Nanotechnologie als Kollektivsymbol: Versuch über die Raumsemantik einer Schlüsseltechnologie 9783839438039

Frauke Nowak shows how the fields of literature and engineering profit when the aesthetically-modified semantics of a co

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German Pages 472 [470] Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
I. Einleitung, Fragestellung, These, Methode und Theorie sowie Definitionsschwierigkeiten
1. Einleitung
2. Fragestellung
3. These
4. Methode
5. Theoriedesign
6. Schwierige Definition(en)
II. Sechs Fallbeispiele zur Raumkonstitution der Nanotechnologie
1. Festvortrag Richard Feynman (1959)
2. Nano-Imprägnierspray (2003/04 – 2010/11)
3. Power-Point Vortrag Materialwissenschaften (2007/2008)
4. Website „Science in Africa“ (2003)
5. Regionalstudie „Nanotechnologie in Dresden / Sachsen“ (2006)
6. Roman „Die Nanoblume“ (1995)
III. Schluss
Zusammenfassung
Literaturwissenschaftliche Ergebnisse
Wissenschaftssprache zwischen Epistemologie, Literatur und Kommunikation
Ausblick und offene Frage
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Pressemeldung Nano-Nässe-Blocker (Dezember 2004)
nano – Valley
nanobüro
Register
Richard Feynman: There’s Plenty of Room at the Bottom 1960 [1959]
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Nanotechnologie als Kollektivsymbol: Versuch über die Raumsemantik einer Schlüsseltechnologie
 9783839438039

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Frauke Nowak Nanotechnologie als Kollektivsymbol

Lettre

Gewidmet dem unschätzbaren Wilhelm Solms.

Frauke Nowak (Dr. phil.) interessiert sich für interdisziplinäre Kommunikation in Theorie und Praxis. Sie war Mitglied im DFG-Graduiertenkolleg 1343 »Topologie der Technik«, promovierte 2016 an der Universität Siegen und forscht an der Schnittstelle von Kultur und Spitzenforschung zu Techniksemantik und Kollektivsymbolen.

Frauke Nowak

Nanotechnologie als Kollektivsymbol Versuch über die Raumsemantik einer Schlüsseltechnologie

Die Dissertation wurde 2016 an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen geprüft und für gut befunden. Projekt und Druck der Dissertation wurde vom DFG-Graduiertenkolleg 1343 »Topologe der Technik« gefördert, dessen Sprechern ich mich zu herzlichem Dank verpflichtet fühle.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Bettina Düesberg, Berlin, Bildausschnitt aus »Ich will es nicht wissen«, Dezember 2013. Alle Bildrechte bei der Künstlerin, Foto: Frauke Nowak. Abdruck mit freundlicher Genehmigung www.bettinaduesberg.de Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3803-5 PDF-ISBN 978-3-8394-3803-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]



Inhalt I. 1.

EINLEITUNG , FRAGESTELLUNG , THESE , METHODE UND THEORIE SOWIE DEFINITIONSSCHWIERIGKEITEN  Einleitung | 13

Nanotechnologie – ein Fall für die Literatur? | 13 Wissenschaftsfiktion als internationaler Bestseller | 16 Wie wird Nanotechnologie diskursiviert? | 24 Eine literarische Technikkritik ... | 28 ... oder ein Beitrag zu den Science Studies ? | 31 The Design Turn. Eine wissenschaftliche Revolution im Geiste der Gestaltung | 36 Nanotechnologie als Gegenstand der Literaturwissenschaft | 41 Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie | 45 2.

Fragestellung | 49

3.

These | 56 Drei Raumskripte | 59 Wissenschaftliche Technik-Diskursfelder vs. Technik | 66

4.

Methode | 76 Gliederung des Analyseschemas | 78 Übersicht über die ausgewählten Texte | 85

5.

Theoriedesign | 90 Theorie der Kollektivsymbole | 97 Kollektivsymbole und Raumkonstitution | 106 Symbolisierung als literarisches Verfahren | 111 Elementare Literatur, generative Diskursanalyse, Interdiskurs der Technik | 116 Metaphern, Zeichen und Symbole | 122 Ein riskanter Bericht und Latours Objektivitätsüberlegungen | 127

6.

Schwierige Definition(en) | 135 Sprachphänomenologische Beobachtungen | 151 Nanotechnologie als interdisziplinärer Technikdiskurs | 155

II. SECHS FALLBEISPIELE ZUR RAUMKONSTITUTION DER N ANOTECHNOLOGIE 1.

Festvortrag Richard Feynman (1959/1960) | 165 Pragmatischer Redekontext | 165 Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre | 173 Zum Titel „There is Plenty of Room at the Bottom“ | 176 Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie | 179 Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanobiotechnologie – Nanopartikel | 193

2.

Nano-Imprägnierspray (2003/04 – 2010/11) | 200 Pragmatischer (Rede-)Kontext | 200 Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre | 207 Produktname „Nanonässeblocker“ | 210 Wissenschaftsdisziplinen der „Nano-Technologie“ | 211 Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanobiotechnologie – Nanopartikel | 214

3.

Power-Point Vortrag Materialwissenschaften (2007/2008) | 220

Pragmatischer Redekontext | 220 Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre | 224 Zur Titelgebung | 227 Wissenschaftsdisziplin(en) der Nanotechnologie | 234 Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanobiotechnologie – Nanopartikel | 249 4.

Website „Science in Africa“ (2003) | 258 Pragmatischer Redekontext | 258 Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre | 270 „Nanotechnology – the next big thing is very, very small“ | 273 Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie | 279 Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanobiotechnologie – Nanopartikel | 287

5.

Regionalstudie „Nanotechnologie in Dresden / Sachsen“ (2006) | 294

Pragmatischer Redekontext | 294 Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre | 301 Zum Titel „Nanotechnologie in Dresden / Sachsen“ | 308 Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie | 312 Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanobiotechnologie – Nanopartikel | 332 6.

Roman „Die Nanoblume“ (1995) | 340 Pragmatischer Redekontext | 340 Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre | 357 Zum Titel „Die Nanoblume“ | 362 Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie | 367 Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanobiotechnologie – Nanopartikel | 383

III. SCHLUSS Zusammenfassung | 397 Literaturwissenschaftliche Ergebnisse? | 405 Wissenschaftssprache zwischen Epistemologie und Kommunikation | 415 Ausblick und offene Frage | 425

Anhang

Abbildungsverzeichnis | 431 Pressemeldung Nanospray (2004) | 432 nanoValley.eu (ab 2008) | 434 nanobüro | 435 Bibliographie | 436 Register | 453 Richard Feynman: There’s Plenty of Room at the Bottom 1960 [1959] | 459

 Die Dynamik des realen Geschehens ist [...] dem theoretischen Verständnis weithin entglitten. [...] Die industrielle Technik [...] [bestimmt] heute das Schicksal der gesamten Menschheit.

1

Man kann sich aber fragen, welcher Mensch in sich die Bewusstwerdung der technischen Wirklichkeit vollziehen und diese in die Kultur einführen kann. Machtverhältnisse,

2

Kommunikationsbeziehungen

und sachliche Fähigkeiten dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Was nicht heißt, dass es sich um drei getrennte Bereiche handelt und dass es einerseits den Bereich der Dinge, der zielgerichteten Technik, der Arbeit und der Transformation des Realen gäbe, andererseits den der Zeichen, der Kommunikation, der Reziprozität und der Fabrikation des Sinns, und schließlich den der Herrschaft, der Zwangsmittel, der Ungleichheit und des Einwirkens von Menschen auf Menschen. Es geht um drei Typen von Verhältnissen, die allerdings immer ineinander verschachtelt sind, sich gegenseitig stützen und als Werkzeug benutzen.

3

Denn wir alle begreifen jetzt, dass ein Linguist, der sich gegenüber der poetischen Funktion der Sprache verschließt, und ein Literaturwissenschaftler, der sich über linguistische Fragen und Methoden hinwegsetzt, gleichermaßen krasse Anachronismen sind.

4

Wer aber nichts vernachlässigt, bringt auch nichts zuwege.

 1

RAPP 1978, 80f.

2

SIMONDON 2012 [1958], 12.

3

FOUCAULT 1987 [1982, 1983], 252.

4

JAKOBSON 1979 [1960], 119.

5

GENETTE 2010 [1998], 188.

5



I. Einleitung, Fragestellung, These, Methode und Theorie sowie Definitionsschwierigkeiten



1. Einleitung Nanotechnologie – ein Fall für die Literatur? Der US-Amerikaner Michael Crichton (1942–2008) publiziert 2002 sechzigjährig den Roman „Prey“ (deutsch: „Beute“).1 Das Buch erscheint auf Englisch, Deutsch und anderen Sprachen und wird zu einem internationalen Verkaufsschlager.2 Die Erzählung verhandelt einen dystopischen Technikentwurf, hauptsächlicher Schauplatz ist die US-amerikanische Wüste in Nevada.3 Dort versuchen die Wissenschaftler eines geheimen privatwirtschaftlichen Labors, die Oberhand über eine außer Kontrolle geratene neuartige Technik zurück zu bekommen, die in die Umwelt entwichen ist. Es handelt sich um eine stetig wachsende Anzahl einer Art Kleinst-Roboter-Maschinchen, die sich in Schwärmen oder Wolken assoziieren und als organisierte Einheiten winziger Einzel-Technoagenten Lebewesen jagen. Zuerst fallen Kaninchen dem technischen Jäger zum Opfer, später Menschen. Es ist aus verschiedenen Gründen fast unmöglich, diesen zu bekämpfen, und die Gefahr erschöpft sich nicht in außen herumschwirrenden Wolken von Nanoagenten. Offen bleibt, ob eine spektakuläre Vernichtung der Fabrikationsgebäude wirklich das Problem beseitigt. Die Handlung erstreckt sich über sieben Tage und wird als überwiegend chronologische Dokumentation von Eindrücken, Überlegungen und Erlebnissen aus der Sicht des Protagonisten Jack erzählt.4 Der siebentägige Zeitverlauf der Diegese5,

 1

Man kann sagen, Crichtons Roman „Jurassic Park“, von Steven Spielberg 1990 verfilmt, gehört in Deutschland ‚als Film‘ zum kollektiven Gedächtnis an die Saurierzeit.

2

Die Gesamtzahl der Kopien aller 26 Romane erreicht 2008 laut NZZ über 150 Millionen Stück. „Michael Crichton gestorben. Arzt, Schriftsteller, Regisseur – ein Multitalent.“ 5.11.2008, nzz.ch/michael-crichton-gestorben--1.1222762, acc. 160228. Prey führte 2002 vier Wochen die Bestsellerliste der New York Times an. Auf Crichtons Website 2016 Buchcover aus Großbritannien (2002), Frankreich, Slowakei, Tschechien, Niederlande (2003), Finnland (2002, 2004), Italien, Dänemark, Korea, Israel (2004), Spanien, Norwegen, China (2005), Japan (2006).

3

Zitiert wird auf deutsch CRICHTON 2002 sowie das englische Paperback CRICHTON 2003 [2002], beide im Handel und in Bibliotheken. Ich zitiere den englischen Text, bei wichtigen Zitaten die deutsche Übersetzung, mit Original in der Fußnote.

4

Die Erzählung hat eine kompliziertere Zeitstruktur, beispielsweise wird der offene Ausgang der Geschehnisse zur Spannungserzeugung vorweggenommen.

5

Ich nutze sporadisch die Unterscheidungen von Genette 2010, der die erzählte Handlung oder Ereignisansammlung als Geschichte bezeichnet und von der Diegese als dem umfassenderen raumzeitlichen Universum der Erzählung abgrenzt. Der schriftliche Diskurs

14 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

zufällig der biblische Schöpferzyklus der Welterschaffung, schlägt sich in 31 Kapitelüberschriften nieder, die in sturer Weise fortlaufend Tag und Uhrzeit benennen („Day 4, 6:40 A.M.“, „Day 6, 1:12 P.M.“). Die Kapitel sind in vier Teile zusammengefasst, deren Obertitel eine seelisch-geographisch-soziale Raumsemantik entwerfen, indem sie die Schauplätze und Handlungsorte Home, Desert, Nest (dt.: Zu Hause, Die Wüste, Das Nest) benennen. „Home“ umfasst Tag eins bis fünf, „Desert“ und „Nest“ beinhalten den sechsten, im letzten Teil, „Prey“, wird der siebte Tag erzählt. Mit dem Schlusskapitel „Prey“ kulminieren die raumsemantischen Namen der narrativen Blöcke, weil der letzte Titel eine Verfolgungsjagd zwischen animalischem Jäger und Gejagten und damit den Übergang von Lokalisierung zu Raumdynamik markiert. Im englischen Original steht kein Inhaltsverzeichnis, so dass der Leser einem unmarkierten Kapitelablauf ausgeliefert ist.6 Der Käufer des Romans bekommt aber nicht nur eine Nanotechnologie-Erzählung. Der fiktionale Text wird, wie bei Mary Shelleys „Frankenstein“7, mit wissenschaftlichem Bezug eingeleitet, der vor allem die Stimme des Autors protokolliert. Der Wissenschaftsessay „Künstliche Evolution im 21. Jahrhundert“ ist datiert, lokalisiert und signiert mit „Michael Crichton, Los Angeles 2002“8 und orchestriert ‚einleitend’ einen Kanon warnender Wissenschaftlerstimmen, die die Konvergenz der Nano-, Informations- und Biotechnologie kritisch einschätzen, ergänzt um eine an die Erzählung angehängte, kommentierte vierseitige Bibliographie, die wissenschaftliche Publikationen von 1972-2000 auflistet.9 Die Angabe von Zeit, Ort und Autorname verankert die Erzählung wie eine Art Matrix an einer ‚Gegenwartsstel-

 über ‚Ereignisse‘ ist die Erzählung, ein im Sinne eines Hör- oder Textmaterials zugängliches Dokument, das als einziges der Analyse zugänglich ist. Der Akt des Erzählens ist die Narration im Sinne eines hervorbringenden, generierenden Tuns. GENETTE 2010, 11f., 183. Mit Jürgen Link kann man die Narration als generativen Akt bezeichnen: ohne Narration keine Geschichte, keine Erzählung und folglich keine Literatur. Insofern ist die Narration elementar für den Literaturbegriff von Genette und irgendwo hier liegt die Nähe zu Link: Die Narration Genettes ist mindestens existenzlogisch eine Generierung im Sinne der generativen Diskursanalyse, die sich allerdings auf elementare Literatur bezieht, von der Genette, soweit ich weiß, nicht redet (vgl. I.5). 6

Im Original wird ein Wissenschaftsessay von der Erzählung durch eine Seite mit dem Titel abgetrennt. In der deutschen Ausgabe entsteht die Verlegenheit, den Beginn des erzählenden Diskurses durch ein Inhaltsverzeichnis eigens markieren zu müssen, weil der Titel, paratextuell falsch platziert, bereits vor dem Essay steht.

7

HERRMANN 2013, 339f, das Vorwort stammt von ihrem Ehemann P.B. Shelley.

8

CRICHTON 2003 [2002], xiv.

9

Als Converging Technologies CT bezeichnet man die Nano-, Bio-, Informations- und Kognitionswissenschaften mit dem Kürzel NBIC, vgl. Kapitel I.5, FN 151 und 157.

E INLEITUNG | 15

le‘. Crichton, ausgebildeter Arzt, Inhaber einer medizinischen Promotion der Medical School der Harvard-Universität, Verfasser wissenschaftlicher Publikationen und Sachbücher („Non-Fiction“) tritt als hellsichtiger Warner, sozusagen als männliche Kassandra, auf und klärt als Wissenschaftler (und?) im Rahmen des Science Fiction Genres über Technik und Macht auf.10 Die Erzählung formuliert Konsequenzen einer Technikentwicklung aus, die in einem Essay vorbereitend beschrieben und wissenschaftlich eingeleitet wird. Man könnte dem Akt einen aufklärerischen Impetus zuschreiben: der Autor entwirft desaströse Folgen, die in einer kapitalistischen Gesellschaft aus wissenschaftlicher Forschung entstehen könnten, für uns! –, als spannend gestrickten Thriller über Wissenschaft. Die Besonderheit liegt in der kunstvoll konstruierten Engführung von wissenschaftlicher Perspektivierung, kommentierendem Diskurs und Romanaussagen. Die Kritik an der fehlenden Auseinandersetzung mit möglichen Folgen technologisch-wissenschaftlicher Konvergenz, die zum Problem der künstlichen Evolution führt, als Ziel aktuellen Forschungen bewusst oder unbewusst eingeschrieben, ist mit Zitaten von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren unterfüttert, deren besorgte Stimmen alle Textteile rahmen. Es ist davon auszugehen, dass in den kommenden fünfzig bis hundert Jahren eine neue Kategorie von Organismen entstehen wird. Diese Organismen werden insofern künstlich sein, als sie ursprünglich von Menschen entworfen wurden. Sie werden sich jedoch vermehren und ihre ursprüngliche Form ‚evolutionär‘ verändern; sie werden entsprechend jeder vernünftigen Definition des Wortes ‚lebendig‘ sein [...]. Das Tempo des evolutionären Wandels wird extrem hoch sein [...]. Die Auswirkungen für die Menschheit und die Biosphäre könnten ungeheuer sein, größer als die der industriellen Revolution, der Atomwaffen oder der Umweltverschmutzung. Wir müssen jetzt Maßnahmen ergreifen, um die Entstehung künstlicher Organismen zu steuern. (Doyne J. Farmer und Alletta d’A. Belin) Viele Menschen, mich eingeschlossen, haben ein ungutes Gefühl, wenn sie an die Folgen dieser Technologie für die Zukunft denken. Das Ausmaß der möglichen Veränderungen ist gewaltig, und es besteht die große Gefahr, dass die Gesellschaft ohne ausreichende Vorbereitung nur sehr schlecht damit umgehen wird. (K. Eric Drexler)

11

Crichton bezeichnet eine diegetisch und extradiegetisch thematisierte Technologieentwicklung als „the meeting point of nanotechnology, biotechnology, and computer technology.“ Technologien, die ‚der Mensch‘, stellvertretend dargestellt als Team US-amerikanischer Wissenschaftler, erschafft, haben das Potential, die Evo-

 10 „Wenn man es drastisch formulieren will [...] Science Fiction [...] [ist] das Genre, in dem es um den Zusammenhang von Technik und Macht geht.“ SEESSLEN 2003, 30. 11 CRICHTON 2002, 5. Die Zitate werden im Essay wiederholt und nachgewiesen, im englischen Original wird eingangs nur Drexlers Satz über sein Mißempfinden zitiert.

16 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

lution selbsttätig zu übernehmen: „What all three have in common is the ability to release self-replicating entities into the environment.“ Der Autor warnt vor der Gefahr, dass technologische Entwicklungen ‚uns‘ als überholte Art ablösen: Technik usurpiert die Natur und ersetzt sie. „Nanotechnology is the newest of these three technologies, and in some ways the most radical.“12 Kapitalismus und Finanzindustrie befördern Entwicklungen in verantwortungsloser Blindheit, das Arkanum der Wissenschaft und Forschung bedroht uns unmittelbar an Leib und Leben, aber der weiße, amerikanische Held errettet mit Herz, Hirn und Tatkraft sich, uns und mit etwas Glück die Menschheit (das bleibt offen). Prey liefert eine spezielle Diskursivierung der Nanotechnolgie: Erzählung, Diegese13, Narration14 und ein explizit wissenschaftlicher Paratext15 erheben den Anspruch eines realitäts- und wissenschaftsgesättigten Gegenwartsdokuments. Wissenschaftsfiktion als internationaler Bestseller Das Genre des Textes wird meiner Ansicht nach durch die englische Bezeichnung Science Fiction nur unzureichend erfasst. Zwar geht es auch um den „Mythos der Menschheit“, um die „alten Themen der Kunst“ und eine „menschgemachte Katastrophe“16, entwickelt aus einer Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Werk

 12 Alle Zitate CRICHTON 2003 [2002], x. 13 Bei der Veröffentlichung ist die diegetische Zeit explizit die Gegenwart der Leser, mit etwas Aufmerksamkeit lässt sich die erzählte Woche identifizieren, deren Ereignisse am 22.09.02 beginnen. Jack erkennt am Abend des ersten Tages in einem Video wegen des unüblichen Datumsformats „02.21.09“ erst auf den zweiten Blick, dass es um ‚gestern‘ geht. CRICHTON 2003 [2002], 38. Im extradiegetischen Amerika liegt in Nevada das (geplante) Endlager für Atommüll in Yucca Mountain, 2002 sollten die Diskussionen darüber unter George Bush in endgültige Entscheidungen transformiert werden. 14 Die warnende Stimme des Autors verstummt nicht, sondern bleibt vernehmbar. 15 Paratext ist ein Begriff von Genette, mit dem sich Textteile, die nicht zur eigentlichen Erzählung gehören, erzähltheoretisch klassifizieren lassen: bibliographische Angaben, Titel, Klappentexte, Kommentare, Fotos vom Autor, Zeitungsrezensionen. Der Paratext unterteilt sich in Peritext und Epitext, wobei der Peritext als ‚autorisierter‘ in Beziehung zum Autor steht (Inhaltsverzeichnis, Titel, Danksagung), der Epitext aber nicht notwendigerweise von ihm verantwortet wird und autonom zirkuliert (ISBN-Nummer, Klappentext, Rezensionen), wobei man die Gleichung Paratext = Peritext + Epitext aufstellen kann, aber nicht muss. Der Titel ist zugleich Epitext und Peritext. 16 SEESSLEN 2003, 32f.

E INLEITUNG | 17

Eric Drexlers und der Idee der molekularen Herstellung17, aber es geht auch um echte Naturwissenschaft. Dies wird deutlich, wenn Jack die Herstellung des IBMLogos aus einzelnen Atomen diskutiert. Im Jahre 1990 schoben IBM-Forscher Xenonatome auf einem Nickelkristall hin und her, bis sie die Buchstaben ‚IBM‘ in Form des Firmenlogos ergaben. Das ganze Logo war ein Milliardstel von einem Millimeter lang und nur durch ein Elektronenmikroskop zu sehen. Es machte optisch einiges her und erhielt großes Medieninteresse. IBM erweckte die Vorstellung, es wäre der Beweis für eine Idee, als wäre damit die Tür zur molekularen Fertigung aufgestoßen worden. Aber es war im Grunde nicht mehr als ein hübsches Bravourstück. Einzelne Atome in eine bestimmte Anordnung zu bringen war nämlich eine langsame, mühselige und teure Angelegenheit. Die IBM-Forscher benötigten einen ganzen Tag, um fünfunddreißig Atome zu bewegen. Kein Mensch glaubte, dass man auf diesem Wege eine völlig neue Technologie schaffen konnte. Stattdessen gingen die meisten davon aus, dass es den Nanotechnologen irgendwann gelingen würde, ‚Assembler‘ zu bauen – winzige molekulare Maschinen, die bestimmte Moleküle produzierten, so wie Kugellagermaschinen Kugellager. Die neue Technologie würde molekulare Maschinen benötigen, um molekulare Produkte herzustel18

len.

Der Protagonist eines fiktionalen Texts erzählt ‚uns‘ von einem atomaren Logo, das 1990 in einem Labor tatsächlich hergestellt wurde. Forschungsprogramme („underlying research program“19), -tätigkeiten und -logiken echter Wissenschaften werden zum paratextuellen Bestandteil einer Erzählung: als Eingangszitat, als Thema des Einführungstextes, als Fiktion, als Element der Literaturliste. Theorien, Modellierungen, Forschungsansätze und -entwürfe werden paratextuell als etwas diskursiviert, das die Handlung in ihrem Entwurf bestimmt, vorantreibt und ausformuliert als integraler Bestandteil der Diegese wiederkehrt. Das Berufsfeld von Jack wird

 17 „Engines of Creation. The Coming Era of Nanotechnology“, DREXLER 1986, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ist digital zugänglich, wird hier aber bewusst nicht thematisiert, obwohl es für den Nanotechnologiediskurs unbestritten einen wichtigen Impetus geliefert hat, dessen es sich allerdings selbstbewusst gewahr war. Es bleibt inklusive missionarischem Eifer anderen Untersuchungen vorbehalten. 18 CRICHTON 2002, 172; CRICHTON 2003 [2002], 190f. Vier Abbildungen aus dem Herstellungsprozess finden sich als „Smallest Writing“ in NSTC-IWGN 1999, 6. Eine farbige, deutlicher designte Abbildung des Logos als „The Beginning“ in NORDMANN 2005, 4, der auf Don Eigler und Erhard Schweizers Artikel von 1990 in Nature 344, 524f verweist sowie auf die Bildergalerie almaden.ibm.com/vis/stm/gallery.html, 160227. 19 CRICHTON 2003 [2002], 525.

18 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

anlässlich eines Treffens mit seiner Agentin so referiert und fokalisiert, dass die Unterscheidung diegetischer und extradiegetischer Wissenschaft unmöglich wird. In the last few years, artificial life had replaced artificial intelligence as a long-term computing goal. The idea was to write programs that had the attributes of living creatures – the ability to adapt, cooperate, learn, adjust to change. Many of those qualities were especially important in robotics, and they were starting to be realized with distributed processing.

20

Die Verwirrung um die Unterscheidung von Wissenschaft, Fiktion und Realität steigt, wenn rezente Wissenschaftsentwicklungen in einem inneren Monolog des ursprünglich studierten Biologen Jack allein für den extradiegetisch adressierten Leser referiert werden. Da ich von Haus aus Biologe war, war ich im Vorteil, als die Computerprogramme anfingen, biologische Systeme zu imitieren. [...] Außerdem hatte ich Erfahrungen in der Populationsbiologie - das Studium von Gruppen lebender Organismen. Und die Informatik hatte sich in Richtung extrem großer, paralleler Netzwerke entwickelt – das Programmieren von Populationen intelligenter Agenten. [...] Agentenbasierte Programme, die biologische Populationen zum Vorbild hatten, gewannen in der realen Welt zunehmend an Bedeutung. Wie meine eigenen Programme, die die Futtersuche von Ameisen imitierten, um große Kommunikationsnetzwerke zu steuern. [...] [G]anz ähnlich funktionierten die Programme, die die Genselektion simulierten und für die es eine ganze Palette von Anwendungen gab. [...] [D]ann gab es noch die Biotechnik-Unternehmen, die festgestellt hatten, dass es ihnen nicht gelingen wollte, neue Proteine herzustellen [...] [sie] ‚evolvierten‘ [...] die neuen Proteine mithilfe der Genanalyse. Alle diese Verfahren waren in der Praxis in nur wenigen Jahren Standard geworden.

21

 Wenn Jack versucht, sich über berufliche Chancen und Karriere klar zu werden, indem er sein Wissen über Technikentwicklungen und moderne Produktionsverfahren heranzieht, haben seine Überlegungen eine extratextuelle Referenz in realen Technik- und Wissenschaftsentwicklungen, die keinen Adressaten in der Diegese haben.22 Gleichzeitig ist für die Diegese entscheidend, dass die Kategorien, in denen ‚Natur‘ gedacht und beschrieben wird, als digitale begriffen werden. Nano- und bio(techno-)logische Forschung wird in maschinellen Kategorien entworfen, zu denen es als informationstheoretisches, digitales Innen Computerprogramme gibt. Sie bilden die Funktionsweisen der Natur nach, entweder Top-Down oder Bottom-Up.

 20 CRICHTON 2003 [2002], 95. 21 CRICHTON 2002, 104f. 22 Erzähltheoretisch gesprochen geht es darum, wie die Wissenschaft fokalisiert wird und welche Wissenschaft in den Blick kommt.

E INLEITUNG | 19

Bisher programmierte man ‚von oben nach unten‘. Dem System als Ganzem wurden Verhaltensregeln vorgeschrieben. Jetzt ging es ‚von unten nach oben‘. Das Programm definierte die Reaktionsweise einzelner Agenten auf dem untersten Strukturlevel. [...] das Verhalten des ge23

samten Systems [...] entwickelte sich aus der Summe von [...] kleinen Interaktionen.

 Vor diesem wissenschaftlichen Zusammenhang wird paratextuell von echten Wissenschaftlern im Essay des Autors gewarnt und die Konvergenz der Computerwissenschaften, der Nano- und Biotechnologie kritisch fokussiert. Der Bezug zur Wissenschaft schlägt sich zusätzlich im Aufbau nieder, der einer wissenschaftlichen Dokumentation ähnelt. Die Obertitel nennen Orte des Geschehens, die Unterkapitel markieren fortlaufende Ereigniszeiten, manchmal mehrere Uhrzeiten und damit Unterkapitel pro Tag. Die Erzählung ist als Chronik und Archiv von Ereignissen maskiert. Die Narration erfolgt (paratextuell markiert?24) im Rahmen eines Laborheftes, in dem besondere Vorkommnisse während eines Experiments dokumentiert werden, auch wenn es sich eigentlich eher um ein Tagebuch handelt. Die Zeitstruktur der Erzählung ist kompliziert und verschachtelt, insofern Jack aus wechselnden und historisch unterschiedlich ‚weit‘ entfernten Rückblenden erzählt, wie die Dinge geschehen, während er gleichzeitig versucht, die von ihm erzählte Gegenwart zu verstehen und sich aus den Geschehnissen erst die Vergangenheit zusammenreimt. Außerdem wird Jack als primäre Fokalisationsfigur als jemand präsentiert, der wie ein rationales Wesen denkt und wie ein empirischer Wissenschaftler vorgeht. Er sammelt Daten, beschreibt seine Beobachtungen und unternimmt auf dieser Grundlage immer wieder Interpretationen, die er selbst als hypothetische begreift und kennzeichnet. Der Held der Diegese ordnet als modernes Individuum Gedanken, Gefühle und Wissen, kann sie informiert verbalisieren und in einer aufgeklärten Distanz zu sich selber kommunizieren25, was, so könnte man sagen, mit der wissenschaftlichen Einführung und der Literaturliste einen ebensolchen Leser erfordert. Diese diegetische Perspektive wird extradiegetisch untermau-

 23 CRICHTON 2002, 95. „The old rules-based programming was ‚top down‘. The system as a whole was given rules of behavior. But the new programming was ‚bottom up‘. The program defined the behaviour of individual agents at the lowest structural level. [...] the behavior of the system emerged.“ CRICHTON 2003 [2002], 98. 24 Eigentlich handelt es sich nicht um paratextuelle Markierung, weil die Überschriften zum Text der Erzählung gehören und den Zeitrahmen der Diegese markieren. 25 Jack kann auch Differenzierungen machen, wenn sein ,emotionaler Kern‘ berührt wird. Er legt größten Wert darauf, die Verhaltensweisen seiner Frau in ihrer phänomenologischen Erscheinungsweise zu beschreiben und Fehldeutungen zu vermeiden, selbst wenn seine (angeblich) ‚innersten Gefühle‘ betroffen sind, was zu dem Eindruck führt, dass die Gefühle des Protagonisten sich erzählerisch in einer gewissen Leerstelle befinden.

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ert, wenn im einleitenden Diskurs die Zitate der Wissenschaftler26 eine (schlechte, weil pseudo-)anthropologische Perspektive auf Technik erzeugen. Technik27, die ‚uns‘28 in einem grundsätzlichen Sinne von den Tieren unterscheidet29 und ‚uns‘ eine Überlegenheit30 über alle anderen Formen des Lebens ermöglicht, wird aufgrund der besonderen Fähigkeiten des Menschen, ‚die Natur‘ zu beobachten31 und entlang einer Kombination von mathematischen Überlegungen und kybernetischer Logik informationstechnisch zu (re)konstruieren32, selbst zu einer ‚Natur‘ zweiter Ordnung.33 Die Technik als Natur zweiter Ordnung34 könnte ‚uns‘, die Natur erster Ordnung, vernichten.35 Die Wissenschaften, die wir betreiben, sind in der technologischen Konsequenz gefährlich für uns – was anschließend gezeigt wird. Nanotechnologie betrifft ‚uns‘, die rationalen, gebildeten Leser, als die wir mit wissenschaftsessayistischer Einführung und Literaturliste angesprochen werden. Aber auch, wenn man die pseudoanthropologische Perspektivierung ignoriert, kann man feststellen: Mit diesem Buch wird eine Potential-Technologie in hypostasierter Form betont. Die Potentialität der Nanotechnologie wird in Kombination von Wissenschaft und Literatur thematisiert und wirkt bedrohlich, weil sie raumsemantisch ausbuchstabiert wird. Als Technik oder Technikdiskurs wird sie in verschie-

 26 In den folgenden Fußnoten die Zitate von Farmer/Belin, Drexler sowie aus Crichtons Einführungsessay nach CRICHTON 2003 [2002], Seitenangabe mit römischen Ziffern. 27 „man-made machinery of extremely small size“, xi. 28 „designed by humans“, Farmer / Belin Zitat, v. 29 „our species has demonstrated a striking lack of caution in the past.“ „We are one of only three species on our planet that can claim to be self-aware, yet self-delusion may be a more significant characteristic of our kind.“, ix. 30 „our growing technological power“, ix/x. 31 „If we were to grasp the true nature of nature [...] a world in which every living plant, insect, and animal species is changing at every instant, in response to every other living plant, insect, animal.“, „the total system we call the biosphere“, viif. 32 „human interaction with the environment“, ix. 33 „a new class of organisms [...], ‚alive‘ under any reasonable definition of the word“, „artificial organisms“, Farmer / Belin, v; „artificial evolution“, vii. 34 „such organisms“ als „artificial, self-reproducing technologies“, xiii. 35 Farmer / Belin: „The impact on humanity and the biosphere could be enormous, larger than the industrial revolution, nuclear weapons, or environmental pollution.“ Drexler, v: „There are many people, including myself, who are quite queasy about the consequences of this technology for the future.“; Crichton: „a long and difficult journey to control our technology.“ „The unintended creation of a devastatingly lethal virus by Australian researchers in 2001“, x.

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denartigen Zusammenhängen und Räumen breit diskursiviert: in Sozial- und Körperräumen, in Literatur, in Wissenschaftsdisziplinen und Ökonomie. Formale und inhaltliche Gründe erschweren eine Distanzierung von dem Buch. Die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion der Nanotechnologie steht infrage, weil der Technikthriller einen Anspruch auf einen realen Gehalt, auf echte Wissenschaften und Forschungen, behauptet. Der Bezug auf reale wissenschaftliche Programme wird mit einer Literaturliste aus seriösen wissenschaftlichen Publikationen unterfüttert, die auf literarische Werke verzichtet, und als von der Erzählung abgegrenzte um so deutlicher den Bezug zur Wissenschaft betont. Bibliografie. Die Handlung dieses Romans ist rein fiktiv, aber die Forschungsfelder, die darin erwähnt werden, sind es nicht. Die folgende Auswahlbibliografie mag interessierten Lesern dabei helfen, mehr über die immer deutlicher werdende Konvergenz von Genetik, Nanotechnologie und verteilter Intelligenz zu erfahren.

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(Anmerkung FN: In der englischen Ausgabe

wird die Konvergenz nicht deutlicher, sondern „wächst“, aus englischen Forschungsprogrammen werden deutsche „Forschungsfelder“.)

 Nanotechnologie, so die ‚Aussage‘ der Literaturliste, ist da, es gibt Forschungsprogramme, etwas, das ‚in Echt‘ erforscht wird. Sie wird inszeniert als etwas, das in der Fiktion eine schaurige, unkontrollierbare Realität erlangt, aber auch außerhalb der Fiktion existiert. Die Technologie trifft als komplexer technosozialer Zusammenhang auf einen rationalen, wissenschaftlich gebildeten Leser, der explizit adressiert wird. Der raumsemantisch gesättigte Entwurf einer potentiellen Nanotechnologie beschränkt sich nicht auf Fiktion. Die Erzählung wird selbstbewusst in einem wissenschaftlichen Umfeld platziert und behauptet (irgendwie) den Bezug zu wissenschaftlicher Seriösität, Nanotechnologie wird als etwas sozusagen authentisch Wissenschaftliches inszeniert. Aber nicht allein Nanotechnologie als abgrenzbarer Technikbereich: es handelt sich um eine Gemengelage aus Nanotechnologie, Informatik und Biotechnologien, die in interdisziplinärer Koordination eine (sub-) mikroskopisch kleine Technik hervorbringen, vor der (‚uns‘) echte Ingenieure, Naturwissenschaftler und der Autor dringend warnen. Nanotechnologie ist keine literarische Erfindung, es gibt Forschung, Interdisziplinarität und etwas wie Konvergenz von Biotechnologien, Informatik und Nanotechnologie. Die durch (echte) Wissenschaft und Forschung gerahmte Erzählung erfordert eine sich entsprechend ‚ernsthaft‘ gerierende Einführung, die, datiert, lokalisiert und signiert, signalisiert: dies ist

 36 CRICHTON 2002, 443. „Bibliography. This novel is entirely fictitious, but the underlying research programs are real. The following references may assist the interested reader to learn more about the growing convergence of genetics, nanotechnology, and distributed intelligence.“ CRICHTON 2003 [2002], 525.

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ein wichtiges Zeitdokument, das historisierungswürdig ist, dieser Autor hat eine Stimme, die etwas Wesentliches zu sagen hat. Erzähltheoretisch gesehen entsteht die Besonderheit, dass die Stimme, mit der der Autor in seiner Einführung spricht, zwar formal getrennt ist von der Stimme, die in der Folge den erzählenden Diskurs hervorbringt. Dennoch laufen beide als Teil einer Publikation zusammen und beide sind Stimmen von Wissenschaftlern. Jack ist Spezialist für Computerprogramme, speziell für die Entwicklung von verteilter Intelligenz, außerdem Biologe, der den Aufbau seiner Computerprogramme an der Erkenntnis über die Futtersuche von Ameisen anlehnt: er ist einer derjenigen, die die Logik komplexer Systeme modellieren können und gehört zum gefragten Kreis derer, die die Entwicklung komplexer Technologien vorantreiben. Die warnende Aussage des Romans ist: ‚Wir‘ werden angesichts von technologischen Entwicklungen, die ‚wir‘ selbst initiieren, selbst zur Beute, oder, wie es in der Einführung heißt: „Irgendwann im einundzwanzigsten Jahrhundert wird unser von Selbsttäuschung bestimmter Leichtsinn mit unserer wachsenden technologischen Macht kollidieren.“37 Wenn die Erzählung einsetzt, bevor das erste Kapitel und damit die Diegese startet, liest man in der anhebenden Stimme gleichzeitig die des Autors, also die kunstvoll gedoppelte Stimme eines mehrfach wissenschaftlich legitimierten Warners: „Die Dinge entwickeln sich nie so, wie man denkt.“38

 37 CRICHTON 2002, 9. „Sometime in the twenty-first century, our self-deluded recklessness will collide with our growing/technological power.“ CRICHTON 2003 [2002], ix/x. 38 CRICHTON 2002, 19, auch 16.– Die komplizierte Zeitstruktur der Narration kann man mit Genette als Kombination von späterer und eingeschobener Narration charakterisieren. Die eingeschobene Narration ist kombiniert mit ereignisreichen Passagen, die aus der Retrospektive einen regelrechten Verlauf von Ereignissen oder sich überstürzende Geschehnisse („Action“) wiedergeben. Vor allem bei der Situierung der Handlung handelt es sich um die Stimme, die aus einer Mischung aus Tagebuch und vertraulichem Brief spricht und „eine Art inneren Monolog mit einem nachträglichen Bericht [verknüpft] [...] Der Erzähler ist hier, und zwar zugleich, noch der Held und schon ein anderer: Die Ereignisse des Tages sind schon vergangen, und der point of view kann sich seitdem verändert haben; die Gefühle und Ansichten am Abend oder am folgenden Tag jedoch gehören völlig zur Gegenwart, und hier ist die Fokalisierung auf den Erzähler gleichzeitig eine Fokalisierung auf den Helden.“ GENETTE 2010, 141. Die spätere Narration lebt „von dem Paradox, dass sie zugleich eine zeitliche Stelle hat (in Bezug auf die vergangene Geschichte) und ein urzeitliches Wesen, da sie über keine eigene Dauer verfügt. [...] sie [ist] von der ‚Dauer eines Blitzes‘, eine Ekstase, eine übernatürliche Synkope, eine ‚der Zeitordnung enthobene Minute‘.“ (144) Die Erzählung Prey entfaltet sich in einer solch „übernatürlichen Synkope“.

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Die geschachtelt inszenierte und diskursivierte Nanotechnologie liefert in der englischen (Original-)Ausgabe eine weitere Realitätsebene, die die wissenschaftlich gerahmte Erzählung kontextualisiert. Indem Auszüge aus Rezensionen großer Tageszeitungen abgedruckt werden, wird sozusagen das gesellschaftliche Urteil über die Relevanz der Ausführungen Crichtons mitgeliefert.39 So lobt eine der Literaturkritiken (die folgende aus dem Magazin Time Out) die Nähe der Fiktion zur Realität: „the reader [is persuaded] that the tale is dangerously close to becoming reality“. Gelobt wird die Recherche des Autors, dem bescheinigt wird, er agiere wissenschaftlich informiert und vermenge hochtechnologische Forschung mit Erzähltechniken: „Mixing cutting-edge science with thrills and spills“ (Mirror), ihm wird zugestanden, die potentielle Gefahr neuer Technologien ausbuchzustabieren: „taking the very latest scientific advances and showing us their potentially terrifying underbelly“ (Observer).40 In einem Nachruf der Süddeutschen Zeitung findet sich 2008 eine etwas vorsichtigere Formulierung: „In Erinnerung bleibt Crichton vor allem durch seine kreative Verarbeitung und Vermittlung von technischem Wissen.“41 Betont man das Moment der Kreativität und damit der literarischen Erfindung, entzieht man sich der Verlegenheit, ob es sich tatsächlich um die Verarbeitung von Wissen und Informationen handelt, die Trennlinie zwischen Fakten und Fiktionen bleibt erhalten. Versucht man dagegen das Verhältnis von Wissenschaft und Literatur bei der Nanotechnologie zu beschreiben, wie also Nanotechnologie als umfassend semantisiertes wissenschaftliches Programm, Verfahren und Technik-Ding erscheint, stellt man sozusagen die Frage einer semantologischen Perspektivierung.42

 39 Die Rezensionszitate werden durch eine Zwei-Satz-Biographie eingeleitet, die Crichton als Erfinder und Regisseur der dokufiktionalen Serie „Emergency Room“ vorstellen. 40 Rezensionen o. J. in CRICHTON 2003 [2002], Umschlagseite 1.– Ähnlich Pia Horlacher: Seine „Thriller sind [...] verkappte Sachbücher, manchmal auch polemische Thesenstücke verpackt in [...] Beiwerk. Dabei ist es egal, ob es um gesellschaftsideologische Fronten geht, [...] oder um die Warnung vor den Auswüchsen moderner Wissenschats- und Technologie-Gläubigkeit wie [...] der Nanotechnologie in ‚Prey‘ oder der Gentechnologie in ‚Jurassic Park‘.“ Crichton erlaubt sich „Dinge, die im Thriller [...] tabu sind. Wie zum Beispiel in [...] ‚State of Fear‘, wo mitten im Text Klimadiagramme oder ausführliche Fußnoten und Verweise auf Sekundärliteratur stehen.“, NZZ 17.4.05, „Der Tyrannosaurus Rex des Thrillers“, nzz.ch/articlecpekh-1.122158, acc. 160227. 41 17.5.08, sueddeutsche.de/kultur/literatur-michael-crichton-ist-tot-1.529717, acc. 160227. 42 Ich verwende den Ausdruck semantologisch hier aus pragmatischen Gründen zur heuristischen Charakterisierung des verwendeten Verfahrens, ohne aussagen zu wollen, dass das Verhältnis von Nanotechnologie und Literatur metaphorisch sei. Der Untersuchungsgegenstand Nanotechnologie muss permanent verhandelt werden und es ist nicht selbstevident, ab wann eine Metapher eine Metapher ist, und wo, linguistisch formuliert, die

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Man nimmt zur Kenntnis, dass und wie die Erzählung Nanotechnologie erzählerisch und paratextuell diskursiviert.43 Trotz der Klassifizierung als Roman, trotz der einschlägigen Platzierung im Buchladen in der Fiktionsecke, diskursiviert Prey als literarisches Ding das Spannungsfeld zwischen Fakten und Fiktionen. Wie wird Nanotechnologie diskursiviert? Die Erzählung skizziert in einem Telefonat zwischen dem unfreiwilligen Hausmann Jack und seiner berufstätigen Frau Julia einen komplexen Zusammenhang, in das das „molecular manufacturing“ eingebunden ist: ,[A]nyway, we’re going to be delayed two hours, hon. Maybe more. I won’t get back until eight at the earliest. Can you feed the kids and put them to bed?‘ ‚No problem‘, I said. And it wasn’t. I was used to it. Lately, Julia had been working very long hours. Most nights she didn’t get home until the children were asleep. Xymos Technology, the company she worked for, was trying to raise another round of venture capital – twenty million dollars – and there was a lot of pressure. Especially since Xymos was developing technology in what the company called ‚molecular manufacturing‘, but which most people called nanotechnology. Nano wasn’t popular with the VCs – the venture capitalists – these days. Too many VCs had been burned in the last ten years with products that were supposedly just around the corner, but then never made it out of the lab. The VCs considered nano to be all promise, no products.

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Der Entwurf der Nanotechnologie als komplexer technosozialer Zusammenhang, gleichzeitig eine Technologie im vorläufigen Status, also noch nicht in Produkte umgesetzt, wird ausgiebig im Rückgriff auf echte Forschung diskursiviert.45 In der

 Grenzen von der Normal- oder Allgemeinsprache zur Metapher und von da aus zu wissenschaftlichen Begriffen liegen. 43 Mit dem Ausdruck semantologisch bezeichnet Gehring eine (explizierbare) Logik der Semantik von Metaphern und das Phänomen, dass mit jeder Metapher „die Welt der innersprachlichen Bezüge mit im Spiel“ bleibt und daher die präzise Individualisierung des Sinns eines metaphorischen Ausdrucks oder einer Metapher möglich wird, vgl. GEHRING 2010. 44 CRICHTON 2003 [2002], 9. 45 Die Handlung entwickelt sich, weil die Sache nicht funktioniert: „[D]as Produkt leistete nicht das, was von ihm verlangt wurde. [...] Unterdessen war das Verteidigungsministerium zu dem Schluss gelangt, dass diese Designschwächen nicht zu beheben waren, und hatte von dem ganzen Nanokonzept Abstand genommen; der Vertrag mit Xymos war gekündigt [...]; in spätestens sechs Wochen würde das Pentagon den Geldhahn zudrehen.“ CRICHTON 2002, 178f (CRICHTON 2003 [2002], 198).

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Diegese wird Nanotechnologie als Endpunkt einer hochtechnisierten Forschung in ein Produkt überführt, das selbsttätig und selbstorganisiert agiert, allerdings nur schwer mit herkömmlichen Vokabeln als technisches Produkt beschreibbar ist. Handelt es sich zunächst um minikleine Kameras, die in einer riesigen, komplexen Laborapparatur kontrolliert erzeugt werden und in ziviler, medizinischer Anwendung nach einer Injektion in den menschlichen Körper selbstassoziiert von jeder beliebigen Stelle aus Bilder ‚nach draußen‘ senden können46, ‚mutiert‘ das Technikprodukt im Sinne künstlicher Evolution zu einem unkontrollierbaren, mit dem Menschen letztlich verschmelzenden Technikding mit enormer „Verhaltensplastizität“.47 Militärisch wird die Technik von den fiktionalen Wissenschaftlern als unzerstörbarer, weil nicht zu ortender Aufklärungsdrohnenschwarm konzipiert und bewusst in die Umwelt entlassen.48 Außerhalb des Labors soll seine Schwarmfähigkeit

 46 Die Erzählung beschreibt und lokalisiert die Produktionsapparatur, einen „riesigen Kraken“ im Labor als komplexe Abwandlung einer alchemistischen Aneinanderreihung von Kolben und Verbindungsstücken, CRICHTON 2003 [2002], 185f (CRICHTON 2002, 168f), und dimensioniert das Produktionsverfahren temporal: „We can fabricate a kilogram of these cameras in an hour.“ CRICHTON 2003 [2002], 31. 47 KORNWACHS 2013, 232, in Bezug auf Lems Summa technologiae (1964). 48 Über die lebensweltliche Entsprechung bei der ,echten‘ Nanotechnologie informiert Altmann: „[S]eit dem letzten Jahrhundert haben die Streitkräfte Wissenschaft systematisch genutzt. Insbesondere nach dem 2. Weltkrieg haben reiche [...] Länder große Zentren für militärische Forschung und Entwicklung aufgebaut und militärische Innovation in großem Maßstab finanziert. [...] [S]olche Tätigkeiten in militärischer Forschung und Entwicklung [werden] auf organisierte Weise ausgeführt, unter dem Schutz des Staates und mit seinen Ressourcen. [...] Die USA geben etwa zwei Drittel der weltweiten Aufwendungen für militärische Forschung und Entwicklung (FuE) aus, 2002 waren das 52 [...] von etwa 80 Mrd. $ [...] Bei Nanotechnik gehen ein Viertel bis ein Drittel der BundesFuE-Ausgaben der ‚National Nanotechnology Initiative‘ an das Verteidigungsministerium (2003: 243 Mio. $ von 770 Mio. $). Dieses Geld wird für verschiedenartige Aktivitäten verwendet, zumeist in den Stadien von Grundlagenforschung, angewandter Forschung und fortgeschrittener Technologieentwicklung [...] an Universitäten, in den Labors der Teilstreitkräfte und den nationalen Waffenlabors, an Themen wie Kohlenstoff-Nanoröhrchen, magnetische Nanopartikel, organische Leuchtdioden für Anzeigen, Bio-Computer, biomolekulare Motoren. Näher an den militärischen Bedürfnissen sind Sensoren für chemische oder biologische Wirkstoffe, nanostrukturierte Sprengstoffe oder Panzerung.“ ALTMANN 2006, 420f. Die aktuellen Zahlen sind für den angesprochenen Zusammenhang nicht relevant. Ökonomisch ist der diegetische Zeitraum bedeutsam, weil zwischen August 2000 und März 2003 der Weltaktienmarkt mehr als die Hälfte seines Wertes verlor, als die sogenannte New-Economy-Blase platzte.

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beispielsweise bei Wind getestet werden. Geht es zu Beginn der Erzählung um eine körperexterne Technik, die autonom agiert, gibt es später massive Auswirkungen, vielleicht besser: Eingriffe auf die menschlichen Körper der Protagonisten. Nanotechnologie interagiert zunächst extern mit der ursprünglich als Kinderpsychologin ausgebildeten Julia, und wird dann zu einer mit ihr verschmelzenden, geradezu symbiotischen Technik. Das Problem der Darstellung dieser Technik wird erzählerisch dahingehend gebändigt, dass die nanopartikel-technoagentenverseuchte Julia mehrfach unter dem Verdacht steht, als stehe sie unter Drogen oder sei gedopt. Die Assimilierung der Technik an den menschlichen Körper wird in den Rastern einer sport- und fitnessorientierten Gesellschaft und ihrer Verschönerungsindustrie diskutiert: Julia erscheint ihrem Mann „schöner denn je“, ihre Gesichtszüge wirken plötzlich „schmal“ und „klar konturiert“, ebenso ihr Körper, der „straffer“ und „sportlich“ aussieht.49 Die Technik ‚lebt‘ in ihr, formt ihren Körper, aber auch, wie sich im letzten Kapitel herausstellt, ihren Geist, sie macht sie wachsam und nahezu unbesiegbar.50 Im kommentierenden Diskurs des Autors ist Nanotechnologie „the newest of [...] three technologies, and in some ways the most radical.“51, im erzählenden Diskurs zunächst eine minimale Kameratechnik, die kontrolliert eine technische Leistung erbringt, abgrenzbar von anderen Techniken, gebunden an ein molekulares

 49 CRICHTON 2002, 86. „Julia was looking more beautiful than ever. [...] I saw that her face did indeed look more chiseled, more striking. Julia always had a chubby face. Now it was lean, defined. She looked like a high-fashion model. Her body, too – now that I looked closely – appeared leaner, more muscular. She hadn’t lost weight, she just looked trim, tight, energetic.“ CRICHTON 2003 [2002], 87f. 50 Die Überlegenheit der (unfreiwillig?) technisch aufgerüsteten Julia nahe der Unbesiegbarkeit ergibt die Erzählung von der schönen Frau, die böse wird und vom Mann getrost vernichten werden kann. Die „grausame und gewaltsame Tötung einer Mutter durch ihren Ehemann muss gut motiviert werden, und Crichton gelingt dies mit einem dystopischen Topos: Eine außer Kontrolle geratene Spitzentechnologie ist verantwortlich.“ WERBER 2013, 53. An diese Stelle gehört der Verweis auf den „Unbesiegbaren“, LEM 1995 [1964], der im Grunde dieselben schwärmenden Techno-Agenten inszeniert wie Prey, sie allerdings erzählerisch und somit techniktheoretisch anders situiert. Sie werden weder unter dem Namen Nanotechnologie noch einer anderen aktuellen Wissenschaft ins Spiel gebracht. „Der Unbesiegbare“ ist ein Raumschiff, das mit ausschließlich männlicher Besatzung auf einem fremden Planeten eine misslungene Expedition aufklären soll. Die bei Lem inszenierten „Wolken“ des Planeten sind in jeder Hinsicht autonom agierend, und sie bleiben es auch. Der Roman wird aufgrund für das gewählte Thema punktuell herangezogen, muss aber aufgrund des verfolgten Forschungsinteresses undiskutiert bleiben. 51 CRICHTON [2003] 2002, x.

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Herstellungsverfahren ‚molecular manufacturing‘, das sich in der Geschichte als Mixtur von Gen- und Nanotechnologie herausstellt. Die Technologie ist eine Ansammlung von Partikeln, die sich autonom vereinigen, wahlweise im menschlichen Körper und außerhalb als Schwarm agierend.52 Nanotechnologie wird damit in kontrollierter und unkontrollierter Form diskursiviert: die unkontrolliert agierende minimal kleine Technik, die in Körper und Geist eindringt, wird als Krankheit oder Infektion, man kann sogar sagen, als intellektuelle Krankheit semantisiert. ‚Glaubt ihr, diese Dinger dringen einem ins Hirn?‘, sagte Charley. ‚Ich meine, es sind schließlich Nanopartikel. Man atmet sie ein, sie passieren die Blut-Hirn-Schranke ... und schwups sind sie im Gehirn. [...] das ist doch die große Sorge, dass die Nanotechnologie die Umwelt verschmutzt? Nanopartikel sind so klein, dass sie Stellen erreichen können, an die bisher keiner einen Gedanken verschwenden musste. Sie können in die Synapsen zwischen den Neuronen. Sie können ins Zytoplasma von Herzzellen. Sie können in Zellkerne. Sie sind 53

so klein, dass sie jede Stelle im Körper erreichen. Vielleicht sind wir ja jetzt infiziert, Jack.‘

 52 In einer Szene unternimmt Jack den misslingenden Versuch, die in Julia lebenden Nanopartikel mit Hilfe eines starken Magnetfeldes zu zerstören. Die Partikel verlassen mehrfach fluchtartig ihren Körper, wodurch sich Julia sozusagen im Raum maximal ausdehnt, kehren aber immer in den Körper zurück, der sie gleichzeitig ‚auch‘ sind. 53 CRICHTON 2002, 367 (CRICHTON 2003 [2002], 316). Später erklärt Jack dem Leser die wissenschaftliche Sicht: „Wenn man so will, ist der Mensch im Grunde ein riesiger Schwarm. Genauer gesagt, er ist ein Schwarm Schwärme, denn jedes Organ – Blut, Leber, Niere – ist ein einzelner Schwarm. Was wir ‚Körper‘ nennen, ist in Wirklichkeit die Kombination aller Organschwärme. Wir halten unseren Körper für fest, aber [...] [w]enn man den menschlichen Körper auf ein gewaltiges Format vergrößern könnte, dann wäre zu sehen, dass er praktisch nichts anderes ist als eine wirbelnde Masse von Zellen und Atomen, die zu kleineren Wirbeln von Zellen und Atomen gebündelt sind. [...] [E]s ist erwiesen, dass auf der Ebene der Organe viele Prozesse ablaufen. [...] Die Steuerung unseres Verhaltens findet nicht in unserem Gehirn statt, sondern überall in unserem Körper. Man könnte [...] behaupten, dass auch Menschen von ‚Schwarmintelligenz‘ gelenkt werden. Das Gleichgewicht wird vom Kleinhirnschwarm gesteuert, was kaum ins Bewusstsein vordringt. [...] Man könnte also argumentieren, dass die gesamte Bewusstseinsstruktur, die menschliche Selbstkontrolle und Zielorientiertheit eine Benutzerillusion sind. Wir haben gar keine bewusste Kontrolle über uns. Wir glauben das nur.“ (322). In der Diegese könnte es auf einer materiellen Ebene zu einer Infektion des Gehirns kommen, aber es wäre nicht notwendigerweise das Denken betroffen, weil Jack als Biologe und Naturwissenschaftler das Gehirn an dieser Textstelle nicht eindeutig als Organ des Denkens semantisiert. (Die Protagonisten könnten, wie Joseph Beuys beispielsweise, nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Knie denken.) Allerdings bemächtigt sich des erzählenden Prota-

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Bevor ich mich näher mit dieser intellektuellen Krankheit auseinandersetze, möchte ich der Vollständigkeit halber zwei Aspekte ansprechen, die zu einer literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Nanotechnologie dazu gehören könnten, aber bei dem hier vorgeschlagenen Analyseverfahren Nebenschauplätze sind. Eine literarische Technikkritik ... Die ausholende technikkritische und aufklärerische Geste der Erzählung entwirft eine düstere Skepsis und lässt literarische Bezüge sowohl zum Sandmann von E.T.A. Hoffmann, zu Shelleys Frankenstein als auch zum Zauberlehrling von J. W. Goethe erkennen.54 Die Verbesserung der technischen Kontrolle über eine als maschinell reproduzierbar gedachte ‚Natur‘ gerät außer Rand und Band, weil sich Technik aufgrund eines universalen, maschinell-wissenschaftlichen Paradigmas an die als technisch begriffene (menschliche) Natur anlehnt und ‚Natur‘ damit insgesamt usurpiert. Erzählt wird gewissermaßen von einem technologischen Staatsstreich innerhalb der Evolution. Technik übernimmt die Evolution, siegt über ‚die Natur‘. Das war, so dachte ich, ein Problem, das sich noch nie ein Mensch hatte träumen lassen. In all den Jahren, in denen ich Agenten programmiert hatte, war es in erster Linie darum gegangen, sie zu einer Interaktion zu bewegen, die nützliche Ergebnisse hervorbrachte. Wir waren nie auf den Gedanken gekommen, dass es ein ernstes Kontrollproblem geben könne, oder dass 55

die Agenten sich unabhängig machen könnten. Weil das einfach nicht wahrscheinlich war.

Wissenschaft und Forschung führen zu einer Technik, die sich autonom gegen ihre Erfinder und die Natur wendet und das Regime übernimmt. Die maschinell gedachte, mathematisch beschreibbare Natur wird digital nachgebildet und in interdisziplinärer Praxis von Biotechnologie, Chemie und Computerwissenschaften als irgendwie kleine Kleinsttechnik mit Namen Nanotechnologie nachgebaut. Indem man un-

 gonisten eine Verworrenheit, sein Denken wird unklar, sobald ihn Nanopartikel angreifen: „Die Nadelstiche irritierten mich, erschwerten das Denken. Ich spürte, wie die alte Verworrenheit mich wieder erfasste. Mein Verstand arbeitete schwerfällig.“ (300). „The pinpricks were irritating, making it difficult to think. I felt the old confusion begin to seep over me. My brain felt sluggish.“ CRICHTON 2003 [2002], 346. 54 Johann Wolfgang von Goethe: Der Zauberlehrling. Ballade. Verfasst um 1798, veröffentlicht 1827. Shelleys Frankenstein muss und will lernen, HERRMANN 2013, 342. 55 CRICHTON 2002, 184. Das Zitat zeigt: Jack und seine Kollegen haben weder den Zauberlehrling noch Lems „Der Unbesiegbare“ gelesen, was auf den Autor von Prey vermutlich nicht zutrifft.

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ter dem Stichwort „molecular manufacturing“56 natürliche Mechanismen für die Entwicklung ‚neuer‘, quasi-natürlicher Maschinen nutzt, setzt man einen Prozess in Gang, bei dem Nanotechnologie autonom wird und künstlich evolviert. Handelt es sich beim Sandmann um einen relativ eingegrenzten Technikbereich, um mehr oder weniger klar benennbare Techniken und einzelne Individuen (Techniken, die den Sehsinn eines Individuums erweitern, erzeugen eine verhängnisvolles Abhängigkeit zu einem Roboter als künstlichem Menschen), geht es in „Prey“ um Technikentwicklungen und wissenschaftliche Grundlagenforschung in gesellschaftlicher Dimension. Technik kommt als gesellschaftlich erwünschte, vor allem ökonomisch lukrative und in jedem Fall ‚bahnbrechende‘, innovative in den Blick. Die Geschichte von Prey ist zwar an einzelnen Individuen erzählt, jedoch ist deutlich, dass die geschilderte Fehlentwicklung die gesamte fiktive amerikanische Gesellschaft als Stellvertreter der Menschheit bedroht. Jack will mehrfach das USMilitär zu Hilfe rufen, was angesichts der infamen technischen Bedrohung lächerlich erscheint. Das Militär als einer der ursprünglichen Initiatoren der katastrophischen Situation könnte nichts mehr eindämmen, es gibt keinen Zauberer, den man rufen könnte, damit er die Kontrolle wieder übernimmt.57 Der Prozess einer durch menschliche Forschung betriebenen Assimilation von Technik an die Natur tritt als das eigentliche Problem einer Technikentwicklung auf, die schon in ihrem Ansatz – und darin liegt die Nähe zur Technikkritik des Sandmanns – die Verwechslung von Natur und künstlicher Technik betreibt. Beim Sandmann wird die Unterscheidung zwischen ‚technisch‘, ‚wissenschaftlich‘ und ‚natürlich‘ für den Protagonisten unmöglich. Er nutzt Sehhilfen, Augen-HilfsMaschinen, wodurch ihm eine Mensch-Maschine als menschlich und verführerisch erscheint. Die Benutzung von Wissenschaft und Technik führen dazu, dass er sich in eine Roboterfrau verliebt. Beim Sandmann entsteht eine Dynamik, die schließlich zum Wahnsinn und der Vernichtung des Individuums führt.58 Bei Prey kann der

 56 CRICHTON 2002, 171; DREXLER 1986. 57 Insofern ist der Zauberlehrling ungeeignet, die Situation einer Krise der modernen Technik zu analysieren. Trotzdem wird dieser Text genau dafür immer wieder (kollektivsymbolisch) herangezogen, vgl. NORDMANN 2007a. 58 Eine mögliche theoretische Reformulierung der von Hoffmann in diesem kunstliterarischen Werk ausgesprochenen Technik- und Wissenschaftskritik lässt sich bei Simondon finden, der den „modernen Liebeszauber2 angesichts der androiden Maschine als fatalen „maßlosen Technizismus“ analysiert, der aus mangelndem Verständnis des ‚echten‘ Wesens der Technizität entspringt. Er kritisiert vor allem, dass die Verkennung der ,wahren‘ Bedeutung der Maschine diese fatalerweise in einen göttlichen Rang erhebt: „Die Maschine, die diesen Vorstellungen zufolge zu einem Doppelgänger des Menschen geworden ist, [...] ist in diesem Fall [...] unausweichlich ein rein mythisches und imaginäres

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Protagonist dagegen seine geistige Überlegenheit und Unabhängigkeit bewahren, weil er durch und durch Wissenschaftler ist, der das Bilden von Hypothesen als eigenen Wesens- und Charakterzug verinnerlicht hat, weil er schmerzhafte Erfahrungen mit der Funktionsweise der korrupten amerikanischen Technologiewirtschaft gemacht hat, und nicht zuletzt, weil er von Beginn an in einer angemessenen Distanz zu seiner maschinenverseuchten Frau situiert wird, die er verdächtigt, ein außereheliches Verhältnis zu haben. Jack ist nicht, wie der Protagonist des Sandmanns, emotional, sondern intellektuell in die Auseinandersetzung mit der Nanotechnologie involviert. Bleibt der Protagonist von Prey der intellektuelle Beherrscher der Situation, gilt dies beim Sandmann nicht; und leider auch nicht für die Leserin von Prey. Die Leser bleiben der kapitalistischen und militärischen Technologiewirtschaft, die Wissenschaft und Forschung nach Gutdünken forciert und unkontrolliert betreibt, ausgeliefert, verwiesen an Experten, die Forschung, die Wissenschaft, die die Erzählung paratextuell einleitet und beschließt: Vorwort und Verzeichnis wissenschaftlicher Publikationen zum Thema markieren zwar eine Verbindung zur Gegenwart des Lesers, markieren aber gleichzeitig genau die Ausgeliefertheit derer, die nicht zum Staat im Staate, dem inneren Kreis derjenigen gehören, die Wissenschaft betreiben.59

 Wesen. Wir möchten gerade zeigen, dass der Roboter nicht existiert, dass er ebenso wenig eine Maschine ist, wie es sich bei einer Statue um ein Lebewesen handelt, sondern dass er bloßes Produkt der Einbildung ist, Produkt fiktiver Fabrikationen, Produkt der Illusionskunst.“ SIMONDON 2012 [1958], 10. Es geht um Aufklärung und Verständnis des ,echten‘ Wesens der Technizität, und trotz der Blindheit gegenüber kapitalistischen Mechanismen könnte man einen frühen Vorläufer von Latours symmetrischer Anthropologie erkennen: „Weit entfernt davon, der Aufseher eines Trupps von Sklaven zu sein, ist der Mensch der ständige Organisator einer Gesellschaft der technischen Objekte, die seiner bedürfen, wie Musiker eines Dirigenten bedürfen. [...] Er ist mitten unter den Maschinen, die mit ihm handeln und wirken.“ (11). 59 Lem bezeichnet Wissenschaftler in „Der Unbesiegbare“ apostrophiert als Machtzentrum, versammelt in einer Ordnung mit Stammplätzen: „Eine Viertelstunde später saßen sie bereits in dem großen, quadratischen Saal, hinter dessen bunten emaillierten Wänden Bücher und Mikrofilme untergebracht waren. [...] Jeder hatte hier seinen Stammplatz. Der Biologe, der Arzt, der Planetologe, die Elektroniker und die Nachrichtentechniker, die Kybernetiker und die Physiker saßen im Halbkreis in ihren Sesseln. Diese neunzehn Männer bildeten das strategische Hirn des Raumschiffes.“ LEM 1995 [1964], 70. „Trotz aller Bindungen zur Besatzung bildeten die Wissenschaftler an Bord eine Art ‚Staat im Staate‘ und richteten sich nach einem ungeschriebenen Verhaltenskodex.“ (129). Er besagt, zuerst (und immer) jedes Fragestellung und jede Hypothese nur mit Kollegen zu besprechen, und nicht an außerwissenschaftlich angesiedelte (Macht-)Personen zu kommu-

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... oder ein Beitrag zu den Science Studies? Basierend auf der Diskursivierung der Nanotechnologie mit einer wissenschaftlichen Einführung, einer angehängten Literaturliste wissenschaftlicher Publikationen, und nicht zuletzt auf der diegetischen Aussage, ist das, was 2002 veröffentlicht wird, explizit keine Science Fiction. Aber was ist es dann? Ginge es um echte Wissenschaft, wäre die Erzählung ein Fall für die Science Studies und man könnte mit Latour60 sagen: Nanotechnologie wird erzählerisch als technosozialer Hybrid, als technosoziales Mischwesen61 inszeniert, dessen Herstellung, Erfindung, Produktion, Wirkungsweise sowohl das Leben der Protagonisten beeinflusst (soziale Konsequenzen nach sich zieht), als auch als ein selbst mit einer sozialen Dimension versehenes Phänomen begriffen werden muss. Diese Nanotechnologie lässt sich nicht auf (langweilige) Labortätigkeiten reduzieren, sie kann weder auf einen einzigen genialen Erfinder zurückgeführt werden, noch taugt sie in irgendeiner Hinsicht als Statussymbol. Der Prozess ihrer Entwicklung ist nicht auf das Forschungspersonal einer Firma beschränkt. Die Nanoagenten sind gleichzeitig begehrtes Objekt zur Kapitalvermehrung, begehrte Waffen in den Händen von Militärs, und nehmen als assoziierte Einheit mehrfach die ‚Form‘ eines Menschen an und durchdringen die Körper mehrerer Protagonisten (Julia spielt dabei eine herausragende Rolle). Ohne die Technologie gäbe es keine Handlung, sie ist auf der Ebene der Diegese direkter

 nizieren. Schwächer dagegen Frankes sprachfokussierte Analyse: Zurückgehend auf „Terminologien und Formelsprachen“ wurden Wissensgebiete „zum Tummelplatz von Eliten, die mit ihrer Sonderstellung gar nicht so unzufrieden waren“, FRANKE 1980, 48. 60 LATOUR 1995 [1991]. 61 Der Begriff lautet bei Latour „Kollektiv“, LATOUR 1995 [1991], 11, 23 und 143f. Dieser Kollektivbegriff wird zunächst nicht verwendet, er verbleibt überwiegend in der ‚reinen‘ sozialen Semantik von Link. Allerdings lässt sich nicht vermeiden, dass der Latoursche Kollektivbegriff in die Semantik des Kollektivsymbols diffundiert, insbesondere, wenn Sprache und Bilddarstellungen als technisierte, digitalisierte verstanden werden. Latour ist wichtig, weil es um Methode und Hybridformen geht: aus der Perspektive derjenigen, die Literatur und Sprache aus strategischen Gründen zunächst für existente Gegenstände hält und Nanotechnologie für ein interdisziplinäres Quasi-Objekt. Die Frage ist sozusagen: Wie entwirft man Sprache und Literatur angesichts der Nanotechnologie, die als multipel heterogenes Latoursches Kollektiv bezeichnet werden kann? Anders gesagt: das Wesen, das ich verfolge, taucht nicht nur in der Epistemologie, den Sozialwissenschaften und der Semiotik auf, sondern auch in den Science Studies (12). Latour verwendet an mindestens zwei Stellen das Adjektiv ,kollektiv‘ im Sinne einer rein gesellschaftlichen oder sozialen Semantik, so, wie die Gemeinsprache es in der Durchsetztheit mit soziologischem Wissen vorgibt (10 und 14).

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und indirekter Akteur, aber auch auf der Ebene der Narration. Der nanotechnologische Schwarm ist als figurative Fiktion gleichzeitig sozial und technisch, er kann menschliche Gestalt annehmen, agieren und hat einen ungeheuer prägenden Effekt („impact“) auf die dargestellten Figuren und ihr Leben. Aus dem Einfluss und der Verbindung mit ihnen, aus autonomer Eigenaktivität der Technoagenten, ihrem wirtschaftlichen und militärischen Machtpotential entwickelt sich die Romanhandlung: die Nanoagenten bewohnen sowohl Körper als auch Geist der weiblichen Hauptfigur, und nicht nur ihren. Nanotechnologie ist Element in einem komplexen Gefüge aus kapitalistischem Finanzmarkt, wirtschaftlichen Mechanismen und Entscheidungsstrukturen, militärischen Interessen sowie gesellschaftlichen Machtverhältnissen inklusive der sozialen Mikrogefüge mehrerer Familien mit und ohne Kindern – und sie Produkt des wissenschaftlichen Wissens aus verschiedenen Disziplinen sowie gleichzeitig ein Element in ihrem Zusammenspiel. Nanotechnologie wird außerdem als Mischung aus Krankheit, Droge und Dopingmittel semantisiert, die den Körper materiell, geistig und seelisch verändert. Damit wird Nanotechnologie erzählerisch als komplexer technikphilosophischer Entwurf vorgelegt und zusätzlich als komplexes Machtphänomen entworfen. Lässt sich der Paratext und sein Verhältnis zur Erzählung wissenschaftstheoretisch interpretieren? Crichton wird im Paratext als Verfasser von Fiction und Non-Fiction positioniert und als Autorfigur fokussiert, in deren Existenz unterschiedliche Gesellschafts- und Wirklichkeitsbereiche zusammen laufen.62 Das Buchding Prey wird

 62 1983 veröffentlicht er den Ratgeber „Electronic Life“, der Anwendern die in den USA aufkommenden Computer erklärt. – „Jurassic Park“ (1990) ist ein Hybrid von Wissenschaftsentwicklung und literarischer Erfindung. Erzählt wird, wie isolierte DNA von Dinosauriern als Klonelemente benutzt und ‚echte‘ Dinosaurier gezüchtet werden, eine mäßig gute Idee für diejenigen, die mit ihnen direkt zu tun haben. In „Lost World“ (1995) stellt Dinosaurier als soziale Wesen dar, die Brutpflege betreiben, und nimmt eine Hypothese vorweg, die später wissenschaftlich untersucht wird. „Die Zeit“ verwendet das Schlagwort ‚Science Faction‘: „Als hätten sich Forschung und Fiktion heimlich verabredet, meldeten pünktlich zum Kinostart von ‚Jurassic Park‘ zwei Forscherteams, [...] dass sie rund dreißig Millionen Jahre alte DNA aus in Bernstein eingeschlossenen Insekten isoliert und sequenziert hatten. Crichtons Dino-Thriller [...] verhalf [...] der molekularen Paläontologie zu Auftrieb und Ansehen – und indirekt zu Forschungsmitteln. [...] die Beschreibung sozialer Dinos in [...] ‚Lost World‘ dürfte dem tatsächlichen Verhalten der urzeitlichen Echsen näherkommen als die meisten Sach- und Fachbücher. Crichton gibt [...] dem Genre ein neuartiges Vorbild: Science-fiction plus wissenschaftliche Theorien.“ Glaubrecht, Matthias: Science Faction: Wie der Bestsellerautor Michael Crichton der Wissenschaft enteilt. In: Die Zeit, 15.8.97, Ausgabe 34. Glaubrecht verwendet für die Charakterisierung der Vermischung wissenschaftlicher Themen mit Spekulation einen

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zwar als „entirely a work of fiction“ klassifiziert und Crichton beansprucht gemäß dem Urheberrecht das „moralische Recht“, als Autor des vorliegenden Werkes identifiziert werden zu können „asserts the moral right to be identified as the author of this work“.63 Andererseits beinhalten Paratext und Erzählung starke ‚Faktualitätssignale‘, zu denen nicht allein ausufernde Referate der informationstheoretischen Forschungsprogramme des „Artificial Life“ sowie des „Distributed Processing“ in der Erzählung gehören. Auch die Generierung des IBM-Logos aus Atomen ist ein selbstbewusst gesetztes Element der Fiktionen, an die sich der fiktive Protagonist genau so selbstverständlich erinnert wie seine Leserin.64 In diesen Zusammenhang gehört auch, dass ein Teil eines Computerprogramms in die Erzählung integriert wird.65 Mit oder gegen die Transparenzanmutung, die die Fiktion von den Fakten und damit die Literatur von der Wissenschaft getrennt hält, entsteht eine eigentümliche Nivellierung dieser Unterscheidung, eine eigentümliche Diskursivierung des Verhältnisses von Wissenschaft und Literatur. Man könnte sagen, transparent wird, dass es bei Nanotechnologie einen Bezug von Wissenschaft und Literatur gibt, der ausgehandelt werden kann und muss. Kann das von den Science Studies thematisiert werden? Nach Latour sind kursierende Begrifflichkeiten und die wissenschaftlich insinuierten Semantiken für eine Analyse der Macht der Technik ungeeignet, weil diese im Namen der Moderne auf fortdauernden Differenzierungen, und damit einer Reinigungsarbeit, beruhen, die entweder auf Naturalisierung oder Soziologisierung von

 Buchtitel aus dem 18. Jahrhundert: „Seinen sicheren Instinkt für die Verbindung von Dichtung und Wahrheit bewies Crichton [...]“, benutzt also Goethes „Dichtung und Wahrheit“, um das komplizierte Verhältnis von Forschung und literarischer Spekulation zu pointieren. Er greift, würde ich sagen, auf ein Kollektivsymbol zurück: in Dichtung und Wahrheit geht es bekanntermaßen weder um Dinosaurier noch um naturwissenschaftliche Forschung, wohl aber um die diffizile Auseinandersetzung, wie sich Literatur zu dem verhalte, was Realität sei.– 2005 gibt Crichton ein Statement im U.S. Senate Committee on Environment & Public Works zu „The Role of Science in Environmental Policy-Making“, epw.senate.gov/hearing_statements.cfm?id=245655, 160229. 63 CRICHTON 2003 [2002], iv. Mit Angabe des literarischen Genres wird gemäß der geltenden gesetzlichen Bestimmungen wie beispielsweise Urheberrecht dem Käufer signalisiert, dass er zwar das Buch kaufen kann, aber die ökonomische Verwertung des Inhalts dem Erfinder-Schöpfer und dem beauftragten Verlag vorbehalten bleibt. 64 Die entstehende Realitätsanmutung lässt sich mit erzähltheoretischen Mitteln von Genette zwar im einzelnen rekonstruieren, aber es geht eben nicht nur um die Erzählung. 65 CRICHTON 2003 [2002], 287; CRICHTON 2002, 251. In anderen Werken sind Tabellen und andere wissenschaftliche Diskursformen in die Erzählung integriert.

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eigentlich gemischten Phänomenen hinausläuft.66 Ein aufgeklärter Umgang mit der technisch durchsetzten Gegenwart und ihren Problemen entlang der herrschenden wissenschaftlichen Diskurse ist nicht möglich, weil die durch die Wissenschaften okkupierte theoretische Fassung der Welt es nicht erlaubt. Selbst wenn man dem Buchding Prey, das nicht nur ein Roman ist, zugesteht, dass es erzählerisch die Verwicklung und das Ineinander von Technik, sozialen Gruppen und Individualkörpern weitgehend erforscht und beschreibt67, kann man sich nicht ernsthaft darüber streiten, ob die von Latour genannten symmetrische Fallstricke der „Naturalisierung und der Soziologisierung“ vermieden oder gar elegant umtänzelt werden. Es ist wenig sinnvoll, zu fragen, ob eine Erzählung einen klugen Umgang mit den Problemen wissenschaftlicher Entwicklungen der Gegenwart unternehmen kann, die der fundamentalen Kritik von Latour genügt, einfach deshalb, weil ein Roman keine Wissenschaft ‚ist‘. Das Problem ist nur, wie und mit welchen unmodernen Begrifflichkeiten man das Phänomen Nanotechnologie analysieren kann.68

 66 LATOUR 1995 [1991], 88. 67 Insbesondere, wenn man zugesteht, dass Jack, der vehement die Nanoagenten bekämpft, vielleicht längst infiziert ist – ob nicht alle seine Aktionen erfolgen, weil der Schwarm, der ihn bevölkert, eine noch fortgeschrittenere evolvierte Version ist. In einer retrospektiv als Traum erzählten Szene, von der der Leser annehmen muss, dass es sich um tatsächliches diegetisches Geschehen handelt, erwacht er nachts und beobachtet unbemerkt seine sinnierend im Schlafzimmer stehende Frau, deren Körper von den Nanoagenten wie von einem Tuch bedeckt wird, bevor sie zu Bett geht. „Bei ihrem Anblick drang mir eine Kälte tief in die Knochen. Dann, einen Moment später, glitt das schwarze Tuch auf den Boden und verschwand. Julia, wieder normal, zog sich die Bluse aus und ging ins Bad. Ich wollte aufstehen und ihr folgen, aber ich konnte meinen Körper nicht bewegen. Eine schwere Müdigkeit hielt mich fest, lähmte mich förmlich. Ich war so erschöpft, dass ich kaum noch atmen konnte. Dieses bleierne Müdigkeitsgefühl nahm rasch zu und überwältigte mein waches Bewusstsein. Es war wie eine nahende Ohnmacht, ich schloss die Augen und schlief ein.“ CRICHTON 2002, 85. Jeder Befall einer Person mit partikulären Agenten, der später geschildert wird, verursacht zuerst Atembeschwerden und lähmt das Opfer. 68 Vgl. die Vorschläge zur Analyse von Wissen und Literatur in BORGARDS et. al 2013. – Heckl warnt vor „ernst zu nehmenden öffentlichen Reaktionen“: „Da Nanotechnologie auf die konstruktive Beherrschung von kleinsten funktionellen Einheiten zielt, die zum Teil in biologischen Systemen ihr Vorbild finden, muss man Stellung beziehen, wenn ein Roman wie Prey erscheint. Der Roman könnte Ängste schüren, die Auswirkungen auf den medizinischen Bereich, etwa die nanotechnologisch unterstützte Gensequenzierung, die Genidentifikation oder Gentherapie und letztlich sogar auf die Versicherungswirtschaft haben können.“ HECKL 2004, 134f.

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Ein Szenario einer technowissenschaftlichen Entwicklung, eine Extrapolation eines Technikpotentials, wird diegetisch in einen seelischen, geographischen, sozialen Raum und paratextuell in ‚unsere‘ wissenschaftliche Gegenwart mit ihren Forschungsprogrammen hinein diskursiviert, und zwar nicht fachsprachlich, sondern in gewöhnlicher Gemeinsprache. Fast mantraartig wiederholt Jack vier Mal mit Abwandlung den zentralen Satz: Die Dinge entwickeln sich nie so, wie man denkt: „Things never turn out the way you think they will“, zu Beginn gleich zwei mal hintereinander.69 Die Diskursivierung einer unabsehbar raumgreifenden Technologie erfolgt nicht nur auf der Ebene der Erzählung, von der sich ein informierter, naturwissenschaftlich gebildeter, aufgeklärter Leser distanzieren kann, weil die ‚Potentialität‘ der Nanotechnologie im erzählerischen Entwurf festgelegt, ‚stillgestellt‘ und ausformuliert ‚gebannt‘ ist.70 Ihre Potentialität wird betont, weil das Buch zwar eine diffizile Unterscheidung von Kommentar, Roman und Paratext unternimmt, sie aber mehrfach unterläuft. Nanotechnologie kann etwas sein, so die Aussage der Erzählung, die gerahmt wird von einem wissenschaftlichen Paratext. In der Erzählung wird Nanotechnologie im Sinne Latours als Hybrid diskursiviert, der gleichzeitig sozial und technisch ist, ein poetologischer Entwurf, als verschachtelte Diskursivierung in einer Gemengelage unterschiedlicher sozialer, geographischer und anderer Machträume, die in die Gegenwart und Realität hineinreicht. Die ‚reine‘ Diskursivierung außerhalb der Erzählung kann dagegen als schmalspurig und eindimensional bezeichnet werden, aber nur, solange man die metaleptische Figur nicht beschrieben bekommt, bei der die Erzählung gewissermaßen in den Kontext der Realität hineinragt.71

 69 CRICHTON 2003 [2002], 4 und 7. Als Auftakt dient ein erzählerischer Rückblick, der temporal gesehen in den Schluss gehört und die Dramatik der Ereignisse andeutend vorweg nimmt. Er endet mit dem Satz, das erste Großkapitel beginnt mit ihm und wiederholt sich auf Seite 154 und 451. Der Satz bezieht sich explizit auch auf Technikentwicklung. 70 Natürlich wird eine Laborapparatur entworfen und beschrieben, als absurdes Technikding, von dem sich der Leser leicht distanzieren kann. In einem verschachtelten Stahltank-Gebilde, das aussieht wie ein überdimensionierter, starrer und glitzernder Krake, brodelt eine Suppe aus Bakterien, Phagen und Viren: „Zuerst begriff ich gar nicht, was ich da vor mir hatte – es sah aus wie ein riesiger, glühender Krake, der sich über mir erhob, mit glitzernden, geschliffenen Armen“, CRICHTON 2002, 168f (CRICHTON 2003 [2002], 185f). Die Zusammenführung des Nanotechnologie- mit dem Computerdiskurs kann man kollektivsymbolisch an der Figur des Kraken festmachen, der das Symbol für die ausufernde Macht digitaler Datensammlung darstellt (z.B. in James Bond ‚Spectre‘). Aber diese Arbeit konzentriert sich auf eine andere Fragestellung. 71 Metalepse ist in der Erzähltheorie Genettes die Figur, „mit deren Hilfe der Erzähler fingiert, er könne (mit oder ohne seinen Leser) ins diegetische Universum eindringen.“ GE-

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Es geht nicht darum, dass nanotechnologische Forschungsprogramme Bestandteil einer poetischen Logik werden, dass eine Auseinandersetzung mit einem neuen Homo faber bevor steht oder die Fiktion vielleicht verwissenschaftlicht wird, indem sie sich gewissermaßen an Wissenschaft ausliefert und auf sie verweist. Die Frage dieser empirischen Arbeit kreist um Nanotechnologie als theoretisches Problemfeld, bei dem es um einen ästhetisch überformten Zusammenhang von Wissenschaft und Literatur geht. Mich interessiert Nanotechnologie als Technikdiskurs, mit einer, wenn man so will, Semantologie des Raums: ein spezifischer Technikraum wird sprachlich und sprachbildlich in Besitz genommen. Um dies zu analysieren, braucht man eine Methode, mit der sich ein Technikdiskurs einholen und sich raumsemantisch analysieren lässt. Die massive Diskursivierung von Raum, wie sie sich in Prey und vielen anderen Dokumenten findet, soll systematisiert und sichtbar gemacht werden. The Design Turn. Eine wissenschaftliche Revolution im Geiste der Gestaltung Die Potentialität der Nanotechnologie wird auch auf andere Weise diskursiviert. Wolfgang Schäffner veröffentlicht 2010 einen Aufsatz, der, könnte man sagen, die Gefahr, die Crichton in einer bevorstehenden künstlichen Evolution sieht, dadurch bannt, dass er die „Evolution“ mit einem „R“ versieht: „The Design Turn. Eine wissenschaftliche Revolution im Geiste der Gestaltung.“72 erklärt auf zwölf Seiten, dass in den Naturwissenschaften eine „wissenschaftliche Revolution“ stattfindet, die eine Neuorganisation des gesamten Wissens unter dem Paradigma des Designs ermöglicht oder gar erfordert. In den Naturwissenschaften ereignet sich derzeit ein fundamentaler Wandel: Die Analyse der Natur ist an einen (sic) Punkt angelangt, an dem sich die Richtung der Forschung umkehrt [...] man beginnt von ‚Ziegelsteinen‘, von ‚Fenstern‘ und ‚Maschinen‘ zu reden, als befänden wir uns in der künstlichen Welt der Architektur und des Designs.

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 NETTE 2010, 63, Fußnote 32. Die Konstruktion einer gegenwärtigen Gegenwart, die jeden Leser eines späteren Zeitpunktes als 2002 einbezieht und dessen Gegenwart als narrativen Ausgangspunkt zulässt, ist, finde ich, eine Meisterleistung der Fokalisierung und der Metalepse: „Das Verwirrendste an der Metalepse liegt sicherlich in dieser inakzeptablen und doch so schwer abweisbaren Hypothese, wonach das Extradiegetische vielleicht immer schon diegetisch ist und der Erzähler und seine narrativen Adressaten, d.h. Sie und ich, vielleicht auch noch zu irgendeiner Erzählung gehören.“ GENETTE 2010, 153. 72 SCHÄFFNER 2010. 73 SCHÄFFNER 2010, 33.

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Nanotechnologie wird als Forschungspraxis mit universaler Konstruktionsleistung konstitutiert, aber als ‚neue‘ naturwissenschaftliche Praxis angesehen, die die Natur nicht mehr analysiert, sondern mit ihren Verfahren allererst gestaltet. Damit wird sie zu einer Keimzelle und zu einem Vorbild für eine neue interdisziplinäre Wissenschaftskultur unter dem Paradigma der ‚Gestaltung‘. Nicht Analyse sondern Synthese ist das neue Paradigma der Wissenschaften, eine „allgemeine Wende der Analyse der natürlichen Welt zur Synthese, zur Gestaltung, die sich hinter dem verbirgt, was Nanotechnologie genannt wird.“74 Weil sich die Grundlage naturwissenschaftlicher Forschung von der Analyse zur Synthese geändert hat, kann, daran anschließend, in einem emphatischen Sinn das Wissen (fast) aller Disziplinen neu angeordnet werden. Zwar hat die Chemie das grundlegende Verfahren der Synthese – ein Wort, das Schäffner mit Gestaltung reformuliert – schon seit dem 19. Jahrhundert angewendet, aber Nanotechnologie ist trotzdem etwas Neues. Gestaltung, englisch Design, bekommt als integrierende Kraft für die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen eine neue Rolle (nämlich die, die ihr mit diesem Aufsatz zugewiesen werden soll), so dass das Wissen heterogener Disziplinen im Hinblick auf die dringend notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit in einer Wissensarchitektur75 gewissermaßen raumsemantisch entworfen und lokalisiert werden kann. [D]as, was tatsächlich neu ist und was als eine wissenschaftliche Revolution betrachtet werden kann, ist diese allgemeine Wende der Analyse der natürlichen Welt zur Synthese, zur Gestaltung, die sich hinter dem verbirgt, was Nanotechnologie genannt wird. Nanotechnologie ist nicht nur ein Sprung in einen kleineren Maßstab, von der Mikrowelt in eine Nanowelt, sondern es handelt sich um einen qualitativen Sprung, der das gesamte Feld der Naturwissenschaften verändert. Diese Situation kann man als historischen Augenblick verstehen und als Herausforderung für eine Restrukturierung des wissenschaftlichen Wissens im Zusammenhang mit einer neuen Rolle der Gestaltung als einer integrativen Kraft für die unterschiedli76

chen wissenschaftlichen Disziplinen.

Sind es in Prey Nanotechnologie, Biotechnologie und Informatik, die als Technologieentwicklungen konvergieren und in der Kombination eine Nanotechnologie hervorbringen, die in der Fiktion nicht nur Menschen, sondern lebendige Organismen generell bedroht, wird hier eine einfachere Perspektive gewählt. Nanotechnologie ist etwas, das in den Naturwissenschaften stattfindet, und nur ‚dort‘. Eine „wissen-

 74 SCHÄFFNER 2010, 33. 75 Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung BMBF tituliert die (Neu-)Organisation der Forschungsförderung im Forschungsbericht 2014 als: „Eine neue Architektur des Wissenschaftssystems“, BMBF 2014, 21. Gemeint ist vermutlich kein Blockhaus. 76 SCHÄFFNER 2010, 33.

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schaftliche Revolution in den Naturwissenschaften“ ereignet sich, lautet die Diagnose, und die Revolution besteht darin, dass die Naturwissenschaftler mit den Basiselementen der Natur nunmehr „in anderer Weise verfahren“ können.77 In diesem Text erweist sich Nanotechnologie als Ansammlung von „Effekten“, die aus einem wissenschaftlichen Programm resultieren, das bereits 1959 von dem Physiker Richard Feynman verkündet wurde. Der Physiker Richard Feynman präsentierte im Dezember 1959 ein wissenschaftliches Programm, dessen Effekte wir gegenwärtig als Nanotechnologie in allen Bereichen der Natur78

wissenschaften erleben.

 Gedankengang und Befund lauten: Die Naturwissenschaften sind die Leitwissenschaften für alle anderen Wissenschaften. Dort gibt es einen „fundamentalen Wandel“, von Feynman vor mehr als fünfzig Jahren vorhergesagt, der sich nunmehr auf alle anderen Wissenschaften auswirkt. Mit dem Titel ‚There’s Plenty of Room at the Bottom. Invitation to Enter a New Field of Physics‘ stellte Feynman den Schritt auf eine niedrigere operative Skala auf der Ebene der Atome als Programm dar, um Dispositive, Operationen und Strategien zu entwickeln, die es erlauben würden, auf diesem Nano-Level gestalterisch aktiv werden zu können. [...] Alle neuen Möglichkeiten, die Atome und biologischen Funktionen zu verändern und zu reorganisieren, hängen von einer neuen Visualisierung ab, die auf dieser minimalen Ebene an der Basis der natürlichen Welt möglich wird.

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 Nanotechnologie, das ist (=) ein weitreichender Wandel der Wissenschaftskultur: Nun handelt es sich nicht mehr darum, die Prozesse der Natur zu erforschen, sondern darum, wie man mit deren Basiselementen in anderer Weise verfahren kann. [...] Innerhalb dieses neuen wissenschaftlichen Gebiets verbinden sich offensichtlich so verschiedene Disziplinen wie die Physik, die Chemie und die Biologie in völlig neuer Weise. All das, was durch Feynman als mögliches Programm beschrieben wurde, ist mittlerweile realisiert und teilweise sogar überboten.

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 77 SCHÄFFNER 2010, 33. 78 SCHÄFFNER 2010, 34. Warum wird Feynman einmal aus der Online-Version (S. 35) und in Fußnote 17 (S. 45) aus einem materialwissenschaftlichen Band von 2008 zitiert? Handelt es sich um einen Fehler? Ein mögliche Folge wäre, dass die materialwissenschaftliche Quelle ein multidisziplinäres Interesse und Engagement des Autors belegt. 79 SCHÄFFNER 2010, 34f. 80 SCHÄFFNER 2010, 33 und 35.

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Der Wandel in den Leitwissenschaften wird vom Kulturwissenschaftler Schäffner als „historischer Augenblick“ registriert, der nicht etwa gemacht oder konstruiert oder in anderer Weise hergestellt wäre, sondern sich als vorhandenes Faktum paradigmatisch auf alle nachgeordneten und abgeleiteten Wissensfelder und Forschungsbereiche auswirkt. Es entsteht sowohl eine „außergewöhnliche Chance als auch eine historische Herausforderung für eine neue Verbindung von Gestaltung und Wissen“.81 Die Naturwissenschaften ändern sich in Richtung der Ingenieurund Technikwissenschaften und nähern sich der Logik der Gestaltungswissenschaften an, die dadurch die Chance bekommen, die „integrative Kraft“ aller Wissenschaften zu werden. Diese Situation kann man als historischen Augenblick verstehen und als Herausforderung für eine Restrukturierung des wissenschaftlichen Wissens im Zusammenhang mit einer neuen Rolle der Gestaltung als einer integrativen Kraft für die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. [...] [D]iese besonderen Designstrategien, die das Ingenieurwesen seit jeher in fundamentaler Weise bestimmen, sind fundamental für die Wende zum Design in den Naturwissenschaften: Dies ist der tiefere Sinn der Nanotechnologie, mit der sich die Naturwissenschaften in eine neue Vereinbarkeit mit einem ‚engineering‘ begeben.

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 Interdisziplinarität wird möglich, weil sich das Paradigma der Basiswissenschaften (als die die Naturwissenschaften angesehen werden) hin zu „Synthese“ und „Gestaltung“ verkehrt, zu einer Forschungslogik, die dem Gegenstandsbereich zueigen ist, den die Gestaltungswissenschaften, wie beispielsweise die Architektur, seit je bearbeiten. Und dies ist nicht nur programmatisch gemeint: Schäffner und weitere 120 Kollegen arbeiten an der HU Berlin seit 2012 in einem „interdisziplinären Labor“ gemeinsam am Entwurf einer großinterdisziplinären Zusammenarbeit unter dem Motto eines „Design Turn“.83 Im Namen der Nanotechnologie werden fast alle Wissenschaften und fast das gesamte wissenschaftliche Wissen innerhalb einer Architektur des Wissens neu diskursiviert, und zwar so, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit möglich wird, weil die Forschungslogiken konvergieren. Nanotechnologie hat die Vorzeichen für fast die gesamte ausufernde moderne Wissensproduktion geändert. Natur- und Ingenieur-, Geistes- sowie Gestaltungswissenschaften sind die

 81 SCHÄFFNER 2010, 34. 82 SCHÄFFNER 2010, 33 / 37. 83 Exzellenzcluster „Bild, Wissen, Gestaltung“, HU Berlin, 2012 - 2017 mit ca. 28 Millionen  aus der Exzellenzinitiative des Bundes gefördert. Unter dem Titel „Wissen ist Gestaltung“ bewilligten DFG und Wissenschaftsrat in den Laboren für interdisziplinäre Gestaltung in Berlin und Buenos Aires Projekte, die Bilder, Objekte und Wissen als Gestaltungsprozesse untersuchen.

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„vier Sektoren des Wissens, die den elementaren Tetraeder unserer heutigen Wissenschaften bilden“84, Mathematik, Pädagogik, Medizin oder Toxikologie kommen dabei leider nicht vor. Schäffner schlägt vor, die vier Wissenschaftsrichtungen oder Wissenschaftsfelder mit ihren jeweils anderen Methoden räumlich in einer dreidimensionalen Tetraederform anzuordnen, und will dabei explizit die Geisteswissenschaften einbinden, die „normalerweise nicht in den Prozess der kulturellen Produktion eingebunden“ seien. Das historisch-analytische Wissen ist nicht Teil des Gestaltungsprozesses: Es kommt vielmehr immer zu spät, als eine Art posthumer Analyse. Weder im Ingenieurwesen noch in den Naturwissenschaften oder in den Designdisziplinen spielen die Geisteswissenschaften eine fundamentale Rolle, wenn es sich um die Gestaltung neuer Realitäten handelt. Deshalb müssten sich die Geisteswissenschaften im Rahmen eines ‚design turn‘ neu organisieren. Sie könnten dadurch zu einem wichtigen Akteur bei der Produktion der modernen Realität werden und 85

den Status eines analytischen, konsequenzlosen Wissens ablegen.

 Als Kronzeugen und Vorläufer des „Design Turn“ werden für die Geisteswissenschaften Ludwig Feuerbach und Karl Marx genannt, die die „Geste“86 des neuen wissenschaftlichen Denkens und Handelns schon früh gesehen (oder selbst vollzogen?) haben. ‚Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.‘ [...] Die Konsequenzen Feynmans, so wie sie sich schon heute abzeichnen, werden in diesem Sinne diejenigen des Diskursbegründers Marx übertreffen und unsere Welt weit nachhaltiger verändern. Doch handelt es sich dabei nicht mehr um die Schwerindustrie und die damit verbundene Technologie, die mit ihren destruktiven Effekten die Welt überrollte und immer noch zerstört, sondern um eine intelligentere, leichtere und nachhaltigere Form, die ihre Gestaltungs- und Konstruktionsformen der Natur entlehnt, um deren Strategien auf andere Strukturen und deren Transformationen übertragen und nachahmen zu können. In diesem Sinne können die neuen biomimetischen Materialien in exemplarischer Weise als Gestaltungsformen gelten, die sich den natürlichen Strukturen annähern, um sich der in den natürlichen Materialen (sic) und Objekten enthaltenen Intelligenz bedienen zu können. Dabei existiert die alte Differenz zwischen Artefakten und natürlichen Objekten und Materialien längst nicht mehr, insbesondere, wenn es um die Zukunft unserer Objekte geht.

