Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien - Verwaltung und Justiz [1 ed.] 9783428482672, 9783428082674

Die in diesem Band veröffentlichten Beiträge sind die erweiterten Referate einer Tagung, die vom 1. - 3. Oktober 1992 in

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German Pages 298 Year 1995

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Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien - Verwaltung und Justiz [1 ed.]
 9783428482672, 9783428082674

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Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien Verwaltung und Justiz

Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungs geschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster, Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken, Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Regensburg

Band 16

Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien Verwaltung und Justiz lIerausgegeben von Christof Dipper Wolfgang Schieder Reiner Schulze

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Volkswagen-Stiftung, Hannover

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien Verwaltung und Justiz I hrsg. von Christof Dipper ... Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte ; Bd. 16) ISBN 3-428-08267-2 NE: Dipper, Christof [Hrsg.]; GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-08267-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 S

Vorwort Die nachfolgenden Beiträge sind die erweiterten Referate einer Tagung, die vom 1. - 3. Oktober 1992 in Trier unter dem Titel "Verwaltung und Justiz unter dem Einfluß der napoleonischen Herrschaft in Deutschland und Italien" stattgefunden hat. Sie diente der Präsentation und vergleichenden Einordnung von Ergebnissen mehrerer Forschungsprojekte, die am von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Sonderforschungsbereich 235 "Zwischen Maas und Rhein: Beziehungen, Begegnungen und Konflikte in einem europäischen Kernraum von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert" in Trier angesiedelt sind. Die Rechts- und Allgemeinhistoriker führten ein über Erwarten intensives Gespräch. Daß sie keine Dolmetscher benötigten, zeigt den guten Stand deutsch-italienischer Wissenschaftsbeziehungen auch im Bereich der Neueren Geschichte. Leider ist es trotz vielfacher Versuche nicht gelungen, französische Kollegen für die Teilnahme zu gewinnen. Wir danken den Referenten für die Überarbeitung ihrer Vorträge, den Übersetzern für ihr mühseliges Geschäft. Silvia Marzagalli hat im Hintergrund wichtige Dienste geleistet. Ohne die Hilfe der VW-Stiftung hätten wir die Tagung nicht durchführen und den Band nicht finanzieren können. Das Karl Marx-Haus Trier gewährte wie schon so manches Mal großzügige Gastfreundschaft in seinen Räumen. Der Sonderforschungsbereich 235 und die Universität Trier, an der die Herausgeber bis zu ihrer Wegberufung lehrten, halfen auf vielfache Weise, die Tagung vorzubereiten und durchzuführen sowie schließlich diesen Band zu publizieren. Allen Personen und Organisationen gilt unser herzlicher Dank. DarmstadtlKöln/Münster im September 1994 Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis Christo! Dipper

Einleitung: Die zwei Gesichter der napoleonischen Herrschaft .............

11

Teil A Verwaltungskonzeptionen und Verwaltungseliten

Stuart Woolf

Eliten und Administration in der napoleonischen Zeit in Italien . . . . . . . . . . .. 29 Ca rio Ghisalberti

Form und Struktur der napoleonischen Verwaltung in Italien: Departements und Präfekten ....................................................... 45 Livio Antonielli

Die Verwaltungselite im napoleonischen Italien (Italienische Republik und Königreich Italien) ................................................... 53 Jörg Engelbrecht

Grundzüge der französischen Verwaltungspolitik auf dem linken Rheinufer (1794 - 1814) . . ... . ... .... .. . ... . .. . ... ... . .. . . .. . ..... . ... . ... . ..... 79 Sergij Vilfan

Von den französischen Illyrischen Provinzen zum österreichisehen Königreich Illyrien ........................................................ 93 Teil B Wohlfahrtsverwaltung

Calixte Hudemann-Simon

Zur staatlichen Gesundheitspolitik in den Rheinlanden während der französischen Zeit '........................................................... 121 Gabriele B. Clemens

Beamte im napoleonischen Rheinland .................................. 141

8

Inhaltsverzeichnis

Edoardo Bressan Wohlfahrtspolitik in der Lombardei in der napoleonischen Zeit ............ 157 Teil C Kirchen- und Kultusverwaltung

Daniele Menozzi Die Entwicklung der Kirchenverwaltung in Italien unter französischem Einfluß ................................................................ 175 Elisabeth Wagner Die Kirchenpolitik im napoleonischen Rheinland. Zur Indienstnahme der Geistlichen ......................................................... . 201 Cilli Kasper-Holtkotte Kultuspolitik und -verwaltung der Juden unter napoleonischer Herrschaft ... 225 Teil D Justiz

Antonio Grilli Konzeptionen für die Justiz der Rheinlande in der französischen Zeit ...... 243 Armando De Martino Die Gerichtsverfassung im Königreich Neapel zwischen Ancien regime und neuer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Autorenverzeichnis

297

Abkürzungsverzeichnis ACIP

Archives Consistoriales des Israelites Paris

ANP

Archives Nationales Paris

ASM

Archivio di Stato di Milano

ASN

Archivio di Stato di Napoli

BAT

Bistumsarchiv Trier

CAHJP

Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem

HSAB

Hauptstaatsarchiv Brühl

HSAD

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf

LAS

Landesarchiv Speyer

LASB

Landesarchiv Saarbrücken

LHAK

Landeshauptarchiv Koblenz

STAA

Stadtarchiv Aachen

STAL

Stadtarchiv Ljubljana

STAM

Stadtarchiv Mainz

STAT

Stadtarchiv Trier

Einleitung: Die zwei Gesichter der napoleonischen Herrschaft Von Christof Dipper Die Forschungen zur napoleonischen Herrschaft haben seit den 1960er Jahren einen enonnen Aufschwung genommen 1. Das gilt nicht nur für Deutschland. Das langsame Verschwinden der nationalpolitischen Geschichtsschreibung war die wichtigste Voraussetzung für das gestiegene Interesse. Es wurde begleitet vom Bedeutungsverlust der Biographie als historiographischer Gattung. Die letzten beiden einschlägigen Titel von Rang, Tulards "Napoleon ou le mythe du sauveur" von 1977 und Dufraisses "Napoleon" von 1987, sind in Wirklichkeit streckenweise schon fast so etwas wie Anti-Biographien2 . So wurde der Blick frei für die vielfältigen Veränderungen, die die napoleonische Herrschaft nicht nur für Frankreich selbst, sondern für den ihr unterworfenen Teil Europas bewirkt hat. Die Historiker haben diese Veränderungen überwiegend als Modernisierungsschub gedeutet - kein Wunder, wenn man sich die Karriere dieses Interpretaments in den letzten dreißig Jahren vor Augen hält - und dementsprechend positiv bewertee. Ohne fran1 Wie weit die Forschung vorangekommen ist, zeigt sich sofort, wenn man die Ergebnisse der von französischen Historikern bestrittenen Sektion auf dem 12. Internationalen Historikerkongreß in Wien vergleichend heranzieht, die, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, nicht nur eine Bilanz des inzwischen Erforschten darstellt, sondern zugleich den Startschuß für eine weitere Erforschung der Geschichte der Französischen Revolution und der napoleonischen Zeit eingeläutet hat: Le bilan du monde en 1815, in: XIIe Congres International des Sciences historiques. Rapports, Bd. I, Horn b. Wien o. 1. (1965), S. 451 - 573. 2 Dies ergab die Durchsicht aktueller Buchhandelskataloge mehrerer Länder, die neben manchen Neuerscheinungen vor allem aus der Feder von Nicht-Historikern bezeichnenderweise immer noch ältere Darstellungen in Neuauflagen verzeichnen, von Dumas und Tarle über Kircheisen und Emil Ludwig bis zu Lefebvre und Sieburg. Als Forschungsüberblick Hans Richter, Napoleon in der deutschen Geschichtsschreibung, in: Francia, 14, 1986, S. 530 - 560; Tulards Biographie ist 1978 in deutscher Übersetzung erschienen, das Buch von Dufraisse 1994. 3 Neueste Beispiele aus prominenten Federn sind Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 - 1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 31 ff.; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modemisierung der Reformära 1700 - 1815, München 1987, S. 363ff.; Wolfgang Schieder (Hrsg.), Säkularisation und Mediati-

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Christof Dipper

zösische Intervention kein Risorgimento, stellte Omodeo schon in der Zwischenkriegszeit fest 4 , während Schnabel gleichzeitig die bleibenden Leistungen des Empire ausführlich würdigte 5 . Nach dem Zweiten Weltkrieg gerieten die in diesen frühen Darstellungen gemachten Vorbehalte in Vergessenheit. Wer überhaupt noch von der Unpopularität der Reformen und vom Repressivcharakter des Herrschaftssystems sprach, beeilte sich hinzuzufügen, daß dies eben der Preis für das Erreichte gewesen sei. Zuletzt wurde nicht einmal mehr vom Preis geredet und das napoleonische System als eine Frühform europäischer Integration gedeutet, friedlich und auf Zusammenarbeit mit den Beherrschten ausgerichtet6 • Die nachfolgenden Beiträge fügen sich, wie könnte es anders sein, in die hier mehr als knapp skizzierte historiographische Entwicklung ein. Sie steuern jedoch auch wichtige Erkenntnisse bei, die dem hellen Licht, dessen sich die napoleonische Herrschaft derzeit erfreut, die unvermeidlichen Schatten beifügen. Sollte sich diese Nuancierung durchsetzen, könnte dem Sammelband eine Bedeutung zuwachsen, die bei seiner Konzeption noch gar nicht absehbar war. Die Konzeption steht in engem Bezug zu den Forschungen, die an der Universität Trier seit deren Gründung zur Geschichte des Rheinlands in französischer Zeit betrieben werden. Zunächst standen hierbei Durchführung und Folgen der Nationalgüterverkäufe im Mittelpunkt7 • Der 1987 in Trier eingerichtete Sonderforschungsbereich 235 "Zwischen Maas und Rhein" erlaubte eine Erweiterung der Fragestellungen. So wurden zunächst Aspekte der französischen HerrschaftS bzw. die Geschichte der Wiederherstellung und Reprivilegierung des rheinischen Adels nach 1815 erforscht9 . 1990 kam der vom Code civil geprägte Rechtsalltag hinzu 10. Bei aller sierung in den vier rheinischen Departements 1803 - 1813, Bd. 1: Einführung und Register, Boppard 1991, S. 17ff.; Lothar Galt, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, München 1993, S. 17ff., S. 51 ff. 4 Adolfo Omodeo, L'eta de1 Risorgimento, Messina 1932 (deutsche Übersetzung: Die Erneuerung Italiens und die Geschichte Europas 1700 - 1920, Zürich 1951, S. 9). 5 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 1: Die Grundlagen der neueren Geschichte, Freiburg 1929, S. 132ff. 6 Stuart Woolf, Napoleon's Integration of Europe, London/New York 1991. 7 Näheres dazu bei Christo! Dipper, Die Nationalgüter im Rheinland, in: Historische Zeitschrift, 257, 1993, S. 693 - 698. 8 Ausschnitte hiervon in den in diesem Band abgedruckten Aufsätzen von Calixte Hudemann-Simon, Gabriele Clemens, Cilli Kasper-Holtkotte und Elisabeth Wagner. 9 Das vorläufige Ergebnis dieser Untersuchung bei Christo! Dipper, Der rheinische Adel zwischen Revolution und Restauration, in: Helmut Feigl/Willibald Rosner (Hrsg.), Adel im Wandel, Wien 1991, S. 91 - 116. 10 Näheres siehe Reiner Schulze, Die rheinische Judikatur im frühen 19. Jahrhundert zwischen gemeinrechtlicher Tradition und französischem Recht. Grundlagen und Ziele eines Forschungsprojektes, in: Heinz Mohnhaupt/Dieter Simon (Hrsg.),

Einleitung

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unterschiedlichen Interessenrichtung im Detail sind doch auf diese Weise drei eng aufeinander bezogene und miteinander abgestimmte Untersuchungsschwerpunkte entstanden, deren Kernbereich das linksrheinische Deutschland zwischen 1794 und 1813/14 umfaßt. Die diesen drei Projekten zugrundeliegende gemeinsame Fragestellung geht von der Annahme aus, daß die französische Herrschaft im Rheinland nicht nur eine neue Phase der Geschichte jener Region, sondern eine neuartige Form politischer Erfassung und Erschließung eines gegebenen Raumes bedeutet hat, der so einen spezifischen, bis ins 20. Jahrhundert hinein prägenden Charakter erhalten hat. Indem die Ergebnisse der Revolution in Frankreich auf die damals noch altertümliche Herrschafts- und Gesellschaftsverfassung im Rheinland übertragen wurden, entstanden dort Verhältnisse, die alle Merkmale einer Revolution von oben aufwiesen: die Modernität der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen kontrastierte in vielfältiger Weise mit der Rückständigkeit vieler gesellschaftlicher Strukturen und mit der Traditionsbindung der Werthaltungen. Hinzu kamen die von der napoleonischen Kriegführung verursachten Abflüsse finanzieller und personeller Ressourcen, die die Kluft zwischen Programm und Wirklichkeit nur noch breiter werden ließen. Es wäre jedoch ein Irrtum, von diesem Befund auf eine mehr oder weniger altertümliche Wirklichkeit schließen zu wollen. Das Modernitätsgefälle entsprach nämlich nicht nur den Einfluß- und Regelungsmöglichkeiten des Staatsapparates, auch wenn staatsnahe Institutionen, Verwaltung und Rechtsprechung vor allem, interessanterweise aber auch die Kirchen, in französischer Zeit sich radikal von den Verhältnissen im Ancien regime fortentwickelten. Neben der institutionellen Modernisierung, mit ihr verbunden, aber eigener Logik und eigenen Zeittakten folgend, verlief der Prozeß gesellschaftlichen Wandels. Das Ende von Grundherrschaft und Zunftverfassung sowie der Anschluß an den großen französischen Markt beschleunigten Vorgänge, die vielfach bereits angelegt waren, bevor die neue Herrschaft sich etabliert hatte. Im Westen des Reiches waren im Unterschied zu den politischen die gesellschaftlichen Verhältnisse seit langem vielgestaltiger und damit teilweise auch moderner, ähnelten die Entwicklungen in Landwirtschaft ll und Gewerbe eher den dynamischen Vorgängen in den im Westen gelegenen Nachbarterritorien als den östlich des Rheins anzutreffenden Zuständen. Zur Einordnung der Ergebnisse - das in kurzer Zeit Zusammengetragene ist weitaus materialreicher als die jahrzehntelange intensive Erforschung der Vorträge zur lustizforschung. Geschichte und Theorie, Bd. 2, Frankfurt 1993, S. 285 - 302. II Zahlen zur Landwirtschaft bei Christo! Dipper, Die soziale Verteilung des Grundbesitzes in Deutschland am Ende des Ancien Regime. in: Annali dell'Istituto Storico Italo-Germanico in Trento, 5, 1979, S. 507 - 516.

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jüngeren rheinischen Geschichte erwarten ließ - empfahl sich ein Blick in andere Regionen. Für diesen Vergleich eignet sich ein Gebiet besonders gut: das Oberitalien der Italienischen Republik bzw. des Königreichs Italien 12 • Es war dies zwar, anders als das Rheinland, ein nominell selbständiger Staat (mit ca. 6,7 Mill. Einwohnern gegenüber 2,5 Mill. im linksrheinischen Deutschland), doch blieb er politisch Frankreich engstens zugeordnet - seit 1802 war Napoleon schon Präsident der Italienischen Republik, seit 1805 regierte er das Land als König -, verfügte über dasselbe Gesetzbuch, kannte dieselbe Verwaltungs struktur, hatte eine ähnliche konfessionelle Bevölkerungsstruktur und war ebenfalls zu einer Umorientierung seiner Absatzmärkte gezwungen. Daß auch andere Länder in einen solchen Vergleich einbezogen werden können, versteht sich von selbst. Für die Zeit nach 1815 eignet sich hierfür ganz besonders das Königreich Illyrien. Die damals zu Wien geschlagene Ländermasse behielt ebenfalls, wenn auch mit Abstrichen, die von Frankreich eingeführte Rechts- und Verwaltungsordnung 13 . Dadurch ergaben sich dort Spannungen mit dem vielfach noch auf vorrevolutionären Institutionen gegründeten Regierungsapparat, die denjenigen zwischen dem Rheinlanrl einerseits, Berlin, Darmstadt und München andererseits ähnlich waren. Das Kolloquium hat zunächst einmal die Tragfähigkeit des vergleichenden Verfahrens erwiesen, was natürlich nicht bedeutet, daß auf allen Ebenen identische Ergebnisse zustandegekommen sind. Vielmehr ist oft das Gegenteil der Fall, ein Indiz für die nach wie vor große Abhängigkeit auch des napoleonischen Regimes von Traditionen und vorgegebenen Rahmenbedingungen. Gerade der große Themenblock zu den Verwaltungskonzeptionen und -eliten hat diese Abhängigkeit deutlich gemacht. Stichworte wie Zentralisierung, Hierarchisierung, Professionalisierung und Elitenfusion umreißen in der Sprache der Gegenwart die Ziele napoleonischer Verwaltungs- und Personalpolitik. Das war nicht für alle Territorien gleichermaßen neu. In Neapel und der Lombardei, ganz besonders in dieser, hatten solche Grundsätze schon eine längere Tradition. In Modena, in den ehemaligen Legationen und in der Toskana dagegen, wo bisher die Kommunen großen politischen Spielraum besessen hatten, lösten dieselben Maßnahmen bei den adligen Grundbesitzern großen Unmut aus. Wieder anders im Rheinland, wo nach der Flucht der alten Eliten kaum jemand bereit war, die überlieferten Verfassungszustände zu verteidigen; die radikalen Neuerungen trafen daher auf die Zustimmung der bisher zurückgesetzten Fachleute bzw. Ver12 Neuerer Gesamtüberblick von Ca rIo Zaghi, L'Italia di Napoleone dalla Cisalpina all Regno, Turin 1986. Zur vorangehenden Zeit derselbe, 11 Direttorio francese e la Repubblica cisalpina, 2 Bde., Rom 1992; vgl. zuletzt G. L Fontana/A. Lazzarini (Hrsg), Veneto e Lombardia tra rivoluzione giacobina ed eta napoleonica, Rom, Bari 1992. 13 Dazu unten der Beitrag von Sergij Vilfan.

Einleitung

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mögenden bürgerlicher Herkunft. Nach 1814/15 sollte sich gerade am weiteren Schicksal der inzwischen eingeführten Verwaltungsinstitutionen zeigen, wie unterschiedlich die Zustimmung der Oberschichten zu diesem Aspekt der napoleonischen Herrschaft war. Vollständig beseitigt wurde das neue Verwaltungssystem nur im Kirchenstaat und im restaurierten Großherzogturn Toskana; die Preußen stülpten zwar ihre im Osten entwickelte Kreis- und Provinzialverfassung dem Rheinland über, behielten aber auf der untersten Ebene die mairie und damit die Gleichberechtigung von Stadt und Land bei, die dadurch neben dem Rheinischen Recht und den Handelskammern zum Kern der rheinischen Sonderverfassung und des daran gekoppelten Selbstverständnisses der Bevölkerung avancierte. Hessen und Bayern übernahmen das vorgefundene Verwaltungssystem sogar unverändert, und zwar einschließlich der Institution der Generalräte. Das ralliement der Oberschichten fiel also durchaus unterschiedlich aus, aber die Zustimmenden waren deutlich in der Überzahl. Napoleon geizte schließlich auch nicht mit Ehrenvorrechten und Auszeichnungen aller Art, um die Eliten auf seine Seite zu ziehen, von materiellen Vorteilen ganz zu schweigen. Kann daraus aber schon der Schluß gezogen werden, daß es zu einer Fusion der unterschiedlichen Eliten gekommen ist?14 War sie überhaupt überall gleich wichtig wie in Frankreich, wo Napoleon dieses Kunststück zweifellos gelungen ist? Das Kolloquium förderte vor allem zwei Erkenntnisse zutage. Erstens unterschieden sich die repräsentativen Körperschaften (Wahlkollegien, Gemeinderäte, Generalräte, Senat) in ihrer sozialen Zusammensetzung deutlich von den Verwaltungen. Hier war das Übergewicht der grundbesitzenden Eliten erkennbar geringer als dort, was nichts anderes heißt, als daß Professionalisierungsgesichtspunkte für höhere Beamtenstellen an Bedeutung gewonnen haben 15 . Je länger die napoleonische Herrschaft dauerte, desto klarer wird diese vom Regime gesteuerte Funktionsteilung der Elite, die übrigens in Oberitalien, wo die Großgrundbesitzer nicht geflohen waren und dementsprechend politisch eingebunden werden mußten, stärker ausgeprägt war als im Rheinland mit seinem durch die Verhältnisse erzwungenen Übergewicht der hohen Beamten, die fast ausnahms14 Hierzu Louis Bergeron, L'episode napoleonien, Bd. I: Aspects interieurs, 1799 - 1815, Paris 1972, S. 76ff.; eine knappe deutsche Zusammenfassung: derselbe, Die französische Gesellschaft von 1750 - 1820. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, in: Zeitschrift für Historische Forschung, 4, 1977, S. 131 - 146, (l43f.); zu italien, wo der soziale Wandel noch geringer war, der bahnbrechende Aufsatz von Carlo Capra, Nobili, notabili, elites: dal "modello" francese al caso italiano, in: Quademi storici, 37, 1978, S. 12 - 42. 15 Eine wichtige Ausnahme bildeten allerdings die maires, die alle Wahlbeamte waren, ihr Amt im Nebenberuf ausübten und als Notabeln in der Regel von ihrem Vermögen bzw. in ländlichen Gemeinden von ihren Einkünften aus der Landwirtschaft oder ländlichen Gewerbebetrieben lebten.

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los auch zu den Höchstbesteuerten zählten 16. Diese Teilung beschränkte sich jedoch, und das ist wichtig, auf den politischen Bereich. Gesellschaftlich waren die Kontakte dagegen eng. Besonders in den Logen traf sich praktisch die gesamt napoleonische Elite, ob Einheimische oder Franzosen l7 • In den exklusiveren Zirkeln bis hin zur kaiserlichen Ehrengarde war dies nicht anders, weil in feiner Dosierung bewußt gesteuert, so daß die Hierarchie der Ehrenstellen einem klaren gesellschaftspolitischen Ziel diente, der Amalgamierung von Stadt und Land, Bildung und Besitz, Militär und Zivilisten, Adel und Bürgertum. Wie hätte auch sonst das Notabelnregime funktionieren sollen? Und doch gab es, zweitens, Friktionen, und zwar eben als Folge der von Paris aus gesteuerten Karrieren: Franzosen hatten generell die besseren Chancen. Die strategisch wichtigen Bereiche des Staatsapparates waren besser besoldet und weitgehend in französischer Hand: die Präfekturen, die öffentlichen Ankläger bei den Obergerichten, die Finanzverwaltung und natürlich Militär und (Geheim-)Polizei. Klientelismus und Patronage sorgten dafür, daß zwischen den verschiedenen Laufbahnen enge Beziehungen herrschten. Am engsten waren sie, soweit die bisherigen Untersuchungen dies erkennen lassen, zwischen Heeres- und Finanzverwaltung, was sich schon durch einen Blick auf die Sachzwänge der Feldzüge und ihre Finanzierung erklärt. Diese Verhältnisse erleichterten wiederum Amtsmißbrauch und Korruption, so daß der mit Abstand am übelsten beleumundete Verwaltungszweig damals das Finanzwesen war. Der enorme und obendrein ungleich verteilte Steuerdruck tat ein übriges. Es ist daher wohl kein Zufall, daß in den unruhigen Tagen zwischen dem Sturz Napoleons und der Errichtung neuer Herrschaften vor allem Finanzbeamte Opfer der kochenden Volksseele wurden; prominentester Fall ist Giuseppe Prina, Finanzminister des Königreichs Italien, den eine aufgebrachte Menschenmenge am 20. April 1814 in Mailand lynchte. 16 Das gilt ganz besonders für das Donnersberg-Departement. Siehe Grands Notables du Premier Empire. Notices de biographie sociale, Bd. 3: Bas-Rhin (par Michel Richard); Sarre, Mont-Tonnere, Rhin-et-Moselle, Roer (par Roger Dufraisse), Paris 1978. Eine Auswertung findet sich bei Roger Dufraisse, "Elites" anciennes et "elites" nouvelles dans les pays de la rive gauche du Rhin a l'epoque napoleonienne (1982), jetzt in: derselbe, L'Aliemagne a l'epoque napoleonienne. Questions d'histoire politique, economique et sociale, Bonn, Berlin 1992, S. 409 - 448. 17 Näheres bei Winfried Dotzauer, Freimaurergesellschaften am Rhein. Aufgeklärte Sozietäten auf dem linken Rheinufer vom Ausgang des Ancien Regime bis zum Ende der napoleonischen Herrschaft, Wiesbaden 1977; zu vielen Logen hat Dotzauer vorher und später Aufsätze verfaßt, die im Lokal- und Regionalschrifttum erschienen sind; für Italien existiert, salvo errore, keine vergleichbare Übersicht; die Vorgeschichte bei Carlo Franeovieh, Storia della massoneria in Italia. Dalle origini alla rivoluzione francese, Florenz 1989.

Einleitung

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So hat schon der erste Themenblock neben den gegenwärtig stark betonten Licht- auch die Schattenseiten der napoleonischen Herrschaft hervortreten lassen. Noch stärker kamen diese zur Sprache in den Beiträgen zur Wohlfahrtsverwaltung jener Zeit. Hier betrat die Tagung bislang teilweise vollkommen unerschlossenes Gelände. Die mechanische Übertragung der auf die innerfranzösischen Zustände abgestellten gesundheits politischen Reglements auf das linksrheinische Gebiet war verwaltungstechnisch zwar naheliegend, bewirkte hier aber das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war. Außerdem fehlten die für die Reformen benötigten Gelder wegen der kostspieligen Feldzüge. Die Zwickmühle napoleonischer Politik wird hier deutlich sichtbar. Die Eroberer rechtfertigten ihre Politik zwar mit der Notwendigkeit der Universalisierung der revolutionären Errungenschaften, doch setzte dies eben jene Mittel voraus, die vom Hegemonialanspruch des Kaisers fortwährend verschlungen wurden. Als Folge verschlechterte sich u. a. die medizinische Versorgung der Bevölkerung erheblich, und zwar ganz besonders die des flachen Landes ls . Dadurch erhielten jene Heil-"Berufe" eine unerwartete Chance, denen die akademische Medizin seit der Aufklärung den Kampf angesagt und sie dementsprechend als "Quacksalber" und "Scharlatane" denunziert hatte. Der Fehlschlag der Modernisierung auf diesem Gebiet verursachte eine deutliche Zunahme traditioneller Heilverfahren in der Provinz, was die Aufgeschlossenheit der Bevölkerung für andere Reformmaßnahmen nicht eben gefördert hat. Dies wird von der Entwicklung des Wohlfahrts wesens vollauf bestätigt. Den unzureichenden Verhältnissen auf dem Gebiet der kirchlichen Kranken- und vor allem Armenfürsorge im Rheinland und in Oberitalien (dort mit Ausnahme der ehemals österreichisehen Gebiete)l9 setzten die Revolu18 Näheres dazu unten bei Calixte Hudemann-Simon sowie bei derselben, Wohlfahrts-, Arrnen- und Gesundheitswesen in der Saarregion 1794 - 1813, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte, 17, 1991, S. 129 - 158. Entsprechendes läßt sich auch in Italien beobachten. Beispiele zu Neapel bei G. Botti, L'organizzazione sanitaria nel decennio francese, in: Aurelio Lepre (Hrsg.), Studi sul Regno di Napoli nel decennio francese (1806 - 1815), Neapel 1985. 19 Zum Rheinland in vorrevolutionärer und napoleonischer Zeit die einleitenden Passagen bei Envin Gatz, Kirche und Krankenpflege im 19. Jahrhundert. Katholische Bewegung und karitativer Aufbruch in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen, Paderborn 1971; zu Italien allgemein die trotz des Titels vornehmlich diesem Land gewidmeten gesammelten Aufsätze von Stuart Woolf: The Poor in Western Europe in the 18th and 19th Centuries, London/New York 1986; Oberitalien behandelt Ada Annoni, Assistenza e beneficenza nell'eta delle riforme, in: Aldo De Maddaiena/Ettore Rotelli/Gennaro Barbarisi (Hrsg.), Economia, istituzioni, cultura in Lombardia nell'eta di Maria Teresa, Bd. 3, Bologna 1982, S. 233 - 296; ferner Edoardo Bressan, Chiesa milanese e assistenza nell'eta delle riforme in: Antonio Acerbi/Massimo Marocchi (Hrsg.), Ricerche sulla Chiesa di Milano nel Settecento, Mailand 1988, S. 150 - 179; zu Neapel L. Valenzi, La povertä. a Napoli e l'intervento dei governo francese, in: Lepre (Fn. 18). 2 DipperlSchiederlSchulze (Hrsg.)

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Christof Dipper

tionäre ihre wohlfahrtsstaatliche Utopie entgegen. Sie erreichte in der kurzen jakobinischen Phase sogar Verfassungsrang. Die Lage der Armen verbesserte sich dadurch nicht. Die Maßnahmen in vornapoleonischer Zeit erreichten zunächst einmal nur, daß die bisher zur Verfügung stehenden Ressourcen - kirchliche Vermögenswerte - kassiert und die damit bisher befaßten Personengruppen - Geistliche, städtische Eliten - ihrer Funktion enthoben wurden. Im Rheinland verfuhr Napoleon später zwar vorsichtiger bei der Enteignung von Kirchengütern, doch machte dies den Mangel an Pflege- und Aufsichtspersonal sowie geeigneter Arbeitsmöglichkeiten nicht wett. Die von Beamten beaufsichtigten Zucht- und Armenhäuser funktionierten daher nicht im vorgesehenen Sinne. Die zukunftweisende Idee eines Bürgerrechtes der Armen und Kranken auf Hilfe blieb Projekt, das offenkundige Versagen des Staates bestärkte in Oberitalien Teile der Kirche, vor allem die Pflegeorden, im Rheinland dagegen bürgerliche Kreise in ihren Vorbehalten gegen das Regime. Der ,Fehler' der Revolutionäre bzw. Napoleons war es, das Wohlfahrtswesen zum Politikum gemacht zu haben. Für ein Regime, dessen Legitimität grundsätzlich auf schwachen Füßen stand, war dies nicht ungefährlich. Der Kaiser war kein roi thaumaturge, er konnte seine Herrschaft nur durch Fortschritt und Effizienz rechtfertigen. Dieser Nachweis gelang ihm wegen der durch permanenten Krieg begrenzten Ressourcen nur bei einigen Minderheiten, und auch das nicht auf Dauer. Ähnlich zwiespältig fallt die Bilanz seiner Kirchenpolitik aus. Er beendete zwar den jakobinischen Kirchenkampf, setzte andererseits aber die Tradition des Staatskirchenturns der Spätaufklärung fort, die die Geistlichen weniger als Seelsorger denn als "Volkslehrer" betrachtete2o • Die Kontinuität ist im Königreich Italien am deutlichsten, wo Giovanni Bovara, der schon in josephinischer Zeit wichtige Funktionen bekleidet hatte, von 1802 bis zu seinem Tode 1812 als Kultusminister amtierte 21 • Mit dieser Politik verschaffte Napoleon sich fraglos den Beifall der Eliten, er verletzte damit aber die traditionellen kultischen Versorgungs bedürfnisse der gläubigen Massen in elementarer Weise. Auch die Neufestsetzung der Pfarrgrenzen war eine Maßnahme von Städtern für Städter, die Landgemeinden sahen sich nunmehr noch schlechter versorgt als vordem und wenn sie dies ändern wollten, mußten sie, deren Ressourcen naturgemäß besonders knapp waren, dies aus eigener Tasche bezahlen 22 • 20 Zum Geistlichen als "Volkslehrer" im Sinne der Obrigkeit Christo! Dipper, Volksreligiosität und Obrigkeit im 18. Jahrhundert, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.), Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte, Göttingen 1986, S. 73 - 96; für Italien ist auf die kaum zu überblickende Zahl von Beiträgen zum sog. Spätjansenismus zu verweisen. 21 Statt vieler Belege Lucia Sebastiani, Giovanni Bovara, in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 13, Rom 1971, S. 537 - 540.

Einleitung

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Es verdient jedoch festgehalten zu werden, daß die in ihren Grundsätzen einheitliche Kirchenpolitik ganz unterschiedlich wirkte, je nachdem mit welchen Traditionsbeständen sie es zu tun hatte. Von protestantischer Seite erfuhr sie am wenigsten Einwände, ja in diesem Falle konnten die Maßnahmen Napoleons geradezu als eine Befreiung von langer Unterdrückung, wenn nicht gar Verfolgung empfunden werden; dies war vor allem in Innerfrankreich der Fall. Der rheinische Katholizismus tat sich dagegen schwerer. Zumindest der jüngere Klerus hatte hier jedoch die reformierten Universitäten bzw. Seminare durchlaufen und war insofern seit langem mit aufgeklärt-spätjansenistischem Gedankengut in Kontakt gekommen 23 . Die auch im Rheinland vielerorts erfahrbare Existenz zweier christlicher Bekenntnisse hat außerdem den Katholizismus immer wieder, und ganz besonders in den letzten Jahrzehnten vor der Revolution, zur Selbstkritik gezwungen. Wenn die außerordentliche Beteiligung der Gläubigen an der vom Kaiser und Bischof Mannay 1810 organisierten Wallfahrt zum "Heiligen Rock" nach Trier4 , der ersten ,von oben,25 inszenierten religiösen Massenveranstaltung des 19. Jahrhunderts, als Maßstab für die Zustimmung des Kirchenvolkes zur staatlich kontrollierten Frömmigkeit gewertet werden kann, hatte weder Napoleon noch die katholische Kirche im Rheinland viel Grund zur Klage. Cum grano salis gilt dies auch für das ehemalige habsburgische Gebiet in Oberitalien. Hier hatten die Menschen schon zu Zeiten Josephs H. rigorose Eingriffe erlebt, die nach 1760 geborenen Geistlichen nie etwas anderes kennengelernt. Außerhalb der ex-österreichischen Lombardei aber lagen die Dinge anders. Vor allem im Gebiet der früheren Legationen kam zum Schock wegen der Enteignung des Kirchenguts das Erschrecken über die 22 Ein gutes Beispiel hierfür liefert Elisabeth Wagner, Tradition und Innovation. Das Pfarrsystem in Trier an der Wende zum 19. Jahrhundert, in: Kurtrierisches Jahrbuch, 33, 1993, S. 217 - 244. In der österreichischen Lombardei (wie auch in den Erblanden) hatte bereits Joseph H. die Neuumschreibung der Pfarrgrenzen durchgesetzt; auch hier blieben die Reformen auf die Stadt beschränkt, die kirchliche Versorgung der ländlichen Bevölkerung verschlechterte sich also mindestens relativ. Näheres dazu bei Lucia Sebastiani, La riorganizzazione delle parocchie milanesi nel periodo giuseppino, in: Quademi storici 15, 1970, S. 866 - 910. 23 Die Erzdiözese Trier ging hierbei sicherlich ain weitesten. Dazu Franz-Rudolj Reichert, Trierer Seminar- und Studienreform im Zeichen der Aufklärung (1780 1785), in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 27, 1975, S. 131 - 202, sowie derselbe. Das Trierer Priesterseminar zwischen Aufklärung und Revolution (1786 - 1805), in: ebenda 38, 1986, S. 107 - 144. 24 Zahlen bei Hubert Schiel, Zur Heiligen-Rock-Wallfahrt im Jahre 1810, in: Vierteljahrsblätter der Trierer Gesellschaft für nützliche Forschungen, 5, 1959, S. 17 - 23. 25 Dieses Interpretament entwickelte Woljgang Schieder in seinem Aufsatz: Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844, in: Archiv für Sozialgeschichte, 14, 1974, S. 419 - 454.

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,ruchlosen' Eingriffe in Pfarrwesen und Gottesdienst. Die Refonner waren hier eine kleine und um so radikalere Minderheit, die letzten Endes den Katholizismus wie im Frankreich der 1790er Jahre durch eine religion civile ersetzen wollten. Das forderte Widerstand heraus, der jedoch, zum Glück für die neuen Machthaber, im Unterschied zu Rußland, Spanien oder dem nahen Tirol, spontan und lokal blieb. 1813114, beim Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft, fand in Italien nicht wie 1799/1800 ein sanfedistischer Kreuzzug statt, aber die restaurierten Regimes waren sich wohlbewußt, daß sie ohne wichtige kirchenpolitische Zugeständnisse andere, unaufgebbare Errungenschaften des Revolutionszeitalters nicht würden beibehalten können. Die religiösen Gefühle der Massen bedurften der Schonung26 . Eher noch brutaler hat Napoleon die religiösen Bedürfnisse der Juden verletzt. In den Augen der traditionsorientierten Landjuden, die die übergroße Mehrheit der jüdischen Gläubigen im Rheinland stellten, wog die Beendigung des Sonderrechts und die Befreiung aus dem Ghetto gering angesichts des von Paris verordneten vollständigen Bruchs mit der überlieferten Gemeindeverfassung und der mit ihr verbundenen überlieferten Kultur. Die 1808 verkündeten Beschlüsse des Großen Sanhedrin, die auch für das Italien außerhalb des Empire galten, waren das Dokument assimilationswilliger Stadtjuden, die sich mit der am Protestantismus orientierenden Konsistorialverfassung einen Ausweis ihres eigenen kulturellen Anspruchs ausstellten, die Kosten dafür aber ihren bettelarmen, auf dem Lande wohnenden Glaubensgenossen aufbürdeten. Darüber kam es zum Bruch innerhalb des Judentums, der auch nach 1815 trotz zahlreicher Proteste und Eingaben nicht wieder rückgängig gemacht worden ist27 • Es ist daher wohl nicht übertrieben, wenn festgestellt wird, daß keine andere Bevölkerungsgruppe so elementar von der napoleonischen Herrschaft betroffen worden sei wie die Juden. Gemessen an diesen Befunden mag das einhellige Lob über die justizpolitischen Leistungen Napoleons vielleicht überraschen. Wenige Errungenschaften seiner Zeit hatten ein so unumstrittenes und daher langes Nachleben wie die fünf Gesetzbücher, insbesondere der Code civil. Im Rheinland 26 Weiteres Material zur oberitalienischen Religionsgeschichte in: Problemi di storia religiosa lombarda, Corno 1972; jüngst auch Ivo Biagianti, Riforme ecclesiastiche e pratica religiosa dall'assolutismo illuminato all'eta napoleonica, in: L'ltalia giacobina e napoleonica, Mailand 1985, S. 105 - 142. 27 Auch anderswo ist die Emanzipation damals gescheitert, weil sie von den Juden die Aufgabe ihrer hergebrachten Identität verlangte, wozu diese weder bereit waren noch eigentlich bereit sein konnten. Siehe J. Friedrich Battenberg, Die Französische Revolution und die Emanzipation der Juden im Elsaß und in Lothringen, in: Volker Rödel (Hrsg.), Die Französische Revolution und die Oberrheinlande (1789 - 1798), Sigmaringen 1991, S. 245 - 273.

