese wegen der Möglichkeit der Ausbildung von H-Brücken (besonders bei den in Wasser entstehenden Aldehyd-hydraten, vgl. S. 112) bei Mischbarkeit mit allen organischen Solventien ziemlich stark wasserlöslich sind. Doch finden sie im Gegensatz zu den Alkoholen und auch Ketonen (S. 109) wegen ihrer Unbeständigkeit (vgl. S. 101) keine Verwendung als Lösungsmittel. Der Gertich der niederen Aldehyde ist scharf und stechend. Er wird jedoch mit wachsendem Molekulargewicht angenehmer, so daß die mittleren Glieder der Reihe häufig in der Riechstoffindustrie Anwendung finden. Von den optischen Eigenschaften der Aldehyde ist das Auftreten einer Absorpticmsbande im nahen Ultraviolett (bei etwa 3000 Â) und eine RA M AN- bzw. Infrarotfrequenz bei etwa 1600cm - 1 bemerkenswert. Beide dienen zum Nachweis von Oxo-carbonylgruppen.
Chemisches Verhalten der Aldehyde: Das Molekül der gesättigten Aldehyde hat drei reaktionsfähige Stellen: 1. die Carbonylgruppe, 2. das am Carbonylkohlenstoff befindliche H-Atom (Aldehydwasserstoff) und 3. die durch die Carbonylgruppe aktivierte benachbarte CH2- (bzw. CH- bzw. CH3-)Gruppe, die meistens kurz als aktive Methylengruppe bezeichnet wird. Zu 1. Die C=0-DoppeIbindung besitzt eine ähnliche Neigung zu Additionsreaktionen wie die G=C-Doppelbindung (S. 42f.). Nur beobachtet man gegenüber den Olefinen eine vollständige Umkehr des Reaktionstypus; denn während diese bevorzugt Oxydationsmittel und Säuren anlagern, reagieren die Oxoverbindungen in erster Linie mit basischen Reagenzien und Reduktionsmitteln. (Bez. der theoretischen Deutung dieses unterschiedlichen Verhaltens vgl. S. 335 sowie II, Kap. 3, II, 2b und Kap. 4, II, 4.) Im einzelnen sind folgende Gruppen von Reaktionen zu unterscheiden: a) Stabile Additionsprodukte erhält man im allgemeinen nur dann, wenn C—OBindungen oder andere wenig polare Bindungen gebildet werden. Es ist dies außer bei der unter c) beschriebenen Reduktion vor allem bei den folgenden vier Reaktionen der Fall: •OH
+ H—SO.Na
Rr-ÖH
+ R'—MgX R
NäCySTa Bisuliit-Verbindung
CH—OMgX
sekundäres Alkoholat R—CH=0
.OH R—ÖH
OH _
Cyanhydrln (a-Hydroxy-nitril)
H-CsN
+ HCsCH
R —dH H ^feCH Alkin-l-ol-3
l a : Die Aldehydreaktionen
99
Auf die Bedeutung der Bisulfitverbindungen wird später eingegangen (S. 115). Ferner haben wir die Anlagerung von Acetylen schon auf S. 54 unter dem Namen Äthinylierung kennengelernt. Die Addition von Blausäure zu den Cyanhydrine genannten a.-Hydroxy-carbonsäurenitrilen findet unter der katalytischen Einwirkung geringer Ammoniakmengen, die aus der Blausäure die ausschließlich zur Anlagerung befähigten basischen Cyanid-Ionen freisetzen, schon bei Raumtemperatur statt. III III
Sie dient unter dem Namen Gyanhydrinsynthese als wichtigste Darstellungsmethode für x-Hydroxy-carbonsäuren (S. 180).
In Gegenwert von viel Ammoniak wird der Carbonylsauerstoff durch die NH-Gruppe ersetzt (unter Bildung der auf S. 116 beschriebenen Aldehyd-imine). In diesem Fall führt die Cyanhydrinsynthese infolgedessen zu einem a-Amino-carbonsäwenitril und kann zur Synthese von a-Aminocarbonsäuren verwandt werden (vgl. S. 212):
R—CH=0
+
NHS
~H'°
>
(R—CH=NH)
+ H
~°
g S
>
R — GS.
Nra, a-Amlno-carbonsäurenltril
Aldehyd-imin
b) Bei der Addition aller anderen polaren Verbindungen des Typus HX oder HgT entstehen unbeständige Substanzen der Strukturen I bzw. I I I , die beim Versuch ihrer Isolierung sofort den Aldehyd zurückbilden (vgl. S. 112), aber auch anderweitig stabilisiert werden können. Z. B. neigen Verbindungen des Typus I vielfach dazu, mit einem zweiten HX-Molekül unter Wasseraustritt „acetalartige" Produkte (II) mit zwei einwertigen negativen Resten an einem C-Atom zu liefern:
R—CH=0
+ HX
,OH R—CH
£V
+ H:X, —H,0
R—CH
Ii Ähnlich spaltet sich aus allen analog I I I konstituierten Stoffen leicht Wasser unter Bildung einer G = Y-Doppelbindung (IV) ab:
R—CH=0
+ H.Y
OH R—CH
-H,0
R—CH=Y
^YiH Iii
IV
Auf beiden Stabilisierungsreaktionen beruhen die wichtigsten Darstellungsverfahren für die später (S. 112f.) beschriebenen Aldehyd- und Ketonderivate. Wir können uns deshalb an dieser Stelle mit der Formulierung einiger Anwendungsbeispiele begnügen: 7*
100
Kap. 4, I I : Die Oxoverbindungen
/OH R—CH
:
^OH Aldehydhydrat .OH R—CH
;
yOH
+ H,0 - HaO
+ H —O—Alk
R—CH
-H,0
^0—Alk Halbacetal
+ H—Hai
r
H—Hai
\lal
+ NE, -NH,
R—CH \
0—Alk Acetal
+ H—S—R' — H—S—R'
Halogenhydrin ,OH :/v R—CH
/ 0—Alk
^/OH R—CH
^S—R' unbest. Add. Verb. w
R — C H = 0
NH
Aldehyd-ammoniak
R' R—CH
^S—R' Mercaptal verschiedene Folgeprodukte
R—CH=NH
1/
OH
R—CH
— H,0
R—CH=N—R'
\\'H—R'
Aldehydimin
unbest. Add. Verb.
Schiffsche Base
c) Die Reduktion der Aldehyde zu den primären Alkoholen ist die Umkehrreaktion der zu ihrer Bildung führenden Alkoholdehydrierung und kann sowohl mit katalytisch erregtem als auch mit nascierendem Wasserstoff durchgeführt werden. Die katalytische Hydrierung findet vor allem in der Technik Anwendung, während man den nascierenden Wasserstoff (z.B.Natrium/Alkohol) oder Lithium-aluminiumhydrid präparativ bevorzugt. Eine interessante weitere Reduktionsmöglichkeit besteht in der Verwendung anderer Alkohole als wasserstoffabgebende Reduktionsmittel. Da diese hierbei zur Stufe der Oxoverbindung dehydriert werden, stellt sich letzten Endes ein Gleichgewicht zwischen zwei Oxokörpern und zwei Alkoholen ein: R—CH=0
+
R'—CH 2 —OH
R—CH2—OH
+
R'—CH=0
Die von H . M E E R W E I N und R. P O N N D O R F 1 9 2 5 aufgefundene Reaktion wird durch Aluminiumallcoholate katalysiert und verläuft nach einem in I, Kap. 4, II, 1 a näher beschriebenen Mechanismus. Sie kann nach R. O P P E N A U E R ( 1 9 3 7 ) auch umgekehrt zur Dehydrierung eines Alkohols zum Aldehyd ausgewertet werden.
d) Die Aldehyde sind wie die Olefine (S. 46) zur Polymerisation befähigt, die hauptsächlich durch Säuren ausgelöst wird. Sie führt beim Formaldehyd in wäßrigem Medium im Sinne der folgenden Gleichung zu mehr oder weniger langen Kettenmolekülen (im Durchschnitt 100—150 H 2 CO-Einheiten): + H-OH
HO— C H 2 — 0 - P C H 2 — O 1 - C H 2 — O H
Bei höheren Aldehyden beobachtet man dagegen meistens die Bildung cyclischer Produkte aus nur wenigen Aldehydmolekülen (vgl. S. 105), oder die Polymerisation bleibt ganz aus (z. B. bei aromatischen Aldehyden).
101
1 a : Die Redoxreaktionen der Aldehyde
Zu 2. Der am Carbonylkohlenstoff stehende Wasserstoff wird leicht oxydativ entfernt, wobei die Aldehyde in Carbonsäuren übergehen. Z. B. tritt mit Luftsauerstoff Autoxydation ein. Hier entsteht primär durch Einbau des 0 2 -Molekiils eine Percarbonsäure (in Analogie zur Peroxydbildung bei der Autoxydation der Olefine, S. 46), die ihrerseits ein zweites Aldehydmolekül zu oxydieren vermag. In summa werden also pro Molekül 0 2 zwei Garbonsäuremoleküle gebildet:
X)
+ 0=0
> R-c(
H
,0 x
+ R CH
~ =°
> R-
R—CH 3 —OH
Zu 6. Bei der erwähnten Oxydationsbeständigkeit der Carbonsäuren ist es von um so größerer praktischer Bedeutung, daß es eine Rpihe anderer Möglichkeiten gibt, ihre Kohlenstoffkette abzubauen. Hierbei wird stets nur das Carboxyl-C-Atom entfernt, das sich häufig sogar ohne Änderung der Gesamtoxydationsstufe im Sinne einer Hydrolyse abspaltet: a) Dies ist z. B. bei der Decarboxylierung der Fall, die meistens durch thermische Zersetzung der carbonsauren Salze mit überschüssigem Alkali geschieht: R—iCOONa +
NaOH
—
t z e n
-
R—H +
Na 2 C0 3
Die Reaktion verläuft nur in der aromatischen Reihe glatt, da die Alkalisalze der aliphatischen Carbonsäuren leicht Nebenreaktionen eingehen (z. B. eine Ketonbildung im Sinne der Kalksalzdestillation, S. 108). Einige besonders aktivierte Säuren (z. B. die Malonsäure [S. 174], die 1,3Keto-carbonsäuren [S. 191] und die Phenol-carbonsäuren [S. 186]) decarboxylieren beim Erhitzen auch schon ohne Alkali unter C02-Abspaltung: R—;CO() LI
-ErhitzelU
R—H +
C0 2
b) Bei der in Gegenwart konzentrierter Schwefelsäure zuweilen vor sich gehenden Kohlenoxydspaltung der Carbonsäuren wird die Gesamtoxydationsstufe ebenfalls
2: Die Carbonsäurederivate
125
nicht geändert. Nur erhält man hier den Rest R in der höheren Oxydationsstufe des Alkohols und den Carboxylkohlenstoff in der niedrigeren Stufe des Kohlenoxyds-. R
R—OH
c=o
O—H Die Reaktion ist nicht allgemein durchführbar und gelingt bei den einfachen Carbonsäuren nur im Falle der Trimethyl-essigsäure (S. 140). Bei komplizierteren Säuren, insbesondere den a-Hydroxy (S. 180) und a-Ketocarbonsäuren (S. 188) tritt sie dagegen verhältnismäßig leicht ein.
c) Schließlich kennt man eine Reihe von Abbaureaktionen, die mit einer Erhöhung der Gesamtoxydationsstufe um zwei Äquivalente einhergehen, so daß der Alkylrest in der Oxydationsstufe eines Alkohols und der Carboxylkohlenstoff in der des Kohlendioxyds anfällt. Hier ist vor allem der HUNSDIECKER-Abbau zu nennen, bei dem die Silbersalze der Carbonsäuren mit elementarem Halogen (meistens Brom oder Jod) umgesetzt werden. Als Zwischenprodukt tritt vermutlich das gemischte Anhydrid (I) von Carbonsäure und unterhalogeniger Säure auf: R—CO—0:Ag +
Br— Br
— AgBr
R-i-CO-—0- -Br
R—Br
+
C0 2
Ferner gehört diesem Reaktionstyp der bekannte HoFMANNsche Abbau der Carbonsäureamide (S. 1 3 4 ) sowie die nahe verwandten Abbauarten von Th. CCRTICS und W . LOSSEN (Näheres vgl. I, Kap. 4 , III, 2 d E und Q an.
2. Die Carbonsäurederivate Unter Carbonsäurederivaten versteht man alle Verbindungen, in denen unter Erhaltung der Oxydationsstufe 3 des Carboxylkohlenstoffs entweder der Carboxylwasserstoff durch positive oder die Sauerstoffunktionen der Carboxylgruppe durch negative Atome bzw. Atomgruppen ersetzt sind. Die Benennung der Carbonsäurederivate geschieht vielfach durch Anhängung der Gruppenbezeichnung an den Namen der betreffenden Säure (z. B. Essigsäure-amid, Benzoesäure-anhydrid usw.). Daneben sind für die häufig wiederkehrenden Säurereste aber auch Radikalnamen gebräuchlich. Beispielsweise wird der bei der Substitution .0
der Hydroxylgruppe unverändert bleibende Rest R—C^ (allgemein Acylrest genannt) oft für Nomenklaturzwecke verwandt und hierzu durch die an den Wortstamm des Säurenamens gehängte Endung -yl gekennzeichnet. So leitet sich etwa von der Stearinsäure der Stearylrest (z. B. in Stearyl-chlorid) ab. Ferner dient zur Benennung des in den Salzen und Estern enthaltenen Restes R—CO—0— die bei den Salzen übliche Endung -at. Jedoch wird der Name hier, wie ebenfalls bei den Salzen üblich, durch Setzen des Radikalnamens an das Wortende gebildet (z. B. Natrium-stearat oder Äthyl-palmitat). Für beide Arten von Säureresten sind bei den einfachen Carbonsäuren Trivialnamen in Gebrauch, die sich von den in der Pharmazie auch heute noch gebräuchlichen alten lateinischen Namen der betreffenden Säure ableiten und deshalb den Zusammenhang mit den deutschen Säurenamen nicht ohne weiteres erkennen lassen. In Tabelle 11 sind die wichtigsten dieser Trivialnamen denen der zugehörigen Carbonsäuren gegenübergestellt:
126
Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate Tabelle I I
Die T r i v i a l n a m e n einiger C a r b o n s ä u r e n und der sich von i h n e n a b l e i t e n d e n Beste Salz
Säure Ameisensäure Essigsäure Buttersäure Benzoesäure Zimtsäure
Formiat Acetat Butyrat Benzoat Cinnamat
Acylrest Formyl Acetyl Butyryl Benzoyl Cinnamoyl
Säure
Salz
Milchsäure Weinsäure Brenztraubensäure Bernsteinsäure Korksäure
Acylrest
Lactat Tartrat Pyruvat Succinat Suberat
Lactyl Tartryl Pyruvyl Succinyl Suberyl
Die Einteilung der Carbonsäurederivate geschieht wie die der Derivate der Oxoverbindungen zweckmäßig nach den in ihnen enthaltenen Heteroelementen. a) D i e
Carbonsäure-chloride
Die wichtigsten Halogenderivate der Carbonsäuren sind ihre Chloride. Sie leiten sich v o n den freien Säuren durch Ersatz der Hydroxylgruppe Chlor ab und werden in der Praxis auch mit Hilfe einer derartigen tutionsreaktion hergestellt.
durch Substi-
Als Chlorierungsmittel verwendet m a n hierbei (neben Phosgen, vgl. S. 143) die gleichen anorganischen Polyhalogenverbindungen wie bei der Halogenierung der Alkohole, nämlich PhosphorpentacMorid, ThionylcMorid u n d Phosphortrichlorid: +PCI-
0 R—C^
+ OH
S0C1
,
POCl 3 +
HCl
i—> ,
S0 2
HCl
1/s H 3 p 0 3
+v.pci.
+
+
o
+
R—C^ C1
+
Die Benennung erfolgt durch die Gruppenbezeichnung -chlorid säure-cMorid oder Acetyl-chlorid.
(z. B.
Essig-
Man muß hier (und entsprechend auch bei anderen Carbonsäurederivaten) streng unterscheiden zwischen den Carbonsäure-chloriden und den CUor-carbonsäuren. Steht die Funktionsbezeichnung nach dem Namen der Säure bzw. ihres Radikals, wie bei den Säurechloriden, so liegt immer ein Säurederivat vor. Steht sie dagegen davor, wie bei den CUor-carbonsäuren, so handelt es sich um eine neue Carbonsäure, die durch Substitution der ersten Säure im organischen Molekülrest entstanden ist und ihrerseits wieder Säurederivate bilden kann. So stammen z. B. von der Essigsäure einerseits das Säurederivat Acetylchlorid, andererseits die neue Carbonsäure Chloressigsäure ab. Von letzterer kann dann sekundär ein eigenes Säurechlorid, das Chlor-acetyl-cMorid, abgeleitet werden: Cl—CH 2 —CO—Cl Chlor-acetylchlorid
R—COOH
+
HO—Alk
Die Esterhydrolyse ist die Umkehrreaktion der oben formulierten Veresterung und verläuft wie diese nur bis zu einem Oleichgewicht. Sie erfordert Temperaturen um 1000 und starke Mineralsäuren als Katalysator, kann aber oberhalb 150° auch ohne Katalysatoren durchgeführt werden. Neben der säurekatalysierten Hydrolyse besteht auch die Möglichkeit einer alkalischen Esterspaltung. Sie geht schon bei Raumtemperatur relativ rasch vor sich und ist dadurch charakterisiert, daß die bei der Hydrolyse entstehende freie Carbonsäure infolge des alkalischen Reaktionsmediums in neutralisierter Form anfällt: R—CO:—0—Alk +
HONa
*
R—COONa +
HO—Alk
Die Wirkung des Alkalis ist also nicht mehr katalytisch, denn es wird ein Mol des Spaltungsmittels verbraucht, und das Reaktionsgleichgewicht verschiebt sich wegen des Abfangens der freien Carbonsäuren bis zur vollständigen Esterverseifung. b) die der Umacetalisierung
(S. 114) analoge Umesterung:
IK—vf + HO—Alk' ;X0—Alk
R-Cf \ )
+
HO—Alk
Alk'
Sie führt immer zu einem Oleichgewicht und wird sowohl durch Säuren als auch durch Basen (hier durch Alkali-alkoholate) katalysiert. Die Reaktion findet praktische Anwendung zur Freisetzung komplizierterer Alkohole aus ihren Estern mit Hilfe einfacher Alkohole. c) die Aminolyse: R—C "
X): N
'••
H" -NTTIS +_1_ Hj—NH
0—Alk
».
T? R
O
n" —
+ x
HO—Alk
XH2
Sie erfordert als einzige Reaktion dieser Gruppe keine Katalyse und dient sowohl zur Darstellung v o n Carbonsäureamiden (S. 133) als auch zur Freisetzung der alkoholischen Esterkomponente. 9
K l a g e s , E i n f ü h r u n g org. Chemie
Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate
130
Als weitere Reaktion der Estergruppe sei die mit Lithium-aluminium-hydrid eintretende reduzierende Spaltung zu zwei AlkohobnolehiUen erwähnt, die hauptsächlich zur Reduktion der Säurekomponente des ursprünglichen Esters Anwendung findet: R—COO—Alk
L 1 A 1 H '-
R—CH2—OH +
HO—Alk
Ferner ist die Carbonestergruppe zur Umsetzung mit metallorganischen Verbindungen (S. 264) und zu der unten beschriebenen Esterkondensation befähigt. Zu 2. Die aktive Methylengruppe der Ester kann, im Gegensatz zu der der freien Carbonsäuren einige Kondensationsreaktionen eingehen, von denen die wichtigste die in Gegenwart von Natriumalkoholat oder Natriumamid vor sich gehende Ester- oder CLAisENkondensation ist. Bei ihr treten zwei Estermoleküle im Sinne der folgenden summarischen Gleichung zu einem 1,3-Keto-carbonsäureester zusammen: O II. R— C—0—Alk +
R' O I II Hl—CH— C—0—Alk
O R' O " 1 II R_C—CH—O-O—Alk
-HO-Alk
Eine ähnliche Reaktion ist auch zwischen der aktiven Methylengruppe eines Ketons und der Alkoxygruppe eines Garbonsäureesters möglich und führt dann zu 1,3-Diketonen-. O
R'
R—C -O—Alk +
O
H H—ÖH—C—Alk — ¿1
O R' H0
Alk
>
O
R—C—CH—C—Alk
Die Esterkondensation eröffnet im Zusammenhang mit den auf S. 165 und 190/1 beschriebenen Spaltungsreaktionen der 1,3-Diketone und 1,3-Keto-carbonsäureester eine wichtige Synthesemöglichkeit zum Aufbau höherer Ketone und Carbonsäuren. Bez. des ziemlich komplizierten Reaktionsmechanismus vgl. I, Kap. 12, I I I , 2e und II, Kap. 4, I I I , 2. y) Die Carbonsäure-anhydride Unter Carbonsäure-anhydriden versteht man die aus zwei Carbonsäuremolekülen unter Wasseraustritt entstehenden Verbindungen der allgemeinen Struktur R — C O — 0 — C O — R ' . Je nachdem, ob R und R ' gleich oder verschiedenartig sind, unterscheidet man zwischen symmetrischen und unsymmetrischen Anhydriden. Darstellung. Die direkte Wasserabspaltung aus zwei Molekülen einer Carbonsäure läßt sich mit wenigen Ausnahmen (vgl. z. B. S. 139) nur schwierig durchführen. Man gewinnt die Anhydride deshalb meistens durch Acylierung eines carbonsauren Salzes mit einem Carbonsäurechlorid oder Keten als Acylierungsmittel, eine Reaktion, die auch zur Darstellung unsymmetrischer Anhydride geeignet ist: Rr-CO—ONa
+
Cl—CO—R'
~NaC1 .
R—CO—0—CO—R'
Ferner kann man freie Carbonsäuren durch Kochen mit den Anhydriden anderer Carbonsäuren (meistens mit Essigsäureanhydrid) auf dem Wege einer „Umanhydrisierung" in ihre Anhydride umwandeln. In Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen können hierbei sowohl das gemischte Anhydrid beider Säuren (I) als auch das symmetrische Anhydrid der zu anhydridisierenden Säure (II) entstehen:
2 b y und ó : Carbonsäureanhydride, Orthocarbonsäureester o T>
n"
.0
+
2
R—CO.
Acet-anhydrid
\
N ) H
Gleichgewichts-
H3C-CC/
>+
^
—
>
R—CO.
HjC—COv
R—CO
"
^
131
Ii
Die Carbonsäureanhydride sind ziemlich hochsiedende Substanzen, die einen ähnlich stechenden Geruch aufweisen wie die zugehörigen Säuren. Sie stellen ebenfalls wichtige Acylierungsmittel dar, die wie die Carbonsäurechloride (S. 127) einen Acylrest auf andere Substanzen zu übertragen vermögen:
R—C
% C—R
+
O
0
OH
X
X-
Da bei diesen Acylierungsreaktionen stets einer der beiden Acylreste als Säure freigesetzt wird, ist günstigenfalls eine 50° ¡g ige Ausnutzung der organischen Materie des Anhydrids möglich. Hierdurch wird die praktische Anwendbarkeit, insbesondere der Anhydride der höheren Carbonsäuren, stark eingeschränkt. Die Carbonsäureanhydride reagieren nur mit stärker basischen Stoffen (Ammoniak, Amine, Alkalien usw.) spontan und bedürfen bei der Acylierung v o n Alkoholen der Katalyse. Praktisch angewandt werden konzentrierte Schwefelsäure und Zinkchlorid als saure sowie Pyridin und Natriumacetat als basische Katalysatoren. Die aktive Methylengruppe der Carbonsäureanhydride läßt sich bereits ohne Schwierigkeiten chlorieren, nitrieren und sulfonieren. Ferner ist sie zu einigen Kondensationsreaktionen befähigt, von denen wir die PERKlNsche Zimtsäuresynthese noch kennenlernen werden (S. 141).
ó) Die Orthocarbonsäure-ester Orthocarbonsäuren der Struktur R—C(OH) 3 sind nicht bekannt, weil Verbindungen mit drei Hydroxylgruppen an einem C-Atom noch unbeständiger sind als die Hydrate und Halhacetale der OxoVerbindungen mit nur zwei derartigen Substituenten an einem C-Atom (S. 112). Dagegen existieren einige Orthocarbonsäurederivate, bei denen wegen des Fehlens einer Hydroxylgruppe die Verringerung der Zahl der negativen Substituenten am Carboxyl-C-Atom durch Abspaltung einer Wasserstoff Verbindung nicht mehr möglich ist. Die wichtigsten v o n ihnen sind die Orthocarbonsäure-ester, die man am besten durch Umsetzen der Nitrile (S. 135) mit drei Molekülen Alkohol u n d einem Mol Chlorwasserstoff über die salzsauren Imido-ester (S. 136) als Zwischenprodukte gewinnt (bez. weiterer Darstellungsmethoden vgl. I, Kap. 4, III, 2 c ) :
R—C=N + Nitrii
9*
HO—Alk +
HCl
•NH, + c r R—C y VN 0—Alk salzsaurer Imtdoester
+ 2HÌO —Alk — NH.C1
,0—Alk R—C—O—Alk \o—Alk Orthocarbonsäure-ester
Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate
132
Die Orthocarbonsäure-ester sind den Acetalen ähnliche alkalibeständige Substanzen, die wegen der Häufung der Alkoxygruppen am zentralen C-Atom eine diesen gegenüber nochmals stark gesteigerte Säurelabilität aufweisen. Als erstes Hydrolysenprodukt erhält man die normalen Ester, die dann wesentlich langsamer durch Säuren weiter gespalten werden: /O-Alk r»
r /
n
»11
R—C—O—Alk M)—Alk
O +
H
, 0 , + Spuren H — 2 Alb—OH
v
n/7
D
\
X) + H , 0 , + starke Säuren
0—Alk
=TÄTk=ÖH
*
-// R - C v
OH
Eine praktische Anwendungsmögliohkeit dieser starken Tendenz zur Abgabe von zwei Alkoxyresten haben wir auf S. 113 in der Darstellung von Ketalen durch Umsetzung von Orthocarbonsäureestern mit Ketonen kennengelernt. e) Die Peroxyderivate der Carbonsäuren Da das Hydroperoxyd zwei substituierbare H-Atome enthält, liefert es zwei Arten von Acylderivaten: l.die Percarbonsäuren R—CO—0—OH und 2. die Diacyl-peroxyde R—CO—0—O CO—R. Zu 1. Die Percarbonsäuren erhält man am besten durch partielle Spaltung der leichter darstellbaren Diacyl-peroxyde mit Natriumalkoholatx R—CO—O—O—;CO—R +
R'—0;Na
>
R—CO—O—ONa +
R'—O—CO—R
Sie sind den Carbonsäuren ähnliche Stoffe mit einer diesen gegenüber deutlich verminderten Acidität. Ferner neigen sie als PeroxyVerbindungen leicht zur Verpuffung oder gar zu schweren Explosionen. Per-ameisensäure und Per-essigsäure finden technische, Per-benzoesäure präparative Anwendung als spezielle Oxydationsmittel (z. B. zur Überführung von Olefinen in Olefinoxyde, S. 43, 157). Zu 2. Die Diacyl-peroxyde werden bei der Acylierung des Hydroperoxyds mit den üblichen Acylierungsmitteln als Primärprodukt gewonnen. Sie sind wesentlich beständiger als die Percarbonsäuren, so daß z. B. Dibenzoyl-peroxyd auch in freiem Zustand ohne Explosionsgefahr gehandhabt werden kann. Die Diacyl-peroxyde neigen bei höherer Temperatur zu einem langsamen Zerfall in zwei Sauerstoffradikale, die zur Auslösung von Radikalkettenreaktionen (S. 353) befähigt sind: R—CO—0—0—CO—R
>
2R—CO—O-
Folgeprodukte
Hierauf beruht die wichtigste praktische Anwendung der Diacyl-peroxyde als Polymerisationskatalysatoren in der Kunststoffindustrie. c) D i e S t i c k s t o f f d e r i v a t e d e r C a r b o n s ä u r e n oc) Die Carbonsäure-amide Unter Carbonsäure-amiden (abgekürzt häufig auch Carbonamide genannt) versteht man (wie bei den anorganischen Säureamiden) Verbindungen, in denen die Säurehydroxylgruppe durch eine NH2-Gruppe ersetzt ist. Ihnen kommt also die allgemeine Strukturformel ß — C O — N H 2 zu. Man kann die Säureamide aber auch als Acylderivate des Ammoniaks auffassen. Hier besteht die Möglichkeit, daß nicht nur ein, sondern auch zioei oder gar alle drei Ammoniak-H-Atome durch einen Acylrest substituiert sind, und man unterscheidet dementsprechend zwischen primären, sekundären und tertiären Säure-amiden:
2 c a : Die Carbonsäureamide
133
yO
R-C^ X
X
NH 2
/N—C-
NH
N
Primäres Carbonsäureamld
O ||
R-C^
X
0
sekundäres Carbonsäureamid
O
tertiäres Carbonsäureamid
Im folgenden werden wir uns nur mit den primären Carbonsäure-amiden beschäftigen.
Die Axnide der einfachen Carbonsäuren kommen nicht natürlich vor. Dagegen trifft man häufig carbonsäureamidartige Bindungen in Naturstoffen an, von denen an dieser Stelle insbesondere auf die Peptidbindungen der Eiweißstoffe (S. 478f.) hingewiesen werden soll. Für die Darstellung der Carbonsäure-amide gibt es vor allem zwei Möglichkeiten: 1. die Acylierung des Ammoniaks mit Hilfe der üblichen Acylierungsmittel. Sie erfordert bei der Verwendung von Carbonsäurechloriden oder -anhydriden stets ein zweites Mol Ammoniak zur Neutralisation der entstehenden freien Säure: ,0 LI—CF
.0 +
H|—NH2
R— C F + X NH 2
: X
X
+IM
H—X
' »
NH 4 + X"
Man acyliert deshalb häufig mit den Carbonsäureestern, da der hierbei freigesetzte Alkohol nicht mit dem Ammoniak reagieren kann (vgl. die Formulierung auf S. 129). Selbst die freien Carbonsäuren können bei höherer Temperatur als Acylierungsmittel verwandt werden, obgleich hier die primär beim Zusammengeben von Säure und Ammoniak stattfindende Ammoniumsalzbildung erheblich stört (Näheres vgl. I, Kap. 4. III, 2da).
2. die Wasseranlagerung an Nitrile, die meistens durch Alkalien katalysiert wird und stets vorsichtig durchgeführt werden muß, damit die entstehenden Amide nicht anschließend hydrolytisch gespalten werden (s. unten): R—C=N +
H20
•
R— c /
i \
NH„
+ H
»° .
R—COOH +
NH3) '
Physikalische Eigenschaften. Die Säureamidgruppe übt die stärksten Assoziationskräfte aller bisher beschriebenen Funktionen aus. Infolgedessen sieden sämtliche Carbonsäureamide oberhalb 200° und sind mit Ausnahme des Formamids bei Raumtemperatur fest. Ferner besitzt Formamid bereits ein wasserähnliches Lösungsvermögen für zahlreiche Salze und ist als erste organische Substanz, die wir kennenlernen, ausgesprochen lipophob, d. h. unlöslich in Äther, Chloroform und ähnlichen organischen Solventien.
Chemisches Verhalten Die Carbonsäureamide sind amphotere Substanzen, die sowohl mit starken Säuren als auch mit starken Basen leicht hydrolysierende Salze bilden. Lediglich einige schwerlösliche Schwermetallsalze sind etwas hydrolysebeständiger. Weiterhin zeigen die Carbonsäureamide eine Tautomerie mit einer Carbonsäure-imidForm: x> Jv
n "
YO
X
^
NH2
Carbonsäure-amid
Tautomerie —:——
/OH
v
X
/ V X
—
NH
Carbonaäure-imid
t
Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate
134
bei der das Gleichgewicht allerdings sehr stark zugunsten der Amid-Form verschoben ist. Doch sind zahlreiche beständige Derivate der Imid-Form bekannt (vgl. z. B . S. 136). Von den eigentlichen Umsetzungen der Carbonamidgruppe muß hervorgehoben werden: 1. die hydrolytische Spaltung. Sie erfolgt bereits ziemlich schwer und erfordert selbst beim Zusatz konzentrierter Mineralsäuren oder konzentrierter Alkalien stundenbis tagelanges Kochen. Weder die Säurespaltung noch die Alkalihydrolyse sind katalytische. Vorgänge, denn in ersterem Falle wird das entstehende Ammoniak, in letzterem Falle die entstehende Garbortsäure durch das Spaltungsmittel neutralisiert: Q
+
H20 +
HCl
•
R—COOH
+ NH4C1
NaOH
•
R—COONa +
R — C( NHä
+
NH3
Eine wesentlich mildere Spaltungsmöglichkeit besteht in der Umsetzung der Carbonsäureamide mit salpetriger Säure (Reaktion von BOUVEAULT), die, vermutlich über eine unbeständige Diazoverbindung (I) als Zwischenprodukt, direkt zu der freien Carbonsäure und elementarem Stickstoff führt: R—CO—NIL, +
0=N—OH
( R^-CO —N—N—OH ) I
R—CO—OH
2. die Reduktion zum primären Amin gleicher Kohlenstoffzahl. Sie kann nur mit Lithium-aluminiumhydrid durchgeführt werden und überspringt wie die entsprechende Reduktion der Carbonsäuren (S. 124) und Garbonsäureester (S. 130) die Aldehydstufe : R—CO—NH2
L1A1H '
3. die bei der Einwirkung von elementaren Halogenen eintretende Bildung von N-Halogen-carbonsäureamiden: R—CO—NH—:H -)- Hai—Hai
-> R—CO—NH—Hai +
HHal
Diese stellen eine neue Verbindungsklasse dar und zeichnen sich vor allem durch ihre Halogenierungstendenz aus, auf Grund deren sie als Halogenierungsmittel verwandt werden können (vgl. N-Brom-acetamid und N-Brom-succinimid, S. 68). Eine weitere interessante Reaktion der N-Halogen-carbonsäureamide ist die in Gegenwart von Alkalien erfolgende Abspaltung von Halogenwasserstoff zu dem instabilen Zwischenprodukt II, einem og. Azen, das sofort in dem angegebenen Sinn eine Umlagerung zu dem Isocyansäureester (S. 145) I I I erfährt, der unter den Reaktionsbedingungen hydrolytisch in das um ein C-Atom ärmere primäre Amin (IV) und Kohlendioxyd zerfällt: O II _ R—C—N
H
-f 0H~^
- H,Q, - Br
/ ,,
\
Br R—N=ic=0 III
Hydro ' y8( U
R—NH2 + IV
C02
Umlagerung
2 o ß : Die Nitrile
135
Die trotz des komplizierten Mechanismus recht glatt verlaufende Reaktion wurde zu Ehren ihres Entdeckers ÜOFMANNScher Abbau von Carbonsäureamiden genannt.
Ähnlich wie vom Ammoniak leiten sich auch von anderen organischen und anorganischen AminoVerbindungen säureamidartige Acylverbindungen ab. Die wichtigsten von ihnen sind: R—C\
R—C\ NH—NH 2
Oarbons&ure-hydrazld
X
R—C-v X
NH—OH
Hydroxamsäure
»
R—Cv N3
NH—R'
Carbonsäure-azid
N-Alkyl-carbonsäureamid
ß) Die Nitrile
In den Nitrilen ist der gesamte Sauerstoff der Carboxylgruppe durch ein N-Atom substituiert. Ihnen kommt somit die allgemeine Strukturformel R — C - N zu.
Die Namen der Nitrile schließen sich eng an die der Acylverbindungen an. Nur wird die Endung -yl des Acylnamens durch die Endung -o ersetzt (z. B. Aceto-nitril H3C—CN, Butyro-nitril CjH,—CN usw.). Daneben ist auch eine Benennung als Alkylderivate der Blausäure gebräuchlich. Danach hieße das Acetonitril Methyl-cyanid und das Butyro-nitril Propyl-cyanid.
Die Nitrile sind mit wenigen Ausnahmen (z. B. Amygdalin, S. 439) Kunstprodukte. Zu ihrer Darstellung dient außer den bereits beschriebenen Verfahren der KoLBEschen Nitrilsynthese (S. 120) und der Wasserabspaltung aus den Aldoximen (S. 118) vor allem die beim Erhitzen mit Phosphorpentoxyd leicht vor sich gehende Wasserabspaltung aus Carbonsäureamiden (oder aus deren noch wasserreicheren Vorstufe, den Ammoniumsalzen der betreffenden Carbonsäuren): R—COO~NH 4 +
•
R—CO—NH 2
.
R—C=N
Eigenschaften. Die Nitrile sind tief schmelzende, nicht unangenehm riechende Flüssigkeiten, die in Anbetracht der Tatsache, daß sie keinen assoziierenden Wasserstoff enthalten, ziemlich hoch sieden (Acetonitril z. B. bei 82°).
I
Das chemische Verhalten der Nitrile ist hauptsächlich durch die C^N-Dreifachbindung bedingt, die in gewisser Beziehung mit der C=0-Doppelbindung verglichen werden kann.
Allerdings ist sie wesentlich reaktionsträger als diese (z. B. bilden die Nitrile keine Hydrate, Ammoniakate usw.). Direkt lassen sich nur kaialytisch erregter Wasserstoff und metallorganische Verbindungen anlagern: NMgX R—CH 2 —NH 2
R—C=N
+ R
'~
MgX
,
R-C-R'
O Hydroly8e
->
R-C-R'
Ferner gelingt beim Kochen mit starken Alkalien die schon auf S. 133 kurz gestreifte Wasseranlagerung zum Carbonsäureamid, die wahrscheinlich auf einer primären Addition des OH -Ions beruht.
Interessanter ist die Säurekatalyse verschiedener Anlagerungsreaktionen, da hier das Proton zunächst vom Stickstoff unter Bildung eines Nitrilium-Ions R—C=NH+
Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate
136
a u f g e n o m m e n wird, dessen Dreifachbindung bereits derart aktiv ist, daß die Nitriliumsalze selbst (mit w e n i g e n A u s n a h m e n ) nicht mehr beständig sind (F. K L A G E S 1955). Sie lagern vielmehr sofort ein zweites Mol der Säure a n (z. B . Chlorwasserstoff z u m Hydrochlorid des Carbonsäure-imidchlorids) oder zugesetzte basische Stoffe z u d e n entsprechenden Carbonsäureimidderivaten:
+ HC1
R—C=N
+ HCl
[R— C=NH]H e r
>
Nitriiium-chlorid (nicht existenzfähig)
R—C.
er
Carbonsäure-imidchloridhydrochlorid ©
+ HO—R
er
R—C;
+ NE,
R—C
R
er X
Carbonsäure-imidoestcrhydrochlorid
NH,
Carbonsäure-amidinhydrochlorid
Den salzsauren Imido-estern sind wir bereits als Zwischenprodukten bei der Orthocarbonsäureestersynthese begegnet (S. 131). Sie gehen bei der Einwirkung von Basen unter Chlorwasserstoffabspaltung in die neutralen Imido-ester R—C(=NH)—0—Alk über, die wegen des Fehlens der OH-Gruppe nicht mehr zur Tautomerie mit einer Carbonsäureamidform befähigt sind und infolgedessen zu den wenigen stabilen Carbonsäure-imidderivaten gehören. Die den salzsauren Amidinen als Basen zugrundeliegenden freien Amidinc R—C(=NH)—NH 2 zählen mit pK b -Werten < 2,0 (gegenüber einem px b -Wert des Ammoniaks von 4,75) zu den stärkst basischen Stickstoffverbindungen, die wir kennen (bez. der Ursache dieser starken Basizität vgl. S. 341). d) D i e S c h w e f e l d e r i v a t e d e r
Carbonsäuren
Die wichtigsten Schwefelderivate der Carbonsäuren sind die Thiocarbonsäuren. Sie treten in den beiden tautomeren Formen I (bei weitem überwiegend) und II auf, von denen sich zwei Reihen von Ester ableiten, die als Thio- (bzw. Thiol-) und Thion-carbonsäureester bezeichnet werden: ,0 T> J\
n " Uv
,0 Veresterung
S—R'
Thio(l)-carbonsäureester
JA
U
^
I
SH
/OH \
—
XV
/
/O—R' Veresterung
^S II
/ X
S
Thion-carbonsäureester
Die Thio(l)-carbonsäureester stellt man am besten durch Acylierung von Mercaptanen mit Säurechloriden dar (S. 127, 243). Sie zeigen eine gewisse Acylierungstendenz und können als Acylierungsmittel Verwendung finden. Von dieser Möglichkeit macht u. a. auch die Natur Gebrauch, indem sie ihre Acetylierungsreaktionen mit dem komplizierten Thiolcarbonsäureester Acetyl-coenzym A (S. 528) durchführt. Von weiteren Schwefelderivaten der Carbonsäuren seien nur die Formeln der Dithio-carbonsäuren mit zwei und der Trithio-orthocarbonsäureester mit drei S-Atomen am Carboxylkohlenstoff angeführt: S S—R' R—cf R—C^-S—R' SH \S—R' Dithio-carbonsäuren
Trithio-orthocarbonsäureester
137
3 a: Die Ameisensäure
3. Einzelne Carbonsäuren a) D i e g e s ä t t i g t e n C a r b o n s ä u r e n Die Ameisensäure (Methansäure, Acidum formicicum) H—COOH wurde schon 1670 im Ameisengift entdeckt (WRAY) und ist auch im Gift der Brennessel enthalten. Ameisensäure nimmt als Anfangsglied der Reihe eine gewisse Sonderstellung ein, die dadurch bedingt ist, daß sie als einzige Carbonsäure ein leicht abspaltbares H-Atom am GarboxylkoMenstoff gebunden enthält und infolgedessen in nahe Beziehungen zu beiden Oxyden des Kohlenstoffs treten kann. Z. B. wird Ameisensäure technisch in Form ihres Natriumsalzes durch Anlagerung von Natriumhydroxyd an Kohlenoxyd gewonnen und kann mit Hilfe wasserentziehender Mittel (P 2 O s , konz. Schwefelsäure) auch rückwärts wieder eine Wasserabspaltung zu Kohlenoxyd erfahren: — H¡0 (H,SO, oder P,Ot) I
;
C=0
Hl
+
12
NaOH
°~ 15 1 °° >
6—8 At
H—COONa
I
— H — C O O H
_
Na+
Kohlenoxyd ist also das monomolekulare Anhydrid der Ameisensäure.
Die Beziehungen zum Kohlendioxyd kommen vor allem in der großen Oxydationsempfindlichkeit der Ameisensäure zum Ausdruck. Diese enthält nämlich im Gegensatz zu allen anderen Carbonsäuren noch eine Aldehydgruppe und kann deshalb verhältnismäßig leicht zum Kohlendioxyd dehydriert werden (z. B. mit typischen Aldehydreagenzien wie ammoniakalischer Silberoxydlösung): H H ~H|
0=C—ÖiH
0=C=0
Diese Dehydrierungstendenz ist sogar so groß, daß Ameisensäure als einzige bekannte Verbindung bei Raumtemperatur elementaren Wasserstoff abzuspalten vermag. Die Reaktion ist allerdings nur in schwach alkalischen Medien möglich. Physiologisch zeichnet sich Ameisensäure durch eine starke Oiftwirkung, insbesondere gegenüber Kleinlebewesen aus. Sie dient deshalb vielfach als Antiseptikum.
Auch bei den Derivaten der Ameisensäure lassen sich noch gewisse Beziehungen zum Kohlenoxyd erkennen. Vor allem zeigen alle Derivate des Typus HCO—X, in denen sich X von einer starken Säure ableitet (z. B. Formylchlorid HCO—C1 oder Ameisensäureanhydrid HCO—O—CHO) eine große Zerfallstendenz in Kohlenoxyd und die Säure HX. Derartige Substanzen sind daher nur bei tiefen Temperaturen beständig (z. B. Formyl-chlorid < —30°) oder überhaupt noch nicht dargestellt worden (z. B. Ameisensäureanhydrid). Basische Verbindungen HX, wie etwa Natronlauge, Ammoniak oder auch Alkohole in Gegenwart des stark b&sischeiiAlkoholat-Ions, kann man dagegen leicht an Kohlenoxyd unter Bildung recht beständiger Derivate (Natriumformiat [s. oben] Formamid und Ameisensäureester) anlagern: HCO—NH 2
C = 0
+H0
~Alk »
HCO—O—Alk
Das interessanteste Ameisensäurederivat ist die zur anorganischen Chemie zählende Blausäure H—C = N, die das Nitril der Ameisensäure darstellt. Wegen
Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate
138
ihrer stark endothermen Natur (s. unten) bildet sie sich (ähnlich wie Acetylen, S. 54) relativ leicht bei sehr hohen Temperaturen (z. B. in Sternatmosphären und in einem in stickstoff- und Wasserstoff- [bzw. kohlenwasserstoff-]haltiger Atmosphäre brennenden Kohlelichtbogen). Die Gewinnung der Blausäure geschieht meistens durch Zersetzen ihrer Salze mit Schwefelsäure. Die Salze stellt man im wesentlichen nach anorganischen Methoden dar, z. B. das Blutlaugensalz durch Verglühen stickstoffhaltiger organischer Substanzen mit Eisen und Pottasche und das Natriumcyanid aus Ammoniak, Kohle und metallischem Natrium bei 800°. In letzterem Fall wurden Natriumamid und Natrium-cyanamid (I, S. 146) als Zwischenprodukte nachgewiesen: 2 Na + 2 NH S
~H' >
2NaNH a
° >
NaN T =C=NNa I
+ C
2NaC=N
Eine typisch organische Bildungsreaktion ist die Wasserabspaltung aus Formamid, die man mit der Formamidbildung selbst verknüpfen kann, indem man z. B. Kohlenoxyd und Ammoniak bei Temperaturen oberhalb 400° über Dehydratisierungskatalysatoren leitet: IC=OI +
NH 3
500
' >
^H—CO—NHjj
~H,° .
H—C=N
Blausäure siedet bereits bei 26° und ist sehr stark endotherm (die Bildungswärme aus den Elementen beträgt + 3 1 kcal/Mol). Sie erleidet deshalb leicht Zersetzung oder Polymerisation und kann nur in reinem Zustand oder bei Stabilisierung durch Arsen-(III)-chlorid längere Zeit aufbewahrt werden. Physiologisch ist sie ein starkes Qift, das durch Blockierung des Eisens in den Atmungsfermenten die Oxydationsprozesse der Zelle lähmt. Trotzdem tritt sie gelegentlich frei in der belebten N a t u r auf, z. B. als Spaltprodukt des Amygdalins in den bitteren Mandeln (S. 439). Obgleich sich die Blausäure strukturell von der Ameisensäure ableitet, sind nur wenige Umsetzungen bekannt, durch die sie in Ameisensäure selbst oder andere Ameisensäurederivate umgewandelt wird. Eine praktische Bedeutung hat lediglich ihre Überführung in Form-imidoester und Orthoameisensäureester erlangt, die bei der Einwirkung von alkoholischer Salzsäure wie bei jedem anderen Nitril vor sich geht (vgl. die Formulierung auf S. 136). Ihren eigentlichen Charakter als eine von der Ameisensäure unabhängige Verbindung erhält die Blausäure durch den Umstand, daß sie eine gewisse Tendenz aufweist, in das mit dem Kohlenoxyd isostere (vgl. auch S. 311 f.), zu völlig neuartigen Reaktionen befähigte Gyanid-Ion überzugehen. Die Blausäure dissoziiert aus diesem Grunde den Wasserstoff viel leichter als Proton ab als sämtliche anderen Ameisensäurederivate und n i m m t den Charakter einer (allerdings sehr schwachen) Säure mit dem pK a -Wert 9,32 (etwa mit den Phenolen vergleichbar) an: . r 0 e ®
H—C=N
H + L ICssNI J
isostermit | C=OI
Die durch diese elektrolytische Dissoziation der Blausäure überhaupt erst ermöglichten Ionenreaktionen des Cyanid-Ions (einschließlich seiner Tendenz zur Bildung von Schwermetaükomplexen) haben nichts mehr mit der Chemie der Ameisensäure zu tun und gehören im wesentlichen zum anorganischen Bereich. Organische Reaktionen des Cyanid-Ions sind einerseits die Cyanhydrinsynthese (S. 99), andererseits die ebenfalls bereits erwähnte KoLBEsche Nitrilsynthese (S. 120). Die letztere nimmt insofern einen etwas komplizierteren Verlauf als dort formuliert, als derAlkylrest nicht nur an den Kohlenstoff des Cyanid-Ions zu den Nitrilen, sondern auch an den Stickstoff unter Bildung von Isonitrilen (S. 313) treten kann:
3 a: Die gesättigten Carbonsäuren Alk—C=NI
•
139 >
|C=N|
+
IC-N-AIk
Nitril
Isonitril
Früher glaubte man auf Grund dieser beiden AlkyUerungsmöglichkeiten des Cyanid-Ions eine Tautomerie der Blausäure zwischen einer Nitril- und einer Isonitrüform annehmen zu können. Doch ist die Beteiligung der letzteren am Gleichgewicht niemals eindeutig nachgewiesen worden: H—C=NI
^
H+ +
Nitrlllorm
r G
LlC=NlJ
dissoziierte Form (der Blausäure)
Q
©
I C=N—H Isonltrilform
Die Essigsäure (Äthansäure, acidum aceticum) H 3 C—COOH ist die am längsten bekannte und auch heute noch praktisch wichtigste Carbonsäure. Ihre Gewinnung geschah früher durch mikrobiologische Alkoholoxydation (Weinessig) oder aus den bei der trockenen Destillation von Holz anfallenden Produkten (Holzessig). Heute geht man in der Technik entweder vom Acetylen aus (vgl. Tafel I) oder setzt Kohlenoxyd mit Methanol im Sinne einer Carbonylierungsreaktion um: H3C-OH
+
CO
N J 250 1 3'50,->
H 3 C-COOH
Reine Essigsäure riecht unerträglich stechend und erstarrt bereits bei 16,5° zu eisähnlichen Kristallen, weshalb sie auch Eisessig genannt wird. Von der Ameisensäure unterscheidet sie sich hauptsächlich durch ihre außerordentliche Oxydationsbeständigkeit, auf die schon früher hingewiesen wurde (S. 124) und der sie ihre vielseitige Verwendung als Lösungs- und Reaktionsmedium verdankt. Ferner dient sie über ihre Derivate als Ausgangsverbindung für zahlreiche Synthesen. Das wichtigste Essigsäurederivat ist das Anhydrid H3C—CO—0—CO—CH3 (meistens kurz Acetanhydrid genannt). Es wird heute im großen durch Wasserabspaltung aus zwei Molekülen Essigsäure bei 700° oder durch Einleiten von Keten in Eisessig gewonnen und findet hauptsächlich Anwendung als technisches Acetylierungsmittel (z. B. für die Herstellung sämtlicher Acetatfasern). Ferner gehen von ihm mehrere Synthesen aus (z. B . die PERKlNsche Zimtsäuresynthese, S. 141). Essigsäure-äthylester (Essigester) H3C—CO—0—C2H6 wird technisch mit Hilfe der auf S. 101 beschriebenen Disproportionierung von Acetaldehyd in Gegenwart von Aluminium-isopropylat hergestellt. Er besitzt einen angenehmen fruchtartigen Geruch und dient hauptsächlich als Lösungsmittel sowie als Ausgangsmaterial für Synthesen (z. B . für die Acetessigestergewinnung). Aluminiumacetat (essigsaure Tonerde) findet in der Pharmazie Anwendung als Antiseptikum und Adstringens. Während die Propionsäure H3C—CH2—COOH ohne praktische Bedeutung geblieben ist, begegnen wir in der Buttersäure H3C—(CH2)2—COOH der ersten in natürlichen Fetten (vor allem in der Kuhbutter) auftretenden Carbonsäure. Sie kommt auch in freiem Zustand ziemlich häufig in der Natur vor, z. B . als Stoffwechselprodukt im menschlichen und tierischen Schweiß, als Schreckmittel im Drüsensekret einiger Laufkäfer, sowie als Fettspaltungsprodukt in ranziger Butter, deren Geruch sie jedoch nur z. T. bedingt. Ihre Darstellung erfolgt entweder aus Kohlenhydraten auf biochemischem Wege (Buttersäuregärung) oder synthetisch über Butanol oder Butyraldehyd. Buttersäure ist noch mit Wasser u bejre zt mischbar, wird aber leicht ausgesalzen. Die wäßrigen Lösungen schäumen ähnlich stark wie Seifenlösungen. Buttersäure-äthyl- und -isobutylester dienen in der Riechstoffindustrie zur Erzeugung eines künstlichen Ananasaromas. Isobuttersäure (CH3)2CH—COOH wird durch Oxydation von Isobutanol gewonnen und kommt frei im Johannisbrot vor. Die sich von den verschiedenen Pentanen ableitenden Säuren heißen Yaleriansäuren und sind alle vier bekannt:
Kap. 4, I I I : Die Carbonsäuren und ihre Derivate
140
(¿h 2 ) 3 Ah 3 n-Valeriansäure
COOH
COOH I *CH
COOH I ch2
COOH
-CH 3
CH3 c h 3 c h 3
Methyläthylessigsäure
Trimethylesslgsäurc (Pivalinsäure)
C H3—dlH— C H 3 Isovaleriansäure
Von den höheren gesättigten Carbonsäuren interessieren nur die mit einer unverzweigten geradzahligen Kohlenstoffkette als Bestandteile der Fette. Sie haben der gesamten Gruppe der gesättigten aliphatischen Carbonsäuren den Namen Fettsäuren1) gegeben und werden gemeinsam mit den Fetten auf S. 447 f. besprochen. b) D i e u n g e s ä t t i g t e n C a r b o n s ä u r e n Die wichtigsten ungesättigten Carbonsäuren mit ot,ß-Stellung der olefinischen Doppelbindung entstehen relativ leicht durch Abspaltung der Verbindungen H X aus Carbonsäuren, die am /^-ständigen C-Atom einen negativen Liganden X enthalten: OH H I ; I R—Cli- CH—COOII
CI — H,0 V
V
H.o
/S-Hydroxy-carbonsäure
R—CH=CH—COOH
-HCl + HCl
a,j8-ungesättigte Carbonsäure
H
R—CH— CH—COOH ß-Chlor-carbonafiure
D i e a,ß-ungesättigten Carbonsäuren sind etwas stärker sauer als die gesättigten Säuren (Der p K a -Wcrt erniedrigt sich etwa um y2 Einheit). Die G=C-Doppelbindung ist sehr aktiv und besonders zur Addition von polarisierten Verbindungen des Typus H X befähigt. Hierbei tritt der Addend X stets in Umkehrung der oben formulierten Bildungsreaktion an das ß-ständige C-Atom. Eine interessante neuartige Reaktion beobachtet man beim Schmelzen der Alkalisalze der oc,ß-ungesättigten Säuren mit überschüssigem Alkalihydroxyd an der Luft. Hierbei findet eine oxydierende Hydrolyse der C=C-Doppelbindung unter Bildung von Essigsäure und der um zwei C-Atome ärmeren gesättigten Carbonsäure statt. (Bez. des Mechanismus vgl. I, Kap. 4, III, 3 b): Alk—CH=CH—COONa
+ ^aOH +
Alk—COONa +
H3C—COONa
Acrylsäure H 2 C=CH—COOH, das Anfangsglied der Reihe, und ihre Derivate kann man (außer nach dem oben genannten Verfahren) mit Hilfe der Carbonylierangsreaktion aus Acetylen, Kohlenoxyd und einer Verbindung HX gewinnen (S. 52). III Hl
Die freie Säure und die meisten ihrer Derivate neigen stark zur Polymerisation und werden verschiedentlich zu Kunststoffen verarbeitet.
Das technisch wichtigste Acrylsäurederivat ist das Acrylnitril H 2 C=CH—CN, das ohne den Umweg über die Acrylsäure direkt aus Acetylen und Blausäure synthetisiert wird (S. 53). Es ist die Grundsubstanz der Orion- oder Dralonfaser, die aus reinem Polyakrylnitril besteht. Ferner ist es als Mischpolymerisat mit Butadien in verschiedenen Bunasorten enthalten. Die nächst höhere homologe Säure heißt Crotonsäure HSC—CH=CH—COOH. Sie tritt in einer (unbeständigen) eis- und (beständigen) trans-Form auf und neigt nicht mehr zur Polymerisation. Dagegen polymerisiert die isomere Methacrylsäure H2C=C(CH3)—COOH wieder. Der Poly-methacrylsäure-methylester ist unter dem Decknamen Plexiglas bekannt geworden. x
) Der Name ist nicht ganz exakt, da es auch ungesättigte Fettsäuren gibt.
3 c: Die aromatischen Carbonsäuren
141
Einige höhere ungesättigte Fettsäuren mit 16 und 18 C-Atomen und isolierter Stellung der C=C-Doppelbindung(en) treten neben den gesättigten Fettsäuren in den Fetten und Ölen auf. Auf sie wird ebenfalls erst später (S. 447/8) näher eingegangen. Propiolsäure HCsC—COOH, das Anfangsglied der Acetylencarbonsäurereihe, besitzt neben dem Carboxylwasserstoff noch ein zweites saures H-Atom und bildet infolgedessen zwei Reihen von Salzen:
Ag-fec-cooH
— JJ"*"
H — C = C — COOH Propiolsäure
c) D i e a r o m a t i s c h e n
üaU
H
_CssC_C00Na
Carbonsäuren
Einigen allgemeinen Darstellungsweisen für aromatische Carbonsäuren (und z. T. auch ihre Derivate) sind wir bereits in dem oxydativen Abbau der Seitenketten von aromatischen Kohlenwasserstoffen (S. 23, 63) und in der Umsetzung von aromatischen Kohlenwasserstoffen mit chlorhaltigen Kohlensäurederivaten nach FRIEDEL-CRAFTS (S. 121) begegnet.
Benzoesäure C 6 H B —COOH, die einfachste aromatische Carbonsäure, wurde schon Endedes 16.JahrhundertsvonBLAiSE d e V i g i n ä b e aus dem Benzoeharz durch trockene Destillation gewonnen. Sie h a t ihrerseits wieder dem Benzol und damit der großen Gruppe der Benzolverbindungen den Namen gegeben. Abgesehen von einer geringfügigen Erhöhung der Acidität (p Ka = 4,19) gegenüber den gesättigten Carbonsäuren bietet sie chemisch nicht viel Neues. Die Umsetzungen ihrer Derivate erfolgen im allgemeinen merklich langsamer als bei den entsprechenden Derivaten aliphatischer Carbonsäuren. Kleinlebewesen gegenüber zeigt die Benzoesäure antiseptische Eigenschaften und dient deshalb in der Nahrungsmittelindustrie als Konservierungsmittel.
I n der Zimtsäure C 6 H B —CH=CH—COOH liegt eine ungesättigte aromatische Carbonsäure vor. Sie t r i t t in Form verschiedener Ester in einigen tropischen Wundbalsamen auf, wird aber meistens synthetisch hergestellt mit Hilfe der schon mehrfach erwähnten PERKiNSChen Zimtsäuresynthese. Diese beruht auf einer Kondensation des Benzaldehyds mit der aktiven Methylengruppe des Essigsäureanhydrids unter der Einwirkung von Natriumacetat als Kondensationsmittel. Das bei der Kondensation abgespaltene Wasser wird gleich zur Hydrolyse der Anhydridgruppe verbraucht:
Ka
°
A c
-
CH=CH— COOH + HOOC—CH3
Zimtsäure tritt in einer stabilen trans- und einer labilen cis-Form auf. Von ihren Reaktionen ist einerseits die schon bei der Destillation unter Atmosphärendruck erfolgende Decarboxylierung zu Styrol, andererseits die beim Belichten der kristallisierten Säure vor sich gehende Dimerisierung (S. 46) hervorzuheben. Als Dimerisierungsprodukte entstehen die Truxillsäure und die Isotruxillsäure nebeneinander, von denen jede wieder eine Reihe von stereoisomeren Formen ausbildet (Näheres vgl. I, Kap. 11, I, 2b): C6H5
COOH
R—NH 2
» ° . R—NH—COOH
+
R—NH—CO—NH—R
I
Ii
Schließlich ist es auch möglich, die Isocyansäureester zu Isocyanursäureestern. zu trimerisieren (S. 147).
Ein letztes Derivat der Cyansäure liegt in ihrem Amid, dem Cyan-amid, vor. Es ist wie die Cyansäure selbst zur Tautomerie mit einer Isoform befähigt, die als Diimid der Kohlensäure Carbo-diimid genannt wird: NsC-NH,
HN=C=NH
Cyan-amid
Carbo-diimid
Cyanamid wird technisch durch Umsetzen von Calciumcarbid mit Luftstickstoff bei hohen Temperaturen gewonnen. Der hierbei entstehende KalkstickstoII besteht aus einem Gemenge von Calcium-cyanamid und Ruß. Aus ersterem kann man das Cyanamid bereits durch wäßrige Kohlensäure freisetzen: CaC2 +
N2
•
Calciumcarbid
CaN—C=N
+
'
H2N-C=N
Calcium-cyanamid
Cyanamid
Ferner ist die auf S. 138 formulierte Bildung des Natrium-cyanamids Natriumcyanidsynthese zur Cyanamid-Darsteüung geeignet.
als Zwischenprodukt der
Auch Cyanamid ist zu Anlagerungsreaktionen befähigt, von denen die Addition von Wasser zu Harnstoff (S. 148), von Schwefelwasserstoff zu Thio-harnstoff (bzw. exakter Pseudo-thiokarnstoff, S. 153), von Ammoniak zu Quanidin (S. 150) und von Carbonsäuren zu Ureiden (S. 150) als Darstellungsreaktionen für die betreffenden Verbindungen Verwendung finden: Ac—NH—C
yNH,
Acylj ,OAc Wanderung H N = C \
4H0-AC
N
=
C
_
OH
N R
NH2
NH.
Ureid
Harnstoff (Iaoform) /NH2 HN=C:
+ NH,
HN=C=NH
NiH, Guanldin
hn=C(/'
SH
n
NH2
Pseudo-thloharnstoff
Außerdem tritt in Gegenwart von verdünnten Mineralsäuren oder Alkalien leicht Dimerisierung zum Dicyandiamid H N = C = N — C ( = N H ) — N H 2 ein, das bei höherer Temperatur noch ein drittes Molekül Cyanamid zum trimeren Melamin (S. 147) anzulagern vermag.
b) D i e C y a n u r s ä u r e u n d i h r e D e r i v a t e Bei der Mehrzahl der Cyansäure- und Iscocyansäurederivate beobachtet man die schon mehrfach erwähnte Tendenz zur Trimerisierung. Hierbei entstehen cyclische, sich vom sym-Triazin (S. 297) ableitende Substanzen, die Cyanursäureverbindungen genannt werden. Die freie Cyansäure geht bei der Polymerisation allerdings nur zu etwa 3% in die trimere Cyanursäure über neben 97% Cyamelid (S. 145). Erstere wird daher besser durch Ammoniakabspaltung aus Harnstoff dargestellt (S. 149).
3 b: Die Cyanursäurederivate
147
Sie zeigt ebenfalls eine Tautomerie zwischen einer OH-Gruppen enthaltenden aromatischen (und deshalb im Gleichgewicht überwiegenden) Cyanursäureform und einer NH-Gruppen enthaltenden Isocyanursäureform. Es sind Derivate beider tautomerer Formen bekannt. Das sich von der Cyanursäure ableitende Cyanursäure-chlorid gewinnt man durch Trimerisierung von Chlor-cyan, und auch die Cyanursfiure-ester dürften auf dem Wege einer Trimerisierung aus den (bei der Alkoholyse von Chlorcyan vermutlich intermediär auftretenden) Cyansäure-estern entstehen. Ferner trimerisieren die Isocyansäure-ester zu den Isocyanursäure-estern und das Cyanamid zu dem Melamin genannten Gyanursäureamid, das wieder zwischen einer (überwiegend im Gleichgewicht vertretenen) aromatischen Cyanursäureform, und einer Isocyanursäureform tautomer ist. Alle diese Reaktionen (mit Ausnahme der Tautomerie des Melamins) sowie die zwischen den einzelnen Cyanursäurederivaten möglichen Übergänge sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt:
^3Ne=C—OH^
'H
Cyansäure Trimerisierung
3HN=C=0
r-
HO
Isocyansäure
/ HN
N II C
N I C N
N
X
X
OH
Cyanursäure
Cyansäureester
N I i
Trimeri-
t» o >» W
\ N Ii II C
Alk—0 x
x
\
A o
0 - -Alk 1 ^ 3 NE= G—0—Alk j
C
V
NH i
S H
) >5?
Isocyanursäure
o
vv
A
R—nh 2 +
h2o
Ähnlich wie der Wasserstoff spalten sich auch die Alkylreste aus den Ammonium-Ionen leichter ab als aus den neutralen Aminen. Viele Spaltungsreaktionen der C—N-Bindung, wie z.B.
Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen
202
die Metkylimidbestimmung (S. 199) und die Synthese von Diaryl-aminen (S. 206), werden deswegen in saurem Medium über die Ammoniumsalze durchgeführt.
Eine besondere Klasse von Ammoniumverbindungen sind die quartären Ammoniumsalze, die aus den Aminen nicht mehr mit Säuren sondern nur noch durch Alkylierung mit den üblichen Alkylierungsmitteln dargestellt werden können: Alk I®
Alk Alk—Nl + Alk —X ilk
Alk—N—Alk Alk Tetraalkyl-ammoniumsalz
+ AgQH — AgX
Alk 1+ Alk—N—Alk
OH
Alk Tetraalkyl-ammonium-hydroxyd
Hier ist der Ammoniumstickstoff wasserstofffrei, und es kann infolgedessen bei der Einwirkung von Natronlauge keine Rückbildung der tertiären Amine mehr stattfinden. Die Tetraalkylammonium-Ionen sind daher gegen die OH~-Ionen so beständig, daß man die bei den einfachen Ammonium-Ionen nicht existenzfähigen Ammoniumhydroxyde sogar in kristallisiertem Zustand gewinnen kann (allerdings nur in Form der Hydrate). Diese Tetraalkyl-ammonium-hydroxyde verhalten sich chemisch wie die Alkalihydroxyde. Insbesondere sind sie ebenfalls vollständig ionisiert und bilden mit Säuren nur unter Wasserabspaltmuj Salze. Ihre Stabilität ist jedoch nicht sehr groß. Schon bei mäßig erhöhter Temperatur besteht eine gewisse Tendenz, einen der Alkylreste auf das Hydroxyl-Ion unter Bildung von Alkoholen (oder deren Dehydratisierungsprodukten Olefin und Wasser) zu übertragen: [R—CH,—CH 2 —NAlkJ + OH
Erhitzen
INAlkj + R — C H = C H 2 + H 2 0 INAlk3 + R—CH 2 — CHj—OH
Die Reaktion wird nach ihrem Entdecker HoFMANNScher Abbau quartärerer Ammoniumbasen genannt. Im allgemeinen geht die Olefinbildung etwas leichter vor sich als die Alkoholbildung. Dies geht auch aus der Tatsache hervor, daß Methylgruppen schwerer als alle anderen Alkylgruppen eliminierbar sind. Es ist deshalb möglich, auf diesem Wege auch aus normalen (allerdings keine Methylgruppen am Stickstoff enthaltenen) Aminen die Alkylreste abzuspalten, indem man sie erst „erschöpfend" bis zu den quartären Ammoniumsalzen methyliert, und dann die längeren Alkylgruppen aus den Ammoniumbasen als Olefin eleminiert (HOFHANN scher Aminabbau durch erschöpfende Methylierung). Bekanntlich verlangt die Elektronentheorie der Valenz, daß der mit vier Liganden besetzte quartäre Stichstoff nicht elektroneutral sein kann, sondern als Ammoniumstickstoff stets eine positive Elementarladung trägt. Diese Forderung steht in einem gewissen Widerspruch zur Abscheidung eines neutralen „freien Tetramethylammoniums" bei der ElekQJJ trolyse von Tetramethylammoniumsalzen an Quecksilberkathoden. Da das + freie Tetramethylammonium aber nur in metallischer Phase als Amalgam * existiert, ist dieser Widerspruch h\oü scheinbar-, denn in einer metallischen Phase liegen die Metalle ebenfalls in Form ihrer Kationen vor, die von ^H, J einem Elektronengas umgeben sind. Es ist daher gut denkbar, daß bei der Elektrolyse das Quecksilber die Tetramethyl-ammonium-Ionen
1 c: Einzelne aliphatische Amine
203
unverändert aufnimmt und daß zum Ladungsausgleich ein Elektron in das metallische Elektronengas eintritt. Dem freien Tetramethylammonium muß man also die vorstehende „metallische" Struktur I mit einem nicht zum Kationenmolekül gehörenden Einzelelektron zuerteilen. Es liegt hier also einer der wenigen Fälle des Einbaus einer organischen Substanz in eine metallische Phase vor. c) E i n z e l n e a l i p h a t i s c h e A m i n e Die primären Amine, deren wichtigste Darstellungsmöglichkeiten bereits beschrieben wurden, zeigen die folgenden, z. Teil zu ihrem Nachweis geeigneten speziellen Reaktionen, auf die an anderen Stellen dieses Buches ausführlich eingegangen wird: 1. die beim Kochen mit Chloroform und Alkali eintretende Bildung von Isonitrilen, die an ihrem intensiven und widerwärtigen Geruch bereits in Spuren zu erkennen sind (vgl. S. 313), 2. die Bildung von Isocyansäureestern bei der Einwirkung von Phosgen auf ihre Salze (vgl. S. 145), 3. die Senfölbildung bei der Einwirkung von Schwefelkohlenstoff (vgl. S. 152), 4. die Bildung ScHiFFScher Basen mit Oxoverbindungen (S. 117), 6. die Bildung von Alkoholen bzw. Olefinen bei der Einwirkung von salpetriger Säure (S. 77, 223), 6. die Bildung alkalilöslicher Sulfonsäureamide (S. 201). Methylamin HSC—NH2, das Anfangsglied der Reihe, tritt im Bingelkraut in geringer Menge natürlich auf. Benzylamin C,H6—CH2—NH2 verhält sich trotz der Anwesenheit eines Benzolkerns im organischen Best wie ein normales aliphatisches Amin. Insbesondere ist es im Gegensatz zu den Anilinbasen (S. 206) mit einem pK b -Wert von 4,62 relativ stark basisch. Benzedrin (ct-Methyl-ß-phenyl-äthylamin) C,H6—CH2—CH(CH3)—NH2 steht konstitutionell bereits dem Alkaloid Ephedrin (S. 500) nahe. Es übt ähnlich wie Coffein eine stark stimulierende Wirkung auf das Nerven- und Kreislaufsystem aus und findet in diesem Sinne pharmazeutische Anwendung (vgl. auch das unten beschriebene Pervitin). Im ß-Chlor- und ß-Brom-äthyl-amin Hai—CH2—CH2—NH2 liegen die einfachsten Halogen-alkyl-amine vor. Sie sind frei nicht existenzfähig, weil die Alkylhalogenidgruppe sofort mit der Aminogruppe unter innermolekularer Alkylierung zu einem cyclischen Amin reagiert: CH2i—Hai | ; H CH 2 —NH /7-Halogen-äthylamtn
„„ ,
CH2V I > H CH/ Äthylen-imin
Man kann sie jedoch in Form ihrer nicht mehr cyclisierbaren Ammoniumsalze stabilisieren. Spezielle Methoden für die Darstellung sekundärer Amine sind u. a. die Reduktion ( z . B . die katalytische Hydrierung) der C• • • N-Mehrfachbindungen von Isonitrilen (I) oder ScniFFSchen Basen (II) : R—N=CI I
+ 2 H
' > R—NH—CH 3
;
R—CH=N—R' Ii
sowie die auf S. 240 formulierte Alkalispaltung von
+ g>
>
R—CH 2 —NH—R'
p-Nitroso-diaikylanilinen.
Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen
204
Die wichtigsten allgemeinen Reaktionen haben wir in der Nitrosaminbildung (S. 200) und dem v . BEAUNschen Abbau v o n Dialkyl-carbonsäureamiden (S. 199) bereits kennengelernt. Dimethylamin (CH 3 ) 2 NH, das Anfangsglied der Reihe, kommt in geringen Mengen in der Heringslake vor. Sein salzsaures Salz zeigt eigenartigerweise eine starke Löslichkeit in Chloroform und Methylenchlorid. Diäthylamin (C2H6)2NH ist das niedrigste bei Zimmertemperatur flüssige sekundäre Amin und findet als solches häufig praktische Anwendung anstelle des Dimethylamins. Das gleiche gilt für das cyclische sekundäre Amin Piperidin (S. 205). Pervitin C 6 H 6 —CH 2 —CH(CH 3 )—NH—CH 3 ist das N-Methylderivat des oben erwähnten Benzedrins und dient in ähnlicher Weise in der Pharmazie als Stimulana. Die tertiären Amine werden a m besten durch Alkylierung v o n Ammoniak oder anderen Aminen m i t Oxoverbindungen in Gegenwart v o n Reduktionsmitteln gewonnen (z. B . nach L e u c k a k t , S. 196), da sie hierbei als Endstufe der Alkylierung anfallen. Für tertiäre Aminoderivate des Malonesters und anderer Verbindungen mit ähnlich stark aktivierter CH-Qruppe liegt eine weitere wichtige Bildungsmöglichkeit in der MANMCHreaktion vor, die auf der gleichzeitigen Kondensation eines Formaldehydmoleküls mit der aktivierten CH-Qruppe und der NH-Qruppe eines sekundären Amins beruht: (Alk'OOC)2CH— H +
O +
H
NAlkj
~ H » ° >•
(Alk'OOC)2CH—CH2—NAlk2
Sie stellt eine praktische Anwendung der auf S. 104 formulierten Verknüpfung der Moleküle zweier Wasserstoffverbindungen durch Formaldehyd dar. (Bez. des Mechanismus vgl. I, Kap. 6, I , 1 c y). Die tertiären Amine stehen zu den primären und sekundären Aminen in einem ähnlichen Verhältnis wie die Äther zu den Alkoholen. Insbesondere sind sie wegen des Fehlens einer NH-Gruppe wie die Äther nicht mehr zur Bildung v o n Metall- u n d Säurederivaten befähigt. Man verwendet sie wegen dieser Indifferenz als säurebindendes Reaktionsmedium für Acylierungsreaktionen (S. 128) sowie in beschränktem U m f a n g auch als Lösungsm i t t e l für ORIONARDverbindungen (S. 265). Eine Reaktion, die auf der anderen Seite nur bei den tertiären Aminen möglich ist, ist die Oxydation zu Aminoxyden (S. 198 u n d 218). Lediglich hinsichtlich des Salzbildungsvermögens verhalten sich alle drei Klassen v o n Aminen gleichartig. Trimethylamin (CH3)3N kommt neben Dimethylamin in der Heringslake vor und ist der Hauptträger des Fischgeruchs. Von ihm leiten sich einige natürlich vorkommende quartäre Ammoniumverbindungen ab, von denen wir dem Cholin (S. 210), Neurin (S. 210) und Betain (S. 216) später noch begegnen werden. Triäthylamin (C2H6)3N hat als einfachstes bei Zimmertemperatur flüssiges aliphatisches tertiäres Amin eine beschränkte präparative Anwendung als säurebindendes Reaktionsmedium (s. oben) gefunden. I n Analogie z u den Di- und Polyalkoholen gibt es auch eine Reihe v o n Di- u n d Polyaminen, die jedoch nur als Einzelverbindungen v o n Interesse sind. Äthylen-diamin H 2 N—CH 2 —CH 2 —NH 2 ist eine ölige, glycerinartige Flüssigkeit vom Siedepunkt 117°. Es neigt wie Glykol (S. 155) zur Bildung cyclischer Schwermetallkomplexe, von denen der dem Tetrammin-kupfer-Ion entsprechende Kupfer (II)-Komplex bereits formuliert wurde (S. 198). Seine höheren Homologen mit vier und fünf C-Atomen haben die Trivialnamen Pntreaein (= Tetramethylen-diamin) H 2 N—(CH a ) 4 —NH 2 und Cadaverin ( = Pentamethylen-diamin)
2 a: Die Anilinbasen, Allgemeines
205
H2N—(CH2)5—NH2 erhalten. Die an sich ungiftigen Basen kommen als Abbauprodukte der Eiweißaminosäuren Arginin und Lysin (S. 474) in faulendem Eiweiß vor und wurden deshalb früher irrtümlich für Leichengifte gehalten. Das um noch eine CH2-Gruppe reichere Hexamethylen-diamln H2N—(CH2)8—NHa wird durch Reduktion von Adipinsäure-dinitril im großen gewonnen und ist neben Adipinsäure (S. 176) die zweite wichtige Herstellungskomponente für die Nylonfaser (vgl. S. 489). Einige komplizierte Polyamine mit sekundären Aminogruppen treten im menschlichen Sperma auf. Sie haben deshalb die Namen Spermidin und Spermin erhalten: und
H a N—(CH 2 ) 3 —NH—(CH 2 ) 4 —NH a
HjN—(CHa)3—NH—(CHj),—NH—(CHJ)3—NH>
Spermidin
Spermin
Schließlich kennt man auch die den cyclischen Amine, deren Eigenschaften in Besonderes Interesse beansprucht daher Äthylen-imin, deren Bildung aus den wurde (S. 203).
cyclischen Äthern (S. 156) entsprechenden gleicher Weise von der Ringweite abhängen. wiederum die dreigliedrige Ringverbindung ß-Halogenäthylaminen bereits beschrieben
Es zeigt wie die Olefinoxyde (S. 157) infolge starker Ringspannung eine gewisse Tendenz, Verbindungen des Typus H X unter Ringsprengung anzulagern, wobei ß-substituierte Äthylaminverbindungen entstehen:
H
N
/ \•CH, CH,
+ H,0
HO—CH2—CHj—NEL Äthanolamin
+ NH,
HjN—CHj—CILj—NH2 Ätbylendiamin
Äthylen-imln +
I M
GQ
Alk—O— CH2— CHJ—NH2
l R—S—CH2—GEL,—NH2
Amino-äther
Hai— CH2— CHJ—NH2
Amino-thioäther
Halogenäthyl-amin
Die höheren gesättigten cyclischen Amine verhalten sich (ebenfalls in Analogie zu den entsprechenden cyclischen Äthern) wieder wie normale aliphatische Amine. Von ihnen seien nur das Pyrrolidin und das Piperidin angeführt, die durch Hydrierung der billigen aromatischen Heterocyclen Pyrrol (S. 299f.) und Pyridin (S. 294) leicht zugänglich sind: HC=CH HC=CH' Pyrrol
NH
+ 2 H,
h2c—ch2X H 2 A—CH^ Pyrrolidin
NH
hc^°H C H > CH=CH
+ 3 Hj
Pyridin
/CH2—CH2\ H2< /NH CHj—CH2 Piperidin
Pyrrolidin (fälschlicherweise auch Tetramethylen-imin genannt) kommt natürlich als Nebenbase des Nicotins im Tabak vor, während Piperidin (Pentamethylen-imin) in Form seines Piperinsäurederivates das wichtigste Pfefferalkaloid (S. 501) darstellt. Auf seine präparative Bedeutung wurde bereits hingewiesen (S. 204). 2. Die aromatischen Amine (Anilinbasen) a) A l l g e m e i n e s I n den aromatischen Aminen ist die Aminogruppe stets unmittelbar an einen aromatischen Kern gebunden.