 84 SCHÄFFNER 2010, 34. 85 SCHÄFFNER 2010, 37. 86 SCHÄFFNER 2010, 37. 87 SCHÄFFNER 2010, 38.

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Die Konstatierung eines „Tetraeders der Wissenschaften“ erlaubt den Außenblick auf die gesamte Wissenschaftslandschaft und damit die raum- und wissenschaftssemantisch gesättigte metaphorische Rekonstruktion aller Wissenschaften unter einem neuen Paradigma. Die revolutionäre Nanotechnologie wird als universales Muster einer Gestaltungswissenschaft konstatiert und flugs der „Design Turn“ aller Wissenschaften, inklusive der Geisteswissenschaften, ausgerufen, deren Arbeitsweise und Fachgebiete im Sinne des neuen Paradigmas vermutlich unter Zuhilfenahme von Unternehmensberatern (und nicht im Rückgriff auf Feuerbach und Marx) umgestaltet werden müssen. Damit einher geht die Selbstermächtigung der Design-Disziplin, die aufgrund ihres Forschungsgegenstandes „Gestaltung“ zur neuen Meta-Wissenschaft avanciert. Nanotechnologie als Gegenstand der Literaturwissenschaft Wie kann ein literaturwissenschaftlich aufgeklärter und methodisch geschulter Umgang mit Nanotechnologie aussehen und welcher Ertrag wird erzielt? Wie gelingt der Versuch, die Diskursivierung von Technik und Raum gleichwertig im Blick zu behalten und zu untersuchen? Es geht um die Diskursivierung von Techniken, Wissenschaften und Technikentwicklungen unter einem technologischen Namen, der (sozusagen ‚narrativ‘) einen Raumdiskurs braucht und ihn fruchtbar macht. Die Herausforderung und letztlich die Leistung besteht darin, die konstituierenden Effekte der Raumdiskursivierung für den Nanotechnologiediskurs zu systematisieren und an Beispieltexten, unter anderem an einem Roman, auszuprobieren. Nanotechnologie als Technikdiskurs mit Raumsemantik wird mit Hilfe einer literaturwissenschaftlichen Methodik zugänglich gemacht und untersucht. Die Methode benutzt, wenn es hilfreich ist, Unterscheidungen aus der Erzähltheorie, basiert aber vor allem auf einem Theorieentwurf von Jürgen Link: der generativen Diskursanalyse mit der Analyse von Kollektivsymbolen. Diese literaturwissenschaftliche Methode löst das Problem, ein heterogenes, selektives Textkorpus im Hinblick auf ‚große Figuren‘ lesbar zu machen, und dabei empirisch zu bleiben. Die Frage, wie Nanotechnologie diskursiviert wird, verstehe ich als ästhetisch motivierte. Welche literaturwissenschaftlich identifizierbaren Elemente und Mechanismen spielen für die Diskursivierung eine Rolle? Diese Elemente müssen sich in Texten nachweisen lassen und haben eine ästhetische Qualität, die nur in einer literaturwissenschaftlichen Analyse sichtbar wird. Nanotechnologie kann etwas sein, weil sie in einer Raumsemantik entfaltet wird. Es geht also nicht um das Verhältnis von Realität und Fiktion und auch nicht um die Bewertung der Frage, in welchem Umfang es aufklärend ist, wenn die Fiktion die Realität extrapoliert. Der Vorteil der in dieser Dissertation vorgeschlagenen Perspektivierung liegt darin, dass Diskursivierungen der Nanotechnologie anhand bestimmter Elemente identifiziert und be-

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schrieben werden. Dazu gehört einerseits die Thematisierung von Wissenschaften (Kapitel I.1, I.3 sowie der vierte Punkt der Fallstudien). Die Frage nach den Wissenschaften, die bei der Nanotechnologie als involvierte (oder: nicht-involvierte) benannt werden, ist ebenso wichtig wie die Frage nach der Semantisierung von Raum, die hier unter dem Stichwort der Raumskripte verhandelt wird (vgl. I.3 sowie der letzte Punkt der Fallstudien). Raumskripte werden als raumsemantische Generierungselemente für den Technikdiskurs verstanden und, ebenso wie Wissenschaften, als textstrukturierende semantische Einheiten angesehen: Keine Semantik ohne Eigenlogik. Wird, wie bei Schäffner, eine Revolution der Wissenschaften und der wissenschaftlich durchsetzten Welt beschworen, lässt sich beispielsweise die Betonung des Bottom-Up Raumskriptes erkennen. Die Top-Down Verkleinerungsperspektive sowie das Verständnis von Nanotechnologie als MinimalpartikelTechnologie werden vernachlässigt oder als nicht essentiell zur Nanotechnologie zugehörig zurückgewiesen: Nanotechnologisch erzeugte Autolacke oder Katalysatoren revolutionieren weder die Wissenschaftskultur noch die Welt. Ich weiß nicht, ob, wie weit und warum man einer potentiellen technischen Konstruktionsleistung der Nanotechnologie tatsächlich Glauben schenken darf oder nicht, oder ob Crichton mit der Warnung vor Nanotechnologie als elementarem Bestandteil künstlicher Evolution Recht hat, oder ob, wie Schäffner behauptet, momentan (?) eine Revolution in den Naturwissenschaften stattfindet. Ich nehme zur Kenntnis, dass, wie und wo eine Diskursivierung passiert, und verweise darauf, dass bestimmte Mechanismen und insbesondere Raumsemantiken mobilisiert werden. Die Entfaltung der Zusammenhänge ist Aufgabe der Dissertation.88

 88 Foucault beschäftigt der Zusammenhang von Wissen und Literatur in umgekehrter Richtung. Er bescheinigt Flaubert, mit „Die Versuchung des heiligen Antonius“, ein „Monument gründlichsten Wissens“ geschaffen zu haben, weil sich nachweisen lässt, dass in diesem phantastisch anmutenden Werk sozusagen eine Bibliothek von Wissensdokumenten verarbeitet wird. FOUCAULT 1974a [1966], 157f, hier 159: „Es mag verwundern, dass soviel gelehrte Gründlichkeit einen so starken Eindruck von Phantasmagorie hinterlässt, und mehr noch, dass Flaubert selbst als Sprudeln delirierender Einbildungskraft empfunden hat, was doch so offenkundig der Geduld des Wissens angehörte. Es sei denn, Flaubert hätte hier die Erfahrung einer merkwürdig modernen Phantastik gemacht, die vor ihm wenig bekannt war. Das 19. Jahrhundert hat eine Region der Einbildungskraft entdeckt, deren Kraft frühere Zeitalter sicher nicht einmal geahnt haben. Diese Phantasmen haben ihren Sitz nicht mehr in der Nacht, dem Schlaf der Vernunft, der ungewissen Leere, die sich vor der Sehnsucht auftut, sondern im Wachzustand, in der unermüdlichen Aufmerksamkeit, im gelehrten Fleiß, im wachsamen Ausspähen. Das Chimärische entsteht jetzt auf der schwarzen und weißen Oberfläche der gedruckten Schriftzeichen, aus dem geschlossenen staubigen Band, der, geöffnet, einen Schwarm vergessener Wörter

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Wie kann Nanotechnologie zum Gegenstand einer literaturwissenschaftlichen Analyse werden? Eine „Schlüsseltechnologie“89, die uns eine neue Dimension aufschließt, eine Technologie mit Top-Down oder Bottom-Up Ansatz, Nanopartikel und Nanoschwärme, eine Nanoguitarre und Nanowelt als wissenschaftliche Revolution: all diese Semantisierungen schreien geradezu nach einer ästhetisch informierten Analyse. Aber wie soll sie aussehen? Interessiert man sich für die Bedeutung des Wortes Nanotechnologie, hat dieses wissenschaftlich gesättigte Wort als Wort-Zeichen keine Bezeichnungsfunktion im

 entlässt; es entfaltet sich säuberlich in der lautlosen Bibliothek mit ihren Buchkolonnen, aufgereihten Titeln und Regalen, die es nach außen ringsum abschließt, sich nach innen aber den unmöglichsten Welten öffnet. Das Imaginäre haust zwischen dem Buch und der Lampe. Man trägt das Phantastische nicht mehr im Herzen, man erwartet es auch nicht mehr von den Ungereimtheiten der Natur; man schöpft es aus der Genauigkeit des Wissens; im Dokument harrt sein Reichtum. Man braucht, um zu träumen, nicht mehr die Augen zu schließen, man muss lesen. Das wahre Bild ist Kenntnis [...] die bereits gesagten Worte, die überprüften Texte, die Massen an winzigen Informationen, Parzellen von Monumenten, Reproduktionen von Reproduktionen, die der modernen Erfahrung die Mächte des Unmöglichen zutragen. Nur noch das ständige Raunen der Wiederholung kann uns überliefern, was nur ein einziges Mal stattgefunden hat. Das Imaginäre konstitutiert sich nicht mehr im Gegensatz zum Realen, um es abzuleugnen oder zu kompensieren; es dehnt sich von Buch zu Buch zwischen den Schriftzeichen aus, im Spielraum des Noch-einmal-Gesagten und der Kommentare; es entsteht und bildet sich heraus im Zwischenraum der Texte. Es ist ein Bibliotheksphänomen.” Diese „Kunst siedelt sich an, wo das Archiv entsteht.” (162). Im Hinblick auf Nanotechnologie wird ein (mit aller Vorsicht konstatiertes) digitalisiertes Bibliotheksphänomen untersucht und im Hinblick auf die „gründlichen Institutionen“ beschrieben, „in denen [...] still die langsame, unaufhaltsame Vegetation ihres Wissens heranwächst.“ (161) Am Beispiel der Nanotechnologie kann „eine für unsere Kultur wesentliche Tatsache“ rekonstruiert werden: über das „endlose Raunen des Geschriebenen“, in dem alle literarischen Werke mitmurmeln, stehen diese zu aktueller Wissenschaft und Forschung in Beziehung (162), mit ihnen sind die „Tiefenschichten der Fiktion“ (173) im Spiel, sowie, so möchte ich hinzufügen, auch, und vor allem, ihre Oberfläche, nicht nur der kunstliterarischen Werke, sondern vor allem die des weitgehend digitalisierten, mit unterschiedlichen Wissenschaftssprachen gesättigten elementarliterarischen Diskurses im Sinne Links. 89 Exemplarisch BMBF 2011 und Heckl, der beim G7 Gipfel 2015 für die EhepartnerInnen der Regierungschefs einen Vortrag über Nanotechnologie gehalten hat, welt.de/wissensc haft/article142285970/Dieser-Ball-wurde-auf-dem-G-7-Gipfel-geschossen.html, 160229.

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Sinne eines eindeutigen Lexems.90 Es wird inflationär und ungebrochen in unterschiedlichen Texten und Kommunikationszusammenhängen verwendet. Die Beobachtung, dass raumbezogene semantische Stereotypen wiederkehren und bisweilen gezielt benutzt werden, fungiert als Ausgangspunkt und wird als These für eine Diskursanalyse befragt. Nanotechnologie wird als diskursiv wirksames, hergestelltes Kollektivsymbol mit standardisierter Raumsemantik untersucht. Damit wird Nanotechnologie in einem disziplinenübergreifenden Diskurs platziert, der technische Forschungen und politische Entscheidungen umfasst, und aus unterschiedlich motivierten wissenschaftsdisziplinären und techniktheoretischen sowie aus gesellschaftlichen Diskussionen und Praktiken gespeist wird. Zugrunde liegt die Annahme, dass wissenschaftliche Arbeit selbst, aber auch die Präsentation der Forschung im Rahmen sozialer Funktionen und standardisierter Semantik verortet werden können (oder müssen?). Der Kommunikationszusammenhang der Nanotechnologie ist gewissermaßen ästhetisch überformt. Die Darstellung wissenschaftlicher Arbeit ‚sitzt‘ auf einem bestehenden Symbolhaushalt ‚auf‘, um kommunikativ beabsichtigte Funktionen zu erzielen. Dieser verfügbare Symbolhaushalt steht in einem komplizierten Verhältnis zu den Wissenschaftsdisziplinen und erfährt von dort Ausprägungen und Ausdifferenzierungen.91 Der größere Zusammenhang, in dem der Ge-

 90 Zunächst wollte ich das Wort Nanotechnologie „mit den Schutzhandschuhen der Anführungzeichen“ verwenden, GENETTE 2010 [1998], 158. Ich habe mich aus praktischen Gründen dagegen entschieden und bitte um die Mitarbeit der geneigten Leserin. 91 Dies ist einerseits eine kühne Behauptung, andererseits trivial. Der Zusammenhang zwischen Symbolhaushalt und Wissenschaftsdisziplinen führt dazu, dass es für uns nicht wirr oder unverständlich klingt, wenn Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie bezeichnet wird, die den Vorstoß in eine ‚neue Dimension‘ erlaubt; wir wissen, was gemeint ist oder sein soll, und halten die neue Dimension für etwas, das sich später auf die eine oder andere Weise erfahren oder erfassen lässt.– Hier werden nicht „Visionen“ von Raum diskutiert, die mit dem Ausdruck „(Nano-)Welt“ einher gehen, vgl. Vortrag Ulrike Felt (vormals VIRUSSS Vienna Interdisciplinary Research Unit for the Study of (Techno)Science and Society) „Unser Leben in Nanowelten: Reflexionen über neue technologische Horizonte zwischen hohen Erwartungen und ethischen Herausforderungen“ Berlin 30.6.06, auch bei Feynman die „staggering small world below“. Der Ansatz einer „Welt-VisionenUntersuchung“ bei FERRARI / GAMMEL 2010. Mir geht es darum, den Raumbezug als manifestes Machtinteresse wahrzunehmen und zu beschreiben. Sprechen Fachleute von „neuen Dimensionen“ und der Eroberung des nanotechnologischen Raums oder beschwören eine Schlüsseltechnologie, werden Machtansprüche geltend gemacht. Die Klärung der Raumsemantik der Nanotechnologie erfolgt im Rahmen der Beschreibung dieser Mechanismen. Eine kleine Irritation entsteht, wenn Schlüsseltechnologie semantisiert wird als

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genstandsbereich dieser Arbeit liegt, ist das komplizierte Verhältnis von (kultureller) Symbolik, Wissenschaftsdisziplinen und Technik. Um diesen komplizierten Zusammenhang ein Stück weit zu entwirren, nutzt diese Arbeit am Beispiel der Nanotechnologie eine literaturwissenschaftliche Methode, die mit einem fast ethnographisch zu nennenden Verfahren an ein heterogenes Textkorpus herangeht und eine kollektivsymbolische Strukturierung des Diskurses voraussetzt.92 Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie Welche technisch-wissenschaftlichen Disziplinen sind mit Nanotechnologie beschäftigt und lassen sich ihr diskursiv zuordnen? Die Aufarbeitung des wissenschaftlich-technischen Zusammenhanges, in dem das Wort „Nanotechnologie“ auftaucht, bereitet Schwierigkeiten. Sowohl Chemie, Materialwissenschaften als auch Physik – verschiedene Fachdisziplinen erheben einen Anspruch auf Nanotechnologie und bieten Ausbildungen in diesem Fachbereich an. Erweitert man Nanotechnologie um das Kürzel ‚bio‘, entsteht der Bezug zur Biologie und Biotechnologien wie Gentechnologie, synthetischer Biologie und ‚nachgeordneten‘ Disziplinen wie Bioinformatik. Dieser Befund führt einerseits zu massiven Definitionsschwierigkeiten, andererseits entsteht die Frage nach ihrer sogenannten Interdisziplinarität. Jede klassische Disziplin hat heute eine lange Liste von Forschungsgebieten als Nanotechnologie vereinnahmt [...]. In Chemie, Materialwissenschaft und chemischer Technik zählen dazu typischerweise die Forschung und Entwicklung von Katalyse, ‚molekulare Maschinen‘, Synthese durch ‚Selbstorganisation‘, Polymere und Nanocomposites, Flüssigkeitskristalle, quantenchemische Modellrechnungen und molekulardynamischer Simulationen, KohlenstoffNanoröhrchen, ultradünne Beschichtungen und molekulare Filme, nanostrukturierte Festkörper, Nanopartikel, Wasserstoffspeichersysteme und Brennstoffzellen und so weiter. Physik, Elektrotechnik und Metrologie favorisieren insbesondere Rastersonden- und Elektronenmikroskopie sowie die gesamte Palette von Techniken zur elektronischen und optischen Speicherung von Daten, einschließlich Halbleiterdotierung und lithographischer Verfahren der Chip-Produktion – in Deutschland erhielt anfangs kurioserweise auch die Laserforschung das

 „erarbeitet technische Angebote, für die es noch keine Anwendungen oder Nachfrage gibt.“ NORDMANN 2006a, 23. 92 Als Referenzautor kann Simondon genannt werden, dem es im weiteren Sinn um eine informierte und informierende (Auf-)Klärung des Verhältnisses von Technik und Kultur geht. Allerdings verfolgt er eine andere Fragestellung und hat einen anderen Ausgangspunkt, insbesondere sind wissenschaftliche Disziplinen bei seiner Herangehensweise kein eigens agierender Bereich oder eigenes symbolisches Element, sondern gewissermaßen bereits in der Technik materialisiert und aufgehoben, vgl. SIMONDON 2012 [1958].

46 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Nano-Etikett. Der biomedizinische Bereich positioniert unter ‚Nanotechnologie‘ [...] besonders gerne drug delivery systems (also molekulare Verpackungssysteme, die Wirkstoffe durch den Körper schleusen und lokalisiert freisetzen), biochemische Sensoren und bildgebende Verfahren in der Medizin sowie zunehmend auch Bereiche der Neurophysiologie und Gewebetechnik.

93

 Lässt sich der wissenschaftssemantische Ort für die Nanotechnologie einholen, und wenn ja, wie? In sechs Fallbeispielen wird damit so umgegangen, dass implizit und explizit mitgenannte Wissenschaftsdisziplinen, so weit es geht, benannt und im Verhältnis zueinander beschrieben werden. Damit werden sie grundsätzlich als semantische Einheiten begriffen, die in einem beschreibbaren semantischen Strukturzusammenhang „Wissenschaften der Nanotechnologie“ stehen. Symboltheoretisch gesprochen lassen sich wissenschaftliche Disziplinen als isotopiekonstitutive Aktanten der Nanotechnologie identifizieren (Kapitel I.5).94 Man kann darstellen, wie Nanotechnologie sich in unterschiedlichen Texten zu den wissenschaftlichen Disziplinen verhält, die sie erforschen oder anwenden. Als Beispiel: Wenn Nanotechnologie als fächerübergreifende Schlüsseltechnologie des neuen Jahrtausends bezeichnet wird, wird ausgesagt, dass Grenzen bestehender wissenschaftlicher Disziplinen überwunden werden, die im Textzusammenhang mehr oder weniger genau benannt sind. Damit wird grundsätzlich ein anderer Weg als der der Wissenschaftsgeschichte oder -theorie eingeschlagen, die die Akzeptanz des disziplinenübergreifenden ‚Begriffs‘ nicht erklären kann.95 Zugleich wird auf die Verlegenheit angesichts der wiederkehrenden scheinheiligen Forderung reagiert, dass „Visionen“ von echter Wissenschaft unterschieden werden mögen.96

 93 SCHUMMER 2009, 42. Manche Listen ,zeigen‘ neben bestehenden die erwarteten Nanotechnologien bis 2030, so die VDI-Publikation „Forschungs- und Technologieperspektiven 2030“, ZWECK et al 2015, 128f. 94 Zu wissenschaftlicher ‚Disziplinarität‘ vgl. das Disziplinenregister in BORGARDS et al. 2013, 423 und dortige Forschungsansätze zum Verhältnis von Wissen und Literatur. 95 SCHUMMER 2009, 43 hält dies für möglich: „Tatsächlich lassen sich für fast alle dieser [Vielzahl und Heterogenität von] Forschungsgebiete[n] [...] längere Traditionen nachweisen, die bis weit ins 20. Jahrhundert und oft darüber hinaus zurückreichen.“ Schummer kann die Akzeptanz des disziplinenübergreifenden ‚Begriffs‘nicht erklären. 96 FERRARI / GAMMEL 2010. GAMMEL 2010 indentifiziert die Schaffung einer „Ahnenreihe“ (sc. Feynman) als „Geschichte der Nanotechnologie, die Seriosität und Glaubwürdigkeit verleiht“, und erlaubt, „der Klassifizierung als Science Fiction“ zu entkommen (82). „Eine [...] direkte Verbindung zu Science Fiction Literatur ist [...] inzwischen ein Kriterium, das zum Ausschluss aus dem Kreise ‚seriöser‘ Wissenschaft führt, denn [...] auf Abgrenzung wird genau geachtet.“ (88).

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Nanotechnologie wird als Wort mit indirekter semantischer Verweisfunktion angesehen, das auf Praktiken, Techniken, Wissenschaftsdisziplinen und Raum verweist. Sollte die Vermutung stimmen, dass seine Funktion darin liegt, einem heterogenen Textkorpus und dem dadurch repräsentierten heterogenen Wissen eine hypothetische Identität zu verleihen, erweist sich Nanotechnologie nicht ‚nur‘ als Sprachzeichen, sondern dient als Symbol.97 Die Besonderheit besteht darin, dass Nanotechnologie als Kollektivsymbol angesehen wird, dessen Semantik Aussagen zu Raum, genauer: Aussagen zur Raumerschließung macht. Die Arbeit verfolgt die These, dass aus kulturwissenschaftlicher und diskurstheoretischer Perspektive ‚Nanotechnologie‘ ein Wort oder eine Bezeichnung mit näher bestimmbarer Raumsemantik ist. Die Untersuchungsgrundlage bilden sprachliche Dokumente, die hinsichtlich der raumsemantischen Verwendung der Nanotechnologie befragt werden. Sechs ausgewählte Textzeugnisse unterlegen exemplarisch die Bemühungen um eine semantische Aufarbeitung des Raumes, der mit der und durch die Nanotechnologie konstitutiert wird. Die Leitfragen: Wie wird ‚nano‘ räumlich semantisiert? Wie konstitutiert sich Raum? werden in Auseinandersetzung mit empirischen Textreferenzen untersucht, wobei die systematische Kategorisierung der Raumsemantik des Nanotechnologie-Symbols jeweils in Auseinandersetzung mit den Texten begründet und validiert wird. Um Nanotechnologie theoretisch als Kollektivsymbol anzusehen, wird auf den theoretischen Ansatz und die Forschungen von Jürgen Link zurückgegriffen, der in den siebziger Jahren mit Bezug auf Foucaults Diskursanalyse ein linguistisch gesättigtes Begriffsensemble zur theoretischen Operationalisierbarkeit des Symbolbegriffs entwickelt hat. Seine präzisen Überlegungen und Untersuchungen werden allerdings aus verschiedenen Gründen nicht präzise umgesetzt, sondern dienen als eine Art theoretisches Gravitationsfeld. Wird Kultur als Metabegriff verstanden, unter dessen Schirmherrschaft Semantisierungen von Technik untersucht und interpretiert werden können, lässt sich die

 97 In Zweckentfremdung eines Zitates, in dem es eigentlich um Autornamen geht, könnte man sagen: Der Terminus Nanotechnologie macht das Ereignis eines Diskurses sichtbar, und bezieht sich auf dessen Statut in einer Gesellschaft und Kultur; er hat wie ein Autorname eine „klassifikatorische Funktion; mit einem solchen Namen kann man eine gewisse Zahl von Texten gruppieren, sie abgrenzen, einige ausschließen, sie anderen gegenüberstellen. Außerdem bewirkt [...] (die Verwendung, FN) eine Inbezugsetzung der Texte zueinander. [...] [D]ass mehrere Texte unter dem gleichen Namen laufen, weist darauf hin, dass man zwischen ihnen ein Homogenitäts- oder Filitations- oder ein Beglaubigungsverhätlnis der einen durch die anderen herstellte oder auch ein Verhältnis gegenseitiger Erklärung und Verwendung.“ FOUCAULT 1974 [1969], 17. Die Beobachtung, dass vor allem Techniksymbole „Kollektivsymbole des Wissens“ sind (DREWS et al 1985, 291f), wird sozusagen umgekehrt fruchtbar gemacht.

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Frage nach der Funktionsweise von Raumsemantiken der Nanotechnologie als Spannungsfeld von Technik und Kultur reformulieren. Das Sprechen über Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie, die ‚uns‘ den Vorstoß in eine neue Dimension erlaubt, könnte als kultureller Reiz der Nanotechnologie reformuliert werden, Technik unendlich zu verkleinern und ‚unsere‘ Lebensweisen zu verändern, was ein kulturelles Bedürfnis oder sogar eine kulturelle Notwendigkeit sein könnte (oder ein Mythos des Kapitalismus?).98 Um dem sprachlich komplizierten Zusammenwirken von Institutionen, Wissenschaftsdisziplinen und Fiktionalität auf die Spur kommen, gehe ich von Texten aus, die exemplarisch im Sinne meiner Thesen haftbar gemacht werden. Ich habe mich bemüht, lediglich vorsichtige Schlussfolgerungen zu ziehen, womit Platz für weitergehende Untersuchungen entlang der Vermutung bleibt, dass eine explizierbare, ausdifferenzierte Raumsemantik des Nanotechnologiediskurses die Verschränkung mit Diskursen wie dem der Demokratietheorie oder einen nahtlosen Anschluss an einen Nachhaltigkeitsdiskurs ermöglicht, wie er sich beispielsweise bei Schäffner findet.99

 98 Ein kultureller Reiz als solcher lässt sich nicht an einzelnen Texten verifizieren. Zur Einbindung der Technik in einen erweiterten Kulturbegriff SIMONDON 2012 [1958]. Exemplare von „Schlüsseltechnologie“: (1) Vortrag Heckl, 3.7.03, Reihe „Iconic Turn – Das neue Bild der Welt“ (Felix Burda Memorial Lectures), LMU München, seit 23.8.12 im youtube-Kanal der Hubert Burda Stiftung youtbe.com/watch?v=f61GitkPPHg, MAAR/ BURDA 2004. (2) Wolf-Michael Catenhusen: Nanotechnologie und gesellschaftliche Verantwortung, Ev. Akademie Iserlohn 7.05.06. bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/umwe ltschutz_normung/20060505_umweltschutz_normung__catenhusen_tagung.pdf. (3) Beim BMBF ist Materialwissenschaft Schlüsseltechnologie, weil sie sich mit Nanotechnologie beschäftigt, vgl. II.3, bmbf.de/de/neue-werkstoffe-und-materialien-536.html, 160227. 99 Zum Nachhaltigkeitsdiskurs SCHWARZ 2010, 2004a, 2004b. SCHÄFFNER 2010 verweist auf die „Minimierung des Energieaufwandes“, der sich mit Miniaturisierung verbindet (36) sowie auf die „biomimetischen Materialien [...], die sich den natürlichen Strukturen annähern, um sich der in den natürlichen Materialen (sic) und Objekten enthaltenen Intelligenz bedienen zu können.“ (38) Die Verknüpfung mit Nachhaltigkeit auch bei Heckl, München, 3.7.03, Nachweis vorige Fußnote; Heckl firmiert als „Professor für Nanotechnologie“ am Department Geo- und Umweltwissenschaften, Kristallographie, LMU München, idw-online.de/de/news66081, lectures.iconicturn.de/iconicturn/autoren/? tx_aicommhbslectures_pi1[showUid]=54&cHash=75898ccaf8, beide 160229.



2. Fragestellung Die diskurstheoretische Perspektive setzt voraus, dass Nanotechnologie ein spezifisches Raumwissen hervorbringt. Zur ihr gehört ein Raumdiskurs, der mit einer massiven Bildlichkeit einher geht.1 Aber wie sieht er aus, wie funktioniert er? Welche handlungsbestimmende Räumlichkeit nimmt die Schlüsseltechnologie ein, durch welche Faktoren wird Nanotechnologie räumlich wie semantisiert? Welche Rolle spielen raumsemantische Stereotypen und Standardisierungen im Nanotechnologie-Diskurs? Mit welcher kulturellen Räumlichkeit wird Nanotechnologie konnotiert, und wie lässt sich dies analysieren? Damit wird die meiner Ansicht nach reißerische Frage nach einer (Nicht-)Überschaubarkeit der Macht wissenschaftlicher Bilder aus der „Nanoforschung“ partiell ernüchtert. Die Wissenschaft hat über Jahrhunderte ihre methodischen Werkzeuge schärfen können, mit denen sie Hypothesen, Theorien und experimentelle Befunde kritisch prüfen kann. Aber hat sie bereits das nötige Werkzeug, um Bilder einer wissenschaftlichen Kritik zu unterziehen? Kann sie überhaupt überschauen, wie sich die Macht von Bildern über ihren Entstehungszusammenhang hinaus in Nachbardisziplinen und schließlich der Öffentlichkeit entfaltet? Die Nanoforschung ist ohnehin bereits multidisziplinär.

Literaturwissenschaft wird damit sozusagen zur ästhetischen Sprachbildwissenschaft schlechthin und gesellt sich ungebeten in „das Konzert der Disziplinen“, die bei der Entschlüsselung von Bildern mitspielen dürfen, wobei gleichzeitig gezeigt wird, inwieweit dies geschieht, geschehen kann oder geschehen muss.2 Die Grundannahme lautet: Die Darstellung wissenschaftlicher Arbeit sitzt auf einem bestehenden ausgeprägten und ausdifferenzierten Symbolhaushalt auf, um kommunikative Funktionen erzielen zu können. Wird Nanotechnologie als universelles Zugriffs-

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Die Tagung Imaging NanoSpace – Bildwelten der Nanotechnik am ZiF Bielefeld im Mai 2005 unter der Leitung von Alfred Nordmann, Jochen Hennig und Horst Bredekamp bezeichnet sich als „vierte bedeutende internationale Konferenz“, „die sich dem Themenbereich ,Bildwelten der Nanoforschung‘ widmete.“ uni-bielefeld.de/ZIF/AG/2005/05-11Nordmann.html, acc. 160227.

2

„Um diese neuen Aufgaben bewältigen zu können, bedarf es im Konzert der Disziplinen [...] einer eigenständigen Bildwissenschaft, wie sie etwa im Arbeitsbereich ,Das technische Bild‘ an der Humboldt Universität betrieben wird. Und es bedarf einer philosophisch und historisch orientierten Wissenschaftsforschung, die den Wandel der Wissenschaftskultur nicht nur beobachtet, sondern argumentativ und normativ [! FN] begleitet.“ NORDMANN 2005, 3. Ich versuche eine normative Begleitung zu vermeiden.

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und Manipulationsversprechen eines kleinsten Raumes oder kleinster Dimensionen gewissermaßen zusammengesetzt aus einer Gemengelage diskursiver Bestandteile, speisen sich diese aus unterschiedlichen Praktiken, bei denen die technologischen auch diskursiviert sind (statt einfach zu funktionieren). Nanotechnologie kann Oberflächenbeschichtung oder gezielte Medikamentplatzierung bedeuten, trotzdem wird erfolgreich von einem einheitlichen, technisch determinierten Phänomen gesprochen, das nicht Mikrotechnologie heißt oder synthetische Biologie oder Halbleiterforschung.3 [E]in Ansatz, der nach den Spezifika der Nanotechnologie fagt, [darf] sich gerade nicht auf die Laborsituation und epistemologische Fragestellungen beschränken, da die soziale Konstruktion dieser Felder erst durch die strategische Interaktion der Akteure mit Politik, Medien 4

und Wirtschaft sich erklärt.

Wie kann die Herstellung einer diskursiven Einheit der Nanotechnologie beschrieben werden? Wie lässt sich die Generierung als notwendig raumdiskursive erfassen? Diese Forschungsfrage ist in einem Fragenkreis platziert, der sich dafür interessiert, was die unterschiedlichen Techniken, die unter dem Namen Nanotechnologie verhandelt und beforscht werden, aus kultureller Perspektive gemeinsam haben. Wie lässt sich die ästhetische Qualität der Sprache einholen, wenn sich Forschung und Wissenschaft mit Nanotechnologie beschäftigen? Der vermeintlich sachliche Verweis auf einen gemeinsamen Raumbezug neuartiger Technologien reicht nicht aus. Wenn Nanotechnologie eine Vielzahl moderner Techniken und wissenschaftlicher Disziplinen samt Hochtechnologieforschung umfasst, steht der Verdacht der

 3

Eine autopoietische Anspielung: Halbleiterforschung (engl. Semiconductor) wird auch als „Nanooptoelektronik“ betrieben. Das überregionale „Kompetenzzentrum NanOp zur Erforschung der Anwendung von Nanostrukturen in der Optoelektronik“, Leiter Dieter Bimberg, Institut für Festkörperphysik TU Berlin, wurde „im Rahmen der Kompetenzzentren-Initiative des BMBF [...] 1998 ins Leben gerufen“, GLAUNER et al 2006, 73, Förderkennzeichen 13N7438. Später leitete es (2007?) als eines von später neun Kompetenzzentren die „Arbeitsgemeinschaft der Nanotechnologie-Kompetenzzentren Deutschlands AgeNT-D“, 2016 koordiniert von der Geschäftsstelle des seit 2003 bestehenden Kompetenzzentrums Ultradünne funktionale Schichten Nano-CC-UFS im Fraunhofer IWS Dresden. 2016 (2000) sind 51 (38) Unternehmen, 10 (14) Hochschulinstitute, 22 (19) Forschungseinrichtungen, 5 (6) Verbände beteiligt. Alte Website ag-nano.de/, aktuell Nanotechnolgy.de/ger/s02.html (idw-online.de/de/news17486), alle acc. 160228. Konstitution und Organisation der Kompetenzzentren in AGeNT-D mit der Nanotechnologieförderung in Dresden (Kapitel II.5) zu verknüpfen, wäre eine Aufgabe für sich.

4

KEHRT 2016, 23.

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Beliebigkeit im Raum: Nanotechnologie könnte alles sein, was gerade in der Spitzenforschung erforscht wird.5 Der Begriff „Nanotechnologie“ bezieht sich auf eine Größenordnung im nanometerskaligen Bereich. Alles, was in dieser Dimension für den Menschen an Analyse und gezielter Beeinflussung und Nutzung möglich ist oder werden könnte, verbinden wir mit dem Begriff.

6

Die schwammige ‚raum-technische‘ Definition sei exemplarisch genannt, weil sie verbreitet und einerseits treffend, andererseits unzutreffend ist. Unzutreffend ist sie, weil sie keine Abgrenzungsarbeit leistet, insofern der Objektbereich sowohl technologisch als auch wissenschaftlich uneingrenzbar ist. Zutreffend ist sie, weil es tatsächlich Bestrebungen bezüglich allgemeiner raum-technischer Definitionen gibt, die revidiert werden können und unabgeschlossen sind.7 Sie beziehen sich auf Standardisierungen des Vokabulars und der Messgrößen, mit dem über Nanotechnologie gesprochen und mit dem sie interdisziplinär beforscht wird. Was bedeutet es, dass ein Set von Techniken und Wissenschaften, mit großen Zukunftsversprechen einhergehend, mit Verweis auf einen gemeinsamen Raumbezug und die Größenordnung Nanometer vereinheitlicht wird? Diese Forschungsfrage wird in systematisch interessierte Fragestellungen unterteilt, die ineinander greifen und an sechs Texten abgearbeitet werden. • •

Welche Funktion haben die konstitutierten Räume, was leisten sie? Welche wissenschaftlichen Disziplinen spielen bei der Konstitution der Nanotechnologie eine Rolle?

 5

„Ois is Nano, ois“, Eingangszitat in KEHRT 2016, ein mundartlicher Satz, angebliche Zusammenfassung eines Gesprächs mit einem Biophysiker 2007 vom bayerischen Kabarettisten Gerhard Polt. – Der Taschenbuchtitel mit Beliebigkeitsverdacht Alles Nano?! Die Technik des 21. Jahrhunderts, BOEING 2004, wird im Hardcover-Titel entschärft: Nano?! Die Technik des 21. Jahrhunderts.

6

Wolf-Michael Catenhusen, ehemaliges Mitglied des deutschen Bundestages, Historiker, 2003-05 Staatssekretär im BMBF: „Nanotechnologie und gesellschaftliche Verantwortung“, Vortrag ev. Akademie Iserlohn, 7.05.06, Bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/umwelt schutz_normung/20060505_umweltschutz_normung__catenhusen_tagung.pdf, 160228.

7

Kapitel I.6 geht auf die Aktivitäten der 1947 in London gegründeten internationalen Standardisierungsorganisation ISO ein, von 2015-17 geführt von Präsident Zhang Xiaogang, mit Sitz in Genf/Schweiz. Die Entwicklung der über 19000 internationalen Standards (2012) der ISO wird von 119 Mitgliedern finanziert (2015). Deutsches Mitglied ist das Deutsche Institut für Normung e.V. DIN, Berlin.

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Welche sozialpragmatischen Leistungen erbringt der Nanotechnologiediskurs in den jeweiligen Texten?

Es geht um die raumkonstituierende, ästhetische Rolle der Sprache in Texten, wobei die „starke symbolische Aufladung als Schlüsseltechnologie“ gewissermaßen die Leitsemantik bildet.8 Dabei kommt es darauf an, jeweils herauszufinden, von welcher Gemengelage diskursiver Bestandteile Nanotechnologie profitiert und wie sich dieser ungemein profitable Vorgang rekonstruieren lässt. Meine diskurstheoretisch ausgerichtete Arbeit untersucht den Forschungsgegenstand als textuell gebundenen und sprachlich manifesten, der gleichzeitig eingeformt ist in eine Gemengelage von Technologien und historisierbaren Fakten, die in mehr oder weniger identifizierbaren Machtformationen eingelassen sind, sie aber auch hervorbringen. Dazu gehören Wissenschaftsdisziplinen und Institutionen, aber auch Anerkennungsmuster, Verkaufsstrategien, historische Ereignisse sowie kulturelle und wissenschaftliche Unterscheidungsmuster und Karriere(n)(pläne). Der gewählte theoretische Ansatz erlaubt die Frage, welche Rolle semantische Stereotypen und Standardisierungen in Diskursen einnehmen und wie sich diese analysieren lassen. In den von Jürgen Link entwickelten Analysekategorien kann man Nanotechnologie als raumgesättigten Interdiskurs ansehen.9 Allerdings bekommt man es bei seinem Theorieentwurf mit der Schwierigkeit zu tun, dass Nanotechnologie eine andere „Technik“ ist als das Heißluftballonfahren.10 Anders formuliert ist bei der Nanotechnologie nicht klar, inwiefern Diskurs und Wissenschaft voneinander abgegrenzt sind und wie beides vom Interdiskurs abgrenzbar wird.11 Da es nicht primär um eine philo-

 8

KEHRT 2016, 13. Nanotechnologie semantisiert er als „vermittelndes und grenzüberschreitendes Berückenkonzept und Bindeglied, das verschiedene Akteure vernetzt und strategisch miteinander in Bezug bringt.“ Die „symbolische Aufladung“ emöglicht „neue forschungspolitische Handlungsmöglichkeiten und Strategien“, die Kehrt untersucht. „Sie erlauben einer großen und nahezu beliebigen Zahl unterschiedlicher Akteure am Nanodiskurs und an den damit einhergehenden neuen Ressourcen und Handlungschancen teilzuhaben – von der universitären Grundlagenforschung über kleine und mittlere Unternehmen bis hin zu multinationalen Großkonzernen.“ Obwohl Kehrt unter anderem Medialisierungsstrategien der Wissenschaftler untersucht (175f), geht es nicht um die „symbolische Aufladung“, die den Nanodiskurs ermöglicht.

9

Link 1993 [1974], 1984, 1983.

10 Die zentrale Untersuchung zur technischen Kollektivsymbolik untersucht das Ballonfahren in Texten des 18. Jahrhunderts, vgl. LINK 1984. 11 Mir erscheint es generell schwierig, Wissenschaften und Diskurse so begrifflich voneinander abzugrenzen, dass ein Interdiskurs als verbindendes Element ermöglicht wird, der nicht Wissenschaft ist und auch nicht Diskurs. Wenn ich den Linkschen Entwurf kritisie-

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sophische Untersuchung geht, werden die Arbeiten von Link als Theorieanleihen herangezogen, aber nicht philosophisch ausdiskutiert. Es wird ausprobiert, was dabei herauskommt, wenn man Nanotechnologie als Technikdiskurs ansieht, der semantisch (sozusagen von kleineren) Kollektivsymbolen bestimmt ist. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, dass der Technikdiskurs Nanotechnologie selbst als „großes“ Kollektivsymbol angesehen wird.12 Diese Untersuchung profitiert indirekt von Fragerichtungen, die sich mit der Metaphorik (natur-)wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse beschäftigen und von der Wissenschaftsforschung und der -geschichte seit einigen Jahrzehnten untersucht werden, beispielsweise Rheinberger 1992, 2001, Sarasin 2002, 2003, Hänseler 2009. Diese Arbeiten leisten eine wichtige Verschiebung der Perspektive und damit der formulieren kulturwissenschaftliche und technikhistorische Perspektivierungen, die im Umgang mit einem modernen technischen Lebens-, Denk- und Arbeitszusammenhang entstehen und beantwortet werden sollten. Auch diese Arbeit unterwirft sich einem Aneignungs- und Verstehensprozess, der bezüglich der Grundbedingungen unserer technikwissenschaftlichen Kultur unternommen wird, weil nicht von vorneherein von einem schicksalhaften Ereignisstrom ausgegangen werden soll.13 Es wird sozusagen im Gebiet der soziokulturellen Analyse von Wissenschaft

 re, liegt das an meiner ungenügenden Auseinandersetzung mit Foucault, und es könnte sein, dass ich Links Arbeiten damit unrecht tue. Vgl. exemplarisch zu Kybernetik und Bionik als Wissenschaften AUMANN 2011, 211f. 12 Die Unterscheidung in große und kleine Kollektivsymbole findet sich bei Link nicht, weil er und seine Kollegen aus gutem Grund von einem synchronen System von Kollektivsymbolen ausgehen, vgl. DREWS et al. 1985.– KEHRT 2016 spricht in seiner Untersuchung mehrfach von der Notwendigkeit, „die Selbstbilder, Topoi und Narrationen der Akteure“ der Nanotechnologie dürften „nicht unreflektiert“ übernommen werden (29) und von „einflussreichen Mythen, Bilder(n) und Erzählungen, die die öffentliche Wahrnehmung der Nanotechnologie bestimmen“ (37). „Anstatt sich den Forschungskontexten und Innovationsprozessen zuzuwenden, werden diskursive Muster und Topoi wiederholt und festgeschrieben, die die Akteure selbst ins Feld führen. Auf diese Weise tragen auch die Geistes- und Sozialwissenschaften aktiv zur sozialen Konstruktion der Nanotechnologie bei.“ (30). Die Frage ist, mit welchen Instrumenten die Geistes- und Sozialwissenschaften den offiziellen, per se metaphorischen Bezeichnungen wie „Schlüsseltechnologie“, im Englischen „key enabling technology KET“, überhaupt begegnen können. 13 Die Aneignung und Verstehensprozesse bezüglich der Grundlagen einer technikwissenschaftlichen Kultur werden mit wechselndem Erfolg und in versetzten Wahrnehmungsschleifen unternommen, vgl. LATOUR 2010 [1997], SIMONDON 2012 [1958], LEM 1995 [1964]. Aber auch, wenn der Boden der Phänomene schwankend, sumpfig oder in Bewegung ist, wir können ihn doch betreten und eine Richtung einschlagen, auch wenn

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und Technik nach einer Form intellektueller Landnahme gesucht und behauptet, dass diese nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Dabei handelt es sich um eine textuell lokalisierbare Makroperspektive auf Nanotechnologie, wie sie Kehrt einfordert. Wissenschaftshistorische und -soziologische Ansätze, die allein auf das Zusammenspiel epistemischer und technischer Objekte fokussieren oder wie beispielsweise Peter/Galison auf die „innere Laborsituation“, verlieren die entscheidenden äußeren, makrostrukturellen Einflüsse aus den Augen. Diese reichen weiter als Rheinbergers Experimentalsysteme, Galisons „inneres und äußeres Labor“, die Akteur-Netzwerke Bruno Latours oder die Wissenskulturen und -maschinen Karin Knorr-Cetinas. Denn wie Dominique Pestre betont, können solch mikroanalytischen Ansätze die entscheidenden weiteren (franz. „plus vastes“) und komplexeren Zusammenhänge der betrachteten Forschungskulturen nicht fassen.

14

Diese literaturwissenschaftliche Fragestellung und Methodik arbeitet unter dem Stichwort der Kollektivsymbolik und nicht der Metaphorik, mit einem zusätzlichen Fokus auf der Digitalisierung von Sprache. Werden Symbole als semantische Strukturgenerierungsinstanzen unterschätzt, sind meiner Ansicht nach Machtverhältnisse bei der Nanotechnologie nicht erfassbar, und Öffentlichkeit funktioniert im Zeitalter digitalisierter Texte anders als davor. In dieser Arbeit könnten auch andere Wissenschafts-Perspektiven einen Platz beanspruchen, beispielsweise aus Linguistik, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie und Wissenschaftstheorie sowie aus der Soziologie, insofern sich diese mit Sprache, Sprachzeugnissen sowie Kommunikation und Machtzusammenhängen beschäftigen. Mit Blick auf Latours Kollektivbegriff wird das Sprachmaterial sowohl als formatiert als auch als formiert begriffen. Angesichts von Suchmaschinen und digitalisierter Schlagwortsuche hat der Zusammenhang von Sprache und Technik eine andere epistemologische Bedeutung als ohne diese Hilfsmittel, die gewissermaßen keine neutralen Hilfsmittel sind. Digital zugängliche Texte und digitalisierte Sprache geben dem Begriff der Technik eine andere Bedeutung als zu einer Zeit rein analog zugänglicher Texte. Bezüglich einer etablierten trennscharfen Klassifizierung der Gegenstandsbereiche von Linguistik und Literaturwissenschaften sei in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnert, dass man aufgrund unterschiedlicher Grade der Formalisierbarkeit und der theoretisch unterschiedenen Gegenstandsbereiche meinen könnte,

 wir dabei manchmal hüpfen müssen oder zum Teil einsinken oder mit den Armen rudernd nach dem Gleichgewicht suchen, und dabei letzlich länger auf einer Stelle verharren als auf einer anderen. 14 KEHRT 2016, 23f.

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Literatur habe nichts mehr mit Sprache und Strukturen zu tun oder aber, dass Sprache als vollständig in Anordnungen von Nullen und Einsen formalisier- und beschreibbare frei von jeglicher Ästhetik sei. Für diese Untersuchung wird die verwendete literaturwissenschaftliche Methode, die nebenbei auch eine philosophische und auch eine sprachwissenschaftliche Methode ist, der Fragestellung angepasst (und nicht umgekehrt).



3. These Die Analyse geht davon aus, dass Nanotechnologie als pluraler Technikbegriff mit einer Vielzahl unterschiedlich konstitutierter Räume arbeiten muss und nicht ausschließlich an einen physikalischen-naturwissenschaftlichen Raum gebunden ist.1 Es handelt es sich bei Nanotechnologie um einen Technikdiskurs und nicht um (eine oder mehrere) Technik(en). Es geht um viele Räume, in denen ausprobiert, erforscht und letztlich Forschung angewendet wird, und darum, wie diese Räume geschaffen werden. Analog dazu gibt es eine Vielzahl von Disziplinen, die sich explizit mit Nanotechnologie beschäftigen (statt einer prädestinierten Wissenschaft). Alle Versuche disziplinärer Zuordnung sind Teil des Diskurses2, ebenso Definitionen und Erklärungen der Frage, was Nanotechnologie ist.3 Leitende These ist, dass die Räume der Nanotechnologie sich diskursiv konstitutieren und drei Typen zuordnen lassen. Diese Raumtypen werden hier als Raumskripte bezeichnet, ein Begriff, den ich gegen Luhmann gern als semantische Raumaneignungsvorschrift reformulieren würde.4 Der Begriff Skript liegt dabei textsor-

 1

Ein Beispiel für die Annahme eines einheitlichen physikalisch-messbaren Raums mit einer Kontinuität der metrischen Skala von Kilometer bis Angström findet sich bei BOEING 2004, 12. Eine Tabelle „Größenvergleich: von makro bis nano“ vereinigt Erde, Mond und die Kugel des Berliner Fernsehturms mit roten Blutkörperchen, Ribosomen und Wasserstoffatomen in einem raumsemantischen Einheitsblick.

2

NORDMANN 2006 über den Materialwissenschaftler Herbert Gleiter sowie KURATH / MAASSEN 2006 zur Toxikologie. In Bezug auf regulatorische Fragen in der EU werden Nanomaterialien und -partikel der Chemie zugeschlagen, beispielsweise in der Chemikalienverordnung REACh, die eine „physical-chemical characterization and analysis“ erfordert. EUROPÄISCHE KOMMISSION 2009, 14.

3

Vgl. Kapitel I.6.

4

Luhmann Verwendung des Skript-Begriffs referiert auf eine ähnliche formal verstandene Funktionsfähigkeit, macht aber einen temporal soziologisch-interdiskursiven Begriffsentwurf mit Bezug auf die Kognitionswissenschaften. Eine textuelle und ästhetische Semantik (Manuskript, Filmskript) fehlt: „Entscheidungen sind auffällige Ereignisse, die zugleich erhellen und verdunkeln, wie die Welt sich bewegt. Wenn man Änderungen auf Entscheidungen zurechnet, kann man leicht übersehen, dass es noch weitere Bedingungen gibt, die eine Problematisierung und Neuinszenierung des Zusammenhangs von Vergangenheit und Zukunft ermöglichen. Wir können dies an Hand des in der kognitiven Psychologie gebrauchten Begriffs des ‚Skript‘ verdeutlichen. Skripts sind Sonderleistungen des Systemgedächtnisses, die regulieren, was vergessen und was erinnert wird. Sie bewahren Schemata auf, die wiederholt verwendet und auf neue Situationen übertragen

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tensemantisch zwischen Rede- und Filmskript. Ein Rede-Skript legt den thematisch-inhaltlichen Verlauf fest und beinhaltet eine Vorstruktur für Thema und intendierte Aussagen. Es fungiert als eine Art sprachlicher Handlungsanweisung, die jeweils in der Rede konkret umgesetzt wird.5 Raumskripte können als Raumaneignungsvorschriften sozusagen Kontexte wechseln und kontextübergreifend angewendet und realisiert werden (keine Semantik ohne Eigenlogik). Beim Film oder Theater ist das Skript der Entwurf für einen komplexen Darstellungszusammenhang, dessen multifaktorielle Parameter, zu denen sprachliche Elemente gehören können, in mehr oder weniger kontrollierter Realisation vereinigt werden. Es legt wesentliche, aber nicht alle Parameter fest und bestimmt Anordnungen und Verläufe.6 Der Skriptbegriff kann als verkürzte Anweisung verstanden werden, als nicht ultimativ ausdeterminierende Vorgabe mit einer gewissen Konstanz und Beständigkeit. Drei dynamische Raumaneignungs-Prinzipien ermöglichen als unterschiedliche Raumskripte die räumlich konnotierte Aneignung, identifiziert als Top-Down, Bottom-Up sowie ungerichtete Partikularität oder Streuung.7 Durch diese Raumskripte werden im Wesentlichen drei Diskursfelder konstitutiert und mit „Handlungspotentialitäten codiert“8: • • •

Nanotechnik (Nanotechnologie im deutschen Sinn), Nanobiotechnologie (mit einem Zusatz-Diskurs), Nanopartikel.

 werden können.“ LUHMANN 2000, 154f, LUHMANN 1997, 110f, LUHMANN 2002, 141 und 45f. Es geht um kognitionswissenschaftliche Forschungsliteratur von 1977 und 1981. Vgl. Fußnote 14 in diesem Kapitel. 5

Ein Sonderfall wären wissenschaftliche Vorlesungsskripte, in denen Aussagen in einem weitgehend geschlossenen semantischen System gemacht werden, so dass es im Grenzfall keinen Unterschied macht, ob man der Vorlesung zuhört oder das -skript liest.

6

Einige Parameter treten nur in Agglomerationen auf, zum Beispiel im Körper des Schauspielers, oder als Kontraste. Vermutlich sind bei Animationsfilmen die Parameter isoliert kontrollierbar, werden aber während des Entstehungsprozesses angepasst und sind nicht per Skript bereits im vorhinein festlegbar.

7

Ich bin unsicher, ob die Raumskripte kollektivsymbolisch entworfen werden. Das Raumskript Bottom-Up kann nicht nur techniksemantisch verwendet werden, sondern auch für politische Kommunikations- und Entscheidungsprozesse, es wechselt als identifizierbares Raumskript den Kontext. Da es die Bedeutung nicht ändert, müsste es sich um etwas anderes handeln, vielleicht gar um eine „kulturell verbindliche ‚Kerbung‘ des Raumes, durch die Handlungpotentialitäten codiert werden“? DÖRING / THIELMANN 2008, 18.

8

DÖRING / THIELMANN 2008, 18. Mit Zitat von Böhme der Verweis, dass der „gebaute Raum ,Skripte und Choreographien des Handelns‘“ bereitstelle. BÖHME 2005, XIX.

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Diese Diskursfelder unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Raumskripte und verschränken sich als heterogene Diskursbereiche im sprachlichen Konvergenzpunkt Nanotechnologie. Damit folgt die Untersuchung der weiteren These, dass eine Unterteilung in drei Diskursbereiche sinnvoll ist, und dass Raumkonstitution die wichtigste Diskursregel darstellt. Die der Einteilung des Nanotechnologie-Diskurses zugrunde liegende These von drei raumtypologisch unterscheidbaren Diskursfeldern wird jeweils in sechs Textanalysen angewendet und erprobt. Durch die Einteilung in drei Diskursfelder wird eine Systematisierung und Sortierung des Diskurses vorgenommen. Gleichzeitig kommt es zu einer begrifflichen Setzung, die an den Fallstudien und unterschiedlichen Ergebnissen plausibilisiert wird. Der sprachliche Konvergenzpunkt oder der ,Begriff‘ Nanotechnologie wird mit Link als Kollektivsymbol interpretiert. Für dessen Analyse bilden Textdokumente den Zugriffsbereich, wodurch semantische Phänomene in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses rücken. Die Untersuchung der raumskriptgebundenen Diskursfelder der Nanotechnologie wird durch die Frage nach Wissenschaftsdisziplinen ergänzt. Ein physikalischnaturwissenschaftlich messbarer Handlungsraum wird in einen Kontext weiterer Räume eingebettet und kann sich in Relation zu diesen Räumen konstituieren (und umgekehrt). Diese raumlogische Einbettung lässt sich über einen funktional und dezentral verstandenen Machtbegriff als übergreifende Struktur rekonstruieren, die über Kollektivsymbolanalysen aufgeschlüsselt wird. Es wird auch deutlich, inwiefern Wissenschaftsdisziplinen als Kollektivsymbole fungieren (können). Die Studie nimmt an, dass es einen Zusammenhang von wissenschaftlicher Arbeit und kulturell standardisierter (Raum-)Semantik gibt, der das nanotechnologische Forschen und Arbeiten begünstigt. Ein pluraler Technikdiskurs ist durchsetzt mit einer Vielzahl unterschiedlich konstitutierter Räume und nicht ausschließlich an einen (oder den) physikalisch–naturwissenschaftlichen Raum gebunden. Wird Nanotechnologie als Diskurs begriffen, ist jeder Raum, der sich mit der Nanotechnologie in Verbindung bringen lässt, diskursivierter Raum. Nanotechnologie wird damit weder als Technik noch als Gegenstand einer Wissenschaft angesehen, sondern als raumrelationalisierender Diskurs. Nanotechnologischer Raum, das heißt, Raum, in dem Nanotechnologie jeweils tätig und sichtbar wird, muss jeweils erzeugt oder erschaffen werden. Er entfaltet sich, so die These, entlang bestimmter Gesetzmäßigkeiten und funktioniert nicht wie ein selbstverständliches Grundgerüst unseres Daseins. Er wird diskursiviert, ist zurückgebunden an den Diskurs, der ihn trägt oder Diskurse, die ihn tragen. Umgekehrt werden vorhandene Raumvorstellungen diskursiv integriert. Weder allein symbolische noch allein technische Räume zeichnen für Nanotechnologie verantwortlich. Wer nach Rüschlikon in die Schweiz fährt und dort das acht Meter unter die Erdoberfläche gebaute, lärmfreie Forschungslabor – noise-free lab – besucht, das von der ETH Zürich und IBM gemeinsam finanziert

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und im Mai 2011 eingeweiht wurde, betritt eine Art Konvergenzpunkt der Inszenierung nanotechnologischen Raums und begegnet gerade nicht einem eigentlich nanotechnologischen Raum. Das Binnig und Rohrer Nanotechnology Center, dessen Herzstück der abgeschottete, fensterlose, unterirdisch teure Raum ist, in dem ferngesteuerte Experimente stattfinden (sollen), ruht wie auf einem Speckgürtel auf einem umfassenden Nanotechnologie-Diskurs auf, der mit verschiedenen Rauminszenierungen arbeitet. Geht man davon aus, dass Nanotechnologie auf diskursiv konstitutierte Räume angewiesen ist, wäre die zweite Frage, ob und wie diese Räume sich klassifizieren oder beschreiben lassen. Hier wird davon ausgegangen, dass sie sich drei ‚Raumskripten‘ zuordnen lassen. Damit bekommt der Begriff Nanotechnologie einen bestimmbaren semantischen Wert, der nicht beliebig, aber trotzdem nicht ‚bestimmtbestimmt‘ ist. Er bietet Vorentwürfe zur technischen Raumaneignung an.9 Drei Raumskripte Drei Raumtypen, hier als Raumskripte bezeichnet, kommen im Diskurs der Nanotechnologie zum Tragen: Top-Down, Bottom-Up und Partikularität, Streuung oder Dispersion. Als relationale Raumschemata wirken sie wie abstrakt identifizierbare raumgenerierende Prinzipien. Es geht um die Rekonstruktion eines rauminszenierenden dynamischen Kontinuums (Top-Down, Bottom-Up) bzw. Diskontinuums (‚Partikularität‘, Streuung), ohne das techniksemantisch nicht das konstitutiert werden könnte, was als Nanotechnologie bezeichnet wird. Mit einer Formulierung von Link und seinen Kollegen könnte man sagen, dass es sich bei den Raumskripten um das dreifaltige „Basisschema“ handelt, das dem Kollektivsymbol Nanotechnologie

 9

Gammel identifiziert in Texten zur Nanotechnologie Bachtinsche „Chronotope“, die als gesicherte Wissensobjekte der Literaturwissenschaft und Strukturelemente des ScienceFiction Genres angesehen werden. Die Chronotope bilden den strukturellen Zusammenhang der Nanotechnologie mit Science-Fiction, Symbolik kommt nur als unbedeutender Nebenaspekt vor. Im Hinblick auf Prey spricht er von Nanotechnologie als Technik mit einem „symbolischen Charakter (sie könnte auch durch eine andere Technologie ersetzt werden) [...] Allerdings könnte eben dieser Gebrauch der Nanotechnologie als Symbol dazu führen, dass die dargestellten moralisch verwerflichen Handlungen und die daraus entstehenden Gefahren im öffentlichen Diskurs auf die Technologie selbst abfärben: Hier entstehen die Sorgen all derjenigen, die proaktive Gegenmaßnahmen der ‚Imagepflege‘ von Industrie und Regierungen einfordern, damit die Akzeptanz von Zukunftstechnologien nicht gefährdet wird.“ GAMMEL 2010, 89.

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zueigen ist.10 Wichtig ist, dass der Raumbezug der Nanotechnologie die Raumskripte diskursiv konstitutiert und sie nicht als kognitive Grundmuster verstanden werden. In den Fallbeispielen im Hauptteil werden sie jeweils am Schluss diskutiert. Den drei unterscheidbaren Raumtypen werden drei Diskursbereiche zugeordnet, so dass Raumskripte als abstrakte raumgenerierende Prinzipien dafür verantwortlich gemacht werden können, dass heterogene Texte einen homogenisierenden Diskurs generieren. In diesem erscheint Nanotechnologie als wissenschaftliche Praxis, die in einem grundsätzlichen Sinn Raum gestaltet und einnimmt. Durch die Befragung im Hinblick auf Raumskripte wird die Perspektive auf wissenschaftlich-technische Raumerschließungen systematisiert, umgekehrt plausibilisieren die Fallstudien die These zur Systematik technowissenschaftlicher Raumerschließung. Damit wird behauptet, dass Texte, und nicht allein Labor- und Geräteforschungen, eine systematisch begründbare Konstitutionsleistung für den Diskurs erbringen. Die raumkonstituierende Leistung der Texte beruht auf semantischen Strukturmerkmalen, nicht auf historischer Beobachtung oder Rekonstruktion.11 Der ‚Raum‘, den Nanotechnologie einnimmt, in dem sie tätig wird und auf den sie zugreift, ist nicht als ‚natürlicher‘ Lebensraum da oder vorhanden, sondern erweist sich als sprachlich determinierter, künstlich geschaffener.12 Ohne breite Diskussionen und Diskursivierungen keine Nanotechnologie.13

 10 „[B]ei Kollektivsymbolen [ist] zwischen empirischen Okkurrenzen [...] und ihren Basisschemata zu unterscheiden, die das Symbol vollständig umfassen und nur theoretisch konstruiert werden können.“ DREWS et al. 1985, 267. 11 Eine historisch konstituierte Einheitlichkeit der Nanotechnik in BOEING 2004, 11-17. 12 Latour hebt den Gegensatz von Natur und Kultur und damit den Gegensatz von natürlichen und artifiziellen Räumen auf, LATOUR 1995 [1991]. 13 Kehrt bemerkt „massive mediale Aufmerksamkeit und politische Förderung der Nanotechnologie“, die für die Wissenschaftler „neue Karrierechancen, finanzielle Ressourcen“ und „symbolisches Kapital“ erschließe. Dies wird, wie bei SCHÄFFNER 2010, im Umfeld einer Beobachtung eines „Wandels des Wissenssystems“ in Deutschland situiert. Die „primär forschungspolitisch motivierten Strategien markieren einen deutlichen Wandel des Wissenssystems, wenn man sich vor Augen hält, dass der institutionelle Auftrag der Universitäten an sich in der freien Forschung und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und gerade nicht in der Entwicklung Neuer Technologien oder der unmittelbaren Verwertung von Wissen liegt.“ Ich habe gegenüber der historisch perspektivierenden Frage, ob es in Deutschland einen „Wandel des Wissenssystems“ gibt oder nicht, keine Position, mein Verdacht ist nur, dass Ingenieure und Chemiker in der Universität auch früher schon Kunststoffe, Motoren und Antibabypillen entwickelt und, wenn nicht Gold, so doch Insektizide hergestellt haben. Wenn der gesellschaftliche und politische „institutionelle Auftrag“ universitärer Forschung „an sich“ als macht- und anwendungs-

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Raumskript heißt, dass es eine vorgegebene, festgeschriebene oder orientierende Richtung der Raumerzeugung gibt, eine Art Richtungsanweisung für die Entstehung von Raum, der technisch besetzt wird oder werden kann. Der Begriff verweist darauf, dass es sich um ein räumlich motiviertes, kollektiv akzeptiertes (wenn man so will: kulturelles) semantisches Muster oder Schema handelt, das in einem breiten Sinne angewendet und verstanden wird.14 Top-Down, Bottom-Up und Partikularität

 frei angesehen wird, ist das eine theoretische Entscheidung für eine bestimmte Form historischer Perspektivierung. Alle Zitate KEHRT 2011, 331. – Eine „an Foucault orientierte“ Historisierung schlägt Lösch vor, dem es mit einer diskurstheoretischen Untersuchung gelingt, den Nanotechnologiediskurs anhand von „Bildtypen“ in vier historische Phasen zu unterteilen: Aufbruch, Problematisierung, Metaphorisierung, Defuturisierung. Die Phasen dauern, mit Jahreszahlangaben, ungefähr 5, 1 , 3 Jahre und 6+x Jahre, die Phase der Defuturisierung beginnt 2004 und greift offenbar kontinuierlich in die Zukunft und Gegenwart aus, LÖSCH 2010, 118 insbesondere Tabelle 1. Trotz Tabelle und Jahreszahlen sind die Phasen „nicht als sich trennscharf ablösende, sondern als sich überlappende Schichten von Aussagekonstellationen und Bildbezügen zu verstehen.“ (118). „[W]issenschaftliche, wirtschaftliche und massenmediale Diskurse“ sind klar voneinander getrennt, wobei Lösch nur massenmediale Publikationen heranzieht (125). 14 Luhmanns umfangreiches Werk lässt sich dank Digitalisierung und Suchprogrammen auf Stichworte hin durchsuchen, deren Benutzung zu dem Eindruck führen kann, man kenne sein Werk, obwohl das nicht der Fall ist. Über den Server Social Theory soth.alexanderstr eet.com, zugänglich über Bibliotheken und Hochschulen, werden aus 101 Schriften 21 Belegstellen zum Skriptbegriff ausgewiesen, die die Bedeutung von Rede(beiträgen) und kreativem Filmschaffen außen vor lassen. Die soziologische Wortbedeutung ist, wie sollte es anders sein, ausdifferenziert, referiert aber einzig auf eine zeitliche Dynamik, die eingeholt werden soll: Bei Luhmann sind Skripts Zeitschemata. „Als Skript bezeichnet man den Sonderfall einer zeitlichen Regulierung, an der man sich handelnd beteiligen kann. Skripts setzen voraus, dass ihre Komponenten nicht als Zustände, sondern als Ereignisse oder als Handlungen schematisiert werden.“ Luhmann verwendet ,Skripts‘, ein Plural, den er bei Manuskript vermutlich nicht bilden würde, und beruft sich in interdisziplinärer Anleihe massiv auf die kognitive Psychologie: „Wir können dies an Hand des in der kognitiven Psychologie gebrauchten Begriffs des ‚Skript‘ verdeutlichen. Skripts sind Sonderleistungen des Systemgedächtnisses, die regulieren, was vergessen und was erinnert wird. Sie bewahren Schemata auf, die wiederholt verwendet und auf neue Situationen übertragen werden können.“ Damit wird in schöner Interdiskursivität der Wissenschaften ein (als emblematisch im Linkschen Sinne verstandener) kognitiv-psychologischer Skriptbegriff (pseudoanthropologisch) als Analysebegriff für das politische Entscheiden besetzt: „die Konstruktion des Skripts [macht] dessen Komponenten erst zu dem [...], als was sie im Skript fungieren, nämlich zu zeitpunktgebundenen Vorkommnissen.

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/ Streuung werden als semantische Raumordnungsmuster auch außerhalb des Nanotechnologiediskurses verwendet.15 Es handelt sich um kollektiv etablierte Vorstellungen darüber, dass top-down und bottom-up zwei entgegengesetzte Richtungen sind, in denen ein zunächst nicht näher bestimmter Raum in Besitz genommen und angeeignet wird.16 Die kollektiv etablierten Raumskripte können sowohl materiell

 Dabei werden Sachschemata verwendet. Feuerwehr bleibt Feuerwehr, wenn sie alarmiert wird. Aber nur der Alarm, das Ausrücken, das Löschen werden als Komponenten in das Skript aufgenommen. Es geht um die bereits komplexere Schematisierung des Verhältnisses zweier Schemata, etwa ‚Frage und Antwort‘, aber auch und vor allem ‚Ursache und Wirkung‘, also Schemata der Kausalattribution. [...] Als Schematismen der Zeit gehören Skripts zu den unentbehrlichen Ausstattungen des Entscheidens, das sich bemühen muss, die Determination durch Vergangenheit aufzulösen, um sich einer unbekannten Zukunft zu stellen.“ LUHMANN 2000, 155f. In der Pädagogik ist das Skript, das Lehrern vermittelt wird, explizit „keine Handlungsanweisung. So mag man das Skript ,fördere die Selbsttätigkeit des Schülers‘ akzeptieren und trotzdem nicht bereit sein, jede Art von Selbsttätigkeit hinzunehmen.“ LUHMANN 2002, 45. „Man kann [...], wie typisch für Schemata oder Skripts, es dem Einzelnen überlassen, welche Folgerungen daraus zu ziehen sind.“ (141). Skripts dienen in der Wissenschaft der Plausibilitätsgewinnung, respektive der (pseudoanthropologischen) Ideenevolution innerhalb der Gesellschaft: „Plausibilität wird gewonnen durch Verwendung geläufiger Schemata oder Skripts im Sinne der heutigen kognitiven Psychologie. Es handelt sich um Kausalzuschreibungen, die bestimmte Wirkungen auf bestimmte Ursachen beziehen und dadurch moralische Urteile, Handlungsaufforderungen, Bewertungen provozieren. Schemata sind die Form, in die die Kommunikation Urteile gerinnen lässt und Gedächtnis kondensiert. Da aber Schemata ihren Gebrauch in der Kommunikation noch nicht determinieren, da sie jedenfalls nicht schematisch angewandt werden können, erklärt dieser Begriff noch nicht, wie in bestimmten historischen Lagen Plausibilität gewonnen und gegebenenfalls umgearbeitet wird.“ LUHMANN 1997, 547. Für den Verweis auf Luhmann danke ich Niels Werber. 15 Beispielsweise um Entscheidungsprozesse in Firmen zu charakterisieren (bottom-up oder top-down?), oder politisch-soziale Grundsituationen zu benennen (Streuung von Einzelinteressen vs. erkennbare Trends). Beispiele: blog.zhdk.ch/trans/bottom-up/, acc. 160130. Im Interview zur Leistungssportreform 3.10.16, Deutschlandfunk, kritisiert der Sportwissenschaftler Arne Güllich (TU Kaiserslautern) die „DDR-isierung“ der Förderung mit weiteren Annäherungen an Elemente des DDR-Sportsystems, beispielsweise „mit einer zentralen Top-Down-Steuerung in die Verbände hinein“. 16 Allerdings geht es nicht immer, siehe Beispiel, um einen naturwissenschaftlich erschließbaren und als ‚natürlich vorhanden‘ imaginierten Container-Raum, der gegen eine (anarchisch) vereinzelte atomisierte Ausdifferenzierbarkeit stünde. Luhmann verweist beispielsweise auf die in der „,bürgerlichen Gesellschaft‘ nachhaltig gepflegte und mit Auf-

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als auch symbolisch sein, sie wirken je nach Kontext wie Handlungsanweisungen oder -empfehlungen oder -beschreibungen. In den ausgewählten Texten wird ihre Realisierung in Rückbindung an die nanotechnologischen Teildiskurse und damit verbundene Wissenschaftsdisziplinen untersucht. Wichtig ist, dass Raumskripte sprachlich verfasste, semantisch bedeutsame (und daher kollektiv verständliche) Grundmuster sind, die in unterschiedlichen Kontexten einen anderen Sinn realisieren können.17 Sie sollen im Folgenden kurz raumsemantisch rekonstruiert werden. Das Raumskript Top-Down gibt die Richtung von ‚oben‘ nach ‚unten‘ vor. Diese Richtung verbindet die beiden Gegenden ‚Oben‘ und ‚Unten‘, wobei zuerst das Oben da ist und das Unten danach erreicht wird. Die Richtungsanweisung top-down priorisiert das Oben: von dieser Gegend wird ausgegangen. Unten ist die Gegend, die erreicht wird. Insofern das Oben in diesem Raumskript (als Ausgangspunkt) da ist und da sein muss, könnte man sagen, dass sich das Unten nach dem Oben richtet bzw. richten muss. Es ist nachgeordnet und abhängig. Top-Down besagt, dass es eine Verbindung beider Gegenden anhand eines Raumskripts gibt, wobei das ‚Oben‘ das ‚Unten‘ in gewisser Hinsicht determiniert. Die Verbindung zwischen beiden ordnet die Existenz des Unten nach, vielleicht sogar unter, es handelt sich nicht um zwei diskontinuierliche Raumgegenden Oben und Unten, die nicht miteinander in Verbindung stehen. Das heißt nicht, dass das Unten in seiner Erscheinungsweise bereits vorgezeichnet ist, und es gibt auch keine Vorschrift, wie ‚groß‘ oder klein die Gegend des ‚Unten‘ ist. Das Raumskript gibt nur die Richtung einer Entfaltung (oder Entwicklung) vor und schafft damit eine Raumordnung. So verstanden liefert die Verbindung zwischen Oben und Unten eine lineare Bewegung. Die Bewegung selbst muss nicht unbedingt kontinuierlich sein, sondern kann im Prinzip Sprünge machen. Wichtig ist, dass es eine Richtung gibt. Die Verbindung zwischen Oben und Unten bedeutet, dass es sich um einen Raumzusammenhang (genauer: um ein Kontinuum) handelt. Auch wenn die Bewegung stockend, in Abschnitten oder in

 stiegshoffnungen verbundene Vorstellung, man lebe in einer stratifizierten Gesellschaft mit linearen Übergängen zwischen ,unten‘ und ,oben‘“, LUHMANN 1997, 556. Damit ist das Raumskript des Bottom-Up in einer Allgemeinheit benannt, wie es in dieser Untersuchun verwendet wird. LÖW 2001 konstituiert einen relationalen Raumbegriff für die Soziologie: „Raum ist eine relationale (An-)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern.“ (154), was eingeschränkt auch für Wissenschaft gilt: „Wissenschaft bildet nicht die Wirklichkeit des Raums ab, sondern trägt dazu bei, Raum zu konstruieren, wobei dieser Konstruktionsprozess selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht werden kann.“ (220). 17 Die Auseinandersetzung, ob Raumskripte Kollektivsymbole sind, belasse ich für einen späteren Zeitpunkt, um die Entfernung von den Linkschen Begrifflichkeiten nicht noch zu vergrößern.

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Sprüngen verläuft, gibt es einen Zusammenhang der Raumgegenden (und nicht ein disparates Nebeneinander). Durch das Raumskript entsteht Skalierung. Im Prinzip lassen sich über dieses Raumskript unterschiedliche, weiter qualifizierende und qualifizierte Elementarpraktiken legen: eine Größenskala, die einen physikalischen Raum erfasst oder eine Gehaltstabelle für Unternehmensmitarbeiterinnen oder Entscheidungsverläufe in staatlichen Ministerien. Deswegen wird dieser Ausdruck in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. In Bezug auf Technik wird das Raumskript Top-Down als Miniaturisierungsperspektive verstanden und angewendet: Bestehende Techniken oder Technikelemente werden verkleinert, so dass zum Beispiel die gleiche Funktionalität mit weniger Platz auskommt. Eine Unendlichkeit oder unendlich reichende ‚Expansion‘ nach Unten scheint nicht ausgeschlossen, allerdings wird die Bewegung nach unten nicht mit Bodenlosigkeit assoziiert. Nach Unten hin scheint es eine Grenze zu geben, einen Boden und damit eine Begrenzung (wenn nicht gar ein Ende) von Bewegung und Aktivität. Unten ist eine Raumgegend, die eine Grenze zu implizieren scheint und eine Beobachterperspektive erfordert, die außerhalb des Raumskripts stehen müsste, um als gefestigter Fixoder externer Beobachterpunkt die Bewegung zwischen Raumgegenden als solche zu klassifizieren. Wenn eine Bewegung und ihre Richtung nur aus einer externen Beobachterperspektive wahrgenommen werden können, könnte es sein, dass semantisch das Körperschema einer menschlichen Wahrnehmung mit dem Raumskript verbunden ist. Die raumkörperliche Deixis wird aber als Semantik verstanden, deshalb gibt es an dieser Stelle keinen Anthropozentrismus oder Anthropologismus.18 Beim Raumskript des Bottom-Up kehren sich die Verhältnisse verglichen mit dem Raumskript des Top-Down teilweise um. Raum entsteht ‚nach oben‘ hin und wird in dieser Richtung in Beschlag genommen, wobei es eine Verbindung von einem Unten und einem Oben gibt.19 In Bezug auf die Raumgegenden ist diese Ver-

 18 Braucht man einen Beobachter, wenn man den Ausdruck Top-Down verwendet und eine Bewegung von Oben nach Unten wahrgenommen und beschrieben wird? Was mit dieser Arbeit versucht wird, ist eine Beschreibung von Textmechanismen oder besser textuell verifizierbaren Mechanismen, die ohne Anthropologismus auskommt. Zur Kritik der Beobachterperspektive als epistemologischer Position bei DEWEY 2002 [1929], 27. 19 Beispiele für multidisziplinäre Anwendungsmöglichkeiten: „Der Begriff Bottom-up [...] wird in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft, jedoch auch in der Marketing- und Finanzbranche, in der Informatik sowie in der Politik verwendet.“ blog.zhdk.ch/trans/ bottom-up/, acc. 160229. Das Schlagwort Bottom-Up ermöglicht gleichberechtigte transdisziplinäre Forschungen beispielsweise zwischen Kunst und Wissenschaften: „Der Begriff findet [...] vor allem im Kontext von Fragestellungen zu Partizipation und Demokratisierung innerhalb eines transdisziplinären Projekts Verwendung. Er beschreibt einen Ei-

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bindung weniger determinierend und bestimmt und in gewisser Weise offener, man kann sagen, das Unten bestimme das Oben weniger als das Oben das Unten bestimmt. Man kann Aufstieg, Erweiterung und auch Unendlichkeit mit dem Raumskript verbinden, etwas, das man umgekehrt beim Raumskript des Top-Down (Abstieg, Schrumpfen, Beschränkung) nicht ohne weiteres bestätigen kann.20 Nach Oben hin gibt es Berggipfel, Himmel und Sterne, oben sind Superreiche oder ‚Mächtige‘, die Geldberge von Dagobert Duck werden ebenso nach oben aufgetürmt wie Schuldensummen von Staaten. Insofern kann es als expandierend aufgefasst werden, einen Raum nach oben hin, bottom-up zu entwickeln oder entstehen zu lassen. Allerdings bedeutet das Raumskript Bottom-Up das nicht notwendigerweise: wenn es um organisches Wachstum wie zum Beispiel bei einem Baum geht, gibt es Grenzen, die nach und nach erreicht werden, oder Ausformungen, die zu einem Ende kommen, als eine Art Entwicklungsgrenze oder vollständige Ausprägung. Im Fall eines organischen Wachstums ‚determiniert‘ das Unten das Oben, damit wird das Unten ein unverzichtbarer Ausgangspunkt für das Oben. Ein bottom-up Prozess kann eine positive Ermächtigung beschreiben, allerdings würde ich das Unten in diesem Raumskript eher (nur) als einfachen Ausgangspunkt für eine Entfaltung oder die Entstehung einer Richtung ansehen. Dies kann ein Neubeginn sein oder ein Wachstumsprozess in einem Zeitverlauf. Das Raumskript Bottom-Up ist vor allem expansiv, allerdings in einem anderen Sinne als das dritte und letzte Raumskript, das nun vorgestellt wird. Beim Raumskript der Partikularität, Streuung oder Vereinzelung, verhält sich die Sache anders. Partikel sind raumsemantische Vereinzelungen, deren Raumgegend zunächst unbestimmt ist. Sie können herumwirbeln, sich verteilen, aufgebracht werden oder absacken, sie sind Objekte unbestimmter Räumlichkeit, deren Raumgegend sich aus einer Vielheit entfaltet. Es gibt keinen Ausgangspunkt, sondern bekommen mit der Entfaltung einer Raumgegend ihren Ort: sie differenzieren sich von einer Umgebung und können geordnet, teilweise geordnet oder ungeordnet sein. Das Raumskript der Streuung ist das einer räumlichen Unbestimmtheit, man könnte es als ungerichtet offen bezeichnen, das verschiedene, bisweilen unvorhersehbare Raumgegenden ermöglicht. Der entstehende Raum unterliegt der Bewe-

 genauftrag von gleichberechtigten Beteiligten im Gegensatz zu einem Auftrag einer übergeordneten Instanz. Damit in Verbindung steht auch, dass Entscheidungen im Team gefällt werden und nicht von einzelnen Personen oder Parteien.“ 20 Eine literarische Ausarbeitung dieser Frage in Bezug auf einen wissenschaftlich erfassbaren Raum liefert samt eindeutiger Antwort der Roman Solaris, vgl. LEM 2005 [1961]. Die Erforschung eines unendlich verkleinerten Raums ergibt: da ist nichts mehr.

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gungsrichtung der Partikel, entsteht sozusagen mit ihrer Bewegung.21 Andererseits brauchen sie eine Differenzierung von der Umgebung oder ‚Umwelt‘, eine Besonderung, weshalb die Raumgegenden vorgängig oder Antezedens sind. Die Bewegung von Partikeln spielt sich innerhalb verschiedener ‚Pole‘ oder Extremzustände ab: diese ‚Pole‘ sind einerseits Ruhe und exzessive Bewegung, andererseits Ordnung und Unordnung. Indem sich die Bewegung dazwischen abspielt, können Raumgegenden (ab)wechseln und werden qualitativ veränderlich. Beispielsweise können Nanopartikel zunächst in einer Spraydose, dann in der Zimmerluft und anschließend in Lunge und Gehirn sein. Das Raumskript der Streuung durchschreitet oder betrifft unter Umständen verschiedene Raumgegenden, die miteinander nicht vermittelt oder nicht gut vermittelt sind. Dennoch gibt es in diesem Raumskript keine Brüche; es handelt sich immer um eine Art Fließen in der Bewegung, da Partikel in Relation zueinander als identische Erzeugungsmomente der Bewegung fungieren. Dadurch können sich Raumgegenden auch vergrößern, und es gibt ein expansives Moment. Wird die Bewegung der Partikel in einer Ruhestellung fixiert und geordnet, besteht das expansive Moment darin, in diesem Fall ‚heruntergebändigt‘ zu sein auf eine nur noch potentielle Expansion. Das Raumskript der Partikularität oder Streuung ist im stärkeren Maße expansiv und relational als die beiden anderen Raumskripte.22 Es beinhaltet die Abgrenzung von einer Umgebung, egal wie klein und ‚unsichtbar‘ die Partikel sind. Ohne Differenzierung von einem Drumherum bzw. ein Verhältnis von Partikel und Umgebung gibt es keinen Partikel. Im Vergleich zu Top-Down und Bottom-Up als Raumordnungen zwischen Oben und Unten ist dieses Raumskript raumrelationaler und offener. Wissenschaftliche Technik-Diskursfelder vs. Technik Insofern der Gegenstand dieser Arbeit ein Technikdiskurs ist, geht es nicht um eine oder mehrere Techniken, die unter einem Schlagwort zusammengefasst werden. Vielmehr soll die schlagwortartige, sprachliche Verfasstheit von Wissenschaft und Forschungen in die Untersuchung des Phänomens mit einbezogen werden. Die Analyse operiert mit der Annahme, dass es keine von sprachlicher Vermittlung unabhängig existierende Nanotechnologie oder nanotechnologischen Technikfelder

 21 Im ISO Standard von 2013 ISO/TS 17200:2013 (evaluiert im Stadium 60.60) „Nanoparticles in powder form. Characteristics and measurements“ gibt es keine definitive Größenangabe für Nanopartikel: „This Technical Specification does not specify acceptable quantitative criteria for the characteristics because they are subject to agreement between sellers, buyers, and regulators.“ 22 Vgl. zur Debatte um relationale Raumkonzepte in der Philosophie SCHWEITZER 2011, die die Topologie von Michel Serres diskutiert.

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gibt. Mit diesem diskursinteressierten Ansatz wird der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes Rechnung getragen, wobei klar zu sein scheint, dass es um ein Phänomen unter einem mächtigen Schlagwort geht, aber unklar ist, woher dessen Macht rührt, und wie sich diese in der weltweiten Verbreitung in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit näher beschreiben lässt. Auch scheint es kaum möglich, Nanotechnologie in einem materiell-identifikativen Sinn als ‚technisch‘ zu verstehen. Wird sie als Technik oder Ansammlung mehrerer identifizierbarer Techniken angesehen, würde ein externer wissenschaftlicher Blick aus anderen Disziplinen wie Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft genutzt und fruchtbar gemacht werden können, um Nanotechnik systematisch zu problematisieren. Genau das wird auch gemacht, obwohl diese Möglichkeit angesichts einer fehlenden Definition eigentlich ausscheidet (Kapitel I.6). Prospektive Technikfolgenabschätzung, Technikphilosophie und soziologische Begleitforschungen scheitern angesichts einer fehlenden Definition nicht einfach, sondern bringen kraft ihrer Wissenschaftlichkeit und sprachlichen Verfasstheit Ergebnisse hervor, so dass diese Untersuchungen als Teil des Phänomens zu begreifen sind.23 Die Rede von einem Technikdiskurs eröffnet die Möglichkeit, Technik als etwas Infrage-Stehendes anzusehen, das von Begrifflichkeiten, Konzepten und Untersuchungssettings (inklusive institutioneller Gegebenheiten) abhängt, die für die Untersuchung des Phänomens herangezogen werden.24 In den Fallbeispielen wird der Technikdiskurs hinsichtlich dreier Technik-Diskursfelder untersucht. Nanotechnologie ist differenzierbar in Technikdiskursfelder, die sich durch einen je anderen Raumbezug unterscheiden, und sich anhand von räumlichen Großunterscheidungen konstituieren. Die Einteilung in Nanotechnik, Nanobiotechnologie, Nanopartikel spielt eine systematische Rolle, die Diskursfelder systematisieren und sortieren den Diskurs. Vielleicht könnte man sagen, dass eine phänomenologische Typisierung der Nanotechnologie anhand der raumsemantischen Differenz der drei Diskursfelder Nanotechnik, Nanopartikel und Nanobiotechnologie unternommen wird. Die Teildiskurse gewinnen ihre Einheit anhand der unterscheidbaren Raumkonstitutionen in den Kurzformen Top-Down, Bottom-Up und Partikularität. Diese Unterscheidung ist bisher nicht als solche verbreitet und es soll betont sein, dass es sich nicht um Technikfelder handelt, sondern um eine Einteilung von

 23 Eine interessante Diskussion um Technik vs. Technologie bei Boeing. Aus „einem deutschen Ministerium“ kommt die Rückmeldung, man sei angesichts seiner konsequenten Verwendung von Nanotechnik „regelrecht ,in Ohnmacht‘“ gefallen. BOEING 2006a. 24 In Abwandlung eines berühmten Zitats: Es ist mir gleichgültig, ob Nanotechnologie raumgreifende Technik ist oder nicht, ich will wissen, wie das Sprechen über Nanotechnologie funktioniert und welchen Platz die Funktionsweise dieses Terminus beansprucht.

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Technikdiskursfeldern, die streckenweise vielleicht mit einer Unterscheidung von ‚harten‘ Technikfeldern zur Deckung gebracht werden kann. Aber untersucht werden nicht Technikfelder an sich, sondern ausdrücklich diskursivierte Technikfelder. Da die sprachliche Konstitution als untrennbar von den infrage stehenden Techniken angesehen wird und umgekehrt, richtet sich der analytische Blick auf einen als andauernden und beweglich vorausgesetzten Konstitutionsprozess von Technik und Sprache, der durch diese Analyse objektiviert und kommunizierbar wird. Die drei Technikdiskursfelder (1) Nanotechnologie (als miniaturisierte Technik ‚ohne bio‘), (2) Nanobiotechnologie (Nanotechnologie inklusive ‚bio‘, inkl. Sonderdiskurs)25 und (3) Nanopartikel werden in den Fallstudien jeweils zum Schluss behandelt. Es ist wichtig, die drei Technikdiskursfelder nicht als faktisch bestehende und der Untersuchung historisch vorausliegende Unterscheidung anzusehen. Es handelt sich um eine systematische Modellierung anhand der beschriebenen Raumskripte. Zu (1): Nanotechnologie als miniaturisierte Technik ‚ohne bio‘. Dieses Diskursfeld arbeitet überwiegend mit einem Technikbegriff, der sich auf materielle, funktionalitätsinduzierte Produkte bezieht, die in industrieller Fertigung hergestellt werden. Im Rahmen eines technisch ermöglichten Miniaturisierungsprozesses von Forschung und industrieller Anwendung werden verkleinerte materialisierte Techniken unter dem Namen Nanotechnologie vorangetrieben und diskutiert. In der Computerindustrie (Chip-Produktion) und in den dafür relevanten (Grundlagen-) Forschungsdisziplinen entsteht eine Verlagerung von Mikrotechnik hin zur Nanotechnologie (z.B. Nanoelektronik, Halbleiterlitographie). Miniaturisierte Techniken werden als Nanotechnologien bezeichnet, ohne dass es eine diskursive Verbindung zum Diskursfeld Nanopartikel geben muss. Vielmehr geht es um (neue) technisch kontrollierbare und steuerbare Prozesse in einer (als historisch unaufhaltsam voranschreitend konzipierten) Miniaturisierung dessen, was technisch möglich ist. Die Miniaturisierung wird nicht nur mit zeitlicher Effizienz und materieller Ressourcenschonung begründet. Funktionalitäten technischer Endprodukten verbessern sich, technisch wird mehr möglich durch kleinere und schnellere Maschinen und technologische Prozesse. Die leitenden Vorstellungen bei dieser Entwicklung sind ‚weniger ist mehr‘ sowie ‚schneller und kleiner ist besser‘. Der von dieser Nanotechnologie erschlossene Raum ist mehrfach dynamisch. Es geht um Verkleinerung, diese verläuft von der Makrowelt in eine als in sich kohärent vorgestellte Nanowelt, die nach dem Modell der Makrowelt gebildet wird. Die Verkleinerung verläuft prinzipiell linear (kein Zickzack) und mit einer universalisierbaren Richtungsangabe TopDown. Wenn das Unten des Verkleinerungsraums erreicht wird, ist dies das Ende

 25 Die Unterteilung in drei Diskursfelder ermöglicht, die Publikation „Nanobiotechnologien“ von KÖCHY et al. 2008 sozusagen in doppelter Sichtweise im Hinblick auf das Verhältnis zum Nanobiotechnologiediskurs zu lesen.

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eines dynamischen Prozesses, bei dem der Raum sozusagen zum Verb wird. Gleichzeitig gibt es eine Dynamisierung aufgrund einer ausufernden Wirkung in alle bisher schon technisch möglichen Prozesse hinein. Im Diskursfeld einer verkleinerten Technik ist die Toxikologie als „Wissenschaft der Gifte“ nicht präsent. Wenn ein Computerprogramm schneller ablaufen kann, weil die Technologie leistungsfähiger wird, fällt das nicht in das genuine Interessefeld und den Gegenstandsbereich von Toxikologen oder Medizinern. Die Fokussierung auf kleinere, schnellere und billigere Technik steht der Wahrnehmung einer gesundheitlichen Gefahr durch Nanomaterialien und Nanopartikel entgegen.26 Es gibt Bestrebungen, eine eigentliche Nanotechnologie auf dieses Diskursfeld einzuschränken und übersichtlich abzugrenzen. Indem unter dem Namen Nanotechnologie auf rein technische Prozesse, auf reine Technik, sozusagen abseits von biologischen und chemischen Prozessen von Menschenhand kontrolliert erschaffen, verwiesen wird, die eine permanente, geradezu unlimitierte Produkt- und Prozessinnovation ermöglichen, wird der Nutzen für Konsumenten und die Wirtschaft fokussierbar. Mögliche Gefahren und ihre Reflexion werden durch die begriffliche Einschränkung auf reine Technik an Begleitforschung delegiert, die in vermeintlich technikfernen wissenschaftlichen Disziplinen wie Soziologie und Philosophie stattfindet.27 Nanotechnologie soll eine permanente und wünschbare Verbesserung all

 26 „Die Toxikologie untersucht potenzielle schädliche Einwirkungen von chemischen oder physikalischen Agenzien auf biologische Systeme. [...] Für die Toxikologie stellt sich durch den Eintritt in das sich erst formierende Feld der Nanowissenschaften und –technologien [...] nicht nur die Frage, welches ihr Beitrag zum aktuellen gesellschaftlichen Diskurs über potenzielle mit Nanowissenschaften und -technologien in Verbindung gebrachte Risiken ist, sondern [...], wie weit dies ihre disziplinäre Identität beeinflusst. Ist sie oder wird sie eine der konstitutiven Nanowissenschaften oder -technologien?“ KURATH / MAASEN 2006, 399f. Bisher wurde Toxikologie als „Wissenschaft der Gifte” (403f) trotz bester Voraussetzungen nicht die neue Nanowissenschaft. Sie ist „als wissenschaftliche Disziplin [...] durch die Orientierung an extern definierten Problemen wie z.B. der Bereitstellung handlungsleitender Konzepte für die Regulierung toxischer Chemikalien geprägt“. (400) „Der klassische Toxikologe ist meist ein Biologe, Biochemiker, ein Biophysiker, ein Pharmakologe oder Bioingenieur. Und die Epidemiologie setzt sich zusammen aus einer rein mathematischen Disziplin, insbesondere Statistikern und Epidemiologen, die einen medizinischen oder einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben, zum Beispiel Physik oder Chemie, aber vor allem Medizin.“ (406). 27 Plus ein Spielverderber: „Die Toxikologie wird in der Regel als Bremse und als Spielverderber angesehen. Die Toxikologie schaut sich Implikationen an, die der Techniker / Ingenieur nicht unbedingt im Visier hat, die jedoch für ihn von großer Bedeutung sein können. [...] Die Zusammenarbeit der Entwickler mit denjenigen, welche die Implikationen

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dessen vollbringen, was ‚uns‘ als ‚Menschen‘ an ‚Technik‘ zur Verfügung steht, um (‚unsere‘) vielfältige(n) Ziele und Zwecke zu erreichen.28 Dieser rein technisch definierte Raum ist der einer extremen Miniaturisierung, das Raumskript Top-Down benennt die Richtung, die einen gesteuerten Technikentwicklungsprozess im Hinblick auf die Endprodukte beschreibt, von einer Makroebene aus hinunter in eine Mikro- und weiter in eine Nanoebene hinein. Als Ziel dieser Neuentwicklungen und Forschungen stehen verkleinerte Produkte mit Eigenschaften, die wir aus der Makroebene kennen und wie ,dort‘ beherrschen können. Damit assoziiert ist die Vorstellung einer Entwicklung, die sich in mehrerlei Hinsicht als lineare ausbuchstabieren lässt. Die Verkleinerungsperspektive führt nicht zu ‚neuen‘ Produkten in neuer Umgebung; Greifwerkzeuge und Pinzetten werden kleiner, ebenso Schneidwerkzeuge. Die Vorstellung lautet, dass die Präzision gewissermaßen unendlich zu nimmt und die Kontrolle über die miniaturisierten Geräte genauso schwierig oder nicht schwierig wie in der Makrowelt ist. Man schneidet oder greift schon mal daneben. Es gibt keine umgekehrte Blickrichtung, Technik verselbständigt sich nicht etwa, sondern die Entwicklung verläuft in linearen Bahnen, so wie wir das gerne hätten. Diese Form der Linearität, die sich mit dem Modell des Top-Down verbindet, kann man als Produktlinearität beschreiben: technische Produkte im kleinen Maßstab. Die zweite Form betrifft die Prozesslinearität: verkleinerte Techniken werden durch innovative wissenschaftliche Prozessentwicklungen erschaffen, die nahtlos an vorangegangene Entwicklungen anschließen. Die dritte Form der Linearität betrifft die Umgebungs- oder Problemlinearität: die Verortung der neuen, miniaturisierten Geräte und manipulierbaren technischen Gegenstände geschieht innerhalb einer linear verlängerten Umwelt, deren Erforschtheit und Reaktions- und Interaktionsvermögen mit den technischen Gerätschaften uns nicht vor fundamental neue Herausforderungen stellt. Ein ‚umwelthaftes‘ und gewissermaßen kulturelles Raumkontinuum ‚umfasst‘ sowohl Makro- als auch Nanowelt29, zugänglich über unproblematische Skalierung(en).

 dazu überprüfen, ist dringend notwendig. [...] Akquisitionsstrategien und ihre traditionelle Rolle als Prüfwissenschaft begünstigen den Eintritt der Toxikologie ins Forschungsfeld der Nanowissenschaften.“ KURATH / MAASEN 2006, 411. 28 „Shaping the Future of European Societies.“ EU 2005 (Kursivdruck von mir, FN). Vgl. Saage, Richard: Konvergenztechnologische Zukunftsvisionen und der klassische Utopiediskurs. In: NORDMANN et al 2006, 179-194, 190f. 29 Hinsichtlich der Genauigkeit des Zugriffs seien exemplarisch einige Schwierigkeiten bei der Bewertung von Nanomaterialien aus der Stellungnahme des „Scientific Committee on Emerging and Newly identified Health Risks SCENIHR: Risk Assessment of Products of Nanotechnologies“ zitiert. „One of the main limitations in the risk assessment of nanomaterials is the general lack of high quality exposure and dosimetry data both for humans

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Zu (2): Diskursfeld Nanobiotechnologie: Nanotechnologie ‚mit bio‘ (mit einem Sonderdiskurs über Kristalle).30 Es geht um (vermittelt durch die Vorstellung unbegrenzter ingenieurstechnischer Machbarkeit) eine Art mechanistische Selbstproduktion von künstlichen Artefakten und Lebewesen, die für möglich gehalten wird. Es handelt sich um die Dynamik der Selbstorganisation, wobei dieses Diskursfeld den Raum in Richtung Bottom-Up, also von unten nach oben, in Beschlag nimmt. In Analogiebildung zu biologisch beschriebenen Prozessen des Wachstums handelt es sich bei diesem Technikdiskursfeld um die Vorstellung einer kontrollierten Machbarkeit und Kreation von Materie oder Organismen. Dieser Prozess speist sich im besten Fall, wie bei biologischen Organismen, energetisch selbst und lässt aus einem minimalen oder gar einzigen Impuls eine Welt entstehen, die ‚unseren‘ Wünschen und Bedürfnissen entspricht.31

 and the environment. One of the issues is the difficulty to determine the presence on nanomaterials and properly measure them. [...] differentiation between background and incidental exposure is generally not possible in real life situations as the methods employed mainly measure the presence of (ultrafine) particles and do not discriminate between the different types of particles that may be present.“ EUROPÄISCHE KOMMISSION 2009, Level 3 Questions: Where does risk assessment for nanomaterials now stand?, ec.europa. eu/health/scientificcommittees/opinions_layman/nanomaterials/en/l_3/9.htm#0, 160227. 30 Exemplarisch KÖCHY et al 2008: „Das Paradigma der Miniaturisierung hat längst auch in den Bereich der Life-Sciences Einzug gehalten, nämlich in Gestalt der Nanobiotechnologien – recht junge Querschnittstechnologien aus Physik, Chemie, Biologie und Medizin.“ (9), um auf die „Manipulation oder gar die Neugestaltung der Natur nach dem bottom-up-Prinzip (,shaping the world atom by atom‘)“ (10) als eigentlich bestimmendes Interessefeld zu kommen, zitiert wird in eindimensionaler Bezugnahme die USamerikanische NSTC 1999, als Grundlagenreflexion dient ZWECK 2008, Nanobiotechnologie wird als „Kind der Nanotechnologie“ (25) bezeichnet. 31 Der Physiker Gerd Binnig im Hinblick auf die ‚neu ermöglichten‘ Beobachtungs- und Gestaltungsprozesse: „Der Mensch ist in diesem Moment Zeitzeuge und Gestalter einer zweiten Genesis, einer grundlegend neuen Evolution von materiellen Strukturen, die wir heute noch nicht einmal richtig benennen können. Wir wissen aber, dass wir an dieser epochalen Schwelle stehen, und zwar genau deshalb, weil wir Strukturen zunehmend feiner und raffinierter beobachten und gestalten können.“ BOEING 2004, 7, Vorwort. Diese Äußerung gehört zum Diskursfeld Nanobiotechnologie (und dem Designdiskurs), weil es um „Evolution von materiellen Strukturen“ (sowie um „Strukturen [...] gestalten“) geht. – Köchy verweist hinsichtlich der „Konzeptualisierung lebender Systeme in den Nanobiotechnologien“ auf ein „Wissenschaftsfeature“ im DLF „Nanobiotechnologien – Grenzgang zwischen Leben und Kristall“, 20.11.05 „Wissenschaft im Brennpunkt“, der Poly-

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Die Selbstorganisationsprozesse werden als Prozesse diskutiert, die beliebig ‚vom Menschen‘ initiiert und kontrolliert werden können. Vorbild dieser selbstorganisierten Entstehung von Materie sind Kristalle, deren Wachstum physikalischtechnisch beschreibbar und kontrollierbar ist. Eine Hoffnung von Anhängern der Selbstorganisationsidee ist, dass Nanotechnologie als ‚Technik des Kleinsten‘ auf einer rein materiellen Ebene die Probleme der globalen Ressourcen löst. Es gibt auch die Vorstellung, ein umfassendes ‚Verständnis‘ von Selbstorganisationsprozessen führe zu digitalen Modellierungen, die in Kombination mit einer materiellen Ebene letztlich ermöglichen, übermenschlich zu werden. Die Vertreter dieser Idee berufen sich auf Eric Drexlers „Engines of Creation. The Coming Era of Nanotechnology“ (1986) und werden als Transhumanisten bezeichnet.32 Transhumanisten haben kein Interesse an der Erforschung und Nutzbarmachung von durch Nanopartikel veredelten Materialien und führen lieber eine fast totale Ermöglichungsdiskussion, angetrieben von der Raumdynamik des Bottom–Up. Das Diskursfeld (1) einer reinen, ,anorganisch‘ technischen Nanotechnologie, die bestrebt ist, vorhandene Techniken zu verkleinern, ist von diesem Diskursfeld ebenso unterscheidbar wie das der Nanopartikel. Um es deutlich zu sagen: Zum Diskursfeld Nanobiotechnologie gehört der Forschungs- und Anwendungsbereich von Bio- und Gentechnologien.33

 pen als Modellorganismen für chemisch erklärbare bottom-up-Selbstorganisation eines Gesamt-Organismus aus Einzelzellen darstellt, KÖCHY 2008, 189. 32 „Der Transhumanismus ist eine technizistische Erlösungsreligion, die Transzendenz nicht nur mit technischen Mitteln, sondern auch in radikaler technischer Transformation der physischen, geistigen und sozialen Bedingungen des Menschen sucht, im so genannten posthumanen Zustand.“ „Transhumanisten haben ein existenzielles Interesse an Nanotechnologie als Mittel zur Erreichung persönlicher und/oder kollektiver Erlösung. [...] [Sie sehen] die technische Realisierung der Drexlerschen Nanovision in nächster Zukunft als gesichert an und allenfalls als eine Frage der Zeit.“ SCHUMMER 2006, 270 und 272. 33 Im EU-Projekt NanobioRAISE (Nanobiotechnology: Responsible Action on Issues in Society and Ethics, FP6, 11/05-10/07, federführend TU Delft, Niederlande) erlernten und verbesserten ‚key players‘ aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik strategische Kommunikation zur Nanobiotechnologie in zwei Workshops, den ersten, „Strategic Communication & Applied Ethics in Nanobiotechnology“, März 2007 in Oxford, habe ich ethnographisch motiviert besucht. Inhaltliche Basis war die als Kommunikationsdisaster dargestellte Implementierung der Gentechnologie „GM“, „GMO“. Die Parallelführung von Gen- und Nanobiotechnologie auf Kommunikationsstrategien erweckte den Eindruck, der Begriff wurde gezielt ersetzt; vgl. Fußnote 35, Köchy publiziert als Experte in Biologe und Philosophie sowohl zu Gen- als auch zu Nanobiotechnologie als auch zu Synthetischer Biologie. GMOs sind in 64 Ländern kennzeichnungspflichtig, nano(bio-)techn-

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Kristalle können als Sonderfall des Nanobiotechnologiediskurses angesehen werden, sie gehören zum Raumskript des Bottom-Up, passen aber zunächst nicht zum Diskursfeld. Dennoch gibt es einen integralen Zusammenhang. Drexlers Vorstellung von „molecular manufacturing“ beinhaltet, dass der molekulare Aufbau von Dingen gewissermaßen wie eine (überdimensionierte) Kristallzüchtung funktioniert; er verwendet das Beispiel der molekularen Fertigung eines Raketentriebwerks, das bottom-up wie ein überdimensionaler und komplexer Kristall entstehen soll.34 Für die Nanobiotechnologien konstatiert Köchy einen wechselseitigen Konzepttransfer zwischen Nano- und Nanobiotechnologie und untersucht Metaphern, Modelle sowie Wissenschafts- und Naturvorstellungen, die in der Nanobiotechnologie zum Tragen kommen: mit Bezügen zu historischen, identifizierbaren Modellen aus der Biologiegeschichte, wie dem Polypen-, dem Kristall- und dem Maschinenmodell.35 Laut Köchy gibt es einen fließende[n] Übergang zwischen verschiedenen Sphären [...] [D]ie Konzeptualisierung des Lebens in der Nanobiotechnologie bewegt sich aktuell zwischen „Science“ und „Fiction“, zwischen Vision und realer Anwendung, zwischen Fachwissenschaft und Öffentlichkeit.