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wurde er nach 1815 gegenüber Preußen, Hessen und Bayern als Rheinisches Recht umgedeutet und verteidigt. Tatsächlich zeigte sich die französische Justiz ungewöhnlich anpassungsbereit. Als sie den linksrheinischen Departements ihr System überstülpte, übernahm sie vielfach das Personal, handhabte die Sprachenfrage zumindest auf der Ebene der Tatsacheninstanzen pragmatisch28 und berücksichtigte das einheimische Recht in den die Allgemeinheit besonders berührenden Bereichen des Pacht- und Erbrechts in gewissem Umfang. Vor allem der Grundsatz der entschädigungslosen Entfeudalisierung machte die französische Herrschaft und das von ihr eingeführte Recht bei der Masse der Bevölkerung populär, auch wenn in vielen Fällen die Rechtsnatur von Abgaben strittig blieb und einer gerichtlichen Klärung bedurfte, die kompliziert, kostspielig und unsicher im Ergebnis war29 . Diese Rechtspolitik entsprang politischem Kalkül. Wo die Kalküle anders ausfielen, blieb trotz der Einführung des Code civil die Grundentlastung aus. Die Folge waren bäuerlicher Unmut, Prozeßlawinen, Protest. Das Großherzogtum Berg war, jedenfalls in dieser Hinsicht, kein "Modellstaat", sondern Ausbeutungsobjekt, in das sich der Kaiser, die von ihm dotierten Marschälle und Politiker und der einheimische Adel auf Kosten der Landbevölkerung teilten, die, dies nicht durchschauend, eine Deputation sogar bis nach Paris schickte und um Abstellung ihrer Beschwerden bat - vergebens 3o . In den italienischen Staaten ist Vergleichbares zu beobachten. Die von durchgesetzte Rechtsordnung zeigte ganz unterschiedliche Gesichter. Die meisten Juristen begrüßten sie enthusiastisch, bedeutete sie doch den Abschluß einer seit Jahrzehnten geführten Diskussion um die Justizreform und brachte zugleich eine Fülle bisher kaum vorstellbarer Karrierechancen dank flächendeckender und vergleichsweise personalintensiver Erschließung des Landes mit Instanzen. Nicht ohne Grund war die Dankbarkeit am größten in Neapel, wo Feudaladel und bürgerliche Juristen seit langem im Konflikt miteinander lagen 31 • Die dort 1809 verkündeten franzö-

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28 Dazu jetzt Antonio Grilli, Sprache und Recht in den französischen Rheinlanden. Die Einführung des Französischen als Gerichtssprache im Saardepartement 1798, in: Rheinische Vierteljahrsblätter, 57, 1993, S. 227 - 252. 29 Nähere Angaben bei Wilhelm Engels, Ablösungen und Gemeinheitsteilungen in der Rheinprovinz. Ein Beitrag zur Geschichte der Bauernbefreiung, Bonn 1957; ferner Alain Causse, L'abolition des droits feodaux dans les quatre departements de la rive gauche du Rhin, Toulouse 1967 (Diplomarbeit). 30 Christo! Dipper, Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790 - 1850, Stuttgart 1980, S. 54; zum Thema ,,Modellstaat" Helmut Berding, Napoleonische Herrschaftsund Gesellschaftspolitik im Königreich Westfalen 1807 - 1813, Göttingen 1973. 31 Genaueres dazu in der umfangreichen Untersuchung von Armando De Martino, Antico regime e rivoluzione nel Regno di Napoli. Crisi e trasformazioni dell'ordinamento giuridico, Neapel 1972.

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si sehen Gesetzbücher blieben über das Ende Murats hinaus m Kraft und erhielten nach ihrer 1819 beschlossenen Revision bezeichnenderweise den Titel eines Codice napoletano. Daß der Feudaladel diese Vorgänge anders beurteilte, der seine Patrimonialgerichte, Steuerprivilegien und große Teile des Gemeindelandes sowie die wichtigen Trift- und Weiderechte verlor, liegt auf der Hand. Aber dies blieb ein neapolitanisches Spezifikum, weil dort bis zum Einmarsch der Franzosen das Feudalregime noch nicht abgeschafft war. Die kleinen Grundbesitzer schließlich gewannen auf der ganzen Halbinsel durch die Einführung des neuen Rechts überhaupt nichts. Ihre Beschwerden richteten sich gegen den Druck der Agrarier, die hohen Steuern und den Militärdienst; die nachrevolutionäre Rechtsordnung berührte dagegen ihren Alltag kaum 32 . Der Code Napoleon war ganz offensichtlich "ein Gesetzbuch mit vielen Gesichtern,m. In der Geschichte der ,Herrschaft des Rechts' bedeutete er einen großen Schub nach vorn, was den juristischen Fachleuten, Bürgerliche zumeist, einen enormen Kompetenzzuwachs verschaffte. Ein in rechtlichen Bahnen vollzogener Elitenaustausch mit der neuen sozialen Leitfigur des Juristen als Folge der neuen Rechtsordnung - das war mehr als jede andere soziale Gruppe im Zeitalter Napoleons erreicht hat. Materiellrechtlieh gingen von diesem Gesetzbuch jedoch keine so durchschlagenden Veränderungen aus. Die Forschung hat lange geglaubt - hier den zeitgenössischen Elogen auf den endlich durchgesetzten unbedingten Schutz des Privateigentums folgend -, der Code Napoleon habe die Wirtschaftsordnung radikal individualisiert und damit modernisiert. Ein Blick auf die Rechtsprechung zeigt, daß dies nicht überall der Fall war, nicht einmal in Frankreich selbst. Vor allem die landwirtschaftlichen Eigentümer, aber auch der Handel mit Nahrungsmittel mußte sich viele Beschränkungen zum Wohle der Allgemeinheit gefallen lassen34 . Daß Vorsicht geboten ist bei der Beurteilung der napoleonischen Herrschaft, zeigt aber nicht nur der Blick auf den Code civil. Das wichtigste Ergebnis des Symposiums besteht zweifellos im (Wieder-)Entdecken der zwiespältigen Wirkung dieser Herrschaft. Das Reformprograrnm Napoleons, 32 Romano sprach deshalb von einem "Block von fünfzehn Jahrhunderten", der die italienische Wirtschafts- und Sozialgeschichte kennzeichne und der erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begonnen habe, in Stücke zu brechen. Ruggiero Romano, Versuch einer ökonomischen Typologie, in: Eva Maek-Gerard (Hrsg.), Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Studien zur Geschichte Italiens, Frankfurt 1980, S. 64ff. 33 Pio Caroni, ,,Privatrecht". Eine sozialhistorische Einführung, Basel, Frankfurt 1988, S. 83. 34 Belege dazu bei Alfons Bürge, Das französische Privatrecht im 19. Jahrhundert. Zwischen Tradition und Pandektenwissenschaft, Liberalismus und Etatismus, Frankfurt 1991, S. 345ff., S. 441ff.

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mit dem .er seinen Hegemonialanspruch begründete, kann den vorgetragenen Forschungsergebnissen zufolge nicht als vollständig gelungen bezeichnet werden. Die Kirchen und die Gläubigen waren unzufrieden, die jüdische Mehrheit beschwerte sich, das Militärsystem wurde von Desertionen behindert und provozierte ungezählte lokale Aufstände, die medizinische Versorgung verfiel, die Armen blieben unterversorgt wie seit jeher, sahen sich aber statt christlicher Barmherzigkeit nunmehr unnachsichtigem Verwaltungsvollzug ausgesetzt. Ursache dieser unerfreulichen Bilanz war die innere Widersprüchlichkeit des Regimes. Die Entwicklungsdiktatur, wie man das System von seinem gesellschaftspolitischen Anspruch her vielfach charakterisiert hat, scheiterte am Primat des Militärischen. Die Kriegführung verschlang nahezu alle Mittel, die zur Verwirklichung der ehrgeizigen Reformen benötigt worden wären, ja die Rücksicht auf den Finanzbedarf der Massenheere und die Belohnungen erfolgreicher Heerführer bewirkten schon im Vorfeld vieler Planungen den Verzicht auf gesellschaftspolitisch erwünschte oder gebotene Maßnahmen. Wenn Verwaltung und Justiz in anderem Lichte darstehen, so hat das einen doppelten Grund: diese Reformen kosteten nicht besonders viel, vor allem aber dienten sie der Schaffung einer neuen Elite. Hier war der Kaiser erfolgreich. Aus deren Munde ertönte daher auch in erster Linie das Lob Napoleons, sie hat die Errungenschaften jener Zeit nach 1815 hartnäckig und mit Erfolg verteidigt35 • Die vom Kaiser betriebene Machtverteilung zwischen Beamten, Grundbesitzern und bürgerlicher Oberschicht befriedigte allseits, da sie die Gleichheit respektierte, Prestige und Einfluß wohldosiert verteilte und die rationalen Weltentwürfe von Spätaufklärung und Revolution in die Tat umsetzte. Am Ende dieser Ausführungen stellt sich, worauf eingangs schon hingewiesen wurde, zwingend die Frage, ob die gegenwärtig vorherrschende, explizit oder implizit der Modernisierungstheorie zugrundeliegende Interpretation der napoleonischen Herrschaft - außerhalb Frankreichs viel stärker vertreten als dort selbst - dem auf dieser Tagung vorgelegten Tatsachenmaterial standhält. Handelt es sich bei der vollständigen Unterwerfung der Kirchen unter den Staat, der Verschlechterung der medizinischen und armenpolizeilichen Versorgung, dem Abbau von Universitäten und anderen höheren Bildungsanstalten um Modernisierung? Ist die verweigerte Grundentlastung in Berg und Westphalen, ist das Verbot des Transatlantikhandels 35 Eine Zusammenstellung, die dem Nachweis der These dient, daß das juste milieu sich in Europa wesentlich nur auf dem Boden des ehemaligen Kaiserreichs entfaltet hat, bei Christo! Dipper, Zwischen Rhein und Maas. Kontinuitäten und Diskontinuitäten des napoleonischen Erbes im Zeitalter der Restauration, in: Alfred Heit (Hrsg.), Zwischen Gallia und Germania, Frankreich und Deutschland. Konstanz und Wandel raumbestimmender Kräfte, Trier 1987, S. 273 - 286.

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wie überhaupt die Politik de, sog. Kontinentalsperre, ist der Verkauf von Nationalgütern nach dem Grundsatz höchstmöglicher Einkünfte für den Staat Modernisierung? Sind andererseits die unentwegten Bauernrevolten in Italien, der Aufstand der Tiroler, die Erhebung der Spanier typische Modernisierungskonflikte? Gewiß hat Napoleon in etlichen Bereichen Reformen durchgesetzt, die nicht anders denn als fortschrittlich bezeichnet werden können. Am meisten gilt dies wohl für das Militär, das von der Konskription bis zur Veteranenversorgung auf vollkommen neue Grundlagen gestellt worden ist. Die Reform des Staatsapparates, Verwaltung und Justiz, gehört unzweifelhaft ebenfalls hierher. Die Modernisierung beider Sektoren diente jedoch vor allem der Durchsetzung des napoleonischen Hegemonieanspruchs, sie ist nicht zu verstehen als Ausschnitt eines größeren Prozesses beabsichtigten sozialen Wandels. Hohe Offiziere und Beamte, Grundbesitzer, Kaufleute und andere Angehörige der Eliten wurden an der Herrschaft beteiligt, weil dies den politischen Bedürfnissen ebenso wie den gesellschaftlichen Verhältnissen entsprach. Das rosige Bild der ,napoleonischen Episode' als Phase uneigennütziger und umfassender Entwicklung ist die Hinterlassenschaft dieser Notabeln. In ihrem Interesse lag die Entmachtung der Kirchen, die Assimilation der Juden, die Rationalisierung von Verwaltung und Justiz, der Bau von Brükken und Straßen, sie setzten die hohen Beamten- und Offiziersgehälter durch, sie sorgten für die Begrenzung der direkten Steuern und für die Versteigerung der Nationalgüter zu Bedingungen, die die Großkäufer begünstigten, sie organisierten die politischen Feste, errichteten die Denkmäler, hinterließen Aktenmaterial, Briefe und Memoiren, sie beherrschten das Französische, waren Städter, wohlhabend, gebildet. Was in Wahrheit zunächst einmal Sicherung und Ausbau eines Herrschaftsanspruchs war, wird uns von den Zeitgenossen als Fortschritt vorgeführt. Das scheint damals weithin akzeptiert worden zu sein. Das Regime benötigte erheblich weniger Zensur und Geheimpolizei als weithin angenommen, eine ernsthafte Opposition von Gebildeten hat weder im Kaiserreich selbst noch bei den abhängigen Gebieten - Rheinbund, mittel- und süditalienische Staaten, Warschau, Illyrische Provinzen - existiert (Spanien ist ein Sonderfall). Das ist ein wichtiger Unterschied zur Epoche der Restauration. Vieles deutet deshalb darauf hin, daß die um Napoleon gescharten Notabeln für kurze Zeit, d.h. für die Dauer des Kaiserreichs, eine einzigartige Stufe kultureller Hegemonie, im Grunde so etwas wie das gesellschaftliche Deutungsmonopol erlangt haben. Der ohnedies schon gegebene Vorsprung der Stadt über das Land, der Modeme über die Tradition, der Eliten über die Masse der Bevölkerung wurde damals weiter ausgebaut, weil bisher existierende Gegengewichte - vor allem Kirche und

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alter Adel mit ihren tiefen Verwurzelungen in der Kultur der ,kleinen Leute' - besiegt, beseitigt und in ihren verbleibenden Resten amalgamiert waren. Neben den materiellen wurden damals auch die kulturellen Muster neu verteilt, die Gesellschaft der Würdenträger, Notabeln und Grundbesitzer baute den Staat so um, daß er ihren Zielen dienen konnte, und sie lieferten gleich noch die Interpretationsmuster für diesen Vorgang. Der Kaiser selbst verstand sich am besten auf diese Herrschaftstechnik, man denke nur an das Beispiel des ägyptischen Feldzugs, an dem ein halbes Hundert Gelehrter, Schriftsteller und Maler den wissenschaftlichen und propagandistischen Troß bildeten 36 ; die Geschichte von der in diesem Zusammenhang gelungenen Entzifferung der Hieroglyphen kennt noch heute jedes französische Schulkind. Die Halbherzigkeit und Widersprüchlichkeit vieler Maßnahmen, von denen in diesem Band noch oft die Rede ist, erklärt sich weder aus dem Mangel an Zeit noch aus der Größe der Aufgabe, sondern aus den sehr begrenzten Zielsetzungen der napoleonischen Eliten. Die politische und wirtschaftliche Verwertung der unterworfenen Teile Kontinentaleuropas war ihnen verständlicherweise besonders wichtig, ihr verdankten sie Aufstieg oder, öfter noch, Absicherung ihrer gesellschaftlichen Spitzenstellung. Um dieses zu erreichen, waren neuartige Herrschafts- und Verwaltungsmethoden unabdingbar. In diesen Bereichen ist die Modernität des Systems deshalb am größten. Planmäßige Entwicklung und Gestaltung kulturell, wirtschaftlich oder gesellschaftlich zurückgebliebener Bereiche war weder beabsichtigt noch kam sie in größerem Umfang zustande. Es war imperiale Herrschaft, der ein Deutungsmonopol zur Hand ging. Beides blieb Episode.

36 Femand BeaucourlYves LaissuslChantal Orgogoza. La decouverte de I'Egypte, Paris 1989.

Teil A

Verwaltungskonzeptionen und Verwaltungseliten

Eliten und Administration in der napoleonischen Zeit in Italien * Von Stuart Woolf

I. Lange Zeit litt die Historiographie der napoleonischen Zeit unter einer fonnalistischen und strikten Trennung ihrer verschiedenen Aspekte. Das gilt natürlich auch für die meisten anderen Epochen. Die Verfasser (und Leser) politisch-militärischer Geschichte haben andere Interessen als zum Beispiel Wirtschafts-, Verwaltungs- oder Religionshistoriker. Diejenigen, die Geschichte als großes öffentliches Spektakel, als Schauplatz oder Schule der Vergangenheit betrachten, beschäftigen sich mit ökonomischem Wandel, Verwaltungsrefonnen oder religiösen Auseinandersetzungen höchstens am Rande, d.h. nur im Hinblick auf wichtige politische Ereignisse, und folglich vorrangig in bezug auf die große Politik. Dies wird nirgends deutlicher als in der Historiographie der kometenhaften Karriere Napoleons, die, eingerahmt in klassische Schlachten, alle Elemente eines großen historischen Epos besitzt'. Erst in den letzten zwanzig Jahren sind die Wirkungen von Bonapartes radikalem Umbau staatlicher Institutionen für den sozialen Bereich und die Komplexität der innerfranzösischen Geschichte in großem Stil erforscht worden 2 • Die, wenn man die politischen Ereignisse ausnimmt, totale Trennung der Geschichte Frankreichs von der anderer europäischer Länder, die unter französischer Herrschaft oder dessen Einfluß standen, hat der Historiographie der napoleonischen Zeit weitere Beschränkungen auferlegt. Die französischen Historiker, die sich mit der napoleonischen Zeit befaßten, ignorierten durchgängig die innere Geschichte anderer europäischer Länder; Europa diente bestenfalls als Szenario für die Demonstration der gloire 3 . • Aus dem Englischen von Cora Diehl und ChristoJ Dipper. 1 Selbst LeJebvres klassische Biographie widmet zum Beispiel Napoleons Innenpolitik nur drei von neunzehn Kapiteln. Georges LeJebvre, Napoleon, Paris 1936. 2 Gut verdeutlicht wird diese Neuorientierung der Forschung in der Sondernummer La France a l'epoque napoleonienne der Revue d'histoire moderne et contemporaine, Bd. XVII 1970, S. 333 - 920; außerdem Louis Bergeron, L'episode napoleonien. Aspects interieurs 1799 - 1815, Paris 1972; zur neueren Forschung siehe Stuart Woolf, Napoleon's Integration of Europe, London/New York 1991, mit einem bibliographischen Teil zu Frankreich.

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Auf der anderen Seite hat man außerhalb der französischen Grenzen den gleichen Zeitraum in den nationalen Historiographien allgemein als Eindringen des Fremden in die langfristige, eigenständige Entwicklung der Nationalstaaten bewertet. Der Einfluß der französischen Herrschaft (ob direkt - wie in den annektierten Gebieten - oder mit Modellfunktion - wie in Bayern) wurde abgewertet, als unbedeutend abgetan oder bestenfalls für das Erwachen des modemen Nationalismus verantwortlich gemacht4 . Dies hemmte die vergleichende Betrachtung dessen, wie Frankreich ein theoretisch einheitliches Modell, das den Anspruch erhob, das fortgeschrittenste und modernste Regierungssystem zu sein, in Gebieten durchsetzte, die von vollkommen anderen wirtschaftlichen Bedingungen, sozialen Verhältnissen sowie kulturellen und religiösen Traditionen geprägt waren. Verwaltung und Justiz (wie auch die Staatsfinanzen) bieten für vergleichende Untersuchungen ein ideales Terrain zum einen für die Untersuchung von Problemen, die durch Einführung radikal neuer Strukturen in häufig neu zusammengesetzten territorialen Einheiten und durch die Rekrutierung des notwendigen Personals entstanden; zum zweiten für die Erforschung der oft unvorhergesehenen Folgen derartig revolutionärer Neuerungen für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die fallweise sehr verschieden ausgefallen sind. Wenn auf der einen Seite die Unterschiede der Gesellschaften und Staaten in Europa die Übernahme des neuen Verwaltungssystems beeinflußt haben, so können auf der anderen Seite die Methoden und die Entschlossenheit bei Einführung der neuen Strukturen nicht getrennt von militärischen Entwicklungen und politischen Zielen des napoleonischen Regimes betrachtet werden. Während der ganzen Zeit, von den Jahren des Direktoriums bis zur Invasion Rußlands, war der Entschluß, die Besatzungsherrschaft in eine Zivilverwaltung umzuwandeln, entscheidend für die Einführung neuer Verwaltungsstrukturen und Einsetzung neuer Männe~. In den frühen Jahren, besonders während des Direktoriums, war jedoch die Tren3 Dies gilt nicht für die französische Geschichtswissenschaft in der Zeit der grandes theses, zum Beispiel Louis Madelin, La Rome de Napoleon, Paris 1906; Jacques Rambaud, Naples sous Joseph Bonaparte 1806 - 1808, Paris 1911; Albert Pingaud, La domination fran~aise dans l'Italie du Nord (1796 - 1805). Bonaparte president de 1a Republique italienne, Paris 1914; Charles Schmidt, Le Grand-Duche de Berg (1806 - 1813). Etude sur la domination fran~aise en Allemagne sous Napoleon, Paris 1905; Marcel Dunan, Napoleon et I' Allemagne. Le systeme continental et les debuts du royaume de Baviere, Paris 1942; außerdem die Studie des talentierten Nicht-Historikers Uon de Lanzac de Laborie, La domination fran~aise en Belgique: Directoire, Consulat, Empire, 1795 - 1814, Paris 1895. Es gibt selbstverständlich Ausnahmen meiner drastischen Aussage, insbesondere die wichtigen Beiträge Roger Dufraisses zu den linksrheinischen Departements. 4 Eine jüngste Rückkehr zu diesem tief verwurzelten Thema: Il risveglio delle nazionalita nel periodo napoleonico, Pisa 1982. 5 Woolf (Fn. 2), S. 45 - 53.

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nung nicht immer ganz klar und führte zu Rivalitäten zwischen Militärund Zivilverwaltungen, wie beispielsweise in den besetzten Gebieten Belgiens, im Rheinland und Nord- und Mittelitalien. Durcheinander, Ausbeutung und rasch wachsende Feindschaft gegenüber den Franzosen erklären weitgehend das Experimentieren mit verschiedenen Verwaltungsformen (,jakobinische" Republiken in Italien, die Ernennung Rudlers zum Generalkommissar im Rheinland) noch vor dem Brumaire. Doch wurden, selbst als die Macht des Kaiserreiches am größten war, nicht alle besetzten Gebiete einer Verwaltungsreform unterworfen: 1810 hat man Erfurt und Bayreuth unter die Zivilverwaltung erfahrener französischer Präfekten gestellt, deren Aufgabe es war, die Kontinuität der bestehenden Verwaltung zu sichern. Kurz gesagt: Administrative Veränderungen folgten notwendigerweise auf politische oder militärische Entscheidungen über die Zukunft besetzter Gebiete. Das bedeutete letztlich eine Entscheidung Napoleons darüber, ob ein Gebiet annektiert, einem Satellitenstaat zugeschlagen, einem Verbündeten überlassen, wirtschaftlich ausgebeutet oder schlicht als Verhandlungsmasse in zukünftigen Friedensverhandlungen benutzt werden sollte. Dennoch ist es möglich, grob zwischen denjenigen europäischen Gebieten zu unterscheiden, die Napoleon zur direkten französischen Einflußsphäre rechnete, und anderen, in denen er die vorhandene französische Präsenz als provisorisch oder zumindest verhandelbar betrachtete. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Italien und das linke Rheinufer wie Belgien zu den ersteren gehörten, während z.B. Preußen (und Hamburg, zumindest bis zur Annexion der hanseatischen Departements 1812) Teil der letzteren waren. Obwohl man legitimerweise die Beziehungen zwischen Verwaltung und Eliten in jenen Gebieten untersuchen kann, in denen die Franzosen nicht zu bleiben beabsichtigten, ist es wahrscheinlich, daß das Interesse sich dann auf das Verhalten der lokalen Autoritären unter militärischer Besetzung beschränkt. Weiterführende Ergebnisse sind dort zu erwarten, wo die Franzosen nach der Annexion oder Umwandlung von Gebieten in einen Satellitenstaat tiefreichende Verwaltungsreformen vorgenommen haben. Aus dieser Perspektive können die Verwaltungsstrukturen und -probleme der Republik bzw. des Königreichs Italien oder des Herzogtums Berg trotz ihrer Unterschiede gewinnbringend mit denen des Kaiserreichs verglichen werden, da diese Staaten direkt von Paris abhängig waren. Im Gegensatz dazu verhielten sich in Monarchien wie Bayern oder Baden, eben weil diese formal Verbündete und nicht abhängig waren, die Reformer weniger unflexibel und waren vielleicht auch empfänglicher für soziale, wirtschaftliche und personelle Hindernisse; in jedem Falle aber waren sie in der Rekrutierung von Personal unabhängiger von Paris. Die von Napoleons Verwandten regierten Staaten können schließlich in diesem Spektrum an

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unterschiedlichen Stellen zwischen folgenden zwei Polen eingeordnet werden: Jerome in Westfalen war am wenigsten unabhängig, Ludwig verlor seine Königswürde in Holland bei dem Versuch, die Unabhängigkeit zu erlangen, Joachim Murat genoß die größte Selbständigkeit, zum Teil, weil Neapel vom Zentrum des Reiches so weit entfernt war, sicherlich auch, weil Napoleon zunehmend von anderen Angelegenheiten abgelenkt wurde. Die dem Kaiserreich eingegliederten Gebiete sind von besonderem Interesse, weil das ihnen aufgezwungene administrative Modell mit demjenigen Innerfrankreichs identisch war. Man kann nämlich ohne Schwierigkeit in diesem erweiterten Herrschaftsgebiet von 130 Departements und 44 Millionen Einwohnern Unterschiede erkennen, je nach Zeitpunkt, Distanz und Sprache. Der Vergleich zwischen den einzelnen annektierten Gebieten kann nur zu einem Schluß führen: Je länger die französische Besetzung dauerte, desto tiefgreifender waren die Auswirkungen der administrativen Umstrukturierungen des Staates. Radikale Veränderungen der Verwaltung brauchen Zeit, um wirksam zu werden, nicht nur im buchstäblichen Sinn, d.h. um die neuen Normen und Verfahrensweisen zu verstehen, sondern auch im erweiterten Sinn, nämlich für ihre Akzeptanz bei den für ihre Durchsetzung verantwortlichen Eliten. Daher das stärkere Eindringen des französischen Verwaltungsmodells in Piemont, im Rheinland und den belgischen Departements im Gegensatz zu den holländischen und hanseatischen. Entsprechendes gilt für das Personal. Der außerordentliche Sozial status der Bürokratie im kaiserlichen Frankreich hat sich, wenngleich nur langsam und unvollständig, auf die Gebiete übertragen, in denen die französische Herrschaft am längsten andauerte. Im Gegensatz dazu war bei Schaffung der hanseatischen Departements 1810 das unmittelbare Anliegen nicht die Funktion der Bürokratie als Integrationsform und -instrument, sondern es ging, ungeachtet anderer Kriterien, um die Einstellung von Personen, die das französische System verstanden. Selbst wo die französische Präsenz nur kurz war, ist der forschende Blick auf jene Verwaltungsbereiche hilfreich, in denen die Umstrukturierungen am effektivsten und langlebigsten erscheinen, wie bei der Steuerreform in Holland, wo Gogol zuvor versucht hatte, radikale Veränderungen durchzusetzen 6 . Die Dauer der Besetzung ist nicht die einzige Dimension. Entfernung ist in mindestens zweierlei Hinsicht wichtig. Zum einen ist es notwendig, innerhalb des Kaiserreiches zwischen Territorien, die als Grenzgebiet beschrieben werden können, und solchen, die dem Kerngebiet näher lagen, zu unterscheiden. In den entfernteren Gebieten war die militärische Präsenz 6 Simon Schama, Patriots and Liberators. Revolution in the Netherlands 17801813, New York/London 1977, S. 386 - 388, 620.

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allesbestimmend (bis hin zur Reduktion der Zivilverwaltung zur bloßen Fassade in den 1810 neugeschaffenen katalanischen Departements) und das Ausmaß des Schmuggels führte darüber hinaus zu einer Häufung von Staatsdienern wie Zöllnern und Gendarmen, die von der Autorität des Präfekten oder Richters nahezu unabhängig waren. In den grenzfernen Departements wie Piemont, dem Rheinland oder dem Wallis war es einfacher, die neuen administrativen Maximen und Verfahren einzuführen. Entfernung war jedoch noch aus einem anderen Grund wichtig - dem der Rekrutierung von Personal. Die Gehälter der höheren Beamten waren im ganzen Kaiserreich einheitlich. Das schreckte wegen der großen Entfernungen und der damit verbundenen Reise- und Unterkunftskosten alle außer diejenigen ab, die entweder eine große Karriere vor sich hatten oder jung und ehrgeizig waren 7 . Unmittelbar mit der Frage der Entfernung verknüpft ist das Sprachproblem. Wenngleich die höchsten Erwartungen darin gesetzt wurden, daß das Französische als einzige offizielle Sprache zum Verbindungsglied zwischen den "neuen" französischen Eliten würde und sie stärker an den "alten" Kern der ancienne France binden werde, so wurden sich die napoleonischen Beamten zunehmend der sprachlichen Barrieren bewußt, die durch die Expansion ihres Herrschaftsgebietes entstanden waren. Der Chef des Statistischen Amtes, Charles-Eugene Coquebert de Montbret, stellte sogar in einer privaten Notiz die Zahl der französischen Untertanen zusammen, deren Muttersprache Italienisch, Deutsch, Flämisch, Bretonisch oder Baskisch warB. Auf den unteren Verwaltungsebenen, und in den späteren Jahren auch in den oberen, war die Kenntnis der Lokalsprache Voraussetzung. Aber Sprachen waren, wie die meisten Aspekte napoleonischer Herrschaft, hierarchisch gegliedert: Italienisch wurde noch immer als Bestandteil kultivierter Bildung betrachtet, Deutsch sollte diese Bewertung erst in den Restaurationsjahren (durch die Fürsprache von Mme de Statl) erreichen. Für eine Anstellung scheint Unkenntnis der Landessprache niemals eine Barriere für den Verwaltungsdienst in Italien gewesen zu sein, während 1810 - 11 Sprachkenntnisse für den Dienst in Deutschland zu einer notwendigen Voraussetzung geworden waren. Wenn wir die Frage von der anderen Seite, von den Eliten der annektierten Gebiete aus betrachten, war die Kenntnis des Französischen (mit unterschiedlicher Kompetenz) wesentlich weiter verbreitet, auch wenn es nicht die Norm war. Diese Disparität der sprachlichen 7 Ich möchte mich bei Silvia Marzagalli bedanken, die mich auf diesen Punkt aufmerksam gemacht hat. 8 Stuart Woolf, Towards the History of the Origins of Statistics: France 17891815, in: Jean-Claude Perrot/Stuart Woolf (Hrsg.), State and Statistics in France 1789 - 1815, London/Paris 1984, S. 134f. 3 DipperlSchiederlSchulze (Hrsg.)

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Fähigkeiten zwischen französischen und deutschen (oder holländischen) Eliten erklärt vielleicht die überragende Präsenz letzterer auf lokalen Verwaltungsstellen nördlich der Alpen im Vergleich zu den italienischen Departements, wo es für die lokalen Eliten schw~eriger war, dem Ansturm von Franzosen, die ein Amt suchten, zu widerstehen9 .

11. Wenn man das Verhältnis von Eliten und Administration in den italienischen Departements wie in allen annektierten Gebieten untersucht, muß man drei Dinge im Auge behalten: die Regularien für den Eintritt in die Verwaltung, die Rolle lokaler Eliten in den neuen Administrationen und das Vermächtnis der napoleonischen Erfahrung für die nachfolgende Theorie und Praxis der Staatsverwaltung im 19. Jahrhundert. Die italienischen Departements sind dabei mindestens aus zwei Gründen für die Erforschung der Frage, wie das napoleonische Regime funktioniert hat, besonders geeignet. In quantitativer Hinsicht bildeten die dreizehn annektierten Departements mehr als zehn Prozent des Kaiserreiches zur Zeit seiner größten Ausdehnung. Das ist mehr als jedes andere inkorporierte Gebiet und stellt damit eine wichtige Grundlage für alle Betrachtungen des Verhältnisses zwischen dem "alten" und dem "neuen" Frankreich dar. Darüberhinaus bietet die Existenz der Republik bzw. des Königreichs Italien mit seinen vierundzwanzig Departements und des Königreichs Neapel die Möglichkeit, zwei Satellitenstaaten in unterschiedlichem Abhängigkeitsgrad von Paris miteinander zu vergleichen. In qualitativer Hinsicht dagegen wurde Italien zunehmend unter dauerhaftem französischem Einfluß gesehen, es galt als eine Region mit nicht mehr verhandelbarer Abhängigkeit, weit entfernt von jenen Grenzgebieten, wo neue Verwaltungsverfahren erprobt und durchgesetzt werden konnten. In diesem Sinn bilden die vierundzwanzig italienischen mit den neun belgisehen und vier linksrheinischen Departements eine einheitliche Gruppe. Auf den ersten Blick scheint es einen klaren Unterschied hinsichtlich der Rekrutierungsmethoden und des Zugangs zur Administration zwischen den vorrevolutionären Staaten überall in Westeuropa und denen der napoleonischen Zeit gegeben zu haben. Vor der Revolution wurden Verwaltungsämter (wie militärische) entweder aufgrund rechtlicher Ansprüche, häufig durch Vererbung oder durch persönlichen Einfluß in Form von Familienbeziehungen oder Patronage erworben. Die Behörden hatten keine klar abgegrenzten Zuständigkeiten, sondern vereinten Rechtsprechungs- mit fiskalischen und Verwaltungsaufgaben im eigentlichen Sinn; typisch war 9

Woolf (Fn. 2), S. 73, 111.

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außerdem, daß sich Amtsbezirke überschnitten und die Beamten um Kompetenzen stritten. Die Ämter verkörperten die Vergangenheit der vorrevolutionären Staaten, da einige von ihnen bis in die Zeit des Feudal- oder Personen verbands staates zurückreichen, während andere in der Frühneuzeit entstanden sind, als die Monarchen ihre Autorität und Kontrolle zu erweitern oder wiederzuerlangen versuchten, indem sie neue Verwaltungsorgane schufen, die die bestehenden Behörden allerdings nicht ersetzt hatten, sondern ihnen übergeordnet worden waren. Die napoleonische Verwaltung hingegen beanspruchte, Modernität und Fortschritt zu verkörpern. Ihr Anspruch auf Durchsetzung ihrer Autorität beruhte letztlich auf der Idee, die Gesellschaft entsprechend des von Frankreich verkörperten Ideals zu entwickeln und durch die offensichtliche Überlegenheit seines rationalen und uneingennützigen Verhaltens die Unterstützung der lokalen Eliten zu gewinnen. Die fonctionnaires waren nicht einfach Integrationsinstrumente, sie entwickelten auch Gemeinschaftsgeist und Stolz, der sich klar in ihren Schriften und Geselligkeitsformen zeigt. Von Adrien Duquesnoy, der grauen Eminenz des brumairianischen Innenministeriums, bis Jean-Marie de Gerando, dem grand commis der kaiserlichen Annexionen, entwickelte sich eine regelrechte Verwaltungs wissenschaft. Sie zeichnete sich durch ein System rationaler und einheitlicher Regeln aus, das auf Einordnung eines steten Flusses nützlicher Faktenkenntnisse in angemessene Kategorien basierte und durch eine direkte Linie der Verantwortlichkeit hierarchisch nach unten weitergegeben wurde. Die Anwendung dieses Systems sicherten klare und universell anwendbare gesetzliche Vorschriften 10. Es ist offensichtlich, daß die Auswahlverfahren für Beamte und der Zugang zur Bürokratie für ein solches System entscheidend waren. Der eigentliche Grundgedanke des Regimes war, daß Karriere jetzt von Fähigkeiten und nicht mehr von Rechtsansprüchen oder Privilegien abhängig war. Zunehmend wurde Wert auf Ausbildung gelegt, besonders für Überflieger, zum Beispiel mit der Schaffung der Kategorie der auditeurs beim Staatsrat (1803), mit der betonten Diversifikation praktischer Erfahrungen und mit beschleunigter Beförderung auf der Karriereleiter. Auch wenn die napoleonische Beamtenschaft nicht völlig mit Webers Definition einer modernen Bürokratie übereinstimmte, enthielt sie doch viele ihrer Teilelernente; selbst regelmäßige Gehälter, erste Anfänge einer Altersversorgung für die höheren Ränge und die Zuweisung von Geldsummen an die Präfek10 Woolf (Fn. 2), S. 87 - 90, 100 - 107; derselbe, Les bases sociales du Consulat. Un memoire d' Adrien Duquesnoy, in: Revue d'histoire modeme et contemporaine, 31, 1984, S. 597 - 612; Francesca Sofia, Una scienza per l'amministrazione. Statistica e pubblici apparati tra etil rivoluzionaria e restaurazione, Rom 1988, S. 104 114.

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ten zur Bezahlung ihrer Untergebenen. Ebenso wichtig ist das hohe Selbstbewußtsein dieser Berufsgruppe, so daß Bewerber auch nach unbezahlter Anstellung als surnumeraires in den Ministerien und Präfekturen strebten. Die Praxis entsprach diesem Idealtypus von Theorie und Ethos nicht. Im napoleonischen Italien mögen wie im Frankreich vor 1789 Fähigkeit und Talent ein Kriterium für die Anstellung gewesen sein, aber es war nicht die einzige und anfangs vermutlich nicht die wichtigste Bedingung. Wie in den vorrevolutionären Staaten blieb der Zugang weiterhin stark von Farnilienbeziehungen, Empfehlungen und Patronage abhängig, während gleichzeitig erhebliche Mittel benötigt wurden, um die oft sich in die Länge ziehenden Vorzimmer- und Salonbesuche zu finanzieren, denen im Erfolgsfalle eine längere Periode unbezahlter Arbeit folgte. Auf den höheren Ebenen spielten politische und soziale Vorurteile eine wichtige Rolle, besonders bei der ersten Einsetzung von Verwaltungsbeamten in den annektierten Gebieten; das war auch bei der ersten Ernennung von Präfekten durch Lucien Bonaparte der Fall. Wo auch immer das französische Verwaltungssystem eingeführt wurde, bestand auf allen Ebenen das Problem, daß sich viel mehr Bewerber fanden als Stellen vorhanden waren. Dies war teilweise eine Spätfolge der Bildungsexpansion im späten 18. Jahrhundert in Italien und Deutschland, die zu einer Schwemme arbeitsloser Schriftsteller und Universitätsabsolventen geführt hatte ll. Teilweise resultierte es jedoch aus der starken Reduzierung der Zahl öffentlicher Bediensteter, nachdem der napoleonische Furor reihenweise Privilegien und Sinekuren im Namen von Kosteneinsparung und ausgeglichener Budgets hinweggefegt hatte. Diese plötzliche Zunahme entlassener Beamter stellte ein Problem von bemerkenswertem Ausmaß dar, denn die Betroffenen erfüllten die napoleonische Definition von Eliten, was im Lauf der Zeit den Druck auf die Ressourcen von Wohlfahrtsinstitutionen verstärkte. Als Reaktion darauf wurde die Praxis üblich, freiwerdende Posten für zwangsweise ausgeschiedene Bürokraten zu reservieren. Ein Präfekt im Königreich Italien warnte seinen jüngeren Bruder vor den Schwierigkeiten, Eingang in die Verwaltung zu finden, die sich als Konsequenz dieses Professionalisierungsprozesses ergaben. "Ne avete un esernpio nel fratello dei prefetto Caccia di Rornentino, il quale dopo quasi due anni di alunnato in questa prefettura, non avendo potuto ottenere irnpiego con soldi, poiche i primi ad essere collocati sono quelli rirnasti fuori di servizio per effetto di sisterna, ha abbandonato l'intrapresa carrlera,,12.

Trotzdem wäre es ein Fehler, daraus zu schließen, daß sich gegenüber den früheren Regimes wenig verändert habe. Auch wenn detaillierte lokale Woolf (Fn. 2), S. 111 - 116. Livio Antonielli, I prefetti dell'Italia napoleonica. Repubblica e Regno d'Italia, Bologna 1983, S. 361, Fn. 53. 11

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Forschung fehlt, die notwendig ist, um die Zahlen der in den verschiedenen Verwaltungsbereichen Beschäftigten zu rekonstruieren, stellt der Austausch der alten Behörden durch das neue System einen strukturellen Unterschied dar. Leistungsfähigkeit und Kompetenz waren zu notwendigen Voraussetzungen für die Erfüllung der Aufgaben geworden und Ablösung wegen offensichtlicher Inkompetenz wurde akzeptierte und zunehmend gängige Praxis. Auch wenn der Eintritt in die Verwaltungs laufbahn noch immer starke Kontinuität mit dem Ancien regime aufwies, war das Novum des neuen Systems ein "Aussieben" des bürokratischen Personals entsprechend seiner beruflichen Fähigkeiten. In diesem Sinn müssen wir das napoleonische Schlagwort vom "Marschallstab im Tornister" verstehen. In den italienischen Departements hatten die vollkommen gegensätzlichen Erfahrungen des sogenannten ,jakobinischen" triennio (1796 - 99) und der Zeit nach 1799 den französischen Beamten, die nach Marengo zurückkehrten, eine besonders schwere Erblast hinterlassen. Bonapartes siegreiche Invasion 1796 hatte bei Patrioten und Jakobinern in Norditalien und Neapel revolutionäre Erwartungen erweckt. Sie versuchten trotz der durch die französische Militärpräsenz auferlegten Zwänge, ihre Vorstellungen eines wiedererstehenden Italien in die Tat umzusetzen 13 • Die Radikalität ihrer Überzeugungen und Aktivitäten schuf eine tiefe Spaltung zwischen den Patrioten und der großen Mehrheit der eher traditionellen oder reaktionären Eliten, die sogar durch Familien hindurch verlief. Der Rückzug der Franzosen 1799 führte zur Verfolgung der Patrioten in Norditalien und zur Exekution vieler in Neapel. Nach Marengo forderten diese Patrioten und Politiker, die in den republikanischen Verwaltungen oft in übermäßiger Zahl vertreten gewesen waren, ihre Wiedereinsetzung und verstärkten so die Abneigung und den Argwohn der lokalen Notabeln. Aber weil viele sich weigerten, Posten anzunehmen, die es notwendig machten, ihre Familien und Besitzungen zu verlassen, sahen sich die neuen Regierungen gezwungen, eine unverhältnismäßig hohe Zahl ehemaliger Republikaner einzustellen, besonders im Gerichtswesen und der Polizei 14. Die Rekrutierungsschwierigkeiten, die auf die tiefen Spaltungen im jakobinischen triennio zurückgingen, arbeiteten direkt gegen die Politik der politischen und sozialen Aussöhnung, auf die das bonapartistische Regime seine Legitimation stützte. Dies war besonders in der Republik bzw. dem Königreich Italien und den annektierten piemontesischen Departements der Fall, wo das republikanische Experiment am längsten gedauert hatte. Auf 13 Valeria Cremona/Rosanna De Longis/Laura Rossi (Hrsg.), Una nazione da rigenerare. Catalogo delle edizioni italiane 1789 - 1799 possedute dalla Biblioteca di storia moderna e contemporanea, Rom 1992. 14 Michael G. Broers, The Restoration of Order in Napoleonie Piedmont 1797 1814, phil. Diss. Oxford 1986, S. 175.