206
Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen
Sie werden nach ihrem einfachsten Vertreter auch Anilinbasen genannt und kommen mit Ausnahme einiger komplizierterer Verbindungen nicht natürlich vor. Dagegen stellen sie wichtige technische Zwischenprodukte dar, vor allem für Farbstoffsynthesen. Die Gewinnung der primären Anilinbasen geschieht fast ausschließlich durch Reduktion der der gerade in der aromatischen Reihe leicht herstellbaren Nitroverbindungen (Näheres vgl. S. 236). Die sekundären und tertiären Basen kann man auf diesem Wege jedoch nicht erhalten, so daß man hier auf die verschiedenen Verfahren zur Alkylierung oder auch Arylierung der primären Amine zurückgreifen muß. Beispielsweise führen vom Anilin die folgenden beiden Arylierungareaktionen zum Diphenylamin:
+ , — HCl (150—250° über Cu und K,CO.) — NH.Cl (Erhitzen)
Anilin
Diphenylamin
Physikalische Eigenschaften. Die Anilinbasen sieden wesentlich höher als die aliphatischen Amine gleicher Kohlenstoffzahl (vgl. Tab. 13, S. 197). Sie sind die einzigen Amine, die in dieser Beziehung mit den entsprechenden Hydroxyverbindungen, den Phenolen, verglichen werden können (vgl. Tab. 7, S. 92). Die chemischen Reaktionen der Anilinbasen lassen sich in 1. die der Aminogruppe und 2. die des aromatischen Kerns unterteilen. Zu 1. Die Aminogruppe ist im allgemeinen zu den gleichen Umsetzungen befähigt wie in der aliphatischen Reihe. Insbesondere bildet sie ebenfalls mit Säuren Salze. Lediglich die Basizität ist bei allen Anilinbasen wesentlich geringer als bei den aliphatischen Aminen. Beispielsweise steigt der PK b -Wert bei Einführung des ersten Arylrestes in das Ammoniakmolekül von 5 auf etwa 9,5 an (vgl. Tab. 13, S. 197), erreicht beim Diphenylamin bereits den Wert 13 und wird beim Triphenylamin schließlich schon so groß, daß die Basizität unter die des Wassers absinkt. Triphenylamin bildet deswegen nur noch mit sehr starken Säuren (z. B. Perchlorsäure) in Wasser sofort vollständig hydrolysierende Salze. Auch ist es nicht mehr möglich, vom Triphenylamin ausgehend, quartäre Teiraaryl-ammoniumsalze zu synthetisieren. Die Ursache dieser starken Basizitätsverminderung ist auf eine Mesomerie zwischen der Aminogruppe und dem aromatischen Kern zurückzuführen, die in II, Kap. 3, III, 2 näher erörtert wird.
In gleicher Weise wie in der aliphatischen Reihe verlaufen: a) die Alkylierung und Acylierung der Aminogruppe. Erstere führt ebenfalls zu den quartären Ammoniumsalzen als Endprodukten, bei deren Zersetzung nach A. W. HOFMANN stets nur die Alkylgruppen abgespalten werden: Ar—NH 2 +
[Ar—NR3]+HaF
3Hai—R
Hof
^ ° ^ c h e r > Ar—NR 2 +
R—OH
- 2 Jiaci
Die acylierten aromatischen Amine werden in Analogie zu den Säureamiden Anilide genannt. b) die Isonitrilreaktion der primären Amine. c) die Nitrosaminbildung der sekundären Amine. d) die Aminoxydbildung der tertiären Amine.
207
2 a: Die Substitution von Anilinbasen
Die C—N-Bindung der Anilinbasen ist ähnlich beständig wie die der aliphatischen Amine, kann aber bei der Thermostabilität vieler aromatischer Verbindungen verhältnismäßig leicht durch Erhitzen mit Säuren (vgl. S. 92) oder Zinkchlorid als Katalysatoren auf 280—290° hydrolysiert werden:
+ H,0
^
V _QH
+
NHa
( H + oder ZnCl,)
Zu 2. Da die Aminogruppe wie die Hydroxylgruppe ein Substituent 1. Ordnung ist (S. 62), wird die Reaktionsfähigkeit des Benzolkerns in den Anilinbasen in ähnlicher Weise erhöht wie in den Phenolen. Abgesehen von der Mercurierung sind die aromatischen Amine deshalb grundsätzlich zu den gleichen Substitutionsreaktionen befähigt, die früher (S. 93) für die Phenole formuliert wurden, und auch hier treten die Substituenten stes in o- oder p-Stellung zur NH2-Gruppe in den Kern ein, d. h. diese ist ein typischer Substituent 1. Ordnung. Jedoch gibt es auch einige Unterschiede gegenüber den Phenolen: a) Die primären und sekundären aromatischen Amine werden häufig ebenso leicht in der Aminogruppe wie im Kern substituiert. Man kann daher nicht immer von vornherein entscheiden, wo die Substitution erfolgt. Z. B . erhält man bei der unten formulierten Nitrosierung primär die N-Nitrosoverbindungen (— Nitrosamine) und bei der Sulfonierung primär die N-Sulfonsäuren (= Sulfamidsäuren). Vielfach werden die Verhältnisse noch dadurch kompliziert, daß ein bereits am Stickstoff befindlicher Ligand nachträglich in den Kern wandert. Z. B. ist das aus Methyl-anilin und salpetriger Säure entstehende Nitrosamin derart labil, daß es als Nitrosierungsmittel gegenüber dem Kern wirkt und schon in Gegenwart geringer Säuremengen in die kernnitrosierte Verbindung, das p-Nitroso-methylanüin, übergeht (Umlagerang von 0 . FISCHER und E. H E P P ) :
:N=0| U
^
(S. 249) in zwei Stufen über die
NH- SOjH;
Phenylsulfamidsäure
I I I I | |
p-Nitroso-methylanilin
180
° > H0 3 S—^
—NH2
Sulfanilsäure
Eine ausschließliche Kernsubstitution beobachtet man demgegenüber bei den tertiären Anilinbasen, da hier der Stickstoff nur noch zur Aufnahme von Alkylresten zu quartären Ammoniumsalzen befähigt ist.
Z. B. wird Dimethyl-anilin sofort im Kern nitrosiert (S. 240) und liefert bei der Kupplungsreaktion (S. 229) ohne Zwischenverbindung den Azokörper. b) An der Wechselwirkung zwischen Kern und Aminogruppe ist das ungebundene Elektronenpaar des Stickstoffs beteiligt. Wird dieses durch Salzbildung blockiert, so muß also auch die Aktivierung des Benzolkerns verschwinden. In Übereinstimmung mit dieser Forderung beobachtet man in sehr stark saurem Medium keine Kernaktivierung mehr, und die hier vorliegende —NH 3 + -Gruppe ist (im Gegensatz zur
Kap. 6,1: Die Aminoverbindungen
208
—NHr Gruppe) zu einem Substituent 2. Ordnung geworden, der stärker in m-Stellung dirigiert und desaktivierend wirkt als alle anderen Substituenten 2. Ordnung (vgl. S. 62). Infolge dieser Verhältnisse wird die Substitution der Anilinbasen durch sehr starke Säuren deutlich gehemmt (z. B. die Nitrierung in Gegenwart von zuviel Schwefelsäure). Schon in schwach saurer Lösung ist jedoch bei der geringen Basizität der Anilinbasen immer genügend freies Amin im Dissoziationsgleichgewicht vorhanden, um die Substitution zu ermöglichen. Geht man dann gar zu neutralem oder alkalischem MediOrn über, wie z. B. bei der sehr milde Bedingungen erfordernden Nitrosierung (S. 238) oder Kupplung mit Diazoverbindungen (S. 229), so verschwinden die Schwierigkeiten gänzlich, und die Substitution geht ähnlich leicht vor sich wie bei den Phenolen. c) Eine neuartige Reaktionsmöglichkeit des Kerns beobachtet man schließlich in der besonders in Gegenwart von Säuren leicht erfolgenden oxydativen Herausspaltung des zur Aminogruppe p-ständigen Wasserstoffs. Diese kann einerseits zwischen dem Kern und einer Aminogruppe unter Bildung sekundärer aromatischer Amine: H a N-
H,N—¿H—CO—NH—CH—COOR'
oder in Analogie zur Lactidbildung der oc-Hydroxycarbonsäuren (S. 180) zu cyclischen, zwei Carbonamidgruppen enthaltenden Stoffen, die Diketo-piperazine genannt werden: R—CH—NH— H + CO
OAlk
R—CH—NH—CO
AlkO— CO — 2 HO—Alk
H
CO—NH—CH—R
NH—CH—R
Diketo-piperazin
Die im ersten Fall entstehenden kettenförmigen Verbindungen heißen Peptide und die in ihnen enthaltenen säureamidartige Bindungen Peptidbindungen. Diese sind von großer Bedeutung für den Aufbau der Eiweißkörper und werden einschl. der verschiedenen Methoden zu ihrer Synthese auf S. 478 f. näher behandelt. Schließlich neigen die ct-Amino-carbonsäuren wie die entsprechenden Sauerstoffverbindungen mit nachbarständigen Punktionen zur Bildung stabiler cyclischer Schwermetallkomplexe. Als Beispiel sei nebenstehend der wiederum tief blaue Kupferkomplex des Glycins angeführt.
H 2 C—N H 2 OC—O
H »N—CH
2
O—CO
Einzelverbindungen. Amino-essigsäure H2N—CH2—COOH, das Anfangsglied der Reihe, wurde 1819 von M. H. BRACONNOT als Spaltprodukt des Leims entdeckt und wegen seines süßen Geschmacks Glykokoll ( = Leimsüß) genannt. Der Name wurde später in Anlehnung an die Nomenklatur der übrigen natürlichen Aminosäuren — sie führen alle Trivialnamen mit der Endung -in (vgl. S. 195) — in Glycin abgewandelt. Seine Darstellung erfolgt hauptsächlich nach dem ersten der oben genannten Verfahren aus Chloressigsäure und Ammoniak. Von den Glycinderivaten haben wir die Hippursäure (N-Benzoyl-glycin) C 6 H 6 —CO—NH— CH2—COOH bereits als Ausgangsverbindung für die ERLENMEVERsche Aminosäuresynthese kennengelernt (S. 212). Sie wird vom Säugetierorganismus nach Einspritzen von Benzoesäure als deren Entgiftungsprodukt gebildet und dann im Harn abgeschieden. Ein weiteres interessantes Glycinderivat ist das beim Erhitzen von Glycin mit Kaliumcyanai im Sinne einer WÖHLERschen Harnstoffsynthese über die Hydantoinsäure als Zwischenprodukt entstehende cyclische Ureid Hydantoin, dem wir schon früher (S. 173) als Reduktions-produkt der Parabansäure begegnet sind: NHa ÌH 2 —COOH Glycin
+ KN=C=0 {Erhitzen, Ansäuern)
NH—CO—NH H Ì h , — C O);—OH Hydantoinsäure
— H,0 (Kochen mit Salzsäure)
NH—CO :NH 3H2—CO' Hydantoin
Von der Hydantoinsäure und dem Hydantoin leiten sich sekundär durch N-Methylierung und Ersatz eines O-Atoms durch die Iminogruppe das Kreatin und das Kreatinin ab, die man aus dem Sarkosln genannten N-Methylglycin durch analoge Addition von Carbo-diimid synthetisieren kann:
Kap. 6 , 1 : Die Aminoverbindungen
216 CH, I NH
+ c:
NH NH
CH2—COOH
ch 3 i
CH,8
¿NH
n—cy
NH H CH2—COiOH
-H,0
.NH
ir—c
/
Sarkosin
:nh
Kreatinin
Alle drei Verbindungen kommen natürlich vor. Am wichtigsten ist Kreatin, dessen N-Phosphorsäurederivat (Kreatin-phosphorsäure) als biochemischer Phosphorsäureüberträger fungiert. Das sehr giftige Sarkosin tritt bei Fäulnisprozessen als Zersetzungsprodukt des Kreatins auf. Über die biochemische Bolle des Kreatinins ist noch nichts Näheres bekannt. © e Trimethyl-glycin (CH3)3N—CH2—COO ist das Betain schlechthin. Es hat seinen Namen wegen seines Vorkommens in der Zuckerrübe (Beta vulgaris) erhalten und stellt vermutlich ein biochemisches Oxydationsprodukt des Cholins (S. 210) dar. Seine Synthese geschieht am besten durch Alkylierung von Trimethylamin mit Chloressigsäure zum quartären Salz. Bez. der höheren Eiweißaminosäuren vgl. S. 472 f..
ß) Sonstige Amino-carbonsäuren Die 1,3- oder ß-Amino-carbonsäuren unterscheiden sich von den a-Aminocarbonsäuren hauptsächlich durch die relativ labile Bindung der NH^-Gruppe. Insbesondere können sie (in Analogie zu den ß-Hydroxy-carbonsäuren, S. 181) leicht durch Anlagerung von Ammoniak an et,ß-ungesättigte Garbonsäuren gewonnen werden und bilden schon beim mäßigen Erhitzen unter Ammoniakabspaltung die ungesättigten Säuren zurück: NH 2 R—CH=CH—COOH
.
+ NH
' =r±i
— N H , (Erhitzen)
R—CH—CH 2 —COOH
ß-Aminopropionsäure (ß-Alanin) H2N—CH2—CH2—COOH ist die einzige natürlich vorkommende ^-Aminosäure und als integrierender Bestandteil der Pantothensäure (S. 521) von biochemischer Bedeutung.
Auch die y und 8-Amino-carbonsäuren zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit den entsprechenden Hydroxy-carbonsäuren (S. 182), die hier in einer analogen Ringschlußtendenz zum Ausdruck kommt. Als Cyclisierungsprodukte erhält man ringförmige Säureamide, die in Anlehnung an die Lactone Lactame genannt werden: H 2 C—CO —OH
L
H CH,—NH
—H,0
H„C—COs •
-OH Ä H NH ; h 2 ( / / X?H,—CH„—NH
y-Butyrolactam (Pyrrolldon)
2
c
NH CH2—CH2
d-Valerolactam (Piperidon)
Die Lactambildungstendenz ist meistens so groß, daß man die freien y- und d-Amino-carbonsäuren (bzw. ihre Zwitterionenformen) nickt isolieren kann. Ein siebengliedriges Lactam liegt im Caprolactam vor. Seine technische Gewinnung geschieht aus Cyclohexanon (S. 275) über dessen Oxim mit Hilfe der auf S. 118 beschriebenen BECKMANNschen Umlagerung:
Kap. 6, I I : Die Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen
217
Es findet praktische Anwendung zur Herstellung der Perlonfaser (vgl. S. 490). Die wichtigste aromatische Amino-carbonsäure ist die Anthranilsäure (o-Aminobenzoesäure), die aus Phthaiimid auf d e m Wege des HOFMANNsehen Säureamidabbaus (S. 134) leicht hergestellt werden k a n n :
Phthaiimid
Anthranilsäure
Sie erleidet, ähnlich wie die analog konstituierte Salicylsäure (S. 186), beim Erhitzen auf etwa 200° eine Decarboxylierung (zu Anilin). I n der Technik diente sie eine Zeit lang als wichtigstes Ausgangsmaterial für die Synthese des Indigos (S. 405) und findet auch heute noch in der Farbenindustrie Verwendung. Die isomere p-Amino-benzoesäore H 2 N—p-C 8 H 4 —COOH ist ein Vitamin, (vgl. S. 521) und daher weit in der Natur verbreitet (allerdings stets nur in geringen Mengen). Auch zahlreiche seiner Derivate, wie z. B. das Novocain (S. 210), sind physiologisch aktiv und deswegen wichtige Arzneimittel.
II. Die organischen Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen 1. Die organischen Derivate des Hydroxylamins (Hydroxylamino-Verbindungen) J e nachdem, ob der Wasserstoff der Hydroxyl- oder der der Aminogruppe durch organische R e s t e ersetzt ist, unterscheidet m a n zwei Reihen v o n organischen Hydroxylaminderivaten: die 0- oder et- und die N- oder ß-Alkyl-(aryl-)hydroxylamine. Von ihnen gehören streng genommen nur die letzteren zu den organischen Stickstoffverbindungen, da in den a-substituierten Derivaten der organische R e s t am Sauerstoff steht. D o c h ordnet man diese als charakteristische Abkömmlinge des Hydroxylamins zweckmäßig an dieser Stelle ein, ähnlich wie man ja auch das Hydroxylamin selbst allgemein als Stickstoff- und nicht als Sauerstoffverbindung betrachtet. Die aliphatischen Hydroxylaminoverbindungen sind ähnlich schwache Aminbasen wie das Hydroxylamin selbst. Die a-Verbindangen Alk—O—NH a sieden wegen des Fehlens der stark assoziierenden Hydroxylgruppe wesentlich tiefer als die isomeren ß-Verbindungen R—NH—OH — z.B. beträgt der Siedepunkt des a-Methyl-hydroxylamins 50°/760 Torr gegenüber einem Wert von 63°/15 Torr für ß-Methyl-hydroxylamin — und zeigen auch nicht mehr die bekannte reduzierende Wirhing des Hydroxylamins, die ebenfalls auf die freie Hydroxylgruppe zurückzuführen ist. Die ß-Verbindungen sind dagegen in allen ihren Eigenschaften, insbesondere auoh hinsichtlich ihrer leichten Oxydierbarkeit, dem nicht-substituierten Hydroxylamin sehr ähnlich. Sie gehen bei der erschöpfenden Alkylierung in Trialkyl-hydroxylammoniumsalze über, deren Kationen im Gegensatz zu denen der Tetraalkyl-ammoniumsalze noch ein Proton abgeben können (und zwar das der Hydroxylgruppe). Hierbei wird der Stickstoff nicht, wie sonst bei der Entladung von Ammonium-Ionen, neutralisiert, sondern das benachbarte O-Atom nimmt eine negative Ladung auf, so daß ein Trialkyl-aminoxyd mit einer semipolaren N^O-Bindung entsteht:
218
Kap. 6, II: Die Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen Alk. )n-ÜH Alk
N,N-DiaIkyl-hydroxylamin
Alkylicrun8
,
AIk x m Alk^N-OH Air
N.N.N-Trialkyl-hydroxyl-
+ ~H + H+
-
Alk x m Q Alk^N-0| Air Trlalkyl-aminoxyd
ammonium-Ion
Bei dieser neuen Darstellungsweise für Aminoxyde kann man deutlich die Herstellung der semipolaren Bindung durch nacheinander erfolgende entgegengesetzte Aufladung des N- und des 0-Atoms verfolgen. Die Trialkyl-aminoxyde, die wir danach als Hydroxylaminderivate betrachten müssen, sind schwach basisch, denn sie können in Umkehrung der oben formulierten Bildungsreaktion wieder ein Proton an das semipolar gebundene O-Atom anlagern, wobei die Trialkyl-hydroxylammoniumsalze zurückgebildet werden. Ihre Basizität entspricht mitp K b -Werten zwischen 9 und 10 etwa der der Anilinbasen. Von weiteren Eigenschaften der Trialkyl-aminoxyde sei ihre Oxydationswirkung angeführt, die sie ebenfalls mit dem Hydroxylamin gemeinsam haben. Z. B. können sie mit Zinkstaub und Eisessig zu den tertiären Aminen reduziert werden. Die reduzierende Wirkung des Hydroxylamins ist dagegen in ihnen verschwunden. Die Aminoxyde gehören zu den wenigen Hydroxylaminderivaten, die in der belebten Natur vorkommen. Z. B. wurde Trimethyl-aminoxyd im Fleisch verschiedener Seetiere nachgewiesen. Ferner nimmt man bei einigen Alkaloiden an, daß sie in Form von Aminoxyden in der Pflanze auftreten.
Von den aromatischen Hydroxylaminoverbindungen hat nur das ß-Phenylhydroxylamin (meistens kurz Phenyl-hydroxyl-amin genannt) größere Bedeutung erlangt. Es tritt bei den verschiedenen Reduktionsmöglichkeiten des Nitrobenzols zumindest intermediär als Zwischenprodukt auf und ist dank seiner außerordentlichen Reaktionsfähigkeit die Hauptursache dafür, daß die Nitrobenzolreduktion einen so komplizierten Verlauf nimmt (vgl. S. 236). Phenylhydroxylamin stellt eine sich schon nach wenigen Stunden zersetzende kristalline Substanz dar, die zu den folgenden Reaktionen befähigt ist: 1. Mit Luftsauerstoff tritt Autoxydation zu Nitrosobenzol ein, das mit einem zweiten Molekül Phenylhydroxylamin Kondensation zu Azoxybenzol (S. 231) erleidet :
Phenylhydroxylamin
Nitrosobenzol
Azoxybenzol
In saurem Medium, z. B. bei Verwendung von Bichromat-Schwefelsäure als Oxydationsmittel, bleibt die Reaktion auf der Stufe des Nitrosobenzols stehen.
2. Durch schwach saure Reduktionsmittel läßt sich Phenylhydroxylamin zu Anilin reduzieren (vgl. S. 236). 3. In stark saurem Medium wandert die Hydroxylgruppe (wie auch andere Liganden, vgl. S. 207) vom Stickstoff in den Kern, und man erhält p-Aminophenol (S. 210): Oll
kopz H|S0
-
« ,
i. In alkalischem Medium treten verschiedene Kondensationsreaktionen ein, von denen die oben bereits formulierte Kondensation mit Nitrosobenzol zu Azoxybenzol
2: Die organischen Derivate des Hydrazins
219
die wichtigste ist. Ähnlich kondensieren zwei Moleküle Phenylhydroxylamin zu Azobenzol (S. 230): H X
x
;
+
HO. ; > ß - ^ y
-
2Hl
° •
— N = = N — \
OH
Azobenzol
5. Phenylhydroxylamin reagiert als sekundäres Amin mit salpetriger Säure, unter Bildung eines Nitrosamins, des N-Nitrosophenylhydroxylamins C„H6—N(OH)—NO. Dieses ist stärker sauer als Essigsäure, und bildet mit Eisenf III)- und Kupfer(II)-Ionen sehr stabile cyclische Komplexverbindungen, von denen der Kupferkomplex die nebenstehende Konstitution I aufweist. N-Nitroso-phenylhydroxylamin dient daher unter dem Namen Cuptenon zum Nachweis dieser Metalle.
| N HC
Q Q Q JJ \ / \JT/ 6 6 | N O O 1
2. Die organischen Derivate des Hydrazins (Hydrazinoverbindungen) Die aliphatischen Derivate des Hydrazins sind den entsprechenden Aminoverbindungen sehr ähnlich und bieten — abgesehen von ihrer Oxydierbarkeit als Hydrazinderivate — wenig neuartige Reaktionen. Sie können daher an dieser Stelle übergangen werden (Näheres vgl. I, Kap. 6, II, 4).
Erst bei den aromatischen Hydrazinoverbindungen begegnen wir interessanteren Substanzen, deren Eigenschaften stark von der Zahl der Arylreste am Hydrazinsystem abhängen. Die Monoaryl-hydrazine Ar—NH—NH 2 sind als Reduktionsprodukte aromatischer Diazoverbindungen (Näheres vgl. S. 229/30) leicht zugängliche Stoffe, die in ihrem äußeren Habitus eine gewisse Ähnlichkeit mit den Anilinbasen aufweisen, jedoch beim Stehen an der Luft etwas leichter verharzen und nur noch im Vakuum unzersetzt destilliert werden können. Sie sind zu den folgenden fünf Reaktionen befähigt: 1. Mit Säuren erfolgt Salzbildung an dem stärker basischen nicht arylierten N-Atom (vgl. die unten formulierte Struktur I des Ions). Doch ist auch dessen Basizität mit einem pK]1)-Wert von 8,8 für Phenylhydrazin deutlich geringer als die des unsubstituierten Hydrazins (PK b = 5,85). 2. Mit Oxoverbindungen kondensiert die nicht-arylierte Aminogruppe zu den bereits erwähnten (S. 117) Aryl-hydrazonen. 3. Mit 1,3-Keto-earbonsäureestern kondensieren beide Aminogruppen zu den auf S. 303/4 beschriebenen Fyrazolonderivaten.
4. Die Aryl-hydrazine sind wie das freie Hydrazin gegen Oxydationsmittel sehr empfindlich. Bei der Einwirkung von Kupfer(II) salzen in schwachsaurem Medium beobachtet man die Bildung von elementarem Stickstoff und dem entsprechenden aromatischen Kohlenwasserstoff. Vermutlich tritt intermediär eine Dehydrierung zum Aryl-diimin ein, das dann spontan unter Stickstoffabgabe zerfällt: |H H : Ar—N—NH Aryl-hydrazin
~
H
' •
/ \ I Ar- Nu—N—IT )
Ar—H +
N=N
Aryl-diimin
In stark saurem Medium, d. h. bei der Reduktion der Hydrazinium-Ionen (I), die vermutlich zum kleinen Teil auch in der tautomeren Form I I vorliegen, kann die
220
Kap. 6, II: Die Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen.
Stufe des Aryl-diimins umgangen werden, und man gelangt direkt zu den Ionen: H H© — 2 H, Ar—N—NH Ar—N—N Ar—N=N (HgO) H H H (H + )
Diazonium-
Diazonlum-Ion
II
5. Schließlich können die Arylhydrazine auch reduziert werden. Hierbei wird die N—N-Bindung unter Bildung von Ammoniak und der entsprechenden Anilinbase hydrierend gespalten. Am bekanntesten ist die Koppelung der Hydrierungs- und Dehydrierungsreaktion bei der Disproportionierung, die beim Phenylhydrazin zu einem Gemisch von Benzol, Stickstoff, Anilin und Ammoniak führt und u. a. durch Platinkontakte ausgelöst wird: f
V-N—NH
-H +
N=N
+
+
-NH2 + NH3
H 2 N - NH-
Auch die Osazonreaktion der 1,2-Hydroxyoxoverbindungen (S. 160) ist mit einer reduzierenden Spaltung des Arylhydrazinmoleküls verbunden. Phenyl-hydrazin C 6 H 5 —NH—NH 2 wird technisch durch Reduktion von Benzoldiazoniumsalzen mit Natriumbisulfit gewonnen (S. 230) und dient in der pharmazeutischen Industrie als Ausgangsverbindung für die Herstellung von Antipyrin und Pyramidon (S. 303/4). Ferner ist es ein wichtiges Reagenz für Oxoverbindungen (S. 117) und Kohlenhydrate (S. 327). Im 2,4-Dinitro-phenylhydrazin liegt ein weiteres Aldehyd- und Ketonreagens vor, das häufig an Stelle des Phenylhydrazins angewandt wird, weil es besser kristallisierende Derivate liefert. Die bekanntesten Diaryl-hydrazine sind die Hydrazoverbindungen genannten symmetrischen Disubslitutionsprodukte des Hydrazins. Die wichtigste Verbindung der Reihe, das Hydrazo-benzol, kann durch Reduktion von Nitrobenzol in alkalischem Medium in einem Reaktionsgang gewonnen werden (vgl. auch S. 236) und entsteht hierbei als Hydrierungsprodukt des Azobenzols (daher der Name Hydrazo-benzol, der nur zufällig eine gewisse Ähnlichkeit mit der Bezeichnung Hydrazin aufweist):
'
C
^—NO,
Nitrobenzol
Azobenzol
Hydrazobenzol
Hydrazobenzol ist in gleicher Weise wie Phenylhydrazin zur Hydrierung und Dehydrierung befähigt und disproportioniert daher ebenfalls an Platinkontakten oder beim Erldtzen:
Pt
^
+ 2
< ^ _ _ V - N H , HJST-
-
o
Die Dehydrierungstendenz ist hier sogar so groß, daß Hydrazobenzol beim längeren Stehen an der Luft in Azobenzol zurückverwandelt wird.
2: Die Benzidin-Umlagerung
III Hl
221
Die wichtigste Reaktion des Hydrazobenzols ist ohne Zweifel die in Gegenwart von Säuren erfolgende Benzidin-Umlagerung.
Sie geht so leicht vor sich, daß es nicht möglich ist, normale Salze der Hydrazoverbindungen mit Säuren herzustellen. Die Benzidin-Umlagerung beruht letzten Endes ebenfalls auf einer p- Wanderung von am Stickstoff befindlichen Substituenten. Nur tritt diese p-Wanderung hier bei beiden Benzolkemen gleichzeitig ein. In summa drehen sich infolgedessen beide Hälften des Moleküls nach Trennung der N—N- Bindung um 180° und treten unter Bildung einer C—G-Bindung zwischen den p-ständigen C-Atomen erneut zusammen:
H— /
'S—NH|—NH—V-II
(H)+
» ELjN-
Hydrazo-benzol
-NH,
Benzidin
Diese Benzidin-Umlagerung wird zuweilen durch andere Reaktionen kompliziert. Ist z. B. die p-Stellung eines der Reste besetzt, so kann der erneute Zusammenschluß der Moleküle auf einer Seite auch in o-Stettung erfolgen. Hier spricht man von einer Diphenylln-Umlagerung, die auch als Nebenreaktion die Benzidinumlagerung begleitet. Ferner ist es möglich, daß nur für eines der Molekülbruchstücke eine p-Wanderung stattfindet und daß der zweite Benzolkern nicht um 180° gedreht wird. In diesem Falle entsteht ein Diphenylaminderivat, und die Umlagerung heißt, weil sie nur zur Hälfte erfolgt, Semldin-Umlagerung (bez. weiterer Nebenreaktionen vgl. I, Kap. 6, II, 5 b): R. Diphenylln-Umlagerung
-NH
NH, NH. Dlphenylin
f
V-NH
Semidin-Umlagerung
y
\—NH—^
V -NH,
Die Benzidin-Umlagerung stellt den einfachsten Weg zur Gewinnung von Diphenylderivaten dar. Auf ihr beruht die praktisch wichtigste Anwendung der Hydrazoverbindungen als Zwischenprodukte für Farbstoffsynthesen. Von den höher arylierten Hydrazinen haben die durch dehydrierenden Zusammenschluß zweier Diarylaminmoleküle erhältlichen Tetraaryl-hydrazine: Ai\ Ar
/
,Ar )NH
+
H N \(
Ar.
„ , >•
Ar
(PbO„ Ag,0, KMnO.)
/Ar /N—N( \ Ar Ar /
Tetraaryl-bydrazin
ein gewisses theoretisches Interesse wegen ihrer Neigung zur Dissoziation in zwei freie Diarylstickstoffradikale erlangt (vgl. S. 319).
222
Kap. 6, III: Verbindungen mit ungesättigter Stickstoffkette
III. Verbindungen mit ungesättigter Stickstoffkette ©
Stickstoffwasserstoffverbindungen
vom Typus H N = N H , H N = N — O H
oder
H N = N mit einer N••• N-Mehrfachbindung sind in der anorganischen Chemie nicht bekannt, weil sie wegen der außergewöhnlich großen Bildungstendenz des energiearmen Nz-Moleküls im Augenblick ihrer Entstehung elementaren Stickstoff abspalten. Ersetzt man die H-Atome aber durch schwerer eliminierbare organische Reste, so kommt man zu einer Reihe von Derivaten dieser hypothetischen ungesättigten Stickstoffwasserstoffe, die von großer praktischer Wichtigkeit sind und sich vielfach sogar als wesentlich beständiger erwiesen haben als die am Stickstoff gesättigten Hydroxylaminound Zfydrasmo Verbindungen. 1. Die Diazoverbindungen Eine erste Gruppe dieser organischen Derivate ungesättigter Stickstoffwasserstoffe stellen die Diazoverbindungen dar. Als Diazokörper bezeichnet man alle noch stickstoffhaltigen Umsetzungsprodukte primärer Amine mit salpetriger Säure. Wie die Gruppenbezeichnung Diazo- sagt, enthalten sie stets zwei aneinandergeheftete N-Atome im Molekül, sind aber im übrigen nicht gleichartig konstituiert. Man muß deshalb zwischen verschiedenen Gruppen von Diazoverbindungen unterscheiden und insbesondere die aliphatischen und aromatischen Vertreter der Reihe getrennt behandeln. a) D i e a l i p h a t i s c h e n D i a z o v e r b i n d u n g e n I n der aliphatischen Reihe besteht die Diazogruppe aus zwei N-Atomen und beansprucht zwei Valenzen des mit ihr verbundenen Kohlenstoffatoms. Ferner wurde mit Sicherheit nachgewiesen, daß nur eines der N-Atome die Bindung zum Kohlenstoff übernimmt (vgl. S. 321). Allen diesen Tatsachen werden die beiden Formeln I und I I gerecht (Näheres über die bei der Strukturbestimmung auftauchenden Probleme vgl. I, Kap. 6, I I I , 1 a). Zwischen zwei derartigen Strukturen kann aber n i c h t e n t s c h i e d e n werden, weil sie in ähnlicher Weise im Rahmen einer Mesomerie durch Elektronenverschiebung ineinander übergehen wie die beiden Kekuléstrukturen des Benzols (S. 55) oder die Keto- und die Enolstruktur des Enolat-Ions (S. 167): —
ffi
R — CH—N=NI i
.
u
Me30merle
,
© ©\
R—CH=N=N^ Ii
Danach ist weder I noch I I richtig, sondern es liegt eine durch einfache Formeln nicht wiedergebbare mittlere Elektronenanordnung vor. Da die Mehrzahl der Umsetzungen besser von der Formel I aus erklärt werden kann, soll dieser im folgenden zur Vereinfachung der Verhältnisse der Vorzug gegeben werden. Für die Darstellung der aliphatischen Diazoverbindungen kommen neben einigen speziellen Reaktionen (vgl. z. B . S. 224) vor allem zwei Verfahren in Betracht: 1. Die „Diazotierung" aliphatischer Aminoverbindungen und 2. die Zersetzung entsprechend konstituierter Nitrosamine. Zu 1. Unter Diazotierung versteht man die Umsetzung primärer salpetriger Säure zu Diazoverbindungen.
Amine
mit
223
1 a: Die aliphatischen Diazoverbindungen
Sie geht nur in schwach saurem Medium vor sich und dürfte im Falle der Diazotierung von Olycinester die folgenden nicht beständigen Zwischenstufen durchlaufen: COOK
+ hno,
CH2-NH2
_ H I
°
Glycinester
v
/COOR
\CH 2 —NH—NO/
+ H + H,
~ °
Nitrosamin
/COOR^
\
^
^
COOR
ICH,—N=NI/
OICH—N=NI
Diazonlum-Ion
Diazo-essigester
Bei der entsprechenden Umsetzung einfacher aliphatischer Amine zerfällt das Diazonium-Ion schneller unter Abspaltung des schon vorgebildeten N2-Moleküls (s. auch unten), als die Stabilisierung zum Diazokörper erfolgt. Wie schon auf S. 77, 203 beschrieben erhält man deshalb als Reaktionsprodukte die stickstoffreien Alkohole oder Olef ine: FFI
R—CH,—CH 2 —N=NI 2 :...
^
© R—CH 22—CH 22
/ — ( H, H O V I ' ° ' "
• H
>
R—CH=CH2 „ „ „ „ R—CH 2 —CH 2 —OH
Diazonium-Ion
Die Diazotierungsreaktion kann infolge dieser Verhältnisse in der aliphatischen Reihe nur in wenigen Ausnahmefällen durchgeführt werden. Insbesondere ist dies möglich, wenn sich eine Carbonylgruppe in ot-Stellung zum Stickstoff befindet, wie es z.B. im Olycinester der Fall ist. Zu 2. Ersetzt man im Methylamin eines der am Stickstoff befindlichen H-Atome durch einen leicht wieder abspaltbaren Rest, so wird der Stickstoff sekundär, und man kann ein Nitrosamin herstellen (S. 200), das bereits die beiden N-Atome der späteren Diazogruppe aneinander gebunden enthält. Als erstes derartiges Nitrosamin wählte H. v. Pechmann das Nitroso-methyl-urethan als Ausgangsverbindung für die Diazomethansynthese. Es spaltet unter der Einwirkung starker Alkalien die Carbäthoxygruppe hydrolytisch ab und geht dann unter Wasserabspaltung direkt in Diazomethan über: CO—OR I
HJC—N—N=0 Nitroso-methyl-urethan
Hydrolyse
' (Kalilauge) "
H
H
|
|
H2C—N—N=0 Methyl-nitrosamin
— H,0
G
H2C—N=N Diazomethan
Später verwandte man statt des Urethanderivats den Nitrosomethyl-harnstofI H 3 C — N(NO)—CO—NHa oder das Nitroso-methyl-p-toluol-sulfonamid H 3 C—N(NO)—S0 2 —p-C 6 H 4 — CH3. (Bez. weiterer Variationen dieses Verfahrens vgl. I, Kap. 6, III, la.)
Die niederen aliphatischen Diazoverbindungen sind gasförmige gelbe Substanzen von großer Giftigkeit, die zu Explosionen neigen und deshalb meistens in Lösung hergestellt und weiterverarbeitet werden. Erst bei größerem Molekulargewicht werden sie beständiger. Die chemischen Reaktionen lassen sich in drei Gruppen unterteilen: 1. die unter Stickstoffabspaltung verlaufenden Umsetzungen, 2. die Anlagerungsreaktionen und 3. die Reduktion der N^-Gruppe. Zu 1. Die wichtigste Reaktion tritt bei der Einwirkung von Säuren ein. Diese bilden zunächst das umstehend formulierte Diazonium-Ion, das sofort in der dort geschilderten Weise unter Abspaltung des schon vorgebildeten Stickstoffmoleküls zerfällt. Hierbei wird der organische Rest in Form eines Kations (III) mit Elektronenlücke (sog. Garboniwm-Kation, vgl. S. 335) freigesetzt, das sich durch Anlagerung des Anions der ursprünglichen Säure zu deren Ester stabilisiert:
Kap. 6, I I I : Verbindungen mit ungesättigter Stickstoffkette
224
_=5uR-CH, Diazoniumsalz
+
X-
• R—CH 2 —X
III
Ester
Die Reaktion läuft in summa also auf eine Älkylierung der Säure HX hinaus. Aliphatische Diazoverbindungen sind somit Alkylierungsmittel für saure Verbindungen (bis herab etwa zur Säurestärke des Phenols). In ähnlicher Weise reagieren die aliphatischen Diazoverbindungen mit den elementaren Halogenen unter Stickstoffabspaltung. Hierbei bilden sich die Alhiliden-dihaloaenidei
R—CH—N=N
+ Hai,
^
Hal
i\
r
\ R—¿H:—N=N
\ Hai"/
-N, Anlagerung des Anions
Diazonlumsalz
R—CHHal, Alkyliden-dihalogenid
Ferner tritt bei der Einwirkung von Diazomethan auf Oxoverbindungen eine sofortige Anlagerungsreaktion zu dem „Diazonium-betain" IV ein, daa sich nach der Stickstoffabspaltung entweder durch Wanderung eines Bestes oder durch Ringbildung zum Olefinoxyd stabilisiert:
N
© © C = 0 + ICH»—N=N -
N
/CH, - N = N \
R
0
e
W&ndernng von K/
O II R—C—CHj—R + Na
Olefinoiydblldung
IV
Im ersteren Fall wird der wandernde Rest in summa um eine Methylengruppe verlängert, und man spricht deshalb von einer indirekten Methylierung. Zu 2. Wie auf S. 302 erörtert, vermögen sich aliphatische Diazoverbindungen an Acetylme und an Blausäure unter Bildung von Heterocyclen anzulagern. Zn 3. Durch milde Reduktionsmittel kann die aliphatische Diazogru/ppe unter Erhaltung der N-'-N-Bindung bis zur Stufe der Hydrazongruppe reduziert werden: ROOC—CH—N=N
+ H,
(Eiflen[II]-oxydhydrat)
ROOC—CH=N—NHj Glyoxylester-hydrazon
Dlazo-esslgester
Stärkere Mittel spalten die Hydraziiibindung, und man erhält die dem Diazokörper zugrunde liegende Aminoverbindung zurück. Einzelverbindungen. Diazomethan, das Anfangsglied der Reihe, wird meistens nach dem v. PECHMANN-Verfahren (S. 223) aus Nitrosomethylharnstoff oder Nitrosomethyl-p-toluolsulfamid gewonnen. Ferner entsteht es nach H. STATXDINGEB bei der Umsetzung von Chloroform mit Hydrazin: / C 1 H—C f Cl + Cl K"a
- 3 HCl
—H
Diazomethan
Diazomethan findet in Form seiner ätherischen Lösungen eine vielseitige Anwendung als präparatives Methylierungsmittel.
1 b: Die aromatischen Diazoverbindungen ©
225
®
Diazo-esslgester C 2 H 6 —OOC—CH—N=N ist wegen seiner leichten Darstellbarkeit durch Diazotierung von Olycineater (s. oben) die älteste bekannte aliphatische DiazoVerbindung. An ihm wurden deshalb viele Reaktionen dieser Verbindungsklasse studiert. Bei der Umsetzung mit Sauerstoffsäuren (HO—Ac) entstehen die O-Acylderivate des Qlykolsäure-äthylesters (C2H5—OOC—CH2—O—Ac).
b) Die aromatischen Diazoverbindungen In der aromatischen Reihe liegen die Verhältnisse etwas komplizierter, weil hier verschiedene Arten von Diazoverbindungen existieren, zwischen denen die folgenden Beziehungen und Übergänge bestehen: Bei der Diazotierung der primären Anilinbasen werden zunächst wie in der aliphatischen Reihe (vermutlich ebenfalls über die Stufe der Nitrosamine hinweg) die Diazoniumsalze gebildet. Diese sind hier existenzfähig und stellen gleichzeitig die einzige in saurem Gebiet stabile Form der Diazoverbindungen dar. Bei der Einwirkung von Alkalien wird das Diazonium-Ion dann durch Anlagerung des Hydroxyl-Ions zum sauren syn-Diazo-hydroxyd entladen, das sofort durch ein zweites HydroxylIon zum syn-Diazotat-Anion „neutralisiert" wird, frei also nicht existenzfähig ist. Es hat also eine Umladung der Diazogruppe stattgefunden. Auch das syn-Diazotat ist in der Mehrzahl der Fälle nur metastabil und erfährt mehr oder weniger rasch eine Umlagerung in das geometrisch isomere anti-Diazotat, in dem die alkalistabile Form der aromatischen Diazoverbindungen vorliegt. Beim vorsichtigen Ansäuern der anti-Diazotate entsteht zunächst das anti-Diazohydroxyd, das man zuweilen in Form des mit ihm tautomeren Mtrosamins in freier Form isolieren kann. Letzteres bildet schließlich in Gegenwart von Mineredsäuren das Diazonium-Ion zurück. Alle diese Reaktionen sind in folgendem Formelbild am Beispiel des Diazotierungsproduktes des Anilins zusammengestellt. Gleichzeitig lassen die beigefügten Namen die gebräuchlichen Nomenklaturprinzipien erkennen: + HNO,, + HCl, — 2 H , 0 (wahrscheinlich über Phenyl-nitrosamin als nicht faßbares Zwischenprodukt)
Anilin
+ HCl, — H . O
Tautomerie
\
f
f
\—N=N
Benzol-diazonium-chlorid
j
Benzol-syn-diazo-hydroxyd I NaOH
Umlagerung
?
N—ONa
Natrium-benzol-anti-dlazotat
OH-, - er
HO—N/ Phenyl-nitrosamin
H+^NaOH
O
+
V-NH—N=0
N—OH;
Benzol-anti-diazohydroxyd
er
f
V N NaO—N
Natrium-benzol-syn-diazotat
Die Konstitution der angeführten verschiedenen Formen der aromatischen Diazoverbindungen ist bis auf die Unterschiede zwischen syn- und anti-Diazotaten sichergestellt (Näheres vgl. I, Kap. 6, III, lb). Für diese wird auch heute noch neben der geometrischen Isomerie eine Struleturisomerie diskutiert, und zwar soll auf Grund dieser Vorstellung das syn-Diazotat eine von der oben angegebenen Konstitution abweichende Struktur mit dem Sauerstoff am kernständigen NAtom aufweisen. Von diesem Standpunkt aus verlieren natürlich die Namen syn- und anti15
K l a g e s , Einführung org. Chemie
Kap. 6, III: Verbindungen mit ungesättigter Stickstoffkette
226
Diazotat ihren Sinn, und man hat deshalb die gleichwertigen Bezeichnungen normales oder n-Diazotat (statt syn-Diazotat) und Iso- oder i-Dlazotat (statt anti-Diazotat) eingeführt: ONa /
/
Natrium-bcnzol-n-diazotat
S—N=N—ONa Natrlum-benzol-i-diazotat
Die Darstellung der aromatischen Diazoverbindungen erfolgt praktisch ausschließlich durch Diazotierung primärer Anilinbasen. Hierbei erhält man in der bereits formulierten Weise primär stets die Diazoniumsalze und kann die verschiedenen Diazotate erst sekundär durch Einwirkung von Alkalien bez. die freien Nitrosamine sogar erst tertiär durch vorsichtigen Säurezusatz zu den anti-Diazotaten gewinnen. Für die Durchführung der Diazotierungsreaktion ist es wesentlich, daß man in stark saurem Medium arbeitet, denn die H + -Ionen sind nicht nur rein stöchiometrisch für die Bildung der Diazonium-Ionen erforderlich, sondern haben auch die wichtige Funktion, die nur schwach, basischen Anilinbasen einigermaßen vollständig in die Onium-Ionen überzuführen; denn die bei zu geringer H + -Ionenkonzentration im Gleichgewicht mit diesen vorliegenden freien Amine vermögen mit den schon gebildeten Diazonium-Ionen zu. „kuppeln" (Näheres vgl. S. 229), so daß man bei zu hohem pn-Wert (z. B. in essigsaurer Lösung) statt der Diazoniumsalze deren Kupplungsprodukte erhält: Ar—NH a
t_HH,o '
^Ar—NH—Noj
+ HX
— H,0
+
Ar—N=N
X-
(Diazotierung)
(nicht faßbar) +
Ar—NH 2
+
Ar—N=N
in summa 2 Ar—NH 2 +
X" HN02
>•
Ar—NH—N=N—Ar
+
HX
•
Ar—NH—N=N—Ar
+
2H20
(Kupplung)
Diazoaminobenzol (vgl. auch S. 229)
Bez. weiterer in Spezialfällen eintretender Nebenreaktionen vgl. I, Kap. 6, III, l b .
Physikalische Eigenschaften. Sowohl die Diazoniumsalze als auch die Diazotate sind als Salze gut kristallisierende, in Wasser und Alkoholen leicht sowie in hydroxylfreien organischen Lösungsmitteln schwer lösliche Substanzen. Die Diazoniumsalze neigen in lösungsmittelfreiem Zustand zu schweren Explosionen und werden deshalb meistens in Form der bei ihrer Darstellung anfallenden Lösungen weiter verarbeitet. Aber auch in Lösung erleiden sie schon dicht oberhalb Zimmertemperatur die unten beschriebene Zersetzung zu Phenolen und müssen deshalb zweckmäßig bei Temperaturen < 5° aufbewahrt werden. Erst die syn- und besonders die anti-Diazotate sind leidlich stabil und z. T. sogar in Substanz lagerungsbeständig. Die chemischen Reaktionen der aromatischen Diazoverbindungen sind sehr vielseitig und von erheblicher praktischer Bedeutung, da sie es gestatten, die Diazogruppe in eine große Zahl sonst nur schwer zugänglicher anderer Funktionen umzuwandeln. I m einzelnen muß man zwischen den folgenden drei grundsätzlich verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten unterscheiden: 1. den unter Stickstoffabgabe verlaufenden Reaktionen, 2. den Kupplungsreaktionen und 3. der Umwandlung der N2-Oruppe in andere stickstoffhaltige Reste.
1 B: D i e SANDMEYER-Reaktion
227
Zu 1. Die Diazonium-Ionen enthalten auch in der aromatischen Reihe das NMolekül bereits vorgebildet. Sie zeigen daher eine gewisse Tendenz zur Abspaltung von elementarem Stickstoff. Dieser findet besonders in Gegenwart schwach basischer Reagenzien statt, die an Stelle der N2-Gruppe an den Arylrest treten. Es gibt vier derartige Reaktionsformen: a) In Gegenwart der Anionen starker Säuren verdrängt das Lösungsmittel den Stickstoff, und es entsteht in dem weitaus häufigsten Fall der Verwendung wäßriger Lösungen ein Phenol: Ar—N=N
>
+ H
Ar—0H 2
' ° ->•
Ar—OH +
OH3+
Die Reaktion ist immer mit der Entwicklung von einem Mol Säure verbunden und setzt schon dicht oberhalb Zimmertemperatur ein. In der Praxis wird sie meistens bei etwa 50° durchgeführt und hat wegen der starken Gasentwicklung den Namen Phenolverkochung erhalten. Sie ist die Hauptursache der oben beschriebenen thermischen Instabilität der Diazoniumsalzlösungen. In alkoholischem Medium, tritt in analoger Weise eine OR-Omppe an den Benzolkern, und man erhält die Phenoläther. Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, daß der Arylrest ein H-Atom der Garbinolgruppe übernimmt, d. h. daß er unter gleichzeitiger Dehydrierung der Carbinol- zur Aldehydgruppe in den entsprechenden aromatischen Kohlenwasserstoff übergeht: Ar—NjCF +
HO—CHa—R
>
Ar—H + 0 = C H — R + N 2 + HCl
Bei Verwendung von Methanol überwiegt die Phenolätherbildung, bei höheren Alkoholen dagegen meistens die Reduktion zum Kohlenwasserstoff.
b) Eine Reihe besonders aktiver Anionen vermag noch vor der Einwirkung des Wassers den Stickstoff zu verdrängen. Hier beobachtet man infolgedessen eine ausschließliche Substitution der N2-Gruppe durch das Anion X~ ohne Beteiligung des Lösungsmittels. Die wichtigsten Reaktionen dieses Typus, die häufig bereits beim Zusammengeben der Ionen vor sich gehen, sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt : 0 Q Aa0 H + JN = N + » '~, / % -As^OH + N 2 + N2 OH
Jodbenzol
Benzol-arsonsäure
+ N," •N=N=N
r
+ RO—CSS-
+7.S"
V»
V-s
/
\
R
1 V-S—CS—OR
Phenyl-azid
DIphenyl-sulfid
Dithio-kohlensäureester
+ N2
+ N2
+ N2
+ SbO.H,"
,0 —Sb^-OH Benzol-stibonsäure OH + N2
c) Die meisten Anionen reagieren jedoch langsamer als Wasser und setzen sich deshalb in wäßriger Lösung nicht mehr ohne weiteres mit Diazonium-Ionen um. Hier gelingt die gewünschte Übertragung des Arylrestes auf diese Anionen vielfach durch Verwendung von deren Kupfer(I)-salzen oder in Gegenwart von Kupferpulver. Die wichtigsten dieser nach ihrem Entdecker SANDHEVEB-Reaktioncn genannten Verfahren sind: 15»
Kap. 6, I I I : Verbindungen mit ungesättigter Stickstoff kette
228
+ NO," (Cu-Pulver)
+ CuHal _ Cu+
f
Nitrobenzol
Y
-
Hai
(für Hai = C1 u. Br)
N=N + HSO,~ (Cu-Pulver)
+ CuCN _ Cu+
f
Benzol-sulfons&ure
\—C=N Benzonltril
Zusammen mit den unter a) und b) beschriebenen Reaktionen ist es auf diese Weise möglich, fast alle bekannten Anionen in den Benzolkern einzuführen. d) Grundsätzlich nach dem gleichen Schema kann man den Arylrest auch auf organische Moleküle, und zwar speziell auf andere aromatische Kerne unter Bildung von Diphenylderivaten übertragen. Die von M. GOMBERG entdeckte Reaktion führt man heute zweckmäßig von den Nitrosaminen acetanilidartiger Verbindungen (I) aus durch. Diese lagern sich unter den Reaktionsbedingungen in die frei nicht existenzfähigen Diazo-acetate (II) um, die sofort unter Einbeziehung eines Moleküls der zu substituierenden aromatischen Verbindung (die man zur Erzielung eines genügenden Überschusses zweckmäßig als Lösungsmittel wählt) zu Stickstoff, Essigsäure und einem Diphenylderivat weiterreagieren (vgl. auch S. 354): Ac Ar—i—N=0
Um agcrung
'
•
(Ar r N = N - ' O - A c )
I
Ar-Ar' +
HO-Ac
Ii
e) In Gegenwart stark alkalischer Stannitlösungen wird der Stickstoff schließlich durch Wasserstoff ersetzt [wie bei der unter a) beschriebenen Reaktion mit höheren Alkoholen]. Die Reduktion verläuft jedoch nach einem anderen Mechanismus. Vermutlich bildet sich das gleiche Aryl-diimin als Zwischenstufe, das wir schon als Dehydrierungsprodukt der Monoarylhydrazine kennengelernt haben (S. 219): Ar—N=N
+ [H (Hydrid-Ion)
(alkalische Stannitlösung)
(
-N=N- -H
-
Ar—H + N 2
Aryl-diimin
Bei allen in a) bis e) beschriebenen Reaktionen wird der Arylrest auf andere Atome bzw. Atomgruppen übertragen, d. h. es liegen typische Arylierungsreaktionen vor. Die aromatischen Diazoverbindungen sind danach wichtige Arylierungsmittel, denen insbesondere im Hinblick auf die Reaktionsträgheit der Arylhalogenide (S. 73) eine erhebliche praktische Bedeutung zur Durchführung von Arylierungsreaktionen bei niedriger Temperatur zukommt. Zu 2. Als Kupplungsreaktion (im weitesten Sinne) bezeichnet man die Addition basischer Reagenzien an das äußere N-Atom von Diazonium-Ionen. Hierbei wird ©
stets die —N=N-Gruppe entladen und geht in eine aus neutralen Atomen aufgebaute — N = N — B r ü c k e über. Die wichtigsten hierher gehörenden Reaktionen sind: a) die Anlagerung von Anionen. Das einfachste Beispiel stellt die bei der Einwirkung von OH -Ionen eintretende Bildung von syn- und anti-Diazotaten dar (S. 225). Aber auch Cyanid-Ionen und Sulfit-Ionen lagern sich zu stabilen Verbindungen an, die in analoger Weise als Diazo-cyanide und Diazo-sulfonate bezeichnet werden und ebenfalls in syn- und Antiformen auftreten:
229
1 b: Die Kupplungsreaktion
/
V
0 -N=N
+
_ IC=N~
*
Z
-
V N
\ = /
/
-
n
v
-N N— C = N
N=C—N
Benzol-syn-diazo-cyanid
S
\—N=N
+
IS0 3 Na"
^
Benzol-anti-diazo-cyanld
~V-N
V - N
NaOjS—N
N—S03Na
Benzol-syn-diazosulfonat
Benzol-anti-dlazosulionat
b) Die Anlagerung primärer oder sekundärer Amine, die zunächst zu den Onium-Ionen (III) von Triazenen führt: Ar—NssNI +
INHR2
Ar—N=N—NHR,
-
(bzw. NH 2 R)
Ar—N=N—NR.
(bzw. NH 2 R)
Iii
(bzw. NHR)
Triazen-derivat ( = Diazo-aminoverbindung)
Insbesondere die Anlagerung von Anilinbasen tritt leicht ein und vermag u. U. die Diazotierung zu stören (S. 226). Die entstehenden Triazene werden auf Grund dieser Reaktion in Analogie zu den Diazo-eyaniden, Diazo-hydroxyden usw. häufig Diazo-aminoverbindungen genannt.
c) Die Anlagerung des Benzolkerns aktivierter aromatischer Verbindungen (vor allem von Phenolat-Ionen [bzw. Phenolen in alkalischem Medium] und tertiären Anilinbasen) zu Azokörpern (S. 230): + : Ii -S A r — N = N
UL-
A r — N = N — O H p-Hydroxy-azoverbindung
+ H
NR,
A r — N = N — — N R
a
p-Dialkylamino-azoverbindung
Dieser Vorgang, der für die auf das Diazonium-Ion einwirkende Kupplungskomponente eine normale aromatische Substitution darstellt (vgl. S. 93, 207), ist die Kupplungsreaktion im ursprünglichen Sinn und dient hauptsächlich zur Darstellung von Azofarbstoffen (S. 408f.). Bei der Einwirkung primärer und sekundärer Anilinbasen findet zwar meistens die unter b) beschriebene Bildung von Diazoaminoverbindungen statt, doch ist es in Analogie zur Umlagerung von O. FISCHER und HEPP (S. 207) möglich, die am gesättigten N-Atom der Triazenkette befindliche Diazogruppe in den Kern wandern zu lassen unter Bildung von p-Amino-azoverbindungen: Ar—N=N;—NH—^ Diazo-aminoverbindung
Erhitzen mit schwachen Säuren
N — N = N — A r p-Amino-azoverbindung
Auf diesem indirekten Wege kann man also auch hier eine Kernkupplung
durchführen.
Zu 3. Die wichtigste Umwandlung der Diazogruppe in eine andere stickstoffhaltige Funktion ist die schon erwähnte (S. 219) Reduktion zur Hydrazinogruppe, die man nach V. M E Y E B mit Zinn(IIJ -chlorid in stark saurem Medium vornehmen
Kap. 6, I I I : Verbindungen mit ungesättigter Stickstoffkette
230
kann. Praktisch wichtiger ist die v o n E. FISCHER vorgeschlagene Verwendung v o n Natriumsulfit als Reduktionsmittel. Dieses wirkt nur indirekt reduzierend, denn es lagert sich zunächst lediglich in Form eines Sulfit- und eines Hydrogensulfit-Ions in zwei Stufen an die N =N-Dreifachbindung an. Erst bei der säurekatalysierten Hydrolyse des hierbei entstehenden arylhydrazin-N,N'-disulfonsauren Natriums (IV) findet der Wechsel der Oxydationsstufen statt, d. h. der Schwefel wird nunmehr in Form von Schwefelsäure abgespalten und die N 2 -Gruppe in Form der Hydrazinogruppe freigesetzt: S0 3 Na fR I +IS0 Na Ar—NsN ' ~ + Ar—N=N
+
Diazosulfonat
Na03S S03Na I I Ar-N-NH
saUre Hy d y e 9 ;°' °
— £ üfSUf
IV
, Ar—NH—NH,'
2. Die Azoverbindungen Während das anorganische Diimin H N = N H und auch seine monosubstituierten organischen Derivate ( A r — N = N H , vgl. S. 219 und 228) nicht existenzfähig sind, weil sie im Augenblick ihrer Bildung sofort unter Abgabe v o n elementarem Stickstoff zerfallen, begegnen wir in den Diaryl-diiminen A r — N = N — A r einer sogar auffällig beständigen Substanzklasse, die den N a m e n Azoverbindungen erhalten hat. Nomenklatur. Die Bezeichnung Azokörper ist auf Grund der ursprünglichen Annahme entstanden, daß die Verbindungen dieser Reihe einen mit nur einem N-Atom besetzten Benzolkern enthalten. Der Name Azo-benzol bedeutet also wörtlich Stichstoff-benzol C 6 H 5 —N und steht damit in voller Analogie zum Chlor-benzol C6H6—Cl. Erst später erkannte man die dimere Natur der Azoverbindungen und übertrug sinngemäß den Begriff Azo vom einfachen Stickstoffatom auf die zweiwertige Brücke — N = N — , die wir schon bei einigen Diazoverbindungen (z. B. den Diazotaten, Diazo-cyaniden, Diazo-sulfonaten usw.) kennengelernt haben. Trotz dieser nahen Verwandtschaft mit der Diazogruppe hat man in denjenigen Fällen, in denen die N 2 -Brücke beiderseits organische Reste trägt, den Namen Azogruppe beibehalten. Sie bedeutet aber im Gegensatz zur Diazogruppe einen zweiwertigen Rest, der gleichzeitig zwei Moleküle einer organischen Verbindung substituiert. So ist etwa Azobenzol C e H 6 —N=N—C„H 5 das Substitutionsprodukt von zwei Benzolmolekülen durch die Azogruppe. Die Darstellung der Azoverbindungen geschieht nach zwei, an anderer Stelle dieses Buches näher beschriebenen Verfahren: 1. durch alkalische Reduktion von Nitroverbindungen (S. 236). Die Reaktion schießt leicht über die Stufe der Azokörper hinaus bis zu den Hydrazoverbindungen, doch lassen diese sich ohne Schwierigkeit zu den Azoverbindungen zurückoxydieren (u. U. schon durch Stehen an der Luft, S.220): 2 Ar—N0 2
+ 4
4 H, °",~„ , ° • (AIKau)
Ar—N=N—Ar
H^Hj -H.
**
(Luftsauerstoff)
Azoverbindung
Ar—NH—NH—Ar Hydrazoverblndung
2. mit Hilfe der Kupplungsreaktion. Diese liefert allerdings nur im Benzolkern substituierte Azokörper (vgl.S. 229), ist aber für die Darstellung der Azofarbstoffe (S.408f.) als praktisch wichtigste Azokörper von großer Bedeutung. Die aromatischen Azoverbindungen sind gut kristallisierende, bis annähernd 300° beständige Substanzen, die sich durch eine gelbe bis rote Farbe auszeichnen und z. T. wichtige Farbstoffe darstellen (vgl. S. 408f.). Chemisch gehören sie zu den reaktionsträgen Verbindungen, heitseigenschaften der Azofarbstoffe v o n Bedeutung ist.
was für die Echt-
3: Verbindungen mit längerer Stickstoffkette
231
Die N=N-Doppelbindung ähnelt in manchen Punkten der C=C-Doppelbindung. Insbesondere ist auch hier eine geometrische Isomerie möglich. Z. B. kennt man vom Azobenzol eine energiearme stabile trans- und eine (durch UV-Bestrahlung erhältliche) energiereiche labile eis-Verbindung: •N=N V
cis-Azo-benzol
•Ntrans-Azo-benzol
Der Energieunterschied zwischen beiden Formen ist so beträchtlich, daß alle Azoverbindungen, insbesondere alle Azofarbstoffe, ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen ausschließlich in der transForm, auftreten. Hinsichtlich der Reaktionsfähigkeit tritt die N—N-Doppelbindung allerdings hinter der C=C-Doppelbindung zurück. Im wesentlichen kennt man nur die schon beschriebene Hydrierung zu den Hydrazokörpern. Auch die Basizität der Azoverbindungen ist im Gegensatz zu der der Anilinbasen nur noch sehr schwach ausgeprägt, so daß selbst mit starken Mineralsäuren keine wasserbeständigen Salze mehr gebildet werden. Dagegen vermögen die Azoverbindungen wie die tertiären Amine Sauerstoff zu den den Aminoxyden entsprechenden AzoxyVerbindungen anzulagern: O Azobenzol
Azoxybenzol
Die Azoxyverbindungen entstehen weiterhin als Kondensationsprodukte v o n Arylhydroxylaminen und Nitrosoverbindungen (S. 218) und können als solche bei der alkalischen Reduktion von Nitroverbindungen abgefangen werden (S. 236). Sie sind ebenfalls zur cis-trans-Isomerie befähigt, haben aber keine praktische Bedeutung erlangt. 3. Verbindungen mit längerer Stickstoffkette Wie schon kurz angedeutet (S. 222), sind mit organischen Resten besetzte ungesättigte Stickstoffketten (insbesondere bei Konjugation der N = N - D o p p e l b i n d u n g e n mit aromatischen Kernen) wesentlich beständiger als die bei Verknüpfung v o n Heteroatomen durch Einfachbindungen entstehenden K e t t e n in den Hydrazinund Hydroxylaminderivaten. Man kennt infolgedessen nur in der ungesättigten Reihe Verbindungen mit wesentlich längeren (bisher maximal zehn N-Atome enthaltenden) Stickstoffketten. Die Benennung derartiger Substanzen mit mehr als zwei aneinander gereihten N-Atomen geschieht nach den gleichen Prinzipien wie die der Paraffine und Olef ine. D. h. man kennzeichnet die Zahl der N-Atome durch das betreffende griechische Zahlwort und die gesättigte bzw. ungesättigte Natur der Kette durch die Endungen -an bzw. -tri. Ferner wird zur Hervorhebung des Stickstoffs als Bauelement das Stammwort az- oder aza- eingeschoben, und die Stellungen der Doppelbindungen und organischen Reste werden wie üblich durch Bezifferung markiert. Die hypothetischen Stammverbindungen H N = N — N H 2 und H N = N — N H — N = N — N H — N = N H der unten angeführten Substanzen heißen also Triazen und Okt-azatrien-1,4,7. Die einfachsten Verbindungen dieses Typus sind die schon früher (S. 229) unter dem Namen Diazoarninoverbindungen beschriebenen Kupplungsprodukte der primären und sekundären Amine, die 1,3-Di- bzw. 1,3,3-Trisubstitutionsprodukte des Triazens darstellen. Die analoge zweifache Kupplung des Hydrazinmoleküls mit Diazoniumsalzen führt bereits zu einem Hexazadien-1,5derivat, mit einer Kette von s e c h s N - A t o m e n :
232
Kap. 6, IV: Die Nitroverbindungen
Ar—N=N +
H 2 N—NH 2
+
N=N—Ar
~2H+ .
Ar—N=N—NH—NH—N=N—Ar l,6-Diaryl-hexaza-dien-l,5
Als bisherige Endglieder der Reihe seien weiterhin das 1,3,6,8-Tetraphenyl-oktaza-trien1,4,7 mit der längsten bisher dargestellten offenen Stickstoffkette und das 1,1-Azo-tetrazol mit einer sogar zehngliedrigen Kette von N-Atomen angeführt. In letzterem Fall gelang deren Stabilisierung jedoch nur durch den weitgehenden Einbau in zwei aromatische heterocyclische Ringsysteme: C 6 H 5 C„H5 C8H5 CaH5 | | | | N=N—N—N=N—N—N=N
N=Nx ,N=N | )N-N=N-N( | / X N=C C=N
;
H
l,3,6,8-Tetraphenyl-oktaza-trien-l,4,7
H
1,1-Azo-tetrazol
IV. Die Nitroverbindungen 1. Allgemeines Als Nitroverbindungen bezeichnet man alle Stoffe, die den Rest —N0 2 (Nitrogruppe) über das N-Atom an Kohlenstoff gebunden enthalten. Die Nitroverbindungen weisen die allgemeine Struktur I mit semipolarer N^-0Bindung auf und sind isomer mit den auf S. 87 beschriebenen (nur in der aliphatischen Reihe bekannten) Salpetrigsäureestem (II), in denen die N0 2 -Gruppe über ein O-Atom an den organischen Rest gebunden ist: R—N^
I
Nitroverbindung
Alk—0—N=0
Ii
Salpetrigaäureester
Die Benennung der Nitroverbindungen erfolgt ausschließlich als Nitrosubstituiionsprodukte anderer organischer Substanzen (z. B. Nitro-methan H 3 C—N0 2 oder p-Nitro-benzoesäure 0 2 N — J>-C6H4—COOH). Eine entgegengesetzte Bezeichnung als alkyl- oder arylsubstituierte Stickstoffverbindung (etwa dem Namen Alkyl-nitrite für die Salpetrigsäureester entsprechend) ist trotz eines gewissen Bedürfnisses nicht entwickelt worden.
Die Darstellung der Nitroverbindungen geschieht nach zwei Verfahren: 1. durch Substitution von CR- Wasserstoff durch die Nitrogruppe (sog. Nitrierung) und 2. durch Alkylierung bzw. Arylierung des Nitrit-Ions. Zu 1. Die Nitrierung von CH-Verbindungen kann im einfachsten Falle mit konzentrierter Salpetersäure durchgeführt werden und verläuft dann nach der summarischen Gleichung (bez. des Mechanismus vgl. II, Kap. 4, II, 3 ba): R—II + HO—N02
•
R—NOj + H20
Da das als Nebenprodukt entstehende Wasser die Salpetersäure verdünnt und unwirksam macht, muß man entweder mit einem großen Säureüberschuß arbeiten oder aber konzentrierte Schwefelsäure als wasserbindendes Reagenz zusetzen. In der Praxis nitriert man meistens mit einer Salpetersäure-Schwefelsäure-Mischung im Verhältnis 1:3, die den Namen Nitriersäure erhalten hat und wesentlich stärker wirkt als reine Salpetersäure.
1: Die Nitrierungsreaktion
233
Eine nochmalige Steigerang der Nitrierwirkung erzielt man durch Verwendung eines Gemisches von rauchender Salpetersäure und rauchender Schwefelsäure. Außerdem sind Distickstofftetroxyd und einige Anhydride der Salpetersäure mit Carbonsäuren als Nitrierungsmittel in Gebrauch, die den Vorteil bieten, auch in nicht mit Nitriersäure mischbaren organischen Solventien anwendbar zu sein: R—H +
Ac—O • -NO a
~Ac0H
.
II—X0 2
R—H
+
() 2 N'-NO
Von den verschiedenen Arten des organisch gebundenen Wasserstoffs wird der aromatische Wasserstoff am glattesten (d. h. ohne Nebenreaktionen) substituiert. Die Nitrierungsreaktion ist deswegen das wichtigste Darstellungsverfahren für aromatische Nitroverbindungen. Die Nitrierbarkeit aliphatischer CH-Qruppen steigt vom nur schwer substituierbaren Paraffinwasserstoff zu dem leicht reagierenden Wasserstoff der durch Carbonylgruppen aktivierten Methylengruppen stark an, doch tritt hier leicht eine Oxydation als Nebenreaktion ein, so daß man meistens die unter 2. beschriebenen Verfahren bevorzugt.
Außer Wasserstoff kann man zuweilen auch aromatisch gebundene Sulfogruppen, insbesondere in o- oder p-Stellung zu einer Hydroxylgruppe, durch Behandeln mit Salpetersäure gegen Nitrogruppen austauschen. Beispielsweise gewinnt man Pikrinsäure (S. 238) zur Vermeidung von Oxydationsreaktionen zweckmäßig durch Nitrierung von 2,4-Phenol-disulfonsäure:
HO^sV-VOH
- 2 H , S O ! - H,O >
0
2
N - ^ J
2,4-Phenol-disulfonsäure
Pikrinsäure
2
Zu 2. In den Nitrit-Ionen liegt bereits die fertige Nitrogruppe vor (als Anion). Man gelangt daher durch dessen Umsetzung mit den üblichen Alkylierungs- und Arylierungsmitteln ebenfalls zu Nitrokörpern. Allerdings besteht hier die Schwierigkeit, daß das Nitrit-Ion auch am Sauerstoff alkyliert werden kann. Infolgedessen entstehen meistens die Nitroverbindungen und die isomeren Salpetrigsäureester nebeneinander. Jedoch lassen sie sich relativ leicht durch Destillation voneinander trennen (s. unten): Alk—0—N=0 Salpetrigsäureester
. °-Alky'ierUng
©
O—N=0 Nitrit-Ion
N-Alkyllerung
J>
>
Alk—Ncf
Nitroverbindung
Das Verhältnis von N- zu O-Alkylierung kann nicht genau vorher bestimmt werden und hängt bis zu einem gewissen Grade von der Struktur der reagierenden Verbindungen ab. Nach V. M E Y E R erhält man bei der Alkylierung von Alkali-nitriten eine schlechte und von Silbernitrit eine mäßig gute Ausbeute an Nitroverbindungen. Ferner nimmt, beim Ubergang von primären über sekundäre zu tertiären Alkylhalogeniden die Neigung zur Bildung von Salpetrigsäureestern zu. Eine Aryliernng des Nitrit-Ions ist bisher lediglich nach S A N D M E Y E R durch Umsetzung mit Diazoniumsalzen in Gegenwart von Kupferpulver gelungen (S. 227/8). Sie ist von praktischer Bedeutung zur Herstellung von Verbindungen, die nicht durch direkte Nitrierung gewonnen werden können (z. B. von o- und p-Dinitro-benzol, vgl. S. 237).
234
Kap. 6, IV: Die Nitroverbindungen
Physikalische Eigenschaften. Die Nitroverbindungen zeigen infolge der in ihnen enthaltenen semipolaren Bindung ein hohes elektrisches Moleküldipolmoment und sieden deshalb für ihre Molekülgröße ungewöhnlich hoch (Nitromethan z. B. um 113° höher als das bei Raumtemperatur gasförmige isomere Methyl-nitrit). Tabelle 14 Die p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n einiger N i t r o v e r b i n d u n g e n Sdp.
Smp.
D/T.
Nitromethan Nitroäthan Phenylnitromethan
101° 114 225
—29°
1,322/25° 1,053/20° 1,154/25°
Nitrobenzol o-Nitrotoluol m-Nitrotoluol p-Nitrotoluol
211 222 231 238
6 16 51
1,223/0° 1,167/16° 1,160/18° 1,375/55°
Sdp. o-Nitrophenol m-Nitrophenol p-Nitrophenol Pikrinsäure o-Nitranilin m-Nitranilin p-Nitranilin
Smp.
214° 194/70 mm 280 subl.
45« 97 114 123 72 114 148
Ar-S—Ar' «KM"°' Ar— S—Ar' 4 O Diaryl-sulfon
und entstehen deshalb als Nebenprodukte der Sulfonierung aus der bereits gebildeten Sulfonsäure beim Arbeiten in zu stark verdünnter Schwefelsäure. Praktisch wichtiger für ihre Gewinnung ist jedoch die Oxydation von Thioäthern, die auch in der aliphatischen Reihe sowie zur Überführung von Mercaptalen in Verbindungen mit zwei Sulfongruppen an einem C-Atom Anwendung findet (s. unten und S. 114). Die Sulfone besitzen wegen des Vorliegens zweier semipolarer Bindungen ein großes elektrisches Dipolmoment und sind infolgedessen sehr hoch siedende (z. B. Diäihylsulfon bei 248°), gut kristallisierende Verbindungen. Ihre chemische Reaktionsfähigkeit ist sehr gering. Insbesondere am S-Atom sind keine Umsetzungen mehr möglich. Lediglich die unmittelbar am Schwefel stehenden Methylengruppen werden in ähnlicher Weise acidifiziert wie in den Sulfonsäureestern (S. 248) und Nitroverbindungen (S. 234/5). Z.B. kann man das aus Propionaldehyd-diäthylmercaptal durch Oxydation erhältliche Disulfon in die C-Metallverbindungen überführen und dann am Kohlenstoff alkylieren. Hierbei werden die Schlafmittel Trional und Tetronal erhalten:
H
,/
•S
CoHe
/SOo
Oxydation ^
C ,11 r
/SO¡1 C2HB
+ NaOH ^ - H,0 | \
-C 2 H 5
+ R—Hai - NaHal
S0 2 —C 2 H 5 H
Propionaldehyddiäthylmercaptal
Na
C2H6 /S0 2 —c 2 h 5 y
fo/
| R
Trional (B, = CH,) Tetronal (B. = C,H,)
Sie stellen zusammen mit dem sehr nahe verwandten Sulfonal (S. 114) die praktisch wichtigsten Sulfone dar. c) D i e S u l f i n s ä u r e n Die Sulfinsäuren stehen zu der schwefligen Säure in einem ähnlichen Verhältnis wie die Sulfonsäuren zur Schwefelsäure. Sie zeigen auch eine ähnliche Tautomerie wie die schweflige Säure zwischen einer HydroxylForm und einer Hydrosulfid-Form, von denen die erstere im Gleichgewicht weit überwiegt: ?H ? R—SI 4 O Hydroxyl-Form der Sulfinsäuren
;
^
R—S—H I O Hydrosulfld-Form der Sulfinsäuren
251
2 o und d : Suifinsäuren und Sulfoxyde
Die wichtigsten Bildungsreaktionen für Suliinsänren sind: 1. die der Sulfonierung mit S0 3 (S. 245) formal analoge, jedoch nur unter FRIEDELGRAFTS-Bedingungen verlaufende Sulfinierung aromatischer Kohlenwasserstoffe mit Schwefeldioxyd : R—H +
A1C1
S0 2
'
>
R—S0 2 H
2. die Umsetzung von Schwefeldioxyd mit metallorganischen Verbindungen (S. 265) und 3. die partielle Reduktion von Sullonsäurechloriden (S. 247). Die Sulfinsäuren ähneln in ihrem physikalischen Verhalten den Sulfonsäuren, besitzen jedoch eine deutlich schwächere Acidität, die etwa mit der der Carbonsäuren vergleichbar ist. Wegen der mittleren Oxydationsstufe des S-Atoms sind sie wie die Aldehyde ziemlich labil und werden leicht zu Sulfonsäuren oxydiert (z. B. schon durch Luftsauerstoff) oder zu Mercaptanen reduziert. Von den chemischen Reaktionen ist lediglich das Verhalten der Alkalisalze bei der Alkylierung von Interesse, denn hierbei tritt der organische Rest (wieder in Analogie zum Verhalten der schwefligen Säure) ausschließlich an den Schwefel, so daß statt der erwarteten Ester die Sulfone entstehen : 0
O
l.r-'
R-SI|Na •I
+
...
Hai-Alk
— NaHal
•
„
i
O^-Alk .„
NaJ
R-S-Alk i
^
• (Umlagerung)
R-Sli
0
O
Natrium-sulfinat
0
Sulfon
Sulfinsäureester
Die Bildungstendenz der Stdfone ist sogar so groß, daß sich auch die anderweitig hergestellten Sulfinsäureester in Gegenwart von Natriumjodid oder ähnlichen Katalysatoren in sie umlagern.
d) Die S u l f o x y d e Besetzt man in den Thioäthern nur eines der ungebundenen Elektronenpaare des Schwefels mit Sauerstoff, was z. B. bei der vorsichtigen Einwirkung von Hydroperoxyd oder verdünnter Salpetersäure geschieht, so gelangt man zu den Sulfoxyden, die sich leicht weiter zu den Sulfonen oxydieren lassen: KMnO,
R—S—R Thioäther
H,0, Keduktion
0 t R—S—R
KMnO,
Sulfoxyd
Sulfon
Die Sulfoxyde sieden infolge der in ihnen enthaltenen semipolaren Bindung ähnlich hoch wie die Sulfone, sind jedoch etwas reaktionsfähiger als diese und können z. B. noch leicht zu den Thioäthern reduziert werden. Ferner ist der Sauerstoff wie der der Aminoxyde (S. 218) schwach basisch. Man erhält daher mit starken Säuren Salze der Struktur I, die zu den Sulfoniumsalzen (S. 244) gerechnet werden müssen, weil der Schwefel die positive Ladung trägt: r
oh I®
r
LR—S—R J
X
_
I
Dimethyl-sulfoxyd (CH3)2S->-0 (Sdp. 189°) findet neuerdings als stark polares Lösungsmittel Verwendung.
lipophiles
Kap. 7, I I : Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen
252
II. Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen Die organischen Derivate der übrigen Nichtmetalle sind mit Ausnahme einiger Arsenverbindungen und der Silicone nur von geringer praktischer Bedeutung. Wir können uns deshalb mit einem kurzen Überblick über die wichtigsten Verbindungsarten begnügen. Ihre Systematik wird dadurch wesentlich erleichtert, daß sich, ähnlich wie wir es schon beim Stickstoff und beim Schwefel gesehen haben, stets von sämtlichen Oxydationsstufen eines Elements organische Derivate durch Ersatz von H-Atomen oder auch Hydroxylgruppen durch Kohlenstoffreste ableiten. Man kann die möglichen Substanzklassen infolgedessen auf Grund der bekannten anorganischen Verbindungen des betreffenden Elements direkt voraussagen und beobachtet insbesondere innerhalb der einzelnen Gruppen des Periodensystems eine sehr große Ähnlichkeit gleichartig gebauter Verbindungen.