36

 ologische Produkte (noch) nicht. Im 2. Workshop „Governance and Ethics of Nanotechnology“, Mai 2008, Brüssel ging es darum, „prepare for the relevant actions in the European Commission’s nanotechnology Action Plan and FP7 Technology Platforms and projects“, es werden proaktive strategische Aktivitäten als wissenschaftliche (?) Lobbyarbeit in das 7. FRP der EU integriert. Vgl. Daniel Bennett, European Federation of Biotechnology, Task Group Public Perception in „Implementing Codes of Conduct“, 7.05.08, ec.eu ropa.eu/research/science-society/document_library/pdf_06/bennett-d-j-presentation_en.p df, 160228. 34 „Obeying these instructions from the seed (which spread through the expanding network of communicating assemblers) a sort of assembler-crystal grows from the chaos of the liquid. Since each assembler knows its location in the plan, it snags more assemblers only where more are needed. This forms a pattern less regular and more complex than that of any natural crystal.“ DREXLER 1986, 60f. 35 Vortrag „Konzeptualisierung lebender Systeme in der Nanobiotechnologie“, 8.3.07 nanobüro (vgl. Anhang); Tagung „Nanobiotechnologien. Anthropologische und philosophische Implikationen“, 18.10.07 in Kassel, veröffentlicht als KÖCHY 2008, ab 194f „Biokristalle“. In „Lebensbegriffe in den Handlungskontexten der Synthetischen Biologie“ werden „drei interagierende Cluster von Lebensbegriffen“ thematisiert, KÖCHY 2014. 36 KÖCHY 2008, 201, eine interessante Einschätzung eines Mitautors vom ersten und zweiten „Gentechnologiebericht. Analyse einer Hochtechnologie in Deutschland“, herausgegeben von der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2005 und 2009.

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Zu (3): Diskursfeld Nanopartikel. Nanopartikel werden als Zusatz zur Verbesserung oder Veränderung bestehender industriell verfertigter Produkte oder Materialien hergestellt. Mögliche Verbesserungen betreffen die Änderung der Eigenschaften von Oberflächen, unter anderem die Versiegelung und Oberflächenhärtung fester Materialien.37 Flüssigkeiten bzw. flüssige Gemische werden durch Zusatz von Nanopartikeln in Fließeigenschaften (Ketchup) oder hinsichtlich intendierter Funktionalitäten (Sonnenschutzmittel) verändert. Außerdem werden Verbrennungseigenschaften von Gasgemischen durch Zusatz gezielt verändert, um beispielsweise mehr Energie aus Treibstoff für Fahr- und Flugzeuge zu gewinnen. Raumlogisch impliziert die Rede von Nanopartikeln, dass sie als massenhaft hergestellte (mehr oder weniger standardisierte) sehr kleine Einzelelemente oder Einzelteilchen in ein räumliches Verhältnis zum menschlichen Körper und zur Umwelt geraten können. Sie brauchen eine Umgebung, innerhalb derer sie sich als unterscheidbare identifizieren lassen. Im Hinblick auf Umwelt oder menschlichen Körper sollen Partikel aufgrund dieser Räumlichkeit, aufgrund einer (wenn auch geringen) Ausdehnung als materialer Verursacher von Effekten angesehen werden können und mit einer nachweisbaren räumlichen Konsequenz agieren, es handelt sich um einzeln nachweisbare Partikel, die als solche lokalisierbar sind und bleiben. Man kann sie in Distanz zum menschlichen Körperraum in der Umwelt nachweisen, aber die Distanz kann zusammenschrumpfen auf eine Null- oder Nichtdistanz, wenn Partikel (wie bei Prey) in den menschlichen Körperraum und seine Stoffwechselvorgänge aufgenommen werden.38 Auswirkungen auf menschliche Körper können nur durch toxikologische Untersuchungen erkannt und abgeschätzt werden.39 Werden Nanoparti-

 37 Kap. II.2, II.3. Am Graduiertenkolleg Kunst und Technik, TU Hamburg Harburg, entstand die Dissertation zu durch Nanokohlenstoffröhrchen veränderte technischen und am Rande ästhetischen Eigenschaften von Kunststoffen,. „Rheological and electrical characterisation of single- and multi-filler polymer nanocomposites“, 2010 veröffentlicht. Tuhh. de/kunstundtechnik/personen/ehemalige-promovierende/jan-sumfleth.html, 160227. 38 KURATH / MAASEN 2006, 408f. Eine Übersicht über die Standardisierungsprozesse der Internationalen-Standardisierungs-Organisation ISO bezüglich der Messung von Nanopartikel-Konzentrationen und bezüglich der Feststellung ihrer Toxizität ist zugänglich über den Standard Katalog der Nanotechnologie-Kommission ISO/TC 229 iso.org/iso /home/store/catalogue_tc/catalogue_tc_browse.htm?commid=381983&published=on&in cludesc=true, acc. 160227. Von 46 erarbeiteten oder in der Erarbeitung befindlichen Standards beschäftigen sich zehn direkt oder indirekt mit dem Toxizitäts-Thema. 39 „Durch ihr Wissen über gesundheitliche und umweltrelevante Implikationen von neuen Materialien und Substanzen und gestützt auf quantitativ angelegte Laborstudien entwickelte sie (sc. die Toxikologie, FN) ein umfassendes Netzwerk für die Messung und Kate-

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kel eingebunden in sogenannte ‚Dünne Schichten‘, tritt der Aspekt der Gefährdung zurück, weil es um neue Effekte in den Materialwissenschaften geht. Dass Nanopartikel ingesamt nicht abseits von Technik stehen sondern als Teildiskurs integriert sind, ergibt sich aus ihrem Verwendungszusammenhang in einem technischen Prozess, beispielsweise unter dem Titel „Nanopartikel machen sauber“: [D]as Saarbrücker Institut für Neue Materialien (INM) stellt Nanopartikel her, die der Umwelt nützen können. [...] [E]in neues Verfahren zur Schwermetallbeseitigung [nutzt] superparamagnetische Nanopartikel [...] die Schwermetalle an[ziehen] und [...] mit einem Magneten aus der Lösung gezogen werden [können]. Die Abscheidung der Schwermetalle ist [...] ein Leichtes. [...] Allein in Deutschland fallen jedes Jahr 150 000 Tonnen schwermetallhaltige 40

Abfälle an.

Superparamagnetische Nanopartikel erscheinen als relevante Akteure innerhalb eines größeren chemisch-technischen Systemzusammenhanges, bei dem sie räumlich als einzelne identifizierbar sind und in räumlicher Vereinzelung und Streuung identifizierbare Eigenschaften haben (unterliegen jeweils der Funktionalität des Superparamagnetismus). Als Partikel sind sie räumlich (ein)gebunden in einen größeren Verwendungsprozess mit umgreifenden Komponenten (Magnete) und räumlichen induzierten Prozessen und Vorgängen („herausziehen“, „Abscheidung“). Die materiell-räumliche Einbindung in gesteuerte Prozesse wird als Nanotechnologie bezeichnet, weil sie auf materiell-stofflichen Nanopartikeln als den Namen spendenden und relevanten Bestandteilen aufbaut. Eine weitere diskursive Technisierung von Nanopartikeln und damit Technikzuschreibung erfolgt über die Einbindung in technische Prüfzusammenhänge. Werden Oberflächen oder Produkte vom Technischen Überwachungsverein überprüft, werden sie als technische Objekte oder Technik diskursiviert.41 Eine Verschiebung der Semantik der Nanopartikel erfolgt, wenn stattdessen von „Nanomaterialien“ geredet wird. Diese gehören trotz der sprachlichen Unkenntlichkeit, die „Material“ für „Partikel“ ersetzt, zum Diskursbereich der Nanopartikel.

 gorisierung der Dosis-Wirkungs-Abhängigkeiten der bedeutendsten industriell verwendeten Stoffe.“ KURATH / MAASEN 2006, 404. 40 BOEING 2004, 136 und 138-139, vgl. Kapitel II.2. 41 Vgl. Kapitel II.2.

 

4. Methode Welche Räume schließt Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie auf? Wie ist es literaturwissenschaftlich möglich, einen national und international mächtigen Technikdiskurs spezifiziert und konkret im Hinblick auf kulturelle Figuren lesbar und im Hinblick auf seine Produktionsbedingungen kleinteilig rekonstruierbar zu machen? Nanotechnologie wird als diskursives Phänomen behandelt, das man mit von Jürgen Link vorgeschlagenen Begrifflichkeiten kollektivsymbolisch untersuchen und als solches interpretieren kann. Mit der Methode wird auf die Frage, wie das technische Selbstverständnis einer Gesellschaft gefasst ist, gewissermaßen ästhetisch aufgeklärt geantwortet. Mit dieser Arbeit, die sich mit der Bildlichkeit der Sprache über Nanotechnologie auseinandersetzt, wird im besten Fall ein Teppich interdisziplinärer Anknüpfungspunkte gewebt, indem gezeigt wird, auf welche Weise Sprache für die Wissenschaften eine Rolle spielt. Sechs Fallstudien evaluieren die Annahme raumsemantischer Ordnungsmuster, die das Kollektivsymbol Nanotechnologie strukturieren und anhand möglichst heterogener Bezugsstexte rekonstruiert werden. Die raumorientierte Lesart von Quellentexten macht die Technikdiskursfelder Nanopartikel, Nanotechnik und Nanobiotechnologie systematisch unterscheidbar, die wiederum mit Raumskripten kombiniert sind. Diese Einteilung des Diskurses wird anhand von sechs exemplarischen Einzelstudien ausgearbeitet und verifiziert.1 Für die Interpretation der Textfallbeispiele übernimmt die Einteilung nicht nur eine heuristische Funktion; sie hat systematische Gründe. Methodisch spielt der analytisch-pragmatische Bezug auf einen Text als Ganzheit und institutionell singularisierbares Ereignis eine Rolle.2 Diese Methode lässt sich als im emphatischen Sinne literaturwissenschaftlich bezeichnen, insofern eine Singularisierung des Textes im Hinblick auf Autoren, Entstehungsbedingungen, mediale Existenzweise(n) sowie weitere Faktoren nach ei-

 1

Zur Wissenschaftstheorie des Exemplarischen WILLER 2004.

2

Als Ausblick auf die verminte Begriffslandschaft der Literaturwissenschaft der Hinweis, dass die Einzeluntersuchungen mit Bogdal als literaturwissenschaftliche ‚Interpretationen‘ verstanden werden, selbst wenn Diskursanalysen eigentlich deskriptiv statt interpretierend arbeiten. Obwohl nur zwei ‚literarische‘ Texte untersucht werden (Prey und Nanoblume II.6), handelt es sich um eine literaturwissenschaftliche Arbeit. Bogdal versteht Interpretation als „ordnendes Archiv und Teil des kulturellen Wissens der Gegenwart zugleich, das sie in seiner wirklichen Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit kontinuierlich sichert“, indem literaturwissenschaftliche Interpretation die historische Begrenzt- und Bedingtheit der jeweiligen Sinneffekte des literarischen Diskurses benennt und rekonstruiert. BOGDAL 2007, 41.

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nem strengen Muster erfolgt. Sie erlaubt es, „Worte“, mit denen über Nanotechnologie gesprochen wird, als die anzusehen, „die in bestimmter Weise rezipiert werden und in einer gegebenen Kultur ein bestimmtes Statut erhalten müssen“.3 Die Diskursfelder werden in einer generativen Diskursanalyse (Link 1983) bearbeitet. Diese begriffliche Prägung bezeichnet einerseits eine Forschungsperspektive, andererseits eine konkrete methodische Vorgehensweise von LiteraturwissenschaftlerInnen. Sie ist theoretisch an Foucault orientiert und wird im Theorieteil I.5 ausführlich erläutert. Empirisch zugängliche Texte werden als sprachliches Ausgangsmaterial ausgewählt und untersucht, welche Ordnung oder Ordnungen sich im Hinblick auf technisch-historisch-materielle Komplexe rekonstruieren lassen.4 Die ausgewählten sechs Texte werden als heterogene Fallbeispiele des Nanotechnologie-Diskurses angesehen, oder auch als „empirische Okkurenzen.“5 Sie entstammen unterschiedlichen Kontexten und medialen Erscheinungsweisen und sind entlang der Maxime größtmöglicher Heterogenität ausgesucht worden, um den Diskurs in seiner wuchernden Breite und Ausdifferenzierung ‚textuell‘ in den Griff zu bekommen. Heterogenität besteht hinsichtlich Funktionszusammenhang, Genre, mediale Erscheinung und Permanenz, historische Bandbreite, nationale Zuordnung und Gebrauchszusammenhang, auch ein nanotechnologisches Produkt ist Gegenstand einer Fallstudie. Das Analyseschema besteht aus fünf Teilen und stellt ein formal vereinheitlichendes Vergleichsraster dar, mit dem das jeweilige Feld erforscht und nachgezeichnet wird, in das der Text durch Aussagen und pragmatischen Kontext eingeschrieben ist, ein besonderes Augenmerk gilt dabei Wissenschaftsdisziplinen und der Art der Wissenschaftlichkeit, die sich in den Aussagen manifestiert. Durch eine mehr oder weniger mögliche Rekonstruktion dreier Diskursbereiche samt dazugehöriger Raumskripte wird gezeigt, inwiefern jeder Text dem Diskurs zugehört und

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FOUCAULT 1974 [1969], 17. In metaphorischer Zweckentfremdung linguistischer Begriffe fungiert Nanotechnologie als Graphem, das in sechs Allographen untersucht wird.

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Um die Vorgehensweise der generativen Diskursanalyse zu demonstrieren, wählt Link als Beispiel in „Elementare Literatur und generative Diskursanalyse“ (1983) Heiratsannoncen und Kontaktanzeigen aus deutschen Tageszeitungen der achtziger Jahre aus (heute müsste man technische Angebote wie Tinder, Parship, neu.de hinzuziehen).

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DREWS et al. 1985, 267, wobei die Begriffsübernahme etwas ungenau ist, als eigentlich empirisch nachweisbare Kollektivsymbole im Kontrast zu den Basisschemata gemeint sind. Mit einem Begriff von Foucault könnte man sagen: Es erfolgt eine „Analyse verbaler Performanzen“, FOUCAULT 1973, 294. Allerdings rückt so das Unterfangen begrifflich in Richtung der Foucaultschen Archäologie des Wissens, was sich verbietet, da die Analyse weder der Strenge Foucaultscher Begrifflichkeiten genügt noch der „Präzision und der beweiskräftigen Gelehrsamkeit, die Foucaults schriftliche Texte auszeichnet“, DREYFUSS / RABINOW 1987 [1982, 1983], 265.

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Nanotechnologie als „großes“ Kollektivsymbol hervorbringt und fortschreibt.6 Ziel ist, durch die Aufarbeitung der Raumsemantik einen Beitrag zum Verständnis eines zentralen wissenschaftlich-technischen Diskurses zu leisten. Andererseits wird ein ‚alter‘ theoretisch-methodischer Entwurf der deutschen Literaturwissenschaft auf seine Aktualität und Tauglichkeit überprüft, der vor der Digitalisierung der (Geistes-)Wissenschaften versucht hat, eine im doppelten Sinne gebildete Strukturierungsleistung der kulturellen Semantik und ihrer Mechanismen methodisch zu implementieren, ohne eine Außenperspektive einzunehmen oder aus der diskursiven Realität herauszutreten oder gar abzuheben (LINK 1983, 9-13). Gliederung des Analyseschemas Als disziplinenübergreifender Diskurs umfasst Nanotechnologie technische Forschungen und wird aus unterschiedlich motivierten disziplinären und gesellschaftlichen Diskussionen gespeist. Im Hauptteil werden sechs maximal unterschiedliche Texte diskutiert, die so ausgewählt wurden, dass das Spektrum möglicher Nanotechnologietexte sichtbar wird. Vereinheitlich wird die Analyse durch ein etwas einförmiges Raster, das als Aspektuierungs- oder Perspektivierungsschema die relevanten Aspekte zur Sprache bringt.7 Als im Sinne des Theoriedesigns8 gewählter begrifflicher Leitstern der Analyseschritte dient das Linksche Kollektivsymbol, mit dem sich die Großbegriffe Macht, Politik, Öffentlichkeit, Sprache und Raum anordnen lassen (Theorieteil I.5). Diese Großbegriffe werden nicht als solche diskutiert, sondern in fünf Untersuchungsschritten jeweils in einer differenzierten Textanalyse haftbar gemacht. Die Analyseschritte laufen auf die Explikation der raumlogisch ausdifferenzierbaren Dreiteilung der Nanotechnologie als Kollektivsymbol hinaus, jeweils im fünften und letzten Analyseschritt unternommen. Der vierte Analyseschritt untersucht ,Glaubwürdigkeits-‘Indizien9, die der Technik-Diskurs aus

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Die Unterscheidung von kleinen und großen Kollektivsymbolen gibt es bei Link nicht, der von einem „synchronen System von Kollektivsymbolen“, das jeder Kultur zueigen ist, spricht, DREWS et al 1985, 266. Gemeint ist, dass der Nanotechnologie-Diskurs Nanotechnologie als ,großes‘ Kollektivsymbol konstituiert, zu dem ‚in ihm‘ kleine Kollektiv-symbole identifizierbar sind (Wettrennen, Lego-Baukasten, Silicon Valley, Brücke).

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Die Fallstudien erhalten dadurch formal den Charakter einer analytischen Reihenhaussiedlung. Ich bitte um Vergebung des Betrachters für die nur scheinbar „banale Redundanz“. (Dies ist ein unausgewiesenes Zitat aus Niels Werbers Dissertation, die bei der Abfassung dieser Arbeit nicht herangezogen wurde und daher nicht zitiert wird.)

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Dieser Begriff verweist auf den Aspekt einer Gemachtheit von Theorie, die für bestimmte Zwecke entworfen wird, in diesem Sinn z.B. verwendet bei LUHMANN 1997, 1138.

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Der Ausdruck bei FOUCAULT 1974 [1969], 20.

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der Verortung in wissenschaftlichen Disziplinen erhält und rekonstruiert sie als anonyme Autoren des Nanotechnologie-Diskurses10, deren Funktion in (technik-) wissenschaftlicher Legitimierung besteht.11 (1) Im ersten Schritt wird der pragmatische Redekontext beschrieben, innerhalb dessen Aussagen zur Nanotechnologie gemacht werden. Es wird mehr oder weniger pointiert aufgearbeitet, in welchen Handlungszusammenhang der Text als Sprechhandlung eingebunden ist, welcher Zweck und welche Bedeutung durch die Einbindung in Praktiken besteht und wie sich seine Kommunikationssituation beschreiben lässt. Der erste Schirtt enthält teilweise technikhistorische Elemente. Konkret kann auf Redeanlass und Entstehungszusammenhang sowie auf die Zielgruppe eingegangen und Publikum oder Kundenkreis genannt werden. Es wird eine Art historisch-diskursiver Kontext12 aufgespannt, der allerdings weder als objektive diskursive Situation gemeint ist noch diese als solche einholen will. Es handelt sich hauptsächlich um eine Rekonstruktion der Praktiken, in die der Text eingebunden ist, kontextualisiert die Aussagen und skizziert einen vorläufigen Rahmen. Die Rekonstruktion des pragmatischen Kontextes bleibt unterhalb einer diskursiven Objektivierungsleistung im Sinne der hier verfolgten Fragestellung, ist aber unverzichtbar für den Zusammenhang. Außerdem wird der Status der Wissenschaftlichkeit beschrieben, d.h. es wird der Frage nachgegangen, welche Elemente und Argumente sich finden lassen und dafür sorgen, dass und inwieweit der Text als wissenschaftlich seriös wahrgenommen wird. Als Ergebnis ergibt sich eine Seriösitätscharakterisierung und Einordnung in das Thema Wissenschaftlichkeit. Der pragmatische Kontext ließe sich jeweils in verschiedene Diskurse auseinanderfalten und ausdifferenzieren, was aber den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Das Durcheinander verschiedener Diskurse, die an den Raumdiskurs der Nanotechnologie zusätzlich gebunden sind, wird als Knäuel belassen und insgesamt als pragmatischer Kontext bezeichnet und behandelt. (2) Das sporadische Kontextwissen bezüglich des pragmatischen Redekontextes wird in einem zweiten Schritt ergänzt. So beleuchtet der zweite Aspekt die Publikationsform sowie mediale Erscheinungsweise und nimmt damit eine medial-materiale Bindung der Aussagen, sozusagen ihre Technizität, in den Blick. Es geht um

 10 Damit ist hier die Zweckentfremdung der Foucaultschen Herangehensweise an die (literarische?) Autorfunktion prägnant identifizierbar. FOUCAULT 1974 [1969], 20f. 11 Schäffner setzt Feynman als Vordenker eines (wenn man so will) designtechnischen Paradigmenwechsels aller Wissenschaften zum „Diskursivitätsbegründer“ Karl Marx in Beziehung, mit explizitem Verweis auf Foucaults „Was ist ein Autor?“ (1969), SCHÄFFNER 2010, 36. „Diskursivitätsbegründer“: FOUCAULT 1974 [1969], 24f. 12 HÄNSELER 2009, 168, dort der Ausdruck „referentielles Netzwerk“, den Hänseler von dem Metaphernforscher Elgin übernimmt, ELGIN 1995, 71.

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die praktische Frage, wie material stetig und technisch gebunden die Aussagen sind, die der Text produziert. Handelt es sich um einen digitalen Text, um vor Publikum gesprochene Sprache mit digital gestützter Präsentation oder liegt ein über den Buchhandel beziehbares gedrucktes Buch vor? Wird ein Dokument ausschließlich oder zusätzlich im Internet zugänglich gemacht? Mit der Rekonstruktion von Publikationsform oder -modus wird der jeweilige mediale Status genauer bestimmt und die spezielle Textgestalt charakterisiert. Damit findet gewissermaßen eine Einordnung in einen technisch-pragmatischen Zusammenhang statt13: wie ist die allgemeine Verstetigungslage der Aussagen technisch beschaffen? Wie dauerhaft ist der Text? Gibt es eine Zugänglichkeit über digitale Suchmaschinen und wenn ja, wie genau sieht sie aus? Die Markierung des technokulturellen Übergangs von elektrischer Schreibmaschine hin zu Sprachformaten, die mit Hilfe eines Computers verfasst werden, und eine mit dem Internet verbundene Erweiterung von Veröffentlichungsbedingungen, soll zumindest ansatzweise als Konstitutionsbedingung für den nanotechnologischen Diskurs mitgedacht werden.14 Der Übergang fällt im akademischen Bereich in Deutschland in die 1990er Jahre, für Amerika liegt er etwas früher.15 Die National Nanotechnology Initiative wurde Ende der 90er Jahre in Amerika erarbeitet und vorgestellt (Gründung der NNI im Jahr 2000)16, ihr voraus liegt

 13 Und, als Vorgriff auf die Theorie, der Anschluss an Latour. 14 SCHUMMER 2009 ignoriert diesen Aspekt aufgrund seines ideenkritischen Verfahrens. Im ersten deutschen Sammelband zur Nanotechnologie taucht in jedem Beitrag der Verweis auf „Sprache“ auf, aber nicht im Sinn der Reflexion sprachmaterieller Diskursbedingungen, NORDMANN et al. 2006. Dazu müsste man zusätzlich formatierte Sprache im Sinne von Textbausteinen untersuchen, die als Ganzes oder leicht verändert übernommen werden (können) oder im Sinne von Textprogrammen eine bestimmte Gliederung und Gestaltung vorgeben. Beide Faktoren im Kollektiv ermöglichen (standardisierende) Produktion von Textmassen im Sinne von Forschung und Kommunikation. 15 Crichton verfasst 1983 den Ratgeber „Electronic Life“, der hilft, private Computer in den USA nach der Anschaffung tatsächlich bedienen zu können, wobei völlig unklar war, wozu persönliche Computer überhaupt gut sein sollten. 1988 überlegt Joachim Radkau, ob er sich für die „Textverarbeitung einen PC zulegen sollte oder nicht“, und beschließt, abzuwarten. RADKAU 2008, 12. 16 Zur Rekonstruktion des Auftretens der Nanotechnologie im Programm des deutschen Forschungsministeriums BMBF, im Europäischen Forschungsrahmenprogramm sowie der Gründung der NNI vgl. SCHUMMER 2009, 19f .– Der textmaterielle Unterschied ist dokumentiert in einer editorischen Notiz zu LUHMANN 2002, die den Abdruck von Zusatzblättern einleitet: „Die folgenden Dokumente waren dem computer- bzw. maschinenschriftlichen Manuskript angefügt“, und auf eine dokumentierte Maschinenstörung verweist. Zwischen sinnlosen Buchstaben stehen Kommentare: „Die schreibmaschine ist ka-

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die internationale Roadmap der Halbleiterindustrie, die Anfang der 1990er Jahre entstand. Beide Dokumente haben einen konstituierenden Effekt auf den Nanotechnologiediskurs.17 Verbunden damit kann noch einmal auf den Aspekt des Genres und der Wissenschaftlichkeit des Textes eingegangen werden.18 In gutwilliger oder

 putt. Wieso läuft die Schreibmaschine wieder? Das verstehe ich nicht. [...] die schreibmaschine schreibt wieder [...] schreibt nicht schön“ (207, 219). Die letzten Sätze stehen kopfüber, das Blatt war umgekehrt eingespannt. 17 Der Literaturwissenschaftlerin geht es nicht nur um ideenkritische oder praxeologische Rekonstruktion von Dokumenten, sondern auch um die mediologische oder medial-performative Seite des Diskurses. Vor allem die internationale technologische Roadmap für Halbleiter ITRS hat eine (texttechnologisch näher zu untersuchende) konstitutierende Funktion, sie ist inhaltlich interessant (KEHRT 2016, 52f, SCHUBERT 2007) und weil sie an einem bestimmten, wenn man so will, texttechnologischen Zeitpunkt auftritt. Die ITRS war als „Instrument zur Ausgestaltung der gegenwärtigen interorganisationalen Beziehungen zwischen den Abnehmern, den Produzenten und den Zulieferern der Fertigungstechnologie gedacht.“ „Die ersten Schritte zur Entwicklung eines industrieweiten Planungsinstruments wurden Anfang der 1990er-Jahre in den USA gemacht, als 1994 der Branchenverband der US-amerikanischen Halbleiterhersteller, die Semiconductor Industry Assiciation (SIA) erstmals die National Technology Roadmap for Semiconductors (NTRS) mit einem Zeithorizont von 15 Jahren herausgab. 1997 wurde diese auf nationaler Ebene fortgeschrieben. 1999 [...] die erste internationale Roadmap unter Beteiligung der USA, Europa, Korea, Japan und Taiwan erstellt. Die ITRS wird alle zwei Jahre neu herausgegeben, in den dazwischen liegenden Jahren werden so genannte Updates erstellt.“ SCHUBERT 2007, 2. Die ITRS ist trotz Herkunft aus einer identifizierbaren internationalen Machtkonstellation (USA vs. Japan) kein per se ideologisches oder politisches Instrument. Sie koordiniert in der Halbleiterindustrie praktisch die diffizilen Zusammenhänge von Forschung, Entwicklung und wirtschaftlichen Zyklen, die gewissermaßen ihre eigene Öffentlichkeit haben (müssen): „moderne Lithografieanlagen sind immens kapitalintensive und komplexe Systemtechnologien, deren technische Machbarkeit und ökonomische Brauchbarkeit von jeder einzelnen Komponente sowie dem Zusammenspiel der Komponenten untereinander abhängt“ (3f), angewiesen auf abgestimmte industrielle Infrastruktur.– Überspitzt formuliert geht es um die Analyse der Ästhetik, die in relationalen Machtgefügen relationaler Kommunikationstechniken entsteht, nicht um Identifikationen bestehender Machtgefüge (USA vs. Japan vs. Europa vs. Deutschland, KEHRT 2016, 52f). Um es einmal zu schreiben: Die Herstellung von Halbleitern ist Nanotechnologie. Das gilt umgekehrt nicht. 18 „Das Wissen um die Gattungszugehörigkeit eines Textes lenkt und bestimmt, wie man weiß, in hohem Maß den ,Erwartungshorizont‘ des Lesers und damit die Rezeption des Werkes.“ GENETTE 1993 [1982], 14.

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großzügiger Lesart kann man den Versuch erkennen, mit den materiellen Manifestationen des Nanotechnologie-Diskurses gleichzeitig dessen Existenzbedingungen zu beschreiben. (3) Der dritte Aspektuierungschritt betrifft den Titel, der Aufschluss darüber liefert, wie der Text zur Nanotechnologie positioniert wird. Dabei können erste Einlassungen zur Raumsemantik gemacht werden. Der Titel wird formal als Zugangsort zur Semantik des Textes begriffen und fungiert sowohl semantisch als auch in einem technisch-digitalen Sinne als Identifikationsinstrument oder -anker. Ziel des dritten Analyseschritts ist es darzulegen, ob und wie der Titel als Angelpunkt für die Raumsemantik des jeweiligen Textes fungiert, dies ist in unterschiedlichem Umfang möglich und muss, falls vorhanden, im Hinblick auf das im jeweiligen Text vorliegende Raumskript besprochen werden. Zuletzt werden Aussagen im Hinblick auf Wissenschaftsdisziplinen untersucht und dargestellt, wie jeder Text auf die drei Diskursbereiche der Nanotechnologie bezogen ist. In Schritt (4) und (5) des Analyseschemas wird die Analyse der Raumsemantiken der Nanotechnologie auf die Textdokumente als Ganzes bezogen, wobei jeder Text pragmatisch als semantische Ganzheit angesehen wird. Ähnlich wie ein poetischer Text wird eine komplexe semantische Einheit untersucht, wobei es zunächst um eine immanente Beschreibung der Raumsemantiken und Wissenschaften innerhalb einer anhand von Zitaten belegbaren Textlogik geht. Insofern wird aus methodischen Gründen in Abgrenzung zum ersten Analyseschritt, der die Einbindung in Praktiken rekonstruiert, der historisch-diskursive Kontext ein Stück weit ausgeblendet. Zugespitzt formuliert wird der Kontext aus systematischen Gründen geschlossen und das Augenmerk auf den Text als abgrenzbares Sprachwerk mit einer gewissen Logik und ‚Binnen‘-Semantik gerichtet. Dabei ist diese Vorgehensweise allerdings nicht absolut. (4) Im vierten Analyseschritt werden Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie zusammen getragen. Diese sind zum Teil benannt; falls der Text sie nicht nennt, sich aber auf sie bezieht, werden sie analytisch identifiziert. Das klingt etwas einfacher als es tatsächlich ist, da es sich, um einmal metaphorisch zu werden, bei den nationalen und globalen Wissenschaftslandschaften nicht um stabile, fest begrenzte Territorien mit überlieferten Ländernamen handelt, sondern um dynamische und (beispielsweise historisch) veränderbare Landkarten, die noch dazu eine bewegliche geographische Situation mit neu entstehenden Gebirgen oder der Verschiebung tektonischer Platten abbilden sollen. Bei dem Versuch, die semantischen Bezüge zwischen Nanotechnologie und Wissenschaftsdisziplinen genauer zu untersuchen und darzustellen, stellt sich das Problem, dass Wissenschaftsdisziplinen nicht so klar identifiziert werden können wie beispielsweise traditionelle Schulfächer an Gymnasien. Das liegt einerseits an Kontexten, die nicht unbedingt fachwissenschaftlich sind. Andererseits liegt die Schwierigkeit einer trennscharfen Identifi-

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kation in der Sache selbst. Wurden und werden Wissenschaftsdisziplinen wie Mathematik, Physik und Chemie zum Teil noch immer in Schulen als einzelne unterscheidbare Fächer mit einem entsprechenden Wissenskorpus, der im Lehrplan in Einzelstücken festgelegt wird, gelehrt, unterliegt die tatsächliche Ordnung der Wissenschaftsdisziplinen an Universitäten und in industrieller Forschung nur partiell einer klaren Trennung. Traditionelle Forschungsgegenstände überlagern sich oder werden abgelöst, neue Forschungsgegenstände tauchen auf und (er)fordern sachlich unter dem Etikett Interdisziplinarität oder Transdisziplinarität Querverbindungen oder gar Verschmelzungen zwischen vormals getrennten Disziplinen oder ermöglichen gleich ganz neue Disziplinenbildung.19 Hier wird eine Art niedrigschwelliger Sprach- und Wissenschaftsdisziplinenbegriff verwendet: ähnlich wie die Stadtbibliothek Lehrbücher für Schulfächer (Mathe, Physik) und Lehrgegenstände (Algebra, Geometrie, englische Grammatik) geordnet anbietet, dafür aber keine Frage nach der tatsächlichen Verfasstheit von Wissenschaftsdisziplinen stellen muss, wird hier mit Wissenschaftsnamen zunächst als semantischen Ordnungsprinzipien gearbeitet. Es gibt Wissenschaften, die an Universitäten Forschungen betreiben und dafür Lehrbücher bereitstellen, aber es ist nicht immer notwendig oder gar möglich, diese Wissenschaften im Einzelnen dingfest zu machen, sie im Einzelnen anhand von Methoden und Forschungsgegenständen zu identifizieren oder zu kategorisieren. Das heißt nicht, dass eine Kategorisierung von Wissenschaften ausgeschlossen wäre. Es kann sein, dass bei verschiedenen Texten einzelne Disziplinen oder Subdisziplinen samt ihrer Gegenstandsbereiche identifizierbar sind. Dabei ist diese Arbeit ist weder wissenschaftshistorisch noch erkenntnistheoretisch ausgerichtet, sondern interessiert sich für semantische Beschreibungen und Befunde. Die semantische Kontextualisierung der Nanotechnologie im Umfeld einzelner Wissenschaftsdisziplinen ergänzt die in den ersten beiden Schritten unternommene Charakterisierung der wissenschaftlichen Seriösität des Textes um einen weiteren Aspekt, der sozusagen aus seinem Innen, aus seiner ‚Binnen‘-Semantik, stammt. Anhand konkreter Nennungen und semantischer Zuordnungen zeigt die Nanotechnologie sich als eher mathematisch bestimmt oder physikalisch dominiert. Die Zuordnung zu Wissenschaften wird aufgerollt und zugänglich gemacht, um zu zeigen, dass es Differenzen gibt. Nanotechnologie bezieht sich auf Biologie, Physik, Chemie und / oder Ingenieurswissenschaften (und nicht auf Toxikologie), und diese Wissenschaften stehen in Relationen mit machttechnischen Implikationen. In mehreren Texten lässt sich eine Art Hierarchie aufschlüsseln, es wird also rekonstruiert, ob und wie Wissenschaften im Hinblick auf Nanotechnologie hierarchisiert oder ob sie in einem raumsemantisch aufgeladenen ‚Nebeneinander‘ oder einem anderen Verhältnis zueinander konstituiert werden. Der Bezug zwischen der wissenschaftli-

 19 Wie zum Beispiel „Was ist eigentlich Biomathematik?“, FISCHER 2015.

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chen (Binnen-)Semantik und dem pragmatischen Kontext kann darin bestehen, dass anhand der Zuordnung oder eben: Nicht-Zuordnung Fördergelder verteilt oder toxologische Grenzwerte eingefordert werden. (5) Im fünften und letzten Analyseschritt wird der Zusammenhang mit den drei Diskursbereichen Nanotechnik, Nanopartikel und Nanobiotechnologie entlang der hier verwendeten These erarbeitet. In diesem letzten Schritt wird gezeigt, inwiefern die Raumskripte als dynamische Prinzipien für die Nanotechnologie Platz schaffen und welchen Raum die Schlüsseltechnologie sozusagen aufschließt. In jedem Text ist der Bezug zu den einzelnen Raumskripten und Diskursbereichen prinzipiell vorhanden, wobei der Anteil der einzelnen Diskursbereiche jeweils verschieden groß ist. In Abhängigkeit von Kontext und Zielsetzung gibt es unterschiedliche Gewichtungen. Manchmal ist Nanobiotechnologie samt des dazugehörigen Raumskripts Bottom-Up vorherrschend, manchmal spielen vor allem Nanopartikel eine hervorgehobene Rolle. Im Rahmen des fünften Perspektivierungsschritts wird hauptsächlich die gewählte Methode zur Untersuchung der diskursiven Einheit der Nanotechnologie erprobt. Dieser Schritt wird über die anderen vier Aspektuierungen nachvollziehbar gemacht. Insgesamt wird die textuelle Unterschiedlichkeit mit dem vorgestellten fünfteiligen Analyseraster oder Perspektivierungsschema nicht zum Verschwinden gebracht sondern ausdrücklich betont. Gezeigt wird, dass die Unterschiedlichkeit hinsichtlich einer pragmatischen Einbindung und material-medialen Erscheinungsweise nicht im analytischen Sinne ‚wesentlich‘ sein muss. Texte können und dürfen trotz genretechnischer Unterschiedenheit und auf den ersten Blick andersartiger pragmatischer Diskursivierung und Einbindung als gemeinsame Gruppe befragt werden, weil es um das immer wieder als einheitliches Phänomen diskursivierte ‚Ding‘ namens Nanotechnologie geht. Die fünf Analyseteile oder Perspektivierungen laufen darauf hinaus, zu zeigen, wie die Raumskripte Bottom-Up, Top-Down und Partikularität oder Streuung ‚bedient‘ werden und wie es möglich wird, dass Texte anhand der Raumskripte den Nanotechnologiediskurs exemplarisch generieren können, sogar, wenn sie, wie im Falle Feynmans, nicht ausdrücklich von Nanotechnologie handeln. Durch die Raumskripte wird eine Systematik der Perspektiven in heterogene wissenschaftlich-technische Aussagefelder begründet. Jeder Text, das besagt der fünfte Analyseschritt, begründet die Systematik der Perspektiven technowissenschaftlicher Raumerschließung Top-Down, Bottom-Up, Partikularität / Streuung auf je eigene Weise und erbringt eine systematisch begründbare Konstitutionsleistung für diese Schlüsseltechnologie. Das gemeinsame Gruppenmerkmal ‚nanotechnologische Raumsemantik‘ entlang dreier Raumskripte ist eines, das zunächst methodisch-theoretisch an die Texte herangetragen wird, aber mit Hilfe des vorgestellten Analyserasters als sinnvolles

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Merkmal umgekehrt wieder aus ihnen heraus begründet werden kann. Auf diese Weise wird die Hypothese validiert. Übersicht über die ausgewählten Texte Die Auswahl von sechs einzelnen, situationsgebundenen Texte reagiert zuerst auf das Problem, dass es nicht den Text gibt, der definieren kann, was Nanotechnologie ausmacht (I.6), ebenso wenig lassen sich Genres oder Textsorten festmachen, die Aufschluss über Nanotechnologie gäben. Aussagen20 zur Nanotechnologie werden aus einer rauminteressierten Perspektive untersucht. Die ausgewählten Referenztexte werden methodisch auf eine Zeichenrelationsebene reduziert und erkenntnistheoretisch in ihrem sachlichen Erkenntnis- und Zugriffsanspruch auf Nanotechnologie relativiert. Sie entstammen nur zum Teil dem pragmatischen Textzusammenhang populärer Wissenschaftsvermittlung und bilden ein heterogenes Konglomerat, das durch Thema, Perspektivierung und Fragestellung zu einer plausiblen Referenzgröße verschweißt wird. Dabei wird anhand des erarbeiteten begrifflichen Instrumentariums (Raum, Symbol und Kollektivsymbol, Wissenschaft, Zeichen, Interdisziplinarität) eine intensive semantische Analyse des ausgewählten und als exemplarisch verstandenen Materials vorgelegt. Über die Reduktion auf die Zeichenrelation gibt es raumsemantisch einen unkündbaren, notwendigen Verweisungszusammenhang, der aber dennoch nicht notwendig im Sinne einer bestehenden Struktur ist. Nicht in jedem Text ist jedes Raumskript gleichermaßen intensiv verwirklicht. These ist, dass es sich um einen Zusammenhang handelt, dessen Symbolisierung regelgeleitet funktioniert und beschrieben werden kann.21 Die Schlussfolgerungen beruhen auf einer sehr engen Basis von Sprachma-

 20 Zum Begriff FOUCAULT 1994 [1973], 115f. 21 Man kann die gewählte Methodik als raumphänomenologische Typisierung der Nanotechnologie bezeichnen. Es gibt eine Einheit der Nanotechnologie insofern, als es einen ausgewiesenen Raumbezug gibt, der sich techniksemantisch ausdifferenziert in drei verschiedene Raumaneignungsdynamiken. Allerdings wären es andere Begrifflichkeiten, mit denen eine solche Analyse einer „Technik in Anführungszeichen“ durchzuführen wäre. Vgl. zu einem phänomenologischen Technikbegriff das Konzept des DFG-Graduiertenkollegs 1348 Topologie der Technik: „Die Technik wird nicht als rationelles Mittel behandelt, sondern im Sinne eines habitualisierten Phänomens, eines Mediums, einer gesellschaftlichen Infrastruktur verstanden. In der Konsequenz stehen so – obwohl von der Materialität ausgegangen wird – letztlich nie lediglich einzelne Geräte oder losgelöste technische Funktionen im Zentrum des Interesses, sondern die Zusammenhänge, auf die sie verweisen: Technostrukturen der Gesellschaft, ‚Technowissenschaft‘ und großtechnische Systeme.“ (Beschreibung des GK vom Juni 2006).

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terial, das theoretisch konzeptuell so gefasst wird, dass der „instrumentellen Macht der Worte als Anreiz zum Handeln und als Informationsmittel“22 in grundlegender Weise Rechnung getragen wird. Die ästhetisch fokussierte Methode nimmt dabei die (unfreiwilligen?) symbolischen Effekte der Sprache in den Blick. Bei dieser pragmatischen Haltung geht es nicht darum, einen generellen Ideologieverdacht zu verfolgen und Ideologien zu entlarven. Der Gegenstand Sprache wird vielmehr so verstanden, dass er eingebunden ist in den Diskurs, wobei die diskursive Einbindung gewissermaßen die Ergebnisse stützt. Der Diskurs lässt sich im Sinne einer wirkmächtigen Kombination aus Praktiken, Wissenschaften, Materialitäten und Sprache verstehen, bei dessen Beschreibung und Analyse man sich als Wissenschaftlerin zwar um Objektivierungen bemühen kann, jedoch vergeblich um eine Position von außerhalb ringt. Trotz der (sprachlich gesehenen) Enge der Untersuchungsbasis werden verallgemeinernde Aussagen angestrebt und gemacht, wobei die Texte bewusst als heterogene ausgewählt wurden, sowohl, was Genre und sprachliche Verfasstheit, als auch, was ihren Kontext angeht. Sie verspannen als Korpus unterschiedliche Ebenen und Diskurszugänge ineinander, wobei Diskurs auch heißt, dass Begriffe und Instrumentarien, die für die Auseinandersetzung am Material benötigt werden, nicht einfach frei gegeben werden. Mitunter verschlingt und verdaut der Diskurs die kläglichen Ergebnisse, die überhaupt erarbeitet werden. Die Diskursanalyse wird so verstanden, dass sie zwar an Texten praktiziert wird, aber nicht allein Analyse von Texten ist. Damit hangelt man sich nicht an einer wie auch immer gearteten Definition der Nanotechnologie systematisch entlang: das geht auch nicht, wie in Kapitel I.6 dargelegt wird. Die Referenztexte werden als Zugang zum Diskurs verstanden.23 Die Texte sagen etwas aus, das über sie hinaus geht und, um den Ausdruck zu gebrauchen, sie geben Informationen, die (nur) innerhalb des machtdurchsetzten Diskurses als Informationen Sinn machen. Dieser Diskurs lässt sich als ästhetisch überformter beschreiben, dessen Macht auf einer kollektivsymbolisch rekonstruierbaren Raumstrukturierung beruht. Der Informationsgehalt der Texte bezieht sich auch, aber nicht nur, auf Technologie oder Technik, über die qualitative Aussagen gemacht werden. Machttechnisch gesprochen wird das Textkorpus so verstanden, als würde es relevante Aussagen zur Nanotechnologie machen, dessen praktisch-pragmatischer Kontext als Außen der Texte im ersten Teil jeder Fallstudie beschrieben wird. Das ‚Außen‘ ist textuell und technisch, praktisch, gewohnheits- und technikgebunden. Die Auswahl umfasst sechs Texte aus unterschiedlichen wissenschaftlichen und (sozial-)pragmatischen Zusammenhängen, die als exemplarische Einzelfälle die Ar-

 22 FIRTH 1986, 258. 23 Mit Anlehnung an einen Ausdruck in der Archäologie des Wissens werden „verbale Performanzen“ der Nanotechnologie analysiert. FOUCAULT 1994 [1973], 294.

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gumentation stützen und exemplifizieren24 und den Diskurs in seiner Vielschichtigkeit exemplarisch zeigen. Fünf Texte entstammen dem Jahrzehnt um die Jahrtausendwende 1999-2000, außerdem geht es um die bei Schäffner erwähnte Rede des Physikers Feynman aus dem Jahr 1959 / 1960, die im Anhang abgedruckt ist. 1. Das vielzitierte akademische Dokument „There is plenty of room at the bottom“ ist ursprünglich ein Festvortrag des US-amerikanischen Physikers Richard Feynman von 1959 vor Fachkollegen. Die Rede des späteren Physiknobelpreisträgers wird oft als Gründungsdokument der Nanotechnologie angesehen, obwohl das Wort im Text nicht vorkommt und Historiker sich einig sind, „dass Feynman mit seiner Rede wirkungslos war“.25 Insofern liegt ein Sonderfall vor. Die verschriftlichte Rede dient zwar als programmatischer, sogar als der Referenztext zur Nanotechnologie, aber explizit wird nur auf die Größenordnung Angström rekurriert. Man kann sagen, der Text wurde ex post in ein synchrones System von Kollektivsymbolen des Nanotechnologiediskurses integriert.26 In den Begrifflichkeiten von Jäger kann man von einem diskursiven „Mega-Ereignis“27 sprechen, wobei die prometheische Rede das Ereignis der Begründung einer neuen Technologie manifestieren soll, als eine Art techno-logisches Gottes-Wort techno-zivilisatorischer Genesis.28 In inzentivem Duktus wird mit selbstverständlich explorativer Geste ein neuer Forschungs- und Anwendungsraum der Physik im Rahmen einer stabilen disziplinären (Natur-)Wissenschaftsordnung entworfen. Der Text arbeitet vornehmlich mit der dynamischen Raumkategorie Miniaturisierung, die ebenso radikal eingefordert wird wie die Übertragung des dynamischen Raumprinzips der Selbstorganisation der Biologie in ein ingenieurwissenschaftlich aufgefasstes physikalisches Denken. Wichtig sind die

 24 Bezeichnet man Texte als Diskursbeispiele, wird der mitgenannte wissenschaftstheoretische Bezug verschüttet. 25 NORDMANN 2007a. 26 Dazu gehört der Machtanspruch, „dass die Physik die Nanotechnologie für sich reklamierte.“ NORDMANN 2007a. 27 JÄGER 2004, 132f. Bei diskursiven Ereignissen handelt es sich nicht um „,reale‘ Ereignisse wie etwa ein Reaktorunfall oder ein Wahlergebnis, sondern um den breit entfalteten Diskurs über solche Ereignisse.“ (132). 28 Boeing inszeniert die Rede als ‚Stunde Null‘ und Genie-Design: „Der 29. Dezember 1959 ist bisher in keinem Geschichtsbuch als besonderer Tag vermerkt. Das könnte sich in einigen Jahrzehnten [...] ändern. An jenem Tag wurde mit ersten groben Strichen die Technik des 21. Jahrhunderts skizziert: eine Technik im atomaren Maßstab. Den Stift führte der amerikanische Physiker [...] Feynman auf der Jahresversammlung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft am California Institute of Technology.“ BOEING 2004, 26.

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Verweise auf Konvergenz und der explizite Zusammenhang mit der Computerentwicklung. 2. Das Schuh-Imprägnierspray „Nano Nässe Blocker“ der Firma Deichmann ist ein industrielles Produkt aus dem lebensweltlichen Zusammenhang und hat 2004 ein TÜV-Siegel bekommen. Es war bis etwa 2010-11 im Handel und wird als diskursiver technischer Gegenstand untersucht. Das Produkt wurde als „Weltneuheit“29 angekündigt und begründete die erste Generation einer ausdifferenzierten Produktpalette von Nano-Imprägniersprays. Die Fallstudie geht auf Textbestandteile ein, die auf der Dose aufgedruckt sind und reflektiert zusätzlich deren räumliche Anordnung und Farbgebung. Damit wird in einem starken Sinn auf einen materiellen Textraum eingegangen. Ergänzend wird eine Pressemeldung herangezogen, die die Einführung des Imprägniersprays begleitet. 3. Ein Power-Point-Vortrag eines Materialwissenschaftlers wurde mit verschiedenen Titeln (mindestens) zwei Mal in 2007 und 2008 in Darmstadt gehalten. Der bilderreiche Vortrag wird durch mündliche Ausführungen einerseits getragen, andererseits ergänzt. Das Format Power-Point-Vortrag als Kombination aus digital verstetigter Präsentation und mündlichem Vortrag präsentiert die Verheißung eines nanotechnologischen Zeitalters, das durch einen Reigen wissenschaftstechnischer Errungenschaften aus dem Fachbereich Materialwissenschaften plausibilisiert wird. Gleichzeitig dient der Vortrag der Selbstpräsentation und Eigenwerbung, beide Male endet er mit einer Einladung an das Publikum, den Fachbereich 21 der TU Darmstadt am Tag der offenen Tür zu besuchen. Die Fallstudie zeigt, dass wissenschaftlich autorisierte Power-Point-Vorträge den Zusammenhang ihres Auftretens wechseln können, in diesem Fall von der Öffentlichkeit in die Wissenschaft. 4. Ein englischsprachiges Website-Feature über „Nanotechnology – The next big thing is very very small“ datiert vom November 2003 und ist Teil des (laut Selbstauskunft) ersten afrikanischen wissenschaftlichen Online-Magazins „scienceinafrica“30. Die noch bestehende Website ist nur über das Internet zugänglich, es gibt keine gedruckte Ausgabe. Der Text ist in den einleitenden Sätzen semantisch hochgradig komplex strukturiert und kann als literarische Perle des NanotechnologieDiskurses angesehen werden. Insbesondere in den ersten zehn Sätzen werden unterschiedliche symbolische Räumlichkeiten aufgerufen, unter anderem ein technologisches Wettrennen, um das es auch bei Feynman indirekt geht, das im Roman (II.6) explizit inszeniert wird und Link als Kollektivsymbol identifiziert.31 Postkoloniale Räume und technologische Entwicklung werden auf symbolischer Ebene verschal-

 29 Pressemeldung vom 8.12.2004 im Anhang. 30 Detaillierte Nachweise zum digitalen Zugang in Kapitel II.4. 31 LINK 1985, 111.

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tet. Eine Autorschaft ist nicht eruierbar, es gibt lediglich Sponsoren-Verweise zum Darmstädter Unternehmen Merck. 5. Die „Regionalstudie Nanotechnologie in Dresden / Sachsen“ erscheint 2006, erstellt von einem Unternehmen der VDI-Gruppe. Sie liegt gedruckt und digital vor und hat das Ziel, einen Überblick über den Stand der Wissenschaft sowie die einzelnen Wirtschaftssektoren der Nanotechnologie zu geben. Die Studie erarbeitet Aussagen, konstatiert aber gleichzeitig, dass Nanotechnologie nicht definiert ist. Sie fasst Statistiken, Experteninterviews und Fragebögen zusammen und steht, eingereiht in weitere Studien, kostenfrei zur Verfügung. Die Studie hat einen explizit räumlichen Fokus, der sich entlang eines öffentlichen Interesses an der wirtschaftspolitischen Bedeutung konstituiert, deren Analyse auch für staatliche Förderstellen und -institutionen von Interesse ist. Der Wirtschaftsförderung in den sogenannten Neuen Bundesländern kommt in Deutschland eine besondere Bedeutung zu, da sich der 89/90 vollzogene Beitritt der ehemaligen DDR zur BRD nicht symmetrisch auf die wirtschaftliche Entwicklung in den sechzehn Bundesländern abgebildet hat 6. Die Erzählung „The Nano-Flower“ des britischen Science-Fiction-Autors Peter Hamilton erschien 1995, in deutscher Übersetzung 1999 als „Die Nano-Blume“32 im Bastei-Lübbe Verlag, der sogenannte populäre Unterhaltungsliteratur herausgibt. Es ist der letzte Teil der „Mindstar“-Trilogie rund um eine mit besonderen geistigen Fähigkeiten ausgestattete männliche Detektivfigur, angesiedelt im Europa der nahen bis mittleren Zukunft. Die Science-Fiction-Detektivgeschichte verwendet als umfangreichster Text, der einer Fallstudie unterzogen wird, das Wort Nanotechnologie ebenfalls nicht. Verschiedene Einzelbeobachtungen aus den anderen Fallstudien lassen sich bündeln, sei es der Zusammenhang von Kolonialisierung und technischer Entwicklung, die Hierarchie der Wissenschaften oder Selbstorganisation als politische Raumsemantik. Im Zentrum der Handlung steht das politisch, wirtschaftlich und last but not least privat bedeutsame Geheimnis um eine Nano-Blume. Der Text war lange nur in Buchform in zahlreichen Übersetzungen mit unterschiedlich gestalteten Buchumschlägen erhältlich, mittlerweile gibt es eine Ausgabe für ein digitales Lesegerät.

 32 HAMILTON 1999 [1995].

 

5. Theoriedesign Primärer Ideengeber sind Arbeiten des deutschen Literatur-, Sprach-, Kulturwissenschaftlers und Philosophen Jürgen Link (*1940) sowie zusätzlich Überlegungen des Soziologen, Technik- und Wissenschaftsphilosophen Bruno Latour (*1947). Ihre Forschungsprogramme und philosophischen Theorien werden allerdings eher im Sinne einer eklektisch selektiven Orientierung denn als Ganzheit wahrgenommen. Bei Link fokussiere ich auf die frühen achtziger Jahre und die Theorie der Kollektivsymbole im Rahmen einer allgemeinen Zeichentheorie. Im Mittelpunkt steht eine Studie von 1984, in der er, wie er es nennt, das Kollektivsymbol Heißluftballon untersucht.1 Das verwendete Verfahren heißt „generative Diskursanalyse“.2 Ergänzend orientiere ich mich an Überlegungen von Bruno Latour zur (soziologischen) Objektivität, wie er sie in „Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft“ (deutsche Ausgabe 20103) darlegt. In Latourscher Terminologie könnte man sagen, dass es sich um einen riskanten Bericht handelt, der eine semantische Gruppenbildung – nämlich Nanotechnologie – als vermeintlich oder tatsächlich einheitliche Schlüsseltechnologie rekonstruiert. Der Verweis auf die Theorie Latours könnte missverständlich sein, da er vor allem als Techniksoziologe und Mitbegründer der Akteur-Netzwerk-Theorie und prominenter Vertreter der sogenannten Science Studies bekannt ist. Es sei ausdrücklich betont, dass die Untersuchung sich im Hinblick auf Überlegungen zur digitalisierten Sprache an die sogenannte Latoursche Akteur-Netzwerk-Theorie anlehnt. Sowohl bei Link als auch bei Latour ergeben sich für die Verwendung von Theoriestücken einige Schwierigkeiten, weshalb man vielleicht eher von wilder Transposition sprechen muss. Da Links Verfahren auf Foucaults Diskursanalyse zurück geht, die als ‚Theorie–Methode‘ von einem umfassenden Zusammenhang zwischen Machtverhältnissen und Wissensproduktion ausgeht, zunächst eine kurze Rekonstruktion der für diese Untersuchung wichtigen Punkte bei Foucault, bevor einige allgemeine Bemerkungen zur generativen Diskursanalyse bei Link folgen. In der foucaultschen Diskursanalyse werden die Objektivität einfordernden Geltungsansprüche wissenschaftlichen Wissens aus theoretischen Gründen relativiert und auf ein gesellschaftliches (und wenn man so will artefaktisches) Machtgefüge zurückgespiegelt.

 1

LINK 1984.

2

LINK 1983.

3

LATOUR 2010.

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Es ist das Problem, das fast alle meine Bücher bestimmt: wie ist in den abendländischen Gesellschaften die Produktion von Diskursen, die (zumindest für eine bestimmte Zeit) mit einem Wahrheitswert geladen sind, an die unterschiedlichen Machtmechanismen und -institutionen gebunden?

4

Wahrheitsansprüche der Wissenschaften werden sozusagen ernüchtert und relativiert rekonstruiert. Wissenschaft produziert Aussagen mit Geltungsansprüchen, die (‚unsere‘) Wirklichkeit erschaffen, nicht mehr, nicht weniger und vor allem historisch veränderlich. Aussagen sind dabei gewissermaßen die kleinsten epistemischen Elemente. Begriffe und Forschungsgegenstände sind platziert in komplexen und umfassenden Diskursen, die, wie vor allem im „Willen zum Wissen“ (1976) herausgearbeitet wird, von sogenannten Dispositiven beherrscht werden.5 Diese Diskurse sind unhintergehbar und gewissermaßen größer als einzelne Forscher, trotzdem können mit historischer Distanz Funktionsmechanismen herausgearbeitet werden.6 Eine diskursiv verstandene Wirklichkeit ist durchsetzt von Macht- und Wahrheitsansprüchen, die sich in je einzelnen, konkreten Aussagen (Statistiken, Justizurteile, Taufe) formulieren und an Praktiken gebunden sind (mathematische Verfahren, Abhängigkeitsverhältnisse, Labore, Verwaltungsverfahren, Ehe), von denen eine Distanzierung und Objektivierung nicht einfach möglich ist. Diskurse produzieren Forschungsnotwendigkeiten und blinde Flecken, sie regulieren Körper und Gesellschaften und sind entlang spezifischer Machtformationen organisiert.7 Diskursanalyse nach Foucault heißt, wissenschaftliche Forschungsgegenstände wie zum Beispiel Nanotechnologie aus der Perspektive einer verteilten Machtproduktion aus zu denken und das Nichtwissen, das Nichtwissenwollen sowie das Nichtwissenkönnen als integralen Bestandteil (und nicht einfach als ‚andere‘ Seite der Wissenschaft) zu begreifen.8 Bei der Diskursanalyse werden Aussagen als komplexe Einheiten, die Realitäten produzieren, untersucht, wobei Foucault sozusagen erkenntnistheoretische Grundlagenforschung betreibt.9 Seine Historische Epistemologie be-

 4

FOUCAULT 1983 [1976], 8.

5

FOUCAULT 1983 [1976], 95 ff.

6

Hier taucht eines der vielen Probleme bei der Bezugnahme auf Foucault auf: Bei dieser Arbeit handelt es sich um einen Gegenwarts-Ansatz, die historische Distanz fehlt.

7

Bei JÄGER 1994, 24ff findet sich eine übersichtliche Kontrastierung des Linkschen, Maas’schen, Foucaultschen und Habermasschen Diskursbegriffs. Zum ,blinden Fleck‘ als Gleichnis FOERSTER 1993.

8 9

GEHRING 2004, 30f, 40f, insbesondere 47. Zum Begriff der „Aussage“ FOUCAULT 1994 [1973], 115f, GEHRING 2004, 54ff. „Die Aussage ist eine ‚Funktion‘, und zwar eine Funktion, die auf die pure Existenz eines Gesagten (dessen Entstehungsbedingungen) hinweist.“ (56). Jede Aussage braucht eine Ma-

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schäftigt sich mit historisch variablen Wissensstrukturen oder mit einer philosophischen Möglichkeit des Denkens von Forschungsgegenständen (mit Einschlüssen und Ausschlüssen).10 Dabei geht es darum, Diskursformationen freizulegen, die sich als strukturierte Wissenssysteme rekonstruieren lassen. Der Strukturbegriff der Linguistik soll in den Sozialwissenschaften fruchtbar gemacht werden.11 Foucault nennt das theoretisch-methodische Verfahren Aussagenanalyse, bei der die Wirklichkeit als Ergebnis einer komplexen Gemengelage von Sprache, wissenschaftlichen und industriellen Praktiken im Rahmen von mehr oder weniger deutlichen Machtbeziehungen begriffen wird. Er bezeichnet sein Verfahren als „Archäologie des Wissens“.12 Seine späteren Arbeiten fokussieren stärker auf den

 terialität: eine Substanz, einen Träger, einen Ort und ein Datum, FOUCAULT 1994 [1973], 147, das Verfahren besteht darin, aus mehreren einzelnen, individualisierbaren Äußerungen die Aussagen freizulegen, so dass man „eine unendlich wiederholbare Form [herauslöst], die den verstreutesten Äußerungen Raum geben kann.“ (148). Diese ‚begriffliche‘ Fassung wird hier mit der ‚begrifflichen Fassung‘ des Kollektivsymbols geleistet.– Auf den epistemologischen Ansatz der soziologischen Systemtheorie und ihr anders gelagertes Theorievokabular, inklusive der Rede von Ideenevolutionen (LUHMANN 1997, 536f), kann ich hier nicht eingehen, verweise aber auf die Formulierung: „Die Semantik benötigt Latenzen“, weil es „zahlreiche zeitliche Inkongruenzen zwischen systemstruktureller und semantischer Evolution“ gibt, LUHMANN 1997, 539. 10 FOUCAULT 1994 [1973]. 11 MEILER 2014, 88. Man könnte sagen, auch in Niklas Luhmanns evolutionärem Systembegriff finde sich eine Nutzbarmachung des Strukturbegriffs. 12 FOUCAULT 1994 [1973]. In einer Art fiktiven Dialogs lässt Foucault eine anonyme Autorfigur einräumen, er habe die „Archäologie des Wissens“, also die Archäologie als Verfahrensweise „nie als eine Wissenschaft präsentiert [...] [I]ch habe mich [...] um die Bilanz dessen, was ich anlässlich konkreter Untersuchungen unternommen hatte, (gekümmert) [...] Das Wort Archäologie [...] bezeichnet [...] eine der Angriffslinien für die Analyse verbaler Performanzen: Spezifizierung eines Niveaus, dessen der Aussage und des Archivs; Determination und Erhellung eines Gebiets: die Äußerungsregelmäßigkeiten, die Positivitäten; Anwendung von Begriffen wie derer der Formationsregeln, der archäologischen Ableitung, des historischen Apriori. Aber in fast all seinen Dimensionen und auf fast all seinen Kämmen hat das Unterfangen Beziehung zu Wissenschaften, zu Analysen wissenschaftlichen Typs oder zu Theorien, die Kriterien der Strenge gehorchen.“ FOUCAULT 1994 [1973], 294. GEHRING 2004 klassifiziert die Foucaultsche Archäologie „allenfalls [als] eine Klärung von Anfängen“ (34), nicht aber als Suche nach dem Ursprung. Bei Foucault stecke „philosophisch Entscheidendes [...] namentlich in der Frage nach dem methodischen Zusammenhang von Philosophie und Archivforschung / Geschichte [...] Verfahrensweise und Wirklichkeitsbegriff [...] laufen zusammen.“ (10)

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Aspekt der „Genealogie“ der Macht.13 Seiner Theorie zufolge kann die wuchernde Gemengelage Wirklichkeit mit Sagbarkeiten und Sichtbarkeiten jeweils in konkreten Analysen erarbeitet werden, wodurch als Resultat neue Fakten geschaffen werden, das heißt, die Wirklichkeit verändert wird. Bei der Rekonstruktion von Machtbeziehungen geht es gleichwertig um das Sichtbare und das Sagbare sowie um das, was unsichtbar und unsagbar bleibt. Insofern kann (und muss) die Rolle des Wissenschaftlers über die des protokollierenden Erleuchters (Sichtbarmachen) und Versprachlichers (Sagbarmachen) hinaus als die eines (generativen) Wirklichkeitsproduzenten beschrieben werden.14 Übertragen auf die vorliegende Arbeit heißt das, Nanotechnologie als produzierte, hergestellte Realität zu begreifen und sie als solche zu rekonstruieren, wodurch wiederum Realität produziert wird. Insbesondere bei dem ersten Text von Richard Feynman kann die Abgrenzung zur Technikgeschichte verdeutlicht werden. Es ist wichtig, den Text diskursanalytisch im hier vorgeschlagenen Sinn und nicht eindimensional historisch im Sinne eines Gründungsdokuments zu lesen, das scheinbar eine neue Technologie vorwegnimmt. Feynmans Text wurde zu einem Gründungsdokument gemacht15 und hat insofern eine historische Wirkung, obwohl sich aus dem Dokument nicht historisch herleiten lässt, warum es Nanotechnologie gibt. Die Macht des Textes entsteht im Diskurs. Der hier verfolgte diskursanalytische Erklärungsansatz geht von einem Textuniversum aus, in dem ein alter Text genauso wichtig und relevant sein kann wie ein gegenwärtiger. Es wird nicht ausgegangen von einem technikhistorisch rekonstruierbaren Kontinuum ablaufender Ereignisse. Foucault analysiert keine Kollektivsymbole, was mit den von ihm entwickelten und verwendeten Begrifflichkeiten zusammenhängt. Foucaults Abneigung gegen den Begriff der Ideologie und gegen Symbolanalysen erklärt Jürgen Link: Offenbar hängt Foucaults Abneigung gegen den Ideologiebegriff mit seiner Abneigung gegen Symbolanalysen zusammen. Es geht ihm darum, geistestypologische und kulturtypologische

 13 FOUCAULT 2009 [1974], DREYFUS / RABINOW 1987 [1982/1983], 275, 278, 296f sowie 133ff, MEILER 2014, 87. 14 Foucault beschreibt seine Arbeit zu Sexualität und Wahrheit beispielsweise als eine Art andauernder philosophischer Übungsstunde. Seine Arbeiten „gehören [...] dem Bereich der ‚Geschichte‘ an [...] [a]ber es sind nicht Arbeiten eines ‚Historikers‘ [...] Sie sind – will man sie unter dem Gesichtspunkt ihrer ‚Pragmatik‘ betrachten – das Protokoll einer Übung, die langwierig und tastend war [...] Es war eine philosophische Übung: es ging darum zu wissen, in welchem Maße die Arbeit, seine eigene Geschichte zu denken, das Denken von dem lösen kann, was es im Stillen denkt, und inwieweit sie es ihm ermöglichen kann, anders zu denken.“ FOUCAULT 1989, 16. 15 SCHUMMER 2009, 48.

94 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Totalisierungen am Leitfaden der Semantik zu verabschieden: Zu recht erblickt er in der Kollektivsymbolik eines der wichtigsten semantischen Totalisierungsverfahren, zu recht sieht er ferner in den meisten ‚Ideologiekritiken‘ bloß umgekehrte Geistestypologien, die ihre eigene ‚Wahrheit‘, d.h. ihren eigenen Geistestyp, in der Tasche tragen.

16

Es geht darum, simplifizierende Kulturdiagnosen anhand kollektiver Symbole zu vermeiden17 und mit einer undifferenzierten, gewissermaßenen plumpen Perspektive und unterkomplexen Begrifflichkeiten komplexe Wirklichkeiten zu analysieren und damit die eigene Arbeit der Gefahr auszusetzen, in Ideologie zu verfallen.18 Das Problem, mit den eigenen Analysekategorien in Geistestypologien zu verfallen, führt Foucault weg von den Begriffen Symbol, Kollektivsymbol oder Ideologie.19

 16 LINK 1985, 108. 17 Der Kulturtheoretiker und Philosoph Oswald Spengler (1880-1936) brachte es beispielsweise „fertig [...], die gesamte islamische Kultur aus ihrem dominanten Symbol, der Höhle, zu generieren: Höhlentheologie (Gnosis), Höhlenastronomie, Höhlenarchitektur (Kuppeln) und so weiter.“ LINK 1985, 108. 18 Bogdal kommt bei der Suche nach einem möglichen „begehbaren Pfad“ für eine ‚fröhliche‘ literaturwissenschaftliche Methode, die die „historischen Konstitutierungsbedingungen von Sinn und Repräsentation“ analysiert, zu der Überlegung, den Begriff der Ideologie anders als bisher zu konstituieren: „Ideologie war bisher stets mit den Begriffen Wahrheit, Wissenschaft oder Wirklichkeit verbunden. Gelänge es, sie von ihnen abzukoppeln und als spezifische Konstruktion gesellschaftlicher Kohärenz zu beschreiben, die um Subjekte zentriert ist, ließe sich über die Funktion der Ideologiekritik erneut diskutieren.“ BOGDAL 2007, 41. Damit verbindet sich ein strategisches Festhalten am Subjektbegriff für die Literaturwissenschaft, weil durch das erkennende Subjekt die Kohärenz der Interpretation sowie das Moment der Kritik, das ist die „Distanz zum Gegenstand und die Reflexion der eigenen theoretischen Prämissen“ garantiert würden. „Literatur und Interpretation sind auf einem Feld gesellschaftlicher Praktiken und Machtbeziehungen situiert, deren Ordnung sie ‚mitschreiben‘. Erst die Kritik markiert als distanzierende und negierende Bewegung die Position des Subjekts. Mag sein, dass das Ziel kritischer Interpretation darin besteht ‚Herr des Sinns‘ zu werden. Doch ist diese ‚Beherrschung‘, selbst wenn sie sich eines Tages als aufklärerisches Phantasma erweisen würde, die Voraussetzung des Subjekt-Seins. Das Macht-Wort muss jeder selbst sprechen, damit es ihm nicht andere vorbuchstabieren.“ BOGDAL 2007, 42. 19 „Der Begriff der Ideologie scheint mir aus dreierlei Gründen schwierig zu verwenden zu sein. Als erstes steht er immer, ob man will oder nicht, in einem potentiellen Gegensatz zu etwas, das Wahrheit wäre. Nun glaube ich aber, dass das Problem nicht darin besteht, Unterscheidungen herzustellen zwischen dem, was in einem Diskurs von der Wissenschaftlichkeit und von der Wahrheit, und dem, was von etwas anderem abhängt, sondern

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Jürgen Link verwendet jedoch trotz seiner starken Foucault-Lektüre diese Begrifflichkeiten weiter und begründet das mit einer unübersehbaren Gegenwärtigkeit von Symbolen, die sich samt spezifischer Machteffekte immer wieder neu und anders durchsetzen.20 Foucault aber vermeidet den Begriff des Symbols21 und weist den Ideologiebegriff kategorisch zurück.22 Link geht es in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst um eine Stärkung der Wissenschaftlichkeit der Literaturwissenschaft, weshalb er sich an strukturalistischen und linguistischen Begrifflichkeiten orientiert und abarbeitet. Eine linguistisch formalisierte und begrifflich starke Sprachbetrachtung wird zunächst übernommen, um später in einen Zusammenhang von Gesellschaft, Sprache und Macht überführt zu werden. Als Sprach- und Literaturwissenschaftler greift er die Arbeiten von Foucault auf, weil er sich für die Beschreibbarkeit der Produktionsmechanismen von Bedeutung interessiert und damit für die Verbindung von Seman-

 darin, historisch zu sehen, wie Wahrheitswirkungen im Inneren von Diskursen entstehen, die in sich weder wahr noch falsch sind. Der zweite Nachteil ist darin zu sehen, dass sich die Ideologie meiner Meinung nach zwangsläufig auf so etwas wie ein Subjekt bezieht. Und drittens befindet sich die Ideologie in untergeordneter Position in Bezug auf etwas, das ihr gegenüber als ökonomische, materielle usw. Struktur oder Determinante wirksam ist.“ FOUCAULT 1978, 34. 20 Im Aufsatz „Warum Foucault aufhörte, Symbole zu analysieren: Mutmaßungen über ‚Ideologie‘ und ‚Interdiskurs‘“ heißt es: „Bedeutet nicht jede imaginäre Koppelung zweier Diskurse mittels eines Kollektivsymbols (etwa eines Analogie-Modells, wie sie z.B. Zola zwischen Darwinismus und Soziologie benutzte [...]) einen enormen Machteffekt, der unbedingt analysiert werden muss? Bedeutet nicht jede geistestypologische Totalisierung, die sich ‚durchsetzt‘ [...], einen noch enormeren Machteffekt?“ LINK 1985, 108f. 21 Vgl. LINK 1985, der die foucaultsche Vermeidung der Begriffe „Ideologie“ und „Symbol“ (sowie „Metapher“) erklärt als eine „Verbannung“, die die „Machteffekte, die sich aus imaginärer, symbolischer, ‚rein‘ diskursiver Integration und Totalisierung von Spezialdiskursen gerade in ihrer Wirkung auf die Konstitutierung von Subjekten herleiten, unterschätzt hat.“ Als Beispiel wählt Link das „mächtige Kollektivsymbol“ des Wettlaufs: „So scheint es mir unübersehbar, dass ein wesentlicher Aspekt von Normalisierung darin besteht, dass die normalisierten Individuen auf eine gemeinsame Progreßlinie in Konkurrenz zueinander gesetzt werden.“ (111, kursiv im Original). 22 Bogdal konstatiert, dass Foucaults „Archäologie des Wissens“ (1973) den hier versuchsweise skizzierten Diskursbegriff vorlegt, und trotz der harschen Zurückweisung des Ideologiebegriffs „als methodisch differenzierte Fortschreibung der Ansätze Althussers zu einer symptomalen Lektüre (einschließlich ihrer Probleme und Schwächen) gelesen werden kann.“ BOGDAL 2007, 49. Dass sich mit Foucaults Zurückweisung von Begrifflichkeiten nicht die damit benannten Phänome oder Probleme erledigen, untersucht LINK 1985.

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tik und Macht. Dabei hält er im Gegensatz zu Foucault am Begriff der Kollektivsymbolik fest. ‚Machtdispositive‘ im engsten foucaultschen Sinne funktionieren immer auch semantischsymbolisch [...]. Auch die Machteffekte der kollektivsymbolischen Diskurs-Kurzschlüsse müssen [...] analysiert werden (was nicht ohne Semantik geht). [...] Mögen sie noch so ‚neblig‘ erscheinen – auch sie haben ihre Materialität, auch sie sind applizierbar auf ‚härtere‘ Ma23

terialitäten.

1984 zeigt eine Studie, dass der Heißluftballon im 18. Jahrhundert das Symbol einer menschlich geschaffenen Flugtechnik ist und wie dieses Symbol als Techniksymbol semantisch funktioniert.24 Dafür wird eine linguistische Perspektive auf einen umfassenderen gesellschaftlichen Zusammenhang bezogen (man könnte auch sagen: die Begrifflichkeiten werden soziologisiert) und historisch-philosophisch unter dem Stichwort Kollektivsymbolik analysiert. Link benutzt Begriffe und Theoriestücke wie elementare Literatur, Interdiskurs sowie Kollektivsymbol im Rahmen einer generativen Diskursanalyse. Diese Begrifflichkeiten werden hier angewendet und auf den symboltheoretischen Ansatz bezogen, sie dienen sozusagen als Krücken und als Korsett, ohne sie gäbe es die Arbeit nicht in dieser Form: sie würde vermutlich zusammenbrechen. Allerdings geht es nicht um eine explizit theoretische Aufarbeitung dieses Ansatzes, der seinerseits historische Symboltheorien aufgegriffen und in Anlehnung an Zeichentheorien systematisch weiterentwickelt hat.25 Es geht es in erster Linie um eine Auseinandersetzung mit konkreten Texten, die als lokale Zugänge zum und, im Sinne verteilter Machtproduktion, als Generatoren des Nanodiskurses angesehen werden.26

 23 LINK 1985, 109f. 24 LINK 1984. 25 Theoretische Anschlüsse LINK 1993 [1974], 384 sowie 389, Greimas wird als theoretisch anschlussfähiger Entwurf hervorgehoben. HÖRISCH / POTT 1983, 175 kritisieren einen ‚Szientismus‘, als überbemühte Wissenschaftlichkeit oder gar (im schlechten Sinn) Wissenschaftsorientierung (bis zu einer Wissenschaftsgläubigkeit?), was hier nicht diskutiert werden kann, was aber an der mathematischen Orientierung Links liegt. 26 Damit wird Kehrts Methode gewissermaßen literatur- und textwissenschaftlich transformiert, die Texte werden zu lokalisierbaren Zugängen zum Diskurs. Kehrt untersucht „Mechanismen der sozialen Konstruktion eines wissenschaftlichen Feldes vor Ort genauer [...], ohne dabei übergreifende Trends, Ebenen und Einflussfaktoren aus Politik, Medien und Gesellschaft auszublenden. [...] [D]as Lokale ist [...] eingebettet in vielschichtige nationale, länderübergreifende und zum Teil globale Zusammenhänge. [...] [D]ie Trans-

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Theorie der Kollektivsymbole Kollektivsymbole stehen in einem begrifflichen und literaturtheoretischen Zusammenhang, der im deutschsprachigen Raum in den 70er und 80er Jahren von Link entwickelt und seitdem in Arbeiten von Ursula Link-Heer, Siegfried Jäger und anderen aufgegriffen und angewendet wurde.27 Spricht man von Kollektivsymbolen und will man sie sprachlich untersuchen, so werden im Anschluss an Foucaults Diskurstheorie Texte als Teil gesellschaftlicher Diskurse in den Blick genommen, als Teil von Wirklichkeits- und Wahrheitsproduktionsmaschinerien. Texte werden nicht als isolierte Entitäten in linguistischen Textsorten und Genres wie Kunstwerk, journalistische Artikel, neutraler Wissensspeicher oder seichte Unterhaltung begriffen und kategorisiert.28 Im Umfeld des Duisburger Forschers Siegfried Jäger wird mit Begriffen wie Diskurs und Kollektivsymbolik operiert, um die politische Symbolik der Gegenwart zum Gegenstand von umfassenden Zeitungsartikel-Analysen zu machen. Jäger nennt sein Verfahren im Unterschied zu Link „Kritische Diskursanalyse“29, er setzt die Möglichkeit einer Wahrnehmung des „zur Zeit in der Bundesrepublik vorherrschenden politischen Diskurs[es]“ voraus, den er so charakterisiert: „Den zur Zeit im Trend dominanten Diskurs können wir insgesamt als neo-

 formation des Nanodiskurses in lokale Praktiken [ist] eines der interessantesten Aspekte des Nanophänomens, das weitergehender Analysen bedarf.“ KEHRT 2016, 24. 27 DREWS et al. 1985, JÄGER 2004, JÄGER 1994. 28 Geisenhanslüke und Müller rekonstruieren den Zusammenhang zwischen Foucaults Denken und der bundesdeutschen Fachgeschichte der Germanistik in den 1960er Jahren mit der Trennung in Literatur- und Sprachwissenschaft (Linguistik) darüber, dass Foucault in „Die Ordnung der Dinge“ die Linguistik (sozusagen ‚begrifflich‘) als gegendiskursive „Fundamentalwissenschaft“ (FOUCAULT 1974 [1966], 454) entworfen habe: „Im Anschluss an [...] Althusser bezeichnet Foucault Psychoanalyse, Ethnologie und Linguistik [...] als ‚Gegenwissenschaften‘, da sie das transzendentale Subjekt der Moderne mit den strukturalen Gesetzen der Sprache und des Unbewussten konfrontieren und damit auflösen. Was sich [...] abzeichnet, ist darüber hinaus eine Vorrangstellung der Linguistik, da sie [...] in einer strukturalen Begründung der Sprache ein formales Modell für Psychoanalyse und Ethnologie biete. Mit der tendenziell mystifizierenden Kennzeichnung der Linguistik als ‚Gegendiskurs‘ setzt Foucault sie als eine Art Fundamentalwissenschaft ein, die anderen Wissensbereichen vorgelagert sei. [...] [D]ie (strukturale) Linguistik, die Foucault in ‚Les mots et les choses‘ zugrundelegt, gewinnt [...] als Gegendiskurs eine ausgezeichnete Stellung innerhalb der sciences humaines, die sie mit der Literatur teilt. Foucault [...] [ist] an einer Vermittlung von Linguistik und Literaturwissenschaft nicht interessiert.“ GEISENHANSLÜKE / MÜLLER 2003, 90. 29 Vgl. exemplarisch JÄGER 2004 und JÄGER / JÄGER 2007.

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konservativ bis neoliberal geprägt und durchdrungen bezeichnen.“30 Im bundesrepublikanischen politischen Großdiskurs lässt sich beispielsweise der Rassismusdiskurs anhand von Medien-, Politiker- und Alltagsdiskurs untersuchen. Notwendig ist ein transdisziplinärer Blick auf Sprache und klassische sozialwissenschaftliche Gegenstandsbereiche31, der sich auch bei Links generativer Diskursanalyse findet, die allerdings anders funktioniert und ausgerichtet ist. Link interessiert sich Mitte der 1980er Jahre für Kollektivsymbole im Rahmen einer theoretischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und kollektiven Sinnbildungsprozessen. In der für diese Arbeit ausschlaggebend inspirierenden Studie untersucht er verstreute Aussagen des 19. Jahrhunderts, die sich auf den Flug mit dem Heißluftballon beziehen.32 Indem das Technikding Heißluftballon begrifflich als Kollektivsymbol gefasst wird, wird deutlich, wie die technische Raumaneignung per Heißluftballon eine semantische Vorstrukturierungs- und Konstitutionsleistung erbringt, die als Hintergrundfolie einzelne Aussagen individualisierbarer Sprecher formiert. Unter der stillen Voraussetzung einer identifizierbaren Technik (Fahren mit dem Ballon) wird entfaltet, dass und wie heterogene Aussagen mit Rekurs auf die Technik formuliert werden. Die Verwendung der semantischen Folie wird explizit als symbolische, nicht: metaphorische, Verwendung interpretiert, die sowohl in privaten Liebesbriefen als auch in politischen Reden Bedeutungsgenerierungen ermöglicht. Als Kollektivsymbol affiziert der Heißluftballon gesellschaftliche Gruppen oder Individuen, denen die Technik (ich würde ergänzen: die durch die Technik ermöglichte Raumsemantik) bestimmte Aussagen ermöglicht: der Aufstieg in die Lüfte kann als befreiend oder verunsichernd semantisiert werden. In einer generativen Diskursanalyse geht es darum, dass es nicht allein Technikerinnen und Ingenieure sind, die fachsprachlich über das Ballonfahren sprechen und somit bestimmen, was Ballonfahren ist und bedeutet. Das Kollektivsymbol Ballon ist im Zusammenspiel mit weiteren Kollektivsymbolen in der Lage, weitreichende Aussage-Semantiken zu strukturieren, die in heterogenen Praxisbereichen in unterschiedlicher Weise an die Bewegung des Ballons im Raum anküpfen. Man könnte vielleicht sagen, das Kollektivsymbol Ballon fungiere als Technik-Ding für den Literaturwissenschaftler Link wie eine Art kastrierter Begriff: zwar hat es einen Bezug zu Bedeutungskonstitution und damit zum Wissen, jedoch inkorporiert das Kollektivsymbol es nicht im Sinne eines wissenschaftlich abgesicherten, begrifflichen Wissens. Kollektivsymbole bestimmen, was im Diskurs ‚sagbar‘ ist und was nicht, sie haben sozusagen eine Eigenlogik. Das technisch induzierte Kollektivsymbol fungiert als eine Art Wahrheitsanker im Dis-

 30 JÄGER 2004, 143. 31 Beispielsweise Familie, Arbeit, Migration oder Gewalt. JÄGER 1994, 33f liefert eine Art Gebrauchsanweisung für das Verfassen einer Textanalyse als Diskursanalyse. 32 LINK 1984.

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kurs, an dem Rückschlüsse über dessen Funktionsweise festgemacht werden können. Die generative Diskursanalyse reflektiert dabei auf die Art und Weise der Semantisierung(en) um daran den „Machteffekten des spezialisierten und sektoriell operationalisierten Wissens in der Moderne“33 nachzuforschen.34 Bei Kollektivsymbolen handelt es sich um kollektive, identifizierbare Sprachgewohnheiten, die auf einer gemeinsam geteilten Lebens- und Sprachwelt epistemologisch aufruhen. Der wichtige Punkt ist: Sprachgewohnheiten, bei Link heißt es „Redeweisen“35, werden durch neue technische Erfindungen empirisch nachvollziehbar geändert, mit dem Sprachgebrauch ändert sich auch das Sagbare im Ganzen. Dazu kommen bei der Nanotechnologie bewusst eingeführte Änderungen der Sprachpraxis. In Zeiten [...] gesellschaftlicher Veränderungen sind auch die Veränderungen im Wortschatz groß, zumal wir wissen, dass nicht jedes neu eingeführte Wort aus kommunikativen Bedürfnissen heraus entsteht. Auch politisch motivierte Sprachregelungen verändern den Wort36

schatz.

Sprachgewohnheiten werden von individualisierten Sprechern und Autorinnen immer wieder aktualisiert und es gibt graduell unterscheidbar geübte und weniger geübte Sprecherinnen und Rhetoriker, insofern gehen Kollektivsymbole, mit Foucault gesprochen, in Aussageregeln über. Für einen interdiskursiven Sagbarkeitszusammenhang werden sie als expandierende und insofern integrierende BedeutungsInstanzen vorausgesetzt und lassen sich aus dieser theoretischen Perspektive pragmatisch als solche aufweisen. Ein Kollektivsymbol als Symbol „mit kollektivem Produzenten und Träger“37 wird aufgefasst als „Produkt eines anonymen, kollektiven ‚Dichtungs‘-Prozesses, der journalistische Alltagsdiskurse ebenso wie aphoristische Essayistik und kunstliterarische Verarbeitungen“ umfasst.38 In einem größeren Zusammenhang geht es um die Ausarbeitung einer „explizite(n) Theorie der Interferenz von Semantik und sozialhistorisch spezifischen Ideologien.“39 Die in den Wirren der späten sechziger Jahre entwickelte Theorie zielt darauf ab, „das Problem

 33 LINK 1985, 110f. 34 Meiner Ansicht nach müsste man den Linkschen Theorieentwurf mit der Soziologie von Luhmann und dem Entwurf von funktional geschiedenen, autonomen gesellschaftlichen Subsystemen gegenlesen. Das kann ich Rahmen dieser Arbeit nicht leisten. 35 Beispielsweise LINK 1983, 48. 36 HEUSINGER 2004, 50. Die ,gemachten‘ Wortschatzanderungen wirken sich vermutlich umso mehr aus, je größer der Grad der Technisierung der Sprache verbreitet ist. 37 LINK 1983, 50. 38 LINK / WÜLFING 1984a, 12. 39 LINK 1993 [1974], Vorwort 2. Auflage, III.

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der ‚gesellschaftlichen Bedingtheit und Funktion‘ der Literatur in nicht metaphorischer, (sondern in) theoretisch exakter Weise anzugehen.“40 Der Begriff des Kollektivsymbols wird verwendet, um die „theoretische Leere“ zwischen soziologischer und linguistischer Diskursdefinition zu überbrücken.41 Da es um eine „explizite Aufnahme der Fragestellung nach dem Zusammenhang zwischen semantischen, ideologischen und ästhetischen Strukturkomponenten der Literatur“42 auf einer Folie von exakter Wissenschaftlichkeit geht, kann man sagen: es handelt sich um den Versuch einer rationalen Simulierbarkeit komplexer Sinnproduktionsprozesse. Die Basis für solche Kultur- und Gesellschaftsproduktionsanalysen liefern Texte, in denen sich (elementar)literarische Teilstücke mit symbolischer Struktur finden lassen. Diese sollen auf der Folie einer genauen Beschreibung semantischer Bezüge und Funktionsweisen analysiert werden, um damit der Interferenz von Semantik und „sozialhistorisch spezifischen Ideologien“ auf die Spur zu kommen. Das „kollektive System der Anschauungsformen“ einer Gesellschaft ist, so könnte man sagen, vor allem in Kollektivsymbolen geordnet.43 Dieser Entwurf will sich nicht damit begnügen, „an der ,Grenze‘ der Semantik in allgemeiner Weise auf ‚kulturelle Kodes‘ zu verweisen“44, sondern die Theorie visiert die „sozial determinierten und überdeterminierten Produktionsmechanismen der Kultur vom Standpunkt der exakten Wissenschaften aus“ an. Paten bei diesem Versuch sind die französischen Strukturalisten insofern, als wesentliche analytische und deskriptive Kategorien hauptsächlich der französischen semiologischen Schulen für tauglich [...] [gehalten werden], diesen Produktionsprozess wissenschaftlich abbildbar zu machen.

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In der vorliegenden Untersuchung sind die „exakten“ Wissenschaften nicht (mehr) der fraglose Angelpunkt einer Außenbetrachtung, sondern bewegen sich mit ihren Aussagen innerhalb der Interferenz von Semantik und „sozialhistorisch spezifischen Ideologien“. Mit Blick auf die Linkschen Analysen könnte man sagen, dass die exakten Wissenschaften gewissermaßen in die ‚Schusslinie‘ geraten und nicht mehr als Vorbild angesehen werden. Wenn das „kollektive System der Anschauungsformen“46 einer Gesellschaft in Kollektivsymbolen geordnet ist, sind die Technik-

 40 LINK 1993 [1974], Vorwort 2. Auflage, III, Anmerkung 9. 41 LINK 1984, 63. 42 LINK 1993 [1974], Vorwort 2. Auflage, III, Anmerkung 9. 43 LINK 1983, 36. 44 LINK 1993 [1974], Vorwort 2. Auflage, II / III. 45 LINK 1993 [1974], 16. 46 LINK 1983, 36.

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Wissenschaften davon nicht ausgenommen. Sie tragen über die enge Verbindung mit dem Alltag ihrerseits zur Produktion von Kollektivsymbolen bei, sowohl in materiell-technischer Art, also dinghaft über Heißluftballon, Mondrakete, Computer, iPhone, DNA-Vaterschaftstest und Auto, aber auch über Begrifflichkeiten wie „Gen“, „Bevölkerungs-“ oder „Wirtschaftswachstum“ oder „DNA“.47 Wichtig ist, nicht von einer Wesenhaftigkeit der Kollektivsymbole auszugehen, sondern sie als „Dispositivelement unter Dispositiven“48 zu analysieren. Man kann mehrere Merkmale von Kollektivsymbolen angeben. Die folgende Aufzählung stützt sich auf JÄGER / JÄGER 2007, die sich eng an die Linksche Symboltheorie anlehnen, wenn sie auch nicht vollständig mit ihr übereinstimmt.49 Die dort genannten Kriterien werden um einen weiteren Punkt ergänzt. 1. Kollektivsymbole sind semantisch sekundär, sie haben eine indirekte Bedeutungsfunktion. Das Referenzwort bzw. das Referenzding verweist auf etwas anderes.50 (Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie erschließt „neue Räume für wirtschaftliches Wachstum in einer begrenzten Welt“.51) 2. Kollektivsymbole sind visuell darstellbar. Es wird von der „Ikonität“, der potentiellen Überschreitung des sprachlichen in ein visuelles Zeichensystem, gesprochen. (Abbildungen aus dem Nanokosmos zirkulieren ebenso wie Abbildungen von Wissenschaftsdisziplinen, vgl. Abb. 1, 2, 5, 6 und 7.)52 Bei Link ist eine potentielle Bildlichkeit notwendig für das Vorliegen eines Kollektivsymbols. 3. Die Beziehung zwischen den Bedeutungsebenen des Kollektivsymbols ist motiviert und nicht zufällig. Wenn die Eisenbahn als Symbol für Fortschritt dienen kann, dann deshalb, weil sie sich linear fortbewegt und weil Fortschritt als etwas

 47 Ein Beispiel wäre DNA, die als Erbsubstanz verstanden über eine Vielzahl von Beispielen als Kollektivsymbol nachgewiesen werden kann, zum Beispiel, wenn Uli Hoeneß als DNA des FC Bayern oder der Wirtschaftsliberalismus der FDP als DNA dieser Partei bezeichnet wird. Dazu wäre eine eigene Untersuchung notwendig. 48 LINK 1985, 113. 49 JÄGER / JÄGER 2007, 43-44. 50 DREWS et al. 1985, 260. 51 NORDMANN 2007a. 52 DREWS et al. 1985, 261. Diese Arbeit macht einen Vorschlag für eine systematische Untersuchung der Ikonität der Nanotechnologie. JANICH 2006, 2f spricht von drei Ikonen der Nanotechnologie, ebenso BREDEKAMP 2004, 20, NORDMANN 2009a spricht in Fußnote 13 von einer Ikone der Nanotechnoscience. - Geschriebene Sprache als visuelle Darstellung und Zeichensystem bei KRÄMER 2003.

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Positives angesehen wird. Relationen zwischen Bildern und ihren Bedeutungen sind über gemeinsame semantische Kennzeichen motiviert und nicht arbiträr.53 4. Kollektivsymbole sind kontextsensitiv, ihre (semantisch sekundäre) Bedeutung ist zurückgebunden an den Kontext. Die Eisenbahn kann in einem Text für die Entwicklungen einer zivilisierten Gesellschaft stehen, in einem anderen Text für einen biologischen Verlaufsautomatismus, beispielsweise den Transport von Nährstoffen in eine Zelle.54 Meine Arbeit zeigt, dass eine kontextsensitive Rekonstruktion der Nanotechnologie einen Unterschied für Dresden und Südafrika macht. 5. Kollektivsymbole sind nicht singulär, sind keine semantischen Einzelphänomene oder Ereignisse. Sie sind eingebunden in rekonstruierbare Systeme einer überschaubaren Menge von Kollektivsymbolen. Diese Systeme sind veränderlich. Kollektivsymbole sind bedingt lexikalisierbar.55 Zum System der Kollektivsymbolik der Nanotechnologie gehören verwirrenderweise auch Wissenschaften und eine wissenschaftliche Erfassung der Beziehungen. Für die Nanotechnologie macht es einen Unterschied, ob die Toxikologie als Wissenschaft diskursiv eingebunden ist oder nicht. 6. Kollektivsymbole entfalten „syntagmatische Expansivität“.56 Sie lassen sich sozusagen entlang ihrer Eigenlogik(en) weitererzählen und über das Weitererzählen wird die semantisch sekundäre Bedeutung transformierbar. So kann das Eisenbahnsymbol über zugehörige Begriffe und Phänomene wie Schienen, Gleise, Bahnhof oder Signale eine größere oder andere Ausdehnung erhalten, je nachdem, welches semantische Element des Kollektivsymbols konkret verwendet wird. Das ist der Grund, warum Heckl dem Roman Prey widerspricht, was an sich eine irritierende

 53 DREWS et al. 1985, 261. 54 Hier wird von der Kontextsensitivität von Kollektivsymbolen gesprochen statt von „Mehrdeutigkeit“, vgl. JÄGER / JÄGER 2007, 44 und 46. Auch DREWS et al. 1985, 261 sprechen von „Ambiguität“ und „Mehrdeutigkeit“ des Symbols, weil es mehrere Signifikate haben kann. Kontextsensitivität heißt, dass die semantische Perspektivierung der Eisenbahn im Hinblick auf die Linearität von Schienen oder im Hinblick auf verursachten Lärm oder auf topographisch notwendig induzierte ‚Gleichebigkeit‘ erfolgen kann (ohne Brücken und Tunnel keine Eisenbahn). Das heißt aber nicht, dass das Eisenbahnsymbol in sich ‚mehrdeutig‘ ist. Es ist kontextsensitiv in der Hinsicht, dass es adaptionsfähig ist für unterschiedliche Diskurse. 55 DREWS et al. 1985, 261. Die hier als Kontextsensitivität bezeichnete Qualität der Kollektivsymbole berücksichtigt sowohl die ‚Nicht-Singularität‘ als auch die von Link gesetzte Differenz zwischen komplexen Symbolen und isolierten, ‚einfachen‘ Tropen. 56 JÄGER / JÄGER 2007, 44.

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Sprachhandlung eines Physikers ist. Es geht darum, die Kollektivsymbolik der Nanotechnologie nicht mißliebig umzudeuten.57 7. Kollektivsymbole erlauben und erfordern Analogiebeziehungen. Die Lokomotive kann in Texten auftauchen als etwas, das im Verhältnis zu den Waggons dasselbe darstellt, was der technische Fortschritt für Demokratie, Kommunismus oder Diktatur darstellt.58 Symbole lassen sich außer nach medialer Erscheinungsweise und semantischen Strukturmerkmalen „auch nach ihrem sozialen Träger kategorisieren.“59 Damit ist gemeint, dass es einen Unterschied macht, wie groß die Anzahl der Individuen ist, für die ein Symbol eine kommunikative Funktion erfüllt, wann und wo sie leben, wer den Zugang zu Symbolen hat.60 Damit konstituiert sich auch der Unterschied vom Symbol zum Kollektivsymbol. Wenn Symbole aufgrund sozialer Träger unterschieden werden, dann analog zu den Ausführungen über Zeichen.61 Es kann empirisch ermittelt werden, dass Zeichen für (oder in) bestimmte(n) soziale(n) Kollektive(n) gelten, für andere Kollektive mitunter nicht. 62

Der soziale Träger bildet ein Kriterium, nach dem die Zeichen gruppiert werden können , [wobei man sich die] Menge nicht als völlig willkürlich zusammengewürfelt vorstellen [darf]. Vielmehr handelt es sich dabei um eine gesetzmäßig geordnete Menge von Individuen, um ein soziales Kollektiv.

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 57 HECKL 2004, 134f, vgl. Kapitel I.1. Nordmann zur Lage für das Kollektivsymbol Nanotechnologie 2007: „Die Frage ist: Wie kann sich dieses Konstrukt langfristig halten? Es ist jetzt eingeführt, die Finanzierung ist ziemlich gut. [...] Es wird viel Geld dafür ausgegeben, die öffentliche Beurteilung ist vage, aber positiv.“ NORDMANN 2007a. 58 Bei JÄGER / JÄGER 2007, 44 wird nur die Demokratie genannt. Das berühmte Zitat vom 22.12.1920 von Lenin lautet: „Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.“ 59 LINK 1993 [1974], 192. 60 Bei der literaturwissenschaftlichen Diskurstheorie von Link geht es nicht um eine weitere Emphase des Individuum-Begriffs, sondern, wenn man so will, um eine Aufarbeitung der Sachkontexte der Literatur. Link verwendet den Begriff „Individuen“ in einer schwachen Bedeutung: „eine gesetzmäßig geordnete Menge von Individuen […] [ist] ein soziales Kollektiv.“ LINK 1993 [1974], 20. 61 LINK 1993 [1974], 20. 62 LINK 1993 [1974], 21. 63 LINK 1993 [1974], 20.