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unterer und mittlerer Verwaltungsebene konnte wegen der Verweigerung der Mehrheit der lokalen Notabeln und wegen der hartnäckigen Einstellungsgesuche einer beträchtlichen Zahl radikaler Patrioten anfangs wenig dagegen getan werden. In den höheren Rängen drohten politische Vorurteile die Spaltung zu verschärfen wie bei Melzi und Beauhamais in Mailand oder Menou in Turin. Diese hatten nahezu zwanghafte Ängste vor allen, die eine jakobinische Vergangenheit besaßen und bevorzugten daher Aristokraten und wohlhabende Grundbesitzer. Dem standen jedoch zu ei~em gewissen Grade die hohen Anforderungen der neuen Verwaltung entgegen, was dazu fÜQrte, daß viele dieser ersten, politisch motivierten Berufungen bald zurückgenommen wurden 15 . Im Königreich Neapel hatte die blutige Unterdrückung der neapolitanischen Republik 1799 einen vergleichbaren, aber noch einschneidenderen Effekt. Möglicherweise dauerte die Angst vor dem Radikalismus jener Zeit bis zum Jahre 1806, als Joseph Bonaparte König wurde. Sicherlich führte die zwischen vielen vornehmen Familien (die ihre persönlichen Fehden auf die politische Ebene übertrugen) bestehende Feindschaft und die Ächtung vieler Personen zur Einsetzung einiger wahrer Ex-Jakobiner einschließlich SaUceti, Napoleons frühem Patron. Die Toskana war vielleicht die einzige Region, wo solche politischen und gesellschaftlichen Spannungen bei der Rekrutierung keine Rolle spielten. Hier waren viele durch die aufgeklärten Reformen des späten 18. Jahrhunderts geneigt, die napoleonische Herrschaft als rechtmäßige Nachfolgerin der großen leopoldinischen Tradition zu betrachten, was die Zusammenarbeit von vermögenden Grundbesitzern und Adligen an der Seite von engagierteren Reformern sicherte. Zum politischen Erbe des jakobinischen triennio kam der erhebliche Druck der Franzosen, Posten in den neuen Verwaltungen zu erhalten, der das Rekrutierungsproblem in Italien noch verschärfte. Versuche dieser Art waren nicht auf die Halbinsel beschränkt und können in allen annektierten Gebieten, in Belgien wie im Rheinland, und ebenso in Satellitenstaaten wie Berg und Westfalen beobachtet werden. In den annektierten Departements war es gängige Praxis, Franzosen in leitende Positionen in der Finanzverwaltung und der Kriminaljustiz (und ebenso als Polizeichefs) einzusetzen, um damit die Angleichung an Frankreich zu erleichtern. Doch die Forderungen der Franzosen auf Ämter reichten weiter und wurden durch nachdrückliche Empfehlungen seitens der lokalen französischen Militärkommandanten oder von mächtigen Ministern und Politikern aus Paris unterstützt. Die Franzosen formulierten ihr Anrecht auf diese Stellen oft in einer Sprache, die man fast als proto-kolonial bezeichnen kann angesichts der verschleierten und manchmal sogar offenen Verachtung für die Unwissenheit oder angeborene Unfähigkeit der Einheimischen. Pierre Lagarde, General15

Antonielli (Fn. 12), S. 71 f., 99 - 101,307 - 309; Woolf(Fn. 2), S. 94f.

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direktor der Polizei in den venezianischen Departements, argumentierte, daß, selbst wenn sie die erforderlichen Fähigkeiten besäßen, von den Italienern nicht erwartet werden könne, ein neues Verwaltungs system anzuwenden, das ihren eigenen Interessen zuwider lief: "un peuple destine a etre longtemps tributaire de la France ne peut pas etre gouverne par les siens, interesses aussi a payer le moins possible et par consequent toujours disposes a dissimuler les ressources et a crier a l'exces des impöts,,16.

Die Satellitenstaaten waren theoretisch vor solchen Übergriffen französischer Postenjäger geschützt, da ihre Verfassungen die öffentlichen Ämter für ihre eigenen Untertanen reservierten. Im Falle Hollands wurde dies selbst nach seiner Annexion weitgehend respektiert (vielleicht auch aus sprachlichen Gründen). Aber das war sicherlich nicht der Fall in den Königreichen Italien bzw. Neapel, wo Melzi und Beauharnais, Joseph Bonaparte und Murat sich konstant über die Versuche beschwerten, Franzosen bevorzugt gegenüber ihren eigenen Untertanen einzustellen. Neapel war von den abhängigen Staaten vielleicht am verletzlichsten, da es unverhüllter als Kolonie angesehen wurde und somit legalen Jagdboden für Glücksritter darstellte: 1811 erhielt Murat 2000 Bewerbungen für Stellen aus Paris 17. Die Einstellungsprobleme verschwanden sicherlich nicht, dürften sich jedoch geändert haben, als sich die napoleonische Verwaltung festigte. Denn nur am Anfang gab es einen nicht wiederkehrenden Bedarf an Personal. Forschungen zur Altersstruktur sind notwendig, um zu verifizieren, ob, wie es scheint, im ersten bzw. den ersten zwei Jahren eine ungewöhnlich hohe Zahl junger Männer eingestellt wurden, was später den Ersatzbedarf reduziert hätte. Dem steht entgegen, daß in manchen Bereichen, besonders im Finanzwesen, die Zahlen stiegen. Allgemeiner gesagt: je länger das napoleonische Regime dauerte, desto stärker stieg dessen Überzeugungskraft als Folge der politischen Stabilität, und die lokalen Eliten neigten nach und nach mehr zur Mitarbeit.

III. Dies führt uns zum zweiten Hauptthema - dem Verhältnis zwischen Eliten und Administration. Amalgame und ralliement waren Schlüsselbegriffe in Sprache und Denken der obersten napoleonischen Beamten. Amalgame oder fusion bezeichnete das Ende der politischen und sozialen Spaltung, die den Zerfall des Ancien regimes bedingt und die Revolution radikalisiert hatte. Adlige und Nichtadlige, Jakobiner und Konservative sollten im Dienste für das Vaterland vereint werden. Ralliement meinte etwas 16 Antonielli (Fn. 12), S. 284; Stuart Woolf, French Civilization and Ethnicity in the Napoleonic Empire, in: Past and Present, 124, 1989, S. 96 - 120. 17 Woolf (Fn. 2), S. 274.

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bescheidener, die Anerkennung und Unterstützung der lokalen Eliten, besonders der aristokratischen Familien, zu gewinnen, die der neuen Herrschaft die kalte Schulter gezeigt hatten. Ralliement implizierte wenn schon nicht herausragende Dienste und Einsatz, so doch zumindest sichtbare Zeichen der Aussöhnung wie die Anwesenheit an einem der zahlreichen bonapartistischen Höfe oder die Annahme eines Ehrenamtes oder kaiserlichen Titels. Als der soziale Konservatismus des napoleonischen Regimes deutlicher wurde, bemühte man sich noch mehr um Unterstützung durch die großen Familien 18. Amalgame und ralliement waren wichtig, da nur Anerkennung durch und Aussöhnung mit den Eliten dem napoleonischen Regime - das durch Eroberung an die Macht gekommen war - Legitimität zuwachsen ließ. In Napoleons ,Weltanschauung' bestand die Gesellschaft aus anonymem Volk und, radikal davon geschieden, Eliten. Die Eliten bildeten von Natur aus die führende Klasse jeder Gesellschaft, deren Mitarbeit der beste Beweis von Zustimmung war, und zwar nicht nur durch den ihnen offenstehenden Staatsdienst, sondern auch in ihrer meinungsbildenden Vorbildfunktion, deren Beispiel das Volk folgen würde.

Die napoleonische Definition von Eliten erfaBte bewußt ein breiteres Spektrum der Bevölkerung als in der Ständegesellschaft des Ancien Regime. Sie reichte mit der Aufnahme in die Listen der amtsfähigen Personen bis zu den Notabeln bescheidenster Dörfer. Zu den Eliten zählten auch (wie im Ancien regime) Gemeindegeistliche, die wichtige Vermittler staatlicher Regelungen und Gehorsamkeitsforderungen waren - vorausgesetzt, daB die kirchliche Elite, die Bischöfe, ihre Loyalität sichern konnte. In der Lombardei und in Venedig - im Unterschied zum ehemaligen Kirchenstaat übernahmen die Gemeindegeistlichen, streng diszipliniert durch ihre Bischöfe, genau in der napoleonischen Zeit das zusätzliche Amt eines unbezahlten Staatsdieners 19. Die zentrale Bedeutung der Rolle der Eliten (zusammen mit der napoleonischen Leidenschaft für die Sammlung quantifizierbarer Kenntnisse) erklärt auch die bis zur Besessenheit wiederholte Zusammenstellung von Listen aller Personen, denen man Qualitäten zurechnete, dank derer sie aus der Anonymität des Volkes in die Kategorie der lokalen Notabeln her ausgehoben zu werden verdienten. Solche Listen - von den Höchstbesteuerten, den wohlhabendsten Grundbesitzern, den Angesehensten der Freien Berufe, Woolf(Fn. 2), S. 109f., 174 - 184. Ebenda S. 208 f., 212 - 221; Angelo Gambasin, Parrochia veneta: evoluzione strutturale dalle rifonne napoleoniche al neogiuseppismo asburgico, in: La societa religiosa nelI'eta modema, Neapel 1973; Daniele Menozzi, La chiesa, la rivoluzione francese e l'impero napoleonico, in: Storia della societa italiana, Bd. XIII: Italiana giacobina e napoleonica, Mailand 1985. 18

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den Gelehrten, den sich sonst irgendwie Auszeichnenden - waren zunächst einmal dafür gedacht, der Verwaltung diejenigen zu benennen, aus deren Rängen die Mitglieder unzähliger Beiräte und Repräsentativorgane entnommen werden konnten. Doch in ihren ständigen Wiederholungen und ihrer Ausdehnung auf die ärmsten der lokalen Notabeln spiegeln sie die Vision einer Gesellschaft wider, in der spezifische Qualitäten - von denen Grundbesitz die wichtigste war - als Erkennungsmittel einer Hierarchie dienten, die vom kleinen ländlichen Notabien über städtische Kaufleute und Manufakturbesitzer, Vertreter der Freien Berufe und Gelehrten bis hin zum hohen Adel reichte. Die Behörden erkannten auf allen Ebenen dieser Hierarchie den Zusammenhang zwischen dem Verhalten dieser Eliten und der Wirkung ihres Tuns an. Sie waren darum zu Kompromissen geneigt und ließen über Gegenleistungen für die verlangte Zusammenarbeit mit sich handeln 2o . Betrachtet man die starke Stellung des Adels und der Grundbesitzer in den ehemaligen italienischen Staaten, überrascht es nicht, daß die neuen Administrationen von Anfang an versuchten, sie miteinzubeziehen. Natürlich standen auf den Listen der Notabeln der italienischen Departements und anderer Repräsentativorgane Kaufleute und Manufakturbesitzer ebenso wie Juristen; in der Italienischen Republik war den dotti, der intelligentsia, sogar eine besondere Repräsentation zugesichert. Doch noch erheblich wichtiger als in Frankreich blieben in Italien die Grundbesitzer21 • Weil hier anders als dort keine antiaristokratische Revolution stattgefunden hatte, spielten die adligen Familien (sowohl ländliche als auch städtische) eine zentrale Rolle und waren unter den Hauptkäufern ehemaligen Kirchengutes 22 • Versuche der französischen Autoritäten, die Aristokraten zum ralliement zu bewegen, wie es so charakteristisch für die napoleonischen Regimes in Italien war, reflektieren nur die ungebrochene Kontinuität der mächtigen sozialen Rolle und wirtschaftlicher Ressourcen des italienischen Adels23 , die bis ins 19. Jahrhundert reichen sollte. Die Versuche reichten von schmeichelhaften Angeboten an Melzi oder Menou bis zu dem Pomp und den Privilegien, die die zahlreichen, von den Bonapartes in Mailand, Turin, Lucca, Florenz und Rom errichteten Höfe umgab. Italienische Familien, zum großen Teil bereits adlig, erhielten den Löwenanteil kaiserlicher Titel, die an Untertanen der annek\ierten Gebiete oder der Satellitenstaaten verlieWoolf(Fn. 2), S. 107f., 186. Für Frankreich Louis Bergeron/Guy Chaussinand-Nogaret, Les ,masses de granit'. Cent mille notables du premier Empire, Paris 1979. 22 Stuart Woolf, L'impact de l'occupation fran~aise sur l'economie italienne (1796 - 1815), in: Revue economique, 40, 1989, S. 1106f. 23 Carlo Capra, Nobili, notabili, elites: dal "modello" francese al caso italiano, in: Quaderni Storici, 37, 1979, S. 12 - 42. 20

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hen wurden: 170 von insgesamt 285 (im Vergleich dazu nur eine Handvoll Deutscher). Aber als die großen römischen und die alten piemontesischen Familien keine Anstalten machten, sich auf die Seite Frankreichs zu schlagen, befahl Napoleon, sie zu zwingen, ihre Söhne zur militärischen Ausbildung nach Saint-Cyr oder zur Vorbereitung auf die Verwaltungslaufbahn als auditeurs nach Paris zu schicken24 . Es brauchte Zeit, bevor die großen Notabeln zur Mitarbeit bereit waren. In den annektierten Departements und im Königreich Italien waren auf der Ebene des amalgame nur wenige bedeutende Adlige bereit, als Präfekten zu dienen, obwohl mit der ~it eine steigende Anzahl ihrer Ernennung zum Bürgermeister zustimmte. Mit Ausnahme der römischen Familien akzeptierten sie jedoch, unter welchen Vorbehalten auch immer, die Auszeichnungen, die ihnen, den traditionellen Wächtern über Prestige und Ehre, durch Anwesenheit bei Hof und auf viele andere Weise angeboten wurden. In manchen Provinzen des Königreichs Neapel war die Lage wesentlich weniger klar, wo die Ernennung großer adliger Grundbesitzer zu Bürgermeistern womöglich nur die Unfähigkeit der französischen Zentral-Verwaltung spiegelt, die Kontrolle über eine Klasse von Grundherren zu erlangen, die ihre Macht selbst nach der Abschaffung des Feudalismus behalten hatte 25 • Jede Betrachtung der Beziehungen von Administration und Eliten muß, wie knapp auch immer, die umgekehrte Seite dieses Verhältnisses, nämlich die Ausnutzung der napoleonischen Verwaltung durch die lokalen Eliten mit einschließen. Überall im Kaiserreich und sogar darüber hinaus zog Napoleons militärischer Ruhm die Söhne der Eliten in den Dienst der Grande Armee. In Italien, wie vermutlich überall, wo es eine aufgeklärte Tradition gab, sprach das Regime Reformer an, ob sie der älteren Generation angehörten, wie Francesco Maria Gianni in der Toskana oder Giuseppe Zurlo in Neapel, oder der nachaufgeklärten, jüngeren Generation, wie die Lombarden Giandomenico Romagnosi und Melchiorre Gioia oder der Toskaner Giovanni Fabbroni. Eine vergleichbare Bereitschaft, sogar Enthusiasmus gab es bei Ingenieuren und Wissenschaftlern. So stimmten beispielsweise die Offiziere des piemontesischen Artilleriekorps nach der Abdankung von Carlo Emanuele IV. dafür, geschlossen in die französische Armee einzutreten; andere Fälle sind General Giovanni Parisi, Chef der neapolitanischen Militärakademie, oder der venezianische Agronom Vincenzo Dandolo. Wieder andere, auch Adlige wie die Saluzzo di Monesiglio, sahen die Chancen, die die neue Herrschaft eröffnete, um mit ihrer Hilfe neue Wertvorstellungen gegen den provinziellen Konservatismus des vorrevolutionären Piemont durchzusetzen; oder sie zogen es vor, wie die woolf (Fn. 2), S. 180f., 192. Beugnot beklagte eine ähnliche Situation in Berg: Schmidt (Fn. 3), S. 142, Fn.2. 24

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Cavours, die wirtschaftlichen Grundlagen ihrer Familie zu erweitern26 . Kurz gesagt, Napoleon hatte in Italien keine Schwierigkeiten, die progressiven Elemente, besonders unter den Gebildeten, zur Mitarbeit zu bewegen. Er mußte jedoch beträchtliche Anstrengungen unternehmen, bevor er die Anerkennung wahrscheinlich der Mehrheit der führenden adligen Familien gewinnen konnte, deren soziale Rolle für sein Regime so wichtig war.

Die letzte Frage, die gestellt werden muß, gilt dem Vermächtnis für die darauffolgende Zeit. Waren die napoleonischen Verwaltungen in Italien lediglich ein vorübergehendes Phänomen, das wenig Spuren hinterließ, wie die nationalistische Historiographie behauptete? Oder haben sich die Ziele dieser bemerkenswert selbstbewußten Klasse von Bürokraten bestätigt, die von sich behauptete, die administrativen Neuerungen seien wie in Frankreich der Weg in die Zukunft? Betrachtet man die Strukturelemente politischer Herrschaft, so findet man den überzeugendsten Beweis darin, daß die radikale Umgestaltung des administrativen, wirtschaftlichen und gerichtlichen Systems mit wenigen Modifikationen von den Herrschern der Restaurationszeit in Italien aufrechterhalten worden ist. Selbst Vittorio Emanuele I. ließ sich von seinem ursprünglichen Wunsch, in Piemont die Uhr auf das Jahr 1800 zurückzustellen, abbringen. Nur im Kirchenstaat wurden die zweifellos als Verbesserungen zu bewertenden Verwaltungsreformen beseitigt wegen ihrer nachteiligen Folgen für die weltliche Macht der Kirche. Darum stärkte wie überall in Europa die Rationalisierung der Administration die exekutive Autorität und Macht der Regierungen in Italien. Andererseits aber führte der besondere Wert, den Napoleon Grundbesitz und aristokratischer Unterstützung beimaß, bei den religiös-konservativ veranlagten Regimes der Restaurationszeit zu Bürokratien, die in ihrer Zusammensetzung sozial begrenzter waren als vorher die französischen. Was Konservative und Liberale gleichermaßen vom Erbe der napoleonischen Zeit akzeptierten, war das Vertrauen in eine rationale, machtvolle und neutrale Verwaltung. Zum Zeitpunkt der italienischen Einigung war der Glaube an das, was Grundüberzeugung der napoleonischen Zeit gewesen war - daß Fortschritt von oben durch eine zentralisierte und aufgeklärte Administration bewirkt werden konnte und sollte - unumstößliches Dogma geworden 27 . Der Unterschied war, daß die italienischen Liberalen eine deutlich begrenztere Definition von Eliten praktizierten als die breite napoleonische Hierarchie der Notabeln.

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Woolf(Fn. 2), S. 190f. Raffaele Romanelli, L'Italia liberale (1861 - 1900), Bologna 1979.

Form und Struktur der napoleonischen Verwaltung in Italien: Departements und Präfekten * Von earlo Ghisalberti In einer Zeit, in der man sich für Regionen und Gebietskörperschaften als Gegengewichte zum staatlichen Zentralismus begeistert, scheint es gewagt, auf den dauerhaften Einfluß hinzuweisen, den dieser Zentralstaat jakobinischer und napoleonischer Herkunft auf die Geschichte des risorgimentalen und modemen Italiens ausgeübt hat. Und zwar deshalb, weil sich das kulturelle und politische Klima in Italien nach 1945 schrittweise gewandelt hat, d.h. nach dem Sturz der Monarchie, der Gründung der Republik und der Machtübernahme durch Parteien und Bewegungen, die sich in ihren politischen und ideellen Traditionen von denen des Risorgimento bzw. des liberalen Nationalstaats unterscheiden. Vom politischen Katholizismus und bis zu einem gewissen Grad auch von den Marxisten einschließlich der ihnen zuzurechnenden jeweiligen Geschichtsschreibung werden die Stichhaltigkeit der Gründe und die tatsächlichen Errungenschaften bestritten, die das Land nach seiner Einigung der administrativen Zentralisierung und der strikten Unterordnung der lokalen Gewalten, d.h. der Provinzen und der Gemeinden, unter die Regierung in Rom verdankt. Gleichwohl befand sich die Destra storica, d.h. die liberal-konservative Partei, die das Risorgimento getragen, die nationale Einheit geschaffen und den Staatsapparat aufgebaut hatte, mit dieser zwischen 1861 und 1876 erfolgten Zentralisierung in einem Traditionsstrang, der in Italien bis in die Zeit des aufgeklärten Absolutismus zurückreichte und im Zuge der Französischen Revolution sowie der Eroberung der gesamten Halbinsel (1796 1815) durch Napoleon vervollkommnet wurde. Die einheitsfeindlichen Kräfte einer konservativen, wenn nicht gar reaktionären Kultur, die zahlenmäßige Schwäche des liberalen Bürgertums (die einzige Führungsschicht, die diesen Namen für jene Epoche gesellschaftlicher Rückständigkeit und ökonomischer Unterentwicklung verdiente) und die Furcht vor internen, vom Ausland und vom weltlichen Klerus geförderten Sezessionsbestrebungen machten es in der Tat notwendig, die Macht in die Hände eines Staates zu legen, der Ausdruck der politisch aufgeklärtesten, intellektuell fähigsten und ökonomisch aktivsten gesellschaftlichen Gruppen war. • Aus dem Italienischen von Gerhard Kuck.

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Deshalb sah sich das liberale Bürgertum, das den nationalen Einigungsprozeß getragen und den risorgimentalen Staat aufgebaut hatte, gezwungen, auf das verwaltungspolitische Organisationsmodell zurückzugreifen, das seinen Erfordernissen am ehesten entsprach und sich zugleich am wenigsten von der Tradition des Landes entfernte. Unmöglich konnte es auf die französischen Regierungsgrundsätze verzichten, die sich auf den Verwaltungszentralismus und auf die starke Kontrolle der lokalen Körperschaften gründeten, wie sie das Land bereits während der napoleonischen Herrschaft kennengelernt und woraus es unzweifelhaften Nutzen gezogen hatte. Es handelte sich dabei um Prinzipien, die im übrigen von einigen italienischen Staaten nach dem Sturz Napoleons und mit dem Beginn der Restaurationszeit zu einem großen Teil übernommen wurden. In der Tat griff man im Königreich beider Sizilien seit der Zeit Luigi de Medicis, im Königreich Piemont-Sardinien nach einer gewissen, in der Folge von 1815 auftretenden anfänglichen Orientierungslosigkeit, sogar im Kirchenstaat schließlich dank der von Kardinal Consalvi 1816 durchgeführten spätaufgeklärten Reformen mit geringfügigen Unterschieden auf die französischen zentralistischen Prinzipien zurück, weil man sie für die Regierung eines Landes und für die Organisation der öffentlichen Verwaltung am angemessensten hielt; d.h. innerhalb der verschiedenen Staaten Italiens ließ sich unabhängig von ihrer jeweiligen absolutistischen bzw. konstitutionellen Grundstruktur nichts Besseres und Funktionaleres denken. Hätte man diese zentralistischen Leitideen aufgegeben, um dem territorialen Partikularismus und der Vielfalt der Rechtsordnungen nachzugeben, welche die Organisation der italienischen Staaten in den vorausgehenden Jahrhunderten gekennzeichnet hatten, wäre das Land politisch nicht nur in die Zeit vor der Französischen Revolution, sondern sogar in die Periode vor' der Herausbildung der absoluten Staaten zurückgefallen, die vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts reformerisch aktiv waren. Wie sehr die Führungsklassen und der überwiegende Teil der öffentlichen Meinung über Jahrzehnte daran festhielten, daß eine zentralisierte Verwaltung den Notwendigkeiten und Erfordernissen der italienischen Gesellschaft entsprach, zeigt sich daran, daß dieser Leitgedanke in der Restauration zumindest partiell beibehalten bzw. im nationalen Einigungsprozeß fast vollständig übernommen wurde. Die Überzeugung leitete sich aus den vergangenen Erfahrungen sowie aus dem Bewußtsein ab, daß die zentralistischen Strukturen in der französisch-napoleonischen Herrschaftsphase nicht wenig zur Verjüngung Italiens beigetragen und den Modernisierungsprozeß der italienischen Gesellschaft eingeleitet haben, der in einem so rückständigen Land darauf beruhte, daß die Handlungskompetenzen auch in der Peripherie so weit wie möglich bei der Zentralgewalt lagen. Aber sie reifte in Italien nur langsam heran, einerseits aufgrund des natürlichen Mißtrauens gegenüber den häufigen ausländischen Machthabern, und andererseits auf-

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grund der Furcht, die den Herrschern, zumeist Monarchen kleiner staatlicher Einheiten, die konservativen Kräfte einflößten, die auf der Grundlage alter Privilegien sowie herrschaftlicher, kirchlicher und feudaler Bindungen Land und Menschen kontrollierten. Doch im Verlaufe des 18. Jahrhunderts hatten die absoluten Monarchien in Italien, die sich ihrer Rolle mehr und mehr bewußt wurden, die Kontrolle zurückerobert, was die königlichen Vorrechte und die Aufgaben der staatlichen Verwaltungsapparate deutlich hervortreten ließ. An der piemontesischen Gesetzgebung des aufgeklärten Absolutismus und an der bourbonischen Gesetzgebung nach Ende des Vizekönigtums und Wiederherstellung des Königreiches Neapel wird deutlich, wie sich die von den Staatsapparaten programmierte und verwirklichte Rückgewinnung der Kontrolle über Land und Menschen vollzog und wie die größten und stärksten italienischen Staaten die Herrschaft über ihre Untertanen und ihr gesamtes Territorium fast alles durchdringend entfalteten. Wesentlich für die Durchführung dieser Politik waren die verschiedenen Verwaltungsapparate, welche die einzelnen Reformstaaten in ihren Territorien aufbauten. Stützpfeiler waren in Piemont die intendenti, d.h. Beamte, die über ähnliche Kompetenzen verfügten wie die französischen Intendanten in der letzten Phase des Ancien regime, im bourbonischen Königreich die mit polizeilichen und richterlichen Aufgaben betrauten presidi der königlichen udienze provinciali (Amtsbezirke). In diesen beiden Staatsverfassungen mit ihrer jeweiligen besonderen Verwaltungsorganisation gab es jedoch ein wichtiges Element, das ihre Territorialstruktur in gewisser Hinsicht anglich. Tatsächlich wurde die Provinz wieder zu einem Aggregationsfaktor bestimmter, aus politischen und wirtschaftlichen Gründen um ein wichtiges Zentrum oder eine große Gemeinde herum gruppierter Gebiete. Dort hatten die Unterbehörden der Zentralregierung ihren Sitz, die mit der Verwaltung des betreffenden Territoriums beauftragt waren. Die Einrichtung der intendenze po/itiehe provinciali in der österreichischen Lombardei zeigt, daß es sich dabei um ein weitverbreitetes politisches Bedürfnis handelte; in den Augen Josephs Il. und der Reformer stellten sie einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der lombardischen Verwaltungsstrukturen und zugleich zur Beseitigung der letzten Spuren jener Munizipal- und Adelsgewalten dar, welche die österreichische Monarchie mit Mißtrauen betrachtete. Die größeren absolutistischen Monarchien Italiens hatten also mit der Modernisierung der Lokalgewalten begonnen, indem sie entweder erneuerte Provinzialverfassungen dafür benutzten oder indem sie sie eigenen Regierungsbeamten unterstellten. Die Reformversuche, die je nach Tradition und Gegebenheiten in den verschiedenen Staaten unterschiedlich ausfielen, wurden nicht zu Ende geführt, vielmehr hat der Ausbruch der Französi-

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schen Revolution sowie die Besetzung durch die Armee d'Italie ihre ursprüngliche Schwungkraft gebremst und schließlich zum Stillstand gebracht. Vor diesem Hintergrund trat die innovative Tragweite der neuen Prinzipien und Strukturen des "jakobinischen" triennio in ihrer ganzen Klarheit hervor, denn nun ersetzten die auf der Basis der französischen Verfassung des Jahres III (1795) more geometrico eingerichteten Gemeinden und Departements die einzelnen Lokalverfassungen, die das vielgestaltige politische Panorama im vorrevolutionären Italien bestimmt hatten. Bedeutsamer war aber noch, daß man mit der alten, auf Autonomie zielenden Munizipalverfassung auch jene lokalistischen und partikularistischen Tendenzen zurückzudrängen begann, die das Risorgimento später - vermeintlich endgültig - bezwingen sollte. Das während des revolutionären triennio (1796 1799) eingeführte Verwaltungs system wurde im Anschluß an die erfolgreiche österreichisch-russische Gegenoffensive und an den Zusammenbruch der ,jakobinischen" Republiken, die im Zuge der ersten napoleonischen Herrschaftsphase entstanden waren, wieder abgeschafft, doch blieben der damit verbundene Zentralismus und die strenge Kontrolle der Lokalverwaltungen durch die Zentralgewalt in den anschließenden Jahrzehnten erhalten. Wie erfolgreich die französischen Zentralisierungs- und Rationalisierungsideen waren, zeigt sich deutlich daran, daß Zurlo nach 1800 im Königreich Neapel die alten von den presidi geleiteten udienze provinciali durch neue intendenze provinciali zu ersetzen oder sie ihnen zumindest an die Seite zu stellen versuchte; die Funktionen und Kompetenzen der früheren Einrichtungen wurden dadurch verändert, während den neuen Institutionen in etwa jene finanzwirtschaftlichen und Verwaltungsaufgaben übertragen wurden, die auch die Intendanten im Frankreich des Ancien regime ausgeübt hatten. Allerdings hatte inzwischen die Revolution die Organisation der französischen Zivilverwaltung tiefgreifend umgewandelt, und mit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire war ein zentralistischer Apparat entstanden, der dann mit dem Gesetz vom 28. Pluviöse des Jahres VIII entschieden ausgebaut worden war. Diese Organisations struktur übernahmen in der Folge alle italienischen Staaten, die in den napoleonischen Machtbereich gerieten. Napoleon behielt zwar die Departements- und Gemeindeverwaltungen aus der Zeit des Direktoriums bei, baute gleichwohl aber mit den Präfekturen die Organisation der Zivilverwaltung grundlegend um; er machte den Präfekten zum einzigen Träger der öffentlichen Gewalt, welcher der Regierung, die ihn ernannte, direkt verantwortlich war. Auch die Vizepräfekten, die dem Präfekten zur Hand gehen sollten, wurden von der Regierung bestimmt, während die Intendanten des Ancien regime sich ihre Leute selbst ausgesucht hatten. Der Präfekt stand einem Präfekturrat vor, der je

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nach Größe des Departements aus drei, vier oder fünf Mitgliedern bestand und die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausübte, während ein Consiglio generale deI dipartimento (Departementsrat) finanzwirtschaftliche und Steuerfragen behandelte. Die von der Revolution eingeführte Gemeindeordnung blieb erhalten, doch der Bürgermeister und die Beigeordneten wurden je nach Gemeindegröße vom Präfekten oder von der Regierung berufen, während die Gemeinderäte, deren Mitgliederzahl je nach der Bevölkerungszahl schwankte, bloße Beratungsfunktionen zur Unterstützung des Bürgermeisters besaßen und nur in wenigen Fragen von allgemeinem Interesse Entscheidungs befugnisse hatten. Das System war aufeinander abgestimmt und darum wirkungsvoll. Auf jeder Stufe der Verwaltungshierarchie vertrat ein Regierungsbeamter die öffentliche Gewalt, während ein Ratsorgan der öffentlichen Meinung Ausdruck verlieh und die Interessen der Lokalbevölkerung artikulierte. Aktive Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit waren voneinander getrennt, so daß man bei einer eventuellen Klage gegen Maßnahmen nicht gezwungen war, sich an die Zivilgerichte, die man nicht für zuständig hielt, oder an die Verwaltungsbehörden, die sie selbst veranlaßt hatten, zu wenden. Diese perfekte Verwaltungsorganisation wurde im Gefolge der napoleonischen Eroberung auch in Italien eingeführt. In Piemont entstanden nach der Annexion die Departements, die insofern eine Art Kontinuität zu den letzten Jahren des Ancien regime herstellten, als der monarchische Zentralismus und das Netz von Intendanturen, das wie in Frankreich seit der letzten Phase des Absolutismus das Land überzog, die Voraussetzungen für eine Modernisierung der zivilen Verwaltung geschaffen hatten. Auch wenn im Königreich Piemont-Sardinien die Intendanten bis zuletzt auf Widerstände trafen und die lokalen Oligarchien die Entscheidungen des Königs beeinflußten, war die gegebene Verwaltungs struktur noch am offensten für derartige Neuerungen. In Genua vollzog sich die Einführung des französischen Verwaltungssystems in zwei Phasen. Die Verfassung der Ligurischen Republik von 1802 verfügte die Einrichtung der Departements und den Aufbau der Lokalbehörden nach Maßgabe des Gesetzes vom 28. Pluviöse des Jahres VIII. Eine Reihe einschlägiger Gesetze folgten, die allerdings erst mit der Annexion durch das kaiserliche Frankreich umfassend zur Anwendung kamen, als die Lokalverwaltungen vollkommen der in Frankreich bestehenden Struktur angeglichen, d.h. auch die kleinen, eher formalen als substantiellen Eigenheiten aus der Zeit der Republik (z.B. in der Terminologie zur Bezeichnung der öffentlichen Ämter) aufgehoben wurden. Ganz anders als in Ligurien stieß das Departementssystem und die damit verbundene Einrichtung von vier Präfekturen in der Toskana auf große 4 DipperlSchiederlSchulze (Hrsg.)

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Widerstände, was darauf zurückgeführt werden kann, daß die dortige Verwaltung während des Ancien regime nicht - wie in den absoluten Monarchien - zentralistisch reorganisiert worden war. Die Toskaner wußten mit dem französischen Verwaltungssystem nur wenig anzufangen und vermochten deshalb auch nicht dessen positive Eigenschaften zu würdigen, sehnten sich vielmehr nach der Gemeindereform Peter Leopolds zurück. Wenn die Bevölkerung von Lucca vielleicht anders reagierte, so deshalb, weil Napoleons Schwester, die dort mit dem Titel einer Großherzogin regierte, vorsichtig vorging und vermittelnde Positionen einnahm. Politisch schwierig war auch die Einrichtung der beiden Departements Tevere und Trasimeno nach der Annexion Roms. Die französische Verwaltungsstruktur hatte zahlreiche Hindernisse zu überwinden, wie die Erfahrungen des Stadtpräfekten Camille de Toumon beweisen und wie man auch in dem unübertrefflichen Buch La Rome de Napoleon (1904) von Louis Made!in nachlesen kann. Hemmend auf den Übergang zur modemen französischen Verwaltung wirkte sich schon der rückständige und ungeordnete Regierungsapparat des Kirchenstaates aus, und auch die Bevölkerung, seit Jahrhunderten an das Kirchenregiment gewöhnt, tat sich schwer mit dem modemen, aktiven und funktionalen politischen System. Besondere Beachtung verdienen vor allem Neapel und Mailand, denn bei ihnen handelte es sich um zwei in formaler Hinsicht von Paris unabhängige Staaten, die das französische Verwaltungssystem übernahmen. In den annektierten Territorien kam das Gesetz vom 28. Pluviöse des Jahres VIII automatisch zur Anwendung, ohne daß auch nur der geringste Versuch einer Angleichung unter Beteiligung italienischer Gelehrter und Juristen versucht worden wäre: man sah darin eine innerfranzösische, von Paris aus einseitig entschiedene und geregelte Angelegenheit. Verwaltungsautonomie gab es im napoleonischen Kaiserreich nicht, auch wenn mancher meinte, sie lasse sich aufgrund der andersartigen Bräuche, Traditionen und Kulturstränge der Bevölkerungsteile in den annektierten Gebieten rechtfertigen. Die Romantik und die Historische Rechtsschule und dann die Restauration polemisierten vor allem gegen diesen Sachverhalt, nahmen genau dieses Motiv unter Verstärkung jener und hoben die negativen Begleiterscheinungen übermäßig hervor, die vermutlich den Zeitgenossen, wenigstens in Italien, angesichts der Effizienz des neuen Verwaltungssystems und der beträchtlichen Unparteilichkeit, mit der das staatliche Verwaltungspersonal ausgewählt wurde, nicht besonders aufgefallen war. In Mailand sah der Gesetzgebende Rat (Consiglio legislativo) der Cisalpinischen Republik in einem unmittelbar nach der Schlacht von Marengo ausgearbeiteten Verfassungstext die Aufteilung des Territoriums in Departements und Gemeindebezirke vor, denen Versammlungen, von der Bevölkerung nach einem zweistufigen Wahlmodus gewählt, vorstehen sollten. Melzi setzte diese Bestim-

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mungen in die Tat um, als er 1802 die Präfekturen und Vizepräfekturen unter weitestgehender Orientierung an das französische Modell schuf. Er wurde darin von Gioia kritisiert, der aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen eine andere territoriale Gliederung vorzuziehen schien. Melzi konzentrierte die Lokalgewalt auf diese Weise in den Händen des Präfekten und der schwach besetzten Gemeindeverwaltungen. Er folgte darin Orientierungen bezüglich der Departements- und Gemeindeverfassung, deren endgültige Form Napoleon 1805 dem Staatsrat des Königreichs Italien vorlegen sollte. Das damals erlassene Dekret über die öffentliche Verwaltung und über die territoriale Gliederung des Königreiches entsprach ihnen voll und ganz; je nach Blickwinkel des Betrachters - zentralistisch oder auf Autonomie bedacht - wurde es begrüßt oder abgelehnt. Ich gehöre auf jeden Fall zu denjenigen, die die in napoleonischer Zeit erfolgte Zentralisierung für einen äußerst positiven Faktor in der italienischen Geschichte halten. Viele Gründe lassen sich anführen, so die Vereinheitlichung der Lokalverwaltungen, die strenge und wirksame Kontrolle, welche die Zentral- über die Provinzialbehörden ausübten, die Trennung von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Auswahl des leitenden Verwaltungspersonals nach Kriterien, die darauf zielten, die Geeignetesten und Besten zu erfassen. Gegenüber dem starken Modemisierungsschub, der aufgrund der neuen napoleonischen Verwaltung verschiedene Gebiete des Landes erfaBte, traten zweifellos vorhandene Mängel und Lücken völlig zurück. Dieselben Fortschritte machte auch das Königreich Neapel mit dem Gesetz vom 8. August 1806, das in Orientierung an den Prinzipien von Rationalität und Leistungsfähigkeit eine neue Provinzverwaltung schuf und darauf zielte, jegliche Form partikularistischer Organisation, sei sie kirchlicher, baronaler oder kommunaler Natur, zu beseitigen. Aufgrund der gemeinsamen Orientierung am Gesetz vom 28. Pluviöse des Jahres VIII ähnelten, abgesehen von einigen terminologischen Unterschieden wie Provinz statt Departement oder Intendant statt Präfekt, die neuen Strukturen der in Norditalien bereits bestehenden Verwaltungsorganisation sehr. Die Provinzeinteilung konnte im süditalienischen Königreich überdies an lang wirkende Traditionen der territorialen Gliederung anknüpfen, deren historische Grundlagen zum Teil auf die normannischen Gerichtssprengel zurückgingen und die in ihrem Wesenskern nicht angetastet wurden. Gerade deshalb, weil man sich der langen einheitsorientierten und zentralistischen Tendenzen innerhalb der süditalienischen Staatsverfassung bewußt war, beurteilten viele die neue Ordnung positiv. Abgesehen von Sizilien finden sich in der süditalienischen Geschichte tatsächlich keinerlei regionalistische Bestrebungen, immer war der in Neapel ansässige Regierungsapparat Bezugspunkt, blieben die königlichen Beamten die einzigen 4'

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Vertreter der politischen Gewalt. Blanch, der als Theoretiker des gemäßigten Liberalismus die autoritären Gehalte eines Verwaltungssystems ablehnte, in dem die Peripherie dem Zentrum unterworfen war und eine übermäßige Zentralisierung die lokalen Freiheiten unterdrückte, mußte nach dem Fall des napoleonischen Kaiserreichs gleichwohl die Zeit zwischen 1806 und 1815 für den italienischen Süden als im wesentlichen positiv anerkennen, weil Anstrengungen unternommen worden waren, die jahrzehntealte kulturelle und gesellschaftliche Rückständigkeit zu überwinden und auf diese Weise die Gesellschaft zu entwickeln und zu modernisieren. Darauf zielte einerseits die Reorganisation des Territoriums nach den Grundsätzen administrativer Rationalität. Dahingehend wirkten andererseits die neuen von den Präfekten oder Intendanten geleiteten Verwaltungsapparate. Die italienischen Präfekten stellten zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgrund ihrer sozialen, nämlich überwiegend bürgerlichen Herkunft, aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen sowie ihres Bewußtseins von der Bedeutung ihrer Rolle und Aufgaben die Spitze einer erstklassigen, in Italien bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten Schicht von Verwaltungsbeamten dar. Der napoleonische Präfekt trug auch in den Staaten der italienischen Halbinsel enorme Verantwortung. Angesichts der staatlichen und gesellschaftlichen Unterentwicklung vieler Landesteile, angesichts quantitativer Lücken und qualitativer Mängel der Führungsschichten erfüllten sie ihre Aufgaben der provinzialen Verwaltung und der Übermittlung des Regierungswillens an die Peripherie, der Verkörperung von Autorität und Gesetz wirklich beispielhaft. Zuweilen leisteten sie mehr als ihre Kollegen in Frankreich, dessen Staatsapparat robuster gebaut und dessen Gesellschaft zweifellos moderner war. Ihnen ist es also zu verdanken, daß die Strukturen Italiens (mit Ausnahme der Inseln, wohin der Arm Napoleons nicht reichte) sich im Bereich der regionalen und lokalen Verwaltung überall vereinheitlichten, und zwar trotz des noch immer nicht erreichten politischen Zusammenschlusses. Damit war zweifellos ein wichtiger Nährstoff gegeben, der das Bewußtsein der nationalen Einheit, Grundlage des bevorstehenden Risorgimento, wachsen ließ.