1. Die organischen Derivate des Selens und Tellurs Am leichtesten zugänglich sind die den Thioäthern analog konstituierten Dialkyl-selenide und Dialkyl-telluride, die man auch in ähnlicher Weise durch Alkylierung der Allcali-sehnide und -telluride erhält: Alk; —Hai +
Alk; —Hai
Na: iSe Na;
- 2 NaHal
Alk.
\ g
Alk^
Alki-—Hai Alk-- H a i
+
Nai :Te Na;
- 2 NaHal
Alk. *
y
Le
Alk
Dialkyl-selenid
Dialkyl-tellurid
Sie können wie die Thioäther weiter alkyliert werden zu den Trialkyl-selenonium-halogeniden Alk 3 Se + Har und Trialkyl-telluronium-halogeniden Alk 3 Te + HaF. Steht nur ein organischer Rest am Heteroatom, so spricht man von Selen- bzw. Tellur-mercaptanen (z. B. Äihyl-selen-mercaptan C2H6—SeH und Äthyl-tellur-mercaptan C2H6—TeH). Von den Sauerstoffverbindungen der Reihe sind die Selenonsäuren am interessantesten. Sie entsprechen in jeder Beziehung den Sulfonsäuren und können auch in analoger Weise durch Selenonierung aromatischer Kohlenwasserstoffe mit der der konzentrierten Schwefelsäure sehr ähnlichen wasserfreien Selensäure dargestellt werden: O C„Hr
H + HO - S e - OH
~ H , ° >•
C 6 H 5 —Se—OH
;
Alk—Se—Alk
O Benzol-selenonsäure
Dialkyl-selenon
Ferner sind die den Sulfonen entsprechenden Selenone bekannt. Man gewinnt sie zweckmäßig •— ebenfalls in Analogie zur Schwefelreihe — durch Oxydation der Dialkyl-selenide.
2. Die organischen Derivate des Phosphors, Arsens und Antimons Die organischen Derivate der höheren Elemente der fünften Gruppe des Periodensystems zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Stickstoffverbindungen, die allerdings bei den höheren Oxydationsstufen lediglich formaler Natur ist, da nur der Stickstoff
2 a: Die organischen Phosphorverbindungen
253
zur Ausbildung echter Doppelbindungen zum Sauerstoff befähigt ist. Dagegen sind die organischen Phosphor-, Arsen- und Antimonverbindungen untereinander auch hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer chemischen Eigenschaften vergleichbar. Man unterteilt die Verbindungen dieser Gruppe am besten in 1. die Derivate der dreiwertigen und 2. die der fünfwertigen Heteroelemente. In beiden Reihen können die nicht an Kohlenstoff gebundenen Valenzen der Heteroelemente sowohl mit elektropositivem Wasserstoff als auch mit elektronegativen Atomen bzw. Atomgruppen besetzt sein. a) Die o r g a n i s c h e n P h o s p h o r v e r b i n d u n g e n 1. Zu den Derivaten des dreiwertigen Phosphors gehören vor allem die den Aminen der Stickstoffreihe (S. 195f.) analog konstituierten Phosphine, die sich vom Phosphorwasserstoff durch Ersatz eines oder mehrerer H-Atome durch organische Reste ableiten. Man kann auch hier zwischen primären (RPH 2 ), sekundären (R 2 PH) und tertiären Verbindungen (R 3 P) unterscheiden. Die wichtigste Darstellungsreaktion für tertiäre Phosphine ist die Umsetzung von Phosphortrichlorid mit metallorganischen Verbindungen: P;Hal3 + 3Mej—R
•
PR 3 + 3 MeHal
Die einfachen aliphatischen Phosphine sind niedrigsiedende, mit organischen Solventien mischbare Flüssigkeiten, die wie der Phosphorwasserstoff autoxydabel (z. T. sogar selbstentzündlich) sind. Sie zeigen eine merkliche Basizität, die gegenüber der der Amine zwar stark vermindert ist, aber zur Lösung in konzentrierten Mineralsäuren unter Salzbildung ausreicht. Ferner können die tertiären Phosphine wie die tertiären Amine mit Alkylhalogeniden zu quartären Phosphoniumsalzen alkyliert sowie zu den den Aminoxyden (S. 218) entsprechenden Phosphinoxyden (S. 254) oxydiert werden: ^(Luft,0^rH.0i)
R,P|
Trialkyl(aryl)-phosphinoxyd
kpfHar Tetraalkyl(aryl)-phosphonium-haIogenid
Die quartären Phosphoniumsalze gehen nach G. W I T T I G (1956) mit Lithiumphenyl unter Abspaltung eines zum Phosphor oc-ständigen H-Atoms in eigenartige Verbindungen mit doppelter P—C-Bindung (unter Oktettüberschreitung am P-Atom) über, die Ylene genannt werden und sich ihrerseits wieder mit Oxokörpern über die ZwischenVerbindung I zu Olef inen und Phosphinoxyden umsetzen können:
- C.ir, LiX
0 - -:CH—R" ! I R3P—CH—R'
i
•
QJJ
p
+ 0—CH—R"
3
Ylen
0 t R3P
+
CH—R" || CH—R'
Besonders die Olefinierung oder WITTIG-Reaktion genannte zweite Umsetzung hat praktische Bedeutung zur Olefinsynthe.se erlangt.
Kap. 7, I I : Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen
254
Eine weitere Gruppe von organischen Derivaten des dreiwertigen Phosphors liegt in den Phosphinsäuien vor, die sich von der phosphorigen Säure mit oxydativ + 3-wertigem Phosphor durch Ersatz einer OH-Gruppe durch einen organischen Rest ableiten. Sie entsprechen hinsichtlich der Oxydationsstufe des Heteroatoms den Nitrosoverbindungen, weichen aber konstitutionell von diesen in gleicher Weise ab wie die phosphorige Säure von der salpetrigen Säure, da in beiden Fällen die —N=0-6ruppe der StickstoffVerbindungen durch die keine Doppelbindung mehr ,0H P 0 enthaltende, um ein Molekül Wasser reichere Gruppe der Phosphorverbindungen H ersetzt wird. Die Darstellung der bisher nur in der aromatischen Reihe bekannten Phosphinsäuren erfolgt über ihre Säurechloride, die Aryl-phosphin-dichloride, auf folgendem Wege: Ar— Zn—Br
+
ci— PCI,
Ar—PCI,
— ZnBrCl
Aryl-zinkbromld
Aryl-phosphln-dichlorid
Hydrolyse
•OH Ar-P
VI VII Die Silicone stehen auf der Grenze zwischen organischer und anorganischer Chemie und vereinigen das hitzebeständige Aufbauprinzip der anorganischen Gesteine mit der Geschmeidigkeit der organischen Werkstoffe. Sie stellen daher sehr wertvolle Kunststoffe dar, die seit etwa : 20 Jahren eine immer noch zunehmende Verbreitung Alk (j Alk gefunden haben. 1 1 1
Schließlich kann man auch Monoalkyl-trichlor-silane ALkSiCl3 mit nur noch einem organischen Rest am Si-Atom herstellen (z.B. durch Umsetzen von Silicium-tetrachlorid mit einem Mole einer metallorganischen Verbindung). Sie liefern bei der Hydrolyse statt der erwarteten, den Carbonsäuren analog konstituierten Stoffe R—SiOOH stark kondensierte Verbindüngen der nebenstehend formulierten Struktur VIII, in denen die Kettenmoleküle des Typus VII durch weitere Si—0—Si-Brücken miteinander „vernetzt" sind. Läßt man schließlich Gemische von Dialkyl-dichlor-silan und Mono• alkyl-trichlor-siUin hydrolysieren, so erhält man MischkunstStoffe, in denen beide Bauprinzipien verwirklicht sind. Ihre physikalischen Eigenschaften können in Abhängigkeit von dem Mengenverhältnis beider Kondensationskomponenten innerhalb weiter Grenzen variiert werden. 17«
...
'
Si—O—Si—O—Si—0 • • • I I | 0 O I i I ¿j Q gj q gj q . . . I | | Alk ^ Alk Alk , Alk I_ I I_ 0 Si 0 Si 0 • • • ^ ^^ ^ i i . ! ^ • VIII
Kap. 7, I I I : Die metallorganischen Verbindungen
260
4 . Die organischen Borverbindungen Die wichtigsten organischen Borverbindungen sind die Bortrialkyle (oder Trialkyl-borane), die durch Einwirkung von Zinkdialkylen auf Borchlorid oder Borsäureester, sowie auch aus GRIGNARDverbindungen und Borfluorid, gewonnen werden: /F XMg -Alk B ( - ¥ + XMg _ A l k -Alk F
—3
M
.Alk
8 X F ,. ß / ^ l k
\
, -
3
Alk-ZnOAlk-(Cl)
B
A l k
,OAlk'(Cl) Alk—Zni—Alk ^-OAlk'(Cl) + Alk—Zni—Alk OAlk'(Cl) Alk—Zn|—Alk
Die Bortrialkyle sind im Gegensatz zu den Borwasserstoffen (vgl. anorganische Lehrbücher) monomer und besitzen eine Oktettlücke am Boratom. Sie sind deshalb wesentlich reaktionsfähiger als die Tetraalkyl-silane und -germane und werden leicht zu Verbindungen abgebaut, die neben einem Alkylrest noch Sauerstoff am B-Atom enthalten. Z. B . entstehen bei der Einwirkung von Luftsauerstoff die Albylboroxyde und beim Kochen mit Wasser deren Wasseranlagerungsprodukte, die Alkyl-borsäuren, die sich durch Wasserabspaltung ebenfalls in die Alkyl-boroxycle umwandeln lassen: |
Hydratisierung
Alk-l/0H OH
•
A l k - B ^
Ä l k
| Iuft
,
Alk—B=0
Alk
Alkyl-bora&ure
Bor-trialkyl
Alkyl-boroxyd
Dehydrattelerung
I
Im Bor-triphenyl (oder Triphenylbor) liegt ein aromatisches Borderivat vor, das wegen der Oktettlücke am B-Atom wie das Pentaphenyl-antimon (S. 258) zur Anlagerung eines Mols Lithiumphenyl zum komplexen Tetraphenyl-bor-llthium (Lithium-tetraphenylboranat) befähigt ist (G. WITTIG 1949):
X
C,H/
C6H6'. X Q / 0 ' +
C 6 H 6 —Li
X
Lithium- Tetraphenylboranat
Das TetraphenyU>oranat-Ion ist wasserbeständig und zeiohnet sioh durch die Bildung schwerlöslicher Kalium-, Rubidium- und Cäsiumsalze aus. Sein Natriumsalz dient deswegen unter dem Decknamen Kalignost zur gravimetrischen Bestimmung dieser Elemente.
III. Die metallorganischen Verbindungen 1. Allgemeines Metallorganische Verbindungen sind Stoffe, in denen ein Metallatom unmittelbar an den Kohlenstoff organischer R e s t e gebunden ist. Wegen des nahezu stetigen Übergangs zwischen den Metallen und Nichtmetallen l ä ß t sich naturgemäß auch keine scharfe Grenze zwischen metallorganischen und nichtmetallorganischen Verbindungen ziehen. So sind z. B . die sieh vom Zinn ableitenden „metallorganischen" Tetra-alkyl-stannane SnAlk4 und die sich vom Blei ableitenden, ebenfalls „metallorganischen" Tetraalkyl-plumbane PbAlk4 den typisch „nichtmetallorganisohen" Tetraalkyl-silanen und -germanen (S. 258)
1: Metallorganische Verbindungen, Allgemeines
261
noch sehr ähnlich, so daß kein Bedürfnis besteht, sie verschiedenen Verbindungsklassen zuzuordnen. Ebenso können die Trialkyl-stannole Alk3Sn—OH und die Trialkylblei-hydroxyde Alk 3 Pb—OH mit den Trialkyl-silanolen (S. 259) verglichen werden. Sie spalten nur die Hydroxylgruppe leichter als Anion ab und reagieren deshalb im Gegensatz zu den neutralen Silanolen deutlich basisch. Als einzige größere (aber auch nicht grundsätzliche) Unterschiede gegenüber den Silicium- und Germaniumverbindungen beobachtet man beim Zinn und Blei mehrere Wertigkeitsstufen, so daß wir neben den Tetraalkylverbindungen auch Zinn-dialkyle (und -aryle) R 2 Sn und Blei-diphenyi (C,H 6 ) a Pb mit zweiwertigem undBlei-triaIkyleAlk3Pb mit dreiwertigem Metall unterscheiden müssen. Von allen diesen Blei- und Zinnverbindungen hat nur das Blei-tetraäthyl eine gewisse praktische Bedeutung als Antiklopfmittel erlangt.
Erst wenn man zur zweiten und ersten Gruppe des Periodensystems übergeht, nimmt der metallische Charakter der Elemente stärker zu, und ihre organischen Derivate werden wieder reaktionsfähiger. Die beobachteten Umsetzungen verlaufen aber denen der Verbindungen mit den meistens elektronegativen Nichtmetallen gerade entgegengesetzt, weil es nunmehr elektropositive Elemente sind, die am Kohlenstoff stehen. In diesen organischen Derivaten der Alkali- und Erdalkalimetalle, auf die wir uns im folgenden im wesentlichen beschränken wollen, liegen daher erst die eigentlichen charakteristischen metallorganischen Verbindungen vor. Die Benennung der metallorganischen Verbindungen erfolgt abweichend von den sonstigen Gepflogenheiten nicht als Metall-alkane sondern als Metall-alkyle und -aryle (z. B. Lithiummethyl oder Natrium-phenyl). Daneben sind die Namen auch in umgekehrter Reihenfolge (Methyllithium, Phenyl-natrium) gebräuchlich. Diese zweite Benennunsart ist besonders bei den Derivaten mehrwertiger Metalle von Vorteil, in denen am Metallatom neben dem Kohlenstoffrest noch ein anorganischer Ligand steht (z. B. Methyl-magnesiumbromid HSC—MgBr).
Für die Darstellung der alkali- und erdalkalimetallorganischen Yerbindnngen sind zwei grundsätzlich verschiedene Verfahren gebräuchlich: 1. die Neuherstellung einer Metall-Kohlenstoff-Bindung und 2. die Einführung des Metalls mit Hilfe anderer metallorganischer Stoffe. Zu 1. Die bei weitem wichtigste Methode zur Neuherstellung einer metallorganischen Verbindung beruht auf der Umsetzung von Alkyl- oder Arylhalogeniden mit den freien Metallen, die stets unter Bindung von zwei Metalläquivalenten im Sinne folgender Gleichung vor sich geht (bez. der als Nebenreaktion erfolgenden WuRTZschen Synthese vgl. S. 264): R—Hai +
2Me
•
R—Me +
MeHal
Danach ist die Herstellung der metallorganischen Verbindung eng mit der eines Metallsalzes verknüpft, dessen Bildungstendenz als die treibende Kraft für den Aufbau der energiereichen Metall-Kohlenstoff-Bindung angesehen werden muß. Im Falle der Verwendung zweiwertiger Metalle (z. B. bei der praktisch wichtigen Darstellung von magnesiumorganischen Verbindungen) spielt sich die Salzbildung und die Ausbildung der C—Me-Bindung am gleichen Atom ab, und man erhält gemischte Verbindungen des Typus R—Me(II)Hal (bez. weiterer Variationen der Methode vgl. I, Kap. 9, I): R—Hai +
Mg
•
R—MgHal
Eine weitere Möglichkeit der „Metallierung" organischer Verbindungen liegt in der bereits formulierten (S. 94) Mercurierung von Phenolen mit Quecksilber-acetat vor. Das Verfahren ist ferner beim Tiophen (S. 309) sowie unter etwas energischeren Bedingungen auch beim Benzol anwendbar.
262
Kap. 7, III: Die metallorganischen Verbindungen
Zu 2. Die Darstellung metallorganischer Verbindungen mit Hilfe bereits vorhandener „Organometalle" gelingt am einfachsten durch Verdrängung des Metalls aus diesen bei der Einwirkung von Verbindungen mit aktiven CH-Oruppen (vgl. auch S. 263): H—C=C—H
+ —
Vr Cl— re L >
Me—C=C—H
+ —
t "i C"—6n •
Me—C=C—Me
Auf diesem Wege lassen sich insbesondere die Metallderivate des Acetylens (wie formuliert) und Fluorens (S. 290) gewinnen. Auch das für die Erzeugung der Phosphine, Arsine usw. (S. 253, 255, 258) gebräuchliche Verfahren der Umsetzung der Halogenderivate eines Elements mit metallorganischen Verbindungen läßt sich für die Darstellung von Organometallen selbst verwenden, wenn man die wenig polaren Schwermetallverbindungen gewinnen will und die stark polaren alkalimetall-organischen Verbindungen als Reagenz einsetzt: HgiCl2
+
2 NaAlk
HgAlk 2 +
2NaCl
Umgekehrt erhält man die leichtmetallorganischen Verbindungen häufig durch Verdrängung eines wenig elektropositiven Schwermetalls aus seinen organischen Derivaten durch das elektropositivere Leichtmetall: HgAlk 2 +
2 Na
Hg +
2 NaAlk
Die physikalischen Eigenschaften und die Beständigkeit der metallorganischen Substanzen variieren in Abhängigkeit von der Polarität der C—Me-Bindung. Die stark polaren Alkali- und Erdalkalimetallderivate sind kristallisierte, nicht vor Erreichung des Zersetzungspunktes schmelzende Stoffe, die durch Wasser und Luftsauerstoff sofort zersetzt und daher meistens nur in Lösung dargestellt und umgesetzt werden. Die Schwermetallderivate mit weniger polaren C—Me-Bindungen sind dagegen meistens flüssig, z. T. sogar destillierbar, und vielfach ausgesprochen reaktionsträge, so daß sie Walser und Luftsauerstoff gegenüber beständig werden. Sie gehen schließlich, wie schon erwähnt, ohne erkennbare Grenze in die nichtmetall-organischen Verbindungen über. Die chemische Reaktionsfähigkeit der metallorganischen Verbindungen ist durch die Polarität der Kohlenstoff-Metall-Bindung bedingt. Während der Kohlenstoff bei den Halogen- und Sauerstoffverbindungen positiv polarisiert ist und infolgedessen bei der Umsetzung stets auf die negativierten Atome des Reaktionspartners übergeht (z. B. bei der Alkylierung von OH- und NH-Verbindungen auf den Sauerstoff bzw. Stickstoff), lädt er sich bei der Verknüpfung mit den stark elektropositiven Metallen negativ auf und tritt bei den Umsetzungen an die positivierten Atome des Reaktionspartners, insbesondere an Wasserstoff oder Kohlenstoff. Beispielsweise wird bei der Reaktion eines Alkohols mit Methyljodid der elektronegative Sauerstoff unter Ätherbildung methyliert, während die Methylgruppe bei der Umsetzung mit Lithium-methyl an den elektropositiven Wasserstoff unter Methanbildung wandert: Alk—O—|h
+
Alk—0—iH +
J—:CH3
*
Alk—O—CH 3 +
H—J
H3C—|Me
•
Alk—OMe
H—CH-
+
1: Die Reaktionen der metallorganischen Verbindungen
263
Besonders die unten unter 2. und 3. beschriebenen Möglichkeiten der Alkylierung von G-Atomen sind von großer praktischer Bedeutung, weil sie wichtige neue synthetische Verfahren zum Aufbau von G—G-Bindungen darstellen. Im einzelnen können die Reaktionen der metallorganischen Verbindungen unterteilt werden in: 1. die Substitution des Metalls durch Wasserstoff, 2. die Umsetzungen mit Halogenverbindungen, 3. die Umsetzungen mit polarisierten Doppelbindungen, 4. die Oxydationsreaktionen und 5. die Bildung von Komplexen. Zu 1. Wie oben schon für die Reaktion mit Alkoholen formuliert, setzen sich metallorganische Verbindungen mit Stoffen, die reaktionsfähigen Wasserstoff enthalten, unter Alkylierung des Wasserstoffs zum Kohlenwasserstoff und Bildung des MetalMerivats der aktiven Wasserstoff Verbindung um: R—Mo +
I
X—H
v
R—H
+
MeX
Die Reaktion kann direkt mit der Verdrängung einer schwachen Säure aus ihren Salzen durch eine stärkere Säure verglichen werden.
Sie bedeutet also praktisch die Freisetzung der Kohlenwasserstoffe aus ihren Metallderivaten (die keine eigentlichen Salze mehr darstellen) durch alle Verbindungen, die stärker sauer als die Kohlenwasserstoffe sind. Hierher gehören außer den eigentlichen Säuren auch zahlreichen Substanzen, die gegenüber Wasser bereits nicht mehr sauer reagieren, vor allem Wasser selbst und alle sonstigen OH-Verbindungen, Ammoniak und alle sonstigen NH-Verbindungen und einige aktive CH-Verbindungen (z. B . Acetylen und Fluoren, vgl. S. 54, 290).
Diese Umsetzung der Organometalle mit aktiven Wasserstoffverbindungen ist in dreierlei Richtung von praktischer Bedeutung: a) In ihr liegt eine bequeme Darstellungsmöglichkeit für die zuweilen schwer zugänglichen Metallderiyate der Wassentoftverbindangen vor. Z. B. erhält man aus Alkoholen die Alkoholale (S. 84), aus Aminen die Metallamide (S. 198) und aus aktiven CH-Verbirtdungen neue metallorganische. Stoffe (S. 262).
b) Befindet sich am Metallatom ein Methylrest (z.B. im Methyl-magnesiumjodid), so entsteht bei der Reaktion mit dem aktiven Wasserstoff das gasförmige Methan, das leicht volumetrisch gemessen werden kann. Die Reaktion wurde von T. Z E B E W I T I NOFF zu einem Verfahren zur quantitativen Bestimmung sämtlicher oben angeführten Verbindungen mit aktivem Wasserstoff ausgearbeitet. c) Wegen der Reaktion mit aktivem Wasserstoff können niemals Wasser, Alkohole oder nicht-tertiäre Amine als Lösungsmittel für metallorganische Verbindungen verwandt werden. Als indifferente Solventien kommen praktisch nur Äther und tertiäre Amine in Betracht (vgl. auch S. 265). Zu 2. Bei der Reaktion von metallorganischen Verbindungen mit Alkyl- oder auch Arylhalogeniden treten die beiden Kohlenstoffreste zusammen, und es wird ein höhermolekularer Kohlenwasserstoff synthetisiert: R_iMe
+
Hai -Alk
>
R—Alk +
MeHal
Die Reaktion ist der wesentliche Teilvorgang bei der auf S. 33 beschriebenen WURTZSChen Synthese, die nur scheinbar auf dem direkten Halogenentzug aus zwei Alkyl(aryl)halogenidmolekülen beruht. In Wirklichkeit bildet nach H. H. SCHLUBACH das erste Alkyl(aryl)halogenidmolekiil mit dem freien Metall eine metallorganische Verbindung, die dann erst sekundär mit dem zweiten Alkyl(aryl)halogenidmolekül die eigentliche Synthese eingeht:
Kap. 7,111: Die metallorganischen Verbindungen
264 1. Stufe: 2. Stufe:
B—Hai + 2 Me R—Hai + Me—R
in summa:
2 R—Hai + 2 Me
• *
R—Me + MeHal R—R + MeHal
»
R—R + 2 MeHal
Da es sich nicht vermeiden läßt, daß bei der Gewinnung von metallorganischen Verbindungen aus Alkyl(aryl)halogeniden und freiem Metall (S. 261) die noch nicht umgesetzten Alkyl(aryljhalogenidmoleküle mit bereits fertigen Organometattmolekülen zusammentreffen, ist die W U R T Z sche Synthese eine bei diesem Darstellungsverfahren stets in mehr oder weniger großem Umfang eintretende Nebenreaktion. Setzt man die metallorganischen Verbindungen mit den Halogenderivaten anderer Elemente um, so wird der organische Rest in analoger Weise auf diese übertragen. Als Reaktionen dieses Typus haben wir auf S. 253 f. die Bildung der Phosphine, Arsine, Stibine, Silane, Germane und Borane sowie auch die von Sckwermetallalkylen (S. 262) kennengelernt. Zu 3. Metallorganische Verbindungen lagern sich an polarisierte Doppelbindungen stets in der Weise an, daß der organische Rest an den elektropositiven und das Metall an den elektronegativen Bindungspartner tritt (sog. GEIGNARD-Reaktion). Z. B . wird bei der Reaktion mit einer C=0-Doppelbindung eine C—C-Bindung neu geknüpft und eine OMe-Gruppe gebildet, die bei der anschließenden Hydrolyse in eine Hydroxylgruppe übergeht: R > = 0
/
+
R-Me
>
R
-i-OMe I
-i-OH I
Es findet also eine Reduktion des G-Atoms um eine Oxydationsstufe und eine gleichzeitige Erhöhung seines Carburierungsgrades u m ebenfalls eine Stufe statt, Hydrierung ein Vorgang, den man als aufbauende Reduktion oder aufbauende bezeichnet. Hierbei kommt man naturgemäß stets von nullären zu primären Kohlenstoffverbindungen bzw. von der primären in die sekundäre bzw. von der sekundären in die tertiäre Reihe. Beispielsweise addiert das Kohlendioxyd mit nullärem Kohlenstoff die metallorganische Verbindung zu dem Salz einer zur primären Reihe gehörenden Carbonsäure. Ahnlich geht der nulläre Formaldehyd in einen primären Alkohol über: 0=C=0
+1
R—Me
>
R—COOMe ;
H 22 C = 0
): +
2. Hydrolyse
R— CH2i —OH
Ferner liefern die der primären Reihe angehörenden sonstigen Aldehyde sekundäre und die der sekundären Reihe angehörenden Ketone tertiäre Alkohole: R—CH=0
!•+S'-Me^
2. Hydrolyse
RR'CH—OH ;
R 2, C = 0
± ^'T"6-
2. Hydrolyse
R 2i R'C—OH
Etwas komplizierter liegen die Verhältnisse bei der Umsetzung metallorganischer Verbindungen mit Carbonsäuren und ihren Derivaten. Die freien Säuren selbst enthalten aktiven Wasserstoff und bilden daher im Sinne der unter 1. beschriebenen Reaktionen (S. 263) nur die Salze. Erst bei den Estern oder Säurechloriden tritt Addition an die C=0-Doppelbindung ein, die zunächst zu den Ketonen als sekundären Verbindungen führt. Doch reagieren diese meistens sofort weiter zu den tertiären Alkoholen, so daß die Ketonstufe im allgemeinen nicht faßbar ist (vgl. auch S. 267):
2 a : Die alkalimetallorganischen Verbindungen C1(0—Alk) \ |
+ B--Me , /
/
C1(0—Alkh
\
i
0:Me ;
/
265
R' 1 „
'
6
R' Z H' ' (Hydrolyse)
^
R-A-OH ^
Geht man schließlich zu den Nitrilen über, so kann die Reaktion auch auf der Ketonstufe unterbrochen werden, weil hier daa zunächst gebildete Metallderivat des Ketimins (I) unlöslich ausfällt und sich dadurch der Weiterreaktion entzieht: R R—CsN
+ B
'~Me •
R Hydroly9e
V=NMe R i
, R'X
Von den Reaktionen anorganischer Doppelbindungen sei nur die Addition an die NO-Gruppe von Nitrosoverbindungen zu N,N-Diaryl-hydroxylaminen (II) und an die S=0-Doppelbindung des Schwefeldioxyds zu Svlfinsäuren (III, vgl. S. 251) angeführt:
Ar—N=0
(Hydrolyse)
Ar v /> N - O H ; Ar
„O R - S (\
-(Hydrolyse) ¿B-Me->
0-S=0
n
II
III
OH
Zu 4. Die aktiveren metallorganischen Verbindungen zeigen ein bis zur Selbstentzündlichkeit gesteigertes Bestreben, ein O-Atom zwischen den Kohlenstoff und das Metall unter Bildung v o n Alkoholaten einzulagern: + , B. „ aus °Luft-O,) ,„ . > (z.
R—Me
R—OMe
Man m u ß sie daher sorgfältig vor dem Luftsauerstoff schützen (häufig sogar in Lösung). Zn 6. Die präparativ wichtigen magnesiumorganischen Verbindungen vermögen zwei Äthermoleküle oder zwei Moleküle eines tertiären Amins zu ziemlich stabilen, sich selbst bei 100° im Vakuum nur langsam zersetzenden Komplexen der Struktur IV bzw. V anzulagern: R\ /0(C 2 H 5 ) 2 > g ( Hai \)(C 2 H 6 ) 2
Rv
IV
/NRJ > g ( Har NR3
v
Diese Komplexbildung ist von entscheidender Bedeutung für die auffallend gute Löslichkeit der magnesiumorganischen (sowie in analoger Weise auch der lithiumorganischen) Verbindungen in den verschiedenen Äthern und tertiären Aminen. 2. Einzelverbindungen a) D i e a l k a l i m e t a l l o r g a n i s c h e n
Verbindungen
Die Darstellung der Natrium- und Kalium-alkyle ist nicht auf dem üblichen Wege der Umsetzung der freien Metalle mit Alkylhalogeniden möglich, weil hier die parallel verlaufende WuRTZsche Synthese (S. 263) zur Hauptreaktion wird (d. h. die gebildete metallorganische Verbindung wird sofort von nicht umgesetztem Alkylhalogenid im Sinne der WuRTZschen Reaktion zerstört). Die Darstellung gelingt am besten durch Umsetzung der Alkalimetalle mit Quecksilberdialkylen (S. 262).
Kap. 7, I I I : Die metallorganischen Verbindungen
266
Die Natrium- und Kalium-alkyle sind sehr empfindliche, mit Wasser und Luftsauerstoff fast explosionsartig reagierende, pulverförmige Substanzen, die in keinem, Solvens gelöst werden können und wegen ihrer umständlichen Handhabung eine nur geringe praktische Bedeutung erlangt haben.
Interessanter sind die etwas komplizierter aufgebauten Verbindungen Benzyl" natrium C 8 H 6 —CH 2 Na und Tritylnatrium (oder Natrium-trityl[at]) (C6H6)3CNa, da ihre Lösungen in flüssigem Schwefeldioxyd den elektrischen Strom leiten. Diese metallorganischen Verbindungen sind also bereits salzartig und zumindest in Lösung z. T. in die Ionen zerfallen. Sie stellen somit die ersten bekannten Verbindungen dar, in denen der Kohlenstoff eine negative Elementarladung trägt (sog. Carbanionen). Ahnlich wie bei den übrigen Alkalimetallsalzen kann man auch in diesen ionisierten metallorganischen Verbindungen das Natrium-Ion durch ein TetraaUcylammonium-Ion ersetzen. So entsteht z. B. bei der Umsetzung von Trityl-nairium mit Tetramethyl-ammoniumchlorid das ebenfalls salzartige und in flüssigem Schwefeldioxyd den Strom leitende Tetramethylammonium-tritylat, in dem der Ammoniumstickstoff von fünf organischen Resten (wenn auch in verschiedenen „Schalen") umgeben ist:
[(CH 3 ) 4 N] + Cr
+
Na+ [lC(C 6 H 5 )J
~NaC'->
[(CH3)4N]+ [|C(C,H5)J Tetramethylammonlumtrltylat
Die wichtigsten alkali-metallorganischen Verbindungen sind die Lithium-alkyle und Lithium-aryle, die 1930 von K. Ziegleb in die organische Praxis eingeführt wurden. Ihre Handhabung wird dadurch sehr erleichtert, daß sie einerseits aus Allcyl- bzw. Aryl-halogeniden und freiem Lithium ohne allzustarke Beeinträchtigung durch die als Nebenreaktion ablaufende WuRTZsche Synthese (S. 264) gewonnen werden können, andererseits mit Äthern Komplexe bilden und dadurch in diesen löslich sind und sich in Lösung umsetzen lassen. Im übrigen zeigen sie noch nahezu die gleiche Reaktionsfähigkeit wie die Natrium- und Kalium-alkyle und finden infolgedessen immer dann praktische Anwendung, wenn die Aktivität der unten beschriebenen ORIONARDverbindungen zur geplanten Reaktion nicht ausreicht. Z. B. kann man nur lithium- (und andere alkalimetaU-)organisehe Verbindungen mit den relativ reaktionsträgen C=N-Doppelbindungen des Pyridinkerns (S. 293) zu den ct-Alkyl(aryl)dihydropyridinen (I) umsetzen:
^R N +
R-Li
,
/ ~ \ u
/R /
V-I
b) D i e GsiGNABD-Verbindungen Von den organischen Derivaten der Erdalkalimetalle haben nur die magnesiumorganischen Verbindungen des Typus R—MgHal (sog. Alkyl- bzw. Aryl-magnesiumhalogenide), die bei der Einwirkung von Alkyl- bzw. Arylhalogeniden auf freies Magnesium entstehen (S.261), praktische Bedeutung erlangt. Sie wurden von P. Babbieb 1898 entdeckt und in den folgenden Jahren von seinem Schüler V. Gbignabd, dem zu Ehren sie den Namen GitiGNARD-Verbindungen erhalten haben, als am leichtesten zugängliche Organometalle in die präparative Praxis eingeführt. III Hl
Sie sind mit wenigen Ausnahmen zu allen im allgemeinen Teil beschriebenen Reaktionen befähigt und werden meistens in ätherischer Lösung angewandt.
2 c: Die schwermetallorganischen Verbindungen
267
Nach Untersuchungen von W . SCHLENK (1929) weisen die ORIONARD Verbindungen zwar die durchschnittliche Zusammensetzung RMgHal auf, sind jedoch keine einheitlichen Substanzen, sondern bestehen aus einem Gemisch der drei Verbindungen R—Mg—R, R—MgHal und MgHal 2 . Von ihnen können die beiden letzteren mit Dioxan ausgefällt werden, so daß man auf diesem Umweg Lösungen der halogenfreien Maqnesium-dialkyle herstellen kann. Für die Umsetzungen der GRIGNARD Verbindungen ist die Gemischnatur belanglos, da nur die C—Mg-Bindungen in Reaktion treten, deren Zahl bei der Disproportionierung der RMgHal-Moleküle in die Magnesiumdialkyle und -dihalogenide nicht verändert wird.
c) Die organischen Zink-, Cadmium- und Quecksilber Verbindungen Bei der Umsetzung von Alkylhalogeniden mit Zinkstaub entstehen zunächst wieder Verbindungen des Typus R—ZnHal (sog. Alkyl-zinkhalogenide), die in der Hitze in die abdestillierenden flüssigen Zinkdialkyle und die nicht mehr flüchtigen Zinkdihalogenide disproportionieren: Alk—Hai +
Zn
•
Alk—ZnHal
Erhitzen^
l^ZnAlkj +
7aZnHal2
Alkyl-zinkhalogenide
Die Zinkdialkyle sind die ältesten bekannten metallorganischen Verbindungen (E. FRANKLAND 1849). Sie können auf dem oben formulierten Wege zwar leicht in lösungsmittelfreiem Zustand gewonnen werden, lassen sich aber wegen ihrer Selbstentzündlichkeit nur bei strengem Luftausschluß in geschlossenen Apparaturen verarbeiten. Ihre praktische Anwendung ging daher nach Einführung der ORION ARD Verbindungen stark zurück. Zu den im allgemeinen Teil beschriebenen Reaktionen sind sie in der Mehrzahl der Fälle noch befähigt. Jedoch tritt ihre Aktivität hinter der der ORION ARDverbindungen und insbesondere der Lühium-alkyle merklich zurück. Die organischen Derivate des Cadmiums werden durch Umsetzung von ORION ARDverbindungen mir wasserfreiem Cadmiumchlorid gewonnen. Die ebenfalls flüssigen und destillierbaren Gadmium-dialkyle sind nicht mehr selbstentzündlich und reagieren auch sonst langsamer als die Zinkdialkyle. Daneben haben weiterhin die Alkyl-cadmiumhalogenide R—CdHal eine gewisse präparative Bedeutung als milde wirkende Organometalle erlangt. Z. B. werden bei der Umsetzung mit Garbonsäurechloriden nicht mehr die tertiären Alkohole gebildet, sondern die Reaktion bleibt hier auf der Stufe der Ketone stehen (vgl. S. 264/5). I n den Quecksilber-dlalkylen, f ü r deren Darstellung zahlreiche Methoden entwickelt worden sind (vgl. S. 262 und I, Kap. 9, I I I , 1), begegnen wir ebenfalls leicht destillierbaren flüssigen Substanzen, die wie alle Quecksilberverbindungen stark giftig sind. Insbesondere stellen sie wegen ihrer Geruchlosigkeit und großen Flüchtigkeit sehr gefährliche Atemgifte dar. Ihre chemische Aktivität ist bereits soweit zurückgegangen, daß sie mit Wasserdampf destilliert werden können. Erst durch starke Säuren werden sie unter Freisetzung des Kohlemvasserstoffs zerstört. Eine neuartige Reaktion haben wir bereits auf S. 262 in der Übertragung der Alkylreste auf unedlere Metalle (insbesondere auf die Alkalimetalle) kennengelernt.
8. K a p i t e l
Die cyclischen Verbindungen Neben den bisher beschriebenen Stoffen, denen in erster Linie die verschiedenen Funktionen der Heteroatome und des Kohlenstoffs ihr Gepräge verleihen, gibt es auch zahlreiche Substanzen, für die vor allem das Kohlenstoffgerüst charakteristisch ist. Hierher gehören insbesondere die einen oder mehrere Ringe im Molekül enthalteden cyclischen Verbindungen, von denen wir die Benzolverbindungen schon kennengelernt haben. Man unterteilt die cyclischen Verbindungen allgemein in die carbocyclischen Verbindungen einerseits und die heterocyclischen Verbindungen andererseits in Abhängigkeit davon, ob der Ring nur aus Kohlenstoffatomen besteht, oder neben C-Atomen auch ein oder mehrere Heteroatome enthält. Diese Einteilung lediglich auf Grund der formalen Zusammensetzung läßt jedoch die wirklichen Zusammenhänge nur schwer erkennen; denn die Eigenschaften der cyclischen Verbindungen hängen weitgehend davon ab, ob die Ringsysteme gesättigt sind bzw. nur isolierte Doppelbindungen aufweisen oder ob in ihnen ein geschlossen konjugiertes Doppelbindungssystem enthalten ist. Dieses ruft nämlich einen mehr oder weniger stark ausgeprägten aromatischen Charakter hervor und ist auch die Ursache dafür, daß die Ring-Heteroatome (z. B. der Stickstoff des Pyrrols oder der Schwefel des Thiophens) neuartige Reaktionen zeigen. Wir kommen somit zu folgender Unterteilung in: 1. die alicyclische Verbindungen genannten Stoffe ohne geschlossen konjugiertes Doppelbindungssystem. Mit Ausnahme der starkgespannten Drei- und Vierringe weichen sie in ihren Eigenschaften noch nicht wesentlich von den Substanzen mit Kettenmolekülen ab, die in diesem Zusammenhang auch acyclisch genannt werden. 2. die Verbindungen vom Benzoltypus mit mindestens einem, drei geschlossen konjugierte Doppelbindungen enthaltendem Sechsring. Von ihnen wurden das Benzol selbst und seine Derivate wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung bereits allgemein behandelt. Als weitere Verbindungen dieses Typus werden wir kennenlernen einerseits die polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe Naphthalin, Anthracen usw. mit mehreren ,,kondensierten" Sechsringen, andererseits das Pyridin und einige verwandte Heterocyclen, die ein benzolähnliches Doppelbindungssystem in einem heterocyclischen Sechsring enthalten. 3. Heterocyclische Fünfringe vom Typus des Furans, Pyrrols und Thiophens, in deren Ringe zwei konjugierte Doppelbindungen und ein Heteroatom mit mindestens einem einsamen Elektronenpaar eingebaut sind. Sie weisen aus den auf S. 343 diskutierten Gründen ebenfalls einen aromatischen Charakter auf.
Kap. 8 , 1 : Die alicyclischen Verbindungen
269
Die Benennung der Ringverbindungen erfolgt in großem Umfang durch Trivialnamen. Daneben sind ähnliche rationelle Namen gebräuchlich wie in der acyclischen Reihe, die auch nach den gleichen Regeln gebildet werden. Hierbei charakterisiert man die cyclische Natur der Verbindungen allgemein durch Vorsetzen des Wortstammes Cyclo- vor den eigentlichen Namen (z. B. Cyclo-hexan gegenüber dem acyclischen Hexan). Ferner verwendet man zur Unterscheidung von seitenketten- und kernständigen Substituenten oder Doppelbindungen, zuweilen auch die Ausdrücke endocyclisch und exocyclisch. So ist z. B. I ein endocyclischer, II ein exocyclischer Alkohol des Cyclobutans, während III eine endocyclische und zwei exocyclische Doppelbindungen enthält, von denen die vom Ring ausgehende häufig auch als semicyclische Doppelbindung bezeichnet wird. Die exocyclische Doppelbindung im Bis-diphenylen-äthylen (IV) nennt man schließlich intercyclisch:
I
II
III
IV
I. Die alicyclischen Verbindungen Soweit die alicyclischen Verbindungen Heteroatome im Ring enthalten, haben wir sie bereits früher in den cyclischen Äthern (S. 156), Halbacetalen (S. 161), Aminen (S. 205) und Säureanhydriden (S. 176, 178) sowie in den Lactonen (S. 182) und Lactamen (S. 216) ausführlich abgehandelt. Wir brauchen daher an dieser Stelle nur auf die carbocyclischen Verbindungen der Reihe näher einzugehen. Man unterteilt sie nach der Zahl der einzelnen Ringe, die durch gemeinsame Atome zu einem größeren Ringsystem zusammengeschlossen werden in 1. die monocyclischen Substanzen mit nur einem Ring und 2. die bi-, tri- bzw. allgemein polycyclischen Stoffe mit zwei, drei bzw. vielen in das Molekül eingebauten Ringen. 1. Die monocyclischen Ringsysteme Bildet man aus n G-Atomen einen nur C—C-Einfachbindungen enthaltenden Ring und besetzt die beiden freien Valenzen an jedem C-Atom mit Wasserstoff, so kommt man zu paraffinartigen Kohlenwasserstoffen, die Cyclo-paraffine genannt werden. Da ihre Moleküle aus n GH2-Gruppen aufgebaut sind, weisen sie die gleiche Summenformel CnH2n auf wie die Olefine (S. 39) und besitzen ebenfalls unabhängig von der Molekülgröße die stets gleiche Verhältnisformel GH2Hl
Die Gyclo-paraffine und die Monoolefine sind also isomer.
In ihrem physikalischen Verhalten zeigen die alicyclischen Verbindungen interessante Unterschiede gegenüber den acyclischen Substanzen gleicher Kohlenstoffzahl. Wie Tabelle 16 erkennen läßt, sind bei den Ringkohlenwasserstoffen die Siedepunkte um 10—20° und die Schmelzpunkte sogar um 40—80° erhöht, was im Falle der Schmelzpunkte in erster Linie auf die höhere Molekülsymmetrie der cyclischen Verbindungen und die dadurch bedingte erleichterte Einordnung in ein Kristallgitter zurückzuführen sein dürfte:
270
Kap. 8 , 1 : Die alicyclischen Verbindungen Tabelle 16
V e r g l e i c h der p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n von R i n g - und K e t t e n v e r b i n d u n g e n gleicher K o h l e n s t o f f z a h l Cyclische Verbindung
Sdp.
Smp.
D/T. flüssig
Cyclopropan Cyclobutan Cyclopentan Cyclohexan Cycloheptan
—34" 12° 50» 81° 118°
—127° — 80° — 93° 6,4» - 12»
0,720/—79» 0,703/0° 0,754/20» 0,779/20» 0,810/20»
Propan n-Butan n-Pentan n-Hexan n-Heptan
0,940/21» 0,937/34° 0,942/22° 0,947/20°
n-Pentanol-2 n-Hexanol-2 n-Pentanon-2 n-Hexanon-2
Cyclopentanol Cyclohexanol Cyclopentanon Cyclohexanon
140° 161° 131° 155°
—
24» — 53» — 26°
Kettenverbdg. analog. Struktur
Sdp.
Smp.
—45° 1° 36° 69» 98»
—190° —135» —131» — 94» — 90°
119» 140» 102° 127°
— —
— 84» — 57»
D/T. flüssig 0,584/45° 0,600/0° 0,634/150» 0,660/20» 0,684/20» 0,807/25» 0,816/20» 0,811/15» 0,830/0»
Ähnlich wie bei den cyclischen Äthern (S. 156) und Aminen (S. 205) beobachtet man auch bei den Cycloparaffinen und ihren Derivaten eine starke Abhängigkeit der chemischen Eigenschaften von der Ringweite, auf die wir im Zusammenhang mit der Spannungstheorie (S. 379) näher eingehen werden. Besonders die stark gespannten Ringsysteme des Gyclopropans und Cydobvians verhalten sich aus diesem Grund vielfach „anomal".
a) Das Cyclopropan und seine D e r i v a t e Cyclopropan kann man verhältnismäßig leicht auf dem Wege einer innermolekularen WURTZ sehen Synthese durch Halogenentzug aus 1,3-Dibrompropan synthetisieren : •CH2—Br H2C
* \
/CH2 + Zd
CH 2 —Br
— ZnBr,
,
h /
\
I
pt
CHj
—Hai
H,0
o
Cyclopentyl-halogenid
Cyclopenten
•Br -COOH Cyclopentan-carbonaäure
V-f
Cyclopentadiea
— 2 HBr
+
Br,
l + H,
-Br Dibrom-cyclopentan
Cyclopentan
Einzelverbindungen: Cyclo-pentan tritt natürlich auf und ist insbesondere im kaukasischen Erdöl in größeren Mengen enthalten (vgl. auch S. 390).
273
1 o und d: Cyclopentan und Cyclohexan
Die interessanteste Verbindung der Cyclopentanreihe ist zweifellos das Cyclopenta-dien. Es ist am ehesten mit den 1,3-Dienen (S. 48) vergleichbar, mit denen es die hier nochmals gesteigerte Reaktionsfähigkeit der konjugierten C=C-Doppelbindungen gemeinsam hat. Z. B. tritt bei Zimmertemperatur schon leicht eine spontane Dimerisierung im Sinne einer Diensynthese (S. 49) zum Di-cydopentadien ein, das in der Hitze wieder rückwärts in zwei Moleküle Cyclopentadien gespalten wird: Zimmertemperatur
|
>
Erhitzen
U
+
Ha Cyclopentadien
des
Flüssiges Cyclopentadien Dimerisats.
Dicyclopentadien
enthält aus diesem Grunde stets mehr oder weniger große Mengen
Über diese Diennatur hinaus zeigt Cyclopentadien als spezielle, durch die Ringstruktur bedingte Eigenschaft eine ungewöhnliche Aktivität der zwischen den Doppelbindungen eingeschlossenen Methylengruppe. Sie ist schwach sauer und reagiert mit metallischem Kalium unter Wasserstoffentwicklung zum salzartigen Cyclopentadienylkalium. Ferner ist sie wie andere aktive Methylengruppen zu Kondensationsreaktionen mit Oxoverbindungen befähigt. Hierbei bilden sich die interessanten Fulvene, die trotz des Vorliegens von nur drei konjugierten C=C-Doppelbindungen bereits eine gelbe Farbe aufweisen: =\e ICH
.
+K
H,
V t t
flTT + p=;C(CH,). - H.O(NaOE)
v
'
Cyclopentadienyi-kaiium
Dimethyl-fulven
Ein weiteres neuartiges Derivat des Cyclopentadiens werden auf S.315 im Ferrocen kennen lernen. Als Beispiele zweier natürlich vorkommender Cyclopenten-carbonsäuren seien die (CH2)12—COOH
und die um 2 C-Atome ärmere
|^^-(CHa)w—COOH
ChauJmoograsäure
Hydnocarpuaaäure
angeführt. Ferner stellen die Camphanderivate (S. 458) wichtige Naturstoffe mit zwei in ein kompliziertes bicyclisches Ringsystem eingebauten Cyclopentanringen dar.
d) Das Cyclohexan und seine D e r i v a t e Im Cyclohexanring liegt das bei weitem wichtigste alicyclische Ringsystem vor. Einerseits findet er sich in zahlreichen Terpenen und Camphern (S. 455 f.), III ||l Hl
andererseits stellen die Cyclohexanderivate die gesättigten Muttersubstanzen der Gesamtheit der aromatischen Verbindungen dar und werden daher häufig auch hydroaromatische Verbindungen genannt. H H
Hn Ho
- H S Benzol (aromatische Reihe) 18
K l a g e s , Einführung org. Chemie
- v Cyclohexan (hydroaromatische Reihe)
Kap. 8, I : Die alicyclischen Verbindungen
274
Wegen dieser nahen Beziehungen zur aromatischen Reihe leitet man oft die Namen der Cyclohexanderivate von denen der zugehörigen Benzolverbindungen ab und spricht z. B. von einer Hexahydro-benzoesäure statt von einer Cyclohexanmonocarbonsäure. Ebenso werden die Begriffe der o-, m- und p-Stellung sowie der vic-, sym- und as-Stellung (S. 56/7) sinngemäß auf die Cyclohexanverbindungen übertragen. Allerdings vermag man mit diesen von der Benzolchemie übernommenen Nomenklaturprinzipien nicht alle Isomeriemögiichkeiten des Cyclohexanrings zu erfassen; denn hier können an jedem C-Atom zwei Substituenten stehen, von denen sich der eine oberhalb und der andere unterhalb der Ringebene befindet. Wie schon auf S. 19 angedeutet, muß man daher bei Cyclohexanderivaten mit zwei oder mehr Liganden an den Ringatomen unterscheiden zwischen cis-Verbindungen, bei denen die Liganden auf der gleichen, und trans-Verbindungen, bei denen sie auf verschiedenen Seiten der Ringebene liegen. Unter Berücksichtigung all dieser Möglichkeiten existieren für ein disubstituiertes Cyclohexan (z. B. f ü r die Cyclohexan-dicarbonsäure) bereits ohne Berücksichtigung der Spiegelbildisomerie (S. 14f., 367 f.) die folgenden sieben Isomeriemögiichkeiten (gegenüber nur drei isomeren Phthalsäuren, S. 178). COOH \
/COOH
H
H H
\l_ HOOG
COOH
eis* transo-Cyclohexan-dicarbonsäure
HOOC / -
/'COOH
_/COOH
H
H"
/
>1
COOH
HOO eistransm-Cyclohexan-dicarbonsäure
eistransp-Cyelohexan-dicarbons&ure
Trotz dieser starken Steigerung der Isomerenzahl gegenüber der Benzolreihe hat die Symmetrie des Ringmoleküls eine erhebliche Verminderung der Isomeriemögiichkeiten beim Vergleich mit den acyclischen Hexanderivaten zur Folge. Vor allem besitzt das Cyclohexan keine Molehiilenden, und alle sechs C-Atome sind gleichwertig. Man kennt daher jeweils nur ein Monosubstitutionsprodukt des Cyclohexans, dem drei verschiedene acyclische Hexanverbindungen gegenüberstehen, in denen sich der Ligand an den C-Atomen 1, 2 oder 3 befindet.
Für die Darstellung der Cyclohexanverbindungen kommen vor allem die folgenden beiden bereits beschriebenen Reaktionen in Betracht: 1. die katalytische Hydrierung von Benzolverbindungen (S. 59) und 2. der Aufbau des Cyclohexanringes (in der Hydrierungsstufe des Cyclohexens) mit Hilfe der BIELS-ALDERschen
Diensynthese
(S. 49). Das Cyclohexan und seine Derivate zeigen in ähnlicher Weise die normalen Reaktionen der organischen Chemie wie die Verbindungen der Cyclopentanreihe. Als einzige neuartige Umsetzung ist die in Umkehrung der ersten Bildungsreaktion erfolgende Dehydrierung zu Benzolderivaten zu nennen, der man nahezu alle Cyclohexanderivate unterwerfen kann. Man führt diese Dehydrierung nach 0 . D I E L S bei etwa 400° mit Schwefel oder (noch besser) Selen als Dehydrierungsmittel durch: H, H, Hj Hj
H H + 3 3e — 3 H,Se
\ H
275
1 d: Das Cyclohexan und seine Derivate
Das Verfahren bietet den Vorteil, daß wegen des Fehlens sauerstoffhaltiger Reagenzien kein weitergehender oxydativer Abbau des Moleküls möglich ist. DieAromatisierungstendenz ist bei dieser Selendehydrierung meistens so groß, daß Substituenten, die der Aromatisierung im Wege stehen (z. B. in der unten formulierten Verbindung I I die an dem Ringverknüpfungsatom befindliche „angulare" Methylgruppe), an eine andere Stelle des Moleküls wandern (z. B. zu I) oder gänzlich eliminiert werden (z. B. zu III): CH,
CH,
yv/v + I II I
5H„
y\/v I II I + x/x/
Se
Se
400«
CH,
+
4H2
in Weitere Reaktionen, die auf die Aromatisierungstendenz des Sechsrings zurückzuführen sind, beobachten wir in der auffallend leicht erfolgenden Wanderung exocyclischer Doppelbindungen in den schon zwei Doppelbindungen enthaltenden Kern, z. B . :
Erwärmen mit Eisessig—HCl
CH.
2-Methyl-mentha-trlen-2,6,8
2-MethyI-cymol
sowie in der in Gegenwart von Hydrierungtkatalysatoren bereits bei 35° vor sich gehenden Disproportionierung des Cyclohexens (IV) und Cyclohexa-diens (V) in Cyclohexan und Benzol: Pd
3/ IV
:> + • = 8 CX^Hj—CH2 1
Spiro-[4,4]-nonan
CH»—CH®\
1
CH2—CHj
/CH«—CHo\
X CH2—CH2 >CH
S
Spiro-[4,5]-decan
Die Spirane kommen nur in der alicyclischen Reihe vor, da jeder Ring zwei Valenzen des Zentralatoms beansprucht und dieses deswegen in kein aromatisches Ringsystem eingebaut werden kann. Dagegen kennt man neben den carbocyclischen auch viele heterocyclische Spirane. Als Zentralatome vermögen in ihnen sämtliche Elemente zu fungieren, die vierbindig auftreten können (z. B. Silicium in Neutralverbindungen sowie Stickstoff in Kaiionen- und Bor in Anionenkomplexen [wie etwa dem der Borsalicylsäure, S. 187]). Weiteren Beispielen von Kupferspiranen sind wir auf S. 155, 167, 198 und 215 in den Kupferkomplexen der mehrwertigen Alkohole, sowie der Diamine, 1,3-Dioxoverbindungen und x-Amino-carbonsäuren begegnet. b) Die bicyclischen kondensierten Ringsysteme Die bicyclischen kondensierten Ringsysteme mit mehreren gemeinsamen Ringatomen zeigen sämtlich das nebenstehend wiedergegebene Aufbauprinzip I, d. h. sie enthalten zwei Ringverzweigungsatome (A und B), die durch drei mehr oder weniger lange Atombrücken (a, b und c) miteinander verbunden sind. Hierauf beruht ein Nomenklaturvorschlag von A. v. B A E Y E R (1900), nach dem man die Kohlenwasserstoffe der Reihe in der üblichen Weise nach der Zahl der CAtome benennt und in diesem Fall durch das Vorwort Bicyclocharakterisiert. Ferner wird in einer hier drei Zahlen enthaltenden „Charakteristik" die Länge der Ringarme a, b und c in Atomzahlen angegeben, so daß die folgenden Namen entstehen: /CH H2CX
.CH—CH,.
HjC/ I \CH2
CH—CH,
H2ÒX I /ÒH2 X C H /
Blcyclo-[0,l,3]-hexan
Bicyclo-[l,2,2]-heptan (Endomethylen-cyclohexan)
CH,
H2C
¿ :IH,
CH,
"CH
Bicyclo-[2,2,2]-octan (Endoäthylen-cyclohexan)
Da die Verzweigungsatome in der Charakteristik nicht mitgezählt werden, ist deren Quersumme stets um 2 kleiner als die Zahl der Ringatome. Ferner kann hier im Gegensatz zu den Spiranen die Zahl Null in der Charakteristik auftreten. Sie bedeutet, daß
280
Kap. 8,1: Die alicyolisohen Verbindungen
die Verzweigungsatome unmittelbar benachbart sind, die beiden Ringe also nur zwei gemeinsame Atome enthalten. Nach einem anderen Benennungsvorschlag werden die mittleren Ringarme des Bicydo[ 1,2,2]-heptans und Bicyclo-[2,2,2]-octans als eine durch die Vorsilbe endo- charakterisierte „Ringbrücke" betrachtet, die den äußeren Ring überspannt. Danach wäre ersteres ein endoMethylen-cyclohexan und letzteres ein endo-Äthylen-cyclohexan. D a s am leichtesten zugängliche Bicyclo-paraffin ist das bei der Perhydrierung des Naphthalins (S. 284) anfallende Dekahydro-naphthalin oder Dekalin ( = Bicyclo[0,4,4]-decan: ^ Naphthalin
+5
H, Dekalin
E s ist im Gegensatz zum Naphthalin flüssig und findet wie das Cyclohexan Verwendung als paraffinartiges Lösungsmittel einheitlicher Molekülgröße. D a s technische Dekalin besteht aus zwei stereoisomeren Kohlenwasserstoffen, da die Cyclohexanringe sowohl in cis-Stellung (cia-Dekalin) als auch in trans-Stellung (trans-Dekalin) verknüpft sein können. (Näheres vgl. II, Kap. 7, IV, 1.) Ein anderes Bicyclodecanderivat, in dem ein Fünfring mit einem Siebenring kombiniert ist, liegt im Azulen vor, das man rationell als Bicyclo-[0,3,5]-deka-pentaen bezeichnen kann. Azulen ist eine tiefblaue Flüssigkeit, die sich wie das Cyclooctatetraen trotz des geschlossen konjugierten Doppelbindungssystems bis zu einem gewissen Grade wie ein aliphatisches Polyen verhält 1 ). Insbesondere beim Lagern an der Luft erleidet es leicht irreversible Veränderungen. Einige Azulen komplizierte Azulenderivate treten in verschiedenen ätherischen ölen auf (S.460). D e n wichtigsten bicyclischen Verbindungen mit drei den beiden Ringen gemeinsamen Atomen werden wir später in den Terpenen u n d Gamphern der Pinan- und Camphanreihe begegnen (S. 457/8). Dagegen sei hier kurz auf das oben formulierte Bicyclo- [2,2,2] -octan als Grundkörper der bicyclischen Verbindungen m i t vier, beiden Ringen gleichzeitig angehörenden Ringatomen eingegangen. E s besitzt ein kugelähnliches Molekül v o n hoher Symmetrie; denn die drei die Ringverzweigungsatome verbindenden Ringarme sind vollkommen gleichwertig, und die durch sie gelegten Ebenen schließen unter sich jeweils einen Winkel v o n 120° ein. Diese hohe Symmetrie des Moleküls kann nur in einer Raumformel zum Ausdruck gebracht werden (vgl. Raumbild 7). Die annähernde Kugelform des Bicyclo-[2,2,2]-octans hat zur Folge, daß sich die Moleküle leicht in ein Kristallgitter einordnen und die Kristalle unter nur geringem Energieaufwand wieder geschmolzen werden. Man beobachtet hier infolgedessen eine Kombination von hohem Schmelzpunkt mit niedriger Schmelzwärme, was relativ hohe molekulare Gefrierpunktserniedrigungen zur Folge hat (vgl. physikal.-chemische Lehrbücher). Verbindungen mit Kugelmolekülen eignen sich deswegen besonders gut als Lösungsmittel für kryoskopische Messungen. So steigt z. B. die kryoskopische Konstante (d. h. die Gefrierpunktserniedrigung einer einnormalen Lösung in der betreffenden Substanz als Lösungsmittel) beim Übergang vom Eisessig (als Beispiel eines Kettenmoleküls) zum Bicyclo-[2,2,2 J-octanon (als Beispiel eines Kugelmoleküls) von 3,8 auf 33 an. Noch größer sind die kryoskopischen Konstanten des Camphers (40) und besonders des Dibrom-camphers (81). x ) Immerhin ist die Mesomerie etwas stärker ausgeprägt als bei den eigentlichen Polyenen, so daß man in mancher Beziehung bereits von einer schwachen Aromatisierung sprechen kann.
2 c: Polycyclische Ringsysteme
281
c) P o l y c y c l i s c h e ß i n g s y s t e m e Alicyclische Verbindungen mit mehr als zwei aneinander kondensierten Ringen sind in großer Zahl bekannt, jedoch im allgemeinen nur von geringer Bedeutung, so daß wir uns hier auf die Beschreibung des interessanten Adamantans beschränken können. Adamantan ist ein in geringer Menge im Erdöl natürlich vorkommendes Tricyclodecan, dessen zehn C-Atome ein ähnliches Ringgerüst aufbauen, wie wir es bereits beim Urotropin (S. 116) kennengelernt haben und wie es auch in zahlreichen anorganischen Verbindungen der Summenformel A 4 B S (z. B. im Phosphor-trioxyd P 4 0 6 oder Arsen-trioxyd As 4 0 6 , vgl. anorganische Lehrbücher) vorkommt. D. h. es liegen auch hier vier Ringverzweigatome vor, die die den vier N-Atomen im Urotropin entsprechenden Stellen einnehmen und wie diese durch sechs Methylengruppen zu einem hochsymmetrischen Kugelmolekül zusammengeschlossen werden. Die üblichen Schreibformeln des Adamantans: -CH, h c
\ch„
h2c/ch> oder
3H2 CH-CH,
assen diese hohe Molekülsymmetrie nicht erkennen. Man ist deshalb wiederum auf Raummodelle angewiesen, von denen das in Abb. 5 angeführte STUARTmodell vor allem die außerordentlich starke Annäherung an die Kugelform wiedergibt. Die gegenseitige Lage der C-Atome erkennt man dagegen besser in der im Raumbild ^ 8 wiedergegebenen Raumformel.
Abb. 5 Raummodell des Adamantans (STUARTmodell)
Kap. 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus
282
Das Adamantanmolekül besitzt die engstmögliche Packung von zehn C-Atomen, die denkbar ist. Wie Raumbild 9 zeigt, stellt es einen Ausschnitt aus dem Diamantgitter dar, dessen nach außen gerichteten Valenzen mit Wasserstoff abgesättigt sind. Derartige Substanzen nennt man diamantoide Stoffe, was auch in dem Namen Adamantan (von griech. aSauavTos = Diamant) zum Ausdruck kommen soll. Von den durch die Kugelgestalt des Moleküls bedingten Eigenschaften des Adamantans ist am interessantesten der im Vergleich zum Dampfdruck außerordentlich hohe Schmelzpunkt von 268°, der den Sublimationspunkt um etwa 80° übersteigt. Der Tripelpunktsdruck ( = Dampfdruck beim Schmelzpunkt) weist mit 8,3 Atmosphären den höchsten bisher überhaupt beobachteten Wert von allen anorganischen und organischen Substanzen auf.
II. Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus 1. Kondensierte aromatische Ringsysteme a) A l l g e m e i n e s Wie die folgenden Beispiele zeigen, kann man außer in den Cyclohexanring auch in die verschiedenen polycyclischen Systeme mit mehreren in o-Stellung aneinander kondensierten Sechsringen meistens ein geschlossen konjugiertesDoppelbindungssystem einbauen, in dem jede Doppelbindung zwischen zwei Einfachbindungen und jede einfache, Bindung zwischen zwei Doppelbindungen steht:
AA
„
UJ UUJ C^-Ö i X f Naphthalin
Anthracen
w
Phenanthren
„
B-ö
Chrysen
Perylen
Alle derartigen Verbindungen zeigen ebenfalls einen benzolähnlichen aromatischen Charakter. Sie sind wegen ihres geschlossenen Baus ziemlich temperaturbeständig und treten deshalb in großer Zahl als höhermolekulare thermische Abbauprodukte der Kohlesubstanz im Steinkohlenteer auf (vgl. S. 387). Insbesondere Naphthalin, Anthracen und einige andere einfache Glieder dieser Reihe sind aus diesem Grunde leicht zugänglich und stellen wichtige technische Produkte dar. Die Lage der Doppelbindungen ist in diesen aromatischen Polycyclen ebensowenig fixiert wie im Benzolkern. Es gibt stets mehrere mögliche Anordnungen, bei denen im allgemeinen jede der Ringbindungen mindestens einmal Doppelbindungscharakter annehmen kann. Z. B. diskutierte man früher für das Naphthalin die folgenden drei Strukturformeln-.
y\/\
/\y\ N/N/'
Naphthalin nach E. ERLENMEYER
w
Naphthalin nach R. ANSCHÜTZ
Dieser Streit ging aber nur um ein Scheinproblem, denn heute weiß man, daß keine dieser Formeln allein richtig ist und die Doppelbindungselektronen lediglich im Rahmen einer Mesomerie eine mittlere Lage zwischen ihnen einnehmen. Da es vor allem bei komplizierteren Molekülen unmöglich ist,
1 b : Das Naphthalin und seine Derivate
283
stets sämtliche denkbaren Doppelbindungsanordnungen zu berücksichtigen, begnügt man sich meistens mit der einfachsten derartigen Formel als Schreibformel. Sie gibt uns also nur darüber genaue Auskunft, wieviel Doppelbindungen überhaupt vorhanden sind, und daß das Konjugationsprinzip erfüllt ist. Wie die angeführten Beispiele erkennen lassen, beträgt die Zahl der Doppelbindungen nicht mehr drei pro Sechsring, sondern das System nimmt bei linearer Aneinanderreihung der Ringe f ü r jeden neu angegliederten Sechsring jeweils nur um zwei Doppelbindungen und drei Einfachbindungen zu, so daß sich für ein n-gliedriges Ringsystem 2 n + 1 Doppelbindungen und 3n Einfachbindungen errechnen. Erfolgt die Kondensation noch enger zu Flächenmolekülen (z. B. im oben formulierten Perylen), so geht die Zahl der Doppelbindungen pro Sechsring noch weiter herunter bis auf die im Oraphit verwirklichte Minimalzahl von einer Doppelbindung pro Sechsring (bzw. von zwei Doppelbindungen, die jeweils zwei Sechsringen gemeinsam angehören). Es kommt also nicht auf die Zahl der Doppelbindungen an, sondern lediglich auf die Herstellung eines geschlossen konjugierten Doppelbindungssystems. b) D a s N a p h t h a l i n u n d s e i n e D e r i v a t e Naphthalin leitet sich v o m Benzol durch Angliederung (auch Anellierung eines zweiten Benzolrings ab.
genannt)
Derartige S t o f f e n e n n t m a n vielfach die Benzo-Derivate der Grundverbindung. Naphthalin ist also ein Benzo-benzol. Der Naphthalinkern weist nicht mehr die gleiche hohe Symmetrie auf wie der Benzolkern. Insbesondere sind nicht mehr alle C-Atome gleichwertig, und man unterscheidet zwei grundsätzlich verschiedene Stellungsmöglichkeiten von Substituenten, die a.-Stellung (unmittelbar der Ringverzweigung benachbart) und ß-Stellung (weiter von den Verzweigungsatomen entfernt) genannt werden. Ferner werden die C-Atome f ü r die Benennung komplizierterer Naphthalinderivate in der üblichen Weise durchnumeriert. Schließlich kennzeichnet man die Disubstitutionsprodukte des Naphthalins wie in der Benzolreihe durch die Vorsilben ortho-, meta- oder para-, zu denen sich die weiteren Ausdrücke amphi- und peri- f ü r die wichtigsten Möglichkeiten des Sichbefindens der beiden Substituenten in verschiedenen Ringen des Naphthalinkerns gesellen: X
X
Kennzeichnung der substitulerbaren C-Atome des Naphthalinringes
/
W
2,6- oder amphi-Stellung
X
V
V
1,8- oder peri-Stellung
D a s Naphthalinsystem zeigt ein ähnliches aromatisches Verhalten fache Benzolkern, ist jedoch bereits merklich reaktionsfähiger.
wie der ein-
Z. B . k a n n die Nitrierung schon m i t konzentrierter Salpetersäure allein v o r g e n o m m e n werden, u n d auch die Bromierung g e h t ohne die Mitwirkung v o n Halogenüberträgern vor sich. I n beiden F ä l l e n wird bevorzugt die x-Stellung substituiert. Eine überwieg e n d e ß-Substitution ist nur bei Temperaturen oberhalb 160° möglich. W e g e n des Auftretens v o n Nebenreaktionen h a t bisher ausschließlich die bei e t w a 180° vor sich g e h e n d e ß-Sulfonierung praktische B e d e u t u n g für die Darstellung der ß-Substitutionsprodukte des N a p h t h a l i n s erlangt (S. 284). Besonders interessant ist das Verhalten des N a p h t h a l i n s bei R e a k t i o n e n , die m i t einer Aufhebung des aromatischen Zustande» v e r b u n d e n sind. Hier werden n ä m l i c h niemals beide Sechsringe gleichzeitig entaromatisiert, sondern nach der Zerstörung des
284
Kap. 8 , 1 1 : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus
konjugierten Doppelbindungssystems an einer beliebigen Stelle des Moleküls nimmt der nicht unmittelbar an der Reaktion beteiligte Ring sofort den besonders reaktionsträgen benzolaromatischen Charakter an und widersetzt sich dadurch der weiteren Einwirkung des Reagenzes. Beispielsweise ist das Naphthalinsystem gegenüber dem Benzolkern so stark aufgelockert, daß es bis zu einem gewissen Grade wie ein aliphatischem Dien reagiert und „nascierenden Wasserstoff" (etwa bei der Einwirkung von Natrium/Alkohol) in 1,4-Stellung zum 1,4-Dihydro-naphthalin addiert. Dieses enthält einen aromatischen Benzolkern und eine isolierte Doppelbindung, die beide gegen nascierenden Wasserstoff beständig sind. Es kann daher ohne Schwierigkeiten isoliert werden. Die weitere katalytische Hydrierung führt dann zum Tetralin genannten 1,2,3,4-Tetrahydro-naphthalin, das ebenfalls leicht isolierbar ist, weil die Hydrierung des noch intakten Benzolkerns zum Dekahydro-naphthalin (Dekalin, S. 280) energischere Bedingungen erfordert:
\ 1,4-Dihydro-naphthalin
Ä
y
Katalyt. Hydrlerg. (energische Bedingungen)
Tetralin
Dekalin
Wegen der leichten Hydrierbarkeit des 1,4-Dihydro-naphthalins führt die direkte katalytische Hydrierung des Naphthalins sofort zum Tetralin, das auch hier als Zwischenverbindung aufgefangen werden kann und in der Praxis neben dem Dekalin eine vielseitige Verwendung als terpentinartiges Lösungsmittel findet.
Einzelyerbindungen. Naphthalin ist zu etwa 7% im Steinkohlenteer enthalten und kann wegen seiner großen Kristallisierungstendenz (Smp. 80°) relativ leicht aus der Mittelölfraktion (S. 387) isoliert werden. Es ist ein wichtiges technisches Zwischenprodukt und dient als Ausgangsverbindung für die Herstellung aller übrigen Naphthalinderivate. Die freie Verbindung selbst findet nur als Mottenkugeln praktische Anwendung. a-Nitro-naphthalin kann als einziges der beiden Nitro-naphthaline durch direkte Nitrierung von Naphthalin gewonnen werden. In Analogie zum Nitrobenzol ist es eine wichtige Zwischenverbindung zur Darstellung von oc-Naphthyl-amin und cc-Naphthol : NH a Nitrierung
( ^ Y l
Reduktion
V/N/-
a-Nitro-naphthalin
A
A
|
Erhitzen mit Katronlauge
a-Naphthyl-amin
Führt man die Sulfonierung des Naphthalins bei 80° durch, so entsteht ausschließlich die a-Naphthalin-sulfonsäure. Sie lagert sich oberhalb 130° in die ß-Naphthalin-sulfonsäure um, die man in der Praxis jedoch, wie schon kurz erwähnt, durch direkte Sulfonierung von Naphthalin bei 180° gewinnt. Die ß-Naphthalin-sulfonsäure ist als das am leichtesten zugängliche ß-Substitutionsprodukt des Naphthalins von erheblicher technischer Bedeutung als Ausgangsverbindung für die Herstellung von ß-Naphthol und ß-Naphthylamin: A / Y
^ if ,
AA\/
Ii | Sulfoniemng | I' S / N II / " I 180» * I
n I!
S
°
3 H
| I
0-Naphthalin-sulionsäure
Altll
^ \ / \ /
Alkalli schmelze - * IW II
I
ß-Naphthol
o h r
h
A A /
Bucherer| Beaktion (8mten) ' I
1
V II \ I/
®
0-Naphthyl-amin
8
285
1 b : Die Derivate des Naphthalins
Die praktisch wichtigsten Naphthalinderivate sind a- und ß-Naphthol sowie o- und ß-Naphthyl-amin, deren hauptsächliche Darstellungsweisen bereits beschrieben wurden. Sie sind echte Phenole bzw. echte Anilinbasen und zeigen alle auf S. 92 f. und 206 f. für diese Verbindungsklassen beschriebenen Reaktionen. Allerdings ist auch hier das aromatische Bindungssystem gegenüber dem des Benzolkerns im Phenol und Anilin nochmals etwas aufgelockert, und man beobachtet infolgedessen eine ähnliche Reaktionsfähigkeit wie bei den Polyphenolen Resorcin (S. 168) und Phloroglucin (S. 159). Insbesondere geht der gegenseitige Austausch von Hydroxyl- und Aminogruppen im Gegensatz zur Benzolreihe schon bei etwa200°vor sich, weil sich wiederum verhältnismäßig leicht eine tautomere Ketoverbindung als Zwischenprodukt bildet: + NH,"
-NH,
=NH
— H,0 + H,Q(NaOH) — NH,
Man macht von dieser Reaktion sowohl für die Gewinnung von a-Naphthol aus a-Naphthylamin als auch in der umgekehrten Richtung von ß-Naphthyl-amin aus ß-Naphthol praktischen Gebrauch. Die Umwandlung der Naphthole in Naphthylamine kann durch Verwendung von Ammonium-hydrogen-sulfit als Aminierungsmittel (bez. des Mechanismus vgl. I. K a p . l l , II, lb) wesentlich erleichtert werden (BUCHEBEK-Reaktlon).
Sowohl die Naphthole als auch die Naphthylamine gehen bei der Sulfonierung in eine große Zahl von Naphthol- bzw. Naphthylamin-mono- und •disulfonsäuren über, die als Kupplungskomponenten für Azofarbstoffe eine verbreitete Anwendung finden (vgl. S. 409). Auch die Naphthole und Naphthylamine selbst sind zur Kupplung mit Diazoniumsalzen befähigt. Vom Naphthalin kennt man bereits drei verschiedene Chinone:
+ h.
' HO'
1,2- oder o-Naphthochinon
O
1,4- oder p-Naphthochlnon
II
I W
amphi-Naphthohydrochinon
2,6- oder ainphi-Naphthochinon
o- und p-Naphtho-chinon sind den entsprechenden Benzochinonen (S. 168) analog konstituiert und unterscheiden sich von ihnen nur durch den Einbau einer der C—G-Doppelbindungen in den anellierten Benzolring. Hierdurch wird ihre Reaktionsfähigkeit merklich herabgesetzt. Im amphi-Naphtho-chinon ist dagegen kein Benzolring mehr vorhanden. Es ist deshalb ähnlich reaktionsfähig wie die einfachen Benzochinone. Bemerkenswert ist auch, daß bei der oben formulierten Hydrierung zum amphi-Naphtho-hydrochinon die Anlagerung von nur zwei H-Atomen mit der Aromatisierung von zwei Sechsringen verbunden ist. Die Naphthalin-monocarbonsäuren heißen in Analogie zur Benzoesäure OL- und ß-Naphthoesänre. Von den Dicarbonsäuren ist vor allem die vom Acenaphthylen aus leicht zugängliche (S. 290) Naphthaisäure ( = Naphthalin-l,8-dicarbonsäure) von Interesse, weil hier die Carboxylgruppen wie bei der Phthalsäure (S. 178) genügend eng beieinander stehen, um die Bildung eines cyclischen Anhydrids zu ermöglichen: COOH COOH Naphthalsäure
-H.O
(Erhitzen)
\
Naphth alsäure-anhydrid
286
Kap. 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus
c) D a s A n t h r a c e n und s e i n e D e r i v a t e Gliedert man an das Naphthalin in 2,3-Stellung einen weiteren Sechsring an — man spricht in diesem Fall nach E . CLAB von einer linearen Anellierung —, so gelangt man zum 2,3-Benzo-naphthalin (bzw. 1,2,4,5-Dibenzo-benzol) oder Anthracen, dessen sieben Doppelbindungen u. a. zwischen den folgenden vier Anordnungen mesomer sind:
Die IsomeriemögHchkeiten sind naturgemäß noch etwas komplizierter als in der NapMhalinreihe. Hier kennt man bereits drei verschiedenartige C-Atome und muß infolgedessen zwischen jeweils drei Monosubstitutionsprodukten unterscheiden. Die substituierbaren C-Atome der äußeren Ringe entsprechen denen des Naphthalinkerns und werden durch die gleichen griechischen Buchstaben a und ß charakterisiert, während man mit dem Buchstaben y die neuartigen C-Atome des mittleren Rings erfaßt, dessen Substituenten auch als mesoständig bezeichnet werden. Ferner numeriert man für die Be5 10 4 nennung komplizierterer Derivate die C-Atome wieder durch. Dies geKennzeichnung der schieht jedoch nicht in der natürlichen Reihenfolge der Atome, sondern substituierbaren C-Atome man zählt zunächst alle in den äußeren Ringen enthaltenen a- und zudes Anthracenkerns ständigen Atome und gibt den beiden y-Slellungen die Nummern 9 und 10.
In seinem chemischen Verhalten weicht das Anthracen noch stärker vom Benzol ab als das Naphthalin. Besonders aktiviert sind die C-Atome 9 und 10 des mittleren Ringes, leicht eine 1,4-Addition erfolgt.
an die
Wie die folgenden, beim Benzol und Naphthalin noch nicht durchführbaren Anlagerungsreaktionen zeigen, reagieren hierbei die durch Fettdruck hervorgehobenen Ringdoppelbindungen wie ein konjugiertes aliphatisches Doppelbindungssystem, was offensichtlich dadurch erleichtert wird, daß die beiden äußeren Sechsringe im Verlaufe dieser 1,4-Addition benzolaromatisch und damit besonders energiearm werden: IL ^Na
Einzelverbindungen: Anthracen ist zwar nur noch zu durchschnittlich 1 % im Steinkohlenteer enthalten, kann aber wegen seiner hervorragenden Kristallisationsfähigkeit — der Schmelzpunkt ist mit 217° für einen Kohlenwasserstoff außerordentlich hoch — relativ leicht aus der Anthracenölfraktion (S. 387) abgetrennt werden. Es dient in der Technik als wichtiges Ausgangsmaterial für die Darstellung verschiedener Anthracenderivate (insbesondere für Anthrachinon, s. unten). Von den Phenolen der Anthracenreihe sind das 9-Hydroxy-anthracen ( = Anthranol) und das meistens kurz Anthra-hydrochinon genannte 9,10-Dihydroxy-anthracen am interessantesten,
1 c und d: Anthracen und Phenanthren
287
weil die oben beschriebene Tendenz zur Entaromalisierung des mittleren Ringes unter Übergang der äußeren Ringe in den benzolaromatischen Zustand hier in einer Tautomerie zwischen einer Hydroxy- und einer Ketoform zum Ausdruck kommt: OH T a u t e
r
Y
Y
^
M
O
A
T a u t e
/
W
\
merle
m 9 - H y d r o x y - a n t h r a c e n
Ö-Keto-dihydroanthracen
(Anthranol)
A n t h r a - h y d r o c h l n o n
(Anthron)
Im ersteren Fall ist das Tautomeriegleichgewieht zugunsten der Oxoform verschoben, im letzteren zugunsten der Hydrochinonform. Doch ist es möglich, alle vier „Formen" in kristallisiertem. Zustand rein darzustellen. Erst in Lösung findet die Gleichgewichtseinstellung statt (Näheres vgl. I, Kap. 11, II, lc).