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Mit der Rückbindung an soziale Referenzgruppen, die Zeichen- und Symbolbedeutungen identifizieren (können) und, einer Begriffsnotwendigkeit folgend, begrifflich tragen müssen, verabschiedet sich das Konzept aus abstrakten, globalisierenden und universalisierenden Zeichentheorien und führt kulturelle, letztlich an einzelne Individuen gebundene Differenzierungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten ein. In diesem Zusammenhang sind drei Aspekte wichtig. Kollektive können zwar, müssen und werden aber nicht allein über die Größe, also Quantität der Anzahl der Individuen unterschieden. Unterscheidungen ergeben sich entlang qualitativer Kriterien wie Gewohnheiten, Ritualen, Praktiken, Überzeugungen, politischer Einstellungen, und man könnte für die Nanotechnologie ergänzen: entlang der Auffassung von der Ordnung der Wissenschaften. Diese qualitativen Unterscheidungskriterien bezeichnet Link als „gesetzmäßig geordnet“.64 Der Vorteil einer als gesetzmäßig bezeichneten Ordnung besteht darin, dass damit auf soziologisch erfassbare, vielleicht sogar durch empirische quantitative Untersuchungen belegbare Fakten rekurriert werden kann, die erforscht werden können.65 (Für die Nanotechnologie sind die qualitativen Unterscheidungskriterien als pragmatischer Kontext, als textliche Manifestation und als Wissenschaftsbezug zu Wissenschaftsdisziplinen gesetzt.) Kollektive fungieren als soziale Träger von Zeichen. Wenn es um Symbole geht, gilt: Gruppen, aber auch einzelne soziale Träger stehen in sozialen Konflikten miteinander. „Jeder soziale Träger ist im sozialen Konflikt bestrebt, möglichst viele Fakten, Vorgänge, Bilder usw. zu repräsentativen Symbolen im Dienste seiner Ideologie zu machen.“66 Als Unterkategorie von Zeichen sind Symbole bedingt: Sie fallen nicht vom Himmel, ihre Bedeutung konstituiert sich in sozialen Aushandlungsprozessen unterschiedlich qualifizierbarer Gruppen, gegebenenfalls von Einzelpersonen. Symbole haben in mehrerlei Hinsicht einen Machtaspekt, der von Link nicht explizit unter dem Stichwort Macht ausbuchstabiert wird.67 Lassen sich soziale Träger der Symbole entlang sozialer Praktiken und Ideologien stratifizieren, wird es möglich, wissenschaftliche Disziplinen ebenfalls als

 64 LINK 1993 [1974], 20. 65 Der Nachteil besteht in dem erwähnten Szientismus, vgl. HÖRISCH / POTT 1983, 175. 66 LINK 1993 [1974], 191. 67 Entlang der Fußnoten dieser Arbeit kann man bei Wissenschaftlern wie Wolfgang Heckl und Alfred Nordmann ansatzweise Aktivitäten und Machtkonstitutionen zur Nanotechnologie verfolgen. Genereller gesagt: Natur- und Geisteswissenschaftler produzieren in sozialen Aushandlungsprozessen machtvolle Aussagen zur Nanotechnologie, die als solche erst sichtbar gemacht oder rekonstruiert werden müssen.

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Symbole zu untersuchen. Dies wird hier ansatzweise praktiziert, aber nicht theoretisch aufgearbeitet. Link verwendet den Symbolbegriff, weil er den Begriff für tauglich hält, einen theoretisch gesättigten Zugang zu sprachlich manifestierten vielfältigen Machtbeziehungen zu ermöglichen. Über den Symbol- bzw. Kollektivsymbolbegriff wird ein Zugang zur Analyse der Macht sprachlicher Zeichen eröffnet.68 Da Nanotechnologie nicht ein technisches Ding ist und weder für eine einzelne noch für eine überschaubare Anzahl mehrerer Technik(en) steht, ist das, was an Untersuchungen zur elementaren Literatur für das Ballonsymbol vorliegt, nur abgewandelt auf Nanotechnologie anwendbar. Der Zusammenhang von Raumdiskursivierung, Wissenschaften und Nanotechnologie, innerhalb dessen bestimmte Aussagen ermöglicht werden, muss anders untersucht werden, als es bei Link vorgemacht wird. Nanotechnologie ist ein gesellschaftspolitisch gesättigter, internationaler Technikdiskurs, der sich lokal reproduziert.69 Da diese Untersuchung eine diskursiv vorliegende Einheit der Nanotechnologie entlang von Raumsemantik strukturiert und sich mit drei sprachlich manifesten Raumskripten beschäftigt, aufgrund derer drei Diskursbereiche unterscheidbar werden, wird der theoretische Hintergrund, vor dem dies geschieht, an die Untersuchung angepasst. Die Anpassung geschieht insbesondere im Hinblick auf das Verständnis von Technik als Artefakttechnik.70

 68 Ein 2009 erschienener Sammelband zum Symbolbegriff ignoriert die systematischen Untersuchungen und Überlegungen von Link, obwohl in dem von Literaturwissenschaftlern herausgegebenen Band Texte aus den 1980er und 1990er von Bourdieu, Luhmann und Eco abgedruckt werden, BERNDT / DRÜGH 2009. 69 Vgl. die Studie von KEHRT 2016. 70 Der Begriff des „Artefakts“ (als Werkzeug, Maschine oder Automat) steht noch 1989, also bei der flächendeckenden Einführung der Computer in Europa, im Zentrum zeitgenössischer Literatur über Technik, wodurch, so die Kritik, „die Suche nach einer theoretisch ausgearbeiteten Begrifflichkeit“ obsolet wird. LUHMANN 1997, 519, Fußnote 182. Dagegen fordert er einerseits für „die risikoreichen Hochtechnologien [...] einen weiter gefassten Begriff von Technik“ und labelt sie daher „als Form evolutionärer Errungenschaften“ der Gesellschaft und als „funktionierende Simplifikation“: „In jedem Falle geht es um einen Vorgang effektiver Isolierung; um Ausschaltung der Welt-im-übrigen; um Nichtberücksichtigung unbestrittener Realitäten – seien dies andere Ursachen und Wirkungen, seien es andere Informationen“ (523f). Dabei läuft gelingende „Reduktion [...] auf unschädliches Ignorieren hinaus.“ (525). Der luhmannsche Technikbegriff, der von jeder humanistischen Gegenbegrifflichkeit abgelöst werden soll (528), erfordert eine eigentümlich notwendige Trennung von Technik und Gesellschaft, wenn ein technologischer „Wahlbereich“ isoliert wird (527), und „die gesellschaftliche Evolution auf Technik rekurriert, um Kopplungen zwischen dem Gesellschaftssystem und seiner Umwelt sicher-

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Kollektivsymbole und Raumkonstitution Der Zusammenhang von Kollektivsymbolik und Raumkonstitution kann anhand der mehrfach erwähnten Studie zur Symbolik des Ballons erläutert und problematisiert werden. Untersucht wird, dass und wie eine Einzeltechnik, der Heißluftballon als Beförderungstechnik, unterscheidbare Raumlogiken induziert, die sich sprachlich, das heißt für uns als Nachwelt: in Texten, aufweisen lassen.71 Das Ballonsymbol findet in Sprachzeugnissen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert Verwendung, um reale Ereignisse und Prozesse semantisch aufzuladen und Sinn zu erzeugen. Das ‚Technikding‘ Heißluftballon fungiert wie ein mehrwertiges raumsemantisches und damit als eine Art flexibles Aussageschema, mit dem Aussagen zu heterogenen Prozessen gemacht werden (Politik oder Liebe). Aussagen kommen unter Zuhilfenahme des Ballonsymbols zustande, das sozusagen in der Sprache sitzt oder kursiert. Für die Wahl des semantischen Aspekts, Ballon bedeutet wahlweise Freiheit, Richtungslosigkeit, Aufstieg, Unsicherheit, kommt es darauf an, wie der Kontext sich gestaltet: Geht es um die Befreiung aus politischer Unmündigkeit, wird das Ballonfahren als positiv konnotierter, menschengemachter Aufstieg in luftige Höhen semantisiert, die Höhe erlaubt eine befreite Perspektive, einen klaren Blick auf die Verhältnisse, eine Vogelperspektive auf gesellschaftliche Verhältnisse. Geht es um das Befürworten nationalkonservativer Politik, verdeutlicht oder illustriert das Ballonsymbol die Instabilität, Unsicherheit und Unkontrollierbarkeit politischer Wandlungsprozesse. Das Ballonsymbol wird wahlweise mit unkontrolliertem oder stetigen Aufstieg, mit Richtungslosigkeit und Willkür oder aber mit Freiheit konnotiert. Es entstehen komplexe elementarliterarische Aussagen mit sowohl positiver („spontan-natürlicher Aufstieg“) als auch negativer („unsicher“) Konnotation. Unterschiedliche reale Prozesse und Praktiken werden signifikant raumlogisch semantisiert, ihnen wird Bewegung, ein Verlauf oder auch Stillstand zugesprochen und semantisch an das technische Ding, den Ballon, zurückgebunden. Der raumlogische Modus des technischen Fortbewegungsmittels Ballonfahren ist von der Raumlogik eines anderen technischen Fortbewegungsmittels mit linearen Verlauf

 zustellen, an die dann interne Prozesse der Informationsverarbeitung und die soziale Technisierung anschließen können. [...] Technik lässt sich nur beobachten und nur einrichten, wenn ein System bestimmt, welche der unzähligen Elemente zu koppeln sind.“ (526f). Zwar habe die Abhängigkeit von funktionierender Technik zugenommen, aber die Gesellschaft selbst sei auf keinen Fall technologisch zu begreifen: „Inzwischen hat sich die Gesellschaft an Technik gewöhnt. Damit ist nicht gesagt, [...] dass die Gesellschaft selbst zu einer Art Technologie geworden ist. Eine solche These wäre empirisch leicht zu widerlegen.“ (531f). Diesem Ansatz widerspricht Latour aus guten Gründen. 71 LINK 1984, 149-163.

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unterscheidbar: die Schienen-Eisenbahn wird als geradlinig, konsekutiv, erdverbunden und sicher angesehen. Link zeigt, dass eine technisch gebundene Raumlogik in elementarer Weise in die Sprache Einzug gehalten hat und dass die Raumsemantik der Eisenbahn gegen die des Heißluftballons abgrenzbar ist. Der Witz der Studie besteht darin, die unterscheidbaren Semantisierungen, die unter Zuhilfenahme des Ballonsymbols vorgenommen werden, nicht als Metaphern oder bloße Rhetorik zu interpretieren. Es geht nicht um die ausgeprägte rhetorische Fähigkeit einzelner Sprecher, die das, was sie sagen und durchsetzen möchten, geschickt anhand von Beispielen aus der Technik illustrieren, metaphorisieren und plausibilisieren können. Zwar illustrieren identifizierbare Sprecher politische Prozesse mit Rückgriff auf ein technisches Ding, aber, so die entscheidende Beobachtung, sie können nicht anders. Sprecher oder Autoren äußern sich innerhalb von bestimmbar vorliegenden und semantisch wirksamen Illustrations- und Interpretationsvorlagen, den so genannten Kollektivsymbolen.72 Die Kollektivsymbole als diskursiv vorliegende, kollektive, semantische Referenzobjekte wirken im Sinne von semantischen Formatvorlagen wie von selbst, gleichsam automatisiert, sinnstiftend. Das Kollektivsymbol Heißluftballon ist wie ein Aussageschema, das bereits vorliegt, ohne dass es vollständig ausdeterminiert wäre. Link entwirft eine methodische Perspektive, die einzelnen Sprechern zwar Spielräume lässt, aber die Sinnkonstitution als zum Teil automatisiert und vorgeprägt (heute könnte man sagen: eigenlogisch) ansieht. Sein Ansatz begnügt sich nicht mit rhetorischen Analysen: in Anlehnung an Foucault könnte man den Ballon als Sagbarkeitsfolie im Diskurs bezeichnen, die dazu beiträgt und bestimmt, was man sagen kann und was nicht. Mehrere Schlussfolgerungen liegen nahe, die das Verhältnis von Sprache, Technik und letztlich Politik und Macht betreffen. Vielleicht gehen nicht nur Transporttechnik, Ballone, Eisenbahnen, Flugzeuge, Autos, mit irreduziblen und beobachtbaren Sagbarkeiten einher und als implizit raumbewältigende Techniken kollektivsymbolisch in allgemeine Sprachgewohnheiten ein. Technik, und ich würde an dieser Stelle ergänzen: Wissenschaft und Forschung, sorgt allgemein dafür, dass der Kreis dessen, was gesagt wird und der Rahmen dessen, was an Argumenten und Beweisverfahren sprachlich (machtpolitisch) zugelassen wird, in einem starken Sinne bestimmt und determiniert wird. Analytisch gesprochen verändern Technik,

 72 Dies ist mit und gegen Foucaults Diskursanalyse gesprochen. Einerseits gibt es eine Übereinstimmung dahingehend, dass man Kollektivsymbole in ähnlicher Weise als ‚gegeben‘ ansehen könnte wie die Foucaultschen Wissensstrukturen bzw. Episteme. Andererseits erfolgt Links analytischer Blick auf das Sprachmaterial als individualisierender und differentiell-soziologisierender, so dass sich durchaus einzelne Sprecher identifizieren lassen, um die es allerdings gerade nicht geht. Es geht wie bei Foucault um das, was gesagt und wie es gesagt wird.

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technische Dinge aber auch großtechnische Systeme, oder, wie Simondon sagt, „Ensembles“73, im großen Stil individuelle Sprach- und Denkgewohnheiten und damit kollektive Möglichkeiten des Sagbaren.74 Aufweisen lässt sich dies durch Diskursanalysen, die die Macht des jeweiligen Techniksymbols aufschlüsseln können. Für Link existiert (noch) die Möglichkeit eines historischen, diskursiv analysierenden Wissenschaftlerblicks, der anhand einer begrifflichen Schulung wissenschaftlich auf das Material zugreift. Wird die (Raum-)Semantik des Ballonsymbols anhand konkret kontextualisierter Sprachzeugnisse untersucht, wird das technische Ding als Symbol in einem relationalen oder differentiellen Sprachgefüge lokalisierbar. Analysiert wird, welche Aussagen mithilfe des Ballonsymbols ermöglicht werden und welche nicht, es geht nicht um eine tatsächlich vorhandene Technik Ballonfahren, die mit einem Risiko XY behaftet ist. Sondern untersucht werden anhand konkreter Textzeugnisse sprachliche Repräsentationen und Semantisierungen von Risiko, die auf das Ballonsymbol zurückgreifen. Eine der Voraussetzungen ist, dass das technische Ding Heißluftballon identifizier- und differenzierbar ist anhand von Funktion und raumdinglicher Erscheinungsweise, wobei die Abhängigkeit des Kollektivsymbols vom Stand der Technik nicht thematisiert wird (und vielleicht nicht werden kann). Die Funktionen des Ballons haben sich mit der technischen Weiterentwicklung, zu der auch die Erweiterung des meteorologischen Wissens gehört, geändert. Sobald der Ballon lenk- und damit in seiner Bewegung kontrollierbarer wird, verändern sich die Semantisierungen und er wird zum Luftschiff. Wird der Heißluftballon durch die Zunahme wissenschaftlichen Wissens und technische Errungenschaften in seiner Bewegung kontrollierbar(er), werden Aussagemöglichkeiten, die auf seiner Raumlogik beruhen, mindestens verändert, und eventuell eingeschränkt. Eine Praxis der kontrollierten Raumaneignung des oberen Luftraums, noch dazu mit kriegerischer Absicht, erschwert oder verunmöglicht elementarliterarische Aussagen, die, wie beispielsweise bei Goethe, den „vertikale[n] Aufstieg des Ballons mit der Bewegung aus einer irdischen in eine himmlisch-ätherische Sphäre“ poetisieren.75 Mit der elementarlitera-

 73 SIMONDON 2012 [1958], 47ff., insbesondere 60f. 74 Heideggers Technik–Sprache Vortrag erhebt einen ähnlichen Befund, kommt jedoch zu völlig anderen Schlussfolgerungen, HEIDEGGER 1989 [1962]. 75 LINK 1983, 49. Als Beispiel für den fundamentalen Wechsel der luftfahrenden Raumlogik sei aus „Die Erschließung des Luftmeers“ (1912) zitiert, wo „aerodynamische oder aviatische Maschinen“ schwerer als Luft „nur durch besonderen Kraftaufwand“ fortbewegt werden können, und unterschieden sind von luftgefüllten „aerostatischen Maschinen“, also Ballonen, KIRCHHOFF 1912, 4. „Wenige Jahre sind es her, seit der erste kurze Flug mit dem lenkbaren Luftschiff gelang. Im Sommer [...] 1909 konnte Graf Zeppelin bereits einen 37stündigen ununterbrochenen Flug mit seinem Luftschiff ausführen. [...]

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risch fokussierten, kollektivsymbolischen Relektüre von Texten wird meiner Ansicht nach eine bestimmte raumdingliche Erscheinungsweise des Kollektivsymbols Ballon ‚stillgestellt‘ und indirekt ein bestimmter Stand der Technik konserviert. Bei Nanotechnologie als Spitzenforschungs-Terminus handelt es sich um ein nicht (einmal annähernd) definiertes Set von Techniken, es gibt ohne weiteres überhaupt keine hervorgehobene Referenztechnik, auf die sich eine Kollektivsymbolanalyse analog zur Analyse des Ballonsymbols beziehen könnte. Nanotechnologie operiert aus einer unklaren Gemengelage von zuständigen Forschungs- und Wissenschaftsdisziplinen mit generalisierenden Zugriffs- oder Manipulationsversprechen auf molekularer Ebene, womit im Einzelnen spezialisierte unterschiedliche Referenztechniken angesprochen sein können, aber nicht müssen. Trotzdem lässt sich Nanotechnologie als Referenztechniksymbol aufgrund einer Raumlogik (und gewissermaßen sprachstrukturell analog zu Links Untersuchung des Ballon-Kollektivsymbols) untersuchen, indem der Raum, genauer: die diskursive Raumerzeugung zur relevanten semantischen Analysekategorie gemacht wird. Der theoretische

 Wenige Monate vorher hatte [...] der Parsevalballon einen [...] für das Luftschiff als Kriegswerkzeug besonders wertvollen anderen Rekord geschaffen, indem er einen Flug in einer Höhe von über 1500 Metern ausführte. [...] Die Eroberung der Luft ist zur Tatsache geworden! Zu dem Verkehr auf der Erde und auf dem Wasser wird sich innerhalb weniger Jahre der [...] in der Luft gesellen. Die [...] Jugend wird es noch erleben, daß dieser Luftverkehr um vieles lebhafter sich gestalten wird, als der Verkehr auf dem Wasser, das uns an bestimmte Straßen bindet, während die Luft unbegrenzte Bewegungsfreiheit lässt. Die Zeit ist nicht mehr allzufern, wo wohlhabende Leute ihren Flugapparat halten werden, wie sie heute ihr Automobil halten, und dieser [...] wird sie rascher befördern als alle Eisenbahnen und Automobile [...], er wird billiger sein [...], die Fahrt mit ihm wird Genüsse schaffen, gegen die der Reiz aller Fahrten zu Land und zu Wasser verschwindet. Von [...] besonderer Bedeutung versprechen aber Luftschiff und Flugapparat für die Kriegführung zu werden. [...] Es kann nur eine Frage weniger Jahre sein, dass der Flugapparat auch Höhen von 1000 Metern und mehr erreicht. Eine Flugmaschine in 1000 Metern Höhe wird aber ein so idealer Kundschafter, dass ein zukünftiger Krieg, an dem eine Großmacht beteiligt ist, sicherlich Hunderte von Flugapparaten [...] zeigen wird, die, über das feindliche Lager hinwegfliegend, mit Fernrohr und photographischem Apparat die Stellung des feindlichen Heeres auskundschaften werden. [...] Noch aufregender und interessanter wird sich der Kampf gestalten, wenn die Heere beider Gegner mit Luftschiffen und Flugapparaten ausgestattet sind. [...] [D]ann wird sich zu dem Kampf auf der Erde ein [...] furchtbarerer Kampf in den Lüften gesellen, in dem diejenige Nation Siegerin bleiben wird, die die größte Erfahrung in der Flugtechnik und der Handhabung der Flugmaschine besitzt. Ungeheure Entwicklungskräfte schlummern in dem lenkbaren Luftschiff und [...] Flugapparat von heute.“ (Vorwort S. Vff).

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Ansatz ist für die Untersuchung einer (im weitesten Sinn) als kulturell verstandenen Raumkonstitution der Nanotechnologie besonders geeignet, weil es über das Theoriestück der elementaren Literatur eine Offenheit für alle Textsorten gibt und Nanotechnologie pragmatisch nicht an eine einzelne Praxis gebunden ist. Die diskursive Einheit der Nanotechnologie als Technik muss in verschiedenen Textsorten mehr oder weniger abhängig von konkreten wissenschaftlichen Praktiken generiert und entsprechend rekonstruiert werden. Als räumlich universalisierendes Zugriffs- und Manipulationsversprechen besteht Nanotechnologie aus einer Gemengelage diskursiver Bestandteile, die sich aus unterschiedlichen Praktiken speisen.76 Indem Textzeugnisse im Hinblick auf raumkonstituierende Redeweisen befragt werden, wird epistemologisch davon ausgegangen, dass die raumkonstitutierenden Aussagen elementarliterarisch erfolgen. Diese Hypothese wird diskursanalytisch anhand verstreuter Textzeugnisse, die an verschiedene Genres und Anlässe gebunden sind, überprüft. Diese elementarliterarischen Textzeugnisse werden als technologische Aussagenkomplexe angesehen, über die Technik kontextgebunden in einen Raum hinein diskursiviert wird. Interdiskursive elementarliterarische Verräumlichungen bestimmen Nanotechnologie als Technikdiskurs. Nanotechnologie im Hinblick auf raumlogische Semantik zu untersuchen, heißt, mit Hilfe der Theorie der elementaren Literatur die praktikenintegrierenden Leistungen des Nanotechnologie-Diskurses sichtbar zu machen. Wird Nanotechnologie als Kollektivsymbol untersucht, dessen Semantik raumlogisch durch drei Raumskripte strukturiert wird, die mit einer Unterscheidung dreier Diskursbereiche einhergeht, kommt es aus theoretischer Perspektive vor allem auf die Raumskripte an: Sie wirken wie unterschiedliche Raumermöglichungen oder Logiken der Raumerzeugung, sie generieren Raum, sind selbst aber keine Kollektivsymbole.77 Mit Blick auf die Terminologie: Die Verwendungsweise des Symbols Nanotechnologie unterliegt einer explizierbaren Rhetorik und Logik von Räumen. In der als lehrfähig konzipierten Sammlung „Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe“78 wird ein linguistisch gesättigtes Begriffsensemble eingeführt, das zur Operationalisierbarkeit des (Kollektiv-)Symbolbegriffs beiträgt und im Folgenden rekonstruiert wird. Der

 76 Links Theorie der elementarliterarischen Redeweisen antizipiert aktuelle kultur- und medienwissenschaftliche Verfahren, indem für die Literaturwissenschaft ein begriffliches Instrumentarium zur Analyse hybrider semantischer Phänomene entworfen wird. 77 Über diesen Punkt bin ich mir nicht sicher. Es könnte sein, dass auch die hier beschriebenen Raumskripte als Kollektivsymbole analysiert werden könnten; sie weisen Merkmale der syntagmatischen Expansivität und der Kontextsensitivität auf, da sie auf verschiedene Praktiken angewendet werden können. Allerdings weiß ich nicht, wie eine Verbildlichung oder visuelle Darstellung aussehen könnte: vielleicht als animierte Pfeile? 78 LINK 1993 [1974].

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Begriff des Kollektivsymbols im Zentrum erlaubt es, elementare Literatur als das „kollektive System von Anschauungsformen, ohne das die Gesellschaft auseinanderfiele“79 strukturell näher zu analysieren. Symbolisierung als literarisches Verfahren Symbole sind formale Repräsentationsfiguren und haben eine semiotische Struktur, die entlang bestimmter Verfahren entschlüsselt werden kann. Als Spezialfall und Untergruppe von Zeichen gelten für sie die Strukturmerkmale, die auch für Zeichen gelten. Insofern werden für Symbolanalysen sowohl die Begriffe Signifikat (Bedeutung, Sinn), Signifikant (Bedeutungsträger, materielles Zeichen) wie auch Sem, Kontext, Lexem, Semem, Konnotat und Denotat eingeführt. Diese formale wird von einer substanzmetaphysischen Sichtweise abgegrenzt, die Symbolen in einer konstruierten Traditionslinie bis (mindestens) zu Goethes Definition eine esoterische oder mystisch-theologische Offenbarungsleistung zuspricht. Symbole sind strukturell in Diskursen gebunden und relational verortet und nicht durch „eine Offenbarung des Unerforschlichen“ oder die „Repräsentation des Allgemeinen im Besonderen“ (Goethe) gekennzeichnet.80 Symbole generieren als besondere semantische Verfremdungsfiguren komplexe Wort- und Zeichenbedeutungen, ohne sich grundsätzlich den Prozessen semantischer Standardisierung zu entziehen. Sie werden als formale Repräsentationsfiguren modelliert, deren relationale semantische Verweisungsstruktur ernst genommen und damit semiotisch beschreib- und analysierbar

 79 LINK 1983, 36. 80 Wenn nicht anders angegeben, Zitate aus der Hamburger Ausgabe HA Dünndruckausgabe in 14 Bänden, München 1981ff, mit Band und Seitenzahl: „Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeine repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.“ Maximen und Reflexionen Nr. 341, HA 12, 471. „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, dass die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe.“ Maximen und Reflexionen Nr. 749, HA 12, 470. „Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, lässt sich niemals von uns direkt erkennen, wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen.“ Versuch einer Witterungslehre, 1825, in: Artemis-Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Zürich und Stuttgart 1948ff, Bd. 17, 639. „Alles, was geschieht, ist Symbol, und indem es vollkommen sich selbst darstellt, deutet es auf das Übrige.“ Brief 2.4.1818 an Carl Ernst Schubarth, abgedruckt in BERNDT / DRÜGH 2009, 238-247.

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wird. Aber wie sind Symbole textlich und sprachphänomenologisch realisiert, wie sehen sie aus? Symbole brauchen als wort- und satzübergreifende Teilkomplexe von Texten oder Textabschnitten eine minimale Isotopie, in der Regel kann ein einzelnes Wort nicht ein Symbol sein. Der Begriff der Isotopie (gleiche Ebene) fordert, dass auf der gleichen Textebene eine bestimmte Ordnung sprachlicher bedeutungstragender Elemente (Sememe) vorliegt, bei der bestimmte Elemente die Rolle von Aktanten und andere Elemente die Rolle von Prädikaten einnehmen.81 Sememe sind sprachliche Zeichen, die in konkreten Kontexten aktualisiert sind, im Unterschied zu Lexemen, die kontextfrei im Lexikon nachgeschlagen werden.82 Aktanten sind in der Isotopie diejenigen Sememe (Substantive), die rekurrieren oder rekurrieren können. Die Isotopien werden durch isotopiekonstitutive Aktanten, zumeist sind das rekurrente Klasseme83, semantisch determiniert.84 Es handelt sich sozusagen um eine strukturalistisch-hermeneutische Grundbedingung: Texte sind überhaupt nur analysierbar (und verständlich), weil rekurrente Klasseme und Konnotate in Isotopien angeordnet sind.85 Wissenschaftliche Texte zeichnen sich durch Begriffe aus, ihre isotopiekonstitutiven Aktanten sind abstrakte Kategorien. Abstrakte Kategorien ermöglichen, dass es sich bei Begriffen erstens um gesetzmäßig geordnete Abbildungen der Gegenstände handelt und zweitens um eine generalisierende (d.h. verallgemeinernde und nicht singularisierende) Form der Abbildung.86 Eine minimale und maximale Definition dessen, was (noch) als Symbol angesehen werden kann, ist als untere Grenze eine minimale Isotopie, als obere Grenze die symbolische Erzählung. Links

 81 LINK 1993 [1974], 71f, insbesondere 75. 82 LINK 1993 [1974], 56. Das Wort „Nanotechnologie“ erstmals 2004 im Duden (Nanotechnik seit 2006) als „Technologie, die sich mit Strukturen und Prozessen im Nanometerbereich befasst. Die Einsatzmöglichkeiten der Nanotechnologie sind vielfältig.“ Duden.de/rechtschreibung/Nanotechnologie, acc. 160228. Geht man von einer lexikalisch identifizierbaren, eigentlichen Wortbedeutung aus, wird diese Arbeit überflüssig. 83 Klasseme sind bedeutungsbestimmende Seme im Kontext. LINK 1993 [1974], 54. 84 Die Raumskripte kann man als Einheit von Aktanten und Prädikaten ansehen. 85 LINK 1993 [1974], 73 sowie 75, Stichpunkt 3.2.2/C. 86 LINK 1993 [1974], 80-84 sowie 361f. Link widmet der Unterscheidung linguistische vs. wissenschaftliche Rede bzw. Linguistik als Wissenschaft vs. Wissenschaft einige begriffliche Anstrengungen. Als spezialisierter Form der Semiologie (98) sind der Linguistik deren allgemeine Prinzipien begrifflich übergeordnet. Linguistischen Begrifflichkeiten fehle die pragmatische Applikationsmöglichkeit der eigenen Begriffe: wissenschaftliche Rede erfordere, „die Struktur der Klasseme praktisch umzusetzen in ein Instrumentarium zur empirischen Beobachtung“ (82, Stichpunkt 3.4.2). So reichen die Begriffe der Linguistik beispielsweise nicht aus, um die Metonymie zu erklären (153).

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Ausführungen wurden gegen die Ansicht einer opaken Nichtverstehbarkeit literarischer Werke entwickelt und nennen Definitionskriterien, auf die ich eingehe, nachdem ich die semiotische Struktur des Symbols genauer beschrieben habe. Für die Nanotechnologie wird das Begriffsinstrumentarium sozusagen umgekehrt zur Anwendung herangezogen. Die semiotische Struktur von Symbolen wird analog zur Struktur von Emblemen rekonstruiert, deren gedoppelte Struktur aus einer sinnkonstitutiven Verbindung von „pictura“ und „subscriptio“ besteht.87 Embleme verbinden als semantische Konstitutionsfiguren ein Bild mit einer textlichen Aussage, eine bildliche Darstellung „pictura“ wird durch eine Bildunterschrift, „subscriptio“, erläutert.88 Aufgrund der Doppelstruktur lassen sich viele etablierte literarische Figuren und rhetorische Begriffe in einer allgemeinen Semiotik der Symbolstruktur zusammenfassen. Wäre Nanotechnologie ein wissenschaftlicher Begriff, müsste sich ihr Begriff emblematisch voll explizieren lassen. Der Trick dieser Untersuchung besteht sozusagen darin, den emblematisch-begrifflichen Anspruch, der sich an Nanotechnologie richtet, als diskursiven zu rekonstruieren. Symbole haben eine Pictura P, die mit einer Subscriptio S kombiniert wird. Die Pictura (lateinisch für Bild) wird formal als Einheit einer Gruppe von Zeichen angesehen, die visuell dargestellt werden kann, nicht aber als Bild (im Sinne einer visuellen Abbildung) vorliegen muss. Eine Pictura kann ein Bild sein, eine Abbildung, sie kann aber auch rein im sprachlichen Medium vorliegen. Redet man von einem Symbol, muss die Pictura notfalls ikonisch darstellbar sein.89 Damit ist notwendigerweise der Verweis auf bildliche Darstellbarkeit gegeben: um als Pictura eines Symbols zu gelten, muss eine kohärente Gruppe von Zeichen (eine geordnete

 87 LINK 1993 [1974], 165f. 88 Lösch untersucht erstaunlicherweise „verbildlichte Visionen“ in „zwei Bildtypen - futuristische und gegenwartsbezogene Zukunftsbilder“ (110) in „diskurstheoretischer Sicht“, in der „man die Bilder bspw. in Anschluss an Deleuze als Konstituenten von einem ‚Möglichkeitsraum des Sichtbaren und Sagbaren‘ analysieren [würde] (Gilles Deleuze: Foucault. Frankfurt (Main): Suhrkamp, 1987, 82). Das Gesehene wird auf ein Kommunikationsfeld bezogen, eine diskursive Ordnung, die bestimmte Möglichkeiten an Konstellationen zwischen den Diskursen des Feldes festlegt. Der durch die Bilder konstituierte Raum gibt nicht die Aussagen vor, die für die jeweiligen Diskurse zur Zukunft der Nanotechnologie möglich sind. Ermöglicht wird ein Sich-zueinander-in-Beziehung-setzen von Aussagen unterschiedlicher diskursiver Herkunft über das Zeichensystem der verbildlichten Visionen.“ LÖSCH 2010, 111, Fußnote 13. 89 Die ikonische Darstellbarkeit ist meiner Ansicht nach für Wissenschaften und Objekte gegeben, solange Schaubilder, Diagramme, Modelle und Simulationen als Bilder, die zunächst angeschaut werden, akzeptiert sind.

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Gruppe von semantischen Elementen) in eine ikonische Darstellung übertragbar sein. Die Subscriptio ist eine zweite (mehr oder weniger) ausformulierte und komplexe Einheit von semantischen Elementen, die als Subtext einem praktischen Aussagebereich (sozialer, kultureller, wissenschaftlicher Diskurs etc.) entstammt oder zugeordnet ist, der auf den semantischen Bezugsdiskurs der Pictura in einer Abbildungsrelation bezogen ist. Die semantische Verfremdungsleistung entsteht dadurch, dass sich die Referenzdiskurse von Pictura und Subscriptio unterscheiden.90 Sie sind semantisch in verschiedenen Diskursen kontextualisiert und pragmatisch situiert. Beide weisen identifizierbare Einzelelemente auf, die in einfachen oder komplexen semantischen Zusammenhängen (den sogenannten Isotopien) stehen. Im Symbol werden die semantischen Elemente von Pictura und Subscriptio aufeinander abgebildet, entweder direkt, das ist elementabbildend, oder in einer mehr oder weniger komplexen Anordnungsstruktur wie zum Beispiel geschachtelt, hierarchisch oder gespiegelt. Gibt es auf der Pictura eine geschachtelte semantische Struktur, findet sich diese auch in der Subscriptio. Die unterstellte Strukturhomologie ist notwendig aber nicht hinreichend für die Symbolentschlüsselung. Link spricht etwas radikal davon, dass Pictura und Subscriptio in einer Abbildungsrelation in einem mathematischen Sinn formaler struktureller Gesetzmäßigkeit stehen.91 Das ist entscheidend für jede Heuristik, weil damit jede Pictura ihre Subscriptionen organisiert, und so diskursive Implikationen sichtbar werden. Eine solcherart literaturwissenschaftlich geschulte Heuristik beruht auf der je eigenen semantischen Struktur und Kohärenz sowohl der Pictura als auch der Subscriptio, aufgrund derer die Bedeutung von literarischen Symbolen nicht der völligen Willkür von Interpreten ausgeliefert ist. Wissenschaftliche Rede ist emblematisch: die Subscriptio kann voll expliziert werden, sie gehört demselben Praxisbereich an wie die Pictura. Symbole lassen sich unterschiedlich klassifizieren, je nachdem, (A) in welcher medialen Gestalt die Pictura vorliegt (visuell-literarisch, literarisch, pragmatisch),92

 90 Das Raumskript Bottom-Up erlaubt zum Beispiel, die Pictura Nano(bio)technologie mit der sozialen Subcriptio Grass-Roots-Movement zu verknüpfen und die Verbindung zur partizipativen Demokratie herzustellen. 91 Links Radikalität liegt darin, die mathematische Vermessbarkeit der Verfahren fast so stark einzufordern wie im Leonardo-Bacon-Galilei-Programm, LENHARD 2015, 183f. 92 Ein zerbrochener Krug kann bildlich dargestellt werden, man kann über ihn reden, er kann in einem Handlungszusammenhang zerborsten sein. Verbunden damit kann, je nach Kontext, die Aussage über die ‚verlorene Unschuld‘ des weiblichen Krugträgers sein, eine Aussage über den (ersten) Geschlechtsverkehr außerhalb der geltenden gesellschaftlichen Regeln, vgl. Heinrich von Kleists Drama „Der zerbrochene Krug“ (ca. 1806). Das

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(B) wie deutlich oder weitreichend die Subscriptio ausformuliert vorliegt (Chiffren, Symbole, Embleme, Goethe-Symbole und Allegorien unterscheiden sich graduell und pragmatisch, nicht strukturell), (C) welche semantische Struktur die Subscriptio aufweist (repräsentativ oder metaphorisch) und (D) wer der soziale Träger ist: handelt es sich um eine erhebliche Anzahl von sozialen Trägern des Symbols, spricht man von einem Kollektivsymbol. Das Besondere an dem Entwurf ist, dass literarische von anderen Symbolen nicht durch normative Kriterien unterschieden werden. Liegt die Pictura nur sprachlich vor, handelt es sich um ein literarisches Symbol. Damit sind formale Strukturmerkmale für literarische Symbole eingeführt: sie müssen in sprachlicher Form vorliegen, ihre ikonische Verbildlichung ist nicht realisiert, auch wenn sie potentiell realisierbar wäre. Literarische Symbole sind damit nicht allein auf institutionell als literarisch definierte Texte beschränkt. Sie können gestaltendes Sinnstrukturelement im Journalismus sein, in politischen Reden, privaten Briefen, Werbetexten und Forschungsanträgen. Elementare Literatur als Oberbegriff beinhaltet semiotisch klassifizierbare Redefiguren, die sich in die Gemeinsprache erstrecken und sie durchziehen. Wenn bei literarischen Symbolen Pictura und Subscriptio in textueller Gestalt vorliegen, kann der Interpretationsvorgang überprüft werden: die Interpretation als zweite Subscriptio muss mit den semantischen Bezügen auf der Pictura in Übereinstimmung gebracht werden. Zusammenfassend gibt es drei wichtige Punkte. Erstens besteht für die literaturtheoretische Herleitung des strukturellen Symbolbegriffs der Verweis auf bildliche Darstellbarkeit. Eine kohärente Gruppe von Zeichen, deren Signifikat u.a. durch einen komplexen visuellen Signifikanten dargestellt werden kann, nennen wir eine Pictura (lat. = Bild). Visuelle Signifikanten heißen auch ikonische (griech. ikón = Bild) Signifikanten. Für literarische und andere 93

Picturae gilt [...] die Bedingung, dass sie in ikonische Darstellung übertragbar sein müssen.

Symbolische Picturae müssen potentiell bildlich realisierbar sein, als Beispiel nennt Link das sinkende Schiff im Ozean oder den Brunnen vor dem Tor. Wird das sinkende Schiff im Ozean (Pictura) als Untergang der Staatsfinanzen in der Finanzkrise (Subscriptio) verstanden, wird es ein Symbol für etwas anderes: Die Pictura wird

 Motiv der bildenden Kunst und Literatur ist aus der Mode gekommen, die Kollektivsymbolik funktioniert nur noch eingeschränkt. Für manche gesellschaftliche und soziale Gruppen gibt es aber noch immer eine nicht akzeptierte sexuelle Aktivität von Mädchen und Frauen, man könnte sagen, die Subscriptio existiert noch. 93 LINK 1993 [1974], 165.

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„in bestimmter Weise verfremdet.“94 Die pragmatisch sinngebenden Bereiche von Pictura und Subscriptio, ihre Isotopien, haben in realen Praxisbereichen nichts miteinander zu schaffen, werden aber im literarischen Verfahren der Symbolisierung aufeinander abgebildet.95 Der zweite Punkt bezieht sich auf die Wahl der Begrifflichkeit: die Entscheidung für den Begriff des „Symbols“ als dominierenden literaturtheoretischen Begriff geschieht gegen den Begriff der Metapher. Drittens kann methodisch der Aufweis von Symbolen an konkreten Textabschnitten oder ganzen Texten, nicht aber abstrakt erfolgen. Symbole sind historisch und im latourschen und foucaultschen Sinne soziologisch gebundene semantische Verweisungsfiguren, die als solche aus konkreten Kontexten herauspräpariert werden müssen. Elementare Literatur, generative Diskursanalyse, Interdiskurs der Technik Der Ausdruck „generative Diskursanalyse“ ist eine philosophisch-literaturwissenschaftliche Begriffs- und Theoriebildung, die gleichzeitig eine Methode benennt.96 Unterschiedliche Theoriebildungen aus Linguistik, Philosophie und Literaturwissenschaft werden in einer Forschungsperspektive integriert, mit der sich literarische Texte oder Literatur als kleiner oder größere, identifizierbare Sprachelemente methodisch in einen empirisch vorfindlichen Sprachkosmos einbinden lassen.97 Aus der generativen Diskursanalyse leitet sich der Erkenntnisanspruch der Kollektivsymbolanalysen her.98 Im Hintergrund dieser Forschungsperspektive, die im Hinblick auf Metaphern und Symbole mit einem verallgemeinernden Begriffsdesign

 94 LINK 1993 [1974], 168. 95 LINK 1993 [1974], 168. 96 LINK 1983. 97 LINK 1983, 31. 98 Ich gebe ein (deplatziertes?) Beispiel, wieso mir die Art der Linkschen Analyse als Thesenerörterung mit einladendem Erkenntnisanspruch erscheint, der zu folgen jeder selbst entscheiden darf: „Nun wäre ich in einer ziemlich schwierigen Lage, wenn es außer der von mir unterstellten und eben nicht hundertprozentig beweisbaren kollektivsymbolischen Komponente der Deskriptionen bei Brecht keine weiteren Unterschiede im Regelsystem der beiden Lyriker gäbe. Ich möchte Ihnen deshalb im letzen Teil dieses Vortrags möglichst plausibel machen, dass solche Unterschiede in Wirklichkeit auf nahezu allen Ebenen existieren und dass sie eine gemeinsame Wurzel haben. Dazu muss ich allerdings meinen generativen Ansatz noch einmal präzisieren, und zwar kann ich Ihnen nun den schon im Titel meines Vortrags vorsorglich und warnend erwähnten, materialistischen Pferdefuß nicht länger ersparen. Die prinzipiellen Gegner materialistischen Denkens unter Ihnen bitte ich um Verzeihung.“ LINK 1983, 135.

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arbeitet, stehen einerseits zeichentheoretische Überlegungen mit Orientierung an der Philosophie von Peirce99 sowie diskursanalytische Einsichten, die sich an Foucaults Arbeiten orientieren. Ich stelle zunächst die Theorie der generativen Diskursanalyse vor. Link untersucht im Rahmen einer beispielhaften generativen Diskursanalyse den Heißluftballon als Kollektivsymbol. Perspektivisch gesprochen werden mit einer im doppelten Sinne literaturwissenschaftlich-philosophisch-linguistisch gebildeten Methode Sinnbildungsprozesse (in) der Kultur semiotisch aufgeklärt untersucht. Das generative Verfahren bedeutet „die Formulierung des textproduzierenden Regelsystems“, was sich allerdings nur auf die Analyse der institutionalisierten Literatur bezieht. „Ein generatives Modell müsste [...] versuchen, das System der Produktionsregeln zu konstruieren.“100 Es geht darum, die wie auch immer gearteten Aussagen der Literatur regelgeleitet wahrzunehmen und in Bezug zu anderen Wissensgenerierungen zu setzen.101 Sinnbildungsprozesse sind an unterschiedliche Praktiken der Sinngebung zurückgebunden und müssen im Hinblick auf diese empirisch beschrieben werden.102 Deshalb wird elementare Literatur zur Grundlage von gene-

 99

„Die strukturalistische Linguistik made in France stellte [...] jene analytischen und deskriptiven Instrumentarien zur Verfügung, die erforderlich waren, um auch literarische Strukturen ein bisschen genauer erfassen zu können, als zuvor üblich. Hierbei waren Roland Barthes, Algirdas Greimas, Julia Kristeva und etwas später Umberto Eco, die ihrerseits u.a. an die russischen und Prager Strukturalisten und insbesondere an Roman Jakobson anknüpften, bereits vorangegangen.“ LINK 2003, 190.

100 LINK 1983, 168 sowie 160. 101 Es geht dabei natürlich auch um Fragen des Zusammenhangs von Wissen und Literatur, wie sie im Sammelband BORGARDS et al. 2013 rekonstruiert werden. 102 Dazu gehört ein „materialistischer Pferdefuß“ oder auch eine materialistische „Fundierung“ der generativen Analyse, „anders formuliert könnte man auch sagen: [...] die Analyse der sozial-funktionalen und der historisch-sozialen Komponente“ LINK 1983, 135. Nimmt man diesen Begriff ernst, kann eine Komponente gegebenenfalls in die Analyse einbezogen oder wahlweise außen vor gelassen werden. Das Zitat bezieht sich auf die Analyse institutionalisierter Literatur und wird zur Frage allgemeiner literaturwissenschaftlicher Fundierung von Theorie geäußert (126ff). Link grenzt den Begriff der Ideologie als deskriptiv-funktionalen von einem ‚kritischen‘ Ideologiebegriff ab (157ff), insbesondere 162f. „Der funktionale Ideologiebegriff erlaubt es, die sozialhistorische Situierung aller Literatur als Teil des Regelensembles aufzufassen, das die Texte (Diskurse) in ihrer gesamten semantischen und semiologischen Struktur produziert [...] Dadurch kann das leidige Text-Kontext-Problem (Kontext im Sinne von sozialer Kontext) einer theoretisch konsequenten Lösung zugeführt werden.“ (163).

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rativen Diskursanalysen.103 Von diesem Ausgangspunkt, der eine Realisierung von literarischen Elementen in Allgemeinsprache, Werbesprache, Politikersprache konstatiert, braucht es methodisch nur eine halbe Drehung, um literarische Elemente auch in den Sprachuniversen der Einzelwissenschaften zu finden, deren Terminologie bei Übergang in die Gemeinsprache ästhetisch überladen wird. Meine Untersuchung führt sozusagen diese Drehung ein, indem methodisch einerseits von elementarer Literatur ausgegangen, diese aber zusätzlich darüber hinaus zum Gegenstand wird. Ist elementare Literatur in der Alltagssprache, in der Werbung, im Politikerjargon selbstverständlich zu finden, können literarische Redeweisen „an beliebigen Orten, spontan und gleichwohl mit Notwendigkeit produziert“ werden. Link vermutet, dass darauf, „die Gesellschaft zu ihrem Funktionieren nun einmal angewiesen zu sein scheint.“104 Betrachtet man die Sprache [...] des Journalismus und der anderen Massenmedien oder auch die der politischen Reden, so fällt ihre weitgehend ‚literarische‘ Konstitution sofort auf. [...] Die Frage ist nur: handelt es sich bei dieser Literatur („der Aufschwung kommt nicht auf Tempo, aber dafür sinken wir sanft ins soziale Netz“) um eine grundsätzlich andere als die der institutionalisierten Kunstliteratur? Wie ist ihre Differenz bzw. ihr Zusammenhang zu denken?

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Die Unterscheidung verläuft zwischen einer in festen Sprachformaten „institutionalisierten“ Literatur (Roman, Drama, Gedicht) und einer elementaren Literatur, die verstreut vorliegt und in den Konstitutionsprozess einer ausgeformten Literatur prozessual eingespeist werden kann (aber nicht muss). Ein Sprachkunstwerk fällt nicht en bloc vom Himmel, sondern profitiert von einer Gemengelage diskursiver Bestandteile, die in der Sprache vorliegen, mit einer kategorialen Gleichsetzung beider Redeformate, die sich nur entlang des literarischen Institutionalisierungsgrades unterscheiden und der Möglichkeit, den Gegenstandsbereich von Linguistik (Sprache und Sprachstrukturen) und Literaturwissenschaft (Literatur) begrifflich und sachlich ineinander zu verankern. Linguistisch unterscheiden sich literarische Redeweisen von Politikern nicht kategorial von der Redeweise hoher Literatur: es geht um eine bestimmte Form der Sprachpraxis, die verstreut an verschiedenen Orten der Sprache entdeckt werden kann und (‚dort‘) in Praktiken eingebunden ist.106 Von der

 103 LINK 1983. 104 LINK 1983, 26. 105 LINK 1983, 40. 106 LINK 1983, 37, Anmerkung 4. Man könnte fragen, inwiefern sich der Analyseansatz für die im Vergleich zu 1984 ‚neuen‘ digitalen Textsorten Email, Tweed, SMS und

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elementaren Literatur der Politiker, Journalisten, Werbetexter und den elementarliterarischen Redensarten von Unternehmerinnen unterschieden ist die institutionalisierte Literatur. Institutionalisierte Literatur entsteht [...], wenn der Rahmen des praktischen Diskurses, der sämtliche elementare Literatur trägt, fortfällt und die pragmatische Verankerung [...] durch 107

ein literarisches (rein diskursives) Verfahren ersetzt wird.

Literatur ist nicht über spezifische Themen oder Textgenres definiert, die nur ihr eigen wären, sondern eine (Sprach-)Praxis, die von anderen (Sprach-)Praxen unterscheidbar ist. Damit kann sich der Gegenstandsbereich und der Fokus literaturwissenschaftlicher Arbeit je nach Ansatz verlagern oder erweitern, und sich auf sprachliche Äußerungen richten, die, eingespannt in das wilde Konglomerat von Kultur und spezialdiskursiv gebundenem Wissen, irgendwie das Licht der Welt erblicken. Umgekehrt sind literarische Werke sprachlich und semantisch in die Verbindungen und Verästelungen einer allgemeineren Sprache geöffnet.108 Hier geht es vor allem darum, dass die elementarliterarische Sprache für eine generative Diskursanalyse epistemisch herangezogen werden kann. Link legt mit der Diagnose einer elementaren Literatur letztlich einen wissenschafts- und gesellschaftstheoretisch gesättigten literaturtheoretischen Entwurf vor, der in Modifikation von Foucaults Diskursbegriff mit der Unterscheidung von wissenschaftlichen Spezialdiskursen und nichtnaturwissenschaftlichen, allgemein kulturellen Diskursen109 arbeitet. Der sogenannte Elementardiskurs, thematisch und sprachpragmatisch an alltägliche Praktiken gebunden, wie zum Beispiel an Reisen, Wohnen oder Liebe110 , wird kategorisch unterschieden von (mehr oder weniger) exakten Spezialdiskursen, die historisch an wissenschaftliche Disziplinen gebunden sind, beispielsweise an die Chemie des 19. Jahrhunderts.111 Beim Elementardiskurs handelt es sich um eine Art außerwissenschaftlichen Diskurses, der Praktiken (die man mit Husserl als lebensweltliche Praktiken bezeichnen könnte112 ) umfasst, die explizit nicht-spezialdiskursive Wis-

 Blog eignet, deren Verbreitungsgrad die empirische Basis der Sprache erweitert und verändert hat. 107 LINK 1983, 30. 108 Vgl. LINK 2003. Hierher gehört vielleicht das Stichwort materialistische Rhetorik. 109 LINK 2005, 201. 110 LINK 2005, 202. 111 Vgl. die Untersuchungen zu Liebigs Chemischen Briefen, LINK 2005. 112 Edmund Husserl: Husserliana. Gesammelte Werke. Den Haag 1950ff. Texte zum Begriff der Lebenswelt in Husserl, Edmund: Phänomenologie der Lebenswelt. Ausgewählte Texte. Band 2. Herausgegeben von Klaus Held. Stuttgart: Reclam, 1986.

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senspraktiken umfassen, sonst müsste man den Elementardiskurs nicht von den Spezialdiskursen unterscheiden. Schwierig ist nur, dass unsere Alltagspraktiken weder technologie- noch wissenschaftsfrei sind: Autofahren, am Computer arbeiten oder spielen, Lesen mit Kindle oder Computer, digitale Partnersuche, Bankgeschäfte, mit dem Smartphone telefonieren, Kurznachrichten als SMS oder auf WhatsApp verschicken, GPS-, Fitness- oder GesundheitsApps verschränken als Praktiken elaborierte Technologieentwicklung und Wissenschaften mit der Lebenswelt. Ich vermute, dass es kein Zufall ist, dass Link den Begriff eines nicht-spezialdiskursiven Elementardiskurses vor der Erfindung und Verbreitung der digitalen Kommunikationstechnologien konzipiert.113 Indem eine (historische) Rekonstruktion der Aussagedimensionen von (Elementar-)Literatur und die epistemisch signifikante Rolle dieser (Elementar-)Literatur im Rahmen kultureller Bedeutungsentstehung interessiert, heißt das, dass diskursive, historisch relevante Aussagedimensionen über Sprachanalysen zugänglich werden können. Literatur- und sozialtheoretisch geht es um die angemessene Erfassung der Verwobenheit von Literatur und dem Rest sprachlicher Äußerungen angesichts einer „Diskursdifferenzierung, die das Wissen im Gefolge der Arbeitsteilung zunehmend parzelliert hat“114 und dem in mancher Hinsicht eine Parzellierung des Wissens in Wissenschaftsdisziplinen entspricht. Nach Link hat das Wissen einzelner Wissenschaftsdisziplinen, an Methoden, Techniken und Gegenstandsbereiche in Spezialdiskursen gebunden, keine gesellschaftliche Bindungsfunktion.115 Trotzdem fällt die Gesellschaft nicht auseinander, sie ist in Praktiken gegliedert und geordnet, die zwar wissensbasiert sind, aber nicht im spezialdiskursiven Sinn. Die Parzellierung des Wissens in Wissenschaftsdisziplinen ist gewissermaßen nicht das letzte Wort der Gesellschaft.

 113 Was gerade nicht heißt, dass sich dieser Begriff erledigt hätte. Er erscheint nach wie vor reizvoll, nicht zuletzt wegen seiner Anhiebsplausibilität. Elementar- sowie Interdiskurs lassen sich als kulturphilosophische Begrifflichkeiten verstehen, die beispielsweise gleichzeitig gegen und für die Annahme einer materiell-faktischen diskursiven Macht der Digitalisierung ins Spiel gebracht werden können. Dabei handelt es sich um eine Vermutung: dass die im mehrfachen Sinn formatierte Sprache, die über Suchmaschinen und Verschlagwortung zugänglich wird, mit semantischen Normalisierungseffekten einhergeht, die wiederum durch die Praxis der Suchmaschinenbenutzung forciert wird. 114 LINK 1984, 149. 115 Die Frage ist, was diese Bindungsfunktion ist und wie sie aussieht, Solidarität ist eher nicht gemeint. Diverse Wissenschaften halten Antworten auf die Frage nach der gesellschaftlichen Bindungsfunktion bereit: Technik gehört wohl irgendwie dazu, bloß wie?

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Bezeichnen wir die institutionalisierten Aussageformen spezialisierten Wissens mit Foucault als „Diskurse“, so ließen sich all jene Aussage- und Redeformen, die mehreren Spezialdiskursen gemeinsam sind (auf die z.B. die Konversation angewiesen ist), als Bestandteile des kulturellen „Interdiskurses“ auffassen.

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Der zwischen fachwissenschaftliche Einzeldiskurse gespannte soziokulturelle Interdiskurs (zu dem auch die institutionalisierte Literatur gehört)117 ermöglicht das Funktionieren der Gesellschaft118 und führt auf sprachlicher Ebene verschiedene Praktiken zusammen.119 Mit dem Interdiskurs fokussiert Link auf eine genauere Beschreibung sprachlich manifester Mechanismen, die innerhalb einer wissensparzellierten Gesellschaft eine relevante, beispielsweise politische Kommunikation und geregelte wissensbasierte Interaktion ermöglichen. Techniken und technische Gegenstände haben als Ermöglichungsbedingungen oder integraler Teil von Praktiken einen enorm wichtigen Stellenwert, der bei Link nicht als solcher benannt und expliziert wird.120 Metaphernbildung, die Einbindung von Tropen, Redensarten, Alle-

 116 LINK 1984, 149. 117 Auch den Begriff „Interdiskurs“ gibt es in Foucaults Forschungsprogramm nicht, in dem sich epistemische Strukturen archäologisch identifizieren lassen, die für mehrere Spezialdiskurse einer historischen Epoche relevant sind, z.B. soziologische, ökonomische und philologische Diskurse der Moderne. FOUCAULT 1974 [1966] 307ff. Inwiefern epochal geltende Episteme im Sinne Foucaults mit dem Linkschen Interdiskurs verglichen oder in Bezug gesetzt werden können, kann hier nicht diskutiert werden. Bezüglich der Unterscheidung der Begründungen (im Sinne einer Genese) von Diskursen und Wissenschaften gibt es mindestens an einer Stelle nur vorsichtige Aussagen. „Was ich zum Thema ,Diskursivitätsbegründung‘ skizziert habe, ist selbstverständlich sehr schematisch. Besonders die Opposition, die ich zwischen einer Diskursivitäts- und einer Wissenschaftsbegründung eingeführt habe. Es lässt sich vielleicht nicht immer leicht entscheiden, ob man hiermit oder damit zu tun hat: und nichts beweist, dass diese beiden Arten des Vorgehens einander ausschließen.“ FOUCAULT 1974 [1969], 29. 118 „Interdiskurs“ und „generative Diskursanalyse“ gibt es erst in LINK 1983, in den propädeutischen „Literaturwissenschaftlichen Grundbegriffen“, LINK 1993 [1974] nicht. 119 Über die Ähnlichkeit und die Unterschiede des Linkschen Entwurfs zur Luhmannschen Systemtheorie mit ihrem Ansatz der funktionalen Differenzierung der modernen Gesellschaft würde sich eine Untersuchung lohnen, die hier nicht geleistet werden kann. Meiner Ansicht modifiziert der Linksche Entwurf Foucaults Diskurstheorie ein Stück weit in Richtung Luhmann. 120 Der Technikhistoriker Gugerli betitelt das Forschungsprojekt über digitale Gesellschaften „Wie die Welt in den Computer kam“ tg.ethz.ch/de/projekte/details/wie-die-welt-inden-computer-kam/, acc. 160228.

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gorien in verschiedene Gelegenheiten des Sprechens geschieht nicht willkürlich, sondern formal und inhaltlich mit Blick auf semantische Ursprungsdiskurse: „[E]lementar-literarische Rede [reißt] Elemente ihrer Bezugspraktiken aus deren Kontext heraus, parzelliert und isoliert sie.“121 Werden verstreute und disparate Textzeugnisse elementarer Literatur wahr- und ernstgenommen, können sie in eine generative Diskursanalyse integriert werden. Die mehr oder weniger großen Schnipsel werden als diskursgenerierende Elemente begriffen und ihre Aussagen werden als kulturell sinnbildend und innerhalb eines Diskurses als sinnstiftend begriffen. Dabei besteht zwischen den verschiedenen, disparaten Aussagen insofern ein Zusammenhang, als es einen Bezug auf eine Formation aus Kollektivsymbolen gibt, die, und jetzt muss noch einmal betont werden: formal (und nicht wesentlich), als sinnstiftendes Grundmuster aussagebestimmend wirkt. Es ist meiner Ansicht nach möglich, mit diesem Konzept ‚Technik‘ in einer allgemeinen Weise als semantische Ursprungspraxis anzusehen, auf die sich elementarliterarische Redeweisen beziehen (können). Verallgemeinert man das Thema des Beispielaufsatzes, das technische Fortbewegungsmittel Heißluftballon, ist Technik im Sinne von kollektivsymbolischen Bezugnahmen etwas, das den Bereich des Sagbaren erweitert und formt. Eine komplexe Wissenschaftskommunikation erscheint bei Link nicht als Praxis elementarliterarischer Redeweise und kommt als Praxisbezug nicht vor. Sein Interesse zielt nicht in erster Linie auf die notwendige Diskursivierung der Naturwissenschaften, da er sozusagen aus einer anderen Perspektive denkt, sondern arbeitet gegen eine Marginalisierung der Wissensbestände und -praktiken, die über alltägliche Praktiken und insbesondere in der Literatur zugänglich sind. Dabei geht er, so meine Vermutung, aus strategischen Gründen davon aus, dass die regelbeherrschte, begriffliche (natur-)wissenschaftliche Sprache einzelner Wissenschaftsdisziplinen und Fachsprachen über jeden elementarliterarischen Zweifel erhoben ist. Er diskutiert nicht, was passiert, wenn Naturwissenschaftler sozusagen im großen Stil elementarliterarisch reden und reden müssen. Er würde vermutlich sagen, dies gehöre zum kulturellen Interdiskurs. Metaphern, Zeichen und Symbole Symbolisierung wird als elementares literarisches Verfahren mit einem verallgemeinernden Begriffsdesign konzeptualisiert und der Symbolbegriff zeichentheoretisch so modelliert, dass semiotische Abbildungsrelationen allgemein beschrieben werden können. Unterschiedliche etablierte Begrifflichkeiten der Rhetorik, unter

 121 LINK 1983, 29.

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anderem Metapher und Allegorie, werden unter den Begriff des Symbols subsummiert. Ich habe vorgeschlagen, die Gesamtheit solcher ‚bildlicher‘ Elemente unter dem Begriff Kollektivsymbolik (d.h. kollektiv verankerte Symbolik) zusammenzufassen, in erster Linie, weil es meines Erachtens inadäquat wäre, die vielen und wichtigen Fälle synekdochischer (repräsentativer) oder metonymischer Bilder unberücksichtigt zu lassen, wie es beim Oberbegriff der ‚Metapher‘ der Fall ist.

122

Die Entscheidung für den Symbolbegriff geht über eine biographische Vorliebe hinaus123 , denn mit der Entscheidung für zeichentheoretisch erklärbare Sprachstrukturen werden sprachwissenschaftliche Begriffe strukturalistisch beschreibbar. Aus diesem zunächst deskriptiven Ansatz ergab sich die Möglichkeit, die in der folgenden Formel prägnant definierte semiotische Struktur im engen und operativen Sinne als ‚Symbol‘ zu bezeichnen, wobei ‚Symbol‘ als Oberbegriff zu einer Reihe typologischer Spielarten wie Allegorie, Emblem, Sinnbild, Sprachbild, Gleichnis, Vergleich, metaphora continuata, explikatives Modell u.a. fungiert. Die Entscheidung für ‚Symbol‘ als Oberbegriff ist dabei nicht frei von einem arbiträren bzw. dezisionistischen Anteil, kann sich aber auf eine gewisse historische Plausibilität stützen.

124

Die historische Plausibilität, die für den Symbolbegriff spricht, liegt darin, dass Symbole historisch als Machtzeichen verwendet wurden. Reichsapfel und Königszepter, Krone oder Ring, Kreuz oder Burg sind als Glieder „einer expandierten Isotopie“ Zeichen, die einen Machtzusammenhang darstellen, der vielfältigen und modifizierenden Darstellungen in der bildenden Kunst, in Sprache und Literatur zugänglich war und ist.125 Die rasante Vermehrung der Kommunikation bei einer Vereinheitlichung der Kommunikationsverhältnisse und -strukturen verschleiert den Machtzusammenhang, in den Symbole eingebunden sind, oder umgekehrt, den sie konstituieren, insbesondere, wenn Symbole für Notausgang oder WC bloß als reine Kommunikationshilfen erscheinen, die eine nonverbale, bildliche Kommunikation

 122 Vgl. LINK 2005, 199. 123 „Schon vor meinem Studium faszinierten mich jene Strukturen, die ich später unter dem Begriff ‚Symbol‘ zusammengefasst habe.“ LINK 2003, 189. 124 LINK 2003, 191. 125 Einzelne Worte können nur Symbole sein, wenn sie „als Glied einer expandierten Isotopie verwendet“ werden. DREWS et al. 1985, 263. Diese expandierte Isotopie besteht bei der Nanotechnologie beispielsweise aus einem in einzelnen Texten rekonstruierbaren Verhältnis zur Wissenschaft und von Wissenschaften zueinander.

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über Sprachgrenzen hinweg erleichtern.126 Machtverhältnisse werden (noch immer) semantisch durch Symbole hergestellt, reproduziert oder verändert. Im Zusammenhang mit Technikentwicklung reüssiert der Besitz technischer Dinge wie iPhone, Ferrari127, Atomkraftwerk oder -bombe als klarer Fall von Machtsymbolik (in umgekehrter Form: das Hörgerät), wobei religiös-weltliche Machtsymbolik vergangener Jahrhunderte nicht einfach abgelöst oder ersetzt wird sondern anders funktioniert.128 Ein zeichentheoretisch gesättigtes Begriffsdesign in Kombination mit der Diskursanalyse bietet den Vorteil, dass die Metasprache der Linguistik und der Rhetorik der sprachbeschreibend formalisierenden Verobjektivierungsfalle entgeht. Die Strukturanalyse identifizierbarer Teilstrukturen erlaubte [...] die Entwicklung einer operativen Typologie von Spielarten des Symbols wie Allegorie, Emblem, Gleichnis, metaphora 129

continuata, explikatives Modell.

Indem Sprachstrukturen zur Grundlage von Sprachbeschreibung und (letztlich gesellschafts-)wissenschaftlichen Analysen werden, kann die unselige Unterscheidung von angeblicher Wörtlichkeit oder Metaphorizität der Sprache, die insbesondere für den Sprachgebrauch in den Wissenschaften interessant ist, und von Wissenschaftshistorikern und Wissenschaftsphilosophen in den Blick genommen wird, umgangen

 126 Symbole und Symbolik werden vor allem in den Geschichtswissenschaften mit der Machtfrage verbunden und diskutiert. Der Machtzusammenhang von Zeichen und Gesellschaft wird in anderen Wissenschaften nicht unter diesem Stichwort diskutiert. 127 Der alte R 4 von Papst Franziskus wird abgebildet, um zu zeigen, wie unprätentiös der Papst auftritt. Dies funktioniert, weil das Auto als hervorgehobenes Symbol des Kapitalismus kollektivsymbolisch den Status des Besitzers widerspiegelt. 128 Dies gegen Schummer, der mit der statistisch messbaren Religiösität des amerikanischen Volkes und insbesondere seiner Ingenieure gleich die amerikanische Kultur als Ganzes charakterisiert. Die pauschale Religiösitäts-‚Erkenntnis‘ kombiniert er mit der transhumanistischen Gemeinde und ihrer Schriften zu einer kruden Grundlage für den Entwurf einer Nano-Metaphysik, -Ethik, -Ästhetik, -Epistemologie usw.: Eine „Rekonstruktion der Nano-Metaphysik ohne theologische Aspekte [würde] die amerikanische Kultur gänzlich missverstehen. Wenn wir der Nanotechnologie daher einen konsistenten metaphysischen Hintergrund unterstellen wollen, dann ist dies nur durch expliziten oder impliziten Bezug auf göttliche Vorbestimmung oder zumindest auf von außen gesetzte Zwecke der Natur möglich.“ SCHUMMER 2009, 92. Die Transhumanisten avancieren so zu Stiftern einer Nano-Religion, (56f). 129 LINK 2003, 194.

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werden.130 Die Unterscheidung wörtlich/metaphorisch, die sprachlichen Äußerungen als Attribut entweder zukommt oder fehlt, vielleicht bisweilen gleichzeitig auftritt, führt zu etwas, das als Verobjektivierungsfalle bezeichnet werden kann. Als Beispiel sei auf Hänselers Studie zu den Laborheften und Mikroskopierbeschreibungen von Robert Koch zum Milzbranderreger verwiesen, die fragt: „Wo beginnt Metaphorik, wo endet das übliche wissenschaftliche Vokabular?“131 Mit dieser Frage schlägt die Verobjektivierungsfalle gewissermaßen zu, weil Begrifflichkeiten der Linguistik und Rhetorik als per se gültige und an fraglos wissenschaftliche Erkenntnisrahmen gebundene herbeigerufen werden, als sei objektive Sprachbetrachtung und -beschreibung, unabhängig von konkreten Textrealisierungen, möglich und im Rückgriff auf ahistorische Wissenschaften zu leisten. Es entstehen hilflose Beobachtungen: Die Differenz von Wörtlichkeit und Metaphorizität ist [...] nicht mehr wirklich zu ziehen [...] [D]ie Metaphorik [besteht] nicht aus einzelnen rhetorischen Figuren [...], sondern [ist] mit dem wissenschaftlich vertrauten Vokabular verflochten.

132

Die Metaphorik in den Laborheften wird zwar mit Gewinn untersucht, beruht aber auf nicht abgrenzbaren rhetorischen Begrifflichkeiten, die sich ebenso wenig für diese komplexen Fragestellungen eignen wie die ebenfalls für diese komplexen Fragestellungen nicht leistungsfähige Linguistik samt ihrer Begriffe.133 Der dis-

 130 Elaborierte Metaphernkonzepte zur Erkundung des philosophischen Metapherngebrauchs in argumentierenden Texten verweisen auf den Kontext als entscheidendes semantisches Konstitutionsfeld, diese Konzepte sollten „kontextsensitiver sein: Allein der Kontext lässt den metaphorischen Gebrauch eines Ausdrucks erkennen. Unterschiedliche Kontexte können [...] einen veränderten metaphorischen Gebrauch desselben Ausdrucks zur Folge haben, aber das muss nicht sein: [...] Für die Analyse des philosophischen Metapherngebrauchs sollte man [...] die Konzeption nicht etymologisch, sondern an der Usualität in bestimmten Kontexten ausrichten, etwa an einem regular use in einer linguistic community.“ DANNEBERG 2013, 78. „Entscheidend ist [...], dass die Verwendungslogik metaphorischen Sprachgebrauchs nicht der [...] von Begriffen entspricht.“ (87) – mit Link gesprochen, nicht emblematisch, sondern ...? 131 HÄNSELER 2009, 54. Sie berücksichtigt nicht DANNEBERG et al. 1995. 132 HÄNSELER 2009, 54. 133 Das Problem der Unterscheidung von Wörtlichkeit und Metaphorizität der Sprache führt dazu, dass Hänseler Metaphern als „per definitionem [...] mehrdeutige Ausdrücke“ bezeichnet, die sich „nicht auf einen einzelnen sondern auf mehrere Gegenstände beziehen.“ HÄNSELER 2009, 168. Hätten Metaphern keinen begrifflich bestimmbaren Mehrwert, könnten sie weder verstanden noch sinnvoll in wissenschaftlichen Laborhef-

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kursgenerative Ansatz argumentiert dagegen, dass Zeichen und Symbole in Kultur und Sprache bereit gehalten oder (bereits) diskursiv verfügbar sind. Ihre Bedeutung konstitutiert sich in konkreten Texten und Kontexten. Zeichentheorien erfassen Zeichen als geregelte Repräsentationsfiguren, die aufgrund einer identifizierbaren semantischen Struktur eine kommunikative Funktion erfüllen, sie funktionieren aufgrund standardisierter Semantik, sind eingebunden in pragmatische Kontexte und stehen in Verbindung mit sozialen Träger(gruppe)n, für die sie als Zeichen Geltung haben. Technik kann in dieser Perspektive als semantische Ursprungspraxis angesehen werden. Die Besonderheit von Symbolen als Untergruppe von Zeichen liegt darin, dass sie machtvolle Verfremdungsleistungen von Aussagen erbringen, kreatives Potential freisetzen und konzentrieren. Als Sonderformen einer semiotisch beschreibbaren Abbildungsrelation bieten sie einen strukturalistisch begründeten Oberbegriff für eine Fülle von Redefiguren und Tropen an, die als Verfremdungsformen einzelner Sprachzeichen interpretierbar sind.134 Der Symbolbegriff bezeichnet die Vereinigung komplexer Signifikate in wort- und satzübergreifenden Teilkomplexen, wobei die Pictura verfremdet wird.135 Symbole sorgen als Sondergruppe und Sonderfall von Zeichen aber gerade nicht für eine kryptische Verschlüsselung der Realität. Im Gegenteil: Der Theorieentwurf bietet eine semiotisch beschreibbare Abbildungsrelation an, samt des Entwurfs für das Erschließen ihrer Semantik. Je nach Symboltyp lassen sie sich mehr oder weniger vollständig erschließen, es geht dabei um graduelle Unterschiede. Als bestimmbare semiotische Gestalt stehen sie nicht im Gegensatz zu allgemeinen Zeichenstrukturen, sondern in Einklang mit ihnen, ihre Verfremdungsleistungen können semantisch entschlüsselt werden. Damit wird einem esoterischen und theologisch aufgeladenen Symbolbegriff, bei dem sich das Göttliche im Symbol manifestiert, insofern eine Absage erteilt, als es um die Funktionsfähigkeit des Symbols in einer Kommunikationssituation geht.136 Weil Symbole ge-

 ten verwendet werden. Das ist aber genau das, was sie nachweist und darüber hinaus als das eigentlich Innovative der Kochschen Arbeiten analysiert: „Das MilzbrandBakterium ist in den morphologischen Beschreibungen ein unscharfes, unbestimmtes Objekt und wird [...] erst durch die Beschreibungen, die auf Metaphorik zurückgreifen, zu einem gesicherten, bestimmten, intersubjektiven Gegenstand.“ (169) Eigentlich müsste hier die Relativierung der sprachwissenschaftlichen Begrifflichkeiten einsetzen. 134 LINK 1993 [1974], 140f. 135 LINK 1993 [1974], 168. 136 In einer Gruppe von Gläubigen und Priestern kann das Symbol des Kelches und des Brotes eine göttliche Bedeutung annehmen, deren Sinn Ungläubigen verwehrt bleibt. Das heißt nicht, dass Symbole eine Manifestation göttlicher Bedeutungen sind, die nur erfahren, nicht aber verstanden werden kann. Tatsächlich werden Symbole verstanden.

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nerell in ihrer Bedeutung erschlossen werden können, gibt es einen Zugang zu den Aussagen institutionalisierter und elementarer Literatur, der nicht willkürlich, sondern entlang nachvollziehbarer Regeln wissenschaftlich expliziert werden kann. Die auf die Erfassung ästhetischer Sprachelemente ausgerichtete literaturwissenschaftliche Perspektive zielt darauf, ästhetisch manifeste Zusammenhänge bei der Konstitution von Diskursen in den Blick zu bekommen. Der Begriff der Metapher wird von Link vermieden, weil er aufgrund seiner Provenienz aus der Rhetorik ein textlastiges, einseitig kognitiv-textuell gebundenes Wissen konzeptualisiert. Ein riskanter Bericht und Latours Objektivitätsüberlegungen Eine Ergänzung der sehr um Objektivität bemühten sprach- und diskurstheoretischen Perspektive aus den siebziger Jahren liefern einige Überlegungen von Latour aus seinem Buch „Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft“.137 Da meine Untersuchung keine genuin wissenschaftssoziologische Arbeit ist, um die es aber Latour vornehmlich zu tun ist, handelt es sich um eine Teilübernahme eines methodologischen Instruments. In Latourscher Terminologie wird ein „riskanter Bericht“ verfasst.138 Was ist gemeint? Nach Latour kann und soll wissenschaftssoziologische Forschung allenfalls Berichte verfassen, die eine Genauigkeit des Beobachtens, Hinsehens und Versprachlichens erfordern. Er wird nicht müde, darauf hinzuweisen, welches doppelte Risiko mit einer wissenschaftlichen, das heißt: begriffschöpfenden, versprachlichenden Arbeit verbunden ist. Das Risiko liegt darin, dass falsche und unpräzise gewählte Begriffe, Unterscheidungen und Beschreibungen genau das verdecken, was sie eigentlich erforschen oder zeigen sollen, oder schlimmer: dass sie eine Wirklichkeit hervorbringen, in der ganze Gruppen von Phänomenen und Aktanten nicht vorkommen können.139 Umgekehrt formuliert: Schwierigkeiten und Differenzierungen der Empirie stehen einer traditionellen soziologischen Begriffsbildung entgegen. Wissenschaftssoziologische Berichte müssen sich dessen bewusst sein und entlang dieser Schwierigkeiten und Widerständigkeiten verfasst werden, was zu einem weiteren Risiko führt: zu Scheitern. Es geht also darum, den Erkenntnisdrang gewissermaßen im Modus des Vorsichtigen zu halten und mit Hilfes des Terminus „riskanter Bericht“ wissenschaftliche Selbstüberschätzung und Empirieferne an die Zügel zu legen. Latours Begriff des „riskanten Berichts“ wird hier im Hinblick auf eine „semantische Gruppenbildung“, nämlich Nanotechnologie, verwendet, die in sich unein-

 137 LATOUR 2010. 138 LATOUR 2010, 211ff. 139 So wie die sprachlich-kategoriale Unterscheidung in Frauen und Männer verhindert, dass andere Geschlechter ‚dazwischen‘ oder ‚daneben‘ vorkommen können.

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heitlich und kontrovers ist. Der vorliegende „riskante Bericht“ beschreibt und zeichnet mit Rückgriff auf die genannten Linkschen Theoriebestände nach, wie Nanotechnologie als vermeintliche oder tatsächlich einheitliche Technologie zur Sprache kommt.140 Die Ergänzung, die Latours Ansatz bedeutet, ist im Hinblick auf Kollektive nicht ganz einfach zu rekonstruieren. Latour schreibt als Wissenschaftssoziologe dagegen an, das Bestehen von Gesellschaft samt definierter menschlicher Akteure als Ausgangspunkt soziologischer Untersuchungen anzusehen, und zielt darauf, das Soziale im Sinne vielfältiger Assoziationen heterogener Akteure in seiner Entstehung zu untersuchen und sichtbar werden zu lassen. Er misstraut etablierten soziologischen Gruppenbegriffen insgesamt. Auf der Suche nach soziologisch relevanten Forschungsergebnissen dreht er die traditionelle Forschungsperspektive um und interessiert sich allererst für die ,Gruppenbildung‘ als solche, wobei die Bildung von Assoziationen nicht allein Menschen umfasst, sondern MenschTechnik-Ensembles mit gegenseitigen Handlungsermächtigungen, bei denen Technik sozusagen ein aktives Eigenleben als ,Akteur‘ führen kann. Diese Perspektive wird hier in den Fallstudien jeweils im zweiten Punkt mitgeführt, wenn es um die mediale und technisierte Erscheinungsweise der Texte geht. Link als Literatur- und Sprachwissenschaftler dagegen geht es in den siebziger Jahren um die Aufarbeitung sprachlicher Bedeutungskonstitution und ihrer vielfältigen Determinationen in einer von Machtkämpfen durchsetzten Gesellschaft. Dazu setzt er voraus, dass es Gesellschaft als Gegenstand einer wissenschaftlichen Disziplin, der Soziologie der siebziger Jahre in Deutschland, gibt und dass sie als Bezugsgröße für eine im weitesten Sinne sozialwissenschaftliche Bedeutungstheorie angesetzt werden kann. Ebenso setzt er voraus, dass innerhalb der „Gesellschaft“ definierte Gruppen, Kollektive, um Sinnbildung bemüht sind. Der Punkt, an dem Link und Latour nicht gut zur Deckung gebracht werden können, sich aber im Sinne des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit eventuell ergänzen, liegt dort, wo in beiden Konzepten gesellschaftliche Gruppen oder Kollektive stehen und wie diese Kollektive oder Gruppen verfasst sind. Link entwirft in den siebziger Jahren ein (fast scholastisch zu nennendes) Begriffsgebäude, das an einer wissenschaftlichen Rekonstruktion gesellschaftlicher Sinnbildung und Semantik interessiert ist: gesellschaftliche Gruppen sind in diesem Entwurf als solche vorhanden, sie kämpfen um Macht und Einfluss, wofür sie (mehr oder weniger bewusst) Kollektivsymbole be-

 140 LATOUR 2010, 211ff. Schummer bezeichnet Nanotechnologie mal als Wort, mal als wissenschaftspolitisches Budget und erkennt schließlich eine „dadurch initiierte soziale Bewegung in der Wissenschaft“. Hinter der monetär initiierten sozialen Bewegung wiederum „steckt noch etwas anderes“, eine Idee, „die weit über die eigentliche Forschung und quer zu allen Disziplinen hinausgreift“ und „die Rolle von Wissenschaft und Technik insgesamt in der Gesellschaft neu“ positioniert, SCHUMMER 2009, 46.

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nutzen, um deren Rekonstruktion innerhalb dieses Kampfes es Link eigentlich geht. Literatur wird theoretisch auf eine intelligente Weise an diesen Auseinandersetzungen und Machtspielen beteiligt, um sie nicht mit einer Verbeugung in die machtfreie Zone des intellektuellen Schrebergartens zu bitten.141 Bei Latour kämpfen Gruppen auch um Macht und Einfluss, jedoch interessiert er sich für einen ganz anfänglichen Prozess der Entstehung sozialer Gruppen in Reflexion auf (technik-) wissenschaftliche Betätigungen, die sie als Objekte und begriffskonstitutierte Gegenstände soziologisch untersucht. Gruppenbildung umfasst Technik(en) oder technische Artefakte in Kombination mit menschlichem Handeln, ein Kollektiv entsteht aus sozialem Handeln mit Technik.142 Die Bedeutung dessen, was ein Kollektiv ist, unterscheidet sich insofern, und Latours methodischer Vorbehalt könnte sich zu einer Ergänzung von Link machen lassen, insofern der Begriff des Kollektivsymbols (und der der Gesellschaft) mit Hilfe einer von Latour inspirierten Auffassung von Kollektiven modifiziert und transformiert wird. Latours Grundsatzanalysen führen zu der Einsicht, dass Handeln in Mensch-Technik-Einheiten geschieht. Damit werden Kollektive zu differenziert geschichteten Aktionsgebilden, bei denen die materielle Handlungsmacht auch bei den Dingen oder Techniken liegt143, einen isolierten, technikfrei agierenden Faktor Mensch gibt es nicht. Mensch-Technik-Kollektive betreffen insbesondere digitale sprachliche Kommunikation, Suchmaschinen und Algorithmen. Bei Link wird Macht und Bedeutung durch soziale Kollektive konstituiert, die in den 1980er Jahren eher technikfrei als unterschiedliche Gruppen im Sinne von Menschen-Mengen gedacht sind, die sich entlang unterschiedlicher Interessen, Machtinteressen und Praktiken konstituieren. Diese Sichtweise auf die soziale Dimension von Sprache und Sprachgebrauch könnte man als klassisch politisch-diskursanalytische bezeichnen, die man, wenn es um technisierte Sprachdokumente geht, durch den Feldforschungsansatz von Latour, der dagegen mikroso-

 141 Ein Anliegen, das die Literaturwissenschaft unter anderem Vorzeichen mit den Stichworten Wissen und Literatur verfolgt, exemplarisch BORGARDS et al 2013. 142 „Wenn es um die exakten Wissenschaften geht, kann keine unserer Studien gebrauchen, was Soziologen, Psychologen oder Ökonomen uns vom sozialen Kontext oder vom Subjekt erzählen. Daher werde ich das Wort ‚Kollektiv‘ verwenden, um die Assoziierung von Menschen und nicht-menschlichen Wesen zu beschreiben; und ‚Gesellschaft‘, um nur jenen Teil unserer Kollektive zu bezeichnen, der durch die von den Sozialwissenschaftlern gezogene Trennungslinie erfunden worden ist. Was Kontext und was technischer Inhalt ist, definiert sich immer wieder neu.“ LATOUR 1995 [1991], 11. 143 Die Bodenschwelle am Beginn einer verkehrsberuhigten Zone ‚handelt‘ im Einklang mit der Straßenverkehrsordnung, indem sie das darüberfahrende Auto und seine Fahrerin bei zu hoher Geschwindigkeit durchschüttelt oder gar die Achse des Wagens brechen lässt. Die Schlaglöcher handeln auch, allerdings ganz anders als Bodenschwellen.

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ziologische Prozesse beschreibt, ergänzen kann. Der Großbegriff der Gesellschaft zerfällt bei Latour in einzelne beschreibbare Fragmente, die zwar versammelt werden könnten, es aber in ihrer Diversifizierung eigentlich nicht mehr erlauben, von ‚der‘ Gesellschaft zu reden. Dieser Gedanke kann dann im Hinblick auf digitale, sprachlich geformte Kommunikationsakte als mikrosoziologisch analysierbarer Kommunikationsprozess an Links Entwurf angedockt werden. Unproblematisch bleibt die Ergänzung, die Latour anbietet, wenn man sie als Reflexion auf den Akt des wissenschaftlichen Schreibens versteht. Er beharrt darauf, dass die Theorie dem untersuchten Gegenstand angemessen sein muss. Dieser Satz verliert den banalen Charakter, wenn es darum geht, neue gesellschaftliche Entwicklungen zu beschreiben und aktuelle gesellschaftliche Bewegungen zu erfassen. Man könnte die Ergänzung gegenüber Link darin sehen, dass ein Relativierungsfaktor gegenüber wissenschaftlichen Begrifflichkeiten per se für möglich und nötig gehalten wird. Wie die Distanz gegenüber den Begrifflichkeiten, die für eine wissenschaftliche Untersuchung notwendig sind, im Sinne einer methodischen Aufgeklärtheit eingehalten wird, kann ich im Hinblick auf Link nicht konkret beantworten, sie ist aber notwendig und Latour fungiert dafür als Kronzeuge aus einer anderen Wissenschaftsdisziplin, wenn er betont, dass es in einer gesellschaftswissenschaftlichen Arbeit darum gehen müsse, die eigentlich interessanten Phänomene, also bestimmte soziale oder mikrosoziologische Prozesse in den Blick zu bekommen, und nicht etwa Objektivität anhand von Begriffshuberei herzustellen, die sich eher als Objektivitäts-Simulation bezeichnen lässt.144 Damit ist der große Respekt vor der Macht wissenschaftlicher Begrifflichkeiten formuliert, die das, was untersucht werden soll, nicht nur knebeln und vernebeln, sondern sogar zerstören können. In jedem Fall bringen Begrifflichkeiten eine ihnen gemäße Realität hervor und es ist selbstverständlich, dass auf den Akt des Schreibens selbst (also auf den Akt des Verfassens eines „Berichtes“145) reflektiert werden muss. Das verwendete wissenschaftliche Vokabular und Theorieinventar, mit dem die Beobachtungen, die gemacht werden, letztlich beschrieben und verbalisiert werden, gehört selbstverständlich dazu.146

 144 „Objektivität kann somit entweder durch einen objektivistischen Stil erreicht werden – auch wenn weit und breit kein Objekt zu sehen ist – oder durch die Präsenz von vielen Objektoren, von Einwände liefernden Objekten – auch wenn nicht die geringste Absicht besteht, den objektivistischen Stil zu parodieren...“ LATOUR 2010, 217. 145 LATOUR 2010, 215, Anmerkung 2. 146 Link gesteht seinem Lehrer Foucault eine kollektivsymbolisch aufgeklärte Begriffsbildung selbstverständlich zu: „Natürlich hat der klug taktierende kulturrevolutionäre Partisan Michel Foucault das ‚gewusst‘ (im Sinne von ‚savoir‘) und praktiziert: Immerhin hat er der Kollektivsymbolik der ‚Streuungen‘, der ‚Lücken‘, der ‚Risse‘ und ‚Ver-

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Die Raumbedeutungen, die die Nanotechnologie als Kollektivsymbol mit sich führt und die ihr zugehörig sind, werden hier nachgezeichnet mit einem Vokabular, das sie in diesen Text hineinbändigen soll, aber die wundersame Widersprüchlichkeit faktischen Sprechens nicht zum Schweigen bringen darf. Die Theorie, die herangezogen wird, soll helfen, Abstraktionen im Hinblick auf Sprachgewohnheiten und den Nanotechnologiediskurs zu ermöglichen, sie darf aber als Infrasprache dieser Untersuchung nicht das „Vorbringen von Einwänden“147 ersetzen, die sich aus der Auseinandersetzung mit konkretem Textmaterial ergeben. Abschließend möchte ich einen fragilen Gedanken formulieren, der Links und Latours Theorieentwürfe noch anders verkoppelt. Latours wissenschaftstheoretische und technikanthropologische Untersuchungen haben ein spezifisches Feld der Wissensgenerierung, die soziologisch gesättigten „Science Studies“ erschlossen. Damit entsteht, neben profundem Wissen, ein „symbolisches Kapital“148, das Wissenschaftstheoretikern und Laboranthropologen als Vertretern einer Disziplin und Pionieren eines Feldes149 die Rekonstruktion der und die Erkenntnis über die Wissenskonstitution in technowissenschaftlichen Forschungszusammenhängen zugesteht.150 (Die Entstehung von symbolischem Kapital ist nicht auf diese Wissenschaftsdisziplin beschränkt, und das symbolische Kapital der Ingenieure ist höher als der der Literaturwissenschaftler – bei Politikern zumindest.) Anders gesagt: Mit der Wissenschaftsforschung wird eine kulturelle Distinktion im Gefüge der Wissenschaften eingeführt und eine Spezies von Experten etabliert, die für den komplexen Zusammenhang von Laborforschung, Technik, Wissen und Gesellschaft kompetent, mit Macht und Wissen ausgestattet, zuständig sind. Nanotechnologie bringt als gesellschaftlich relevante Schlüsseltechnologie eine Nachfrage nach diesen Experten und diesem symbolischen Kapital hervor, das, zum Nutzen aller, proaktiv eingesetzt und vermehrt wird, wenn beispielsweise der Wissenschaftsphilosoph zum Berichterstatter der Europäischen Kommission über die Konvergierenden Technologien, inklusive der Nanotechnologie, berufen wird, um über die Gestaltung der Zukunft der europäischen Gesellschaften zu referieren.151 Damit wird Nanotechnologie entlang

 schachtelungen‘, der ‚Überlagerungen‘ [...], des ‚Fluktuierens‘ und des ‚Gewimmels‘ – ‚eine kräftige Bresche in den Diskurs geschlagen‘.“ LINK 1985, 109. 147 LATOUR 2010, 231. 148 Der Begriff vom Kultursoziologen und Gesellschaftstheoretiker Pierre Bourdieu. 149 Feynman nennt Entdecker eines neuen wissenschaftlichen Feldes „a leader [who] [...] has some temporary monopoly in a scientific adventure.“ FEYNMAN 1960 [1959], 22. 150 Ich mache einen literaturwissenschaftlichen Knoten in die Verbindungslinien zur sogenannten Sokal-Affäre. Alan Sokal, Jean Bricmont: Eleganter Unsinn. Deutsch von Johannes Schwab und Dietmar Zimmer. München: Beck, 1999. 151 EU 2005, vgl. Fußnote 157.

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der (wissenschafts-)kulturellen Distinktion selbstbewusst als rational, sozialwissenschaftlich und politisch institutionell abgesichert und als letztlich ethisch reflektierbare Technologie stabilisiert. Verzwickt wird der Fall, und deshalb umso mehr ein Fall für Kollektivsymbolanalysen, wenn die Wissenschaftsphilosophie explizit und kokett zum Nanotechnologiediskurs beiträgt. Mein Eindruck ist, dass hier jede Menge Opportunismus im Spiel ist – was nicht unbedingt schlecht ist. [...] Wir Philosophen werden oft dazu rekrutiert, gerade auch die unverantwortlichen Seiten einer Vision glaubwürdig zu machen, [...] eine bloß mögliche Zukunft als real auszuweisen. [...] Was wir als Philosophen [...] beitragen sollten, bezeichne ich als ‚Entflechtung‘. Eine Entwirrung der Begriffe und Diskurse. Ich halte das für eine ethische Aktivität, weil es eines gewissen Fingerspitzengefühls bedarf: Man muss das Knäuel aufdröseln, ohne die Forschungsstränge selbst zu zerstören.

152

Wird das Aufdröseln eines Knäuels als „ethische Aktivität“ apostrophiert und im gleichen Atemzug von Opportunismus gesprochen, wird in doppelt kollektivsymbolisch formuliert. Einerseits steht das „ethische Verhalten“ eines „Aufdröselns“ gegen das Zerschlagen eines Gordischen Knotens – eine kollektivsymbolisch fast ausschließlich feminine Aktivität (das Aufdröseln von Knoten gehört in einen häuslichen Handarbeitskontext, maximal noch zur Fischerei) scheint gegen die gewaltsame männliche Lösung vorgeschlagen zu werden, bei der unverfroren das Schwert benutzt wird, um den Fluch zu lösen. Darüber hinaus wird aber auch kolloidkollektivsymbolisch formuliert. Das „Knäuel“ ist ein Fachbegriff aus der Kolloidchemie, ihre Erforschung gehört zum Kernbereich der Festkörperphysik und Nanotechnologie. Kolloid, kolloiddisperses System. Eine Dispersion, die einen Dispersitätsgrad aufweist, der zwischen der molekularen und der grobdispersen Verteilung liegt. Die Abgrenzung ist nicht scharf, sie ergibt sich auf Grund physikalischer Eigenschaften. Atome (bzw. Moleküle), die an der Phasengrenze lokalisiert sind, liegen in einem energiereicheren Zustand vor als die gleichen Moleküle im Phaseninneren (Grenzflächenspannung), weil die zwischenmolekularen Kräfte an der Phasengrenze nicht „abgesättigt“ d.h. anisotrop sind. Bei makroskopischen Teilchen ist die Zahl der Atome an der Phasengrenze vernachlässigbar gegen die Gesamtzahl der Atome. Die obere Grenze der kolloiden Verteilung erreicht man, wenn die Zahl der Grenzflächenatome nicht mehr vernachlässigbar ist und damit die Teilchen in einem energiereichen Zustand vorliegen. Die untere Begrenzung zur molekularen Verteilung ergibt sich daraus, dass die Zahl der Atome in einem Teilchen so groß sein muss, dass man von Grenzflächenatomen und Atomen im Volumen sprechen kann. Die Grenzen der kolloiden Vertei-

 152 NORDMANN 2007a.

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lung liegen zwischen 103 und 109 Atomen je Teilchen, das entspricht bei kompakten und kugelförmigen Teilchen einem Radius von 1 nm bis 1 m. Ein Makromolekül mit einer solchen Anzahl von Atomen wäre bei linearer Anordnung im Dispersionsmedium nicht als Kolloid anzusehen; würde es dagegen als Knäuel vorliegen, ist es als Kolloid anzusehen, denn man kann zwischen Grenzflächenatomen und Atomen im Knäuel unterscheiden. [...] Dünne Filme: Eine spezielle Form des kolloiden Zustandes stellt ein dünner Film dar, dessen Dicke < 300 nm ist. Auch in diesem Fall liegt ein energiereicherer Zustand vor, weil man [...] zwischen Atomen an der Phasengrenze und im Volumen unterscheiden kann. Allerdings fällt die räumliche Begrenzung in der dritten Dimension weg. Dünne Flüssigkeitsfilme auf Festkörpern (Benetzung, Anstriche, Flotation), Klebverbindungen, Rieselfilme, Schmierfilme seien als Beispiel aus der Praxis genannt. Diese dünnen Filme entsprechen in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften den Dispersionskolloiden. Ihre Stabilität lässt sich durch die Ge153

setzmäßigkeiten, die unter Koagulation beschrieben sind, erklären.

(Hervorhebung FN).

Noch verzwickter wird es, wenn die öffentliche Äußerung des Wissenschaftstheoretikers über den „Opportunismus“, „ethische Aktivitäten“ und „Aufdröseln von Knäueln“ in der Nanotechnologie in einem Zeitungsartikel geäußert wird, der einer opportunistischen Glättung für die Googlebarkeit unterzogen wird, die nur in aufwändiger textkritischer Herangehensweise sichtbar wird. Der Zeitungsartikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ tituliert in der Papierversion Philosophie des grauen Schleims. - Was ist das eigentlich: Nanotechnologie? Der Wissenschaftstheoretiker Alfred Nordmann versucht eine Antwort.

154

In der digitalen, googlebar archivierten Version wird derselbe Artikel mit einer regelrechten Minimalnarration getitelt, mit einem literarischen Kollektivsymbol, das auch der materialwissenschaftliche Vortrag der dritten Fallstudie verwendet (II.3). Schöne, neue Nanowelt. - Nanotechnologie ist angesagt. Aber ist überhaupt klar, was der Begriff bedeutet? Die Antwort fällt selbst einem Wissenschaftstheoretiker schwer. Ein Inter155

view. Von Niels Boeing.

 153 Stichwort „Kolloid“. In: Silicat Lexikon. Nichtmetallisch-anorganische Werkstoffe, vorwiegend silicatische Minerale und Gesteine, Biographien. Herausgegeben von Wilhelm Hinz. Berlin (DDR): Akademie Verlag 1985, 426. 154 NORDMANN 2007a. 155 zeit.de/2007/47/P-Nordmann-Interview, acc. 160229. Die Änderung für die Digitalausgabe kann, muss aber nicht von Nordmann oder Boeing verantwortet sein.

134 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

Es zeigt sich ein mindestens „ästhetisches Verhältnis“ zur Wissenschaftstheorie, aber von wem eigentlich?156 Lässt sich dieses ästhetische Verhältnis vielleicht als angewandte Elementarliteratur bezeichnen? Oder gar als angewandte Kollektivsymbolik? Von weiteren Beispielen, die das wissenschaftliche Vokabular mindestens in seiner ästhetischen Zeichen- und Wucherhaftigkeit reflektieren und darstellen, sollen zwei erwähnt, aber, damit sie sich nicht zu eigenen Fallstudien auswachsen, in eine ausgiebige Fußnote verbannt werden.157

 156 DÖRING / THIELMANN 2008, 22, Fußnote 73. 157 1. Als Berichterstatter der High Level Expert Group HLEG („Hochrangige Expertengruppe Foresight zur neuen Technologiewelle“) zur Nanotechnologie macht sich Nordmann über die Eigendynamik sprachlicher Zeichen bei der Diskussion moderner Technologien, als Converging Technologies CT gefasst, lustig. Auf der Titelseite des Berichts EU 2005, der eine Agenda für einen europäischen Umgang mit hochtechnologischer Forschung präsentiert, findet sich offensichtlicher und gleichzeitig versteckter Spott über die scheinbar beliebigen Begrifflichkeiten, mit denen sich Aussagen u.a. über Nanotechnologie produzieren lassen. „Nano-Bio-Info-Kogno-Sozio-Anthro-Philo“ lautet die Reihe von Paratext-Kürzeln oberhalb des Titels in blaßgrauer Schrift: der Bericht plädiert gegen die NBIC für einen dezidiert europäischen Ansatz der CT als CTEKS: Converging Technologies for a European Knowledge Society (Konvergierende Technologien für eine europäische Wissensgemeinschaft), die Aufreihung signalisiert die Forderung nach Erweiterung der CT-Perspektive um sozialwissenschaftliche und philosophische Wissenschaften. In einer zweiten raumsemantischen Morphemreihe unter dem Titel steckt der päpstliche Segen Urbi et Orbi: „Geo-Öko-Urbo-Orbo-MacroMicro-Nano“, der mit forscher Eleganz mindestens die schlagwortartigen Abkürzungen technowissenschaftlich gesättigter Raumvorstellungen karikiert. Bookshop.europa.eu /en/converging-technologies-pBKINA21357/. 2. Die Broschüre „Il Distretto Italiano per le Nanotecnologie. Nanotecnologie: il futuro comincia oggi“ (engl.: „The Italian Cluster for Nanotechnologies. Nanotechnologies: the future starts today“) von Veneto Nanotech, die seit 2003 in Norditalien ein von der Europäischen Union cofinanziertes Netzwerk koordiniert, zeigt den Ausschnitt eines digitalen Bild-Mach-Werks von Shane Hope: „Speculativernacular Folk-Flock of a Eco-Exo Environmental Makeshift Biomass Megaplex All Genomicommons-Collablobject-Oriented Atomiclustering Like While Sniffing Sapient Fungibles but Dividually Disguised as a DistribuDeev Data-Debased Dark Matter of Infactious Informophically-Biorouted Acceluture Future-Pharmada of Molecular Mind Machines Freeconomically Flapping in Fabbed Fertizer Foglets, year thirty-thirty-something.“ confindustria.ap.it/confindustria_old/images/documenti/Nanot ecnologie/distretto_veneto_nanotech.pdf, 160229.





6. Schwierige Definition(en) Nanotechnologie kursiert als nicht-irritierendes Wort eines wissenschaftlichtechnisch bestimmten Lebensalltags in Zeitungsartikeln, auf Industrieprodukten, in Reden von Politikern und Wissenschaftlern und in Ausstellungen. Etwa zehn Jahre lang fuhr der sogenannte nanoTruck durch Deutschland, um „die Bevölkerung frühzeitig über Nanotechnologie zu informieren.“1 Das Wort liegt leicht auf der Zunge, man kann es googeln, also als Stichwort auf der Internetseite des Suchdienstes Google oder bei anderen Suchdiensten eingeben. Anders als das Wort „Horkrux“ ist es kein Fantasiewort. Im Unterschied zu technischen und wissenschaftlichen Bezeichnungen wie Lastwagen, Wasserstoffbombe, Elektrotechnik, DNATest oder Plexiglas wird das Wort in seiner Sprachumgebung oft von einer Definition, Erklärung oder Einführung begleitet, die auf eine klassifikatorische Notwendigkeit verweist, ohne eine eigentliche wissenschaftliche Bedeutung zu fixieren. Formal ausgedrückt, besteht das Textumfeld aus Einheiten mit Zeige- oder Verweischarakter. Diese Texteinheiten liefern naturwissenschaftliche, medizinische, ökonomische und andere Informationen, deren Funktion die Festlegung der Bedeutung des Wortes ist. Erklärungen oder Definitionen reagieren explizit oder implizit auf die Frage: „Nanotechnologie – was ist das eigentlich?“, auch wenn sie die Definitionsmöglichkeit negieren oder eine rein ökonomisch-soziale Erklärung anführen.2 Das Phänomen der Erklärungsnotwendigkeit gehört zur Nanotechnologie. Nanotechnology is particularly frustrating to describe. It is not one thing, and it is certainly 3

not all things. (2002) 4

Eine allgemein anerkannte Definition der Nanotechnologie existiert bis heute nicht. (2003) Nanotechnologie ist ein Sammelbegriff für eine weite Palette von Technologien, die vor allem eines gemeinsam haben: Sie befassen sich mit Strukturen und Prozessen auf der Nanome5

terskala. (2004)

 1

Der BMBF-geförderte Lastwagen besuchte bis 31.3.15 etwa 10 Jahre auf Anfrage Schulen und andere Veranstaltungsorte. nanotruck.de/treffpunkt-nanowelten.html, 160228.

2

„Was verbirgt sich wissenschaftlich hinter den enormen Budgetzuwächsen, den gesteigerten Zukunftsversprechen und der rasanten wissenschaftlichen Institutionalisierung?“ SCHUMMER 2009, 37f.

3

WILLIAMS 2002.