Die Verwaltungselite im napoleonischen Italien (Italienische Republik und Königreich Italien) * Von Livio Antonielli Es gibt noch keine Gesamtstudie über die Verwaltungsapparate in der Italienischen Republik und im Königreich Italien, d. h. in jenen beiden aufeinanderfolgenden Staatsgebilden, die zwischen 1802 und 1814 die meisten nord- und mittelitalienischen Territorien zusammenfaßten und damit die größte und dauerhafteste Schöpfung Napoleons in Italien darstellten. Die Urteile, die sich insbesondere auf die mittlere und hohe Beamtenschaft, d.h. auf die "Verwaltungselite" 1 beziehen, beruhen bis heute auf partiellen, nicht die ganze Verwaltung erfassenden Untersuchungen. Carlo Zaghi hob in seiner vor einigen Jahren erschienenen wichtigen Arbeit über die beiden Republiken und das Königreich Italien2 in Übereinstimmung mit seinen früher vertretenen Thesen 3 die politisch-ökonomischen Aspekte hervor, nach denen das Personal für die mittleren und gehobenen Stellen der zentralen und peripheren Verwaltungsapparate ausgewählt wurde. Für Zaghi waren Geld- und insbesondere Landbesitz das entscheidende Kriterium. Tatsächlich berechtigte gerade das Eigentum zur effektiven Teilnahme am politischen Leben und damit zur Ausübung öffentlicher Funktionen, welche die einzig anerkannte Form gesellschaftlicher Höherstellung darstellte 4 . All dies bewirkte eine Art Bündnis zwischen der Aristokratie, die noch den Großteil des Grundeigentums in ihren Händen hielt5 , • Aus dem Italienischen von Gerhard Kuck. 1 Ein der klassischen Studie von C. Wright Mills, La elite deI potere, New York 1956, Mailand 1959, entlehnter Begriff. 2 C. Zaghi, L'ltalia di Napoleone dalla Cisalpina al Regno, in: G. Galasso (Hrsg.), Storia d'ltalia, Bd. 18, Turin 1986. 3 C. Zaghi, Proprieta e classe dirigente nell'ltalia giacobina e napoleonica, in: Annuario dell'Istituto storico italiano per l'eta moderna e contemporanea, 23 - 24 (1971 - 1972), Rom 1975, S. 105 - 220. 4 Vgl. Zaghi (Fn. 2), S. 299. 5 Die Vermögensverteilung in Mailand zu Ende des 18. Jahrhunderts untersucht F. Arese, Patrizi, nobili e ricchi borghesi del dipartimento d'Olona secondo il fisco della prima Repubblica cisalpina (1797 - 99), in: Archivio storico lombardo, 102 (1975), S. 95 - 161; vgl. in diesem Zusammenhang auch die problemorientierte Darstellung von C. Capra, Nobili, notabili, elites: dal "modello" francese al caso italiano, in: Quaderni storici, 37 (1978), S. 12 - 42.

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und jenem durch den Zensus definierten Bürgertum, das nunmehr aristokratische Stile der Lebensführung und Vermögens anlage zu übernehmen begann. In den Jahren der Italienischen Republik (1802 - 1805), in denen Bonaparte, formal Staatspräsident, dem Vizepräsidenten Francesco Melzi d'Eril einen bemerkenswerten Spielraum gewährte, wurde diese Linie durch eine Vorgehensweise verwässert, die nicht auf dem abstrakten napoleonischen Prinzip des "Amalgam" beruhte, sondern die "liberal-konservativen und aufgeklärten adlig-bürgerlichen Schichten" im Auge hatte, die Träger "bürgerlicher und nationaler politischen Ideale" waren 6 • Melzis Wahl fiel auf eine eng begrenzte Schicht von Notabeln, die sich aus der "alten Aristokratie der Lombardei, der Herzogtümer und des Kirchenstaates" sowie aus den "zahlreichen, bei Ankunft der Franzosen entlassenen oder zurückgetretenen Beamten der österreichischen Verwaltung,,7 zusammensetzte. Für die höheren Ämter ließen sich derartige Kriterien ohne weiteres anwenden, für die untergeordneten Posten und die Stellen in der Provinz jedoch mußten notwendigerweise die Angestellten der aufgelösten cisalpinisehen VerwaltungS herangezogen werden, auf die Melzi aus Furcht vor ihrem politischen Radikalismus gerne verzichtet hätte; auf jeden Fall blieben sie "unten, in untergeordneter Position und ohne spezifische Zuständigkeiten", oder sie erhielten "Aufgaben, denen eine geringe Bedeutung zugeschrieben wurde,,9, d.h. sie gehörten nicht zur Verwaltungselite. Als 1805 das Königreich Italien mit Napoleon als König und dem in Mailand residierenden Eugene de Beauhamais als Vizekönig entstand, setzte sich nach Zaghi endgültig "eine durch den Zensus definierte soziopolitische Schicht durch, in die einerseits die in der Revolution emporgekommenen Männer, die ihre Ideale, einmal an die Regierung gelangt, zum größten Teil aufgegeben haben, und andererseits die Exponenten der alten, vom napoleonischen Regime nicht deklassierten, sondern aktivierten aristokratischen und adligen Klassen zusammenflossen"IO. Ein Königreich habe sich herausgebildet, "voll von Notabeln und hohen adligen Beamten mit klingenden Amtsbezeichnungen, von privilegierten und gut bezahlten 6 Zaghi (Fn. 2), S. 356, "Moderato" wird in diesem Text durchgehend nicht mit dem wenig aussagekräftigen "gemäßigt" übersetzt, sondern mit "liberal-konservativ". Damit ist sowohl eine politische Einstellung bezeichnet als auch die sie tragende Gruppe: die oberitalienische Großbourgeoisie und ihre Klientel, die sowohl die Revolution als auch die klerikale Reaktion ablehnen (Anm. d. Übers.) 7 Ebenda S. 311. 8 Die Cisalpinische Republik wurde im Juni 1797 proklamiert und dauerte, unterbrochen von der österreichisch-russischen Besatzungszeit (April 1799 bis zum Juni 18(0), bis zum Januar 1802. 9 Zaghi (Fn. 2), S. 311. 10 Ebenda S. 357.

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Betreßten, die einzig gehorchen, schweigen und bezahlen können"!!. Aus einem solchen Blickwinkel wurden auch diejenigen, die sich in der Vergangenheit durch eine radikale politische Haltung hervorgetan hatten, zu "gemäßigten und eifrigen Staatsdienern", die Liberalen hingegen zu "angeberischen, steifen und eilfertigen Dienern des napoleonischen Bürgertums", die "die Vergangenheit vergessen hatten, nur darauf bedacht waren, Titel, Ämter und Pfründen anzuhäufen, und sich Napoleon gegenüber gefügsam zeigten,,!2; wobei das Grundeigentum dem individuellen Erfolg auf jedem Fall weiterhin zugrunde gelegen, die Armut damit faktisch eine "schwere Beeinträchtigung für Karriere und Anstellung" bedeutet habe 13 • Die Verwaltungselite besaß also im Grundeigentum einen starken gemeinsamen Nenner; was sich im Verlauf der Entwicklung von der Republik zum Königreich Italien änderte, war die politische Haltung. In der republikanischen Zeit blieb, wie sich an Francesco Melzi zeigt, Frankreich gegenüber ein gewisser Geist der Unabhängigkeit erhalten !4, während nach 1805 das napoleonische System mit seinen strengen Zentralisierupgstendenzen, der absoluten Vorherrschaft der Exekutive, der Auflösung der Vertretungskörperschaften und der Unterdrückung aller abweichenden Tendenzen einschränkungslos übernommen wurde. Opfer dieses Prozesses seien insbesondere diejenigen gewesen, die den Übergang vom vornapoleonischen Regime zu den demokratischen Republiken am stärksten vorangetrieben hatten; "dem kleinen und mittleren Bürgertum, das auf die eine oder andere Art in die Ereignisse der ersten und der zweiten Cisalpina verwickelt oder hineingezogen worden war, wurden (nach sorgfältiger Aussonderung der hitzigsten Elemente [... ]) lediglich die untergeordneten Stellen der Zentral- und Provinzverwaltung zugeteilt"!5. Insbesondere der Übergang von der Republik zum Königreich habe "eine ganz radikale Säuberung der Verwaltung von den verbliebenen republikanisch-demokratischen Elementen zur direkten Folge" gehabt. "Die Jakobiner oder diejenigen, die man für solche hielt, werden in jedem Winkel der Zentral- und Provinzverwaltung aufgespürt, mit dem Finger bezeichnet, isoliert und an den Rand gedrängt,,!6. Wenn einige von Ebenda S. 357 f. Ebenda S. 312. 13 Ebenda S. 300. Die Bedeutung des wirtschaftlichen Kriteriums für die Ämterverteilung betont Zaghi (Fn. 3), S. 117. 14 Über den Mailänder Patrizier Francesco Melzi d'Eril vgl. im besonderen C. Capra, La carriera di un ,uomo incomodo' (i carteggi Melzi d'Eril), in: Nuova rivista storica, 52 (1968), S. 147 - 168, und A. Stella, Reminiscenze machiavelliane e realismo politico nel pensiero e nell'azione di Francesco Melzi d'Eril, in: G. De Rosa/F. Agostini (Hrsg.), Vita religiosa e cultura in Lombardia e nel Veneto nell'eta napoleonica, Rom/Bari 1990, S. 55 - 68. 15 Zaghi (Fn. 3), S. 164f. 16 Ebenda S. 169. 11

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ihnen es schafften, in der Verwaltung des Königreiches einen Platz zu finden, so nur deshalb, weil sie "zum großen Teil die Ideale" aus der revolutionären Periode aufgegeben hätten 17. Dieses immer noch gültige Urteil ist anhand einiger in den letzten Jahren durchgeführter Untersuchungen zu präzisieren, die neue Erkenntnisse bieten, auch wenn eine systematische Analyse der gesamten napoleonischen Verwaltung in Italien nach wie vor fehlt 18. Im vorliegenden Zusammenhang sollen insbesondere zwei Punkte diskutiert werden. Erstens scheint es nicht so offensichtlich zu sein, daß ein großer Teil der höheren Ämter von einer in sich homogenen Schicht von Grundeigentümern besetzt worden ist, und zweitens ist es auch zweifelhaft, ob diejenigen, die in den cisalpinisehen Jahren als Demokraten aktiv gewesen waren und nach 1802 herausragende Positionen einnahmen, als "Verräter" zu betrachten sind oder ihre früheren Leitideen völlig aufgegeben haben. Hinsichtlich des ersten Punktes muß man zweifellos zwischen der italienischen Republik und dem Königreich Italien unterscheiden. In den Jahren der Republik, das heißt zwischen 1802 und 1805, zielte der Vizepräsident Melzi in der Tat darauf, die grundbesitzende Elite zur Arbeit in den Staatsapparaten heranzuziehen. Melzi hatte nie recht verstanden, warum Napoleon Ende 1801 im Verlaufe der nach Lyon einberufenen Verfassunggebenden Cisalpinisehen Versammlung als eine Art ursprüngliches Organ der nationalen Souveränität die Wahlkollegien geschaffen hatte. Diese teilten sich in drei gleich große Kammern der Grundbesitzer (possidenti), der Handeltreibenden und Industriellen (commercianti) und der Gelehrten (dotti) auf. Um aus ihnen ein Element nationaler Geschlossenheit zu machen, wie es Napoleons Absicht war, mußten neben die unverzichtbaren Großgrundbesitzer das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum treten. Napoleon war sich sehr wohl bewußt, daß er die für den Aufbau des neuen Staates unentbehrlichen Experten und Verwaltungsbeamten nur unter den letztgenannten finden konnte l9 . Für Melzi Zaghi (Fn. 2), S. 357. Auf der Grundlage der im Mailänder Staatsarchiv verfügbaren Quellen läßt sich diese Analyse nicht zu Ende führen. Ein bedeutsamer Schritt könnte jedoch getan werden, zöge man das Privatarchlv des Vizekönigs Eugene de Beauharnais in Princeton (New Jersey) heran. Es ist Alain Pillepich zu verdanken, wenn jetzt ein beträchtlicher Teil dieses Archivs im Napoleon-Museum von Malmaison auf Mikrofilm zur Verfügung steht. Eine erste Studie, die dieses Material berücksichtigt, ist die von Capra betreute, im akademischen Jahr 1989 - 1990 eingereichte "tesi di laurea" von G. Pesce, Da "ufficiale" a commesso. Aspetti della burocrazia napoleonica a Milano, Universita degli Studi di Milano, Facolta di lettere e filosofia. 19 Über die Wahlkollegien der Grundbesitzer und Gelehrten vgl. jeweils C. Capra, Una ricerca in corso: i Collegi elettorali della Repubblica italiana edel Regno italico, in: Annuario dell'Istituto storico italiano per l'eta moderna e contemporanea, 23 - 24 (1971 - 1972), S. 475 - 497 (insbesondere S. 476 hinsichtlich Melzis Haltung), und derselbe, La condizione degli intellettuali negli anni della Repubblica 17

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aber wurde den Gelehrten ein zu großer Raum20 gewährt, und er erreichte zumindest, daß die Mitgliederzahl für das Wahlkollegium der Grundbesitzer auf 300 erhöht wurde, während sie in den beiden anderen bei jeweils 200 blieb. Melzi und mit ihm die anderen ihn unterstützenden Exponenten der liberal-konservativen Kräfte ließen sich also nicht zu einem willfährigen Werkzeug der napoleonischen Politik des "Amalgam" machen. Melzi war ein Kind des theresianischen Reformismus in der Lombardei. Insbesondere hatte er die Prinzipien der Eigentumsideologie übernommen, die darauf zielten, die Gruppe der Eigentümer als legitime Ansprechpartner und Mitarbeiter der staatlichen Autorität zu institutionalisieren, was mit der Steuerund Katasterreform 1755 sowie mit der Gemeindereorganisation zum Teil in die Tat umgesetzt worden wa?'. Damit endete die bisherige Praxis, die den Zugang zu den höheren Ämtern nach dem Geburtsrecht regelte und auf diese Weise die unangefochtene Vorherrschaft des städtischen Patriziats ermöglicht hatte. Mit den neuen, auf dem Zensus gegründeten Legitimationskriterien traten neben das Patriziat, das auf die durch soziale Abstammung und Privileg bedingten Unterscheidungen verzichtete, die reichen Grundbesitzer bürgerlicher Herkunft, und beide Gruppierungen fühlten sich berechtigt, nicht nur die Nation zu vertreten, sondern auch Regierungsfunktionen auszuüben 22 .

Solche Orientierungen kamen selbstverständlich zum Tragen, wo Melzi als höchster Regierungsvertreter der Republik in Mailand die Wahl seiner Mitarbeiter selbständig vornehmen konnte. Maßgeblich sind in diesem Zusammenhang nicht so sehr die Besetzungen der wichtigsten Staatsämter, welche die cisalpinischen Notabeln unter direkter Kontrolle Napoleons in Lyon 23 italiana edel Regno italico, 1802 - 1814, in: Quaderni storici, Nr. 23, 1973, S. 471 - 490. Der letztgenannte Beitrag erwähnt auch das Istituto Nazionale (ab 1810 Istituto reale di scienze, lettere ed arti). 20 Vgl. Capra, La condizione degli intellettuali, ebenda S. 479. 21 Vgl. dazu C. Mozzarelli, Sovrano, societa e amrninistrazione locale nella Lombardia teresiana (1749 - 1758), Bologna 1982. 22 Über die Konsolidierung der Eigentumsideologie in der Lombardei vgl. jetzt C. Capra, Alle origini deI moderatismo edel giacobinismo in Lombardia: Pietro Verri e Pietro Custodi, in: Studi storici, 4, 1989, S. 873 - 890 (880f.). An anderer Stelle definiert Capra die Idee einer Regierung der Eigentümer als eine "in gewisser Weise berichtigte und auf den neuesten Stand gebrachte Version der traditionellen Autonomiebestrebungen des MaiJänder Patriziats", vgl. C. Capra, ,11 dotto e il ricco ed il patrizio vulgo'. Notabili e funzionari nella Milano napoleonica, in: I cannoni al Sempione. Milano e la "Grande nation" (1796 - 1814), Mailand 1986, S. 37 - 72 (48). 23 Vgl. zu den Lyoner Ereignissen und den dort versammelten Notabeln die immer noch wertvolle Studie von U. Da Corno, I Cornizi nazionali in Lione pe la costituzione della Repubblica italiana, 3 Bde., Bologna 1934 - 1940.

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vornahmen (obgleich auch hier Melzi seine Hand im Spiel hatte)24. Die Wahl fiel zum größten Teil auf die anwesenden Notabeln, war also zumindest in politischer Hinsicht ziemlich heterogen. In Lyon waren die Mitglieder der drei Wahlkollegien 25 , der Gesetzgebenden Körperschaft (Corpo Legislativo), des Staatsrates (Consulta di Stato) und des Gesetzgebenden Rates (Consiglio Legislativo), d.h. der gesamte gesetzgebende Apparat, die Vertretungskörperschaften und ein Teil der Regierungsorgane gewählt worden. Die ersten von Melzi direkt durchgeführten Besetzungen galten der Exekutive und dem Justizwesen, d.h. bezogen sich auf die Minister, Präfekten und Richter der höchsten Gerichte (Kassations- und Obergericht); in Zusammenarbeit mit diesen ernannte er die leitenden und untergeordneten Beamten für die jeweiligen zentralen und peripheren Verwaltungsapparate. Abgesehen von der Justizverwaltung, über deren Ernennungspraxis noch wenig bekannt ist26, liegen für die anderen Verwaltungsbereiche mittlerweile Erkenntnisse von einer gewissen Aussagekraft vor. Leicht fällt das Urteil über die Minister, da es zunächst nur sieben waren. Melzi hatte sechs von ihnen in den ersten Regierungsmonaten eingesetzt27 . Die Wahl fiel auf Vertrauenspersonen mit ausgewiesenen Berufserfahrungen 28 , so daß es nicht überrascht, wenn die Betreffenden mit einer einzigen Ausnahme bereits in der vornapoleonischen Verwaltung Dienst "Durchgeführt in Lyon unter Melzis Regie", schreibt Zaghi (Fn. 2), S. 305. 165 der 200 gewählten Gelehrten waren z.B. in Lyon anwesend, vgl. Capra, La condizione degli intellettuali (Fn. 19), S. 483. 26 Vgl. einige Hinweise in P. Peruzzi, Progetto e vicende di un cOdice civile della Repubblica italiana, Mailand 1971, S. 22 - 26, wo auch der Konflikt zwischen Melzi sowie dem Justizminister Spannocchi einerseits und dem Staatsrat andererseits bezüglich der Nominierung der Richter für die Appellationsgerichte erörtert wird. In der Tat wäre zu überlegen, ob es korrekt ist, das Justizwesen dem Verwaltungsbereich zuzuordnen. Capra hat zu Recht hervorgehoben, daß das 18. Jahrhundert zwar den Begriff der Gewaltenteilung hervorgebracht hat, gleichwohl aber an der noch tief verwurzelten Idee festhielt, die in der Rechtsprechung die Ausübung einer (delegierten oder unmittelbaren) Gewalt sah, "darauf gerichtet, einerseits Kontroversen zu schlichten und Übertretungen zu bestrafen, und andererseits deren Entstehung durch all jene Maßnahmen zu verhindern, die unter dem Begriff der Polizei zusammengefaßt wurden.", vgl. C. Capra, Il funzionario, in: M. Vovelle (Hrsg.), L'uomo dell'Illuminismo, Rom/Bari 1992, S. 353 - 398 (359). Doch ist nicht zu übersehen, daß es im napoleonischen Staat zum ersten Mal konkret zu einer "modernen" Abgrenzung zwischen Justiz- und Verwaltungswesen kam. 27 Ferdinando Marescalchi war bereits als in Paris residierender Außenminister im Amt, dessen Hauptaufgabe in einer kontinuierlichen Vermittlung zwischen Melzi und Napoleon bestand. 28 Auch bei der Besetzung dieser höchsten Ämter kam es in steigendem Maße dazu, daß Melzis Kandidaten verzichteten. Die mit der Ernennung des Finanzministers verbundenen Probleme mögen als Beispiel genügen: in einem Brief an Bonaparte vom 26. Februar 1802, in: I carteggi di Francesco Melzi d'Eril duca di Lodi, Bd. 1, Mailand 1958, S. 81 f., spricht Melzi von sechs Ablehnungen. 24 25

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geleistet hatten, und zwar im einzelnen drei in Mailand (Spannocchi, Villa und Bovara), einer im Herzogtum Este (Veneri) und einer im Königreich Piemont-Sardinien (Prina). Giovanni Bonaventura Spannocchi, Angehöriger einer Adelsfamilie aus Siena, war in den 1770er Jahren nach Mailand gelangt, weil er zum Mitglied des dortigen Senats berufen worden war, und in der Folge hatte er wichtige Richterämter bekleidet. Zunächst war er Präsident des Mailänder Untergerichtes, wurde dann 1796 mit Ankunft der Franzosen Präsident des Appellationsgerichtes und schließlich Richter des Revisionsgerichtes; politisch hielt er sich auch in den revolutionären Jahren bedeckt29 • Giovanni Bovara war als Angehöriger des Oblatenordens maßgeblich an den theresianischen Schulrefonnen der 1770er Jahre und an der josephinischen Kirchenpolitik in der Lombardei beteiligt, während er sich in den revolutionären Jahren abseits gehalten hatte 3o • Ebenso hatte der anerkannte Jurist Luigi Villa herausragende Positionen in der Verwaltung der habsburgischen Lombardei innegehabt. Im besonderen hatte ihn Joseph I/. zum Mitglied der mit der Übertragung des österreichischen Strafgesetzbuches auf die Lombardei befaßten Kommission ernannt; 1788 bekleidete er das Amt eines Kronanwaltes, 1791 war er Richter am Appellationsgericht, 1792 Mitglied des Obersten Gerichtes und 1797 schließlich, unter den Franzosen, Mitglied des Kassationsgerichts. Mit seiner liberal-konservativen Haltung war auch Villa ein typischer Vertreter der lombardischen Refonnkreise vom Ende des 18. Jahrhunderts 3l . Der aus Reggio (Herzogtum Modena) stammende Antonio Veneri gehörte zu denjenigen, die nicht aus dem Verwaltungsapparat der habsburgischen Lombardei kamen; er war Leiter der Annona der estensischen Regierung und später hoher Finanzbeamter im Herzogtum Parma gewesen. Nach Ankunft der Franzosen hatte er am cispadanischen Kongreß in Reggio teilgenommen, doch als sich die politischen Positionen 1798 radikalisierten, zog er sich zurück. Giuseppe Prina, der aus einer in Novara ansässigen Patrizierfamilie stammte, hatte 1798 das Amt eines Wirklichen Regierungsrates, d. h. praktisch des Finanzministers, im Königreich Piemont-Sardinien inne; mit der Absetzung Karl Emanuels im darauffolgenden Jahr war er vom Amt zurückgetreten und 29 Vgl. Peruzzi (Fn. 26), S. 13 f. Spannocchi wurde trotz seiner politisch vorsichtigen Haltung unter der österreichisch-russischen Besatzungsherrschaft aller Ämter enthoben. Gegen ihn hatte wahrscheinlich gesprochen, daß er, von Napoleon beauftragt, Mitglied jenes wichtigen Rechtsausschusses war, dem während der Cisalpinischen Republik die Organisation der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit unterstand. 30 Vgl. über ihn das Stichwort von Lucia Sebastiani in Dizionario biografico degli italiani, Bd. 13, Rom 1971, S. 537 - 540. 31 Vgl. über ihn A. Cavanna, La codificazione penale in Italia. Le origini lombarde, Mailand 1987, S. 50, Anm. 71; vgl. ferner die älteren Hinweise in A. Pingaud, Les hommes d'Etat de la Republique italienne (1802 - 1805). Notices et documents biographiques, Paris 1914, S. 86ff.

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hatte es, bevor Novara von Piemont getrennt und der Cisalpinischen Republik angegliedert wurde, noch einmal kurz übernommen. Er war in Lyon anwesend und wurde dort mit Napoleon und Melzi persönlich bekannt. Der einzige Minister, der keine hohe Beamtenfunktion ausgeübt hatte, war General Alessandro Trivulzio, der als Angehöriger einer der berühmtesten Mailänder Patrizierfamilien Kriegsminister wurde. Die Entscheidung war in diesem Fall dadurch bedingt, daß der Kandidat ein Militärangehöriger sein mußte 32 ; bezeichnend ist, daß Melzis Wahl auf einen jungen Aristokraten mit einer unbestimmten politischen Orientierung fiel, während er andere ablehnte, die sich als Militärs der cisalpininischen Republik ausgezeichnet hatten. Insgesamt zeigt sich an diesen Besetzungen auf höchster Regierungsebene, daß Melzi bei seiner Auswahl vor allem den Kriterien einer in langen Dienstjahren erworbenen Berufserfahrung33 und einer liberal-konservativen Haltung folgte. Ein äußerst heterogenes Bild bot hingegen die soziale Herkunft; vier gehörten adligen oder patrizischen Familien an (Spannocchi, Trivulzio und Prina, zusätzlich der bereits genannte Marescalchi), zwei kamen aus wohlhabenden bürgerlichen Familien (Villa und Veneri), einer stammte aus einem bescheidenen Haus (Bovara). Ein zweifellos bewegteres, zum Verständnis der Auswahlkriterien nützlicheres Bild bieten die Stellenbesetzungen in den peripheren Verwaltungsapparaten. Auf der Ebene der Departements stellte das Präfektenamt zweifellos die wichtigste Funktion dar. Die Ernennung der Präfekten erfolgte allem Anschein nach unter Anwendung der Maßstäbe, die auch bei der Auswahl der Minister angelegt wurden, d.h. unter besonderer Berücksichtigung der gemäßigten politischen Haltung und der beruflichen Eignung. Aber die ablehnende Haltung, auf die Melzi bei denjenigen stieß; die er am geeignetesten für dieses Amt hielt, zwang ihn in einer gewissen Zahl von Fällen, auf Ausweichkandidaten zurückzugreifen 34 ; dieser Umstand erlaubt uns, eine Prioritätenskala der Auswahlkriterien zu erstellen. Einige aussagekräftige Angaben liegen vor. Für die erste Periode (April und Mai 1802), in der Melzis Steuerungsversuche noch am wenigsten ver32 Melzi schrieb am 15. Februar 1802 an Napoleon: "Birago [... ] a certainement des qualites; il entend l'administration, est pure [sie] et ferme; mais il n'est point militaire, et cela dephut d'autant plus que sa nomination semble une preuve que l'on regarde ceux qui sont militaires comme incapables", vgl. (Fn. 28), S. 37. 33 Wie sich am Alter einiger Beamter zeigt: Veneri war 1741 geboren, Bovara 1734, Spannocchi 1741 (oder Anfang 1742), Villa zwischen 1751 und 1756); die jüngsten waren Prina, geboren 1766, und Trivulzio 1763. 34 Vgl. dazu und insbesondere zu einigen Kandidaten, die aus verschiedenen Gründen die Übernahme einer Präfektur ablehnten, L. Antonielli, I prefetti dell'ltalia napoleonica, Bologna 1983, S. 59 - 85.

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fälscht wurden, vollzog sich die Auswahl vor allem hinsichtlich der politischen Zugehörigkeit wie bei den Ministerämtern. Die Liberal-Konservativen herrschten eindeutig vor, wenn nur 4 von 19 Präfekten während der österreichisch-russischen Besatzungsherrschaft (1799 - 18(0) politisch verfolgt wurden und dementsprechend dem demokratischen Umfeld zugeordnet werden können 35 . Die Bedeutung der fachlichen Eignung trat hingegen zurück, d.h. wurde aufgrund der ablehnenden Haltung, auf die Melzi bei denjenigen stieß, die er für die Mitarbeit gewinnen wollte, nicht zum entscheidenden Kriterium. Demgegenüber gewann die soziale Zugehörigkeit der Kandidaten genauere Umrisse: 13 der 19 Präfekten waren Adlige und nicht weniger als 10, d.h. über 50%, verfügten über Immobilienbesitz mit einer (bedeutsamen) Jahresrendite von über 35000 Mailänder Lire (zugleich erklärte kein einziger, seinen Lebensunterhalt vom Präfektengehalt zu bestreiten)36. Unter den Amtsträgern finden sich Personen wie Carlo Verri, Alessandro Carlotti, Antonio Roncalli, Marcantonio Fe, Paolo Fadigati usw., die politisch ebenso zuverlässig wie für Verwaltungsfunktionen grundsätzlich unausgebildet waren, dafür aber unbezweifelbar zu den Grundbesitzern und in den ersten vier Fällen auch zur Aristokratie gehörten, d.h. zu jener Schicht, die nach den hier erörterten Grundsätzen an der Spitze der Regierungsapparate des napoleonischen Italiens stehen sollte. Ausnahmen, die die Regel bestätigen, stellten hingegen die Ernennungen Vincenzo Brunettis oder Teodoro Somenzaris dar, die bürgerlicher Herkunft waren, über keinen Grundbesitz verfügten und sich in den vorausgehenden Jahren den Demokraten angeschlossen hatten; gerade die Zufälligkeit, die zu ihrer Auswahl führte 37 , bestätigt allerdings die im Grundsatz gegenteiligen Prinzipien. Die Schwierigkeiten, auf die Melzi bei seiner Suche stieß, lagen nicht so sehr darin, daß es an den jeweiligen Orten an potentiellen Kandidaten fehlte; eher war das Gegenteil der Fall. Das eigentliche Problem bestand darin, daß die politische Zuverlässigkeit zum entscheidenden Auswahlkriterium erhoben wurde, während die Berücksichtigung spezifischer Fachkenntnisse zurücktrat; dergestalt schied aus der Zahl der möglichen Kandidaten die übergroße Mehrheit der Exponenten und Träger des politischen und Verwaltungssystems der cisalpinischen Republik von vornherein aus. Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang Melzis Richtlinien für die Beauftragten, welche die Auswahl des Personals für die mittleren Rangstu35 Ebenda S. 419, Tab. 3; man bedenke, daß gerade diese Kandidaten aus Ratlosigkeit und unter politischen Vorbehalten ausgewählt wurden, weil Melzi unter den "ihm genehmen" Personen auf immer größere Ablehnung stieß (so z.B. Vincenzo Brunetti und Teodoro Somenzari). 36 Ebenda S. 423f., Tabelle 6 und 8. 37 Vgl. ebenda jeweils S. 86f., S. 92 - 95.

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fen der neuen Verwaltung vornehmen sollten. In der Tat wurde in ihnen festgelegt, daß bei der Auswahl in erster Linie "die rechtschaffenen Männer von denjenigen, die es nicht sind", zu trennen seien, und es wurde betont, daß derjenige "für eine Anstellung nicht tauglich ist, der zwar begabt ist, sich jedoch weder unterordnen noch Verhaltensregeln anerkennen will". Es folgten Präzisierungen, die diejenigen als "im wesentlichen hervorragend" für eine Anstellung bezeichneten, die "in den vergangenen Zeiten korrekt geblieben sind", zweitens diejenigen, die "bereits lange und nützliche Dienste geleistet haben" und drittens "unter denjenigen, die eine erste Anstellung suchen, mit ihrer Begabung und ihrem sittlichen Verhalten das beste Pfand für einen guten Erfolg bieten"38. Fachliche Anforderungen traten zwar nicht vollständig zurück 39, wurden jedoch von moralischen, d.h. vorrangig politischen Beurteilungen überlagert. Die Anwendung dieser Kriterien zur Besetzung der Stellen in den Mailänder Ministerien führte dazu, daß man für die Ämter, mit denen eine größere Verantwortung verbunden war, auf die Beamten der früheren österreichischen Lombardei zurückgriff. Nach Cesare Mozzarelli kamen im Februar 1802 zwar nur 11 der 42 Beamten des Innenministeriums aus den Reihen dieser Gruppe, doch wurden sie mit Leitungsfunktionen betraut, zu deren Ausübung man einschlägige Berufserfahrungen für unentbehrlich hielt (Chef des Schreibbüros und des Zentralarchivs, Generalsekretär und Sekretär für den Bereich Wasser und Straßen)40. Die von Filiberto Agostini am Kultusministerium durchgeführte Analyse zeigt, daß noch 1814 von den 44 Beamten 19 ihre Karriere in der österreichischen Lombardei begonnen hatten41. Derartige Auswahlkriterien stießen sich jedoch an der Realität. Der Beginn der napoleonischen Herrschaft im Jahr 1796 rief in der italienischen Gesellschaft ein Trauma hervor, das eine tiefgreifende Spaltung herbeiführte. Tatsächlich waren die französischen Truppen Träger von politischen Inhalten, die Polarisierungen für und wider die neuen Prinzipien und damit kaum überbrückbare Gegensätze schuf. Hinzu kam die allgemeine Instabili38 Istruzioni generali ai cittadini incaricati delle funzioni di ministro per la scelta degl'impiegati subalterni, vom 1. März 1802, in: (Fn. 28), S. 77f. 39 Ebenda S. 78: ,,Für die Anstellung reicht die Rechtschaffenheit allein nicht aus, wenn sie von der Tauglichkeit getrennt ist". 40 C. Mozzarelli, Modelli amministrativi e struttura sociale: prospettive di ricerca sulla burocrazia milanese, in: Quademi storici, Nr. 37, 1978, S. 164 - 195 (l70f.). Nach den Angaben von Pesce (Fn. 18), S. 180, stieg die Zahl derjenigen, die bereits in der österreichischen Verwaltung tätig waren, von 11 auf 16; vgl. auch G. Ancarani, Il govemo della Repubblica italiana (1802 - 1805), Bd. 3/2, Il Ministero degli affari interni, Mailand 1988, S. 87. 41 Vgl. F. Agostini, Il ministero per il culto negli anni della Repubblica edel Regno d'Italia (1802 - 1814), in: De Rosa/Agostini (Hrsg.) (Fn. 14), S. 29 - 54, (38f.). Nach Pesce waren von 31 Beamten, die 1802 ins Ministerium gelangten, 18 vor der Revolution eingetreten; vgl. Pesce (Fn. 18), S. 182.

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tät der Cisalpinischen, 1799 von der Restauration tief erschütterten Republik, was nahelegte, auch den Bestand der Italienischen Republik vorsichtig einzuschätzen. Daraus erklärt sich die ablehnende Haltung derjenigen, die Melzi für die neuen Verwaltungsapparate gewinnen wollte, d.h. der Liberal-Konservativen, die sich während der Cisalpinischen Republik in der Regel nicht in die Politik hatten verwickeln lassen. Ihnen stand ein von der neuen Regierung übernommenes Personalheer gegenüber, das bereits in den cisalpinischen Regierungsapparaten tätig gewesen und kraft ihres Eintretens für die politischen Ideale, deren Träger die Franzosen waren, ins Amt gelangt war. Melzis Plan ließ sich deshalb nur partiell verwirklichen. Aufgrund der genannten Schwierigkeiten und des beständigen Angebots an Personal, das bereits in den Verwaltungsapparaten tätig war, mußte er von seiner Linie abweichen, die vorrangig darauf zielte, Liberal-Konservative (vor allem solide Großgrundbesitzer und erst in zweiter Linie fachlich Kompetente) zu ernennen. Diese Zwangslage trat zweifellos noch klarer bei der Besetzung der mittleren Rangstufen hervor, wo der geringere Verantwortungsgrad, der mit ihnen verbunden war, und ihre geringere politische Bedeutung Ausnahmen eher möglich machten. Tatsächlich wurden 1802 im Innen- bzw. im Kultusministerium Beamte ernannt, die zu einem spürbar großen Teil, d.h. jeweils 17 und 13 42 , bereits während der Cisalpinischen Republik in den Dienst eingetreten waren und von denen man deshalb Zustimmung zu den politischen Neuerungen erwarten konnte. Auch vier der ernannten Präfekten hatten sich aufgrund ihrer politischen Orientierungen vor der Restauration von 1799 in acht nehmen müssen, doch abgesehen von einem einzigen Fall43 gehörten sie zum zweiten Schub der ersten Ernennungswelle oder noch später, d.h. als Melzi bei den von ihm Bevorzugten bereits auf Schwierigkeiten stieß 44 . Nur einer von ihnen läßt sich überdies der Gruppe der Großgrundbesitzer zuordnen, insofern er über eine lahresrendite von über 35000 Mailänder Lire verfügte45 . Der bestehende politische Druck erschwerte also die vollständige Umsetzung von Melzis Auswahlkriterien. Wie er selbst zugeben mußte, "verbreitet zwar all das, was sich revolutionär gibt, Schrecken und bringt Geschrei hervor, und gleichwohl setzten sich alle Triebfedern der Maschine daraus zusammen, und auf sie müssen wir bei der neuen Maschine zwangsläufig und zum großen Teil zurückgreifen"46. Vgl. Pesce (Fn. 18), S. 180 - 182. Gemeint ist Vincenzo Brunetti. 44 Die Ernennung der ersten Präfekten wurde in der Tat durch zwei Verordnungen, die im Abstand von fast einem Monat aufeinander folgten (26. April und 22. Mai 1802), rechtskräftig. 45 Der Patrizier Federico Cavriani aus Mantua. 46 Brief vom 16. Mai 1802 an den Minister Marescalchi in Paris, in: Carteggi di Francesco Melzi d'Eril (Fn. 28), S. 320f. 42

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Denselben Gesamteindruck gewinnt man aus einer Analyse der von

Melzi vorgenommenen Besetzungen der untergeordneten Ämter in den

Departements. Unter den Unterpräfekten der Italienischen Republik lag zwar der Anteil an soliden Grundbesitzern bei 45,4%, doch 18,2% bestritten ihren Lebensunterhalt allein von ihrem Gehalt, und hinsichtlich der sozialen Herkunft waren 55 % Adlige und 45 % Bürgerliche47 . Mit diesen Angaben stimmt überein, daß ein relativ hoher Prozentsatz (36,8 %) an Beamten bereits in der Cisalpinischen Republik in den Verwaltungsdienst eingetreten war; ein ähnlicher hoher Anteil (31,6%) hatte im übrigen bereits in jenen vornapoleonischen Staaten gedient, die dann die Italienische Republik konstituierten, und sie waren auch sehr viel erwünschter. In 33,3 % der Fälle ähnelte das von ihnen übernommene neue Amt dem früher bekleideten, und zu demselben Prozentsatz unterschied es sich davon48 . Bei den ebenfalls von der Regierung ernannten Präfekturgeneralsekretären zeigt sich eine noch größere Abweichung von Melzis Linie: nur 11,1 % waren wohlhabende Grundbesitzer, während 44,4 % den Lebensunterhalt von ihrem Gehalt bestritten; ähnlich gab es nur 11,1 % Adlige und 88,9% Bürgerliche49 . Waren außerdem viele von ihnen bereits in den Jahren vor der napoleonischen Eroberung in den Verwaltungsdienst eingetreten (33,3 %), so hatten noch mehr unmittelbar nach Einrichtung der napoleonischen Staatsapparate die Verwaltungslaufbahn ergriffen (55,6%). Ähnlich war es um die fachliche Eignung bestellt: 50% hatten Funktionen ausgeübt, die dem Amt des Generalsekretärs vergleichbare Kompetenzen verlangten, und 35,7% konnten immerhin Erfahrungen in anderen Arbeitsfeldern der öffentlichen Verwaltung vorweisen5o . Die Auswahl der Präfekturstatthalter schien Melzis Absichten her zu entsprechen, denn 72 % von ihnen waren wohlhabende Grundbesitzer und nur 4% bestritten den Lebensunterhalt von ihrem Gehalt; recht ausgeglichen stellten sich hingegen das Verhältnis zwischen adliger und bürgerlicher Herkunft Geweils 43,2% und 56,8%)51 und die Zahlen derjenigen dar, deren Dienstantritt in die Zeit vor der napoleonischen Eroberung (50%) bzw. in die Revolutionszeit (32,4 %) fiel. 23,3 % verfügten über eine spezi47 L. Antonielli, Alcuni aspetti dell'apparato amministrativo periferico nella Repubblica e nel Regno d'ltalia, in: Quaderni storici, Nr. 37, 1978, s. 196 - 227, jeweils Tab. 5 und Tab. 3, S. 221 f. Zu den Vorsichtsmaßregeln, die bei der Bestimmung des Vermögens der Steuerpflichtigen angewandt wurden, vgl. ebenda S. 226, Anm.43. 48 Ebenda Tab. 7, S. 223, und S. 226f., Anm. 44, bezüglich der Kriterien, die dieser Tabelle zugrunde liegen. 49 Ebenda jeweils Tab. 5, S. 222 und Tab. 3, S. 221. 50 Ebenda Tab. 7, S. 223, zur letztgenannten Angabe; die vorangehende Angabe beruht auf eigenen Berechnungen. 51 Ebenda jeweils Tab. 5, S. 222 und Tab. 3, S. 221.