Das wichtigste Anthracenderivat ist das meistens Anthrachinon schlechthin genannte 9,10-Chinon
des
Anthracens.
Es entsteht bei der Einwirkung verschiedener Oxydationsmittel auf Anthracen — z. B. von Salpetersäure, ohne daß die an sich zu erwartende Nitrierung einsetzt — und wird heute allgemein mit Luftsauerstoff bei 280° über Silbervanadatkontakten
hergestellt: II I
II
I
I
I
II
II
I +
H2O
ii o A n t h r a c h i n o n
Anthrachinon leitet sich vom Benzochinon durch Einbau beider C=C-Doppelbindungen in Benzolkerne
ab und zeigt deshalb keine wesentlichen
Chinoneigenschaften
mehr. Z. B. läßt es sich nur noch schwer zum Anthra-hydrochinon (s. oben) redu-
zieren, bildet kein Chinhydron und ist nahezu farblos. Kurz, es verhält sich chemisch
wie ein aromatisches Diketon und ist am ehesten mit dem Benzophenon vergleichbar. Antrachinon selbst ist ebenfalls nur ein technisches Zwischenprodukt. Seine Weiterverarbeitung zu den auf S. 404, 406f. beschriebenen Farbstoffen geschieht meistens über die Sulfonsäuren, die man durch direkte Sulfonierung des Anthrachinons gewinnt. Normalerweise tritt (bzw. treten) die Sulfograppe(n) in die ß-SteUung, doch kann man in Gegenwart von Quecksilber als Katalysator auch eine ausschließliche a.-Sulfonierung des Anthrachinons bewirken: O " I
II
0 II
SO H II
I
II O
I
0 II U
I
II 0
Anthrachinon-/3-sulionsäure (Natriumsalz
=
(Hg)
.
SO s H J .
.
.
.
II 0 Anthrachinon-ix-sulfonsäure
„Silbersalz")
d) Das Phenanthren und seine Derivate Die Angliederung des dritten Sechsrings an das Naphthalinmolekül kann nicht nur geradlinig
zum Anthracen,
sondern auch gewinkelt
zum isomeren
1,2-Benzo-
Kap. 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus
288
naphthalin (bzw. 1,2,3,4-Dibenzo-benzol) oder Phenanthren erfolgen. Hier liegt nach E. Clab eine angulare Anellierung vor: lineare Annellierung
m
angulare !A nellicrung
Phenanthren
Anthracen
Auch beim Phenanthrensystem zeigen die beiden äußeren Ringe eine gewisse Tendenz, einen benzolaromatischen Charakter anzunehmen. Die nicht in diese Ringe eingebaute C=C-Doppelbindung des mittleren Ringes (Fettdruck) zeigt deshalb bei manchen Umsetzungen das Verhalten einer olefinischen Doppelbindung: HOOC COOH (über 9,10Ozonid)
/
\
N
V
/
\
Diphensäure
Br Br + Br, Ph enanthrenchinon
Besonders die Bildung von Diphensäure, die man auch aus Phenanthrenchinon durch oxydative Öffnung des mittleren Ringes erhalten kann, ist für die Struktur des Phenanthrenkerns beweisend. Im übrigen zeigt Phenanthrenchinon wie Anthraehinon keine Chinoneigenschaften mehr und verhält sich wie ein aromatisches Diketon vom Typus des Benzils (S. 164).
Phenanthren ist zu etwa 3,5% im Steinkohlenteer enthalten und kann neben Anthracen aus der Anthracenölfraktion isoliert werden. Jedoch bereitet seine Reingewinnung wegen der geringeren Kristallisationsneigung (Smp. 100°) trotz des höheren Anteils größere Schwierigkeiten als die des Anthracens. Eine praktische Anwendung hat es bisher nicht gefunden. Dagegen trifft man einige kompliziertere Derivate mit einem mehr oder weniger weitgehend hydrierten Phenanthrensystem in verschiedenen Naturstoffen an (vgl. S. 461 f. und 507/8). e) H ö h e r k o n d e n s i e r t e r e i n a r o m a t i s c h e R i n g s y s t e m e Die lineare Anellierung von Benzolkernen liefert die Acene und ist über das Anthracen hinaus bis zum Heptacen mit sieben aneinander kondensierten Sechsringen durchgeführt worden:
Tetracen (Naphthacen) (rot)
vww Pentacen (blauviloett)
+ Oa
VWWW Heptacen (schwarzgrün)
Hexacen (grün)
A
o
I
1 e und f: Polycycliache aromatische Kohlenwasserstoffe
289
Die Verbindungen werden in der angegebenen Reihenfolge „tiefer farbig" (vgl. S. 394) und zeigen eine derartig starke Tendenz zu Anlagerungsreaktionen in meso-Stellung (in Analogie zum Anthracen, S. 286), daß Substitutionsreaktionen nicht mehr durchgeführt werden können. Vom Pentacen ab sind sie bereits luftempfindlich und bilden Endo-peroxyde vom Typus I (hier auch Photooxyde genannt). Sie können deswegen nur noch unter strengem Sauerstoffausschluß gehandhabt werden. Die entsprechende angulare Verknüpfung einer größeren Zahl von Sechsringen führt zu farblosen und wesentlich beständigeren Verbindungen. Beispielsweise konnten die folgenden drei Kohlenwasserstoffe aus dem Steinkohlen- oder Braunkohlenteer bzw. -pech isoliert werden:
c ^ R i P Chrysen Smp. 251« Sdp. 448°
^ ^ P
Picen Smp. 364° Sdp. 519«
Pentaphen Smp. 257"
Eine noch engere Kondensation zu Flächenmolekülen beobachtet man bei den z. T. ebenfalls im Steinkohlenteer auftretenden Verbindungen:
und Pyren Smp. 150° Sdp. 360»
>=
='
Terrylen Smp. 510-511«
Ihnen schließen sich im Coronen, Ovalen und Circum-anthracen drei synthetisch erhaltene Kohlenwasserstoffe an, die einen von weiteren Ringen vollständig eingeschlossenen Benzol- bzw. Naphthalin- bzw. Anthracenkern enthalten:
AAAAA W X / N / N / I W
I
i!
Hexabenzo-benzol oder Coronen Smp. 436° Sdp. 550*
VW Ovalen Smp. 473»
V
V
1
W
Circum-anthracen Sinter-P. 480«
In diesen polycyclischen Verbindungen zeigen sämtliche inneren G-Atome und Ringsysteme den gleichen Bindungszustand wie im Graphit. Sie können also als Übergangsverbindungen vom Benzol zum Graphit aufgefaßt werden. f) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t k o n d e n s i e r t e m B e n z o l t e n - bzw. C y c l o p e n t a d i e n r i n g
und
Cyclopen-
Baut man die C=C-Doppelbindungen des Cyclopentadiens ganz oder teilweise in Benzolkerne ein, so gelangt man ebenfalls zu interessanten Ringverbindungen. Das Monobenzo-cyclopentadien oder Inden kommt im Steinkohlenteer vor. Es besitzt noch eine alicyclische Doppelbindung und ist deshalb ähnlich reaktionsfähig wie das Cyclopentadien selbst. So neigt es z. B. trotz der nicht-endständigen Lage der Doppelbindung zur Polymerisation. Ferner wird die Aktivität der CH2-Gruppe durch den Einbau der einen Doppelbindung in einen Benzolkern nicht wesentlich 19
K l a g e s , Einführung org. Chemie
Kap. 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus
290
beeinflußt, und man kann daher wie vom Cyclopentadien Fulvene (I) und metallderivate (II) darstellen: (CH,),CO
Alkali-
+ Na
- 7, H,
— H,0
HNa
H, Inden
Ii
Das im Fünfring gesättigte Dihydro-inden hat den Namen Indan erhalten. Es zeigt keine besonderen Reaktionen der dem Benzolring benachbarten Methylengruppen mehr und ist die Muttersubstanz des interessanten Ninhydrins (= Triketo-indan-hydrat) das eine wichtige Farbreaktion mit natürlichen Aminosäuren gibt (S. 476): I
II
+ H2
o
Inden
Ninhydrin
Anelliert man an beide Doppelbindungen des Cyclopentadienringes je einen Benzolkern, so kommt man zum Fluoren, das ebenfalls einen wichtigen Bestandteil des Steinkohlenteers darstellt (etwa 1,5%, vgl. S. 387). In ihm sind sämtliche Doppelbindungen aromatisiert, so daß als besonders reaktionsfähige Gruppe des Cyclopentadienringes nur mehr die Methylengruppe übrigbleibt, deren H-Atome ebenfalls relativ leicht durch Metall ersetzt werden (S. 263) und Kondensationsreaktionen zu Fulvenen eingehen können:
=VE %
+ R—MgX — RH
\
f
FluorenyI-9magnesiumhalogenid
Fluoren
/
\
Fluorenon
/
\
/
Bis-diphenylen-äthylen
Eine letzte Kondensationsmöglichkeit des Cyclopentadiensystems mit zwei Sechsringen liegt im Acenaphthylen vor, das neben seinem Hydrierungsprodukt, dem Acenaphthen im Steinkohlenteer vorkommt (letzteres zu etwa 1%) und trotz der Kombination von Fünf- und Sechsring ein geschlossen konjugiertes Doppelbindungssystem im Molekül enthält. Von seinen Reaktionen sind die Oxydation zum Acenaphthenchinon1) (das ebenfalls nur die Eigenschaften eines aromatischen Diketons aufweist) sowie dessen oxydative Ringöffnung zur Naphthalsäure (S. 285) als Strukturbeweis von Interesse. Letztere stellt gleichzeitig die wichtigste Darstellungsweise für die Naphthalsäure dar: O o HOOC COOH
II!
I •
Acenaphthen
Oxydation
H,
Acenaphthylen
\ y v
Oxydation
Acenaphthenchinon
Exakter wäre Acenaphthylen-chinon oder Diketo-acenaphthen.
y \ / v
kJv
Naphthalsäure
2 a : Die HANTZscHsche Collidinsynthese
291
2. Das Pyridin und seine Derivate a) E i n f a c h e
Pyridinverbindungen
Ersetzt man im Benzol eine der GH-Oruppen durch ein N-Atom, so kommt man zum Pyridin, das das gleiche cyclisch konjugierte Doppelbindungssystem enthält wie das Benzol und infolgedessen ebenfalls ein ausgesprochen aromatisches Verhalten zeigt: H H
H H
H < _ > H
N
ITH
w
Benzol
Pyridin
Verbindungen, die sich in dieser Weise von einer zweiten durch Ersatz einer CH-Oruppe durch ein N-Atom ableiten, nennt man deren Azaderivate. Pyridin ist also ein Aza-benzol. Ähnlich spricht man beim Ersatz einer CH^-Gruppe durch ein O-Atom häufig von Oxa- und durch ein S-Atom von Thiaderivaten einer Verbindung. Z. B. kann man Tetrahydro-furan als Ooca-cyclopentan auffassen. Alle derartigen Beziehungen haben aber nur dann einen praktischen Wert, wenn das Aza-, Oxa- oder Thia-derivat auch eine gewisse Verwandtschaft mit der Grundverbindung aufweist, von der es abgeleitet wird. So wäre es etwa sinnlos, die aliphatischen Amine (S. 195f.) als Aza-parajfine zu bezeichnen, da es sich bei den Aminen um eine von den Paraffinen weitgehend abweichende Substanzklasse handelt.
Trotz der Einfachheit des Pyridinmoleküls ist bisher keine praktisch brauchbare Methode zu seiner Synthese entwickelt worden, sondern man begnügt sich mit seiner Gewinnung aus dem Steinkohlenteer. Dagegen werden Pyridinderivate des öfteren synthetisiert. Als Beispiel sei die HANTZscHsche Collidinsynthese angeführt, die wegen der Möglichkeit der Variation der Reaktionspartner zur Darstellung vieler Pyridinabkömmlinge geeignet ist. Im einzelnen beruht die Reaktion auf einer Verknüpfung der aktiven Methylengruppen zweier Acetessigestermoleküle durch die Carbonylgruppe eines Acetaldehydmoleküls unter gleichzeitigem Einbau des als Kondensationsmittel dienenden Ammoniaks in den entstehenden Ring. Dieser setzt sich also aus v i e r e i n z e l n e n T e i l s t ü c k e n zusammen: COOAlk CH,
A
COOAlk CH, :V O H NH
\¿-
O H
L
COOAlk CH 3 Dihydrocollidin-dicarbonsäureester
COOAlk CH, COOAlk CH, — H,
(N.O.)
H,C-
N
CH, 1. Esterverseifung 2 . • - 2 CO.
H,C
/
I COOAlk CH 3 Collidin-dicarbonsäureester 19*
h3 Collidin
Kap. 8, I I : Die cyclischon Verbindungen vom Benzoltypus
292
Infolge der Störung der Ringsymmetrie, durch das N-Atom sind nicht mehr alle CAtome des Pyridins gleichwertig. Man unterscheidet drei verschiedene Stellungen der Substituenten zum N-Atom (und damit jeweils drei verschiedene Monosubstitutionsprodukte), die in der üblichen Weise durch griechische Buchstaben oder durch Abzählen der Ringatome charakterisiert werden. Bei der Numerierung zählt man hier und bei allen folgenden Heterocyclen immer in der Weise, daß die Heteroatome möglichst niedrige Nummern erhalten. «
2
Kennzeichnung der Ringatome des Pyridins
Die physikalischen Eigenschaften einiger Pyridinabkömmlinge sind in Tabelle 17 zusammengestellt. Der gegenüber den entsprechenden Benzolverbindungen um 20—40° gesteigerte Siedepunkt dürfte hauptsächlich auf das ziemlich hohe elektrische Dipolmoment der PyridinVerbindungen zurückzuführen sein. Tabelle 17
T r i v i a l n a m e n und p h y s i k a l i s c h e K o n s t a n t e n e i n i g e r P y r i d i n d e r i v a t e Trivialnamen
rat. Benennung
Sdp.
Smp.
Pyridin a-Picolin /?-Picolin y-Picolin a,y-Lutidin sym-C(K)ollidin
2-Methyl-pyridin 3-Methyl-pyridin 4-Methyl-pyridin 2,4-Dimethyl-pyridin 2,4,6-Trimethyl-pyridin
116° 128° 143» 143° 159» 171»
—42° —70°
Chinolin Chinaldin Lepidin Isochinolin Acridin
2,3-Benzo-pyridin 2-Methyl-chinolin 4-Methyl-chinolin 3,4-Benzo-pyridin 2,3,5,6-Dibenzo-pyridin
238» 247» 259° 241» 346°
— 15» — 1» 10° 25» 110»
— — — —
D/T. fl. 0,977/20» 0,950/15° 0,961/15» 0,957/15» 0,938/14» 0,917/20» 1,093/20» 1,059/20» 1,086/20° 1,098/20» —
Pyridin zeigt ein sehr gutes Lösungsvermögen, da es nicht nur lipophil ist wie Benzol sondern auch ausgesprochen hydrophil (vgl. S. 359). Z. B. kann es mit Wasser in jedem Verhältnis gemischt werden und vermag auch einige Salze aufzunehmen.
Pyridin eignet sich deshalb vor allem als Medium für Reaktionen, die mit dem Auftreten von Säuren verbunden sind (z. B. für Acylierungen, S. 128), da diese unter Bildung von Salzen abgefangen werden. Die chemischen Reaktionen des Pyridins lassen sich unterteilen in 1. die Umsetzungen des Stickstoffs, 2. die aromatischen Reaktionen des Pyridinkerns und 3. die Ringöffnungsmöglichkeiten. Zu 1. Der Pyridinstickstoff reagiert deutlich basisch. Jedoch ist die Basizität relativ gering gegenüber aliphatischen Aminen und entspricht mit einem pKb-Wert von 8,77 für Pyridin (bzw. 9,20 für Chinolin) etwa der der Anilinbasen (S. 206). Ferner kann das Pyridin wie andere tertiäre Amine am Stickstoff zu Pyridiniumsalzen alkyliert und zum Pyridin-oxyd oxydiert werden. Neuartig ist außerdem die Addition von Säurederivaten, z. B. von Schwefeltrioxyd zu dem Sulfonierungsmittel Anhydro-pyridin-schwefelsäure (S. 246) oder von dem sich wie ein Säurechlorid verhaltenden 2,4-Dinitro-cMorbenzol zum N- [2,4-Dinitrophenyl] -pyridinum-chlorid:
2 a: Die Reaktionen des Pyridinkerns N—Alk
+ B—CO—OOH - B-COOH
+ Alk-Hai
Hai
N-Alkyl-pyridinium-halogenid
/\=
o2K c r
(
293
Pyridin-oxyd
N + so,
+fflQ,),-C.H,-Cl |
N-[2,4-Dinitrophenyl]-pyridlnlum-chIorid
/,—Q
/
^N—S03
Anhydro-pyridinschwefelsäure
Zu 2. Der Stickstoff beeinflußt das aromatische Verhalten des Pyridinkerns wie ein typischer Substituent 2. Ordnung (S. 62), d. h. er dirigiert neu eintretende Substituenten in die m-Stellung (bzw. die ß-Stellung des Pyridinkerns) und wirkt gleichzeitig reaktionshemmend. Die Herabsetzung der Substitutionsgeschwindigkeit ist beim Pyridin selbst sogar so groß, daß es im allgemeinen unmöglich ist, die normalen Substitutionsreaktionen in erträglicher Ausbeute durchzuführen. Dagegen beobachtet man eine, wenn auch durch die Aromatisierung geschwächte Anlagerungsneigung der C=N-Doppelbindung für stark basische Reagenzien (insbesondere für Natriumamid nach A. TSCHITSCHIBABIN [ab 1914] und für lithiumorganischen Substanzen nach K. ZIEGLEE [ab 1930]). Die Reaktionen verlaufen zunächst der Addition der gleichen Stoffe an C=0-Doppelbindungen analog, doch sind die Primärprodukte nur selten faßbar und erleiden meistens die angedeutete Rearomatisierung durch Abspaltung von Metallhydriden bzw. Wasserstoff: H, \
A Hydrolyae 1 \ X 1 T XNH \ N 2 Na Ä-Amino-pyridin
+ JfaKH,
H NH,
+ U - B . II V
I
-MH
||
|
Li
Auch in einem anderen Falle verhält sich die C=N-Doppelbindung des Pyridinkerns der C=0-Doppelbindung von Oxoverbindungen analog: Sie vermag eine benachbarte Methylgruppe in gleicher Weise zu aktivieren und zu Kondensationsreaktionen zu befähigen. Z. B. entsteht aus oc-Picolin ( = tx-Methyl-pyridin) und Acetaldehyd im Sinne einer Aldolkondensation das x-[ 2J-Hydroxy-propyl]-pyridin (I):
I
OH
II CH 3 + a-Picolin
0=CH—CH3
^ N^CHJ,—CH—CH3
Die Reaktion stellt die Hauptstufe der von A. LADENBTJRG (1886) durchgeführten Synthese des Alkaloids Goniin (S. 501) dar, die als erste Alkaloidsynthese (vgl. III, Kap. 7, III, 3b) historisches Interesse erlangt hat.
Schließlich weist das a-Hydroxy-pyridin am a-ständigen C-Atom die Struktur eines Carbonsäure-imids auf und ist wie dieses mit einer Carbonsäureamidform, dem a-Pyridon, tautomer. Eine ähnliche Tautomerie beobachtet man zwischen y-Hydroxy-pyridin u n d y - P y i d o n :
294
K a p . 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus
a-Hydroxy-pyridin (Säurpimid-Form)
a-Pyrldon (Säureamid-Form)
y-Hydroxy-pyridin
y-Pyridon
Zu 3. Der nicht-substituierte Pyridinring ist gegenüber Säuren, Alkalien Oxydationsmitteln außerordentlich beständig.
und
Erat in den Pyridiniumsalzen wird er labiler, und insbesondere nach Anlagerung eines Säurerestes an das N-Atom kann man leicht eine solvolytische Aufspaltung vornehmen. Beispielsweise entsteht nach P. BAUMGARTEN (1926) bei der Einwirkung von Natronlauge, auf Anhydro-pyridin-schwefelsäure (II) zunächst unter hydrolytischer Zerlegung beider Ring-G--N-Bindungen das Natriumsalz des Glutacon-dialdehydmonoenols (III), das dann beim Ansäuren den (in zwei tautomeren Formen existierenden) Olutacon-dialdehyd selbst liefert:
V
"i^ffi G j^I-SO,
H,0
— H 2 N—SO,H
+
fl
/ — = 0
Ansäuern
\=—ONa
HONa
=—OH
in
II
=0
=0
=0
Glutacon-dialdehyd
Einzelverbindungen: Pyridin und einige seiner höheren Homologen sind zu etwa 0,1% im Steinkohlenteer enthalten und können aus der Leichtölfraktion mit Säuren extrahiert werden. Das rohe Basengemisch findet Verwendung zur Denaturierung von Spiritus. Aus ihm läßt sich durch Feinfraktionierung nur das Pyridin selbst unter wirtschaftlich erträglichen Bedingungen rein gewinnen. Die Base besitzt einen charakteristischen widerwärtigen Geruch und dient hauptsächlich in der schon geschilderten Weise (S. 292) als basisches Reaktionsmedium für Umsetzungen, die mit der Entwicklung von Säuren verbunden sind. Die Methylderivate des Pyridins führen meistens Trivialnamen, und zwar heißen die Monomethyl-pyridine a - , ß - u n d y-Picolin, die Dimethyl-pyridine Lutidine (z.B. oc,ß-Lutidin in Tabelle 17) u n d die Trimeihyl-pyridine Collidinc (oder Kollidine). Ihre Bedeutung als Einzelverbindungen ist n u r gering. Pyridin-carbonsäuren entstehen in großer Zahl als oxydative Abbauprodukte natürlicher Pyridinabkömmlinge. Wie die folgenden Beispiele zeigen, werden sie meistens nach diesen benannt : COOH
COOH
COOH
COOH
N Nicotinsäure Pyridin-3-carbonsäure
Isonicotinsäure Pyridin-4-carbonsäure
COOH
Chmolinsäure Pyridin-2,3-dicarbonsäure
COOH
N' Cinchomeronsäure Pyridin-3,4-dicarbonsäure
Schließlich seien noch drei pharmazeutisch wichtige Pyridinderivate genannt, die sich von der Nicotinsäure, der Isonicotinsäure u n d dem cn-Amino-pyridin ableiten:
2 b a : Das Chinolin und seine Derivate
CO-N(CA)2
I Coramin
^
y
III
295
II
I
II
Neoteben, Rimifon oder Nydrazid
Sulfa-pyridin
Coramin dient als Herzanregungsmittel, während Neoteben gegen Tuberkulose Verwendung findet. Sulfa-pyridin ist schließlich als ein Sulfonamid (S.250) der Pyridinreihe von Interesse.
b) D i e B e n z o d e r i v a t e des P y r i d i n s a) Das Chinolin und seine Derivate Die Anellierung eines Benzolrings an den Pyridinkern in 2,3-Stellung führt zum Chinolin, das auch x-Aza-naphthalin oder 2,3-Benzo-pyridin genannt werden kann. Es hat seinen Trivialnamen als Abbauprodukt der Chinaalkaloide (S. 505) erhalten. Für die rationelle Benennung der Chinolinderivate ist außer der Abzahlung der Ring-Atome ebenfalls die Verwendung von Buchstaben gebräuchlich, und zwar bezeichnet man die C-Atome des Pyridinkerns wie beim Pyridin selbst durch griechische Buchstaben, während die Stellung der Substituenten des Benzolkerns in der üblichen Weise durch die Präfixe o-, m- und p- (zum Stickstoff) festgelegt wird. Lediglich die zweite m-Stellung an C 6 hat einen neuen Namen erhalten und wird „araa"-Stellung (abgekürzt a-Stellung) genannt.
Für den Chinolinring sind mehrere Synthesen ausgearbeitet worden (Näheres vgl. I, Kap. 11, II, 2c), von denen die von Z. H. SKBAUP (1880) die bekannteste ist. D i e Chinolinbildung n a c h SKKAUP
0
YN^
^
findet bei der Einwirkung von Olycerin und konzentrierter SchwefelY ^ säure auf Anilin in Gegenwart eines Dehydrierungsmittels statt. Vermutlich wird aus dem Glycerin zunächst Acrolein (I) gebildet, an das sich das Anilin im Sinne einer 1,4-Addition anlagert (zu II). Anschließend findet unter dem Einfluß der Säure eine ringschließende Kondensation zum Dihydrochinolin (III) statt, das schließlich durch das Dehydrierungsmittel — meistens Nitrobenzol, das hierbei in die Ausgangsverbindung Anilin übergeht — zum eigentlichen Chinolin dehydriert wird: II H
0=.
•NH
>
HI('C\
1,4-Addition
I
W II
_H,0
• Y ^ ^
N
H
III
-H, / Chinolin
Während sich der Pyridinring des Chinolins ähnlich verhält wie im Pyridin selbst, wird der Benzolring durch das unmittelbar an ihm befindliche N-Atorn in ähnlicher Weise aktiviert wie in den Anilinhasen. III Hl
Substitutionsreaktionen greifen daher ausschließlich den Benzolkern an und zwar vor allem in p- oder (etwas weniger häufig) in o-Stellung zum Stickstoff.
Ferner wird wegen dieser Aktivierung durch den Stickstoff bei der Einwirkung von Oxydationsmitteln nur der Benzolkern abgebaut, und es entsteht die oben bereits erwähnte Chinolinsäure:
Kap. 8, II: Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypua
296
|
||
J
Oxydation
X /
N'7
^
—
HOOC
Chinolin
Chinolinsäure
Die Reaktion war für die Strukturbestimmung des Chinolins von Bedeutung, denn sie beweist: 1. das Vorhandensein eines Pyridinkerns im Molekül und 2. die Angliederung des (durch diese Reaktion allerdings nicht streng nachgewiesenen) Benzolkerns in 2,3-Stellung an den Pyridinring.
Einzel Verbindungen: Chinolin kommt ebenfalls im Steinkohlenteer vor, wird aber meistens synthetisch gewonnen. Es ist wie Pyridin eine sehr beständige, unangenehm riechende, flüssige Base, die in ähnlicher Weise als basisches Reaktionsmedium Verwendung findet, wenn höhere Temperaturen erforderlich sind. Ferner dient es als Ausgangsmaterial für Farbstoffsynthesen. Als pharmazeutisch interessante Chinolinderivate seien angeführt das Antimalariamittel Plasmochin und das gegen dicht wirksame Atophan. Auch der Methyl- und der Äthylester des Atophans finden unter den Decknamen Novatophan und Atoehinol Verwendung als Antigichtmittel: COOH COO—R CH3OX
K A J NH
' s A A c a
^ A c y a .
2—¿H—( CH2)3—N( C2H6)2 Plasmochin
Novatophan (für R = CH3) Atoehinol (für R = C2H5)
Atophan
ß) Isochinolin und Acridin Das mit dem Chinolin isomere 3,4-Benzo-pyridin (ß-Aza-naphthalin) führt den Namen Isochinolin. Es kommt in sehr geringen Mengen ebenfalls im Steinkohlenteer vor, hat aber bisher nur wenig Interesse gefunden. Dagegen begegnet man einigen komplizierteren Isochinolinderivaten in der Alkaloidreihe (S. 506). Das Isochinolin zeigt vielfach ein dem Chinolin ähnliches Verhalten. Nur ist der Benzolkern wesentlich reaktionsträger, weil er nicht mehr unmittelbar mit dem Stickstoff verbunden ist und deshalb die durch diesen bedingte Aktivierung fortfällt. Z. B. werden hier bei der Einwirkung starker Oxydationsmittel beide Kerne gleich schwer angegriffen, und man erhält ein Gemisch von Cinchomeronsäure und Phthalsäure:
HOOC
3 |
Oxydation
2N
HOOC/ Cinchomeronsäure
Isochinolin
^ C O O H Oxydation
I II "VXcooh Phthalsäure
Die Reaktion ist wiederum für die Konstitution beweisend, denn aus ihr folgt zwangsläufig: 1. die Anwesenheit eines Pyridinringes und zweitens die eines Benzolringes im Isochinolinmolekül sowie schließlich 3. die Verknüpfung beider Ringe in 3,4-Stellung des Pyridinkerns.
2 c: Sechsgliedrige Ringsysteme mit mehreren N-Atomen Das 2,3,5,6-Dibenzo-pyridin h a t den Trivialnamen Acridin erhalten. E s k o m m t ebenfalls im Steinkohlenteer vor, h a t aber als Einzelverbindung bisher keine Bedeutung erlangt. Acridin ist nur noch sehr schwach basisch, so daß seine Salze in wäßriger Lösung sofort hydrolytisch zersetzt werden. Auch vom Acridin leiten sich einige Pharmazeutika ab, von denen das Antimalariamittel Atrebin und das gegen Amöbenruhr wirksame Rivanol als Beispiele angeführt seien (vgl. auch S. 402):
\
A
n
Acridin
V
NH,
N H - C H ( CH 3 )—(CH 2 ) 3 -N( C 2 H 5 ) 2 CH.O
297
W K
NH,
ci
c) S e c h s g l i e d r i g e
Ringsysteme mit mehreren
N-Atomen
Man unterscheidet drei Diaza-benzole oder Diazine, in denen sich die N-Atome in o-, m- oder p-Steüung zueinander befinden. Sie haben neben der rationellen Bezeichnung als Diazine die folgenden Trivialnamen erhalten:
5
A 5 SN
31|
1,2- oder o-Dlazln Oiazin Pyridazin
s 6
21|
6
8 2N V / N
1,3- oder m-Dlazln Mlazin Pyrimidin
:
1,4- oder p-Dlazin Piazin Pyrazin
Von ihnen hat lediglich das Pyrimidin als Muttersubstanz zahlreicher Naturstoffe und auch Kunstprodukte Interesse gefunden. Beispielsweise sind die Barbitursäure (S. 176), die Purine (S. 490f.) sowie die einkernigen Nuclemsäurebauateine Uracil, Thymin, Cystosin usw. (S. 493) Pyrimidinabkömmlinge. Ferner kennt man einige dem Sulfa-pyridin (S. 295) entsprechend konstituierte Sulfonamide (S. 250) der Pyrimidinreihe:
NH—SO.
/
\
NH 2
Sulfa-pyrimidin (für R = R ' = H) 2-Sulfa-4-methyl-pyrimidin (für R = CH 3 ; R ' = H) 2-Sulfa-4,6-dimethyl-pyrimidin (für R = R ' = CH a )
Auch von den drei isomeren Triaza-benzolen Nb^T
oder Triazinen:
4 5
31
/5 X 6
N
1,3,5- oder sym-Triazin
IT
1,2,3- oder vic-Trlazin
X
3j
2N NX
1,2,4- oder as-Triazin
hat nur eines, und zwar das sym-Triazin größere Bedeutung erlangt; denn seine an den drei C-Atomen mit negativen Liganden besetzten Derivate sind Kohlensäureabkömmlinge und stellen speziell die auf S. 147 beschriebenen Cyanursäureverbindungen dar.
298
Kap. 8, I I : Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus
Als einziges der drei möglichen Tetraza-benzole oder Tetrazine konnte bisher das symmetrische 1,2,4,5-Tetrazin in Form der aromatischen GrundVerbindung gewonnen werden (Näheres vgl. I, Kap. 11, I I , 3 c). Es ist trotz des hohen Stickstoffgehalts eine ziemlich temperaturbesländige Substanz, die eine dunkelrote Farbe aufweist und unzersetzt sublimiert werden kann (Smp. 99°) l Pentazin mit fünf und Hexazin mit sechs Ring-N-Atomen sind noch nicht darTetrazin gestellt worden..
3. Sauerstoff- und schwefelhaltige aromatische Sechsringe Sauerstoff und Schwefel können die CH-Gruppe des Benzols nur ersetzen, wenn sie den dreibindigen Oniumzustand annehmen. III Hl
Aromatische Sechsringe mit Sauerstoff oder Schwefel als Ringatom sind also nur in Form von Oxonium- bzw. Sulfoniumsalzen möglich.
Die einfachsten Verbindungen dieses Typus sind die Pyryliumsalze, die u. a. nach A. v. B A E Y E R (1911) bei der Einwirkung starker Säuren auf 2,4,6-Trimethyl-pyranol (I) entstehen und schon durch Wasser wieder rückwärts zum Pyranol zersetzt werden:
H3Cx
/OH
HC
CH
X
HjC
O
CH, + H;C10„— H,0
H,C
CH,
-V
HC
+ H,0,—HC1Q,
CH
x
cr
cior
CH,
2,4,6-Trimetbyl-pyrylium-perchIorat Sie sind die am leichtesten zugänglichen und auch die beständigsten Oxoniumsalze, die wir kennen, weil hier die Oxoniumsalzbildung durch die freigesetzte Aromatisierungsenergie des Sechsrings unterstützt wird (bez. weiterer Oxoniumsalze vgl. I, Kap. 4, I, 2d).
Einem nahe verwandten aromatischen Sechsringtypus begegnen wir in den Salzen der y-Py1"0116 und y-Thio-pyrone. Die freien Pyrone und Thio-pyrone sind formal noch nicht aromatisch, zeigen aber infolge einer Mesomerie mit der aromatischen Struktur I I eine starke Basizität am in 4-Stellung befindlichen Sauerstoff, auf Grund deren sie mit starken Säuren Salze (z. B. III) bilden, die als hydroxylierte Pyrylium- bzw. Thio-pyryliumsalze aufgefaßt werden müssen. Der p Kb -Wert des unten formulierten Dimethyl-pyrons beträgt 13,7 (etwa der Basizität des Diphenylamins entsprechend), so daß die Salze in Gegenwart eines großen Säureüberschusses auch in wäßriger Lösung beständig sind:
/o\
101© I
+ HCl
10—H I er
AfJk Dimethyl-pyron (für X = 0 ) Dimethyl-thiopyron (für X = S)
II
in
299
Kap. 8, III: Die aromatischen Fünfringe
III. Die aromatischen Fünfringe Wie auf S. 343 erörtert wird, nehmen auch Fünfringe einen aromatischen Charakter an, wenn sie zwei Doppelbindungen und ein Heteroaiom mit einem einsamen Elektronenpaar im Ring enthalten. Die wichtigsten Beispiele sind: ß'
ß
•i
4
3
5
(2
ß' a
ß a
4 und
2
6
ß' x
ß a
N H i
'O' 1
1
Pyrrol
Furan
Thtophen
deren Derivate in der angegebenen Weise durch griechische Buchstaben oder Zahlen charakterisiert werden. 1. Die Verbindungen vom Pyrroltypus a) D a s P y r r o l u n d s e i n e D e r i v a t e Neben den auf S. 167 und 176 beschriebenen Bildungsweisen des Pyrrolrings hat für die präparative Pyrrolgewinnung vor allem die thermische Zersetzung des Ammoniumsalzes der Schleimsäure (S. 430) praktische Bedeutung erlangt. Die Reaktion beruht auf der primären Abspaltung der beiden zu den Carboxylgruppen ß-ständigen OH-Gruppen zur Dienol-dicarbonsäure I, deren enolische Hydroxylgruppen sich dann (vermutlich nach intermediärer Ketisierung) mit Ammoniak, das bei der hohen Temperatur immer in Spuren anwesend ist, zur sekundären Aminogruppe umsetzen. Schließlich erleidet die hierbei entstehende Pyrrol-dicarbonsäure eine zweifache Decarboxylierung zum Pyrrol selbst: OH H j : ¡ .COO"NHi "CH—Cr OH .OH CH—c/ I : I \x)0~NHJ OH H
COOH
CH=C / 1. — 2 H , 0 2. Freisetzung von NH, und den Carboxylgruppen
OH
,OH CH=C
CH=C/
+ H.ÍNH — 2H,0
COOH, ^NH
ÖH=C
^MgHal
Zu 2. Die aromatische Natur des Pyrrolkerns kommt vor allem in seiner Befähigung zu zahlreichen Substitutionsreaktionen zum Ausdruck, die ähnlich leicht verlaufen wie die der Phenole und Anilinbasen.
Insbesondere kann man Pyrrol halogenieren (ohne Halogenüberträger), schon mit freier Salpetersäure nitrieren, nitrosieren und mit Diazoverbindungen kuppeln.Wegen der Säurelabilität des Pyrrolsystems sind jedoch nicht durchführbar die in stark saurem Medium vor sich gehenden Verfahren der Sulfonierung und der Nitrierung mit Nitriersäure. Bei allen Substitutionsreaktionen tritt der Substituent bevorzugt in die cc-Stellung und erst nach deren Besetzung in die ß-Stellung. Doch sind alle vier C-Atome relativ leicht substituierbar, so daß man z. B. bei der Jodierung in einem Reaktionsgang das unten erwähnte Tetrajod-pyrrol erhalten kann. Ebenfalls wie bei den Phenolen und Anilinbasen beobachtete man eine gewisse Tendenz zur „Kernnanderung" der am Heteio&tom befindlichen Substituenten. Z. B. lagern sich N-Methylpyrrol und N-Acetyl-pyrrol bei höherer Temperatur in a-Methyl- bzw. a-Acetyl-pyrrol um. Zuweilen entstehen sogar statt der erwarteten N-Derivate direkt die C-Substitutionsprodukte. Besonders bei der Umsetzung der Pyrrol-magnesiumhalogenide ist dies häufig der Fall: ^J^JJ /
Alkyllerung oder Acylierung Acylierung
NMgX
+C
°'
Alk(Ac)
s
COOMgX
Da der aromatische Zustand des Pyrrolrings nicht so stark ausgeprägt ist wie der des Benzols, beobachtet man hin und wieder auch Additionsreaktionen an die C=CDoppelbindungen. Z. B. reduziert nascierender Wasserstoff unter 2,5-Addition zum Pyrrolin, das katalytisch weiter zum Pyrrolidin hydriert werden kann. Letzteres entsteht auch bei der direkten katalytischen Hydrierung von Pyrrol, weil hier die (wegen der Aufhebung des aromatischen Systems) nur langsam anfallende Zwischenstufe des Pyrrolins so schnell weiterreagiert, daß sie nicht mehr isolierbar ist: =\
NH
Pyrrol
kat. Hydrierung (langsam) + H , (nasc.) (2,5-Additlon)
kat. Hydrierung (rasch) Pyrrolin
NH Pyrrolidin
1 b : Indol und Carbazol
301
Die Endungen -ol für die aromatische Grundverbindung, -olin für deren Dihydro- und -olidin für deren gesättigtes Tetrahydroprodukt werden für alle dem Pyrrol analog konstituierten fünfgliedrige stickstoffhaltige Heterocyclen in gleicher Weise verwandt. Z. B. leiten sich vom Pyrazol (S. 303) das Pyrazolin und Pyrazolidin, vom Oxazol (S. 307) das Oxazolin und Oxazolidin ab usw.
Ebenfalls ein aliphatisches Verhalten zeigt das Doppelbindungssystem bei der Einwirkung starker Säuren, die das einsame Elektronenpaar des Stickstoffs unter Salzbildung binden und dadurch die Aromatisierung auflieben. III Hl
Pyrrol und viele seiner Derivate verhalten sich deswegen in Gegenwart starker Mineralsäuren wie Polyolefine und neigen zur Polymerisation bzw. Verharzung.
Am bekanntesten ist die intensive Rotfärbung eines mit Salzsäure getränkten Fichtenspans, wenn man ihn kurze Zeit in Pyrroldämpfe hält. Sie dient unter der Bezeichnung Fichtenspanreaktion als wichtiger Nachweis für Pyrrolverbindungen und hat diesen auch den Namen gegeben (von griech. iruppös = feuerrot). Die Einzelverbindungen der Pyrrolreihe sind nur von untergeordneter Bedeutung. Pyrrol selbst kommt im Steinkohlenteer vor und kann aus der Leichtölfraktion mit Kalium als Kaliumsalz ausgezogen werden. Das aus ihm bei der Jodierung entstehende Tetrajod-pyrrol findet Verwendung als Desinfektionsmittel. Zahlreiche Alkylderivate und Carbonsäuren des Pyrrols haben als Abbauprodukte des Blutund Blattfarbstoffs (S. 413f.) ein gewisses Interesse gefunden. Ferner stellen der Blutfarbstoff und das Blattgrün selbst komplizierte natürliche Pyrrolderivate dar.
b) I n d o l u n d Carbazol Das 2,3-Benzo-pyrrol ist die Grundverbindung des Indigos (S. 405) und hat deshalb den Trivialnamen Indol erhalten. Seine Darstellung geschieht am besten durch Reduktion des für die Indigosynthese benötigten Indoxyls (s. unten). Für die Gewinnung alkylsubstituierter Indole hat E. F I S C H E R ein interessantes Verfahren in der durch Schwermetallhalogenide a p katalysierten thermischen Umlagerung der Phenylhydrazone von Oxom ß verbindungen entwickelt. Die Reaktion führt bei Verwendung von Aceton-phenylhydrazon zum a-Methyl-indol. Vermutlich beruht sie auf einer der Benzidinumlagerung (S. 221) ähnlichen komplizierten Molekülumgruppierung der „Enaminform" des Aceton-phenylhydraIndol zons (zu I) mit anschließendem Ringschluß-.
Indol kommt ebenfalls im Steinkohlenteer vor und kann wie das Pyrrol durch Behandeln mit Kalium als Kaliumsalz ausgezogen werden (aus der Mittelölfraktion). Auch im übrigen zeigt es im wesentlichen die gleichen Umsetzungen wie Pyrrol. Nur wird hier bei Substitutionsreaktionen fast ausschließlich die ß-Stellung besetzt. Mit Säuren tritt erst bei höherer Temperatur Verharzung ein. Das ß-Methyl-indol oder Skatol kommt als biochemisches Abbauprodukt der Eiweißaminosäure Tryptophan (S. 474) in den Fäces vor und ist einer ihrer Hauptgeruchsträger.
302
Kap. 8, I I I : Die aromatischen Fünfringe
Die beiden im Pyrrolkern hydroxylierten Indole haben die Trivialnamen Oxindol und Indoxyl erhalten. Sie sind jeweils zwischen einer Enol- und einer Ketoform tautomer: XN,
.
/ V
, H
X X "
""
/ >
H
H
Oxindol
^
Indoxyl
A
o
Isatin
Die „Ketoform" des Oxindols hat Lactamstruktur und stellt speziell das Lactam der o-Aminophenylessigsäure dar. Man kann Oxindol daher durch Reduktion von o-Nitro-phenylessigsäure (mit anschließend spontan erfolgender Lactamisierung) synthetisieren. Indoxyl ist ausschließlich im Zusammenhang mit der Indigochemie von Interesse (Näheres vgl. S. 405). Als höchstes Oxydationsprodukt des Indols sei schließlich noch das Isatin angeführt, das als Endprodukt des oxydativen Abbaus des Indigos und aller einfachen Indolverbindungen entsteht.
5
4 /Vg || l2 I^X^ H 1
U 8
carbazol
Auch das Dibenzo-pyrrol oder Carbazol ist ein Teerbestandteil und kann aus der Anthracenölfraktion wiederum mit Kalium, extrahiert werden. Sein Schmelz- (238°) und Siedepunkt (355°) liegen bereits außerordentlich hoch. Wegen des Einbaus aller Doppelbindungen in Benzolkerne zeigt Carbazol keine Säurelabilität mehr. Es bildet mit starken Säuren Salze, die allerdings wasserunbeständig sind. In der Technik dient es als Ausgangsverbindung für Farbstoffsynthesen.
c) F ü n f r i n g e m i t m e h r e r e n N - A t o m e n (Azole) Ähnlich wie vom Benzol leiten sich auch vom Pyrrol eine Reihe von Azaderivaten durch Ersatz einer oder mehrerer CH-Gruppen durch N-Atome ab. Ihre Namen führen allgemein die Endung -azol und von drei Ring-N-Atomen ab außerdem das diesen entsprechende griechische Zahlwort:
2.•J
5
H
5
-N
r~iN
2||
i
H
Pyrazol
N-
II 2N
6
V
H
Imidazol
1,2,3-Triazol
Iis 2N
2N
N /
N /
H
H
H
1,2,4-Triazol
N- -N II 1 N
Fentazol
Tetrazol
Für die Darstellung dieser Heterocyclen sind verschiedene Additionsreaktionen aliphatischer Diazoverbindungen (bzw. der mit ihnen nahe verwandten Stickstoffwasserstoffsäurederivate) an die Dreifachbindungen von Aceiylenen, der Blausäure oder selbst von Diazoniumsalzen allgemein anwendbar. Wie die folgenden nur für die Grundverbindungen formulierten Beispiele (meistens verwendet man kompliziertere Derivate, insbesondere der Diazo- bzw. Azidokomponente) zeigen, kann man durch Variierung beider Addenden auf diesem Wege viele der oben angeführten Ringsysteme synthetisieren: HC II + HC
©ICH, | ®N
/
Diazomethan
HC-
-CH,
HC
N
HCHC
-CH II N
V
HC III
HC
N +
III
N®
IN' H Pyrazol
StickstofTwasaerstoffsäure
HC-
-N
HC
N
N / H
1,2,3-Triazol
I c a : Das Pyrazol und seine Derivate N
N
N
III +
III
II
HC
Q
N®
__,
N
II
HC
\
fi/ H
N
;
®#N
C6H6-N^+
/
N
303
"NI®
/
C8H6-N^
GN=N®
N
=N |
N=N
H
Stickstoffwasserstoffsäure
Tetrazol
Azid-Ion
Phenyl-pentazol
a) Das Pyrazol und seine Derivate Im Pyrazol zeigen die beiden N-Atome einen verschiedenartigen Bindungszustand : Das N-Atom 1 ist als typischer Pyrrolstickstoff nicht basisch und zur Bildung von Metallderivaten befähigt, während das N-Atom 2 dem Pyridinstickstoff entspricht und dem Pyrazol eine schwache Basizität (p K b = 11,51) verleiht. Beide N-Atome vermögen durch Wanderung des Wasserstoffs unter gleichzeitiger Verschiebung der Doppelbindungen ihre Funktionen auszutauschen. Infolgedessen bildet sich zwischen den 3- und den 5-Substitutionsprodukten des Pyrazols eine Tautomerìe aus, und man kann nicht zwischen ihnen unterscheiden : 4
3||
5
2N
C H
CH,
5
3 3
iNH
X2/
N / H
3-Methyl-pyrazol
ö-Methyl-pyrazol
Der Pyrazolring enthält kein konjugiertes C=C-Doppelbindungssystem mehr und ist daher wesentlich beständiger als der Pyrrolring. Insbesondere fallen alle olefinischen Doppelbindungsreaktionen einschließlich der Säurelabilität fort. Hinsichtlich des phenolaromatischen Charakters ähnelt das Pyrazol dem Pyrrol.
Die wichtigste Darstellungsreaktion für Pyrazolabkömmlinge ist die schon auf S. 190 formulierte Kondensation von Acetessigester mit Phenylhydrazin zum 1 -Phenyl-3 -methyl-pyrazolon-5. Dieses dient als Zwischenprodukt f ü r die Gewinnung zahlreicher pharmazeutisch wichtiger Pyrazolderivate. Es hat seinen Namen als cyclisches „Keton"1) (I) eines Dihydro-pyrazols (= Pyrazolins, vgl. S. 301) erhalten, ist aber mit einer einen echten Pyrazolring enthaltenden Enolform (II) sowie einer zweiten Ketoform (III) tautomer: A N7
—n CH, N
HO/^N/ C H
6 6
il
i !
0
A
1—CH. NH
N 7 I
Iii
Die technische Weiterverarbeitung geschieht meistens durch Methylierung am N-Atom 2, die man am besten von der tautomeren Form I I I aus formuliert, zum l-Phenyl-2,3-dimethyl-5-pyrazolon (L. K n o r b 1884), das wegen seiner fiebersenkenden Wirkung Antipyrin genannt wird. Später wurde es durch das stärker fiebersenkend x
) Streng genommen handelt es sich um eine Säureamidgruppe und nicht um eine Ketogruppe.
304
Kap. 8, I I I : Die aromatischen Fünfringe
und gleichzeitig antineuralgisch wirkende Pyramidon ersetzt, das ein 4-Dimethylamino-antipyrin darstellt und aus Antipyrin durch Einführung der Dimethylaminogruppe auf dem folgenden Wege synthetisiert wird: CH,3 NH
^
0
A
N
AT^tV,.!! MethyUerung
II
"
y
0
^\
N
I1 CH, N /XC„
TIWA HNO,
"
ON 7I
-|1 CH. N X /X 0^ N CH,
k
III
Antipyrin
+ 2H, H2N—|=i—CH3 -H,0 ' N CT^N^CH,
MethyUerung
4-Nitroso-antipyrin
(CH3)2N—r O
1 CH 3 N N^CH, 6 6
4-Amlno-antipyrin
Pyramidon
ß) Die höheren Azole Imidazol kann durch Kondensation v o n Olyoxal mit Ammoniak und Formaldehyd gewonnen werden. E s führte deswegen früher auch den N a m e n Glyoxalin: HC=0 HC
\
O
+
Hs N H 0 = CH,
— 3 H,0
HC=N
í kH
H,
H, N H
HC- - N H II ¿H HC
H C - -N II HC CH H
tautomere Formen des Imidazols
Der zwischen den N-Atomen eingeschlossene Ringkohlenstoff weist einen ähnlichen Bindungszustand auf wie der Amidinkohlenstoff (S. 136). Hierauf ist vermutlich die gegenüber dem Pyrazol wesentlich erhöhte Basizität de Imidazols (px b = 6,83) zurückzuführen. Imidazol selbst ist ohne Bedeutung geblieben, doch kommen -N zahlreiche seiner Derivate (z. B. Histidin [S. 474], Kreatinin [S. 215] ZW; usw.) natürlich vor. Auch in das Purinsystem (S. 490) ist ein Imidazol•N^C.H, \ kern eingebaut. Ein pharmazeutisch wichtiges Imidazolderivat stellt das nebenstehend formulierte Antihistaminpräparat Antistin dar. Antistin 1,2,3-Triazol und 1,2,4-Triazol (bez. der Formulierung vgl. S. 302) sind trotz der Häufung der N-Atome recht beständige Verbindungen, die bisher jedoch keine praktische Anwendung gefunden haben. Erwähnenswert ist lediglich daa zwitterionenartige Kondensationsprodukt aus TriphenyUimino-guanidin und Ameisensäure: NC 4 H 5 —N—C + Hi \. NH
CH—OH
Triphenyl-aminoguanidin
— 2H,0
N e II C,H6—N-C
N—C,Hj CH
Nitron
Es reagiert wegen der Anwesenheit des negativ geladenen N-Atoms relativ stark basisch und gehört zu den wenigen Basen, die mit Salpetersäure ein schwerlösliches Salz bilden.
2 a : Das Furan und seine Derivate
305
Die Verbindung findet aus diesem Grunde in der analytischen Chemie unter dem Decknamen Nitron Anwendung als Salpetersäurereagenz.
Das Tetrazol ist trotz der Aneinanderreihung von vier N-Atomen ebenfalls eine recht beständige Verbindung, die man sowohl aus Form-hydrazidin (I) und salpetriger Säure mit Hilfe einer Kondensationsreaktion als auch aus Stickstoff wasserstoffsäure und Blausäure mit Hilfe einer Additionsreaktion synthetisieren kann: NHC
+
\ ' H H
• 2 H,0
N
N — N II II
HC
HO/
N
N
N
N
II +
HC
EIN
/ H
/
Tetrazol
Die Häufung der N-Atome bewirkt einerseits eine Herabsetzung der Basizität der Aza-N-Atome (z. B. wird nur noch mit Perchlorsäure ein wasserunbeständiges Salz gebildet), andererseits eine Erhöhung der Acidität der NH-Oruppe auf annähernd die Stufe der Essigsäure. Im übrigen ist der Tetrazolkern aromatisch, und man kann beispielsweise die C-Aminoverbindung wie Anilin zum Diazoniumsalz diazotieren. Von den Derivaten des Tetrazols sind wir dem 1,1-Azo-tetrazol bereits früher begegnet (S. 232). Es gehört mit einem Verhältnis von zehn N- zu zwei C-Atomen zu den stickstoffreichsten organischen Verbindungen, die wir kennen. Ein pharmazeutisch wichtiges Tetrazolderivat ist das Herzanregungsmittel Cardiazol. Ferner leiten sich vom Tetrazol einige Tetrazoliumsalze ab, die auffallend leicht eine reduzierende Ringöffnung zu den (als Azoverbindungen roten) Formazanen erleiden und umgekehrt aus den Formazanen durch dehydrierenden Ringschluß synthetisiert werden können: N = N
-N—NH—Ar
X
I /N N=C^
CHa—CH2 [ Cardiazol
Ar—CÌ :
+ HCl, — H, (Pb[OAc],)
N=N—Ar
+ H „ - HCl
Triaryl-formazan
Ar—C:J
.N—N—Ar N=N—Ar
er
Trlaryl-tetrazollum-chlorld
Die reduzierende Spaltung der Tetrazoliumsalze zu den intensiv roten Formazanen erfolgt auch innerhalb biochemischer Redoxsysteme bei genügend hohem Reduktionspotential. Man verwendet die Tetrazoliumsalze deswegen zuweilen als Indikatoren f ü r die Sichtbarmachung von biochemischen Reduktionsprozessen. Das Pentazol mit ausschließlich N-Atomen im Ring galt lange Zeit als nicht existenzfähig. Im Jahre 1957 stellten jedoch R. H U I S G E N und K. CLUSIUS nahezu gleichzeitig fest, daß 1-AryIpentazole bei der Umsetzung von Diazonium-Ionen mit Azid-Ionen zu Aryl-aziden (S. 227) wenigstens zum Teil (bis 35% des Gesamtumsatzes) als Zwischenprodukt entstehen (vgl. die Formulierung auf S. 303). Sie können bei tiefen Temperaturen auch in Substanz isoliert werden.
2. Die Verbindungen vom Furantypus a) D a s F u r a n u n d seine D e r i v a t e Ähnlich wie für das Pyrrol geht auch für das Furan eine praktisch brauchbare Darstellungsweise von der Schleimsäure aus, die, wenn man die freie Säure statt des Ammoniumsalzes mit Mineralsäuren erhitzt, eine ähnliche Kondensation unter Wasseraustritt erleidet. Nur ist es hier möglich, die Kondensation und die Decarboxylierung getrennt durchzuführen, so daß man die zunächst entstehenden Furancarbonsäuren isolieren kann: 20
K l a g e s , E i n f ü h r u n g org. Chemie
Kap. 8, I I I : Die aromatischen Fünfringe
306 OH H
COOH — 3H,0
OH c
COOH
COOH
i - i /
O
R — N H — CH 3 sekundäres Amin
314
K a p . 9 , 1 : Das Kohlenoxyd u n d seine Derivate
Schließlich vermögen die Isonitrile wie das Kohlenoxyd charakteristische Schwermetallkomplexe zu bilden. Z. B. k a n n m a n in dem bekannten Nickel-tetracarbonyl (I) das Kohlenoxyd durch aromatische Isonitrile unter Bildung der entsprechenden Niekel-tetraisonitrile (II) verd r ä n g e n ( W . HIEBER, F . KLAGES 1 9 5 0 ) :
® ee |0=CX 00 ©
® /C=OI x
er
©
c=oi
e
® Ar—NE^C.
©
+ 4 |C=N—Ar
e © — 4|C=0|
00 00
tu /C=N—Ar
©
©
Ar—N= 0
C=N—Ar II
3. Die Knallsäure Die Knallsäure (die Salze heißen Fulminate) h a t ihren eigenartigen Namen erhalten, weil ihre Schwermetallsalze, insbesondere das Knaüquecksilber u n d das Knallsilber, sehr leicht detonieren. Der freien Säure h a t m a n ursprünglich die Formel eines „Oxims des Kohlenoxyds" (I) mit zweiwertigem Kohlenstoff zuerteilt, die d a n n später in die isonitrilartige Formel I I abgeändert wurde. Aber auch diese S t r u k t u r gibt die Eigenschaften der Knallsäure noch nicht erschöpfend wieder, u n d m a n m u ß weiterhin eine Tautomerie der Isonitril-Form I I m i t der „Blausäureoxyd"-Form I I I annehmen, u m die Polymerisationsreaktionen der Knallsäure deuten zu können. Auch dürften die erwähnten Schwermetallsalze wie die Schwermetallcyanide u n d -isonitrile C-Metallderivate (z. B. IV) sein u n d sich daher gleichfalls von der Formel I I I ableiten: C=N—OH
IC=N—OH
I
II
H — C = N *0
^ V
Ag—C=N- , 0
III
IV
Von den zahlreichen Bildungsreaktionen der Knallsäure bzw. ihrer Salze hat nur die von E. HOWARD schon 1800 entdeckte Darstellung von Knallquecksilber durch Kochen von Alkohol mit konzentrierter Salpetersäure in Gegenwart von metallischem Quecksilber praktische Bedeutung erlangt (bez. des Mechanismus vgl. I, Kap. 10, I, 4). In ähnlicher Weise erhält man bei Verwendung von metallischem Silber das Knallsilber. Beide Salze werden auch heute noch auf diesem Wege hergestellt und finden wegen ihrer Eigenschaft, bei guter Lagerungsbeständigkeit durch Schlag zur Explosion gebracht werden zu können, Verwendung als Initialzünder. Die freie Knallsäure ist noch unbeständiger als die Isonitrile u n d läßt sich nach Freisetzung aus ihren Salzen nur kurzzeitig in Äther als blausäureartig riechende, mit Ätherdämpfen flüchtige Substanz anreichern. Sie erleidet spontan Polymerisation, die, wie schon kurz erwähnt, von der Blausäureoxyd-Form I I ausgeht u n d zu 9 8 % zu der trimeren Metafulminursäure sowie zu 2 % zu der tetrameren Isocyanilsäure f ü h r t . Beide Polymerisationsprodukte lassen die in den Formeln durch d ü n n punktierte Linien gekennzeichneten ursprünglichen Knallsäuremoleküle noch erkennen (bez. des Mechanismus vgl. I, K a p . 10, I , 4): o— H I Vi N I! HC
/
O.
H —O I N^O N II —CH
Isocyanilsäure © ©
o 2%
T
N II! HC
-O
N-
HC
N—OH II -C
C = N — OH
Metafulminursäure
Die Knallsäure I C = N — O H ist von einem gewissen historischen Interesse, weil ihre Isomerie mit der Cyansäure N = C — O H der erste Isomeriefall war, der eindeutig nachgewiesen u n d auch r i c h t i g g e d e u t e t w u r d e ( J . v . LIEBIQ u n d F . W Ö H L E S 1 8 2 2 / 2 3 ) .
K a p . 9, I I : Anomale metallorganiache Verbindungen
315
II. Anomale metallorganische Verbindungen Neben den auf S. 260f. beschriebenen normalen metallorganischen Verbindungen, in denen jede Wertigkeitseinheit des Metalls eine Kohlenstoffvalenz beansprucht, so daß die Vierwertigkeit des Kohlenstoffs erhalten bleibt, sind in neuerer Zeit einige Schwermetallderivate aromatischer Verbindungen dargestellt worden, bei denen weder für den Kohlenstoff noch für das Metall die normalen Wertigkeitsgesetze gelten. Beispielsweise sind in dem unter reduzierenden FRIEDEL-CRAFTS-Bedingungen aus Chrom(Ill)-chlorid und Benzol über ein Dibenzolchrom(I)-Salz entstehenden Dibenzolchrom: 3CRCL3
+
6C6H8
+ 2A1 +
AICI3
>• 3
[CR
(C 6 H 6 ) 2 ]+A1CV
RedUkti N
°
Dibenzolchrom(I)-8alz
"
3 Cr(C8H,)S
Dibenzolchrom
die beiden Benzolringe derart eng mit dem oxydativ nullwertigen Chrom verbunden, daß man die Ausbildung echter Atombindungen zwischen Kohlenstoff und Chrom annehmen muß. Hier betätigt also der Kohlenstoff über die vier von ihm im Benzolkern bereits ausgehenden Bindungen hinaus noch weitere Wertigkeiten. Ähnlich ist das Ferrocen genannte Eisen ( I I ) -salz des Cyclopentadiens nicht dem auf S. 273 formulierten Cyclopentadienyl-kalium entsprechend ionogen konstituiert, sondern zeigt ebenfalls einen festen Einbau des Eisenatoms zwischen die beiden Ringmoleküle unter Ausbildung neuer, vom Kohlenstoff ausgehender Atombindungen.
Alle derartigen Substanzen werden Aromatenkomplexe genannt. In ihnen sind die Metallatome ,,sandwichartig" zwischen die beiden Ringmoleküle eingebettet und dadurch nahezu vollständig von der Außenwelt abgeschirmt. Die Verbindungen lösen sich infolgedessen in organischen Lösungsmitteln und können unzersetzt sublimiert werden. Die besonders enge Atompackung in beiden Komplexen geht aus den in Abb. 6 und 7 wiedergegebenen Molekülmodellen hervor. Die neuartigen Metall-Kohlenstoff-Bindungen werden ohne Zweifel von den elektronen der Ringsysteme gebildet. Andererseits sind die Doppelbindungen
Abb. 6 STüART-Modell des Dibenzol hroms (nach E . O . F I S C H E R
Doppelbindungszumindest im
Abb. 7 STUART-Modell des Ferrocens (nach E. 0 . F I S C H E R )
Kap. 9, I I I : Die freien Radikale
316
Ferrocen noch aktiv, so daß sich die normalen aromatischen Substitutionsreaktionen durchführen lassen. Hier scheinen also dieselben Elektronen gleichzeitig verschiedenartige Bindungen aufbauen zu können. Vermutlich ist darin der Grund dafür zu suchen, daß diese Verbindungen den normalen Wertigkeitsgesetzen nicht mehr gehorchen. Ähnliche Komplexverbindungen sind in neuerer Zeit auch vom nicht mehr aromatischen Cycloocta-tetraen (S. 276) sowie von aliphatischen Polyenen dargestellt worden.
III. Die freien Radikale 1. Allgemeines Zu Verbindungen mit dreiwertigem Kohlenstoff gelangt man durch Lösung einer Bindung in einem normalen Molekül mit vierwertigem Kohlenstoff. Z. B. würde bei der (experimentell nicht ohne weiteres durchführbaren) Abspaltung eines freien H~Atoms aus dem Methanmolehül das sog. „freie Methyl" mit einem elektrisch neutralen G-Atom gebundenen entstehen, das anstelle des ursprünglich durch ein Elektronenpaar vierten Liganden nur noch ein Einzelelektron trägt und hinsichtlich dieser einen Valenz den Charakter eines freien C-Atoms aufweist: H JJ
Q
I H
H JJ
Lösung einer Bindung
^
JJ
^
JJ
freies Methyl
JJ
freies H-Atom
Alle derartigen Verbindungen eines Elements (nicht nur des Kohlenstoffs), in denen dieses nicht alle zur Auffüllung der Oktettschale erforderlichen Valenzen betätigt, so daß nicht zu Elektronenpaaren zusammengefaßte Einzelelektronen übrig bleiben, nennt man freie Radikale. Danach wäre auch das H-Atom ein freies Radikal. Im allgemeinen unterscheidet man jedoch zwischen den freien Atomen einerseits, die überhaupt keine Valenzen betätigen, und den freien Radikalen andererseits, deren Radikalatom eine oder mehrere normale Atombindungen trägt und sich nur hinsichtlich einer einzigen Valenz wie ein freies Atom verhält.
Freie Radikale wie das oben formulierte freie Methyl sind im allgemeinen sehr energiereich, da jede Lösung einer Bindung eine hohe Energiezufuhr erfordert. Sie können deswegen nur kurze Zeit frei auftreten und niemals in Substanz isoliert werden. Lediglich als kurzlebige Zwischenprodukte chemischer Reaktionen spielen sie eine gewisse Rolle (vgl. z. B. die auf S. 352 beschriebenen Kettenreaktionen). Alle freien Radikale dieses Typus betrachtet man aus diesem Grunde noch nicht als normale Moleküle organischer Substanzen, sondern spricht besser nur von Molekülbruchstücken. Daneben gibt es aber auch einige radikalartige Verbindungen, die durch einen energieliefernden Vorgang (z. B . einen Mesomerieeffekt, vgl. S. 345) stabilisiert werden. Derartige Radikale können zumindest in Lösung, zuweilen sogar in kristallisiertem Zustand frei dargestellt werden und müssen deshalb zu den normalen organischen Verbindungen gerechnet werden. Mit diesen beständigen freien Radikalen, die eine eingehende Untersuchung des Radikalzustandes zulassen, wollen wir uns in diesem Abschnitt beschäftigen.
2: Die Triarylmethyl-radikale
317
2. Die Triarylmethyl-radikale Ala erstes beständiges freies Radikal beobachtete M. GOMBERG (1900) das freie Triphenylmethyl (abgekürzt auch Trityl, vgl. S. 66), das bei der Auflösung v o n Hexaphenyl-äthan (S. 66) in Benzol im Rahmen eines Dissoziationsgleichgewichts entsteht : (C,H 5 ) 3 C-C(C 6 H 6 ) 3
,
2 (C9H5)3C.
Hexaphenyl-äthan
Triphenylmethyl
D a s freie Triphenylmethyl ist viel reaktionsfähiger als das als Kohlenwasserstoff ziemlich reaktionsträge Hexaphenyl-äthan und zeigt die folgenden physikalischen und chemischen Eigenschaften, die z. T. zum Nachweis des Radikalcharakters geeignet sind: 1. Das freie Triphenylmethyl ist im Gegensatz zum farblosen Hexaphenyl-äthan intensiv gelb. Seine Bildung in Lösung kann also an dem Auftreten der gelben Farbe erkannt werden. Ferner deutet die Verstärkung der Farbintensität mit steigender Verdünnung darauf hin, daß die gelbe Substanz im Rahmen eines Dissoziationsgleichgewichts aus einer Verbindung höherer Molekülgröße entstanden ist (erster, jedoch nur indirekter Beweis für die Radikalnatur). Auch durch Temperatursteigerung kann man den Dissoziationsgrad erhöhen und damit die Farbe intensivieren. 2. Auf Grund theoretischer Erwägungen (vgl. physikal.-chemische Lehrbücher) sollte das nicht einem Elektronenpaar angehörende Einzelelektron des Radikalatoms dem Triphenylmethylradikal (und auch anderen freien Radikalen) einen gewissen Paramagnetismus verleihen. Dieser konnte tatsächlich bestätigt werden, so daß der Radikalcharakter auch direkt nachgewiesen wurde. III Hl Hl
Die genaue Messung des Paramagnetismus gestattet sogar eine quantitative Bestimmung der Radikalkonzentration, aus der man wieder den Dissoziationsgrad des Hexaphenyl-äthans berechnen kann.
3. Elementarer Sauerstoff wird v o n Triphenylmethylradikalen fast momentan zum farblosen Triphenylmethyl-peroxyd (Trityl-peroxyd) aufgenommen: (C„H5)3C. + 0 = 0 + -C(C6H5)3
H
(C6H5)3C—O—O—C(C6H5)3
Eine im Dissoziationsgleichgewicht befindliche gelbe Lösung von Hexaphenyläthan in Benzol wird infolgedessen beim Schütteln mit Luft entfärbt. Da die Dissoziation nur langsam im Rahmen einer Zeitreaktion erfolgt, färbt sich die Lösung nach Aufhören des Schütteins allmählich wieder gelb und kann durch wiederholtes Schütteln immer wieder entfärbt werden, bis alles Hexaphenyläthan verbraucht ist (ScilMIBLINsches Phänomen). 4. Ähnlich wie Sauerstoff werden fast momentan die elementaren Halogene, Alkalimetalle (bzw. nascierender Wasserstoff) und andere freie Radikale angelagert: (C 6 H 5 ) 3 C-NO 2
+
( C 9 H 5 ) 3 C^R
C6H5X C(HS)C. C,H/
• ^ !
a
B
^-°
H
.
(C6H5)3C—C1 (C6H5)3C—Na (C 6 H 5 ) 3 C-H
5. Weiterhin vermögen die freien Triarylmethylradikale mit 1,3-Dienen in Reaktion zu treten, die in 1,4-Stellung abgesättigt werden (J. B. Conant 1931/33): Ar3C- +
CH 2 =CH—CH=CH 3
+ .CAr 3
* Ar 3 C—CH 2 —CH=CH—CH 2 —CAr 3
Kap. 9, I I I : Die freien Radikale
318
Während das Hexaphenyl-äthan bei Zimmertemperatur in einprozentiger benzolischer Lösung nur zu 2—3% in Radikale gespalten Tridiphenyiyi-methyi i®t, l' e g fc ™ Tridiphenylyl-methyl (abgekürzt auch Trixenyl-methyl) ein freies Radikal vor, das umgekehrt keine erkennbare Neigung zur Dimerisierung zu einem Äthanderivat besitzt. Es kann in Form violetter Kristalle isoliert werden und zeigt naturgemäß keine Farbintensivierung beim Verdünnen seiner Lösungen mehr. Ebensowenig beobachtet man hier das ScHMlDLlNsche Phänomen, weil keine Nachlieferung des freien Radikals durch Dissoziation mehr erfolgen kann. , '
3. Sonstige freie Radikale Die auf S. 109 als Zwischenprodukte der Pinakonreduktion angenommenen radikalartigen Metallketyle treten in der aromatischen Reihe häufig frei auf. Z. B. zeigt das aus Benzopherwn und einem Atom Kalium entstehende Kaüum-diphenylketyl (Benzophenon-kalium) nur eine relativ geringe Tendenz, zum Dilcaliumsalz des Tetraphenyl-pinakons zu dimerisieren, so daß selbst die kristallisierte Substanz zu 77% in der Radikalform vorliegt: c
eH 5 v ^C=0 C6H6
C6H5X _ yC—OK C6H6
Benzophenon
Kalium-diphenylketyl
,
OK C»H SX I Va / C C 6 Hj
OK | X! 6 H 5 C6H5
Dikalium-tetraphenyl-pinakonat
Wegen der ionogenen Bindung des Metalls befindet sich das Radikalatom hier in einem Ionenmolekül, und man spricht deshalb von Ionenradikalen bzw. in diesem speziellen Fall von einem Anionenradikal. Ein anderes Anionenradikal erhält man beim Zusammengeben von je einem Molekül eines Ghinons und des zugehörigen Dinatrium-hydrochinons in stark alkalischem Medium. Hier findet eine Konproportionierung (Gegenreaktion der Disproportionierung) zu einem Semichinon genannten, intensiv roten, radikalartigen Natriumsalz statt, das die gleiche mittlere Oxydationsstufe aufweist wie die auf S. 171 beschriebenen Chinhydrone-,
0=
>=0 +
N a O — — O N a R/
\R
Dinatrium-hydrochinon
Na R/
\R
Semichinon
Die Semichinone sind nur in der Salzform beständig und zerfallen beim Ansäuern umgekehrt im Sinne einer Disproportionierung in je ein Molekül Chinon und Hydrochinon (bzw. in das aus beiden gebildete Chinhydron). III Hl III
Die Semichinone sind also die in alkalischem und die Chinhydrone die in saurem Medium beständigen oxydativen Zwischenstufen zwischen chinoiden und hydrochinoiden Verbindungen (vgl. auch S. 345/6).
Wegen der Alkalilabilität mancher Chinone konnten bisher einige Semichinone (z. B. das sich vom Benzochinon ableitende Anfangsglied der Reihe) noch nicht dargestellt werden. Als Beispiel eines Kationenradikals sei schließlich der ebenfalls zu den Semichinonen zählende Farbstoff Wursters Rot angeführt, der eine oxydative Zwischenstufe zwischen dem chlorwasserstoffsauren Salz des as-Dimethyl-chinon-diimins (I) und dem as-Dimethyl-p-phenylen-diamin (II) (als zugehöriger hydrochinoider Verbindung) darstellt und beim Zusammengeben dieser beiden Stoffe entsteht:
Kap. 9, IV: Künstliche Isotopengemische in der organischen Chemie
®N(CH3)2
>
2 er
319
N(CH3)2
+
er NH,
®NH,
NH. Wursters Rot
Neben den Kohlenstoffradikalen gibt es auch Stickstoff- und Sauerstoffradikale. Beispielsweise liegen nach H . W I E L A N D die Tetraarylhydrazine. ( S . 2 2 1 ) mit den Diarylstickstoffradikalen in einem ähnlichen (für die Radikatbildung jedoch bedeutend ungünstigeren) Dissoziationsgleichgewicht wie Hexaphenyl-äthan mit den Triphenylmethylradikalen:
(C6H6)2N-N(C6H6)2
2(C8H5)N.
Tetraphenyl-hydrazin
Diphenyl-stickstoff
Als Beispiele von Stickstoffradikalen, die keine Dimerisierungstendenz mehr aufweisen, seien das von S T . GOLDSCHMIDT ( 1 9 2 2 ) aufgefundene N-Trinitrophenyl-N',N'-diphenyl-hydrazyl(III), 2. das mit dem Triphenylrnethyl isostere Kation des Triphenyl-ammenium-perchlorats (IV) (E. W E I T Z 1926/27) und 3. das Diphenyl-stickstotfoxyd (V) (H. W I E L A N D 1914—22) angeführt: 1.
C
«Hi\.
C.H/
C
:N—N—/
%
-NO.
C
0
2
N
Iii
8
H
6\ ®
CeH6^N-
C107
c,h6/
BHS IV
Die beständigsten Saustoffradikale erhält man nach E . Dehydrierung von mit tert.-Biüylresten besetzten Phenolen:
MÜLLER ( 1 9 5 4 )
durch vorsichtige
,C(CH3)3
/C(CH a ) s (CH3)3C^^V-Ü-H
:N—0
- H - (PbO„ Ag,Q, H,Fe[CK], usw.) + H- (katal., Hydrierung)
(CH3)3C-
C=DI IV
Wenn auch Moleküle mit einer der Orenzstruktur entsprechenden Elektronenverteilung nicht frei existieren können, weil sie durch ElektronenVerschiebung sofort den energieärmeren Grundzustand zurückbilden, so ist doch ihre Anregungsenergie relativ gering und wird im Verlaufe chemischer Reaktionen verhältnismäßig leicht aufgebracht. *) Durch den Namen Grenzstruktur soll zum Ausdruck gebracht werden, daß die Verschiebung der Ji-Elektronen bis zu der angegebenen, durch normale chemische Symbole formulierbaren Grenze erfolgt.
2 b : Die Reaktivität der Mehrfachbindungen
335
Mehrfachbindungen verhalten sich infolgedessen bei den meisten ihrer Umsetzungen so, als ob sie die Zwitterionenstrukturen II bzw. IV aufweisen würden. Allerdings ist die Reaktionsfreudigkeit der Mehrlachbindungen stets gegenüber der der Ionen der betreffenden Elemente erheblich abgeschwächt; denn zur Anregung der n-Elektronen muß erst eine gewisse Aktivierungsenergie aufgebracht werden, was sich in einer Herabsetzung der Reaktionsgeschwindigkeit äußert (vgl. S. 347). Die erwarteten Ionenreaktionen treten deshalb nur gedämpft in Erscheinung. Meistens ist diese Dämpfung der Reaktivität sogar so groß, daß primär nur noch eines der beiden aktivierten Atome zur Reaktion befähigt ist.
Beispielsweise weist in der aktiven Grenzstruktur der C=C-Doppelbindung (V) nur der negativ geladene Kohlenstoff (sog. Carbanion, früher auch Carbeniat-Ion) eine genügende Aktivität auf, um primär mit seinem einsamen Elektronenpaar eine Reaktion auslösen zu können. Die Olefine reagieren daher basisch, jedoch viel schwächer als die metallorganischen Verbindungen mit wirklich negativem Kohlenstoff (vgl. S. 262 f.). Sie sind hinsichtlich ihrer Basizität vielmehr nur noch mit den schwächeren Anilinbasen (etwa Diphenylamin, S. 206) zu vergleichen und setzen sich wie diese mit starken Säuren, den freien Halogenen usw. um. So „neutralisieren" etwa die Protonen der Säuren primär den anionischen Kohlenstoff unter Bildung des „salzartigen" (jedoch nicht isolierbaren) Zwischenproduktes VI, das sich dann erst sekundär durch Einlagerung des Säureanions in die Elektronenlücke des positiv geladenen C-Atoms stabilisiert (zu VII):
U
H
Aufrichtung der Doppelbindung
/
C^
+ H—X
X
H
>
Doppelbindung ) Dreifachbindung
0,30
0,77 0,67 0,61
— —
—
—
0,70 0,62 0,55
—
0,66 0,55 0,53
Wie Tabelle 21 zeigt, sind die Wirkungsradien im allgemeinen etwa doppelt so groß wie die Bindungsradien, was eine erstaunlich große Raumerfüllung und gegenseitige Behinderung der verschiedenen Molekülteile zur Folge hat. Dies kommt besonders deutlich bei einem Vergleich der Abb. 20 und 21 (S. 370/1) zum Ausdruck. Abb. 20 zeigt die wirkliche Raumerfüllung der Atome in den Molekülen, die so groß ist, daß fast kein Ringinneres mehr frei bleibt. Die üblichen Molekülmodelle im Sinne von Abb. 21 geben dagegen nur die Bindungsrichtungen an und lassen nur unvollkommen erkennen, wie weit sich die Ringe gegenseitig in ihrer Beweglichkeit behindern.
2: Valenzwinkel und Ringspannung
379
2. Die Valenzwinkel und die Ringspannung Zwei von einem quartären G-Atom ausgehende Valenzen bilden auf Grund der bekannten Geometrie des regelmäßigen Tetraeders einen Winkel von 109° 28', der in allen organischen Verbindungen weitgehend konstant ist und allgemein als Tetraederwinkel bezeichnet wird (vgl. Raumbild 1). Auch am N- und O-Atorn entsprechen die Valenzwinkel, wenn man die Beteiligung dieser Atome an einer Mesomerie ausschließen kann, etwa dem Tetraederwinkel, doch treten hier bereits geringe Schwankungen auf. Bei den Elementen der höheren Perioden beobachtet man dagegen auch einige größere Abweichungen. Mit wenigen Ausnahmen gilt also der folgende Satz:
I
l n gesättigten organischen Verbindungen schließen die von den Atomen der Elemente der ersten Achterperiode ausgehenden Bindungen immer den Tetraederwinkel ein.