4

TAB-Arbeitsbericht Nr. 92, November 2003, Seite 1. tab-beim-bundestag.de/de/pdf/publikationen/zusammenfassungen/TAB-Arbeitsbericht-ab092_Z.pdf, acc. 160228.

5

PASCHEN et al. 2004, 27.

136 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Trotz der mehr als zwanzigjährigen Entwicklung gibt es immer noch keine allgemein aner6

kannte Definition der Nanotechnologie. (2006)

Besonders bekannt ist die Definition der amerikanischen National Nanotechnology Initiative NNI aus dem Jahr 2000. Forschung und technische Entwicklung auf der atomaren, molekularen oder makromolekularen Ebene im Längenbereich von ungefähr 1-100 Nanometern, um ein grundlegendes Verständnis von Phänomenen und Materialien im Nano-Bereich zu liefern und um Strukturen, Geräte (devices) und Systeme zu erzeugen und zu gebrauchen, die neue Eigenschaften und Funktionen aufweisen wegen ihrer kleinen und/oder Zwischengröße.

7

Diese Definition führt ein traditionelles Forschungsverständnis in den Natur- und Technikwissenschaften mit einem schwammigen Begriff fort, dessen Akzeptanz

 6

„Dies hat auch mit disziplinären Unterschieden bei der Verwendung des Begriffs zu tun: So werden in den Materialwissenschaften, der Physik, Chemie und Biologie teilweise seit Jahren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf der Nanoebene durchgeführt, ohne dies explizit als NANO zu bezeichnen, und umgekehrt schmücken sich auch einige Anwendungen oder Arbeiten mit diesem Begriff, ohne dass sie streng genommen der Nanotechnologie zuzurechnen wären.“ FRIEDEWALD / ROLOFF 2006, 7f.

7

Die Übersetzung zitiert nach SCHUMMER 2009, 37. Die vollständige „Nanotechnology Definition“ der National Science and Technology Council, Subcommittee on Nanoscale Science, Engineering and Technology, Washington DC, Februar 2000, lautet: „Research and technology development at the atomic, molecular or macromolecular levels, in the length scale of approximately 1 – 100 nanometer range, to provide a fundamental understanding of phenomena and materials at the nanoscale and to create and use structures, devices and systems that have novel properties and functions because of their small and/or intermediate size. The novel and differentiating properties and functions are developed at a critical length scale of matter typically under 100 nm. Nanotechnology research and development includes manipulation under control of the nanoxcale structures and their integration into larger material components, systems and architectures. Within these larger scale assemblies, the control and construction of their structures and components remains at the nanometer scale. In some particualer cases, the critical length scale for novel properties and phenomena may be under 1 nm (e.g., manipulation of atoms at  0,1 nm) or be larger than 100 nm (e.g. nanoparticle reinforced polymers have the unique feature at  200 – 300 nm as a function of the local bridges or bonds between the nano particles and the polymer).“ nsf.gov/crssprgm/nano/reports/omb_nifty50.jsp, 160130. Die amerikanische NNI wird nicht nur von Schummer als wissenschaftspolitischer Geburtshelfer der Nanotechnologie angesehen.

S CHWIERIGE D EFINITION ( EN ) | 137

Schummer auf eine Art innerer Korrumpierbarkeit wissenschaftlicher Forschung aufgrund angeblich permanenten Geldmangels zurückführt und kritisiert. Die Definition der vermeintlich neuen Nanotechnologie ist [...] so weit gefasst, dass sie einen großen Bereich konventioneller Natur- und Technikwissenschaft verschiedenster Disziplinen umfasst. Mit gutem Recht konnten sich daher viele Natur- und Ingenieurswissenschaftler, sobald Nano-Budgets zur Verfügung standen, ‚nano‘ auf ihre Fahnen schreiben. Welcher Wissenschaftler wollte [...] das Unspezifische der Definition kritisieren, solange er dadurch am Geldsegen teilhaben konnte?

8

Allerdings wird der Nanodiskurs9 nicht dadurch erhellt, dass pauschal auf ökonomische Abhängigkeit wissenschaftlicher Forschung verwiesen wird.10 Umgekehrt bedeutet dies, dass das Wort, der Begriff, die bezeichnete Sache – eine Technik? – nicht klar sind. Das EU-geförderte Projekt ObservatoryNano behilft sich 2009 mit dem Verweis auf eine Zielvorgabe, die nanowissenschaftliche Bestrebungen unter dem „Regenschirmbegriff“ Nanotechnologie vereint.

 8

SCHUMMER 2009, 38.

9

KEHRT 2016, 9.

10 „Dass Definitionen von Technologien nicht begrifflich entworfen, sondern politisch ausgehandelt werden, überrascht wenig, wenn man die Summen bedenkt, um die es [...] geht.“ SCHUMMER 2009, 41. Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles – ach. Ähnlich Nordmann zu den „treibenden Kräften in der Nanotechnologie“: „Die Forschung ist es jedenfalls nicht. Mein Eindruck ist, dass hier jede Menge Opportunismus im Spiel ist – was nicht unbedingt schlecht ist.“ NORDMANN 2007a. Beide ignorieren hier die Auseinandersetzungen um die Maßeinheiten zwischen Physik und Chemie: „[D]efinition of mass in terms of a fixed value of Planck’s constant, we have a mixing of the everyday macroscopic world and the miroscopic quantum world, which will require a lot of explaining and jusification to other physicists [...] if the kilogram is redefined in terms of a fixed number of silicon atoms, as desired by the international chemistry community, htere would be less need for detailed philsophical explanations as the new definition would relate the kilgram to a large, visible volume of silicon. We have her, in the future redefinition of the kilogram, an example of the physicist’s world-view and the very different world-view of the chemist. [...] The difference of outlook between chemists and physicists has always been marked; however, it has become increasingly polarized withe the specialization of all of the sciences in the early-20th century. This problem is unlikely ever to disappear, although the creation of a Quantum-SI may assist in providing a common optic through which the natural world may be studied by all scientists.“ WILLIAMS 2014, Kapitel 12-11.

138 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL The umbrella terms of nanoscience and nanotechnology are still not precisely defined, however, one thing which is clear, and which all definitions share, is the ambition to under-stand and control the fundamental structure and behaviour of matter at the atomic and molecular level. This report confirms that the demand for nanoregulation remains high on the agenda [...] Considering the existing gaps in scientific knowledge, the progress of research and the increasing number of applications, the different positions and stances of regulatory agencies around the world, the settlement of this matter cannot be expected in the short term and in any case will remain a dynamic process.

11

Positiv formuliert: Es gibt wissenschaftliche Zugriffe und Verstehensbemühungen für etwas, das technisch auf der atomaren und molekularen Ebene passiert und das entweder Nanowissenschaft oder Nanotechnologie heißen soll.12 Die Besonderheit der Definitionsfrage liegt darin, dass sowohl gemeinsprachlich als auch fachsprachlich formulierte Definitionen sich mehr oder weniger selbstsicher auf die kleinste Dimension (was auch immer das heißt) als gemeinsames Merkmal einer Technik berufen, die nicht als einheitliche Technik zu bezeichnen ist. Auf der EU-Ebene wird am 18. Oktober 2011 die erste Empfehlung für die Definition von Nanomaterialien veröffentlicht, wobei erwartet wird, dass die Europäische Kommission den Überprüfungsprozess im Jahr 2016 beendet.13 Eine Studie zur Bewertung des „Impacts“, der Auswirkungen von Nanomaterialien („NM“) anhand der europäischen Chemikalien-Verordnung REACh14 stellt im April 2014 fest: The principal problem is there is currently sub-optimal regulation of Nanomaterials within REACH. [...] The consequence is that dossiers that are submitted for NM do not provide sufficient evidence to ensure protection of human health and environment and the free move-

 11 ObservatoryNANO, 7. Forschungsrahmenprogramm EU, 01.04.08-31.03.12, 16 Partner, 10 Länder, Nr. 218528, Ergebnisse veröffentlicht 29.05.09, observatorynano.eu/project/c atalogue/5/ (zuletzt 120308). cordis.europa.eu/project/rcn/87963_en.html, acc. 160228. 12 Nordmann diskutiert wissenschaftstheoretisch den interdisziplinären Zugang zur „Nanowelt“ und favorisiert den Begriff NanoTechnoScience, NORDMANN 2009a. 13 „The Commission is expected to conclude the review in 2016, following the consultation of its draft findings with the stakeholders towards the end of 2015.“ ec.europa.eu /environment/chemicals/nanotech/faq/definition_en.htm, acc. 160228. 14 Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals ist das Regulierungsverfahren der EU für chemische Substanzen. „Es herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass es nicht anwendbar ist, wenn Eigenschaften nicht nur von der chemischen Zusammensetzung, sondern auch von Oberflächeneigenschaften, Größe, Gestalt und vielleicht auch von der konstruierten Funktionalität und [...] Umgebungsbedingungen abhängen.“ NORDMANN 2009a, Fußnote 17.

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ment of substances on the internal market [...]. Stakeholders [have to] [...] respond to current regulatory imprecision [...] The immediate drivers of the problem relate to the absence of sufficient specific provisions for NM within the annexes of REACH [...], 68 % considered it to be ‚unclear‘ and a further 18 % ‚very unclear‘.

15

Die Schwierigkeit einer fehlenden (oder vagen) Definition führt dazu, dass alles, was an moderner Spitzenforschung stattfindet, unter dem Terminus zusammengefasst werden kann. [D]efinitions of nanoscience and nanotechnology, frequently no longer distinguished from each other, are extremely vague. Since almost every material object has one or the other characteristic molecular or crystallographic length in the 1-100 nanometer range, as most definitions require, almost every modern science and technology concerned with materials might qualify as nanoscience or nanotechnology.

16

Umfassende Standardisierungsbemühungen führen zu industriellen Standards, die sich auf Größenordnungen und Materialitäten beziehen, und Bestimmungen und Normungen im Hinblick auf das Vokabular etablieren, mit dem in und zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, Politikern, Industrieunternehmen und der Presse agiert wird oder werden soll. Die Übernahme der Standardisierungen erfolgt mehr oder weniger freiwillig, die internationalen Aktivitäten laufen in der Schweiz in der Internationalen Organisation für Standardisierung ISO zusammen, in der es seit 2005 die Kommission ISO 229 zur Nanotechnologie gibt. Standards beruhen auf der Konsensfindung zwischen beteiligten nationalen Standardisierungsorganisationen.17 In Deutschland können einzelne ISO-Normen über Zweigstellen des DIN (und) an einigen Universitäten eingesehen und vor Ort per Hand abgeschrieben18, müssen aber sonst käuflich erworben werden.19 Die Standards haben, wie DIN-

 15 EU Ref. Ares(2014)1338846 – 29/042014, 4f. 16 SCHUMMER 2004, 426. 17 Mitglieder sind 162 nationale Standardisierungsorganisationen (2016), keine Industrieunternehmen oder Nationen, für die BRD seit 1951 das Deutsche Institut für Normung DIN e.V. Die ISO wurde 1947 von 25 Staaten gegründet, u.a. von Frankreich, Großbritannien, UdSSR, USA. Ob die DDR ein Institut entsendet hatte, weiß ich nicht.iso.org/iso/home/s tandards_development/list_of_iso_technical_committees/iso_technical_committee.htm?c ommid=381983, acc. 160228. 18 Universitäten ermöglichen digitalen Zugang zu Forschungszwecken, die Standards dürfen und können jedoch nicht per Email versendet werden. 19 Die Nano-Normen, in der BRD vom Beuth Verlag Berlin vermarktet, kosten zwischen ca. 60 und 180 CHF. Laut telefonischer Auskunft 2016 kostet ein Jahres-Abonnement aller

140 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

Normen, keinen Gesetzescharakter, betreffen aber beispielsweise Abkommen wie das Welthandelsabkommen zur Reduktion von technischen Handelsbarrieren (WTO-Agreement on Technical Barriers to Trade TBT).20 Im Falle der Etablierung von Standardisierungen wird das jeweilige Mitgliedsland der WTO gegebenenfalls vor rechtlicher Verfolgung geschützt.21 Das Gremium ISO/TC 229 Nanotechnologies, an dem 36 nationale Standardisierungsorganisationen beteiligt sind und 14 als Beobachter wirken, hat seit 2005 insgesamt 46 Standards inklusive Neufassung erarbeitet und publiziert. Die bisherigen Standards haben einen unterschiedlichen Grad der Etablierung oder Relevanz, der in Zahlcodes ausgedrückt wird: 60.60 heißt, ein internationaler Standard wurde publiziert, 90.93 bedeutet, er ist bestätigt und 95.92 besagt, dass ein internationaler Standard trotz Aufhebungsinitiative bestehen bleibt. Die Nanotechnologie-Kommission hat 2015 das Standardverzeichnis zu Kernbegriffen „Nanotechnologies Vocabulary Part 1: Core-Terms“, ISO 80004-

 DIN Normen einen sechsstelligen Euro-Betrag. Über Deutschland ungleich verteilt gibt es 117 institutionelle Abonnenten, die den Normenkatalog bereithalten. Der 1924 gegründete Beuth Verlag ist „Marktführer für das Management von Normen und technischen Regeln und Wissensdienstleister für technischen Fachcontent“, zertifiziert nach DIN EN ISO 9001:2008-12, mit über 650000 lieferbaren Titeln 2014 auf Rang 13 der deutschen Fachverlage. Über den Auslandsnormen-Service können Normen auch aus der Zollunion Russlands mit Kasachstan und Weißrussland bezogen werden. Auf der Website beuth.de, acc. 160228, findet sich eine Liste 17 recherchierbarer ausländischer „Regelsetzer“, davon 12 US-amerikanische, z.B. das Institute of Electrical and Electronics Engineers IEEE, mit mehr als 395000 Mitgliedern weltweit größter Fachverband, dessen Normungstätigkeit explizit auf Nanotechnologie gerichtet ist. Das 1961 gegründete Europäische Komitee für Normung der Europäischen Union CEN (Brüssel) mit 33 Mitgliedern ist als eines von drei europäischen Standardisierungsorganisationen nicht verzeichnet, obwohl das DIN mit ihm zusammenarbeitet. 20 Die Welthandelsorganisation WTO ist die institutionelle Nachfolgeorganisation des ursprünglich ,nur‘ internationalen Vertragswerks General Agreement on Tariffs and Trade GATT von 1948. Die WTO besteht seit 1995 und hat ihren Sitz in Genf/Schweiz und mittlerweile 162 Mitglieder (Nationen), darunter China (seit 2001), Vietnam (2007), Ukraine (2008), die Russische Föderation (2012), Yemen (2014) und Kasachstan (2015). 21 Standardisierungen des ISO sind explizit Bestandteil des TBT, z.B. der ISO/IEC Guide 2:200, und, wie es auf der Webseite heißt: „ISO International Standards impact everyone, everywhere.“ An zentraler Stelle der Website stehen Formulierungen, die nahelegen, die ISO sei eine Hilfsorganisation der WTO: „International Standards make things work. [...] They are instrumental in facilitating international trade.“ (Hervorhebungen dort), iso.org/iso/home/about.htm, acc. 160228. Auf die Verbindung von ISO und WTO kann hier nicht näher eingegangen werden.

S CHWIERIGE D EFINITION ( EN ) | 141

1:2015 novelliert, es befindet sich 2016 im Publikationsstadium „60.60“.22 Im Jahr 2016 gibt es zwei standardisierte Vokabulare der Nanotechnologie im Status annähernd internationaler Gültigkeit, den „Vocabulary Part 3: Carbon nano-objects“ (90.93) und das „Vocabulary Part 4: Nanostructured materials“ (90.92).23 Die von Nordmann angesprochenen umfassenden Probleme der nanotechnowissenschaftlichen Objekt- und Gegenstandskonstitution werden durch Standardisierungen aber nur in einem geringen Maße oder gar nicht berührt oder gelöst, insbesondere bleibt unreflektiert, dass Bits, Atome, Neuronen und Gene als epistemische Dinge derselben Größenordnung angehören und mit einem vereinheitlichten theoretischen Zugriff beschreibbar werden sollen, wodurch Organisches und Anorganisches, Belebtes und Unbelebtes, Biologisches und Technisches ununterscheidbar werden.24

 22 ISO/TS 80004-1:2010 wird ersetzt und erhält den Status 95.99 (aufgehobener Standard). 23 ISO/TS 80004-3:2010 sowie ISO/TS 80004-4:2011. Die Standards der ISO betreffen nahezu alle Aspekte der derzeitigen Technologie und Ökonomie. Eine umfassende Recherche in den mehr als 60 von der ISO mit Stichwort Nanotechnologie verabschiedeten, überarbeiteten, verworfenen Standards ist eine teure Angelegenheit, die in Kombination mit der Frage nach der Standardisierung von Sprachen analysiert werden kann. Das bleibt hier eine offene Aufgabe. Zwei Ansätze terminologischer Standardisierung von 2008 und 2010 (ISO/TS 27687:2008 Definition von Nano-Objekten sowie ISO/TS 80004-1:2010 zu Vokabular und Kernterminologie der Nanotechnologie) wurden 2015 ersetzt (ISO/TS 80004-2:2015 ersetzt den Standard von 2008). ISO/TR 17302:2015 bietet ab Dezember 2015 ein „Framework“ für die Entwicklung einer nanotechnologischen Terminologie in der Humanmedizin an, die die Kommunikation zwischen Entwicklern und Anwendern (Biotechnologie, Lebenswissenschaften, medizinische Forschung, Patentanwälte, Pharmaindustrie sowie Akkreditierungsorganisationen und Ethikkommissionen) organisiert. iso.org/iso/home/store/catalogue_tc/catalogue_detail.htm?csnumber=59542. ISO- und andere Standards unter (Stand: Mai 2015) nanoontario.ca/wp/wp-content/uploads/2015 /05/ISO-IEC-CSA-nano-standard-list-as-of-May-5-2015.pdf, acc. 160228. 24 Nach Nordmann gibt es keine „begrifflichen Ressourcen, um die spezifischen Grenzen nanotechnologischen Wissens und die Grenzen technischer Kontrolle zu benennen [...] Die Besonderheiten und Schwierigkeiten der Nanowelt und die [...] Beschränkung technischer Möglichkeit können nicht thematisiert werden, da sich die Nanoforschung immer nur auf einen Fundus von Theorien beruft, die an anderer Stelle entwickelt wurden und nun eklektisch angeeignet und gedehnt werden, um sie punktuell mit nanoskaligen Phänomenen in Einklang zu bringen. [...] Daraus ergibt sich das mangelhaft entwickelte Verständnis für die Grenzen des Verstehens und der Kontrollierbarkeit auf der Nanoebene. [...] [Das] hat seinen Preis, da die Vorstellung anscheinend fast unbegrenzter technischer Möglichkeiten Erwartungen, öffentliche Debatten und vermutlich auch die Forschungsfi-

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Dazu kommt der vom Umweltbundesamt UBA geschilderte Problemzusammenhang. Nanotechnische Produkte können sich einerseits positiv auf Umwelt und Wirtschaft auswirken. Andererseits führt der zunehmende Einsatz dieser Produkte zu einem vermehrten Eintrag synthetischer Nanomaterialien in die Umweltmedien Boden, Wasser, und Luft. Die Wirkungen der Nanomaterialien in der Umwelt und mögliche gesundheitliche Risiken sind derzeit noch kaum erforscht. [...] Für [...] Bewertungen müssen die Hersteller [...] noch aussagekräftige Daten bereitstellen. Wegen der noch sehr großen Wissenslücken empfiehlt das Umweltbundesamt, den Eintrag der Nanomaterialien in die Umwelt zu vermeiden, solange ihre Wirkung auf Mensch und Umwelt weitgehend unbekannt ist.

25

Versteht man Nanotechnologie als Technik, wird eine Kategorisierung eines Bündels von Techniken oder unterschiedlicher technischer Methoden anhand des gemeinsamen Merkmals Bezug auf eine kleinste Dimension unternommen. Nordmann und Mitstreiter plädieren 2006 dafür, dass nur von Nanotechnologien im Plural gesprochen werden sollte, um sie ausdifferenzieren zu können. Die Begründung dafür berücksichtigt mögliche Reaktionen eines möglichen öffentlichen Diskurses. Jeweils für sich betrachtet lassen sich die Vor- und Nachteile einzelner Nanotechnologien leichter einschätzen als das heterogene Gesamtprogramm. Entsprechend differenzierter dürfte somit auch die öffentliche Bewertung ausfallen.

26

Der Hinweis auf einzelne Nanotechnologien beinhaltet allerdings, dass sich Techniken anhand von differenzierbaren Merkmalen als Nanotechnologie identifizieren lassen, sonst müsste man die Begrifflichkeit nicht verwenden. Diese Merkmale würden es erlauben, einzelne Techniken gewissermaßen als klassifizierte Nanotechologien unter eine wie immer geartete Oberkonzeption von Nanotechnologie zu subsummieren, deren Existenz damit ebenfalls stillschweigend vorausgesetzt wird. Damit wird gesagt, dass Nanotechnologie als untersuchbares, zu untersuchendes, zu bewertendes „heterogenes Gesamtprogramm“ existiert und bloß ausdifferenziert werden muss. Dieses Versprechen ist diabolisch, weil es eine Differenzierungsleistung verspricht, durch die der Nanotechnologie-Diskurs in seiner Einheitlichkeit

 nanzierung in die falsche Richtung lenkt.“ NORDMANN 2009a, 130f, dessen Nanoforschungs-Argumentationen im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden können. 25 umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/nanotechnik, acc. 160228. 26 Vorwort in NORDMANN et al. 2006, vii.

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mit hervorgebracht wird.27 Wozu aber überhaupt Definitionen? Reicht es nicht, zu wissen, dass es um Technik(en) geht? Nanotechnologie als Technikdiskurs zu verstehen und zu beschreiben, wie sie als Kollektivsymbol funktioniert, heißt, dass der Terminus Nanotechnologie sozusagen eine klassifikatorische Funktion hat, anhand derer eine Anzahl von Texten zusammengefasst werden, die zueinander in Beziehung stehen. Texte über Nanotechnologie sind demnach nicht Texte über synthetische Biologie28 oder Algebra. Das bedeutet, auf die Auffassung zu verzichten, dass es primär um exklusive Techniken geht, auf die mit diesem Begriff Bezug genommen werden würde, schon gar nicht handelt es sich bei Nanotechnologie um eine Technik. Die begriffliche Unschärfe hat mehrere Aspekte und Konsequenzen. Rechtliche Bestimmungen, die eine Entscheidbarkeit über die Zulassung von Methoden, Techniken und chemischen Stoffen anhand von Messwerten voraussetzen, brauchen Definitionen über Verfahren und Prozesse, damit Gesetze anwendbar sind. Das genannte EU Projekt ObservatoryNano nennt in einem Bericht vom Juli 2011 als wichtigste Schwierigkeit im Hinblick auf die gesetzliche Regulierung „[t]he wide variety of materials and applications under the umbrella term of nanotechnologies“, sowie die Klassifizierung von Nanomaterialien „[t]he issues related to classification of nanomaterials (e.g. definition of nanomaterials, regulatory triggers, distinction compared to macro-substances).“29 Obwohl nicht explizit von einer Definitions-

 27 Widersprüchliche Aussagen auch in NORDMANN 2007a. Dort heißt es, der „Begriff der Nanotechnologie [ist] zu amorph. [...] Für die Nanotechnologie ist [...] wichtig, dass über sie als ein großes, einheitliches Programm geredet wird. Den Gefallen tut ihr die Philosophie und vor allem die Ethik. [...] Philosophen und Ethiker [...] sind auch heute noch die Einzigen, die das Wort Nanotechnologie im Singular mit voller Inbrunst sagen können. [...] Nanotechnologie ist [...] eine Art und Weise, die Forschung zu organisieren. [...], ein gesellschaftliches Konstrukt, was ja für Physik und Chemie nicht so offensichtlich ist.“ Zum Schluss spricht er selbstverständlich vom „Anwendungspotenzial der Nanotechnologie“, das man nicht unterschätzen darf. 28 Hier der überfällige Hinweis: der Begriffs-Disziplinenvorschlag ,Synthetische Biologie‘ stammt von Ernst-Ludwig Winnacker, 1984-1992 Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages zu Chancen und Risiken der Gentechnologie, 1998-2006 Präsident der DFG, Bundesverdienstkreuz am Bande. WINNACKER 1990, vgl. BARBEN 2011, 268. 29 „Challenges in regulating nanotechnologies“: „2. The limited knowledge on the toxicity of nanomaterials in living systems and their transport in living and environmental systems. 3. The proprietary nature of information on novel nanomaterials making access to relevant information a difficult issue. 4. The lack of harmonised standards or guidance.“ In: MANTOVANI et al 2011, 5 (ObservatoryNano Bericht Nr. 3: Developments in Nanotechnologies Regulation and Standards, July 2011, 5).

144 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

schwierigkeit die Rede ist, besteht die Herausforderung im Hinblick auf die Klassifikationen von Nanomaterialien weiterhin, auch wenn die Nanomaterial–Definition im Rahmen der EU-Kosmetikverordnung eine gesetzliche Relevanz bekommen hat. Nanomaterial: ein unlösliches oder biologisch beständiges und absichtlich hergestelltes Material mit einer oder mehreren äußeren Abmessungen oder einer inneren Struktur in einer Größenordnung von 1 bis 100 Nanometern.

30

Der Terminus Nanotechnologie bezieht sich nominal (irgendwie) darauf, dass auf einen metrisch bestimmbaren Größenbereich technologisch zugegriffen wird, aber sachlich gibt es keine Klarheit darüber, wie die technologischen Zugriffe vereinheitlicht beschrieben und die hergestellten Materialien bezüglich ihrer Toxizität untersucht werden könnten. Damit sind sie schwer oder gar nicht regulierbar. Verhandelt wird auch darüber, wie die Klassifikation in Abgrenzung zu größeren Materialien zu bewerkstelligen ist. Der „Aktionsplan 2015 Nanotechnologie“ des BMBF stellt 2011 fest, dass es keinen abschließenden Einigungsprozess gegeben hat: „Eine international abgestimmte Definition wurde bislang nicht verabschiedet.“31 Diese Formulierung klingt, als handele es sich bei der Definition der Nanotechnologie um ein Gesetz oder eine Verordnung, die von einem politischen Gremium nach gründlichen Verhandlungen verabschiedet wird, als handele es sich um Technik, über deren Existenz(weise) eine Abstimmung erfolgt. Dies ist tatsächlich im Hinblick auf die Verfahren und Tätigkeiten der Internationalen Standardisierungsorganisation ISO so und entspricht der Praxis der Förderpolitik des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF. Förderanträge zu Nanotechnologie-Projekten können 2016 eingereicht werden, ohne dass Förderkriterien im Hinblick auf eine ‚eigentliche‘ Technologie öffentlich festgelegt sind. Stattdessen formuliert die Ausschreibung als Stichwort „Zuwendungszweck“: Die Nanotechnologie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass allein aufgrund der Nanoskaligkeit (1nm bis 100 nm) von Systemkomponenten neue Funktionalitäten zur Verfügung stehen, die zur Entwicklung neuer Produkte oder verbesserter Produkteigenschaften genutzt 32

werden können.

 30 Kosmetik VO, Neufassung EP 24.03.2009; (EG) Nr. 1223/2009. Allerdings steckt der Teufel im Detail, denn es gibt Partikel, die unabsichtlich in Herstellungsprozessen entstehen und biologische Wirkung entfalten. 31 BMBF 2011, 2. 32 Beim BMBF-Programm „KMU-innovativ: Nanotechnologie“ (NanoChance) konnten seit September 2007 durchgehend Projektskizzen eingereicht werden, jeweils zum 15.4. und 15.10. eines Jahres von Experten bewertet, bmbf.de/de/10758.php, zuletzt 150413, sowie

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Expertengremien bei zwei Projektträgern entscheiden nach Antragstellung darüber, ob es sich um einen nanotechnologischen Antrag handelt oder nicht. Entschieden wird dabei nicht nur über die Bewilligung eines Antrags, sondern schon zuvor über die Zulassung.33 Um Technik geht es allerdings bei der Förderung nur bedingt. Weltweit wird Nanotechnologie als eine wichtige Schlüsseltechnologie betrachtet, mit deren Hilfe zukünftig zahlreiche neue Produkte generiert werden. [...] Gegenstand der Förderung sind risikoreiche industrielle Forschungs- und vorwettbewerbliche Entwicklungsvorhaben, die technologieübergreifend und anwendungsbezogen sind. Diese FuE-Vorhaben müssen dem Bereich Nanotechnologie zuzuordnen und für die Positionierung des Unternehmens am Markt von Bedeutung sein. [...] Gefördert werden industrielle Forschungs- und vorwettbewerbliche Entwicklungsvorhaben, die gekennzeichnet sind durch ein hohes wissenschaftlich-tech34

nisches Risiko.

 ptj.de/kmu-innovativ/nanotechnologie. Ursprünglich stammt NanoChance von 2006. Seitdem wurden laut Projektträger Jülich PtJ 9 Verbundprojekte (insgesamt 29 Partner, Fördersumme 7,3 Millionen Euro) gefördert, ptj.de/nanochance. Das Programm KMUInnovativ: Vorfahrt für den Mittelstand umfasst acht „Technologiefelder“, bei denen Nanotechnologie als Oberbegriff verschwunden ist: Biotechnologie, Medizintechnik, Informations- und Kommunikationstechnologien, Materialforschung, Photonik, Produktionstechnologie, Ressourceneffizienz und Klimaschutz, Forschung für die zivile Sicherheit. bmbf.de/de/kmu-innovativ-561.html, alle acc. 160131. 33 Projektträger sind VDI Technologiezentrum GmbH Düsseldorf, Abteilung Nanotechnologien, sowie Jülich PtJ mit Geschäftsbereich NMT Neue Materialien und Chemische Technologien. Der PtJ ist entlang politisch vorgegebener Förderthemen und -programme strukturiert und fasst seit 2001 die (Nachfolge-)Forschungsförderorganisationen aus dem Umfeld des früheren Kernforschungszentrums Jülich zusammen. Als Geschäftsbereich des Forschungszentrums Jülich arbeitet der PtJ 2015 im Auftrag der Bundesministerien für Bildung und Forschung BMBF, Wirtschaft und Energie BMWi, Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit BMUB sowie Verkehr und digitale Infrastruktur BMVI sowie der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und der Europäischen Kommission. Der Geschäftsbereich NMT des PtJ stammt von 1996. ptj.de/foerderthemen, fz-juelich.de/portal/DE/UeberUns/Organisation/Projekt traeger/ptj/_node.html, acc. 160228. 34 Die Website des BMBF bmbf.de/de/10758.php, acc. 150413, ist nicht mehr aktiv, nur die Hinweise unter ptj.de/nanochance, acc. 160131. Die Europäische Kommission bezeichnet als „Schlüsseltechnologien“, englisch Key Enabling Technology KET gegen das Konzept der CT folgende Gruppierung: „micro and nanoelectronics, nanotechnology, industrial biotechnology, advanced materials, photonics and advanced manufacturing technologies. They have applications in multiple industries and help tackle societal challenges. Coun-

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Man könnte sagen, der Regenschirmbegriff („umbrella term“) Nanotechnologie geht mit einer definitionswiderständigen Problematik einher, was im Hinblick auf die Risikobewertung 2011 folgendermaßen gefasst wird: Weder die für eine bestimmte Anwendung verwendete Technologie noch der Größenmaßstab dieser Technologie können aus sich heraus und pauschal ein sinnvolles Kriterium zur Abgrenzung des Technologiefeldes darstellen.

35

Andererseits ist im Hinblick auf Nanotechnologie von einer enormen Anwendungsbreite die Rede. Nanotechnologie gilt auch 2016 als Technologie, die „letztlich ubiquitär eingesetzt werden wird.“36 Sowohl in Deutschland als auch international gibt es nach Jahren eines wissenschaftlich begleiteten Definitionssuchprozesses nicht etwa keine Definition der Nanotechnologie, sondern vielmehr unterschiedliche, denen als allgemeiner Fluchtpunkt zueigen ist, dass sie versuchen, sich auf eine Größenordnung und damit irgendwie auf Raum zu beziehen. Die hier gewählte sprachinteressierte Perspektive zeigt im Hinblick auf Raumsemantik, Textgenres und -organisation sowie Semantisierung von Wissenschaften, wieso es zu einer Art semantischer Einheit kommt, bei der Nanotechnologie als Technologie erscheint, die auf den kleinsten Raum zugreift. Das Genre der Definition kann verschiedene kommunikative Rollen erfüllen, es kann als Kommunikationsnotwendigkeit moderner Naturwissenschaft und damit als Vermittlungsproblem angesehen werden. Sogenannte interessierte Bürger oder Stakeholder, Personen, die in politischen und industriellen Entscheidungsgremien agieren, Laien oder Nicht-Experten fragen in öffentlich zugänglichen Dokumenten wie Presseerklärungen, Selbstdarstellungen wissenschaftlicher Institutionen im Internet, Erklärungen von Forschungsprogrammen in öffentlichen Anhörungen nach, worum es geht, wenn von Nanotechnologie die Rede ist, und Dokumente und Reden müssen ihren Gegenstand jedes Mal durch Zuhilfenahme von Definitionen erzeugen. Allerdings erklärt dieser Ansatz nicht, wieso eine Technik auch in Expertenkreisen einem Abstimmungsprozess unterliegen muss. Dies betont auch die sächsische Regionalstudie, die in Kapitel II.5 ausführlich untersucht wird. Sie wurde zum Zweck der Poli-

 tries and regions that fully exploit KETs will be at the forefront of creating advanced and sustainable economies.“ „KETs provide the basis for innovation in a range of products across all industrial sectors. They underpin the shift to a greener economy, are instrumental in modernising Europe’s industrial base, and drive the development of entirely new industries. Their importance makes them a key element of European industrial policy.“ Ec.europa.eu/growth/industry/key-enabling-technologies/index_en.htm, acc. 160227. 35 BMBF 2011, 35. 36 STEINFELDT et al. 2004, 178.

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tikberatung angefertigt mit dem Ziel, „aufzuzeigen, welche Kräfte mobilisiert werden müssen, um ein ‚Nanotechnologie-Cluster Dresden‘ zu entwickeln/weiterzuentwickeln.“37 Bei der Definition der Nanotechnologie gibt es noch keine international einheitliche Sichtweise [...] Eine absolut richtige und unanzweifelbare Definition für die Klassifizierung von technologischen Prozessen und Produkten in die Nanotechnologie gibt es nicht.

38

Es gibt „noch keine international einheitliche Sichtweise“, heißt, es ist nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann möglicherweise eine einheitliche „Sichtweise“ auf die Nanotechnologie geben wird. Suggeriert wird, eine eindeutige Definition könne Ergebnis eines internationalen Aushandlungsprozesses sein, der dauert und dessen Abschluss in der Zukunft liegt. Gleichzeitig stellt die Studie fest, dass die eindeutige Definition von nanotechnologischen Prozessen und Produkten generell zu verneinen ist, begründet durch die Uneinigkeit in Diskussionen über Nanotechnologie. Die eher anwendungsorientierten Experten sehen die Nanotechnologie als Bereich unterhalb der Mikrotechnologie, mit einer breiten Grauzone der Zugehörigkeit zu einem der beiden Felder, während die ‚Hardliner‘ eher Verfechter der ‚Molekularen Nanotechnologie‘ sind; diese betrachten die Verwendung individueller Bausteine (Atome und Moleküle) für die Herstellung von Systemen Atom für Atom bzw. Molekül für Molekül.

39

Ich verzichte darauf, genauer aufzuschlüsseln, wie zwei Wissenschaftlergruppen wertend konnotiert werden (Anwendungsexperten vs. Hardliner), und halte fest, dass die Möglichkeit einer genauen Klassifikation und Definition einerseits verneint, andererseits in die Zukunft verschoben wird. Für die Studie wird das Problem mit dem Hinweis auf eine „breite Grauzone“ und Anwendungsorientierung weggewischt, so dass trotz fehlender Definition eine Reihe von positiven Aussagen über Nanotechnologie, Unternehmen und Wirtschaftsstrukturen sowie Fördernotwendigkeiten entstehen. Auch der Toxikologe Rolf Hertel vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) spricht im März 2008 davon, dass an der Definitionsfrage „zur Zeit“ heftig gearbeitet werde.40 Die Frage, was unter Nanotechnologie eigentlich zu verstehen ist, wird als beantwortbare in die Zukunft verlagert und suggeriert, dass

 37 GLAUNER et al. 2006, 15. 38 GLAUNER et al. 2006, 26. 39 GLAUNER et al. 2006, 26. 40 Hertel im Interview in der Radiosendung „Forschung aktuell“ (Deutschlandfunk), 11.03.08 über die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit von Nanopartikeln, die als Bestandteil industriell gefertigter Nahrungsmittel in den menschlichen Körper gelangen.

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Fachleute, Experten irgendwann die Definitionsarbeit abschließen können. Offen bleibt, ob die Definitionsarbeit zu einer Definition führt, die für Arbeitsschutzgesetze ebenso brauchbar ist wie für toxikologische Gutachten zur industriellen Verwendung neuer Materialien und Substanzen. Im Dickicht gegenseitiger wissenschaftsdisziplinärer Klischeewahrnehmungen überlassen Natur- und Ingenieurswissenschaften üblicherweise der Literatur (und den damit befassten Wissenschaften gleich mit) die ungenaue Sprechweise, von deren Sprachverwendung sie sich abgrenzen.41 Technik- und Naturwissenschaften werden gemeinhin mit einer exakten Sprache in Verbindung gebracht, wobei das exakte Sprechen seine vornehmste Heimat im Sprachgenre Definition findet. Der sprachlich präzise Ausdruck gipfelt in der wissenschaftlichen Definition; ohne sie weder Gegenstandsbereich noch Wissenschaft.42 Die Bändigung der Sprache, die Ausdifferenzierung und Festlegung in Fachsprachen und Taxonomien ist eine Leistung der Wissenschaft, die gegen das Durcheinander der Welt samt einer wuchernden Alltagssprache und Alltagsphänomenen abgegrenzt wird. Interessanterweise wird Nanotechnologie als Begriff mit einer „fast beliebige[n] Dehnbarkeit“43 trotz aller Ungenauigkeit eine Wissenschaftlichkeit zugesprochen. Ob sich durch eine besser geschulte Sprache das Definitionsproblem der Nanotechnologie langfristig lösen lässt, ist fraglich. Die seit 2005 andauernden Standardisierungsbemühungen der ISO nähren zwar den Eindruck, dass durch Verabschiedung und den nahezu weltweiten Verkauf von Standards eine Angleichung im Vokabular und der Umgangsweise mit dem Phänomen bewirkt wird. Das in diesem Kapitel beschriebene Problem wird dadurch aber nur zum Teil gelöst. Nanotechnologie bleibt sprachlich gebunden, sei die Sprache nun exakt oder nicht, und damit ist ein ästhetischer Überschuss im Spiel, der sich auf einen technisch anzueignenden? technologisch erzeugten? mit Hilfe von Technik ermöglichten? Raum bezieht. Die Bedeutung dessen, was Nanotechnologie ist, wird mit jedem wissenschaftlichen Artikel in einer Fach-

 41 Ein kurioses Fundstück zum Ideal naturwissenschaftlicher Sprachverwendung vom Präsidenten der ETH Zürich, Ralph Eichler, im Züricher Tagesanzeiger 5.9.08. Ein sprachlich präziser Ausdruck sei an der ETH „[e]ntscheidend, weil in den Naturwissenschaften – sicher viel stärker als in der Literatur – jedes Wort eine genaue Bedeutung hat“, was eine gute Vorbereitung des naturwissenschaftlichen Studiums erfordert: „Dieses Textverständnis lernt man im Gymnasium in der Mathematik und den alten Sprachen. Wer Latein oder Griechisch hatte, ist oft auch an der ETH gut. Deshalb muss die nächste Maturareform die Kompetenz einer exakten Sprache stärker gewichten.“ 42 Die Sprachdisziplinierung ist nicht allein den technisch-naturwissenschaftlichen Wissenschaftsdisziplinen vorbehalten und vor allem verbleibt die Sprachgenauigkeit nicht in einem geschlossenen Raum der Wissenschaft. 43 SCHUMMER 2009, 71.

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zeitschrift (re)produziert, der ein wiederholbar beobachtetes Phänomen mit dem Wort belegt. Mit Foucault gesprochen, könnte man sagen, „dass man davon spricht“ und dass es interessant ist, wer davon spricht [...], die Orte und Gesichtspunkte, von denen aus man spricht, die Institutionen, die zum Sprechen anreizen und das Gesagte speichern und verbreiten, kurz die globale 44

‚diskursive Tatsache‘, die ‚Diskursivierung‘.

Der Begriff Nanotechnologie impliziert die Vorstellung eines einheitlichen Sachbereichs, der qua Definition in seiner Allgemeinheit erst hergestellt werden muss und mit jeder Definition als Definition hergestellt wird. In gewisser Hinsicht geht es damit um die Beschreibung einer Vermittlungsarbeit, die geleistet wird. Definitionen haben einen Zeige- oder Verweischarakter, ihre Funktion ist die Erklärung der Bedeutung des Wortes und ihre Verwendung impliziert den Anspruch, dass sich Nanotechnologie von anderen Techniken / Technologien abgrenzen lässt. Die Krux ist: Nanotechnologie muss definiert werden, es gibt gewissermaßen einen Definitionszwang. Das Paradox der inhaltlichen Nichtabgrenzbarkeit dessen, was Nanotechnologie ist und welche Techniken und Prozesse sie beinhaltet, wird durch eine Definition gleichzeitig (sozusagen performativ) suggeriert; denn Definitionen haben als Textgenre traditionell eine Abgrenzungsfunktion.45 Nanotechnologie unterliegt einer sprachlichen Verfasstheit, die eine, wenn man es so ausdrücken darf, positive Leistung erbringt. Das Textgenre Definition ermöglicht, dass Nanotechnologie (und Nanotechnik) als einheitlicher wissenschaftlicher Phänomenbereich als solcher erscheint und intensiv öffentlich gefördert und (wiederum) wissenschaftlich diskutiert werden kann. Die Funktion der Sprache wird deshalb (im Gegensatz zu repräsentationslogischen oder rein deskriptiven Auffassungen von Sprache) hier als generierend begriffen, wobei die Generierungsleistung gewissermaßen sprachphänomenologisch beobachtbar wird. Aus textwissenschaftlicher und quellenkundlicher Perspektive, hinsichtlich sprachlicher Zeugnisse gesehen, treten Nanotechnologie und Definitionen bzw. Definitionsfragen gemeinsam auf. Damit lässt sich eine performative Leistung beschreiben: Nanotechnologie wird sprachlich vermittelt zur kulturell integrierten Technik des kleinsten Raumes. Definitionen dienen der Klassifikation des Gegenstandes und der Abgrenzung des Themenfeldes und sind damit die Grundlage von Wissenschaftlichkeit. Was definiert

 44 FOUCAULT 1983, 21. 45 Insofern ein traditionelles Definitionsverständnis im Hinblick auf Nanotechnologie offenbar auf allen Ebenen in die Irre geht, lässt sich diese Beobachtung laut Schummer als Beispiel für einen geänderten Wissenschaftsbegriff interpretieren, der für ihn mit eigener Metaphysik und Ethik einhergeht. Vgl. SCHUMMER 2009, 78 ff., 90f., 101f.

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werden kann, wird unterscheidbar und existiert, weil es im Rahmen der Klassifikation und Definition zum Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen werden kann. Definitionen greifen auf ein Legitimationsmuster zurück, das seine Legitimität aus einer Rückbindung an wissenschaftliche Praktiken bezieht.46 Es geht nicht nur um Laborpraktiken, physikalische Gesetze oder mathematische Logik, sondern auch um Sprach- und Kulturpraktiken. Wenn Nanotechnologie-Definitionen in Expertendiskursen schwierig, inhaltlich nicht ausdeterminiert oder sogar weich sind, generieren sie als Textgenre trotzdem eine wissenschaftlich gesättigte Aussage.47 Es ist die Vorstellung von (exakter) Wissenschaft, die aufgerufen wird und die als Aussage wichtiger ist als der Definitionsgehalt. Wenn Nanotechnologie mit einer Erklärung zusammen geliefert wird, wird sie quasi-narrativ zu etwas, das es gibt und gefördert werden kann, auch wenn Definitionen, mit denen Vorstellungen von Exaktheit, Klarheit und Beherrschbarkeit von materialen Phänomenen auf der Nanoebene einhergehen, auf der theoretischen Ebene nicht eingelöst werden. [D]ie Tatsache, dass es keine theoretische Rahmung und gesetzmäßige Regelmäßigkeit für nanoskalenabhängige Eigenschaften und für das Beherrschen und Kontrollieren der technologisch interessanten nanoskaligen Phänomene gibt, [bleibt] hinter verschlossenen Labortü48

ren.

Die schwierige Beherrschbarkeit von nanoskaligen Phänomenen bezieht sich sowohl auf die Praxis als auch auf die Theorie, beispielsweise, wenn sich die Größe von Nanokohlenstoffröhrchen im Herstellungsprozess nur schwer kontrollieren lässt und die Bestimmung von relevanten Messgrößen und Verfahren im Hinblick

 46 Nordmann führt als Wissenschaftsphilosoph die Einheit der NanoTechnoScience, wie er es nennt, auf Instrumente zurück: „Anstatt Theorien sind es Instrumente (STM, AFM, etc.), Modelle, die zugehörige Software, Methoden und exemplarische Artefakte (Fullerene, Nanoröhrchen, molekulare Drähte, Nanopartikel), die als Gemeinsamkeit stiftende Bezugspunkte dienen.“ NORDMANN 2009a, 130. 47 Die Europäische Kommission berichtet an das Europäische Parlament: „Die Kommission wird die Entwicklung europäischer Normen für Charakterisierungsmethoden für industriell hergestellte Nanomaterialien durch ihre Forschungseinrichtungen und Förderprogramme unterstützen. Diese sind für Toxizitäts- und Ökotoxizitätsprüfungen, Mess- und Probenahmeverfahren in Bezug auf die Exposition und für Verfahren zur Simulation einer Exposition gegenüber Nanomaterialien erforderlich. Es muss ein kohärenter Ansatz hinsichtlich der Maßnahmen auf der Ebene der OECD verfolgt werden. Die europäischen Normungsgremien sollten eng mit internationalen Normungsorganisationen zusammenarbeiten.“ EUROPÄISCHE KOMMISSION 2013. 48 NORDMANN 2009a, 127.

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auf toxikologisch nachweisbare Wirkungen schwierig ist.49 Und wenn neue Effekte bei nanoskaligen Stoffen beobachtet werden, sobald mit Mess- und Untersuchungsmethoden Partikel dieser Größe überhaupt isoliert und untersucht werden, kann die Erklärung der Phänomene nur mit inadäquaten „Dehnungen“ bisher bekannter Theorien geleistet werden.50 Vielleicht gilt für hochinnovative Forschungen oder neue Entwicklungen in der Wissenschaft immer, dass neue Gegenstandsbereiche von Messmethoden und Instrumenten abhängig sind, und neue Untersuchungsmethoden neue Erkenntnisse hervorbringen.51 Bei der Nanotechnologie fungiert aber das Textgenre umgangssprachliche oder gemeinsprachliche Definition als minimalnarrativer Performanzort, in der kulturell-fiktional erschlossene Räume mit etwas, das ich hier als Wissenschaftlichkeit bezeichne, mit dem Raum, in dem Wissenschaften herrschen und gelten, verschaltet werden. Sprachphänomenologische Beobachtungen Einige sprachphänomenologische Beobachtungen erzeugen eine sprachkritische Distanz im Hinblick auf das Phänomen und plausibilisieren den gewählten Untersuchungsansatz. Sprachphänomenologisch gesehen ist Nanotechnologie ein Bastard aus Fach- und Gemeinsprache und Wort verschiedener Textgenres. Als semantisches Element unterschiedlicher Kommunikationsplätze, -gelegenheiten und -manifestationen wird es von Wissenschaftlern, Journalisten und Politikern in digitalen Schriftstücken, Broschüren, Vorträgen oder als Titelwort für Bücher oder Bezeichnung für Institutionen verwendet. Nanotechnologie kursiert als internationaler Terminus in unterschiedlichen Sprachen und soll(te) als wissenschaftlicher Terminus eine bestimmte Funktion und Bedeutung haben.

 49 Zur „Illustration der misslichen Lage mag man sich in Erinnerung rufen, dass Kohlenstoff-Nanoröhrchen zwar in den 1980er Jahren ,entdeckt‘ wurden und dass sie seit einigen Jahren kommerziell hergestellt werden, dass Forscher aber immer noch deren mangelnde Standardisierung beklagen: jede Produktionseinheit auch des gleichen Herstellers weise andere Eigenschaften auf.“ NORDMANN 2009a, Fußnote 18. 50 „Da die spezifische Komplexität der Nanowelt sich nicht vollständig aus dem Blickwinkel von Theorien erfassen lässt, die in Bezug auf die Nanoebene abgeschlossen sind, werden insbesondere die mit dem Verstehen und Kontrollieren nanoskaliger Phänomene verbundenen Schwierigkeiten durch diese Theorien nicht adäquat ausgedrückt. Durch das Dehnen abgeschlossener Theorie erhält man lediglich perspektivisch erschlossene Erklärungen der Phänomene, also gewissermaßen eine Auswahl von Teilerfolgen bei der Phänomenbeherrschung.“ NORDMANN 2009a, 127. 51 NORDMANN 2009a.

152 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Termini sind im Rahmen einer Theorie begrifflich definierte Fachwörter, deren Invarianten (Seme, Bedeutungselemente) das Bezeichnete inhaltlich umgrenzen und gegenüber gemeinsprachlichen oder entlehnten formgleichen Lexemen wie kondensierte Texte zu begreifen sind [...] sie sind in ihrer Funktion als Fachlexem folglich monosem (begrifflich eindeutig).

52

Die regelgerechte Verwendung von Termini oder wissenschaftlichen Begriffen unterscheidet die Fach- von der Gemeinsprache. Link nennt die begriffliche Sprache der Wissenschaft im Unterschied zur metaphorischen Sprachverwendung „emblematisch“, weil wissenschaftliche Bedeutungen „wie kondensierte Texte“ voll explizierbar sein müssen. Eine idealtypische Trennung und linguistische Unterteilung in Fach- und Gemeinsprache, die Voraussetzung jeder Wissenschaft, ist einem interdiskursiv entstehenden, ästhetischen Überschuss in vornehmer Hilflosigkeit ausgeliefert und kann diesen nur mit dem Verweis auf metaphorische Sprache bändigen. Die sprachphänomenologische Unterscheidung von literalen und oralen sprachlichen Quellen ist bei der Nanotechnologie schwierig, weil das technosprachliche Format Power-Point als Kommunikationsgenre eine enorme Rolle spielt. Dieses Genre, das eine mindestens visuell gestaltete oder überformte Sprache zeigt und mit Bildern oder Abbildungen angereichert ist, befördert als Medium einen internationalen und interdisziplinären Kommunikationszusammenhang; ohne Power-Point gäbe es vielleicht gar keine Nanotechnologie. In dieser Arbeit wird die Schriftform, die das Wort in Formatierung, Schriftgrößen, Schrifttypen oder Farben in graphischen Umgebungen zeigt, als Sprachmaterialität in Fallstudie II.2 (Imprägnierspray) einbezogen, um PowerPoint geht es vor allem in den Fallstudien II.3 und II.5. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive steht infrage, ob Nano ein selbständiges Morphem ist, ob man es sinnvollerweise als kleinste, sinntragende sprachliche Einheit bezeichnen kann. Zwar wird es verwendet, als habe es eine Bedeutung im Sinne einer Größenordnung. Aber es ist kein Sprachzeichen mit definierter Bedeutung im Sinne eines Lexems, und zwar in keiner Fachsprache einer aktuellen Wissenschaftsdisziplin. Insbesondere gilt dies für die Kombination Nanotechnologie. Sondern, und das gilt für das Deutsche wie für das Englische, nano ist ein Fremdkonfix, das in mehreren Fachsprachen besonders wortbildungsaktiv ist.53 Aber nicht nur in Fach-, sondern auch in Gemeinsprache, beispielsweise, wenn eine japanische Spielzeugfirma kleine Bausteine unter dem Namen „nanoblock“ verkauft.54

 52 HEUSINGER 2004, 53f. 53 SIEBOLD 2000, 42. Siebold bringt in seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchung von Science Fiction die Beispiele Astro- und Kyber- als wortbildungsaktive Fremdkonfixe. 54 Nanoblock von der Firma Kawada, seit 2008 auf dem Markt, wird bewusst gegen aktuelle Produktstrategien und die Kulturphilosophie der Firma Lego gesetzt, indem es genau 11 verschiedene Bausteine gibt und nicht mehr. „Bricks Galore. With just 11 brick types,

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Sprachphänomenologisch lässt sich Nanotechnologie in zwei Teile aufteilen, in „Nano“ und „Technologie“, denkbar wäre auch die Aufteilung in drei Wortbestandteile „Nano“, „Techné“ sowie „Logos“. Die Aufteilung setzt voraus, dass Nano, Techné und Logos als eigenständige griechische Wortbestandteile (an)erkannt werden und würde Sinn machen, wenn die Worte gemäß mehr oder weniger lexikalisch festgelegter Bedeutungen übersetzt werden könnten.55 Würde man den etymologischen Ansatz verfolgen, wäre der Begriff Nanobiotechnologie ein um den Wortbestandteil „bio“ (griech. bios) erweiterter Begriff der Nanotechnologie, dessen Bedeutsamkeit und Implikationen als weitere Bereicherung der Wortsemantik der Nanotechnologie angesehen werden müssten. Der Journalist Niels Boeing verwendet eine Zeit lang konsequent das Wort Nanotechnik, das im Deutschen deutlich weniger häufig verwendet wird.56 Das Englische kennt wortfamiliäre Ergänzungen und Variationen wie „Nanoscience(s)“, aber weder „Nanotechnique“ noch das Wort „Nanotechnics“.57 Allerdings findet sich im Englischen wie auch im Deutschen die kürzere Wortbildung „Nanotech“, die auch adjektivisch gebraucht werden kann (‚nanotech applications‘). Im Deutschen lässt sich diese Abkürzung als verkrüppelter Anglizismus mit überwiegend adjektivischer Verwendung charakterisieren. Nationalsprachliche Wortbildungen sind an den englischen Terminus Nanotechnology angelehnt, im Französischen Nanotechnologie, im Spanischen und Portugiesischen die Nanotecnología, italienisch Nanotecnologia, polnisch Nanotechnologii, die russische, japanische und chinesische Bezeichnung kann ich hier nicht aufschreiben,

 Nanoblock remains true to its function as a construction product, which provides a satisfaction to building detailed models from such raw components. Additionally, alternative rebuilds of sets are limited only by your imagination – not by the bricks at your disposal.“ Nanoblockuk.com/About.html., diablock.co.jp/kawada/en/nanoblock/, acc. 160228. Lego (-Baukasten) müsste man als kleines Kollektivsymbol näher untersuchen, es kommt in Fallstudie II.5 zur Nanotechnologie in Dresden/Sachsen vor, GLAUNER et al 2006, 25. 55 Die begriffsgeschichtliche Dimension ist im Rahmen dieser Arbeit nicht einzuholen. Ein Beispiel für eine schnittige Erklärung des Terminus „techné“ in wenigen Zeilen findet sich bei HEIDEGGER 1989 [1962], 14f, fokussierte Unterscheidungen zu Technik und Wissenschaft in NORDMANN 2007a. Eine Referenz für eine griffige Definitionserklärung zu „logos“ bleibe ich schuldig. 56 BOEING 2004, 2006 und auf bitfaction.com/boeing/main_nbo.html, zuletzt acc. 120312, heute bitfaction.com/texte.thml#Nanotechnik, acc. 160228. 57 Luhmann bemerkt in einer lavierenden begriffsgeschichtlichen Rückschau, dass der „heutige Gebrauch von Technologie [...] aus dem Englischen [stammt] [...] Damit sind auch die klaren begrifflichen Konturen von ,Technologie‘ verlorengegangen. Vielleicht kann man aber sagen, dass ‚Technologie‘ es mit der Anwendung von Techniken auf das Gewinnen und Verwenden von Energie zu tun hat.“ LUHMANN 1997, 521, Fußnote 183.

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entscheidend ist, dass das englische Wort global zugänglich ist und benutzt wird.58 Die 1986 von Drexler veröffentlichte Publikation „Engines of Creation. The Coming Era of Nanotechnology“ kann als globaler, visionär angereicherter Wissenschaftstext der Nanotechnologie angesehen werden, der als englischer Text seit vielen Jahren im Internet frei zugänglich ist.59 2016 bietet Drexlers Website nicht nur die Schreibweisen von Nanotechnologie auf Russisch, Chinesisch und Japanisch ansehen, sondern auch digital frei zugängliche Übersetzungen auf Russisch, Italienisch, Chinesisch oder Japanisch. Paradoxerweise ist das der Grund, warum dieser Text für meine Arbeit nicht interessant ist: denn meine Untersuchung rekonstruiert an einzelnen Texten eine diversifizierte Lokalisierung und Diskursivierung der Nanotechnologie. Man könnte sagen, dass Drexler eine globale Mission verfolgt, allerdings beschränkt sich der Diskurs nicht auf diesen Akteur. Die deutschen Termini Nanowissenschaft und -forschung haben zu Nanotechnologie einen semantischen Zusammenhang, der entlang der bereits geschilderten Definitionsprobleme nicht selbstverständlich besteht, und der auch nicht klarer durch den Hinweis wird, dass es sich um Übersetzungen von „Nanoscience[s]“ handelt. Nordmann verwendet in wissenschafts- und technikphilosophisch spezialisierten Diskussionszusammenhängen den Ausdruck „Nanotechnoscience“, eine wissenschaftsstrategisch beabsichtigte Synonymbildung, mit der Nanotechnologie gleichgesetzt werden soll.60

 58 Laut Bundesagentur für Außenwirtschaft BfAi wurde die staatliche Förderung der Nanotechnologie in Russland in 2007 mit 5 Mrd. Rubel (damals etwa 143 Mio ) gestartet. Datenbank der Bfai, Servicestelle des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie: „Länder und Märkte“, Meldung „Russland investiert in Nanotechnologie“ vom 28.12.06, bis 2010 sollten 860 Mio  investiert werden. Beispiele von Konferenzen in Asien von 2007: Nano Korea, 29.-31.8.07 Kintex, Goyang, Republik Korea; International NanoOptoelectronics Workshop 29.7.-11.8.07 in Beijing / Lanzhou China; International Conference on Photonics and Nanotechnology 16.-18.12.07, Pattaya, Thailand. 59 Vermutlich seit 2004 (?), e-drexler.com/p/06/00/EOC_Cover.html acc. 160228. 60 NORDMANN 2007a, 2008a. NanoTechnoScience wird als „place-oriented enterprise“ charakterisiert, mit dem Wissenschaften ihren „claim“, ihr Bergbaufeld, abstecken. „[N]anoscience is an exploratory attempt to claim foreign territory and to inhabit a new world or a hitherto unexplored region of the world. Epistemic success is therefore a kind of technical achievement, namely the ability to act on the nanoscale.“ Der Unterschied zwischen Beobachtung und Manipulation der Natur verschwindet: „Roughly speaking, nanoscale research concerns molecular architecture, nanotechnology aims for the control of this architecture, and nanoscience investigates the physical properties that depend on it. [...] it turns out that even nanoscience isn’t ‚science‘ properly or traditionally speaking, and that even for nanoscience there is no distinction between theoretical representation

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Bemerkenswert finde ich, dass Nanotechnologie als Terminus oder Fachwort mehrerer Fachsprachen angesehen wird, obwohl es keine festgelegte Bedeutung hat und nicht haben kann. Im Sinne einer ingenieurwissenschaftlichen und damit genormten Sprachverwendung, die auf weitreichenden definitorischen Festlegungen beruht, kann Nanotechnologie allenfalls als Sammelbegriff funktionieren. Eine pragmatisch gedeckte, objektbezogene Kommunikation im Hinblick auf spezielle Techniken und Technologien wird durch den Sammelbegriff aufgrund der undefinierten Wissenschaftlichkeit vernebelt und weder ermöglicht noch befördert. Nanotechnologie als interdisziplinärer Technikdiskurs Auf der Website des Vereins Deutscher Ingenieure VDI werden 2009 akademische Nanotechnologie-Ausbildungsstätten mit folgenden Wissenschaftsdisziplinen aufgelistet: Physik, Chemie, Elektrochemie, Elektrotechnik, Informatik, Maschinenbau, Biologie, Pharmazie, Medizin, Geowissenschaften, Materialwissenschaften und Werkstoffkunde.61 Das nicht erschöpfende Kompendium zeigt ein disziplinäres Großuniversum, in dem Wissenschaften mit verschiedenen technischen Praktiken und zum Teil Erkenntnismodellen vereinigt sind. Disziplinen, Institute und unterschiedlich ausgebildete Wissenschaftlern beschäftigen sich mit Nanotechnik oder technologie. Aber wenn auch einzelne Wissenschaftler in Forschungsprojekten genau sagen können, was sie jeweils tun, lässt sich aus allgemeiner Perspektive das Phänomen nicht mit der Frage nach der wissenschaftsdisziplinären Heimat einholen. Die Frage nach Wissenschaften und Einzeldisziplinen ist vielmehr integraler Teil des Technikdiskurses. Der TAB Bericht von 2003 schlägt daher eine interbzw. transdisziplinäre Antwort vor, und diagnostiziert ein „Verschmieren“ der Begriffswelten getrennter Wissenschaftsdisziplinen. Die Nanotechnologie erfordert einen hohen Grad an interdisziplinärer und transdisziplinärer Kooperation und Kommunikation. Dies liegt zum einen darin begründet, dass auf der Nanoebene Begriffswelten der Physik, Chemie und Biologie miteinander ‚verschmieren‘, zum ande-

 and technical intervention, between understanding nature and transforming it. More properly one should therefore speak of NanoTechnoScience.“ NORDMANN 2004, 51. „Nanotechnologische Forschung ist [...] weder ‚Wissenschaft‘ noch ‚Ingenieurskunst‘, sondern befindet sich in einem Zwischenraum, der nun als Technowissenschaft oder ingenieurswissenschaftliche Art, Wissenschaft zu betreiben, [...] bezeichnet ist.“ NORDMANN 2009a, 126. 61 Die deutsche Karte der nano-bildungslandschaften.de, zuletzt acc. 090807, ersetzt durch die interaktive BMBF-Bildungslandkarte Nanotechnologie werkstofftechnologien.de/kom petenzkarten/bildungslandkarte-nanotechnologie#/?se=u27uzmqc2yde, acc. 160228.

156 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL ren darin, dass die Methoden einer einzelnen Disziplin durch Verfahren und Fachkenntnisse 62

aus den anderen Fachrichtungen ergänzt werden können oder müssen.

Damit verbinden sich Schwierigkeiten und Profite: Im elektrotechnischen Halbleiterdiskurs gibt es ein Referenzkorpus aus physikalischen Gesetzen und Praktiken der Elektrotechnik, auf die die Bezeichnung Nanotechnologie referiert. Die Ekenntnismodelle und Praktiken der Chemie, die die Stoffeigenschaften natürlicher Elemente samt ihrer Verbindungen als Erklärungsmodell heran ziehen, stehen dazu in Konkurrenz. Ob sie als Ergänzung auftreten können, kann ich nicht beantworten.63 Allerdings ist eine „Interdisziplinarität“ der Nanotechnologie auf diese Weise unabweisbar vorhanden und damit „ein überaus positiv besetzter Zentralbegriff wissenschaftlicher Selbstbeschreibung“ in den Nanotechnologiediskurs integriert.64

 62 PASCHEN et al. 2003. 63 Lässt sich diese Frage beantworten? – Nordmann diskutiert die Konkurrenz der Wissensdisziplinen als Kampf um epistemologische Vorherrschaft im nanoskaligen Raum. Disziplinentechnisch zeige sich einerseits die Differenz zwischen einer chemischen bzw. physikalischen Art und Weise der Bindung, also die Differenz von Chemie und Physik in der Erkenntnisgewinnung. Zitiert wird eine (natur-)wissenschaftliche Kontroverse um das Raumverhalten von Elektronen im Stromfluss, bei der ein europäisches Forscherteam die „nicht-triviale Folgerung“ formuliert: „the chemical [rather than physical] nature of the junction is crucial and predominant for the conductance properties of a metal-moleculemetal junction.“ (Zitiert wird aus WEBER et al. 2002, 124), vgl. NORDMANN 2004, 57. In Fußnote 7 schlägt er zusätzlich vor, die Differenz der amerikanischen gegenüber der europäischen Forschungsweise wissenschaftsdisziplinär zu formulieren, wobei die USamerikanische Verbindung aus Informatik und Elektrotechnik forschungskulturell der europäisch bzw. deutschen chemisch-physikalischen Forschung „at the nanoscale“ gegenübersteht.– Meinem Vater, seines Zeichens ausgebildeter Chemiker, verdanke ich eine nicht nachprüfbare, allerdings aufgrund meiner Schulbildung plausible Erklärung. Nanomaterialien seien „undefinierte Stoffe“ und damit eigentlich „keine Dinge“ der klassischen Chemie. Die Tafel der chemischen Elemente wird mit physikalischen Techniken, die auf einzelne chemische Stoffe (wie zum Beispiel Kohlenstoff), angewendet werden und diese maximal unter Beschuss oder Stress setzen, punktuell aufgesprengt, so dass es sich nicht mehr um Stoffeigenschaften der Chemie handelt, die in materialwissenschaftlichen und physikalischen Publikationen zur Sprache kommen, und eigentlich auch nicht mehr um chemische Stoffe selbst. Bei der Anwendung dieser physikalischen Techniken ist sehr viel Energie im Einsatz, es handelt sich um extreme Laborbedingungen. Mit klassischer chemischer Synthese von Stoffen hat das nichts zu tun. 64 Vgl. die Bemerkung aus dem Vorwort zu SCHLÖGL et al. 2004, 6.

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Nanotechnologie taucht in verschiedenen sprachlich-diskursiven Zusammenhängen empirisch und sprachphänomenologisch beobachtbar im Zusammenhang mit Wissenschaftsdisziplinen auf. Insbesondere in der ersten Fallstudie zeigt sich, dass mehrere Wissenschaftsdisziplinen in ihrer Erkenntnisgewinnung aufeinander bezogen sind und zueinander in einer Ordnung stehen. Eine weitere Möglichkeit liegt darin, von einer Mehrzahl von „Nanowissenschaften“ zu sprechen, der Name „Institut für integrative NanoWissenschaften“ am IFW Dresden65 ist dafür ein Beispiel. Die institutionelle Frage nach einzelnen Wissenschaftsdisziplinen wird elegant umgangen, wenn offen bleibt, welche Wissenschaften wie zusammenarbeiten. Undifferenzierbare „NanoWissenschaften“ erbringen eine aktive Integrationsleistung, sind mindestens offen gegenüber passiver (?) Integration zum Zweck gemeinsamer wissenschaftlicher Arbeit. Offen bleibt, ob Integration im Namen einer nicht genannten Technologie geschieht, wie die Integration aussieht, ob es nicht eher um Kooperation geht, wer eigentlich forscht und wer die Integration feststellt.66 Um es anders zu akzentuieren: obwohl es schwierig oder unmöglich ist, von einer Metaebene aus Nanotechnologie wissenschaftlich einzuordnen, geschieht es permanent. Nanotechnologie hängt nicht nur davon ab, wer sie betreibt, sondern auch davon, wer darüber spricht. Der Terminus verweist und rekurriert auf eine bestimmte disziplinäre Wissenschaftsumgebung, womit je nach Kontext eine bestimmbare Funktionsweise und Ordnung der Wissenschaften einhergeht. Welche das sind, lässt sich nicht generell sagen und kann nur in Auseinandersetzung mit Text und Kontexten erarbeitet werden. Abb. 1 und 267 erinnern aufgrund von Farbigkeit und Design an deutsche Autobahnschilder, sind allerdings englisch beschriftet. Jedes Schild zeigt auf blauem

 65 Das Institute for Integrative Nanoscience IIN am außeruniversitären IFW Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden besteht seit März 2007, seit 2009 mit einem weiteren Standort in Chemnitz, an beiden Standorten arbeiten etwa 80 Mitarbeiter. Das werkstofferforschende IFW ist eins von 89 selbständigen Forschungseinrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft. ifw-dresden.de/de/institute/iin/, acc. 160228. Das Institut für Metallische Materialien des IFW Dresden kooperiert mit dem Lehrstuhl für metallische Materialien in Darmstadt und hat ein Nicht-Nano-Patent gemeinsam angemeldet: Coldformable mouldings made of Titanium-based alloys and their production processes; CALIN M., BRANZEI M., ECKERT J., SCHULTZ, L., GEBERT, A. (2005). 66 Die Problematik interdisziplinärer Maßeinheiten erscheint bei WILLIAMS 2014 in Kapitel 10, 12, 13 als unlösbarer Machtkampf, der institutionell entschieden werden muss. 67 Abb. 1 gehört zur Werbung für den Workshop „Fundamentals of Nanotechnology“, seit 2003 jährlich vom MESA+ Institute for Nanotechnology der Universität Twente einwöchig veranstaltet. Die Abbildung wurde zuvor in Version Abb. 2 verwendet, die ich 2006-

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Grund eine Art weißen Kreisverkehr, darüber, extra umrandet, das Wort Nanotechnology mit deutschem Autobahnpiktogramm. Der Kreisverkehr lässt in der älteren Version drei richtungsändernde Abbiegevorgänge und eine ‚gerade‘ Weiterfahrt zu (Abb. 2), in der neueren Version vier (Abb. 1). Eine Kreiselfahrt ist nicht möglich. Die Abbieger führen zu den Lebenswissenschaften („Life Sciences“), zur Chemie und zur Physik, in der neueren Version auch zu den Technikwissenschaften („Engineering“).

Abb. 1

Abb. 2

Das Autobahnschild als techniksemantisches Kollektivsymbol ergibt in Bezug auf die inter- oder transdisziplinäre Bedeutung der Nanotechnologie keine eindeutige Bildsemantik. Dies liegt daran, dass „Nanotechnology“ in der aufgerufenen kollektivsymbolischen Raumbedeutung uneindeutig platziert ist. Die dynamische Raumbedeutung ist der Autoverkehr, der für stark nachgefragte Strecken auf Autobahnen zusammengefasst wird, mit deren Hilfe in der Regel größere Distanzen überwunden werden, im günstigen Fall in einer im Vergleich zum Stadtverkehr hohen Geschwindigkeit. Abgesehen davon, dass es keine (deutschen) Autobahnkreisel gibt und der Kreisverkehr laut Abbildung nicht möglich ist, erhält man aufgrund des verwendeten Kollektivsymbols zwei Interpretationen. (a) Bezieht man Nanotechnoloy auf den Kreisel als Ganzen, steht Nanotechnologie für wissenschaftliche Wahlmöglichkeiten. Eine Entscheidung führt zu einer singulardisziplinären Richtung Physik, Chemie, ... Richtungsentscheidungen können gewählt werden und führen aus einem interdisziplinären Metabegriff heraus. (b) Im zweiten Fall müsste ein multidisziplinärer Wissenschafts-Kreisel in gerader Richtung durchfahren werden, um zur Nanotechnologie zu gelangen: ein Paradox. „Nanotechnology“ erscheint als Fernziel oder generelle Richtung aller wissenschaftlichen Forschungstätigkeiten, in denen gekreist wird. Man kann in Einzelwissenschaften abbiegen oder einzelwissenschaftliche Richtungen wählen, aber von einer eigentlich multidisziplinären Nanotechnologie führen sie weg. Den Abbildungen zufolge bleibt offen, ob Nanotechnologie eine eigene Wissenschaft ist oder als Überbegriff oder Metaebene für etablierte Wissenschaftsdisziplinen fungiert. In der Visualisierung wird ein lebenswelt-

 09 mehrmals auf Tagungen als Teil von Power-Point-Vorträgen gesehen habe. utwtente. nl/mesaplus/students/workshop/ sowie utwente.nl/mesaplus/fon/, acc. 160227.

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lich bekanntes Symbol und Piktogramm benutzt, das den geographischen Raum ordnet und für eine bestimmte kulturtechnische Raumaneignung (das schnelle Autofahren auf nachgefragten Strecken) kollektivsymbolisch strukturiert und verfügbar macht.68 Die Abbildungen evozieren als Nebeneffekt so etwas wie eine Wissenschaftslandschaft und schaffen eine Metaebene der Betrachtung, wobei Nanotechnologie als uneindeutig semantisiertes Element erscheint, entweder als Fernziel oder als vorhandener Kreisel. Nanotechnologie wird dargestellt als etwas, das sowohl-als-auch von verschiedenen Wissenschaften betrieben wird. Der geographisch-lebensweltlich-kulturelle Raum, ohne den das Piktogramm keine Bedeutung hätte, wird visuell in eine Wissenschaftslandschaft gestülpt, man kann auch sagen: Die Abbildung erzeugt eine Wissenschaftsumgebung für den Terminus Nanotechnologie samt einer dynamischen Raum-Inbesitznahme. Ob Nanotechnologie Fernziel, Metaebene oder Methode ist, bleibt unklar, Hauptsache, es gibt Bewegung. Dagegen bietet der Institutsname des „Instituts für Integrative Nanowissenschaften“ in Dresden allein mit sprachlichen Mitteln eine plurale wissenschaftliche Verortung der Nanotechnologie an, indem von einer Mehrzahl von „NanoWissenschaften“ gesprochen wird. Abbildung oder Name: Beide Male bleibt die Bedeutung einer transoder interdisziplinären Wissenschaftsumgebung offen. Trans- oder Interdisziplinarität verweisen auf ein Verhältnis von abgrenzbaren wissenschaftlichen Einzeldisziplinen, das sich je nach Forschungsanliegen anders gestalten kann und näher beschrieben werden muss. Für den in dieser Arbeit gewählten Ansatz geht es darum, grundsätzlich ernst- und wahrzunehmen, dass es so etwas wie eine kollektivsymbolische, wissenschaftssemantische Einordnung der Nanotechnologie gibt.69

 68 Seit dem Literaturnobel 2016 literaturwissenschaftlich gesehen kein abwegiger Hinweis: Das Autobahnfahren wird 1974 im gleichnamigen Lied der Band Kraftwerk musikalisch als technisch-popkulturelle Aneignung hörbar interpretiert und als zeitgemäßes, minimalistisches euro- und anthropozentrisches Seinsverständnis inszeniert. „Autobahn“ ist zudem der Titel der LP, wobei das Plattencover ein deutsches Autobahnschild in einer graphisch stilisierten Autobahnszene zeigt, wie sie aus einem fahrenden Auto durch die Frontscheibe gesehen werden kann. Die Autobahn führt durch eine simulierte, künstlich stilisierte Landschaft, in stark vereinfachendem grafischen Stil dargestellt.– Will man das Auto als Kollektivsymbol des Kapitalismus bezeichnen, müsste man das nachweisen. 69 Systematisierende bildliche Darstellungen von Wissenschaften lassen sich auf symbolischer Ebene wahr- und ernstnehmen. Ein Beispiel für einen ähnlich strukturierenden Abbildungszusammenhang einer ‚neuen Wissenschaft‘ liefert die Übersicht bei Pias, der Darstellungen der 60er und 70er Jahre zusammen trägt, die die „Kybernetik als neues Zentrum im Raum der Wissenschaften“ zeigen. PIAS 2004, 19, Abbildungen 7-10. „Die notorischen Diagramme, in denen die Kybernetik als Mittelpunkt eines Kreises der Disziplinen dargestellt wird, sprechen [...] eine deutlichere Sprache als die Texte, in denen

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Ein weiteres Beispiel zeigt ein anderes Verfahren, die Definitionsfrage zu umgehen, indem Nanotechnologie der interdisziplinären Wissenschaftsdisziplin Materialwissenschaft zugeordnet wird. Im Jahr 2006 wird ein Beitrag im „ersten deutschsprachigen Sammelband zur Nanotechnologie“70 veröffentlicht, der sich wissenschaftshistorisch und -philosophisch mit dem Materialwissenschaftler Herbert Gleiter beschäftigt. Der Name Herbert Gleiter ist [...] hauptsächlich Materialforschern geläufig und dürfte den meisten im Nanobereich tätigen Wissenschaftlern unbekannt sein. Dass dies so ist, ist [...] ein bezeichnender Aspekt der zunächst nur imaginierten Nanoforschungsgemeinschaft. Dem entsprechend beginnt dieser Beitrag damit, [...] die Plausibilität der Behauptung zu verdeutlichen, Gleiter habe einen wichtigen Impuls gesetzt und einen Ausgangspunkt für die Nanoforschung geboten. Darüber hinaus lässt sich in einem zweiten Schritt aufzeigen, wie stark seine Ideen auf die Visionen der US-amerikanischen Nanotechnologie Initiative eingewirkt haben – und wo dieser Einfluss [...] aufgehört hat. Schließlich muss [...] die [...] Unsichtbarkeit von Gleiters Bedeutung verstanden werden. Dies führt auf die Hauptfrage [...]: Obwohl die Materialforschung auch strengen Definitionen von Nanotechnologie genau entspricht, bleibt ein [...] Missverhältnis zwischen Materialwissenschaft und den gerätezentrierten Visionen der Nanotechnologie. [...] obwohl Materialforschung Kontrolle auf der molekularen Ebene ausübt und sich neuartige größenabhängige Eigenschaften zu Nutze macht, will es scheinen, als ob an der Nanotechnik mehr dran sein müsse – aber worin kann dieses „mehr“ bestehen, und was geht auf der Suche danach verloren?

71

Zunächst scheint es, als ginge der Verfasser begrifflich auf Distanz, wenn zugegeben wird, dass es nur eine „imaginierte“ und keine tatsächliche Forschergemeinschaft gibt, die sich mit Nanotechnologie beschäftigt. Dann aber leistet der wissenschaftsphilosophische Beitrag komplizierte, aber echte Schützenhilfe für die Einheit der Nanotechnologie. Im ersten Schritt wird die divergente, pluralistische Forschergemeinschaft einer als einfach bezeichneten „Nanotechnik, [an der] mehr dran sein müsse“ gegenübergestellt. Im zweiten Schritt wird festgestellt, dass die Materialforschung „auch strengen Definitionen von Nanotechnologie genau entspricht“ und es gibt keinen Zweifel, dass die Arbeiten Gleiters diese „strengen Definitionen der Nanotechnologie“ erfüllen. Zwar sind keine Definition angegeben, doch die Materialforschung „entspricht“ ihnen „genau“.72 Durch den wissenschaftshistorischen

 das Wort ‚Universalwissenschaft‘ selten fällt, obwohl doch die Kybernetik auffällige Züge einer solchen trug und deren Ansprüche nie recht leugnen konnte.“ (20). 70 NORDMANN et al 2006. 71 NORDMANN 2006, 82. 72 NORDMANN 2006, 82.

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und -philosophischen Ansatz erfolgt eine Zuordnung der Materialwissenschaft zur Nanotechnologie, die man als legitim, wichtig und unabweisbar bezeichnen könnte. Erkauft wird dies dadurch, dass der vereinfachte Bezug auf die Definitionsfrage Nanotechnologie als etwas Einheitliches setzt, und sie (irgendwie) technikhistorisch an die amerikanische National Nanotechnology Initiative NNI bindet. Die Definitionen entscheiden „qua Definition“, qua wissenschaftsphilosophischer Aussage, über die Verortung und den Verbleib der Nanotechnologie in der Materialwissenschaft. Materialwissenschaftler avancieren zu Nanoforschern schlechthin und es wird der Eindruck erweckt, Nanotechnologie könne (endlich) historisch und wissenschaftsphilosophisch in einer Wissenschaftsdisziplin beheimatet sein. Meiner Arbeit verfolgt einen Ansatz, der Wissenschaften sprachphänomenologisch ernst nimmt. Abgrenzungen, die mit den Namen der Wissenschaftsdisziplinen beginnen, haben weitreichende praktische Konsequenzen. Als Verwaltungskolosse, Ausbildungsstätten, Forschungseinrichtungen und Fördergeldeintreiber koordinieren Universitäten die Tätigkeiten von Wissenschaftlern vor dem Hintergrund von industriellen Erfordernissen, aktuellen Finanzierungsfragen, historischen Traditionen und politischen Entwicklungen. Studienfächer und Prüfungsordnungen, Lehrstühle samt Lehrgebieten und Arbeitsplätzen, Prüfungen, Forschungslabore samt Maschinenparks und Verbrauchsequipment und zugehörigen Finanzierungstöpfen werden definiert und zugeordnet. Nicht nur universitäre Bibliotheken und einzelne Fachgebiete, sozusagen die Bücherschränke des Wissens, unterliegen einer Ordnung der Wissenschaften inklusive der Abgrenzung einzelner Disziplinen. Auch Forschungsförderinstitutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Europäische Union arbeiten mit Wissenschaftsordnungen und -disziplinen und teilen Fördermittel entsprechend zu, wobei die komplizierten Aushandlungsprozesse auch (vielleicht in erster Linie?) politisch motiviert sind und Entwürfe von mehrjährigen Forschungsrahmenplänen letztlich an Praktiken sozialistischer Planwirtschaft erinnern. Wissenschaftsdisziplinen sind aus dieser Perspektive nur idealiter durch disziplinäre Methoden und Forschungsgegenstände zu einer dauernden, autonomen sprachlichen Einheit und als identitäres Objekt verschmolzen, das trennscharf über Praktiken und Terminologien von anderen Wissenschaftsdisziplinen abgrenzbar ist und diese lediglich an „Schnittstellen“ berührt. Der hier verwendete niedrigschwellige, sprachphänomenologische Wissenschaftsbegriff (jeweils der vierte Teil der Fallstudien) kann entlang der genannten theoretischen Orientierung mit etwas Vorsicht als kollektivsemantisch bezeichnet werden. Wissenschaftsdisziplinen und ihre Bezeichnungen gehören auch zur Gemeinsprache, und es ist nicht notwendigerweise kategorisch ausgeschlossen, dass auch Wissenschaftsdisziplinen und ihre Ordnung einer elementarliterarischen Ver-

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wendung unterliegen können.73 Jede Relevanzdiskussion bezüglich der an Wissenschaftsdisziplinen angelehnten Schulfächer in der bildungspolitischen Debatte um Schulreformen findet entlang von Wissenschaftshierarchien und disziplinärer Bezüge statt und die Aushandlungen um Forschungsrahmenpläne der Europäischen (und Afrikanischen?) Union arbeiten mit Annahmen über Wissenschaftsdisziplinen, die im Rahmen der Ausformulierung wenig reflektiert werden können, aus denen aber Finanzierungen hervorgehen, die über nachhaltige Existenzen entscheiden. Hierarchien in der Wissenschaft werden gleichzeitig sichtbar und unsichtbar, wenn die Königsdisziplinen Physik, Mathematik und Informatik samt dazugehöriger substantialisierter Verben „Grundlagenforschung“, „Formalisierung“ und „Digitalisierung“ ins Spiel kommen. In der interdisziplinär gesättigten Nanotechnologie-Fachliteratur lesen nicht irgendwelche Leser physikalische Fachtexte. Es handelt sich um fachsprachlich und semantisch vorgebildete Rezipienten, die durch eine interdisziplinäre Kommunikationssituation, die teilweise öffentlich und streckenweise außerfachwissenschaftlich vermittelt ist, in die Lage versetzt werden (sollen), zu einem interdisziplinären Thema Aussagen zu generieren bzw. solche Aussagen interpretieren und verstehen zu müssen.

 73 Schulfächer als Kollektivsymbolproduzenten sind nicht zu unterschätzen, beispielsweise, wenn es bereits in der Grundschule viele kleine ‚Mathegenies‘ gibt. Das kann hier nicht weiter dargelegt werden.



II. Sechs Fallbeispiele zur Raumkonstitution der Nanotechnologie





1. Festvortrag Richard Feynman (1959) Pragmatischer Redekontext Anlässlich einer Festveranstaltung der American Physical Society APS zum Jahreswechsel 1959/60 hält der Physiker und spätere Nobelpreisträger Richard Feynman am 29. Dezember 1959 vor Fachkollegen am California Institute of Technology Caltech die Rede „There is Plenty of Room at the Bottom. An invitation to enter a new field of physics“. Diese Rede wird später berühmt und kursiert als wichtiges Bezugsdokument der Nanotechnologie.1 Nach einem schleppenden institutionellen Beginn der APS ab 18992 und einer bis zum Ende des Ersten Weltkrieges praktisch nichtexistenten „theoretischen Physik in Amerika“3 errichtet J. R. Oppenheimer ab Mitte der 30er Jahre in Berkeley eine „glänzende Schule der theoretischen Physik“4, die ab 1942 am Manhattan Projekt beteiligt war und den Bau der Atombombe ermöglichte.5 Feynman avancierte als junger Mann durch seine „kontinuierliche Interaktion mit den Spitzenphysikern der Vereinigten Staaten“ im Manhattan Projekt nach Ende des zweiten Weltkriegs

 1

Exemplarisch SCHÄFFNER 2010, Einleitungskapitel zu dieser Arbeit.

2

Die Mission der APS, gegründet 1899 von 36 Physikern der Columbia University, war und ist „to advance and diffuse the knowledge of physics“. Es gab jährlich vier Treffen, ab 1913 Fachzeitschriften. 2016 hat die APS über 50 000 in Gruppen organisierte Mitglieder, sie fördert explizit deren informelle Netzwerktätigkeit „encourage networking on informal levels“. aps.org/membership/units/index.cfm, acc. 160216.

3

FORSTNER 2007, 61. „Erst mit der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert konnte sich ein Forschungsimperativ auf breiter Ebene durchsetzen und die Experimentalphysik begann sich langsam aus der Abhängigkeit der europäischen Physik zu lösen.“ (78).

4 5

FORSTNER 2007, 90f. Das Projekt wurde im Sommer 1942 „unter der wissenschaftlichen Leitung von J. Robert Oppenheimer und der militärischen Leitung von Leslie Groves ins Leben gerufen. Es umfasste [...] mehr als 30 Forschungs- und Produktionsstandorte [...] [Es] wurden zwei Wege zum Bau der Atombombe beschritten.“ FORSTNER 2007, 97f. „Feynman leistete seine erste Mitarbeit [...] in dem von Robert Wilson geleiteten Teilprojekt in Princeton [...] Um die Ressourcen zu bündeln, wurde das Projekt [...] im Februar 1943 eingestellt und die [...] beteiligten Forscher nach Los Alamos gesandt [...], [Feynman von dort] an das Metallurgical Laboratory nach Chicago [...] Zum Höhepunkt des Projekts arbeiteten dort mehr als 2000 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker.“ (172f).

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1945 zu einem der „begehrtesten jungen Physiker“, was „sich auch bei der Stellenvergabe [...] bemerkbar“ machte.6 Die Rede wird 1960 im hauseigenen Wissenschaftsjournal des California Institute of Technology veröffentlicht und Fachkollegen, weiteren Universitätsangehörigen sowie Ingenieuren und Wissenschaftlern in der Wirtschaft schriftlich zugänglich gemacht.7 Dem Redeanlass entsprechend, ein Fachtreffen mit Sozialfunktion, könnte man vermuten, es handele sich um eine launige Sylvesterrede eines sympathischen Experten auf einer Versammlung feierwütiger Physiker.8 Allerdings finden identitätsstiftende Treffen der vereinsähnlichen APS als Berufstätigenversammlung einer Berufsgruppe9 auch als Ereignisse mit politischer Dimension statt. Physik als Wissenschaft ist bis zum Ende des sogenannten Kalten Krieges in einem militärisch-industriellen Komplex situiert, womit „eine neue Qualität der Kooperation von Wissenschaft, Militär und Industrie“ gemeint ist, die nicht nur die Finanzierung von Wissenschaft durch das Militär [betrifft], die mit Kriegseintritt der USA sprunghaft anstieg und bis zum Ende des Kalten Kriegs auf einem hohen Niveau stagnierte, sondern auch die direkte Kooperation der beiden gesellschaftlichen Bereiche.

10

Nach dem zweiten Weltkrieg steigen die öffentlichen Fördersummen für physikalische Forschungen enorm, weil Physikern eine unübersehbar relevante Rolle bei der Entwicklung von Waffentechnik, technischer Überlegenheit und Sicherheit des Nationalstaates USA zukommt.11 Die Rede des Fachwissenschaftlers ist insofern in ei-

 6

FORSTNER 2007, 175 und 180.

7

Engineering and Science, Published at the California Institute of Technology, Vol XXIII, Number 5, February 1960, 22-36, zitiert als FEYNMAN 1960 [1959]. Das Journal zitiert als E & S 1960, digitale Version calteches.library.caltech.edu/47/3/ES.23.5.1960.0.pdf. Die Machart adressiert Wissenschaftler-Leser nicht allein als Wissenschaftler.

8

Hinweise zur Persönlichkeit und Unkonventionalität Feynmans in FORSTNER 2007.

9

Die damalige Verteilung habe ich nicht eruiert, aber die APS gibt einen Überblick, in welchen Bereichen Physiker arbeiten. Die Bachelorabsolventen 2011/12 arbeiten zu 5 % in nationalen Forschungslaboren, 6 % beim Militär, 20 % im Bildungssektor inklusive Universitäten und zu über 60 % im privaten Sektor, davon 30 % als Ingenieure und 3% als Physiker und Astronomen. Masterabsolventen im privaten Sektor sind 2007/08 40 % Ingenieure, 17 % Physiker oder Astronomen, der Anteil liegt bei Informationstechnologie und Computer bei ca. 20 %. aps.org/careers/statistics/bsempsectors.cfm, acc. 160228.

10 FORSTNER / HOFFMANN 2013, 2. 11 Forstner rekonstruiert den politischen „Sicherheitsmythos“ für den Beginn der 50er Jahre: „Die Atombombe sollte die Sicherheit Amerikas gegenüber der Sowjetunion, den sozialistischen Staaten und deren weiterer Ausbreitung sichern. Im Sicherheitsverständnis der

R ICHARD F EYNMANS F ESTREDE (1959/1960) | 167

nem politischen Klima platziert, in dem, vorsichtig formuliert, große Kräfte walten.12 Die Rede wird etwa vierzig Jahre lang nicht als Nanotechnologie-Text rezipiert, gewinnt aber im Laufe der Zeit einen hervorgehobenen Status und wird zu einem vielrezipierten Text der Wissenschaftsgeschichte und -theorie, weil sie die (vermeintliche) Grundsteinlegung der Nanotechnologie leistet.13 Auf dieses Dokument wird sowohl von Natur- und Geisteswissenschaftlern14 als auch von Politikern und Laien in repetitiver Permanenz, wie beispielsweise bei Schäffner, verwiesen. Der US-amerikanische Präsident bezog sich 2000 beim Gründungsakt der National Nanotechnology Initiative NNI auf die Feynman-Rede als Dokument eines historisch individualisierbaren Ereignisses.15 In Zweckentfremdung einer foucaultschen Beobachtung könnte man sagen, der Nanotechnologie-Diskurs verwende den Feynmanschen Text sozusagen als Autorfunktion. Man könnte [...] sagen, dass es in einer Kultur wie der unseren eine bestimmte Anzahl von Diskursen gibt, die die Funktion ,Autor’ haben, während andere sie nicht haben. [...] Die Funktion

 Öffentlichkeit galt es [...], das ‚Geheimnis‘ der Atombombe zu wahren, um die Sicherheit der USA auf ewig zu gewährleisten.“ FORSTNER 2007, 111; zu Feynmans Beteiligung 7, 153 und 172f. 12 Eine Zahl aus einer berühmten Universität mag als Symptom dienen: Knapp 60 % der Physiker in Princeton bezogen 1959/1960 ihr Gehalt oder Teile davon aus Regierungsgeldern. FORSTNER 2007, 111. 13 Die Selbststilisierung als physikalisches Genie, das autonom zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen kommt, die schließlich zum Nobelpreis führen, rekonstruiert Forstner. Bei ihm auch der Hinweis, dass der „Kult um das ,Genie Feynman‘ [...] lediglich vom Kult um Albert Einstein übertroffen [wird], dessen Abbild man als Albert-Einstein-Action Figur inzwischen käuflich erwerben kann.“ FORSTNER 2007, 197. 14 Der Gründungsmythos braucht beispielsweise Wissenschaftshistoriker, die in der Lage sind, einen solchen als solchen zu erkennen. SCHUMMER 2009, 48f, beruft sich bei seiner Identifikation des auf Feynman basierenden Gründungsmythos auf die Wissenschaftshistorikerin BENSAUDE-VINCENT 1983, die in anderem Zusammenhang über Gründungsmythen in den Wissenschaften schreibt. Vgl. nächste Fußnote. Beispielhaft die Website des BMBF: Feynmans „berühmter Vortrag mit dem Titel ‚There’s Plenty of Room at the Bottom‘ (‚Da unten – im Bereich des Allerkleinsten – liegen viele Möglichkeiten‘) aus dem Jahre 1959 [wird] oft als Startpunkt der Nanotechnologie angesehen.“ bmbf.de/de/neue-werkstoffe-und-materialien-536.html, acc. 160130. 15 SCHUMMER 2009, 49; NORDMANN 2007, 220.

168 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Autor ist [...] charakteristisch für Existenz-, Verbreitungs- und Funktionsweise bestimmter Diskurse in einer Gesellschaft.

16

Bei der Rede handelt es sich nicht um einen Fachvortrag im üblichen Sinn, es werden weder eigene Ergebnisse referiert noch eine Diskussion aktueller Forschungsfragen vorgelegt. Der Text hat einen inzentiven Duktus und entwirft mit selbstverständlicher, explorativer Geste ein neues Forschungs- und Anwendungsfeld für die Physik im Rahmen einer stabil dargestellten disziplinären Wissenschaftsordnung. Im Untertitel wird die Einladung ausgesprochen, ein neues Feld der Physik zu betreten: „An invitation to enter a new field of physics“.17 Diese Einladung richtet sich ursprünglich an Fachkollegen, also an Physiker; nach Feynman liegt das „neue Feld der Physik“ innerhalb der (imaginierten) Grenzen der Physik.18 Der zeitgeschichtliche Kontext im politischen Großklima des Kalten Krieges lässt sich über das Magazin, in dem der Artikel ein halbes Jahr später abgedruckt wurde, rekonstruieren. Das knapp 60-seitige Magazin „Engineering and Science“ besteht etwa zur Hälfte aus ganzseitigen, fotografisch oder zeichnerisch bebilderten Werbeanzeigen von Industrieunternehmen, die offensiv auf der Suche nach Arbeitskräften sind, vor allem in der Raumfahrt- und Waffenindustrie. Die Werbeanzeigen spielen einerseits auf das politische Klima einer starken Konkurrenz um den Raum zwischen der Sowjetunion und den USA an, andererseits ist die politische Frage nach der Macht über Gesellschaftsmodelle und den geostrategischen Raum zusammengeschaltet mit der persönlichen Eroberung einer ‚Karriere‘ im Sinne eines ökonomisch erfolgreichen Lebenswegs und kombiniert mit unlimitiertem Wissenszuwachs in den Wissenschaften (Abb. 3.a und 3.b).19 Ein Artikel setzt sich kri-

 16 FOUCAULT 1974 [1969], 17/18. Der moderne wissenschaftliche Diskurs braucht keinen Autor, da es um die Sache und „um die Zugehörigkeit zu einem systematischen Ganzen“ geht, allerdings lässt sich, wie beispielsweise bei Schäffner 2010, zeigen, dass der Verweis auf Text und Autor als „Indizien für Diskurse, die als bewiesen angenommen werden sollten“, verwendet wird (19). 17 FEYNMAN 1960 [1959], 22. In der Inhaltsübersicht des Heftes lautet der Untertitel: „An invitation to open up a new field of physics.“ E&S 1960, 3. 18 Ich habe nicht überprüft, welche Berufsgruppen zugegen waren, um sich kurz vor Sylvester mit Kollegen zu amüsieren. Es kann sein, dass die „American Physical Society“ Mitglieder hatte, die als Physiker und Ingenieure in der Wirtschaft und nicht in der Wissenschaft gearbeitet haben und ich halte es aufgrund der Verbindungen der Physik zur Waffen- und Raumfahrtindustrie für denkbar, dass sich der ein oder andere Politiker für das Jahrestreffen interessiert hat. 19 „How to make a ‚left turn‘ in outer space (and the ‚right turn‘ toward a gratifying career).“ Werbeanzeige der Bendix Aviation Corporation in Michigan in: E&S 1960, 5.

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tisch mit der Frage auseinander, warum der Weltraum, „outer space“, überhaupt beforscht werden soll: „The Importance of Space. What are the real goals of space exploration?“, und betont gegen die politische Argumentation und kursierende Bedrohungsszenarios durch die Sowjetunion einen allgemeinen, anthropozentrischen Fortschrittsgedanken der Wissenschaft.20 Das Magazin zeigt nahezu auf jeder Seite, dass es einen Kampf um einen geopolitisch und militärstrategisch wichtigen Raum gibt, der auch unter Wasser, vor allem aber im Weltraum, liegt21, der mit Hilfe wissenschaftlicher Forschung und vor allem von Forschern geführt werden soll.22 Dabei dient den Anzeigen der politische Kontext bisweilen als wirksames Argument für potentielle Arbeitnehmer: es werden nicht einfach Arbeitsplätze, sondern patriotisch sinnvolle, gewissermaßen Arbeitsplätze für das Gemeinwohl, angeboten.23 Die

 Weiter heißt es: „Like the dimensions of the universe itself, the future of space technology is beyond imagination. The frontiers of space will edge farther and farther from us as engineering and scientific skills push our knowledge closer to the stars.“ (Abb. 3.a). 20 „It is now a fact that men have learned to launch sizable vehicles with sufficient speed and accuracy to attain satellite orbits around the earth, and even to escape the earth’s gravitational field altogether. This is surely one of the greatest human accomplishments of all time. [...] it is distressing to see how so many small-minded men have flown into a jealous rage over the fact that the Russians accomplished the feat a few weeks before the Americans did. [...] Future historians [...] will have a hard time explaining why that 16 weeks had such an extraordinary effect on world politics.“ DUBRIDGE 1960, 13. 21 Die Anzeige der Transitron Electronic Corporation aus Massachusetts wirbt mit einer Rakete, die aus einem nuklearen U-Boot aus dem Meer aufsteigend die Wasseroberfläche durchschlägt und in den Himmel aufsteigen will. E&S 1960, 2. 22 Die Werbeanzeige des Jet Propulsion Laboratory des California Institute of Technology in Pasadena „Your task for the future: the exploration of Space.“ hebt den Kontext einer „freien Welt“ als Gegensatz zur Sowjetunion hervor: „Since its inception nearly 23 years ago, the Jet propulsion Laboratory has given the free world its first tactical guided missile system, its first earth satellite, and its first lunar probe.“ E&S 1960, 43. Der Präsident des California Institute of Technology beschreibt den „initial shock“ (14) des SputnikSchocks als „an enormous psychological victory [...] [that] brought the entire world to begin to think about the importance of space – and shocked the entire world into an awareness that Russia was no longer a nation populated solely be illiterate peasants. It should not have taken Sputnik to teach us this; there was plenty of other evidence.“ „Scientific experiments can wait if military security is at stake.“ DUBRIDGE 1960, 14. 23 Die Firma Chance Vought aus Dallas, Texas schreibt: „Chance Vought’s largest division is interested in all types of weapons and missions this side of space ... under the seas or over them ... piloted or unpiloted.“ E&S 1960, 7. Die Firma Convair-Pomona in Southern

170 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

Rede wird veröffentlicht gut zwei Jahre, nachdem sowjetische Wissenschaftler drei Sputnik-Raketen ins All geschossen hatten, und etwa ein Jahr nach der Nordpolunterquerung des ersten atomgetriebenen U-Bootes der Amerikaner (und gut ein Jahr bevor der russische Kosmonaut Gagarin als erster Mensch am 27. März 1961 die Erde in einer Raumkapsel umrundete).24 Der technologischen Eroberung des oberen Weltraums durch sowjetische Wissenschaftler stellten im August 1958 die Amerikaner die atomar ermöglichte Eroberung des unterseeischen Raumes gegenüber. Die Eroberung des unteren ozeanischen Raumes mithilfe der atomaren Technologie war Balsam für die vom Sputnik-Schock verletzte Volksseele. [...] mit der Nordpol-Unterquerung hatten die USA bewiesen, dass sie jederzeit und unbemerkt im Hinterhof der Sowjets auftau25

chen konnten – was die Vorwarnzeit vor einem Nuklearangriff deutlich verkürzte.