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fische verwaltungstechnische Erfahrung; weitere 6,7% hatten Funktionen ausgeübt, die eine andersartige Qualifikation verlangten. 20 % schließlich kamen aus der Justizlautbahn, was dem Anforderungsprofil des Statthalters in Rechtsangelegenheiten vollkommen entsprach52 . Die größere Einheitlichkeit in den Besetzungen - bei gleichwohl zahlreichen bedeutsamen Ausnahmen - erklärt sich zweifellos daraus, daß die Statthalter ihre Funktionen für ihren Heimatort übernahmen, während die Präfekten, Vizepräfekten und, mit einigen Ausnahmen, die Präfekturgeneralsekretäre gezwungen waren, ihr Amt in einem von ihrem Herkunftsort verschiedenen Departement auszuüben. Bezüglich der Angestellten in den Departementsverwaltungen stimmen die Ergebnisse nur zum Teil mit denen über die Statthalter überein, obgleich ihre vorwiegend exekutiven Aufgaben sich mit denen der Präfekturen deckten; Melzi hatte ihre Einrichtung gefordert, um den übermäßig starken, mit der Übernahme des napoleonischen Verwaltungsmodells vom Pluviöse des Jahres VIII verbundenen Zentralisierungsdruck auszugleichen. Der Zweck der Departementsverwaltungen bestand also darin, den lokalen Eliten in den Departements Möglichkeiten der Beteiligung an der öffentlichen Verwaltung einzuräumen; deshalb sollten die Funktionsträger ähnlich wie die Statthalter unter den Bewohnern des jeweiligen Departements rekrutiert werden. Die Ernennung erfolgte zwar durch die Regierung, die sich dabei jedoch auf vorgefertigte, vom jeweiligen Generalrat des Departements erstellte Kandidatenlisten stützte, so daß das Moment der Wahl nicht völlig ausgeschlossen war. Melzi wollte die Departementsverwaltung mehr als alle anderen Institutionen der steuerpflichtigen Elite vorbehalten wissen, so daß für diese Funktionen, von denen man annehmen konnte, daß sie sehr begehrt sein würden, nur ein bescheidenes Gehalt vorgesehen war. Trotzdem fanden sich unter den Angehörigen der Departementsverwaltungen53 nicht mehr als 48,5 % wohlhabende Grundbesitzer (gegenüber den unbedeutenden 3 %, die vom Gehalt ihren Lebensunterhalt bestritten), außerdem 67 % Adlige und 33 % Bürgerliche. 34 % von ihnen hatten bereits in den Verwaltungen der vornapoleonischen Epoche gearbeitet (von denen über die Hälfte im übrigen auch von der Cisalpinisehen Republik übernommen worden war), während 39% zum ersten Mal eine Verwaltungsfunktion ausübten; auf jeden Fall ragen in diesem Zusammenhang die 27% hervor, die in der ersten napoleonischen Herrschaftsphase in die Verwaltungslautbahn eingetreten waren. 52 Für jede Präfekturbehörde waren zwei Statthalter vorgesehen, einer für die Verwaltungs- und einer für die lustizangelegenheiten; vgl. zu den Angaben ebenda Tab. 7, S. 223. 53 Die Analyse beruht in diesem Fall nicht auf der Gesamtzahl der Amtsinhaber zwischen 1802 und 1805; vielmehr wurden 51 nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, die immerhin 65 % der Beamten in den Departementsverwaltungen repräsentieren.

5 DipperlSchiederlSchulze (Hrsg.)

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Auch die Angaben über die Departementsverwaltungen weichen also nicht wesentlich von den oben bereits erörterten Fällen ab, vielleicht abgesehen von den Präfekturgeneralsekretären, die Melzis Kriterien der politischen Orientierung und der Vermögensverhältnisse insgesamt noch am wenigsten entsprachen. Erneut bestätigt sich der oben skizzierte Standpunkt, daß zahlreiche Faktoren wie das politische Mißtrauen gegenüber dem neuen Regime, die mangelnde Bereitschaft zur Aufnahme einer Verwaltungskarriere, die geringe Neigung zu einem Wohnortwechsel einen nur partiellen Erfolg von Melzis Rekrutierungsplänen gestatteten. Zugleich hatte der Druck der Beamten, die mit der Konstituierung des neuen Staates ihre Karriere nicht unterbrochen wissen wollten, eine teilweise Preisgabe oder zumindest eine Aufweichung der von Melzi vorwiegend politisch bestimmten Einstellungsvoraussetzungen herbeigeführt. Mit dem 1805 erfolgten Übergang von der Italienischen Republik zum Königreich Italien vollzogen sich auch bezüglich der höchsten Staatsämter tiefgreifende Veränderungen. Napoleon stellte Melzi kalt, so daß ihm keine Einflußmöglichkeiten auf die Gestaltung der politischen Gesamtrichtung blieben. An seine Stelle trat in der Funktion eines Vizekönigs der aus Frankreich abgeordnete Eugene de Beauhamais, während das höchste einem Italiener vorbehaltene Staatsamt, das Staatssekretariat mit Sitz in Paris, Antonio Aldini aus Bologna übertragen wurde. Dieser neue Staats aufbau drückte zweifellos sehr viel unmittelbarer als früher den politischen Willen des französischen Herrschers aus und sollte innerhalb weniger Jahre, d.h. ab 1807/1808, auch die Kriterien zur Auswahl des Verwaltungspersonals verändern. In den ersten Jahren des Königreiches, in denen die Osterweiterung im Vordergrund stand, die durch Österreichs Abtretung der venezianischen Gebiete im Frieden von Preßburg zustandekam, beschränkte man sich im wesentlichen auf Angleichung an Melzis Auswahlkriterien. Eine solche Kontinuität drückte sich zum Beispiel darin aus, daß das strategisch wichtige Amt des Innenministers 1806 dem früheren Kammerherren des piemontesischen Königs, Giuseppe Arborio Di Breme, übertragen wurde, d.h. einem reichen, entschieden liberal-konservativen Großgrundbesitzer aristokratischer Herkunft, der sich in den demokratischen Jahren der Politik ferngehalten hatte. Di Breme trat damit an die Stelle Daniele Felicis 54 , der ebenfalls adlig und wohlhabend war, sich jedoch in den Jahren der politischen Umwälzungen, wenngleich als Gemäßigter, politisch aktiv betätigt hatte. Zunächst hatte ihn Bonaparte zum Mitglied der Zentralverwaltung in Emilia ernannt, in der ersten Cisalpinischen Republik war er dann Komrnis-

die

S4 Felici war im Juli 1803 auf den schwer erkrankten Innenrninister Luigi Villa gefolgt.

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sar des Exekutivausschusses im Departement Rubikon und vom Juli bis zum Dezember 1798 sogar Finanzminister. Nun beweist ein einziger, wenn auch bedeutsamer Fall nicht, daß Melzis Auswahlkriterien beibehalten wurden. Als Gegenbeispiel sei nur Giuseppe Luosi erwähnt, der 1805 zum Justizminster ernannt wurde, nachdem er 1797 als Justiz- und Polizeiminister sowie nach dem ein Jahr später erfolgten Staatsstreich von Claude-Joseph Trouve als einer der fünf Exekutivdirektoren eine herausragende Stelle im politischen Panorama der Cisalpinischen Republik eingenommen hatte. Luosi erfüllte von Melzis Kriterien, abgesehen von seinen vorgängigen politischen Aktivitäten, nicht einmal das des sozialen Status, denn er stammte aus einer bürgerlichen Familie, die nur über ein bescheidenes Vermögen verfügte. Gleichwohl hatte Eugene de Beauhamais die Ernennung von Di Breme ausdrücklich gewollt, womit er - wie auch in anderen Fällen - unter Beweis stellte, daß er die Kreise und Exponenten der traditionellen Aristokratie entschieden bevorzugte. Tatsächlich erfolgten die Ernennungen der Präfekten aus dem Kreis der neuen venezianischen Untertanen auf Anregung von Beauhamais. Die Namen, die er dem Kaiser vorschlug, gehörten fast ausnahmslos zu den vornehmsten Häusern Venedigs und des früheren venezianischen Staates55 , und sie fanden beim Kaiser auch Berücksichtigung, so daß beispielsweise Großgrundbesitzer wie Alvise Mocenigo, Leonardo Thiene, Cinzio Frangipane in die Verwaltung eintraten, die sich im übrigen politisch alle ausdrücklich zu Napoleon und zu seiner Regierung bekannt hatten (was 1806 sehr viel leichter war als 1802). Die Angaben über die 1805 und 1806 ernannten Präfekten belegen in ihrer Gesamtheit diese Tendenz: elf waren adliger, ein einziger nur bürgerlicher Abkunft, und nur einer bekam während der Restauration von 1800 Schwierigkeiten aus politischen Gründen; acht, d.h. 66,7%, lassen sich der Kategorie der Großgrundbesitzer mit einer lahresrendite von über 35000 Mailänder Lire zuordnen, während keiner von ihnen den Lebensunterhalt aus den bloßen Gehaltseinkünften bestritt56 . Doch nur für kurze Zeit vermochte Eugene de Beauhamais seinen Einfluß im schwierigen Bereich der Auswahl des Personals für die hohen Verwaltungsposten auszuüben. Schon von 1807 an wurde deutlich, daß das Pariser Staats sekretariat, d.h. Aldini, der das Vertrauen des Kaisers besaß und häufig direkten Kontakt zu ihm hatte, die Ernennungen immer stärker bestimmte. In der Tat waren nach 1807 die Auswahlkriterien nicht geringfügigen Wandlungen unterworfen. Es handelte sich dabei allerdings nicht so sehr um eine regelrechte Tendenzwende, denn Absetzungen fanden nicht 55 56

Vgl. Antonielli (Fn. 34), S. 281 ff. Vgl. Antonielli (Fn. 34), jeweils Tab. 6, 3, 8, S. 419 - 424.

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statt, und noch weniger wurde der von Melzi bevorzugte Beamtentypus abgelehnt. Melzis Auswahlkriterien wurden einfach nicht mehr angewandt. Politische Ablehnungsgründe, d.h. vor allem frühere Aktivitäten in der demokratischen Bewegung, spielten keine Rolle mehr, der Status eines Grundbesitzers wurde nicht mehr verlangt, und schließlich war auch eine nichtadlige Herkunft, wie bereits angedeutet, kein Hindernis mehr. Folglich kam im Königreich Italien erst zu diesem Zeitpunkt die napoleonische Personalpolitik des Amalgam zur Anwendung. Zugleich fand auch die beruflich-fachliche Eignung für die Funktion, für das sie vorgesehen waren, stärkere Berücksichtigung57 . Ein zweiter, für diese Phase charakteristischer Zug besteht darin, daß sich neben und unberührt von spezifischen, formalen Bestimmungen zwei verschiedene Zugangswege zu den Ämtern herausbildeten 58 , oder besser: auf der Grundlage des jeweiligen Berufsbildes eine entsprechende Typologie der Zugangswege erwuchs. Zum besseren Verständnis dieses Aspektes seien zunächst noch einmal einige zusammenfassende Angaben zu den Beamten jener Jahre vorgestellt. Betrachtet man die Funktionen im Bereich der Departementsverwaltungen in ihrer Gesamtheit, zeigt sich im allgemeinen ein Kontrast zwischen der Zeit vor bzw. nach 180559 , wobei allerdings zu bedenken ist, daß Vergleiche nur unter Berücksichtigung der 1805 eingetretenen institutionellen Veränderungen möglich sind. Beim Übergang zum Königreich Italien wurden die Departementsverwaltungen aufgelöst, weil sie mit ihren aktiven Verwaltungsfunktionen in einen unvermeidlichen Gegensatz zu den Präfekturen traten, deren Vorherrschaft Napoleon keinesfalls in Frage gestellt wissen wollte 6o . Zugleich wurde auch die innere Struktur der Präfekturbehörden verändert, um sie stärker dem französischen Modell anzugleichen: beide Statthalterämter wurden aufgehoben und Präfekturräte geschaffen, die sich je nach Größe der Departements aus drei oder vier Mitgliedern zusammensetzten. 57 Zu bedenken ist, daß es in napoleonischer Zeit weder für den Zugang zu den Ämtern noch für die Beförderungen formale Karrierewege gab. 58 Noch 1810 lehnten die Minister des Königreichs Italien es angesichts der ihnen bewußten Eigentümlichkeit des napoleonischen Verwaltungssystems ab, Verwaltungskarrieren direkt von Bildungsabschlüssen abhängig zu machen, vgl. Mozzarelli (Fn. 40), S. 178. Die Entwicklung formaler Karrierekriterien folgte hingegen in unmittelbarem Anschluß an die österreichische Restauration. 59 Um der Geschlossenheit der Darstellung willen wird darauf verzichtet, die kurze Periode zwischen 1805/1806 als gesonderte zu betrachten. 60 Vgl. Napoleons Stellungnahmen vom Mai 1805 im Staatsrat des Königreiches. Die entsprechenden Protokolle sind veröffentlicht von L. Rava, 11 Consiglio di stato nel Regno italico e l'opera di Napoleone I re (1805 - 1814), in: 11 Consiglio di stato. Studi in occasione deI centenario, 3 Bde., Bd. 1, Rom 1932, S. 165 - 333 (19lf.).

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Den Präfekturräten oblag vor allem die Verwaltungsgerichtsbarkeit, so daß man sie unabhängig von den anderen mit der aktiven Verwaltung befaßten Behörden betrachten müßte. Piero Aimo weist jedoch in seiner Studie überzeugend nach, daß den Ratsmitgliedern bald schon Aufgaben aus der aktiven Verwaltung übertragen wurden, die am Ende die mit der Gerichtsbarkeit verbundenen Obliegenheiten überstiegen 61 . Es verwundert daher nicht, wenn ungefähr die Hälfte der ernannten Präfekturräte (45,6%) aus den Reihen der Mitglieder der früheren Departementsverwaltungen kam, vor allem, wenn man bedenkt, daß die neue Position einige Grundmerkmale der früheren Statthalterfunktion aufwies: Kandidatenauswahl auf Departementsebene, bescheidenes Gehalt und keine tägliche Anwesenheitspflicht in der Behörde62 . 67,9% der Präfekturräte waren wohlhabende Grundbesitzer, demgegenüber hatten nur 1,2% keinen Besitz, und 59,8% stammten aus Adelsfamilien63 . 17,7% hatten bereits früher öffentliche Funktionen in der aktiven Verwaltung ausgeübt, zu denen noch die erwähnten 45,6% der Angehörigen früherer Departementsverwaltungen hinzuzuzählen sind64 ; 22,5 % der Mitglieder waren schließlich in der vornapoleonischen Zeit in den Verwaltungsdienst eingetreten, 25 % während der cisalpinisehen Republik und 52,2 % ab 1802. Grundsätzlich unterschieden sich also die Auswahlkriterien bezüglich der Präfekturräte nicht von denen hinsichtlich der Angestellten der Departementsverwaltungen und der Statthalter, doch gewannen die Maßstäbe des Vermögens und der sozialen Herkunft, auf die man bereits in der italienischen Republik zurückgegriffen hatte, eine leicht zunehmende Bedeutung. Die Zahl derjenigen, die in vornapoleonischer Zeit bzw. - politisch wahr61 P. Aimo, Le origini della giustizia amministrativa. Consigli di prefettura e Consiglio di stato nell'Italia napoleonica, Mailand 1990, insbesondere S. 220ff. und Tab. 7, S. 254. 62 Ebenda Tab. 2, S. 148. Von den beiden Präfekturräten, die Aimo herangezogen hat, tagte der in Novara relativ häufig (im Durchschnitt zweimal wöchentlich), der von Bergamo weniger häufig. Auf jeden Fall muß gesagt werden, daß eine Reihe von Pflichten, die eindeutig in den Aufgabenbereich der aktiven Verwaltung fielen, einzelnen Ratsmitgliedern übertragen wurden, d.h. nicht mehr Gegenstand der Sitzungen waren. Die Ratsmitglieder besaßen also umfangreichere Zuständigkeiten als oben angegeben. 63 Aus Gründen der Homogenität beziehen sich diese Angaben nur auf die Departements, die bereits der Italienischen Republik angehörten. Der Anteil von Adligen unter den Ratsmitgliedern stieg in den früheren venezianischen Gebieten, die nach dem Frieden von Preßburg annektiert wurden, in der Tat auf 65,9%, vgl. dazu Antonielli (Fn. 47), S. 222, Tab. 5 über das Vermögen und Tab. 4 über die soziale Herkunft, zu den bei der Datenbearbeitung angewandten Vorsichtsmaßregeln vgl. Antonielli (Fn. 47). 64 Auch in diesem Fall beziehen sich die Angaben auf die Ratsmitglieder in den Departements, die bereits der Italienischen Republik angehört hatten, vgl. Antonielli (Fn. 47) Tab. 7, S. 223.

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scheinlich sehr motIvIert - in der ersten Phase der französischen Besatzungszeit in den Verwaltungsdienst eingetreten waren, nahm hingegen ab 65 • Weitere interessante Ergebnisse bieten die Angaben zu den Unterpräfekten und Präfekturgeneralsekretären des Königreichs Italien. Bei den letztgenannten gab es keine großen Abweichungen bezüglich des Vermögens und der sozialen Herkunft, wenn man davon absieht, daß die Zahl derjenigen, die ihren Lebensunterhalt allein vom Gehalt bestritten, zum Teil zurückging. Die wohlhabenden Grundbesitzer stiegen von früher 11,1 % auf 27,4%, diejenigen ohne Grundbesitz sanken von 44,4% auf 29,2%, während die Zahl der Adligen ebenfalls von 11,1 % auf 29,7% zunahm. Ferner wuchs die Gruppe derjenigen an, die bereits den Anforderungen entsprechende Funktionen ausgeübt hatten (von 50% auf 69,7%)66, während der Prozentsatz derjenigen, die in den cisalpinischen Jahren in die Verwaltung eingetreten waren, mit 53,3 % bezeichnenderweise stabil blieb; allein schon aus Altersgründen ging der Anteil der Mitglieder, die ihre Verwaltungslaufbahn bereits in vornapoleonischer Zeit begonnen hatten, von 33,3 % auf 20 % zurück67 . Größere Unterschiede zur Situation in der Italienischen Republik zeigen sich bei den Unterpräfekten. Die Zahl der größeren Grundbesitzer verringerte sich von 45,4% auf 27,4%, während der Anteil derjenigen, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich vom Gehalt bestritten, sich im wesentlichen unverändert hielt (21,4% gegen 18,2%). Die Gruppe der adligen Beamten sank von 55% auf 34,9%, und deren Anteil würde noch geringer (28%) ausfallen, berücksichtigte man nur die Unterpräfekten aus den Territorien, die bereits zur Republik gehörten. Stark stieg die Zahl derjenigen an, deren frühere Funktionen bereits einschlägige verwaltungstechnische Fähigkeiten verlangt hatten (56,7% gegenüber 33,3%)68. Der Beginn der Verwaltungskarriere fiel nur für 13,2% (gegenüber 31,6% in der Italienischen Republik) in die vornapoleonische Zeit, während der Anteil derjenigen spürbar zunahm, die im Verlauf der Cisalpinischen Republik (51,5% gegenüber 36,8%) bzw. ab 1802 (35,3% gegenüber 31,6%) in den Verwaltungsdienst eintraten69 . Bei 65 In diesem Fall ist der größere zeitliche Abstand zur Zäsur von 1802 zu berücksichtigen; selbstverständlich nahm im Ablauf der Jahre die Zahl derjenigen zu, die von 1802 an in die Verwaltungslaufbahn eintraten. 66 Antonielli (Fn. 47) jeweils Tab. 5, S. 222, Tab. 3, S. 221 und Tab. 7, S. 223. 67 Aus offensichtlichen Gründen blieben auch im letztgenannten Fall die Präfekturgeneralsekretäre aus den nach 1805 annektierten Gebieten unberücksichtigt (d.h. vor allem die aus Venetien, aber auch aus Trient und aus den Marken), es sei denn, es handelte sich um Emigranten, die im Verlaufe der napoleonischen Umwälzungen in die Cisalpinisehe Republik gelangt waren. 68 Vgl. Antonielli (Fn. 47), jeweils Tab. 5, S. 222, Tab. 3, S. 221, Tab. 4, S. 222, Tab. 7, S. 223. 69 Vgl. (Fn. 67), zur Verfahrensweise bei der Datenerfassung.

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diesen erheblichen Unterschieden ist allerdings zu berücksichtigen, daß das Unterpräfektenamt beim Übergang von der Italienischen Republik zum Königreich Italien Veränderungen unterworfen war. Zunächst war es nach dem Modell einer Präfektur, wenn auch mit geringerer Personalausstattung, organisiert; nach 1805 hatte es bei einem verringerten Aufgabenfeld nur noch wenige Beschäftigte, so daß seine spezifische Bedeutung zurückging. Eine klare Zäsur zeigt sich auch in der Entwicklung der Auswahlkriterien, nach denen die Präfektur, d.h. das zentrale Amt der Departementsverwaltung, besetzt wurde; sie tritt um so deutlicher hervor, wenn man sich aus den oben genannten Gründen auf die Zeit ab 1807 konzentriert. Von den 21 in dieser Periode ernannten Präfekten waren nur vier Grundbesitzer, die über eine Jahresrendite von mindestens 35000 Mailänder Lire verfügten, während sechs erklärten, daß sie ihren Lebensunterhalt vom Gehalt bestritten. Demgegenüber gab es unter den 12 Präfekten, die 1806 auf Anregung von Eugene de Beauharnais eingesetzt wurden, acht Grundbesitzer mit der besagten Jahresrendite und keinen, der von seinem Gehalt lebte; von den 19 Präfekten hingegen, die 1802 ins Amt gelangten, waren 10 wohlhabende Grundbesitzer. Ebenso läßt sich die Tendenzwende an den Präfekten adliger (9) und bürgerlicher (12) Herkunft ablesen (1806 waren es elf Adlige und ein Bürgerlicher, und auch 1802 stammten 50% aus Adelsfamilien). 62 % wurden während der 13-monatigen österreichisch-russischen Besatzungszeit (1799 - 18(0) politisch verfolgt, d.h. waren in der demokratischen Bewegung aktiv. Auch der Anteil dieser Gruppe stieg deutlich an, und zwar trotz der zunehmenden zeitlichen Distanz und obgleich im Gegensatz zur bisherigen Praxis auch diejenigen berücksichtigt wurden, die nicht aus den zur cisalpinischen Republik gehörenden Territorien stammten70 . Für die Beamten in den Zentralverwaltungen der Ministerien fehlt solch ausgearbeitetes Zahlenmaterial. Die Arbeiten von Mozzarelli und Pesce zeigen immerhin anband eines Personalplans von 1814, daß 50% des Verwaltungspersonals des Innenministeriums, d. h. einer großen Regierungsbehörde, nach 1802 in den Dienst eingetreten war (im einzelnen 38,4% ab 1805). Fügt man die 31,3 % hinzu, die ihre Verwaltungslaufbahn in der Cisalpinischen Republik begonnen hatten, ergibt sich, daß die übergroße Mehrheit des Personals und der leitenden Beamten (81,3%) des Innenministeriums unter französischer Herrschaft ins Amt gelangt war7 !. Diese Ent70 Vgl. Antonielli (Fn. 34), jeweils Tab. 8, S. 424, Tab. 6, S. 423 und Tab. 3, S. 419 (die hier vorgelegten Angaben sind zum Teil Ergebnis zusätzlicher Berechnungen). 71 Vgl. Mozzarelli (Fn. 40), S. 192, Anm. 77; die von Pesce (Fn. 18), S. 163, gemachte Angabe von 83,5% weicht von diesem Wert leicht ab; auch Capra, ,11 dotto e il ricco ed il patrizio vulgo', (Fn. 22), S. 64, liefert eigene Berechnungen unter Zugrundelegung derselben Quelle, jedoch mit einigen geringfügigen Änderungen, weil er im Gegensatz zu Mozzarelli auch die Dienstboten berücksichtigt.

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wicklung wurde in erster Linie zweifellos dadurch bestimmt, daß das Verwaltungspersonal der zentralen Verwaltungsbehörden in jenen Jahren im allgemeinen erhöht wurde 72 • Doch drückte sich in ihr auch zugleich die zunehmende Konsolidierung einer regelrechten Schicht von Verwaltungsbeamten aus, die innerhalb des napoleonischen Systems ausgebildet worden waren, was auch daraus hervorgeht, daß ungefähr ein Viertel des 1814 aktiven Personals eine mehr oder weniger unentgeltliche Ausbildungszeit innerhalb desselben Ministeriums absolviert hatte 73 . Auf allen Ebenen der ministerialen Verwaltungshierarchie herrschten also die Beamten vor, die innerhalb des napoleonischen Systems aufgestiegen waren. Bedenkt man ferner die erwähnten Schwierigkeiten, auf die Melzi 1802 bei seinem Versuch stieß, ihm genehme Personen in großer Zahl in die Stellen in den Ministerien zu bringen, berücksichtigt man überdies, daß seine Auswahlkriterien bei der Rekrutierung des Personals für die mittleren Laufbahnen noch weniger befolgt wurden 74 , liegt es nahe, diese Personengruppe als einen bestimmten Typus zu betrachten 75; allerdings fehlen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch Untersuchungen zu den individuellen wirtschaftlichen Verhältnissen, wie sie weiter oben für andere Gruppen vorgenommen wurden. Auf jeden Fall läßt sich sagen, daß der größte Teil des Personals seine beruflichen Erfahrungen in langen Lehr- und Dienstjahren auf den unteren und mittleren Rangstufen der Verwaltungshierarchie gewonnen hat76 . Interessant sind in diesem Zusammenhang die Altersgruppen. Die von Carlo Capra vorgenommene Analyse der Personalbestandsliste der Generaldirektion für Domänen, Forsten und damit zusammenhängende Rechte vom 2. Mai 1814 ergibt ein Durchschnittsalter von 38 Jahren; nur ein Drittel der 72 Für Mailand belief sich die Zahl der Beamten (die städtischen Beamten und die Angestellten der Fürsorgeinstitutionen eingeschlossen) nach Schätzungen von Capra, ,11 dotto e il ricco ed il patriziato vulgo' (Fn. 22), S. 56, im Jahr 1805 auf 7,5% der erwachsenen männlichen Gesamtbevölkerung. Dieser Anteil stieg in den nachfolgenden Jahren noch an. 73 Vgl. Pesce (Fn. 18), Tab. 12, S. 209. 74 Vgl. oben. 75 Genau dies ist Mozzarellis Grundthese in seinem Artikel "Modelli amministrativi e struttura sociale" (Fn. 40). 76 Unter Zugrundelegung der Personalbestandsliste des Innenministeriums von 1814, führt Pesce (Fn. 18), S. 167f., insbesondere Tab. 8, Berechnungen durch, wie lange die Beamten in untergeordneten Positionen blieben und wie viele von ihnen in Führungspositionen aufstiegen (vorrangig Abteilungs- oder Amtsleiter während der Italienischen Republik und Sektionsleiter nach der Reform des Verwaltungsapparates im Königreich Italien). Es zeigt sich, daß 16,8% der Subalternbeamten sich erheblich verbessern konnten. Einige Beobachtungen über die Ministerialangestellten in der Generaldirektion für Kommunalverwaltung, die im übrigen dem Innenministerium unterstand, vgl. A. Liva, Il controllo centrale sulle amministrazioni locali nel Regno d'Italia, in: L'amrninistrazione nella storia moderna, 2 Bde., Bd. 1, Mailand 1985, S. 865 - 951 (904 f.).

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Angehörigen war über 40 Jahre alt, hatte also seine berufliche Qualifizierung noch unter dem Ancien regime abgeschlossen, während die Altersgruppe der 31- bis 40-jährigen mit 37,3% vorherrschte 77 • Das Durchschnittsalter der Unterpräfekten, Präfekturgeneralsekretäre und Präfekten lag bei jeweils 43,2 Jahren, 43,5 Jahren 78 und 44,2 Jahren 79 . Es bestand also grundsätzlich eine generationsmäßige Geschlossenheit, wobei das Durchschnittsalter allerdings mit der Bedeutung des Amtes anstieg, folglich eine höhere Qualifikation verlangt wurde. Die Präfekturräte stellten auch hier einen Sonderfall dar, insofern ihr Durchschnittsalter mit 51,8 Jahren weit über dem der Präfekten lag, denen sie doch in jeder Hinsicht untergeordnet waren. Sie unterschieden sich damit zumindest zum Teil von den anderen hier erörterten Stelleninhabern. Die Präfekturräte waren reicher und älter. Auch wenn man bedenkt, daß die Zahl der nach 1802 in den Verwaltungsdienst eingetretenen Beamten im allgemeinen recht hoch war, lag ihr Durchschnittsalter bei Amtsantritt mit 46,1 Jahren deutlich über den 36,7 Jahren der Generalsekretäre und den 37,8 Jahren der Unterpräfekten (die letzten beiden Zahlen beziehen sich allerdings nur auf die im Königreich Italien erfolgten Besetzungen); selbst das Durchschnittsalter der nach 1806 ernannten Präfekten hielt sich knapp unter 41 Jahren 80 • An dieser Stelle sei auf eine kleine Episode verwiesen. Als auf der Grundlage des 5. Verfassungsstatutes vom 19. Dezember 1807 aus dem Staatsrat der neu geschaffene Senat (Senato consultore), der eine Art höchstes Staatsorgan sein sollte, herausgelöst wurde und man in den beiden nachfolgenden Jahren dessen Mitglieder bestimmte, fiel die Wahl auch auf einige im Amt befindliche Präfekten. Der Senat sollte nach dem Pariser Modell "sowohl den Aristokratisierungsprozeß zu Ende führen als auch die obere Schicht der Notabeln mit den hohen Rangstufen der öffentlichen Verwaltung" sicherstellen81 : Deshalb wurden einige Präfekten zu Senatoren ernannt, die allerdings ihre frühere Funktion aufgeben mußten. Im Jahr 1809 verzichteten sieben Präfekten auf ihr Amt, um Senatoren zu werden; sechs von ihnen gehörten zu den bedeutendsten Familien der größten Städte im Königreich, d. h. jeweils einer aus Venedig, Mailand, Brescia, Mantua, Vicenza, Udine. Der siebte stammte zwar nicht aus einer adligen Familie, doch als Bürger von Reggio Emilia kam er aus jenem Teil des früheren Herzogtums Modena, das viele hohe Verwaltungsbeamte der 77 Capra, ,11 dotto e il ricco ed il patrizio vulgo', (Fn. 22), S. 64, die Angaben beziehen sich auf eine Stichprobe von 124 Personen. 78 Vgl. Antonielli (Fn. 47), Tab. 2, S. 221. 79 Vgl. derselbe (Fn. 34), Tab. 2, S. 415. 80 Vgl. jeweils derselbe (Fn. 47), Tab. I, S. 221 und derselbe (Fn. 34), Tab. 1, S.414. 81 L. Bergeron, Napoleone e la societa francese, Neapel 1975, S. 69.

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Republik und des Königreichs Italien stellte 82 . Entscheidendes Beförderungskriterium war in diesen Fällen also das Ansehen, wobei sich jedoch in fünf Fällen zeigt, daß sie zur Erfüllung der Alltagsaufgaben des Präfektenamtes denkbar ungeeignet gewesen waren83 , es sich also um eine versteckte Absetzung handelte84 . Für die Präfekten bedeutete die Ernennung zum Senator also die Entfernung aus einem der wichtigsten Ämter der aktiven Verwaltung; die neue Funktion verlieh ihnen zwar großes Ansehen (mit bedeutenden Einkünften), verlangte aber weder kontinuierliche Verwaltungstätigkeiten noch eine besondere Eignung. Die Historiker haben diesen Senat als eine Institution beschrieben, die zwar hohes Ansehen genoß, aber bedeutungslos war und sich bis zur "Revolte" vom April 1814, die dem napoleonischen Königreich Italien ein Ende bereitete, leichthin jedem Willen Bonapartes beugte. In Wirklichkeit reichten seine Aufgaben von der Registrierung der Gesetze bis zu ihrer Diskussion mit den Regierungsvertretern, von der Prüfung, ob die Entscheidungen der Wahlkollegien verfassungsgemäß waren, bis zur Abfassung von Berichten an den Herrscher über die Lage der Nation, wobei die Zuweisung dieser und anderer Funktionen der sich durchsetzenden klaren Gewaltenteilung zuwiderlief. Insgesamt besaß der Senat des Königreiches Italien zwar ein weitaus geringeres Eigengewicht als sein französisches Gegenstück, doch angesichts der Tatsache, daß der napoleonische Zentralisierungsprozeß die übrigen Vertretungskörperschaften fast völlig verdrängt hatte, bestand seine Hauptaufgabe in der Vertretung der Nation. Unter Anwendung der oben benutzten Maßstäbe zeigt sich, daß das Durchschnittsalter der Senatoren bei Amtsantritt bei 56,8 Jahren lag (jedoch auf 54,4 Jahre sinkt, wenn man die acht Kleriker unberücksichtigt läßt)85; der im Vergleich zu den anderen Gruppen höhere Wert erklärt sich aus der Bedeutung dieser Institution, die den Abschluß eindrucksvoller Karrieren darstellte. Die Mehrheit der Senatoren stammte aus einer adligen Familie (76,4%), und fast genau so hoch ist der Anteil derjenigen, die von Renten82 1810 - 1811 kamen vier amtsführende Minister aus Modena und Reggio: der Innenminister Vaccari, der Kriegsminister Fontanelli, der Justizminister Luosi und der Schatzminister Veneri. 83 Vgl. Antonielli (Fn. 34), S. 377ff. 84 Als untauglich eingestuft wurden die Präfekten Cinzio Frangipane, Leonardo Thiene, Lucrezio Longo, Alvise Mocenigo und Marco Serbelloni. Geeignet waren zweifellos die beiden anderen Präfekten Federico Cavriani und Giacomo Lamberti, die zu Senatoren ernannt wurden. Insbesondere der nichtadlige Lamberti verdankte seine Beförderung der langen Ausübung wichtiger Funktionen in napoleonischer Zeit, durch die ihn Napoleon selbst kennen und schätzen lernte. 85 Das 6. Verfassungsstatut setzte überdies ein Mindestalter von 40 Jahren für das Senatorenamt fest.

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einkommen lebten (70%). Interessant ist im Zusammenhang mit der eindeutigen Vorherrschaft der reichen Aristokratie die frühere politische Haltung der Senatoren; schließt man diejenigen aus, die zum Königshaus oder zum Klerus gehörten bzw. aus den Departements Marche und Trento kamen, waren 79% in den Jahren 1796 - 97 politisch aktiv bzw. in der Verwaltung tätig gewesen. Daß nur 32,5 % während der österreichisch-russischen Besatzungszeit 1799 - 1800 politisch verfolgt wurden oder emigrieren mußten, läßt jedoch auf eine mehrheitlich politisch gemäßigte Haltung schließen86 . Insgesamt scheinen bei der Ernennung der Senatoren die Kriterien Vermögen, Ansehen87 , politische Treue und Ausübung höchster Staatsämter den Ausschlag gegeben zu haben, was der napoleonischen Politik des amalgame voll und ganz entsprach; wie bereits anläßlich der Beförderung der Präfekten zu Senatoren angedeutet, trat die fachliche Eignung, die zur Ausübung von Funktionen in der aktiven Verwaltung befähigte, zurück. Aus dieser wenn auch nur partiellen Analyse, die Regierungselite und die mittleren Rangstufen der Verwaltung betreffend, geht hervor, daß im Königreich Italien die Kriterien aufgegeben wurden, die unter Melzis Regierung bei allen praktischen Mängeln die Beamtenrekrutierung regelten. In gewisser Weise vollzog sich eine Art Trennung zwischen dem Zweig, der sich als "Verwaltung im engeren Sinne" bezeichnen läßt, und einem zweiten Zweig, in dem sich Verwaltungs- und "Repräsentations"funktionen überschnitten. Damit soll insbesondere auf die zwiespältige Rolle hingewiesen werden, die viele Einrichtungen in einem Zusammenhang annahmen, in dem in zunehmendem Maße fast jede offizielle, aus Wahlen hervorgehende Form der Repräsentation verdrängt wurde. Abgesehen von den Funktionen, die Einrichtungen wie den Präfekturräten oder dem Senat ausdrücklich zugeschrieben wurden (es handelt sich dabei zweifellos um zwei sehr verschiedene Beispiele), besaßen sie also auch die nicht zweitrangige Aufgabe, zwischen dem neuen Staat und jenen gesellschaftlichen Gruppierungen zu vermitteln, von denen die Verantwortlichen sich eine stabilisierende Anerkennung und Zustimmung erhofften. Die Rolle dieser Einrichtungen war zweifellos weniger eindeutig, aber nicht weniger wichtig als die anderer 86 Vgl. N. Negri. Tra reazione e innovazione: il Senato deI Regno italico (1807 - 1814), eine unter der Leitung von Capra an der staatlichen Universität Mailand im akademischen Jahr 1988 - 89 abgeschlossene "tesi di laurea"; zu den Altersangaben vgl. insbesondere S. 107 - 110 und Tab. 2, S. 125; zur sozialen Herkunft S. 114 und Tab. 8, S. 127; zu den Renteneinkommen S. 115 und Tab. 9 - 11, S. 127 - 135; zu den politischen Einstellungen S. 112, und Tab. 5 - 6, S. 126. 87 Die Überlebensstrategien, die der Hochadel unter den damaligen Bedingungen eines schwierigen politischen und gesellschaftlichen Gleichgewichtes anwandte, verdeutlicht G. Rumi. Scaccato d'oro e di nero. I fratelli Litta Visconti Arese negli anni della rivoluzione e dell'impero, in: I cannoni al Sempione (Fn. 22), S. 75 - 99, am Beispiel einer der angesehensten Mailänder Familien, die selbstverständlich auch ein Senatsmitglied (Antonio) stellte.