Alle Abweichungen von diesem Tetraederwinkel bedeuten eine gegenseitige Annäherung zweier a-Elektronenbahnen gegenüber der energetisch begünstigten Tetraederstellung (S. 327) und machen sich deshalb in einer Molekülspannung bemerkbar, die als „klassische Spannung" (oder nach ihrem Entdecker auch BAEYER-Spannung) bezeichnet wird. Eine derartige klassische Spannung beobachtet man z. B. bei den vier- und dreigliedrigen Ringmolekülen, in denen der Winkel zwischen den Ringvalenzen in leicht ersichtlicher Weise nur 90 oder gar 60° beträgt. Entsprechend dieser starken Abweichung vom Tetraederwinkel sind insbesondere die dreigliedrigen Ringe (z. B. in den Olefinoxyden [S. 157], im Äthylen-imin [S. 205] oder im Cyclopropan [S. 270]) sehr stark gespannt und zeigen einen (mit Hilfe der Verbrennungswärmen exakt bestimmbaren, vgl. II, Kap. 7, IV, 1) erhöhten Energieinhalt, der die früher geschilderte außerordentliche Reaktionsfähigkeit befriedigend erklärt. Die Ringspannung und die durch sie bedingte erhöhte Reaktivität gehen bei den viergliedrigen Ringen bereits merklich zurück und verschwinden bei den Fünfringen mit einem Ringwinkel von 108° (gegenüber dem Tetraederwinkel von 109° 28') schließlich fast vollständig. Auch bei allen höhergliedrigen Ringen tritt keine BAEYERspannung mehr auf, weil sich hier die Ringatome stets soweit aus der Ringebene herausdrehen können, daß der Tetraederwinkel erhalten bleibt (vgl. auch S. 381 f.). Einen vom Tetraederwinkel abweichenden Valenzwinkel von 120° und eine ebene Svbstituentenanordnung haben wir auf S. 328, 333 für das olefinische G-Atom abgeleitet. Als Folge davon ist u. a. der aromatische Sechsring im Gegensatz zum alicyelischen Cyclohexanring (S. 381) vollkommen eben gebaut. Auch die auf S. 282 f. beschriebenen polycyclischen aromatischen Ringsysteme zeigen aus diesem Grunde eine ebene Struktur. Beim dreifach gebundenen Kohlenstoff beträgt der Valenzwinkel schließlich 180° (vgl. S. 329, 333), und die beiden Liganden ordnen sich auf einer Oeraden an. Acetylen und viele seiner Derivate sind infolgedessen starre Stabmoleküle (vgl. z. B. S. 51, 66).
3. Die freie Drehbarkeit und die Konformation der organischen Moleküle Wegen der Tetraederstruktur des Kohlenstoffs kann eine längere Kette von C-Atomen niemals geradlinig sein, sondern sie weist von Bindung zu Bindung eine Richtungsänderung von 180° minus dem Tetraederwinkel auf. Infolgedessen lassen sich durch Verdrehung einzelner Molekülteile gegeneinander praktisch unendlich viele Molekülformen herstellen. Aus der Tatsache, daß von wenigen Ausnahmen abgesehen (vgl. z. B. die Atropisomerie, S. 369) bei gesättigten organischen Verbindungen
380
Kap. 12, I I : Die wahre Molekülgestalt
niemals eine auf dem Auftreten verschiedener derartiger Molekülformen beruhende Stereoisomerie beobachtet wurde, hat J . H. van't Hoff schon 1875 den Schluß gezogen: Alle durch Einfachbindungen verknüpften Teile eines Moleküls sind um diese Einfachbindungen als Achse frei gegeneinander verdrehbar, so daß sich die als Folge davon resultierenden verschiedenen Molekülformen mehr oder weniger rasch ineinander umlagern. Dieses „Prinzip der freien Drehbarkeit" hat sich im wesentlichen als richtig erwiesen, doch stellte sich später heraus, daß die Drehung nicht völlig frei ist. Vielmehr liegt ein sog. ,,gehemmter Rotor" vor, bei dessen Verdrehung Energieschwellen überschritten werden müssen. Die dazu erforderliche Aktivierungsenergie wird zwar im allgemeinen der thermischen Bewegungsenergie entnommen, so daß die einzelnen Molekülformen nicht als stereoisomere Verbindungen isolierbar sind, doch reicht sie aus, um die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Moleküle in wenigen energetisch begünstigten Formen festzuhalten, zwischen denen hin und wieder Übergänge stattfinden. Alle derartige durch Verdrehung von Molekülteilen gegeneinander herstellbare Molekülformen nennt man im Gegensatz zu der die Atomverknüpfung aufzeigenden Konstitution und der die (durch freie Drehbarkeit nicht beeinflußbare) räumliche Atomanordnung wiedergebenden Konfiguration die Konformationen (oder Konstellationen) eines Moleküls. Als einfachstes Beispiel für das Auftreten verschiedener Molekülkonformationen sei das Äthan angeführt, das, wenn man es in Richtung der C—C-Bindung betrachtet, die beiden in Abb. 23 gezeigten Konformationen a (die H-Atome beider Methylgruppen stehen „auf Lücke", gestaffelte Konformation nach V. Prelog) und b (sie stehen auf „Deckung", ekliptische Konformation nach V.Pbelog) annehmen kann.
Abb. 23. Konformationen des Äthanmoleküls a) bei möglichst großem Abstand der H-Atome voneinander — energiearme Stellung b) bei mögliehst starker gegenseitiger Annäherung der H-Atome — energiereiche Stellung
In der ekliptischen Konformation beträgt der Abstand zwischen zwei nicht der gleichen Methylgruppe angehörenden H-Atomen nur 2,14 Ä. Der sich hieraus errechnende Wirkungsradius des H-Atoms von 1,07 A ist kleiner als der beim absoluten Nullpunkt (vgl. Tabelle 21, S. 378), woraus folgt, daß diese relativ starke Annäherung der H-Atome und damit die Herstellung der Konformation b) eine gewisse Energiezufuhr erfordert. Speziell ist die ekliptische Äthankonformation um etwa 3 kcal/Mol energiereicher als die gestaffelte. Danach liegen sämtliche Äthanmoleküle in der energiearmen gestaffelten Konformation vor, und die ekliptische Konformation wird nur bei gelegentlichen Molekülverdrehungen kurzzeitig durchschritten.
3: Konformationsprobleme
381
Die relativ hohe Energie der ekliptischen Konformation des Äthans (und auch anderer organischer Substanzen) wirkt sich in einer gewissen Molekülspannung aus, die im Gegensatz zur klassischen oder BAEYER-Spannung (S. 379) den Namen PrrzER-Spannung erhalten hat. Gehen wir nun zum n-Batan über und betrachten das Molekül in Richtung der mittleren C—G-Bindung, so beobachten wir wegen der Ungleichheit von CH¡-Gruppen und H-Atomen bereits verschiedenartige energiearme gestaffelte Konformationen (Abb. 24 a, b und c), von denen die anti- (oder trans-)Konformation b wegen des größtmöglichen Abstandes der mehr raumbeanspruchenden Methylgruppen voneinander nochmals um 0,8 kcal/Mol energieärmer ist als die bereits eine gewisse PITZEB-Spannung aufweisenden syn- (bzw. cis-)Konformationen a und c. Es liegen deshalb etwa 80% der n-Butanmoleküle in der gestaffelten anti-Konformation b vor, die dadurch charakterisiert ist, daß sich sämtliche G-Atome in einer Ebene befinden und eine regelmäßige Zickzackkette bilden.
Abb. 24 Die drei gestaffelten Konformationen des n-Butanmoleküls Aus diesen Überlegungen folgt, daß auch bei längeren Paraffinmolekülen die regelmäßige gestreckte Zickzackkette die energiearmste Konformation ist. Sie trifft man deshalb in kristallisierten, Paraffinen ausschließlich an. Jedoch erfordern Molekülverbiegungen unter Ausbildung von gestaffelten syn-Konfigurationen des Typus a oder o derart wenig Aktivierungsenergie, daß sie im flüssigen oder Gaszustand mehr oder weniger häufig anzutreffen sind und das Auftreten von Ringschlußreaktionen ohne weiteres verständlich erscheint.
Von besonderem Interesse sind schließlich noch die Eonformationen des Cyclohexanmoleküls. Wie schon auf S. 379 erwähnt, müssen bei einem gesättigten sechsgliedrigen Bing die C-Atome aus der Bingebene heraustreten, wenn die Tetraederwinkel zwischen den Ringbindungen erhalten bleiben sollen. Wie SACHSE schon im Jahre 1892 postulierte, gibt es zwei derartige nicht-ebene, keine klassische Spannung aufweisenden Gyclohexankonformationen, für die die Namen Wannenform (Abb. 25 a) und Sesselform (Abb. 25 b) gebräuchlich sind, und die durch Molekülverdrehung leicht ineinander übergeführt werden können. Eine nähere Betrachtung dieser Cyclohexankonformationen zeigt, daß in der Sesselform bei sämtlichen Ringbindungen die begünstigte gestaffelte Ligandenanordnung (und zwar speziell die cis-Konformation) verwirklicht ist. Hier ist das Molekül also relativ energiearm. Demgegenüber ordnen sich in der Wannenform nur bei vier Bingbindungen (in Abb. 25 a bei den vier schräggezeichneten Bindungen an den beiden Seiten des Moleküls) die Liganden gestaffelt an, und bei den beiden anderen (in Abb. 25 b waagerechten) Bindungen beobachtet man eine starr ekliptische Konformation.
Kap. 12, I I : Die wahre Molekülgestalt
382
a Wannenform des Cyclohexana
Abb. 25
b Sesselform des Cyclohexans Beide Konformationen lassen sich durch Herumklappen der seitlichen Molekülteile im Sinne des gebogenen Pfeils ineinander überführen
I
Die Wannenform weist daher eine n i c h t unerhebliche Pi TZE R Spannung auf u n d ist u m 5 — 6 kcal/Mol energiereicher als die Sesselform. I h r e Beteiligung a m Gleichgewicht ist deswegen außerordentlich gering ( < 0 , 1 % ) .
Wie Raumbild 16 zeigt, besitzt die Sesselform des Cyclohexans eine dreizählige Symmetrieachse. Die Bindungen zu sämtlichen mit a bezeichneten Substituenten ordnen sich parallel zu dieser Achse an. Hier spricht man infolgedessen von achsialen Valenzen bzw. einer achsialen Stellung oder a-Stellung der Liganden. Die Bindungen zu sämtlichen anderen Substituenten (in Raumbild 15 mit e bezeichnet) liegen annähernd in der (senkrecht zur Achse angeordneten) Äquatorebene des Moleküls und heißen dementsprechend äquatoriale Valenzen (e-Stellung1)) der Liganden). Sowohl die a-Stellungen als auch die e-Stellungen benachbarter Ringatome sind immer transständig, d. h. sie befinden sich, wenn man alle Ringatome in eine Ebene, zwängt, auf verschiedenen Seiten dieser Ringebene. Durch Verdrehung beider seitlicher Molekülteile in Richtung der in Raumbild 17 angeführte gebogenen Pfeile kann man die im Raumbild 16 wiedergegebene Konformation in eine zweite Sesselkonformation (Raumbild 17) überführen. Hierbei werden alle mit a bezeichneten, ursprünglich achsialen Valenzen äquatorial und alle mit e bezeichneten, ursprünglich äquatorialen Valenzen achsial.
I
J e d e r Substituent des Cyclohexanmoleküls k a n n also durch einfache Molekülverdrehung sowohl in eine achsiale als a u c h in eine äquatoriale Stellung geb r a c h t werden. 4 . Die Konstruktion von Molekülmodellen
Die unvollkommene W i e d e r g a b e der wirklichen Molekülgestalt durch unsere Valenzstrichformeln h a t schon frühzeitig z u m B a u v o n Molekülmodellen angeregt. Ursprünglich m a r k i e r t e m a n die A t o m e d u r c h Kugeln u n d v e r b a n d diese d u r c h m e h r oder weniger lange Drahtstifte. Derartige „ D r a h t m o d e l l e " , wie sie in den Abb. 21, 2 2 , u n d 2 5 gezeigt sind, eignen sich h e r v o r r a g e n d zur W i e d e r g a b e der Valenzwinkel u n d eventueller durch deren Deformation bedingter Spannungszustände des Moleküls, so d a ß sie a u c h heute noch eine vielfache Anwendung finden. Sie versagen aber vollständig, wenn es auf die Raumerfüllung der Atome ankommt; denn die Moleküle bestehen, wie wir auf S. 377/8 gesehen haben, aus sehr dicht gepackten, sich gegenseitig durchdringenden Atomkugeln, so daß viele auf Grund der Drahtmodelle möglich erscheinende 1
Von engl, equatorial.
4: Molekülmodelle
383
Molekülkonformationen nicht existenzfähig sind und manche „auf dem Papier" leicht formulierbare Reaktionen wegen ,,sterischer Hinderung" (Näheres vgl. II, Kap. 7, IV, 2) nicht durchgeführt werden können.
Um diese wirkliche Raumerfüllung der Moleküle möglichst exakt wiederzugeben, ist von H. A. S T U A R T (1934) ein ganz neuer Modelltypus entwickelt worden, bei dem jedes Atom zunächst durch eine Kugel vom Wirkungsradius R w (in 1,7 • 108-facher Vergrößerung) dargestellt wird. Von dieser Kugel ist jedoch an jeder Stelle, an der sich in Molekülen ein zweites Atom unter Ausbildung einer Atombindung bis auf den Atombindungsradius R A nähern kann, eine Kalotte der Höhe R w — R A abgeschnitten. Es bleiben ala Atommodelle also nur Kugelkalotten übrig (man spricht daher auch von Ealottenmodellen), die den Vorteil besitzen, daß sie, der Wirklichkeit entsprechend, einerseits in Richtung der Bindung nur eine Ausdehnung von der Größe des Bindungsradius aufweisen, andererseits sich in allen anderen Dimensionen über den wesentlich umfangreicheren Bereich der Wirkungssphäre erstrecken. Durch Aneinanderfügen der Atomkalotten (in der Praxis durch Druckknöpfe, die ein Verdrehen der Molekülteile gegeneinander gestatten) kann man dann Molekülmodelle „synthetisieren", die sämtliche durch die freie Drehbarkeit bedingten Molekülkonformationen formgetreu nachzubilden gestatten. Derartige SiUARTmodelle organischer Moleküle sind in den Abb. 5, 6, und 20 wiedergegeben. Sie lassen vor allem die außerordentlich dichte Packung der Materie gut erkennen, allerdings auf Kosten der anschaulichen Wiedergabe der Valenzwinkel, die bei den Drahtmodellen (s. oben) besser zum Ausdruck kommen. Im allgemeinen stört die starke Raumerfüllung innerhalb der Moleküle und die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Molekülteile gegeneinander bei chemischen Reaktionen nicht sonderlich, so daß erst bei wirklichem Platzmangel
5Mcm.~e.7A Abb. 26
Abb. 27
Abb. 26 STUABT-BRIEGLEB-Modell des Doppelmoleküls der Essigsäure Man beachte die auffallend kleinen Wirkungsbereiche der H-Atome der OH-Gruppen, die kleiner sind als die abgeschnittenen Kalotten des Hydroxyl-O-Atoms, so daß der Wasserstoff hier zu keiner Vergrößerung, sondern zu einer erheblichen Verkleinerung des Wirkungsbereiches dieses O-Atoms gegenüber dem des nicht-substituierten Sauerstoffs führt Abb. 27 STUABT-BRiEGLEB-Modell des Benzolmoleküls Man beachte die sich nicht mehr von einer Kugel ableitenden Modelle des aromatischen Kohlenstoffs als Folge der starken räumlichen Ausdehnung der jr-Elektronenwolken oberhalb und unterhalb der Ringebene
384
Kap. 12, I I : Die wahre Molekülgestalt
die oben erwähnte sterische Hinderung eintritt und im wesentlichen die folgende Regel gilt: Der Zusammenschluß von Atomen zu Molekülen kann meistens bis zur vollständigen Erfüllung des Raumes, d. h. bis zur gegenseitigen Berührung der Wirkungssphären der nicht direkt miteinander verbundenen Atome des Moleküls erfolgen. In erster Näherung gibt die Möglichkeit der Konstruktion von BTUARTmodellen die Grenzen der Existenzfähigkeit der betreffenden Verbindungen an. Die STUARTmodelle sind später hauptsächlich von G. Briegleb weiter entwickelt worden, der auch die Raumerfüllung der n-Elektronen und die besonders kleinen zwischenmolekularen Abstände bei der H-Brücke modellmäßig berücksichtigt. Dadurch weichen die Atommodelle hinsichtlich der Wirkunssphäre z. T. stark von der Kugelgestalt ab, d. h. in verschiedenen Richtungen des Baumes treten verschieden große Wirkungsradien in Erscheinung. Als Beispiele für derartige moderne STUART-BRIEGLEB-Modelle seien in Abb. 26 das Modell des Doppelmoleküls der Essigsäure und in Abb. 27 das des Benzolmoleküh wiedergegeben.
13. K a p i t e l
Die organischen Mineralien Die überwiegende Zahl der in Technik und Laboratorium benötigten organischen Substanzen wird nicht synthetisch aus den Elementen, sondern aus anderen natürlich vorkommenden organischen Verbindungen hergestellt, die wir in zwei große Gruppen unterteilen können: 1. die allgemein als ,,Naturstoffe" schlechthin bezeichneten Stoffwechselprodukte der Lebewesen und 2. die verschiedenen mineralisch vorkommenden organischen Verbindungen, mit denen wir uns in diesem Kapitel näher beschäftigen wollen. Die meisten organischen Stoffe sind viel zu reaktionsfähig, um unter den in der obersten Schicht der Erdrinde herrschenden Bedingungen über geologische Zeiträume hinweg unverändert zu bleiben. Wir treffen daher an mineralisch vorkommenden Kohlenstoffverbindnngen neben dem Diamanten und dem Graphit sowie den ebenfalls zur anorganischen Chemie zählenden Carbonaten im allgemeinen nur Kohlenwasserstoffe oder zumindest Substanzen an, die dem elementaren Kohlenstoff und den Kohlenwasserstoffen noch nahe stehen. Sie sind meistens aus „lebender Materie" hervorgegangen und bestehen infolgedessen stets aus einem unentwirrbaren Gemisch von z. T. makromolekularen Stoffen, das nicht auf Einzelverbindungen verarbeitet werden kann.
Sämtliche organischen Mineralien waren deshalb anfangs nur als Brennstoffe von Interesse und fanden keine eigentliche chemische Bearbeitung. Ihre moderne Veredelung, die man zusammenfassend auch als Petrochemie bezeichnet, ist aber mit interessanten chemischen Reaktionen verbunden und außerdem für den Organiker auch deshalb von Bedeutung, weil sie ihm wichtige Ausgangsmaterialien für die Synthese neuer Stoffe liefert. Im vorliegenden Kapitel wollen wir uns auf die beiden wichtigsten mineralischen organischen Rohstoffe, die Kohle und das Erdöl, beschränken.
I. Die Kohle und ihre Veredelung Unter Kohle versteht man eine Reihe brauner bis schwarzer, unter Luftabschluß entstandener Zersetzungsprodukte organischer Substanzen, die sich zwar durch einen hohen Kohlenstoffgehalt auszeichnen, aber noch keinen reinen Kohlenstoff darstellen. Ihre Bildung in der Natur erfolgte innerhalb vieler Millionen Jahre bei relativ niedrigen Temperaturen1) und kann in den uns zur Verfügung stehenden Zeiträumen nicht nachgeahmt werden. Doch lassen sich gewisse organische Materialien (z. B. 1 ) Dies folgt aus der Anwesenheit einiger bis höchstens 300° stabiler Einzelverbindungen (insbesondere von Porphyrinfarbstoffen) in verschiedenen Kohlearten.
25
K l a g e s , Einführung org. Chemie
Kap. 13,1: Die Kohle und ihre Veredelung
386
Holz) bei höherer T e m p e r a t u r a u c h künstlich verkohlen, wobei allerdings von der N a t u r k o h l e weitgehend abweichende Produlde entstehen. Eine gewisse zeitliche Verfolgung des Verkohlunggvorganges gestattet der Vergleich verschieden alter Kohlen. In Tabelle 22 ist die Zusammensetzung einiger Kohlearten und ihrer natürlichen Vorstufen (Holz und Torf) dem AUer des betreffenden Materials gegenübergestellt. Man sieht, daß mit zunehmender Verkohlung nicht nur der Kohlenstoffgeholt (und damit die Zahl der C—G- Bindungen) wächst, sondern außer Wasserstoff auch alle anderen Heteroatome weitgehend abgespalten, werden, die Kohle also zunehmend den Charakter eines (allerdings sehr kohlenstoffreichen) Kohlenwasserstoffs annimmt. Weiterhin zeigt die letzte Spalte, daß insbesondere die jüngeren Kohlearten in keiner Weise als reiner Kohlenstoff anzusehen sind, denn sie weisen durchaus noch die Zusammensetzung „normaler" organischer Verbindungen auf. Auch spricht die Tatsache, daß bis zu 90% der Kohlesubstanz in Lösung gebracht werden kann (vgl. S. 388), dafür, daß die Struktur der Kohle eher mit der eines Giemisches hochmolekularer organischer Verbindungen als mit der des Kohlenstoffs in den sehr eng durch Atombindungen verflochtenen Kristallgittern des Diamanten oder des Graphits zu vergleichen ist. Tabelle 22 Die Z u s a m m e n s e t z u n g d e r a s c h e f r e i e n A n t e i l e des H o l z e s u n d der n a t ü r l i c h e n K o h l e a r t e n in A b h ä n g i g k e i t v o n der D a u e r des V e r k o h l u n g s p r o z e s s e s Alter i. Hill. Jahren Holz
0
Torf Braunkohle
S
Niedermolek. Ungefähr. organ. Subst. Atomver- m. gleichem hältnis*) Atomverhältnis
0
w
Zusammensetzung in Gew.-% C
H
O
48—52 etwa 6
N
,
Methylglyoxal
0,05 49—60 6 —8
43—45 0,1 28—45 3 —4
0,1—1
C„H10O3
1—45 65—75 5 —7
15—30 0,5—2
0,5—3
c 7 h„0 2
10—20 1 —1,5
0,5—1,5
C14H10O2
Dihydroxycyclohexanon Dihydrobenzoesäure Anthrahydrochinon
3—10 1 —1,5
0,5—1,5
fett Stein-"l kohle / mager
inn 1UU
75—85 4,5—6
Anthrazit
200 94—97 1 —2,5
85—94 3 —5,5
1—2
0,5—1
0,5
C 34 H la 0 2 Violanthron C2«H80O
—
*) Stickstoff und Schwefel wurden zur Vereinfachung gleich Sauerstoff gesetzt. F ü r die Veredelung der natürlichen K o h l e n sind bisher fünf verschiedene Verf a h r e n ausgearbeitet w o r d e n : 1. die Verkokung, 2. die Verschwelung, 3. die Extraktion, 4. die Vergasung u n d 5. die Gewinnung v o n künstlichen Benzinen. 1. Die Verkokung I I I I | |
Die Verkokung b e s t e h t in einer zur Vermeidung von Verbrennungsverlusten u n t e r Luftabschluß d u r c h g e f ü h r t e n thermischen Zersetzung der Kohlesubstanz (meistens Steinkohle) oberhalb 1000°.
Hierbei destillieren alle entstehenden flüchtigen Stoffe ab, u n d es hinterbleibt der bereits 9 5 — 9 8 % Kohlenstoff enthaltende, sehr hochmolekulare Koks, der von allen technischen P r o d u k t e n dem reinen Kohlenstoff a m n ä c h s t e n s t e h t u n d a n dessen Stelle eine vielfache Verwendung findet, z. B . zur Verhüttung von Eisenerzen oder zur Calciumcarbidgeuiinnung (vgl. anorganische Lehrbücher).
1: Die Verkokung
387
D a s Destillat z e r f ä l l t b e i m A b k ü h l e n in d r e i P h a s e n : 1. das Leuchtgas (oder bei längerer Erhitzungsdauer das ähnlich zusammengesetzte Kokereigas), das zu über 96% aus den anorganischen Gasen Wasserstoff (50 bzw. beim Kokereigas 55%), Methan (32 bzw. 25%), Kohlenoxyd (7 bzw. 5 % ) , Stickstoff (5 bzw. 11%) und Kohlendioxyd (jeweils 2 % ) besteht. Daneben sind in ihm nur geringe Mengen typisch organischer Oase (vor allem Äthan, Äthylen und sehr wenig Acetylen) enthalten. 2. das hauptsächlich die anorganischen Zersetzungsprodukte der Kohle (insbesondere Ammoniak und Wasser) enthaltende Gaswasser (oder Ammoniakwasser) und 3. der nur organische Bestandteile enthaltende, mit dem Gaswasser nicht mischbare Teer (meistens Steinkohlenteer). Er fällt zwar nur in 2,6—5,5%iger Ausbeute an (in bezug auf die eingesetzte aschefreie Kohle), stellt aber bei einer jährlichen Verkokung von 55 Mill. t Steinkohle mit 2 Mill. Jahrestonnen eines der wichtigsten Ausgangsprodukte für die chemische Großindustrie dar. D e r Steinkohlenteer ist ein Gemisch aus e t w a 10000 verschiedenen o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n , v o n d e n e n bis 1951 j e d o c h nur 222 e i n d e u t i g n a c h g e w i e s e n w u r d e n u n d lediglich 20 in technischem A u s m a ß g e w o n n e n w e r d e n . Seine chemische Zusammensetzung ist durch die hohe Verkokungstemperatur bedingt, (?) Kohled i e eine w e i t g e h e n d e Aromatisierung d e r ursprünglich w o h l aliphatischen substanz u n t e r b e v o r z u g t e r B i l d u n g einfacher Moleküle zur F o l g e h a t . D e s w e g e n m a c h e n die i m V e r g l e i c h zur G e s a m t z a h l r e l a t i v w e n i g e n 222 b e k a n n t e n T e e r v e r b i n d u n g e n bereits 2 5 — 3 0 % der g e s a m t e n T e e r m e n g e aus, u n d a n n ä h e r n d 2/s dieses A n t e i l s bestehen aus d e n f o l g e n d e n a c h t häufigsten, sämtlich z i e m l i c h e i n f a c h k o n s t i t u i e r t e n T e e r b e s t a n d t e i l e n : Benzol ( i m D u r c h s c h n i t t 2 % des Teers 1 )), Naphthalin ( 7 % ) , Phenanthren ( 3 , 5 % ) , Fluoren ( 1 , 5 % ) , Anthracen (1,0%), Acenaphthen ( 1 , 0 % ) , Garbazol ( 0 , 9 % ) u n d Phenol (0,5%). D i e Z e r l e g u n g des Steinkohlenteers geschieht zunächst f a s t ausschließlich durch Destillation, w o b e i die f o l g e n d e n F r a k t i o n e n erhalten w e r d e n : 1. das Leichtöl (Sdp. bis 170°, ohne Gasbenzol 2—3% des Rohteers). Es enthält neben Benzol geringe Mengen von Pyridin, Thiophen und den Methylderivaten aller drei Verbindungen. Es wird insbesondere auf die Pyridinbasen (durch Extraktion mit Schwefelsäure), Benzol, Toluol und ein Xylolgemisch (durch Feinfraktionierung) aufgearbeitet. 2. das Mittelöl (Sdp. 170—230°, 10—12% des Rohteers), dessen Hauptbestandteile die Phenole der Benzolreihe, die zweikernigen Ringverbindungen Naphthalin, Chinolin und Isochinolin sowie deren Methylderivate sind. Hier können die Phenole durch Extraktion mit Natronlauge, die Chinolinbasen durch Extraktion mit Schwefelsäure und Naphthalin auf Grund seiner hervorragenden Kristallisationsneigung gewonnen werden. 3. das Schweröl (Sdp. 230—270°, 8—10% des Rohteers). Es enthält neben etwas in der Mittelölfraktion noch nicht übergegangenem Naphthalin vor allem die höheren Methylderivate des Naphthalins, Chinolins usw. sowie Naphthole und Indol. Seine Verarbeitung auf Einzelverbmdungen lohnt im allgemeinen nicht. 4. das Anthracenöl (Sdp. 270—340°, 18—20% des Rohteers), das bereits sehr kompliziert zusammengesetzt ist. Isolierbar sind lediglich die besonders gut kristallisierenden tricyclischen aromatischen Verbindungen Anthracen, Phenanthren, Fluoren, Acenaphthen und Carbazol (zusammen etwa 25% der Fraktion). 1 ) Etwa das 15fache dieser Menge entweicht zunächst mit dem Leucht- bzw. Kokereigas, kann diesen Gasen aber durch Adsorption an Aktivkohle oder durch Auswaschen mit dem unten beschriebenen Mittelöl wieder entzogen werden. Rechnet man dieses Oasbenzol mit zum Steinkohlenteer, so erhöht sich dessen Ausbeute auf 3,6—7,1% der eingesetzten Kohle und die des isolierbaren Benzols auf etwa 20°fo des Oesamtteers.
25*
Kap. 13,1: Die Kohle und ihre Veredelung
388
Das als Destillationsrückstand verbleibende Pech (etwa 55% des Rohteers) besteht im wesentlichen aus einer kolloidalen Lösung von Ruß (daher die schwarze Farbe) in hochkernigen aromatischen Kohlenwasserstoffen und wird nicht mehr auf Einzelverbindungen verarbeitet. Es findet hauptsächlich als Bindemittel im Straßenbau und bei der Brikettherstellung Verwendung. Ferner kann es durch Hydrierung (analog der auf S. 389 beschriebenen Kohlehydrierung) in niedermolekulare Kohlenwasserstoffe zuerlegt werden.
2. Die Tieftemperaturverkokung oder Yerschwelung Wie Tabelle 23 zeigt, nimmt bei Herabsetzung der Verkokungstemperatur der Grad der „Disproportionierung" der Kohlesubstanz ab, und die Teer- sowie auch die Koksausbeute
steigen auf Kosten der Gasausbeute an: Tabelle 23 Die K o k s - , T e e r - u n d G a s a u s b e u t e in A b h ä n g i g k e i t v o n der V e r k o k u n g s t e m p e r a t u r ( f ü r S t e i n k o h l e ) Verkokungstemperatur 500° 600— 700° 1000—1200°
Ausbeute in Gew.-% der Kohlesubstanz an Koks
Teer und Benzol
Gas u. anorgan. Produkte
80 78 75
10 8 5
10 14 20
Die hauptsächlich bei der Braunkohle durchgeführte Tieftemperaturverkokung oder Versehwelang ist für den Organiker wegen der höheren Teerausbeute von einem gewissen Interesse, erfüllt aber nicht alle an sie gestellten Erwartungen, weil der Tieftemperatur- oder Urteer wegen seiner niedrigen Bildungstemperatur nicht so stark aromatisiert ist wie der Hochtemperaturteer und keine Isolierung kristallisierter Einzelverbindungen (z. B. von Naphthalin, Anthracen usw.) gestattet. Er findet deshalb ausschließlich als flüssiger Brennstoff Verwendung.
3. Die Extraktion Eine Möglichkeit, die Hauptmenge der Kohlesubstanz bereits auf physikalischem Wege zu verflüssigen, besteht in ihrer Auflösung in geeigneten Lösungsmitteln, zu der sie trotz ihrer hochmolekularen Natur in erstaunlichem Ausmaß befähigt ist. So lassen sich z. B. nach dem Verfahren von A. P O T T und H. BBOOHE Braun- und auch Steinkohle nach Anrühren mit einem Gemisch aus Tetralin, Naphthalin und sauren ölen beim Erhitzen bis dicht unter die Zersetzungstemperatur zu etwa 90% in Lösung bringen. Derartige Kohleextrakte finden vielfach bereits direkt als flüssige Brennstoffe Verwendung, werden aber meistens durch Hydrierung (siehe nächsten Abschnitt) zu Benzinen verarbeitet. Nach Rückgewinnung des Lösungsmittels durch Destillation hinterbleibt der Extrakt als pechähnliche, vollkommen aschefreie Masse, die zwischen 100° (Braunkohle) und 200° (Steinkohle) schmilzt.
4. Die Vergasung Seit dem zweiten Weltkrieg vergast man statt des Kokses auch die Kohle direkt mit Wasserdampf bei höherer Temperatur zu einem Wasserstoff-Kohlenoxyd-Qemisch. Das Verfahren entspricht in jeder Beziehung der bekannten Wassergasgewinnung aus Koks und ist infolgedessen für den Organiker nur von geringem Interesse.
5 : Die Gewinnung künstlicher Benzine
389
5. Die Gewinnung künstlicher Benzine Die Umwandlung von Kohle in Benzin ist bei dem heutigen Überangebot von Erdölen zwar nicht aktuell, doch sind in dem erdölarmen Deutschland zwei derartige Verfahren zur technischen Reife entwickelt worden, die auch in Zukunft bei einer evtl. frühzeitigen Erschöpfung der Erdöllager wieder von Bedeutung werden können. Es sind dies a) die Kohlehydrierung und b) die Benzinsynthese von F . FISCHER u n d H . TBOPSCH.
a) D i e
Kohlehydrierung
Wie schon der Name sagt, dient bei der Benzingewinnung durch Kohlehydrierung die hochmolekulare Kohlesubstanz als Ausgangsmaterial.
I
Zu ihrer Überführung in niedermolekulare Paraffine müssen also sowohl die einfachen G—C-Bindungen der riesigen Kohlemoleküle als auch die C—0-, C—N- und C—S-Bindungen hydrierend gespalten werden.
Das ist aber, da sich normalerweise nur Doppelbindungen hydrieren lassen, erst bei höherer Temperatur möglich. Nach dem auf diesem Prinzip beruhenden BERGIUS-Verlahren, das später von der I . Q. Farbenindustrie vervollkommnet wurde, führt man diese hydrierende Spaltung der Kohlemoleküle in zwei Stufen durch: Für die erste Hydrierungsstufe (sog. Sumpfphase) wird die fein zermahlene Kohle und gewisse als Katalysator dienende Eisenoxyde mit dem unten beschriebenen Schweröl zu einer teigigen, bei hoher Temperatur flüssigen Masse angerieben und in dieser Form bei 400 bis 500° unter einem Wasserstoffdruck von 300—700 At zu einem ölgemisch hydriert. Dessen höchstsiedende Anteile dienen unter der Bezeichnung Schweröl1) zum Anreiben neuer Kohle, während das leichter übergehende Mittdöl1) in einer zweiten Hydrierungastufe (sog. Oasphase) über edleren Katalysatoren (insbesondere finden hier die schwefelfesten Sulfide des Molybdäns und Wolframs Verwendung) in das eigentliche Benzin übergeführt werden, neben dem naturgemäß immer geringe Mengen gasförmige Paraffine bis herab zum Methan (sog. Hydrierungsgase) anfallen. Erst in dieser Gasphase findet im wesentlichen die oben erwähnte hydrierende Abspaltung der Heteroatome statt, so daß das Mittelöl u. a. auch eine wichtige Phenolquelle darstellt. b) D i e B e n z i n s y n t h e s e v o n F . FISCHER u n d H . TROPSOH Bei dem zweiten Verfahren zur Gewinnung von künstlichem Benzin wird die Kohle (in Form von Koks) zunächst zu Kohlenoxyd verbrannt und erst dieses der Hydrierung unterworfen.
I
Hier können die Benzinmoleküle im Gegensatz zu oben also nicht mehr durch Abbau sondern nur durch Aufbau von C—C- Bindungen gebildet werden, weshalb man von einer Benzinsynthese spricht.
Die Bildung der Paraffinkohlenwasserstoffe erfolgt im Prinzip nach der folgenden Gleichung: nCO +
2nIL,
— n H «° >
(n ;CH 2 ) *
+ H
'
»
H—I— CH2—I—H , I— —ln
ist aber stark von (nicht weiter störenden) Nebenreaktionen begleitet, so daß man nicht nur n-Paraffine sondern auch Olef ine und verzweigte Kohlenwasserstoffe erhält. Ferner muß man bei den zahlreichen anderen Reaktionsmöglichkeiten, die gerade das System Kohlenoxyd-Wasserstoff aufweist, streng auf die Einhaltung der Reaktionstemperatur (190—195°) achten, was bei der großen Reaktionswärme (etwa 20% der Verbrennungswärme) mit einigen 1
) nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Fraktion des Steinkohlenteers (S. 387).
Kap. 13, II: Das Erdöl
390
technischen Schwierigkeiten verbunden ist. Doch kommt man sonst mit relativ einfachen Apparaturen aus, da bei Atmosphärendruck (Niederdruckverfahren) oder mäßig erhöhtem Druck (bis 20 Atmosphären, Mitteldruckverfahren) gearbeitet werden kann.
Das Reaktionsprodukt wird ähnlich wie der Steinkohlenteer und das Erdöl fraktioniert destilliert, wobei neben einer Benzinfraktion (Kogasin I, etwa 60%) und einer Dieselölfraktion (Kogasin II, etwa 22%) etwa 10% eines Weichparaffins (Paraffingatsch) und ca. 3% eines im Kontakt angereicherten und deshalb Kontaktceresin genannten Hartparaffins anfallen. Eine gewisse Abänderung hat die FiscHER-TROPSOH-Synthese in neuerer Zeit dadurch erfahren, daß es gelungen ist, den Sauerstoff des Kohlenoxyds nicht mit Hilfe von Wasserstoff unter Bildung von Wasser sondern mit Hilfe eines zweiten Mols Kohlenoxyd unter Kohlendioxydbildung zu eliminieren. Da auch das Wasser durch Kohlenoxyd reduzierbar ist, kann man auf diese Weise den relativ teuren Wassersoff einsparen und kommt zu folgender summarischen Gleichung: (3n + l)CO
+
(n + l ) H 2 0
•
CnH^+2
+
(2n + l ) C 0 2
Die Reaktion verläuft am besten an Eisenkontakten bei 210 bis 250°.
II. Das Erdöl 1. Allgemeines Das Erdöl oder Petroleum ist die am längsten bekannte mineralische organische Substanz, denn auf die „heiligen Feuer von B a k u " ist ohne Zweifel die Prometheussage zurückzuführen. Eine größere wirtschaftliche Bedeutung hat es jedoch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und zwar anfangs als Leuchtöl, später als Ausgangsmaterial für die Benzinherstellung erlangt. Heute ist diese Bedeutung bereits so weit gestiegen, daß die Erdölgebiete im Mittelpunkt der politischen Kämpfe der Großmächte stehen. Über die Entstehung des Erdöls gingen die Vorstellungen früher weit auseinander. Vor allem die von MOISSAN entwickelte Hypothese, daß die Kohlenwasserstoffe des Erdöls durch hydrolytische Zersetzung von im Erdinnern vorkommenden Metallcarbiden entstanden seien, wurde viel diskutiert. Diese Theorie mußte jedoch endgültig zugunsten der Annahme eines organischen Ursprungs aufgegeben werden, nachdem A. TREIBS in zahlreichen Erdölarten die Anwesenheit geringer Mengen von Porphyrinen nachgewiesen hatte. Gleichzeitig wurde durch diesen Befund auch für das Erdöl bewiesen, daß es wie die Kohle (vgl. S. 385) bei seiner Bildung und auch später niemals Temperaturen oberhalb 200—300° ausgesetzt gewesen sein kann.
Die meisten Erdöle sind dickflüssige, dunkelbraune Substanzen, die im wesentlichen aus einem Gemisch verschieden hoch molekularer, überwiegend destillierbarer Paraffinkohlenwasserstoffe bestehen. Doch enthalten sie auf Grund ihres organischen Ursprungs daneben stets auch geringe Mengen von Derivaten sämtlicher in der lebenden Materie vorkommenden Heteroelemente (insbesondere Sauerstoff-, Stickstoff- und Schwefelverbindungen). Der chemische Aufbau der Kohlenwasserstoffe ist uneinheitlich. I n amerikanischen Erdölen liegen hauptsächlich kettenförmige Paraffine vor, während das kaukasische Erdöl vor allem aus Cycloparaffinen (sog. Naphthenen) besteht, und die meisten anderen Erdölsorten in ihrer Zusammensetzung zwischen diesen beiden Extremen liegen. Als letztes Beispiel sei das deutsche Erdöl von Wietze (bei Celle) angeführt, das besonders viel hochsiedende, für die Herstellung von Schmierstoffen geeignete Kohlenwasserstoffe führt.
2: Die Verarbeitung des Erdöls
391
2. D i e Verarbeitung des Erdöls Da die hoch- oder auch die tiefsiedenden Anteile des Erdöls bei seinen verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten stören, hat man es schon frühzeitig vor dem eigentlichen Verbrauch durch Destillation in die folgenden fünf charakteristischen Fraktionen zerlegt, deren Siedegrenzen sich nach den jeweiligen Verwendungszwecken richten: 1. Der Gasanteil des Erdöls ist sehr gering und wurde früher meistens als Heizgas in der Erdölindustrie selbst verwandt. Heute wird er daneben auch mit den unten beschriebenen Crockgasen zusammen weiterverarbeitet. 2. Die Benziiifraktion (untere Siedegrenze 40—70°, obere Grenze 150—200°) dient nach Entfernung evtl. Verunreinigungen in erster Linie als Treibstoff für Vergasermotoren. Ihre Siedegrenzen sind dadurch bedingt, daß das Benzin einerseits die niedrigsiedenden Anteile zum Anspringen der Motoren in der kalten Jahreszeit benötigt, andererseits wegen des Zwanges zur vollständigen Vergasung keine oberhalb 150—200° siedende Anteile enthalten darf. 3. Die Eerosinlraktion (150—200° bzw. 250°) findet (nach entsprechender Reinigung) in technisch wenig entwickelten Ländern auch heute noch eine verbreitete Anwendung als Leuchtpetroleum. Ihre Siedegrenzen sind dadurch festgelegt, daß einerseits die über der Flüssigkeit stehenden Dämpfe bei Baumtemperatur noch nicht entzündbar sein dürfen, andererseits die Verbrennung ohne Bußabscheidung erfolgen soll. Der den Leuchtölbedarf übersteigende Teil wird meistens mit der folgenden Fraktion vereinigt. 4. Die Gasöltraktion (250° bzw. 300—350°) wurde früher stark vernachlässigt und als billiges Heizöl abgegeben. Heute findet sie in erster Linie als Dieselkraftstoff Verwendung, der im Gegensatz zum Vergasertreibstoff flüssig in den Motor eingespritzt wird und daher keine niedrige Siedetemperatur erfordert. Der relativ niedrige Preis dieses Kraftstoffes war eine der treibenden Ursachen für den Siegeszug des Fahrzeug-Dieselmotors in den letzten drei Jahrzehnten. 5. Die in sehr großen Mengen anfallende Schmierölfraktion (300—350° bzw. 450°) wird schließlich nur zum kleinen Teil auf Schmierstoffe verarbeitet und in der Hauptsache als Heizöl verfeuert. Ferner wird sie in steigendem Ausmaß durch Vercrackung (s. u.) oder Hydrierung in Benzin umgewandelt. 6. Das als Destillationsrfickstand anfallende Pech dient wie das Teerpech als Bindemittel beim Straßenbau. Des weiteren wird es nach Auflösen in einer der anderen Fraktionen ebenfalls als Heizöl verbrannt. Seine Eigenschaften stimmen nicht vollständig mit denen des Steinkohlenteerpechs überein, weil letzteres infolge der höheren Bildungstemperatur überwiegend aromatischer, das Erdölpech dagegen überwiegend aliphatischer Natur ist. Sämtliche Fraktionen können für Spezialzwecke in Unterfraktionen zerlegt werden. So erhält man z. B. bei der Benzinfraktionierung die beschriebenen Paraffingemische vom Petroläther bis zum Ligroin. Ebenso wird die Schmierölfraktion zur Schmierstoffgewinnung nochmals in Unterfraktionen aufgespalten. Die Feinfraktionierung unterbleibt jedoch bei der wichtigsten Verwendung des Erdöls als Brennstoff. W i e Abb. 28 zeigt, entsprechen die Anteile an den einzelnen Fraktionen nur sehr unvollkommen den Marktbedürfnissen. Man muß deshalb versuchen, die überschüssigen hochsiedenden Schmieröle und das Pech in niedrigsiedende Benzine umzuwandeln. Neben der auch hier möglichen hydrierenden Molekülspaltung (analog der Kohlehydrierung, S. 389) ist das wichtigste zu diesem Zweck entwickelte Verfahren der Crackingprozeß (verdeutscht meistens Crackprozeß genannt), von dessen Namen sich sekundär der für thermische Zersetzungsreaktionen gebräuchliche Ausdruck Vercracken ableitet. Er beruht auf einer thermischen oder katalytischen Zersetzung der höher molekularen Paraffine bei Drucken von 1—40 A t und Temperaturen von 450—600° im Sinne der folgenden, bereits auf S. 36 näher beschriebenen summarischen Gleichung: Alk—CH2—CH2—Alk'
Alk—H +
CH a =CH—Alk'
392
Kap. 13, I I : Das Erdöl
a) Durchschnittliche Zusammensetzung des Erdöls
Abb. 28 b) Tatsächlicher Anteil der Erdölprodukte am Weltmarkt (um 1935)
Es entsteht also stets ein z. T. ungesättigtes Kohlenwasserstoffgemisch. Jedoch wirkt sich der Olefingehalt auf die Eigenschaften des Grackbenzins durchaus nicht schädlich, in gewisser Beziehung sogar günstig aus. Mit Hilfe dieses Crackprozesses lassen sich alle höheren Erdölfraktionen (einschl. des Destillationsrückstandes) bis zu 50% in Benzine überführen, so daß die Gesamtbenzinausbeute auf über 40% des Rohöls gesteigert werden kann. Neben dem Benzin fallen beim Crackprozeß große Mengen gasförmiger Kohlenwasserstoffe (sog. Crackgase) an, die in verschiedener Richtung als wichtige Rohstoffe dienen. Z. B. kann man eine zusätzliche Erhöhung der Benzinausbeute dadurch erzielen, daß man die in den Crackgasen enthaltenen Olefine zu höheren Kohlenwasserstoffen polymerisiert (sog. Polymerbenzine). An Einzelverbindungen werden aus den Crackgasen vor allem Äthylen, Propen, n-Buten und Isobuten (S. 47) gewonnen, die dadurch (trotz ihres geringen Anteils von jeweils nur wenigen Prozenten) zu technischen Großprodukten geworden sind und selbst das Acetylen als Einfallstor in die aliphatische Chemie von der ersten Stelle verdrängt haben.
14. K a p i t e l
Die organischen Farbstoffe I. Allgemeines 1. Grundlegende Definitionen Hl
Ein Farbstoff ist einfarbiger
Stoß, der andere Stoffe
anfärbt.
Diese Definition des Farbstoffbegriffs im weitesten Sinne zeigt bereits, daß man grundsätzlich zwischen Stoffen mit Eigenfarbe und solchen, die durch einen fremden „Farbstoff" angefärbt werden, unterscheiden muß. Erstere werden stets als farbig (im einzelnen gelb, blau, rot usw.), letztere als gefärbt bezeichnet. Indigo ist also an sich noch kein Farbstoff und auch keine „blaugefärbte" Verbindung, wie man vielfach gedankenlos sagt, sondern ein farbiger (speziell blauer) Stoff. Erst beim „Aufziehen" auf Textilfasern wird er zum eigentlichen Farbstoff, und die Fasern sind dann blau gefärbt.
Für den wichtigsten Verwendungszweck der farbigen organischen Verbindungen als Textilfarbstoffe hat sich in der Praxis eine etwas engere Definition des Farbstoffbegriffs entwickelt: Textilfarbstoffe sind farbige (meistens organische) Verbindungen, die einerseits auf der Faser haften, andererseits gegen Wasser, Luft und Licht eine genügende Beständigkeit (sog. „Echtheit") aufweisen müssen, um dauerhafte Färbungen zu liefern. Hier hängt der Farbstoffcharakter also nicht nur von Farbeigenschaften des betreffenden Stoffes ab, sondern auch von seinen Echtheitseigenschaften und von den Eigenschaften des anzufärbenden Gutes sowie schließlich v o n der Färbemethode
(vgl. S. 397 f.). Eine absolute
Definition
eines Stoffes als Farbstoff ist also auch auf dieser Basis nickt möglich; denn es ist schon des öfteren vorgekommen, daß Substanzen (wie z. B. Azobenzol), die auf keiner der klassischen Fasern beständige Färbungen liefern und daher nicht als „Farbstoffe" angesehen wurden, die modernen synthetischen Fasern sehr „echt" anzufärben vermögen und damit nunmehr zu den „Farbstoffen" gerechnet werden müssen.
Im folgenden sollen mehr im Sinne der ersten Definition alle farbigen organischen Verbindungen beschrieben werden, die in Natur und Technik anderen Stoffen (nicht nur Textilien) eine Farbe verleihen. Alle organischen Farbstoffe sind Absorptionsfarbstoffe. D. h. die Farbwirkung kommt dadurch zustande, daß sie aus dem weißen Licht (als Einheit gilt allgemein das d i f f u s e Tageslicht) einen gewissen Spektralbereich absorbieren, so daß nur noch ein Teil der im weißen Licht enthaltenen Farben durchgelassen bzw. zurückgestrahlt wird.
Kap. 14,1: Die organischen Farbstoffe — Allgemeines
394
Die sichtbare Farbe eines Farbstoffs ist also nicht mit der den Physiker und Chemiker in erster Linie interessierenden Farbe des absorbierten Lichtes identisch sondern dessen Komplementärfarbe (zwei Komplementärfarben ergänzen sich bekanntlich zu Weiß). Wir kommen somit zu den in Tabelle 24 zusammengestellten Beziehungen zwischen der Farbe eines Farbstoffs und der Farbe der von ihm absorbierten Lichtstrahlen : Tabelle 24 Die B e z i e h u n g e n z w i s c h e n a) den W e l l e n l ä n g e n des v o n einem F a r b s t o f f a b s o r b i e r t e n L i c h t s in Ä, b) d e r „ S u m m e n f a r b e " des a b s o r b i e r t e n L i c h t s u n d c) der s i c h t b a r e n F a r b e des F a r b s t o f f s ( = K o m p l e m e n t ä r f a r b e zu b) a)
4000 — 4400
4400 — 4800
4800 — 5000
5000 — 5800
5800 — 5950
5950 — 6100
6100 — 7500
b)
Violett
Blau
Blaugrün
Gelbgrün
Gelb
Orange
Rot
c)
Gelb
Orange
Rot
Purpur
Violett
Blau
Blaugrün
Verschiebt sich also die Wellenlänge des absorbierten Lichts von kürzeren zu längeren Wellen, so wird bei einer Wellenlänge von etwa 4000 Ä die Sichtbarkeitsgrenze überschritten, und der Farbstoff erscheint gelb. Wandert die Farbe des absorbierten Lichts dann vom violetten zum roten Ende des Spektrums, so verschiebt sich die sichtbare Farbe von Gelb über Orange, Rot, Purpur,
Violett und Blau
nach
Grün. Jede Farbverschiebung in dieser Richtung wird Farbvertiefung1) (auch Bathochromie oder bathochromer Effekt2)) und jede entgegengesetzte Verschiebung Färberhöhung1) (Hypsochromie oder hypsochromer Effekt3)) genannt. Schließlich sei noch kurz auf die Frage eingegangen, wie die Farbstoffe die aufgenommene Liehtenergie „verwerten". Hier gibt es die folgenden vier Möglichkeiten: 1. Die Lichtenergie wird in Wärme umgewandelt und an die Umgebung abgegeben. 2. Die Lichtenergie wird in chemische Energie umgewandelt und zerstört den Farbstoff, d. h. dieser bleicht aus. In der Technik ist dieser Effekt meistens unerwünscht und wird als IAchtunechlheit bezeichnet. Er tritt bei „lichtechten" Farbstoffen fast vollständig hinter der ersten Möglichkeit zurück. Im Falle des Rhodopsin oder Sehpurpur genannten Farbstoffs der Netzhaut des tierischen Auges ist die Lichtunechtheit für den physiologischen Ablauf des Sehvorganges direkt erforderlich und erreicht einen von keinem anderen Farbstoff erreichten maximalen Qrad. 3. Der Farbstoff überträgt die Lichtenergie als chemische Energie auf andere Moleküle. Dies ist z. B. bei der im Sonnenlicht vor sich gehenden Kohlendioxydassimilation in Gegenwart von CMorphyll der Fall. 4. Der Farbstoff strahlt die mit dem Licht aufgenommene Energie in Form von Licht anderer Wellenlänge wieder aus. Diese Erscheinung nennt man Fluoreszenz.
2. Die chemischen Farbtheorien Jede Lichtabsorption durch Materie kommt dadurch zustande, daß die elektromagnetischen Wellen des Lichts und die elektrisch geladenen Teilchen der Moleküle im gleichen Rhythmus schwingen, so daß die letzteren zum Mitschwingen
angeregt werden und hierbei die Lichtenergie übernehmen.
Die Begriffe Farbvertiefung und Farberhöhung sind in Anlehnung an die Akustik geprägt worden, bei der in analoger Weise der Übergang zu längeren Wellen mit einer Vertiefung und der Übergang zu kürzeren Wellen mit einer Erhöhung des Tons verbunden ist. a ) Von griech. ßa6os = die Tiefe und Xpcoucc = die Farbe. s ) Von griech. uyop = die Höhe.
2: Die ohemischen Farbtheorien
395
Als derartige für die Absorption von sichtbarem Licht (sowie auch von Licht der anschließenden ultravioletten und infraroten Spektralbereiche) geeignete Molekülteilchen kommen praktisch ausschließlich die n-Elektronen mesomerer Bindungssysteme in Betracht. Jede Aufstellung von chemischen Farbtheorien ist daher nur im Rahmen der Mesomerielehre möglich. An sich wurden schon sehr frühzeitig chemische Farbtheorien entwickelt. Z. B. stellten C. GRAEBE und C. LIEBERMANN bereits 1 8 6 8 fest, daß sämtliche organischen Farbstoffe ungesättigt sind, also im heutigen Sinne ein mesomeres jz-Elektronensystem besitzen. Nur acht Jahre später erkannte dann 0. N. WITT, daß die organischen Farbstoffe zwei charakteristische Gruppen enthalten, die er chromophore Gruppen (z. B. die Nitrogruppe im Benzolkern oder chinoide Ringsysteme) und auxochrome Gruppen (z. B. OH- oder NH2-Gruppen) nannte, und die erst durch ihr Zusammenwirken die Farbe hervorrufen. Diese Theorie wurde später nur geringfügig verändert. Vor allem reduzierte R . WIZINGER (1927) den Begriff der chromophoren Gruppe auf den NO2Sest und ähnliche einfache Atomgruppen, die er dann antiauxochrome Gruppen nannte. Nach dieser modifizierten Theorie enthält jeder Farbstoff je eine auxochrome und antiauxochrome Gruppe, die durch ein System konjugierter Doppelbindungen miteinander verbunden sind. Diese Vorstellung entsprach den wirklichen Verhältnissen bereits weitgehend und konnte infolgedessen nach „Übersetzung in die Elektronensprache" unmittelbar von der Mesomerielehre übernommen werden (Näheres über die historische Entwicklung der Farbtheorien vgl. III, Kap. 2, I, 2a). Zwischen Mesomerie und Farbe wurden die folgenden Beziehungen festgestellt: 1. Organische Stoffe absorbieren nur dann im sichtbaren Spektralbereich und sind damit farbig, wenn sie ein mindestens drei (in Ausnahmefällen auch zwei, vgl. S. 399) konjugierte Doppelbindungen enthaltendes mesomeres jr-Elektronensystem besitzen. 2. Die Lage der Hauptabsorptionsbande eines farbigen Stoffs im Spektrum hängt einerseits von der Größe des mesomeren Bindungssystems ( = Zahl der an ihm beteiligten Doppelbindungen bzw. n-Elektronen), andererseits von dessen geometrischer Gestalt ab. Eine besonders starke Farbwirkung (d. h. Verschiebung der Absorptionsbanden zu den langen Wellen hin) beobachtet man bei linearer Aneinanderreihung der konjugierten Doppelbindungen. Hier ist der bathochrome Effekt von allen Systemen gleicher Doppelbindungszahl am stärksten. Umgekehrt ist die Färb Wirkung bei cyclischer Konjugation der Doppelbindungen nur gering. Beispielsweise absorbieren Benzol, Naphthalin, und selbst Anthracen trotz Vorliegens von bis zu sieben konjugierten Doppelbindungen nur im UV-Gebiet und erscheinen deshalb farblos. 3. Bei vergleichbarer geometrischer Gestalt der jr-Elektronensysteme nimmt, die Farbwirkung naturgemäß mit der Intensität der Mesomerie zu und erreicht bei vollständigem Valenzausgleich (S. 338) ein Maximum. Die „tiefste Farbe" (d. h. Absorption der längsten Wellen) tritt infolgedessen bei einer gegebenen Zahl von Doppelbindungen immer dann auf, wenn die Enden des konjugierten Systems derart mit entsprechenden Gruppen besetzt sind, daß eine Mesomerie zwischen energiegleichen Grundstrukturen und damit ein vollkommener Valenzausgleich ermöglicht wird. Dies ist z. B. bei den Verbindungen I und I I der Fall, bei denen die Endgruppen im Bahmen der Mesomerie zwischen den Strukturen I a und I b bzw. I I a und I I b wechselseitig ineinander übergehen. Beide Stoffe zeigen infolgedessen annähernd dieselbe und gleichzeitig tiefste Farbe (Rot), die man mit einem System von drei konjugierten Doppelbindungen überhaupt erzeugen kann: ® RjN—CH=CH—CH=CH—CH=NR,'2 a
®
I
II
0=CH—CH=CH—CH=CH—Ol ] Na+ b
f e [ 10—CH=CH—CH=CH—CH=0 a
+
R2N=CH—CH=CH—CH=CH—NRa b
Cl"
396 III |||
Kap. 14,1: Die organischen Farbstoffe — Allgemeines
Man spricht hier deshalb zweckmäßig von idealen Farbsystemen. Sie sind annähernd bei den Polymethinfarbstoffen (S. 399) verwirklicht.
Die langwelligste Absorptionsbande derartiger idealer Farbsysteme verschiebt sich pro Doppelbindung um etwa 1000 Ä nach den langen Wellen hin. Wie Abb. 29, Kurve 2 zeigt, wird hier schon bei drei Doppelbindungen das sichtbare und bei sechs Doppelbindungen das infrarote Spektralgebiet erreicht. Im Gegensatz zu den idealen Farbsystemen ist bei Konjugation von C=C-DoppeIbindungen ohne besondere Endgruppen (also etwa bei den Polyenkohlenwasserstoffen) der Valenzausgleich besonders gering (S. 340). In diesem Fall beobachtet man daher eine für die betreffende Zahl von Doppelbindungen minimale bathochrome Verschiebung der langwelligsten Absorptionsbande. Die für einige Polyene bestimmten Werte sind in Abb. 29, Kurve 1 wiedergegeben. Danach wird hier die Sichtbarkeitsgrenze erst bei etwa 7 Doppelbindungen überschritten, und selbst bei 20 Doppelbindungen tritt noch nicht entfernt eine Absorption im Infrarot ein.
Abb. 29 Die Lage der langwelligsten Absorptionsbande (Amax) von Polyen-kohlenwasserstoffen (Kurve 1) und von Farbstoffen mit idealem Farbsystem (Kurve 2) in Abhängigkeit von der Zahl der Doppelbindungen
Die meisten organischen Farbstoffe liegen zwischen beiden Extremen. D. h. in ihnen ist das konjugierte Doppelbindungssystem mit den schon auf S. 395 definierten auxochromen und antiauxochromen Gruppen besetzt, die die Mesomerie gegenüber den Kohlenwasserstoffen erleichtern ohne im allgemeinen zu einem vollkommenen Valenzausgleich zu führen. Im einzelnen entpuppen sich hierbei die auxochromen Gruppen als Reste, die dem Doppelbindungssystem im Rahmen der Mesomerie Elektronen zuführen (z. B. —Ol® oder —NR 2 in I und II, aber auch —OH), und die antiauxochromen Gruppen als Reste, die Elektronen aus dem Doppel_ © bindungssystem aufnehmen (z. B. C = 0 oder C = N R 2 in I und II, aber auch die Nitrogruppe). Den charakteristischen Aufbau eines Farbstoffs kann man auf Grund der Mesomerielehre nunmehr also folgendermaßen definieren: Eine farbige organische Substanz enthält stets ein konjugiertes Doppelbindungssystem, dessen Enden zur Intensivierung der Mesomerie auf der einen Seite mit einer elektronenliefernden (sog. auxochromen) Gruppe und auf der anderen Seite mit einer elektronenaufnehmenden (sog. antiauxochromen) Gruppe besetzt sind. Die Zusammenwirkung beider Gruppen strebt einem nicht überschreitbaren Maximum zu, das bei vollständigem Valenzausgleich erreicht wird und durch eine für ein yr-Elektronensystem gegebener Größe maximale Farbtiefe ausgezeichnet ist.
3. Die Chemie der Faserfärbung
397
Wie die Formeln I und I I zeigen, tritt eine gegenseitige Umwandlung der Bndgruppen eines mesomeren Systems ineinander und damit ein vollständiger Valenzausgleich immer dann besonders leicht ein, wenn eine dieser Gruppen ionogen und eine neutral ist, das ganze Molekül also als Ion vorliegt; denn die Wanderung von Elektronen im Rahmen einer Mesomerie ist zwangsläufig immer mit dem Aufladen bzw. Entladen der endständigen Atome eines nickt-cyclischen Jt-Elektronensystems verbunden, und ein derartiger Vorgang erfolgt gerade bei Ionen besonders leicht zwischen energiegleichen Grundstrukturen (vgl. S. 339). Vor allem die älteren Farbstoffe waren aus diesem Grunde häufig Salze, und man sprach (ohne Kenntnis der wahren Zusammenhänge) von einem durch die Salzbildung bedingten Farbeffekt (sog. Halochromie, von griech. aXos = Salz und xpconct = Farbe). Als weitere Folge dieser Salznatur vieler Farbstoffe hat es sich eingebürgert, alle salzartigen Farbstoffe mit farbigem Anion als saure Farbstoffe zu bezeichnen, weil sich zumindest formal von ihnen eine durch Addition eines Protons an das Ion entstehende Farbsäure ableitet. Entsprechend heißen alle Farbstoffe mit farbigem Kation basische Farbstoffe, weil sie (ebenfalls zumindest formal) durch Abgabe eines Protons oder Addition eines Hydroxyl-Ions in Farbbasen übergeführt werden können. Diese Bezeichnungen sind aber insofern irreführend, als sowohl die Farbsäuren der sauren als auch die Farbbasen der basischen Farbstoffe wegen der weitgehenden Zerstörung des mesomeren n-Elektronensystems keine (oder nicht die den Farbsalzen eigene) Farbe mehr zeigen. Wirklich farbig sind vielmehr immer nur die Salze.
3. Die Chemie der Faserfärbung Eines der Hauptprobleme für die wichtigste Verwendung der farbigen organischen Verbindungen als Textilfarbstoffe ist ihre feste Verankerung auf der Faseroberfläche. Hierzu sind mehrere Färbeverfahren entwickelt worden, deren Anwendungabereiche nicht nur v o n der chemischen Natur der Farbstoffe sondern auch v o n der der anzufärbenden Textilfasem abhängen. Man kann sie in drei Hauptgruppen unterteilen: 1. Der Farbstoff wird aus einer wäßrigen Lösung (in der Technik allgemein Flotte genannt) auf die Faser übertragen. Hier gibt es drei Möglichkeiten: a) Der Farbstoff besitzt gegenüber der Faser eine gewisse chemische (oder auch zwischenmolekulare) Affinität, auf Grund deren er sich unlöslich auf der Faseroberfläche niederschlägt. Hier liegt eine Adsorptionsfärbung vor. b) Der Farbstoff wandert in das Innere der Faser unter Bildung einer festen Lösung (sog. Lösungsfärbung). c) Besteht zwischen Farbstoff und Faser schließlich keine ausreichende Affinität, so kann m a n eine Mittlersubstam verwenden, die beide Partner zu binden vermag u n d auf diesem U m w e g den Farbstoff fest mit der Faseroberfläche verknüpft. Solche Mittlerstoffe werden Beizen genannt, und m a n spricht daher v o n einer Beizenfärbung. Die meisten Beizen sind Salze komplexbildender mehrwertiger Metalle (insbesondere Chromsalze). Sie bilden auf der Faser fest haftende Farblacke, worunter Komplexe verstanden werden, in denen sowohl die OH- oder NR%-Qruppen der Faseroberfläche als auch die entsprechenden Gruppen des Farbstoffmoleküls eingebaut sind, so daß der Färb- und der Faserstoff zu einem Molekül zusammengeschlossen werden. Man kann einerseits den Faserstoff zuerst „beizen" (in der Technik vorchromieren genannt) und dann den Farbstoff auf die so vorbehandelte Faser aufziehen lassen, andererseits aber auch umgekehrt zuerst den Farbstoff locker auf die Faser bringen und dann durch „Nachchromieren" den festhaftenden Farblack bilden. Als modernstes Verfahren verwendet man schließlich die sog. Chrom-Komplex-Farbstoffe, die den Komplexbildner bereits im Molekül enthalten, so daß sich jegliche gesonderte Beizungsoperation erübrigt. Genau genommen liegt hier allerdings keine eigentliche Beizenfärbung mehr vor, weil der Farbstoff im Sinne des Verfahrens 1 a als Ganzes von der Faser absorbiert wird.
398
Kap. 14,1: Die organischen Farbstoffe — Allgemeines
2. Der in keiner Flotte lösliche Farbstoff wird auf der Faseroberfläche erzeugt. Hier ist vor allem die Küpenfärbung zu nennen, bei der ein Reduktionsprodukt des Farbstoffs (meistens die Dihydroverbindung) alkalilöslich ist und aus der alkalischen Lösung (sog. Küpe) locker auf die Faser aufzieht. Nach dem Antrocknen wird dann der eigentliche Farbstoff durch den Luftsauerstoff regeneriert und verbindet sich hierbei derart fest mit der Faseroberfläche, daß er durch Lösungsmittel nicht mehr entfernt werden kann, also sehr waschecht ist. Eine andere Möglichkeit der Erzeugung des Farbstoffs auf der Faser liegt in der Entwicklungsfärbung vor. In diesem Fall wird eine chemische Vorstufe des Farbstoffs (z. B. ein kupplungsfähiges Phenol, vgl. S.408f.) locker auf die Faser gebracht und erst dort zum unlöslichen Farbstoff umgesetzt (das Phenol z. B. mit Diazoniumsalzen zum Azofarbstoff gekuppelt). Derartige Entwicklungsfarbstoffe finden nicht nur zur Herstellung sehr echter Faserfärbungen sondern auch in der Farbphotographie eine häufige Anwendung, wenn es darauf ankommt, an den nicht belichteten Stellen des Films die noch vorhandene Vorstufe wieder auswaschen zu können und an den belichteten Stellen ein nicht mehr auswaschbares farbiges Bild zu erzeugen. 3. Die Pigmentfärbung, d. h. die in der Anstrichtechnik gebräuchliche Anfärbung der Faser mit FarbstoffJcörnchen (sog. Pigmente), galt lange Zeit in der Textilindustrie als nicht durchführbar, da man keine Möglichkeit hatte, die Pigmente auf der Faseroberfläche zu verankern. Heute gibt es bereits zwei derartige Verfahren: Einmal werden die Farbstoffpigmente in einen gleichzeitig auf der Faser niederzuschlagenden Kunststoff-Film, eingebettet, und zum anderen suspendiert man die Pigmente in den zur Faserherstellung dienenden Spinnlösungen, so daß sie nach der Verspinnung im Faserinnern verteilt vorliegen. Diese sog. Spinilfärbung ist natürlich nur bei Kunstfasern anwendbar.
Bei Anwendung der angeführten Färbeverfahren auf die verschiedenen Faserarten ergeben sich die folgenden Gesichtspunkte: 1. Wolle ist ein vorwiegend basischer Eiweißstoff, dessen Oberfläche ziemlich genau 0,085 Mol Säure pro 100 g Fasersubstanz zur Neutralisation benötigt. Sie kann das entsprechende Äquivalent eines sauren Farbstoffs unter Bildung eines sehr fest haftenden Oberflächensalzes direkt aus einer Flotte im Sinne einer Adsorptionsfärbung aufnehmen. Hier beruht die Adsorption des Farbstoffs also auf einer Salzbildung, bzw. genauer auf der Bildung eines sehr schwerlöslichen Salzes; denn die Salzbildung als solche (wie z. B. die mit der leicht wieder auswaschbaren Schwefelsäure) ruft noch keine Faserhaftung hervor. Wolle läßt sich also mit sauren (sowie in geringem Umfang auch mit basischen) Farbstoffen auf dem einfachen Wege einer Adsorptionsfärbung anfärben. Ferner sind für die Wollfärbung gebräuchlich die Chrom-Komplex-Farbstoffe und andere Beizenverfahren, bei denen hauptsächlich die basischen Aminogruppen des Eiweißmoleküls in Reaktion treten, sowie die Küpenfärberei, sofern die Farbstoffe keine zu stark alkalische und dadurch die Wolle schädigende Küpen erfordern. Nicht anwendbar ist dagegen die Spinnfärbung.
2. Cellulosefasern enthalten an der Oberfläche nur die nicht mehr zur Salzbildung befähigten alkoholischen Hydroxylgruppen. Hier ist die Adsorptionsfärbung daher nur noch mit wenigen, besonders starke Assoziationskräfte ausübenden Farbstoffen möglich, die man unter der Bezeichnung substantive Baumwollfarbstoffe zusammenfaßt. Die wichtigsten Färbemethoden für Baumwollstoffe sind aus diesem Grunde die Beizen- und die Küpenfärbung. Außerdem kann für künstliche CeUvlosefasern bereits die Spinnfärbung in größerem Umfang angewandt werden sowie für die lipophilen Celluloseaceiatfasem die Lösungsfärbung.
Kap. 14, I I : Die wichtigsten technischen Farbstoffe
399
3. Die modernen synthetischen Fasern enthalten schließlich nur noch wenig oder überhaupt keine den Farbstoff bindende Gruppen mehr. Es ist infolgedessen weder eine Adsorptionsfärbung noch eine Beizenfärbung möglich, und auch die Küpenfärbung versagt vielfach. III Hl
Für diese meistens lipophilen synthetischen Fasern sind deshalb in erster Linie die modernen Verfahren der Lösungs- und Spinnfärbung entwickelt worden.
II. Die wichtigsten technischen Farbstoffe 1. Die Polymethin- oder Cyanin-Farbstoffe Die auf S. 395 formulierten Verbindungen I und I I mit idealem Farbsystem, sind viel zu labil, um als Farbstoffe Verwendung finden zu können. Baut man die Enden des konjugierten Doppelbindungssystems jedoch in Heterocyclen ein, so werden die Stoffe beständiger. Sie haben wegen der Aneinanderreihung von CHOruppen im mittleren Molekülteil den Namen Polymethinfarbstoffe erhalten, werden aber nach ihrem ältesten, heute nur noch historisch interessanten Vertreter, dem Cyanin-blau, auch Cyaninfarbstoffe genannt. Die modernen Polymethinfarbstoffe gehören sämtlich dem Strukturtypus I an:
|
||
)=CH(^CH=CH)-/
||
R Variabel ist einerseits der Ringbaustein Y, andererseits die Zahl n der Vinylengruppen. Ist Y = O, so spricht man von Benzoxazol-Farbstoffen. Ähnlich liegen für Y = S Benzthiazol-, für Y = Se Benzselenazol-, für Y = CR2 Indolenin- und für Y = C H = C H Chinolinfarbstoffe vor. Ist weiterhin n = 0, so werden die Heterocyclen nur durch eine Methingruppe verknüpft (sog. Monomethintarbstoffe). Hier enthält das Farbsystem nur zwei konjugierte Doppelbindungen (ohne die außerhalb liegenden jt-Elektronen der Benzolkerne und von Y), und der Farbstoff erscheint gelb. Für n = 1 (Trimethlnfarbstotfe mit drei CH-Qruppen und drei Doppelbindungen im Farbsystem) vertieft sich die Farbe dann nach Rot, für n = 2 (Pentamethiniarbstolfe mit vier Doppelbindungen im Farbsystem) nach Blau, und für noch höhere Werte von n wandert das Absorptionsgebiet bereits im Infrarot. Als höchstes Glied der Reihe konnte bisher ein Undekamethinfarbstoff (n = 5) mit sieben konjugierten Doppelbindungen im Farbsystem synthetisiert werden. Er absorbiert weit im infraroten Gebiet bei etwa 10000 Ä.
Für die Verwendung als Texiiifarbstoffe sind auch die Polymethinverbindungen noch zu unbeständig, insbesondere zu lichtunecht. Dagegen zeigen sie von allen bekannten Farbstoffen die stärkste Befähigung, die aufgenommene Lichtenergie auf das Bromsilber der fotografischen Platte zu übertragen und diese dadurch für den absorbierten Wellenbereich zu sensibilisieren (meistens ist das Sensibilisierungsgebiet noch etwas weiter nach den langen Wellen hin verschoben). Die Polymethinfarbstoffe dienen daher ausschließlich als Sensibilisatoren in der Fotografie und haben wegen der Vielseitigkeit der an diese gestellten Aufgaben eine außerordentlich intensive wissenschaftliche Bearbeitung erfahren.
Kap. 14, II: Die wichtigsten technischen Farbstoffe
400
2. Die merichinoiden Farbstoffe Baut man das ideale Farbsystem im Sinne der Formeln I oder I I in zwei Sechsringe ein, so wird das Molekül wesentlich stabiler, und man kommt zu Substanzen, die schon als Textilfarbstoffe Verwendung finden können, heute aber meistens durch die wesentlich lichtechteren Chinonküpenfarbstoffe (S. 406f.) wieder verdrängt worden sind. Me+
-NR,2 II
Alle Farbstoffe dieses Typus werden zusammenfassend merichinoide Farbstoffe genannt, weil in ihnen die Sechsringe bei Ausbildung des mesomeren Zwischenzustandes eine Mittelstellung zwischen benzoider und chinoider Oxydationsstufe annehmen. Die wichtigsten merichinoiden Farbstoffe werden auf Grund der Natur des die Ringe verknüpfenden Atoms A eingeteilt in a) die Triphenylmethanfarbstoffe und b) die Chinoniminfarbstoffe. Ihnen schließt sich c) eine weitere Gruppe von tricyclischen Farbstoffen an, die sich von den Farbstoffen der beiden ersten Klassen durch einen weiteren Ringschluß ableiten. a) Die T r i p h e n y l m e t h a n - F a r b s t o f f e Ist A (in Formel I bzw. II) eine G—Ar-Gruppe, so sind die Farbstoffe Derivate des bereits erwähnten Triphenylmethans (S. 66). Derartige Farbstoffe entstehen verhältnismäßig leicht bei der oxydierenden Kondensation aus drei Phenol- oder Anilinbasenmolekülen, wenn einer der Kondensationspartner eine im Kern befindliche Methylgruppe enthält. Sie wurden deshalb schon ziemlich frühzeitig als Oxydationsprodukte des noch Kresole enthaltenden rohen Teerphenols (bzw. des aus unreinem Teerbenzol über die Nitroverbindungen hergestellten, noch Toluidine enthaltenden Rohanilins) gewonnen, ohne daß man von einer eigentlichen „gezielten Synthese" sprechen kann. Auf diese mehr zufällige Bildungsweise ist in erster Linie die Gewohnheit zurückzuführen, die künstlichen organischen Farbstoffe als Teeroder Anilinfarben zu bezeichnen. Beispielsweise entsteht bei der Oxydation von gleichen Teilen Anilin, o-Toluidin und p-Toluidin (oder auch von technischem Rohanilin [sog. Rotanilin], das alle drei Komponenten, wenn auch in anderem Mengenverhältnis enthält) im Sinne der folgenden Gleichung der älteste technische basische Teerfarbstoff, das rotviolette Fuchsin (oder Rosanilin), das Ende des vorigen Jahrhunderts in großen Mengen produziert wurde:
h
*
n
- 0 -
_ - 3 H,
C=(
Fuchsin
=NHo
er
2 a: Die Triphenylmethanfarbstoffe
401
Die entsprechende kernmethylfreie Grundverbindung hat den Namen Parafuchsin (Para-rosanilin) erhalten. Sie nimmt bei der Methylierung bis ZVL fünf Methylresten, in den Aminogruppen auf und dient dann unter dem Namen Methylviolett auch heute noch zum Anfärben der rotvioletten Schreibmaschinenfarbbänder und Pauspapiere. Auch das vollständig (d. h. sechsfach) methylierte Parafuchsin ist ein bekannter Farbstoff und heißt Kristallviolett. Zwei einen aminogruppenfreien Benzolkern enthaltende basische Triphenylmethan-Farbstoffe liegen im Malachitgrün (III) und Brillantgrün (IV) vor. Sie zeigen bei der Einwirkung von Alkalien eine neuartige Reaktion: die Aufnahme eines Hydroxyl-Ions am mittleren C-Atom unter Bildimg des Triphenylcarbinolderivates V, dessen mittleres C-Atom nunmehr quartär ist. Dadurch wird aber das farbliefernde jr-Elektronensystem zerstört, und die Verbindung erscheint farblos. Alle Verbindungen dieses Typus werden als die Carbinolbasen des betreffenden Farbstoffs bezeichnet:
R„N
=NR,
er
+ 0H~
•NR,
— Cl-
in
Malachitgrün (filr R = CHe) IV Brillantgrün (für R = C,H,)
Malachitgrün und Brillantgrün sind wegen dieser Tendenz zur Bildung von Carbinolbasen (wie alle Farbstoffe dieser Reihe) alkali-unecht, finden aber trotzdem noch eine beschränkte Anwendung in der Technik.
Neben den basischen gibt es auch saure Farbstoffe der Triphenylmethanreihe, die das Farbsystem im Anion enthalten. Als Beispiel sei lediglich der bekannte Indikatorfarbstoff Phenol-phthalein angeführt, der, wie wir auf S. 94 gesehen haben, durch Kondensation von zwei Molekülen Phenol mit einem Molekül Phthalsäureanhydrid gewonnen wird (daher der Name Phthalein). Das Farbsalz ist nur im alkalischen Gebiet beständig und weist die Struktur VI auf, die eine jr-Elektronenschwingung zwischen den beiden endständigen 0-Atomen gestattet. Beim Ansäuern geht das Anion dann unter Aufnahme von zwei Protonen in das farblose Lacton VII über, das ähnlich wie die Carbinolbase V wegen der quartären Natur des zentralen C-Atoms kein zur Erzeugung einer Farbe ausreichendes Ji-Elektronensystem mehr besitzt:
VI (beständig für p j j > 8)
VII (beständig für p j j < 8)
Die modernen Triphenylmethanfarbstoffe sind meistens kompliziertere Derivate dieser einfachen Grundverbindungen. Wir können uns daher mit der Anführung der Konstitutionsformeln zweier charakteristischer Beispiele begnügen: 26
K l a g e s , Einführung org. Chemie
Kap. 14, I I : Die wichtigsten technischen Farbstoffe
402
OH COONa
H3C.