Der Kampf um die ideologische, technologische und militärische Vormachtstellung zwischen USA und Sowjetunion erfolgt in den fünfziger Jahren des Kalten Krieges als Kampf um die Beherrschung des geostrategischen Raums, wobei die Sowjetunion mit den Sputnik-Raketen zunächst den Wettlauf gewann.26 Bezüglich des Zusammenhangs von Forschungsfinanzierung und der Erreichung politischer Ziele plädiert der Präsident der California Technology University, DuBridge im gleichen Journal für eine nüchterne Einordnung und ein reflektiertes

 California wirbt damit, dass sie „created the Army’s newest weapon, REDEYE, Shoulder Fired MISSILE [...] and many other, still highly classified programs.“ (4). 24 Die russischen Sputnik Raketen flogen zwischen Oktober 1957 und Mai 1958 ins All. 25 „Mit nur vier Kilogramm Uran an Bord konnte die Nautilus eine Strecke von 62.000 Seemeilen zurücklegen. Damit war die maritime Kriegsführung auf den Kopf gestellt. Anders als konventionelle U-Boote musste die Nautilus nicht mehr regelmäßig auftauchen und konnte [...] weder per Radar noch von Flugzeugen aufgespürt werden.“ Grotelüschen, Frank: „Atom-U-Boot Nautilus. Strahlendes Meer-Ungeheuer“, Radiobeitrag 21.01.14 um 9:10h, Schriftversion auf Deutschlandfunk-Webseite. 26 Der Präsident des CalTech Institutes beschreibt diesen Kontext: „The Space Age is well over two years old now. But, like a two-year-old baby, it hasn’t really begun to make much sense as yet. Fond relatives exclaim that it is the greatest baby ever born. [...] people, noting that the American space baby is neither as old nor as hefty as the Russian infant, are impatient that in spite of all the vitamins and minerals we are feeding the child it persists in remaining both smaller and younger than the Russian prodigy. [...] [T]he russians [...] are such proud [...] parents that they have succeeded in giving all the rest of the world a severe inferiority complex.“ DUBRIDGE 1960, 13.

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Handeln angesichts des sogenannten Sputnik-Schocks.27 Feynmans Rede positioniert sich vor diesem Hintergrund als zivile Wissenschaftlerfantasie gegen den Mainstream der eigenen Zunft, indem sie mit der Konzentration auf einen neu zu erforschenden wissenschaftsimmanenten Raum gewissermaßen eine andere politische Relevanz physikalischer Forschung betont.

Abb. 3. a und 3. b: Arbeitskräfte-Werbeanzeigen in Engineering and Science, Februar 1960

Wird „reichlich vorhandener Raum ganz unten“ zugänglich und nutzbar gemacht, geht das vor allem mit lebensweltlichen Erleichterungen einher. Es handelt sich gewissermaßen um eine erneute Eroberung eines Raumes im Sinne einer Zivilisierbarmachung und des Verschiebens einer technischen Zugriffsgrenze („frontier“), die als Kollektivsymbol der nationalen Landnahme die Identität der amerikanischen Nation strukturiert.28 Gemäß einer nutzen- und zweckorientierten, pragmatischen

 27 DUBRIDGE 1960. 28 Dass der Nanotechnologie-Diskurs die Kolonialisierung des Weltraums reproduziert, bemerkt Schwarz, die dies in einer Art Vogelperspektive auf eine nicht weiter fragwürdige Selbstverständlichkeit zur Sprache bringt, die umgehend in den Nachhaltigkeitsdiskurs weiterfliegt. „What we can already state now is that the spatial construction of nanovisions reprodruces the old spatial colonization program – and may be in this sense [...] read as the corresponding spatial construction to that of the sustainability discourse.“, SCHWARZ 2004b, 26. Ihre Forderungen nach einer Auseinandersetzung mit der Rheto-

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Sichtweise geht es bei der Definition dieser neuen „frontier“ jedoch darum, den amerikanischen Alltag und seine Lebensweise noch mehr zu erleichtern und praktischer zu machen, und gewissermaßen als Nebeneffekt der vielfach ideologisch überformten Landnahme der Russen im Weltraum ein Schnippchen zu schlagen. Damit wird die solcherart vorgeschlagene physikalische Forschung neben der auch betonten Karriereattraktivität für einzelne Wissenschaftlerfiguren zu einem strikt anwendungsbezogenen und zivilen Dienst am Menschen. Insofern könnte man sagen, dass Feynman gewissermaßen eine mehrfache Umdeutung eines politisch durchsetzten Raumstreits vornimmt. Bei dem ‚unteren Raum‘ („Bottom“) steht nicht mehr ein geostrategischer, unterseeischer Raum im Fokus, sondern eine zunächst apolitisch verstandene Wissenschaft, die einen wissenschaftsinternen Raum erkunden soll, wodurch sich, so die Hoffnung, letztlich ein ökonomischer Nutzen generieren lässt. Damit wird einerseits ein Primat der Wissenschaft über die Politik behauptet und ein fachwissenschaftliches Selbstbewusstsein an die Stelle einer politischen Instrumentalisierung der Wissenschaft gesetzt. Andererseits erscheint die Physik mit einer anders gelagerten politischen Bedeutung als der grundlagenerforschende Dienstleister für die Industrie, indem der Wohlstand der Staaten eine Machtfülle und damit internationales Gewicht generiert. In diesem Zusammenhang steht auch die Frage nach dem Seriösitätsstatus des Textes. Unzweifelhaft genießt der Wissenschaftler hohes fachliches Ansehen und einen Seriösitätsstatus unter Fachkollegen; seine Arbeit wird 1965 mit dem Nobelpreis gewürdigt. Andererseits ist der Text kein fachwissenschaftliches Referat von Forschungsergebnissen. Er beschäftigt sich vielmehr mit der Frage, was wissenschaftlich-technisch machbar ist. Was die Bezeichnung der Größenordnung angeht, in der sich die Überlegungen bewegen, folgt Feynman selbstverständlich den terminologischen Gepflogenheiten der Zeit und beschreibt den Nanometerbereich mit der Einheit Ångström. 1960 wurde eine international verbindliche Wissenschaftsnomenklatur für Maßeinheiten, das „Système international d’unités“ verabschiedet und in diesem Jahr erhielt

 rik und den visionären Konstruktionen des „Nanodiskurses“ ermangeln meiner Ansicht nach eines Vorschlags für einen geeigneten Ansatz und Methodik, insbesondere wenn es letztlich auf die Herausbildung von Werten hinausläuft, die eine umfassende „Nanofication“ der Gesellschaft, was immer das sei, verhindern soll. „What we need is a discourse that permits deeper discussion of aesthetic, religious, cultural, political, and moral values; hopefully preventing the ,nanofication‘ of nature and society.“ SCHWARZ 2004a, 207. Ich würde gerne zu einer Kreierung von Werten beitragen, aber wofür (oder wogegen) genau und vor allem, wie?

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der Ausdruck ‚nano‘ seine definitive wissenschaftliche Bedeutung [...] Wie ‚milli‘ und ‚mikro‘ wird ‚nano‘ nur als Präfix verwendet, um einen bestimmten Bruchteil einer beliebigen Maßeinheit zu bezeichnen.

29

Allerdings richtet sich Feynman nach der üblichen Tradition der Benennung des Nanometerbereichs in der Physik, die länger weiter verwendet wurde. Die Einheit Ångström bleibt bis weit in die 1990er Jahre hinein die etablierte Bezeichnung (neben Mikro- oder Submikrometer sowie Kilodalton) für den Nanometerbereich: Zwar wurde das Präfix ‚nano‘ nach 1960 sehr rasch etabliert und auf alle Arten von Einheiten angewendet. Aber ausgerechnet mit [...] dem Meter tat man sich schwer [...] der Ausdruck ‚Nanometer‘ [wurde] bis in die neunziger Jahre fast ausschließlich zu Beschreibung von Wellenlängen des Lichts benutzt [...] Für Kristallographische und molekulare Größen im Nanometerbereich verwendeten Wissenschaftler weiterhin die alte Einheit Ångström ([...] ein Zehntel Nanometer) in Gedenken an den schwedischen Astronomen Anders Jonas Ångström (1814 - 1874).

30

Die Thematik der Raumnahme und Raumaneignung im Sinne des Erreichens einer „frontier“, die kollektivsymbolisch für ein amerikanisches, historisch-identitätsstiftendes Selbstverständnis wichtig ist, kann aus den genannten Gründen zwar als integraler Teil des nanotechnologischen Diskurses angesehen werden, spielt jedoch beispielsweise für Deutschland (Fallstudien II.3, II.5) und Afrika (II.4) keine Rolle. Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre Der Text kann im Internet auf verschiedenen Websites eingesehen werden und kursiert als leicht zugängliches elektronisches Dokument.31 Ursprünglich die Verschriftlichung einer Rede, von einem Fachwissenschaftler vor über fünfzig Jahren vor Kollegen gehalten, macht der Text mehrere Medien- und vor allem Kontextwechsel durch. Zunächst rekurriert er auf den pragmatischen Kontext einer Festveranstaltung, später wird mindestens der Vortragstitel gewissermaßen abstrakter. Der Vortragsgegenstand erschwert die generische Zuordnung des Textes: Es ist kein Fachvortrag im herkömmlichen Sinn, in dem Erträge eines Fachwissenschaftlers der entsprechenden Forschungsgemeinschaft, im Deutschen auch „Fachcommunity“ genannt, zur Diskussion gestellt würden. Es handelt sich auch nicht um eine öffentliche Rede eines Wissenschaftlers, der für ein Laienpublikum eine

 29 SCHUMMER 2009, 28. 30 SCHUMMER 2009, 28f. 31 FEYNMAN 1960.

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Transfer- oder Übersetzungsleistung fachwissenschaftlicher Forschungsergebnisse in Allgemeinsprache vornimmt. Vielmehr geht es um die Formulierung technikwissenschaftlicher Visionen, um eine Extrapolation der Zukunft unter den Leitfragen: was ist wissenschaftlich denkbar, was könnte technisch möglich werden? Da es sich erkennbar nicht um einen Science-Fiction Text eines Romanautors handelt, obwohl das Thema erkennbar technikwissenschaftlich extrapolierend ist, ist der generische Status des Textes unklar. Soll man ihn als Vision, Szenario oder als szientistische Utopie bezeichnen?32 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass das Hausjournal des California Technology Institutes keinen eindeutig wissenschaftlichen Charakter hat, weil es vor allem als Kommunikationsorgan zwischen Absolventen, Fachgemeinde und Industrie dient. Die Rede verliert mit dem Abdruck in diesem Journal ihren Aktualitätsstatus, aus einem mündlich vorgetragenen Redetext einer sozial determinierten Situation geht ein schriftliches Zeugnis hervor, das aufgrund des explorativ-wissenschaftlichen Charakters gerade nicht ‚von gestern‘, sondern ‚von morgen‘ sein will. Der abgedruckte Text wird zudem bebildert, die drei Abbildungen mit Bildunterschriften fehlen in den buchstaben-digitalisierten Versionen des Textes. Als fachlich legitimierter Ausgriff in eine (mehr oder weniger) ferne Wissenschaftszukunft behauptet der Text eine eigene fachliche Aktualität und Relevanz. Er steht in einem Journal, zu dessen Aufgabe auch die Veröffentlichung von Fachpublikationen im Interessekreis von „Engineering and Science“ gehört, nicht aber die Veröffentlichung von Zukunftsmärchen oder Drehbüchern. Durch die Veröffentlichung wird der Text zu einem historischen Dokument und einer fachrelevanten Publikation, die als ‚aktueller physikalischer Diskussionsbeitrag‘ (man fragt sich, wie man es anders bezeichnen soll) und gleichzeitig als eine Art kreative Wissenschaftsagenda dauerhaft einer Fachgemeinschaft zur Verfügung gestellt werden

 32 Ich halte die Einordnung in Science Fiction Literatur für verfehlt: „Science-fiction ist wie Feynmans Visionen nur Spekulation der Form ‚Was wäre, wenn...‘, die der Unterhaltung dienen, weil sie die Fantasie anregen und Ängste und Sehnsüchte ansprechen.“ SCHUMMER, 2009, 48ff, hier 57. Der wissenschaftspolitische Programmtext ist nicht Science-Fiction, eventuell könnte man ihn als „Laboressay“ bezeichnen: „Eine von einem Wissenschaftler entwickelte Idee (Argument, Projekt, Verfahren, Interpretation, Entdeckung, Beobachtung, Zusammenhang, Benennungsvorschlag etc.), die aber noch nicht in allen Punkten hinreichend ausgereift oder bestätigt ist, kann im Essay dargelegt und zur Diskussion gestellt werden. [...] Essayistisches Möglichkeitsdenken kann im Hinblick auf eine neue Ordnung bzw. das systematische Erfassen eines Problemfeldes wertvolles Material bereitstellen.“ PFAMMATTER 2002, 191f. Pfammatter ist so stark auf einen gattungstheoretischen Forschungsansatz fixiert, dass er Laboressays 2002 als Desiderat wissenschaftlicher Schreibweise und Kommunikationsform ansieht.

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soll. Insofern kann man das vorliegende Textgenre als Strategiepapier ‚erster Güte‘ bezeichnen, das einerseits die eigene Wissenschaftsdisziplin – eine idealisierte Gemeinschaft der Physiker – mit einer Art Agenda versorgt, und das darüber hinaus den Fokus auf einen Anwendungsbezug physikalischer Forschung lenkt, der außerhalb von Raumfahrt, Atomenergie oder Tiefseetechnik liegt. Dass der Text heute im Internet auf verschiedenen Websites eingesehen werden kann und als leicht zugängliches elektronisches Dokument kursiert, erschwert die Einordnung zusätzlich. Eine eigenwillige Klassifikation findet sich bei Janich, der ihn als „Ikone der Nanotechnologie“ klassifiziert.33 Abgesehen davon, dass es bei dem Begriff Ikone eine religiöse Konnotation gibt (Ikonen als anbetungswürdige Heiligenbilder im russisch-orthodoxen Ritual), der so weit ich sehe nicht gemeint ist, wird mit dieser Begrifflichkeit der Text-Status nicht respektiert.34 Unklar bleibt, aus welcher fachwissenschaftlichen Perspektive ein solches Genre oder diese Textsortenbezeichnung erkannt wird und was Ikone für eine Genrebezeichnung ist. In einer kursierenden digitalen Textform gibt es keine Abbildungen mehr. Die erste Abbildung zeigt, über einer menschlichen Hand mit einer Pinzette gehalten, ein etwa 3 mm großes elektronisches Bauteil, eine „tunnel diode, capable of operating at frequencies above 4 billion cicles, and intended for use in computers, communications equipment, and nuclear controls“.35 Außerdem werden zwei verschiedene Varianten von (ich würde sagen: makroweltlichen) Hilfsrobotern gezeigt, zum einen relativ große Roboter-Hände für den Einsatz in radioaktiven Bereichen sowie ein kleinerer Präzisionsroboter „to perform a wide range of mechanical tasks.“36 Die Bilder sind so in den Text eingepasst, dass sie die Überlegungen zur Verkleinerung von Robotern bebildern. Sie haben eine heuristische Funktion insofern, als sie

 33 JANICH 2006, 2f, auch BREDEKAMP 2004, 20. Janich nennt zwei weitere Ikonen, die die Nanotechnologie ‚hat‘ oder ihr zukommen, wobei die Textikone gleichwertig neben zwei digital-materialisierten, eher bildähnlichen Ikonen steht. Einerseits den zitierten Schriftzug IBM, mit Hilfe eines Rastertunnelelektronenmikroskops erzeugt und als digitales Bild ‚sichtbar‘, vgl. die Beschreibung in Prey. Außerdem wird ein aus Molekülen zusammengesetztes Nano-Männchen genannt, das mir während meiner Recherchen nicht untergekommen ist. Nicht gemeint ist „Nanolino“, Hauptfigur eines sachbuchartigen Jugendschmökers (2015 als Film) von Dietrich Grönemeyer, Ehrenbürger des Ruhrgebietes, Träger des World Future Awards aus Hamburg, Gründer und Leiter des Grönemeyer Instituts für MikroTherapie in Bochum. Der Medicus fährt mit einem winzigen U-Boot durch die Blutbahnen durch das Innere des Körpers. der-kleine-medicus.de, acc. 160218. 34 Bei Janich 2006 erhält der Text im Diskurs denselben Status wie zwei digital erzeugte, in Bildform gebrachte Datenverarbeitungen eines Rastertunnelmikroskops. 35 FEYNMAN [1959] 1960, 23. 36 FEYNMAN [1959] 1960, 30.

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dazu animieren, ausgehend von real existierenden Maschinen mit Einbildungskraft eine Abstraktionsleistung zu erbringen, die vor das geistige Auge (oder wo immer) eine Maschine stellt, die so klein ist, wie es erzählt wird. Der Text wird auch in einer digitalen Bücherei verkauft.37 „There is Plenty of Room at the Bottom. An invitation to enter a new field of physics“ Die oben angesprochene Kontextverschiebung kann man für die Analyse der Aussage des Vortragstitels heranziehen. Wenn der Titel einer mündlichen Rede für einen wissenschaftlichen Beitrag in einer Art Fachjournal benutzt und später zum Titel eines digital kursierenden Dokuments wird, ändert sich mit der Kontextverschiebung die Aussage. Der Titel der Rede rekurriert zunächst auf den Redeanlass. Die Einladung, ein neues Feld der Physik zu betreten, knüpft semantisch an den sozialpragmatischen Zusammenhang an: die versammelten Wissenschaftler wurden eingeladen, an einem wissenschaftsdisziplinären Fachtreffen mit Sozialfunktion teilzunehmen. Sie erfolgt räumlich an einem Ort, der dadurch definiert ist, dass identifizierbare GästePersonen bereits einer Einladung zu einer Festveranstaltung gefolgt sind; vordergründig ein Abendamüsement, das mit einem spielerischen, leichtfüßigen Abendvortrag angereichert wird. Dieser Festveranstaltungsrahmen fällt als pragmatischer Kontext weg, wenn in dem Fachjournal, in dem die Rede zur Veröffentlichung gelangt, eine Fachdiskussion eröffnet werden soll. Damit bekommt der Wortgebrauch „Einladung“ einen metaphorischeren Sinn. Eingeladen sind nun anonyme Leser der Fachzeitschrift, ein neues Feld der Physik ernsthaft zu erwägen oder gar zu erkunden. Gleichzeitig wird eine räumliche Ordnung einer Wissenschaft aufgerufen, die ein Nebeneinander von Fachgebieten wie auf einer Landkarte evoziert. Die angesprochene Entdeckungssemantik eines neuen Fachgebietes korreliert kollektivsymbolisch mit der amerikanischen Geschichte und ihrem Gründungsmythos von der konfliktreichen, dennoch positiv konnotierten Inbesitznahme des sogenannten Wilden Westens, allerdings relativiert Feynman mit dem Wort Einladung gewissermaßen nebenbei die Mühen dieser Inbesitznahme.38 Kursiert der Text heutzutage im Internet, wird die Physik semantisch zu einem abstrakten Ort / Raum. Ein sozial-

 37 Onlinelibrary.wiley.com, die Kosten liegen bei 32 $, acc. 160218. 38 In der Werbeanzeige der Radio Corporation of America RCA, in der Zeitungsausgabe zwischen den Seiten des Feynmanschen Artikels, heißt es: „Explorers once looked for new opportunities beyond the mountains and the oceans. Today, our frontiers are somewhere out in space or deep inside the atom. The modern explorer is the research scientist. He seeks new ideas, new knowledge.“ In: E&S 1960, 35.

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pragmatischer Kontext wird wiederum modifiziert oder verschwindet, die Semantik einer Einladung an die Fachkollegen schrumpft und wird gleichzeitig erweitert zur Einladung an ein abstraktes oder anonymes Publikum. Andererseits wird der sozialpragmatische Kontext transformiert zu einem metaphorischen Fachraum der Physik. Das konkrete Publikum (die Teilnehmer der Sylvesterfeier) bewegt sich im selben Berufsfeld, kann Zwischenrufe machen oder anschließend mit dem Redner diskutieren. Das abstrakte Publikum, der User des Internets, ist (nicht mehr) im selben Sinne eingeladen, das neue Physikfeld zu betreten, sondern wird überhaupt eingeladen, sich mit Physik zu beschäftigen. In beiden Fällen steht ein neues Feld der Physik bisherigen Physik-Feldern gegenüber, die durch diese Entgegensetzung automatisch zu etablierten Feldern avancieren, zu etwas, zu dem das hier vorgeschlagene neue Feld eventuell auch werden kann. Der Titel situiert das neue physikalische Forschungsfeld räumlich „at the bottom“, es wird raumsemantisch lokalisiert. Der raumsemantische Ausdruck lässt sich wahlweise übersetzen mit auf dem Boden, auf dem Grund oder nach unten hin. Wenn es bei der physikalischen Forschung nach unten hin viel Platz, das heißt, ‚dort‘ viel zu tun gibt, wäre eine Möglichkeit, das neue Forschungsfeld auf dem „Boden“ der Physik zu situieren. Das kann bedeuten, dass ein neues Forschungsfeld die Grundlage physikalischer Tatsachen und damit den „Boden“ aller Tatsachen betrifft, insofern Physik die Grundlagen der Dinge und der materiellen Welt erklärt. Im Text wird dieser revolutionäre Aspekt vermieden. Dort heißt es: „It is a staggeringly small world that is below.“39 Die Präposition „below“ legt nahe, dass sich die unglaublich kleine Welt unter etwas befindet, unterhalb der Makrowelt, die in einem ingeneurtechnischen Verständnis durch Machbarkeiten und Nichtmachbarkeiten strukturiert ist und die als Welt gewissermaßen abgeschlossen ist. Folgt man einer Beobachtung von Link, dass semantische Konstitution in (Binär-)Oppositionen rekonstruierbar ist, lässt sich die Situierung eines neuen Forschungsfeldes in einem (Nach-)Unten abgrenzen von anders situierten Forschungsfeldern der Physik. Semantisch steht es in einer Binäropposition zu einem Forschungsfeld, das seine Forschungsobjekte in einem (Nach-)Oben findet, sich auf das Oben, im Englischen auf das „Top“ der Dinge, der Welt richtet.40 Die Rede identifiziert ein Forschungsfeld für die eigene Disziplin, das das Interesse an technischer Machbarkeit auf den „Boden“ (und zunächst mehr oder weniger alltagspraktische Fragestellungen) ausrichtet. Als räumliche Binäropposition von Oben und Un-

 39 FEYNMAN 1960 [1959], 22. 40 Man könnte versucht sein, von einer kulturellen Semantik zu sprechen, und sagen, dass das Interesse am ‚Oben‘ bis in den Alltag und die Karrierewege eine diskursive Realität hatte und hat. Stattdessen wird hier auf die Techniksemantik fokussiert, die sich mit dieser „neuen“ Technik verbindet.

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ten der Forschungsausrichtung einer wissenschaftlichen Disziplin können zwei Raumgegenden physikalischer Forschung miteinander kontrastiert werden. Die Feynmansche Identifizierung des Forschungsfeldes steht in einer raumsemantischen Opposition zur Weltraumforschung, an der viele seiner amerikanischen Fachkollegen beteiligt waren. Der Titel des Vortrags identifiziert anfang der 60er Jahre ein Forschungsfeld, das raumsemantisch nichts mit einem technischen Wettlauf in den Weltraum zu tun hat. Man kann allein aufgrund einer Analyse des Titels nicht unterstellen, dass hier einen Gegendiskurs gegen die technische Eroberung des Weltalls gestartet werden sollte, aber Titel und Rede stehen im pragmatischen Kontext politischer und militärischer Raumkämpfe. Der Überschuss an vorhandenen Kollektivsymbolen führt dazu, dass Feynmans Überlegungen für einen Diskurs über eine molekular arbeitende Technik produktiv werden können, der sich über drei unterschiedliche Raumskripte später zu einem Nanotechnologie-Diskurs konsolidiert. Ohne dem Text eine Fundierungsrolle für den Nanotechnologie-Diskurs zuzuschreiben, können Anreize zu einem Technik-Diskurs identifiziert werden, der sich in Abgrenzung zu anderen Technikdiskursen situiert und gleichzeitig bestehende Entwicklungen, wie zum Beispiel die technologisch induzierte präzise Miniaturisierung, selbstverständlich integriert. Wenn der Text die Titelaussage aufnimmt, entsteht damit eine Steigerung und betont die außerordentlich umfangreiche Tätigkeit, die in dem „neuen Feld“ der Physik verrichtet werden kann. Now, the name of this talk is ‚There is Plenty of Room at the Bottom‘ – not just ‚There is Room at the Bottom. ‘ What I have demonstrated is that there is room – that you can decrease the size of things in a practical way. I now want to show that there is plenty of room. I would like to describe a field, in which little has been done, but in which an enormous amount can be done in principle.

41

Die Forschung einer gesamten physikalischen Disziplin wird auf ein neues Tätigkeitsfeld ausgerichtet, innerhalb dessen dieselbe wissenschaftliche Arbeit wie bisher passiert, weil in einem räumlichen Kontinuum auf dieses neue Feld „according to the laws of physics“ fraglos zugegriffen werden kann. Das räumliche Kontinuum dient somit als selbstverständliche semantische Folie, vor der eine Erforschung des neuen Gebietes nicht eine neue Wissenschaftsdisziplin begründet, sondern für eine bestehende Wissenschaftsdisziplin bloß ein neues Tätigkeitsfeld erschließt. Insofern wird das neue Forschungsfeld bereits durch die Titelgebung in einem stabilen Rahmen wissenschaftlicher Erkenntnistätigkeit situiert.

 41 FEYNMAN 1960 [1959], 22.

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Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie In diesem Kapitel gehe ich darauf ein, (1) wie angesichts des ‚neuen Feldes‘ die Wissenschaftsdisziplin Physik als in sich stabile Disziplin inszeniert wird, (2) welche weiteren Disziplinen eine Rolle spielen und (3) wie sich das Verhältnis der wissenschaftlichen Disziplinen zueinander darstellt. Der Text weist eine Systematik technowissenschaftlicher Raumerschließung im Sinne der Raumskripte Top-Down und Bottom-Up auf, womit sich erklären lässt, warum er die Rolle der systematisch begründeten Konstituierung für den Nanotechnologiediskurs zugewiesen bekommt. Zunächst zeige ich, inwiefern ein gemeinsamer Referenzraum dreier Wissenschaftsdisziplinen Physik, Biologie, Chemie, aufgerufen wird, so dass sie auf einen gemeinsamen Objektbereich zugreifen. Eigentlich handelt es sich sogar um einen wissenschaftlichen Konvergenzraum, den Feynman allerdings nicht interdisziplinär bearbeitet sehen will. Stattdessen ist die Rede von etablierten Einzel- oder gar Schulfächerdisziplinen Biologie, Chemie und Physik, denen Aufgaben, Gegenstandsbereiche und Kompetenzen zugewiesen werden, während sie in definierten Relationen zueinander stehen und sich dadurch konstitutieren. (1) Wie wird angesichts eines neuen Forschungsfelds die Physik als in sich stabile Disziplin dargestellt? Das neue Forschungsfeld ist dadurch gekennzeichnet, dass innerhalb der Physik ein neues Erkenntnisfeld erschlossen werden kann, das die Grenzen der Wissenschaftsdisziplin nicht überschreitet, sondern gewissermaßen intern expansiv erschließt. Es ist nicht die Rede von einer neuen BindestrichDisziplin, die entstehen kann oder soll, sondern von einem neuen Objektbereich: „It is a staggeringly small world that is below.“42 Feynman spricht von einer internen Erweiterung aufgrund eines Erkenntnisfortschritts einer abgegrenzten Wissenschaftsdisziplin Physik: „I will [...] discuss [...] only what is possible in principle – in other words, what is possible according to the laws of physics.“43 Auch wenn es ein neues Forschungsfeld zu erschließen gibt, ist die (natur-)gesetzlich geregelte Wissenschaftsdisziplin (selbstverständlich) abgegrenzt von der Biologie und der Chemie, die namentlich genannt werden. In den ersten Abschnitten wird die Kontinuität physikalischen Wissens, d.h. eine über die physikalischen Gesetze garantierte stabile Ordnung der Physik, betont. I would like to describe a field, in which little has been done, but in which an enormous amount can be done in principle. This field [...] will not tell us much of fundamental physics [...] but it is more like solid-state physics in the sense that it might tell us [...] about the

 42 FEYNMAN 1960 [1959], 22. 43 FEYNMAN 1960 [1959], 25.

180 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL strange phenomena that occur in complex situations. [...] it would have an enormous number of technical applications.

44

Dieses Feld wird zu Beginn gleichwertig und gewissermaßen linear in eine Reihe mit anderen neuen Feldern gestellt. „A field like low temperature“ und „the development of higher vacuum“ sind Bereiche, die von einzelnen Wissenschaftler–Persönlichkeiten erschlossen wurden, als „Anführer mit zeitlich begrenztem Monopol in einem wissenschaftlichen Abenteuer“ bezeichnet: „Such a man is then a leader and has some temporary monopoly in a scientific adventure.“45 Die komplexe Metaphorik kombiniert unter dem Kollektivsymbol einer Eroberung des Wilden Westens das Abenteuer der Erschließung einer neuen Welt, eine wirtschaftliche Monopolstellung und die Anführerschaft miteinander, so dass einerseits personelle Konsequenzen charaktisiert werden, andererseits ein wissenschaftliches Feld konstitutiert wird, das wahlweise entdeckt oder erobert, das beherrscht und wirtschaftlich ausgenutzt werden kann: diese Metaphorik impliziert, dass es weder gefährlich noch sinnlos ist. Das vorgeschlagene neue Feld der Physik wird im Rahmen einer technischmaterialen Verkleinerungsperspektive zugänglich, also nicht durch einen „waghalsigen“ Quantensprung erschlossen, es birgt als Konvergenzraum mehrerer Wissenschaften enorme technische Anwendungsmöglichkeiten. Eine folgenreiche Zusammenschaltung von „Raum“ und „Technik“, die später zur Nanotechnologie wird. Feynman wird nicht müde zu betonen, dass es gerade nicht um eine „wissenschaftliche Revolution“ oder ähnliches gehen soll. The principles of physics, as far as I can see, do not speak against the possibility of maneuvering things atom by atom. It is not an attempt to violate any laws; it is something, in principle, that can be done; but in practice, it has not been done because we are too big.

46

Es geht nicht um ein qualitativ anderes oder gar grenzverletzendes wissenschaftliches Forschungsfeld, sondern um eines, das aufgrund einer ‚umgekehrten‘ Quantifizierung, d.h. durch Miniaturisierung, innerhalb der bereits gewonnenen Erkenntnisse und des bekannten Wissens erschlossen wird: „decrease the size of things in a practical way“. Das neue Forschungsfeld befindet sich im Rahmen eines etablierten, d.h. über Gesetze stabilisierten Erkenntniskosmos einer als einheitlich konzipierten Wissenschaftsdisziplin. Betont wird, dass die Gesetze der Physik in diesem neuen Forschungsfeld gelten: „I am not inventing anti-gravity which is possible someday

 44 FEYNMAN 1960 [1959], 22. 45 FEYNMAN 1960 [1959], 22. 46 FEYNMAN 1960 [1959], 36.

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only if the laws are not what we think. I am telling you what could be done if the laws are what we think.“47, es liegt logisch und räumlich in einem Kontinuum mit bisher bekannten physikalischen Erkenntnissen: „It is a staggeringly small world that is below.“ Die ‚kleine Welt‘ liegt einfach da und wartet, wie der goldene Westen, darauf, erschlossen zu werden.48 Geltende physikalische Erkenntnisse werden mit dem Entwurf des Forschungsfeldes bestätigt. Die Logik der Disziplin Physik wird nicht gesprengt, sondern durch den Entwurf eines Forschungsfeldes stabilisiert, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Konsequenz und Gültigkeit der physikalischer Erkenntnisse und Gesetze betont wird. Feynman entwirft für das neue Forschungsfeld eine technisch-materielle Perspektive der Machbarkeit, die er mit einer ökonomischen Metapher benennt: „this business of making things very small [...].“49 Erkenntnisfortschritt wird technischmateriell im Rahmen eines geregelten, positiv konnotierten Geschäftsbetriebs erzielt, der selbstverständlich nicht ein dauerhaftes Verlustgeschäft ist, das zur Insolvenz führt. Die technisch-materielle Perspektive der Machbarkeit wird zu Beginn durch ein geschickt gewähltes, performatives Beispiel betont. Die Überlegung lautet, alle in der Encyclopedia Britannica gesammelten Informationen materiell radikal zu verkleinern und die „Encyclopedia Britannica“ auf den Kopf einer Stecknadel zu schreiben. Neben der genannten, damit verbundenen Erleichterung gibt es noch einen weiteren Aspekt. Wird die Encyclopedia Britannica als Kompendium oder ‚Totalität‘ eines klassifizierten Weltwissens, das die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen bereit stellen, radikal verkleinert, erfährt es samt bestehender Wissenschaftsdisziplinen keine Neuordnung, es erfährt eine buchstabengetreue verkleinerte Abbildung, wodurch eine größere Praktikabilität des Umgangs entsteht. Die Erschließung des neuen Forschungsfeldes stabilisiert die in der Encyclopedia Britannica enthaltene gesammelte Information samt ihrer Ordnungen, womit gleichzeitig die Physik als Wissenschaftsdisziplin stabilisiert wird und mit ihr alle anderen Wissenschaftsdisziplinen. Das Beispiel wird durch den Hinweis auf die Schwesterinstitutionen der Encyclopedia Britannica, die Nationalbibliotheken einzelner Länder, ergänzt.

 47 FEYNMAN 1960 [1959], 24. 48 Hier lässt sich die erwähnte Gefahrlosigkeit des wissenschaftlichen Abenteuers verdeutlichen, die über die gewählte Metaphorik ausgedrückt wird. Die Eroberung und Entdeckung des goldenen Westens war gefährlich, sie hat anfangs in einem rechtsfreien Raum stattgefunden; bei der Entdeckung des neuen physikalischen Feldes dagegen gelten bereits die „laws of physics“. Zu Endeckung vs. Erfindung JANICH 2006, 16f. 49 FEYNMAN 1960 [1959], 22.

182 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Let’s consider all the books in the world. The Library of Congress has approximately 9 million volumes; the British Museum Library has 5 million volumes; there are also 5 million volumes in the National Library in France. Undoubtedly there are duplications, so let us say that there are some 24 million volumes of interest in the world.

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Alle Bücher der Welt repräsentieren gemeinsam in ausgezeichneter Weise eine Totalität wissenschaftlich abgesicherter Informationen und damit eine geltende, stabile Wissenschaftsordnung, die auf den in Büchern dauerhaft niedergeschriebenen Erkenntnissen beruht. Das beinhaltet einerseits einen quantitativ-materiellen Aspekt, bei dem das globale Wissen in einer material-räumlichen Kategorie quantifiziert wird und in einem ganz grundsätzlichen Sinne Zahlen mit Räumlichkeit verknüpft werden.51 Das Erschließen des neuen Forschungsfeldes garantiert mit der materialen Verkleinerung oder Miniaturisierung von Informationsträgern formal und inhaltlich den Fortbestand der Wissenschaftsordnung. Die überragend praktische Folge aus der ‚Verkleinerung‘ des Weltwissens lautet: „All of the information which all of mankind has ever recorded in books can be carried around in a pamphlet in your hand“52 – eine wahrhaftige Freude für jede Bibliothekarin, wie Feynman sogleich feststellt und eine Vorwegnahme des trügerischen Gefühls, das moderne Smartphonebesitzer bisweilen verspüren.53 Was die Physik als Wissenschaftsdisziplin betrifft, gibt es einen technisch induzierten Erkenntnisfortschritt, aber nicht ei-

 50 FEYNMAN 1960 [1959], 23. 51 Dass es sich um eine hervorragend zentrierte Sichtweise der westlich-zivilisierten Länder handelt, kann hier nur angemerkt werden. Folgt man dem Text, haben im Jahr 1959 die Länder USA, Großbritannien und Frankreich das relevante Wissen, das es in einem globalen Sinn überhaupt gibt, in ihren Nationalbibliotheken versammelt. Darüberhinaus sind alle weiteren Bücher (sowie Kulturen und Traditionen usw.) von diesem wissenschaftlichen Bewertungsraster aus gesehen uninteressant. 52 FEYNMAN 1960 [1959], 23. 53 Im Dezember 2014 wird das elektronische Magazin der deutschen Max-Planck-Gesellschaft mpg.de/mpf-mobil mit einer maßvolleren Variante dieses Gedankens beworben. Unter der Überschrift „Forschung leicht gemacht“ sieht man eine weibliche Person (Studentin?), die mit einem Papier- und Bücherstapel so schwer bepackt ist, dass ihr die Beine einknicken. Daneben erstrahlt ein großformatiges iPad mit der ePaper-Titelseite „Max Planck Forschung. Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft“ (Titelseite der Ausgabe 3/2014). Diese Erleichterung wird für den Anzeigenleser direkt erfahrbar, weil der QR-Code für das Herunterladen auf das Smartphone ebenfalls abgebildet ist. Werbeanzeige, Magazin Forschung und Lehre, 21. Jahrgang, Ausgabe 12/14, 971. Man könnte sagen, dass es eine kollektivsymbolische Verbindung zum Smartphone und vielleicht auch zum iPad gibt (nicht aber zum Kindle).

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ne Veränderung der Wissenschaftsdisziplin: „will not tell us much of fundamental physics [...].“ Der Erkenntnisfortschritt erfolgt durch ein (im Einzelnen unbestimmtes) ‚Machen‘ einer universalen Miniaturisierung. Falls das neue Forschungsfeld etwas Neues erbringt – „might tell us [...] about the strange phenomena that occur in complex situations“54 – wird davon die Wissenschaftsdisziplin Physik in ihrer bestehenden Existenzform (oder gar in ihrem Fortbestand) nicht berührt. Der Text sichert die Stabilität der Wissenschaftsdisziplin Physik, d.h. die Kontinuität ihrer Wissensbestände, angesichts eines neuen Forschungsfeldes ab. (2) Physik, Biologie, Chemie, Mathematik sowie ein Bereich, den man als Elektrotechnik bezeichnen würde, werden als wissenschaftliche Disziplinen genannt, wobei der Bereich Elektrotechnik der Physik zugeschlagen wird. An mehreren Stellen kommen ökonomische Aspekte vor und der Text bezieht die Computertechnologie ausführlich in die Überlegungen ein. Später werde ich zeigen, dass und wie Mathematik, Ökonomie und Computertechnologie hier als vereinheitlichende Disziplinen wirken, indem sie sozusagen quer zu den Schulfächerdisziplinen Biologie, Chemie und Physik liegen, die mit abgegrenzten Aufgabenbereichen als stabile, unterscheidbare Einzeldisziplinen zur Sprache kommen. Computer werden vornehmlich als technische Dinge, als Maschine oder Hardware verstanden. Es geht nicht um Informatik als Software-Wissenschaft des Programmierens, obwohl es einen Hinweis auf die Logik der Computer gibt. Everybody who has analyzed the logical theory of computers has come to the conclusion that the possibilities of computers are very interesting – if they could be made to be more complicated by several orders of magnitude. If they had millions of times as many elements, they could make judgements. They would have time to calculate what is the best way to make the calculation that they are about to make. They could select the method of analysis which, from their experience, is better than the one that we would give to them. And in many other ways, 55

they would have new qualitative features.

Über die Identifizierung des neuen Forschungsfeldes gibt es explizit einen technischen Zusammenhang mit der Computerentwicklung. Computer werden an zwei Stellen des Textes als „computing machines“ bezeichnet. Neben ihrer raumgreifenden Dinghaftigkeit – „I do know that computing machines are very large; they fill rooms.“56 – lassen sich im Text mehrere Funktionen von Computern identifizieren. Obwohl Computer kalkulieren und Rechenmaschinen sind, bewahren sie wie ein Behälter vor allem Informationen auf: „In computers we have to store an enormous

 54 FEYNMAN 1960 [1959], 22. 55 FEYNMAN 1960 [1959], 25. 56 FEYNMAN 1960 [1959], 25.

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amount of information.“57 Sie werden nicht als wissensgenerierende Maschinen verstanden, ohne die Forschung nicht möglich ist, sondern als Informations-Aufbewahrungsorte. Eine Masse an Informationen wird in Feynmans Rede stillschweigend gleichgesetzt mit ‚Wissen‘, insofern sind Computer als Schränke oder, mit dem englischen Wort gesprochen, als Container für das Wissen semantisiert. Als technisches Aufschreibesystem, in das durch Aufschreiben Informationen übertragen werden, geraten sie damit in dieselbe Kategorie wie Bücher (Bücher als Wissensspeicher, nicht als Unterhaltung verstanden), von denen sie sich aber sozusagen in ihrer medialen Materialität unterscheiden. Der wesentliche Unterschied zwischen Buch und Computer besteht darin, dass Computer Informationen nicht nur speichern sondern gegebenenfalls überschreiben, also ersetzen können. Das in Büchern wie beispielsweise der Encyclopedia Brittanica niedergeschriebene und gespeicherte Wissen kann nur durch den Druck neuer Bücher, das heißt durch neuen Materialverbrauch revidiert oder korrigiert werden, insofern sind Informationen und gegebenenfalls Wissen materiell unveränderbar an das Medium Buch gebunden. Computer dagegen werden als Speichermedium beschrieben, das eine Revidierbarkeit und damit eine materialisierte Fortschrittsdokumentation des Wissens ermöglicht. Dabei ist beim Verhältnis von Speichermedium und Inhalt nicht klar, inwieweit die Geräte als fortdauernde Wissensspeicher konzipiert sind, da später von einem Wegwerfen der genutzten Information gesprochen wird (siehe unten). Die Computerentwicklung wird weder an Erkenntnisfortschritte der Chemie noch an Erkenntnisfortschritte der Biologie gebunden. Der Computerentwicklung kommen physikalische Fortschritte zugute, die allerdings über den Zusammenhang der Physik mit der Mathematik und der Ökonomie ermöglicht werden. Werden Computer in diesem Text als universal einsetzbare Berechnungsmaschinen definiert, erscheinen sie als technische Materialisation ‚der‘ Mathematik. Andererseits werden Computer einem ökonomischen Wissen unterworfen: sie sind selbst ein ökonomischer Faktor, teuer in der Herstellung und der Anschaffung, eine Verkleinerung schafft dementsprechend eine Miniaturisierung ökonomischen Aufwandes. Für ein miniaturisiertes, digitales Schreiben ‚im‘ Computer tendiert der Materialaufwand zur ökonomischen Neutralität, also gegen Null: „Yet if we could write it in a very small space, it wouldn’t make any difference; it could just be thrown away after it was read. It doesn’t cost very much for the material.“58 Wenn das Hilfsmittel Computer weniger Platz braucht, schmaler, kleiner und wieder verwendbar wird, reduziert sich, so die Argumentation, der Materialverbrauch für die Wissensspeicherung und zugleich die zeitliche Fixierung und damit Dauerhaftigkeit des Wissens. Das nicht mehr ‚permanente‘ Schreiben, die nicht mehr räumlich fixierte Wis-

 57 FEYNMAN 1960 [1959], 25. 58 FEYNMAN 1960 [1959], 25.

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sensspeicherung, wie sie im Medium Buch vorliegt, wird als ökonomischer Vorteil des Mediums Computer identifiziert, ein ökonomisches Versprechen, das sich bis heute durch den Computerdiskurs zieht. Gleichzeitig wird Wissen als konsumierbares, instrumentell notwendiges Wissen konzipiert, das nach seinem Dienst entsorgt werden kann und sich entlang eines (naturwissenschaftlichen) Fortschritts historisch erledigt. Der Text hat einen ökonomischen Subtext, der die Ökonomisierung, also eine mögliche Berechnung von Wirtschaftlichkeit, als allgemeines Wissen voraussetzt. Dieses ökonomische Wissen wirkt im entworfenen wissenschaftlichen Disziplinenfeld vereinheitlichend: es ist nicht nur der gemeinsame einheitlich skalierte Raum der Atome der verschiedenen Wissenschaften, der das neue Feld der Physik in einem geordneten Kosmos der Wissenschaft situiert und hält, es ist auch das ökonomische Wissen, das als vorhandener und einheitlicher Rahmen gesetzt wird. (3) Der Text bringt die genannten Wissenschaftsdisziplinen in ein zunächst lose erklärtes Verhältnis zueinander, das im Hinblick auf die Computerentwicklung und ihren Zusammenhang mit der Ökonomie rekonstruiert wurde. Ich komme zu der Frage, wie die wissenschaftlichen Disziplinen zueinander stehen, und gehe einerseits auf eine Einheit der Wissenschaften, andererseits auf die Hierarchie von Wissenschaftsdisziplinen ein, denn Chemie und Biologie sind der Physik untergeordnet. Die wissenschaftlich beschreibbare „small world“ „at the bottom“ zerfällt durch die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen nicht in eine Vielzahl von disparaten, unvermittelten Aspekten, bei der separate Disziplinen abgesteckte Erkenntnisfelder bearbeiten. Sie ‚verbleibt‘ in einer Einheit, die durch verschiedene Mechanismen gewährleistet wird. Zum einen sind dies gemeinsame Referenzobjekte innerhalb eines einheitlich skalierten Raumes. Die genannten Disziplinen Biologie, Chemie und Physik arbeiten bezogen auf dieselben Referenzobjekte, die Atome, die durch Maßangaben identifiziert und mathematisch abgesichert sind, insofern handelt es sich um einen gemeinsamen Objektraum. Zweitens wird die Einheit durch eine wissenschaftliche „reason“, das heißt, durch eine der Wissenschaft inhärente Logik oder auch Rationalität gewährleistet. „Reason“ kann als eine allgemeine Vernünftigkeit des prozesshaften wissenschaftlichen Arbeitens, die eine disziplinenübergreifende Einheit der Wissenschaften gewährleistet, verstanden werden. Das Arrangieren von Atomen und damit das (Neu)arrangement der Materie kann nur „within reason“ erfolgen. What would happen if we could arrange the atoms one by one the way we want them (within reason, of course; you can’t put them so that they’re chemically unstable, for example).

 59 FEYNMAN 1960 [1959], 34.

59

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Obwohl es um eine universale Machbarkeit, d.h. einen kontrollierten Zugriff ‚innerhalb‘ eines einheitlichen Objektraums der Disziplinen geht, muss die „reason“ als allgemeine wissenschaftliche Vernunft oder Objektivität respektiert werden, und zwar von allen Disziplinen. Damit wird „reason“ zum allgemeinen Verbindungselement zwischen den Praktiken der Einzeldisziplinen, die, mit welchen Mitteln auch immer, (temporär?) gültiges Wissen erarbeiten. „Acting within reason“ heißt, dass es beispielsweise um die Einhaltung der ‚chemischen Stabilitätsanforderung‘ geht. „Reason“ bezieht sich nicht allein auf eine Eigenlogik der Chemie, sondern übergreift die wissenschaftlichen Disziplinen. Damit konvergieren drei explizit genannte Wissenschaftsdisziplinen in einem gemeinsam gesetzten Objektraum und arbeiten entlang einer allgemein gesetzten wissenschaftlichen ‚reason‘, was man mit „Vernunft“, „Rationalität“, vielleicht auch mit „wissenschaftlicher Erkenntnismethode“ übersetzen könnte. Als dritter einheitsstiftender Faktor kommt die Mathematik als Wissenschaftsdisziplin ins Spiel, die als Querschnittsdisziplin über die genannten Hauptdisziplinen Physik, Biologie und Chemie gesetzt wird. Dies wird besonders an der Textstelle deutlich: „You should use more mathematics, like we do.“60 Feynman insistiert mehr oder weniger charmant darauf, eine stärkere Mathematisierung verhelfe sowohl der Biologie als auch der Physik zu Erkenntnisfortschritten; insofern sind beide Disziplinen gewissermaßen egalitär an die Mathematik verwiesen. Als wissenschaftliche Disziplin wird sie nicht näher bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit diskutiert, man kann ihre schiere Zähl- und Messfunktion (innerhalb einer gegebenen Skalierung) ebenso in Betracht ziehen wie Formalisierungsleistungen, die komplexe Ergebnisberechnungen erlauben. Wenn Feynman stellvertretend für seine Fachkollegen den Biologen empfiehlt, „mehr Mathematik“ zu benutzen, um größeren Erkenntnisfortschritt zu erzielen, kann damit gemeint sein, Biologen sollten besser, d.h. präziser messen. Andererseits kann auch gemeint sein, dass Biologen stärker formalisieren, das heißt komplexe Prozesse mathematisch formalisiert beschreiben sollen um von den von der Mathematik bereitgestellten Formeln und Relationsbeschreibungen zu profitieren.61

 60 FEYNMAN 1960 [1959], 24. 61 Geht das konform mit einem wissenschaftshistorischem Blick, der den „Begriff“ einer mathematisierbaren Natur historisch identifiziert und unter anderem auf Francis Bacon verweist, der dafür die „klassischen Formulierungen“ liefere? Bacon sei einer der Autoren, die „den Begriff der Natur [...] als semantisches Gewißheitssubstrat neu [...] formieren unter einem [...] nur noch wissenschaftsinternen Korrekturvorbehalt. Natur wird jetzt als mathematisch formulierbar angenommen. Sie folgt der Logik mathematischer Gleichungen, die reversibel gedacht sind und keine Kausalurteile mehr festlegen. Gleichungen sind Unterschiede, die keinen Unterschied mehr machen.[...] [P]arallel [...] setzt sich

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Die Mathematik hat neben einer allgemeinen, dienenden Funktion innerhalb des Erkenntnisfortschritts der Einzeldisziplinen, „use more mathematics“, vor allem eine Skalierungsfunktion inne, die einheitsstiftend wirkt. Im Text manifestiert sich diese durch ausufernde Berechnungen von Größen- und Volumenverhältnissen. Die mathematisch gedeckte Skalierungsfunkion funktioniert insgesamt disziplinenübergreifend für die genannten Wissenschaftsdisziplinen. Durch einen mathematisch identifizierbaren und genau quantifizierbaren Zugriff auf den (verkleinerten) Raum wird es laut Feynman möglich, einen genaueren Einblick in die in der Biologie bereits teilweise quasi in Rohform, d.h. nur ungenau beschriebenen Strukturen zu erhalten. Auch die Chemie profitiert von diesem präzisen Zugriff auf den verkleinerten Raum. Der gemeinsame Objektraum sind Atome, die sowohl der Biologie, der Chemie und der Physik als Grundlage dienen. Diese Atome können angesehen werden, sobald die Physik leistungsfähigere Mikroskope bereitstellt, außerdem können sie manipuliert werden. Die drei Wissenschaften mit dem objektbezogenen Wissenschaftsstatus konvergieren daher im gemeinsamen, mathematisch vermessenen Atomraum. Eine weitere Gewährleistung der Einheit der Wissenschaften besteht darin, dass die disziplinenübergreifende Leistung der Mathematik mittelbar für die Ökonomie, also die Berechnung der Wirtschaftlichkeit, wichtig ist. Feynman verweist auf den durch das „neue Feld der Physik“ induzierten reduzierten Materialverbrauch. Es nicht nur praktischer, wenn man Informationen auf kleinstem Raum gespeichert mit sich herumtragen kann, sondern auch billiger. There may even be an economic point to this business of making things very small. Let me remind you of some of the problems of computing machines. In computers we have to store an enormous amount of information. The kind of writing that I was mentioning before, in which I had everything down as a distribution of metal, is permanent. Much more interesting to a computer is a way of writing, erasing, and writing something else. (This is usually because we don’t want to waste the material on which we have just written. Yet if we could write it in a very small space, it wouldn’t make any difference; it could just be thrown away after it was read. It doesn’t cost very much for the material).

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 die Vorstellung durch, dass alles, was man herstellen kann, offenbar der Natur entspricht, so dass Herstellung zugleich als Entdeckungs- und Beweisverfahren gelten kann. Technik beweist Wissen, während umgekehrt Zweifel durch technisches Funktionieren widerlegt werden können.“ LUHMANN 1997, 990f. Meine Analysen stehen quer zu einem solchen wissenschaftshistorischen Blick, denn es geht nicht um Natur, sondern um wissenschaftliche Disziplinen, die in diesem speziellen Text {T} als (agierende) semantische und semantisierte Einheiten vorkommen. Zu Luhmanns Technikbegriff NOWAK 2017. 62 FEYNMAN 1960 [1959], 25.

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Feynman erwägt den Nutzen eines konzentrierten Lichtstrahls, also eines Lasers, wobei technischer und ökonomischer Nutzen gleichwertig nebeneinander stehen. Is it possible [...] to emit light from a whole set of antennas, like we emit radio waves from an organized set of antennas to beam the radio programs to Europe? The same thing would be to beam the light out in a definite direction with very high intensity. (Perhaps such a beam is not very useful technically or economically.)

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Ob ökonomischer und technischer Nutzen integral mit physikalischer Forschung verquickt sind, bleibt offen, aber es wird ein ökonomisches Argument in die Identifikation des neuen Forschungsfeldes eingebracht, das dadurch in einen Gegensatz zu anderen, teuren Forschungsfeldern gerät. Jeder Anwendungsbezug von Forschung ist dem Diktat der Ökonomie unterworfen: „Perhaps this doesn’t excite you to do it, and only economics will do so.“64 Die Ökonomie wird zur Antreiberin von Forschung und Entwicklung und damit zur Einheitsstifterin technisch-wissenschaftlicher Entwicklungen. Jede Erschließung eines neuen Forschungsfelds liegt in einem allgegenwärtigen ökonomischen Anwendungszusammenhang. Trotzdem wird nicht völlig auf das Klischee eines frei erfindenden Wissenschaftlers verzichtet. „Well, I pointed out a few of the economic applications, but I know that the reason that you would do it might be just for fun.“65 Die Verbindung von ökonomischer Verwertung und Forschungsspaß kulminiert in zwei Preisgeldern, die Feynman am Schluss seiner Rede öffentlich stiftet, wodurch das entworfene Forschungsfeld gewissermaßen metaleptisch in den Text und in die gesamte Situation hineinragt. Es gibt verschiedene Hinweise, dass und wie auf eine Einheit der Wissenschaften im Rahmen eines geordneten, wissenschaftlich erforschbaren Kosmos rekurriert wird. Man könnte sagen, innerhalb eines geordnet vorgefundenen Natur-Kosmos treten wissenschaftlich tätige Menschen, zu denen Feynman sich und die Zuhörer zählt, als Störfaktor auf. Das geht mit einer Semantisierung einher, die eine aktive Rolle im Forschungsprozess ausschließlich bei Wissenschaftlern sieht. Wissenschaftler, im folgenden Beispiel sind es Chemiker, sind (kreierende) Kräfte, die im Rahmen wissenschaftlicher Tätigkeit ausdrücklich Ziele verfolgen und umsetzen wollen, dabei aber einer materiell vorgegebenen Natur unterworfen sind: „We hope to get a pure substance with just so much impurity and so on. But we must always accept some atomic arrangement that nature gives us.“66 In einen vorgefundenen Natur-Kosmos können Angehörige einer Wissenschaftszunft samt Kolleginnen tätig

 63 FEYNMAN 1960 [1959], 34/36. 64 FEYNMAN 1960 [1959], 36. 65 FEYNMAN 1960 [1959], 36. 66 FEYNMAN 1960 [1959], 34.

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eingreifen: eine menschliche Zwecksetzung samt Machtanspruch wird über eine objekthaft materiell daliegende Natur durchgesetzt. Die Natur schlägt nirgendwo zurück, die Handlungsmacht liegt beim Forscher (und seiner Gemeinde), nicht aber bei Natur oder Technik. Ich komme zum Hierarchieverhältnis der Wissenschaftsdisziplinen Biologie, Chemie und Physik. We have friends in other fields – in biology, for instance. We physicists often look at them and say, ,You know the reason you fellows are making so little progress?‘ (Actually I don’t know any field where they are making more rapid progress than they are in biology today.) ,You should use more mathematics, like we do.‘ They could answer us – but they’re polite, so I’ll answer for them: ,What you should do in order for us to make more rapid progress is to make the electron microscope 100 times better.‘

67

Die beiden Naturwissenschaften Physik und Biologie stehen als benachbarte Felder eher neben- als in qualitativer Relation zueinander. Ausgehend von einer zunächst unscharfen Relation werden aber zwei unterschiedliche Abhängigkeitsverhältnisse modelliert, wobei am Schluss eine Hierarchisierung zugunsten der Erkenntnisleistung der Physik stattfindet. Das Verhältnis zwischen Biologie und Physik wird hierarchisiert, wenn Fortschritte in der Physik als hypothetische Voraussetzung für Erkenntnisfortschritte der Biologie eingefordert werden. Obwohl ein fiktiver Dialog zwischen Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen den Biologen großzügig ungebremste Erkenntnisgewinne zugesteht, wird doch die Relation dahingehend fixiert, dass bezüglich der epistemologischen Grundvoraussetzungen der Disziplinen ein hierarchisches Verhältnis entsteht. „‚What you should do in order to us to make more rapid progress is to make the electron microscope 100 times better‘“68, antworten die Biologen den Physikern, die ihnen zuvor angeraten hatten, für ihre Forschungen doch mehr Mathematik zu benutzen, um ihren Fortschritt zu beschleunigen („rapid progress“). Wenn die Physik für die Biologie die apparatetechnischen Voraussetzungen bereitstellt, um deren fundamentalen Fragen zu lösen, wird ein primär technisch klassifizierter Machbarkeitsfortschritt implizit durch die Physik ‚regiert‘. Das neue, physikalische Forschungsfeld der Physik, siehe Titel, erhebt einen geräuschvoll formulierten, gerätetechnisch gerechtfertigten Hegemonialanspruch über das, was an wissenschaftlichem Fortschritt in der Biologie (und Chemie) und vielleicht überhaupt und sowieso in allen Wissenschaften jemals möglich ist. Wenn die Physik die gerätetechnischen Voraussetzungen schafft, um grundlegende Fragen der Biologie zu lösen, entsteht damit die epistemologische Dominanz

 67 FEYNMAN 1960 [1959], 24. 68 FEYNMAN 1960 [1959], 24.

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einer Fachdisziplin über eine andere. Darüber hinaus definiert der Physiker Feynman nebenbei noch für die Biologen die Forschungsfragen: „What are the most central and fundamental problems of biology today?“69 Die drängendsten Fragen werden wie ein abschließender Fragenkatalog aufgezählt, wobei sich offenbar vor allem die Frage nach dem Raum bzw. dem Ort stellt: wo sich innerhalb der DNA etwas befindet und wie diese Struktur räumlich arrangiert ist, wo die Proteine sitzen, wo das Chlorophyll ist. Die Aufzählung der relevanten Forschungsfragen der Biologie wird kombiniert mit einer Methodenfeststellung: Biologen haben als Forschungsmethode vor allem das ‚Hinsehen‘, die visuelle Evidenz, wenn sie etwas erforschen. Gesichert wird damit performativ die epistemologische Dominanz der Physik über die Biologie sowie die Dominanz der Raumfrage: Die Physiker wissen, was sie tun, wenn sie neue Instrumente bauen, sie haben bereits ein Wissen über den Gegenstandsbereich, bevor sie dorthin gelangen, die Gesetze der Physik gelten raumuniversal, also überall. Die Biologen aber wissen nichts von ihrem Gegenstandsbereich, solange sie nichts sehen können, und sie müssen vor allem sehen, wo etwas ist. Der Erkenntnisfortschritt der Biologie wird an die von der Physik entwickelten neuen Sichtbarkeitsinstrumente gebunden, durch die der weitergehende Einblick in biologische Strukturen ermöglicht wird. Dadurch wird wiederum die Einheit der Wissenschaftsdisziplinen gewährleistet, weil es einen Bezug auf einen gemeinsamen Raum gibt, in dem sich die Erkenntnisobjekte der Wissenschaften konstitutieren. Die Dominanz der Raumerschließung durch die Physik wird offensiv behauptet und erstreckt sich auf Biologie und Chemie. The problems of chemistry and biology can be greatly helped if our ability to see what we are doing, and to do things on an atomic level, is ultimately developed – a development which I 70

think cannot be avoided.

Obwohl sowohl Physik als auch Biologie und Chemie mit je unterschiedlichen disziplinären Logiken auf denselben verkleinerten Raum ihrer Erkenntnisobjekte zugreifen, wird die Fähigkeit, Dinge auf dem Level der Atome zu sehen und zu tun, „to see [...] and to do things on an atomic level“, der Physik zugeschrieben. Sie avanciert zum notwendigen technischen Helfer, um die Probleme der Biologie und der Chemie zu lösen und gewinnt daraus in Abgrenzung zu den beiden anderen Disziplinen einen hervorragenden technisch-instrumentellen Charakter. Diese Entwicklung wird als unvermeidlich dargestellt, so dass die Dominanz der Physik über die Nachbardisziplinen festgeschrieben wird. Dass die anderen Wissenschaftsdisziplinen ihrerseits Erkenntnisse an die Hand liefern, um den verkleinerten Raum zu

 69 FEYNMAN 1960 [1959], 24. 70 FEYNMAN 1960 [1959], 36.

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erschließen und bereits ein Wissen über den atomaren Raum haben, erscheint im gleichen Atemzug als nachgeordnet und sekundär, denn die Physik ist der Chemie übergeordnet, weil ihre Basis durch die theoretische Physik abgesichert ist. The theory of chemical processes today is based on theoretical physics. In this sense, physics supplies the foundation of chemistry. But chemistry also has analysis. [...] But if the physicists wanted to, they could also dig under the chemists in the problem of chemical analysis. It would be very easy to make an analysis of any complicated chemical substance; all one would have to do would be to look at it and see where the atoms are.

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Sowohl Biologie als auch Chemie werden dargestellt, als seien sie hinsichtlich ihrer Forschungsbereiche an einer physikalisch definierten Raumfrage interessiert. Ein vorgängiges chemisches Wissen, das nicht physikalisch erklärt werden muss, ist im Text nur marginal erkennbar, wenn ein mögliches physikalisches Rearrangement der Atome chemisch eingeschränkt wird („you can’t put them so that they’re chemically unstable“). Gleichzeitig wird Chemikern ein zufälliges, intransparentes, nahezu beliebiges Vorgehen bescheinigt; die Ausdrücke lauten „fiddle around“, „mysterious“, dem das rationale und kontrollierte physikalische Vorgehen überlegen ist. Feynman scheut nicht davor zurück, auszuführen, dass der Fortschritt, wie er ihn sich vorstellt, Praktiken chemischer Synthese auf lange Sicht komplett ‚erledigt‘. The chemist does a mysterious thing when he wants to make a molecule. He sees that it has got that ring, so he mixes this and that, and he shakes it, and he fiddles around. And, at the end of a difficult process, he usually does succeed in synthesizing what he wants. By the time I get my devices working, so that we can do it by physics, he will have figured out how to synthesize absolutely anything, so that this (sc. doing a mysterious thing, fiddle around, mixing this and that; FN) will really be useless.

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Der Text beheimatet eine seltsame Mischung aus wissenschaftlicher Seriösität und Unseriösität, verlässt vielleicht gerade aus diesem Grund den rein akademischen Zusammenhang. Bezogen auf die Computerentwicklung könnte man in einer weichen Interpretation die Ausführungen so wiedergeben: Wenn Computer in der Zukunft aus Millionen Teilen bestehen, werden diese viel kleiner sein, so dass sich insgesamt die Computergröße reduziert. Dadurch können sie die Fähigkeit bekommen, Entscheidungen zu treffen.

 71 FEYNMAN 1960 [1959], 28. 72 FEYNMAN 1960 [1959], 36.

192 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL [T]he possibilities of computers are very interesting - if they could be made to be more complicated by several orders of magnitude. If they had millions of times as many elements, they could make judgments. They would have time to calculate what is the best way to make the calculation that they are about to make.

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Damit wird ein Zusammenhang zwischen der Größe des Computers und der Prozessorgeschwindigkeit hergestellt, der zum freien Urteil führt. Dazu wird das menschliche Gehirn als Computer metaphorisiert. This little computer I carry in my head is easily able to do that (recognizing the difference between a man and an apple, FN). The computers that we build are not able to do that. The number of elements in this bone box of mine are enormously greater than the number of elements in our ‚wonderful‘ computers. But our mechanical computers are too big; the elements in this box are microscopic. I want ot make some that are submicroscopic.

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Die Logik: Ein verkleinerter, komplexerer Computer kann, siehe menschliches Gehirn, schneller und sozusagen freier arbeiten, die Schnelligkeit in Kombination mit einer Komplexitätssteigerung der Bauweise ermöglicht eine Urteilsfähigkeit. Damit werden Zukunftscomputer aus Millionen kleinster Einzelteile unabhängig von der Programmierung durch menschliche Forscher. „They could select the method of analysis which, from their experience, is better than the one that we would give to them.“75 Computern, technischen Geräten, wird zugesprochen, aufgrund quantitativer Steigerung von Einzelelementen und komplexerer Bauweise ein qualitatives Urteilsvermögen erlangen zu können: „they could make judgments“. Feynman redet nicht von Programmierung, sondern von Bauweise. Darüber hinaus wird es als fraglos dargestellt, dass Maschinen Erfahrungen haben werden, „from their experience“, aufgrund derer sie Entscheidungen über wissenschaftliche Vorgehensweisen treffen werden, „select the method of analysis“, die sich unter Umständen sogar gegen Analysemethoden richten wird, die ihnen von einem ominösen „we“ menschlicher Forscher vorgegeben werden. Die unseriöse Vision, dass Maschinen unabhängig von Forschern ‚frei‘ über die Wahl wissenschaftlicher Analysemethoden entscheiden können, steht im Kontrast zu der seriösen Forscherfigur, die sie äußert, sie erscheint als naives Wunschdenken, das an einem geselligen Abend mit Fachkollegen aber offenbar durchaus der Erheiterung und Erbauung gedient hat.76

 73 FEYNMAN 1960 [1959], 25. 74 FEYNMAN 1960 [1959], 25. 75 FEYNMAN 1960 [1959], 25. 76 Feynman redet nicht von Algorithmen oder machine learning. – Diese als ungebrochen positive Vision dargestellte Idee wird von Science Fiction Filmen problematisiert. In

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Als reziproke Stabilisierung der Wissenschaftlichkeit erweist sich, dass sich der Physiker in spekulativer Manier über die Wirtschaftlichkeit der Miniaturisierung des Computers auslässt. Die Abschätzung ökonomischer Dimensionen fällt nicht in seine Kompetenz und vernachlässigt komplexe Zusammenhänge zwischen Nachfrage, Preisbildung oder Rohstofffragen. Es erscheint naiv, dass allein deshalb die Kosten für Computer (für wen auch immer) sinken, wenn weniger Material verbraucht wird, insbesondere im skizzierten Zeitraum „in the great future“.77 Eine an Unseriösität grenzende Spekulation liegt auch vor, wenn die Funktionsweise von Computern in einer Konvergenzlinie zum menschlichen Denkvermögen bzw. Gehirn steht. Auch wenn sich Feynman zurecht zu den Experten rechnet, die sich mit der logischen Theorie von Computern beschäftigt haben, klingt die fraglose Extrapolation einer autonomen Funktionsfähigkeit in einer vagen Zukunft euphorisch und naiv und aus heutiger Sicht gefährlich. Spekulationen dieser Art, die man als unwissenschaftlich und unseriös bezeichnen kann, festigen umgekehrt den Status der Wissenschaftlichkeit der echten Disziplinen, von deren Tätigkeiten im Text die Rede ist, als nette gesellschaftliche, außerwissenschaftliche Rahmung dessen, was von Chemie, Biologie und Physik erforscht und ermöglicht wird. Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanopartikel – Nanobiotechnologie Weder wird auf den Nanometer als skaliertem Größenbereich verwiesen noch kommt das Wort Nanotechnologie in der Rede vor, stattdessen taucht sechs Mal die Größeneinheit Angström auf. Wieso geht es um den Nanotechnologiediskurs? Zunächst ist bemerkenswert, dass der Text zwar von Angström redet, als Längenmaß jedoch nicht auf den europäischen Meter, sondern auf die amerikanische Längeneinheit Inch rekurriert. Es gibt keine einheitliche Skalenverwendung, eine wissenschaftliche Skala wird neben einer alltagspraktischen (amerikanationalen) verwendet. Die Referenzgröße Inch stellt den in der Rede anvisierten Referenzraum in ein Verhältnis zur Alltagsgrößenordnung und macht damit gewissermaßen evident, wie

 „Alien“ (1979) verantwortet ein Roboter die Wissenschaft an Bord des Raumschiffs. Sein Computergehirn macht sich sofort autonom von menschlichen Befehlen, die Anweisungen des weiblichen Befehlshabers werden aktiv ignoriert, als er einen mit einem „Alien“ verunfallten Astronauten entgegen aller Vorsicht ohne Quarantäne an Bord holt, um wissenschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen und weil die Forschungsmission einen potentiellen ökonomischen Nutzen sichern soll. 77 FEYNMAN 1960 [1959], 34.

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klein dieser ist und von welcher Größenordnung der Text handelt.78 Wird der Zusammenhang zum Nanotechnologie-Diskurs über die ‚technowissenschaftlichen‘ Raumskripte skizziert, die mit den Fachdisziplinen einhergehen, kann gezeigt werden, wie es möglich wird, dass der Text den Diskurs mit generieren kann, ohne ausgesprochen von Nanotechnologie zu handeln. Die mathematisch dominierte Physik liefert eine top-down Miniaturisierungsfolie technowissenschaftlichen Handelns. Die Biologie in Kombination mit der Chemie liefert dagegen die Vorstellung eines generierenden technowissenschaftlichen Handelns, wobei kontrollierte bottom-up Generierungen von Dingen, Prozessen, Materie, Leben möglich erscheinen. Der Text begründet so in Kombination mit dem Vorgehen von konkret benannten Wissenschaftsdisziplinen eine Systematik technowissenschaftlicher Raumerschließung, wobei das Raumskript des Top–Down zunächst über das Bottom–Up Raumskript dominiert. Das Raumskript der Partikularität spielt nur eine nachgeordnete Rolle. Die Konstitutionsleistung für den Nanotechnologiediskurs beruht auf der Voraussetzung, dass drei etablierten Einzeldisziplinen Aufgaben, Gegenstandsbereiche und Kompetenzen zugewiesen werden, die durch einen gemeinsamen Objektbereich und des weiteren durch Querschnittsdisziplinen oder vereinheitlichende Disziplinen zusammengehalten werden. Wichtig sind die Raumskripte, die mit der Forschungstätigkeit von Fachdisziplinen semantisch verbunden werden. Vor allem die Raumskripte des Top-Down und Bottom-Up begründen hier die systematische Perspektive wissenschaftlich-technischer Raumerschließung. Die mathematisch dominierte Physik liefert zunächst die top-down Miniaturisierungsfolie technowissenschaftlichen Handelns. Das vorgeschlagene neue Feld der Physik „the problem of manipulating and controlling things on a small scale“79 wird im Rahmen einer technisch-materialen Verkleinerungsperspektive zugänglich gemacht. Die technisch-materielle Perspektive der Machbarkeit wird als „this business of making things very small“80 bezeichnet. Ein Erkenntnisfortschritt wird technischmateriell erzielt. Es geht um ein Feld, das aufgrund einer ‚umgekehrten‘ Quantifizierung, d.h. durch Miniaturisierung gewissermaßen in den Grenzen von bereits gewonnenen Erkenntnissen und des bekannten Wissens erschlossen wird. Sobald erschlossen und erfolgreich, hat die Miniaturisierung aufgrund ihrer Anwendbarkeit im Alltagsleben sozusagen gigantische Ausmaße, wie das Beispiel der Verkleine-

 78 Die Traditionen der physikalischen Größenbenennung werden nicht sofort mit Einführung einer internationalen Skala „Systéme international d’unités“ im Jahre 1960 abgebrochen, die Bezeichnung Angström für materielle Strukturen im Nanometerbereich zunächst fortgeführt. SCHUMMER 2009, 28. Allerdings bleibt unklar, warum sich Feynman vor Fachkollegen auf ‚Inch‘ bezieht (statt auf den Meter), vgl. WILLIAMS 2014. 79 FEYNMAN 1960 [1959], 22. 80 FEYNMAN 1960 [1959], 25.

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rung der Bibliotheken zeigt. Es geht um eine technisch induzierte Miniaturisierung, die einen neuen Wissensbereich innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin selbst schafft, das Feld wird über eine Perspektive der Verkleinerung erschlossen (über eine alltagspraktische Anwendbarkeit bebildert), die von der Wissenschaftsdisziplin in Forschungstätigkeit umgesetzt wird. Oben wurde bereits gesagt, dass auch die Biologie sowie die Chemie als Erkenntnistätigkeiten definiert werden, die sich auf ‚verkleinerte Strukturen‘ richten, d. h. auf einen genaueren weil in sich stärker ausdifferenzierten skalierten Phänomenbereich zugreifen. Die Raumskala dient als Stabilitätsgarant für Biologie, Physik und Chemie: der gleiche metrisch skalierte Raum soll sowohl biologisch als auch physikalisch und chemisch erschlossen werden, drei unterschiedlich agierende und praktizierende stabile Wissenschaften, die mit einheitlicher Logik („within reason“81) auf einen einheitlichen Objektbereich präzisierbarer Gegenständlichkeit zugreifen. Die Disziplinen konvergieren in einem einheitlichen, miniaturisierten und präzisierten Raum. Die Verkleinerungsperspektive ist einerseits ein „business of making things very small“82, also sozusagen „business as usual“. Andererseits gibt es soviel qualitativ neuartige Erkenntnis, dass Erkenntnisfortschritte in diesem Bereich einen Führungsanspruch von Wissenschaftlerinnen innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin begründen können.83 Die Vision der Erreichbarkeit des Raumes ganz unten wird als Entwicklung von technischen Apparaturen vorgestellt, es sind Laborgeräte, die verbessert werden müssen, und es ist die Aufgabe von Physikerinnen, das Elektronenmikroskop hundertfach zu verbessern, so dass man Atome sehen kann. The electron microscope is not quite good enough, with the greatest care and effort, it can only resolve about 10 angstroms. I would like to try and impress upon you while I am talking about all of these things on a small scale, the importance of improving the electron microscope by a hundred times. It is not impossible; it is not against the laws of diffraction of the electron. The wave length of the electron in such a microcope is only 1/20 of an angstrom. So it should be possible to see the individual atoms. What good would it be to see individual atoms distinctly?

84

 81 FEYNMAN 1960 [1959], 34. 82 FEYNMAN 1960 [1959], 25. 83 Neben der Kollektivsymbolik der „frontier“ führt die Entdeckung eines neuen Gebietes in den politischen, wirtschaftlichen und historischen Zusammenhang. Der Text verschaltet die männlichen Figuren des kapitalistischen Monopolisten, des politischen Anführers sowie die Figur des Abenteurers und Eroberers: „Such a man is then a leader and has some temporary monopoly in a scientific adventure.“ FEYNMAN 1960 [1959], 22. 84 FEYNMAN 1960 [1959], 24.

196 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

Für ein neues Forschungsfeld der Physik wird eine dynamische Raumkategorie Miniaturisierung gesetzt, die radikalisiert wird. Wissenschaftliche Entwicklung ist fraglos vorausgesetzt, sie erfolgt durch die Radikalisierung des Zugriffs auf einen mathematisch geordneten Raumkosmos mit etablierten Wissenschaftsdisziplinen. Mit dieser Miniaturisierung wird der Raum zum wissenschaftlichen Programm und damit sozusagen zum Verb gemacht. Die Fortschritte in der Entwicklung besserer Elektronenmikroskope werden nicht an die Entwicklung im Bereich der Computer gebunden, es gibt keine Verbindung von Computerverbesserung und physikalischer Erforschung des Raumes ganz unten. Die Entwicklung von Computer läuft nur darauf hinaus, dass sie kleiner werden und denken und Entscheidungen treffen können. Computer erscheinen als technische Hilfsmittel, deren über Kalkulations-, Formalisierungs- und Wissensspeicherfunktionen hinaus gehender potentieller Nutzen noch (?) nicht wirklich klar ist. Von daher unternimmt der Text nur einen anthropomorphen Ausgriff, der auf die Denkfähigkeit der Geräte in der Zukunft abzielt und einen Bezug zum Diskurs der so genannten Künstlichen Intelligenz (KI) herstellt.85 Im Vergleich zu heutigen simulativen Forschungspraktiken lässt sich feststellen, dass es nicht (und noch nicht einmal noch nicht) die Computer sind, die den Einblick in das neue Forschungsfeld eröffnen.86 Mit den von der Physik bereitgestellten und entwickelten verbesserten Elektronenmikroskopen kann in der Biologie einfach „die Sache angesehen“ werden, Computer werden nicht als Sichtbarkeitsinstrumente angesehen, die errechnete Wahrscheinlichkeiten in Bilder umrechnen. It is very easy to answer many of these fundamental biological questions: you just look at the thing! You will see the order of bases in the chain; you will see the structure of the microsome.

87

Wenn sich befreundete Wissenschaftsdisziplinen über eine gemeinsame Logik letztlich gegenseitig helfen, geschieht das nicht nur im Unterschied zur Weltraumforschung. Das dynamische Raumprinzip der Selbstorganisation, das aus der Biologie bekannt ist, wird in einem gemeinsamen Objektraum in das ingenieurwissenschaftlich aufgefasste physikalische Denken übertragen, was als „Inspiration“ bezeichnet wird: „I am, as I said, inspired by the biological phenomena in which chemical forces are used in repetitious fashion to produce all kinds of weird effects (one of which is the author).“88 Die Biologie inspiriert, weil sie es mit einem Phänomenbereich vielfältiger und komplexer Kreationsprozesse zu tun hat, die alle bottom-up

 85 Dieser Zusammenhang kann hier nicht weiter diskutiert werden. 86 LENHARD 2015, samt Diskussion des „Leonardo-Bacon-Galilei-Programms“ (183f). 87 FEYNMAN 1960 [1959], 24. 88 FEYNMAN 1960 [1959], 36.

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ablaufen. An den Endpunkten der Bottom-Up-Kreationsprozesse, bei denen chemische Kräfte wiederholt genutzt werden, stehen „weird effects“, „seltsame Effekte“. Hochgradig komplexe und individualisierte Lebensphänomene wie beispielsweise Feynman als Person werden als komplexe Endprodukte eines biologisch-chemisch beschriebenen Prozesses beschrieben. Diese wissenschaftlich (noch) unverstandenen und daher unkontrollierten Phänomene der Selbstorganisation führen mitten in den Diskursbereich der Nanobiotechnologie. Die Biologie liefert in Kombination mit der Chemie die Vorstellung eines generierenden technowissenschaftlichen Handelns, das der Physik ein bottom-up Generieren von Dingen, Prozessen, Materie, Leben vormacht. Der Referenzraum ist „the bottom“, eine schmucklose Bezeichnung für den Referenzbereich von Biologie, Physik, Chemie, der als Boden, als das Unten dessen, was als Objektbereich für die physikalische Forschung vorhanden und als „staggeringly small world“89 gleichsam einfach so zur Verfügung steht. Die Faszination für die Einsicht der Biologie in kreative bzw. generierende Kräfte beschreibt diese Prozesse als mechanische, Zellen werden aufgefasst als kleine biologische Maschinen, die etwas hervorbringen, weil sie ein Informationsprogramm in sich tragen. Insofern ist das Raumskript des Bottom-Up ein Kernbestandteil der Funktionsweise des Objektbereichs der Wissenschaftsdisziplin Biologie. So there is plenty of room at the bottom! [...] This fact – that enormous amounts of information can be carried in an exceedingly small space – is, of course, well known to the biologists, and resolves the mystery which existed before we understood all this clearly, of how it could be that, in the tiniest cell, all of the information for the organization of a complex creature such as ourselves can be stored. All this information – whether we have brown eyes, or whether we think at all, or that in the embryo the jawbone should first develop with a little hole in the side so that later a nerve can grow through it – all this information is contained in a very tiny fraction of the cell in the form of long-chain DNA molecules in which approxi90

mately 50 atoms are used for one bit of information about the cell.

Die Biologie kennt das Programm des Bottom-Up als universales Funktionsprinzip ihrer Objekte und erforscht es unter anderem als Forschungsgegenstand. Am Ende von biologisch beschreibbaren Produktionsprozessen entstehen aus chemischen Kräften komplexe biologische Organismen. Das, was Physiker tun, soll auf lange Sicht eine kontrollierte Version dessen sein oder werden, was biologisch sozusagen von alleine abläuft. An dieser Textstelle wird der Terminus Biologie nicht mehr als Bezeichnung einer wissenschaftlichen Disziplin gebraucht, sondern als Synonym

 89 FEYNMAN 1960 [1959], 22. 90 FEYNMAN 1960 [1959], 24.

198 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

für ihren Gegenstandsbereich, das heißt für ‚Natur‘. Es ist nicht mehr die wissenschaftliche Disziplin gemeint, die mit Zellen und biologischen Systemen arbeitet. Biology is not simply writing information; it is doing something about it. A biological system can be exceedingly small. Many of the cells are very tiny, but they are very active; they manufacture various substances; they walk around; they wiggle; and they do all kinds of marvelous things – all on a very small scale. Also, they store information. Consider the possibility that we too can make a thing very small which does what we want – that we can manufacture an object that maneuvers at that level!

91

Biologie als Einheit von Gegenstandsbereich und Wissenschaft wird als bottom-up Generierungsmaschinerie für Lebewesen angesehen, die der Physik zwar als Vorbild und ‚Inspiration‘ dient, aber von ihr übertroffen wird. Wenn physikalische Manipulationsmöglichkeit „atom by atom“ erreicht sein wird, werden nicht nur biologisch vorgegebene Prozesse erklärbar sein, sondern gesteuerte Aufbauprozesse von Dingen ermöglicht. Über Aufbauprozesse von Lebewesen äußert sich der Text an dieser Stelle nicht. Zum Schluss komme ich zum Diskursbereich der Nanopartikel, der bisher vernachlässigt wurde. An einer Stelle geht es um die Überlegung von Albert R. Hibbs bezüglich der Möglichkeit, dass der Patient den Chirurgen verschluckt. [A] very interesting possibility for relatively small machines. He says that, although it is a very wild idea, it would be interesting in surgery if you could swallow the surgeon. You put the mechanical surgeon inside the blood vessel and it goes into the heart and ‚looks‘ around. (Of course the information has to be fed out.) It finds out which valve is the faulty one and takes a little knife and slices it out. Other small machines might be permanently incorporated 92

in the body to assist some inadequately-functioning organ.

Es geht zwar nicht um einzelne Nanopartikel, die etwas im menschlichen Körper anrichten oder bewirken, wohl aber explizit um organisierte, kontrollierte Miniaturmaschinen, die medizinisch im Körperraum arbeiten und heilend eingreifen können. Miniaturisierte Arztmaschinen, in Prey als zivile Nutzung im Video beworben, kommen zunächst als Einzelmaschine vor, insofern könnte man sagen, es handele sich um den Diskursbereich der Nanotechnik und das Raumskript Top-Down: Es findet eine Verkleinerung von Technik statt, ein vereinzeltes, technisch komplexes chirurgisches Instrument kann in den menschlichen Körper eingebracht werden und Reparaturarbeiten vornehmen, es wird einmalig verschluckt und landet zuletzt un-

 91 FEYNMAN 1960 [1959], 25. 92 FEYNMAN 1960 [1959], 30.

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verdaut im Blutkreislauf.93 Das Instrument schmiegt sich in den Körperinnenraum ein und wird nicht mehr von außen als Eindringling eingeführt. Der Körper bleibt gewissermaßen unversehrt, die Tätigkeit wird weder von Abwehrreaktionen des Immunsystems gestört, noch verursacht das Instrument einen ungewollten Effekt. Es handelt sich um ein technisches Ding, um eine personalisierte Minimaschine, einen Miniaturchirurg, und nicht um eine Pille, die eine chemische Reaktion verursacht. Aber im zweiten Teil des Beispiels kommen die Maschinchen in größerer Anzahl vor, man könnte sagen, sie müssen es aus raumlogischen Gründen, weil sie aufgrund ihrer Kleinheit nur jeweils an einer winzigen Stelle lokal ansetzen können. Nanopartikel und das Raumskript der Streuung kommen ins Spiel, weil von einer verteilten mechanistischen Wirksamkeit kleinster Einheiten die Rede ist. Für die Behandlung eines erkrankten Organs oder zur dauerhaften Unterstützung können mehrere Minimaschinen nötig sein. Allerdings kann man diesen Bezug nur mit Vorbehalt herstellen, da die mechanistische Wirksamkeit auf dem ‚Maschinensein‘ beruht und nicht auf einer Wirksamkeit, die auf der Verteilung einer materiellen Vielzahl von Kleinstteilchen besteht, die mit einer organischen oder anorganischen Umgebung interagieren.

 93 Das Problem der Verdauung wird nicht reflektiert, vielleicht wäre statt des Schluckens eher, wie bei Prey, eine Spritze angeraten.



2. Nano-Imprägnierspray (2004 bis 2010/2011) Pragmatischer (Rede)Kontext Bundesweit gibt es in Schuhläden und Schuhladen-Ketten Imprägniersprays zu kaufen, deren diskursive Einbindung in die Nanotechnologie komplex und nicht selbstverständlich ist. Die industriell standardisierten Produkte werden für einen Alltagspraxiszusammenhang hergestellt, mit ihrer Hilfe soll die Schutzfunktion von Bekleidung und Schuhen verbessert werden.1 Es gab eine Zeit, da hatten Imprägniersprays einen sehr schlechten Ruf: In den Jahren 1979 bis 1983 registrierten die deutschen Giftinformationszentren mehr als 220 akute Vergiftungsfälle. Benutzer von Ledersprays klagten über Atemnot, Hustenreiz, Übelkeit und Erbrechen, Schwindel- und Benommenheitsgefühle. Ärzte stellten Lungenentzündungen und Lungenschwellungen fest. Schließlich warnte das damalige Bundesgesundheitsamt vor Ledersprays. Sieben Produkte von verschiedenen Herstellern verschwanden danach vom Markt, und ein Warntext auf den Dosen wurde vorgeschrieben. [...] Die Risiken der komfortablen Spraydosen liegen in der ‚Lungenbelastung‘ der Sprühnebel, die abhängig ist von der Partikelgröße, 2

der Dauer der Einwirkung und der Konzentration in der Atemluft.

Das Produkt mit dem Namen „NANO Nässe Blocker“ hat im Dezember 2004 ein TÜV-Siegel erhalten und wurde mit Nachfolgeprodukten und in Neuauflagen von der Firma Deichmann bis September 2010 vertrieben.3 Die zylinderförmige Sprühdose misst samt Deckel etwa 20 cm in der Höhe, der Durchmesser liegt bei etwa

 1

Die beste Übersicht über mehr als 1800 nanotechnologischen Produkte weltweit behauptet seit 2005 das Consumer Products Inventory CPI (seit 2006 online) des vom US-Kongress finanzierten Woodrow Wilson Centers zu geben, inklusive Angabe von Auswahlkriterien, Geschichte und Suchfunktionen. Die Zusammenstellung im CPI basiert auch auf Crowdsourcing. Nanotechproject.org/cpi/, acc. 160228. Das deutsche Umweltbundesamt setzt sich für eine europäische Liste ein, VANCE et al. 2015. Zum politischen Hintergrund von WWC und CPI SCHWARZ 2008, 89f.

2

Stiftung Warentest, test 11/2004, 77-79, hier 77.

3

Die alte Ausgabe des Sprays ist mit Abbildung bei Kehrt zitiert, der sich nicht für Geschichte und Nanotechnologie des Produkts interessiert, KEHRT 2016, 187. – Die in Familienbesitz befindliche Deichmann-Gruppe ist 2016 „Europas größter Schuheinzelhändler“ mit 36150 Mitarbeitern in 24 Ländern. Corpsite.deichmann.com/unternehmen/expans ion/international/, acc. 160228. Das Unternehmen trägt nationalitätsangepasste Namen, ist in der Schweiz unter dem Firmennamen „Ochsner Shoes“ vertreten (Abb. 4.d).

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fünf Zentimetern. Das Design ist Verkauf und Verpackung untergeordnet, normierte Kartongrößen müssen in Lastwagen und Lagerräume passen sowie im Laden für Endkunden angeboten werden; die Abmessungen unterliegen einem industriellen Fertigungs- und Vertriebszusammenhang und Standards (DIN-Maßen). Imprägniersprays werden als kommerzielle Güter in großer Anzahl hergestellt und international verkauft (Abb. 4.c und 4.d), sie unterliegen deutschen, europäischen, amerikanischen und russischen Gesetzen.4 Die Aufschrift und die Textbestandteile auf den Dosen dienen sprachfunktional gesehen verschiedenen Zwecken, sowohl der praktischen Verwendung des Sprays in Verkauf und Anwendung, als auch bei Transport und Entsorgung. Als gesetzlich vorgeschriebene Produktkennzeichnung ist ein Teil des Aufdrucks in einen juristischen Diskurs eingebunden, der wiederum mit einem medizinischen und einem politischen Diskurs zusammenhängt und über die Verkäuflichkeit der Produkte entscheidet.5 Der Industrieverband Putz- und Pflegemittel verabschiedete 1987 eine später aktualisierte Technische Empfehlung zu Testmethoden der Wirkstoffe in Sprays. Seit 1985 sind keine gra6

vierenden Gesundheitsstörungen durch Imprägniersprays mehr bekannt geworden.

Im Hinblick auf eine techniktheoretische Fragestellung kann man Imprägniersprays mit Latour als Akteur-Netzwerk oder technisches Ensemble bezeichnen: Ein Spray, das durch eine Düse Wirkstoffe herausschleudert, die sich bestimmungsgemäß verteilen, funktioniert aufgrund der Leistungen von Industrie und Wissenschaft und kombiniert Dose, Pumpvorrichtung und Bediener. Das Spray bildet eine technische Einheit, seien die Spraydosen mit Treibmittel oder mit mechanischer Pumpvorrichtung versehen, sie sind keine Maschinen, aber erzielen als ‚funktionales Ding‘ einen wiederholbaren, technischen Effekt. Käufer von Imprägniersprays kaufen ein Zusatzprodukt, das eine längere Haltbarkeit und eine verbesserte Qualität des Materials eines neuen oder vorhandenen Schuhs, Bekleidung oder anderer der Witterung ausgesetzter Güter gewährleisten soll. Halt- und Strapazierfähigkeit, wie das Wasserabweisen, sollen erhöht, der Nutzen verbessert, die Nutzungsdauer verlängert

 4

Um einige Vertriebsländer der Deichmann-Gruppe zu nennen.

5

Im Hinblick auf die Produktbezeichnung Nanotechnologie herrscht 2016 Rechtsfreiheit. „Für den Einsatz von Nanomaterialien besteht in Deutschland bzw. in anderen Mitgliedsstaaten der EU bzw. auf europäischer Ebene keine Kennzeichnungspflicht. Erkennbar ist der Einsatz von Nanotechnologie nur, wenn der Hersteller speziell mit der Verwendung von Nanotechnologie bzw. Nanomaterialien wirbt. Jedoch lässt sich allein aus den Werbeaussagen nicht ableiten, ob in einem Produkt tatsächlich Nanopartikel oder andere Nanomaterialien enthalten sind.“ FROMME et al. 2012, 24.

6

Stiftung Warentest, test 11/2004, 77-79, 77.

202 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

werden. Innerhalb des konkreten Verkaufszusammenhangs gibt es nur indirekte Konkurrenz zu Produkten anderer Hersteller, wie zum Beispiel Erdal oder Collonil7, weil im Kassenbereich der Deichmann-Läden nur Zusatz- und Pflegeprodukte der hauseigenen Produktion angeboten werden.

Abb. 4.a

Abb. 4.b

Abb. 4.c

Abb. 4.d

Abbildungen des Imprägniersprays, Detail TÜV-Siegel, nationale Variationen des Nachfolgeprodukts in silberfarbenem Dosendesign.

 7

Von Collonil Nanopro und Nano Complete: „In unserer NANO Serie kommt die hochmoderne Nanotechnologie zum Einsatz, die Produkten völlig neue Eigenschaften verleiht. Sie macht NANO zu einer extrem wasser- und schmutzabweisenden Lederpflege.“ collon il.com/de/product_type_nano/. Der 1867 gegründete deutsche Wachsfabrikant Werner & Mertz vermarktet europaweit in etwa zehn Ländern die Marke Erdal ohne Nanoprodukte, seit 1986 die Marke „Frosch“, ausgezeichnet als „Deutschlands nachhaltigste Marke“. Mit „Frosch“, in deutscher Schreibweise in Japan seit 2011 angeboten, präsentiert sich der Reinigungsmittelhersteller, der seit 2003 ein Umweltmanagement betreibt, als maximal umweltbewusst. erdal.de sowie werner-mertz.de/Ueber-W-und-M/Das-Unternehmen/ Vom Tochterunternehmen Erdal-Rex GmbH gibt es 2015 bionicdry, es beruht auf einer „bionischen Imprägnierformel“, wird für Outdoor-Spezialbekleidung als imprägnierendes Waschmittel verwendet, geeignet laut Werbung für Rucksäcke, Zelte und Markisen. werner-mertz.de/Ueber-W-und-M/bionicdry, alle acc. 160228.

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Deshalb unterliegt die Gestaltung der Dose nur mittelbar einem Distinktionsgebot. Das Design wurde im Laufe der Zeit von rot-grün-weiß zu silber verändert, ich finde allerdings das erste Dosendesign (Abb. 4.a, 4.b) interessanter als das spätere, in gewisser Hinsicht geglättete Silber-Design (Abb. 4.c, 4.d).8 Nach Einführung des „Nano Nässe Blockers“ wurde die Produktpalette der nanobasierten Imprägniersprays erweitert und mehrfach verändert: „Nano Vario Pflegeschaum“ für synthetische Materialien und Leder sollte vor Öl und Schmutz schützen, ein Spray für Sportschuhe „nano sport“, ein „nano intensiv Kinderspray“ mit einem Elefanten als Design. Imprägniersprays von Deichmann werden 2016 mit einheitlichem Dosendesign verkauft, das schick aussieht und als Produktpalette hinter der Kasse einen silberfarbenen Hintergrund bildet. Mittlerweile werden Produkte nicht mehr mit Nanotechnologie beworben oder in Verbindung gebracht, der Verkauf wurde im September 2010 firmenseits eingestellt, allerdings wurden die in den Filialen vorhandenen Produkte noch längere Zeit abverkauft. Das silberfarbene Design wurde für die Anschluss-Produkte „Nässe Blocker Hybrid“, „Schmutz Blocker“ sowie „hitec hybrid. Imprägnierender Pflegeschaum“ beibehalten.9 2004 lieferte Nanotechnologie ein Argument dafür, dass das Spray teurer war als andere Imprägniersprays derselben Produktklasse.10 Die Aufdrucke auf Sprühdose und Deckel des „Nano Nässe Blockers“ werden nun beschrieben und analysiert, und man kann zeigen, wie Textteile und Farbgebung die Oberfläche der Dose räumlich organisieren. Daraus lassen sich Haupt- und Nebenaussagen der Dosenaufschrift ableiten und interpretieren. Auf dem roten Deckel gibt es zwei Textbausteine in weißer Schrift, die sich gegenüber liegen. Diese Aufdrucke unterteilen ihn graphisch und flankieren die Hauptwerbeaussage. Dreht man den Deckel um die Längsachse, liegt fünfzeilig der

 8

Die Farbgebung Silber für die Imprägnierprodukte hat Deichmann bis heute (2016) durchgehalten, obwohl „Nanotechnologie“ von den Dosen verschwunden ist. Silber erlaubt Rückkopplungen von Figuren und Phänomenen aus der Popkulter (beispielsweise zur Comicfigur Silver Surfer) ebenso wie zur Esskultur (Silberbesteck, silberner Oberklassewagen) oder zum Sport (Silbermedaille, metallisch glänzende Sportgeräte), aber die Designthematik führt an dieser Stelle auf Schäffner zurück und das geht mir zu weit.

9

Das silberfarbene Design der zweiten Generation des Produkts wird beibehalten, bei unterschiedlicher Farbgebung für Deckel und Titel. Beim „Nässe Blocker Hybrid“ ist es rot, beim „Schmutz Blocker“ ist die zweite Farbe Gelb, der „hitec hybrid. Imprägnierender Pflegeschaum“ ist blaugrün. Die Produkte werden im digitalen Einkaufsladen für Herren und Damen beworben. deichmann.com/DE/de/shop/damen/damenpflege/00000001035 350/250*ml*Imprägnierspray*3*18*100*ml*.prod, acc. 160131.

10 Im Heft der Stiftung Warentest 11/2004 ist der Nano Nässe Blocker das teuerste Treibgasspray für Leder und Textilien (3,18  pro 100 ml).

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Satz: „Neu: Nano-Technologie schützt Leder und Textilien sicher vor Nässe und Schmutz“ (Abb. 4.a) dem TÜV-Siegel der „TÜV-Rheinland Group“, gegenüber, samt Internetadresse und der Auflistung von drei Produkteigenschaften: „Benutzergetestet“, „Anwendungsfreundlich“, „Imprägnierwirkung getestet“ (Abb. 4.b).11 Die Adjektive benennen Eigenschaften des Produktes und verweisen indirekt auf verschiedene Akteure.12 Das weiße Siegel und die weiße Schrift der Aufzählung sind graphisch verbunden, wodurch das piktorale Gütesiegel sprachlich ausformuliert und dessen Aussagekraft gesteigert wird; zusätzlich steht deutlich sichtbar über dem Firmenlogo vorne auf der Dose „Geprüfte Qualität“. Das TÜV-Siegel könnte auch Produkte anderer Firmen oder andere Produktklassen zieren, wird aber 2016 weder bei Erdal noch Collonil noch Deichmann verwendet. Es verweist darauf, dass es um ein technisches Produkt geht, dessen Verwendung zum Wohle der Nutzer überprüft wird.13 Der Technische Überwachungsverein TÜV ist eine Institution mit öffentlichem Auftrag, der vor allem Fahrzeuge, aber auch eine Vielzahl anderer technischer Gerätschaften und Prozesse, also auch Managementsysteme und Arbeitssicherheit, auf (technisch) einwandfreies Funktionieren im Hinblick auf geltendes Recht und technische Standards überprüft.14 Dies geschieht, um das gefahrlose Miteinander von technischen Nutzern und Nicht-Nutzern sowie der Umwelt zu gewährleisten. In Anlehnung an den Praxisbereich Sicherheitsüberprüfung von Kraftfahrzeugen, die in Deutschland alle zwei Jahre fällig ist und bei erfolgreichem Bestehen aller Sicherheitstests das Fahrzeug ‚über den TÜV kommen‘ lässt (die Eigentümer älterer Fahrzeuge hoffen auf die Erteilung der Plakette ohne teure Reparaturen), lautet der Wortlaut einer Pressemeldung vom Dezember 2004, bei der das Nanospray der Firma Deichmann als „Weltneuheit“ angekündigt wird: „Nanospray

 11 Der TÜV Rheinland konkurriert mit den Unternehmen TÜV Süd und TÜV Nord. 12 Das Adjektiv „Benutzergetestet“ verkürzt den Satz: „(Produkt ist vom) Benutzer getestet (worden und nicht von Experten und Laborentwicklern)“. Es steht am Anfang der Liste, spricht Kunden als Benutzer an und ‚gemeindet‘ sie ein in die Gruppe derer, die das Produkt getestet und für gut befunden haben; derselben Gruppe lässt sich das Adjektiv „anwendungsfreundlich“ zuschreiben. Die elliptische Formulierung mit dem prädikativen Urteil: „Imprägnierwirkung getestet“ verweist auf eine andere Gruppe von Akteuren. Diese Aussage macht nur bei einem positiven Testergebnis Sinn und wenn die Akteure als Tester zum TÜV gehören. 13 Dieser Standardaufdruck ist noch immer auf jeder Dose von Deichmann in der Nähe des Firmenlogos aufgedruckt. 14 Der TÜV begutachtet auch die Effizienz von Prozessen oder das „Lernen im digitalen Zeitalter“, Pressemeldung „TÜV Rheinland präsentiert Trends zum digitalen und mobilen Lernen“ 20.1.16 Köln, tuv.com/news/de/deutschland/ueber_uns/presse/meldungen/newsc ontentde_267971.html/LEARNTEC 2016:, acc. 160228.