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mit klar definierten Kompetenzen. Man denke vor allem an den königlichen Hofstaat, dem Angehörige des alten Adels angehörten. Obwohl nicht bedeutungslos geworden, war er nicht mehr Mittelpunkt oder Kanal, der mittels verschiedener Formen der Patronage wie im Ancien regime die politische Zustimmung der wichtigsten gesellschaftlichen Schichten zur Staatsordnung sicherstellte. Andere Wege zur Ausweitung der sozialen Basis wurden eingeschlagen, und zwar eben über jene Gruppierungen, die man als napoleonische Notabelnschicht zu bezeichnen pflegt88 . So darf es nicht verwundern, wenn Einrichtungen mit "auch repräsentativen" Funktionen hauptsächlich von Grundbesitzern besetzt wurden, die großenteils aus adligen Häusern stammten, offensichtlich nicht mehr ganz jung waren und deren frühere politische Aktivitäten oftmals nicht der Linie des politischen Regimes entsprachen. Ebensowenig verwundert es, wenn neben sie die herausragendsten Exponenten derjenigen Kreise traten, welche man für die "historischen Stützen des Regimes" halten kann, d.h. diejenigen, die sich von Anfang an für Napoleon und der Prinzipien, deren Träger er war, ausgesprochen und von daher bereits in der cisalpinisehen Republik politische Funktionen und Verwaltungsaufgaben übernommen hatten. In einem solchen Zusammenhang besaß die durchlaufene Verwaltungskarriere, die Ausweis fachlicher Eignung war, für die Kandidatenauswahl nur eine geringe Bedeutung. Deutlich erkennbar ist der Zusammenhang zwischen dieser Elite und den Mitgliedern von vorrangig beschlußfassenden Organen wie z.B. den Gemeinderäten. Es liegt jetzt eine Untersuchung über den Stadtrat der Hauptstadt Mailand vor89 , der während der Italienischen Republik gewählt90 , von 1805 an aber vom König eingesetzt wurde. Sie zeigt, daß mit dem Übergang von der Italienischen Republik zum Königreich Italien das Gewicht von Adel und Grundbesitz sogar noch zunahm, und zwar des Großgrundbesitzes, während die Freiberufler und die kleinen Grundbesitzer zurückgedrängt wurden. 1806 - 1807 verfügten 52,5 % der grundbesitzenden Ratsmitglieder über eine Rendite von mehr als 30000 Mailänder Lire; 1810 - 1811 waren es 47,4%, 55,3% in den Jahren 1812 - 1813, 1804 hingegen nur 39,5%. 1806 - 1807 gehörten 65% der Ratsmitglieder zum Adel, und fast alle stammten aus dem Mailänder Patriziat. Dieser Prozentsatz 88 Man vergesse in diesem Zusammenhang nicht die Bindekraft des neuen napoleonischen Adels. 89 E. Pagano, Consiglio comunale e notabilato a Milano nell'eta napoleonica, in: G. L. Fontanal A. Lazzarini (Hrsg.), Veneto e Lombardia tra rivoluzione giacobina ed eta napoleonica. Econornia, territorio, istituzioni, MailandlBari 1992, S. 539 562. 90 Die Voraussetzungen zur Wahrnehmung des passiven Wahlrechts waren dieselben, die auch für die Wahlkollegien galten.

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erhöhte sich 1811 - 1812 auf 76,3 %, wobei allerdings der Anteil des Patriziats zurückging. Das Durchschnittsalter lag 1810 bei 52,3 Jahren 91 . Abgesehen von einigen Unterschieden ähneln diese Ergebnisse eher denen bezüglich der Präfekturräte und Senatoren als denen hinsichtlich der Präfekturgeneralsekretäre bzw. der Präfekten im Königreich Italien. Zur Besetzung der Positionen, die unzweifelhaft der Verwaltung im engeren Sinne zugeordnet werden können, bildeten sich innerhalb der Behörden klar erkennbare Karrieremuster heraus. Politische Auswahlkriterien wurden aufgegeben, während die in den napoleonischen Behörden gewonnenen Fachkompetenzen entschieden an Bedeutung gewannen. Die Kriterien Vermögen und sozialer Status verloren hingegen ihren direkten Einfluß auf Einstellung und Karriere. Das Durchschnittsalter lag hier wesentlich niedriger als bei den Einrichtungen mit Verwaltungs- und Repräsentationsaufgaben und nahm in einem direkt proportionalen Verhältnis zur Bedeutung der Funktion zu, was auch bei fehlenden formalen Karrieremustern auf das Vorhandensein effektiv wirksamer Aufstiegskanäle innerhalb des Verwaltungsapparates verweist. Zum Abschluß sei hier an einige jüngere Studien insbesondere über Pietro Custodi, einem 1796 - 1797 demokratisch orientierten Publizisten, der später zum Generalsekretär im Finanzministerium aufstieg und mit dem Titel eines Barons in den napoleonischen Adel aufgenommen wurde, zumindest erinnert. Sie stellen den von Zaghi hervorgehobenen Automatismus in Frage, nach dem diejenigen, die während der Revolution emporgekommen sind, dann aber zusammen mit der traditionellen Aristokratie die neue, auf dem Zensus gegründete Notabelnschicht bildeten und den Verwaltungseinrichtungen weiterhin angehörten, ihre Ideale zum größten Teil verleugnet hätten 92 • Insbesondere Vittorio Criscuolo hat aufgezeigt, wie die Krise der revolutionären Ideale, von der zwischen 1798 und 1800 die ganze politische Klasse betroffen war, nicht zu einer Verleugnung der früheren geistigen Orientierung und Leitideen führte, sondern Überlegungen auslöste, die verfügbaren Mittel und Wege zur Einwirkung auf die italienische Gesellschaft zu nutzen 93 • Das vielleicht wichtigste Mittel, das sich den Italienern darbot, bestand zweifellos darin, auf internationaler Ebene zu zeigen, daß sie zu einer selbständigen Lenkung eines Staatswesens fähig und reif seien; anders ließ sich die Befreiung von der französischen Herrschaft erst gar nicht denken. Die Übernahme von Verwaltungsfunktionen Vgl. Pagano (Fn. 89), S. 549 - 551, insbesondere Tab. 1 - 3. Vgl. beispielsweise Zaghi (Fn. 2), S. 357, doch dieses Urteil kehrt in seinen Arbeiten immer wieder. 93 Vgl. V. Criscuolo, 11 giacobino Pietro Custodi (con un'appendice di documenti inediti), Rom 1987, S. 301; zu den Leitideen Custodis und anderer lombardischer Demokraten vgl. Capra, Alle origini dei moderatismo edel giacobinismo (Fn. 22). 91

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war folglich zwingend und gewann einen politischen Charakter94 . Der von Stefano Nutini untersuchte Demokrat Giovanni Gambini, der nach der dramatischen Periode der österreichisch-russischen Restauration in die Verwaltungsdienste des neuen Staates trat, sprach in diesem Zusammenhang von seiner "zweiten politischen Palingenese,,95. Diese abschließende Bemerkung soll nicht mehr als eine Anregung zur kritischen Überprüfung gängiger Interpretationen sein, während unbestritten bleibt, daß Männer mit einer derartigen politischen Vergangenheit seit 1802 in bedeutender Zahl in die öffentliche Verwaltung einzutreten versuchten, aber erst nach 1805 alle Hindernisse und Widerstände, die sich ihnen in dieser Hinsicht entgegenstellten, beseitigt sahen.

94 Vgl. dazu auch S. Nutini, Pietro Custodi giacobino, in: D. Rota (Hrsg.), Pietro Custodi tra rivoluzione e restaurazione. Atti deI I Convegno nazionale, Lecco 1989, S. 47 - 59, und L Antonielli, Pietro Custodi pubblico funzionario, in: ebenda S. 81 - 119. 95 S. Nutini, Un profiIo: Giovanni Gambini, in: L'amrninistrazione nella storia modema (Fn. 76), S. 1021 - 1088 (1045).

Grundzüge der französischen Verwaltungspolitik auf dem linken Rheinufer (1794 . 1814) Von Jörg Engelbrecht Das linke Rheinufer wurde von den französischen Revolutionsarmeen im Verlauf des Sommers und Herbstes 1794 besetzt. Lediglich ein Gebietsstreifen am Mittel- und Oberrhein war noch bis zum Ende des Jahres 1796 umkämpft. Auch blieb die Stadt Mainz bis zum Frieden von Campo Formio im Oktober 1797 von Reichstruppen besetzt 1. Was die administrative Organisation des besetzten Gebiets angeht, so ist zunächst festzustellen, daß es dafür in den ersten Jahren nach der Okkupation, also bis Ende 1797, kein einheitliches Prinzip gab, sieht man einmal von dem Interesse der Franzosen an einer bestmöglichen ökonomischen Ausbeutung des Landes ab 2 • In rascher Folge wechselten sich eine Reihe von Institutionen ab, deren gemeinsames Merkmal darin bestand, daß sie sich sowohl aus zivilen als auch aus militärischen Funktionsträgem zusammensetzten, wobei letzteren eine klare Vorrangstellung zukam. Auch bestand ein Unterschied hinsichtlich der beiden Armeen und ihrer jeweiligen Besatzungsgebiete. 'Zuerst erhielt das Operations gebiet der SambreMaas-Armee, also das spätere Roerdepartement und Teile des Rhein-MoselDepartements, am 15. Oktober 1794 ein neues Verwaltungs system. Im Besatzungsgebiet der Moselarmee wurden hingegen die alten Verwaltungsorgane vorläufig im Amt belassen und lediglich der Kontrolle durch die Armee unterworfen. Dies hing ohne Frage auch mit der hier immer noch I Zur Ereignisgeschichte vgl. Timothy C. W. Blanning, The French Revolution in Gennany. Occupation and Resistance in the Rhineland 1792 - 1802, Oxford 1983; weiterführende Literatur auch bei Hansgeorg Molitor, Bewegungen im deutsch-französischen Rheinland um 1800, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 6 (1980), S. 187 - 209. 2 Für die erste Phase der französischen Verwaltungspolitik auf dem linken Rheinufer ist immer noch heranzuziehen Ludwig Käss, Die Organisation der allgemeinen Staatsverwaltung auf dem linken Rheinufer durch die Franzosen während der Besetzung 1792 bis zum Frieden von Luneville (1801), Diss. Gießen 1929, Mainz 1929; außerdem: Hansgeorg Molitor, Vom Untertan zum Adrninistre. Studien zur französischen Herrschaft und zum Verhalten der Bevölkerung im Rhein-Mosel-Raum von den Revolutionskriegen bis zum Ende der napoleonischen Zeit, Wiesbaden 1980, vor allem S. 33 - 55.

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unklaren militärischen Situation zusammen. Der Lauf der Mosel trennte dabei ungefähr das Operationsgebiet der beiden Armeen. Die Länder zwischen Maas und Rhein wurden in sieben Bezirke mit je einer eigenen Verwaltung untergliedert. Darüber stand eine Zentralverwaltung mit Sitz in Aachen 3 . Im Bereich zwischen Rhein und Mosel folgte die Einrichtung einer eigenen Zentral verwaltung mit Sitz in Kreuznach erst im Oktober 1795 4 • Ihr unterstanden sechs Bezirke. Zusätzlich gab es hier noch eine Generaldomänendirektion mit zehn Unterbezirken. Diese war wiederum der Zentralverwaltung in Aachen unterstellt, was nicht eben zur Transparenz und Effizienz der Verwaltungs strukturen beitrug. Unterhalb der Bezirksebene, also in den Ämtern und Gemeinden, blieben die alten Verwaltungsorgane bestehen. Allerdings machte sich hier auch am stärksten der Einfluß der Armee bemerkbar, die sich ja aus dem Land selbst ernährte5 . Die Lokalbehörden hatten in erster Linie dafür zu sorgen, daß Requisitionen, Kontributionen und Dienstleistungen der verschiedendsten Art reibungslos erfolgten. So war es auch nur konsequent, daß sämtliche Spitzenpositionen in der Verwaltung den Franzosen vorbehalten waren, während auf der subalternen Ebene dieselben Beamten tätig blieben, die auch schon unter dem Ancien regime gedient hatten 6 . o

Erst nach dem Staatsstreich vom 4. September 1797 setzten sich in Frankreich endgültig jene Kräfte durch, die eine Annexion des Rheinlands befürworteten7 • Der Vertrag von Campo Formio vom 17. Oktober 1797 schuf auch die notwendigen politischen Voraussetzungen hierfür. Somit waren die Weichen für eine allmähliche Angleichung der rheinischen Verwaltungsstrukturen an die in Frankreich existierenden gestellt. Äußeres Kennzeichen für den sich anbahnenden Kurswechsel war der Umstand, daß 3 Joseph Hansen, Quellen zur Geschichte des Rheinlands im Zeitalter der Französischen Revolution 1780 - 1801, Bd. III, Bonn 1937, S. 310 - 315. 4 Hansen (Fn. 3), S. 582 - 585; Käss (Fn. 2), S. 108 - 110. 5 Zur Requisitionspolitik der französischen Armee in der ersten Phase der Besetzung vgl. Peter Wetzler, War and Subsistance. The Sambre and Meuse Army in 1794, New York 1985; außerdem: Uwe Andrae, Die Rheinländer, die Revolution und der Krieg. Studie über das rheinische Erzstift Köln unter der Besatzung durch die französischen Revolutionstruppen 1794 - 1798 im Spiegel von Petitionen, Essen 1994. 6 Vgl. Karl-Georg Faber, Verwaltungs- und lustizbeamte auf dem linken Rheinufer während der französischen Herrschaft. Eine personengeschichtliche Studie, in: Aus Geschichte und Landeskunde. Franz Steinbach zum 65. Geburtstag, Bonn 1960, S. 350 - 388. 7 Die Annexion des linken Rheinufers und die Idee der "natürlichen Grenzen" wurde von Camot und anderen Konventsmitgliedern bereits 1793 gefordert; vgl. Jean-Rene Suratteau, Le double langage de la France' revolutionnaire en Rhenanie, in: Peter Hüuenberger/Hansgeorg Molitor (Hrsg.), Franzosen und Deutsche am Rhein: 1789 - 1918 - 1945, Essen 1989, S. 11 - 26.

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die Zuständigkeit für das besetzte Gebiet von der des Kriegs- und des Finanzministers in diejenige des Justizministeriums wechselte 8 . Bei der ins Auge gefaßten administrativen Neuordnung des Rheinlands mußte man zwangsläufig alle noch bestehenden Selbstverwaltungseinrichtungen und überkommenen Institutionen aufheben, wollte man nicht den Keim zu Separatismus und Unruhen legen9 . Oberstes Prinzip mußte also die verwaltungstechnische Gleichschaltung des Territoriums sein. Zunächst einmal hob man die immer noch bestehende Trennung der Rhein-Mosel- und der Sambre-Maas-Armee auf, die man zu einer "Armee de l' Allernagne" zusammenfaßte lO • In einem nächsten Schritt wurde der Elsässer Rudler Anfang November 1797 als Regierungskommissar damit beauftragt, das eroberte Gebiet in möglichst gleich große Verwaltungsbezirke einzuteilen und gleichzeitig zu prüfen, welche von den im bereits annektierten Belgien erlassenen Gesetze geeignet seien, auch im Rheinland Anwendung zu finden 11. In Rudlers Instruktionen findet sich der Satz, er habe die administrative Neuordnung "auf derselben Grundlage und nach denselben Prinzipien wie auf dem Gebiet der französischen Republik" vorzunehmen. Hierbei handelte es sich im wesentlichen um die Bestimmungen der Konstitution des Jahres III und des Gesetzes vom 7. September 1795 mit ihrem betont zentralistischen Charakter l2 • Nachdem sich Rudler gegen den anfänglichen Widerstand der Armeegeneräle durchgesetzt hatte, denen in erster Linie an einer Fortführung der Kontributions- und Requisitionspolitik gelegen war, konnte er bis April 1798 die Einteilung des Rheinlands in vier Departements (nämlich Roer, RheinMosel, Saar und Donnersberg) vornehmen. Die von ihm festgelegten Grenzen hatten im wesentlichen bis 1813 Bestand 13. Unterhalb der Ebene der 8 Roger Du/misse, L'installation de l'institution departementale sur la rive gauche du Rhin, in: La naissance et les premiers pas des departements. Actes du colloque "L'Oise a 200 ans", 27/28 octobre 1990, Beauvais 1991, S. 408. 9 Fmnz-Ludwig Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsreformen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Köln/Berlin 1970, S. 31. 10 Beschluß des Direktoriums vom 29. Sep. 1797; Hansen (Fn. 3), Bd. IV, S. 109. 11 Hansen (Fn. 3), Bd. IV, S. 362 - 366. 12 Reinhard Sparwasser, Zentralismus, Dezentralisation, Regionalismus und Föderalismus in Frankreich. Eine institutionen-, theorien- und ideengeschichtliche Darstellung, Berlin 1986, S. 64. 13 Überblicksdarstellungen finden sich bei Constantin Schulteis, Die Karten von 1813 und 1818, Bonn 1895 (= Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, Bd. I), S. 28 - 42 und bei Du/misse (Fn. 8); Einzeldarstellungen für die Administration der Departements bei Sabine Gmumann, Französische Verwaltung am Niederrhein. Das Roerdepartement 1798 - 1814, Essen 1990; Rainer Ortlepp, Die französische Verwaltungs organisation in den besetzten linksrheinischen Gebieten 1794 - 1814 unter besonderer Berücksichtigung des Departements Donnersberg, in: A. Gerlich (Hrsg.), Vom Alten Reich zu neuer Staatlichkeit: Kontinuität und 6 DipperlSchiederlSchulze (Hrsg.)

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Departements gab es lediglich die Kantone bzw. die Kantonsmunizipalitäten. Städte mit mehr als 5000 Einwohnern bildeten eine eigene Munizipalität, die kleineren Gemeinden wurden zu gemeinsamen Verwaltungs bezirken (Kantonsmunizipalitäten) zusammengelegt. Die Kantone waren lediglich geographische Größen ohne administrative Funktion. Eine Mittelinstanz fehlte völlig, sieht man einmal von den Zuchtpolizeibezirken ab, die schließlich nach 1800 für die Einteilung der Arrondissements maßgeblich wurden. Dieses Fehlen einer Mittelinstanz erklärt sich zum großen Teil aus der Tatsache, daß es gerade die Distrikte waren, in denen die Bergpartei ihren größten Rückhalt gefunden hatte. Ihre Auflösung nach dem Sturz der Jakobinerherrschaft war daher folgerichtig 14. Das Verwaltungspersonal wurde durch den Regierungskommissar ernannt. In diesem Punkt wich man vom französischen Vorbild ab, wo die Funktionsträger gewählt wurden. Der Unterschied läßt sich aber damit erklären, daß es sich bei den Rheinländern noch nicht um Franzosen im Rechtssinn handelte, weswegen man ihnen auch nicht dieselben staatsbürgerlichen Rechte einräumen konnte 15 • Die zentrale Departementsverwaltung bildete ein fünfköpfiges Gremium mit einem Kommissar an der Spitze. In den Kantonen setzte sich die Munizipalverwaltung aus den Munizipalagenten und Adjunkten der einzelnen Gemeinden zusammen, die einen aus ihrer Mitte zum Präsidenten wählten. Wenn man so will, finden sich in der lokalen Verwaltungsorganisation noch gewisse Anklänge an das Kollegialprinzip, wie es in den Behörden des Ancien regime die Regel gewesen war. Schwierigkeiten ergaben sich vor allem durch die Tatsache, daß das Französische im März 1798 zur Amtssprache erklärt wurde 16. Auch wenn die offiziellen Verlautbarungen zweisprachig publiziert wurden, hatten doch auf der lokalen Ebene viele Funktionsträger Probleme. Die Klagen mehrten sich, daß gerade dort zahlreiche Mißstände herrschten, es an manchen Orten überhaupt keine geeigneten Offizianten gebe. Tatsächlich scheint sich die Rudlersche Organisation nur auf der Ebene der Departements und in den größeren Städten durchgesetzt zu haben, während die ländlichen Gebiete administrativ nur unvollkommen erfaßt wurden 17 • Wandel im Gefolge der Französischen Revolution am Mittelrhein, Wiesbaden 1982, S. 132 - 151; Max Springer, Franzosenherrschaft in der Pfalz 1792 - 1814 (Departement Donnersberg), Berlin/Leipzig 1921. 14 Hedwig Hintze, Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution, Nachdruck der Ausgabe 1928, mit einer Einleitung von Rolf Reichardt, Frankfurt 1989, S. 477 - 479. 15 Du/raisse (Fn. 8), S. 419. 16 Karl Theodor BormannlAlexander v. Daniels (Hrsg.), Handbuch der für die Königlich Preußischen Rheinprovinzen verkündigten Gesetze, Verordnungen und Regierungsbeschlüsse aus der Zeit der Fremdherrschaft, Bd. 4, Köln 1836, S. 635. 17 Du/raisse (Fn. 8), S. 414.

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Das von Rudler geschaffene System in den vier .,provisorischen Departements", wie sie in Paris genannt wurden, hatte im wesentlichen bis zur Einführung des Präfektursystems im Mai des Jahres 1800 Bestand. Die Institution des Präfekten war im übrigen so neuartig nicht. Vielmehr hatte der Präfekt auffällige Gemeinsamkeiten mit dem Intendanten des Ancien regime 18 , und auch der bisherige Kommissar an der Spitze der Departementsverwaltung kann als unmittelbarer Vorläufer des Präfekten angesehen werden. Sowohl der Präfekt als auch der Intendant des Ancien regime waren in erster Linie Instrumente der Regierung und führten deren Anweisungen ohne vorherige Überprüfung oder Beratung in einem Kollegium aus. Die reale Macht des Präfekten war indes größer, als es seine unbedingte Weisungsgebundenheit vermuten läßt. Napoleon selbst sprach davon, daß die Präfekten hundert Meilen von Paris entfernt eine größere Macht besäßen als er selbst 19 . Die Übernahme des Präfektursystems wurde durch Konsularbeschluß vom 14. Mai 1800 auch für die vier rheinischen Departements verbindlich. Mit dieser Entscheidung war aber noch keine sofortige und vollständige Assimilation verbunden, denn die französischen Gesetze sollten im Rheinland, wie es hieß, .,sukzessive" übernommen werden 2o• Die Entscheidung darüber, welches Gesetz zu welchem Zeitpunkt in Kraft treten sollte, behielt sich allein die Zentrale in Paris vor. Eine weitere rheinische Besonderheit bestand darin, daß die staatlichen Funktionsträger noch immer ernannt und nicht gewählt wurden. Ferner blieb das Amt des Generalkommissars weiterbestehen und bildete bis 1803 die Verbindungsinstanz zwischen den Präfekturen und den Pariser Ministerien. Ein Konsularbeschluß vom 9. September 1800 bestimmte allerdings, daß der Kommissar von nun an mit den jeweiligen Fachministern und nicht - wie bislang - allein mit dem Justizminister korrespondieren sollte. Vorbehaltlich der Kompetenzen des Generalkommissars leitete allein der Präfekt die Verwaltung 21 . Alle nachgeordneten Instanzen, von den neugeschaffenen Unterpräfekturen in den Arrondissements bis zu den Maires besaßen keine eigene Entscheidungskompetenz mehr, sondern waren allein ausführende Organe der Präfektur. Damit waren die bislang noch bestehenden kollegialen Elemente endgültig durch das Zentralisationsprinzip abgelöst worden. Auf der Gemeindeebene gilt es hervorzuheben, daß das bishe18 Jean Tulard, Napoleon oder Der Mythos des Retters, Frankfurt a.M. u.a. 1982, S. 136. 19 Sparwasser (Fn. 12), S. 67. 20 BormannlDaniels (Fn. 16), S. 173. 21 Zum Charakter der napoleonischen Präfekten vgl. Edward Whitcomb, Napoleon's Prefects, in: American Historical Review 79 (1974), S. 1089 - 1118; ferner Jacques Godechot, Les institutions de la France sous la Revolution et I'Empire, 2. Auflage, Paris 1968, S. 586 - 592.

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rige Nebeneinander von kommunalen und staatlichen Aufgaben beseitigt wurde. Von nun an waren alle Gemeindeangelegenheiten als staatliche Aufgaben zu betrachten, wodurch die letzten Reste kommunaler Selbstverwaltung beseitigt wurden22 . Gerade auf der lokalen Ebene, vor allem in den Landgemeinden, stieß die administrative Neuordnung jedoch auf Schwierigkeiten, mit denen schon das Rudlersche System zu kämpfen gehabt hatte. Es machte sich erneut ein Mangel an geeigneten Funktionsträgem bemerkbar, was in erster Linie mit den fehlenden Sprachkenntnissen, aber auch mit der Unerfahrenheit in Verwaltungsfragen zusammenhing. Sprachkenntnisse waren vor allem deswegen notwendig, weil der maire das Standesregister zu führen und den Schriftverkehr mit den übergeordneten Verwaltungsinstanzen zu besorgen hatte. Man schuf daher im Juni 1802 für die rheinischen Departements eine Sonderregelung, die in dieser Form keine Parallele in Innerfrankreich findet. Im wesentlichen handelte es sich dabei um eine kommunale Gebietsreform, durch die mehrere Gemeinden zu einer mairie zusammengefaßt wurden. Im Grunde handelte es sich bei diesen Mairien um lockere Verwaltungsgemeinschaften oder, um einen modemen verwaltungstechnischen Begriff zu verwenden, um Samtgemeinden. Ihre Bildung erfolgte ohne vorherige Anhörung der betroffenen Gemeinden, und die so geschaffenen Verwaltungsbezirke waren deutlich größer als im übrigen Frankreich, wo sich nach 1800 die Mairien im wesentlichen an die alten Kirchspielsgrenzen anlehnten. So bestanden im Roerdepartement 337 Mairien mit zusammen 1002 Kommunen; im Rhein-Mosel-Departement waren es 87 Mairien gegenüber 722 Kommunen und in den beiden anderen Departements sah das Verhältnis ähnlich aus. Im Schnitt lag die Einwohnerzahl bei über 1000 Menschen 23 . Die Einrichtung dieser Mairien erwies sich als so erfolgreich, daß sie - jetzt unter der eingedeutschten Bezeichnung "Bürgermeistereien" - in den nach 1815 preußisch gewordenen Teilen des Rheinlands und auch in Rheinhessen beibehalten wurden. Eine Ausnahme bildete lediglich Bayern, das die Einzelgemeinden restituierte 24 . Ortlepp (Fn. 13), S. 145. In Innerfrankreich hatte eine mairie mittlerer Größe etwa 650 Einwohner; Peter Burg, Kommunalrefonnen im Kontext historischen Wandels. Die napoleonischen und die modernen Gemeindezusammenlegungen im Vergleich, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 8 (1982), S. 257. Auch war hier die Zahl der Gemeinden im Gegensatz zum linken Rheinufer weniger stark dezimiert worden; Godechot (Fn. 21), S. 595. Die Größe der Gemeinden in den vier rheinischen Departements variierte aber zum Teil sehr stark. Im Roerdepartement überwogen die Mairien kleineren Zuschnitts, während etwa im Rhein-Mosel-Departement große Gemeindeverbände geschaffen wurden, Burg (Fn. 23), S. 257f.; Georg Rolef, Die rheinische Landgemeindeverfassung seit der französischen Zeit, BerlinILeipzig 1912/1913, S. 27. 22 23

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Die Stellung der maires war in der Realität bedeutender, als es ihre hierarchische Stellung vermuten läßt. Gerade weil sie den Bürgern am nächsten standen, ihre Probleme und ihre Stimmung am besten kannten, war ihnen eine loyalitätsstiftende Funktion zugedacht. Ausdrücklich betonte man die Fürsorgepflicht, die der maire seinen Bürgern gegenüber habe, ja man ging sogar so weit, in ihm ein Pendant zum Pater familias des privaten Bereichs zu sehen, einer Rechtsfigur, die auch im Code Napoleon erwähnt wurde. Wegen der Ehrenamtlichkeit der Maires kamen für diese Funktion ohnehin nur Leute mit Vermögen in Frage, also solche, die bereits zuvor über Sozialprestige verfügt hatten. Dies kam auch in der Bestimmung des Jahres 1802 zum Ausdruck, wonach nicht nur die Funktionsträger, sondern auch die Mitglieder der verschiedenen Ratsgremien, also den Departements-, Arrondissements- und Mairieräten, aus dem Kreis der Höchstbesteuerten zu wählen waren 25 • Durch den Frieden von Luneville vom 9. Februar 1801 schied das Rheinland nun auch völkerrechtlich aus dem Reichsverband aus. Es dauerte aber noch eine geraume Zeit, bis der Annexion auch die verwaltungstechnische Assimilation des Gebiets folgte. Vorläufig blieb es bei der bereits im Mai des voraufgegangenen Jahres verfügten "sukzessiven" Übernahme der französischen Gesetze. Auch am Institut des Generalkommissars hielt man vorläufig fest, auch wenn die gesetzgebende Versammlung bereits wenige Tage nach Luneville, am 19. März 1801, die vollständige Eingliederung der vier rheinischen Departements in die französische Republik proklamiert hatte 26 . Erst mit Wirkung vom 23. September 1802 wurde die Assimilation vollständig, verschwand auch das Amt des Generalkommissars. Da aber erst jetzt die Wählerverzeichnisse aufgestellt und darauf die Wahlversammlungen einberufen werden konnten, dauerte es noch bis zum Februar des Jahres 1805, ehe die tatsächliche Gleichstellung mit dem übrigen Frankreich erreicht war27 . Die nur zögerliche Einbeziehung des Rheinlands in das französische Verwaltungssystem in den Jahren nach 1798 - auch nachdem die Entscheidung für die Annexion bereits gefallen war - bedarf einer Erklärung. Zum einen konnte von einer Gleichstellung der vier rheinischen Departements so lange keine Rede sein, wie die Abtrennung dieser Gebiete vom Reich völkerrechtlich nicht legitimiert war - also bis zum Februar 1801. Zum anderen hatte 24 Burg (Fn. 23), S. 262. Wohl aber schloß sich Bayern in der Gemeindeverfassung der Rheinpfalz dem Typus der Bürgermeisterverfassung an, Wolfgang Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1989, S. 45. 25 ]ürgen Müller, Von der alten Stadt zur neuen Munizipalität. Die Auswirkungen der Französischen Revolution in den linksrheinischen Städten Speyer und Koblenz, Koblenz 1990, S. l36 - l38; Graumann (Fn. l3), S. 73. 26 BormannlDaniels (Fn. 16), S. 225. 27 Dufraisse (Fn. 8), S. 421 f.

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man es aber auch mit einem Gebiet zu tun, das in sich vielfältig differenziert war, dessen Bevölkerung, Wirtschaft und politischer Bewußtseinsstand von Ort zu Ort verschieden waren. Diese Erkenntnis hatten die Franzosen bereits während des Jahres 1792 machen müssen, als die Proklamation des Selbstbestimmungsrechts vom 23. Oktober 1792 durch General Custine zeitweilig zu einer Mobilisierung revolutionsfeindlicher Gruppen in Rheinhessen geführt hatte 28 . Die lange Vorlaufphase der Integration des Rheinlands weicht auffällig von der Eingliederung. des benachbarten Belgien ab, wo zwischen der militärischen Okkupation und dem staatsrechtlichen Anschluß an Frankreich gerade ein Jahr verging (Herbst 1794 - Herbst 1795)29. Die Tatsache, daß ein großer Teil der belgischen Bevölkerung frankophon war, erleichterte die Eingliederung in die Republik sicher beträchtlich. Andererseits darf aber nicht übersehen werden, daß die Belgier bereits den zentralisistischen Bestrebungen Josephs II. erheblichen Widerstand entgegengesetzt hatten, und unter eben diesen Vorzeichen begann ja auch die französische Okkupation. Ausschlaggebend für die relativ reibungslose Integration Belgiens scheint die Tatsache gewesen zu sein, daß sich die Meinungsführer innerhalb des Wirtschaftsbürgertums sehr bald von den Vorteilen einer Zugehörigkeit zu Frankreich überzeugen ließen3o • Auch im Rheinland mußten eine Reihe von strukturellen Hindernissen beseitigt werden, ehe eine Gleichstellung mit dem übrigen Frankreich ins Auge gefaßt werden konnte. Daß dabei die Rudlersche Verwaltungsorganisation des Jahres 1798 ihren Teil dazu beitrug, die zuvor existierenden Unterschiede zu nivellieren, steht außer Frage31 . Der Grad des Erfolgs, mit dem das französische System durchgesetzt werden konnte, hing ganz entscheidend davon ab, inwieweit es gelang, das Bürgertum dafür zu gewinnen, also jene Schicht, die während des Ancien regime von politischer Partizipation weitgehend ausgeschlossen gewesen war. Dies ist bekanntlich nicht überall in gleichem Maße gelungen. Am ehesten wohl noch dort, wo 28 Franz Dumont, Mainzer Republik und Donnersbergdepartement - Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Zugleich ein Beitrag zum Problem der historischen Kontinuität, in: A. Gedich (Hrsg.), Vom Alten Reich zu neuer Staatlichkeit: Kontinuität und Wandel im Gefolge der Französischen Revolution am Mittelrhein, Wiesbaden 1982, S. 52. 29 Vgl. hierzu Cicile Douxchamps-Lejevre, La formation et l'evolution des departements reunis de la Belgique, in: La naissance et les premiers pas des departements. Actes du colloque ,,L'Oise a 200 ans", 27/28 octobre 1990, Beauvais 1991, S. 355 - 380. 30 Ebenda, S. 375. 31 Ein Überblick über die Verwaltungsorganisation der rheinischen Territorien während des Ancien regime findet sich bei Max Bär, Die Behördenverfassung der Rheinprovinz seit 1815, Bonn 1919 (Nachdruck 1965), S. 16 - 40.

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der Systemwechsel mit einem Prozeß beschleunigten sozialen Wandels einherging, also vor allem in den größeren Städten32 • Erst die Beseitigung der zahlreichen Zuzugsbeschränkungen, Zunftprivilegien und konfessionellen Vorbehalte im Jahre 1798 haben diesen sozialen Wandel ermöglicht. Man denke etwa an die Bedeutung, die die protestantischen und jüdischen Wirtschaftsbürger seit der Jahrhundertwende für das stadtkölnische Wirtschaftsleben besaßen33 . Selbst die mennonitischen Fabrikanten und Kaufleute in Krefeld, denen es eigentlich aus Glaubensgründen verboten war, ein öffentliches Amt anzunehmen, erkannten sehr rasch die sich ihnen im Rahmen einer politischen Betätigung eröffnenden Möglichkeiten und waren bereit, dafür ihre religiösen Grundsätze preiszugeben34 • In den eher ländlich-agrarisch strukturierten Gebieten überwog dagegen noch lange das Gefühl der Fremdbestimmtheit, wofür pars pro toto der Revolutionskalender und die französische Amtssprache zu sehen sind35 • Es ist vielfach davon gesprochen worden, die französische Administration habe namentlich auf der Ebene der Städte und Gemeinden so etwas wie eine Entmündigung dieser Körperschaften bewirkt36 . Dabei wird übersehen, daß die Eigenständigkeit der deutschen Städte, selbst die der Reichsstädte, am Ende des Ancien regime nur noch dem Anspruch nach vorhanden und kaum irgendwo mit Leben gefüllt war37 . In Deutschland hatte es eben nicht die Munizipalrevolution von 1789 gegeben, die in Frankreich als Maßstab für den Grad der seitherigen Entmündigung der Städte galt. Die revolutionäre Gemeindeverfassung des Jahres 1789 kannte vor allem das Prinzip der Volkssouveränität, das der Ordnung von 1795 und mehr noch der von 1800 völlig wesensfremd war38 . Spätestens mit dem PluviöseGesetz vom Februar 1800 hatte man in Frankreich endgültig die liberalen Grundsätze aufgegeben, die jedoch für Deutschland niemals zur Debatte gestanden hatten. Hier ging es allein um die Vereinheitlichung der Rechtsstellung39 • Mißt man die napoleonische Gemeindeverfassung an den Verhältnissen während des Ancien regime, so kommt man für die meisten rheinischen Für Koblenz und Speyer etwa vgl. Müller (Fn. 25). Vgl. Alwin Müller, Das Sozialprofil der Juden in Köln (1808 - 1850), in: Jutta Bohnke-Kollwitz u.a. (Hrsg.), Köln und das rheinische Judentum. Festschrift Germania Judaica, Köln 1984, S. 102 - 116. 34 leffry M. Diefendorf, Businessmen and Politics in the Rhineland, 1789 - 1834, Princeton 1980, S. 90. 35 Dufraisse (Fn. 8), S. 414f. 36 So etwa bei Bär (Fn. 31), S. 49. 37 Zum Zustand des deutschen Städtewesens vgl. Mack Walker, German Horne Towns. Community, State, and General Estate 1648 - 1871, Ithaca/London 1971. 38 Sparwasser (Fn. 12), S. 52f. 39 Burg (Fn. 23), S. 254; 260. 32 33

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Städte zu dem Befund, daß sie zum Ausgangspunkt eines deutlichen Modernisierungsschubs wurde. Wie lürgen Müller in seiner unlängst vorgelegten Studie über die Städte Speyer und Koblenz gezeigt hat, wurde diese Modernisierung erst ermöglichst durch die Homogenisierung, die Zentralisierung und die Bürokratisierung, kurz: durch die Professionalisierung der Verwaltung 40. Dieser Befund wäre allerdings unvollständig, wenn man nicht noch eine andere Ebene in den Blick nähme, die leffry Diefendoif als "semioffiziell" bezeichnet hat41 . Gemeint sind hier in erster Linie die Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft, also die Handelskammern, die einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf administrative und politische Entscheidungen nehmen konnten. Solche Handelskammern gab es in Aachen, Köln, Krefeld und Mainz. Ihre offizielle Gründung datiert zwar erst aus dem Jahre 1803, doch gab es hierfür zumeist Vorläuferorganisationen aus der Spätzeit des Ancien n!gime 42 • Zu denken ist aber auch an die Handels- und Gewerbegerichte. In Aachen erfolgte die Gründung eines Handelsgerichts bereits im Oktober 1794 und in Köln nahm die entsprechende Einrichtung im Jahre 1799 ihre Tätigkeit auf 43 • Strenggenommen lief ihre Existenz einer Bestimmung des Jahres 1791 zuwider, wonach alle "privaten" wirtschaftlichen Vereinigungen als aufgelöst galten44 . Die Zielrichtung dieses Verbots richtete sich allerdings vor allem gegen die Zünfte, weswegen man den Kammern, bei denen es sich ja nicht um Korporationen, sondern um Assoziationen handelte, stillschweigend einen Sonderstatus einräumte. Offensichtlich hatte sich bei den Behörden die Erkenntnis durchgesetzt, daß der wirtschaftliche Sachverstand der Kaufleute und Fabrikanten für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik unverzichtbar war, sich aber andererseits nicht in eine Behördenstruktur einbinden ließ. Dabei machte sich der Einfluß des Wirtschafts bürgertums nicht allein in den Städten bemerkbar. Er reichte bis auf die Ebene der Präfektur als der für Wirtschaftsfragen zuständigen Instanz. Auch wenn die Handelskammern einer staatlichen Kontrolle unterworfen waren, behielten sie doch noch einen Rest von Selbstverwaltungsaufgaben, die die zentralistischen Tendenzen der allgemeinen Staatsverwaltung abmildern konnten. Müller (Fn. 25), S. 131. Diefendorf (Fn. 34), S. 134 passim. 42 Richard Zeyss, Die Entstehung der Handelskammern und die Industrie am Niederrhein während der französischen Herrschaft, Leipzig 1907. 43 Günther Bemert, Die französischen Gewerbegerichte (Conseils des Prud'hommes) und ihre Einführung in den linksrheinischen Gebieten zwischen 1808 und 1813, in: KarlOtto Scherner/Dietmar Willoweit (Hrsg.), Vom Gewerbe zum Unternehmen. Studien zum Recht der gewerblichen Wirtschaft im 18. und 19. Jahrhundert, Darmstadt 1982, S. 142 - 145. 44 Godechot (Fn. 21), S. 213 - 218. 40 41

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Betrachten wir abschließend noch kurz die Verhältnisse im rechtsrheinischen Großherzogturn Berg, einem 1806 gegründeten Satellitenstaat, der zunächst unter der Herrschaft von Napoleons Schwager Murat stand und seit 1808 von Napoleon selbst regiert wurde45 . Nur vordergründig betrachtet wurden in Berg die nämlichen Verwaltungs strukturen geschaffen wie in den linksrheinischen Gebieten. Zwar errichtete man auch hier Verwaltungsbezirke, die dem Namen nach mit dem französischen Vorbild identisch waren, doch hatten beispielsweise die Präfekten weit weniger Kompetenzen als ihre linksrheinischen Kollegen. Sie waren mehr oder weniger ausführende Organe der Minister, denen wiederum ein kaiserlicher Kommissar übergeordnet war. In Paris schließlich wachte ein eigenes Ministerium über die Angelegenheiten des Großherzogturns. Auf der Ebene der Städte und Gemeinden ist es bis 1813 nicht gelungen, eine einheitliche und vor allem lebensfähige Verwaltungsorganisation zu schaffen. Zwar wurde am 13. Oktober 1807 eine Kommunalverfassung eingeführt, die sich eng an das Pluviöse-Gesetz des Jahres 1800 anlehnte, die Einrichtung entsprechender Munizipalitäten erfolgte jedoch nicht sofort und überall. Der Grund hierfür war einleuchtend, denn die Einteilung des Landes in Departements, Arrondissements und Kantone erfolgte erst im November 1808, also mehr als ein Jahr nach der kommunalen Neugliederung46 . Abweichend von den linksrheinischen Mairien handelte es sich in Berg auch nicht um Samt-, sondern um Einheitsgemeinden. Sie waren, was ihre Einwohnerzahl angeht, weit größer konzipiert als im Linksrheinischen. In der Regel hatten sie 1500 - 3000 Einwohner. Dies sollte eine effizientere Verwaltung ermöglichen, die aufzubauen aber angesichts der knappen personellen Ressourcen auf erhebliche Schwierigkeiten stieß47. Nicht überall gelang deshalb die kommunale Neugliederung. Einzelne Gemeinden widersetzen sich erfolgreich und blieben als sogenannte "Spezialgemeinden" mit eigenem Vermögen weiter bestehen 48 . 45 Immer noch grundlegend ist die Darstellung von Charles Schmidt, Le GrandDucM de Berg (1806 - 1813). Etude sur la domination fran"aise en Allemagne sous Napoleon Ier, Paris 1905. Eine deutsche Übersetzung dieses Buchs befindet sich gegenwärtig in Vorbereitung. Mit dem administrativen System Bergs beschäftigen sich Knemeyer (Fn. 9); außerdem Meent W. Francksen, Staatsrat und Gesetzgebung im Großherzogturn Berg, Frankfurt a.M. 1982. 46 Heinz-K. Junk, Zum Städtewesen im Großherzogturn Berg (1806 - 1813), in: H. Naunin (Hrsg.), Städteordnungen des 19. Jahrhunderts - Beiträge zur Kommunalgeschichte Mittel- und Westeuropas, Köln/Wien 1984, S. 282f.; vgl. auch die Fallstudie von Karl-Georg Faber, Die Entstehung der Großgemeinden im Oberbergischen Kreis, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 25 (1960), S. 253 - 299. 47 Burg (Fn. 23), S. 258. 48 Junk (Fn. 46), S. 288.