Na0
X/-
3
S
x y x /
^/S0
s N
a
HO
V_ H3c-,r
-COONa
L / ' (CA)aN'
c h >
HO /
Chromoxan-brlllantviolett RE b) D i e
COONa ¿OONa ¿H,^0 Chromoxan-blau R
Chinonimin-Farb8toffe
Führt man als Brückenatom A in die auf S. 400 formulierten Verbindungen I oder II ein N-Atorn ein, so kommt man zu Derivaten des Ghinon-imins und spricht deshalb von ChinoniminFarbstoffen. Sie werden unterteilt in die Indophenole genannten Derivate des Chinon-monimins (mit mindestens einem O-Atom an einem der Sechsringe) und die Indamine genannten Derivate des Chinon-diimins (mit zwei beiderseitig an Stickstoff gebundenen Sechsringen). Sämtliche Farbstoffe dieser Gruppe sind als ScniFFsche Basen säurelabil (S. 117) und haben aus diesem Grunde keine praktische Bedeutung erlangt. Sie dienen jedoch als Ausgangsverbindungen zur Herstellung anderer Farbstoffe, z. B. dienen das ausp-Nilroso-phenol und Carbazol leicht zugängliche (nicht salzartige) Indophenol VIII zur Herstellung von Schwefelfarbstoffen (S. 411) und das BINDSCHEDLEK8 Grün genannte Indaminderivai IX zur Gewinnung von Methylenblau (S. 403): >=N(CHS)J
IX
BINDSCHBDLEES
Cl"
Grün
c) D i e t r i c y c l i s c h e n F a r b s t o f f e d e r m e r i c h i n o i d e n
Reihe
Verknüpft m a n in den auf S. 400 allgemein formulierten merichinoiden Farbstoffen I und I I die beiden Sechsringe in o-Stellung zur Brücke A durch ein weiteres Brückenatom (praktisch nur N , O oder S), so gelangt m a n zu Derivaten der folgenden sechs tricyclischen Ringsysteme: H • \ / V \ I Jl I 1 I W v Acridin
II
II
Xanthen
/ I I
w II
\ H l
Thloxanthen
I
SSJ&HSK II I II Phenazin
II
H II
Oxazin
I I
j II I ^ A S A / Thiazln
Von allen leiten sich merichinoide Farbstoffe ab, doch können wir hier nur auf die wichtigsten v o n ihnen eingehen (Näheres vgl. III, Kap. 2, III, 4). Die hinsichtlich ihrer Färbeeigenschaften bedeutungslosen Acridinfarbstofte zeigen vielfach eine starke antiseptische Wirkung und dienen deshalb als Pharmazeutika gegen Bakterieninfektionen. Erwähnenswert sind vor allem die von P. EHRLICH (1910) als Mittel gegen Streptokokken eingeführten intensiv gelben Verbindungen Protlavin und Trypaflavin:
2 c: Die Xanthen- und Thiazinfarbstoffe
403 • S ^ N / V
S0 4 H" ü
- H,SO, Methyllerung des N, N'Diacetylderivates, Verseifung mit HCl
cr CH 3 Trypaflavln
Proflavin
Die interessantesten Xanthentarbstofte gehören wieder der Pkthaleinreihe an. Es sind dies das außerordentlich stark fluoreszierende Fluorescein, der Eosin genannte Farbstoff der roten Tinte,, der wegen seiner leuchtenden Farbe oft als „typisches Rot" schlechthin betrachtet wird, und sein Jodanalogon, das Erythrosin:
Y \ c o o 2 Na +
{
B
w /
V
V N
O
2 Na +
A /
Y
V
O
Eosin (für X = Br) Erythrosin (für X = J )
Fluorescein
Während die Thioxanthen- und Oxazinfarbstoffe nicht viel Neues bieten, leitet sich vom Phenazin der technisch wichtige Farbstoff Anilingchwarz ab, der bei der Oxydation von Anilin mit Ghromsäure im Rahmen einer ziemlich verwickelten Reaktionsfolge entsteht (Näheres vgl. III, Kap. 2, III, 4f.) und in Form des besonders eng kondensierten und infolgedessen säurestabilen sog. „unvergrünlichen" Anilinschwarzes etwa die folgende Konstitution aufweist: Y V
A.
•NH
A.
Anilinschwarz
Von den Thiazinfarbstoflen muß schließlich noch das interessante Methylenblau angeführt werden, das u. a. von ÜINDSCBEDLERS Orün (S. 402) aus durch „Schwefelung" mit Schwefelwasserstoff in Gegenwart eines Dehydrierungsmittels synthetisiert werden kann und auch heute noch zuweilen technische Anwendung findet.
R.N
NR.
Bindachedlers Grün 28*
er
— 2 H, (FeCl,)
(für a = CH.)
A / V NR.
Methylenblau
er
Kap. 14, II: Die wichtigsten technischen Farbstoffe
404
3. Alizarin und Indigo Vor Einführung der „Teerfarben" wurden ausschließlich Naturfarbstoffe zur Textilfärbung verwandt. Es war wohl die größte Leistung der jungen organischen Chemie zu Ende des vorigen Jahrhunderts, zwei der wichtigsten dieser Naturfarbstoffe, das rote Alizarin und den blauen Indigo, nicht nur strukturell aufgeklärt sondern auch synthetisch so billig hergestellt zu haben, daß die Syntheseprodukte die Naturfarbstoffe praktisch vollständig vom Markt verdrängten. Zum ersten Male in der Geschichte hatte damit eine chemische Entdeckung große wirtschaftliche Umwälzungen zur Folge und die Kulturen ganzer Landstriche innerhalb weniger Jahre unrentabel gemacht. a) D a s A l i z a r i n u n d v e r w a n d t e V e r b i n d u n g e n Die Alizari oder Lizari genannte Wurzel der früher in Südfrankreich im großen angebauten Krapp-Pflanze enthält das auf S. 439 formulierte Glykosid Ruberythrinsäure, das bei der sauren Hydrolyse den Zuckerrest abspaltet und in den eigentlichen Farbstoff Âlizarin übergeht. Dessen Synthese aus dem Natriumsalz der ß-Anthrachinon-sulfonsäure (sog. Silbersalz) auf dem Wege einer oxydativen Ätznatronschmelze (wahrscheinlich über das ß-Hydroxy-anthrachinon-natrium [I] als Zwischenprodukt) wurde von C . G R A E B E und C . L I E B E R M A N N schon 1 8 6 8 aufgefunden : ONa
SOaNa ÄtznatronSchmelze
-I- O, Ansänem (Luft-O s ,KaNO, KClOj usw.)
o
Silbersalz
Das erste synthetische Alizarin erschien 1871 auf dem Markt und kostete bei einer Jahresproduktion von 151 200 Mk pro kg. Bei steigender Produktion sank der Preis rasch über 120 Mk (1873, 100 t), 23 Mk (1878, etwa 800 t) auf nur 5—6 Mk (1913, etwa 2800 t) ab. In neuerer Zeit ist die Produktion dann infolge der Einführung modernerer, besonders bei der Faserfärbung leichter anwendbarer Farbstoffe wieder stark zurückgegangen. Alizarin ist ein typischer Beizenfarbstoff und wurde mit Hilfe des ziemlich umständlichen Türkischrotölverfahrens1) in Form eines Komplexes mit einem dreiwertigen Metall (zuweilen daneben auch noch mit Calcium) auf der Faser fixiert. Der Aluminium-Calcium-Lack zeigt die normale rote Alizarinfarbe, während der Eisen-
u n d der Chromlack
braunrot
bzw. violett
aussehen.
Heute werden nur noch kompliziertere Alizarinderivate technisch angewandt. Von Interesse sind außerdem die dem Alizarin strukturell nahestehenden Insektenfarbstoffe Kermessäure und Carminsänre, die wegen ihrer leuchtenden Färbungen früher zu den wertvollsten Beizenfarbstoffen gehörten: H,C O OH H,C O OH OH OH
HO HOOÖ
0—OH, 0
ÔH
Kermessäure
HO HOOÖ
0
ÖH
Carminsäure
Türkischrotöl ist die wäßrige Lösung des seifenähnlichen Natriumsalzes der Ricinolsäure. Es dient im Verlauf der Beizung als Benetzungsmittel für den Textilstoff (Näheres über das Verfahren vgl. III, Kap. 2, IV, 1).
3 b : Der Indigo und seine Derivate
405
Carminsäure ist der bekannte Cochenillefarbstoff und stellt das färbende Prinzip der Malerfarbe Carmin dar.
b) D e r I n d i g o u n d s e i n e D e r i v a t e Indigo selbst ist kein Naturstoff, doch tritt das Indican genannte Glucosid einer seiner Vorstufen, und zwar der auf S. 302 formulierten Enolform des Indoxyls, natürlich in einigen Indigoferaarten auf, die hauptsächlich in Ostasien, im Mittelalter aber auch in Deutschland unter dem Namen Färberwaid, angebaut wurden. Indican geht schon unter der Einwirkung der Fermente des Pflanzensaftes z. T. in freies Indoxyl über, das durch den Luftsauerstoff unter Abgabe von zwei Reduktionsäquivalenten (pro Mol Indoxyl) zu dem dimeren eigentlichen Farbstoff oxydiert wird, der den wissenschaftlichen Namen Indigotin erhalten hat:
>Y>
su v.rr v 0
VCH
Fermenthydrolyse Tauto merisier ung
H Indican
Indoxyl
Indigotin
Indigo (bzw. Indigotin) ist in den meisten Lösungsmitteln vollkommen unlöslich und liefert deswegen sehr echte Färbungen. Da er außerdem sehr lichtecht ist, galt er lange Zeit als der „König der Farbstoffe". Wegen seiner Schwerlöslichkeit kann er aber nicht aus einer Flotte auf die Paser gebracht werden, sondern man OH verwendet das gerade an diesem Farbstoff entwickelte Küpenverfahren. Hierbei wird der Farbstoff zunächst in der Küpe (meistens eine alkalische Lösung von Natrium-hypodisulfit oder Bongalit C, S. 115) zu dem wegen der Zerstörung der antiauxochromen C = 0 Gruppen farblosen Indigoweiß reduziert, das sich als Enol in der alkalischen Küpe unter Salzbildung löst. Nach dem Antrocknen OH dieser alkalischen Lösungen auf der Faser bildet sich durch HydroIndigo-weiß lyse das freie Indigoweiß zurück, das durch den Luftsauerstoff schließlich wieder zum Indigotin oxydiert wird.
Die Konstitutionsaufklärung des Indigotins und die Versuche zu seiner technischen Synthese waren das Lebenswerk A. v. B A E Y E R S (Näheres vgl. III, Kap. 2 , V, 1 ) . Jedoch ist ihm im letzteren Falle der endgültige Erfolg versagt geblieben, denn von den zahlreichen bekanntgewordenen Indigosynthesen hat in erster Linie der von K. H E U M A N N entdeckte innermolekulare Ringschluß des aus Anilin und Chloressigsäure leicht zugänglichen Phenyl-glycins zum Indoxyl, das auch in der Technik als Vorstufe der eigentlichen Indigogewinnung dient, Anwendung im großen gefunden. Das Verfahren wurde später von P F L E G E R durch Verwendung von Natriumamid als Kondensationsmittel entscheidend verbessert, so daß man heute allgemein von der HEUMAwv-PFLEGERschen Indigosynthese spricht: 5H OH I
c=o
N:H + Cl- ••¿II, H Anilin
Chloressigsäure
HCl
Hf"C=0 | — H,0 /
CH,
Phenylglycin
-H.
NaOH/ NaNBV Schmelze Indoxyl
y
Va Indigotin
406
Kap. 14,11: Die wichtigsten technischen Farbstoffe
Bei den ausgezeichneten Echtheitseigenschaften des Indigos hat es nicht an Versuchen gefehlt, das Molekül zur Gewinnung weiterer Farbnuancen in verschiedener Richtung zu variieren. So kann man etwa durch Bromierung des fertigen Farbstoffs, bei der die Benzolkerne in den o- und p-Stellungen zu den N-Atomen substituiert werden, zu den mehr eisblaufarbenen Ciba-blau-Sorten gelangen. Ein natürlich vorkommender Dibrom-irtdigo ist der antike Purpurfarbstoff, der wegen seiner überaus kostspieligen Gewinnung — f ü r die Herstellung von nur einem Gramm des Farbstoffs mußten 8000 Purpurschnecken getötet werden — als besonders wertvoller, nur Königen vorbehaltener Farbstoff galt. Färbetechnisch zeigt er jedoch keine hervorragenden Eigenschaften, so daß er heute nicht mehr angewandt wird.
S
Br
H
\/\v
O
Purpur-Farbstoff
Thlo-lndlgo
Praktisch wichtiger ist der Ersatz des Indolstickstoffs durch Schwefel. Der sich auf diese Weise vom Indigotin ableitende intensiv rote Thioindigo ist ein Derivat des Thionapkthens (S. 309). E r zeigt ähnliche Echtheitseigenschaften wie der Indigo selbst und ist ebenfalls in zahlreichen Varianten bekannt. Schließlich kennt man auch „indigoide" Substanzen mit unsymmetrischem Molekülbau. Als Beispiel f ü r zwei moderne Farbstoffe dieser Art, in denen jeweils eine Molekülhälfte keinen Indol- bzw. Thionaphthenring mehr enthält, seien Alizarin-indigo SR und dasAlgolscharlach 6 angeführt: O
y
o
O II
Br.
VN*/
V
H
ir
Allzarln-indigo 3 R
Algol (oder Clba-)scharlach G
4. Die Chinon-Küpenfarbstoffe Im Jahre 1901 entdeckte R. B O H N als oxydatives Kondensationsprodukt von zwei Molekülen ß-Amino-anthrachinon einen Farbstoff, der anfangs Indanthren, später [ndanthron oder Indanthren-blau BS genannt wurde: O II
/ V * o Hi HN.
+
H
H
— 2Ht
O
\ Y V \ / \
o
Indanthren-blau BS (Indanthron)
4: Die Chinon-Küpenfarbstoffe
407
Mit dieser Synthese wurde eine Verbindungsklasse mit völlig neuen Färbeeigenschaften geschaffen. Insbesondere sind derartige Chinon-Küpenfarbstoffe wegen ihrer Molekülgröße in Wasser sehr schwerlöslich und liefern infolgedessen sehr waschechte Färbungen. Ferner lassen sie sich wie der Indigo leicht über die (als Hydrochinone) schwach sauren Dihydroverbindungen, die schon durch Luftsauerstoff zum eigentlichen Farbstoff zurückoxydiert werden, aus alkalischen Küpen auf der Faser fixieren. Vor allem aber zeigen sie eine außerordentlich hohe, bis dahin noch bei keinem Farbstoff beobachtete Lichtechtheit, die den Namen Indanthrenfarbstoffe weltbekannt gemacht hat. Allerdings hat sich die Bezeichnung Indanthren bald von der Struktur gelöst. Sie ist heute vielmehr ausschließlich ein färberisches Prädikat, und zwar sagt der Wortteil Indanthren- in einem Farbstoffnamen aus, daß die Lichtechtheit dieses Farbstoffs einen bestimmten, genau definierten Wert überschreitet. Man trifft „Indanthrenfarbstoffe" daher bei aüen Farbstoffklassen an, doch ist die Gruppe der Chinon-Küpenfarbstoffe besonders reich an ihnen.
Die Zahl der Chinon-Küpenlarbstoffe hat sich seit der Entdeckung BOHNS außerordentlich stark vermehrt. Fast immer sind es sehr komplizierte Ringverbindungen, deren Struktur jedoch wissenschaftlich wenig Interesse bietet, weil es sich meistens um mehr oder weniger zufällige, ohne besondere synthetische Planung entstandene Kondensationsprodukte einfacherer Verbindungen handelt. Die im folgenden angeführten wenigen Beispiele sollen lediglich einen kurzen Einblick in die große strukturelle Mannigfaltigkeit dieser Verbindungsklasse gewähren:
o
c>
Indanthren-gelb 5 GK (für m-C,H,) Paradon-gelb 5 GK (für p-C.H,)
NHj Cibanon-rot G
Pyianthron
Indanthren-braun NG&
Kap. 14, II: Die wichtigsten technischen Farbstoffe
408
0
Ox
-oo
Violanthron
/O
R—N \
0/
X
)= - N = N - < ^ > - N ( CH3)2 Methyl-rot
Es hat sieh allgemein eingebürgert, die zu diazotierenden Anilinbasen (nicht also die Diazoniumsalze) als Diazokomponente und die mit den Diazoniumsalzen gekuppelten Anilinbasen bzw. Phenole als Kupplungskomponente eines Azofarbstoffs zu bezeichnen. In unserem Beispiel fungieren also Sulfanilsäure und Anthranilsäure als Diazokomponente und Dimethylanilin als Kupplungskomponente.
Im allgemeinen verwendet man heute kompliziertere Kupplungskomponenten, die sich zur Erhöhung der Echtheitseigenschaften des Farbstoffs und auch zur Erzielung einer Farbvertiefung nach Orange und Rot meistens vom Naphthalin ableiten. Ferner tragen sie fast immer Sulfonsäure- (oder in selteneren Fällen auch Carboxyl-) gruppen, um als saure Wollfarbstoffe Verwendung finden zu können. Die sechs wichtigsten dieser modernen Kupplungskomponenten mit den in der Technik gebräuchlichen Trivialnamen sind in folgendem Formelbild zusammengestellt:
5: Die Azofarbstoffe
409 HO
H03S OH
, / \ y \ /
I T
I
I!
fVi
0 H
I
HO,S / \ / \ r \ t Chromotrops&ure
K-Säure
G-Sänre NH,
HO
HO
NH.
NH a
v
rV
\ SO,H
SOjB Chicago-aäure
H-Säute
Kaphthlonaäuie
OH
I n Tabelle 25 sind einige der mit diesen Kupplungskomponenten gewonnenen Azofarbstoffe angeführt. Gleichzeitig zeigt die Tabelle eine vereinfachte, die umständlichen Strukturformeln vermeidende Wiedergabemöglichkeit des Aufbauprinzips der Farbstoffe, bei der man lediglich die Namen der beiden Bildungspartner durch einen von der Diazo- zur Kupplungskomponente gerichteten Pfeil verbindet: Tabelle 25 Der A u f b a u einiger saurer Mono-azofarbstoffe Anilin m-Xylidin Sulfanilsäure a-Naphthylamin Naphthionsäure Naphthionsäure Naphthionsäure
- G-Säure • R-Säure • /S-Naphthol - G-Säure • a-Naphthol • G-Säure - R-Säure
= = = = = = =
Orange O Ponceau RR Orange II (ß-Naphthol-orange) Kristall-ponceau A Echtrot A Cochenille-rot A Amaranth
E n t h a l t e n die F a r b s t o f f e auf beiden S e i t e n der Azobrücke je eine o-ständige phenolische Hydroxylgruppe, so v e r m ö g e n sie ähnlich w i e Alizarin m i t dreiwertigen Metallen stabile Farblacke z u bilden u n d f i n d e n V e r w e n d u n g als Beizenfarbstoffe. Solche „Chromiertarbstoffe", bei d e n e n die B e i z e getrennt vom Farbstoff auf die Faser gebracht wird, sind das Metachromolivbraun 6 u n d das Anthracen-chromrot A , während das Palatin-eehtblau GGN das Chrom bereits i m Farbstoffmolekül e n t h ä l t u n d somit z u d e n Chromkomplexfarbstoffen (S. 397) gehört: O a N.
/OK
HO x
CH, Metactarom-olivbraun G .OH
HO. OH
NaO a S
Anthracen-chromot A
410
Kap. 14, I I : Die wichtigsten technischen Farbstoffe
Wegen der Leichtigkeit ihrer Synthese sind die Azofarbstoffe besonders gut für die auf S. 398 definierte Entwicklungsfärbung geeignet. Die Farbstoffe dieses Typus haben den Namen Naphthol-AS-Farbstoffe erhalten, weil das Naphthol AS genannte 2-Naphthol-3-carbonsäureanilid und einige verwandte Verbindungen aus ihren wäßrig-alkalischen Lösungen bereits locker auf die Faser aufziehen und dann dort mit Diazoniumsalzlösungen zu den wesentlich festerhaftenden Farbstoffen umgesetzt werden können. /X CO—NH
v
Naphthol AS
Da die Farbstoffe dieser Reihe erst auf der Faser erzeugt werden und deshalb nicht als solche im Handel erhältlich sind, haben sie keinen eigenen Namen erhalten, sondern es werden, wie in Tabelle 26 an einigen charakteristischen Beispielen gezeigt ist, nur die beiden Reaktionskomponenten benannt: Tabelle 26 Der Aufbau einiger N a p h t h o l - A S - F a r b s t o f f e Diazokomponente rationeller Name o-Chloranilin 5-Chlor-2-toluidin 4-Nitro-2-toluidin p-Amino-p'-methoxydiphenylamin
Trivialname Echtgelb-G-Base Echtrot-TR-Base Scharlach-G-Base Variaminblau-B-Base
Kupplungskomponente
Naphthol Naphthol Naphthol Naphthol
AS AS AS AS
Schließlich gibt es auch eine Reihe von Azofarbstoffen mit mehreren Azogruppen im Molekül, die Dis-azofarbstoffe (mit zwei Azogruppen, die Vorsilbe Dis- wurde zur Vermeidung einer Verwechslung mit den Diazoverbindungen gewählt), Tris-azofarbstoffe (drei Azogruppen) und Tetrakisazofarbstoffe (vier Azogruppen) genannt werden. Von den zahlreichen Möglichkeiten wollen wir uns an dieser Stelle auf die interessante Gruppe der aus Benzidin (S. 209) und ähnlichen eine gestreckte Molekülgestalt aufweisenden aromatischen Diaminen (als zweifache Diazokomponente, man spricht hier auch von einer ,,Tetrazokomponente") gewonnenen Farbstoffe vom Typus des Kongorots (hier fungiert Naphthionsäure als Kupplungskomponente) beschränken, weil ihnen die wichtigsten substantiven Baumwollfarbstoffe angehören:
¿OaNa
Kongo-rot
Die Baupläne einiger weiterer substantiver Dis-azofarbstoffe sind in Tabelle 27 zusammengestellt :
Kap. 14, I I I : Die wichtigsten Naturfarbstoffe
411
Tabelle 27 Substantive Dis-azofarbstoffe
< < <
Q s>
1 1 1 1 1 1 f 1 1 t / 1 /
V/ \ \ / . /
iL
1Z.S
15
mo
W i
\
Abb. 31 Vergleich der Absorptionsspektren von
/
17.5 Z0 22.5 • Wellenzahl pro 10 3cm
Ii
Chlorophyll a und Chlorophyll b im sichtbaren Spektralbereich
b) S o n s t i g e P y r r o l f a r b s t o f f e In der Galle treten einige biochemische Abbauprodukte des Protoporphyrins als Farbstoffe auf. Der wichtigste von ihnen ist der durch oxydative Herausspaltung des a-ständigen Methinkohlenstoffs (unter Ersatz durch zwei Hydroxylgruppen) entstehende gelbbraune Gallenfarbstoff Bilirubin (von lat. bilia = Galle). Er enthält noch alle Pyrrolkerne des Protoporphyrins mit den an ihnen befindlichen Substituenten unverändert-.
3: Die sich vom Flavon ableitenden Farbstoffe CH3—¡=
- C H = CH2 —
CH
HO
-Psre Psre-
CH3 N
isr H
CH,
/ N' H
417
- CHg CH3CH=—
CH=CH, V
\
OH
Bilirubin (Psre = Propionsäurereat)
Bilirubin wandelt sich im Organismus durch Redoxvorgänge in eine Reihe ähnlich gebauter weiterer Farbstoffe mit dem gleichen Kohlenstoff-Stickstoff-Qerüst, aber unterschiedlicher Zahl und Stellung der Doppelbindungen um (Näheres vgl. III, Kap. 2, VII, 4). Das Porphingerüst hat eine derartige Bildungstendenz, daß es auch aus einfachen Bausteinen ohne „gezielte" Synthese verhältnismäßig leicht aufgebaut wird. So entsteht z. B. beim Verschmelzen von Phthalsäure-dinitril1) mit Kupferf I)-chlorid der intensiv blaue Farbstoff Monastralblau B (oder Heliogen-blau), der wegen seiner Lichtechtheit und ungewöhnlichen Temperaturbeständigkeit — er kann bei 550—600° im Vakuum unzersetzt sublimiert werden — einen wertvollen Pigment-(sowie neuerdings auch Textil-)farbstoff darstellt:
y v
N III c
N—
cx
\/\c#
,N
S
+
N:
N. N=C.
Phthalsäure-dinitril
2 CuCl
•N N
| A / v I N—Cu—N II I + v x / | N I NI = / V - IN
CuCl 2
Monastral-blau B
Alle Verbindungen dieses Typus haben wegen ihrer Bildung aus Phthalsäurederivaten den Sammelnamen Phthalocyanine erhalten. Sie werden in der Technik in zahlreichen Varianten hergestellt, die sich sowohl durch den Einbau anderer Metallatome als auch durch Substitution der Benzolkerne von der oben formulierten Grundverbindung unterscheiden.
3. Die sich vom Flavon ableitenden Farbstoffe I m Flavon liegt das 2-Phenyl-5,6-benzo-pyron vor, das als Grundverbindung zahlreicher Naturstoffe fungiert. Zunächst leitet sich v o n ihm selbst durch Besetzung der aromatischen Kerne mit Hydroxylgruppen eine Reihe gelber Farbstoffe ab, die früher z. T. als natürliche Beizenfarbstoffe Verwendung gefunden haben. Durch Reduktion in salzsaurem Medium mit anschließender Wasserabspaltung gelangt man v o m Flavon zum 2-Phenyl-5,6-benzo-pyryliumchlorid oder Flavylium-chlorid (bisher nur bei Derivaten durchgeführt). Seine Hydroxylderivate stellen die Anthocyane genannten Grundverbindungen der roten und blauen Blütenfarbstoffe dar und gehen bei nochmaliger Reduktion in die nicht mehr farbigen, erst auf S. 468/9 beschriebenen Gatechine über, die Hydroxyderivate der im mittleren Kern gesättigten Ringverbindung I sind: Man kann statt des Nitrils auch ein Gemisch von Phthalimid oder Phthalsäureanhydrid und Harnstoff (als Stickstofflieferant) verwenden. 27
K i a g e s , Einfuhrung org. Chemie
Kap. 14, III: Die wichtigsten Naturfarbstoffe
418
y \ = /
— H,0
y
- + 2H, C1 -HCl
Flavylium-chlorid
a) D i e F l a v o n - f a r b s t o f f e Wie die folgenden vier charakteristischen Beispiele zeigen, sind zwei Reihen von Flavonfarbstoffen bekannt, die Flavonfarbstolfe (im engeren Sinn, mit hydroxylfreiem Pyronkern) und Flayonolfarbstolte (diese tragen in 3-Stellung des Pyronkerns eine OH-Oruppe) genannt werden. Die übrigen Hydroxylgruppen befinden sich meistens in den gleichen bevorzugten Stellungen 5,7,3' und 4' der Benzolkerne. Die Farbstoffe treten in den Pflanzen z. T. frei, z. T. auch in Form ihrer Glykoside
auf:
Flavonolfarbstoffe
Flavonfarbstoffe HO
-OH
HO
OH OH OH
Aplgenln (Al-beize hellgelb) in freier u n d glykosidifizierter F o r m im Pflanzenreich weit verbreitet, z. B. als Apiin in der Petersilie
HO
OH
0
KBmplerol (Al-beize gelb) ebenfalls in freier u n d glykosidifizierter F o r m weit verbreitet, z. B. im Robinin a n Robinose, im Multitlorin a n R h a m n o s e gebunden
HO
OH
OH
s
¿i>H O
OH
"OH
OH O
Luteolln (Al-beize orange) w u r d e schon im A l t e r t u m aus Reseda-luteolaK u l t u r e n gewonnen u n d dient auch h e u t e noch in geringem U m f a n g in der Technik als „ TPau-Farbstoff"
Quercetln (Al-beizebraunrot) k o m m t in F o r m des GlukosidsQwerciirinin der Färbereiche (Quercus tinktoria) sowie auch sonst in der N a t u r weit verbreitet vor, wird technisch a n g e w a n d t
b) Die A n t h o c y a n e Im Gegensatz zu den lipophilen und hydrophoben Carotinoiden sind die ihnen hinsichtlich ihrer Farbe häufig ähnlichen Blütenfarbstoffe hydrophile, im Blütensaft lösliche, salzartige Substanzen, deren Konstitutionsaufklärung wir hauptsächlich R. W I L L S T Ä T T E R (1913—1924) verdanken. Die Anthocyane genannten pflanzlichen Farbstoffe sind Glykoside verschiedener Zucker, die bis zu 33% der Trockenmasse der Blütenblätter ausmachen. Die nach Abspaltung der Zuckerreste zurückbleibenden Grundverbindungen (sog. Aglykone, vgl. S. 438) führen den Namen Anthocyanidine und besitzen das eigentliche farbliefernde n-Elektronensystem. Es gibt vier derartige Anthocyanidine, die in saurem Medium orange bis rot erscheinen und die Konstitution hydroxylierter Flavyliumsalze zeigen. Im einzelnen nehmen die Hydroxylgruppen nahezu die gleichen Stellungen ein wie bei den oben angeführten Flavonfarbstoffen, so daß zweifellos ein genetischer Zusammenhang zwischen beiden Verbindungsklassen besteht:
3 b: Die Anthocyane
1
5 I
\ 6' » ' /
er
419
I
Ii
I
/
VoH \ = /
er
s OH
ÖH
AH Gesneridin- oder Apigenidin-chlorid
Pelargonidin-chlorid
OH - i HO
er
er OH
)H
X
OH
OH
C yanidin- Chlorid
Delphinidin-chlorid
Die Oxoniumsalznatur ist für die Farbeigenschaften ohne wesentliche Bedeutung. Dies geht besonders aus dem Umstand hervor, daß das Oxonium-Kation beim Übergang zum alkalischen Medium zerstört wird und in ein wesentlich tieferfarbiges, zwischen den nahezu energiegleichen Grenzstrukturen I und II mesomeres FarbAnion übergeht. Hier ist das jr-Elektronensystem also erst am stärksten dem idealen Farbsystem (S. 396) angenähert: HO,
i „Vo-E OH F a r b k a t i o n des Gesneridins
o
— 2 H +
/=° I
+ 2 H +
• — •
AH
OH F a r b a n i o n des Gesneridins
Sämtliche Anthocyanidine und auch Anthocyane sind daher typische Indikatorfarbstoffe und schlagen beim Übergang vom sauren zum alkalischen Gebiet von Rot nach Blau um. Viele Blütenfarbstoffe treten sowohl in der roten als auch in der blauen Form in der Natur auf. Z. B. ist das Cyanin genannte 3,5-Diglucosidyl-cyanidin als blauer Farbstoff in der Kornblume, deren Blütensaft ein p H > 7 aufweist, und als roter Farbstoff in der Rose (pH < 7) enthalten. Beide Blüten kann man durch Behandeln mit Salzsäure bzw. Ammoniakdämpfen leicht umfärben.
4. Die Pteridinfarbstoffe Eine letzte interessante Farbstoffklasse stellen die sich auf den Schmetterlingsflügeln in Form kleiner Pigmentkörnchen abscheidenden Pterine dar. Sie stehen strukturell den erst später beschriebenen Purinen (S. 490f.) nahe und spielen wahrscheinlich wie diese physiologisch die Rolle von 27«
420
Kap. 14, I I I : Die wichtigsten Naturfarbstoffe
Stickstoffschlacken des Organismus. Hinsichtlich ihrer Konstitution aufgeklärt werden konnten bisher das weiße Leukopterin1) der Kohlweißlinge, das gelbe Xantho-pterin der Zitronenfalter und das rote Erythro-pterin der Aurorafalter-.
Leuko-pterin
Xantho-pterin
Erythro-pterin
Das allen drei Farbstoffen zugrunde liegende naphthalinartige bicyclische Ringsystem kommt auch in anderen Naturstoffen vor (vgl. z. B. S. 520, 521) und hat den Namen Pteridin erhalten. Man spricht daher zusammenfassend auch von Pteridinfarbstoffen. 1 ) Leuko-pterin ist der einzige bekannte weiße Naturfarbstoff, da weiße Färbungen normalerweise durch Verteilung von Luftbläschen in an sich farblosen Substanzen erzeugt werden.
15. K a p i t e l
Die Zucker oder Kohlenhydrate In den Zuckern oder Kohlenhydraten begegnen wir der mengenmäßig wichtigsten Gruppe aller organischen Substanzen. Sie entstehen bei der Kohlendioxydassimilation als erste stabile Produkte und stellen somit die Grundnahrung und auch den Energielief'eranten für das gesamte irdische Leben dar. Dementsprechend dienen sie in der Pflanzenwelt allgemein als Reservestoffe (z. B . in Form von Stärke oder Ferner Rohrzucker) und in der pflanzenfressenden Tierwelt als Hauptnahrungsmittel. baut die Pflanze aus den Zuckern ihre Gerüstsubstanzen (überwiegend Cellulose) auf. An den eigentlichen Lebensprozessen sind die Kohlenhydrate dagegen weniger beteiligt.
I. Die allgemeine Chemie der Kohlenhydrate 1. Die Grundlagen der Zuckerchemie Der Name Kohlenhydrat bedeutet wörtlich ein Hydrat des Kohlenstoffs1). E r ist entstanden, weil die meisten einfachen Zucker die Verhältnisformel C H 2 0 (bzw. die Summenformel C n H2 n O n ) eines derartigen Kohlenstoffhydrats aufweisen. E r sagt jedoch noch nichts über die Struktur der Zucker aus und hat daher heute nur noch die Bedeutung eines Trivialnamens, der anstelle der Bezeichnung Zucker vielfach gewählt wird, weil diese Verbindungsklasse außer den wasserlöslichen, süß schmeckenden eigentlichen Zuckern auch zahlreiche wasserunlösliche zuckerunähnliche makromolekulare Stoffe (z. B . Cellulose) umfaßt. Hinsichtlich ihrer Konstitution gehören die Monosaccharide genannten einfachen Kohlenhydrate der schon früher (S. 160f.) beschriebenen Verbindungsklasse der Aldehyd- und Ketonalkohole an und sind speziell Monooxo-polyhydroxyverbindungen, die mindestens vier (bei den wichtigsten Zuckern sogar fünf oder sechs) C- und damit auch 0-Atome im Molekül enthalten, so daß die auf S. 161 beschriebene Oxo-cyclo-Tautomerie möglich ist. Da im Tautomeriegleichgewicht die halbacetalartigen Cycloformen vorherrschen, kommen wir somit zu folgender Definition des Kohlenhydratbegriffs:
I
Die einfachen Kohlenhydrate der Summenformel C n H 2 n O n sind die cyclischen Halbacetale von Monooxo-polyhydroxy Verbindungen mit mindestens vier und (bisher) höchstens zehn C-Atomen im Molekül.
Der Wortteil Kohlen- dient wie in Kohlen-oxyd, Kohlen-dioxyd und Kohlen-wasserstoff als Abkürzung für Kohlenstoff. Die zuweilen auch gebräuchliche Bezeichnung Kohlehydrate ist also falsch 1
Kap. 1 5 , 1 : Die allgemeine Chemie der Kohlenhydrate
422
Da die Zahl der O-Atome gleich der der O-Atome ist und sich an einem C-Atom jeweils nur eine Sauerstoff-Funktion befindet, muß jedes C-Atom mit Sauerstoff beladen sein. Ferner steht die Oxogruppe bei den natürlichen Zuckern nur am endständigen C-Atom 1 der Kette (Aldehydzucker oder Aldose) oder am C-Atom 2 (Ketonzucker oder Ketose). Als Folge davon existieren für die den cyclischen Halbacetalformen der Zucker zugrundeliegenden nicht-cyclischen Monooxo-polyhydroverbindungen mit freier Oxogruppe (im folgenden al- [= Aldehyd-]Form bzw. ke[ = Keto-JForm eines Zuckers genannt) bei gegebener Kohlenstoffzahl nur die beiden Strukturmöglichkeiten je eines Aldehyd- und Ketonzuckers: 0 OH OH OH OH OH Ii i* i* i* i* T CH—CH—CH—CH—CH—CH2 1 2 3 4 5 6 Struktur der al-Form aller al-AIdehydzucker mit sechs C-Atomen (al-Aldohexosen)
OH
O
OH
I*
OH OH OH I* I*
5 6 1 2 3 4 Struktur der ke-Form aller ke-Ketonzucker mit sechs C-Atomen (kc Ketohexosen)
Die Benennung der Zucker geschieht durch die Endung -ose. Ferner bezeichnet man die Zahl der C-Atome durch das betreffende griechische Zahlwort. Die oben formulierten Verbindungen sind also in leicht verständlicher Weise beide Hexosen und zwar speziell eine al-Aldohexose und eine ke-Keiohexose.
Da in der al-Form eines Aldohexosemoleküls vier und in der ke-Form eines Ketohexosemoleküls drei asymmetrische C-Atome enthalten sind, gibt es auf Grund des 2 n -Gesetzes (S. 368) 2 4 = 16 stereoisomere Aldohexosen und 2 3 = 8 stereoisomere Ketohexosen. Die Konfigurationen aller dieser stereoisomeren Hexosen sowie auch die der möglichen Pentosen, Tetrosen und der nicht mehr zu den eigentlichen Zuckern zählenden Verbindungen mit drei und zwei C-Atomen sind mit den zugehörigen Trivialnamen in Tafel I V am Ende dieses Buches zusammengestellt. Die Wiedergabe der Konfigurationsverhältnisse geschieht am leichtesten mit Hilfe der FiscnERschen Projektionsformeln (S. 17), die für die al-Formen der D-Olucose und D-Mannose folgendermaßen aussehen und daneben für die al-L-Gulose und die al-L-Idose unter Fortlassung der mittleren Elementsymbole in einer vereinfachten Schreibweise angeführt sind: HC=0 H—C—OH HO—i—H H— C—OH ¿ H OH al-D-Glucose
HC=0 I HO—C—H
HC=0
HC=0
HO—i—H H—¿—OH H—C—OH I H2C—OH al-D-Mannose
H2C—OH al-L-Gulose
al-L-Idose
D-Olucose und D-Mannose (nicht nur die al-Formen) sowie auch L-Gulose und L-Idose sind danach diastereomer und unterscheiden sich jeweils nur in der Konfiguration des C-Atoms 2. Diesen Spezialfall der Diustereomerie epimeren Zuckern.
nennt man Epimerie und spricht von zwei
Epimere Zucker stehen in besonders engen Beziehungen zueinander und können z. B. leicht daran erkannt werden, daß sie bei allen Reaktionen, die mit einer Aufhebung der Asymmetrie des C-Atoms 2 verbunden sind (z. B. die Osazoribildung, S. 160), das gleiche Reaktionsprodukt liefern.
1: Die Grundlagen der Zuckerchemie
423
Eine gewisse Schwierigkeit bereitete anfangs das Problem, die verschiedenen Zucker der D- und L-Reihe zuzuordnen, denn die Mehrzahl von ihnen besitzt sowohl D- als auch L-konfigurierte Asymmetriezentren. Heute hat man sich dahingehend geeinigt, diese Zuordnung auf Grund der Konfiguration des von der Oxogruppe am weitesten entfernten Asymmetriezentrums (bei den Hemsen also des C-Atoms 5) vorzunehmen, so daß sich die folgende Definition ergibt: Alle Zucker, bei denen in der F I S C H E R sehen Projektionsformel die amuntersten Asymmetriezentrum befindliche OH-Gruppe rechts von der Kohlenstoffkette geschrieben werden muß (wie z. B . die oben formulierte D-Glucose und D-Mannose) gehören der D-Reihe an und alle Zucker, bei denen sie links geschrieben werden muß (z. B . die L-Oulose und L-Idose) der L-Reihe. Wie schon erwähnt, sind die eigentlichen Zucker im wesentlichen die sich im Rahmen einer Oxo-cyclo-Tautomerie aus den bisher hauptsächlich betrachteten al- bzw. ke-Formen bildenden Cyclohalbacetalformen. Hier gibt es mehrere zusätzliche Isomeriemöglichkeiten: Einerseits wird bei dieser Ringbildung das an sich symmetrische Oxo-C-Atom (bei der Glucose also das C-Atom 1) zusätzlich asymmetrisch, so daß sich zwei diastereomere Gycloformen ausbilden können, andererseits sind verschiedene Ringweiten möglich in Abhängigkeit davon, ob sich die OH-Gruppe am C-Atom 4 oder die am C-Atom 5 zum cyclischen Halbacetal an die Oxogruppe addiert. Die al-Glucose steht also mit den folgenden vier Ringverbindungen im Tautomeriegleichgewicht: HC=0
-OH al-Glucose
H- C - O H ) O
H2C—OH 1000000. Trotzdem unterscheidet sie sich in zwei Punkten grundlegend von der Gellulose: Einmal zeigen die Glucosebausteine die tx-Konfiguration (sonst könnte nicht die Maltose bei der Stärkehydrolyse entstehen), und zum anderen ist das Molekül verzweigt. Genauere Untersuchungen ergaben, daß etwa von jedem fünften Glucoserest der 1,4-verknüpften Hauptkette eine Seitenhelte abzweigt, die jeweils in die 6-ständige Hydroxylgruppe des Verzweigungsbausteins eingreift. Dieser Glucoserest weist also in DER HÄWORTBsehen Schreibweise die folgende Struktur auf und liefert in leicht ersichtlicher Weise die Isomaltose (S. 437) als partielles Hydrolysenprodukt, wenn die beiden in der Hauptkette liegenden glykosidischen Bindungen gespalten werden und die 1,6-Verknüpfung zur Seitenkette erhalten bleibt:
Verzweigungsbaustein des Stärkemoleküls 3)
Hauptkette
OH Streng genommen sind nicht alle Stärkemoleküle verzweigt. Man kann die Stärke vielmehr in zwei Substanzen zerlegen, die Amylose und Amylo-pektin genannt werden. Die Amylose (16—35% der Stärkesubstanz) besteht wie die Cellulose aus unverzweigten, jedoch nicht sehr großen Kettenmolekülen. Sie löst sich noch in kaltem Wasser und dient als ,,lösliche Stärke" in bekannter Weise zum Jodnachweis. Das Amylopektin ist mit einem Anteil von 65—84% die eigentliche Stärkesubstanz und besteht aus sehr großen, in der angegebenen Weise verzweigten Kettenmolekülen, die als weiteren integrierenden Bestandteil geringe Mengen von Phosphorsäureestergruppen enthalten. Es kann nicht mehr molekular in Wasser gelöst werden. Insbesondere wegen der Verzweigung des Amylopektinmoleküls zeigt die Stärke eine gegenüber der Cellulose wesentlich stärker ,,aufgelockerte" Kristallstruktur. Infolgedessen nimmt sie bereits in der Kälte bis zu 20% ihres Gewichts an Hydratbzw. Quellungswasser auf, und bei der ziemlich scharf begrenzten „Verkleisterungstemperatur" von 60—62° wird die Quellung unbegrenzt. Letzteres bedeutet, daß die Stärke, ohne daß eine normale Lösung entsteht, das gesamte jeweils zur Verfügung stehende Wasser zu einer homogenen, mehr oder weniger dickflüssigen Phase aufnimmt, die Stärkekleister genannt wird und bei hoher Stärkekonzentration in der Kälte gelartig erstarrt. Von dieser Verkleisterung macht man insbesondere beim Brotbacken Gebrauch. Während der Teig noch im wesentlichen aus einer wäßrigen Aufschlämmung der Stärkekörner des Mehls besteht, bildet sich beim Backprozeß ein homogenes Stärke- Wasser-Gel, dem man aus Gründen der besseren Verdaulichkeit durch Zusatz eines Treibmittels eine Schaumstruktur verleiht. Das Gel ist jedoch unterhalb der Verkleisterungstemperatur instabil und scheidet unter Rekristallisation der Stärke Wasser aus. Auf diesem Vorgang (nicht etwa auf einer Austrocknung!) ist das Altbackenwerden des Brotes zurückzuführen. Soweit keine wirkliche Austrocknung eingetreten ist, kann man altbackenes Brot daher durch erneutes Erhitzen über die Verkleisterungstemperatur, wobei das ausgeschiedene Wasser erneut zu einem Gel aufgenommen wird, wieder frisch machen. Abgesehen von ihrer Verwendung als Nahrungsmittel ist die Stärke in der Technik eine wichtige Ausgangsverbindung für die Gewinnung von Maltosepräparaten (S. 437) und Alkohol (S. 81). Ferner dient der Stärkekleister zum „Stärken" von Wäsche (Name!) und in geringem Umfang als Klebstoff.
444
K a p . 15, I V : Die Polysaccharide
Im Glykogen (oder Leberstärke) liegt ein der Stärke sehr ähnliches tierisches Reservekohlenhydrat vor, das im Muskel und insbesondere in der Leber (bis zu 20% des Trockengewichts) angereichert wird. Das Glykogenmolekül besteht wie das Stärkemolekül in der Hauptsache aus 1,4-verknüpften ot-Glukosebausteinen und ist ebenfalls stark verzweigt. Trotzdem sind beide Polysaccharide aus noch nicht näher bekannten Gründen nicht identisch. Insbesondere weist Glykogen im Gegensatz zur /'j^mgtm^^^mm^ Stärke eine auffallende Löslichkeit in kaltem Wasser (bis zu 20%) auf und liefert ein rot-
STUART modell des y-Dextrins (nach K . FRENDENBERG)
Die beim Stärkeabbau als N e b e n p r o d u k t anfallenden, noch stärkeähnlichen, jedoch bereits wasserlöslichen Polysaccharide mittlerer Molekülgröße heißen Dextrine (d. h. soviel wie rechtsdrehende Verbindungen). Von größerem Interesse sind vor allem die bei der Einwirkung von Bazillus macerans auf Stärke entstehenden Cyclo-dextrine (oder nach ihrem E n t d e c k e r [1908] ScnARDlNQER-Dextrine), in denen sechs bis acht Glucosereste zu einem Riesenring zusammengeschlossen sind. I n Abb. 32 ist das STUART modell des y-Dcxtrins m i t acht C(¡-Einheiten wiedergegeben. Man erkennt deutlich, d a ß der Hohlraum im Innern des Moleküls eine f ü r den Einbau von Fremdmolekülen zu Einschlußverbindungen (S. 366) genügende Größe aufweist.
4. Sonstige Polysaccharide Das bei der Cellulose beobachtete Prinzip der 1,4-Verknüpfung Aldopyranosebausteine konnte weiterhin nachgewiesen werden:
ß-glykosidischer
1. für die aus aneinandergereihten Mannoseresten bestehenden Mannane, die (neben etwas Cellulose) als Gerüstsubstanzen zahlreicher Nußschalen (vor allem der Steinnuß) fungieren (Mannan A und B), z. T. aber auch als Reservekohlenhydrate auftreten (z. B. das Salep-mannan in den Knollen von Tubera salep). Ferner sind Mannane noch unbekannter Struktur in den Hemicellulosen (s. unten) enthalten. 2. für das aus am Stickstoff acetylierten Glucosaminresten aufgebaute Chitin, das als Gerüstsubstanz der Insekten und Crustaceen sowie auch von Pilzen und anderen niederen Pflanzen eine wichtige biochemische Rolle spielt. 3. für die den Pektinen zugrundeliegende Pektinsäure, in deren Molekülen Galakturonsäurereste miteinander verknüpft sind. Die Pektine treten in allen fleischigen Pflanzenteilen auf u n d werden aus den Preßrückständen verschiedener Obstsorten sowie auch aus getrockneten Rübenschnitzeln durch Heißwasserextraktion technisch gewonnen. I h r e wäßrigen Lösungen neigen zur Gelbildung, worauf ihre wichtigste Verwendung als Gelierungsmittel für Fruchtsäfte (z. B. „Opekta") beruht. Die S t r u k t u r der in den Pflanzen vorliegenden „genuinen Pektine" (oder Protopektine) ist noch u n b e k a n n t . Sie gehen bei der Heißwasserextraktion in die sog. Hydratopektine über, die partielle Veresterungsprodukte der oben erwähnten Pektinsäure m i t Methylalkohol darstellen. Diese teilweise Veresterung der Carboxylgruppen (etwa 75%) der frei nicht gelierenden Pektinsäure ist anscheinend f ü r die kolloidchemischen Eigenschaften der Pektine von entscheidender Bedeutung. Ferner ist die Methylesternatur der Pektine die H a u p t u r s a c h e f ü r das A u f t r e t e n geringer Mengen von Methylalkohol in Obstschnäpsen.
4 : Sonstige Polysaccharide
445
4. f ü r die zu der Gruppe der Hemicellulosen zusammengefaßten Begleitkohlenhydrate der Cellulose im Holz. I m einzelnen muß man zwischen den aus Pentosen aufgebauten „Pentosanen" und den aus Hexosen aufgebauten „Hexosanen" unterscheiden. Erstere überwiegen in den Laubhölzern und bestehen in der Hauptsache aus noch wenig erforschten Xylanen, die die wichtigsten Ausgangssubstanzen f ü r die Xylosegewinnung darstellen, und L-Arabanen. Die Hexosane sind in den Nadelhölzern überwiegend enthalten und bestehen im wesentlichen aus ebenfalls noch nicht näher erforschten Mannanen und Galaktanen.
Ein von der 1,4-Verknüpfung gänzlich abweichendes Bauprinzip weist eine Reihe von sich von der Fructose ableitenden und daher Poly-fructosane genannten stärkeähnlichen, etwa 30 C 6 -Einheiten im Molekül enthaltenden Reservekohlenhydraten auf. Hier beteiligen sich nur die C-Atome 1 und 2 an der Kettenbildung, und der (wie in der Saccharose furanosidische) Acetalring der Fructosebausteine liegt außerhalb der eigentlichen Kette. Das wichtigste Kohlenhydrat dieser Gruppe ist das in Tropinambur- und Dahlienknollen an Stelle von Stärke auftretende Inulin:
& * Zj
Inulin (Molekülauaschnitt)
Einige weitere derartige Polyfructosane besitzen bei ähnlicher Struktur der Hauptkette ein stark verzweigtes Molekül (Näheres vgl. III, Kap. 4, IV, 3a). Schließlich gibt es noch zahlreiche Polysaccharide, an deren Aufbau verschiedene Monosaccharide (in zuweilen sogar unregelmäßiger Reihenfolge) beteiligt sind. Sie treten mengenmäßig zwar hinter der Cellulose und Stärke zurück, spielen aber biochemisch z. T. eine wichtige Rolle. Ihre Strukturaufklärung ist erst in wenigen Fällen gelungen. Beispielsweise liegt in der Knorpelsubstanz Chondroitinsäure ein Polysaccharid vor, in dessen K e t t e regelmäßig ein N-acetylierter und in 6-Stellung mit Schwefelsäure veresterter Rest der auf Grund dieses Vorkommens Chondrosamin genannten 2-Amino-galaktose (S. 434) u n d ein Galakturonsäurerest abwechseln:
r
r
i o—
r
\
ö
—NH—Ac
o .J
COOH
o—
O-
o-
—NH—Ac
-j COOH
CH2—0—SO3H
Chondroitinschwefelsäure (Molekülausschnitt)
Auch die aus tierischen Schleimstoffen, den sog. Mucinen und Mucoiden (S. 489), als Kohlenhydratkomponente isolierte Mucoitinsäure, die bei der Hydrolyse in N-Acetyl-glucosamin, Glucuronsäure, Galakturonsäure und Schwefelsäure zerfällt, sowie der noch etwas schwefelsäurereichere gerinnungshemmende Stoff Heparin scheinen eine ähnliche Konstitution zu besitzen. Von den stickstofffreien Polysacchariden mit komplexem Aufbau müssen vor allem die Pflanzengummen (z. B. Gummi arabicum) und Pflanzenschleime hervorgehoben werden. Sie enthalten jeweils einen Olucuronsäure- oder Galakturonsäurerest (in F o r m des Kalium-, Magnesium- oder Calciumsalzes) und mehrere normale Monosaccharidgruppen (Glucose, Galaktose, L-Arabinose und L-Rhamnose) im Molekül. Hinsichtlich der Struktur weiß m a n nur, daß die Uronsäurebausteine am nicht-reduzierenden Kettenende stehen.
16. K a p i t e l
Sonstige stickstofffreie Naturstoffe I. Die Fette und verwandte Verbindungen 1. Die Fette und fetten öle Die Fette sind neben den Kohlenhydraten und Eiweißstoffen die dritte große Gruppe von Reserve- und Nahrungsstoffen in der belebten Welt. Sie weisen von diesen drei Verbindungsklassen die höchste durchschnittliche Reduktionsstufe des Kohlenstoffs auf und sind infolgedessen von allen Nahrungsmitteln die bei weitem energiereichsten. Ihr kalorischer Nährwert ist mit einer Verbrennungswärme von 9,3 kcal/g mehr als doppelt so groß wie der der Kohlenhydrate und Eiweißstoffe (je etwa 4,1 kcal/g). An den eigentlichen Lebensvorgängen sind die Fette jedoch ebensowenig beteiligt wie die meisten Kohlenhydrate. Auf Grund ihres physikalischen Verhaltens unterteilt man die fettartigen Stoffe f ü r den praktischen Gebrauch in 1. die bei Raumtemperatur flüssigen öle, die zur Unterscheidung von den Mineralölen meistens als fette öle bezeichnet werden, 2. die bei Raumtemperatur kristallisierten, bei Körpertemperatur jedoch bereits geschmolzenen eigentlichen Fette (im engeren Sinne) und 3. die auch bei Körpertemperatur noch festen und deswegen schlecht verdaulichen Talge. Wegen ihres gleichartigen Aufbauprinzips sollen alle diese Stoffe im folgenden gemeinsam unter dem Begriff Fette abgehandelt werden.
Chemisch bezeichnet man als Fette die Glycerinester der „Fettsäuren", worunter in diesem Fall die höheren gesättigten und ungesättigten aliphatischen Monocarbonsäuren mit einer unverzweigten, eine gerade Anzahl von C-Atomen enthaltenden Kohlenstoffkette zu verstehen sind. Die Fette bestehen stets aus der Mischung einer großen Zahl derartiger Fettsäureglycerin-ester, die den Namen Glyceride führen und in die einheitlichen Glyceride (Veresterung des Glycerins mit nur einer Fettsäure) und gemischten Glyceride (Veresterung mit mehreren Fettsäuren) unterteilt werden. Die Einzelverbindungen benennt man unter Fortlassung aller die (ohnehin bekannte) Konstitution betreffenden Wortteile lediglich durch den Stammnamen der den Estern zugrundeliegenden Fettsäuren : C H 2 — 0 0 C—C 17 H 35
C H J — 0 0 C—C 1 7 H 3 6 C H — 0 0 C—C 17 H 33
Tristearin
C H 2 — 0 0 C—C 1 7 H 3 3 * C H — 0 0 C—C 17 H 35
C H J — 0 0 C—C 1 7 H 3 3 *CH—OOC—C 1 5 H 3 1
C H a — 0 0 C—C 17 H 35
CH 2 —OOC—C 1 7 H 3 5
CH 3 —OOC—C 1 7 H 3 6
sym-Oleo-distearin
as-Oleo-distearin
Oleo-palmito-stearin
Die gemischten Glyceride enthalten zuweilen ein asymmetrisches C-Atom. Trotzdem sind bisher nur sehr wenige optisch aktiven Fette nachgewiesen worden. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, als ob die Fettsäurereste sich bei der Synthese der natürlichen Fette im wesentlichen
1: Die Fette und fetten öle
447
bloß nach statistischen Oesetzmäßigkeiten auf die Hydroxylgruppen des Glycerins ohne daß eine Tendenz zum Aufbau bestimmter Glyceride zu erkennen ist.
verteilen,
Den Chemiker interessiert daher im allgemeinen weniger die N a t u r der in den F e t t e n enthaltenen einzelnen Glyceride, sondern in erster Linie die Zusammensetzung des bei der Fetthydrolyse anfallenden Fettsäuregemischs. W i e Tabelle 2 8 zeigt, sind a m Aufbau der meisten F e t t e nur die folgenden acht, 12—18 C-Atome in der K e t t e enthaltenden Säuren beteiligt: gesättigte Fettsäuren
ungesättigte Fettsäuren eis- C,H 13 — C H = CH—C7H14—COOH
n-C n H 2 3—COOH Laurinsäure
Palmit-ölsäure oder Zoomarinsäure
n-C 13 H 27 —COOH
eis- C 8 H 17 — C H = CH— C 7 H l 4 — COOH
Myristinsäure
Ölsäure C
H » - | - C H
4
— C H =
2
Palmitinäure
C H - | —
C , H
1
4
— C O O H
Linolsäure
n-C 17 H 36 —COOH
C
H
j
-
j
-C
H
Stearinsäure
j
—
C
H
=
C
H
-
j
—
C
7
H
1
4
—
C
O
O
H
Linolensäure
Tabelle 28 Die Z u s a m m e n s e t z u n g der aus einigen n a t ü r l i c h e n F e t t e n erhaltenen Fettsäuregemische Prozentualer Anteil am Gesamtfettsäuregemisch in
gesätt. Fettsäuren insg. . ungesätt. C14-Säuren . . Zoomarinsäure (C l6 ) . . Ölsäure (C18) Linolsäure (Ci8) Linolensäure ( C 1 8 ) . . . . unges. C20-C22-Säuren . . unges. Fettsäuren insges. gesamte erfaßte Menge
.
Erdnußöl
Olivenöl
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
15,5
91
82
59
18
—
—
—
—
—
—
17 1
39 2
60 21
85 4
10 42 38
—
—
—
—
—
8
18
41
81
89
90
99
100
100
99
100
100
3 25 10
8 12 2
—
—
—
—
—
60
52
49
38
22
1,5 20 15 29 43
6 9 0,5
—
—
—
—
35 5
43 5
48 3
52 10
—
—
—
18,5 35,5
40
48
51
62
78
100
100
100
100
7 4 7
—
9 2
7 3
—
—
11
10
—
6 2
—
84,5
24 35
Leinöl
Walöl
Schweineschmalz
Kindertalg
—
—
—
2 32 15
100 100
—
—
—
1 21 30
—
—
—
3 5 50 14 8 2
1
2 4 10 28 10
—
—
8 7 47 18 9 2
3 2
—
Kakaobutter
. . . . . . . . .
So au •1: M O fi
Palmkernfett
. . . . . . . . .
pflanzlichen Fetten Kokosfett
Buttersäure (C4) . . Capronsäure (C8) . . Caprylsäure (C8) . . Caprinsäure (C10) . . Laurinsäure (C12) . . Myristinsäure (C14) . Palmitinsäure (C16) . Stearinsäure (C18) . gesätt. C20-C22-Säuren
Hammel talg
Kuhbutter
tierischen Fetten
—
448
K a p . 1 6 , 1 : Die F e t t e und verwandte Verbindungen
Lediglich in der Kuhbutter und in einigen wenigen Pflanzenfetten kommen daneben auch niedrigere Fettsäuren bis herab zur Buttersäure vor. Ebenso werden Carbonsäuren mit mehr als 18 C-Atomen nur in Ausnahmefällen beobachtet. Die ungesättigten Fettsäuren, von denen die Ölsäure mit Anteilen bis zu 85% des Säuregemischs die bei weitem häufigste Fettsäure überhaupt ist, weisen meistens eine cis-Konfiguration an den Doppelbindungen auf. Hierdurch wird die Kristallisationsneigung der Glyeeride herabgesetzt, so daß wir bei einer besonderen Anreicherung an diesen Säuren zu den tiefschmelzenden ölen kommen. Linol- und Linolensäure enthalten zwischen den Doppelbindungen stark aktivierte Methylengruppen, die zu beiden C=C-Doppelbindungen allylstänclig sind. Sie unterliegen deshalb besonders leicht der Autoxydation (S. 46/7). Leinöl, an dessen Aufbau diese Säuren zu 80% beteiligt sind, verharzt daher an der L u f t unter Sauerstoffaufnahme. Hiervon wird insbesondere in der Anstrichtechnik zur Herstellung eines die Farbstoffpigmente aufnehmenden festen Films Gebrauch gemacht (Ölfarben). Die quantitative Bestimmung der ungesättigten Fettsäuren geschieht meistens mit Hilfe der auf S. 43/4 erwähnten Jodzahlmethode, die zu diesem Zweck eine vielfache Variierung erfahren hat.
Der menschliche Körper ist nicht zur Synthese der an sich lebensnotwendigen Linol- und Linolensäure befähigt. Diese müssen deswegen zur Vermeidung von Mangelkrankheiten mit der Nahrung eingeführt werden, weshalb man sie auch zu der Gruppe der essentiellen Fettsäuren zusammenfaßt. Physikalische Eigenschaften. Wegen ihrer verzweigten Molekülgestalt schmelzen die reinen Glyeeride merklich niedriger als die unverzweigten Paraffine gleicher Molekülgröße. Ferner zeigen sie häufig die Erscheinung des „doppelten Schmelzpunktes", d. h. sie erstarren dicht oberhalb des normalen Schmelzpunktes erneut unter Bildung eines etwas stabileren zweiten Kristallgitters, das dann erst etwa 20° höher schmilzt. Z. B. liegen die Schmelzpunkte des Tristearins bei 55 und 72° bzw. die des Tripalmitins bei 43 und 65°. Hinsichtlich der Löslichkeitseigenschaften stellen die Fette unter den Naturstoffen den Prototyp der lipophilen und hydrophoben Substanzen dar. Sie lösen sich dementsprechend in allen „lipophilen" organischen Solventien und werden von Wasser weder gelöst noch benetzt.
Von den chemischen Reaktionen der Fette sind vor allem die Fetthärtung und die verschiedenen Verfahren der Fettspaltung von technischem Interesse. Die von W. N O R M A N N (1902) eingeführte Fetthärtung bezweckt, die billigen, wegen ihres Geruchs (z. B. des Trangeruchs) häufig minderwertigen Öle (vor allem Wal- und Fischtran) in bei etwa 30° schmelzende „harte Fette" überzuführen. Dies geschieht durch katalytische Hydrierung eines Teils der ungesättigten Fettsäurereste (direkt im Glyceridgemisch). Hierbei werden die mehrfach ungesättigten Säuren zuerst angegriffen, was den Vorteil bietet, daß die auf ihre Anwesenheit beruhende Autoxydierbarkeit der Fette (s. oben) weitgehend verschwindet. Ferner werden die störenden Geruchsstoffe meistens schon bei Beginn des Hydrierungsprozesses zersetzt. Die Reaktion muß nach Erreichung des gewünschten Hydrierungsgrades rechtzeitig abgebrochen werden, da bei vollständiger Hydrierung aller Doppelbindungen talgartige Produkte entstehen würden.
Die alkalische Fettspaltung, die in der Praxis ausschließlich durch Kochen der Fette mit Alkalilaugen bewerkstelligt wird, führt zu Glycerin und den Seifen genannten fettsauren Salzen, ist also die „Verseifungsreaktion" im ursprünglichen Sinn. Der Prozeß wird nur zur Seifenherstellung durchgeführt. Ähnlich wie die Fette selbst unterteilt man auch die aus ihnen gewonnenen Seifen nach ihrem Härtegrad. Die verhältnismäßig harten Kernseifen werden aus harten Fetten (z. B. aus den verschiedenen Talgarten oder aus Palmkernfett) hergestellt und sind stets Natriumsalze. Ihnen stehen die billigeren Schmierseifen gegenüber, die bei der Spaltung der minderwertigen öle entstehen und meistens Kalium als Alkalikomponente enthalten.
Die säurekatalysierte Fetthydrolyse bietet gegenüber der alkalischen Spaltung den Vorteil, daß die Fettsäuren in freier Form anfallen und direkt weiter verarbeitet
2 : Die Phosphatide
449
werden können. Man verwendet diese Spaltungsart deshalb immer dann, wenn es auf die Gewinnung der freien Säuren ankommt, wie z . B . zur Kerzenherstellung. 2. Die Phosphatide Eine mit den Fetten nahe verwandte Körperklasse liegt in den Phosphatiden vor, die sehr verbreitet in der belebten Natur vorkommen und besonders reichlich in der Gehirn- und Nervensubstanz, im Eidotter und einigen Pflanzen enthalten sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß in ihnen ein fettähnlicher Molekülteil über einen Phosphorsäurerest esterartig mit der Hydroxylgruppe der Aminoalkohole Golamin oder Cholin (S. 209/10) verbunden ist. Die Phosphatide sind also streng genommen keine stickstofffreien Naturstoffe mehr. Die meisten natürlichen Phosphatide gehören der Gruppe der Ester-phosphatide an, die man wieder in die sich vom Cholin ableitenden alkohollöslichen Lecithine und die sich vom Colamin ableitenden, in Alkohol schwerlöslichen Kephaline unterteilt. Da die Phosphorgruppe weiterhin sowohl in tx- als auch in ß-Stellung des Olycerinrestes stehen kann, muß man zwischen den folgenden vier charakteristischen Verbindungstypen unterscheiden: CH2-OOC-CnH2n±1
CH2-OOC-CnH2n±1
:—ooc—cmH2m±1 JH 2 —0—P0 2 —0— CHj— CH2—NR3 für R = H : für R = CH,
a-Kephalin a-Lecithin
CH2-OOC-CmH2m±1 für R = H : für R = C H , :
0-Kephalin ^-Lecithin
Der am Glycerinsauerstoff befindliche Phospho-cholinbzw. Phospho-colaminrest weist den Charakter eines Zwitterions auf, denn die ursprünglich noch saure Phosphogruppe ist durch die basische Aminogruppe des Colamins (bzw. die Ammoniumbasengruppe des Cholins) neutralisiert worden. Dieser Rest ist also stark hydrophil und verleiht dem im übrigen hydrophoben feltartigen Molekül einen seifenähnlichen Charakter.
Eine zweite Gruppe von Phosphatiden wird Acetal-phosphatide (oder Plasmogene) genannt, weil in ihnen die beiden Fettsäurereste der Ester-phosphatide durch den acetalartig gebundenen Rest eines ,,Fettaldehyds" ersetzt sind. Im übrigen unterscheidet man auch hier zwischen Lecithinen (Cholinderivaten) und Kephalinen (Colaminderivaten) sowie zwischen oc- und ß- Verbindungen: CH2-Ov
CH
| )CH-CnH2n±1 CH—O
e i H3N-CH2-CH2-0-P02-0-CH
0 I ® CH2—O—P02—CHj—CH^—N(CH3)3
a-Plasmogen der Leclthinreihe
O
l CH-CnH2n±1
L 1 CH 2 -Ö 0-Plasmogen der Kephalinreihe
3. Die Wachse und der Kork Die im Tier- und Pflanzenreich weit verbreiteten Wachse bestehen zum überwiegenden Teil aus den Veresterungsprodukten der folgenden höheren gesättigten „Fettalkohole" und Fettsäuren (jeweils mit unverzweigter Kohlenstoffkette): 20
K l a g e s , Einführung org. Chemie
Kap. 16, I I : Die natürlichen Isoprenabkömmlinge
450
Wachsalkohole
Wachssäuren:
C 15 H 31 —CH 2 —OH Cetyl-alkohol C 26 H 51 —CH 2 —OH Ceryl-alkohol1) C 29 H M —CH 2 —OH "1 als Gemisch C 31 H 63 —CH 2 —OH / Myricyl-alkohol genannt
C15 15 H 31 31—COOH C 25 H 6l —COOH
Palmitinsäure Cerotinsäure1)
Bemerkenswert ist weiterhin, daß sich häufig Alkohole und Carbonsäuren gleicher Kohlenstoffzahl paaren. Z. B. besteht der in den Kopfhöhlen des Pottwals anzutreffende Walrat zum überwiegenden Teil aus Cetyl-palmitat (C15H31—CH2—OOC—C15H31) und das ,,chinesische Insektenwachs" aus Geryl-cerotinat (C 2S H 61 —CH 2 —OOC—C 25 H 51 ). Wahrscheinlich sind diese Wachsarten biogenetisch direkt durch Dismwtation des zugehörigen Fettaldehyds entstanden: 2 R—CH=0
R—GEL,—0 OC—R
Eine nicht ganz so einheitliche Zusammensetzung weist das Bienenwachs auf, das etwa zu 75% aus Myricyl-palmitat, zu 10% aus Myricyl-cerotinat und zu 15% aus Paraffin besteht. E i n natürlich auftretendes makromolekulares Veresterungsprodukt liegt schließlich im Kork vor, der im Pflanzenreich vielfach zur Erzeugung wasserdichter Häute dimendient (z. B . von Kartoffelschalen). Seine technische Gewinnung in größer sionierten Stücken ist nur aus der in Südwesteuropa heimischen Korkeiche möglich. Nach F . ZETZSCHE zerfällt die Suberin genannte stark hydrophobe eigentliche Korksubstanz beim Kochen mit Natronlauge in ein Gemisch mehrerer Monohydroxy- und Polyhydroxy-monocarbonsäuren und -dicarbonsäuren. Es kann daher angenommen werden, daß im Suberin die Reste dieser Säuren als Bausteine fungieren, die durch Esterbrücken zwischen den Carboxylund alkoholischen Hydroxylgruppen verschiedener Säuremoleküle eine Vernetzung zu einem Riesenmolekül erfahren haben.
II. Die natürlichen Isoprenabkömmlinge 1. Allgemeines Eine Reihe von Naturstoffen ist durch ein eigenartiges, an jedem vierten C-Atom eine seitenständige Methylgruppe tragendes Kohlenstoffgerüst ausgezeichnet.
I
Ihr gemeinsames Bauprinzip wird nach L . RUZICKA (1921) a m ehesten verständlich, wenn man sie sich durch Aneinandergliederung von Isoprenmolekülen entstanden denkt.
Z. B . würden die folgenden vier natürlich vorkommenden Kohlenwasserstoffe trotz ihrer weitgehenden konstitutionellen Verschiedenheit bei der Aufspaltung im Sinne der punktiert angedeuteten Trennungslinien in zwei bzw. drei Isoprenmoleküle zerfallen.
Ocimeii
a-Terpinen
a-Piaen
Bisabolen
Vermutlich ein Gemisch der Alkohole bzw. Säuren mit 24—28 C-Atomen.
2 a: Die acyclischen Terpene und ihre Sauerstoffderivate
451
Vielfach bleibt sogar die Hydrierungsstufe des Isoprens erhalten, d. h. die Kohlenwasserstoffe der Reihe zeigen die Summenformel (C6H8)n eines Poly-isoprens, und die Alkohole leiten sich von ihnen formal durch Wasseranlagerung an eine der Doppelbindungen ab. Im Falle des makromolekularen Kautschuks ist es sogar möglich, ein dem Naturstoff weitgehend entsprechendes Kunstprodukt durch Polymerisation von Isopren herzustellen.
Heute weiß man, daß diese Beziehungen zum Isopren nicht zufälliger Natur sind, sondern auf eine gemeinsame, dem Isopren sehr nahestehende Zwischenverbindung bei der Biosynthese der ,,Isoprenabkömmlinge" zurückgeführt werden können. Es ist dies das im Zellsaft intermediär gebildete neutrale Salz der 3-Methylbutenylpyrophosphorsäure, die sich formal vom Isopren durch Addition eines Pyrophosphorsäuremoleküls ableitet: OH CH3
OH
0—PO—0—PO—OH
3-Methylbutenylpyrophosphorsäure
Die Benennung der natürlichen Isoprenabkömmlinge geschah seinerzeit in Unkenntnis dieser Zusammenhänge nach den hauptsächlich in den Harzölen auftretenden ungesättigten Kohlenwasserstoffen,
den sog. Terpenen. Sie sind meistens aus zwei Isoprenresten
aufgebaut, so daß man
diese Molekülgröße gewissermaßen als „Einheit der Terpene" festgelegt hat.
Demzufolge wäre das natürlich nicht vorkommende Isopren selbst nur ein Halbterpen oder Semiterpen, und erst bei zehn C-Atomen wird die eigentliche Terpenstufe erreicht. Die Kohlenwasserstoffe mit 15 G-Atomen im Molekül werden dann zu den Sesquiterpenen (= „Anderthalb-Terpenen") zusammengefaßt. Weiterhin sind die Diterpene mit 20, die Triterpene mit 30 und die Tetraterpene mit 40 C-Atomen jeweils aus vier bzw. sechs bzw. acht Isoprenresten aufgebaut. Die sauerstoffhaltigen Derivate der Terpene und Sesquiterpene sind neben einigen Terpenen selbst die wichtigsten pflanzlichen Duftstoffe. Insbesondere stellen sie den Hauptbestandteil der aus Blüten, Blättern und anderen Pflanzenteilen isolierten ätherischen (d. h. hiev flüchtigen) Öle dar und werden als solche in großen Mengen in der Riechstoffindustrie verarbeitet. Auch die Campher, worunter man ursprünglich die kristallisierten Anteile der ätherischen Öle verstand, gehören dieser Verbindungsklasse an. Die Einteilung der Isoprenabkömmlinge geschieht meistens unabhängig von der Molekülgröße in die kettenförmigen acyclischen und die cyclischen Verbindungen der Reihe, und erst innerhalb dieser Gruppen unterteilt man weiter nach der Zahl der Isoprenreste.
2. Die acyclischen Isoprenabkömmlinge a) D i e a c y c l i s c h e n T e r p e n e u n d i h r e S a u e r s t o f f d e r i v a t e Das einfachste acyclische Terpen ist der in einigen ätherischen Ölen enthaltene, bereits auf S. 450 formulierte Kohlenwasserstoff Ocimen. Wichtiger sind die beiden cis-trans-isomeren, durch Behandeln mit Natriumalkoholat ineinander überführbaren Alkohole Geraniol und Nerol, die sich von ihm durch 1,4-Addition eines Wassermoleküls an das konjugierte Doppelbindungssystem ableiten und die unter der Einwirkung von Essigsäureanhydrid eine Allylumlagerung genannte, an sich reversible Verschiebung der einen Doppelbindung und der in Allylstellung zu ihr befindlichen Hydroxylgruppe zu einem dritten isomeren Alkohol, dem Linalool erleiden: 29*
Kap. 16, I I : Die natürlichen Isoprenabkömmlinge
452
Essigsäureanhydrid (Allylumlagerung)
>
t
Erhitzen mit
v
i
i
HO—CBLj'
Geraniol
Nerol
Linalool
Geraniol ist der Hauptgeruchsträger des Ceranium- und Rosenöls, Nerol der des Neroli• und Bergamottöls, während vom Linalool, das ein asymmetrisches C-Atom enthält, beide Antipoden in verschiedenen Linaloe-ölen auftreten. Als vierter Alkohol dieser Reihe muß schließlich noch das optisch aktive Citronellol erwähnt werden, das u. a. in der rechtsdrehenden Form im Citronell-öl vorkommt und vermutlich ein Gemisch zweier Alkohole darstellt, dessen Hauptbestandteil die nebenstehende Struktur eines Dihydrogeraniols aufweist. Seine linksdrehende bzw. racemische Form ist im Rosen-öl und Qeranium-öl als Begleiter des Oeraniols enthalten.
Citronellol
Nerol A l s w i c h t i g s t e Oxoverbindungen der R e i h e t r e t e n die sich v o m Geraniol, u n d Citronellol als primären Alkoholen ableitenden Aldehyde a-Citral, ß-Citral — diese beiden sind wie Geraniol u n d Nerol geometrisch isomer — u n d Citronellal natürlich auf. Eine Mischung der ersten beiden bildet unter dem Namen Citral den Hauptgeruchsträger des Citronenöls. Citronellal ist, wie schon der Name andeutet, ein Begleiter des Citronellos im Citronell-öl. b) D i e a c y c l i s c h e n ^ S e s q u i - , D i - , T r i - u n d T e t r a t e r p e n e u n d i h r e Sauerstoffderivate Verlängert m a n d e n Kohlenwasserstoffrest des Oeraniols u n d Linalools u m jeweils eine Isopreneinheit, w a s auch in vitro auf synthetischem Wege m ö g l i c h ist (Näheres vgl. III, K a p . 5, I, 2), so k o m m t m a n z u d e n w i c h t i g s t e n acyclischen Alkoholen der Sesquiterpenreihe, nämlich d e m i m Orangenblütenöl e n t h a l t e n e n Nerolidol u n d d e m Maiglöckchenu n d Lindenblütenduftstoff Farnesol, der a u s d e m Nerolidol wieder auf d e m W e g e einer Allylumlagerung gewonnen werden kann: \ A
I /
X
A
/
\ X
A
/OH /
'
Acetanhydrid
\
I
I
(Allylumlagerung)
—OH
Nerolidol
Farnesol
Nochmals um eine Isopreneinheit reicher ist schließlich der der Diterpenreihe angehörende Alkohol Phytol, den wir schon auf S. 416 als Chlorophyllbaustein kurz gestreift haben, und der sich auch durch einen wesentlich höheren Hydrierungsgrad von den vorgenannten Alkoholen unterscheidet: ^ ^ x A / x A ^ A /
C
H
* - °
H
Ph
yto1
Sieht m a n einmal v o m Kautschuk u n d d e n n i c h t mehr ausschließlich zu d e n Isoprenabkömmlingen zählenden K-Vitaminen (S. 523) ab, so b e o b a c h t e t m a n das bisher beschriebene Bauprinzip der s t e t s gleichartigen Aneinanderreihung von
2 c: Der Kautschuk und verwandte Verbindungen
453
Isoprenresten zu asymmetrischen Molekülen — an einem Molekülende befindet sich eine Isopropyl- (bzw. Isopropyliden-)gr\npj)e und am anderen Ende eine Äthyl- (bzw. Äthyliden-)gruppe — nicht mehr bei höhermolekularen Verbindungen. Dagegen gibt es viele Naturstoffe, die zwei der bisher beschriebenen Polyisoprenderivate „Kopf an Kopf" über die endständigen Äthylgruppen zu einem symmetrischen Molekül aneinander gebunden enthalten. Diese Verbindungen weisen in der Molekülmitte einen um ein G-Atom größeren Abstand der seitenständigen Methylgruppen auf und besitzen an beiden Molekülenden Isopropyl- bzw. Isopropylidengruppen. Das wichtigste Beispiel dieser Art ist das aus zwei Sesquiterpenresten aufgebaute und auch in vitro auf diesem Wege aus Farnesylbromid im Sinne einer WüRTZschen Synthese darstellbare acyclische Triterpen S quälen, das in der Haifischleber aufgefunden wurde und als biochemische Vorstufe der Steroide (vgl. S. 462) von Interesse ist:
Squalen
Ein analog konstituiertes, jedoch bedeutend stärker ungesättigtes Tetraterpen, das also bereits acht Isoprenreste mit 40 C-Atomen im Molekül enthält, liegt in dem Carotinoidfarbstoff Lycopiu (S. 412) vor.
c) D e r K a u t s c h u k u n d v e r w a n d t e V e r b i n d u n g e n Durch Aneinanderreihung einer sehr großen Zahl von Isoprenbausteinen, was in vitro durch Polymerisation von Isopren und in der Natur vermutlich über die auf S. 451 formulierte Zwischenverbindung geschehen kann, gelangt man zu dem nahezu einzigen mit den synthetischen Polymerisationskunststoffen vergleichbaren natürlich vorkommenden Werkstoff, dem Kautschuk. Im einzelnen erfolgt der Zusammenschluß der Isoprenbausteine in der Weise, daß die noch verbleibenden Doppelbindungen jeweils in die Mitte der Isoprenreste wandern. Man erhält infolgedessen die unten angeführte Kautschukformel für einen beliebig langen Ausschnitt aus dem Kettenmolekül, die von C. H a h r i e s (1905) durch Ozonabbau des Kautschuks zu Lävulinaldehyd bewiesen werden konnte. Sterisch zeichnet sich der Kautschuk durch cisKonfiguration an jeder Doppelbindung aus:
Kautschuk (Molekülauaschnitt)
Lävulinaldehyd
Der Kautschuk kommt im Milchsaft zahlreicher Pflanzen vor (z. B. auch in dem der bei uns heimischen Wolfsmilch) und dient zur Herstellung eines wasserdichten Wundverschlusses. Seine technische Gewinnung geschieht hauptsächlich aus dem Wundsaft des aus Brasilien stammenden, heute vor allem in Indonesien in Plantagen angebauten Heveabaumes. Jeder Baum liefert pro Tag
454
Kap. 16,11: Die natürlichen Isoprenabkömmlinge
etwa 7 g des Latex genannten Wundsaftes (eine wäßrige, etwa 35—40% Kautschuk und 5% Proteine enthaltende Emulsion), aus dem der Kautschuk durch Säure- oder Hitzekoagulation ausgefällt wird.