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kommt über den TÜV. Imprägnierspray erhielt Prüfsiegel.“ (Anhang). Das TÜVSiegel liefert die Einbindung in und Verbindung zum Technikdiskurs, das Spray ist ein technisches Ding, dessen Nutzung überwacht und zertifiziert wird. Das technische Sein des Alltagsgegenstandes, der auf Knopfdruck wiederholbar eine schützende Partikelschicht freigibt, ist aber nicht absolut: es gibt neben der Kategorisierung Technik oder technisches Ding noch weitere Einordnungen, die indirekt aus der Pressemeldung hervorgehen, in der zwei Institutionen ins Spiel kommen. Es wird auf „umfangreiche Tests des Fraunhofer-Instituts“ verwiesen (es wird nicht gesagt, von welchem) sowie des niederländischen „TNO Nutrition and Food Research“-Instituts.15 Beide Institutionen haben „die gesundheitliche Unbedenklichkeit bestätigt“. Die Testergebnisse lassen sich auf der Website des großen niederländischen Unternehmens TNO nicht eruieren, allerdings gewinnt man den Eindruck, als kooperiere das TNO im Hinblick auf neue Technologien zum Wohle aller mit allen. Weitreichende Dienstleistungen für Industrie und öffentliche Institutionen geschehen 2016 unter dem Motto „Innovation for life“ auf nationaler und europäischer Ebene, unter anderem verantwortet das TNO die Sicherheitsforschung („Defense research“) der niederländischen Regierung.16 2010 lautete das Motto des Unternehmens „TNO – Knowledge for business“.17 Die Kategorisierung des Sprays als

 15 TNO ist die „Netherlands Organisation for Applied Scientific Research“, gegründet 1932, Hauptsitz Den Haag, 3000 Mitarbeiter in 2016 (2010: 4300 Mitarbeiter). 16 Die TNO wird auf der Website 2010 als „knowledge-company“ sowie im Dossier Nanotechnology als „scientific top institute“ bezeichnet, das technikwissenschaftliche Entwicklungen aktiv kundenorientiert begleitet und professionelle Lobbyarbeit bei regulatorischen Fragen anbietet: „To apply scientific knowledge with the aim of strengthening the innovative power of industry and government.“ Die TNO scheint kommunikativ ähnlich wie die Fraunhofer-Gesellschaft und ihre Institute zu funktionieren, insofern beide Institutionen einer öffentlichen Gründungsgeschichte entstammen und die Belange der Industrie in wissenschaftlicher Manier mit der Öffentlichkeit vermitteln. Obwohl die Ausgabe eines Prüfsiegels suggeriert, es handle sich bei der TNO um Technikfolgenabschätzung im Sinne von Normen- oder Richtlinienüberprüfung, versteht sich die TNO als Institution, die eine Technikfolgensteuerung anbietet unter Motto: „Helping to improve the way people and organizations function.“ tno.nl, acc. 100918. Auf der Website lautet 2016 die „Mission and strategy“ des Unternehmens: „TNO connects people and knowledge to create innovations that boost the competitive strength of industry and the well-being of society in a sustainable way.“ tno.nl/en/about-tno/mission-and-strategy/, acc. 160131. 17 Das Motto findet sich noch auf dem „Dossier Nanotechnology“ von 2010, in dem es um flexible Solarzellen und um drei EU-Projekte geht: zwei aus dem 6. Rahmenprogramm FP 6 NANOSH und AMBIO sowie aus dem FP 7 NANODEVICE. Im Dossier der Hinweis, dass das TNO im Jahr 2008 ebenso eng in die Entwicklung der Agenda für die

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technisches ‚Gerät‘ oder ‚Ding‘ wird durch die Prüfinstitution „Fraunhofer Institut“ zusätzlich bestätigt; gleichzeitig gerät das Nanospray über die Prüfinstitution „Nutrition and Food Research“ in einen körpergebundenen Konsumdiskurs. Getestet vom Ernährungs- und Nahrungsmittelforschungsinstitut und für unbedenklich befunden, heißt: falls das Spray versehentlich verschluckt wird, ist es ungiftig, da die für Lebensmittel geltenden Maßstäbe und Verfahren angewendet wurden. Dass das Prüfsiegel des TNO-Institutes im Hinblick auf nanotechnologische Produkte unter dem Schlagwort der ‚Vorläufigkeit‘ steht, geht aus dem Nanotechnologie-Dossier hervor. Below the 100 nm, we enter the world of nanoparticles. Our relative unfamiliarity with this world can be a problem for us in roughly two different ways. We can become so blinded by the opportunities that we lose sight of the risks involved; or we can become so blinded by the risks that we do not take advantage of the opportunities. The real challenge is to use nanotechnology safely as well as responsibly. TNO is busy finding out how.

18

Anders formuliert: Einerseits entwickelt das TNO mit Firmen nanotechnologische Materialien, andererseits werden unter dem Dach der gleichen Organisation toxikologische Testmethoden entwickelt und durchgeführt. So dient das TNO als Innovationsbegleiter für die Industrie und gleichzeitig als regulatorischer Dienstleister für die Gesetzgebung, die sich an seinen Empfehlungen und Forschungen orientiert.19 Bei dem in der Deichmann-Pressemitteilung erwähnten Prüfsiegel handelt es sich also um das Siegel einer Firma, die sich gleichzeitig mit der allgemeinen Sicherheit von nanotechnologischen Produkten beschäftigt, ohne dafür bereits Verfahren oder Methoden gefunden zu haben. 2004 ist ein nanotechnologisches Produkt auf dem

 „Netherlands Nano Initiative NNI“ involviert war wie 2009 in die „FES High Tech Systems & Materials programme“. Dossier im TU Delft Universitätsserver repository.tudelf t.nl/view/tno/uuid%3A121cdea4-8e5a-42be-b849-2e66179a28f1/, acc. 160131. 18 Abstract Nanotechnologie Dossier TNO von 2010: „At less than a hundred nano-meters, we find ourselves in the realm of nanoparticles, a fascinating and highly pro-mising world that is only just being discovered by man. This relative obscurity can trip us up [...] We could be so blinded by the possibilities that we fail to see the dangers or we could be so blinded by the dangers that we fail to exploit the opportunities. The challenge is to use nanotechnology safely and responsibly. TNO is investigating how.“, repository.tudelft.nl/ view/tno/uuid%3A121cdea4-8e5a-42be-b849-2e66179a28f1/acc. 160130. 19 „TNO is working with other scientific top institutes and consulting closely with industry and government towards sustainable product innovation in the field of nanomaterials with a focus on functionality and potential risks.“ TNO Dossier Nanotechnology 2010, 2, publications.tno.nl/publication/102443/CY8Ns1/Dossier_nanotechnology, acc. 160131.

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Markt, während noch nach Sicherheitsstandards gesucht wird, um dieses als sicher zu klassifizieren. Standards zur Überprüfung der Einatmungstoxizität von Nanopartikeln liefert die ISO erst zwischen 2011 und 2014.20 Erst Ende 2013 gibt die ISO eine „Anleitung“ („Guidance“) heraus zur freiwilligen Kennzeichnung von Konsumprodukten, die hergestellte Nano-Objekte enthalten.21 Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre Schuhsprays müssen im technischen Produktions-, Verkaufs- und Entsorgungszusammenhang über Strichcode und Produktnamen identifizierbar sein. Neben frei gestaltbaren Textbestandteilen gibt es Kennzeichnungspflichten, zum Beispiel als Warnhinweise und Informationen zu Inhalt, Packungsgröße, Verwendungsweise. Einige Aufdrucke richten sich werbend an Kunden, andere Textteile haben andere Funktionen, insofern handelt es sich um unterschiedliche Genres. Dennoch ist die Hauptfunktion die Werbung für das Produkt, wobei die werbefunktionalen Textbestandteile für Kunden gemacht sind, die sich für ein Zusatzprodukt in einem Funktionalitätsdiskurs (statt Modediskurs) entscheiden sollen. Das Design hat nicht die Funktion, aus einer Vielzahl von Imprägniersprays hervorzustechen. Im Folgenden zeige ich, warum die Schriftgestaltung auf der Dose wie der Klappentext eines Buches wahrgenommen werden kann und begründe, warum sprachphänomenologisch gesehen der textpraktische Abstand zwischen einem literarischen Klappentext auf einem Roman und der Aufschrift auf einem Schuhspray etwas weniger groß ist als angenommen. Da die Texte auf einer Metall-Dose stehen, die in einem Alltagszusammenhang verwendet wird, wird in diesem Fallbeispiel zunächst in einem materiellen Sinne auf Textraum und Funktion eingegangen. Die semantische Untersuchung berücksichtigt zusätzlich die Farbgebung und die graphische Anordnung. Farblich ist die Oberfläche des Sprühdosenkörpers vertikal in vier gleich große Spalten unterteilt,

 20 Standard ISO 10808:2010 „Nanotechnologies – Characterization of nanoparticles in inhalation exposure chambers for inhalation toxicity testing“, erhältlich für 88 CHF, Standard ISO/TR 16197:2014 „Nanotechnologies – Compilation and description of toxicological screening methods for manufactured nanomaterials“ (Status 60:60 „publizierter Standard“), erhältlich für 138  bei der ISO, Stand: Februar 2016. 21 ISO/TS 13830:2013 „Nanotechnologies – Guidance on voluntary labelling for consumer products containing manufactered nano-objects“, erhältlich für 38 CHF bei der ISO, der als „publizierter Standard“ nur den Status 60:60 hat, und sich noch vor der Prüfungsphase befindet (Stand: 2016). Die Standardisierung des Ausdrucks: „nanoscale phenomenon“ lautet: „effect attributable to nano-objects or nanoscale regions“ und bezieht sich auf den Standard ISO/TS 80001:2010, Stichpunkt 2.13.

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die Textbestandteile stehen auf grünem oder weißem Hintergrund. Grün unterlegt stehen Preis (7,95 ), Inhaltsvolumen (250 ml), Strichcode und ein Warnpiktogramm „Hochentzündlich“ in orange und schwarz. Die weiteren Produktinformationen, zum Teil redaktionell gestaltete Textbestandteile, sind weiß unterlegt. Die Farbgebung des Sprühdosenkörpers wird insgesamt von Weiß, Grün und Rot dominiert, dazu ein wenig Blau.22 Der Deckel der Dose ist leuchtend rot. Der Name des Produktes findet sich zweimal gegenüberliegend, in identischer Ausführung, jeweils auf weißem Hintergrund. Gibt es bei einer zylinderförmigen Dose vorne und hinten? Dreht man sie um die Mittelachse, induziert der weiß–grüne Hintergrund in Kombination mit der glatten Oberfläche keine graphische Antwort auf diese Frage. Die Oberfläche erscheint unorganisiert oder gar unendlich. Trotz der Hintergrundfarbgebung weiß-grünweiß-grün gibt es aber eine graphische Organisation von vorne und hinten sowie damit einhergehend eine Unterteilung der Sprühdosenoberfläche in rechts und links. Die weißen Textspalten sind mit Produktnamen bzw. Produkttitel überschrieben, weil sie für einen informationshungrigen Kunden wichtiger sind als die grün unterlegten Spalten mit Strichcode und Preis. Es ergibt sich eine Vorder- und Rückseite der eigentlich runden Dose mit weißem Hintergrund, mit rechts und links grünen Seitenfeldern. Berücksichtigt man die räumliche Organisation, die Anordnung der Textbestandteile inklusive der Farbgebung, lässt sich argumentieren, dass man das Aussagesystem des Dosendings wie einen Buchklappentext lesen kann. Obwohl es sich um ein Industrieprodukt handelt, gibt es wie bei einem Buch eine sprachphänomenologische Textorganisation in Vorder- und Rückseite, Titel, Untertitel sowie Haupttextteil. Der Produktname „Nanonässeblocker“ erstreckt sich in Großbuchstaben auf drei Zeilen, wobei das Kürzel NANO in rot, der Rest in grün geschrieben ist. Der rot unterlegte Untertitel „Selbstreinigungs-Effekt durch Nano-Technologie“ korrespondiert mit dem roten Titelpräfix und dem Deckel, so dass eine geschickte Farbführung die wesentlichen Aussagen farblich vereinigt. „NANO“ (Titel), „Selbstreinigungs-Effekt durch Nano-Technologie“, der Innovationshinweis „Neu: NanoTechnologie schützt Leder und Textilien sicher vor Nässe und Schmutz“, sind zusammen mit dem TÜV-Siegel auf dem Deckel die Hauptaussagen, farbig betont und unterstützt durch drei 1-cm-breite rote Streifen, die oben, mittig und unten die Dose horizontal umrunden, sie begrenzen und farbig an den Deckel anschließen. Der Untertitel sticht bei aufgesetztem Deckel als graphisch markierte Hauptaussage in der Mitte der Dose hervor. Wie ist es möglich, dass eine runde Dose mit einer im Prinzip unendlichen Oberfläche eine Vorder- und Rückseite hat und zwei Seiten bekommt? Die Texttei-

 22 Das Firmenemblem ist Blau-Weiß.

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le rekurrieren in der inhaltlichen und materiellen Gestaltung auf traditionelle alltagspraktische Gegenstände, deren Verpackung ebenfalls in Vorder- und Rückseite unterteilt sind, die vorne einen Titel und hinten eine Kurzinformation zum Inhalt tragen. Das können kartonierte Lebensmittelverpackungen wie Müsli oder Fertiggerichte sein oder Waschpulver im Regal. Die Wahrnehmung des Gegenstandes ist ähnlich organisiert wie das schriftkulturelle Textorganisationsprinzip Buchumschlag bzw. Buch. Führt man Schriftelemente und Textbausteine auf den Wahrnehmungs- und Praxiszusammenhang eines Buch(umschlag)s zurück, wird plausibel, warum sich sowohl vom Titel („Der Nano-Nässeblocker“) des Produktes reden lässt als auch von einem Untertitel. Vorne findet sich der Produktname, der im Zusammenspiel mit einem auf eine ausgefeilte Weise graphisch hervorgehobenen Untertitel eine narrative Aussage über den Inhalt macht und etwas über die Leistungsfähigkeit des Sprays erzählt. Die Erzählung bezieht sich auf die Funktionsweise des Produktes und steht in einem differenzierten Verweisungszusammenhang mit den drei Diskursbereichen der Nanotechnologie. Analog zur Aussageorganisation von Buchaußenflächen im Konsum- und Verkaufszusammenhang wird auf der Rückseite zusätzlich ausgeführt, worum es bei dem Spray geht. Die Klappentextrückseite gibt gewissermaßen eine Inhaltsangabe oder Kurzzusammenfassung dessen an, was Nano-Technologie leisten kann. Als Teile eines kapitalistischen Warenkreislaufs sind bestimmte Textsorten, sei es nun auf Buch- oder anderen Konsumprodukten, pragmatisch vordefiniert, wobei die Übergänge zwischen den einzelnen Verwendungen fließend sind. Es ist denkbar, dass „Nano Nässe Blocker. SelbstreinigungsEffekt durch Nano-Technologie“ zwar nicht der Titel eines Sachbuches, so doch mindestens eines Power-Point-Vortrags in Geschäftsetagen bei internen Firmenmeetings oder Titel einer Informationsbroschüre sein kann. Damit würde sich das Textgenre vom Werbeaufdruck in einen anderen Präsentationsmodus modifizieren. Eine andere erwähnenswerte Modifikation findet sich in den Nachfolgeprodukten, in denen die Textbestandteile nur geringfügig verändert werden, beim wesentlichen Satz fehlt gewissermaßen nur die Nanotechnologie. In den Klappentexten der Nachfolgeprodukte wird 2016 beim „Nässe Blocker Hybrid“ und beim „hitec hybrid“ die „Nano-Technologie“ durch die „Hybrid-Technologie” ersetzt, die durch die Verbindung von „Ökologie & Technologie“ gekennzeichnet ist. Sie führt zu einem „Easy to clean-Effekt“ durch die Bildung von „Fein verzweigte[n] Hybridstrukturen“, die „ein unsichtbares Schutznetz [bilden], ohne die Atmungsaktivität zu beeinflussen.“ Beim „Schmutz Blocker“ heißt es ohne „Hybrid“: „Fein verzweigte Strukturen bilden ein Schutznetz ohne die Atmungsaktivität zu beeinträchtigen.“23 Natürlich kann man das Spray als Spray nicht lesen, denn es wird aufge-

 23 deichmann.com/DE/de/shop/damen/damenpflege/00000001035350/250*ml*Imprägnier spray*3*18*100*ml*.prod, acc. 160228.

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sprüht, umgekehrt wird ein Buch nicht im materiellen Sinn leer- oder ausgelesen und anschließend entsorgt. Aber die Verpackung ist mit einem Text bedruckt, der nicht nur Informationsbausteine enthält, sondern insgesamt einen narrativen Charakter trägt. Im Hinblick auf das Textgenre können die Aufdrucke als Kleinstnarration interpretiert werden, und in dieser Funktion können sie auch als Titel einer Power-Point-Präsentation dienen. Die Auflistung der chemischen Bestandteile der Zusammensetzung, wie man sie zum Beispiel auf Shampoo-Flaschen findet, fehlt. Stattdessen werden Name, Postadresse, Telefonnummer sowie die Internetseite der Schuhhandelsfirma Deichmann angegeben. Die Dose steht explizit in einem vielfältigen textlichen und pragmatischen Verweisungszusammenhang, der dafür sorgt, dass das Genre der Textbestandteile beweglich zwischen verschiedenen Polen hin und her driften kann. Produktname „Nanonässeblocker“ Der Produktname kann als Titel angesehen werden, der auf beiden Seiten der Dose in gleicher Form über den weißen Textspalten steht. Beide Male verteilt sich das Wort „Nanonässeblocker“ in Großbuchstaben über drei Zeilen, wobei das Präfix Nano in roten und „Nässeblocker“ in grünen Buchstaben geschrieben ist. Die Textbestandteile des Produktnamen-Titels sind durch ihre Doppelung auf der Außenfläche der Dose so angeordnet, dass insbesondere das Kürzel Nano aus jeder Perspektive vom Betrachter auf Anhieb ‚gesehen‘ oder visuell ergänzt werden kann. Es ergibt sich das Phänomen, dass man die Dose um sich selbst drehen kann, ohne den aufgedruckten Titel und das Wort „Nano“ je aus den Augen zu verlieren. Hinsichtlich des Codewortes „Nano“ könnte man sogar von einer Unendlichkeit seiner Erscheinungsweise auf der Dosenoberfläche sprechen. Allerdings markiert nicht der Titel, sondern der Untertitel die Hauptaussage, was sich graphisch und inhaltlich begründen lässt. Der Untertitel ist zweizeilig, weiß auf rotem Grund, in der Mitte der Dose platziert, er lautet „Selbstreinigungs-Effekt durch Nano-Technologie“. Dieser Untertitel erscheint als wichtigste Werbeaussage, betont durch die materiale Organisation der Textbestandteile und die Farbgebung. Der rote Hintergrund des Untertitels korrespondiert mit dem roten Titelpräfix Nano, dem Deckel und den drei rot umlaufenden Streifen. Setzt man den Deckel auf die Dose, befindet sich der Untertitel ziemlich genau in der Mitte der Außenfläche des Produktes. Produktname und Untertitel des Produktes geben die Antwort auf die Frage: „Was kann das Spray?“ Inhaltlich geht es um einen technischen Vorgang, der quasi ‚von selbst‘ abläuft und dem Kunden die Arbeit abnimmt, und steht damit pragmatisch in einem techniksemantischen Zusammenhang. In diesen eingebettet ist die Frage, warum Kunde oder Kundin das Produkt erwerben sollen, welche Funktionalität das Produkt liefert. Das substantivierte Verb „Nässeblocker“ als Reformulierung von „Im-

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prägnierspray“ gibt die Produktklasse an und legt besonderen Wert auf eine Tätigkeit, die als fundamentales Abweisen oder radikale Grenzziehung reformuliert werden kann („abblocken“). Das Produkt heißt nicht: Nano-Imprägnierspray. Durch das Präfix Nano erfolgt eine technische Semantisierung, die durch den Hinweis auf den (wundersamen) „Selbstreinigungs-Effekt“ konkret wird, wobei Selbstreinigung eine Tätigkeit ist, die über reines Abblocken hinaus geht und an den Bionik-Diskurs anknüpft. Im Bionik-Diskurs verankert ist die Selbstreinigungsfähigkeit der LotosPflanze, deren Oberfläche so beschaffen ist, dass das Wasser von ihr abperlt und den Dreck mitnimmt.24 Eine Bindestrich-Technologie ist der Grund, warum das Spray etwas Besonderes kann und ein höherer Preis verlangt wird. Der Klappentext auf der Rückseite der Dose erklärt zusätzlich, wieso von Technologie gesprochen werden kann. Wissenschaftsdisziplinen der „Nano-Technologie“ Wie kommt der allgemeine Wissenschaftsbezug zur Sprache? Insbesondere durch das TÜV-Siegel wird ein wissenschaftlicher Zusammenhang aufgerufen, der Prüfungen und Bewertungen ermöglicht. Es beruht auf Tests, die mit wiederholbaren Ergebnissen und nachvollziehbaren Kriterien, die auch für andere Produkte gelten, durchgeführt wurden. Insofern ist allein durch das Prüfsiegel des Technischen Überwachungsvereins ein wissenschaftlicher und technischer Zusammenhang gegeben, ohne dass einzelne Wissenschaften genannt würden. Durch das Siegel ist die Nähe des Imprägniersprays zu den Ingenieurswissenschaften gegeben. Insofern die Textaufdrucke werben, dem Kunden Anwendungshinweise geben und zu einer Kaufentscheidung führen sollen, steht zu vermuten, dass kein Platz für explizit genannte Wissenschaftsdisziplinen ist: Mit Wissenschaftsdisziplinen lässt sich nicht als Verkaufsargument werben. Dennoch ist es ein umfassender wissenschaftlicher Zusammenhang, der die erklärenden und werbenden Ausführungen auf der Dose semantisch trägt, wobei der Aspekt einer fortgeschrittenen Technik im Vordergrund steht. Geworben wird mit der Neuartigkeit einer Bindestrich Nano–Technologie, mit einer technischen Innovation, wie sie auf dem Deckel angesprochen ist: „Neu: Nano-Technologie schützt Leder und Textilien sicher vor Nässe und Schmutz“. Eine technische Innovation erzielt einen Fortschritt beim Imprägnieren. Die Wirksamkeit wird auf Technologie zurückgeführt, und nicht mit der wissenschaftlichen

 24 Auf den Bionik-Diskurs kann ich verweisen (Fußnote 30), aber eine Analyse hier nicht leisten. Das Bionik-Prinzip lautet, ,die Natur‘ sozusagen ohne Abstriche als Vorbild für Technikentwicklung anzusehen, exemplarisch das Hochglanz-Coffeetable-Buch von BLÜCHEL / NACHTIGALL 2000. Eine der ersten VDI-Zukunftstechnologie-Beratungsbroschüren von 1993 ist zur Bionik (Nr.4). Vgl. Kap II.5 und AUMANN 2011.

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Tätigkeit einzelner Wissenschaftsdisziplinen begründet und erklärt. Dagegen wird in dem ‚Klappentext‘ hinten auf der Dose nicht mehr von einer Technologie gesprochen, sondern es werden „Nano-Teilchen“ genannt. Diese Nano-Teilchen stehen semantisch durch das Prüfsiegel und die Deckelaufschrift in einem generalisierten wissenschaftlichen Kontext. Das neue ‚Wunderspray‘ schützt Schuhe und Bekleidung aus Leder und Textil monatelang gegen Schmutz und Feuchtigkeit. Winzige Nano-Teilchen bilden ein unsichtbares, hochwirksames Schutznetz ohne die Atmungsaktivität zu beeinflussen. Anhaftender Staub und Schmutz wird mit einem feuchten Tuch einfach abgewischt.

Bevor ich auf den generalisierten wissenschaftlichen Kontext eingehe, kurz zu einem möglichen Einwand. Man könnte meinen, ein wissenschaftlicher Zusammenhang werde durch den Hinweis „Wunderspray“ verneint, zumal sich keine Hinweise auf den Anteil einzelner Wissenschaften an der Nanotechnologie finden, weder auf die Physik als Leitdisziplin, die den Zugriff auf einen miniaturisierten Größenbereich ermöglicht, noch auf die Chemie, deren Fortschritte zu einer verbesserten Wirksamkeit des Imprägniersprays geführt haben könnten. Stattdessen wird das Spray als (neues) „Wunderspray“ apostrophiert. Durch das Wort „neu“ wird es in einer Reihe von anderen Sprays positioniert, wobei nicht klar ist, ob die anderen Sprays auch als wundertätig apostrophiert werden und ein möglicher wissenschaftlicher Zusammenhang dadurch in den Hintergrund rückt. „Neu“ kann als Adjektiv innerhalb einer Reihe von wundersam wirkenden Sprays das zeitlich am wenigsten weit zurückliegende Spray bezeichnen, aber auch als Betonung der Wunderaussage gemeint sein: Das neue Spray bewirkt, im Gegensatz zu bisherigen Sprays, Wunder. In diesem Fall wäre „neu“ ein Abgrenzungsadjektiv im Hinblick auf eine (beispielsweise) wissenschaftlich erklärbare Wirkung bisheriger Sprays. In beiden Fällen wird die Rede von einem Wunder betont25, allerdings wird ein wissenschaftlicher Zusammenhang dadurch nicht verneint, sondern bestätigt. Das liegt nicht so sehr an einer Variante des Wortgebrauchs, die seit der Antike technisch herausragende und überraschende Leistungen als „Wunder“ bezeichnet.26 Daneben gibt es

 25 Ich nehme das Wort „Wunder“ in seiner Semantik ernst und analysiere es gewissermaßen als apostrophierten Begriff. Crichton verwendet es 2002 mit derselben Semantik wie auf dem Schuhspray, inklusive Anführungszeichen: „some of the long-anticipated ‚miracle‘ products have started to appear“, CRICHTON 2003 [2002], xi. 26 Die antiken sieben Weltwunder sind allesamt technische Errungenschaften bzw. Bauten. Die American Society of Civil Engineers ASCE rief in den 1990er Jahren eine Suche nach den neuen „Seven Wonders of the modern world“, also den „neuen“ oder „modernen“ Weltwundern, aus, zu denen seither die Golden Gate Bridge, San Francisco, USA,

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seit der Aufklärung einen Wortgebrauch, der die Bezeichnung Wunder für Phänomene reserviert, die gerade nicht wissenschaftlich erklärbar sind, wozu insbesondere die religiösen Wundergeschichten, wie die Heilung eines Blinden oder die wundersame Brotvermehrung, gehören. Aber nicht nur in der biblischen Schrift gibt es nach diesem Verständnis „Wunder“, sondern auch in den Märchen, als außergewöhnliche Begebenheit, die sich einer Erklärung widersetzen. Im Folgenden wird die apostrophierte Rede von einem ‚Wunder‘ im Gesamtzusammenhang als metaphorische Rede erkennbar, die die Wissenschaftssemantik steigert. Formal wird die Metaphorik der ‚Wunder‘-Aussage, die „uneigentliche“ Wortbedeutungsebene, durch die Anführungszeichen verdeutlicht. Die Anführungszeichen brechen die direkte Aussagesemantik und verweisen auf eine andere Ebene. Dabei kann sich die Rede von einem ‚Wunder‘ auf zwei verschiedene Sachverhalte beziehen. Es kann ein märchenhaftes ‚Wunder‘ gemeint sein, das sich in eine Erzählung entfaltet, bei der wir von etwas Außergewöhnlichem erfahren, das sich jeder Erklärung widersetzt. Eine logische Erklärung ist im Märchen nicht nötig, das Tischlein deckt sich von allein, und beeinflusst die Handlung. ‚Wunder‘ wäre in diesem Fall, mit Verweis auf Religion und Aberglauben des Mittelalters, der größtmögliche Gegenbegriff zur aufgeklärten Wissenschaft und Technik. Auf dem Spraydosentext kann der apostrophierte Verweis auf ein ‚Wunder‘ zweitens als Abkürzung jeder weiteren möglichen Erklärung verstanden werden, wie das Spray im Einzelnen seine Wirkung entfaltet. Der Dosenaufdruck spricht in diesem Fall nicht von einem Märchen, sondern macht sozusagen ein Zugeständnis an den Umstand, dass es in einem hochgradig wissenschaftlich–technisch determinierten Lebenszusammenhang mit einer Vielzahl von Alltagsgegenständen und Medizin nicht im Einzelnen möglich ist, die Wirkungs- und Funktionsweise der Dinge jeweils im Einzelnen zu erklären. Durch den Hinweis auf eine ‚wundersam‘ erzeugte Wirkung wird eine wissenschaftlich mögliche Erklärung gewissermaßen metaphorisch verkürzt, indem darauf angespielt wird, dass Labore und Disziplinen Dinge hervorbringen, die in ihrer Wirkungs- und Funktionsweise nicht im Einzelnen verstanden werden müssen, wohl aber bestaunt werden können. Dadurch wird Wissenschaft sozusagen mit einem zweiten Staunen verknüpft: das erste Staunen und Wundern (im Sinne von: man wundert sich über etwas), das dem kollektiven Klischee folgend am Anfang jeder individuellen wissenschaftlichen Betätigung steht, wird an einem alltagspraktischen Endpunkt überführt in das Staunen der Konsumenten über das, was Wissenschaft und Technik ermöglichen. Und sei es ein Imprägnierspray. Ohne einzelne Wissenschaften zu nennen, übernimmt der semantische Platzhalter Nano-Technologie die Aufgabe einer Glaubwürdigkeitsaussage und platziert das

 gehört. „Seven Wonders of Modern World Are Named by ASCE“ in: Civil Engineering– ASCE, Vol. 67, No.1, 1/1997, S. 70.

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Spray in einem technisch-wissenschaftlichen Zusammenhang, bei dem es eine selbstverständliche Verbindung von Alltagskonsum und Wissenschaft gibt. Die Wissenschaft(en) gehen in diesem Text aus dem Labor ins Leben, ohne als einzelne namentlich genannt zu werden. Dabei wählt der auf dem hinteren Teil der Dose abgedruckte Text eine unentschlossene Position zwischen einer Erklärung („unsichtbares Schutznetz“) und einem simplen Konstatieren, das ganz einfach eine wundersame Wirkungsweise feststellt. Der Text liefert über den Verweis auf ein „Schutznetz“ eine kleine Erklärung, wie die Wirkung möglich ist und betont den wissenschaftlichen Kausalzusammenhang. Auf einem Nachfolgeprodukt, dem oben erwähnten „nano-sport Imprägnierspray“ (bereits im silberfarbenen Design), ist von einem Wunderspray nicht (mehr) die Rede, stattdessen wird die Chemie als Wissenschaftsdisziplin erwähnt. Das NANO Sport Imprägnierspray schützt Sport- und Trainingsschuhe aus allen Materialien zuverlässig vor Schmutz und Nässe. Seine Wirkstoffbasis wurde gezielt für die Anwendung auf Sportschuhen entwickelt. Winzige Nano-Teilchen bilden ein hochwirksames Schutznetz, das sich chemisch an den Textiluntergrund anbindet, ohne die Atmungsaktivität zu beeinflussen. [...] Die Imprägnierwirkung ist sehr abriebfest und übersteht mehrmaliges Reinigen und Waschen.

In diesem Text ist es nicht mehr ein Wunder, das wirkt, sondern die Chemie. Es ist wichtig, dass es sich bei dem „nano–sport Imprägnierspray“ explizit um ein SchuhImprägnierspray handelt, weil dadurch der Hinweis auf die Chemie gewissermaßen entschärft wird. Das Schutznetz verbleibt an den Füßen, es hilft beim Joggen durch den regennassen Wald oder bei den Fußballschuhen der Tochter vielleicht tatsächlich, die sündhaft teuren Sportschuhe länger zu erhalten. Bei dem Nano Nässe Blocker in seiner ersten Ausgabe sollte das Spray nicht nur für Schuhe, sondern auch für Kleidung geeignet sein. Hätte es einen Verweis auf Chemie gegeben, hätte dies bedeutet, dass man als Konsument die eigenen Mäntel und Jacken (und die der Kinder) großflächig ‚mit Chemie‘ eingesprüht hätte. Ob man das tun will, steht auf einem anderen Blatt. Insofern agiert der Text auf dem Nano Nässe Blocker deutlich vorsichtiger, indem auf eine komplexe wissenschaftliche Wirkweise verwiesen wird, die man nicht versteht, und die aus diesem Grund als Wunder bezeichnet wird, in explizit distanziertem Apostrophierungs-Modus. Bezug zu Raumskripten und Diskursbereichen Nanotechnik – Nanopartikel – Nanobiotechnologie Die Diskursbereiche und ihre Raumskripte kommen ins Spiel, wenn ein unsichtbarer Wirkungsbereich nanotechnologisch diskursiviert wird, der als Kaufargument

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verwendet wird: der Kunde soll ein Produkt kaufen, obwohl er die Produktinnovation nicht sehen kann. Das kommerzielle Massenprodukt aus der Industrie gehört in einen Alltagszusammenhang, für den Kunden dient Nanotechnologie zwischen Informationen und Anwendungshinweisen als Verkaufsargument. Das Produkt ist in seiner materiellen Produkterscheinung und Ding in mehrfach standardisierte kapitalistische Produktions- und Verwertungsbedingungen eingebunden, die über das Stichwort Nanotechnologie auch toxikologische und funktionaltechnologische Eigenschaften ansprechen, die geprüft werden. Sobald es verkauft ist, hat das Spray als alltagspraktischer Gegenstand einen gewissermaßen universal-punktuellen Zugang zu Alltag, Wohnungen, Dingen und Lebensweisen von Konsumenten. Ein Massenprodukt, jedoch immer nur für einzelne Kunden, die das Spray benutzen und in ihren Behausungen bis zur nächsten Regenzeit aufbewahren.27 Bei Benutzung entfaltet sich die Wirkungsweise universal-punktuell leibbezogen auf den einzelnen Konsumenten, nicht direkt auf dem Leib (z.B. als Sonnencreme, die mit Nanotechnologie arbeitet28), sondern an der materiellen Außenbekleidung. Wenn NanoTeilchen zu einem „Schutznetz“ organisiert werden, und dieses die Bekleidung des Konsumenten umgibt, wird eine Schutzwirkung anthropologisch-archaisch rekonstruierbar: mit dem Kauf kann der Schutz vor Nässe als Grundbedürfnis ‚des Menschen‘ gekauft und vervollkommnet und befriedigt werden. Eventuelle Mängel von Schuhen und Bekleidung werden behoben, das Imprägnierspray perfektioniert den Schutz kraft eines „Nano-Teilchen Schutznetzes“, das allerdings nicht sichtbar ist, wohl aber in doppeltem Sinn erfahrbar ist. Das Spray inklusive der unsichtbaren Schutznetz-Teilchen darf nicht eingeatmet werden oder mit der Haut in Berührung

 27 Man könnte der Frage nachgehen, ob der Markt für Imprägniersprays in Californien oder Südafrika witterungsbedingt deutlich kleiner ist als in Mitteleuropa und ob in diesen Breitengraden mehr Nano-Sonnencreme zum Einsatz kommt als in Mitteleuropa. 28 Der nanotruck des BMBF informierte unter dem Titel „Nanotechnologie: Schutz gegen UV-Strahlung“ jahrelang über „besonders wirksame Sonnenschutzlotionen mit sehr hohem Lichtschutzfaktor“, die „auf der Beimischung von Zinkoxid- oder Titandioxid-Nanoteilchen mit einer ultradünnen Umhüllung“ beruhen. „Während herkömmliche UV-Blocker mit der Creme in Hautfalten ablaufen, bleiben die Nanoteilchen dort liegen, wo sie aufgetragen wurden. Wie kleine Spiegel reflektieren und absorbieren sie das einfallende Ultraviolette Licht und schützen auf diese Weise wirkungsvoll die Haut.“ Der medizinische Diskurs inklusive der Angst vor Hautkrebs oder der Umweltdiskurs im Hinblick auf Gewässerverschmutzung, die beide ins Spiel kommen, werden durch Bilder aus dem Bereich „Lifestyle“ und „Sport“ überformt: am Strand spielt ein junges Pärchen Frisbee. nanotruck.de/treffpunkt-nanowelten/nanotechnologie-konkret/leben-und-freizeit/lifestyleund-sport/sport-freizeit/wirksamer-sonnenschutz.html, 160131.

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kommen, daher soll die Anwendung nicht in geschlossenen Räumen, sondern draußen an der sogenannten frischen Luft stattfinden.29 Neben der Diskursivierung eines individualisierten, archaischen Schutzraums, der durch die neue Technologie gewissermaßen in Perfektion geschaffen wird, wird ein Unsichtbarkeitsraum eröffnet, in dem nanotechnologische und damit wissenschaftliche Tätigkeit stattfindet. Ein auf jedem Schuh lokalisierbarer Bereich, man muss nur draufhalten, wird durch die Benutzung des Sprays unsichtbar verändert. Dabei wird nicht die Tätigkeit des Einsprühens als „Technologie“ semantisiert, sondern etwas, das von dem Spray selbsttätig, gewissermaßen darüber hinaus und unabhängig vom Bediener des Sprays, vorgenommen wird. Der angezielte Bereich wird unsichtbar von Teilchen besetzt, die zu einem Schutznetz organisiert werden, die Akteure sind „winzige Nano-Teilchen“. Die Partikel verteilen sich nicht etwa ungerichtet, sondern legen sich kontrolliert über die Bekleidung und Schuhe des Konsumenten, sie „bilden ein unsichtbares, hochwirksames Schutznetz.“ Die Wirkung kann von einem Konsumenten nicht gesehen, nur erfahren werden, das aber über einen längeren Zeitraum, „monatelang“. Durch die Partikel entsteht ein individualisierter, lokalisierbarer Bereich einer materiell erfahrbaren Veränderung, der konsumentenbezogen durch eine nicht explizit genannte wissenschaftliche Tätigkeit und Forschungen erschaffbar, also technisch induziert, ist. Das Ganze bleibt unsichtbar für das menschliche Auge, könnte aber durch wissenschaftliche physikalische Mess- oder Sichtbarkeitsinstrumente zugänglich gemacht werden. Wissenschaft und Technik agieren in einem unsichtbaren Bereich und verursachen über den Zwischenschritt eines Konsumenten, der das Spray benutzt, zudem einen „Selbstreinigungs-Effekt“, der für den Alltag eine Erleichterung und Verbesserung verspricht. Man könnte sagen, die drei Diskursbereiche der Nanotechnologie sind bei diesem Spray auf eine sehr enge Weise miteinander verknüpft, indem sie in wenigen, einzelnen Sätzen konvergieren. Laut Deckelaufschrift liegt die Innovation, das Neuartige, Verbesserte, in einer Technologie: „Neu: Nano-Technologie schützt Leder und Textilien sicher vor Nässe und Schmutz.“ Die neue Technologie mit Bindestrich ist einer alten oder etablierten, herkömmlichen Technologie überlegen. Die technische Innovation führt in einem ganz allgemeinen Sinn auf Technik und damit auf den Diskursbereich der Nanotechnik als einer verkleinerten Technik. Fragt man, worin die technologische Innovation besteht, und ob bei einem Schuhspray überhaupt von Technologie (und Innovation) die Rede sein kann, so werden diese Fragen durch das TÜV-Gütesiegel bestätigt. Es handelt sich um eine neue Kleider-Schutz-Technologie, deren Güte geprüft ist.

 29 Man könnte sagen, dass dadurch ein medizinischer Diskurs in einen Ratgeber zum Konsumentenverhalten umgemünzt wird.

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Die Textbestandteile besagen, dass eine Technologie mit Klassifikationsmerkmal ‚Nano‘ dafür sorgt, dass die behandelte Bekleidung dauerhaft und effektiv vor Schmutz und Nässe geschützt ist, wofür „winzige Nano-Teilchen“ als Akteure namhaft gemacht werden. Das bedeutet einen Vorteil gegenüber anderen Sprays, deren Wirksamkeit als eingeschränkt erfahren wird, und das Ideal aller Imprägniersprays ist benannt: nasse Füße zu verhindern und den Regenmantel oder andere Textilien wirksam zu versiegeln. Der Hinweis auf eine neue Technologie („Neu: Nano-Technologie“) schließt aus, dass es um einen neuen Wirkstoff geht. Das Neue des Produktes besteht weder in einem neuen Wirkstoff noch in einem neuen Applikationsverfahren, denn auch dieses Spray wird aufgesprüht. Die Möglichkeit einer miniaturisierten Technologie, die so klein ist, dass sie für das bloße Auge des Betrachters unsichtbar ist, beruht auf winzigen aktiven Teilchen: „Winzige NanoTeilchen bilden ein unsichtbares, hochwirksames Schutznetz.“ In dieser Formulierung konvergieren Nanotechnik, Nanobiotechnologie und Nano-Partikel in einem einzigen Satz. Wenn es in Handhabung und was die Inhaltsstoffe angeht keinen Unterschied zu anderen Sprays gibt, muss die wirkende Technik in einem nicht weiter sichtbaren Bereich angesiedelt sein. Insofern gehört das Spray zum Diskursbereich miniaturisierte Technik im Sinne des Diskursbereichs Nanotechnik, obwohl kein technisches Produkt wie Uhrwerk oder Spülmaschine vorliegt. Indem NanoTeilchen explizit als „wirksame“, mit einer Kausalität versehene Technikbestandteile erwähnt werden, ergibt sich der Bezug zum Diskursbereich der Nanopartikel: eine unter Druck gesetzte Wirkstoffmischung, die mit Hilfe des Gases auf Bekleidungsstücke aufgesprüht wird, erzeugt dort eine Schutzwirkung vor Schmutz. Die Wirkstofftätigkeit wird auf der Rückseite unter der Überschrift „Trockene Schuhe und Bekleidung“ näher beschrieben. Danach erfolgt wie bei einem technischen Gerät die Gebrauchs- oder eigentliche Anwendungsanweisung, flankiert von einer im Verhältnis zum Resttextumfang ausführlichen Liste von Warnhinweisen und Verboten. Insgesamt nimmt die Gebrauchsanweisung inklusive Warnungen etwa zwei Drittel des Schrifttextes ein. Der Schmutz-Schutz, der durch Nanotechnologie entsteht, ist weder eine winzige automatische Staubwedeleinrichtung, noch wird der Schmutz-Schutz durch Mini-Bürsten hergestellt, es handelt sich nicht um Artefakttechnik, sondern um eine besondere Form von Mischungsbestandteilen. Explizit werden Nanopartikel genannt, die als kleinste Elemente für optimierte Oberflächeneigenschaften und damit für die Schutzwirkung sorgen.30 Durch den „Selbstreini-

 30 Die beworbene Imprägnierwirkung profitiert vom Bionikdiskurs, bei der die Technikwissenschaften ‚die Natur‘ als Vorbild für die Lösung technischer Probleme ansehen (Fußnote 24). Hierher gehört der sogenannte Lotuseffekt: die Lotos-Blätter haben eine so glatte Oberfläche, dass Wassertropfen stets abperlen. Der Text auf der Dose spielt einerseits auf diesen Effekt an, der zu Beginn des Nanotechnologiediskurses oft mit Nanotechnologie

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gungs-Effekt“, wie es im Untertitel heißt, lässt sich die semantische Verbindung zum dritten Diskursbereich der Selbstorganisation der Bottom-Up Nanobiotechnologie herstellen. Zwar wird nicht behauptet, dass bottom-up neue MaterieStrukturen aufgebaut oder gar Maschinen gebaut werden. Aber der „Selbstreinigungs-Effekt durch Nano-Technologie“ ist dem Selbstorganisations-Prinzip verwandt. Selbstorganisation und Selbstreinigung besagen, dass Technik von sich aus aktiv wird. etwas aus eigenem Antrieb tut, sich selbst „organisiert“, baut selbsttätig eigene Strukturen oder reinigt von allein. Der Unterschied zwischen der Aussage, dass eine Technik selbst organisierend Strukturen schafft, und der, dass eine Technik autonom tätig wird und reinigt, wird dadurch eingeebnet, dass die Rede von einem Schutznetz ist, das errichtet wird: der Selbstreinigungs-Effekt beruht auf einem unsichtbaren Netz, das durch Selbstorganisation der Nanoteilchen entsteht. NanoTeilchen bilden eine Materiestruktur, die trotz Luftdurchlässigkeit vollkommen wasserabweisend ist. Die semantische Integrationsleistung zur Nanobiotechnologie und den bottom-up generierten Strukturen ergibt sich aus der Erschaffung des Schutznetzes. Für einen Verbraucher, der die Frage nach der Wirkweise stellt, wird die Antwort bereit gehalten: Nano-Technologie ist eine aktive Technik, die aus sich heraus, von selber handelt. Diese prinzipielle Aussage wie man es nennen könnte, findet sich in dem „Selbstreinigungs-Effekt“ wieder: der Mensch kann zuschauen, wie ‚wie durch ein Wunder‘ (sc. „Wunderspray“) die Schuhe und Jacken nicht etwa nicht mehr verschmutzen – dass sie trotz Spray verschmutzen, ist eine Erfahrung –, sondern wie sie geschützt durch eine aktiv selbstreinigende Schutzschicht sind und leicht gereinigt werden können. Man könnte die Selbstbefreiung von Schmutz als kontraintuitive Aussage ansehen, da normalerweise eine Schutzwirkung in einem passiven Abwehrverhalten durch eine Schutzschicht besteht; intuitiv gibt es keine aktive Schutzschicht. Hier aber zieht eine aktive Schutzschicht ein aktives Reinigen von Verschmutzungen nach sich. Diese Aussage ist pragmatisch widersprüchlich, weil Verschmutzungen auf Bekleidung und Schuhen haften. Legt man eine raumsemantische Differenzierung darüber, kann Schmutz in „oberflächlichen“ und tiefer eindringenden Schmutz unterschieden werden (wie bei Waschmittelwerbung). Der tiefer in das Gewebe eindringende Schmutz und die Flecken werden „aktiv“ durch

 in Verbindung gebracht wurde, andererseits wird, wenn man von dieser Diskursreferenz absieht, die gewissermaßen auch eine Selbstreferenz ist, eine abstrahiert-technische Reformulierung des Lotos-Effektes auf dem Nanospray vorgenommen. Der Effekt einer Selbstreinigungstätigkeit der Pflanze, die immer saubere Blätter hat, wird technisch durch entsprechende natürliche Oberflächenbeschichtung produziert. Der Verbraucher braucht die Diskursreferenz nicht zu erkennen, da der Hinweis auf die winzigen Nano-Teilchen und ihr gebildetes Schutznetz als semantische Hilfe gegeben wird. Das Verhältnis von Bionik- und Nanotechnologiediskurs kann hier nicht weiter verfolgt werden.

N ANO -I MPRÄGNIERSPRAY (2003/04-2010/11) | 219

das Schutznetz abgehalten. Der beworbene Effekt mündet nicht in ein Paradox, sondern wird widerspruchsfrei entschärft: „Anhaftender Staub und Schmutz wird mit einem feuchten Tuch einfach abgewischt.“ Über die selbsttätige Technologie entsteht eine Entlastung des Verbrauchers, dem das Putzen erleichtert wird.31 Sieht man von dem als Selbstreinigung bezeichnenden Lotuseffekt ab, der aus dem Bionik-Diskurs stammt32, der hier aber nicht explizit genannt wird, bietet das Schutznetz raumlogisch gesehen eine eigenwillige und nicht ganz befriedigende Erklärung, weil ein Netz durchlässige Zwischenräume oder Löcher hat und raumsemantisch verstanden eigentlich undicht ist. Es handelt sich aber gerade nicht um einen Schutzfilm, der durch das Spray aufgebracht wird. Das Schutznetz, das die Nano-Teilchen selbstorganisiert bilden, ist in Bezug auf den Nanotechnologiediskurs einer fehlenden Sprache beziehungsweise einer Sprachlücke geschuldet. Diese Sprachlücke lässt sich durch den Verweis auf ein „Wunder“ schließen, die Löcher lassen sich semantisch integrieren. Ein Wunderspray erlaubt es, dass das durchlässige Netz wie ein komplett dichtes Ding die Nässe abhält, wie im Märchen wird ein unerklärlicher Effekt produziert, der zauberhaft wirkt.33 Aus der hier gewählten Untersuchungsperspektive manifestiert sich an der Rede über das dichte Schutznetz ein raumsemantischer Widerspruch, der darauf zurück geht, dass drei Diskursbereiche mit unterscheidbaren Raumskripten konvergieren.

 31 Die Firma Oberflächentechnik Preimess GmbH vertreibt eine breite Palette von Nanoversiegelungsprodukten, die den Lotus-Effekt hervorrufen sollen und auf Dachziegel, Textilien, Leder, Edelstahl, Autolacke oder Glasscheiben aufgebracht werden. Beworben werden die vergleichsweise teuren Produkte mit dem Kürzel „Nano“ und dem Wort Lotuseffekt (1000 ml Kunststoffversiegelung 107 ). Die Produkte sind laut Eigenauskunft im Hinblick auf Qualität überwiegend vom TÜV Thüringen überprüft, außerdem werden Produktions- und Abfüllstätten kontrolliert; Auto- und Bootsfahrer und Flugzeugflieger sind begeisterte Kunden. nanoversiegelung-lotuseffekt.de, shop.preimess.de/tuev-pruefun gen.html, shop.preimess.de/nano_auto/kundenmeinungbilder/index.html, acc. 160131. 32 Vgl. Fußnoten 24 und 30. 33 Das beschworene Netz mit durchlässigen Zwischenräumen findet eine materielle Entsprechung in funktionalen Materialien wie z.B. von der Firma Gore-Tex®, die das Atmen der Haut garantieren und Nässestau von der Kleidungsinnenseite her ausschließen sollen. Die „Funktionsmembranen“ werden 2016 nicht mehr mit dem Stichwort Nanotechnologie beworben, gore-tex.com/en-us/, acc. 160222.



3. Power-Point Vortrag aus den Materialwissenschaften (2007/2008) Pragmatischer Redekontext Am 16. April 2007 hält in Darmstadt ein Materialwissenschaftler der TU Darmstadt einen Vortrag vor etwa vierzig Zuhörern, eine für ein interessiertes Laienpublikum konzipierte Power-Point-Präsentation1 mit dem poetischen Titel: „Schöne neue Welt der Materialien – Im schwebenden Zug ins Nano-Zeitalter“. Am frühen Abend präsentiert sich im Rahmen einer losen Veranstaltungsreihe „Wissenschaftstag“ an einem öffentlichen Ort in der Stadtmitte ein(e) „herausragende[r] Wissenschaftler und Forschungsinstitution [...] aus Darmstadt der Öffentlichkeit“.2 Der Darmstädter Wissenschaftstag wird als regionale Erfindung in Kooperation von der Centralstation Kulturgesellschaft GmbH mit der Wissenschaftsstadt Darmstadt Marketing GmbH ausgerichtet.3 Im Angebot sind Vorträge für die sogenannte interessierte Öf-

 1

Im folgenden PPT-Vortrag oder PPT abgekürzt. COY / PIAS 2009 untersuchen die spezifische Medialität und Sprachform, im Buchumschlag ist die Zahl von 30 Millionen PPTs genannt (ohne Quellenangabe), die täglich weltweit gehalten werden.

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ztix.de/Centralstation/infos/3145001.html, uni-protokolle.de/nachrichten/id/135014/, acc. 160131.

3

Der Darmstädter Wissenschaftstag als Teil einer Selbstvermarktungsstrategie ist nicht zu verwechseln mit dem bundesweiten Tag der Technik, der im Jahr der Technik 2004 zum ersten Mal, vom VDI e.V. initiiert, begangen wurde und jährlich als Nachwuchswerbung und als Lobbyveranstaltung für die Ingenieurwissenschaften unter dessen Leitung stattfindet. Diskussion 18.11.04 zum Jahr der Technik: „Was in Deutschland fehlt, sind positive Visionen.“ (Willi Fuchs, VDI-Präsident). „Wissenschaftler haben erkannt, dass sie neue Zielgruppen brauchen. Wissenschaftler machen aus Geld Wissen, jetzt müssen sie die Wertschöpfungskette schließen, aus Wissen Geld machen, den Bedarf der Gesellschaft treffen, Akzeptanz für ihr Wissen erreichen.“ (Hans-Jörg Bullinger, Präsident Fraunhofer-Gesellschaft). 2016 kooperieren fünf Veranstalter regional mit Hochschulen und Unternehmen: VDI, Deutscher Verband Schweißen und verwandte Verfahren DVS, Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik VDE, Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit, Industrie- und Handelskammer Darmstadt für den Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK. Der erste Tag der Technik passierte 2004 mit BMBF, VDI, VDE, DVS, Stahlinstitut VDEh, Arbeitgeber NRW, Metall NRW, IHK Düsseldorf, DVT, HWK Düsseldorf, VDG und regionalen Partnern. ingen ieur.de/Arbeit-Beruf/Ausbildung-Studium/Ab-2005-es-Jahr-Tag-Technik, tag-der-technik .de, acc. 160131.

P OWERPOINTVORTRAG M ATERIALWISSENSCHAFT (2007/2008) | 221

fentlichkeit, die eingeladen ist, sich über Gegenstand, Forschungsfragen und Entwicklungen der an der TU Darmstadt ansässigen Wissenschaftsdisziplinen zu informieren. Die Power-Point-Präsentation wird mindestens ein zweites Mal vorgetragen, auf Einladung des interdisziplinären Graduiertenkollegs „Topologie der Technik“ das zweite Mal in fast unveränderter Form im Oberseminar, etwa ein Jahr später, am 18. April 2008, dafür wurde der Titel abgeändert zu „Nanotechnik in der Materialwissenschaft“. Beide Vorträge haben vom Gestus her einen Überblickscharakter und sollen in ein technikwissenschaftliches Gebiet (?) mit Namen Nanotechnologie einführen, meiner Ansicht nach geschieht das mit einer Mischung aus Distanz und Bejahung, worauf ich am Schluss zu sprechen komme. Beim Darmstädter Wissenschaftstag steht der Wissenschaftler an einem erhöhten Rednerpult, das Publikum kann nach dem Einkaufsbummel gegen Geschäftsschluss an kleinen Bistrotischen sitzend zuhören und gegen Entgelt etwas trinken. Die Centralstation, ein 1999 restauriertes Elektrizitätswerk, liegt als historisch-kultureller Veranstaltungsort im Zentrum einer strikt durchkommerzialisierten Fußgängerzone, inmitten von Einzelhandelsgeschäften, Kaufhäusern und in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer marginal bewirtschafteten Markthalle.4 Die Räumlichkeiten der Centralstation werden von börsennotierten Unternehmen ebenso angemietet wie von ESA, ESOC, EUMETSAT, dpa sowie vom Staatstheater, der Wissenschaftsstadt und der Sparkasse Darmstadt.5 An einem teilweise öffentlich finanzierten Veranstaltungsort informierte ein Fachwissenschaftler öffentlich über die neuesten Errungenschaften des Fachbereichs Materialwissenschaft (FB 21) der stadteigenen Universität. Der Vortrag wird zu Semesterbeginn des Sommersemesters 2007 räumlich und zeitlich als eine Art öffentlicher „Teaser“ für eine nachfolgende wissenschaftliche Veranstaltungsreihe gehalten, denn eine Woche später startet an der TU Darmstadt die erste von zwei Ringvorlesungen zum Thema Nanotechnologie. Die erste Ringvorlesung „Nanomaterialien in den Natur- und Ingenieurwissenschaften“ umfasst fünf Vorträge, die zweite läuft unter dem Titel „Nano-

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Das Restaurant wird abends von Veranstaltungen, vor allem Konzerten, abgelöst, die internationalen Künstler tragen zu einer maßvollen überregionalen Bekanntheit der Centralstation und Darmstadts bei, umfangreich von der Stadt und der ortsansässigen Energielieferfirma HSE – Heag Südhessische Energie AG unterstützt. Die Centralstation ist als kultureller Veranstaltungsort bekannt, die Eigenwerbung der Betreiber „Centralstation Kulturgesellschaft mbH“ bekennt sich zu einem partiell anders akzentuierten Konzept.

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„Centralstation Darmstadt. Location-Profil. Flexible Raumkonzepte und Dienstleistungen für Veranstaltungen“, centralstation-darmstadt.de/wp-content/uploads/2013/12 /LocationProfil.pdf, acc. 160131. Kunden sind u.a. Merck, MLP, Mercedes-Benz, Allianz, Procter & Gamble, Skoda, TUI, Deutsche Bank, Deutsche Telekom, P.E.N.-Zentrum Deutschland und Wella.

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Mikro-Makro: Grundlagen und Anwendungen hierarchisch strukturierter Materialien“ im Sommersemester 2008. Beide finden im ultramodernen Vorlesungssaal des zentral am Herrngarten gelegenen Piloty-Gebäudes statt. Die erste Ringvorlesung wird zehn Tage nach dem hier untersuchten Vortrag mit einem Auftaktvortrag eröffnet, der durch ein schriftliches Grußwort des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung BMBF sowie ein persönliches Grußwort des damaligen TU Vize-Präsidenten eingeleitet wird.6 Laut Website der TU Darmstadt wurde die Ringvorlesung „so konzipiert, dass sie für Wissenschaftler und Studierende aller Fachbereiche geeignet“ war.7 Beide Veranstaltungsreihen hatten einen repräsentativen Charakter und werden auf der Website des Instituts für Anorganische und Physikalische Chemie der TU Darmstadt als Doppelveranstaltungsreihe „Nanotechnik Ringvorlesung“8 verstetigt; dort gibt es Vorträge der ersten Ringvorlesung als PPT-Vorträge zum Herunterladen und Informationen zum akademischen Wahrnehmungsgrad der Veranstaltungsreihe. Insgesamt nahmen je Staffel mehr als 500 Zuhörer die Gelegenheit war, sich in fünf Vorträgen über Grundlagen, aktuelle Entwicklungen und Anwendungen eines breiten Spektrums von Nanomaterialien in Chemie, Physik, Material- und den Lebenswissenschaften zu infor9

mieren.

Ein Jahr später findet der Vortrag mit denselben PPT-Folien im Oberseminar des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Graduiertenkollegs Topologie der Technik vor einer großinterdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlern der TU Darmstadt statt. Die etwa zwanzig Zuhörer der zweiten Veranstaltung gehören sowohl den Geistes- und Sozial-, als auch den Ingenieurwissenschaften an und sind DoktorandInnen und Lehrende des Kollegs. Das verpflichtende Oberseminar des großinterdisziplinären Graduiertenkollegs wird als integraler Bestandteil der Ausbildung der Doktorandengruppe pro Semester fortlaufend, regelmäßig und unter einer festgelegten Fragestellung veran-

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Am 26.4.07 schreibt Andreas Storm (MdB) das Grußwort für die erste „Ringvorlesung Nanotechnologie“ (Zitat schriftliches Grußwort BMBF) als parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesforschungsministerin, Vizepräsident der TU Darmstadt war Johannes A. Buchmann.

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chemie.tu-darmstadt.de/schneider/forschung_aks/fspnanomaterialien/ausweiterbildung/ nanotechnikringvorlesung/nanotechnikringvorlesung.de.jsp, acc. 160131.

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Veranstaltungen zugänglich über die Website von Jörg Schneider.

9

chemie.tu-darmstadt.de/schneider/forschung_aks/fspnanomaterialien/ausweiterbildung/ nanotechnikringvorlesung/nanotechnikringvorlesung.de.jsp, acc. 160131.

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staltet.10 Der zweite Vortrag findet also an einem nicht-öffentlichen Ort, in einem universitätseigenen Vortragssaal, statt, hat für die Zuhörer einen verpflichtenden und in der Kombination mit einem geisteswissenschaftlichen Koreferat einen akademischen Ausbildungs-Charakter. Die Aufmerksamkeit wird nicht abgelenkt, es gibt keine Experimentalaufbauten, auf die der Vortragende hätte verweisen können, Mikrofontechnik ist nicht notwendig. Dennoch ist auch diese Veranstaltung multimedial mit Beamer, Laptop, Leinwand und einem portablen Rednerpult. Diesmal befindet sich der Vortragende auf der gleichen Ebene mit seinen akademischen Zuhörern und verweist während des Vortrags auf die Leinwand. Beide Präsentationen enden mit der Einladung: „Kommen Sie uns besuchen!“ Beim ersten Vortragsanlass richtet sie sich an das Publikum der Centralstation und bezieht sich auf den „Tag der offenen Tür“ des Fachbereichs 21 einige Wochen später. Beim zweiten Mal wird die Einladung allgemein an Kollegen ausgesprochen. Informationen zur Forschung werden durch Zusatzinformationen über die Institution, den Fachbereich, sowie die Einladung in die universitätseigenen Räumlichkeiten unterstützt.11 Zu Feynman besteht ein Zusammenhang über den Redegestus: Spricht dieser (noch) die Einladung an seine Fachkollegen (und später die Welt) aus, ein neues Feld der Physik zu betreten, wird nun ein konkretes Publikum eingeladen, die Räume der Materialwissenschaft, den Fachbereich einer speziellen Universität, zu besuchen und damit ‚die Wissenschaft‘ zu betreten, um deren Tätigkeit es geht. Die Geste, die den berühmten Vortrag getragen hatte, wird aufgenommen und uminterpretiert im Sinne einer Konkretisierung auf Jahr, Tag und Ort. Bezogen auf 2007 lässt sich das als selbstbewusstes und erkennbares Repräsentanzanliegen deuten, das diskursiv auf Feynmans Rede zurückführbar ist. Die Art der Inszenierung einer Schnittstelle von Öffentlichkeit und ‚nanotechnologischer‘ Wissenschaft schreibt sich damit fort.

 10 Das dritte Oberseminar des Graduiertenkollegs wurde von der Ingenieurgruppe des Kollegs organisiert. Sie hatte das Ziel, den Geistes- und Sozialwissenschaftlern einen Einblick in Methoden und Forschungsgegenstände der im Kolleg vertretenen Ingenieurwissenschaften wie Sportwissenschaften, Wasserbau, Informatik und Flugtechnik zu geben. Zusätzlich wurden die Sitzungen mit Koreferaten ingenieurwissenschaftlicher und flankierender geistes- oder sozialwissenschaftlicher (Gast-)Vorträge konzipiert. Großinterdisziplinäre Kommunikation wurde fallweise ausprobiert und Unterschiede von wissenschaftlicher Herangehensweise und Objekten in ihrer Differenz erfahrbar gemacht, indem sie fallweise aufeinander bezogen wurden. Infoflyer Oberseminar WS 2008, der Text wurde von Petra Gehring, der Sprecherin des Kollegs, verantwortet. 11 Die letzte PPT-Folie 59 zeigt das in der Dunkelheit hell erleuchtete Gebäude der Materialwissenschaft auf der Darmstädter Lichtwiese. Der Fachbereich Materialwissenschaft besteht 2007 aus elf Professuren und beschäftigt 111 wissenschaftliche Mitarbeiter.

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Der Vortrag ist ein Beispiel dafür, dass eine Rede eines Wissenschaftlers die universitätseigenen Räume verlässt und wieder in sie zurückkehrt. Zwar wurde die Präsentation nicht als genuin fachwissenschaftlicher Vortrag konzipiert, dennoch aber als solche wahrgenommen, als sowohl über Nanotechnologie als auch über Materialwissenschaft als akademische Disziplin informierende. Die Besucher der Veranstaltungen gingen ihrer eigenen Erwartung nach nicht zu einer Märchenstunde.12 Da die Präsentation an mehreren Stellen stark von literarischen oder kulturellen Interpretationsvorlagen überformt ist, kann man die Frage stellen, ob sie tatsächlich in großen Teilen von dem Wissenschaftler erstellt wurde, der sie gehalten hat. Die Vermutung lautet, dass es sich mindestens eine Koproduktion mit der öffentlichkeitsarbeitenden Stelle, der Pressestelle der TU Darmstadt gab, der Vortragstitel stammt laut Auskunft des Vortragenden von dort. Publikationsform, mediale Textgestalt, Textgenre Der Power-Point-Vortrag besteht zum großen Teil aus Abbildungen und enthält einige Textbestandteile. Ergänzt wurde er durch Demonstrationsobjekte und Experimentieraufbauten, es gab ein Rednerpult und die übliche Verstärkertechnik samt Mikrofonen. Der mündliche Vortrag wurde multimedial unterstützt, wobei das Geschehen, das sich in den Experimentieraufbauten abspielte, mit einer Livekamera auf eine Leinwand übertragen wurde. Als digital-orales Hybrid-Medium oder Textsorte ist die Power-Point-Präsentation abhängig von den sprachlichen Ausführungen des Vortragenden zu einem gegebenen Anlass, medial unterstützt durch eine Abfolge von Folien, die als Mischform von Text und Bild nacheinander auf eine Leinwand projiziert werden. Es gibt viele deiktische Elemente, bei denen der Vortragende auf die Folien zeigt, jedoch unterbricht er nur beim ersten Vortrag seine Ausführungen durch Handlungen an dem aufgebauten Versuchsaufbau. Der Vortrag beruht vorrangig auf mündlicher Rede, als mehr oder weniger kohärentes Aktual-Narrativ in die PPT-Folien eingebunden. Allerdings ist die Mündlichkeit im Zusammenhang mit der Aussagekonstitution nicht zwingend: PPT-Vorträge können eine Verstetigung ihrer Aussagen dadurch erhalten, dass sie im Internet zur Verfügung gestellt und zum lesenden Anschauen auf Computer oder Smartphone heruntergeladen werden. Im Internet fanden sich (nur) die Ankündigungen der Pressestelle samt Inhaltsangabe des Vortrags, geschrieben vom Sprecher der Universität. Googelt man den Titel „Im schwebenden Zug ins Nanozeitalter“, findet sich die Information über den Vortrag samt Inhaltsangabe im Informationsdienst Wissenschaft

 12 Skurrilerweise war der Vortrag bis 2012 (2016 nicht mehr) in einem Internetportal verzeichnet, wo Theateraufführungen gesammelt und mit Zusatzinformationen registriert werden. theaterportal.de/detail_stueck?pident=460355, acc. zuletzt 120921.

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idw.13 Obwohl die Schriftlichkeit in der Präsentation eine nachgeordnete Rolle spielt, sind Textbestandteile bezüglich beider Vorträge in Presse- und idwMitteilungen und dem Flyer des Graduiertenkollegs verstetigt. Obwohl der Vortrag ein mündlicher ist, spielt digital gespeicherte Sprache bei der Darstellung von wissenschaftlich-technischen Laborpraxen und wissenschaftlicher Entwicklungen, man könnte fast sagen trotz der Bilder, eine erhebliche Rolle. Der PPT-Vortrag als Veranstaltungsredeformat kann als durch zahlreiche Bilder ergänzte, semi-sprachliche Vortragsform charakterisiert werden, in den Begrifflichkeiten von Link handelt es sich bei PPT sozusagen um eine Art (Kollektiv-)Symbolproduktionsmaschine. Zugespitzt formuliert: Ohne Power-Point Vorträge gibt es keine Nanotechnologie.14 Stellt man die Frage, ob es sich bei dem untersuchten PPT-Vortrag um einen wissenschaftlichen Text handelt, müsste einerseits der Status von Wissenschaftlichkeit dieses Vortrags näher eingegrenzt, andererseits der Text-Status geklärt werden. Beides ist schwierig: Wie und in welchem Sprachraum lässt sich die Wissenschaftlichkeit genau dieses Vortrags verifizieren? Ist es die Autorität des wissenschaftlichen Autors, der die Wissenschaftlichkeit garantiert oder der Inhalt? Der Vortrag wird zumindest nicht als ein privater Reisebericht oder als Meinungsäußerung über Technik klassifiziert. Woher rührt die Wissenschaftlichkeit oder Nicht-Wissenschaftlichkeit? Ähnlich schwierig gestaltet sich die Einordnung bezüglich des verstetigten Text-Status, was auch für andere nanotechnologische PPTs gilt. Neben den

 13 idw-online.de/en/news203884. „Googlen“ oder „googeln“ darf nicht mehr als Verb für die allgemeine Tätigkeit von „im Internet suchen“ verwendet werden, weswegen der Eintrag in der 23. Auflage des Duden von 2004 auf Aufforderung des Unternehmens abgeändert werden musste von „im Internet, besonders in Google suchen“ zu „mit Google im Internet suchen“. Wäre „googeln“ als Verb allgemeinsprachliches Gut, würde der Markenschutz hinfällig, wie bei „Gelbe Seiten“, „Aspirin“, „Fahrstuhl“ oder „Linoleum“. Gattungsbegriffe können nicht industriell geschützt werden, welt.de/wirtschaft/webwelt /article235996/Nie-mehr-googeln.html, 160227. Ich verwende das Verb als Gattungsbegriff, da ich fast ausschließlich die Suchmaschine DuckDuckGo verwende. 14 Man könnte sagen, dass aufgrund der Verquickung der Nanotechnologie mit Industrie und Banken für „Wissenschaft“ dasselbe gilt wie für diese Bereiche. „Handlungen in der Wirtschaft, die von größerer Tragweite sind, werden in Powerpoint ausgebrütet, in PowerPoint geplant, in PowerPoint präsentiert und in PowerPoint abgesegnet. [...] mit höchster Wahrscheinlichkeit war es die suggerierte Entscheidungsoption, die bei einer Vorstandssitzung in PowerPoint präsentiert wurde. Damit ist der in PowerPoint formulierte Text kein zu vernachlässigendes Phänomen, kein Ergebnis anthropologisch begründeten Schreibtriebs oder nur Ausdruck unbeholfener Textarbeit von unprofessionellen Schreibern, sondern eine Erscheinung von politischer und gesellschaftlicher Relevanz.“ GRASSHOFF 2009, 63.

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Vorträgen aus der Ringvorlesung der TU Darmstadt 2007/08 sind davon zahlreiche weitere, digitalisierte Sprachzeugnisse zur Nanotechnologie betroffen15, für unterschiedliche Zusammenhänge konzipiert und für Laien oder ein gänzlich apersonalisierbares Publikum im Internet recherchierbar.16 Dass Technikdarstellung mit kom-

 15 (1) Bernd Steingrobe, Leiter Projektträger Energie, Technologie, Nachhaltigkeit ETN des Forschungszentrums Jülich, hat den Vortrag vom 30.3.07 zum Aktionsplan der Deutschen Bundesregierung zur Nanotechnologie sicher nicht nur am Centre d’information et de recherche sur l’Allemagne contemporaine (CIRAC) in Paris gehalten. „Entwicklung der Nanotechnologien. Die Nano-Initiative. Aktionsplan 2010“, cirac.u-cergy.fr/wp-cont ent/uploads/2015/06/2007_03_30_diapo_Steingrobe.pdf. (2) Power-Point-Vorträge von Mihael C. Roco finden sich zum Teil in Multimedia-Archiven von Konferenzen, eine gekürzte Übersicht bei der National Science Foundation NSF der USA nsf.gov/crssprgm /nano/reports/nnipres.jsp, dort sind teilweise verzeichnet: (a) G8-UNESCO-World Forum Treffen im Mai 2007 in Triest: g8forum.ictp.it/multimedia/slides/Roco.pdf/view. (b) Boston „Long View in Nanomanufacturing“, 27.05.09 internano.org/ocs/index.php/NMS/ NMS2009/paper/view/48/67. (c) Nano Institute der Universität Utah 15.10.09, nanoinstitute.utah.edu/news-events/news-releases/mihail-roco.php, dort bestand der Link auf die PPT-Folien bis 2010. (d) Keynote Brüssel: „Long View for Nanotechnology R & D at NSF and NNI“ am 16.04.07, nsf.gov/crssprgm/nano/reports/nni_longviewus.pdf, alle acc. 160131. Roco fungiert mit W S Bainbridge als Herausgeber als Publizist zu Nanotechnologie und den Converging Technologies, (2006a): Managing Nano-Bio-Info-Cogno Innovations. Emerging Technologies in Society. (Springer), (2006b): Nanotechnology: Societal Implications I. Maximizing Benefits for Humanity. (Springer). Rocos unter (a) aufgeführter PPT-Vortrag beim G8 Gipfel enthält eine Innovations-Definition, die Geoff Nicholson zugeschrieben wird: „Research is the transformation of money into knowledge; innovation is the transformation of knowledge into money.“ Die simplifizierende Sichtweise auf Innovation findet sich auch in der Nanoblume (Kapitel II.6), sowie bei der Abschlussveranstaltung des ersten Tag der Technik von 2004, vgl. Fußnote 3 dieses Kapitels. Innovation als Versprechen auf die Generierung von Wohlstand geht mit einem Bottom-Up Raumskript einher. 16 Als Beispiel für eine PPT-Suchmaschine slidefinder.net, die von der Universität der Bundeswehr Hamburg gelobt wird: „Es lohnt sich immer, im Web eine gelungene Präsentation zu einem Thema zu finden, sei es nun, um sich in komprimierter und optisch ansprechender Form in eine Thematik einzuarbeiten, oder um sich Anregungen zu holen für eigene Präsentationen. [...] Die fortgeschrittene Suche ermöglicht hier sehr gute Möglichkeiten, Ihre Recherche zu präzisieren und bietet auch eine Option, sich gezielt nur das Angebot an Präsentationen von Universitäten anzusehen.“ Slide-Finder liefert zur Suchanfrage „nanotechnology“ mehr als 1000 Ergebnisse, zu denen jeweils die Veröffentlichungstermine angegeben sind. „Slide Finder is the best way to find inspiration to your

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plexen diskursiven raumsemantischen Operationen einher geht, wird deutlich, wenn der vortragende Wissenschaftler das Bild einer technisch ermöglichten Levitation eines Sumo-Ringers zeigt und erklärt: „Der Supraleiter mag keine magnetischen Felder und stößt sie ab.“17 Zur Titelgebung Der Vortrag wird als digitale PPT mindestens einmal unter dem poetischen Titel „Schöne neue Welt der Materialien – Im schwebenden Zug ins Nano-Zeitalter“ gehalten. Für den ersten Anlass wurde er auf Plakaten und Flugblättern sowie auf der Website der TU Darmstadt angekündigt und das Thema mit dem Satz zusammengefasst: „TU-Wissenschaftler präsentiert die faszinierende Welt der Materialwissenschaften.“18 Laut Auskunft wurde der Titel vom Leiter der „Corporate Communications“, dem Sprecher der Universität ausgewählt. Er und weitere Mitarbeiter der Pressestelle haben die Ankündigungstexte für die Plakate und die Textbausteine der universitätseigenen Website verfasst und in der regionalen Printpresse, wie beispielsweise dem Darmstädter Echo, verbreitet. Für den zweiten Vortrag im Graduiertenkolleg „Topologie der Technik“ wurde „Nanotechnik in der Materialwissenschaft“ gewählt, dieser Titel stammt vom Vortragenden selbst. Im Folgenden gehe ich nacheinander auf beide ein. „Schöne neue Welt der Materialien – Im schwebenden Zug ins Nano-Zeitalter“ ist eine sprachkreative Abwandlung der Titelung eines Werkes der (in Linkschen Begrifflichkeiten gesprochen) institutionalisierten Literatur. Aldous Huxleys „Brave New World“ wurde als englischsprachiger Roman 1932 veröffentlicht, und ist sowohl in deutscher Übersetzung als auch in anderen Sprachen seitdem erhältlich.19 Bisweilen wird die Erzählung in Deutschland als Schullektüre im Englischunterricht gelesen und ‚gelehrt‘. Um die sprachkreative Abwandlung, den elementarliterarischen Akt, der sich mit der Titelgebung des PPTs verbindet, näher zu analysieren, gehe ich auf den mehrfach verfilmten Roman20 ein, der eine hochtechni-

 new slides.“ wp.ub.hsu-hh.de/suchmaschine-fur-ppt-prasentationen-slidefinder/. Nicht gut funktioniert pptnetwork.net/ bzw. ppthunter.com, „Nanotechnology“ erzeugt 17 Treffer. Alle acc. 160227. 17 Folie 24 des materialwissenschaftlichen PPT-Vortrags. 18 Presseinformation TUD Aktuell vom 2.2.2007. 19 Auf den Zusammenhang im Werkprozess wird hier nicht eingegangen. Huxley kam mit weiteren literarischen Produkten später auf diesen früheren Roman zurück. 20 Den Film THX 1138, der erste Langspielfilm von George Lucas von 1971, ist eine filmische Umsetzung von Brave New World, bei der allerdings einige Elemente geändert

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sierte Zivilisation als in jedem Lebensbereich technisch und kulturell ‚fortgeschrittene‘ beschreibt; es ist beispielsweise mit technischer Unterstützung möglich, im Schlaf zu lernen. Der Zeugungsprozess von menschlichem Nachwuchs vollzieht sich als technischer Herstellungsvorgang und Produktion ausschließlich im Labor.21 Mit gezielten Eingriffen in den Reifungsprozess der Embryonen werden Menschen mit unterschiedlichen Körper-Fähigkeiten und unterschiedlicher Wertigkeit produziert.22 Die Technisierung aller Produktionsvorgänge ist gekoppelt an strenge, hierarchisch organisierte Arbeitsteilung. Als omnipräsente, lebensermöglichende psychische Funktionsdroge wird Soma konsumiert. Die Psychodroge ermöglicht neben anderen Techniken das alltägliche Leben in der arbeitsteilig organisierten, hochtechnisierten, hierarchischen Gesellschaft, deren Mitglieder bis zum Alter von sechzig Jahren leben und dann sterben; eigentlich müsste man sagen: freiwillig aus dem Leben scheiden.23 Man kann Brave New World als dystopischen Zukunftsentwurf klassifizieren, der dem Science-Fiction-Genre angehört. Es wird von einer fernen Zukunft erzählt, die zum Teil in einem futuristischen London lokalisiert ist. Der Leserin von 2016 erscheint die Erzählung gespickt mit einer Reihe scharfsichtiger Extrapolationen technischer Entwicklungen (Post-Industrialisierung, Automatisierung) und sozialer Entwürfe (Fordismus, Kommunismus, Kapitalismus) entlang einer den technischen Entwicklungen und sozialen Entwürfen jeweils innewohnenden Logik. Bei der Titelgebung für den materialwissenschaftlichen Vortrag wurde eine sprachkreative (elementarliterarische) Handlung unternommen. Formal wurde für den ersten Titel „Brave New World“ ins Deutsche übersetzt bzw. einer deutschen Übersetzung ent-

 wurden. Die Verweigerung der Droge ist wie in Brave New World das Element, das die Handlung in Gang bringt. 21 Die Frauen nehmen permanent Verhütungsmittel ein, deswegen werden echt schwangere Frauen als verabscheuungswürdige, tierische Organwesen räumlich aus der Gesellschaft ausgelagert. Sie existieren in einem räumlich ausgegrenzten Reservat mit einem Status, den man bezeichnen könnte als ‚eigentlich gibt es sie nicht, denn es darf sie nicht geben‘, analog dazu gilt echte Vaterschaft als größtmöglicher Skandal. 22 Individuelle Liebesbeziehungen gibt es ebenso wenig wie ‚individuelle‘ Kinder, das Liebesleben in öffentlich-allgemeiner Weise sexuell definiert als punktueller Austausch von Körperlichkeit ohne weitergehenden Besitzanspruch oder längere Beziehungsdauer. 23 Die Handlung wird in Gang gesetzt, indem der Somakonsum als solcher zunächst infrage gestellt und verweigert wird. Durch den (un)freiwilligen Verzicht auf Soma ergeben sich andere Sichtweisen und Interpretationsmöglichkeiten im Hinblick auf das, was als unhinterfragbare Wirklichkeit begegnet; dies wird teilweise als schmerzhafter Verlust von Selbstverständlichkeit und Kultur empfunden, es werden Handlungen davon beeinflusst und teilweise Abweichungen hervorgerufen, die die Staatsordnung infrage stellen.

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nommen und minimal ergänzt. Die kollektive sprachkreative Handlung von Pressestellenleiter, Materialwissenschaftler und Rezipienten erstreckt sich auf eine Umkontextualisierung einer ursprünglich satirisch-dystopischen Kritik an technischer Zivilisation hin zu einer materialwissenschaftlich ermöglichten ‚neuen Zeit‘. Im Nano-Zeitalter wird eine positiv konnotierte schöne neue (technikwissenschaftliche) Welt erreicht. Die elementarliterarische Handlung besteht darin, einen Buchtitel aufzunehmen, die Kontextualisierung aktiv zu ändern und eine andere Bedeutung zu kreieren. Es wird nicht nur ein ‚festgeschriebener‘ Sinn zweckentfremdet, sondern durch die Adaption verändert sich sozusagen der Sinn des Titels. In Linkscher Terminologie wird das Kollektivsymbol „Brave New World“ (der Titel steht metonymisch für die Erzählung, die wiederum als Symbol für eine umfassende und komplexe Technikkulturkritik gilt) kollektiv weitergedichtet und umgeschrieben. Was verändert sich durch die Adaption? Das Sprachmaterial „Brave New World“, als Titel einer technisch-wissenschaftlichen Kulturbeschreibung aus der institutionalisierten Literatur zur Verfügung stehend, wird elementarliterarisch in die Präsentation eines technisch-wissenschaftlichen Zusammenhangs integriert. Durch die sprachliche Adaption für einen materialwissenschaftlichen Vortrag passieren mehrere Dinge: Die komplexen Reflexionen auf Technik werden auf die schlichte Demonstration von Technik reduziert.24 Dies passiert mithilfe von (elementar) vorhandenen Sprachelementen. Die Ironie des Titels von 1932, einhergehend mit einer komplexen Assoziation einer dystopischen Technikreflexion, wird nicht nur einfach ignoriert, sondern aktiv verabschiedet, indem die Aussage auf eine präsentierende, lineare Evokationsfigur reduziert wird. Der neue Titel besagt: „Wir zeigen Euch x“, die schöne neue (nano-)technisch ermöglichte Zukunftswelt. Die Huxleysche Aussage: „Wir reflektieren auf x“, das heißt, wir ironisieren die Folgen einer bestehenden, beobachtbaren Techniklogik als schöne neue technisch ermöglichte Zukunftswelt, wird damit verabschiedet. Das liegt nur zum Teil an einer ‚falschen‘ Übersetzung des Adjektivs „brave“ (übersetzbar als mutig, couragiert, bereit für die Herausforderung, semantisch mit Stärke und Kraft assoziiert), das im Deutschen mit „schön“ übersetzt wird. Sowohl der englische als auch der deutsche Titel sind auf

 24 Eine ähnliche Änderung der Sprachfunktion findet sich oft bei der Namensgebung von technischen Objekten, wobei jeder Fall semantisch anders liegt. Das von der Stadt Ulm 1996 preisgekrönte praxistaugliche Solarflugzeug der Universität Stuttgart heißt sinnigerweise Icaré II. Erwähnt wird es im ‚Standardwerk‘ des BMBF zur Nanotechnologie, das u.a. ins Chinesische, Russische und Arabische übersetzt wurde: „Nanotechnologie – Innovationen für die Welt von morgen“ BMBF 2006 [2004], 42. Dort wird die Reflexion des antiken Mythos auf menschliche Hybris, manifest in Technikentwicklung, abgewandelt zu einer schlichten Demonstration des Erfolges technologischer Entwicklung.

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ihre Weise ironisch, beide Male ist die Ironie über den Buchtitel erkennbar.25 Indem die Sprache des Materialwissenschaftlers sich bejahend auf den Gegenstand seiner Fachwissenschaft, „Materialien“, und die damit verbundenen neuen technischen Machbarkeiten, also ‚Technik‘ bezieht, ist der Sprachgebrauch linear-evokativ, in Linkscher Terminologie emblematisch. Dieser emblematische Sprachgebrauch wird auf den einleitenden PPT-Folien des Vortrags fortgesetzt. Bilder von Rennwagen und schweren Unfällen aus der Formel 1 werden mit dem Kommentar gezeigt, dass Funktionsweise und Qualitäten der zur Herstellung der Karosserie verwendeten Materialien „die Lebensversicherung“ für die Fahrer sind, wenn sie „mit 300 km/h gegen die Reifenwand“ prallen (Folien 3 und 4). Die Materialien, Carbonfasern, retten Menschenleben: „Es ist das Material!“ heißt es auf Folie 6, diese seien „leicht, hochtemperaturfest“ und von „hohe[r] Bruchzähigkeit“. Das Material wird emblematisch als schönes und belastbares gezeigt und bezeichnet. Allerdings gibt es einen poetischen Rest: den „schwebenden Zug ins Nanozeitalter“, der wichtig für Verständnis der gesamten Emblematik des Titels ist. Man kann den Transrapid, der an einer Stelle vorkommt, als schwebenden Zug bezeichnen und im Experimentalaufbau gibt es einen schwebenden Spielzeugzug, der aber nicht als Reisemittel funktioniert, mit dem man buchstäblich ins „Nanozeitalter“ reisen könnte. Die angekündigte metaphorische Reise in ein technisch anders bestimmtes (neues) Zeitalter ist poetisch-metaphorisch und nicht emblematisch. Die schöne neue Welt der Nanomaterialien lässt sich nur dann als bejahende, und nicht etwa ironisch-kritische, Vision verstehen, wenn als Zusatz das neue Zeitalter in unironischer Weise angesprochen wird.26 Damit wird das Vertrauen ausgedrückt, dass die zukünftige eine im guten Sinne technisch durchsetzte Welt ist, von einer tech-

 25 Der englische Buchtitel „Brave New World“ assoziiert eine ständige Herausforderung, die mit der Zukunft verbunden ist. Im Kontrast dazu geht es nur um ein völlig widerstands- und konfliktfreies Zusammenleben. Daraus ergibt sich Ironie, die im Deutschen anders wieder gegeben wird, wenn die Zukunft als „schön“ bezeichnet wird. Die Ironie wird auf eine andere Weise als im Englischen an das Adjektiv gebunden, indem die Glätte und Schönheit eines konfliktfreien und vollständig geregelten Zusammenlebens zwar wie in der Erzählung benannt werden, aber als Provokation den Widerspruch des Lesers herausfordern: die geschilderte Welt wird nicht als schön empfunden. 26 Auf die religiösen Implikationen der Aussage über ein kommendes Zeitalter gehe ich nicht ein. Schummers streckenweise arg autorzentrierte Rekonstruktion des Erfolgs der Nanotechnologie führt diese auf die Zentralfigur Eric Drexler, die Popkultur und eine Übernahme allgegenwärtiger Erlösungsvorstellungen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zurück. Meiner Ansicht nach erklärt das nicht, wieso Nanotechnologie in Deutschland, Europa, Asien, Russland und Japan erfolgreich funktioniert. SCHUMMER 2009, 58f, 49f.

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nisch ermöglichten Leichtigkeit („schwebender Zug“) gekennzeichnet. Der Mühsal der Erdgebundenheit, Bodenhaftung und Reibung von Transportmitteln wird eine schwebende Technik entgegengesetzt, die ihrerseits Bezug auf ein weiteres technisches Kollektivsymbol nimmt, die Eisenbahn. Die Eisenbahn, gefertigt aus Eisen und Stahl, ein Symbol des Industriezeitalters, wird im Nanozeitalter in die Luft gehoben. Damit wird das Kollektivsymbol Eisenbahn als lärmendes, schmutziges Kennzeichen eines industriell durchsetzten technischen Fortschritts revitalisiert, und ihr die Verheißung der Lautlosigkeit eines schwebenden Transportmittels (gewissermaßen adjektivisch) beigesellt. Der Krach des gegenwärtigen Eisenbahnbetriebs gehört der Vergangenheit an, das Nano-Zeitalter etabliert eine lautlose und elegante Form des Schwebens als nachhaltige Form öffentlichen Verkehrs (Züge als öffentliche Transportmittel). Der Lärm unseres Zeitalters wird abgelöst von einer (versöhnlichen) Eleganz und Leichtigkeit eines kommenden Zeitalters für alle.27 In Anlehnung an die Begrifflichkeiten von Link wird der komplexe Signifikant „Brave New World“ als Symbol eines kritischen Zukunftsentwurfs durch die Titelung des materialwissenschaftlichen Vortrags umgedichtet. Buchstabiert der Roman Technikentwicklung als fiktionale Welt im kritischen Großentwurf aus, dichtet der Vortragstitel diese sozusagen als ausschnitthaften Großentwurf, als „Welt“ der Materialien im „Nano-Zeitalter“, zu einem mindestens eleganten Zeitalter um. Dabei werden nicht explizit Adressaten genannt, an die sich der Zukunftsentwurf richtet und für die der Zukunftsentwurf gemacht wird. Aber auch wenn kein direkter Verweis auf Akteure sichtbar ist, lassen sich Aktanten identifizieren: semantisch gesehen fährt der schwebende Zug nicht zweckfrei und zum Spaß. Er wird entweder von Reisenden, also Personen, befahren oder genutzt, oder von Gütern, allerdings macht es meiner Ansicht nach keinen Sinn, den schwebenden Zug ins Nanozeitalter als Güterzug zu imaginieren. Im Sinne eines eingemeindenden Sprachduktus eines Fachwissenschaftlers, der sich gegenüber Laien über sein Fachgebiet äußert, wird die Einladung geäußert, dieses Fachgebiet gemeinsam mit dem Experten aufzusuchen und gemeinsam mit ihm die Reise anzutreten. Es ist eine Reise für alle. Dieser Interpretation zufolge lässt sich aus der Perspektive der Technikentwicklung der Nanomaterialien in allgemeiner Weise eine „Schöne neue Welt“ herleiten: der schwebende Zug (eine mithilfe der Nanomaterialien ermöglichte Technikentwicklung) führt uns, und zwar uns alle, ins Nanozeitalter, zu einem Zeitalter, dessen technischer Entwicklungsstand und -fortschritt geprägt ist von Nano(-materialien).

 27 Inwieweit kollektivsymbolisch eine Umdeutung oder ‚Glättung‘ der Geschichte des Eisenbahnbaus erfolgt, bleibt offen. Die evozierte Eleganz und Leichtigkeit öffentlicher Verkehrsmittel hängt meiner Ansicht nach mit gesellschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen zusammen, die sich, falls überhaupt, auf den Gebrauch, aber sicher nicht auf ihre Erbauung beziehen.

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Der Titel bleibt, die Aussage ändert sich: Indem der Pressestellenleiter den Titel einer Erzählung, in der es um zukünftige technische Entwicklungen geht, auswählt, um auf diese Weise mithilfe der Gemeinsprache der Öffentlichkeit einen Zugang zu einem technischen Forschungsbereich zu ermöglichen und sie für diesen zu interessieren, wird die skeptische Aussage im Hinblick auf die Wahrnehmung zukünftiger technischer (und sozialer) Entwicklungen aktiv und konkret mit diesem Vortrag verabschiedet. Der PPT-Vortrag lässt sich als textueller Punkt identifizieren, der die skeptische Huxleysche Romanaussage ausdrücklich abwinkt. Ihr entgegen gesetzt wird die Verheißung einer ungebrochen positiven technischen Entwicklung: eleganter, lautloser, öffentlicher Nahverkehr trägt uns als Personen, eventuell sogar als Gemeinschaft (nano-)materiell ermöglicht in ein besseres Leben im Nano-Zeitalter. Man kann sich fragen, ob der Titel die Technikentwicklung im Großentwurf „Welt“ deshalb positiv konnotiert, weil es sich nur um einen Ausschnitt, nur um eine Teilperspektive handelt (die Entwicklung, die auf Nanomaterialien basiert) oder ob der Titel besagt, dass es eine allgemeine positive Technikentwicklung in eine „neue Welt“ gibt, die auf Nanomaterialien beruht. Im Vortrag zeigen zwei Folien unter der Überschrift „Schöne neue (supraleitende) Welt“ sowie „Schöne neue Welt der Solarzellen“ zwei mal bildliche Darstellungen als Fotomontage aus Landschaftsbildern und Technik, was darauf hindeutet, dass es darum geht, eine Aussage über eine allgemeine positive Technikentwicklung zu machen.28 Der zweite Vortragstitel für den interdisziplinären akademischen Zuhörerkreis verzichtet auf das verheißungsvolle Aussageelement, das sich auf die Zukunft bezieht. Er lautet „Nanotechnik in der Materialwissenschaft“ und ist auf den ersten Blick weniger poetisch als sachbezogen. Wenn „Nanotechnik“ zum Gegenstand wird, genauer, „Die Nanotechnik in der Materialwissenschaft“, scheint diese offenbar in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zuhause zu sein. Der Titel nimmt Bezug darauf, dass es eine große Bandbreite von Wissenschaftsdisziplinen gibt, die sich qua Forschungsinteresse und Forschungstätigkeit als zur Nanotechnologie zugehörig behaupten und als solche akzeptiert werden. Die Hauptaussage lautet, dass „Nanotechnik“ sich in einem weiten disziplinären Umfeld tummelt und ein Thema oder Forschungsfeld oder Forschungsgegenstand für unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen darstellt, unter denen die Materialwissenschaft eine von mehreren ist. Dabei ist es der Beitrag der Materialwissenschaft, der dargestellt wird und die Art und Weise, wie Nanotechnik durch sie verwirklicht wird. Interessant ist, dass im Gegensatz zum ersten Titel nicht auf etwas verwiesen wird, das man mit Nanomaterialien tun kann. Wichtig ist nur, dass es um Technik geht, nicht um Mikrosystem-, Computer- oder Fahrzeugtechnik, sondern um Nanotechnik. Trotz der Disziplinenvielfalt, trotz der Bindung an unterschiedliche wissenschaftliche Diszi-

 28 Folie 31 und 39 des PPT-Vortrags.

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plinen geht es um etwas einheitlich zu Definierendes, um Technik, die abgrenzbar von anderen Techniken oder als Technologie abgrenzbar von anderen Technologien ist. Dabei wird die Deutung: „es gibt eine einheitlich definierbare Nanotechnik“ nicht nur billigend in Kauf genommen. „Nanotechnik in der Materialwissenschaft“ schließt diese Interpretationsmöglichkeit sowohl logisch als auch empirisch ein. Selbst wenn unklar bleibt, was Nanotechnik ist, gibt es unterschiedliche Wissenschaften. Der Titel propagiert eine Differenzierungsmöglichkeit im Hinblick auf wissenschaftliche Disziplinen, die als gegeben gesetzt wird und umgekehrt eine Aussage bezüglich der Einheit der Technik macht. Gibt es einen einheitlichen Gegenstand Nanotechnik, lassen sich unterschiedliche disziplinäre Perspektiven beleuchten, Nanotechnik in der Materialwissenschaft, Nanotechnik in der Biologie, Nanotechnik in der Literatur.29 Wenn die direkte Bezugnahme auf Huxleys „Brave New World“ vermieden wird, bleibt der Bezug zu dem Roman in einer allgemeineren Form und nicht direkt auf Nanotechnologie bezogen erhalten. Im dritten Teil des Vortrags wird das Bild der „Schönen neuen (supraleitenden) Welt“ gezeigt, die eine Abbildung einer „Stadt der Zukunft“ darstellt, die als „Vision“ gekennzeichnet ist. Diese Vision stammt von dem international tätigen Konzern Siemens und zeigt, dass an verschiedenen Stellen des städtischen Umfelds supraleitende Technologien im Einsatz sein werden. Kraftwerke werden mit „supraleitenden Generatoren“ und Verkehrsmittel mit „supraleitenden Komponenten“ ausgestattet, generell soll das Energiemanagement „via Satellit“ gesteuert werden. Auf Folie 39 wird in einer grellbunten Fotomontage eine Art landschaftlich eingebettetes Solar Valley gezeigt, die Überschrift dazu lautet: „Schöne neue Welt der Solarzellen“.30 Der technologische Machbarkeits-Blickwinkel blendet alle problematischen Fragen aus, die die Nutzung und

 29 Diese Perspektivierung sollte in der genannten Oberseminarsitzung der mir zugedachte Part sein, den ich durch aktive Reflexionsübungen mehr schlecht als recht erfüllt habe. 30 Es handelt sich um eine kollektivsymbolische Aneignung des „Silicon Valley“. Die Region in Kalifornien versammelt wirtschaftlich erfolgreiche Technologiefirmen zur Computertechnologie, der Name verbindet den Werkstoff Silikon, der zur Herstellung von Computerchips gebraucht wird, mit einem Landschaftsbegriff und benennt damit sozusagen eine dauerhafte Landnahme der Technikentwicklung. Das Silicon Valley ist nicht nur das Symbol für technologische Innovation, die zu einer Revolution der Lebensumstände der westlich geprägten Zivilisation geführt hat. Es ist ein Orts-Symbol, an dem sich dynamische Forschung und Entwicklung konzentriert, im Sinne eines wirtschaftlichen Clusters (Kap. II.5) brodelt und letztlich nationalen wirtschaftlichen Erfolg verursacht, insofern ein raum- und techniksemantisch gesättigtes politisches Symbol. Die Solarforschung, in Deutschland politisch stark gefördert, sollte technologisch in die Fußstapfen des beispiellosen Erfolgs des Silicon Valley treten. Zum europäischen nanoValley vgl. Anhang.

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staatliche Förderung der Solarenergie als genuin deutscher Energiequelle betreffen. Für beide Darstellungen gilt von der emblematischen Aussagekonstitution und der fehlenden Ironie her das, was oben gesagt wurde. Wissenschaftsdisziplin(en) der Nanotechnologie Der für den zweiten Anlass der PPT-Präsentation gewählte Titel verweist auf eine Disziplinenvielfalt, aus der die Nanotechnik als einheitlicher Gegenstand hervorragt, man könnte auch sagen, diese Disziplinen erzeugen die Nanotechnik. Da die Folien für die Vortragsanlässe nicht geändert werden, betreffen die Analysen beide Vorträge, mit einer Einschränkung, die allerdings nicht die Vortragsanlässe betrifft, sondern die Performanzsituation. Wird die Folienbeschriftung genauer in den Blick genommen, entsteht eine Schieflage zur mündlichen Aussagekonstitution der Präsentationen. Wenn ich mich mit den Folien beschäftige, geschieht dies im Rückgriff auf meine Notizen zu den mündlichen Ausführungen des Vortragenden, der seine Aussagen auf die gezeigten Abbildungen bezogen hat. Insgesamt besteht die Präsentation aus knapp 60 Folien, gruppiert in fünf Teile plus Einleitung. Die ersten beiden Teile ergeben eine Standortbestimmung der Materialwissenschaft, sowohl allgemein („Was ist Materialwissenschaft?“) als auch konkret: „Materialwissenschaft in Darmstadt“. Teile drei und vier des Vortrags zeigen eine Reihe von Beispieltechnologien, deren Entwicklung der Materialwissenschaft zukommt, auch ein Beispiel aus dem Fachgebiet des Vortragenden, den sogenannten „Dünnen Schichten“. Im letzten Teil kommen ebenfalls Beispieltechnologien vor, dort unter der Extraüberschrift „Nano,zeitalter‘“ (das Wort „Zeitalter“ steht in Anführungsstrichen). Der Vortrag setzt auf den letzten fünf Folien gewissermaßen neu an, die Frage nach der Nanotechnologie kommt erst ganz am Schluss, vor „Fazit“ und Verabschiedung, gewissermaßen als Krönung des Vortrags, ins Spiel. Um die Frage nach der Disziplinenvielfalt der Nanotechnik zu beantworten, gehe ich vor allem auf die Folien 12 – 14 näher ein, die sich mit der Disziplinenvielfalt der Materialwissenschaft beschäftigen, außerdem geht das „Fazit“ auf diese Frage ein. Die Materialwissenschaft wird mit der Nanotechnologie in eins gesetzt, sobald es um die sogenannten Schlüsseltechnologien geht. Die drei Folien zur Disziplinenvielfalt der Materialwissenschaft befinden sich im ersten Teil der Präsentation, der an die siebenfolige Einleitung samt Übersicht anschließt. Dieser erste Teil des Vortrags fragt: „Was ist eigentlich Materialwissenschaft?“ Bei der Klärung der Identitätsfrage finden sich auf Folie 12 bis 14 nähere Angaben zu einem (verräumlichten) Wissenschaftsverhältnis, in dem Nanotechnologie als Technologie und als Wissenschaft verortet ist. Die Abfolge der Folienüberschriften lautet Schlüsseltechnologien, Interdisziplinarität, Brückenfunktion der Materialwissenschaften. Zunächst gehe ich auf (a) die mittlere Folie 13 ein, über-

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schrieben mit dem Stichwort „Interdisziplinarität“. Danach (b) auf Folie 14, überschrieben mit „Brückenfunktion der Materialwissenschaften“. Zuletzt komme ich zu (c) Folie 12, den „Schlüsseltechnologien“. (a) Folie 13 zeigt Materialwissenschaft als Disziplin, die Chemie, Physik, Mathematik und Ingenieurswissenschaften „interdisziplinär“ vereinigt.31 In der oberen Bildhälfte weisen gelbe Pfeile aus gelb unterlegten Feldern auf die in der Mitte gelegene Materialwissenschaft. Die kleinen Farbfelder tragen in blauer Schrift die Namen von Einzelwissenschaften, ein großes Farbfeld zeigt die umgekehrte Farbgebung, gelbe Schrift „Materialwissenschaft“ auf blauem Untergrund. Die unidirektionalen Pfeile zeigen, dass klar abgegrenzte Einzelwissenschaften Wissen und Methoden in die Materialwissenschaft einfließen lassen (nicht umgekehrt). Das mittig gelegene, querovale Materialwissenschaftsfeld ist deutlich größer als das der zufütternden Einzelwissenschaften und besteht aus zwei Teilen, die sich als Modell eines Trichter-Körpers interpretieren lassen. Unter der perspektivisch gebogenen Oberfläche liegt ein eckiger Trichter mit der Aufschrift „interdisziplinär“. Der Eindruck eines geometrischen Körpers entsteht, weil das Wort perspektivisch gebogen ist. Die Farbgebung der Wissenschaftsfelder ist reziprok und komplementär, die Herkunftswissenschaften stehen blaulila auf Gelb, die interdisziplinäre Materialwissenschaft steht gelb auf Blaulila. Der interdisziplinäre Materialwissenschafts-Trichter liegt, in bildwissenschaftlich-geometrischer Bildanordnung verstanden, oberhalb einer dicken roten Scheibe, die die untere Hälfte der Folie ausfüllt. Auf der dem Betrachter zugewandten Seitenfläche der Scheibe steht in grüner Schrift, perspektivisch gebogen, „High-Tech Anwendungen“, auf der Oberfläche tummeln sich (in grün unterlegten Farbellipsen) wissenschaftliche Einzeldisziplinen und Techniken wie Energietechnik, Medizin, Elektronik, Maschinenbau. Sie sind auf der „High-Tech Anwendungsscheibe“ nicht perspektivisch geschrieben, sondern in schöner Zweidimensionalität locker angeordnet, so dass die perspektivische Körperhaftigkeit der Darstellung wieder auf den zweidimensionalen, textschriftüb-

 31 „Materialwissenschaft – Was ist denn das?“, Schnuppertage für Schülerinnen 11.06.08 TU Darmstadt. Es ist „die Aufgabe von Materialwissenschaftlerinnen, immer neue Werkstoffe mit verbesserten Eigenschaften, z.B. fester, temperaturbeständiger, leichter etc. zu entwickeln und diese für technologische Anwendungen zu optimieren. Dabei ist es für uns wichtig, das Verhalten der Werkstoffe zu verstehen. Wenn Ihr also Fächer wie Mathe, Physik und Chemie mögt, wird euch dieser Studiengang interessieren, denn Materialwissenschaft ist eine fachübergreifende Wissenschaft. Außerdem bekommt ihr Einblicke in [...] Fachbereiche wie Mechanik, Maschinenbau und Elektrotechnik.“ tu-darm stadt.de/schnuppertage/Materialwissenschaft_2008.pdf, zuletzt acc. 080603, als emphemeres Kommunikationsdokument 2016 nicht mehr digital zugänglich.