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Theoretisch war die Neuorganisation Mitte 1809 abgeschlossen. Doch noch zwei Jahre später berichtete Kommissar Beugnot nach Paris, daß die Munizipalverwaltungen vielfach noch nach den alten Gewohnheiten verführen und sich die Anweisungen der Präfekten nicht durchsetzen ließen49 . Lediglich in der Hauptstadt Düsseldorf scheint das System zufriedenstelIend funktioniert zu haben; in den anderen Orten blieb die Munizipalität eine Scheinorganisation ohne inneres Leben5o . Man muß aber gerechterweise daran erinnern, daß auch in den linksrheinischen Departements die Vorlaufphase der VerwaItungsreform zwischen drei und fünf Jahren betrug, eine Zeit, die den bergischen Reformern nicht zur Verfügung stand. Hier war die Spanne der französischen Herrschaft zu kurz bemessen, als daß deren Institutionen tatsächlich zu einem eingespielten Verwaltungsapparat hätten zusammenwachsen können. Auch zur Bildung von Handelskammern ist es in der Zeit des Großherzogtums nicht mehr gekommen, obgleich entsprechende Pläne ausgearbeitet worden waren und das Wirtschaftsbürgertum - stärker noch als im Linksrheinischen schon seit der Spätzeit des Ancien regime über eigene Interessenvertretungen verfügt hatte5l . Bekanntlich ist es rechtsrheinisch erst in den 1830er Jahren zur Gründung von Handelskammern gekommen, während die entsprechenden Institutionen in den linksrheinischen Städten auch über das Jahr 1815 hinaus weiterexistierten. So sind die großherzoglich-bergischen Verwaltungsreformen weit weniger wirksam geworden als diejenigen im Linksrheinischen. Ganz ohne Fernwirkungen blieben sie jedoch auch hier nicht. Die Zerschlagung der alten Strukturen legte den Grund für eine äußerst dynamische Stadtentwicklung, die bald nach 1815 einsetzte. Durch den Fortfall des überkommenen, vorwiegend inhaltlich bestimmten Stadtbegriffs und dessen Ersetzung durch ein rein quantitatives Merkmal - alle Orte mit mehr als 5000 Einwohnern wurden als Städte (villes) bezeichnet; Orte zwischen 2500 und 5000 Einwohnern galten immerhin noch als Minderstädte (villes ou bourgs) - stiegen jetzt auch die Gewerbeorte des bergisch-märkischen Raums im Rechtssinn zu Städten auf, was sie faktisch schon lange waren52 . Beispiele hierfür wären Barmen oder Mülheim/Ruhr. Durch Zusammenlegung mit umliegenden Gemeinden gelang es anderen Orten, die schon seit jeher über Stadtrechte verfügt hatten, denen aber eigentlich jede städtische Qualität abging, ein neues Entwicklungspotential zu schaffen, das für ihre spätere wirtschaft49 50 51

Schmidt (Fn. 45), S. 145. Junk (Fn. 46), S. 291. Elly Mohrmann, Studie zu den ersten organisatorischen Bestrebungen der

Bourgeoisie in einigen Städten des Rheinlandes, in: Beiträge zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Berlin 1962, S. 189 - 249. 52 Junk (Fn. 46), S. 302 f.

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liehe Entfaltung grundlegend wurde. Dies gilt etwa für die Städte Bochum, Essen und Dortmund53 . Vergleicht man abschließend die Entwicklung links und rechts des Rheins, so muß man feststellen, daß die französische Gemeindeverfassung in beiden Gebieten sehr unterschiedlich verankert war. In den vier linksrheinischen Departements war ihre Akzeptanz - zumindest bei den gesellschaftlichen Eliten - uneingeschränkt, was sich unter anderem in preußischer Zeit am Widerstand der rheinischen Städte gegen eine Übernahme der Steinsehen Städteordnung von 1808 erkennen läßt. In dieser Frage zogen die links- wie die rechtsrheinischen Kommunen an einem Strang, weil eine Trennung von Stadt und Land wegen deren wirtschaftlicher Verflechtung und zum Teil ähnlichen Lebensformen hier wenig Sinn hatte54 . Die französische Kommunalordnung blieb in der Rheinprovinz weiter gültig und wurde - neben dem sogenannten Rheinischen Recht - ein zweites Element des rheinischen Partikularismus55 .

53 Hans-Heinrich Blotevogel, Zentrale Orte und Raumbeziehungen in Westfalen vor der Industrialisierung (1780 - 1850), Münster 1975, S. 62f. 54 Die Auseinandersetzungen um die rheinische Kommunalverfassung nach 1815 wird dargestellt bei Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, 2. Auflage, Stuttgart 1969. 55 Joseph Hansen/Georg Mölich (Hrsg.), Preußen und Rheinland von 1815 bis 1915. Hundert Jahre politischen Lebens am Rhein, Köln 1990, S. 39.

Von den französischen Illyrischen Provinzen zum österreichischen Königreich Illyrien Von Sergij Vilfan Im Vordergrund dieser Ausführungen steht die Kontinuitätsfrage zwischen den Illyrischen Provinzen und dem Königreich Illyrien: Was wurde nach den wenigen Jahren französischer Herrschaft von den Änderungen, die sie gebracht hatte, beibehalten? Worin unterschieden sich daher die zeitweilig von den Franzosen beherrschten altösterreichischen Länder von den übrigen, ebenso seit dem Mittelalter habsburgischen Ländern? Die zweite Frage legt den Schwerpunkt vor allem auf jene Gebiete der Illyrischen Provinzen, die seit dem Frühmittelalter zum Reich gehört hatten und die im 19. Jahrhundert mehrere Jahrzehnte lang durch ihre habsburgischen Landesfürsten zum Deutschen Bund zählten.

I. Die Illyrischen Provinzen (1809 - 1813) 1. Die Quellenlage

Die ersten größeren Werke über die Illyrischen Provinzen entstanden vor allem aufgrund von Archivalien in Pariser Archiven, besonders im Staatsarchiv (Archives Nationalesl, doch die Erhaltung der Quellen ist nicht als ideal zu bezeichnen. Sogar die französischen Amtsblätter sind nur zum Teil und unvollkommen zugänglich 2 . An Ort und Stelle sind die Archive nur teilweise zu finden. Der umfangreiche Archivbestand des Generalintendan1 Melitta Pivec-Stele, La vie economique des Provinces Illyriennes (18091813), Institut d'Etudes Slaves de I'Universite de Paris, Collection historique VI, Paris 1930, S. XLVI - LI. 2 Milko Kos, "Telegraphe officiel" in njegove izdaje, in: Glasnik muzejskega drustva 7 - 8 (1926 - 27), S. 5 - 12. Es erschienen (nicht durchweg und nicht immer ganz parallel) Ausgaben in französischer (Titel: Provinces Illyriennes, Telegraphe Officiel), deutscher (Titel: Illyrische Provinzen, Offizieller Telegraph) und italienischer (Provincie Illiriche, Telegrafo Ufficiale, dieser nur bis Ende 1810 und zwei Monate im Jahr 1812) Sprache. Gegen Ende gab es einige zwei- bis dreisprachige Nummern. Über den (nicht bestehenden) Telegraph in "illyrischer" Sprache vgl. Drago Roksandic, Hrvatska Vojna krajina pod franeuskom vlascu (1809 - 1813), 2 Bände, Diss., Zagreb 1988, S. 164 - 168.

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ten der Illyrischen Provinzen nebst jenem einiger anderer Intendanzen - er kam nach dem Rückzug der Franzosen nach Triest, von dort nach Wien, 1920 wieder nach Triest und 1961 nach Laibach - ist erst seit kaum zwei Jahrzehnten übersichtlich erschlossen und zugänglich3 , doch noch längst nicht erschöpft. Archive der untergeordneten Behörden sind je nach Provinz in sehr verschiedenem Maß erhalten. Trotz solcher Schwierigkeiten sind die Illyrischen Provinzen seit Beginn unseres Jahrhunderts ein beliebtes Thema historischer Forschung.

2. Die Entstehung Ein Vorspiel zur Entstehung der Illyrischen Provinzen war u.a. die im Frieden von Campo Formio im Jahr 1797 besiegelte Aufhebung der Republik Venedig. Damals kamen von der untergegangenen Serenissima das istrische Küstengebiet und Dalmatien an die Habsburgermonarchie, mußten aber bereits 1805 den Franzosen überlassen werden, die sich darauf 1806 auch in Dubrovnik festsetzten und 1808 dessen Eigenstaatlichkeit aufhoben. Dalmatien - anfangs von den Franzosen dem Königreich Italien zugeteilt erhielt 1806 eine modernere Gerichtsverfassung, unter anderem Friedensrichter, ein Handelsgericht und ein Appellationsgericht in Zadar, wo bereits unter Venedig das Verwaltungszentrum Dalmatiens gewesen war4 • Aufgrund des Schönbrunner Friedens von 1809 erweiterte Napoleon die französische Staatsgewalt nicht nur auf das einst venezianische Küstengebiet, sondern auch auf alten habsburgischen Boden, zum Teil auf Reichsboden, zum Teil auf das Gebiet der Stephanskrone. Indem er das vor kurzem erworbene Dalmatien von Italien trennte und an das neuerworbene Gebiet anschloß, schuf er eine langgestreckte Ländergruppe, die von den Alpen bis zu der Boka von Kotor und Ulcinj reichte - die Illyrischen Provinzen mit dem Verwaltungszentrum Ljubljana/Laibach, der Hauptstadt des slowenischsprachigen Landes Krain. Es wird gerätselt, was Napoleon denn eigentlich mit der Gründung der Illyrischen Provinzen bezweckte. Unter anderem wird ihre Bedeutung für die Kontinentalblockade hervorgehoben5 . Allerdings ist dazu zu bemerken, daß die Vorbedingung für die Gründung der Illyrischen Provinzen - die 3 Majda Smole, Glavni intendant Ilirskih provinc, Publikacije Arhiva Slovenije Inventarji, Arhivi drZavnih in samoupravnih organov in oblastev 1, Ljubljana 1973, S. 9; hier auch über die Archive einzelner Intendanzen. 4 George J. Prpic, French Rule in Croatia: 1806 - 1813, in: Balkan Studies (Thessaloniki) 5/1964, S. 221ff. (226 - 243); Monika Senkowska-Gluck, Rzandy Napoleon'skie w Ilirii 1809 - 1813, Wroclaw/Warszawa/Krak6w/Gdansk 1980, S. 16 - 30. S Pivec-Stele (Fn. 1), S. 10 - 13. - Prpic (Fn. 4), S. 243. - Zur Bedeutung für den Levantehandel Roksandic (Fn. 2), S. 83 - 97.

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Vernichtung der Republik Venedig - bereits zehn Jahre vor der Verhängung der Kontinentalblockade geschaffen wurde und daß sowohl die französische Besetzung Dalmatiens als auch Napoleons Erwerb Westkärntens und Krains primär im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Habsburgermonarchie erfolgten. Ob die Kontrolle über die Verbindungen dalmatinischer Häfen mit dem balkanischen, besonders türkisch-bosnischen Hinterland allein eine neue Staatengründung erheischte, dürfte immerhin fraglich sein. Die Kontinentalblockade scheint sich als Zweck der Illyrischen Provinzen anderen, zum Teil bereits älteren strategischen Gründen beigesellt zu haben. Napoleon selbst führte bei verschiedenen Gelegenheiten, meist erst nachträglich, sehr unterschiedliche Gründe für die Bildung der Provinzen an: die Dominanz des Königreichs Italien an der Adria (1809), die Kontinentalblockade, das Vordringen auf den Balkan, die Sicherheit italiens, die Vorhut im Herzen Österreichs, die Verbreitung französischer Lehren und des Rechtes und die Möglichkeit, die Provinzen an Österreich zurückzugeben, um damit Galizien loszukaufen6 • In Wahrheit war die Gründung eine notwendige Konsequenz der Aufhebung des venezianischen Staates und der Auseinandersetzungen mit Österreich, die dann allerdings verschiedenen Zielen dienstbar gemacht wurde. Dem Namen "Illyrien" selbst lagen im Sinne des Klassizismus Kenntnisse über den vorrömischen Stammesverband der Illyrer zugrunde, gewiß weit weniger oder kaum waren die damals sehr vagen Vorstellungen über den angeblich illyrischen Ursprung der slawischen Bevölkerung im Osten der Adria und die gelegentliche Bezeichnung des Kroatischen bzw. Serbischen (kaum des Slowenischen allein) als illyrische Sprache7 maßgebend. Manchmal wurde der Name Illyrer im weiteren Sinn für Slawen überhaupt oder für Orthodoxe gebraucht8 . Dabei ist vom Namen die Rede, nicht von sprachlich-nationalen Beweggründen, die bei Napoleon ganz gewiß keine Rolle gespielt haben, wovon noch abschließend die Rede sein wird.

6 Bogumil Vosnjak, Ustava in uprava Ilirskih dezei, (Zbomik ... "Matica slovenska" XII) Ljubljana 1910, S. 108, 114, 126, 270; zur Kontinentalblockade vgl. auch S. 216; außerdem Fran Zwitter, Les Provinces Illyriennes de Napoleon, in: Questions actuelles du socialisme, No 35, Paris mars - avril 1956, hier benutzt in erweiterter Fassung in: Napoleonove Ilirske province 1809 - 1814, Ljubljana 1964 (Ausstellungskatalog), S. 29, kumuliert verschiedene Beweggründe. 7 Man findet im Tel. Off. (Fn. 2), 1811, No 61, eine Stelle, an der das Slowenische als illyrische Mundart bezeichnet wird, doch ist diese Einreihung eine Ausnahme. 8 Roksandic (Fn. 2), S. 110 - 111; konzise Übersicht der Bedeutung des Wortes ,,illyrisch" bei Zwitter (Fn. 6), S. 30.

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3. Der Ursprung In den Illyrischen Provinzen kamen zusammen: (1) alte habsburgische, vorwiegend innerösterreichische Erbländer oder deren Teile, (2) frühere venezianische Küsten- und Inselstädte mit ihren Stadtgebieten bzw. Hinterländern (nuovo und nuovissimo acquisto), (3) kroatischer und dadurch seit 1102 zu den Ländern der Stephanskrone gehörender Boden, (4) militärisch verwaltete Teile der habsburgischen vormaligen kroatischen Grenze und Meergrenze, die zu den westlichen, ursprünglichen Bestandteilen der zuletzt weit nach Osten ausgreifenden Militärgrenze gezählt hatten und schließlich (5) Stadt und Territorium Dubrovnik/Ragusa9 . Heute gehört der Bereich der einstigen Illyrischen Provinzen zu Österreich, Italien, Slowenien, Kroatien und Montenegro (Restjugoslawien) und liegt an mehreren Stellen in jüngst umkämpften Gebieten. Zu den Illyrischen Provinzen zählten ursprünglich: der Villacher Kreis in Kärnten (d. h. der westlicher gelegene unter den zwei Kärntner Kreisen), die historischen Länder Görz im Westen und Krain östlich davon, die Stadt Triest, Inneristrien, die Stadt Rijeka/Fiume, die seit 1776 zu Kroatien und damit zu den Ländern der Stephanskrone gehört hatte lO , Zivilkroatien südlich der Save, sechs Regimentsbezirke der kroatischen MilitärgrenzeIl und Dalmatien mit Dubrovnik/Ragusa. Etwas später, 1810, kamen von Bayern Osttirol (die Bezirke Lienz und Sillian, die zum Kärntner Villacher Kreis geschlagen wurden) 12, dann die ex-venezianischen (und bisher vorübergehend an Italien angeschlossenen) Küstenstreifen Istriens 13 sowie 1811 von Italien Landstriche östlich der Soca bzw. des Isonzo dazu. In diesem Umfang bestanden die Illyrischen Provinzen unter französischer Herrschaft bis 1813, d.h. in ihrer ursprünglichen Ausdehnung etwa vier Jahre, in ihrem vollen Umfang noch kürzer. Das Gebiet der Illyrischen Provinzen war ein Konglomerat vollkommen verschiedener Traditionen und entsprechend disparater Kulturregionen. Im Norden umfaßte es die westlichen Südostalpen als mitteleuropäische Kulturregion, woran im Südosten pannonische und dinarische Randgebiete grenzten, daran schloß sich die langgestreckte, inselreiche östliche Adriaküste als Vosnjak (Fn. 6), S. 126. Ferdo Hauptmann, Od rimske Tarsatike do hrvatsko-ugarske nagodbe, Zagreb 1951, S. 97 - 99. 11 Roksandic (Fn. 2), Karte der Regimentsgebiete auf S. 185. 12 Hierüber beruft sich Pivec-Stele (Fn. 1), S. XXII, auf einen Artikel von Karl Maister in den Osttiroler Heimatblättern 1926; vgl. auch lose! Egger, Geschichte Tirols von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Innsbruck 1880, S. 799ff. (799 819). 13 Giovanni Quarantotti, Trieste e l'Istria neU'eta napoleonica, Studi e documenti di Storia del Risorgimento, 31, 1954, S. 248. 9

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mediterrane Kulturregion an, während entlang der türkisch-bosnischen Grenze Traditionen der Balkanhalbinsel lebten. In sprachlich-nationaler Hinsicht machten die Kroaten und Serben schätzungsweise etwa die Hälfte der Einwohnerschaft aus, die Slowenen ein Drittel, das übrige Sechstel bildeten Deutsche und Italiener. 4. Die Struktur

Die Illyrischen Provinzen bildeten keinen (auch nur formal) unabhängigen Staat, sondern waren von Anfang an den Pariser Behörden untergeordnet, ohne jedoch verfassungsmäßig einen Teil Frankreichs zu bilden. Sie hatten ihre eigene Staatsbürgerschaft 14 und standen unter einem (General-) Gouverneur, der in erster Linie militärische Aufgaben hatte, ihr Gerichtswesen unter einem Justizkommissar und ihre Verwaltung unter einem Generalintendanten für das Finanzwesen. Die drei Würdenträger waren den Pariser Ministerien untergeordnet 15 . Die Franzosen übernahmen zunächst die bisherige Gebietseinteilung, adaptierten aber die den illyrischen Zentralorganen untergeordnete Behördenstruktur oder zumindest die entsprechende Nomenklatur zum Teil ihren Begriffen und ihrer Terminologie. So umfaßte laut Dekret vom 14.10.1809 die neue französische Ländergruppe sieben Provinzen, und zwar sechs zivile und eine militärische Provinz 16 . Das erste Organisations dekret für die Provinzen wurde am 25.12.1809 erlassen, wonach die Provinzen in insgesamt zehn Intendanzen eingeteilt wurden 17 • In Krain entsprachen die Intendanzen den früheren Kreisen 18 • Intendanten standen somit entweder an der Spitze von ganzen Provinzen oder von Kreisen 19 • Damit begann eine kurze Phase, in der französische Formen nur dürftig die traditionellen, recht unterschiedlichen Rechtsordnungen verdeckten. Die ex-venezianischen Gebiete, die schon drei Jahre früher als die übrigen unter französischer Herrschaft 14 Ferdo Gestrin/Vasilij Melik. Ilirske province (1809 - 1813), in: Zgodovina Slovencev, Ljubljana 1979, S. 397ff. (400). 15 Vosnjak (Fn. 6), S. 137 - 145. 16 Vosnjak (Fn. 6), S. 126. 17 Pivec-Stele (Fn. 1), S. 14. 18 Joze Zontar. Die Verwaltung der Steiermark, Kärntens, Krains und des Küstenlandes 1747/48 bis 1848, in: Handbücher und Karten zur Verwaltungsstruktur in den Ländern Kärnten, Krain, Küstenland und Steiermark bis zum Jahre 1918, Graz/ Klagenfurt/Ljubljana/Gorizia/Trieste 1988, S. 3lff. (36). Am 15.8.1810 wurde z.B. ein Zirkular von der "Intendanz von Oberkrain" versandt, vgl. STAL, Reg.1/159. 19 Ein Zirkular des Generalintendanten vom 1. 5. 1810 war zum Beispiel an die "Messieurs les Intendants des Provinces ou Cercles" adressiert, vgl. STAL, Reg.1/73. 7· DipperlSchiederlSchulze (Hrsg.)

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standen (Dalmatien2o , Istrien 21 ), hatten bei der Einführung französischer Institutionen einen Vorsprung. Die Militärgrenze, deren militärischer Sonderstatus bis ins Frühjahr 1810 umstritten war, erhielt am 2.6.1810 ihre eigene Organisationsnorm22 . In Einzelheiten ist diese Übergangszeit aus rechtlicher Sicht wenig erforscht, mehr aus wirtschaftliche~3. Tiefer griff das neue Organisationsdekret vom 15.4.1811 - es trat am 1. 7.1811 in Kraft - in die Leitung und Struktur der Provinzen ein 24 • Mit seinen 271 Artikeln war es eine ganz bemerkenswerte redaktionelle Leistung. Was in der Literatur über die Illyrischen Provinzen geschrieben wird, bezieht sich vorwiegend auf die Situation nach diesem Organisationsdekret von 1811. Unter anderem bestimmte es ausführlicher die Kompetenzen der drei höchsten Würdenträger, die das Gouvernement bildeten. Daneben bestand ein kleiner Rat, der vor allem gerichtliche Kompetenzen (siehe unten) besaß. Die Behördenstruktur wurde nach unten folgendermaßen bestimmt bzw. in der Folge25 ausgebaut: Zivilprovinzen : Provinz

Hauptstadt

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Ljubljana/lAribach Villach Triest Karlovac/Karlstadt Zadar/Zara Dubrovnik/Ragusa

Krain Kärnten (Teil) Istrien Zivil-Kroatien (Teil) Dalmatien Dubrovnik/Ragusa

Militärprovinz: Militärgrenze, 6 Regimentsbezirke, Militärintendanz und Gericht in Karlstadt

Distrikte

Bev.-anteil (%)

3-4 2 4 3 5-3 3

27 10 15 15 14 4 15

lcxY6 Prpic (Fn. 4), S. 231 - 233. Quarantotti (Fn. 13), S. 28 - 222; Giulio Cervani, Il Litorale Austriaco dal Settecento alla "Costituzione di Dicembre deI 1867 (UniversitA degli Studi di Trieste, FacoltA di Magistero 11115), Udine 1979, S. 41 - 48. 22 Roksandic (Fn. 2), S. 190 - 202. 23 Pivec-Stele (Fn. 1), passim; konzentrierter: Senkowska-Gluck (Fn. 4), S. 31 - 60. 24 Tel. Off. (Fn. 2), 1811, No 42 - 45; Vosnjak (Fn. 6), S. 130 - 133. 25 So wurde z.B. die Einteilung Krains am 13.10., Istriens am 3.11., jene Zivilkroatiens südlich der Save erst am 30. 11. 1811 vom Generalgouverneur bestätigt. Tel. Off. (Fn. 2), 1811, No 99 - 103 und 1812, No 4 - 6, 6 - 9. 26 Die Angaben über die Bevölkerungsstruktur stammen von 1812; dazu: Vosnjak (Fn. 6), S. 127 - allerdings ist hier nicht ganz klar dargestellt, welche Einteilung von 1809 und welche von 1811 stammt. 20

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Unter den rund 1500(}()() Einwohnern waren 85% Katholiken und 14% Orthodoxe, letztere vorwiegend in der Militärgrenze und in Dalmatien27 • An der Spitze einer jeden Zivilprovinz stand gemäß dem Organisationsdekret ein Intendant, der grundsätzlich dem Präfekten eines französischen Departements entsprach, dessen Kompetenzen aber auch ausdrücklich festgesetzt wurden28 • Am 30.6. 1811 wurde verfügt, daß die Kreisintendanzen in R(ij)eka/Fiume, Koper/Capodistria, Gorica/Görz und Adelsberg/Postojna mit 1. 7.1811 aufzuheben waren. Die Intendanzen in Ljubljana/Laibach, Triest/Trieste, Villach, Zadar IZara und die Generaladministratur in Dubrovnik/Ragusa wurden nunmehr zu Intendanzen der entsprechenden Provinzen Krain, Istrien, Kärnten, Dalmatien und Dubrovnik/Ragusa. Die bisherige Intendanz in Rijeka wurde als Behörde für Zivilkroatien nach Karlovac/Karlstadt verlegt29 • Erst von nun an stimmt die Regel, daß Intendanten an der Spitze von Zivilprovinzen standen 30. Österreichisch-Istrien (die historische Grafschaft Mitterburg) wurde Zivilkroatien angegliedert, jedoch bereits im September 1811 an die neue Provinz Istrien übertragen 31 • Die Zivilprovinzen waren in Distrikte unterteilt, die von Unterdelegierten (sousdilegues) geleitet wurden. In den früher habsburgischen Ländern entsprachen die Distrikte der Größe nach etwa den bisherigen Kreisen 32 , als diese nicht mehr unter eigenen Intendanten standen. Die Distrikte zerfielen in zahlreiche Kantone (z.B. Krain in 20 Kantone, etwa in der Größe der früheren Werbbezirke), die unter ernannten Friedensrichtern standen. Die unterste Territorialeinheit im Behördenwesen waren die (im Wesen neu zusammengelegten) Gemeinden (arrondissements communaux). Angesehenere Städte standen jeweils unter einem Maire, dem 2 - 4 Adjunkte zugeteilt waren, kleinere Gemeinden unter einem Syndikus mit seinem Ausschuß (Gemeindekommission bzw. -räte). Alle diese Funktionäre waren ernanne3 . Bis diese Gemeindeverfassung verwirklicht wurde, verging einige Zeit: Erst am 13.1.1812 wurden in fünf Hauptstädten der Zivilprovinzen (Villach ausgenommen) provisorische Kommissionen ernannt, welche die vorgesehene Stadtverwaltung zu ersetzen hatten34 . 27 Pivec-Stele (Fn. 1), S. 9, 15 - 16; Vosnjak (Fn. 6), S. 127, 241; die Zahlen differieren, der Bevölkerungsanteil ist nach Vosnjak errechnet; zur Zahl der Orthodoxen vgl. Roksandic (Fn. 2), S. 123. 28 Vosnjak (Fn. 6), S. 147 - 148. 29 Akt vom 30.6.1811, STAL, Reg. V150. 30 Bereits nach dem Ende der französischen Herrschaft erscheint wieder ein Intendant von Oberkrain: 12. - 18.11., 1.12.1813 usw., STAL, Reg. VI72 - 173. 31 Pivec-Stele (Fn. 1), S. 16; Quarantotti (Fn. 13), S. 278. 32 Z.B. Zontar (Fn. 18), S. 37. 33 Vosnjak (Fn. 6), S. 127, 173. 34 STAL, Reg. V169. Vielleicht wurde in dieser Abschrift Villach irrtümlicherweise ausgelassen? 7"

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In der Verwaltung waren nur die Spitzenfunktionäre Franzosen. Unter den Intendanten befanden sich bis zum Organisationsdekret vom 15.4.1811 einige Nichtfranzosen, dann fast ausnahmslos nicht mehr. Dagegen waren die Beamten auf niedrigeren Stufen sehr gemischter Herkunfe s. Das Gerichtswesen wurde nach dem Organisationsdekret vom 15.4.1811 vollkommen umgebaut: Die Instanz für Bagatellgerichtsbarkeit bildeten die kantonalen Friedensrichter. Die Zivilgerichtsbarkeit wurde von elf Gerichten (Tribunalen) erster Instanz ausgeübt; die Tribunale in den Provinzhauptstädten waren zugleich Strafgerichte. Darüber bestanden drei Appellationsgerichte (Laibach/Ljubljana, Zara/Zadar, Ragusa/Dubrovnik). Die oberste Gerichtsinstanz war gespalten. Für Streitigkeiten über 200000 Fr. war der Kassationsgerichtshof in Paris zuständig, sonst der Kleine Rat (Petit Conseil) der Provinzen36 . Dieser bestand aus dem Generalgouverneur, dem Justizkommissar und zwei Appellationsrichtern und war zugleich Verwaltungsgericht sowie Beratungsorgan für Verwaltungserlasse 37 - eine etwas ungewöhnliche Mischung der drei Gewalten. Außerdem war die Einrichtung von vier Handelsgerichten vorgesehen. Am 30.10.1811 wurden die Richter und Prokuratoren ernannt. Den Namen nach zu schließen waren es fast lauter Einheimische38 . Die neue Behördenstruktur hob die in Resten noch bestehenden Unterschiede vor dem Gesetz auf, besonders indem Gemeindebehörden, Friedensrichter und Tribunale sowohl die grundherrschaftlichen Patrimonialgewalten als auch die nur für unprivilegierte Kreise zuständigen Landgerichte ersetzten.

5. Die Einführung des französischen Rechts Vom 1.1.1812 an galt grundsätzlich das französische Recht (Art. 250 des Organisationsdekretes), jedoch subsidiär zum Organisationsdekret (Art. 255)39. Mit Recht wird deshalb behauptet, daß es schwer festzustellen ist, in welchem Maß das französische Recht in der Tat zur Geltung kam40 • Die Bestimmungen über die Rezeption des französischen Rechtes befinden sich unter Titel XVI über das Gerichtswesen. Es ist daher nicht klar, ob das gesamte Recht oder nur die eigentliche Justiz gemeint war. In den hierzu geeigneten Provinzen durfte der Generalgouverneur das französische Recht zur Gänze oder teilweise bereits früher einführen. Nicht ganz in diesem 35 Monika Senkowska-Gluck, Uradnistvo v Ilirskih provincah, in: Zgodovinski casopis 44 (1990), S. 393 - 397. 36 Vosnjak (Fn. 6), S. 173 - 177. 37 Ebenda S. 146f. 38 Tel. Off. (Fn. 2), 1811, No 87. 39 Ebenda No 45, Art. 244 - 257; vgl. Vosnjak (Fn. 6)~ S. 132, 155, 179. 40 Senkowska-Gluck (Fn. 4), S. 62.

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Sinne erfolgte aufgrund des erwähnten Dekretes bereits am 25.9.1811 ein Beschluß (Arreti) des Generalgouverneurs über das Strafverfahren (159 Artikel!), der von der Verlautbarung an zu gelten hatte 41 • Dieser interessante normative Akt ist bisher unbemerkt geblieben, und es bleibt die Frage offen, ob er eine reine Rezeption oder eine Anpassung bedeutet. Überhaupt wurde das französische Recht nicht in Bausch und Bogen eingeführt, sondern es mußten unter anderem zunächst geeignete Behörden geschaffen werden. Am 30.9. 1811 erließ Napoleon ein Dekret über die Justizverwaltung und Ausübung der französischen Gesetze in den Illyrischen Provinzen, wonach die bisherigen Gerichte am Tag der Errichtung der drei Appellationsgerichte aufzuheben waren 42 . Dabei wurden aber die Sprengel der Tribunale erst am 13.1.1812 festgesetzt 43 • Die - offenbar gut erhaltenen - Akten des Friedensrichters für Ljubljana intra muros setzen noch später, im Laufe des Jahres 1812, ein 44 • Wenigstens für Istrien wurden noch im März einzelne anzuwendende französische Normen taxativ angeführt45 • Somit dürfte man die allgemeine Inkraftsetzung des französischen Rechts am 1. 1. 1812 nicht allzu wörtlich nehmen, schon gar nicht an eine perfekte Anwendung denken. Ebenso nahm der Start der neuen Behörden seine Zeit in Anspruch. Unter den französischen Gesetzen, deren Anwendung außer Zweifel steht, kommt dem Code civil besondere Bedeutung zu. Er war schon vor der Gründung der Illyrischen Provinzen - jedoch mit erheblichen Ausnahmen - in einst venezianischen Gebieten eingeführt worden46 , nun kam er voll zur Geltung. Doch auch dies gelang nicht auf Anhieb, wie die Einführung der Zivilstandsmatrikel zeigt: Erst im April 1812 wurde die Übergabe der abgeschlossenen Bücher von den Seelsorgern an die Gemeindearchive angeordnet, während die laufenden Eintragungen noch weiter den kirchlichen Organen (die ja in Österreich auch als staatliche Standesbeamte fungiert hatten) oblagen. Formeln für die neuen Dokumente wurden im August herausgegeben, die Generalinstruktion hierzu im September. Das einzige erhaltene "Ehestands- und Ehescheidungsregister der Mairie Laybach" wurde am 16. 11. 1813 nach dem Abzug der Franzosen angelegt, es ist jedoch nicht sicher, ob es das erste war47 • Tel. Off. (Fn. 2), 1811, No 85 - 96. Ebenda No 88 - 92. 43 Off. Tel. (Fn. 2), 1812, No 9. 44 STAL, Lju 492/1 - 2. Der Großteil der Akten ist in deutscher Sprache geschrieben. 45 Quarantotti (Fn. 13), S. 274. 46 Prpic (Fn. 4), S. 238; Senkowska-Gluck (Fn. 4), S. 27f. 47 STAL 14.4., 16.4.,27.4., 1.5., 10.8., 16.9.1812 in Reg. 1/161; das Register in eod. XXI1I/20. 41

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Daß die französische Gesetzgebung nicht vollständig rezIpIert wurde, beweist am besten das Maßwesen. Noch weit in das Jahr 1813 wurden verschiedene Tarife aufgrund des Wiener und venezianischen Maßes festgesetzt48 , und noch im März 1813 wird ausdrücklich festgestellt, daß das metrische System in den Provinzen nicht eingeführt worden sei49 , und es ist kaum vorstellbar, daß es in den letzten Monaten der französischen Herrschaft geschehen sein soll. Auch die Literatur schweigt meines Wissens über die Einführung des metrischen Systems. So brachten von den vier Jahren französischer Herrschaft im altösterreichischen Teil der Illyrischen Provinzen nur die letzten, nicht vollen zwei Jahre wesentliche Neuerungen, die offenbar nicht sehr tief greifen konnten. Das Organisationsdekret vom 15.4.1811 beseitigte (neben dem Zufluchts- und Asylrecht, Art. 251) ohne Entschädigung auch die "servitudes personnelles", während die "feudalen" Rechte für ablösbar erklärt wurden (Art. 252). Woraus Prpic weiterreichende Änderungen entnimmt, ist nicht ersichtlich5o . Das Untertanenwesen wurde zur Zeit der Illyrischen Provinzen nicht aufgehoben und noch weniger das Kolonat. Die Aufhebung des Feudalsystems als solches wurde zwar vom letzten, bereits abreisenden Generalgouveneur Fouche für den Fall einer Rückeroberung der Provinzen durch Frankreich in Aussicht genommen, doch es war zu spät, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen 51 . So blieb es bei der Aufhebung der Patrimonialgewalt, und zwar indirekt durch das neue Justiz- und Steuerwesen. Unter den französischen Neuerungen, die der slawischen Bevölkerung zugute kamen oder kommen konnten, wird oft das Schulwesen hervorgehoben, sowohl der Gebrauch der einheimischen Sprache auf der ersten und (zumindest pro futuro beabsichtigt) auf der zweiten Stufe52 als auch die Organisierung des Hochschulwesens53 . 48 Pivec-SteLe (Fn. 1), S. 123f.; STAL, 12.1.1813 in Reg. 1/169,12.2.1813 usw. in Reg. 1/165. 49 Senkowska-Gluck (Fn. 4), S. 62 Anm. 6. 50 Die Bauern wurden Eigentümer ihres Bodens, vgl. Prpic (Fn. 4), S. 238. In Kroatien wurde "abolished serfdom", vgl. ebenda S. 264f.; der "peasant became free", vgl. ebenda S. 253. Alle drei Begriffe - Eigentümer, serfdom, free - sind sehr relativ. Freie Bauern als volle Bodeneigentümer - dies bedeutet bereits die Aufhebung der Untertänigkeit, von der wir zu diesem Zeitpunkt nichts wissen. 5! Monika Senkowska-Gluck, L'Illyrie vue par Fouche, in: Annales de l'Institut Franyais de Zagreb, Sonderdruck s. d. (1978?), S. 77ff. (78f.); dieselbe, Illyrie sous la dornination napoleonienne, in: Acta Poloniae historica 41 (1980), S. 99ff. (118f.). 52 GestrinlMelik (Fn. 14), S. 402. 53 Janko Polec, Ljubljansko viSje solstvo v preteklosti in borba za slovensko univerzo, in: Zgodovina slovenske univerze v Ljubljani do leta 1929, Ljubljana s. d., (1930?), S. 1 ff. (20 - 51); Fran Zwitter, Visje solstvo na Slovenskem do leta 1918, in: Petdeset let slovenske univerze v Ljubljani, Ljubljana 1969, S. 13 ff. (38 - 43).