Kautschuk ist als Kohlenwasserstoff lipophil und hydrophob. Vor allem wegen seiner Löslichkeit in Benzol und Quellbarkeit in Benzin müssen die aus ihm hergestellten Gegenstände vor diesen Solventien geschützt werden. Als Polyolefin wird er weiterhin von Luftsauerstoff autoxydiert und im Verlauf von Folgereaktionen der primär entstandenen Peroxyverbindungen unter weitgehendem Abbau der Kohlenstoffkette zerstört. In dieser Reaktion ist die Hauptursache für das Altern und Brüchigwerden aller Kautschukwaren zu suchen. Aber auch eine Stabilisierungsreaktion, und zwar der technisch wichtige Yulkanisierungsprozeß, wird durch die Polyolefinnatur des Kautschuks ermöglicht. Je nach der Arbeitstemperatur unterscheidet man zwischen Kalt- und Heißvulkanisation. Die Kaltvulkanisation besteht in einer Behandlung der (ausschließlich dünnwandigen) Kautschukgegenstände mit Lösungen von Dischwefel-dichlorid, das sich gleichzeitig an die Doppelbindungen zweier benachbarter Kettenmoleküle anlagert und diese dadurch (etwa im Sinne des folgenden Schemas) zu einem Makromolekül höherer Ordnung „vernetzt":
Bei der Heiß Vulkanisation, die man bei etwa 140° vornimmt, erzielt man eine ähnliche Vernetzung der Kautschukmoleküle durch 82-Brücken bereits mit Hilfe des reaktionsträgeren elementaren Schwefels in Gegenwart geringer Mengen von katalytisch wirkenden Vulkanisationsbeschleunigern (meistens eine Mischung von Zinkoxyd mit Aryl-mercaptanen oder -disitlfiden).
Die Vulkanisierung bewirkt vor allem .eine Erhöhung der mechanischen Festigkeit und der Wärmebeständigkeit des Kautschuks, die bei einer Schwefelaufnahme von etwa 5%, wie sie bei den Weichgummisorten üblich ist, noch mit keinem merklichen Elastizitätsverlust verbunden ist. Erhöht man den Schwefelgehalt jedoch auf 20—30%, so verschwindet die Hochelastizität vollkommen, und man erhält einen völlig neuen Werkstoff, den Hartgummi oder Ebonit. Außer durch Vulkanisierung kann man die Eigenschaften des Kautschuks auch durch andere Zusätze verbessern. Hier ist insbesondere der „aktive" Gasruß zu nennen, der sich in noch nicht näher bekannter Weise derart innig mit dem Kautschuk verbindet, daß u. a. seine Abriebfestigkeit eine Zunahme auf mehr als das Doppelte erfährt.
Neben dem Kautschuk kommen noch zwei weitere Polyisoprene natürlich vor, die die Namen Guttapercha und Balata erhalten haben und ebenfalls aus den Wundsäften tropischer Bäume gewonnen werden. Sie weisen im Gegensatz zum Kautschuk trans-konfigurierte Doppelbindungen auf, was eine größere Wärmebeständigkeit zur Folge hat (z. B. werden sie erst oberhalb 50° elastisch). In der Technik zieht man sie deshalb dem Kautschuk als Isoliermaterial für elektrische Geräte vor. Da sie n als Polyolefine jedoch ebenfalls luftunbeständig sind und altern, (Molekül a usschn i 11) werden sie heute meistens durch moderne Kunststoffe ersetzt.
J>
455
3 a : Die monocyclischen Terpene und Campher
Nach Einführung der Polymerisationestchnik hat man zahlreiche kautschukähnliche Kunststoffe synthetisiert, die jedoch statt des Isoprens leichter zugängliche Diene als Polymerisationskomponenten enthalten. Praktisch wichtig sind lediglich die hauptsächlich aus polymerisiertem Butadien1) (S. 50) bestehenden Bunasorten und der bei der Polymerisation von Chloropren (= 2-Chlor-buta-dien H 2 C=CC1—CH=CH 2 ) entstehende besonders ölfeste „Kautschuk" Neopren.
3. Die cyclischen Isoprenabkömmlinge a) Die monocyclischen Terpene und Campher (Menthanderivate) Sämtliche monocyclischen Terpene und ihre Sauerstoffderivate leiten sich vom p-Methyl-isopropyl-cyclohexan ab, das man auch in vitro durch Dimerisierung von Isopren mit anschließender Hydrierung gewinnen kann, und das nach seinen wichtigsten Derivaten Menthol und Menthon (s. unten) den Trivialnamen Menthan (bzw. p-Menthan) erhalten hat:
Isopren
Limonen
p-Menthan
Das Limonen fällt bei der Isoprendimerisierung naturgemäß in Form der racemischen Mischung an. Die reinen Antipoden kommen beide in einigen ätherischen ölen natürlich vor. Ebenfalls die Hydrierungsstufe eines Diisoprens weisen die folgenden drei Terpene auf, während das neben ihnen angeführte Menthen-3 (oder Menthen schlechthin) um zwei H-Atome reicher ist: I
a-Terpinen (MaJoran-öl, Coriander-81, Cardamomen-61 usw.)
y-Terpin (Coriander-öl, Ajowan-öl, Citronen-öl, usw.)
Terpinolen (Terpentin-öl)
Menthen-3 (Tymlan-öl)
Durch Anlagerung von einem bzw. zwei Molekülen Wasser leiten sich vom Limonen die beiden Alkohole tx-Terpineol und Terpin ab: + 2 H , 0 (verdünnte Mineralsäuren)
+ H,0 (formal)
— H,0 (Phosphorsäure) a-Terpineol
*) Häufig wird das Butadien gemeinsam mit dem auf S. 65 beschriebenen Styrol (25°/0 im Buna S bzw. 50 °/„ im Buna SS) sowie beim benzinfesten Buna N oder Perbunan auch mit bis zu 3 0 % Acrylnitril (S.140) polymerisiert.
Kap. 16, I I : Die natürlichen Isoprenabkömmlinge
456
Von ihnen ist nur das Ot-Terpineol ein Naturstoff, der u. a. in der linksdrehenden Form im Majoranöl vorkommt. Wegen seiner Bedeutung für die Riechstoffindustrie wird es künstlich aus Terpin durch partielle Dehydratisierung mit Phosphorsäure gewonnen. Terpln selbst ist ein Kunstprodukt, das lediglich in wasserhaltigen älteren ätherischen Ölen durch Wasseranlagerung an nicht näher bekannte Terpene entsteht. Technisch wird es nicht wie oben aus Limonen sondern aus den billigeren Pinenen hergestellt (S. 457) und dient, wie schon erwähnt, als Ausgangsverbindung für die tx-Terpineolgewinnung.
Der wichtigste Alkohol der Reihe ist das Menthol genannte gesättigte 3-Hydroxymenthan, das neben seinem Dehydrierungsprodukt, dem Menthon, den Hauptbestandteil des Pfefferminzöles darstellt. Es besitzt drei Asymmetriezentren und tritt dementsprechend in acht stereoisomeren Formen (bzw. vier diastereomeren Antipodenpaaren) auf, die sämtlich bekannt sind. Das natürliche Menthol ist linksdrehend und gehört hinsichtlich der Konfiguration des die Methylgruppe tragenden C-Atoms der D-Reihe an (Näheres vgl. III, Kap. 5, II, l b ) :
D(—)-Menthol
D(—)-Menthon
Menthon enthält ein Asymmetriezentrum weniger im Molekül, so daß die Zahl der Stereoisomeriemöglichkeiten auf die Hälfte absinkt. Erwartungsgemäß gehört das natürliche Menthon der gleichen D-Reihe an wie das biogenetisch mit ihm ohne Zweifel zusammenhängende natürliche Menthol. Von einigen weiteren in ätherischen ölen aufgefundenen Ketonen der Menthanreihe seien nur die Konstitutionsformeln angeführt:
o (+)-Pulegon Hauptbestandteil des Polei-öls
(+)-Carvon Hauptbestandteil des Kümmel-Öls
Bucco-campher (Diosphenol) aus Bucco-Blättem (wegen der Möglichkeit der Enolbildung optisch inaktiv)
b) D i e b i c y c l i s c h e n T e r p e n e u n d C a m p h e r Bicyclische Terpene und Campher leiten sich von den folgenden fünf gesättigten Ringsystemen ab:
Thujan Methyl-lsopropyl-bicyclo[0,l,3]-heptan
Caran Trimethylbicyclo-[0,l,4]heptan
Finan Trimethylbicyclo-[l,l,3]heptan
Gamphan Trlmethylbicyclo-[l,2,2]heptan
Fenchan Trimetbylbicyclo-[l,2,2]heptan
3 b a : Die Thujan-, Caran-, Pinan- und Fenchanderivate
457
«) Die natürlichen Thujan-, Caran-, Pinan- und Fenchanderivate Die Thujan- und Caranderivate sind ohne größere Bedeutung geblieben, so daß wir uns mit der Anführung einiger charakteristischer Vertreter begnügen können:
Sabinen (Sadebaum-61, Majoran-öl)
a-ThuJon und /J-Thujon oder Tanaceton (hinsichtlich der Konfiguration am C-Atom 1 epimer)
3-Caren (indisches Terpentin-öl)
Von den Verbindungen der Pinanreihe treten nur die beiden Kohlenwasserstoffe a-Pinen und ß-Pinen natürlich auf, die als Hauptbestandteile des Terpentinöls die mengenmäßig häufigsten Terpene darstellen:
a-Pinen
/3-Pinen
Unter Terpentinöl, der „Patensubstanz" der „Terpene", versteht man den mit Wasserdampf flüchtigen Anteü des Harzsaftes verschiedener Föhrenarten (lat. Pinus, daher der Name Pinen). Es findet hauptsächlich industrielle Anwendung als hochsiedendes lipophiles Lösungsmittel, als Anreibmittel für Anstrichfarben und als billiges technisches Ausgangsmaterial für die Terpin(S. 456) und Camphersynthese (S. 458/59). Da beide Reaktionen sowohl vom a- als auch vom ß-Pinen aus durchgeführt werden können, spielt es technisch keine Rolle, daß Terpentinöl aus einem Gemenge der beiden isomeren Kohlenwasserstoffe besteht, und man spricht daher oft von Pinen schlechthin. Außer der unten beschriebenen Umwandlung in Campher ist von den Pinenreaktionen vor allem die relativ leicht erfolgende Öffnung des Cyclobutanrings erwähnenswert, die sowohl oxydativ (z. B. schon durch Luftsauerstoff) zum Pinolhydrat als auch hydrolytisch (durch Säuren unter gleichzeitiger Wasseranlagerung an die Doppelbindung) zum Terpin erfolgen kann: •OH
+ 2 H,0
+ y,o,
(verdünnte H,S0 4 )
+ H,0
-OH Pinolhydrat
M
OH
-OH a-Pinen
Die Fenchanderivate treten an Bedeutung wieder zurück. Erwähnenswert ist lediglich das rechtsdrehend im Fenchd-öl und linksdrehend im Thuja-Öl auftretende Fenehon, das wie der Campher (s. 458) trotz des Vorliegens von zwei Asymmetriezentren nur in zwei stereoisomeren Formen auftreten kann.
Terpln
Fenehon
458
Kap. 16, I I : Die natürlichen Isoprenabkömmlinge
ß) Die Verbindungen der Camphanreihe In der Natur sind bisher nur zwei Camphanderivate aufgefunden worden: 1. das Campher (häufig verdeutscht auch Kampfer geschrieben) schlechthin genannte 2-Keto-camphan und 2. der zugehörige sekundäre Alkohol, der den Namen Borneol erhalten hat:
*
*
Campher
Borneol
Das Camphermolekül enthält zwei asymmetrische C-Atome, tritt jedoch nur in zwei stereoisomeren Formen auf, weil die mittlere Ringbrücke sich nur oberhalb oder unterhalb der Ringebene befinden kann. Damit ist nämlich die auf S. 367 postulierte Voraussetzung für das 2n-Gesetz, daß beide Asymmetrizentren unabhängig voneinander die Konfiguration wechseln können, nicht erfüllt, was sich hier dahingehend auswirkt, daß zwei weitere Konfigurationsmöglichkeiten fortfallen, bei denen die zur Ringbrücke führenden Valenzen der G-Atome 1 und 4 das eine Mal nach oben und das andere Mal nach unten gerichtet sind. (Näheres vgl. II, Kap. 7, I, lc.) Der wichtigere D-Campher ist der Hauptbestandteil des aus dem Campherbaum gewonnenen Campheröls und hat der ganzen Gruppe der campherartigen Verbindungen den Namen gegeben. E r kann mengenmäßig schon lange nicht mehr den technischen Campherbedarf decken und wurde daher weitgehend durch den aus Pinen gewonnenen racemischen Campher (s. unten) ersetzt. Auch der L-Campher (Matricaria-campher) kommt in einigen ätherischen ölen vor.
Borneol enthält ein Asymmetriezentrum mehr als der Campher und tritt deshalb in zwei diastereomeren Antipodenpaaren auf, die die Namen Borneol (OH-Gruppe und Ringbrücke liegen auf entgegengesetzter Seite der Ringebene) und Isoborneol (sie liegen auf der gleichen Seite der Ringebene) erhalten haben und im Falle der L-Reihe die folgende Raumstruktur aufweisen:
L-Borneol
1-Isobomeol (jeweils absolute Konfiguration)
D-Borneol tritt unter dem Namen Borneo-campher im Lavendel- und Rosmarinöl auf, während das seltenere L-Borneol (Ngai-campher) im Baldrianöl enthalten ist. Isoborneol schließlich ist nur ein Kunstprodukt.
Die Konstitutionsaufklärung des Camphers erfolgte durch J . BBEDT (1893) und wurde schon 1908 durch eine von G. KOMPPA ausgeführte Totalsynthese bestätigt (Näheres vgl. III, Kap. 5, II, 2 d). Wichtiger ist die oben erwähnte technische Camphersynthese aus dem in großen Mengen zur Verfügung stehenden Pinen des Terpentinöls (S. 457), die wegen der mit ihr verbundenen mehrfachen TJmlagerungen des Ringgerüstes auch theoretisches Interesse beansprucht. In der älteren Ausführungsform erfordert diese Synthese die folgenden fünf Reaktionsphasen:
459
3 c: Höhermolekulare cyclisohe Isoprenabkömmlinge
1. Die Anlagerung von Chlorwasserstoff. Hierbei sollte auf Grund der Regel von Mabkownikow (S. 44) sowohl aus a- als auch aus ß-Pinen das Pinanderivat 1 entstehen, das jedoch oberhalb —60° nicht beständig ist und sich sofort in das schon der Camphanreihe angehörende Bornylchlorid umlagert:
oder
HCl
(— 60°)
Umlagerung (Zimmertemperatur)
Bornylchlorid
Piuen
Bornylchlorid tritt aber
sollte an sich bei der Hydrolyse in Borneol (oder Isoborneol) übergehen. Statt dessen
2. stets eine Chlorwasserstoffabspaltung unter erneuter Umlagerung des Ringgerüsts zum Camphen (II, normalerweise wie III formuliert) ein, an dessen Doppelbindung 3. Essigsäure (wiederum unter Umlagerung des Ringgerüstes) zum Isoborneol-ester addiert wird: -HCl (Umlagerung)
Bornylchlorid
identisch mit
Camphen
Isobornyl-acetat
4. Anschließend verseift man den Isoborneolester zum freien Isoborneol, das 5. bei der Oxydation der Carbinol- zur Ketogruppe den Campher liefert. Erst relativ spät ist es gelungen, diese fünf Einzelreaktionen in zwei Arbeitsphasen ablaufen zu lassen. In der ersten Stufe führt man die Pinene durch Erhitzen über Borphosphorsäure und ähnlichen Katalysatoren, die sich vermutlich intermediär zum Borneolderivat anlagern, direkt in Camphen über. Dieses läßt sich dann in der zweiten Stufe durch Behandeln mit Chromsäurelösung, die sowohl die Wasseranlagerung zum Isoborneol als auch dessen Oxydation bewirkt, wiederum direkt in Campher umwandeln.
Campher ist eine stark riechende, gut kristallisierende Verbindung, die in der Technik vor allem zur Herstellung von Gelluloid (S. 442) Verwendung findet. Er und auch einige seiner Derivate besitzen wegen der annähernd kugelförmigen Molekülgestalt eine sehr hohe kryoskopische Konstante (vgl. auch S. 280). Vor allem der Campher selbst dient daher in der analytischen Chemie als Lösungsmittel für die vereinfachte Molekulargewichtsbestimmung nach K. RAST (1922). D-Campher ist im Gegensatz zu seinem weniger wirksamen L-Antipoden physiologisch aktiv und diente früher in der Pharmazie als Herzanregungsmittel.
stark
c) H ö h e r m o l e k u l a r e c y c l i s c h e I s o p r e n a b k ö m m l i n g e Einige nicht streng der Isoprenregel gehorchende Duftstoffe sind a - und ß-Jonon, von denen das letztere in mehreren ätherischen ölen auftritt:
a-Jonon
Kap. 16,11: Die natürlichen Isoprenabkömmlinge
460
Ihre Mischung ist aus Citral (S. 452) und Aceton synthetisch zugänglich und kommt unter dem Namen Jonon in den Handel. Bemerkenswert ist die erstmals vom p-Menthansystem abweichende Struktur, der wir auch bei anderen höhermolekularen Verbindungen der monocyclischen Reihe (z. B. bei zahlreichen Carotinoidfarbstoffen, S. 412/3) begegnen. Mit dem Jonon nahe verwandt ist der Veilchenduftstoff Iron, der praktisch ausschließlich aus einem Giemisch der um eine Methylgruppe reicheren Verbindungen OC-Iron (etwa 25%) und y-Iron (etwa 75%) besteht.
Von den eigentlichen cyclischen Sesquiterpenen (mit 15 C-Atomen) wurde das im Citronenöl und Fichtennadelöl auftretende Bisabolen schon früher (S. 450) formuliert. Einige weitere, z. T. bicyclische Kohlenwasserstoffe und eine sauerstoffhaltige Verbindung der Reihe sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt:
\ / v
\ / N II I I N ^ Y
\
\/K/ Selinen (Sellerie-Öl)
Zingiberen (Ingwer-Öl)
/ \ / V
=0
V i \ /
Cadinen
Santonin (wurmtreibendes Prinzip des Wurmsamens)
Ebenfalls zu den Sesquiterpenderivaten zählen die wesentlich wasserstoffärmeren, intensiv blauen Aznlene oder blatten öle, die an sich zwar keine Naturstoffe sind, aber als sekundäre Dehydrierungsprodukte noch unbekannter Vorstufen zuweilen bei der Verarbeitung von ätherischen ölen entstehen. Ihre blaue Farbe verdanken sie (wie das Azulen selbst, S. 280) dem geschlossen konjugierten System von fünf C=C-Doppelbindungen:
V
:
W
Guaj-azulen (aus Guajol)
A
/
Vetiv-azuien (aus Vetiver-öl)
Die nicht mehr flüchtigen cyclischen Di- und Triterpene sind naturgemäß keine Duftstoffe mehr. Hier müssen vor allem einige polycyclische Verbindungen erwähnt werden, die ein bereits den Steroiden nahestehendes Ringsystem enthalten. Es sind dies einerseits in der Diterpenreihe die in natürlichen Harzen aufgefundenen „Harzsäuren" Abietinsäure und Dextro-pimarsäure, andererseits das im Wollfett vorkommende Triterpenderivat (oder „Triterpenoid") Lanosterin, das nach dem Squalen als biochemische Vorstufe der Steroide fungiert (vgl. S. 462):
[_ / N / V v
/ N / V
COOH
COOH
Abietinsäure
Dextro-pimarsäure
Cyclische Tetraterpenderivate sind außer den (S. 411 f.) nur wenige bekannt.
Lanosterin
schon beschriebenen
Carotinoidfarbstoffen
Kap. 16,111: Die Steroide
461
III. Die Steroide 1. Allgemeines Unter der Bezeichnung Steroide faßt man eine Reihe von Naturstoffen zusammen, die einen dem Cholesterin (S. 462) ähnlichen Molekülaufbau besitzen. Sie sind im Tier- und Pflanzenreich weit verbreitet und üben z. T. wichtige physiologische Funktionen aus. In diesem Abschnitt wird näher eingegangen auf die in größeren Mengen auftretenden und daher ohne physiologische Tests isolierbaren Verbindungen, die eingeteilt werden in die (unter 2. beschriebenen) Sterine, die für die Fettverdauung wichtigen Gallensäuren, (3.) die herzwirksamen Digitalis- und Strophantus-glykoside (4.) und die Saponine (5.). Ihnen schließen sich als letzte Gruppe von Steroiden noch die Sexual- und Nebennierenhormone an, die wegen ihrer besonderen physiologischen Bedeutung erst im 18. Kapitel abgehandelt werden. Allen Steroiden liegt das nebenstehend formulierte Kohlenstoffskelett I zugrunde. Es ist charakterisiert durch ein tetracyclisches, vollständig hydriertes 1,2-Cyclopentano-phenanthrenringsystem, das an den C-Atomen 10 und 13 je eine „angulare" Methylgruppe und am C-Atom 17 eine acht C-Atome enthaltende zweimal verzweigte Seitenkette trägt. In diesem Ringsystem befinden sich sieben Asymmetriezentren, so daß man 27 = 128 Stereoisomeriemöglichkeiten erwarten sollte. Bei den natürlichen Steroiden sind jedoch die sechs asymmetrischen C-Atome 8, 9, 10, 13, 14 und 17 stets gleichkonfiguriert. Man braucht daher nur zwischen Derivaten der beiden hinsichtlich der Konfiguration des C-Atoms 5 diastereomeren (bzw. epimeren) Kohlenwasserstoffen Cholestan und Koprostan zu unterscheiden, denen beiden die angegebene Struktur I zukommt. Die Wiedergabe der komplizierten Konfigurationsverhältnisse bereitet gewisse Schwierigkeiten. Sie geschieht nach L. Ruzicka (1938) zweckmäßig durch Kennzeichnung aller derjenigen Ringverzweigungs-C-Atome durch einen dicken Punkt, deren nicht ringgebundener vierter (sog. angularer) Substituent oberhalb der Ringebene liegt. Ferner wird bei allen sonstigen Liganden des Ringsystems die Bindung zum Ring durch einen ausgezogenen Bindestrich wiedergegeben (im Falle des Cholestans und Koprostans also die Bindung zur Seitenkette am C-Atom 17), wenn sie sich ebenfalls oberhalb, und durch einen punktierten Strich, wenn sie sich unterhalb der Ringebene befindet. Wir erhalten somit für das Cholestan und Koprostan die folgenden vereinfachten Konfigurationsformeln :
Cholestan
cxr Koprostan
Die natürlichen Steroide leiten sich vom Cholestan bzw. Koprostan durch die folgenden charakteristischen Molekülveränderungen ab: 1. Durch Einführung einer oder mehrerer Sauerstoff-Funktionen in das Ringsystem, von denen sich eine immer am C-Atom 3 befindet, 2. durch die zuweüen erfolgende Einführung einer vom C-Atom 5 ausgehenden C=G-Doppelbindung in den Ring A oder B, die naturgemäß mit der Aufhebung der Asymmetrie dieses C-Atoms verbunden ist,
462
Kap. 16, I I I : Die Steroide
3. durch einen mehr oder weniger vollständigen oxydativen Abbau der Seitenkette, und 4. bei einigen Sexualhormonen durch eine Aromatisierung des Ringes A, die zwangsläufig mit einer Abspaltung der angularen Methylgruppe (C-Atom 19) verbunden ist. Die in III, Kap. 5, II, 1 beschriebene Strukturaufklärung des Steroidgerüsts war eine der Glanzleistungen der klassischen organischen Chemie, die hauptsächlich von A. W I N D A U S (1903—1932) und H. W I E L A N D (1912—1932) durchgeführt wurde. Sie konnte 1952 von R. B. W O O D W A R D durch eine Totalsynthese des Cholesterins bestätigt werden, so daß die angegebenen Formeln absolut gesichert sind. Auch das Problem der Biosynthese der Steroide ist schon weitgehend geklärt worden. Die zahlreichen seitenständigen Methylgruppen im Cholestan- bzw. Koprostangerüst deuten bereits auf gewisse Zusammenhänge mit den Isoprenabkömmlingen hin, doch gehorcht die Zahl von 27 C-Atomen nicht mehr ohne weiteres dem Isoprenprinzip. Als erste biochemische Vorstufe ähnlicher Molekülgröße sieht man heute das Squalen (S. 453) an, das zunächst eine mehrfache Cyclisierung (möglicherweise über ein Isosqualen als Vorstufe) zum cyclischen Triterpenoid Lanosterin (S. 460) erleidet. Dieses enthält bereits das Cyclopentano-phenanthrengerüst und geht durch Eliminierung der drei Methylgruppen an den C-Atomen 4 und 14 in Cholesterin über (Näheres vgl. III, Kap. 5, II, 1). 2. Die Sterine Unter Sterinen (von griech. cr-reap = Talg, engl, wegen der Alkoholnatur exakter sterols genannt) versteht man fettähnliche Stoffe, die in den Lipoidteilchen aller Lebewesen vorkommen und im Gegensatz zu den Fetten nicht hydrolytisch gespalten werden, so daß sie sich im unverseifbaren Anteil der Lipoide anreichern. Man unterteilt sie in die drei Untergruppen der in Tieren vorkommenden Zoosterine, der pflanzlichen Phytosterine und der Pilz- oder Myosterine. Das bei weitem wichtigste Zoosterin ist das von M. E. C H E V B E U L schon 1815 als Hauptbestandteil der Gallensteine entdeckte Cholesterin. Es kommt aber auch in allen anderen tierischen Organen vor — besonders die Gehirn- und Nervensubstanz enthält bis zu 10% der Trockenmasse an Cholesterin — und fungiert als Muttersubstanz sämtlicher anderer Steroide. Ist eine Biogenese anderer Steroide mit einer Hydrierung der Doppelbindung des Cholesterins verbunden, so wird das C-Atom 5 asymmetrisch und vermag beide Konfigurationen anzunehmen. Hierauf ist es zurückzuführen, daß in der Natur sowohl Steroide der Cholestan- als auch solche der Koprostanreihe vorkommen.
In dem aus Weizenkeimlingen isolierten Phytosterin Sitosterin und in dem als biochemische Vorstufe des Vitamins Dz (S. 522) wichtigen Myosterin Ergosterin (am besten aus Hefe isolierbar) trägt die Seitenkette über die durch die Isoprenregel bedingte Struktur hinaus noch eine weitere Methyl- bzw. Äthylgruppe am C-Atom 24. 3. Die Gallensäuren Die Gallenflüssigkeit enthält einige Monocarbonsäuren, die eine Emulgierung der wasserunlöslichen Fette bewirken und dadurch deren Verdauung durch die fett-
3 und 4: Gallensäuren, Herzgifte
463
spaltenden Enzyme (sog. Lipasen) wesentlich erleichtern. Diese primären Säuren der Galle zeigen einen peptidartigen (vgl. S. 478 f.) Aufbau und zerfallen bei der Hydrolyse in je ein Molekül einer natürlichen Aminosäure und einer kohlenstoffreichen Monocarbonsäure der Steroidreihe, die meistens als die eigentliche Gallensäure (im engeren Sinne) bezeichnet wird. Beispielsweise sind aus der Rindergalle, die beiden Säuren Tauro-cholsäure und Glyko-cholsäure isoliert worden, die neben der gleichen Gallensäure (im engeren Sinne), der unten formulierten Cholsäure, einmal ein Mol Taurin (S. 249) und einmal ein Mol Glycin (S. 215) als Spaltprodukte liefern. Damit sind bereits die folgenden Teilformeln bewiesen: C 2 3 H 3 9 0 3 - € 0 - N H - C H 2 - C H 2 ~ S 0 3 H — y d r o l y 9 e -> C 2 3 H 3 9 0 3 -C00H + H 2 N - C H 2 - C H 2 - S 0 3 H Tauro-cholsäure
C23H3903-C0-NH-CH2-C00H Glyko-cholsäure
Cholsäure
Hydrolyse^
Taurin
c 2 3 H 3 9 0 3 - C 0 0 H + H 2 N-CH 2 -COOH Cholsäure
Glycin
Die Cholsäure leitet sich vom Cholesterin durch Hydrierung der Doppelbindung (zu einem Koprostanderivat), oxydativen Abbau von drei C-Atomen der Seitenkette Konfigurationsumkehr an dem die Hyunter Ausbildung einer Carboxylgruppe, droxylgruppe tragenden C-Atom 3 und Einführung zweier weiterer Hydroxylgruppen in das Ringgerüst ab. Von einigen anderen, mengenmäßig hinter der Cholsäure zurücktretenden Gallensäuren seien nur die Formeln angeführt:
Zur Emulgierung der Fette sind die Gallensäuren auf Grund ihres seifenähnlichen Aufbaus befähigt; denn einer stark hydrophilen Peptidgruppe auf der einen Seite steht ein ausgedehnter hydrophober Alkylrest auf der anderen Seite des Moleküls gegenüber. Die zwischenmolekulare Affinität zwischen Gallensäuren und Fettstoffen kommt ferner darin zum Ausdruck, daß Desoxycholsäure (und in schwächerem Ausmaß auch andere Gallensäuren) zur Bildung umkristallisierbarer Einschlußverbindungen mit Fettsäuren befähigt sind, die Choleinsäuren genannt werden (Näheres vgl. II, Kap. 6, III, lc). 4. Die pflanzlichen Herzgifte und verwandte Verbindungen In den Blättern einiger Digitalis- und Strophantusarten sind eine Reihe von Glykosiden enthalten, die außerordentlich starke Herzgifte darstellen und bei entsprechender Dosierung als Herzanregungsmittel dienen. Viele dieser Digitalis- und Strophantus-glykoside liegen in der Pflanze primär in Form labiler Oligosaccharid-glykoside vor, die enzymatisch leicht an der Oligoscuxharidbirtdung unter Freisetzung von Glucose aufgespalten werden. Man erhält daher bei unvorsichtigem Aufbereiten häufig nur Sekundärglykoside, die früher für die eigentlichen Giftstoffe gehalten und deshalb durch die Endung -toxin gekennzeichnet wurden. Sie zerfallen bei der Säurespaltung dann in das mit der Endung -toxigenin belegte Aglykon und den die Endung -toxose führenden Zucker, die beide natür-
464
Kap. 16, III: Die Steroide
lieh auch durch Säurehydrolyse der Primärglykoside gewonnen werden können. Beispielsweise liefert das in Digitalis purpurm enthaltene primäre Purpureaglykosid A bei der Enzymspaltung Olucose und das sekundäre Glykosid Digitoxin, das anschließend bei der Säurehydrolyse in das Aglykon Digitoxigenin und den Zucker Digitoxose (S. 434) zerfällt: Purpureaglykosid A
ap°itung
'
Glucose + Digitoxin
apaitu.Dg
" Digitoxigenin + Digitoxose
Säurespaltung
Die uns hier ausschließlich interessierenden Aglykone sind immer Steroide, deren Seitenkette nur noch vier (in einigen Fällen auch fünf) C- Atome enthält und zu einem Lacton (bei fünf C-Atomen zu einem Enollacton, s. unten) aufoxydiert ist:
Digitoxigenin
Q-itoxigenin (für R H) Oleandrigenin (für R = Acctyll)
Sarmentogenin
In den Strophantus-aglykonen beobachtet man außerdem noch eine Oxydation der einen angularen Methylgruppe (C-Atom 19) zur Carbinol- bzw. Aldehydgruppe-.
OH Strophanthidol
OH
OH
Strophanthidiu
Hellebrigenin
Bufotalin
Einige den Aglykonen der pflanzlichen Herzgifte sehr ähnlich konstituierte tierische Giftstoffe treten im Rückenschleim der Kröten auf. Der wichtigste von ihnen ist das oben formulierte Butotalin, das wie das Hellebrigenin einen sechs-gliedrigen Enollactonring als „Seitenkette" trägt.
5. Die Saponine Die u.a. ebenfalls in verschiedenen Digitalisarten auftretenden Saponine (von lat. sapo = Seife) verdanken ihren Namen dem seifenähnlichen Verhalten ihrer wäßrigen Lösungen. Sie sind z. T. wie die pflanzlichen Herzgifte Steroidglykoside, enthalten aber nur noch wenig glylcosidifizierbare Hydroxylgruppen, die sich noch dazu an einem Molekülende zusammenballen. Das hat wie bei den Seifen (S. 360) und Odilensäuren (S. 463) einen heterogenen Aufbau des Moleküls aus einer hydrophilen Monosaccharidgruppe und einem ausgedehnten hydrophoben Kohlenwasserstoffrest zur Folge, wodurch sich die starke Schaumwirkung ohne weiteres erklärt.
465
Kap. 16, IV: Die natürlichen Phenole und Phenolderivate
Die auch hier die Endung -genin führenden Aglykone der Saponine (zusammenfassend also Sapogenine genannt) zerfallen in zwei Gruppen: 1. die eigentlichen Steroidsapogenine, die noch die ungekürzte, in ein spiranartiges Acetalsystem eingebaute Seitenkette von acht C-Atomen am C-Atom 17 enthalten (z. B. Tigogenin und Gitogenin), und 2. einige nicht mehr der Steroidreihe angehörende Triterpenoide mit 30 C-Atomen im Molekül (z.B. Hederagenin):
Tigogenin
ßltogcnin
Hederagenin
Auch die Saponine sind starke Gifte. Sie rufen eine Auflösung der roten Blutkörperchen (Hämolyse) hervor, wirken aber nur, wenn sie in die Blutbahn gebracht werden, da sie sich im Verlaufe der Verdauung zersetzen. Sie sind deshalb relativ ungefährlich und finden zuweilen in der kosmetischen Industrie Verwendung als Schaummittel.
IV. Die natürlichen Phenole und Phenolderivate Aromatische Stoffe werden in der belebten Natur besonders häufig in Form von Phenolen erzeugt. Einige derartige Beispiele haben wir bereits in den Farbstoffen der Alizarin- (S. 404) und Flavongruppe (S. 418) sowie auch in den Anthocyanen kennengelernt. An dieser Stelle interessieren uns 1. eine Reihe einkerniger Phenole, die vielfach in ätherischen Ölen vorkommen, 2. die Depside, 3. die sich z. T. von diesen ableitenden organischen Gerbstoffe und 4. das Lignin. 1. Einkernige natürliche Phenole und Phenolderivate Eine erste Gruppe von in der Natur aufgefundenen Phenolen und Phenolderivaten enthält in p-Stellung zu einer phenolischen (z. T. substituierten) Hydroxylgruppe einen Allylrest. Beispielsweise sind die folgenden sechs Verbindungen natürliche Duftstoffe, die in verschiedenen ätherischen ölen vorkommen: H3cox HOChavicol (Betelblätter, Bay-öl)
HO.
HO-/" Estragol (Estragon, Anis-öl, Fenchel-öl) HaC-Os
H3CO-
Eugenol (Gewürznelken-öl)
H3CO. h 3 co—z H a CO /
Chavlbetol (Betelpfeffer-öl) 30
K l a g e s , Einführung org. Chemie
Safrol (Saasafraa-öl, Campher-öl)
Elemicin (Manila-elemi-öl)
\
Kap. 16, IV: Die natürlichen Phenole und Phenolderivate
466
Sie erleiden sämtlich unter der Einwirkung starker Alkalien, eine Verschiebung der olefinischen Doppelbindung in die Konjugationsstellung zum Kern. Einige der hierbei entstehenden Propenylbenzolderivate treten ebenfalls als Duftstoffe in ätherischen ölen auf:
h o - / Anethol (Anis-öl, Fenchel-öl)
o
Iso-eugenol (Muakat-öl)
Iso-eafrol (Ylang-ylang-öl)
Durch Oxydation der endständigen C-Atome der Seitenkette leiten sich von derartigen Propenylbenzolverbindungen zunächst die natürlichen Phenolalkohole Coniferyl-alkohol und Sinapinalkohol ab, auf die wir später im Zusammenhang mit der Ligninchemie (S. 470) näher eingehen werden, und weiterhin einige Garbonsäuren vom Typus der Eaf feesäure. Auch die Piperins&nre, die bereits eine C5-Seitenkette am Benzolkern trägt, gehört diesem Verbindungstypus an: HOV
H2C—OX
HO—~
V^
X
COOH
O
Kaffeesäure (Coniferenharz, vgl. auch S. 467)
/
V ^ ^ ^ C O O H
Piperinsäure (Säurekomponente des Alkaloids Piperin, S. 501)
Schließlich sind auch einige Phenolaldehyde und Phenolketone mit kürzerer Seitenkette als Duftstoffe in ätherischen ölen aufgefunden worden: H 3 CO. H3CO-^
CH=0
HO—^
Anisaldehyd (Cassia-bliitenöl)
H 3 CO. CH=0
Vanillin (Vanille-öl)
HO-^
^ - C O — CH,
Apocynin (aus Apocynum canabinum)
Einen etwas anderen Strukturtypus mit zwei oder drei zueinander m-ständigen Hydroxylgruppen beobachtet man bei zahlreichen natürlichen Resorcin- und Phloroglucinderivaten, zu denen im weitesten Sinne bereits die Flavonabkömmlinge (S. 417 f.) zählen. Hier sind zunächst die Orsellinsäure und Everninsäurc zu nennen, die als Bausteine einiger der unten beschriebenen Depside fungieren: HO— -
HO.
!
-COO—CH HC—OH H
i —
H O - ^ " " V -COO—CH, HO
HC—00 C
O
O
HOv
HO
Gall—0—CH
Corilagin
COOH ^OH
Gall—0—CH HC—OOCI HC
y-on \S
0H
Gall—O— CH Chebulinsäure
Sie leiten sich von den tanninartigen Gerbstoffen dadurch ab, daß die Gallussäurereste durch Ausbildung von C—C-Bindungen zwischen den Benzolkernen z. T. auch direkt miteinander verknüpft worden sind. Außerdem ist bei der Chebulinsäure der Benzolkern der ursprünglich am C-Atom 2 befindlichen Galloylgruppe oxydativ aufgespalten und ein neuer heterocyclischer Ring gebildet. Zu 3. Wie schon auf S. 417 definiert, bezeichnet man als Catechine die Hydroxylderivate der dort formulierten Grundverbindung I. Sie treten wegen der in ihnen
4 a: Das Lignin
469
enthaltenen Asymmetriezentren in zwei diastereomeren Reihen auf, die man als Catechinreihe (OH-Oruppe am C-Atom 3 und Phenylrest am C-Atom 2 [bzgl. der Numerierung der Ringatome vgl. S. 418] befinden sich auf verschiedenen Seiten der Ringebene) und Epicatechinreihe (sie stehen auf der gleichen Seite) bezeichnet. Vertreter beider Reihen kommen natürlich vor. Beispielsweise ist das rechtsdrehende Catechin (im engeren Sinne) in der malaischen Liane und das diastereomere linksdrehende Epicatechin in der vorderindischen Akazie aufgefunden worden. Ebenso tritt die um eine Hydroxylgruppe in ö'-Stellung reichere Verbindung der Catechinreihe unter dem Namen Casuarin in der Rinde von Casuarina equisetifolia und das epimere Epicatechinderivat unter dem Namen Gallo-catechin in verschiedenen Teeblättern auf:
Casuarin bzw. Gallo-catechin
Catechin bzw. Epicatechin
Die Catechine selbst sind noch keine Gerbstoffe sondern gehen erst im Verlaufe von Kondensationsreaktionen in solche über. Insbesondere spielt eine in Analogie zu der unten beschriebenen Ligninbildung vor sich gehende, durch den Luftsauerstoff bewirkte enzymatische dehydrierende Kondensation eine wichtige Rolle. Zu diesen hinsichtlich ihrer Struktur noch weitgehend unbekannten Catechingerbstoffen gehören vor allem die aus verschiedenen Baumrinden und auch Holzarten gewonnenen technischen Gerbmittel (z. B. Eichen- und Fichtcnlohe oder der südamerikanische Quebrachogerbstoff). 4. Lignin und Holz Im Lignin liegt ein makromolekularer Körper der Phenolreihe vor, der im Durchschnitt 25% der Trockenmasse des Holzes ausmacht und neben der Cellulose die häufigste organische Verbindung darstellt. Obwohl es als Holzbestandteil mengenmäßig merklich hinter der Cellulose zurücksteht, ist sein Einbau in die pflanzliche Substanz als der wesentliche Vorgang bei der Verholzung anzusehen. Das Lignin ist infolgedessen der ,,Holzstoff" im eigentlichen Sinne und hat seinen Namen (von lat. lignum = Holz) durchaus zu Recht erhalten. a) D a s Auf b a u p r i n z i p u n d die B i o g e n e s e des L i g n i n s Das Lignin gehört zu den unregelmäßig aufgebauten makromolekularen Stoffen. Seine Struktur kann daher (etwa im Gegensatz zu der der ein sich regelmäßig wiederholendes Bauelement enthaltenden Cellulose) nicht exakt bestimmt werden. Jedoch weiß man, insbesondere auf Grund der Arbeiten von K. FRETJDENBERG (bis etwa 1955), wenigstens über die verschiedenen Verknüpfungsmöglichkeiten der Ligninbausteine weitgehend Bescheid, so daß man sich ein ausreichendes Bild vom Bauplan des Moleküls machen kann. Er wird am ehesten bei Betrachtung der Biogenese des Lignins verständlich. Als Ausgangsverbindung für die Ligninbildung dient bei den Nadelhölzern ausschließlich der schon kurz erwähnte Coniferylalkohol (S. 466) und bei den Laubhölzern neben diesem auch der um eine Methoxygruppe reichere Sinapin-alkohol (oder Syringenin):
470
Kap. 16, IV: Die natürlichen Phenole und Phenolderivate H3C(X
H 3 CCK
H O - ^ ^ ^ - C H = C H — C H
2
— O H
H O - V
—CH=CH—CH2—OH
H3CO Coniferyl-alkohol
Sinapin-alkohol oder Syringenin
Beide Phenolalkohole sind im Cambialsaft der Pflanzen zunächst in Form ihrer oxydationsstabilen Phenol-glucoside Coniferin (S. 439) und Syringin enthalten, die „lagerungsbeständige" Vorstufen des IAgnins darstellen. Sie werden dann durch bestimmte Enzyme, die ausschließlich am Ort der Ligninbildung fixiert sind, freigesetzt, woraufhin sie als freie Phenole unter der Einwirkung anderer Enzyme, der sog. Phenol-dehydrasen, durch den Luftsauerstoff oxydativ angegriffen werden. Hierbei erleiden im Falle des Nadelholzlignins zunächst jeweils zwei Coniferylalkoholmolehüle unter Abgabe von zwei Reduktionsäquivalenten eine relativ rasch verlaufende dehydrierende Kondensation zu den folgenden drei Dimerisierungsprodukten: CH2—OH
H2C—OH I HC
CH
OH
CH
J\/
Y
X
O
I HC—OH
O C H
3
H 2 CX 2 |
X
HC
OCH,
CH | CH
I HC^
1 ^CHJ
0 I
N
OCH3
OH Guajacylglycerinconiferyl-äther (70%)
J \ ) C H
3
OH Pino-resinol (10 %)
Dehydro-diconiferyl-alkohol (20%)
Diese kondensieren dann unter Abgabe von nochmals im Durchschnitt Reduktionsäquivalent pro Coniferylalkoholbaustein langsam weiter zum eigentlichen makromolekularen Lignin. Eine derartige Ligninsynthese konnte K . F R E N D E N B E R G in vitro mit Hilfe von aus nicht verholzenden Pilzen gewonnenen Phenoldehydrasen künstlich nachahmen. Bei der Bildung von Laubholzligninen werden wegen der Beteiligung des Sinapin-alkohols am Kondensationsprozeß etwas abweichende Zwischenprodukte gebildet, in denen etwa jeder zweite bis dritte Benzolkern noch eine zweite, dem Syringeninbaustein entstammende Methoxylgruppe trägt.
b) D i e C h e m i e d e s H o l z e s Holz, der wichtigste und mengenmäßig häufigste organische Werkstoff, ist keine einheitliche Substanz sondern im Sinne des in Abb. 33 wiedergegebenen Schemas nach dem ,,Eisenbetonprinzip" aus drei Bildungskomponenten aufgebaut: An Stelle des Eisens sind die außerordentlich zugfesten aber bei Druckbeanspruchung wenig
4 b: Die Chemie des Holzes
471
formbeständigen Cellulosefasern (41 bis 42% der Holzsubstanz) über eine aus den Hemicellulosen (S.445) bestehende Zwischenschicht in das dem Beton entsprechende Lignin als Füllmasse (etwa 25%) eingebettet. Durch diese eigenartige morphologische Struktur weist das Holz mechanische Eigenschaften auf, die von keinem organischen Werkstoff erreicht werden, und die das Holz auch heute im Zeitalter der Stahlkonstruktionen noch als Baustoff unentbehrlich machen. Besonders das Beispiel eines alten Baumstamms, der oft jahrhundertelang eine riesige Krone durch alle Stürme getragen hat, läßt sehr schön erkennen, in wie unnachahmlicher Weise die Natur das ihr gestellte Problem der Herstellung eines dauerhaften, gegen hohe mechanische Beanspruchung stabilen Abb. 33 „Baustoffs" gelöst hat. Schema des Aufbaus einer verholzten Faser Für den Chemiker ist das Holz vor allem als Rohstoff von Interesse. In der Technik wird es hauptsächlich auf die Zellstoff genannte nahezu reine Holzcellulose verarbeitet, die als wichtigstes Ausgangsmaterial für die Herstellung von Papier sowie von Cellulosefasern und -folien (S. 441) dient. Ferner können die gesamten Polysaccharide des Holzes „verzuckert" werden, während für das Lignin noch keine nutzbringende Verwertung gefunden wurde. Von historischer Bedeutung ist schließlich noch die Holzverkohlung. Für die Zellstotfherstellung müssen die Cellulosefäserchen möglichst unverändert bleiben und vom Lignin und den Hemicellulosen (zusammenfassend auch als Inkrusten bezeichnet) befreit werden, was ausschließlich durch Herauslösen der Inkrusten möglich ist. Dies geschieht entweder durch 24—60stündiges Kochen mit Calcium-hydrogen-sulfitlauge bei 130—150° unter Druck (sog. Sulfitaufschluß oder saurer Holzaufschluß) oder durch Druckkochung mit Natronlauge in Gegenwart von Natriumsulfat (Sulfataufschluß oder alkalischer Holzaufschluß). Beim Sulfitaufschluß geht das Lignin in die als Calciumsalz lösliche Lignin-sulfonsäure über, und die Hemicellulosen werden zu den Monosacchariden abgebaut, die direkt aus der Sulfitlauge heraus zu Alkohol vergoren werden können (Sulfitsprit). Der billigere Sulfataufschluß ist dagegen mit einer weitgehenden Veränderung sowohl des Lignins als auch der Hemicellulosen verbunden, so daß die letzteren nicht mehr verwertet werden können. Auch ist der Zellstoff häufig braun gefärbt und eignet sich nur zur Herstellung billiger Papiere (z. B. von Packpapier). Bei der Holzverzuckerung bleibt umgekehrt das Lignin erhalten, und die gesamten Kohlenhydrate werden durch Behandeln des Holzes mit starken Mineralsäuren •— entweder nach SCHOLLER und T O R N E S C H mit sehr verdünnten Säuren bei etwa 1 3 0 ° unter Druck oder nach F. B E R G I U S mit überkonzentrierter Salzsäure (41%) bei 0° — zu den Monosacchariden abgebaut. Diese werden meistens ebenfalls zu Alkohol vergoren (insbesondere beim SCHÜLLER-TORNESCH- Verfahren), können aber im Falle des BERQI üs-verfahrens auch durch Eindampfen in Form von „Holzzucker" isoliert und als Viehfutter verwandt werden.
17. K a p i t e l
Die stickstoffhaltigen Naturstoffe Stickstoffhaltige Naturstoffe sind in großer Zahl bekannt. Sie üben häufig wichtige physiologische Funktionen aus oder sind anderweitig physiologisch aktiv. Man unterteilt sie am besten in die folgenden drei, sich z. T. überschneidenden Verbindungsgruppen: 1. die natürlichen Aminosäuren und die aus diesen aufgebauten Eiweißstoffe oder Proteine, 2. die natürlichen Pyrimidinderivate und 3. die Pflanzenbasen oder Alkaloide.
I. Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine In den Eiweißstoffen oder Proteinen begegnen wir nach den Kohlenhydraten und den Fetten der dritten Hauptgruppe von Substanzen, aus denen die Lebewesen aufgebaut sind. Sie treten ebenfalls in sehr großen Mengen natürlich auf und sind wie die beiden anderen Hauptgruppen als Nahrungs- und Reservestoffe unentbehrlich. In der Tierwelt dienen sie außerdem als Gerüststoffe (z. B. zum Aufbau der Knochen, Haare usw.). Biochemisch wichtiger ist die Tatsache, daß sämtliche Enzyme (bzw. Fermente) sowie zahlreiche Hormone, also Substanzen, die die verschiedenen Lebensvorgänge steuern, Eiweißnatur aufweisen. Ferner sind die für die Aufrechterhaltung des Lebens in erster Linie verantwortlichen Zellkerne im wesentlichen aus Eiweißstoffen und den mit ihnen eng liierten Nucleinsäuren (S. 494 f.) aufgebaut. Die Proteine sind daher im Gegensatz zu den Kohlenhydraten und Fetten nicht nur Nahrungs-, Reserve- und Oerüststoffe (also die chemischen ,, Werkstoffe" des Organismus), sondern darüber hinaus auch unmittelbar an den Lebensvorgängen beteiligt.
Chemisch gesehen sind die Proteine hochmolekulare Stoffe, deren Makromoleküle durch Zusammenschluß einer großen Zahl von Aminocarbonsäurebausteinen Zustandekommen. Wir müssen unsere Betrachtung daher mit einer Beschreibung der Aminocarbonsäuren (meistens kurz Aminosäuren genannt) beginnen.
natürlichen
1. Die natürlichen Aminosäuren a) Die E i n z e l v e r b i n d u n g e n Als Eiweißbausteine
treten in der Natur etwa 20—25 Aminosäuren
auf.
Sie gehören sämtlich der auf S. 212f. beschriebenen Verbindungsklasse der oc-Amino-carbonsäuren an.
1 a: Die aliphatischen Aminosäuren
473
Ferner steht aus später (S. 478) erörterten Gründen an dem die Aminogruppe tragenden C-Atom 2 stets ein H-Atom, so daß man ^ N 2 (mit wenigen Ausnahmen, vgl. S. 474) für alle Eiweiß-aminosäuren die gemeinsame Strukturformel I aufstellen kann, die bei den einzelnen Säuren nur im Rest R eine Variation erfährt. Abgesehen vom Glycin, für das R = H wird, ist infolge dieses Aufbauprinzips
CO OH | R j
das C-Atom 2 immer asymmetrisch. Es weist in den Aminosäurebausteinen der normalen Eiweißkörper ausschließlich die L-Konfiguration auf (vgl. auch S. 478). Die natürlichen Amino-carbonsäuren lassen sich auf Grund ihrer Struktur in acht Untergruppen einteilen: 1. aliphatische, nicht-substituierte Monoaminomonocarbonsäuren, 2. Hydroxylderivate und 3. Schwefelderivate dieser Monoamino-monocarbonsäuren, 4. aromatische und 5. heterocyclische Monoamino-monocarbonsäuren, 6. Monoamino-monocarbonsäuren mit sekundärer Aminogruppe ( „Imino-carbonsäuren"), 7. Diamino-monocarbonsäuren und 8. Monoamino-dicarbonsäuren. Zu 1. Von den aliphatischen nicht-substituierten Monoamino-monocarbonsäuren treten vor allem die folgenden fünf als Eiweißkomponenten natürlich auf (neben den Trivialnamen sind in Klammern die in Formeln gebräuchlichen Kurzbezeichnungen angeführt): COOH COOH COOH COOH COOH N,H—CH,
HjN—i—H H,
¿H H,C
Glycin (Gly)
Alanin (Ala)
CH3
Valin (Val)
i CHg
HjN—i—H r CH— CHg
¿H
¿H 2
n
in3 Isoleucin (Heu)
HLeucin ch3 3 C ^ (Leu)
Insbesondere Leucin gehört zu den häufigeren Aminosäuren und ist am Aufbau der meisten Eiweißstoffe mit einem Anteil von mehr als 10°/o (P1 Einzelfällen bis zu 25°/0) beteiligt.
Zu 2. Bisher wurden nur die beiden Anfangsglieder der ß-Hydroxy-a-aminocarbonsäurereihe, das Serin und das Threonin, als Eiweißbausteine aufgefunden. Sie COOH
COOH
HaN— ¿—H
H2N—C—H
¿H,—OH
H—
-OH C H,,
Serin (Ser)
Threonin (Thr)
sind als ß-Hydroxycarbonsäuren (vgl. S. 182) ziemlich säurelabil und werden daher bei dem relativ rohen Eiweißabbau durch starke Mineralsäuren leicht zerstört. Zu 3. Als selbständige schwefelhaltige Eiweißaminosäuren kennt man bisher nur das Cystein und das Methionin. COOH COOH COOH COOH H2N- -i—H CHJ—SH
Va H,N— ¿—H ¿H-—£
HLjN—C—H ' S—¿H,
T—
]H H,
CH 2 —S—CH 3 Cyatein (Cys)
Cystin
Methionin (Met)
474
Kap. 17,1: Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine
Das Cystein enthält noch eine freie Sulfhydrylgruppe und kann deshalb die auf S. 243 beschriebene Dehydrierung von SH-Qruppen zu Disulfidgruppen erleiden. Es geht hierbei in das zwei Cysteinbausteine im Molekül enthaltende Cystin über, das häufig beim Eiweißabbau infolge sekundärer Oxydationsvorgänge an Stelle des Cysteins anfällt. Auch bei zahlreichen natürlichen Proteinen werden zwei Cysteingruppen des gleichen Molehüls oder auch verschiedener „Polypeptidketten" durch Disulfidbrücken miteinander verknüpft (vgl. z. B. S. 483, 486 und 515 u. a.).
Zu 4 und 5. Die wichtigsten Aminosäuren der aromatischen und heterocyclischen Reihe sind das Benzolderivat Phenyl-alanin, das Phenolderivat Tyrosin, das einen Indolkern enthaltende Tryptophan und der Imidazolabkömmling Histidin:
COOH —I—H
COOH H2N—C—H
COOH I
H2N—C—H
I
Ah2
ch2
A
n
J\ I "
CH,
H
COOH HjN—C—H ¿:
I HC-
•N;
CH
-liH
)H Phenyl-alanin (Phe)
Tyrosin (Tyr)
Tryptophan (Try)
Histidin (His)
Zu 6. Während alle bisher beschriebenen Aminosäuren eine primäre Aminogruppe enthalten, liegen im Prolin und Hydroxy-prolin zwei Eiweißbausteine vor, in denen die Aminogruppe unter Bildung eines heterocyclischen Ringes mit dem Rest R der allgemeinen Strukturformel I (S. 473) verknüpft und daher nur sekundärer Natur ist. Man faßt diese Aminosäuren, für die als einzige die Strukturformel I nicht streng gilt, daher häufig (jedoch nicht exakt) zu der Gruppe der Iminosäuren zusammen:
COOH
COOH 4 - -H
I
(
HN V
A |H CH2 1 ch2
f
|
HN I l
j
CHj
i -
¿h, i -OH h
Hydroxy-prolin (Hypro)
Prolin (Pro)
Das die OH-Qruppe tragende zweite asymmetrische C-Atom ist in der Mehrzahl der Fälle der obigen Formel entsprechend D-konfiguriert.
Zu 7. Als Diamino-monocarbonsäuren treten nur das Ornithin, das sich von diesem durch Umwandlung der 5-ständigen Aminogruppe in einen Guanidinrest ableitende Arginin und das Lysin als Eiweißkomponente auf:
a
COOH
COOH
N2H.
H
i3H,
h¡H, k
+ H,0 — Harnstoff
COOH •T—I—H
CH»
Ah2
Ah2
CHJ
CH2—N=C(NH2)2
Ah2 A h , — .•NH,
Ornithin (Orn)
Arginin (Arg)
Lysin (Lya)
1 a: Die Amino-dicarbonsäuren
475
Sie sind im Gegensatz zu den Monoamino-monocarbonsäuren Basen, weil die Carboxylgruppe nur eine der beiden Aminogruppen unter Bildung des Zwitterions (S. 213) zu neutralisieren vermag. Auch verleihen diese Aminosäuren den sie enthaltenden Eiweißstoffen eine gewisse Basizität (vgl. z. B . die Wolle S. 398). Arginin ist die vielleicht häufigste Aminosäure überhaupt. Es wurde als einzige bisher ausnahmslos in allen Eiweißstoffen angetroffen und stellt in einigen besonders stark basischen Proteinen (den sog. Protaminen, S. 488) bis zu 90°¡o der Aminosäurebausteine. Die hydrolytische Abspaltung des Ouanidylrestes des Arginins liefert neben Ornithin ein Molekül Harnstoff. Dieser Vorgang ist eine Teilreaktion des für die biochemische Harnstoffbildung wichtigen Ornithincyclus, bei dem einerseits aus Ornithin, Ammoniak und Kohlendioxyd Arginin aufgebaut, andererseits dieses unter Bückbildung des Ornithins zu Harnstoff hydrolysiert wird. (Näheres vgl. III, Kap. 7, I, la). Zu 8. Die wichtigsten Monoamino-dicarbonsäuren sind die Asparaginsäure und die Glutaminsäure, die sowohl als solche als auch in F o r m der Amidierungsprodukte der der Aminogruppe nicht benachbarten Carboxylgruppe, die die Namen Asparagin und Glutamin erhalten haben, als Eiweißbausteine auftreten: COOH
COOH
COOH
COOH HjN—i—H
H2N—C-—H
H2N—i—H ¿Ht
¿H,
iL
¿OOH
•NH,
CH2
CH2
Ah2
¿h2
¿OOH Asparaginsäure (Asp)
Asparagin
¿0—NH 2
Glutaminsäure (Glu)
Glutamin
Sind die beiden Oarboxylgruppen frei, so kann nur eine von ihnen durch die Aminogruppe zum Zwitterion neutralisiert werden. Die Verbindungen reagieren infolgedessen sauer bzw. verleihen dem den betreffenden Baustein enthaltenden Eiweißkörper einen sauren Charakter. Erst im Asparagin und Glutamin liegen neutrale Eiweißaminosäuren vor. Die Bildung von Asparagin und Glutamin aus Asparaginsäure und Glutaminsäure dient im Organismus häufig zur Unschädlichmachung bzw. „Speicherung" von freiem Ammoniak. Glutaminsäure gehört neben Lewin und Arginin zu den häufigeren Aminosäuren. Sie ist des öfteren zu mehr als 20°fo in Proteinhydrolysaten enthalten. In ihr liegt ferner die einzige Aminosäure vor, die in einigen nicht dem normalen Stoffwechsel unterliegenden Proteinen (z. B. in der aus diesem Grunde gegen die Verdauungsenzyme stabilen Schutzhülle des Milzbrandbazillus) auch in der D-Konfiguration auftritt. Von den vorgenannten Eiweißamoniosäuren können Valin, Leucin, Isoleucin, Threonin, Methionin. Cystein, Phenylalanin, Tyrosin. Lysin, Histidin, Tryptophan und Arginin nicht im menschlichen Körper synthetisiert werden. Sie müssen deshalb mit der Nahrung eingeführt werden, weshalb man sie auch zu der Gruppe der essentiellen Aminosäuren zusammenfaßt. Neben den bisher ausschließlich beschriebenen Eiweißaminosäuren trifft man einige weitere in der Natur vorkommende Aminosäuren niemals als Eiweißbausteine an. Die wichtigsten von ihnen, denen wir später als Bildungskomponenten anderer Naturstoffe begegnen werden, sind das gegenüber Tyrosin nochmals um eine phenolische Hydroxylgruppe reichere Dihydroxy-phenyl-alanin, das als Muttersubstanz des Hydroxy-tyramins und zahlreicher Alkaloide fungiert (S. 500, 506 u. a.), und das ß-Alanin. Dieses stellt die einzige natürlich auftretende ß-Aminosäure dar und ist eine Bildungskomponente der Pantothensäure (S. 521) und damit auch des Coenzyms A (S. 528): HO
NH,
HO——CH,—CH—COOH
Dihydroxy-phenylalanin
NH, H2
-CH 2 —COOH /5-Alanin
476
Kap. 17,1: Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine
b) A m i n o s ä u r e n a c h w e i s u n d T r e n n u n g v o n
Aminosäuregemischen
Da stets mehrere Aminosäuren am Aufbau von Eiweißstoffen beteiligt sind, fällt bei der Proteinhydrolyse immer ein Aminosäuregemisch an, dessen Nachweis und Trennung für eine erfolgreiche Eiweißforschung unerläßlich sind. Hierzu wurden u. a. die folgenden Verfahren entwickelt (bez. weiterer Möglichkeiten vgl. III, Kap. 7, I, 1 b und c): 1. Alle Aminosäuren mit freier NH¿-Gruppe (also mit Ausnahme des Prolins und Hydroxy-prolins) werden beim Erhitzen ihrer wäßrigen Lösungen mit Ninhydrin (S. 290) oxydativ zersetzt. Hierbei wandert der Stickstoff zum Ninhydrin, und es entsteht als dessen Reduktionsprodukt eine AminoverbinJ J J J + dung, die mit einem zweiten Molekül Ninhydrin und einem Molekül Ammoniak zu einem blauvioletten Farbstoff der nebenstehenden Konstitution I kondensiert (bez. des Mechanismus vgl. III, Kap. 7, I, lb). Diese Ninhydrinreaktion dient sowohl zum allgemeinen Aminosäurenachweis in Naturstoffhydrolysaten als auch zum Nachweis kleiner Mengen bestimmter Aminosäuren (z. B. bei der unten beschriebenen Papierchromatografie). 2. Die Zerlegung größerer Mengen von Aminosäurengemischen erfolgt auch heute noch mit Hilfe der sog. „klassischen Verfahren", von denen vor allem hervorgehoben werden müssen: a) die fraktionierte Destillation von Aminosäureestern, b) die Extraktion der neutralen wäßrigen Aminosäurelösungen (in der Nähe des isoelektrischen Punktes, S. 214) mit n-ButanoI, c) die Zerlegung des Gemisches der auf S. 215 formulierten Kupferkomplexe auf Grund ihrer unterschiedlichen Löslichkeit in Wasser und Methanol, und d) die partielle Ausfällung der Diaminocarbonsänren mit Phosphorwolframsäure.
Alle diese Methoden gestatten noch keine vollständige Zerlegung der Aminosäuregemische in ihre Komponenten, wohl aber die Abtrennung relativ kleiner Gruppen von nur noch wenigen Säuren, die dann leichter in die Einzelverbindungen aufgespalten werden können. 3. Bei den modernen Verfahren erfolgt die Trennung ausschließlich von den freien Aminosäuren aus mit Hilfe vorwiegend physikalischer Methoden. Hier ist vor allem die Papierchromatografie zu nennen, die auf folgendem Prinzip beruht: Alle Aminosäuren werden bis zu einem gewissen Grad an einer Papieroberfläche adsorbiert. Tränkt man ein derartiges Adsorbat mit einem Lösungsmittel, so verteilen sich die Aminosäuren im Rahmen eines Oleichgewichts zwischen der Papieroberfläche und dem Solvens. Dies wirkt sich beim Entlangkriechen eines Lösungsmittelstroms an der Papieroberfläche dahingehend aus, daß auf der Vorderseite eines auf das Papier gebrachten Aminosäureflecks (hohe Aminosäurekonzentration auf dem Papier, niedrige Konzentration in der Lösung) dauernd Aminosäuremoleküle an das Lösungsmittel abgegeben werden, die auf der Rückseite des Flecks (hohe Konzentration in der Lösung, niedrige Konzentration auf dem Papier) wieder vom Papier adsorbiert werden. Man beobachtet infolgedessen eine Wanderung des Flecks in Richtung des Lösungsmittelstroms, die jedoch wegen der dauernd wechselnden Ablösung und Adsorption langsamer erfolgt als die des Lösungsmittelstroms selbst. Das Verhältnis der Wanderungsgeschwindigkeit des Aminosäureflecks (der am Schluß der Wanderung durch die Ninhydrinreaktion leicht sichtbar gemacht werden kann) zu der des Lösungsmittels ist unabhängig von den absoluten Geschwindigkeiten weitgehend konstant und stellt eine für jede Aminosäure (in dem betreffenden Lösungsmittel) charakteristische Konstante dar, die Rp-Wert genannt wird.
477
1 c: Die biochemischen Abbauprodukte der Aminosäuren
Man kann mit Hilfe dieses Verfahrens zunächst einmal den ursprünglichen gemeinsamen Fleck aller Aminosäuren in mehrere, nur noch die einzelnen Aminosäuren enthaltende Flecke auseinanderziehen (gegebenenfalls läßt man zwei verschiedene Lösungsmittel hintereinander in zwei zueinander senkrechten Richtungen strömen). Darüber hinaus besteht aber auch die Möglichkeit, jede einzelne Aminosäure auf Grund der leicht experimentell zu bestimmenden Rp- Werte eindeutig zu identifizieren. Ein letzter wichtiger Vorteil gegenüber den klassischen Verfahren ist in dem geringen Substanzbedarf zu erblicken, der auch bei komplizierteren Gemischen nur wenige y beträgt. Bez. weiterer moderner Verfahren zur Trennung von Aminosäuregemischen vgl. III, Kap. 7» I, l c .
c) Die wichtigsten biochemischen Abbauprodukte der Aminosäuren Eine eingehende Beschreibung des biochemischen Auf- und Abbaus der Aminosäuren würde den Rahmen dieses Buches überschreiten (Näheres vgl. III, Kap. 8, III, 4b). Hier soll daher nur kurz auf drei charakteristische Abbaureaktionen der Aminosäuren hingewiesen werden, um das Auftreten verschiedener Naturstoffe verständlich zu machen. 1. Die Decarboxylierung der Aminosäuren führt zu Aminen, die allgemein biogene Amine genannt werden: R — CH(NH 2 )—COOH
~C01
>
R—CH 2 —NH a
Aminosäure
biogenes Amin
Die biogenen Amine kommen verschiedentlich selbst in der Natur vor und sind darüber hinaus vor allem die wichtigsten Ausgangsverbindungen für die biochemischen Alkaloidsynthesen. Einigen einfachen Verbindungen der Reihe, wie etwa dem Putrescin, Cadaverin (S. 204), Colamin und Pyrrolidin (S. 205) — als Decarboxylierungsprodukten des Ornithins, Lysins, Serins und Prolins — sind wir bereits früher begegnet. Von den biogenen Aminen der aromatischen und heterocyclischen Reihe müssen vor allem die folgenden vier hervorgehoben werden: CH,—NH„
A
k V" J\
YOH
Yn>h OH
CH2
Tyramin
CH,—NH 2
4
Hydroxy-tyramin
y v
w
CH,—NH, CH,
H
Tryptamln
H>ch
HC—NH
Histamin
Tyramin tritt im Mutterkorn sowie in Misteln natürlich auf und wirkt physiologisch gefäßverengend und dadurch blutdruckerhöhend (ähnlich wie Adrenalin, S. 514). Das um eine phenolische OH-Gruppe reichere Hydroxy-tyramin ist das biogene Amin des Dihydroxy-Phenylalanins (S. 475). Von ihm leiten sich schon zahlreiche Alkaloide ab (z. B. Mescalin [S. 500], die Isochinolinalkaloide [S. 506] und die Morphinalkaloide [S. 507]). Das Tryptamin fungiert in ähnlicher Weise als Muttersubstanz der Carbolin- (S. 509), Chinolin- (S. 505) und Strychnosalkaloide (S. 509/10) (Näheres über die Biogenese dieser Alkaloide aus diesen biogenen Aminen vgl. HI, Kap. 7, III, 1 c). Histamin schließlich ist wie Tyramin physiologisch stark aktiv. Vor allem gilt es als Ursache zahlreicher Allergien und wird in dieser Eigenschaft mit den sog. Antihistaminen bekämpft (z.B. mit Antistin, S. 304).
Kap. 1 7 , 1 : Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine
478
2. Die Desaminierung der Aminosäuren geschieht biochemisch auf dem Umweg über die bei der Dehydrierung entstehenden Ketiminosäuren, die dann leicht Ammoniak hydrolytisch abspalten. Als Desaminierungsprodukte der Aminosäuren entstehen also stets a-Keto-carbonsäuren (S. 188), die in Umkehrung der Reaktion biochemisch auch in Aminosäuren übergeführt werden können und somit die stickstofffreien Muttersubstanzen der Aminosäuren darstellen: NH2
_ H .
R—CH—COOH
+
NH
R—C—COOH
Hj
a-Aminocarbonsäuren
+ H,0, — NH,
+
NH
"
— H
'°
a-Ketimino-carbongäuren
O
R—C—COOH a-Keto-carbonaäuren
Da Ammoniak giftig ist und niemals frei im Organismus auftritt, erfolgt die Abspaltung und Angliederung der Aminogruppe meistens nicht, wie hier vereinfachend formuliert, über das freie Ammoniak, sondern auf dem Wege einer Übertragung von den Aminosäuren auf a.-Ketosäuren (bzw. umgekehrt) über das Pyridoxamin als Zwischenträger. Alle derartigen Übertragungsreaktionen werden Transaminierungen genannt (Näheres vgl. S. 530/1 und i n , Kap. 8, II, 2 und III, 4 b).
Die natürlichen a-Keto-carbonsäuren stehen also in besonders engen Beziehungen zu den Aminosäuren. Beispielsweise ist die Brenztraubensäure (S. 189) das biochemische Desaminierungsprodukt und auch die biochemische Muttersubstanz des Älanins. Auf diese Biosynthese der Aminosäuren ist vor allem die wichtige Tatsache zurückzuführen, daß in allen natürlichen Verbindungen der Reihe das die Aminogruppe tragende C-Atom im Sinne der allgemeinen Formel I (S. 473) mit mindestens einem H-Atom und niemals mit zwei organischen Resten besetzt ist. Auch wird es nunmehr verständlich, daß bei dieser stets gleichartigen Reaktion immer die L-Konfiguration des die Aminogruppe tragenden C-Atoms ausgebildet wird. 3. Im Verlauf der alkoholischen Gärung erleiden die xí
—NH—C—CO —NH—CO:—NH—C—CO!—NE—¿—CO—NH—C— CO H
¿
H
H
H
H
Ausschnitt aus der Kette eines beliebigen Peptidmolekflls
Als wichtigste Folge dieses gleichartigen Aufbauprinzips aller Peptidketten lassen sich die Eiweißstoffe vielfach unabhängig von der Natur der an ihrem Aufbau beteiligten Aminosäuren in das gleiche Kristallgitter einordnen (vgl. auch S. 483/4). Hierauf ist die früher schwer verständliche Erscheinung zurückzuführen, daß Eiweißverbindungen trotz ihrer z. T. sehr unregelmäßigen Struktur zu kristallisieren vermögen.
Die Zahl der möglichen Peptide ist außerordentlich groß, da grundsätzlich alle oben angeführten Aminosäuren in beliebiger Reihenfolge miteinander verknüpft werden können. Die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten lassen sich leicht abschätzen. Ihre Zahl hängt in erster Linie von der Kettenlänge des Polypeptids ab. Rechnet man der Einfachheit halber nur mit den zehn häufigsten Aminosäuren, so ergeben sich für ein Dipeptid 102, für ein Tripeptid 103 und für ein aus hundert Aminosäurebausteinen aufgebautes Polypeptid (die Mehrzahl der Eiweißkörper weist ein erheblich größeres Molekulargewicht auf) 10100 verschiedene Molekülarten. Diese Zahl ist so unvorstellbar groß, daß unser Milchstraßensystem selbst bei dichtester Packung nicht entfernt ausreichen würde, um von jedem dieser isomeren Polypeptide nur ein einziges Molekül aufzunehmen! Theoretisch besteht also durchaus die Möglichkeit, daß nicht nur jede Tier- und Pflanzenart sondern auch jedes einzelne Lebewesen seine eigenen Eiweißstoffe besitzt, ja daß sogar überhaupt keine zwei gleichartigen Eiweißmoleküle auf der Welt existieren.
Wie die moderne Strukturanalyse zahlreicher Oligopeptide und auch Eiweißstoffe zeigt, besitzen selbst größere Polypeptidketten häufig keine oder nur wenig regelmäßig wiederkehrende Folgen von Aminosäuren. Man muß also in der Tat grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnen, daß jede der errechneten Kombinationen auch tatsächlich in einem natürlichen Eiweißkörper verwirklicht sein kann. Die Verknüpfung der Aminosäurebausteine führt sowohl zu kettenförmigen als auch zu in sich geschlossen ringförmigen Polypeptidmolekülen (vgl. die Beispiele auf S. 482). Im ersteren Falle steht immer an dem einen Ende der Kette ein Aminosäurebaustein mit freier Aminogruppe (sog. Aminoende des Moleküls) und am anderen Ende ein Aminosäurebaustein mit freier Garboxylgruppe (Carboxylende des Moleküls). Es sind verschiedene Verfahren entwickelt worden, die Natur dieser Endbausteine zu ermitteln. b) D e r A b b a u d e r P e p t i d b i n d u n g e n Die Säureamidbindung ist ziemlich hydrolysenbeständig und wird erst unter ziemlich energischen Bedingungen gelöst (S. 134). Die Hydrolyse von Eiweißstoffen und anderen Peptiden zu einem Aminosäurengemisch bereitet daher gewisse Schwierigkeiten. Im einzelnen sind die folgenden drei Verfahren in Gebrauch:
480
Kap. 17, I : Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine
1. die saure Hydrolyse. Sie erfordert im allgemeinen etwa zehnstündiges Kochen mit konzentrierter Salzsäure oder 25°l0iger Schwefelsäure und besitzt infolgedessen den Nachteil, daß die aliphatischen Hydroxyaminosäuren Serin und Threonin weitgehend sowie Tryptophan (als säureempfindliches Indolderivat) vollständig zerstört werden. Diese drei Aminosäuren lassen sich daher auf diesem Wege nicht quantitativ erfassen. 2. die alkalische Hydrolyse. Hierzu werden die Peptide längere Zeit mit konzentrierter Alkalioder Barytlauge gekocht. Auch in diesem Fall werden einige Aminosäuren vollständig zerstört (z. B. Cystein und Arginin). Ferner tritt eine Racemisierung aller Aminosäuren ein, und z. T. wird die Aminogruppe auch hydrolytisch abgespalten. Dieses Verfahren besitzt daher nur noch einen beschränkten praktischen Wert.
3. die enzymatische Hydrolyse (z. B. durch die Fermente des Verdauungstraktes). Sie ist bei weitem am mildesten, so daß alle Aminosäuren unverändert erhalten werden. Beispielsweise wurde das oben erwähnte Threonin überhaupt erst bei enzymatischen Eiweißspaltungen entdeckt. Die meisten Enzyme bieten den weiteren Vorteil, daß sie nur ganz bestimmte Bindungen angreifen. So werden etwa durch das im Magensaft enthaltene Pepsin nur Peptidbindungen zwischen einem nicht am Kettenende stehenden Asparaginsäure- oder Qlutaminsäurebaustein als Garboxylkomponente und Phenyl-alanin oder Tyrosin als Aminokomponente gespalten. Ähnlich hydrolysiert das im Pankreassaft auftretende Trypsin nur Peptidbindungen, an denen die Diaminocarbonsäuren Arginin oder Lysin als Carboxylkomponente beteiligt sind, und die außerdem ebenfalls im Ketteninnern liegen. Man kann mit Hilfe derartiger Enzyme infolgedessen eine partielle Hydrolyse größerer Peptidmoleküle zu kleineren Oligopeptidbruchstücken durchführen und weiß darüber hinaus, daß in diesen Oligopeptiden im ersten Fall jeweils eine Amino-dicarbonsäure und im zweiten Fall eine Diamino-monocarbonsäure am Carboxylende steht.
Schließlich gibt es noch eine Reihe von z. T. ebenfalls enzymatischen Verfahren, um die Peptide sowohl vom Aminoende als auch vom Carboxylende her stufenweise abzuhauen und dadurch die jeweils endständigen Aminosäurebausteine zu ermitteln (Näheres vgl. III, Kap. 7, I, 2b und c). c) D i e P e p t i d s y n t h e s e n Bei der großen physiologischen Bedeutung der Eiweißstoffe hat es natürlich nicht an Versuchen gefehlt, die Peptidbindung zu synthetisieren. Wegen der unterschiedlichen Beständigkeitsverhältnisse der einzelnen Aminosäuren sind zu diesem Zweck sehr viele Methoden entwickelt worden (Näheres vgl. III, Kap. 7, I, 2 d), die jedoch untereinander ziemlich ähnlich sind und im wesentlichen auf den folgenden Überlegungen beruhen: 1. Die Carboxylgruppe der Aminosäuren besitzt (insbesondere in Form des Carboxylat-Ions der meist vorliegenden Zwitterionen) eine zu geringe Acylierungstendenz, um mit einer Aminogruppe in Reaktion treten zu können. Die Carboxylkomponente der zu knüpfenden Bindung wird daher in Form eines aktiven Derivats (z. B. des Säurechlorids —CO—Cl, eines Anhydrids mit einer anderen Carbonsäure —CO—0—Ac, eines Säure-azids —CO—N 3 oder auch eines Thiocarbonsäureesters —CO—SR) eingesetzt. 2. Die Aminogruppen der Aminokomponente der zu knüpfenden Bindung bedürfen dagegen keiner Aktivierung, da sie ohne weiteres mit den erwähnten Derivaten der Carboxylkomponente in Reaktion treten, sofern durch Wahl eines geeigneten schwach basischen Reaktionsmediums dafür gesorgt wird, das genügend freie Aminogruppen aus den Ammoniumgruppen des Zwitterions freigelegt werden.
2 c und d: Peptidsynthesen, Oligopeptide
481
3. Dagegen taucht auf der Seite der Aminokomponente ein anderes Problem auf. Auch die oben erwähnten aktivierten Derivate der Carboxylkomponente besitzen nämlich eine freie Aminogruppe, so daß sie normalerweise nicht nur mit der zugesetzten Aminokomponente sondern auch mit sich selbst reagieren können: ß' R
R
H,y-CH-C00H_ (geplante Synthese)
H 2 N—CH—CO—NH—CH—COOH
+
H,N—CH—CO—X
R'
R
R
1
+
CH-CO-X — HX (Selbßtkondensation)
)
R
I I H 2 N—CH—CO—NH—CH—CO—X
Man kann eine derartige Selbstkondensation und ähnliche unerwünschte Nebenreaktionen nur durch Schutz der nicht umzusetzenden Aminogruppen verhindern. Die wichtigste derartige Aminoschutzgruppe ist der als Carbobenzoxygruppe bezeichnete, in den Formeln durch die Buchstaben Cbo symbolisierte Benzylkohlensäurerest. Man kann ihn durch Behandeln der Aminoverbindung mit Chlorameisensäure-benzylester (I) einführen und ebenso leicht wieder abspalten; denn der Benzylrest läßt sich unter Schonung aller anderen hydrolysierbaren Bindungen hydrierend als Toluol entfernen (wie bei den entsprechenden Äthern, vgl. S. 90), und die hierbei entstehende Verbindung II spaltet als Carbamidsäurederivat sofort Kohlendioxyd unter Regeneration der Aminogruppe ab: R
R Cbo—C1 +
HjN— CH— COX
— HCl
Cbo—NH—CH—COX i
I
R I HaN—CH—COX
R
— co,
^ HOO C—NH— CH— COX
+ H, — C,HS
Cbo— = Carbo-benzoxyrest = C,H,—CH,—O—CO—
Alles in allem verläuft die Peptidsynthese also über die folgenden Zwischenstufen: R H„N— ¿H— COOH
1. Schutz der Aminogruppe 2. Aktivierung der Carboxylgruppe
R Cbo—NH—CH—CO—X
K,' I + H,N—CH—COOH - HX Aminokomponente der zu knüpfenden Bindung
Carboxylkomponente der zu knüpfenden Bindung R R' | | Cbo—NH—CH—CO—NH—CH—COOH
Abbau der Ammoschutz^ gruppe
R R' | | H 2 N—CH—CO—NH—CH—COOH Dipeptid
d) D i e O l i g o p e p t i d e Im Gegensatz zu den recht häufig in der Natur anzutreffenden Oligosacchariden (S. 435 f.) spielen niedermolekulare, nur wenige Aminosäurebausteine im Molekül enthaltende Peptide nur eine relativ geringe Rolle. Auch sind die Grenzen zwischen den Oligo- und Polypeptiden ziemlich verwischt, und man beobachtet einen nahezu 31 Klages, Einführung org. Chemie
482
Kap. 17,1: Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine
kontinuierlichen Übergang zu den hochmolekularen Verbindungen. Von den Oligopeptiden mit bis zu zehn Aminosäurebausteinen zeichnen sich insbesondere die folgenden Verbindungen durch ihre physiologische Aktivität aus. 1. das Tripeptid Glutathion. Es ist in der aus der Formel ersichtlichen Weise aus den Aminosäuren Glutaminsäure, Cystein und Glycin aufgebaut: Glutaminsäure
Cystein
NH a
Glycin
CH 2 —SH
HOOC—¿H—CH 2 —CH 2 —CO—NH—¿H—CO—NH—CH 2 —COOH Glutathion
Glutathion übt in der Zelle die Funktion eines Wasserstof(Überträgers bei biochemischen Redoxreaktionen aus. Hierbei wird der SH-Wasserstoff in der auf S. 243 gezeigten Weise reversibel unter Bildung von S2-Brüchen zwischen zwei Glutathionresten abgespalten.
2. die zu den Hormonen zählenden Verbindungen Oxytocin, Arginin-vasopressin und Lysin-vasopressin (S. 515). Sie enthalten bereits neun Aminosäurebausteine in gerader Kette. Ferner ist das Garboxylende des Moleküls durch Amidierung neutralisiert. Ihr ziemlich ähnlicher, durch Synthese bestätigter Aufbau wird durch die folgende Formel wiedergegeben: Cys
s
Thr—NH—CH—CO
s
I
¿ys-Tyr-A-Glu(NH 2 )-Asp(NH 2 )-(]!ys-Pro-B-61y-NH i Oxytocin Arginin-Vasopressin Lysln-Vasopressin
Ala
I
Ala
(für A = Ileu und B = Leu) (für A = Phe und B = Arg) ( f ü r A = Phe und B = Lya)
H II
I
H, 1
Hyleu )
CO—CH—NH
Hypro
Tryp Phalloidin
3. Ein Oligopeptid mit cyclischer Anordnung der Aminosäurebausteine (also ohne Aminound Carbozylende der Kette) stellt schließlich der Phalloidin genannte, von Th. Wieland (1957) strukturell aufgeklärte Hauptgiftstoff des Knollenblätterpilzes dar. Das Molekül weist außer der Bildung des Peptidrings noch einen interessanten Brückenschlag zwischen der SH-Qruppe des Cysteinbausteins und dem ihm diametral im Ring gegenüberstehenden Indolring des Tryptophanrestes auf.
3. Die Eiweißstoffe oder Proteine a) A l l g e m e i n e s Die höhermolekularen Polypeptide aller Lebewesen werden nach dem Vorkommen einiger charakteristischer Vertreter dieser Verbindungsklasse im Hühnereiweiß Eiweißstoffe oder Eiweißkörper genannt. Wissenschaftlich führen sie als ürsprungs*) = 6-Hydroxy-leucenin,
eine bisher nur hier aufgefundene Aminosäure der Struktur: nh2
ch3
HO O C— ¿ H — C H = i — C H j — O H
3 a: Eiweißstoffe, Allgemeines
483
stoffe des Lebens daneben auch den Namen Proteine (von griech. -n-pco-ros = der Erste). Man unterteilt sie auf Grund ihrer physiologischen Funktionen und auch ihrer physikalischen Eigenschaften in die beiden Untergruppen der Gerüsteiweißstoffe oder Skieroproteine und der globulären Proteine. Die Gerüsteiweißstoffe oder Skieroproteine dienen im Tierreich (sowie seltener auch in der Pflanzenwelt) als Gerüstsubstanzen. Hier verwendet die Zelle also die ihr ohnehin zur Verfügung stehenden Aminosäuren nebenbei auch zum Aufbau von rein mechanischen Zwecken dienenden Stoffen, die später am eigentlichen Zellgeschehen nicht weiter teilnehmen. Physikalisch zeichnen sich die Skieroproteine durch ihre Wasserunlöslichkeit und ihre z. T. erhebliche Naßfestigkeit aus. Die globulären Proteine stellen demgegenüber die eigentlichen Träger des Lebens dar; denn zu ihnen gehören nahezu sämtliche die biochemischen Umsetzungen katalysierenden Enzyme und die an der Zellteilung beteiligten Eiweißstoffe des Zellkerns. Daneben rechnen aber auch alle als Nahrungs- und Reservestoffe dienenden Proteine, wie z. B. das Milcheiweiß und das „Eiweiß" des Hühnereis, aus denen der Organismus die nicht von ihm selbst synthetisierten Aminosäuren zum Aufbau der arteigenen Eiweißstoffe gewinnt, zu den globulären Proteinen. Alle diese globulären Eiweißstoffe können ihre physiologischen Funktionen nur in wäßriger Lösung oder zumindest in stark gequollenem Zustand ausüben und zeigen deswegen unter „Verzicht" auf hervorragende mechanische Eigenschaften eine gewisse Löslichkeit bzw. Qudlbarkeit in Wasser.
Mit dem peptidartigen Aufbau aus Aminosäuren allein kann man noch nicht alle beobachteten Eigenschaften der Eiweißstoffe erklären. Von Bedeutung sind außerdem eine Reihe von Möglichkeiten der engeren Verknüpfung verschiedener Polypeptidfäden und auch von Teilen des gleichen Fadens, durch die einerseits die Skieroproteine ihre mechanische Festigkeit erhalten, andererseits die Kettenmoleküle der globulären Proteine in bestimmten Konformaiionen fixiert werden. Die wichtigsten dieser zwischenmolekularen Beziehungen sind: 1. Die Ausbildung von Wasserstoffbrücken zwischen den NH- und GO-Oruppen verschiedener Moleküle oder auch des gleichen Moleküls. Diese H-Brücken sind so stabil, daß sie normalerweise noch nicht durch Wasser, sondern erst durch stärker solvatisierende Lösungsmittel (vgl. S. 487) gesprengt werden. Die Eiweißstoffe behalten daher beim Quellen in Wasser und z. T. sogar in Lösung ihre Konformation sowie ihr z. T. ungewöhnlich hohes Teilchengewicht (S. 487/8) bei. Schließlich kann auch die beim Zusatz von organischen Gerbstoffen beobachtete mechanische Festigkeitserhöhung von Eiweißstoffen jeder Art (nicht nur von tierischer Haut bei der Lederbildung) auf die Ausbildung zusätzlicher Wasserstoffbrücken zu den phenolischen OH-Gruppen der Gerbstoffe zurückgeführt werden. 2. die dehydrierende Verknüpfung der SH-Gruppen zweier Cysteinbausteine unter
Bildung von S^-Brücken (S. 243). Befinden sich die Cysteinreste in verschiedenen Polypeptidketten, so werden diese hierbei zu Molekülen höherer Ordnung „vernetzt", was sich in einer Festigkeitserhöhung des betreffenden Eiweißstoffs (z. B. des Keratins, S. 485/6) auswirkt. Die auf S. 479 erwähnte unerwartet große Kristallisationsneigung der Eiweißkörper (trotz ihres unregelmäßigen Aufbaus) ist hauptsächlich auf die Wasserstoff brücken zurückzuführen, die als wichtigste zwischenmolekularen Kräfte überwiegend von der für alle Peptide gleichartigen Hauptkette ausgehen. Sie können entweder innerhalb des gleichen Moleküls wirksam werden und diesem eine starre, sich leicht in ein Kristallgitter einordnende Gestalt geben oder aber die Hauptketten verschiedener Moleküle in stets gleicher Weise zu einem nahezu ebenen „Netz" verknüpfen, das sich ebenfalls leicht in ein Kristallgitter einordnet. Diese beiden typischen Eiweißkristallgitter werden nach dem ex- und ß-Keratin als «.-Struktur und ß-Struktur bezeichnet. 31»
Kap. 17,1: Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine
484
OL
Bei der im a.-Keratin verwirklichten a-Struktur verknüpfen alle H-Brüclcen im Sinne der ersten Möglichkeit die NH- und CO-Gruppen verschiedener Aminosäurebausteine des gleichen Moleküls. Dies geschieht nach L . P A U L I N G (1951) in der Weise, daß jede Polypeptidkette eine schraubenförmige Gestalt annimmt (sog. tx-Helix), in der jede NIiGruppe in Richtung der Schraubenachse zu der genau über ihr befindlichen CO-Gruppe eines Bausteins der nächsthöheren Windung eine Wasserstoffbrücke ausbildet. Wie in der Abb. 34 wiedergegebene Ausschnitt einer derartigen Helix erkennen läßt, sind alle mit R bezeichneten Seitenketten der Aminosäuren von der Schraubenachse nach außen fortgerichtet, stören also auch bei unregelmäßiger Reihenfolge die Ausbildung der schraubenförmigen Konformation in keiner Weise. Nur die zwischenmolekularen Abstände zwischen zwei derartigen Schraubenmolekülen schwanken in Abhängigkeit von der Zusammensetzung etwas. Bei der im ß-Keratin sowie auch im Fibroin des Seidenfadens ausgebildeten ß-Struktur nehmen die Polypeptidmoleküle im Sinne der zweiten Möglichkeit die Gestalt einer Zickzackkette an, deren CO- und NH-Gruppen abwechselnd nach, links und rechts zum Nachbarmolekül Wasserstoffbrücken schlagen, so daß eine große Anzahl von Peptidketten zu dem in Abb. 35a wiedergegebenen flächenförmigen Gebilde zusammengeschlossen werden. Die Seitenansicht derartiger Moleküle in Richtung der H-Brücken (Abb. 35b) zeigt weiterhin, daß auch in diesem Falle die (hier als /SC) bezeichneten Seitenketten der Aminosäurereste aus der H-Brückenebene herausragen und dadurch die Ausbildung der Brücken sowie den Zusammenschluß der Flächengebilde zu einem Raumgitter nicht stören. Schließlich muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß es infolge der außerordentlich großen Variationsmöglichkeit der Aminosäuresequenz kaum zwei in allen Teilen wirklich gleiche Eiweißarten gibt.
i Jjfö
Abb. 34 Seitliche Ansicht von fünf Schraubenwindungen der a-Helix von Polypeptidmolekülen (nach L. Pauling)
Die unten beschriebenen einzelnen Proteine sind daher nicht wie die niedermolekularen Verbindungen und selbst die makromolekularen Stoffe Cellulose oder Stärke exakt definierte chemische Substanzen, sondern Gruppen von untereinander und sehr ähnlichen Stoffen, die von Tierart zu Tierart Pflanzenart zu Pflanzenart (sowie in einigen Fällen wohl auch zwischen den verschiedenen Individuen) variieren. Man sollte daher statt von Einzelverbindungen (z. B. von dem Keratin oder dem Kollagen schlechthin) immer besser von Stoffklassen sprechen, z. B. von der Gruppe der Keratine oder der Gruppe der Kollagene, die sich dann weiter unterteilen lassen (z. B. in das Keratin der menschlichen Haare oder das Kollagen der Rinderhaut).
b) D i e G e r ü s t e i w e i ß s t o f f e o d e r
Skleroproteine
Die Gerüsteiweißstoffe verdanken ihre hervorragenden mechanischen Eigenschaften und ihre Wasserfestigkeit hauptsächlich dem Umstand, daß sie weitgehend in kristallisiertem Zustand auftreten. Sie sättigen auf diese Weise die hydrophilen Atomgruppen durch die erwähnten Wasserstoffbrücken im Innern der Kristalle ab, so daß diese einerseits eine hohe
3 b: Die Skieroproteine
485
Abb. 35 Schematicher Aufbau der ß-Keratinfaser (nach L. Pauling) a) „Vernetzung" der Peptidketten zu einem Flächenmolekül b) Seitliche Ansicht einer Peptidkette (in Richtung der H-Brücken)
Festigkeit aufweisen, andererseits den Solvatationskräften des Wassers einen gewissen Widerstand entgegensetzen. Außerdem besitzen die Skieroproteine meistens ein ziemlich hohes Molekulargewicht. Die Ausbildung des Kristallgitters ist allerdings mehr oder weniger unvollkommen, und man beobachtet in allen Eiweißstoffen dieses Typus neben kristallisierten auch amorphe Bereiche. Einzelverbindungen. 1. Der Seidenfaden besteht aus einem im wesentlichen kristallisierten, in Wasser völlig unlöslichen Kern, dem die Seide ihre hervorragenden Festigkeitseigenschaften verdankt, und einer amorphen, in heißem Wasser löslichen Hüllsubstanz. Das Kernprotein heißt Fibroin. Es ist in der Spinndrüse der Raupen in Form einer Fibroinogen genannten konzentrierten wäßrigen Lösung enthalten und kristallisiert erst nach der Verspinnung bei der Streckung des Fadens durch (in der ß-Struktur), wobei es wasserunlöslich wird. Der Übergang vom Fibroirwgen zum Fibroin ist also kein chemischer Vorgang, sondern ein Kristallisationsprozeß. Die Kristallbildung wird durch den ungewöhnlich hohen Anteil an niedermolekularen Aminosäuren — Glycin, Alanin und Serin sind im ungefähren Molverhältnis 4 : 2 : 1 zu mehr als 80% am Aufbau des Peptidmoleküls beteiligt — besonders begünstigt. Die Hüllsvbstanz hat eine vom Fibroin abweichende Zusammensetzung (insbesondere einen ungewöhnlich hohen Serinanteil von über 40%) und führt aus diesem Grunde den eigenen Namen Seriem (oder Seidenleim,).
2. Als Keratine bezeichnet man die Proteine der oberen Hautschicht (Epidermis) und alle aus ihr hervorgegangenen mehr oder weniger verhornten Gebilde (z. B. die Schuppen, Haare, Federn, Hufe, Nägel, Hörner usw.). Sie treten als einzige Gruppe
486
Kap. 1 7 , 1 : Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine
von Eiweißstoffen sowohl in der Struktur (z. B. in der Wolle, den Hörnern und Hufen) als auch in der ß-Strulctur (z. B. in den Vogelfedern) natürlich auf. Da bei der «-Struktur keine Wasserstoffbrücken zwischen den verschiedenen Peptidketten bestehen, ist hier die auf S. 483 erwähnte Bildung von zwischenmolekularen Disulfidbrücken für die Festigkeitseigenschaften von ausschlaggebender Bedeutung. Die Keratine weisen infolgedessen von allen Skieroproteinen den höchsten Gehalt an Gystein auf (bis zu 20%), und man kann die Festigkeit der aus Keratin aufgebauten Körper durch Schädigung der S^-Gruppen stark herabsetzen. Hiervon macht man praktischen Gebrauch: a) bei der Verfilzung, die beim Kochen von Wolle mit Alkalien eintritt, und bei der die —8—8—Brücken zu —SH- und HO—8—Gruppen hydrolysieren. Wolle darf daher niemals mit selbst schwachen Alkalien (z. B . mit Seifenlaugen) gekocht werden. b) bei der kalten Dauerwelle. Hier werden die S 2 -Brücken durch Behandeln der Haare mit Reduktionsmitteln (z. B. mit Natrium-hydrogen-sulfidlösungen) hydrierend zu zwei SH-Gruppen gespalten, woraufhin die Verformung möglich ist. Die SH-Gruppen rekombinieren dann wieder unter der Einwirkung des Luftsauerstoffs. Hierbei erhält das Haar seine ursprüngliche Formbeständigkeit annähernd wieder zurück.
3. In den Kollagenen begegnen wir den Proteinen der mittleren Hautschicht und sämtlicher Bindegewebe. Ferner sind die Sehnen und Knorpel (bzw. der organische Teil der Knochensubstanz) aus Kollagenen aufgebaut. Die Kollagene haben wegen ihrer technischen Weiterverarbeitung zu Leder und Gelatine eine besonders intensive wissenschaftliche Bearbeitung erfahren. Trotzdem ist ihre Struktur noch nicht völlig bekannt. Jedoch hat es den Anschein, als ob sich in den kristallisierten Anteilen die Aminosäurefolge Gly-Pro-Hypro regelmäßig wiederholt.
Bei längerem Kochen oder beim Behandeln mit überhitztem Wasserdampf gehen die wasserunlöslichen Kollagene in die wasserlösliche Gelatine (auch Glutin genannt) über, ohne daß eine wesentliche Änderung der Zusammensetzung eintritt. Beine Gelatine dient in der Fotografie als Trägersubstanz für die Bromsilber emulsionen. Konzentrierte Gelatinelösungen erstarren bei 28° zu einem Gel, das zur Nahrungsmittelherstellung (Aspik) Verwendung findet. Ferner stellen alle tierischen Leime mehr oder weniger stark verunreinigte konzentrierte Gelatinelösungen dar. 4. Auch die die Muskelkontraktion bewirkenden Eiweißstoffe Myosin und Actin, die sich zu dem komplexen Protein Actinomyosin vereinigen und zusammen etwa 40% der Muskelsubstanz ausmachen, zählt man zu den Skieroproteinen. Sie zeichnen sich durch einen relativ hohen Gehalt von je etwa 2 0 % Diamino-monocarbonsäuren und Monoamino-dicarbonsäuren als Aminosäurebausteinen aus, die beide auch in der Peptidkette noch ionogene Gruppen ausbilden können, und zwischen deren Resten daher bei der Ionisation Anziehungskräfte auftreten. In derartigen beim PH- Wechsel stark schwankenden Anziehungskräften zwischen den verschiedenen Gruppen eines Moleküls vermutet man schon lange die Ursache der Faserverkürzung bei Hex Muskelkontraktion.
c) Die globulären P r o t e i n e Die globulären Proteine besitzen infolge ihrer Wasserlöslichkeit eine Reihe neuartiger interessanter Eigenschaften. Insbesondere in den folgenden fünf Punkten unterscheiden sie sich weitgehend von den Skieroproteinen: 1. die Löslichkeitsverhältnisse. Die durch die zahlreichen Peptidbindungen bedingte hydrophile und lipophobe Natur der Eiweißstoffe kommt bei den globulären Proteinen besonders deutlich zum Ausdruck. Ihr lipophober Charakter ist so stark ausgeprägt, daß sie nur in Wasser selbst löslich sind und schon durch Zusatz von Aceton oder Alkohol wieder aus ihren wäßrigen Lösungen gefällt werden.
3 c: Die globulären Proteine
487
Reines Wasser ist sogar durchaus noch nicht das „stärkste" Lösungsmittel, denn es vermag, wie schon auf S. 483 angedeutet, gewisse H-Brücken noch nicht zu zerlegen. In wäßriger Lösung bleiben infolgedessen viele Molekülassoziate erhalten (vgl.Punkt4). „Stärkere" Lösungsmittel, die eine vollständige Freilegung sämtlicher Peptidketten bewirken, sind insbesondere konzentrierte wäßrige Lösungen von Harnstoff und stark solvatisierenden Salzen (z. B. Guanidinium-rhodanid, Lithiumjodid usw.). 2. die Ampholytnatur. Alle Eiweißstoffe sind wegen der gleichzeitigen Anwesenheit freier Carboxylgruppen (in den Monoamino-dicarbonsäurebausteinen) und freier Aminogruppen (in den Diamino-monocarbonsäurebausteinen) wie die Aminosäuren selbst amphoter und liegen in Form von Zwitterionen (bzw. exakter Polyzwitterionen) vor. Man beobachtet deshalb in Analogie zu den Verhältnissen bei den Aminosäuren (S. 213/4) im sauren Gebiet das Auftreten von Eiweiß-Kationen, im alkalischen Gebiet das Auftreten von Eiweiß-Anionen und dazwischen bei einem scharf definierten isoelektrischen Punkt das Auftreten von elektrisch neutralen Eiweiß(poly)zwitterionen. Die Eiweißstoffe wandern also bei niedrigem pn (saures Gebiet) zur Kathode und bei hohem ph (alkalisches Gebiet) zur Anode sowie beim isoelektrischen Punkt überhaupt nicht mit dem elektrischen Strom. Wegen dieser Umladung ändern sich alle Eigenschaften der Eiweißlösungen ziemlich stark bei pn- Verschiebungen. Sie werden aus diesem Grunde meistens für den isoelektrischen Punkt angegeben, bei dem die einfachsten Verhältnisse herrschen. 3. Die Denaturierung. Eine eigenartige, meistens irreversible Veränderung beobachtet man bei allen löslichen Eiweißkörpern, wenn man ihre Lösungen auf Temoder mit einem geeigneten Fällungsperaturen um 60° erwärmt (Hitzekoagulation) mittel versetzt. Sie verlieren hierbei ihre Löslichkeit in reinem Wasser und ändern vielfach ihr biochemisches Verhalten. Besonders die Enzyme verlieren fast immer ihre Aktivität. Man nennt den Vorgang deshalb treffend Denaturierung. Auf einer solchen Denaturierung der lebensnotwendigen Proteine des Zellkerns durch Hitzekoagulation beruht vermutlich das Absterben sämtlicher Lebewesen bei höherer Temperatur. 4. die Aggregation und Desaggregation. Wie Abb. 36 zeigt, führte die Bestimmung der Größe und Gestalt der kleinsten in Lösung auftretenden Eiweißteilchen zu sehr unterschiedlichen Formen und „Molekulargewichten". Die genaue Untersuchung ergab, daß die abgebildeten Teilchen jedoch meistens nicht den wirklichen Molekülen entsprechen. Diese sind nämlich relativ klein—insbesondere die „SVEDBERGEinheit" mit einer Peptidkette von etwa 150—160 Aminosäuren Länge und einem Molekulargewicht von etwa 17000 scheint relativ häufig aufzutreten — und assoziieren erst sekundär durch Ausbildung zwischenmolekularer H-Brücken zu den erwähnten größeren Eiweißteilchen, ein Vorgang, den man allgemein als Aggregation bezeichnet. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine regellose Assoziation, sondern um den Aufbau genau charakterisierter, regelmäßig konstituierter Molekülaggregate, so daß man mit Recht von den molekülartigen kleinsten Teilchen eines Eiweißkörpers im Sinne der auf S. 362/3 definierten Übermoleküle sprechen kann. Eine Zerstörung dieser Assoziate (sog. Desaggregation) findet meistens bei der Auflösung in den erwähnten „starken" Lösungsmitteln statt (z. B. in konzentrierten Harnstofflösungen), doch assoziieren die Einzelmoleküle nach erneutem Übergang zu wäßrigen Lösungen vielfach wieder zu Aggregaten der gleichen Größe und Gestalt. 5. die Proteidbildung. Von den globulären Proteinen grenzt man allgemein noch eine Untergruppe von Eiweißstoffen ab, in deren Peptidmolekül eine biochemisch aktive, peptidfremde Gruppe, die sog. prosthetische Gruppe eingebaut ist. Diese Eiweißkörper werden Proteide genannt. Zwischen Proteinen, prosthetischer Gruppe und Proteiden ergibt sich somit die einfache Beziehung: Protein + prosthetische Gruppe = Proteid
488
K a p . 1 7 , 1 : Die Eiweißstoffe und ihre Bausteine
Die prosthetische Gruppe kann verschiedenartig mit dem restlichen Molekülteil verknüpft sein. Beispielsweise begegnet man im Casein (s. unten) einer Esterbindung, im Blutfarbstoff (S. 414/5) einer Komplexbindung und in einigen Olykoproteiden (S. 489) sogar nur einer zwischenmolekularen Beziehung.
II Ovalbumin
Insulin M-36000
M* 42000
Albumin M=69 000
ß-Lactoglobulin M=40000
Hämoglobin
ß-Globulin M=90000
M'68 000
ß-Lipoprotein M =1300 000
Fibrinogen 400000
£ destin M=310000
Zein M=50 000
Zum Vergleich: 100 X
Na+CrWucose Abb. 36
Vergleich der Teilchenform und -große einiger globulärer Eiweißkörper (in Anlehnung an J . T. E D S A L L )
Die einzelnen globulären Proteine und Proteide lassen sich viel schwerer charakterisieren als die Gerüsteiweißstoffe. Sie zeigen häufig eine ähnliche Zusammensetzung, und man unterteilt sie lediglich auf Grund ihrer Löslichkeitseigenschaften. Z. B. faßt man unter dem Begriff der Albumine (von lat. album = weiß) die Eiweißstoffe des Hühnereiweißes und alle sonstigen in reinem Wasser löslichen Proteine zusammen, während man die mit ihnen vergesellschaftet vorkommenden und auch chemisch nahe verwandten, nicht mehr in reinem Wasser löslichen Eiweißstoffe Globuline nennt. Durch ihren besonderen chemischen Charakter zeichnen sich dagegen die Protamine der Fischspermatozoen aus, an deren Aufbau überwiegend Arginin (bis zu annähernd 90%) beteiligt ist. Sie sind infolgedessen mit isoelektrisehen Punkten zwischen den p H -Werten 9,7 und 12,4 die stärkst basischen Eiweißstoffe, die wir kennen. Bereits zu den Proteiden zählt schließlich das Casein genannte Milcheiweiß, das eine primäre Phosphorsäureestergruppe als prosthetische Gruppe enthält. Die Bindung der Phosphorsäure geschieht über die alkoholische Hydroxylgruppe der Serinbausteine, und zwar ist im Durchschnitt jeder dritte Serinrest phosphoryliert.
3 d : Die Eiweißkunststoffe u n d v e r w a n d t e synthetische K u n s t s t o f f e
489
Neben diesen hauptsächlich als Reservestoffe dienenden Eiweißkörpern treten die an den Lebensprozessen beteiligten Polypeptide überwiegend in Form von Proteiden auf. Erwähnenswert sind vor allem: 1. die Chromoproteide, in denen ein Farbstoffmolekül als prosthetische Gruppe fungiert. Zu ihnen zählen insbesondere die schon beschriebenen Porphyrinfarbstoffe Hämoglobin (S. 414/5) u n d Myoglobin (S. 415). 2. die Glykoproteide, in denen die Eiweißkomponente m i t etwa 20—30 Gew.-% eines Polysaccharids verbunden ist (meistens n u r d u r c h zwischenmolekulare Kräfte). Die wichtigsten von ihnen sind die Murine u n d Mucoide genannten Schleimstoffe, auf deren Kohlenhydratkomponenten wir ebenfalls bereits f r ü h e r (S. 445) eingegangen sind. 3. die Nucleoproteide, deren Proteinanteil m i t den Nucleinsäuren als prosthetischer Gruppe kombiniert ist. Sie sind biochemisch zweifellos die interessantesten Eiweißstoffe, d a sie als die Ursubstanzen des Lebens angesehen werden. Z. B. gehören ihnen die Viren u n d Gene an, die einerseits kristallisierbare chemische Verbindungen darstellen, andererseits sich unter gewissen Bedingungen bereits wie echte Lebewesen vermehren können).
d) Die E i w e i ß k u n s t s t o f f e u n d v e r w a n d t e s y n t h e t i s c h e K u n s t s t o f f e Die großen Erfolge, die man bei der Umformung der natürlichen Cellulose in Kunstfasern und sonstige Kunststoffe erzielt hat (vgl. S. 441/2), haben zu zahlreichen Versuchen geführt, auch aus Eiweißstoffen verschiedenartige Kunststoffe herzustellen. Dies war bei der bevorzugten Verwendung der meistens nur in beschränkten Mengen zugänglichen Proteine als Nahrungsmittel lediglich von dem in der Magermilch enthaltenen Casein aus möglich, das als Nebenprodukt der Buttererzeugung in einem gewissen Überschuß vorhanden ist. Casein selbst liefert als typisch globuläres Proteid allerdings n u r wenig wasserfeste Kunststoffe. J e d o c h besteht hier die Möglichkeit, eine der V e r k n ü p f u n g der Polypeptidketten des Keratins d u r c h 82-Brücken (S. 486) analoge Vernetzung m i t Hilfe von Formaldehyd vorzunehmen, der die NH-Qruppen verschiedener Moleküle (sowie in geringem U m f a n g auch die des gleichen Moleküls) in ähnlicher Weise durch Ausbildung von CH.2-Brücken miteinander verbindet, wie wir es auf S. 104/5 f ü r die Phenol- u n d Harnstoffmoleküle in den Bakeliten u n d Formaldehyd-Harnstoff-Kondensaten kennengelernt haben. Der erste derartige, durch ,,Formaldehydgerbung" von Casein erhaltene Kunststoff war das als Kunsthorn dienende Galalith (wörtlich = Milchstein). Auch die Verspinnung des Caseins zu nachträglich m i t Formaldehyd gehärteten Kunstfasern ( T O D T E N H A U P T , FERETTI), die den N a m e n Lanital erhalten haben, ist zur technischen Reife entwickelt worden.
Später verzichtete man ganz auf die Verarbeitung natürlicher Proteine und ging zu ebenfalls peptidartig aufgebauten vollsynthetischen Produkten über, die allgemein Polyamid- (oder auch Superpolyamid-)kunststoffe genannt werden. Nur hat es sich hier als zweckmäßig erwiesen, von dem tx-Peptidprinzip abzuweichen und einen größeren Abstand zwischen die Säureamidbindungen zu legen. F ü r die Darstellung derartiger Polyamide sind drei verschiedene Verfahren entwickelt worden: 1. die von W . H . C A R O T H E R S (1933) eingeführte Polykondensation von Diaminen (insbesondere llexamethylen-diamin, S. 205) u n d Dicarbonsäuren (hauptsächlich Adipinsäure, S. 176) im Sinne folgender Gleichung: HOOG—(CH2)p- -COiOH
+ H;NH —(CHa)q~NH—:H + HO;OC-(CH2)p-COOH - 2 H,0 (n-fache Wiederholung) HOOC—(CH2)—|—CO—NH—(CH2)—NH—CO—(CH2)—|—COOH
Alle K u n s t s t o f f e dieses T y p u s werden Nylon genannt.
Kap. 17, II: Die natürlichen Pyrimidinderivate
490
2. Die beim Erhitzen spontan eintretende „Umamidierung" zahlreicher Moleküle des aus Phenol über Cydohexanon leicht zugänglichen Caprolactams (S. 216/7) zu einem langen Kettenmolekül:
/ n(
o
NH
-..C/\/\/
O X
N H - | (C
o /
\ A /
n
N H -
I K a a n h — • n - 2
Capro-lactam
Die Polyamide dieser Axt werden unter dem Namen Perlon zusammengefaßt. 3. die Polyaddition der OH-Gruppen zweiwertiger
Alkohole
a n die 0 = C = N - G r u p p e n
zwei-
wertiger Isocyansäureester. Sie führt im Sinne der auf S. 145 formulierten Urethaiibildung zu makromolekularen Polyurethanen,
die bei Verwendung v o n Butandiol-1,4
und
Hexamethylen-lß-diiso-
cyanat den Namen Perlon U (oder Igamid U) erhalten haben:
Hexamethylen-diisocyanat
O C=N-|-( CH 2 )„—NH—COO—(CH 2 ) 4 —00 C—NH-|—(CH2)8—N==CO Poly-urethan
Alle derartigen Polyamidkunststoffe bilden bei der Verstreckung zu Fasern besonders leicht einen kristallähnlichen Zustand aus, in dem wie bei den Eiweißkristallen der ß-Struktur die verschiedenen Molekülfäden durch eine maximale Zahl von Wasserstoffbrücken fest miteinander verbunden sind. Nylon und Perlon eignen sich daher in erster Linie zur Herstellung von Kunstfasern, die auf Grund dieses Bauprinzips die meisten anderen Kunst- und auch Naturfasern hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften übertreffen.
II. Die natürlichen Pyrimidinderivate Eine zweite Gruppe von stickstoffhaltigen Naturstoffen, denen vor allem die wichtigen Nucleotide und Nukleinsäuren angehören, besitzen einen Pyrimidinkern als gemeinsames konstitutionelles Merkmal. Dieser ist in der Mehrzahl der Fälle mit einem Imidazolkern zu dem vier N-Atome enthaltenden bicyclischen Ringsystem des Purins kondensiert. Von Interesse sind insbesondere die folgenden Verbindungsklassen: 1. die einfachen Purinabkömmlinge, 2. die Nucleoside und Nucleotide und 3. die Nucleinsäuren. Ferner gehören die schon auf S. 419/20 beschriebenen Schmetterlingsfarbstoffe, die das dem Purinsystem sehr ähnliche Pteridinsystem im Molekül enthalten, gleichzeitig der umfassenderen Gruppe der Pyrimidinabkcmmlinge an. 1. Die einfachen natürlichen Purinabkömmlinge
8 I || CH HC& 3 /Cv o / X X N N H
Purin
Purin, das die nebenstehende aromatische Struktur eines Triaza-indols aufweist, kommt nicht selbst in der Natur vor. Jedoch leiten sich von ihm eine Reihe von Naturstoffen ab, die z. T. wieder Bausteine der wichtigen Verbindungsklasse der Nucleotide und Nucleinsäuren darstellen.
Das häufigste der einfachen Purinabkömmlinge ist das 2,6,8-Trihydroxy-purin, das wegen seines Auftretens im Säugetierharn den Namen Harnsäure erhalten hat und ähnlich wie
1: Die Harnsäure
491
der Harnstoff anstelle des giftigen Ammoniaks als energiearme ,,Stichstoff schlacke" des Organismus abgeschieden wird. Die im Säugetierharn enthaltenen geringen Harnaäuremengen sind wahrscheinlich nur die Endprodukte des Nucleinsäurestof¡Wechsels. Anders liegen die Verhältnisse dagegen bei den Vögeln, Reptilien und z. T. auch bei den Insekten, die den nicht mehr benötigten Eiweißstickstoff ebenfalls in Harnsäure überführen. Hier ist die Produktion an der schwerlöslichen Harnsäure bereits derart groß, daß sie nur in fester Form, abgesondert werden kann. Die unter dem Namen Guano häufig in großen Lagern anzutreffenden Exkremente der Vögel (sowie auch die der Reptilien) bestehen infolgedessen bis zu 25% aus dem Ammoniumsalz der Harnsäure. D a s Harnsäuremolekül enthält mehrere Säureamidgruppierungen. Man beobachtet deswegen eine Tautomerie zwischen einer Amidoform (I) und einer Imidoform (II). V o n ihnen soll i m folgenden die in beiden Ringen aromatische Imidostruktur II bevorzugt angewandt werden: OH
O II
HN
&
"TV H
•N,
N HO
H
OH N
x
N H
Ii
Für die angegebene Struktur der Harnsäure spricht insbesondere der Umstand, daß sie bei saurer Oxydation (z. B. mit Salpetersäure) unter Erhaltung des Pyrimidinrings zum Alloxan (S. 189) und zuweilen über dieses hinaus bis zur Parabansäwre (S. 173) abgebaut wird. Im alkalischen und neutralen Medium (z. B. bei der Oxydation mit Bleidioxyd) bleibt dagegen der Imidazolring intakt, und es entsteht AUantoin, das mit Jodwasserstoffsäure zum noch einfacheren Hydantoin abgebaut werden kann: o
OH N HO'
o
•N, OH "N
H/V
HNO.
7
^/ H
Harnsäure
H
Alloxan
Parabansäure
1
=0
0
•/V ^ H Allantoin
^
( / V S , H
H X/
PbO,
o HN
Weiteroxydation
HJ
c
=0
O^N' H
Hydantoin
Ferner wurde die Konstitution schon frühzeitig durch mehrere Synthesen bestätigt (R. BEEREND u n d O . ROOSEN [ 1 8 8 8 ] , W . TRAUBE [ 1 9 0 0 ] , N ä h e r e s v g l . I I I , K a p . 7, I I ,
Harnsäure III III Hl
ist mit einem pK s -Wert v o n 3,9 stärker sauer als
la).
Ameisensäure.
Ferner fungiert sie trotz der Anwesenheit v o n drei Hydroxylgruppen im Molekül nur als zweibasige Säure, die bloß primäre und sekundäre Salze (sog. Ureate) zu bilden vermag.
Kap. 17, I I : Die natürlichen Pyrimidinderivate
492
Die sekundären harnsauren Salze sind meistens schwerlöslich. Insbesondere das Ammoniumsah wird daher zuweilen im Organismus abgeschieden und ruft dann schwere Störungen hervor. Die wichtigsten Beispiele sind die Ablagerung von Ammonium-ureat in den Gelenken bei Gicht sowie in der Niere oder Blase in Form von „Steinen". Lediglich das sekundäre Lithiumsalz besitzt eine etwas größere Löslichkeit. Die ebenfalls leichter löslichen primären Ureate sind bereits derart sauer, daß sie sich unter den zellmöglichen Bedingungen nicht mehr bilden.
Das um eine Hydroxylgruppe ärmere 2,6-Dihydroxy-purin hat den Namen Xanthin erhalten. Es ist ebenfalls zwischen einer Amido- und einer Imidoform tautomer und wird am besten nach einem Verfahren von H . B R E D E B E C K (1950) aus Harnsäure und Formamid durch Austausch der 8-ständigen C—OH-Gruppe gegen eine GH-Gruppe gewonnen: OH
OH
2 _
— C0„ —NHA
Harnsäure
F
N
||
\
* OHA/V H Xanthin
Xanthin ist im Gegensatz zur Harnsäure nur noch schwach sauer (p Ks = 9,9) und wegen der Anwesenheit des nicht oxydierten Imidazolrings gleichzeitig schwach basisch (pKb = 13,3). Es gehört also schon zu den typisch amphoteren Stoffen. Xanthin stellt keine eigentliche Stickstoffschlacke mehr dar und kommt in fast allen tierischen Geweben vor. Wichtiger aber als das Xanthin selbst sind seine Derivate, von denen wir insbesondere einigen N-Methylverbindungen später (S. 503) als Alkaloiden begegnen werden. Das Monoamid der „Säure" Xanthin wird als Bestandteil des Guanos Guanin genannt und ist wahrscheinlich ein biochemisches Abbauprodukt des Nucleosids Guanosin (S. 493). Es hat seinerseits wiederum dem aus ihm erstmals dargestellten Gvanidin (S. 150) den Namen gegeben. OH
OH
NH 2
/Sa : /'v\ 1
II /X
H2 / Y V Guanin
H
/
/
: ^
X
II / \
/X
N ]sr
/
A\ /
(Adenase) oder HNO,
H Hypoxanthin
. \s.
N
|j / \
N
/
/
AdeninH
Eliminiert man auch die 2-ständige Hydroxylgruppe der Harnsäure, so gelangt man zu dem nur noch in 6-Stellung hydroxylierten Hypoxanthin ( = 6-Hydroxypurin), das zwar nicht selbst in der Natur auftritt aber wegen der nahen Beziehungen zu dem (als zugehörigem ,,Säureamid") sich von ihm ableitenden Nucleotidbaustein Adenin von Interesse ist. Es kann auch vom Adenin aus durch Desaminierung mit salpetriger Säure oder durch enzymatische Hydrolyse dargestellt werden. 2. Die Nucleoside und Nucleotide Unter Nucleosiden und Nucleotiden versteht man die niedermolekularen Bausteine der Nucleinsäuren. Jedoch treten einige Nucleotide auch als selbständige Verbindungen natürlich auf (vgl. S. 527f.). In den Nucleosiden (als den einfacheren Verbindungen) ist stets ein Pyrimidinderivat über ein Ring-N-Atom an das glykosidische C-Atom eines Monosaccharids
2: Die Nucleoside
493
gebunden, weshalb man diese Verbindungsklasse vom Standpunkt der Zuckerchemie aus auch zu den Stickstoff'glykosiden zusammenfaßt (S. 439). Als heterocyclische Bildungskomponenten der in Nucleinsäuren auftretenden Nucleoside fungieren neben den oben formulierten Purinderivaten Adenin und Guanin noch die vier einfachen Pyrimidinverbindungen Uracil, Thymin, Cytosin und 5-Methyl-cytosin: O V
H
H
\ HN II N
HN II
o
o
Uracil
Thymin
0
HN
ch3
NH Cytosin
NH
sch 3
5-Methyl-cvtosin
Weiterhin treten als Kohlenhydratkomponenten die D-Ribose und die D-Desoxyribose auf, die beide am C-Atom 1 ausschließlich die ß-Konfiguration annehmen. Man kann aus diesen Bildungskomponenten theoretisch zwölf Nucleoside aufbauen, von denen aber nur die folgenden neun in Betracht gezogen werden müssen, da sich in den Nucleinsäuren Uracil nur mit der D-Ribose und Thymin sowie auch 5-Methylcytosin nur mit der D-Desoxyribose paaren. Lediglich von den drei anderen Bausteinen sind Derivate beider Zucker bekannt: 0
H I H XI O I
I H XI OIH
-ch2oh
-o
-CHjOH
H,N
N NH,
N
N '/
V
OH
(
^c-
°\A HN || II N H Cytidin (für X = OH) Dcsoxy-cytidin (für X — H)
N/
Guanosin oder Vernin (für X = OH) Desoxy-guanosin (für X = H)
Adenosin (für X = OH) Desoxy-adenosin (für X = H)
Ih XI JOH
X
-CH.OH
r H OHo I HO I I ^C< \ A
O Uridin
CHO ,H
NH 5-Methyl-cytidin
494
Kap. 17, I I : Die natürlichen Pyrimidinderivate
In den Nucleotiden sind diese neun Nucleoside jeweils mit einem Mol Phosphor säure verestert, die in den selbständig auftretenden Nucleotiden stets die 5-Stellung des Kohlenhydratrestes besetzt. Daneben findet man in den Nucleinsäurehydrolysaten aber auch Nucleotide, deren Phosphogruppe sich in 3- oder 2-Stellung des Zuckerbausteins (letzteres natürlich nur bei den Derivaten der in 2-Stellung hydroxylierten Ribose) befindet. Als Beispiel einiger frei auftretender Nucleotide seien die im Muskel aufgefundene Adenylsäure oder Adenosin-monophosphorsäure (abgekürzt AMP) und die aus ihr durch enzymatische Hydrolyse entstehende, schon von J . v. L I E B I G im Fleischextrakt nachgewiesene Inosinsäure angeführt: H
OH OH I
-C n
1!
1!
!
r i H2 —O—P0 n p n3 H w2 CH
^Nv^y-Nv
ü
||
" V
v
| H OH OH 1! 1 C ——J i
CH 2 —0—P0 3 H 2
enzymatische
)
Hydrolyse
NH a
;
N'
V
'
ÖH Muskel-adenylsäure
Inosinsäure
Die Adenosin-monophosphorsäure ist die Muttersubstanz der später (S. 527) beschriebenen Coenzyme Adenosin-diphosphmsäure und Adenosin-triphosphorsäure. In der Inosinsäure liegt ein Nucleotid des nicht als Nucleinsäurebaustein auftretenden Hypoxartthins vor.
3. Die Nucleinsäuren oder Polynucleotide Die Nucleinsäuren (von lat. nucleus = Kern) haben ihren Namen auf Grund ihres Auftretens in den Zellkernen erhalten, kommen aber auch außerhalb des Kerns im Zellplasma vor. Ihre chemische Struktur ist in Analogie zum Aufbau der Polypeptide aus Aminosäureresten durch eine Aneinanderreihung von Nucleotidmolekülen auf dem Wege einer zwischenmolekularen Veresterung charakterisiert. Sie werden deshalb auch Polynucleotide genannt. Man kann die Nucleinsäuren jedoch ebensogut von den Nucleosiden her durch Verknüpfung zweier benachbarter Bausteine durch eine sekundäre Phosphorsäureesterbrücke ableiten. Diese Verknüpfung erfolgt stets vom G-Atom 3 der Kohlenhydratkomponente des einen zum G-Atom 5 der Kohlenhydratkomponente des nächsten Nucleosidbausteins. Ferner ist die dritte Hydroxylgruppe des Phosphorsäurerestes immer frei, so daß polybasige Säuren vorliegen. Schließlich treten in allen natürlichen Nucleinsäuren entweder ausschließlich Ribose- oder ausschließlich Desoxyribosegruppen auf, und man kann streng zwischen den beiden Arten der ßibo-nucleinsäuren (abgekürzt RNS) und der Desoxyribo-nucleinsäuren (DNS) unterscheiden. Alle diese Gesetzmäßigkeiten kommen in der folgenden gemeinsamen Strukturformel für einen Ausschnitt des Kettenmoleküls der Nucleinsäuren zum Ausdruck (R, R ' usw. bedeuten die heterocyclischen Reste der Nucleosidbausteine):
3: Die Nucleinsäuren R
R'
n i —
HC OH I P-+0
Iii—X h L 0 HC
o-
- i : H2
>
H^—X I HC—0— I HC (
-o O-
CH,
495
R"
R"
L
'•N'' I HC-
H OH
Hco8 X CH H 3 (r> N < 3
I I
1 I
501
O H
f I
I CH3
Stachydrin
i I
O II
I CH3
Hygrin
I CH3
Cuskhygrin
c) D i e P i p e r i d i n - A l k a l o i d e Einige N-Acylderivate des Piperidins rechnet man ebenfalls zu den Alkaloiden, obgleich sie als typische Carbonsäureamide keine Aminobasen im üblichen Sinne mehr sind. Es handelt sich hier um die Piperin und Chavicin genannten Geschmackstoffe des Pfeffers, denen beiden die Struktur von Piperididen der Piperinsäure bzw. Chavicinsäure zukommt:
Hydro-
^
;
H
2
c
I
II
+
HN
N / ^ /
lyse
Piperin (bzw. Chavicin)
)
'
Piperinsäure (bzw. Chavicinsäure)
Piperin und Chavicin (bzw. Piperinsäure
und Chavicinsäure) sind geometrisch isomer. I m ein-
zelnen weisen Piperin und Piperinsäure die trans-trans-Konfiguration am konjugierten Doppelbindungssystem auf, während im Chavicin und in der Chavicinsäure die entsprechenden cis-cis- Verbindungen vorliegen. Eigenartigerweise ist Piperin im Gegensatz zum Chavicin in kristallisiertem
Zustand (nicht dagegen in alkoholischer Lösung) geschmacklos. Eine echte Pflanzenbase ist dagegen der Coniin genannte Giftstoff des Fleckschierlings (Gonium maculatum). Er besitzt die Konstitution eines tx-Propyl-piperidins und ist optisch aktiv. Das natürliche Coniin be- | *l steht zum überwiegenden Teil aus dem rechtsdrehenden Antipoden. ^j^/X/X Coniin betäubt die motorischen Nervenenden und führt infolgedessen zu einer
H
die schließlich den Tod durch Atemstillstand zur Folge hat. Der Coniin Schierlingssaft diente im alten Athen zur Vollstreckung von Todesurteilen ( S O K R A T E S ) . Als Beispiele für einige sauerstoffhaltige Derivate des Coniins seien angeführt das ebenfalls Muskellähmung,
im Schierlingssaft enthaltene Conhydrin und die monocyclischen Nebenalkaloide des Granat-
apfelbaums, die zu Ehren ihres ersten Bearbeiters ( J .
PELLETIER)
die Namen Pelletierin und Iso-
pelletierin erhalten haben. Von ihnen hat lediglich das Pelletierin ein beschränktes Interesse als Anthelminticum
(= umrmtreibendes Mittel) gefunden:
H
V U
Conhydrin
X
^ N C H O H
Pelletierin
Iso-pelletierin
Schließlich kennt man in den in Lobelia inflata auftretenden Lobeliaalkaloiden eine Reihe von Pflanzenbasen, in denen beide oc-Stellungen des Piperidinringes mit organischen Resten besetzt sind. Das Hauptalkaloid Lobelin ist linksdrehend und weist die nebenstehende Konstitution auf. Pharmazeutisch sind die LobeliaAlkaloide wegen ihrer anregenden Wirkung auf die Ii 5 C 6 / v ^ ^ NC6H5 Atemtätigkeit von Interesse.
Kap. 17, I I I : Die Alkaloide
502
d) D i e
Pyridin-Alkaloide
In der Mehrzahl der natürlich vorkommenden Alkaloide der Pyridinreihe ist die ß-Stellung des Pyridinrings mit einem organischen Best besetzt. Einige einfache Verbindungen dieses Typus sind die Betelnuß-Alkaloide Arecaidin und Arecolin mit tetrahydriertem Pyridinring. Von ihnen stellt das erstere als betainartiges Zwitterion wiederum keine eigentliche Stickstoffbase dar. Beide Alkaloide bewirken physiologisch eine starke Erhöhung des Speichelflusses. Ihnen nahe verwandt ist das Ricinin genannte aktive Prinzip des Ricinussamens, das zu den wenigen natürlich vorkommenden Nitrilen gehört:
Q V /
C O O
OCH 3 / S /
C O O C H
3
Z X /
C N
N' 1 /
\R
Arecaidin (für B. = CH,) Guvaoin (für E = H)
!!
I
\
CH 3
Nicotin
R Arecolin (für E. = CH,) Guvacolin (für R = H)
Bioinin
Das wichtigste Pyridin-Alkaloid ist ohne Zweifel das Nicotin, das von W. POSSELT und L. REIMANN schon 1828 aus Tabakblättern isoliert wurde, in denen etwa 64% des Gesamtnicotingehaltes der Pflanze deponiert werden. Es weist die nebenstehende Struktur eines in ß-Stellung durch eine N-Methylpyrrolidingruppe substituierten Pyridins auf, die schon 1904 von A. PICTET (sowie später auch von einigen anderen Forschern) durch Totalsynthese bestätigt werden konnte.
Das natürliche Nicotin ist ein starkes Gift, dessen tödliche Dosis bereits in wenigen Zigarren enthalten ist. Nur auf den Umstand, daß der größte Teil des Nicotins mit dem Tabak verbrennt, ist die relativ geringe schädliche Wirkung des Tabakrauchens zurückzuführen. In kleinen Dosen regt Nicotin jedoch das gesamte Nervensystem an, welcher Eigenschaft es seine hauptsächliche Anwendung als Genußmittel verdankt. Bemerkenswert ist weiterhin seine kontrahierende Wirkung auf den Darm und die äußeren Blutgefäße. Erstere ruft die bekannte Stillung des Hungergefühls hervor, während letztere bei starken Rauchern leicht zu schädlichen Steigerungen des Blutdrucks führt. Auf Grund des im Pyrrolidinring enthaltenen asymmetrischen C-Atoms tritt Nicotin in zwei optischen Antipoden auf, von denen bisher ausschließlich der linksdrehende in der Natur aufgefunden wurde. Einige Nebenalkaloide des Tabaks, wie z. B. das Ni cot ein und das Nicotyrin, unterscheiden sich nur im Hydrierungsgrad des Fünfrings vom Nicotin. Auch das Anabasin hat noch eine dem Nicotin sehr ähnliche Struktur. Es ist das einzige Tabakalkaloid, das auch in einer anderen Pflanze, und zwar in Anabasis aphylla, enthalten ist (hier als Hauptalkaloid) und diesem Vorkommen seinen Namen verdankt:
/ V ^ N
7
H JH,
Nicotyrin
Anabasin
3 a und b : Coffein, Atropin
503
3. Die bi- und polycyclischen Alkaloide einfacher Bauart a) D i e P u r i n - A l k a l o i d e Die bereits kurz erwähnten (S. 492) Methylderivate des Xanthins rechnet man wegen ihrer Basizität und auch wegen ihrer physiologischen Aktivität allgemein zu den Alkaloiden. Die wichtigsten von ihnen sind die drei Verbindungen Theophyllin, Theobromin und Coffein: O HaC 0
X
N
/ N
À
N
o
H
|
/ N
/ \
N
H N ^ /
\
ch3
O 11
Ns
X
/
N/N/
CH3
i
\
O ^ N ^ N ch3
ch3 Theophyllin
Theobromin
Coffein
Coffein (auch Thein oder Kaff ein genannt), das Hauptalkaloid der Kaffeebohnen (1,5% des Trockengewichts), der Teeblätter (bis zu 5 % ) und auch der Colanuß, ist wegen seiner herz- und kreislaufanregenden Wirkung das aktive Prinzip aller aus diesen Drogen hergestellten Genußmittel. Physiologisch ist weiterhin eine gewisse diuretische (= harntreibende) Wirkung von Interesse. Das in der Pharmazie benötigte Coffein wird zum größten Teil als Nebenprodukt bei der Herstellung von coffeinfreiem Kaffee oder aus Teeabfällen gewonnen. Daneben spielt aber auch die synthetische Herstellung durch Methylierung von Xanthin eine gewisse Rolle (H. Bredbrbck 1950). Hierbei kann man, da Xanthin wiederum von der Harnsäure aus zugänglich ist (S. 492), direkt von Schlangen- oder Vogelexkrementen als Rohstoff ausgehen.
Theophyllin ist ein Nebenalkaloid der Teeblätter. E s zeigt ebenso wie das in der Kakaobohne bis zu 1,8% des Trockengewichts enthaltene Theobromin eine gegenüber dem Coffein verminderte stimulierende und gesteigerte diuretische Wirkung. Beide Alkaloide finden auf Grund der letzteren Eigenschaft Verwendung als Diuretika und werden zu diesem Zweck z. T. ebenfalls synthetisch durch Methylierung von Xanthin hergestellt. b) A l k a l o i d e m i t b r ü c k e n a r t i g g e b u n d e n e m N - A t o m Einer ersten Gruppe von Alkaloiden mit einer Stickstoffbrücke im Molekül begegnen wir in der Tollkirsche (Atropa belladonna). Das Hauptalkaloid dieser sog. Tropa-Alkaloide heißt Atropin. E s ist ein Ester des Aminoalkohols Tropin mit der schon früher (S. 182) beschriebenen Tropasäure, der leicht in seine Bildungskomponenten aufgespalten und aus diesen wieder resynthetisiert werden kann:
\ N—CIH, V -0 0 C ^ *
Hydrolyse
C£LOH
R a c e m a t : Atropin [(—)-Antipode: Hyoscyamin]
N—CH3 V-OH + HOOC—
1
OH
I
CH,
Coenzym A (CoA, in Formeln auch CoA—SH)
Die aktive Gruppe des Coenzyms A ist die endständige SH-Gruppe, die mit Carbonsäuren zu den relativ energiereichen Thioestern CoA—S—CO—R zusammentritt. Diese CoA-Derivate der Carbonsäuren werden allgemein Acyl-CoA (z. B. das der Essigsäure Acetyl-CoA) genannt und spielen u. a. die Rolle von biochemischen Acylierungsmitteln, die in ihrer Wirkungsweise direkt mit den Säurechloriden und Säureanhydriden des präparativen Chemikers verglichen werden können. 3. Die wasserstoffübertragenden Cofermente und die Atmungskette
In den schon auf S. 526 kurz erwähnten Codehydrasen liegen Dinucleotide vor, die aus einem Molekül Adenosin-monophosphorsäure und einem sich vom Nicotinsäureamid ableitenden „Pyridin-nucleotid" durch Anhydridbildung entstanden sind. J e nach der Zahl der Phosphogruppen im Molekül unterscheidet man ein Coenzym I (auch Codehydrase I) oder Diphospho-pyridin-nucleotid (abgekürzt Co I oder DPN) und ein Coenzym II (Codehydrase II) oder Triphospho-pyridinnucleotid (Co II oder
TPN), denen man die folgenden Strukturen zuerteilt hat:
3: Die Atmungskette
N I
OH
NH, I N V
II
529 OH
O O t t CH2—0—P—O—P—0—CHa OH Oö OH\JI -NH, Coenzym I (Col) oder Diphospho-pyridin-nucleotid (DPN) (für X = OH) Coenzym II (Coli) oder Triphospho-pyridin-nucleotid (TPN) (für X = OPO.H.)
Beide übernehmen bei der Dehydrierungsreaktion den vom Substrat abgespaltenen Wasserstoff unter 1,4-Addition an den Pyridiniumkern:
+ H,
/
Ns
— H,
CO—NH„
+
H
CO—NH„
und geben ihn anschließend unter mäßigem Energiegewinn an die Coenzyme der von 0 . W A U B U R G entdeckten „gelben Atmungsfermente" weiter, die ebenfalls Nucleotidcharakter aufweisen und als Derivate des Lactoflavins (S. 519) die Trivialnamen Flavin-mononucleotid (FMN) und Flavin-adenin-dinucleotid (FAD) erhalten haben: O
h
•EN- j ]| y
O
ch 2 /\ —OH —OH 0 CH, —OH o t t I CH2—0—P—0—P—O I I OH OH
Flavin-adenin-dinucleotid (FAD)
OH
\
\
N NH,
Auch vom FMN oder F A D werden die Reduktionsäquivalente noch nicht direkt auf das 0 2 -Molekül als das eigentliche biochemische Oxydationsmittel übertragen, sondern (wiederum unter mäßiger Energieabgabe) zunächst auf ein weiteres Coenzym, den strukturell ebenfalls bereits weitgehend bekannten und dem Hämoglobin nahestehenden Porphyrinfarbstoff Cytochrom c: Klag es, Einführung org. Chemie
Kap. 18, I I I : Die Coenzyme oder Cofermente
530
Val—Glu(NH 2 )—Lys CH 3
CH 2 —CH 2 —S—Cys OH 3
I CH
2
I COOH
Ala G1U(NH2)
-CH 2 —CH 2 —S—Cys
?
I CH3 I\ CH 2
1Iis I
I CHj—COOH
r
Cytochrom c (Teilformel 1 ))
Val—Glu
|'hr
Cytochrom c nimmt im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Codehydrasen jeweils nur ein H-Atom (bzw. ein Reduktionsäquivalent) auf unter Reduktion des dreiwertigen zum zweiwertigen Eisen. Das Cytochrom c reduziert dann in einer dritten Stufe unter weiterem Absinken des Energieniveaus das WARBURGsche Oxydationsferment, das als einziges Enzym bzw. Coenzym dieser ganzen Kette direkt mit dem Luftsauerstoff reagieren kann. Die Zelle vermag auf diese Weise den relativ großen, bei der Verbrennung des dehydrierend abgespaltenen Wasserstoffs frei werdenden Energiebetrag in mehrere kleinere Energiebeträge aufzuspalten, die sie dann jeweils für ihre Zwecke, z. B. zu der nur verhältnismäßig wenig Energie beanspruchenden Synthese von ATP aus ADP und Phosphorsäure, verwenden kann.
4. Sonstige Coenzyme Von den nicht mehr der Nucleotidreihe angehörenden Coenzymen ist vor allem die Cocarboxylase zu nennen, die bei der biochemischen Decarboxylierung der Brenztraubensäure zu Acetaldehyd (S. 188) eine Rolle spielt. Sie weist die Struktur eines inneren Salzes des Pyrophosphorsäureesters des Aneurins (S. 519) auf und wird deshalb durch die Buchstaben APP (Aneurin-pyrophosphorsäure) abgekürzt: S—S NH—CO of
Q
O—P—O OH Aneurin-pyrophosphorsäure (APP)
An
OH
ÖH
ÖH
Lipothiamid
Ein zweites sich vom Aneurin ableitendes Coenzym ist das Lipothiamid, das ebenfalls bei einer Reaktion der Bremtraubensäure eingreift (und zwar bei der oxydativen Decarboxylierung zu dem CoA-Derivat der Essigsäure, Näheres vgl. III, Kap. 8, I I I , 2 d ß).
Als letztes Paar von Coenzymen seien schließlich die Pyridoxamin-phosphorsäure und die Pyridoxal-phosphorsäure genannt, die beide Derivate des Vitamins Adermin (S. 520) darstellen und aus ihm durch Phosphorylierung einer Hydroxylgruppe sowie Umwandlung der zweiten Hydroxylgruppe in eine Aminogruppe bzw. ein Aldehyd-OAtorn hervorgegangen sind: Durch die vier fettgedruckten eckigen Klammern | | sollen die vier Pyrrolringe des Porphinsystems einschließlich der sie verbindenden vier CH-Qruppen (S. 414) schematisch angedeutet werden.
531
4: Die Transaminierung
H 3 C^
,0H
H3Cx N
ch2—o—po3h2
/OH \—CH=0 CH,—O—PO,H,
Pyridoxal-phosphorsäure
Pyridoxamin-phosphorsäure
Sie bewirken insbesondere die auf S. 478 kurz erwähnten Transaminierungen und vermögen speziell a-Aminosäuren in a-Ketosäuren bzw. umgekehrt at-Ketosäuren in a-Aminosäuren umzuwandeln. Hieran sind im einzelnen die —CH2—NH2-Gruppe der Pyridoxamin-phosphorsäure. und die Aldehydgruppe der Pyridoxal-phosphorsäure im Sinne der folgenden, in jeder Phase reversiblen Mehrstufenreaktion beteiligt:
Pyrid— CH2—N;H2
+
Pyridoxamin-phosphorsäure
COOH I 0 =c I R
— H,0 + HE0
COOH I Pyrid— CH—N=C H
R
a-Ketocarbonsäure Umlagerung
COOH Pyrid—CH=0
+
H 2 N—C—H
A Pyridoxal-phosphorsäure
COOH ' -Vo" '
Pyrid—CH=N—i—H
R
a-Aminosäure
Beide Coenzyme gehen also bei der Transaminierung wechselseitig ineinander über (Näheres über den Reaktionsmeehanismus vgl. III, Kap. 8, II, 2).
34»
Autorenregister Autorennamen in Verbindung mit einem Sachbegriff wie „HOFMANN abbau" oder „WlTTlG-Reaktion" befinden sich im Sachregister ANSCHÜTZ, R . 2 8 2 AWE, W . 5 0 8
BAEYER, A. v. 42,279,298,379, 405 BARBIER, P . 2 6 6 BAUMANN, E . 128 BAUMGARTEN, P . 2 9 4 BECKMANN, L . 118 BEHREND, R . 4 9 1 BERGIUS, F . 3 8 9 , 4 7 1 BERGMANN, T . 3 BINDSCHEDLER 4 0 2 BLAISE DE VIGINÄRE 141 BOHN, R . 4 0 6 BOUVEAULT, L . 134 BRACONNOT, M. H . 2 1 5 BRAUN, J . V. 199 BREDT, J . 4 5 8 BREDERECK, H . 4 9 2 , 5 0 3 BRIEGLEB, G . 3 8 4 / 5 BROCHE, H . 3 8 8 BROCKMANN, H . 5 2 2 BUCHERER 2 8 5 BUNSEN, R . 2 5 6 BUTENANDT, A . 516/7 CADET, L . C. 2 5 6 CANNIZZARO 1 0 1 , 1 8 9 CABIUS, L . 2 0 CAROTHERS, W . H . 4 8 9 CLAISEN, L . 1 3 0 CLAR, E . 2 8 6 , 2 8 8 CLEMMENSEN, O. 109 CLUSIUS, K . 3 0 5 , 3 2 1 CONANT, J . B . 3 1 7 COULOMB 3 5 6 CRAFTS, J . M. 6 0 , 1 2 1 CROLL 175 CRIEGEE, R . 4 3 CURTIUS, TH. 125 DEROSNE 5 0 7 DIELS, O. 2 7 4
Dissous 55
DOERING, W . v . E . - 5 0 5 DONATH, W . F . 5 1 9 DUMAS, J . B . 19, 2 0
E.-DOERING, W . V. 5 0 5 EDSALL, J . T . 4 8 8 EHRLICH, P . 2 5 7 , 4 0 2 EINHORN 128 ERLENMEYER, E . 2 8 2 ERLENMEYER J R . , E . 2 1 2 FEHLING 185 FERETTI 4 8 9 FISCHER, E . 17, 2 3 0 , 301, 4 6 8 FISCHER, E . O. 3 1 5 FISCHER, F . 3 8 9 FISCHER, H . 4 1 4 , 4 1 5 FISCHER, O. 207 FITTIG, R . 63 FLEMING, A . 5 2 4 FRANKLAND, E . 2 6 7 FREUDENBERG, K . 3 7 6 , 4 4 4 , 469, 470 FRIEDEL, C. 6 0 , 1 2 1 GABRIEL, S . 196 GATES, M. 5 0 8 GATTERMANN, L . 162 GEUTHER, A . 192 GINSBERG 2 0 1 GOLDSCHMIDT, ST. 3 1 9 GOMBERG, M. 2 2 8 , 3 1 7 , 3 5 4 GRIGNARD, V . 2 6 6 GRAEBE, C. 3 9 5 , 4 0 4 GYÖRGY, P . 5 1 9
JANSEN, B . C. P . 5 1 9 KARRER, P . 5 1 8 , 5 2 0 KEKULÄ, A . 5 5 , 3 3 9 , 3 4 2 KENDALL, E . C. 5 1 4 , 5 1 8 KISHNER, N . 109 KLAGES, F . 136, 3 1 4 KNORR, L . 3 0 3 KÖRNER, W . 5 8 KOLBE, H . 3 4 , 120, 186, 3 1 3 KOMPPA, G . 4 5 8 KUHN, R . 5 1 9 / 2 0 KURTZ, P . 5 3 LADENBURG, A . 2 9 3 LAQUEUR, E . 5 1 6 L E CHATELIER 5 4 LEUCKART, A . 196, 2 0 4 LEWIS, G . N . 3 2 5 L I , C. H . 5 1 5 LIBAVIUS 175 LIEBERMANN, C. 9 3 , 3 9 5 , 4 0 4 LIEBIG, J . V. 19, 3 1 4 , 4 9 4 LOBRY DE BRUYN 4 2 4 LOSSEN, W . 125 LÜTTBINGHAUS, A. 2 7 7 MANNICH 105, 2 0 4 MABKOWNIKOW 4 4 MAXIMOW 8 8 MEERWEIN, H . 100 MEYER, K . H . 1 6 6 , 1 9 2 MEYER, V . 2 2 9 , 2 3 3 , 2 4 6 , 3 0 8 MICHEEL, F . 5 2 1 MICHLER 2 1 1 MOISSAN 3 9 0 MÜLLER, E . 3 1 9
HANTZSCH, A . 2 9 1 HARINGTON, C. R . 5 1 5 HARRIES, C. 4 5 3 HAWORTH, W . N . 4 2 4 HEPP, E . 2 0 7 HEUMANN, K . 4 0 5 HIEBER, W . 3 1 4 NAGAI, N . 5 0 0 HIRST, E . L . 5 2 1 NIEUWLAND, I . A . 5 3 HOFF J . H . VAN'T 14, 3 8 0 HOFMANN, A . W . 1 2 5 , 1 3 5 , 1 9 9 , NOBEL, A . 1 5 6 NORMANN, W . 4 5 , 4 4 8 202, 206 HOLLEMANN, A . F . 62, 3 4 5 OPPENAUER, R . 1 0 0 HOWARD, E . 3 1 4 HÖCKEL, E . 3 4 2 HUISGEN, R . 3 0 5 PASTEUR, L . 3 7 3 HUNSDIECKER, H . 125 PAULING, L . 3 4 0 , 4 8 4 , 4 8 5
Autorenregister
534 PECHMANN, H . V. 2 2 3 PELLETIER, J . 5 0 1 PERKIN, W . H . 141 PFLEGER 4 0 5 PICTET, A . 5 0 2 POSSELT, W . 5 0 2 POTT, A . 3 8 8 PITZER 3 8 1 PONNDORF, R . 100 PRELOG, V . 3 8 0 RANEY 4 5 RAST, K . 4 5 9 REFORMATZKY 181 REICHSTEIN, T . 5 1 8 REIMANN, W . 5 0 2 REIMER 162 REPPE, W . 45, 52, 53, 5 4 ROBINSON, R . 5 0 8 , 5 1 0 ROBIQUET, M. 5 0 6 ROCHOW, E . G . 2 5 9 ROELEN, O. 3 1 2 ROOSEN, O. 4 9 1 ROSENMUND, K . W . 9 7 RUGGLI, P . 2 7 7 RUNGE, F . 9 4 RUZICKA, L . 2 7 7 , 4 5 0 , 4 6 1 SACHSE 3 8 1 SANDMEYER, T . 7 3 , 246 SANGER, F . 5 1 5 SCHARDINGER 4 4 4 SCHEELE, K . 1 8 4
227,
SCHIFF 117 SCHLENK, W . 2 6 7 SCHLENK JUN., W . 3 6 5 SCHLUBACH, H . H . 2 6 3 SCHMIDLIN 3 1 7 SCHMIDT, O. TH. 4 6 8 SCHMITT, R . 186 SCHOLLER 4 7 1 SCHOTTEN, C. 128 SCHWEIZER 4 4 2 SEIGNETTE 1 8 5 SERTÜRNER 5 0 7 SKRAUP, Z. H . 2 9 5 SOKRATES 5 0 1 SPÄTH, E . 5 0 6 STAUDINGER, H . 2 2 4 STOLL, A . 5 1 0 STRECKER, A . 2 1 2 STRELL, M . 4 1 5 STUART, H . A . 3 8 3 SVEDBERG, TH. 2 0 , 4 8 7 SZENT GYÖRGYI, A . V. 5 2 1 TAKAMINE, J . 5 1 4 THIELE, J . 2 7 6 TIEMANN 162 TISCHTSCHENKO, W . E . 101 TODTENHAUPT 4 8 9 TOLLENS, B . 4 2 4 2 3 3 , TORNESCH 4 7 1 TRAUBE, W . 4 9 1 TREIBS, A . 3 9 0 TROPSCH, H . 3 8 9 TSCHITSCHIBABIN, A . 2 9 3
UGI, I . 3 1 3 VLGNEAUD, V . DU 5 2 3 WAALS, VAN DER 3 5 5 , 3 5 6 WALDEN, P . 3 7 5 WALLACH, O. 196 WARBURG, O. 5 2 9 WATSON, J . D . 4 9 6 WEITZ, E . 3 1 9 WHELAND, G . W . 3 4 0 WIELAND, H . 3 1 9 , 4 6 2 WIELAND, TH. 4 8 2 WILLIAMS, R . R . 5 1 9 WILLIAMSON, A . W . 8 8 WILLSTÄTTER, R . 2 7 6 , 4 1 8 WINDAUS, A . 4 6 2 , 5 2 2 WITT, O. N . 3 9 5 WITTIG, G . 2 5 3 , 2 5 4 , 2 5 7 , 2 6 0 WIZINGER, R . 3 9 5 WÖHLER, F . 3 , 1 4 9 , 3 1 4 , 5 0 6 WOHL, A . 4 3 1 WOLFF, L . 1 0 9 WOLBIROM, M . L . 4 3 7 WOODWARD, R . B . 4 1 5 , 4 6 2 , 5 1 0 WRAY 137 WURSTER 3 1 8 WURTZ, A . 3 3 , 6 3 , 1 9 6 , 2 6 3 WURTZSCHMITT, B . 2 0 ZEISEL 2 2 , 8 9 ZEREWITINOFF, T . 2 2 , 2 6 3 ZETZSCHS, F . 4 5 0 ZIEGLER, K . 2 6 6 , 2 7 7 , 2 9 3
Sachregister Die Seitenzahlen von Verbindungen, die lediglich in Tabellen oder Formelbildern angeführt sind, wurden durch einen *, die wichtigsten Abhandlungsstellen eines Gegenstandes durch Fettdruck hervorgehoben Abazil 150 Abbau, n. CURTXUS 1 2 5 —, n. H O F M A N N , quart. Ammoniumbasen 202 — , n . HOFMANN 1 2 5 , 1 3 4 — , n . HUNSDIECKER 125 — , n . LOSSEN 1 2 5
—, oxydativer 63 —, v. Aminen u. Ammoniumbasen 202 —, v. aromat. Seitenketten 63 —, v. Carbonsäuren 124f. —, v. Eiweißstoffen 479/80 —, v. Kautschuk 453 —, v. Ketonen 110 —, v. Kohlenhydraten 431 —, v. —, C-Atom 6 433 —, v. Naphthalin 178 —, v. Olefinen m. Ozon 42/3 —, v. Schleimsäure 299, 305 Abietinsäure 460 absolute Konfiguration, Best. 377 , Def. 374 Absorptions-farbstoffe, Def. 393 —kurven, v. Farbsystemen 396 Abspaltungsreaktion 40, 71 Ac (Symbol) 9 Acella 442 Acenaphthen 290 —, als Teerbestandtl. 387 —chinon 290 Acenaphthylen 290 —chinon 290 Acetaldehyd 97*, 105 —, Darst. 52 —, Dipolkräfte 356 —, Hyperkonjugation 346 Acetaldehyd-ammoniak 116 —-disulfonsäure 102* Acetaldol 103*, 162 Acetale 100*, 113 —, cyclische 155 —, Theorie d. Spaltg. 332
Acetalisierung 113 Acetal-phosphatide 449 Acetanhydrid 139 Acetanilid 208 Acetat, Def. 126 —seide 442 Acetessigester 192 —, Tautomerie 14, 192 —, Verwendg. 291, 303 Acetessigsäure 192 Aceto-bromglucose 428*, 429* Acetohalogenzucker 428 —, Anwendung 429 Acetolyse, Def. 437 Aceton 109*, 111 —, Hyperkonjugation 346 Aceton-dicarbonsäure 192 Acetonitril 70* Aceton-körper 192 —phenylhydrazon 301 Acetophenon 109*, 111 —oxim, syn- u. anti- 117 Acetyl, Def. 126 Acetylaceton 167 —, AI-Komplex 167 —, Cu-Komplex 167 —, Tautomeriegleichgewicht 166 Acety laceton-enol, Wasserstoff chelat 363 JT'-Acetyl-arsanilsäure 257 Acetyl-chlorid, Sdp. 126 —cholin 210 —Co A 528 Acetylen 51*, 54 —, als Leuchtgasbestandt. 387 —, Rk. m. Se 310 —, Valenzwinkel 379 Acetylen-dicarbonsäure 178 Acetylene 50 f. —, Darstellung 51 —, Eigg. 51 —, Metallderivate 54 —, Nomenklatur 50 —, Polymerisation 53 —, Reaktionen 52 f. Acetylen-tetrachlorid 72
Acetyl-pyrrol, N- u. a-300 Achromycin 525 achsiale Valenzen, Def. 382 Achterschale 7 —, Def. 325 acidum aceticum 139 —, formicicum 137 Acinitro-Form 235 Aci-phenylnitromethan 235 Aconitsäure 177 —, Vorkommen 497 Acoxyradikale, freie 353 Acridin 292*, 297, 402* Acrolein 106 —, als Dienophil 50 —, als Zw.-prod. 295 —, Darst. 105 Acrylnitril 53, 140, 157* —, Verw. 455 Acrylsäure 122*, 140 —, Darst. 52 Acrylsäureester, als Dienophile 50 Actin 486 Actinomyosin 486 2^-Acyl-a-amino-keton 307 N aminosäuren 214* Acyl-Bestimmung 22 —cyanide 188 Acylierung 86,127 —, biochemische 528 —, m.Carbonsäurechloriden 127 —, m. Estern 86 —, m. Ketenen 119 —, m. Phosgen 143 —, m. Säure-anh. 131 —, m. Sulfochloriden 247 — , n . EINHORN 128 — , n . SCHOTTEN/BAUMANN 1 2 8
—, v. Alkoholen 85 —, v. Aminen 198 —, v. 1,3-Dioxoverbb. 165 —, v. i,3-Keto-carbonsäureester 190 —, v. Malonester 174 —, v. Mercaptanen 243 —, v. N0 2 -Ionen 233
536 Acylierungsmittel 86, 119, 127, 131, 143 Acyloinkondensation 107 Adalin 150 Adamantan 281 Adamsit 256 Addend, Def. 42 Addition, an C = O-Doppelbindg. 98 — an Cyanamid 146 —, an Cyansäure u. Deriw. 144 —, an Isonitrile 313 —, an Kohlendioxyd 148, 264 —, an Kohlenoxyd 312 —, an Nitrile 265 —, an N = O-Doppelbindg. 265 —, an Olefine 42 f. —, an —, Mechanism. 335, 350 —, an Rhodanwasserstoff u. Deriw. 152 —, an Schwefelkohlenstoff 151 —, an S0 2 265 —, Poly— 490 1,4—, Def. 49 1,6—, Def. 49 Additionsverbindungen s. auch Molekülverbb. 362 f. Adenin 492/3 Adenosin 493 —diphosphorsäure 527 —mononucleotide 527/8 —monophoaphorsäure 494,527 —3-phosphorsäure-J-phosphor-schwefelsäure 528 —triphosphorsäure 527 , als Energieträger 527/8 Adenylsäure 494 Adermin 520 Adipinsäure 172*, 176 —, Darst. 121 —, Kalksalzdest. 272 —, Nylon-Gew. 489 Adipinsäure-dinitril 205 ADP (Symbol) 527 Adrenalin 514 Adsorptionsfärbung, Def. 397 Äpfelsäure, D- U. L- 184 —, Konfig.-Best. 375 äquatoriale Valenzen, Def. 382 Äthan 30*, 35*, 87 —, als Leuchtgasbestandt. 387 —, Konformationen 380 Äthanal 97* Äthanol 78*, 81 — a m i n 157, 205*, 209 Äthansäure 122*, 139 Äthen s. auch Äthylen 47 Äthenol 90 Äthenyl 39* Äther (Einzelverb.) 89 —-peroxyde 89
Sachregister Äther (Verb.-Klasse) 88f. —, Carbonylierung 312 —cyclische 156f. —•, Lösungseigg. 359 —, Spaltung 89 —, —, Theorie 332 —, v. aromatisch. Alkoholen 89 ätherische Öle 451 Äthin s. auch Acetylen 51*, 54 Äthinylierung 54 Äthoxylbestimmung 89 Äthyl, Def. 31 —acetylen 51* Äthylalkohol 78*, 81 —, Nachweis 72 —, wasserfreier 82 Äthyl-amin 197* —benzol 61*, 64*, 65 —bromid 69* —Chlorid 69* Äthylen 41*, 47 —, als Leuchtgasbestandt. 387 —, Eishydrat 366 —, Gew. aus Crackgasen 392 Äthylen-chlorhydrin 83,154* —chlorid 72 —diamin 204, 205* , Cu-Komplex 198 —glykol 43*. 83*, 155 —imin 203*, 205 —isomeric 18,177 — o x y d 83*, 157 Äthyl-fluorid 69* Äthyliden 39* Äthyl-jodid 69* Äthylmercaptan 242*, 243 —, Geruch 242 Äthyl-nitrit 87 3—-pentan 31* —propyl-acetylen 51* —selen-mercaptan 252* —tellur-mercaptan 252* Aggregation, v. Eiweiß 487 Aglykon, Def. 438 Aj malin 509 Ajowan-öl 455 aktive Methyl(en)gruppe, i. Aldehyden 102 , i. Carbonsäuren 123 , i. Cyclopentadien 273 — •—, in 2,3-Dioxoverbb. 165 , i. Estern 130 •, i. Fluoren 290 , i. Glycin 212 , i. Inden 289 , i. i,