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11. Von der Rückeroberung zur Huldigung Nach der Schlacht von Lützen forderte Österreich im Mai 1813 die Rückgabe Illyriens und Dalmatiens. Nachdem dies zurückgewiesen wurde, erklärte es am 12. August Frankreich den Krieg. Zwischen dem 19. August und dem 30. Oktober 1813 drangen die österreichischen Truppen bis Triest vor. Die Quellenlage über die nun folgende ..Restauration" (die eigentlich keine vollständige war) ist sowohl in Wien als auch in den einzelnen Landeszentren verhältnismäßig günstig54 . Im Zuge der - anfangs geheimgehaltenen - Vorbereitungen zur Rückeroberung der Illyrischen Provinzen (nur in bezug auf Dubrovnik handelte es sich eigentlich um einen Neuerwerb) hatte der österreichische Kaiser Franz I. bereits den Grundsatz festgesetzt, wonach die einst innerösterreichischen Länder (dies waren Krain mit Zentralistrien, Westkärnten, Görz und Triest) provisorisch nach der angetroffenen Art zu verwalten und nur dort Änderungen vorzunehmen waren, wo besondere Gründe dafür sprächen55. Diesen Grundsätzen entsprechend wurde die Anpassung an österreichische Rechtsverhältnisse bzw. deren Wiederbelebung äußerst umsichtig, vorsichtig und - für Franz I. kennzeichnend - zögernd durchgeführt. Dabei wurde nichts, was die Franzosen eingeführt hatten, grundsätzlich über Bord geworfen, und man muß zugeben, daß einigen Entscheidungen über die Gebietseinteilung ein ziemlich langes Leben beschieden war. Die ..provisorische" Beibehaltung der französischen Einrichtungen rief allerdings zunächst unter der Bevölkerung große Unzufriedenheit hervor, in verschiedenen Gebietsteilen aus unterschiedlichen Gründen, wobei das französische Finanzwesen gewiß mancherorts eine große Rolle spielte. Gegen Ende des Jahres 1813 nuancierte daher der Kaiser seine Anleitungen: Zur Aufrechterhaltung der Ordnung seien vorübergehende Maßnahmen notwendig, doch wo die vorfranzösische Ordnung gegen seinen Willen bereits wiedereingesetzt worden sei, habe es dabei zu bleiben. Bald darauf wurde die Leitung der eroberten Gebiete einer eigens gebildeten ..engeren Konferenz,,56 anvertraut, während für die Arbeit auf dem Terrain Anfang März 1814 die ..Illyrische Hoforganisierungskommission", bestehend aus fünf Mit54 Janko Polec, Kraljestvo Ilirija I, Ljubljana 1925. Polec hat vor und kurz nach dem Ersten Weltkrieg die einschlägigen Bestände des Innenministeriums in Wien benutzt und zum Teil in seinem Buch, insbesondere für das Laibacher Gouvernementsgebiet, verwertet. Ich habe nicht überprüft, ob die von Polec verwerteten oder kopierten (für den 2., nie erschienenen Band gesammelten) Materialien nach dem Justizpalaisbrand von 1927 erhalten sind. 55 Am 5.8. 1813, Polec ebenda, S. 5 f. 56 Ebenda S. 7.

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gliedern, unter dem Vorsitz des Grafen Saurau ernannt wurde 57 . Da jedoch ähnliche Probleme auch in Venetien und der Lombardei zu lösen waren, wurde im Sommer 1814 auf höherer Ebene eine Art Koordinierungsinstanz, die "Central-Organisierungs-Hofkommission" gebildet58 . Die "Illyrische" Kommission, die eigentlich inzwischen ihre Aufgaben weitgehend erfüllt hatte, blieb noch etwa ein Jahr bestehen, während die Zentralkommission erst 1817 aufgelassen wurde, als ihre Geschäfte auf die neuorganisierte Vereinigte Hofkanzlei übergingen 59 . Inzwischen war im Juli die Inbesitznahme Illyriens erklärt worden 6o , hatten im Oktober 1814 Vertreter aus den bisherigen Illyrischen Provinzen dem österreichischen Kaiser gehuldigt, wobei im Huldigungspatent zwei Rechtstitel, auf denen die neue (in Wahrheit überwiegend jedoch wiedereingesetzte) Herrschaft beruhte, angeführt wurden - die Waffen und die Verträge mit den Verbündeten. Die Wahl gerade dieser zwei Rechtstitel erfolgte auf Vorschlag des Grafen Saurau, der dem Kaiser gegenüber die Wahl dieser zwei Rechtstitel damit begründete, daß dadurch alle Reklamationen gegen die kaiserlichen Maßnahmen und alles Berufen auf alte Rechte verhindert sein würden61 . Kurz: Man wollte keine automatische restitutio in integrum der früheren Situation ermöglichen. In Zivilkroatien südlich der Save stieß jedoch die Aufforderung zur Huldigung auf heftigen Widerstand, da diese die Trennung vom Kernland Kroatien anerkannt hätte. Erst nach heftigem Druck und als man die Huldigung nicht in Laibach, sondern in Karlstadt vornahm, wurde sie nachträglich, im November 1814, geleistet62 .

Ebenda S. 16. Ebenda S. 29 - 33; außerdem Franz l. Gesetze und Verordnungen, Wien 1815, 42. Bd., No 67, S. 101. 59 Polec (Fn. 54), S. 35. 60 23.7.1814, Franz l. (Fn. 58), No 59, S. 94f.; "Einverleibungspatent": Arthur G. Baas, Kaiser Franz, Mettemich und die Stellung Illyriens, in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 11 (1957), S. 373 ff. (386). 61 Polec (Fn. 54); außerdem die heiden Patente (Besitznahme und Huldigung) in: Ergänzungs-Sammlung der politischen, Cameral- und Justiz-Gesetze und Verordnungen, welche für das Herzogthum Krain und den Villacher Kreis Kärntens im Königreiche Illirien von dem Zeitpunkte der Wiederbesitznahme bis einschließlich des Jahres 1818 erlassen worden sind, I. Teil, 1 - 3. Abteilung, Laibach 1835 - 36, hier 3. Abt., S. 73 - 81. 62 Stjepan Antoljak, Prekosavska Hrvatska i pitanje njene reikorporacije (1813 1822), in: Starine JAZU 45, Zagreb 1955, S. 91 ff. (107 - 115). 57 58

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III. Das Zerbröckeln der Illyrischen Provinzen und die Entstehung des Königreichs Illyrien Bereits im Zuge der österreichischen Wiederbesetzung wurde zunächst die Militärgrenze aus der illyrischen Ländergruppe praktisch ausgeschieden und einem Militärgouverneur untergeordnet63 • - Osttirol (Lienz und Silian) dürfte spätestens mit dem Besitzergreifungspatent für Tirol (26.6.1814)64 abgefallen sein; bereits am 23.6. trat es nicht mehr unter den Bezirken des Villacher Kreises auf 65. Mehr Kopfzerbrechen bereitete die Entscheidung darüber, was mit Illyrisch-Kroatien und besonders Rijeka-Fiume geschehen sollte. Das - ebenso habsburgische - Ungarn und Kroatien selbst beanspruchten dieses Gebiet und via facti wurde unter dem Vizebanus von Kroatien, dem Zagreber Bischof Maximilian Vrhovac,66 sofort die Reinkorporation der ehemals ungarisch-kroatischen Gebiete eingeleitet. Die rechtliche Regelung dieser heiklen Angelegenheit nahm über zwei Jahre in Anspruch. Sie wurde vom Erzherzog Joseph als ungarischem Palatin eingeleitet, vom einflußreichen Minister Baldacci67 begutachtet, der Zentralen Hoforganisierungskommission vorgelegt und von dieser zum Staatsrat geleitet, in dem sich im Dezember 1814 Tendenzen zur Erhaltung der ganzen Illyrischen Provinzengruppe deutlich machten68 . In den darauffolgenden Beratungen wurde die Frage Zivilkroatiens in einem weiteren Zusammenhang behandelt69 . Inzwischen hatte man ja auch über das Schicksal der übrigen einstigen Provinzen nachgedacht, besonders über das Dalmatiens und der alten österreichischen Gebiete. Dalmatien hatte zwar im Mittelalter zu den Königreichen der ungarischen Krone gezählt, war aber fast ein halbes Jahrtausend hindurch großteils venezianisch gewesen, und seine Restitution an UngarnKroatien kam für den Kaiser nicht in Frage. Es blieb also nur zu entscheiden, ob es nun eine besondere Territorialeinheit bilden oder mit weiter nördlich, an der Küste gelegenen Ländern vereint werden solle. Bei den in 63 Ebenda, S. 93; bereits bei der Ernennung des Barons Christoph Lattermann zum Zivil- und Militärgouverneur Illyriens wurde die Militärgrenze aus seiner Kompetenz stillschweigend ausgenommen. Am 1.11.1814 wurde das Karlstädter-BanalMilitär-Gouvernement aufgehoben, da das frühere Karlstädter-Warasdiner-GeneralKommando und das Banal-G\!neral-Kommando in Zagrebl Agram wieder in Funktion traten, vgl. Ergänzungs-Sammlung (Fn. 61), S. 271 f. 64 Georg Mühlberger, Absolutismus und Freiheitskämpfe (1665 - 1814), in: Geschichte des Landes Tirol, Bozen/Wien 1986, Bd. 2, S. 537ff. (544). 65 Ergänzungs-Sammlung (Fn. 61), 2. Abt. S. 140. 66 Antoljak (Fn. 62), S. 95. 67 Über Baldacci ausführlich Polec (Fn. 54), S. 6ff. 68 Polec (Fn. 54), S. 92 - 98. 69 Antoljak (Fn. 62), S. 96 - 99.

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Aussicht genommenen Varianten handelte es sich oft um die Erweiterung des Grazer Guberniums auf das vormals innerösterreichische Krain und den Villacher Kreis bzw. des (erstmals 1776 gebildeten7o ) nun wiederzuerrichtenden Triester Guberniums auf größere Küstengebiete und das Land Görz 71. (Die Ausdrücke Gouvernement und Gubernium wurden anfangs nicht konsequent unterschieden, später kam das Gubernium vorherrschend zur Anwendung). Am 9. Oktober 1814 wurde der Gedanke an ein Guberni um, das von den Alpen bis zur Boka von Kotor reichen sollte, fallengelassen und das Triester Gubernium gebildet, dem die Stadt Triest, beide Istrien (d.h. das seit dem Spätmittelalter habsburgische Zentralistrien und das ex-venezianische Küstenistrien), Teile des Karstes und einige Inseln im Quarner zugeteilt wurden. Für dieses Gebiet wählte der Kaiser selbst den Namen "Küstenland,,72. Nachdem sich der Kaiser für diese Teillösung entschlossen hatte, ging das Zaudern weiter. Der Staatsrat riet dem Kaiser, die illyrischen Angelegenheiten vom Wiener Kongreß fernzuhalten. Der Kaiser erbat Anfang 1815 die Meinung des Grafen Lazansky, der sich dazu mit dem Grafen Saurau verständigen sollte, dann wandte er sich an die engere Kommission, worauf sich noch die staatsrechtliche Kommission des Staatsrates damit zu befassen hatte, und schließlich wurde noch der Staatsrat selbst herangezogen, in dem wieder eine Neigung zur Aufrechterhaltung der Illyrischen Provinzen zum Ausdruck kam. Nachdem nun das Problem nach allen Gesichtspunkten erörtert worden war, mußten noch Mettemich (der den Namen Königreich Illyrien vorschlug) und nochmals Graf Lazansky ihre Meinung äußern73. Die von Polec ausführlich wiedergegebenen Akten, die hier nur aus prozeduraler Sicht, ohne auf den Inhalt einzugehen, knapp aufgezählt wurden, zeugen zwar von der Unentschlossenheit des Kaisers, doch auch vom relativ raschen Tempo, in dem die hohe österreichische Bürokratie in jener Zeit ihre recht disparaten Berichte und Vorschläge - die übrigens auf guten Kenntnissen der Situation beruhten - zu unterbreiten fähig war. Auch hatte das, was endlich aus all diesem Zaudern des Kaisers hervorging, Zukunft. Schließlich gab der Kaiser am 13. Juni 1816 seinen Beschluß bekannt, den Namen Illyrien beizubehalten und damit zugleich zwei Gubernien zu bezeichnen: erstens ein Kärnten-Krainer (also von Krain und dem Villacher Kreis auch auf den Klagenfurter Kreis erweitertes) mit dem Sitz in Ljubljana/Laibach und zweitens das Triester-küstenländische, dem nun auch das Land Görz-Gradisca (einschließlich einiger Teile, die Napoleon zu Italien 70 71

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Zontar (Fn. 18), S. 33.

Polec (Fn. 54), S. 41. Ebenda S. 87 - 92. Haas (Fn. 60), S. 390; Polec (Fn. 54), S. 98 - 113.

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geschlagen hatte) und das sog. Zivilkroatien südlich der Save angehören sollten. Am 3. August 1816 wurde die neue Gebietseinteilung verkündet und Illyrien zu einern Königreich erhoben74 . Dalmatien schied damit aus Illyrien aus, blieb jedoch als Königreich ein habsburgisches Land, das von Wien aus verwaltet und nicht der ungarischen Krone zurückgegeben wurde75 • Kurz: Der Großteil der Illyrischen Provinzen zerfiel in das Königreich Dalmatien und das neugegründete Königreich Illyrien. Dieses bestand zunächst aus dem Laibacher und dem Triester Gouvernements- oder Gubernialgebiet, wobei letzteres noch einige Zeit Süd-Zivilkroatien umfaßte. Die Durchführung des Beschlusses von 1816 ging nicht ganz glatt vonstatten. Das Laibacher Gubernium begann zwar arn 1. September 1816 mit seiner Tätigkeit76 , doch bestanden Schwierigkeiten schon bei der Einverleibung des Klagenfurter Kreises (der ja die feudale Herrschaftsstruktur beibehalten hatte) in das Laibacher Gubernium, so daß er tatsächlich erst seit 1825 von diesem Gubernium abhing 77 • Noch viel schwieriger war es, die Abhängigkeit des illyrischen Teils Zivilkroatiens - der nun als Karlstädter Kreis bezeichnet wurde - vorn Triester Gouvernement und somit seine Zugehörigkeit zum Königreich Illyrien in der Praxis durchzusetzen. Während Dalmatien schon seit langem aus der ungarisch-kroatischen Ländergruppe ausgeschieden war, hatte man Zivilkroatien erst 1809 seiner bisherigen Zugehörigkeit entzogen, worauf es nach dem Fall Napoleons seine politische Grundlage verlor. Auch die Formulierung des Huldigungspatentes und die mit Mühe erreichte Huldigung konnten daran in der Praxis nichts ändern78. Die immerwährenden Proteste gegen diesen Status und das von kroatischer Seite erfolgte fait accompli bewirkten schließlich79, daß sich der Kaiser 1822 doch gezwungen sah, dieses Gebiet dem Königreich Ungarn zu inkorporieren, was im folgenden Jahr durchgeführt wurde 8o • In der Literatur gilt dies als eigentliches Ende des Königreiches Illyrien im Sinne einer Verwaltungseinheit81 • Da es aber bereits früher zwei Gubernien gab, bestand ja die Einheit in organisatorischer Hinsicht schon seit Juni 1816 nicht mehr, und es handelte sich nur um die Ausgliederung einer dieser Einheiten.

Antoljak (Fn. 62), S. 123; Polec (Fn. 54), S. 112f., 119. Polec (Fn. 54), S. 113; Prpic (Fn. 4), S. 264 mit einer fraglichen Fonnulierung über die Entziehung der Quarnerinseln im kroatischen Landtag. 76 Polec (Fn. 54), S. 184. 77 Ebenda S. 120, 121, 125. 78 Antoljak (Fn. 62), S. 121 - 128. 79 Polec (Fn. 54), S. 117, 123; Antoljak (Fn. 62), S. 128 - 135. 80 Polec (Fn. 54), S. 117, 123, 125. 81 Ebenda S. 125. 74 7S

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IV. Vom französischen zum österreichischen Recht; die Justizbehörden In den ersten acht Monaten war man mit Änderungen der Rechtsordnung recht vorsichtig. Es wurden nur solche Verfügungen getroffen, die sich als notwendig erwiesen hatten; so im Laibacher Gouvernement neue Pässe, österreichische Kontrollstempel neben illyrischen, Verkündung der Urteile im Namen des Gouvernements, neue Studienpläne und überhaupt eine Schulreform, Erneuerung der österreichischen Vorschriften über Salpeter- und Pulvererzeugung u.ä. 82 Unter den eigentlichen Justizgesetzen wurde zunächst nur der französische Code d'instruction criminelle am 10.5.1814 durch die 2. Abteilung des österreichischen peinlichen Gesetzbuches von 1803 ersetzt, während das französische materielle Strafrecht einstweilen noch in Kraft blieb 83 . Andererseits wurde den Bürgern eingeschärft, daß die Urbarialabgaben im Sinne des französischen Arrete vom 11. 8. 1813 weiter zu leisten seien, da ja der Feudalismus nicht abgeschafft sei 84 . Als sich ein General übereilte und die Personenstandsregister an die Pfarrer zu übergeben befahl, wurde zunächst berichtigend eine parallele zivile und kirchliche Führung der Register verordnet, sieben Monate später aber das josephinische Ehepatent vom 16.1.1783 wiedereingesetzt (noch nicht das entsprechende Kapitel des ABGB!) und die Führung der Matrikeln wieder den Seelsorgern überlassen85 . Die entscheidende Wende für Krain, den Villacher und den Görzer Kreis brachte die Note der Organisierungs-Hofkommission vom 13.6.1814, wonach mit dem 1. 8.1814 - zu einer Zeit, als die Gerichtsbehörden noch als "provisorisch" bezeichnet wurden - die "altösterreichische Verfassung" an die Stelle der französischen Gesetze zu treten hatte. Zugleich bestimmte eine Organisationsverordnung, wie dies "in Ansehung der politischen Gesetze stattzufinden habe,,86. Was die sog. Zivilgesetze betrifft, wurde zunächst nur die vor 1809 übliche Amtssprache vorgeschrieben und die Kassation an die Oberste JustizsteIle geleitet, dann aber wurde auch die Zivil- und Kriminalgesetzgebung mit dem 1. 8.1814 ohne Republikation auf den Stand vom 20. 10. 1809 gebracht87 . Dies bedeutete noch nicht die Einsetzung der inkurischen österreichischen Gesetzgebung. Ergänzungs-Sammlung (Fn. 61), 1. Abt. Ebenda S. 274 - 276. 84 19.11.1813, ebenda S. 27 - 29. 85 28.10.1813, ebenda S. 14f.; 7.6.1814, 2. Abt. 90 - 102. Es wurde aber bereits am 9.12.1813 verlautbart, daß nur noch kirchlich geschlossene Ehen gültig seien; STAL, Norm. I116. Das oben (A/V) bei Fn. 47 erwähnte Ehestandsregister wurde am 31. 12. 1813 abgeschlossen. 86 Ergänzungs-Sammlung (Fn. 61), 2. Abt., S. 113 - 140. 8? 23.6.1814, ebenda 2. Abt., S. 186f.; 4. bzw. 8.7.1814, ebenda S. 402 - 408. 82

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Zur Zeit, als in den Illyrischen Provinzen das französische Recht eingeführt wurde, war es nämlich auch in Österreich zu tiefgreifenden Änderungen der Rechtsordnung gekommen, besonders indem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) 1811 verabschiedet wurde und am 1. Januar 1812 in Kraft gesetzt wurde. Der Code civil in den Provinzen und das ABGB in Österreich traten demnach am selben Tag in Kraft. Als sukzessiv auch in Teilen der ehemaligen Illyrischen Provinzen die österreichische Rechtsordnung eingesetzt wurde, handelte es sich zum Teil um die Wiederbelebung alten Rechtes und zum Teil um neues österreichisches Recht. Über das Inkrafttreten des ABGB in einzelnen Ländern (und somit über die Verdrängung des CC) werden folgende Daten angeführt: - am 1. 7.1814 in der Karlstädter und Banalgrenze; - am 1. 5. 1815 in Krain und dem Villaeher Kreis; - am 1.10.1815 im Land Görz und in Istrien; - am 1. 1. 1816 in Dalmatien; - am 1.10.1816 auf weiteren dalmatinischen Inseln; - am 1. 1.1820 im Karlstädter Kreis (Zivilkroatien), wo es jedoch nur bis 1822 in Geltung blieb 88 . Inzwischen wurde in Krain und dem Villaeher Kreis, Görz und Triest mit Hofkanzleidekret vom 29.10.1814 eine "stabile" Organisation der Justizverwaltung vorgenommen, wobei für die ländlichen Gebiete anstatt der Patrimonialgerichtsbarkeit, die ja nicht erneuert wurde, Bezirksdominien mit geprüften Justitiaren "delegatorisch" eingesetzt wurden 89 .

v.

Was blieb übrig? 1. Der Name

Mit der Gründung des Königreiches Illyrien entstand eine sonderbare rechtliche Situation. Verwaltungsmäßig war das Königreich in zwei Gubernien geteilt, die keine eigene Oberinstanz besaßen, sondern direkt der österreichischen Zentralverwaltung untergeordnet waren. Das Königreich bestand dagegen im verfassungsrechtlichen Sinne und gewann vorübergehend sogar an Bedeutung. 88 Sergij Vilfan, Jugoslawien, in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte IIU5, München 1988, S. 323ff. (404). 89 Franz 1., (Fn. 58), No 84, S. 138; Ergänzungs-Sammlung (Fn. 61), 3. Abt., S.306.

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Franz I. selbst führte allerdings den Königstitel nicht in seiner amtlichen Titulatur9o , nach seinem Tod stellte jedoch die Vereinigte Hofkanzlei 1835 fest, daß das große kaiserliche Wappen und Siegel zwar Gebiete anführe, die längst nicht mehr habsburgisch waren, das Lombardo-Venezianische und Illyrische Königreich darin jedoch nicht vorkamen. Auf Vorschlag der Ministerkonferenz wurde dann das Wappen des Königreichs Illyrien festgesetzt: ein goldenes Ruderschiff auf blauem Grund, ohne jedoch damit die Wappen der Bestandteile des Königreiches zu verschmelzen91 . In den Titeln des Herrschers reihte man Illyrien als letztes in die Gruppe der Königreiche ein. In der Märzverfassung von 1849 wurde das Königreich Illyrien als Kronland "bestehend aus den Herzogtümern Kärnten und Krain" angeführt. Somit wäre es auf das bisherige Laibacher Gouvernementsgebiet beschränkt worden, das jedoch mit der gleichzeitigen Aufhebung des Guberniums seinerseits in zwei Teile, nämlich in die zwei Herzogtümer zerfiel, so daß keine Verwaltungseinheit Illyrien entstand.

Erst 1915 wurde der Name Illyriens aus dem mittleren Wappen entfernt, lebte aber im großen Wappen und in allen drei Herrschertiteln weiter bis zum Ende der Monarchie92 • Obwohl das Küstenland bereits in der Verfassung von 1849 nicht mehr als Bestandteil Illyriens galt, trug sein Amtsblatt bis zum Verfall der Monarchie den Titel "Gesetz- und Verordnungsblatt für das österreichisch-illyrische Küstenland. "

2. Die Länderstruktur Eine Konsequenz der Illyrischen Provinzen war die Zugehörigkeit Dalmatiens zu Österreich (Cisleithanien, im Reichsrate vertretene Königreiche und Länder). Es wurde nicht an die Länder der ungarischen Krone, zu denen es im Hochrnittelalter (vor der Besitznahme durch Venedig) zusammen mit Kroatien und Slawonien gehört hatte, restituiert. Dabei blieb es bis zum Ende der Monarchie. Istrien war seit dem Mittelalter in einen venezianischen Küstenteil und eine erst görzische, dann habsburgische Zentrallandschaft geteilt gewesen. 90 Franz l. (Fn. 58), 43. Bd., No 58, S. 264, No 105, S. 324; Johann Springer, Statistik des österreichischen Kaiserstaates I, Wien 1840, S. 225 - 254; Polec (Fn. 54), S. 117. 91 Derselbe, Grh kraljestva Ilirije, in: Slovenski Pravnik 37 (1923), S. 85 - 94; derselbe (Fn. 54), S. 117 - 119. 92 Derselbe (Fn. 91) und (Fn. 54), S. 119, 126; Waller Markov, Die illyrische Paradoxie, in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarehivs 25 (1972), S. 587ff. (589).

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Im Rahmen der Illyrischen Provinzen wurden sie erstmals wiedervereinigt, und dabei blieb es. Ebenso stellt die illyrische Provinz Istrien mit ihrer Hauptstadt Triest den Vorgänger der österreichischen Gruppe Küstenland dar, die aus drei autonomen Einheiten (Triest, den Ländern Görz-Gradisca und Istrien) unter einer Statthalterei bestand. 3. Die Gerichts- und Verwaltungsstruktur

Die Franzosen hatten zwar noch nicht die Grundherrschaft als vermögensrechtliches Verhältnis aufgehoben, wohl aber die Patrimonialgerichtsbarkeit, mit der auch das Recht auf Einhebung der staatlichen direkten Steuern verbunden gewesen war. Ebenso hatten die Franzosen die Landgerichte als Kriminalgerichte für die unprivilegierten Bevölkerungsgruppen abgeschafft. Die niedere Gerichtsbarkeit war den Friedensrichtern, die höhere erster Instanz den Tribunalen der Provinzen anvertraut worden. Im Laibacher Gubernium wurde weder die Patrimonial- noch die Landgerichtsbarkeit wiedereingesetzt, und auch die Friedensrichter wurden nicht übernommen 93 , sondern den seit etwa 1770 bestehenden und nun wiederbelebten Werbbezirksämtern wurde die Gerichtsbarkeit in minderen Angelegenheiten von Staats wegen anvertraut (siehe oben unter IV, in fine). Diese Ämter waren eigentlich herrschaftliche Verwaltungsämter größerer Grundherrschaften, denen nun staatliche Funktionen auch über anderen Untertanen in ihrem Bezirk "delegiert" wurden. Daher ist von delegierten Herrschaften die Rede; waren es staatlich verwaltete (Domanial- oder Fonds-) Herrschaften, wurde auch der Ausdruck Bezirkskommissariat gebraucht. Bezirksobrigkeiten gab es zwar auch seit den Reformen Maria Theresias und Josephs II. in österreichischen Gebieten, die nie zu den Illyrischen Provinzen kamen bzw. gehört hatten, doch der Unterschied bestand darin, daß in den Nachfolgern der Provinzen die Funktionen der Patrimonialgerichte von Bezirksbehörden ausgeübt wurden und die Strafgerichtsbarkeit nicht mehr den Landgerichten mittelalterlichen Ursprungs sondern dem Stadtund Landrecht des Landes oblag94 . So hatten die Bezirksobrigkeiten im ursprünglichen Laibacher Gouvernementsgebiet bereits vor der Märzrevolution viel ausgedehntere Kompetenzen als dort, wo es keine französische Herrschaft gegeben hatte 95 . Mutatis mutandis gilt dies auch für andere 93 Die Abschaffung der Friedensrichter wurde am 8.10.1814 noch besonders aus der Sicht der Übergabe ihrer Archive geregelt; Ergänzungs-Sammlung (Fn. 61), Abt. 3, S. 219. 94 Zur Aufuebung der Landgerichte hatten allerdings bereits vorfranzösische Refonnen die ersten Schritte eingeleitet, vgl. Zontar (Fn. 18), S. 41. 95 Die Landgerichte hatten viel kleinere Gebiete umfaßt als die Landrechte und waren nur für unprivilegierte Bevölkerungskreise zuständig, vgl. Polec (Fn. 54), S. 146 - 168.

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Gebiete der einstigen Illyrischen Provinzen, in denen schon früher keine Patrimonialgerichtsbarkeit bestanden hatte. Mit der Angliederung des Klagenfurter Kreises in Kärnten an das Gebiet des Laibacher Gouvernements entstand eine recht merkwürdige Situation: Es kamen nun die einzigen zwei Kreise eines Landes wieder zusammen, die bis 1849 zwei verschiedene Gerichtsstrukturen besitzen sollten: Der Villacher Kreis hatte zu den Illyrischen Provinzen gehört und sein Gerichtswesen umfaßte daher relativ wenige, nämlich 14 Bezirksbehörden mit Jurisdiktion. Der Klagenfurter Kreis war dagegen 1809 - 1813 österreichisch verblieben, und in ihm bestanden noch weiter 497 Patrimonialherrschaften und die alten Landgerichte96 . Während nun die Verwaltung der Länder Kärnten und Krain ihren Sitz in der Hauptstadt Krains (als ehemaliger Residenz des Generalgouverneurs) hatte, wurde nun Klagenfurt (das seit 1782 Sitz eines Appellationsgerichtes mit sehr umfangreichem Territorium gewesen war) wieder zum Sitz eines Appellationsgerichtes - diesmal nur für beide Länder - erhoben97 . Diese Regelung dauerte im Wesen bis 1849.

4. Das Zivilrecht Die Zivilehe (siehe oben unter IV), das Notariat98 und ähnliche französische Neuerungen wurden nach kurzem Bestehen wieder abgeschafft. Für Materien, die nicht im ABGB geregelt waren, wurde aber nicht allgemein die frühere Ordnung erneuert. So hatte der Code civil die freie Teilbarkeit der (obwohl noch untertänigen) Bauerngründe ermöglicht. Die aufgrund seiner Bestimmungen bereits erfolgten Teilungen hatten laut einer Verfügung vom 7.1.1815 in Geltung zu verbleiben. Die seit 1753 ergangenen, die Teilung erschwerenden Bestimmungen wurden aber nicht reaktiviert, sondern die Teilung inter vivos wurde 1820 grundsätzlich zugelassen, wenn Klarheit über die Aufteilung der Lasten bestand99 . Immerhin ein Schritt zu liberaleren Auffassungen über das Grundeigentum.

Reichsgesetzblatt 340/49. Z.B. Zontar (Fn. 18), S. 40. Die aus zusammengelegten österreichischen Steuerbezirken gebildeten französischen Kommunen (arrondissements communaux) wurden unter österreichischer Herrschaft zu Hauptgemeinden, ebenda S. 46. 98 Sergij Viljan/Bozo Otorepec, Les Archives Notariales en Yougoslavie, in: Archivum 12 (1962), S. 106ff. (115). Seit Joseph ll. lehnte die österreichische Gesetzgebung das Notariat ab. Nach dem Verfall der Provinzen, in denen es eingeführt wurde, wurde es - außer in Dalmatien - wieder zurückgedrängt. 99 Sergij Viljan, Agrarna premozenjska razmerja, in: Gospodarska in druzbena zgodovina Slovencev 11, Ljubljana 1980, S. 403ff. (460). 96

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5. Das Seerecht Als jener Rechtszweig, der für das Weiterleben französischer Institutionen die besten Bedingungen bot, erwies sich das Seerecht. Bereits das alte französische Seerecht (die Ordonnance von 1681) hatte die österreichische Navigationsordnung (Editto politico di navigazione mercantile austriaca) von 1774 beeinflußt. Der Code de commerce von 1807 in seiner italienischen Fassung wurde als Codice di commercio zunächst im Rahmen Italiens am 17. 7. 1808 auch in Dalmatien eingeführt, dann aber im Block der französischen Gesetzgebung mit Inkrafttretung am 1.1.1812 in den Illyrischen Provinzen überhaupt. Nach dem Abzug der Franzosen blieb sein Buch 11 über das Seerecht aufgrund verschiedener Verfügungen auch noch weiter in Geltung, und zwar in seiner italienischen Fassung. Die Bestimmungen des deutschen HGB über den Seehandel wurden in Österreich nicht rezipiert, da man ein gemeinsames österreichisch-ungarisches Privatseerecht anstrebte, das aber nie zustandekam. Mit dem Berliner Vertrag von 1878 wurde das französisch-österreichische Privatseerecht auch auf Montenegro ausgedehnt, so daß es längs der ganzen ostadriatischen Küste bis an die türkisch-albanische Grenze anzuwenden war. So blieb das zweite Buch des Code de commerce in seiner italienischen Fassung bis zum Ende der Habsburger-Monarchie und auch noch nach dem Ersten Weltkrieg an der Küste der Königreichs Jugoslawien in Geltung oder zumindest in Anwendung, und zwar: - im österreichischen Küstenland auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage neben der eigentlich wiedereingesetzten Theresianischen Navigationsordnung; - im Küstenstreifen der ehemaligen Militärgrenze (Handelsgericht Senj) als formell geltendes Recht; - im übrigen kroatischen Küstenland und in Rijeka/Fiume auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage; - in Dalmatien als formell geltendes Gesetz; - in Montenegro (kurzer Küstenstrich in und um Ulcinj) aufgrund des völkerrechtlichen Vertrages von 1878. Wo die Navigationsakte von 1774 neben dem Code de commerce galt, hatte sie im Falle einer Kollision den Vorrang 1OO • 100 Vilfan (Fn. 88), S. 444 mit weiteren Literaturnachweisen über die Werke von P. SchreckenthaI (1906), A. GertscherlP. SchreckenthaI (1906) (Übersetzung der Quellen ins Deutsche), M. Strainicki (1913), V. Brajkovic (1959), A. Hribar (1965), S. Cigoj (1974).

8 DipperlSchiederlSchulze (Hrsg.)

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VI. Die Erneuerung des Ständewesens Vor der Gründung der illyrischen Provinzen hatte es in mehreren Teilen ihres künftigen Gebietes frankophile Angehörige höherer Klassen gegeben, so etwa in Dalmatien. In Krain trat besonders der Baron Siegfried Taufferer (1750 - 1796), bis 1787 Hauptmann in der Militärgrenze, hervor, der 1794 in französische Dienste trat. Er wurde von den Österreichern gefangengenommen und 1796 hingerichtet lO1 • Sonst scheinen die Angehörigen der höheren Schichten eher konservativ, jedoch - sofern sie nicht emigrierten gegenüber den Franzosen vorsichtig geblieben zu sein, obwohl die Privilegien der höheren Stände - die fortbestehenden materiellen Vorteile der Grundherrschaft beiseitegelassen - von den Franzosen aufgehoben und die Landtage nicht einberufen wurden 102. Nach der Wiedereinsetzung der österreichischen Herrschaft schien der Zeitpunkt für die Restauration des Ständewesens gekommen zu sein. Zuerst wurde mit Patent vom 24. März 1816 die ständische Verfassung Tirols (dem Osttirol restituiert war) wiederhergestellt lO3 • In Krain wurde die ständische Verfassung am 29.8.1818 wieqereingesetzt. Polec stellt ausführlich dar, wie die Behandlung dieses Themas vor den Zentralbehörden verlief; die darauf zielenden Aktivitäten des Adels und vielleicht des höheren Klerus sind aber noch nicht erforscht. Nach der erneuerten Verfassung gab es wie vordem vier Stände und einen auf sechs Jahre erwählten engeren ständischen Ausschuß, in dem jeder Stand je ein Mitglied stellte. Daß ein Mitglied aus dem Bürgerstand kam, dürfte neu gewesen sein. Die Kompetenzen der ständischen Organe waren äußerst geringfügig. So hieß es, daß die Steuern zwar alljährlich postuliert werden sollten, den Ständen aber nur die Möglichkeit eingeräumt wurde, eine bescheidene Vorstellung zu erheben, wenn ihnen die postulierte Summe als zu hoch vorkommen sollte. Ausdrücklich wurde ihnen jedoch verboten, irgendwelche finanzpolitische Vorschläge zu machen, da sie ja nicht in der Lage seien, mit genügender Übersicht des Ganzen gründlich zu urteilen. Ebensowenig durften sie sich in die Beurteilung von Steuerüberhöhungen einlassen, worüber nur die staatlichen Stellen zu entscheiden hatten. Besonders wurde noch bestimmt, daß sie sich nicht mit der Leitung des Theaters befassen sollten 104. Die Kärntner Stände hatten zumindest im Klagenfurter Kreis überlebt. Wo es in den küstenländischen Gebieten ehemals Stände gegeben hatte, wurden sie nicht erneuert 105 . 101 102 103

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GestrinlMelik (Fn. 14), S. 396. Zu den Landtagen vor 1809 vgl. Polec (Fn. 54), S. 257 - 267. Egger (Fn. 12), S. 857. Polec (Fn. 54), S. 304 - 307.

Illyrische Provinzen

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VII. lllyrien und die nationale Idee 106 1. Der Illyrismus

Wie bereits einleitend erwähnt, bezeichnete der Name Illyrien das Land einer vorrömischen Bevölkerungsgruppe, der Illyrer, deren ethnische Identität bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ungewiß war (was sie nach einigen Meinungen noch heute ist) und die seit dem Humanismus manchmal als Vorfahren der westbalkanischen und benachbarten Slawen betrachtet wurden 107. Heute wird die illyrische Herkunft der Südslawen nicht mehr ernsthaft vertreten, dafür aber betrachten die Albaner die Illyrer als ihre Vorfahren. Noch im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts war jedoch besonders bei den Kroaten die Ableitung von den Illyrern aktuell und äußerte sich in der kulturellen und politischen Strömung, die als Illyrismus bezeichnet wurdelOS. Dieser Strömung folgten auch einige slowenische, insbesondere steirische Intellektuelle im Sinne einer zu erstrebenden Sprachgemeinschaft, so daß der Illyrismus bei den Slowenen die Bedeutung einer zumindest schriftsprachlichen Assimilation an die Kroaten (noch nicht so sehr an die Serben) zu bekommen begann und sowohl im 19. Jahrhundert als auch vor dem Ersten Weltkrieg von der Mehrheit der slowenischen Intellektuellen abgelehnt wurde. Dieser Illyrismus war zwar vielleicht mit den Vorstellungen, die zum Namen der Illyrischen Provinzen führten, entfernt verwandt, steht aber mit den Provinzen als solchen in keinem unmittelbaren Zusammenhang. 2. Die Nationswerdung der Slowenen

Dafür aber bekamen die Illyrischen Provinzen selbst einen sehr lebhaften Nachklang im Rahmen der späteren Nationalbewegung, zum Teil in der Wissenschaft, vorwiegend aber bei nationalpatriotischen Äußerungen, besonders in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei war die Ablehnung Österreichs das - obwohl vielleicht kaum bewußte - Hauptmotiv der Glorifizierung Napoleons und seiner Illyrischen Provinzen 109. lOS Ferdo Gestrin/Vasilij Melik, Splosni okvir in upravna ureditev, in: Zgodovina Slovencev, Ljubljana 1979, S. 409ff. (413). 106 Einige Wertungen aus dieser Perspektive bei Prpic (Fn. 4), S. 268 - 276, der mit Recht zur Vorsicht mahnt. 107 Reinhard Lauer, Genese und Funktion des illyrischen Ideologems in den südslawischen Literaturen (16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts), in: Klaus-Detlev Grothusen (Hrsg.), Ethnogenese und Staatsbildung in Südosteuropa, Göttingen 1974, S. 116 - 143. 108 I. I. LesCilovskaja, Ilirizm, K istorii horvatskogo nacionaljnogo Vozrozdenija, Moskva 1968. 109 Erwähnt sei hier die Broschüre Napoleon in Ilirija, Ljubljana 1929: "Die slowenischen Nationalinteressen stimmten wunderbar mit den Absichten überein, die 8'

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Der Gedanke, daß Napoleon ein südslawisches oder gar slowenisches Nationalbewußtsein fördern wollte, ist von vornherein irreführend, da er nicht dem französischen Nationsbegriff entspricht. Als Realisierung des Programms des Vereinten Slowenien konnte man die Illyrischen Provinzen zwar beim besten Willen nicht interpretieren, da der Schönbrunner Frieden ja das slowenische Gebiet sogar staatsrechtlich in zwei Teile gespalten hatte. Trotzdem schrieb noch in neuerer Zeit Walter Markov, ein ostdeutscher marxistischer Historiker slowenischer Herkunft, vom Beitrag des Zufalls gebildes (gemeint sind wohl die Provinzen und nicht das Königreich) zur Nationswerdung des südslawischen Volkes der Slowenen 110, selbstverständlich im geistesgeschichtlichen Sinne. Es ist zwar wahr, daß die slowenische Sprache im Schulwesen eine etwas bessere Position erlangte, daß das Französische als Gegengewicht zum Deutschen die fortschreitende Germanisierung der Oberschichten behindern konnte und daß Laibach als Hauptstadt des slowenischen Kernlandes Krain, als Zentrum der Provinzen und angehende Universitätsstadt (was unter der österreichischen Restauration entfiel) zu größerem Ansehen hätte gelangen können. Allerdings war die Unterrichtssprache an der Zentralschule nicht das Slowenische. Ob und in welchem Maß all dies wirklich zur Nationswerdung der Slowenen beigetragen hat, ist schwer zu beurteilen und sollte keinesfalls übertrieben werden. Wenn man dabei erfreuli