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lichen Raum der Gutenberg Galaxie32 herunter gebrochen wird. Die Gestaltung der Folie hat nicht die höheren Weihen des Mediendesigns genossen, Farbgebung und graphisches Design kann man als dilettantisch und unansprechend bezeichnen. Dennoch erfüllt die Folie den Zweck, einen komplexen Aussagezusammenhang bildlich darzustellen.

Abb. 5: Folie 13 des materialwissenschaftlichen Vortrags

Farblich zerfällt sie in zwei Teile: Physik, Chemie, Mathematik und die Ingenieurwissenschaften bilden mit der Materialwissenschaft farblich eine Einheit (blau – gelb). Ein Bereich von Anwendungen liegt, farblich abgesetzt (rot – grün), darunter, unter der Überschrift „Interdisziplinarität“, ein komplexer Zusammenhang mehrerer Einzelwissenschaften und sogenannter „High-Tech Anwendungen“ wird in räumlicher Ordnung dar-, man könnte auch sagen, der Zusammenhang wird durch die Überschrift hergestellt. Im Zentrum der interdisziplinäre „Vermittlungstrichter“, eine selbst als in sich interdisziplinäre gezeigte Materialwissenschaft, zugefüttert aus Physik, Chemie, Mathematik und Ingenieurwissenschaften. Unter dieser liegt, profitierend, ein großer Bereich von Hochtechnologie-Anwendungen, die in der Energietechnik, der Medizin und Elektronik sowie für den Maschinenbau wichtig sind, diese „Anwendungsbereiche“ sind sowohl Technikbereiche als auch Einzelwissenschaften. Man kann das Foliendesign als entfernte Verwandte oder gar Bastard eines Schemas einer Labor-Experimentalanordnung, eines industriell-technischen Fertigungszusammenhangs und einer sozialwissenschaftlichen Visualisierung ansehen. Hier geht es darum, die Folie als wissenschaftliche Informationsvisualisierung ernst zu nehmen, die zu den abermilliarden von schematisierten Darstellungen komplexer Abläufe, Verläufe, Prozesse, Interdependenzverhältnisse, also ganz all-

 32 GENETTE 1993, 45.

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gemein in das Genre des wissenschaftlichen Schaubildes gehört, das als Hybrid aus Text und Bild integral die moderne Wissenschaftskultur beherrscht, zugespitzt auch bei Schäffners Tetraeder des Wissens.33 In Bezug auf abgrenzbare Wissenschaftsdisziplinen werden mehrere Aussagen gemacht, die einerseits (1) eine Asymmetrie der genannten Wissenschaften mit sich bringen. Andererseits (2) verschwimmt semantisch die Grenze zwischen Wissenschaft und Technik. Zu (1): Die Asymmetrie zwischen den einzelnen Wissenschaftdisziplinen besteht bezüglich einer dargestellten Input-Output-Relation. Physik, Chemie, Mathematik und Ingenieurwissenschaften liefern Input (unidirektionale Pfeile), ihre Erkenntnisse und Praktiken fließen in die Materialwissenschaft ein. Sie vereinigt das Wissen unterschiedlicher Disziplinen, insofern kann man sie (herablassend) als buntes Sammelbecken bezeichnen. Andererseits lässt sich aus der Graphik ableiten, dass der Erkenntnisstatus der Materialwissenschaft breit aufgestellt ist, jedenfalls breiter als bei den genannten Einzelwissenschaften allein. Außerdem resultieren aus ihr technische Anwendungen, die in oder für andere(n) Diszipline(n) und technische(n) Bereiche(n) wichtig sind. Die im Anwendungsbereich genannten Disziplinen und Techniken sind Nutznießer ihrer Erkenntnisse, sie liefern nicht selbst Erkenntnisse an die Materialwissenschaft zurück. Graphisch gesehen wird die Beziehung zwischen Materialwissenschaft und Anwendungen nicht mit einem Pfeil überbrückt, es klafft eine Lücke zwischen beiden. Man kann jedoch interpretieren, dass physikalisches und mathematisches Wissen über die Materialwissenschaft vermittelt in technische Anwendungen in der Medizin oder im Maschinenbau fließen kann, denn graphisch gibt die Pfeilrichtung eine Leserichtung der Folie von oben nach unten vor, die weder gestoppt noch beendet wird. Die Materialwissenschaft bekommt einen Mittel-Platz in einer wissenschaftlichen Ordnung, die erkenntnisproduzierende und erkenntniskonsumierende bzw. -anwendende Wissenschaften und Technik gleichzeitig unterscheidet und verbindet. Da die Graphik im

 33 Dazu gehören Baum- oder Balkendiagramme, grafische Schemata, Mind-Maps, Illustrationen und Tabellen. Wikipedia führt Richard Saul Wurman, Gründer (1984) der TEDKonferenz, als Kronzeuge für die Ansicht, dass Designer „Informations-Architekten“ seien, und verzeichnet seinen gleichnamigen Vortrag „The Architecture of Information“ bei der Konferenz des American Institute of Architects AIA von 1976, außerdem die Publikation WURMAN, Richard Saul / BRADFORD, Peter (Eds.): Information Architects. The Design of Information to Improve, Clarify and Facilitate the Process of Communication. Zurich: Graphis Press 1996. Bezüglich der Webseitengestaltung wird darauf verwiesen, dass sich Informationsarchitektur sowohl Top-Down als auch Bottom-Up „denken“ lässt. de.wikipedia.org/wiki/Informationsarchitektur sowie de.wikipedia.org/wiki/Informa tionsdesign, acc. 160228. SCHÄFFNER 2010 schreibt in wissenschaftlicher Interdiskursivität das Kollektivsymbol der ‚Informationsarchitektur‘ als Tetraeder des Wissens fort.

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ersten Teil des Vortrages unter der Frage: „Was ist Materialwissenschaft?“ steht, entsteht aus ihrer Perspektive die Ordnung, die erkenntnisproduzierende Wissenschaften von einem technischen Anwendungsbereich trennt und sie verbindet. Zwei Beobachtungen stören diese vermeintliche klare Ordnung. Zunächst enthält das komplizierte Verhältnis von Wissenschaften, Erkenntnissen und Anwendungen eine Vereinfachung, die einen logischen Kurzschluss verursacht. Einerseits liegen die Ingenieurwissenschaften auf der gleichen Ebene wie Physik, Chemie und Mathematik, sie gehören im Hinblick auf die Materialwissenschaft zu den ursprünglich erkenntnisproduzierenden Wissenschaften und avancieren sozusagen zu Grundlagenwissenschaften. Gleichzeitig profitiert der Maschinenbau von den (über die Materialwissenschaft vermittelten) Erkenntnissen aus den Ingenieurwissenschaften. Da der Maschinenbau fachlich zu den Ingenieurwissenschaften gehört, gibt es an dieser Stelle einen nicht als solchen erkennbaren Zirkel34, der ausformuliert lautet: Die Ingenieurwissenschaften als Grundlagenwissenschaft der Materialwissenschaft befördern den Maschinenbau als Anwendungsgebiet. Die zweite Beobachtung verläuft ähnlich. In der Graphik ist materialwissenschaftlich gesehen die Medizin keine erkenntnisproduzierende Wissenschaft (mehr), sondern avanciert zur Anwendungswissenschaft von materialwissenschaftlich gebündeltem physikalischem, chemischem und mathematischem Wissen sowie ingenieurwissenschaftlicher Erkenntnis. Maschinenbau und Medizin bekommen einen erkenntnistheoretisch nachgeordneten Status, der unterhalb der Materialwissenschaft liegt (oder ihr

 34 Ein Beispiel für Bildpolitik entlang einer Abbildung der Fachbereiche und wissenschaftlichen Disziplinen der TU Darmstadt: 2012 erscheinen in einem gedrittelten Kreis „Ingenieur-“, „Natur-“ sowie „Geistes- und Sozialwissenschaften“ als Großüberschriften, unter denen alle Fachbereiche gelistet werden, graphisch gleichberechtigt und farblich zusammengefasst. Die Fachbereiche sind durch „ingenieurwissenschaftlich geprägte Studienbereiche“ ergänzt, die Material- und Geowissenschaft gehört zu den Natur-, Maschinenbau als eigener Fachbereich zu den Ingenieurwissenschaften. tu-darmstadt.de/universitaet/ fachbereiche/index.de.jsp. Die gleichberechtigte Darstellung in Ingenieur-/Natur-/Geistes- und Sozialwissenschaften endet in der offiziellen PPT-Präsentation (auf der Homepage zum Herunterladen). Die Ingenieurwissenschaften belegen die Hälfte des Kreises, das Tortenstück der Geistes- und Sozialwissenschaften ist auf etwa 1/8 geschrumpft. Folie 16 Praesentation_TU_maxi.pdf (SS 2012, 15.05.12), tu-darmstadt.de/kommunikation_ und_medien/fuer_tu_mitglieder/praesentation_1/index.de.jsp, acc. 120920. 2016 nehmen Geistes- und Sozialwissenschaften 20 % des Tortendiagramms ein, Naturwissenschaften 30 % , Ingenieurwissenschaften 50 %, unter tu-darmstadt.de/universitaet/fachbereiche/ind ex.de.jsp. Die PPT „Offizielle Präsentation der TU Darmstadt” quantifiziert auf Folie 7 das Fachbereichsverhältnis mit 15, 35, 50. Eine bildpolitische Graphik interdisziplinärer Vernetzung tu-darmstadt.de/universitaet/profil_studium/index.de.jsp, acc. 160227.

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nachgeordnet ist). Nun gibt es an der TU Darmstadt keine Medizin, wohl aber den Fachbereich Maschinenbau (FB 16). Was hält dieser Fachbereich davon, erkenntnistheoretisch unter der Regie der Materialwissenschaften zu stehen? Gut, dass es auf dieser Folie nur um eine bunte, schematische Darstellung geht, die niemand ernst nimmt? In jedem Fall handelt es sich um eine bildliche Darstellung von Worten und Wissenschaftsdisziplinen in einer Ordnung. Zu (2): Folie 13 bringt es mit sich, dass die Grenzen zwischen Technik und Wissenschaft(en) verschwimmen, obwohl die Grenze als solche dargestellt werden soll. Der bereits genannte rote High–Tech Anwendungs-Zylinder, über der der interdisziplinäre Materialwissenschafts-Trichter schwebt, verzeichnet auf der Oberfläche vier Techniken und Wissenschaftsdisziplinen, die alle, und das ist der Punkt, auf einer Ebene liegen. Der Maschinenbau (FB 16) liegt auf derselben Ebene wie die Elektronik, die Energietechnik und die Medizin, es sollen vier Anwendungsbereiche sein. Im oberen Bildteil werden Wissenschaftsdisziplinen als abgegrenzte Disziplinen in allgemeiner Form benannt, es handelt sich nicht um die Bezeichnung von Fachbereichen der TU Darmstadt. Im unteren Teil wird die allgemeine Bezeichnung von Wissenschaftsdisziplinen (Maschinenbau und Medizin) durchmischt mit der allgemeinen Bezeichnung der technischen Anwendungsfelder Energietechnik und Elektronik: visuell findet die kategoriale Gleichsetzung von Wissenschaftsdisziplinen und Technik statt. Dadurch ergibt sich eine Verletzung der Trennung von Technik (Anwendung) und Wissenschaften (Forschung). Folie 14 versucht, die Ordnung der Wissenschaft mit der Trennung von Forschung, Entwicklung und (Anwendungs-)Technik besser bildlich darzustellen und wieder herzustellen. Dazu wird das Bild der berühmten Golden Gate Brücke benutzt. Bevor ich dazu komme, halte ich fest, dass vor allem auf Folie 13 und 14 deutlich wird, dass der Vortrag nicht auf die Vielfalt der hinsichtlich der Nanotechnik möglicherweise beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen insgesamt eingeht. Die Frage nach der Disziplinenvielfalt der Nanotechnologie wird in die Materialwissenschaft selbst verlegt. (b) Folie 14 trägt die Überschrift „Brückenfunktion der Materialwissenschaften“. Zu sehen ist die Golden Gate Bridge (San Francisco, USA) im Abendnebel, aufgenommen von der Seite des Nationalparks. Ein Stück des Nationalparks ist auf der linken Bildseite als Felsen sichtbar, der ins Meer abfällt, dahinter sieht man den oberen Teil des ersten Brückenpfeilers in den klaren Himmel aufragen. Die Brücke spannt sich in den Bildhintergrund des rechten Bildteils, der zweite Pfeiler ragt deutlich kleiner als der erste aus dem dunstigen Nebel wie aus einem weißen Wolkenmeer heraus. Das Meer wird auf der Horizontlinie begrenzt von blassen Landschemen, über denen schwach sichtbar ein Turm und die Stadtsilhouette von San Francisco erkennbar sind. Auf der linken Bildseite ist unten, sozusagen quer über den Felsen bzw. das feste Land, in Rot das Wort „Naturwissenschaften“ geschrieben, darunter steht zweizeilig in Weiß „Physik, Chemie, Biologie, Mathematik“.

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Über die Brücke, zwischen die beiden Brückenpfeiler geklemmt, erstrecken sich in Gelb die Wörter „Materialwissenschaften“ und „Werkstofftechnologie“. Beide Wörter sind so angeordnet, dass sie in der Mitte des gesamten Bildes liegen und zwischen ihnen die Fahrbahn der Brücke sichtbar ist. Auf der rechten Bildseite im oberen Bereich, sozusagen im Himmel, steht wiederum in Rot „Technologie“ und darunter in Weiß „Ingenieurwissenschaften“. Alle Worte haben dieselbe Schriftgröße, die Schriftart ist dieselbe wie bei den Wissenschaftsdisziplinen auf der vorangegangenen Folie 13. Folie 14 zeigt die „Brückenfunktion der Materialwissenschaften“. Wurde die Materialwissenschaft auf der vorangegangenen Folie sozusagen als interdisziplinärer Zwischenglied-Trichter top-down zwischen „Wissenschaften“ und „High-Tech-Anwendungen“ geklemmt, bieten die Materialwissenschaften im Plural gemeinsam mit der „Werkstofftechnologie“ auf diesem Bild die waagerechte Verbindung zwischen Naturwissenschaften und Technologie (beides in roter Schrift). Dass es sich bei dieser Verbindung, die den Weg über eine berühmte Brücke als Visualisierung benutzt, tatsächlich um einen umkehrbaren Weg handeln könnte, kam bei dem Vortrag nicht zur Sprache.

Abb. 6: Folie 14 des materialwissenschaftlichen Vortrags

Zwar kann die Golden Gate Bridge von zwei Seiten befahren werden, hier erscheint sie aber eher als Einbahnstraße, die den Blick des Betrachters von den Naturwissenschaften über die Materialwissenschaften hin zur Technologie leitet. Bildlich werden die Naturwissenschaften mit einem material gebundenen, festen Boden (das große dunkle felsige Landstück, das ins Meer abfällt) links unten assoziiert, Technologie und damit Ingenieurwissenschaften dagegen liegen in der material nicht gebundenen Freiheit des Himmels rechts oben; vielleicht haben sie nur an dieser Stelle ins Bild gepasst, aber sie liegen dort. Dazwischen befindet sich landschaftlich ein

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zu überbrückender Bereich eines schwankenden, nicht festen Bodens, das Meer. Dessen Unbetretbarkeit wird bildlich dadurch gesteigert, dass darüber ein luftiger Wolkenteppich liegt, ein zweites Meer sozusagen, der die Meeresoberfläche weiß leuchtend fast vollständig verdeckt und unwegsam ist. Ein geheimnisvoller Zauber liegt über dieser Unwegsamkeit, der sozusagen eine Aufklärung benötigt. In einer (atembraubenden) unwegsamen Landschaft liegt der schmale Weg einer sicheren, festen, menschlich gemachten Passierbarkeit über den Ozean. Über das Wolkenmeer spannt sich die kunstvolle, technisch erstellte Brücke, das Unwegsame, die Unzugänglichkeit von Luft und Wasser wird durch die Kulturleistung Brücke passierbar gemacht.35 Dabei führen Materialwissenschaften / Werkstofftechnologie (uns) zu einem Zielpunkt, zur rechts oben im Bild befindlichen Technologie, sie verbinden zwei Sorten Wissenschaften: Physik, Chemie, Biologie und Mathematik (links unten) mit den Ingenieurwissenschaften (rechts oben). Gebündelt in einem ästhetischen Bauwerk, als Ingenieurskunst erscheinen die beiden als Verbindung von „Natur-“ und „Technologie / Ingenieurwissenschaften“.Als Prozess oder Verlauf über die Brücke erhalten die Materialwissenschaften durch die Darstellung etwas Luftig-Bewegliches, das sich erst in der Technologie endgültig materialisiert. In dieser Interpretation liegt Technologie im Himmel, in einem immateriellen Umfeld, was (wie angedeutet) als Freiheit interpretiert werden kann. Die Entwicklung hin zu einer Technologie ist zwar von ihrem Weg her, über die bestehende Brücke, vorgezeichnet, nicht aber ihr Ergebnis betreffend. Und wie schön noch dazu der Weg der Materialwissenschaften / Werkstofftechnologie ist, im Morgennebel, zauberhaft schön anzusehen, für uns, die Betrachter! Nimmt man an, „Technologie“ und „Ingenieurwissenschaften“ hätten bildlich nicht mehr rechts, sozusagen an das Ende der Brücke, gepasst und seien nur deshalb in den Himmel gerutscht, entkräftet das nicht die Interpretation. Das Ende der Fahrbahn liegt so oder so im Nebel, von der Brücke ist nur das Stück zwischen den Pfeilern zu sehen. Wäre „Technologie“ vom Betrachter aus rechts vom Brückenpfeiler platziert, und nicht oberhalb, läge sie noch immer in einem materiell unbestimmten Wolkenfeld, im Gegensatz zu den Ausgangsnaturwissenschaften auf ihrem felsigen Untergrund. Folgt man der Leserichtung von links unten nach rechts oben, ergibt sich eine schräge bottom–up Anordnung der dargestellten Wissenschaften, bei der

 35 Wieso die 1937 eröffnete Golden-Gate-Bridge als Kollektivsymbol in Deutschland benutzt wird, kann hier nicht geklärt werden. In den USA wird sie als Kollektivsymbol technischer und ästhetischer Ingenieurskunst als eins der ,neuen‘ sieben Weltwunder aufgeführt, als Symbol für den gesellschaftlichen Nutzen eines technischen Großprojekts, insofern Vorläufer des Silicon-Valley-Symbols (Kap. II.5): „In the middle of the Depression this project was so huge that it alone buoyed the economy of the whole country.“ 7wonders.org/america/united-states/san-franciso/golden-gate/, 160227.

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„Technologie“ am luftigen Endpunkt einer Entwicklung oder eines Prozesses steht. Die Materialwissenschaften sind der waagerechte, gangbare, etablierte Weg durch natürliche Unwegsamkeit, sie erscheinen gleichzeitig als etwas Festes (die Brücke als befestigter Weg zwischen unterschiedlichen Wissenschafts,sorten‘) sowie als beweglicher Prozess oder Verlauf (der Weg über die Brücke zur Technologie). Wie die Brücke sind sie ein menschlich gemachter, sogar ästhetisch triumphaler Sieg über unzugängliche Naturlandschaft. Zudem lässt sich die Leserichtung als vom Felsen in den Himmel aufsteigende gebundene Bewegung ansehen: als Aufstieg der Wissenschaft(en) zur Kultur, zumindest, wenn man darunter die technische Kultur, basierend auf technologischen Erfolgen der Ingenieurwissenschaften, versteht. Insofern die Brücke eine ästhetische Kulturleistung ist, ist auch der materialwissenschaftliche Prozess der Umwandlung selbst, von harter Naturwissenschaft in Technologie, kulturell bedeutsam und aufgeladen. Eine umgekehrte Leserichtung ist, so weit ich das sehe, ausgeschlossen. In dieser Bildsemantik vereinigen sich Aufstieg und Beständigkeit miteinander. Würde man auf einer ‚nicht-räumlichen‘ Lesart der bildlichen Darstellung beharren (oder gar auf einer rein dekorativen), die die perspektivische Darstellungsweise (also die Fotografierrichtung, Tageszeit, Lichteinfall) genauso wenig berücksichtigt wie die landschaftlichen sowie die meteorologischen Gegebenheiten des dargestellten Moments, müsste man „Natur-“ und „Ingenieurwissenschaften“ als auf einer Ebene liegend wahrnehmen, verbunden durch „die Materialwissenschaften“. Nur in diesem Fall wäre die Brücke theoretisch von zwei Seiten befahrbar. Die aufsteigende Unidirektionalität und Linearität der Leserichtung von Naturwissenschaft (rot) bottom-up hin zur Technologie (rot) wird aber meiner Meinung dringend nahegelegt und korrespondiert mit dem vorangegangenen Bild, in dem es ebenfalls eine Leserichtung, allerdings top-down, gab. Wir erinnern uns an die unidirektionalen Pfeile aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften, die topdown auf die mittig gelegene Materialwissenschaft zeigten. Bezüglich der Darstellung einer räumlichen Wissenschaftsanordnung ist diese Folie deutlicher im künstlerischen Modus als Folie 13. Die Materialwissenschaften werden als notwendiges, kunstfertiges Verbindungsglied gezeigt, das eine kontrollierte, stabile Verbindung zwischen und einen kontrollierten, stabilen Weg von der Naturwissenschaft zur Technologie bietet. Dass sie selbst in Verbindung mit der Werkstofftechnologie in hohem Maße „Technik“ sind, auf die die Wissenschaften erst zulaufen sollen, wird durch die dargestellte unidirektionale Bewegungsrichtung vernachlässigt. In der vorhergehenden Folie fungierten die Ingenieurwissenschaften als Ausgangspunkt, die ihr Wissen in die interdisziplinäre Materialwissenschaft einfüttern, in Folie 14 stehen sie am Ende einer wissenschaftlichen Entwicklungsordnung, die von den Naturwissenschaften zur Technologie führt. Beide Folien dienen als schematisierende, analytisch aussagekräftige Darstellung der Mittelposition der

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Materialwissenschaften, allerdings erscheint Folie 14 mit einer geradezu poetisch getönten landschaftlichen Abendstimmung etwas distanzierter als gemachte Verbildlichung. Der spielerischere Modus dieser Darstellung behauptet eine weniger weitreichende Ernsthaftigkeit als Folie 13, obwohl oder gerade weil der metaphorische Aspekt der „Brückenfunktion der Materialwissenschaft“ emblematisch mit einem kitschigen Bild der Golden Gate Bridge gezeigt wird. Den Zuschauern wird ein Lächeln abgerungen, das, je abschätziger es ausfällt, desto mehr die unwidersprechbare Kraft dieser Ästhetisierung und Visualisierung unterschätzt.

Abb. 7: Folie 12 des materialwissenschaftlichen Vortrags

(c) Ich komme zu Folie 12, die vor den beiden anderen Folien gezeigt wurde. Diese trägt die Überschrift „Schlüsseltechnologien“ und ist mit einer Art Quellenangabe versehen. Dargestellt werden sieben Schlüsseltechnologien für das nächste Jahrhundert „nach BMBF und Fraunhofer Institute“ wie es im unteren Bildbereich heißt, diese werden namentlich genannt und liegen in querovalen Feldern, die zweispaltig angeordnet symmetrisch gelb und grün unterlegt sind. Über beiden Spalten liegt mittig ein hellblaues Feld, in dem „Materialwissenschaft“ steht. Betrachtet man die beiden Spalten, gibt es kein größeres Problem, das Wort „Schlüsseltechnologien“ zu verstehen: Telekommunikation, Gentechnologie, Luft- und Raumfahrt, Verkehrs-, Energietechnik sowie Robotik bezeichnen technische Bereiche, die für das nächste Jahrhundert wichtig sein werden. Die Nanotechnologie, der Gegenstand des Power-Point-Vortrages, fehlt. Sie erscheint gar nicht als Schlüsseltechnologie auf dieser Folie. Betrachtet man das kleine mathematische Summenzeichen  in Verbindung mit der Zahl 7 unter der Tabelle, sollen alle sieben Felder in Summe die Schlüsseltechnologien für das nächste Jahrhundert darstellen. Das heißt, die Materialwissenschaft, die in der Mitte über den beiden Spalten liegt, ist auch eine Schlüsseltechnologie für das nächste Jahrhundert? Wohl kaum.

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Oder doch? Kann eine Wissenschaft eine Schlüsseltechnologie sein? Das Vorwort zum „Aktionsplan Nanotechnologie 2015“ des BMBF, der Nachfolgeinitiative zur „Nano-Initiative Aktionsplan 2010“ bemerkt: Schlüsseltechnologien sind Deutschlands Türöffner für die Zukunft. Sie schaffen Grundlagen für neue Produkte, Verfahren und Dienstleistungen. Sie zeigen Lösungswege für die globalen Probleme unserer Zeit.

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In dieser Formulierung ist es egal, ob „Schlüsseltechnologie“ semantisch auf „Materialwissenschaft“ oder auf „Nanotechnologie“ referiert: denn auch die Materialwissenschaft kann als Wissenschaft der „Türöffner für die Zukunft“ sein und „Lösungswege für die globalen Probleme unserer Zeit“ liefern. Greift man auf das „Fazit“ des Vortrags vor (Folie 58), ist der Vortrag(ende) sicher: „Materialwissenschaft ist eine Schlüsseltechnologie für die Zukunft!“ Mir sind im Zeitraum 2008 auf Tagungen die auf dieser Folie aufgezählten „Schlüsseltechnologien“ in gleicher Anordnung in anderen PPT-Vorträgen begegnet: allerdings zeigte das hier blau unterlegte querovale Feld der Materialwissenschaft in anderen Vorträgen das Wort Nanotechnologie.37 In anderen Vorträgen wurden technische Bereiche und Techniken genannt und die Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie aller Schlüsseltechnologien dargestellt, als eine Art Über-

 36 BMBF 2011, Vorwort. 37 Leider kann ich dafür keine Belegfolie beibringen und muss für den Nachweis genau dieser Aufzählung und Anordnung von Schlüsseltechnologien solange auf meine Notizen verweisen bis ich einen Kollegen gefunden habe, der mir freundlicherweise eine solche Folie zur Verfügung stellt. Als materieller Ersatz sei auf die BMBF-Zusammenfassung verwiesen, bei der ebenfalls sieben Schlüsseltechnologien aufgezählt werden: „Biotechnologie, Nanotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnologie, Mikrosystemtechnologie, Produktionstechnologie, Raumfahrttechnologie, Werkstofftechnologie“, BMBF 2009, 17. Die Schwierigkeit einer zitationsfähigen Aufzählung liegt auch darin, dass die vom BMBF identifizierten Schlüsseltechnologien und Innovationsfelder bisweilen Überschneidungen aufweisen, vor allem aber, dass ihre Identifikation mit Geldflüssen einhergeht. Der Diskurs zu Schlüsseltechnologien ist Anlass für und Ergebnis von politische(n) Aushandlungsprozesse(n), über die vom BMBF auch auf Nachfrage keine Informationen zu bekommen sind. Obwohl es sich um eine Wissenschaft handelt, wird auf der Internetseite des BMBF „Materialwissenschaft“ als Schlüsseltechnologie oder Innovationsfeld bezeichnet. „Die Materialwissenschaft ist [...] genauso eine Schlüssel- wie eine Querschnittstechnologie. Längst ist sie aus dem Bereich der Empirie, in dem sie noch Anfang des vorigen Jahrhunderts steckte, herausgetreten.“ bmbf.de/de/neue-werkstoffe-undmaterialien-536.html, acc. 160228.

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Schlüsseltechnologie, die nicht nur für sich genommen wichtig, sondern für alle anderen Techniken bedeutsam ist. Hier findet jedoch eine Umwidmung statt, die die Nanotechnologie als „Schlüsseltechnologie“ durch eine wissenschaftliche Disziplin, nämlich die Materialwissenschaft, ersetzt. Stand sonst Nanotechnologie als Obertechnikfeld mittig über Telekommunikation, Gentechnologie usw., wird auf dieser Folie die Nanotechnologie kurzerhand durch eine Fachwissenschaft ersetzt. Eine telefonische Rückfrage beim BMBF, die auf eine verbindliche Auskunft zu den vom BMBF geförderten Schlüsseltechnologien abzielte, ergab, dass es eine solche Auskunft nicht geben kann. Diese metaphorische Bezeichnung ist ein schwammiger, nichtsdestoweniger hochpolitischer Begriff, der auch von der Autoindustrie für sich beansprucht wird, insofern Schlüsseltechnologien auch als Technologien verstanden werden können, die für eine Nationalwirtschaft wirtschaftlich bedeutsam sind.38 Durch die Nennung einer Wissenschaft, die sechs weiteren Schlüsseltechnologien vorgeordnet wird, entsteht auf der Folie eine Ordnung, man könnte auch sagen, Unordnung. Die Materialwissenschaft ist nicht wie die anderen genannten Schlüsseltechnologien ein technischer Bereich mit zugeordneten gegenständlichen Einzeltechniken, sondern erscheint als Sonderwissenschaft, die für alle anderen gezeigten Schlüsseltechnologien eine Rolle spielt und in sie einfließt oder synthetisch aus ihnen gespeist wird. Ob es sich um eine hierarchische Ordnung handelt, wird hier offen gelassen, aber auf den nachfolgenden Folien 13 und 14 raumsemantisch topdown und bottom-up rekonstruiert. In jedem Fall bleiben von sieben genannten Schlüsseltechnologien sechs eigenständige technische Bereiche übrig. Die Materialwissenschaft erscheint den „High-Tech-Anwendungen“ zwar als interdisziplinäre „Trichter-Wissenschaft“ übergeordnet, soll jedoch gerade nicht als hierarchisch über anderen Wissenschaften stehende begriffen werden. Durch den Umwidmungsakt, der bei der Aufzählung der Schlüsseltechnologien des BMBF und der Fraunhofer Institute kurzerhand aus „Nanotechnologie“ die „Materialwissenschaft“ macht, wird aus dieser eine grundlagenerforschende Wissenschaft, die semantisch auf einer anderen Aussageebene agiert als die anderen Listenteilnehmer. Entsprechend der Aussageaufgabe der Folien (zur Erinnerung: der erste Teil des Vortrags beschäftigt sich mit der Frage, was Materialwissenschaft ist) antwortet Folie 12 dahingehend, dass Materialwissenschaft sich mit der Entwicklung von Technik(en) befasst, deren Relevanz weit in das nächste Jahrhundert hineinreicht und entscheidend für Wohlstand und Entwicklung (des Menschen? der

 38 Es gibt andauernde Aushandlungsprozesse in dieser Frage, wurde erklärt, und es geht darum, wie Forschungsgelder der öffentlichen Hand in Forschungsprojekte verteilt werden. Der Mitarbeiter wollte ausdrücklich nicht zitiert werden.

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Technik? der Wirtschaft?) ist.39 Damit wird eine historische Dimension aufgemacht, die als Perspektivierung und Aussagezusammenhang einige Folien zuvor mit historischen Epocheneinteilungen vorbereitet wurde. Folie 8 fragt, welche „?-Zeit“ auf die Siliziumzeit folgen wird. Auf Folie 9 zeigt eine perspektivisch aus der linken Bildseite hervorquellende Zeit-Schicht-Schiene, angereichert mit nacheinander eingeblendeten figuralen Animationen eine Abfolge der Entwicklungsstufen der Menschheit, semantisch geknüpft an die Fertigkeiten bei der Bearbeitung von Materialien. Der „Steinzeit“ folgt die „Bronzezeit“, darauf die „Eisenzeit“, woran unmittelbar Mittelalter und Neuzeit anschließen. Die Weiterentwicklung von „menschlichen Fähigkeiten“ bei der Materialbearbeitung spiegelt sich in den historischen Epocheneinteilungen wider. Entsprechend ausgestattete männliche Figürchen im bunten Zeichentrickstil werden jeweils eingeblendet, wodurch das gegenwärtige Zeitalter der „Neuzeit“ zum materialwissenschaftlichen Zeitalter wird. Das NeuzeitFigürchen auf Folie 9 steht wie ein unpoetischer kleiner Prinz40 im Raumfahrtanzug auf einem kleinen Asteroiden, neben sich ein Reiseköfferchen, nach links blickend seinen Daumen nach rechts ausstreckend: der unpoetische, weil technisch aufgerüstete kleine Prinz mit Raumfahrtanzug möchte per Anhalter durch die Galaxis reisen.41

 39 Die BMBF-Broschüren apostrophieren Schlüsseltechnologien zuerst als deutsche Angelegenheit, aus einem deutschen Grund gefördert: es ist die deutsche Wirtschaft, die langfristig von der durch großzügige Fördergelder initiierte Entwicklung profitieren soll. Erst in zweiter Linie wird die europäische Umgebung oder europäische Wirtschaftsraum als zu stärkendes direktes Umfeld der deutschen Wirtschaft angesehen, das (aufgrund durch Förderung initiierte Entwicklung der Schlüsseltechnologien) in globaler Perspektive mit anderen wirtschaftlichen Großräumen konkurrieren soll. EU-europäische Fördergelder fließen in die Entwicklung der Schlüsseltechnologien innerhalb der BRD. Die Beurteilung von Geldflüssen ist nicht Gegenstand der Arbeit, es geht um semantische Bezüge. 40 Antoine de Saint – Exupéry: Le petit prince. New York 1943 / Paris: Éditions Gallimard 1946. (dt.: Der kleine Prinz, Düsseldorf: Karl-Rauch Verlag 1950). Hauptfigur ist ein kindlicher Prinz, der auf einem Asteroiden lebt und eine Reise durch das Universum unternimmt und bei einem Besuch auf der Erde seine Geschichte erzählt. Der Verlag gibt an, dieses Kinderbuch, das eigentlich keines ist, sei allein in Deutschland seit 1950 bisher fast neun Millionen Mal als Buch und 1 Millionen mal als DVD oder Hörbuch verkauft worden. Verlagsprospekt, Hoffmann-und-campe.de/fileadmin/Inhalte/Presse/Vorschauen /2015_FJ_Karl_Rauch.pdf, S. 26, acc. 160227. Mittlerweile sind die Autorenrechte erloschen, 2015 erschien eine Übersetzung von Hans-Magnus Enzensperger. 41 Adams’ 1978 verfasste BBC-Hörspielreihe „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ wurde 1979 als Buch (bis 1992 mit Nachfolgeromanen) veröffentlicht, als Fernsehserie bearbeitet und 2005 als Kinofilm verfilmt (deutsch 1981: „Per Anhalter durch die Galaxis“).

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Ein materialwissenschaftliches Zeitalter klingt unspektakulär und un- oder nichttechnisch, aber die Überschrift über der historischen Zeitschiene (Folie 9) heißt „Materialwissenschaft und Werkstofftechnologie“, weil die historische Entwicklung als Ausdifferenzierung menschlicher technischer Fähigkeiten bei der Bearbeitung von Materialien und Werkstoffen rekonstruiert wird. Für die Zukunft gilt dank eines glücklichen Zufalls, der nicht näher erläutert wird, dasselbe, was für die Vergangenheit als historisches Ordnungsmuster ausgewählt wurde: Es waren und sind Materialien und Werkstoffe, die uns wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft die entscheidenden Fortschritte machen lassen und unser kommendes Zeitalter auf technische Weise revolutionieren.42 Daraus gibt ergibt sich sozusagen eine per se historische Dimension der Materialwissenschaft. Die Aussage des Vortragenden: „Technik führt zu Revolutionen (in) der Gesellschaft“, müsste passend zu den Folien heißen: Es sind Materialien, die die Gesellschaft revolutionieren. Durch den holprigen historischen Diskurs, der über die Materialwissenschaft gelegt wird, gelangt eine Unordnung in den Diskurs über Schlüsseltechnologien, die plötzlich nicht mehr strukturell bedeutsam für die Technikentwicklung verschiedener Technikfelder sind. Im Fall der Nanotechnologie wird eine strukturell vielfältig bedeutsame Schlüsseltechnologie aufgehoben in einer Wissenschaft, die sich sozusagen aus historischer Notwendigkeit mit ihr befasst. Wenn auf Folie 12 von Schlüsseltechnologien die Rede ist, unter denen die Materialwissenschaft gewissermaßen als erste herausragt (über der Liste, als einzige blau unterlegt), wird die historische Darstellung, die zuvor angerissen wurde, durch BMBF und gleich mehrere Fraunhofer Institute geadelt. Gleichzeitig sind alle Zeitalter gewissermaßen in Vervollkommnung verwirklicht, wenn das kommende materialwissenschaftliche sich, siehe Titel, mit Nanotechnologie beschäftigt. Dieser Argumentationszusammenhang ist die Hauptaussage des Vortrags, dessen Fazit lautet (Folie 58): „Materialwissenschaft ist eine Schlüsseltechnologie für die Zukunft!“, (daneben wird ein kleiner Schlüssel abgebildet), sie „ist spannend und macht Spaß!“ Die historische Abfolge unterschiedlicher epochedominanter Materialien (Stein, Eisen, Bronze) wird abgelöst von und synthetisiert in einer Wissenschaft, die

 42 Beim BMBF wird der historische Zusammenhang unter dem Titel „Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit“ in die „Gebiete der Nanotechnologie und der Materialwissenschaft“ überführt: „Materialien sind seit den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte eine wesentliche Triebfeder für den technologischen Fortschritt. Nicht umsonst sind Entwicklungsepochen der Menschheit als Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit benannt worden, also nach den modernsten zu jenen Zeiten jeweils zur Verfügung stehenden Materialien.“ bmbf.de/de/neuwerkstoffe-und-materialien-536.html, acc. 160130. 2016 sind es Materialwissenschaft und Nanotechnologie, deren Aufgabe es ist, „verblüffen[de] nanotechnologische Strukturen [...] für die Menschen technisch nutzbar zu machen.“

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ab sofort die Herstellung und Erforschung aller ‚möglichen‘ im Sinne von potentiellen Materialien verantwortet. Damit beerbt die Materialwissenschaft eine der klassischen Naturwissenschaften, die als herausgehobene Einzelwissenschaft neben den diskutierten wissenschaftlichen Überblicksordnungen deutlich zur Sprache kommt: die Chemie. Auf Folie 8 werden unter der Überschrift „Materialien & Geschichte“ nicht nur vier materialwissenschaftliche Epochen der Menschheit (plus eine Fragezeichen-Zeit) aufgelistet, sondern außerdem zwei historisch anmutende farbige Abbildungen gezeigt: die Innenansicht einer Labor-Werkstatt, in der ein sonderbar gekleideter Mann am Tisch sitzt, ein offenes Buch vor sich, abgelenkt auf eine Apparatur im Bildvordergrund starrend, mit der rechten Hand in einer Tasse rührend, Bildunterschrift: „Alchemist“. Die zweite Abbildung zeigt die Außensicht auf ein turmartiges, mehrstöckiges rundes Haus, aus dessen einzigem Fenster Feuer hervorquillt, während aus dem Dach Rauchwirbel aufsteigen. Das Gebäude reicht etwas über die Bildmitte und steht, perspektivisch unklar, in einer Landschaft, eingebunden in eine Art überdimensionale Laborapparatur: neben und über dem Turmgebäude hängen und stehen mit ihm verbundene Wannen und Becken, außerdem ein riesiger Rundkolben.43 Die personenfreie Darstellung einer fiktiven überdimensionalen Laborapparatur als Kombination aus Haus und Chemie-Labor trägt die Bildunterschrift „Materialwissenschaftler“. Die mittelalterlichen Versuche zur Stoffumwandlung, bei der Rohmetalle in Gold verwandelt werden können, ist als moderne materialwissenschaftliche Aufgabenstellung reformuliert. Beide Bilder tragen als Agenda-Überschrift das Zitat „...the secret for transmuting base metals into precious gold“. Die Chemie kommt als Vorläuferwissenschaft nur im ersten Teil des Vortrags, in der Standortbestimmung, vor, nicht aber unter dem Stichwort Nanozeitalter. Materialwissenschaftler sind als moderne Alchemisten bezeichnet, deren ideologiefreie Spielwiese das Periodensystem der Elemente ist, auf Folie 15 abgebildet. Die Chemie bildet, historisierend und auf historische Weise kollektivsymbolisch als Alchemie repräsentiert, wissenschaftshistorisch eine Mischung aus Vorbild- und Vorläuferwissenschaft für die aktuelle Materialwissenschaft. Die Zielsetzung der Goldherstellung, die sich kollektivsymbolisch mit (Al-)Chemie verbindet, wird dabei für die Materialwissenschaft reklamiert, wobei das spielerisch und nicht ganz ernst präsentiert geschieht. Es handelt sich um eine audiovisuelle, raum-

 43 Es handelt sich um zwei farbige historische Abbildungen, deren Bildnachweis in der PPT-Präsentation nicht geliefert wird. Das eine ist ein Ausschnitt aus einem Gemälde, es könnte „Der Alchemist“ (1650) von David Teniers dem Jüngeren sein, der Ausschnitt findet sich pixelgleich als Teil der Website „History of Alchemy by Heidi Keller“, datiert 5.4.2004, angelfire.com/moon/darkchamber/monthsub/msu_alchemy.htm, acc. 160227. Für das zweite Bild muss ich sogar die vorläufige Identifikation schuldig bleiben, eventuell ein(e) colorierte(r) Kupferstich oder Radierung aus dem 17. Jahrhundert (oder früher).

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und wissenschaftssemantisch überdeterminierte Erzählung, bei der die Labortätigkeit, wie in der Nanoblume und in Prey, als Nukleus der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung (eines Landes, der Menschheit, der Gesellschaft) präsentiert wird, der letztlich wertschöpfend und mit ökonomischem Wohlstand assoziiert ist. Der Vortrag endet mit einer Einladung in eben jenes Laborgebäude der Materialwissenschaften auf der Lichtwiese: dort kann man den im Vortrag nur fiktionalisiert repräsentierten Ort der Materialwissenschaften real betreten. Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanopartikel – Nanobiotechnologie Es geht nur an wenigen Stellen und auf wenigen Folien um Nanotechnologie, wobei der Vortrag einen Doppelcharakter hat. Einerseits handelt es sich um eine Ankündigung, andererseits um eine Demonstration von Nanotechnologie. Der Titel kündigt das Nanozeitalter an, das als zu füllende Leerstelle in der Übersicht über die kulturelle Entwicklung des Menschen historisch den Platz nach der „Siliziumzeit“ bekommt (auf Folie 8 die „? – Zeit“).44 Wird bei dem öffentlichen Vortrag in der Centralstation zu Beginn lax formuliert: „Das Nanozeitalter wabert ja so vor sich hin“, ist es und mit ihm die Nanotechnologie bereits da. Formal läuft der Vortrag auf den Höhepunkt im Schlussteil unter der Überschrift „Nanozeitalter“ zu, währenddessen fallen Sätze wie: „Wir haben ja jetzt das Nanozeitalter“. Das neue Zeitalter kommt, gleichzeitig ist es schon da, dieselbe Logik wie beim Titel der afrikanischen Website in Kapitel II.4.45 Die Diskursbereiche der Nanotechnologie kommen zunächst, wie bei der Regionalstudie in Kapitel II.5, als Techniken zur Sprache. Im Schlussteil wird ein Verfahren einer Firma46 aus Darmstadt vorgestellt, bei der magnetische Nanopartikel

 44 Die historische Darstellung folgt der von der US–amerikanischen NSTC-IWGN vorgegebenen Lesart historischer Technikentwicklung, nachzulesen in der berühmten Broschüre „Nanotechnology. Shaping the World Atom by Atom“, NSTC-IWGN 1999, 8. Die Autoren der Broschüre berufen sich auf (und zitieren) eine Expertengruppe, der sie allerdings selbst angehören. Vgl. NORDMANN 2003, 194. 45 Nein, ich gehe nicht auf den religiösen Subtext ein, auch wenn die religiöse Kollektivsymbolik eines „neuen Zeitalters“ in diesem Vortrag diskutiert werden könnte. Diese Kollektivsymbolik ist beispielsweise Bestandteil der Formel „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“, eines zentral performierten Bezugstextes aller christlichen Gemeinden, des Vaterunser. Ja, ich spare die religiöse Dimension aus. 46 Die Firma SusTech GmbH wurde als Public-Private-Partnership Unternehmen (PPP) im Jahr 2000 unter Beteiligung dreier Gesellschafter,gruppen‘ auf dem Universitätsgelände der TU Darmstadt gegründet und vom BMBF gefördert. Beteiligt waren die TU Darm-

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für sogenannte schaltbare Klebstoffe sorgen und gezielte, punktgenaue Mikrowellenverklebung ermöglichen (Folien 56, 57), zuvor geht es um Carbon-Nanotubes (Folie 16), also um Nanopartikel, oder um die Erstellung von „Nanoschichten“ mittels „gepulster Laserdeposition“ (Folie 28). Man könnte das als nanotechnische Beschichtung bezeichnen, angesiedelt im Fachgebiet „Dünne Schichten“ des Vortragenden, wobei ein Laser ein Plasma erzeugt, das auf der Oberfläche eines Trägermaterials eine Beschichtung bildet. Ich begründe nun, (1) inwiefern der Vortrag sowohl zum Diskursbereich Nanotechnik als auch zum Diskursbereich der Nanopartikel gehört, verbunden mit den beiden Raumskripten Top-Down und Partikularität / Streuung, (2) und erläutere, warum es über den Begriff „Intelligente Materialien“ außerdem den Bezug zur Selbstorganisation und zum Raumskript Bottom-Up gibt.47 Die Frage ist, ob sich der Bezug zum Diskursbereich Nanobiotechnologie schlüssig begründen lässt. (1) Der Bezug zum Diskursbereich Nanotechnik wird mit dem Titel des zweiten Vortrages: „Nanotechnik in der Materialwissenschaft“ und im Vortrag performativ hergestellt. Zu Beginn werden Techniken gezeigt, unter anderem von der Materialwissenschaft angewendet oder entwickelt. Es geht um top-down verkleinerte Computerchips, leistungsfähigere Solarzellen, Kniegelenke und Displays. Neuartige Materialien und Werkstoffe spielen die entscheidende, innovative Rolle. Das Fachgebiet „Dünne Schichten“ erforscht und liefert Beschichtungstechnik im NanometerGrößenbereich. Nanotechnik wird als entscheidende Komponente von Großtechnik präsentiert. Fragt man, wie sich die materialwissenschaftliche Oberflächenbeschichtung vom Nanospray als Technik unterscheidet, kommt man zu dem Ergebnis, dass es sich diskursiv zunächst um einen top-down miniaturisierten technischen Zugriff

 stadt, die Henkel KGaA sowie sechs Professoren der TU Darmstadt. Die Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte von Sustech wurden 2006 angegeben mit: „innovative Materialien, Systeme und Produkte auf den Gebieten: Ferrite, Bond/Disbond-on-Demand, Ausrüstung von Oberflächen, Synthese von Nanopartikeln, anisotrope Nanopartikel, Partikelmodifizierung sowie Biokomposite.“ Ziel der PPP-Unternehmensgründung (dreißig Mitarbeiter im Jahr 2006, 16 Mitarbeiter im Jahr 2008) war: „Durch die Verknüpfung des materialwissenschaftlichen Forschungs-Know-hows der TU Darmstadt mit den Management- und Vermarktungskompetenzen eines internationalen Konzerns soll eine beschleunigte Umsetzung von Forschungsergebnissen in wirtschaftlich verwertbare Produkte und Verfahren (time-to-market) erfolgen.“ Vgl. LUTHER et al (2006), 49. Die Firma wurde 2008 von der Henkel KGaA übernommen. 47 Im Mittelteil (Folie 45 und 46) wird auf eine gleichlautende Publikation „Intelligente Materialien“ zu diesem Thema unter Federführung des Vortragenden verwiesen, TU Darmstadt 2006, thema forschung 2/2006.

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handelt.48 Das, was Materialwissenschaft tut, passiert in einem chemischen und physikalischen Feynman-Sinn „at the bottom“ und führt, wiederum im Sinne von Feynman, zu miniaturisierten Techniken, die „unser Leben verbessern“.49 Dies bringt indirekt top-down miniaturisierte Technik hervor, keine verkleinerten technischen Objekte wie Pumpen oder Stützen, wie auf der afrikanischen Webseite (Kapitel II.4) genannt, sondern in grundlagenerforschender und -herstellender Weise entwickelte Materialien und Werkstoffe. Über den Anwendungsbezug der miniaturisierten Manipulationen an chemischen Stoffen ergibt sich, sozusagen am Fokus auf Materialien und Werkstoffe vorbei, der Bezug zum Nanotechnik-Diskurs.50 Dabei zeigt sich die eigenwillige Verbindung vom miniaturisierten top-down Nanotechnikdiskurs zum Diskurs der Nanopartikel unter dem Stichwort „Carbon-Nanotubes“ (abgekürzt CNT, deutsch Nanoröhrchen oder Kohlenstoff-Nanoröhrchen) auf Folie 16. CNTs sind künstlich hergestellt, werden auch als Nanofasern bezeichnet und gehören aufgrund ihrer Größe zu den Nanopartikeln. Aus materialwissenschaftlich-chemischer Perspektive erfährt das Element C, der außergewöhnliche „Super-Stoff“51 Kohlenstoff, durch Synthese eine extreme Bandbreite an Struktur, Eigenschaften und Anwendungen52, sowohl das weiche Graphit als auch der harte Diamant bestehen aus Kohlenstoff. Mit Hilfe des chemischen Elements C wird das enorme Potential der Materialwissenschaften gezeigt und ein CNT als idealtypisch geformte, gleichmäßig aus symmetrisch miteinander verbundenen Kugelatomen bestehende Rolle dargestellt. Im Gegensatz zu dieser computeranimierten Darstellung

 48 Im Gegensatz zum Nanospray aus Kapitel II.2 bleiben die materialwissenschaftlich erzeugten, industriellen Oberflächenveredelungen dauerhaft mit technischen Produkten verbunden, sie entstehen räumlich und materiell in einem großtechnischen Laborzusammenhang mit sehr viel Energieaufwand. Es geht aber nicht um Technikphilosophie. 49 Die Aussage stammt aus dem Vortrag. In schriftlicher Form findet sie sich im Editorial der Publikation zu den Intelligenten Materialien: „[V]ielleicht sehen Sie [...] in Ihrem Alltag [...], wo ‚intelligente‘ Materialien jetzt schon Ihr Leben verbessern.“ TU Darmstadt 2006, thema forschung 2/2006, 1, das Editorial abgebildet auf Folie 45. 50 „Atom-by-Atom Chemistry“ und „nanomanipulator“ sind Ausdrücke aus der viel zitierten US-amerikanischen Propagandabroschüre „Nanotechnology. Shaping the world atom by atom“, NSCT-IWGN 1999, 6. 51 „Super-Stoff“ ist ein Zitat aus dem Vortrag des Materialwissenschaftlers. 52 Chemische Synthese meint im klassischen Sinn eigentlich eine chemische Stoffumwandlung, was insofern hier nicht zutrifft, als der Stoff der Chemie, das Element C, durch massive physikalische Einwirkungen eine Umstrukturierung der Moleküle erfährt. Ich benutze das Wort „Synthese“ trotzdem, denn rekurriert wurde im Vortrag auf die vielfältigen Änderungsmöglichkeiten der Eigenschaften des Kohlenstoffs, was zu den grundlegenden Aufgaben der Chemie gehört. Es war auch das im Vortrag benutzte Wort.

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sind CNTs bei der Herstellung jedoch nicht gleichmäßig geformt und es ist schwierig, sie gleichgroß in einer nicht verunreinigten Umgebung herzustellen.53 Diese CNT-Röhre wird hier irritierenderweise als Fulleren C60 bezeichnet, als ein definiertes Molekül, das keine Röhrenform, sondern als abgestumpfter Isokaeder eine fussballartige oder sphärische Struktur hat.54 Ich weiß nicht, ob es sich um einen Fehler handelt oder ob eine Nachlässigkeit bewusst in Kauf genommen wird. Das Potential der Materialwissenschaften wird mit Hilfe von Kohlenstoff (chemisches Element C) und zweier raumsemantischer Symbolisierungen verdeutlicht, wovon nur die Röhre gezeigt wird. Die charakteristischen molekularen Raummodelle CNT-Röhre und Fulleren C60 als mehrfach kulturell überdeterminiertes Raummodell in ballartiger oder sphärischer Form verbinden sich emblematisch als anschauliche Verbildlichungen (Picturae) mit der Begriffsnennung „Fulleren C60“ und „CNT“, ihre Raummodelle beruhen auf materialwissenschaftlicher Modifizierung der Molekülstruktur. Die charakteristische Form eines CNT hat im Inneren einen zylindrischen Hohlraum [...] Bestehen Nanoröhren aus nur einer Graphenlage, so spricht man von Single Walled Carbon Nanotubes (SWCNT), oder zu deutsch, einwandige Kohlenstoffnanoröhren. Mehrere dieser Röhren konzentrisch umeinander ergeben eine [...] mehrwandige Kohlenstoffnanoröhre (engl. Mulit Walled Carbon Nanotube MWCNT).

55

 53 So das Ergebnis eines Laborbesuchs am IFW Dresden in 2008. Andere Schwierigkeiten bei der Verarbeitung sind technische Probleme „hinsichtlich der gleichmäßigen räumlichen Ausrichtung, der Adhäsion und der Beladungsrate der Kohlenstoff-Nanoröhren in der Polymermatrix.“ PASCHEN et al 2004, 134. Zur Herstellung von (vornehmlich) MWCNTs und SWCNTs MOLLER 2013, 34ff. 54 In einer aus Einzelflächen zusammengesetzten Isokaederform baut der Architekt Richard Buckminster Fuller 1967 für die Weltausstellung die Glaskuppel „Biosphère“ als „Geodätischen Dom“ in Montréal, hatte zuvor für sich 1949 eine „Autonomous Living Unit“ gebaut, eine dodekahedrische Halbkugel, die wie ein wunderschönes Gewächshaus aussieht. Die polyedrische Kugelform aus zarten gleichförmigen Verstrebungen kann als Modell für die chemische Beschreibung der C60 Moleküle angesehen werden, die von dem japanischen Forscher Eiji Osawa 1970 „theoretisch vorhergesagt und berechnet“ wurden, für die aber 1985 die amerikanischen Wissenschaftler Curl, Kroto und Smalley den Nobelpreis bekamen, MOLLER 2013, 32. Abbildungen auf der Webseite des mathematischen Museums in New York, wo sich auch die Skulptur des Buckminster Fullerens C60 des Künstlers Ai Wei Wei findet, momath.org/home/math-monday-twelvepentagons-twenty-hexagons/, Veranstaltung Nov. 2012, 160227 und MOLLER 2013, 33. 55 MOLLER 2013, 31. Moller verweist darauf, dass es mittlerweile andere Nanotubes gibt, „die nicht ausschließlich aus Kohlenstoffatomen bestehen“, sondern mit Stickstoff oder Bor „dotiert“ sind (32).

P OWERPOINTVORTRAG M ATERIALWISSENSCHAFT (2007/2008) | 253

Das Carbon-Nanotube besteht ausschließlich aus Kohlenstoffatomen und ist das wichtigste Objekt, das der Vortragende mit Nanotechnologie verbindet, wie er beide Male im Graduiertenkolleg und in der Centralstation betont. Die kugelförmigen Buckyballs, die Fulleren C60 Moleküle, werden zwar vom Wort her in den Nanotechnologiediskurs integriert, aber als Picturae vernachlässigt. Die irreführende raumsemantische Bebilderung nennt das Wort „Fulleren C60“ zwar, bezeichnet damit aber ein röhrenförmiges CNT. Das Kohlenstoff-Nanoröhrchen repräsentiert einerseits das Potential der Materialwissenschaft, andererseits die Nanotechnologie, man könnte auch sagen, es symbolisiert vor allem die Nanotechnologie. Diskursiv ist der materialwissenschaftliche Vortrag mit dieser Auswahl in guter Gesellschaft, eine ähnliche computeranimierte Darstellung eines CNT findet sich als Titelbild auf der Informationsbroschüre der Bundesregierung zum „Status Quo der Nanotechnologie in Deutschland“ (nano-Report 2009), wobei sozusagen ein Blick ins Innere eines solchen Nanoröhrchens in einer eleganten Rechtskurve ins Unendliche läuft.56 Dieselbe Gitterstruktur findet sich als aufgeklappte horizontale Ebene als Titelbild des Aktionsplans Nanotechnologie 2015 der BRD.57 Dabei gibt es einen Unterschied zwischen längenmäßig begrenzten CNT-Röhrchen und tendenziell unendlich verlängerbaren Kohlenstofffasern, die in der Materialwissenschaft entwickelt wurden und schon länger zum Beispiel Sportgeräten wie Tennisschlägern oder Ski zugesetzt werden. Kohlenstofffasern sind [...] nicht mit Carbon Nanotubes zu verwechseln, sie unterscheiden sich in einer geringeren elektrischen Leitfähigkeit, der teilweise eher amorphen Struktur und natürlich in den äußeren Abmessungen. Bei Kohlenstofffasern sind Durchmesser von fünf bis acht Mikrometer typisch, bei Kohlenstoffnanoröhren liegt man bei SWCNT einen Faktor 1000 darunter, die kleinsten SWCNTs haben einen Durchmesser von 1.0 bis 1.2 nm. MWCNTs liegen typischerweise im Bereich 10 bis 50 nm.

58

Nanoröhrchen, CNTs, können und könnten sowohl als Material als auch als Materialzusatz oder -komponente vielfältig eingesetzt werden, beispielsweise als Speichermedium für Wasserstoff in Brennstoffzellen, in Katalysatoren oder als Halbund Supraleiter und könnten „auf Grund ihrer außergewöhnlichen molekularen mechanischen Eigenschaften bei niedrigem spezifischen Gewicht“ bei materiellen Konstruktionen Gewicht einsparen, was für die Luft- und Raumfahrttechnik interes-

 56 BMBF 2009a. 57 BMBF 2011. 58 MOLLER 2013, 33f.

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sant ist.59 Insofern sind Nanopartikel über ihre Einbindung in feste oder stabile Materialien nicht nur Teil des Nanotechnikdiskurses, sondern über die CNTs entsteht unter dem Stichwort Space Elevator60 die Rückbindung an den Weltraumdiskurs, der bei Feynman ja gerade so elegant verabschiedet wurde. CNTs sind als technisch erzeugte partikuläre Objekte und über die Verbindung zu neuen Werkstoffen und Materialien sowohl in den Nanopartikel-Diskurs eingebunden als auch in die Nanotechnik. Allerdings muss die Technik nicht notwendigerweise miniaturisiert sein, denn Luft- und Raumfahrtsysteme sind großtechnische Systeme, die von neuen, leichteren Materialien profitieren könnten.61 Gleichzeitig gehören Nanoröhrchen aufgrund ihrer Größe und, siehe Darstellung im Vortrag, als vereinzelte Nano-Objekte in den Diskursbereich Nanopartikel. Sie treten als Zusatz zu Materialgemischen oder Oberflächen entweder gebunden oder lose auf und induzieren als Partikel einen kontrollierbaren, künstlich gemachten und beabsichtigten Prozess. Bei den CNTs konvergiert der Diskursbereich der Nanotechnik und der Nanopartikel. Im Vortrag wird weder der Begriff Nanotechnik noch der Begriff Nanopartikel problematisiert, für den Materialwissenschaftler tragen diese Begriffe offenbar eine selbstverständliche Bedeutung. Anders sieht es mit dem Begriff „Nanotechnologie“ im Schlussteil des Vortrags aus. Hier werden die CNTs und Nanoschichten noch einmal aufgelistet, auch mündlich wird auf die Wortbildung mit dem Kürzel ‚nano‘ eingegangen und als Resümee gefolgert: „Nano ist immer dabei!“ Zur Illustration dieser Feststellung dient ein iPod Nano sowie ein buntes Bild eines Zwerges (Folie 53). In Bezug auf die Nanoschichten wird erläutert, dass diese schon lange bekannt seien und die Technik zu ihrer Herstellung schon lange angewendet werde, daher hätten Wissenschaftler Vorbehalte, den Ausdruck Nanotechnologie zu verwenden. Trotz dieses Vorbehalts wird er im letzten Teil zur Benennung für bereits existierende Nanotechnologien aus Darmstadt verwendet.62

 59 PASCHEN et al 2004, 134. Dort der Verweis auf einen Bericht der NASA von 2000, vgl. „Audacious & Outragious: Space elevators“, science.nasa.gov/science-news/science-atnasa/2000/ast07sep_1/, acc. 160227. 60 Die NASA bringt 2000 die stationäre Weltraumtechnik im Zusammenhang mit der molekularen Nanotechnologie ins Gespräch, weil die Bedingung der Möglichkeit einer solchen Technik auf den CNTs beruhen soll. „Audacious & Outragious: Space elevators“, science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/2000/ast07sep_1/, acc. 160227. 61 Die Herstellung eines Fahrstuhls in den Weltraum mit Hilfe von CNTs wird „mittlerweile als Science Fiction eingestuft”, MOLLER 2013, 40. Diese Herstellung wurde von dem Magazin „American Scientist“ vorgeschlagen, und von verschiedenen Unternehmen ernsthaft verfolgt. 62 Es handelt sich um Zahnpasta und schaltbare Klebstoffe der Firma susTech, die seit 2008 in das Eigentum der Henkel AG & KGaA übergegangen ist.

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Trotz aller Selbstverständlichkeit der Begriffsverwendung muss auch dieser Vortrag mit einer Art Definitionsschwierigkeit umgehen: „Was ist Nano?“ wird auf Folie 54 gefragt und die nur scheinbar einfache Antwort lautet, eine „Größenordnung“ und gleichzeitig „Neue Effekte“, die aufgrund der neuen Größenordnung auftreten. Am Beispiel einer Hochleistungskeramik wird demonstriert, wie der Zugang zu diesem Größenbereich funktioniert und was in diesem Größenbereich zu ‚sehen‘ ist. Folie 55 zeigt sowohl ein Foto eines Transmissionselektronenmikroskops TEM von außen als auch zwei Bildgebungen, die mit diesem Gerät hergestellt wurden, außerdem eine schematische, kugelförmige Moleküldarstellung. Interessant ist, dass ein Instrument zur Analyse und Kontrolle von Materialproben dargestellt wird, das gar nichts mit Anwendung zu tun hat sondern nur mit Analyse. Im TEM werden ultradünne Proben mit Elektronen ‚durchschossen‘ und die gemessenen Ströme in bildliche Darstellungen umgerechnet. Auf den dargestellten, durch den Computer errechneten Bildgebungen sind ungleichmäßig schwarz-weiß strukturierte Abbildungen zu sehen, die mit Pfeilen und Legenden ergänzt sind, die auf einen bestimmten Bereich deuten. Dabei wird auf einer Größe von 5 Nanometern gezeigt, dass Zirkoniumoxid ZrO2 umschlossen wird durch ein Aluminiumoxid aus Al2O3, gezeigt wird also das Analyseraster einer sehr dünnen Probe eines Werkstoffes, einer Hochleistungskeramik, bei der sichtbar werden soll, warum dieser Werkstoff seine speziellen Werkstoffeigenschaften hat. Kommentiert wurden die Abbildungen mit dem Hinweis, dass Nanoteilchen sich zusammenschließen und also nicht mehr im Größenbereich Nano einzuordnen sind. ‚Nano‘ wäre demnach eine nur analytisch bedeutsame Größenordnung.63 Das berühmte Sichtbarkeitsinstrument, mit dem zusätzlich manipulierend in den atomaren Bereich eingegriffen werden kann, das Rastertunnelmikroskop (Scanning Tunnelling Microscope STM), spielt in diesem Vortrag keine Rolle.

 63 Der Streit um die Größe von Nanopartikel und Nanopartikel-Clustern ist relevant für die Bewertung der Toxizität. „[W]hen a nanomaterial is in particulate form, the particles may be present as single particles but might also be present as agglomerates/aggregates. Depending on the nanomaterial, the majority of the particulates may actually be agglomerates/aggregates. This may lead to te misinterpretation that agglomerates/aggregates of nanoparticles that have dimensions well beyond the 100 nm size are not considered nanomaterials. Yet they retain specific physicochemical properties which are characteristic for nanomaterials, most liekly due to their relative large specific surface area (SSA). Therefore, when describing a nanomaterial it is important to describe not only the mean particle size but also the size of the primary particles.“ EU 2009, 7, als Arbeitsgrundlage verwendet beispielsweise bei FROMME et al 2012, 8. Es gibt 2016 keine aktuelleren Aussagen der EU dazu.

256 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

(2) Die demonstrierten Techniken und Objekte weisen keinen offensichtlichen Bezug zur Nanobiotechnologie auf. Auf Folie 14 mit der Brücke wird aber die Biologie als eine der Naturwissenschaften genannt, deren Erkenntnisse und Forschungen vermittelt über die Materialwissenschaft in Technologie einfließen. Dies gehört nicht zum Fachgebiet des Vortragenden, es gibt jedoch eine Übersicht über den Fachbereich Materialwissenschaft der TU Darmstadt (Folie 19), aus der hervorgeht, dass eine Reihe unterschiedlicher Fachgebiete beforscht werden, auf einer schematisierten Kugel der Fachthemen dieser Wissenschaft angeordnet. Folie 19 zeigt in einer schematisierten Erdkugel mit geodätischen Linien eine Figur, die wie ein perspektivisch verkürzter Tetraeder aussieht, an dessen Ecken vier Begriffe angeordnet sind: als Vorderseite die Ordnungsbegriffe Eigenschaften in roter Schrift, Struktur (grün), Synthese (blau). Von den Ecken führen Verbindungslinien in die Mitte zum Begriff Theorie (schwarz). Ein Tetraeder des Wissens der Materialwissenschaften!64 Forschungen zu biotechnologischen Fragen sind an der TU Darmstadt im Fachbereich Chemie angesiedelt, aber der diskursive Bereich einer Selbstorganisation als raumkonstituierendes Prinzip von neuen Materialien und Werkstoffen liegt innerhalb dessen, was materialwissenschaftlich an Forschung und Entwicklung zu Nanotechnologie betrieben wird. Neuartige Materialien werden auch im Hinblick auf die Kombination synthetischer und biologischer Materialien erforscht.65 Biotechnologische Forschungen zu sogenannten biomimetischen Materialien, die die „Fähigkeit zur Selbstorganisation, Selbstheilung und Selbstreplikation“ haben und „biologische Verfahren für technologische Anwendungen“ nachahmen wollen, sind in dem Vortrag nicht dabei66, insofern kommt der Diskursbereich Nanobiotechnologie mit dem Raumskript des Bottom-Up nicht vor. Da Nanotechnologie aber diskursiv auf das festgelegt wird, was Materialwissenschaft ist und tut, und Materialwissenschaft auf Folie 12 als Oberschlüsseltechnologie identifiziert wird, gehört auch die Gentechnologie dazu. Materialwissenschaftlich wird ein Führungsanspruch im Hinblick auf die diskursive Besetzung der Nanotechnologie behauptet, die einerseits zur Ausschließung des Diskursbereichs der Nanobiotechnologie führt (im Hinblick auf konkrete Fachbereiche an der TU Darmstadt). Andererseits kommt der Diskursbereich auf Folie 12 als Gentechnologie ins Spiel, sowie in einer Seite-

 64 Neben der auf diese Weise wissensgesättigten Kugel stehen in einer farbigen Liste die Fachgebiete (von Professoren vertreten). Zur Theorie gehören die Numerische Simulation sowie Theoretische Grundlagen der Materialentwicklung, zur Synthese Dünne Schichten sowie Disperse Feststoffe. Auf der Kugeloberfläche verteilen sich Kürzel der Fachgebiete in der Nähe der Eckpunkte, Physikalische Metallkunde PM und Elektronische Materialeigenschaften EM liegen in der Nähe des Punktes Eigenschaften. 65 PASCHEN et al 2004, 135. 66 PASCHEN et al 2004, 135.

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naspektuierung auf Folie 45 und 46, wenn es um „Intelligente Materialien“ geht, deren „intelligente“ Eigenaktivität betont wird. Ein prominentes Beispiel sind sogenannte Formgedächtnislegierungen, die sich an ihre geometrische Gestalt „erinnern“ können. Verformt man eine solche Legierung bei einer bestimmten Temperatur, so nimmt sie bei einer höhrern Temperatur wieder ihr ursprüngliches Aussehen ein. [...] erfreulich ist [...], dass Infarkt gefährdeten Personen mit einer Stütze aus einer solchen Formgedächtnislegierung die Herzkranzgefäße lebensrettend aufgeweitet werden können. [...] Wenn schon einzelne Materialien das Attribut „intelligent“ erhalten haben, was können wir dann erst bei einer Verbindung mehrerer dieser Materialien erwarten?

67

Als „Intelligente Materialien“ werden Materialien bezeichnet, deren Eigenschaften in einem technischen Sinne als Eigentätigkeit bezeichnet werden. „Intelligenz“ als Kennwort eines adaptiven oder selbstregulierenden Verhaltens, wie zum Beispiel ein „Heizelement [, das] seine Temperatur selber messen könnte“68, wird dann der Brückenbegriff zum nanobiotechnologischen Diskurs.69 Die In-Eins-Setzung von Materialwissenschaft und Nanotechnologie will einerseits im Vortrag dieses Materialwissenschaftlers die Nanobiotechnologie ausschließen. Andererseits ist die materialtechnische Eigenaktivität diskursiv nicht von einem biologischen Diskurs abtrennbar. Insofern besteht trotzdem ein Bezug zum Nanobiotechnologiediskurs, allerdings mit einem sehr abgeschwächten Bezug zum Raumskript Bottom-Up.

 67 Das Editorial abgebildet auf Folie 45, TU Darmstadt 2006, thema forschung 2/2006, 1. 68 TU Darmstadt 2006, thema forschung 2/2006, 34f. 69 Prey, Festvortrag, Die Nano-Blume (I.1, II.1, II.6). Zur Differenzierung von „Intelligenz“ abschließend und richtungsweisend: „Auch Hosenträger sind intelligent“, LEM 2005.

 

4. Website „Science in Africa“ (2003) Pragmatischer Redekontext Dieses Kapitel beschäftigt sich mit einem Text der Website „Science in Africa“ scienceinafrica.com/, die sich als erstes populäres Wissenschafts-Online Magazin in Afrika1 bezeichnet und seit 2000 besteht.2 Der Text wird als „Feature“ bezeichnet und datiert (November 2003, Abb. 8), und ist in den einleitenden Sätzen vielfältig raumsemantisch aufgeladen und bestimmt.3 Nanotechnology – the next big thing is very, very small (November 2003) Nanotechnology is the almost-invisible science of construction on scales of a billionth of a metre. It involves making things using beams, girders, pumps and wheels just one millionth of a millimetre long. Nanoelectronics has enormous applications, particularly in computing. But there’s more... Although sub-Saharan Africa may be a late entrant in this new technological race, an African Materials Forum due to be held in Johannesburg, South Africa, at Wits University in December should provide a distinct kick-start. A recent South African strategy document does outline two distinct opportunities in nanotechnology for the southern region of this continent. Nanotechnology can add enormous value to African minerals - gold, titanium, palladium, platinum and so on - once simply exported abroad in their raw state to be transformed by others into valuable commodities. The other focus is using nanotechnology to fight poverty. In the

 1

scienceinafrica.co.za als Link zur früheren Website auf scienceinafrica.com/about-us, acc. 160229, funktioniert nicht, war aber bis 2013 zugänglich unter scienceinafrica.com/ old/index.php?q=2003/november/nanotech.htm, acc. 130408. Der Text im neuen Design der Website ohne Datierung, Genrebezeichnung und Werbung unter scienceinafrica.com/nanotechnology/nanotechnology-next-big-thing-very-very-small, acc. 160228.

2

myvirtualpaper.com/doc/rhodes_university/special_staff_issue/2011040701/3.html#3,

3

Das Feature wird zitiert in MACLURCAN 2010 und WHITMAN 2006. Die sozialöko-

acc. 160131. nomische Dissertation MacLurcans beschäftigt sich mit Implikationen der Nanotechnologie für den „globalen Süden“ entlang der ungleichen Teilung in den reichen Norden und den armen Süden. Zur Übersicht über Autoren, die Nanotechnologie als Lösung für die Entwicklungsfähigkeit der armen Länder ansehen, und denen, die sie als Teil des Problems fortbestehender Armut betrachten, vgl. 123f. und 158f. Zum Terminus „globaler Süden“ 15f. Whitman beschäftigt sich mit der (un)möglichen gesellschaftlichen Steuerbarkeit technologischer Entwicklungen respektive der konvergierenden Technologien (Converging Technologies CT), also mit dem Thema von Crichtons Prey.

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arena of social development, nanotechnology could lead towards low cost energy, low cost electronics and more efficient drug delivery.

Die allgemeine Einleitung ist der erste von fünf Abschnitten, ergänzt um eine Abbildung, die Laborwissenschaftler bei der Arbeit zeigt, die weiteren Unterabschnitte des Textes werden am Rande besprochen. Sie sind durch Zwischenüberschriften gekennzeichnet und stellen die Arbeitsgruppe unter der Leitung des Wissenschaftlers Neerish Revaprasadu vor. Dessen Arbeit wird mehrfach zitiert und als vielversprechende Keimzelle für eine große nanotechnologische afrikanische Zukunft dargestellt. Die Einleitung könnte man als eine Art fortdauerndes (afrikanisches) Manifest der Nanotechnologie charakterisieren, sie ist aber nicht ausgewiesenermaßen von ihm; es gibt niemanden, der als Autor des Textes genannt wird.

[...] Abb. 8: Website mit „Feature“ zur Nanotechnologie, erste Abschnitte, früheres Design

Die verzweigte Website Science in Africa ist laut Selbstauskunft eine Koaktion mehrerer Akteure, die sowohl mit öffentlichem als auch privatem Geld, d.h. von Industrieunternehmen, gefördert wird; allerdings sind Informationen über Finanzierung und Initiierung nicht mehr zugänglich, weil die Website im Laufe ihrer Exi-

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stenz überarbeitet wurde. Seit 2010 gibt es ein geändertes Layout, bei weitgehend fortbestehender Chefredaktion und Mitarbeitern. Die Website war bis 2010 in einem Archiv zugänglich.4 Das Feature ist ohne Datierung und Genreangabe auf der Folge-Website zugänglich, zusätzlich gibt es von 2008 einen neuen Artikel mit dem Titel „Nanotech takes off in SA“, der den erfolgreichen Eintritt Südafrikas in das technologische Rennen um die Nanotechnologie nachzeichnet und kommentiert.5 Zu den finanziellen Unterstützern des digitalen Wissenschaftsmagazins gehört zu Beginn die 2002 gegründete südafrikanische Biotechnologiefirma inqaba biotec und der in 38 Ländern vertretene Mischkonzern Sasol, sowohl Chemie- als auch Energiekonzern, ursprünglich ein staatseigenes südafrikanisches Unternehmen des damaligen Apartheidsregimes, das 1950 als Energiegewinnungskonzern gegen die internationale Sanktionspolitik gegründet und 1979 privatisiert wurde.6 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Features über Nanotechnologie gehört auch der multinationale Konzern Merck KGaA mit Hauptsitz in Darmstadt (in 39 Ländern vertreten) zu den Förderern des Online-Magazins, das Logo der Firma findet sich auf dem Text.7 Angaben zur „Mission“ des Magazins waren in der ersten Version zu finden. Afrikanische Wissenschaftsaktivitäten, vor allem Forschungen junger Wissenschaftler, sollten national und international in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken und über gesellschaftlich relevante wissenschaftliche Forschung sowie über Gesundheitsangelegenheiten informiert werden: „to give information on scientific and health issues directly affecting society.“ Afrikanische NaturwissenschaftsLehrer sollten Zugang zu Ressourcen und Informationen lokaler Relevanz erhalten. Die Diskussionen über wissenschaftliche Belange im Allgemeinen, vor allem im Zusammenhang mit der afrikanischen Gesellschaft, sollten sich vertiefen und ein

 4

Die Web-Archive der früheren Magazinseiten von Januar 2001 bis Mai 2010 waren zu-

5

Scienceinafrica.com/nanotech-takes-sa, der Artikel stammt von 2008. Verwiesen wird auf

gänglich unter scienceinafrica.com/old/archives.htm, zuletzt acc. 130530. die Gründung zweier nanotechnologischer Innovationszentren, des National Centre for Nano-Structured Materials NCNSM, sowie des Mintek Nanotechnology Innovation Centre NIC bei der Firma MINTEK, beide 2007, lsncnsm.csir.co.za/ind- ex.html?lf=1;pg=2, mintek.co.za/technical-divisions/advanced-materials-amd/nanotechnology/, acc. 160131. 6

sasol.com/extras/sasol-facts-pres-2/, acc. 160131. Laut Website hat Sasol knapp 30000 Mitarbeiter (2016, 2013: ca. 34 000), davon etwa 1400 in Hamburg, Brunsbüttel und Marl. Zu den für seine unabhängigen Beraterdienste bezahlten Direktoren „Board of Directors“ gehört 2012/13 auch Jürgen Schrempp.

7

eldis.org/go/country-profiles&id=36466&type=Organisation, acc. 160131. Auf scienceinafrica.com finden sich keine Informationen mehr, auf der früheren Website gab es Angaben über weitere Förderer.

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kritisches und „informiertes“ Reflektieren der Gesellschaft fördern: „to encourage an informed/thinking/questioning African society.“ Offen blieb, ob es sich um eine nationale Perspektive in bezug auf Südafrika als Land oder um eine kontinentale Sichtweise – Südafrika als Teil des Kontinents Afrika – handelte. Science in Africa präsentierte sich ursprünglich als „South African magazine“, das aus regionaler Perspektive öffentliche Debatten informieren will: „aimed at informing public debate on science in Africa.“ Damit wurde für die ‚Herausgabe‘ mindestens rhetorisch festgelegt, dass ‚die Zeitung‘ außerhalb von ideologischer Meinungsmache oder Beeinflussung agiert. Mindestens der Rhetorik nach bot (und bietet) das Magazin im Hinblick auf Wissenschaften neutrale Informationen und vertritt gegenüber Rezipienten (oder Konsumenten) einen Bildungsanspruch im Hinblick auf Wissenschaft und Forschung. Zu diesem neutral formulierten Ziel kommt die Aufgabe, die Wissenschaftskommunikation zwischen afrikanischen Ländern insgesamt zu vertiefen und zu verbessern. Damit situiert sich das Magazin in einem politischen (Information der Öffentlichkeit) und wissenschaftlichen Diskurs (Informationen aus der Wissenschaft für Wissenschaftler), sowohl in nationaler (südafrikanischer) als auch internationaler Perspektive.8 Der Aufbau der ersten Version des Magazins bot eine breite Einbindung in wissenschaftspragmatische Belange und gliederte sich nicht entlang inhaltlicher oder theoretischer Fragen aus der Wissenschaft. In der Marginalienspalte der früheren Version gab es die Spartenunterteilungen „Events“ (zu anstehenden Tagungen in Einzelwissenschaften), „Jobs“, „Funding“, „Education“, „Books“, „Budding Science“ und „Organisations“, kommunizieren konnte man mit den Machern über verschiedene interaktive Kontaktfelder.9 Auch Kinder waren als Rezipienten eingebunden: es gab Vorschläge gegen Langeweile sowie Geschichten und Informationen über Tiere.10 Die jetzige Struktur der Website besteht dagegen aus zwei Hauptinformationsbereichen: „Home“ und eine umfangreiche, interdisziplinäre Jobbörse. Die Unterteilung des ersten Informationsbereiches „Home“ verzeichnet 2016 sechs heterogene Themenfelder „Biotechnology“, „Environment“, „Food & Agriculture“, „Health“, „Insight & Opinion“ sowie „Wildlife“, die insgesamt weder Wissenschaften noch gesellschaftliche Themen benennen, sondern es nach wie vor erlauben, die

 8

Informationen über den wissenschaftlichen Informationsdienst eldis.org/go/countryprofiles&id=36466&type=Organisation, acc. 160131, dort fast wörtlich die Übernahme der Angaben über die Zielsetzung und journalistischen Aufgaben des Magazins.

9

Die Kontakt-Buttons trugen die Titel „Register“, „About us“, „Advertise“, „Feedback“, „Letters“, „Links“, scienceinafrica.com/old/index.htm, zuletzt acc. 130530.

10 Die Beiträge zu Seepferdchen, Fischen und Lemuren fanden sich unter dem Button „Budding Science“ scienceinafrica.com/old/budding.htm, zuletzt acc. 130530.

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Website als informativen Gemischtwarenladen zu charakterisieren.11 Die Chefredakteurin, Initiatorin, Designerin und „Webmasterin“ des Magazins Janice Limson promovierte 1999 an der Rhodes University in Grahamstown in physikalischer Chemie („Physical Chemistry“) und hält als Leiterin des Instituts für Biotechnologie ebendort seit 2014 den Lehrstuhl für Biotechnologie in Südafrika.12 Ihre Forschungsinteressen finden sich auf ihrer universitären Website als „Biosensors, Biofuel cells and Nanobiotechnology“, ihre Arbeit und sie als Person wurden 2011 vom südafrikanischen Vizekanzler mit einem Preis für besondere Forschungsleistungen ausgezeichnet.13 Limson bringt ihr Anliegen, Gesellschaft und Technik zu vermitteln, als Chefredakteurin zum Ausdruck. She is deeply committed to science communication as a tool to interface science and innovation with society. [...] Through her work in both science communication and research, she ho14

pes to break new ground in engaging universities in technology transfer and innovation.

Nicht nur die Forscherin Limson, sondern auch das Wissenschaftsmagazin Science in Africa wurden mit Medienpreisen ausgezeichnet, mit besonderer Ehre für Chefredakteurin und Redaktionsteam, dessen Mitglieder seit 2000 namentlich mit ihren Wissenschaftsdisziplinen Astronomie, Entomologie, Conservation, Archeologie, Ichthyologie gelistet sind, und von der Journalistin Christina Scott als langjähriger außerwissenschaftlicher Mitarbeiterin unterstützt werden.15 Bevor ich auf die finanziellen Unterstützer eingehe, deren Firmenlogos auf der Website geschaltet waren, möchte ich erwähnen, dass 2003 das höhere Bildungssystem in Südafrika weitreichend reformiert und insbesondere der Zugang zum tertiären Bildungssektor erweitert wurde. Die Ablösung des Apartheid-basierten Systems

 11 Von sechs Themen ist nur „Biotechnology“ in elf Unterpunkte untergliedert, wobei partiell die Themenbereiche wiederkehren. Scienceinafrica.com/biotechnology, acc. 160131. 12 Janice Limsons PhD datiert von 1999, zwei Jahre später geht die Website scienceinafrica online. Als Professorin für Biotechnologie kooperiert sie 2015 als Direktorin des Rhodes Biotechnology Innovation Centre mit UNICEF bei der Entwicklung eines Teststreifens für die Erkennung von HIV/AIDS. ru.ac.za/biotech/people/staff/profjanicelimson/ sowie unicefstories.org/2015/05/08/unicef-and-rhodes-university-collaborate-to-develop-earlydetection-hivaids-testing-strip/. Das Biotechnology Innovation Centre wird unterstützt von den Innovationszentren CSIR sowie NIC Mintek und weiteren südafrikanischen Forschungsinstitutionen. ru.ac.za/nanotechnology/, alle acc. 160131. 13 „Distinguished Research Award“, außerdem kam sie unter die ersten Drei des „National DST Women in Science Awards in the Life Sciences“. 14 scienceinafrica.com/about-us, acc. 160131. 15 scienceinafrica.com/about-us, acc. 160131. Christina Scott wird früher nicht genannt.

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1994 führte in Südafrika zu einer Art universitärer Umbruch- und Aufbruchstimmung.16 Im Text geht es um Aktivitäten an der Zululand-Universität, einer sogenannten ‚Comprehensive‘ und damit Post-Apartheids-Universität, in den Einleitungssätzen wird auf eine Tagung an der traditionellen, seit 1922 bestehenden Witwatersrand-Universität in Johannesburg verwiesen. Damit verbindet das Feature zwei ‚Sorten‘ Universitäten, die für den gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozess in Südafrika stehen. Das Problem einer implizit diskriminierenden, wenn nicht gar rassistischen Wissenschaft, die nicht nur eine Folge von Apartheidspolitik ist, wird auf der ersten Version der Website nicht explizit als solches thematisiert. Erkennbar ist es aber (Abb. 8) und es besteht allgemein als Problem fort, wenn auch versucht wird, durch Stipendienvergaben und politische Aktivitäten dagegen zu steuern.17 Die Umwandlung des wissenschaftlichen Sektors ist

 16 „South Africa began restructuring its higher education system in 2003 to widen access to tertiary education and reset the priorities of the old apartheid-based system. Smaller universities and technikons (polytechnics) were incorporated into larger institutions to form comprehensive universities. The so-called comprehensive universities, of which there are now six, offer a combination of academic and vocational diplomas and degrees, while the six universities of technology focus on vocationally oriented education. The 11 traditional universities offer theoretically oriented university degrees.“ Die Informationen wurden 2015 überarbeitet, sie stammen von der Werbeagentur Brand South Africa southafrica. info/about/education/universities.htm, acc. 131211 und 160131. Dass die sogenannte Realität nicht den beschworenen Wechsel zu einer neuen (Post-Apartheids-)Gesellschaft zeigt, beschreibt Tobias Zick in „Die Sonne ist weg“ in der Süddeutschen Zeitung: „Man sieht nun, wie schlecht es dem Land geht [...] die Chancengleichheit ist für viele, vor allem schwarze Südafrikaner bis heute ein leeres Versprechen geblieben [...] 70 Prozent aller Südafrikaner unter 35 Jahren sind arbeitslos, die Ungleichheit ist noch immer so groß wie in nur wenigen anderen Ländern der Welt: Weiße Familien verdienen im Durchschnitt sechs mal so viel wie schwarze. Und die [...] angeblich boomende schwarze Mittelschicht ist bis heute eher eine neureiche Minderheit geblieben. [...] Der Bildungsrückstand der schwarzen Bevölkerungsmehrheit, die Kluft zwischen den von schwarzen und weißen Südafrikanern besuchten Schulen, ist noch immer fast so groß wie zu ApartheidZeiten. Nur war es damals Teil des Systems, Schwarze gezielt von jeglicher Bildung fernzuhalten und damit von der Chance auf Teilhabe am Wirtschaftsleben. Zugleich wuchert die Korruption [...]“, Süddeutsche Zeitung Nr. 283, 7./8.12.13, S. 2. 17 Auf der Website von Sasol wird das Thema in umfassender Weise in der Unternehmenskommunikation, auch bildlich, ausagiert, sasol.com. Der Rss Feed von Scienceinafrica.com/rss.xml verzeichnet eine Ausschreibung für eine Förderung von Management Fähigkeiten von Nachwuchswissenschaftlern „NRF Scarce Skills Development Fund Call for 2012“, bei dem es hinsichtlich der Auswahlkriterien heißt: „This call will give prefe-

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eng mit internationalen Unternehmen und Institutionen verwoben, wie im folgenden anhand der Förderer der Website, den Firmen inqaba-Biotec, den internationalen Konzernen Sasol sowie der Merck KGaA, verdeutlicht wird.18 Die Firma inqaba-Biotec besteht seit 2002 und ist eine Gründung von Wissenschaftlern aus den USA, der Schweiz, Deutschland, Südamerika und Südafrika. Die Gründung des internationalen Start-Ups wurde durch ein Darlehen der Schweizer Regierung unterstützt.19 Die Gründungsphase von inqaba biotec liegt im selben Zeitraum wie die Entstehung des Online-Magazins „Science in Africa“.20 Begünstigend für den Erfolg war die „National biotechnology initative“ seitens der südafrikanischen Regierung sowie eine insgesamt günstige politische Situation mit einer „active promotion policies for biotechnology“ und wenigen Vorschriften und gesetzlichen Regulierungen für die Gründung von gentechnisch arbeitenden Laboratorien und Fabriken („few regulations on set-up of biotechnological laboratories“).21 Inqaba Biotec ist regional tätig, und hat in der Anfangsphase seines Bestehens spezialisierte Dienstleistungen rund um Gensequenzierung angeboten. Das Unternehmen strebt an, zum führenden Anbieter für gentechnische Produkte und Dienstlei-

 rence to candidates meeting the gender and equity targets, listed below: Black students (African, Coloured, Indian) 85 %, Women students (African, Coloured, Indian, White) 54 %, Students with disabilities (African, Coloured, Indian, White) 4%.“, acc. 160131. 18 eldis.org/go/country-profiles&id=36466&type=Organisation, acc. 160131. 19 Vom Schweizer Staatsekretariat für Wirtschaft SECO, so Bionity.com bionity.com/en/ companies/16220/inqaba-biotechnical-industries-pty-ltd.html, betrieben von der Firma Chemie.de Informationsdienst GmbH in Berlin, laut Eigenauskunft der größte Anbieter zielgruppenspezifischer Informationen (Biotechnologie, Chemie). Das Portal bietet 20000 regelmäßigen Abonnenten und jährlich 1,2 Millionen „Usern“ „latest information on the life sciences, biotechnology and pharmaceuticals.“ about.chemie.de/en/Portals/bionity_ com-p-20.html. Gleichlautende Information zur Gründungsfinanzierung im PPT-Vortrag „Establishing a start-up company in South Africa. An industry perspective“ von 2002 von Christoph Beck, ehemaliger Managing Director inquaba Biotec, powershow.com/view1/ c0d40-ZWQ1M/Kein_Folientitel_powerpoint_ppt_presentation. Der examinierte Mikrobiologe gibt in einem digitalen Berufsportal an, dass er von Juli 2001 bis Januar 2005 Managing Director der Firma war, linkedin.com, alle acc. 160131. 20 Das Kick-Off Meeting, bei der die Geschäftsidee definiert wurde, lag 2000, PPT von Christoph Beck 21./22.10.02, powershow.com/view1/c0d40-ZWQ1M/Kein_Folientitel_p owerpoint_ppt_presentation, inqababiotec.co.za/southern-africa-subsidiary/, 160131. 21 Angaben aus Becks Vortrag, vorige Fußnote.

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stungen in Afrika zu werden und Produkte und Verfahren der Life Sciences umfassend zu vermarkten. Es ist mittlerweile in drei Unternehmen gegliedert.22 Der Hauptsitz des international tätigen südafrikanischen Konzerns Sasol liegt in Südafrika, es handelt sich um ein Unternehmen mit einer extrem ausdifferenzierten Struktur. 1979 privatisiert, werden seit April 2003 Sasol-Aktien am New York Stock Exchange NYSE gehandelt. Zu den vielfältigen Aktivitäten des 1950 in Sasolburg gegründeten Konzerns gehört seit Beginn die Herstellung von Treibstoffen aus Kohle in sogenannten „Coal to Liquid“ CTL-Anlagen, die dem ApartheidsRegime in Südafrika Mitte des 20. Jahrhunderts trotz schwerwiegender internationaler Sanktionen den Zugang zu Öl verschafften.23 Sasol unterstützt und betreibt die umstrittene Fracking Methode weltweit, unter anderem in den USA und in Südafrika.24 Zu den insgesamt neun Non-Executive Managern des transnationalen Unternehmens gehört seit November 1997 Jürgen Schrempp.25 Die international tätige Darmstädter Firma Merck KGaA ist mit vielen Unterabteilungen und Tochterfirmen „führend in Pharma, Chemie und Life Sciences“.26 Merck ist das älteste Chemie- und Pharmaunternehmen der Welt, von 2014 weltweit etwa 40.000 Mitarbeitern arbeiten etwa 9000 in Südhessen (mit Hauptstandort

 22 inqababiotec.co.za/, acc. 160131. Das Profil des Unternehmens, zugänglich bis 2013 unter inqababiotec.co.za/index.php/home/company-profile, zuletzt acc. 130520, ist nicht mehr im Netz. 23 Sasol lotet 2010 in ‚Kooperation‘ mit den jeweiligen Regierungen die Machbarkeit großer CTL-Anlagen als Mischung aus Fabrik und Kraftwerk in Südafrika, Indien und China aus, die aus Kohle Benzin und Diesel herstellen sollen; außerdem gibt es weltweit Bestrebungen, umfangreiche „Gas to Liquid“ GTL-Anlagen zu etablieren, wobei das Unternehmen das neue Kürzel UCG benutzt: „Unterground Coal Gasification“, sasol.com/inno vation/new-energy/clean-coal sowie am 30.8.09 im handelsblatt.com/unternehmen/indus trie/petrochemie-konzern-sasol-der-heimliche-oelkonzern-aus-suedafrika/2699502.html. In Kanada (große Kohlevorkommen) wird die chemische ermöglichte Energiegewinnung hinsichtlich der Umweltverträglichkeit (Wasserverbrauch, CO2-Emmissionen) kontrovers und wissenschaftlich informiert diskutiert. groundtruthtrekking.org/Issues/AlaskaCoal/Co alToLiquids.html, alle acc. 160131. 24 9.09.2013, ewn.co.za/2013/09/09/Growing-Sasol-still-rooted-in-SA, acc. 160131. 25 U.a. ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Daimler Benz AG. Das Manager Magazin schreibt am 25.3.09, Ausgabe 2/2009 über ihn, der als „letztlich gescheiterter Erfinder der Welt-AG in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen ist“: „Geschätzt wie einst wird er nur in Südafrika.“ manager-magazin.de/magazin/artikel/a603090.html, 160131. Von Nelson Mandela erhielt Schrempp 1999 den höchsten südafrikanischen Orden. 26 merck.de/de/unternehmen/unternehmen.html, acc. 160131.

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Darmstadt).27 Vor dem Hintergrund eines sich als genuin südafrikanisch präsentierenden Wissenschaftsmagazins hat es mich erst gewundert, das Logo der Darmstädter Firma auch auf weiteren „Features“ des Online Magazins zu finden.28 Man kann aber die Unterstützung als Vorläufer zu dem Engagement für die deutsche Initiative „Afrika kommt!“ ansehen, die als territorial fokussierte Initiative 2008 von 19 großen deutschen Unternehmen ins Leben gerufen wurde, um dem Führungsnachwuchs aus dem „Subsaharan Africa“ in Deutschland eine Art Weiterbildungsprogramm zu ermöglichen.29 Auf der Website dieser vom deutschen Bundespräsidenten unterstützten Wirtschaftsinitiative, die 2016 in der fünften Staffel läuft, wird ausdrücklich auf die NEPAD-Initiative und die Neugründung der Afrikanischen Union verwiesen, auf einen übergreifenden politisch-wirtschaftlichen Zusammenhang, auf den ich nun eingehe. Die genannten drei Firmen, die die Website unterstützen oder unterstützt haben, sind in die seit 2001 existierende „New Partnership für Africa’s Development“ NEPAD-Inititative der Afrikanischen Union AU30 eingebunden. Die Initiative schafft

 27 Laut Eigenauskunft der teilweise inhabergeführten Merck KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) merck.de/de/unternehmen/unternehmen.html, acc. 160131. 28 Beispielsweise auf dem „Feature“ vom Juni 2002, in dem sich der Klimawandel,gegner‘ William J.R. Alexander zur NEPAD-Initiative äußert, scienceinafrica.com/old/index.php? q=2002/june/nepad.htm, zuletzt acc. 130604. Alexander ist Emeritus der Universität in Pretoria, Südafrika und gehört zu den Wissenschaftlern, die die Manhattan Declaration of Climate Change unterzeichnet haben, die die globale Erwärmung als nicht globale Krise bezeichnet „,global warming‘ is not a global crisis“ und das Gas CO2 als „necessity of life“, desmogblog.com/william-jr-alexander, acc. 160131. 29 Bei dem einjährigen Fortbildungsprogramm (inklusive Auswahlprozess zwei Jahre) lernen etwa zwanzig Teilnehmende, darunter viele Ministeriumsmitarbeiter, Deutsch und werden in deutschen Unternehmen aus- und fortgebildet. Anschließend kehren sie in ihre Heimatländer (Uganda, Simbabwe, Sambia, Ruanda, Namibia, Ghana, Kenia, Tansania, Elfenbeinküste, Gambia, Botswana, Gabun) und in die ,dortigen‘ Unternehmen bzw. politischen Institutionen zurück. afrika-kommt.de/, acc. 160131. 30 Die AU hat 2013 ihr fünfzigjähriges Bestehen gefeiert. Ihr Hauptsitz liegt in Äthiopien, entscheidungsbefugt ist ähnlich wie bei der EU die sogenannte Kommission AUC, mit der die EU als „zentraler Anlaufstelle“ zusammenarbeitet, „Ein Jahr nach Lissabon: Fortschritte und Herausforderungen bei der Umsetzung der Partnerschaft Afrika-EU. Mitteilung der Kommission an den Rat und das europäische Parlament“, KOM (2008) 617, 17.10.08, S. 4. Der AU gehören bis auf Marokko alle Staaten des afrikanischen Kontinents an, inklusive Südsenegal. Von 53 AU-Mitgliedsstaaten unterhalten 46 in Addis Ababa (Äthiopien) Botschaften. Die AU wurde auf Initiative von Muammar al-Gaddafi ab Juli 2000 zur Nachfolgeorganisation der 1963 gegründeten Organization of African

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als Mittelding zwischen Vision und Politikstrategie für die Mitgliedsstaaten der AU aktuell den strategischen Rahmen, innerhalb dessen die drängenden Probleme Armut, Unterentwicklung, internationale politische Marginalisierung länderübergreifend angegangen werden können und sollen.31 Die technische Ausrichtung der NEPAD als territorial zuständiger Ansprechpartner steht im Untertitel „A technical body of the african union“. Since its initiation, NEPAD has been promoted widely both within Africa and in the industrialised North. NEPAD is now recognised as Africa’s development plan by all the governments of the North, and the international financial institutions, and by many international governance institutions like the United Nations. NEPAD is widely seen as the mechanism through which support to Africa’s development efforts can be best delivered. Thus, the NEPAD process has come to be accepted not only by African countries and RECs but also by 32

Africa’s development partners as the framework mechanism for their development efforts.

NEPAD wird laut Selbstdarstellung von allen Institutionen der industrialisierten nördlichen Welt als wichtigster Ansprechpartner bezüglich der ‚Entwicklung‘ des Kontinents akzeptiert und vertritt den Anspruch, zum Wohle aller afrikanischen Staaten, also zum Wohl des Kontinents, zu agieren.33 In 2005 wurde erstmalig ein

 Unity OAU. bpb.de/apuz/32308/afrikanische-friedens-und-sicherheitsarchitektur-institu tionalisierte-zusammenarbeit-in-und-fuer-afrika?p=1. 2002 wurde die AU als wirtschaftlich ausgerichtete Organisation, die ein einiges, friedliches Afrika anstrebt, feierlich neugegründet und löste die antikoloniale, vor allem auf Freiheit ausgerichtete und bisweilen als „Club der Diktatoren” bezeichnete OAU ab. freitag.de/autoren/lutz-herden/im-fegefe uer-nationaler-egoismen, acc. 160131. Rund um 2013 gab es eine territorial argumentierende Werbekampagne für die AU, die ähnlich der Werbekampagne für Berlin (Du bist Berlin / Sei Berlin) mit einem raumbezogenen Identifikationsargument arbeitete: Ich bin Afrikaner – Ich bin die Afrikanische Union (jeweils neben dem Foto eines Kindes, Mannes, einer Frau), au.int/en, zuletzt acc. 130520. 31 Manchmal wird als viertes drängendes Problem die Unterdrückung von Frauen genannt. NEPAD hat sich laut Eigenauskunft „als Kompromiss“ aus drei verschiedenen Initiativen entwickelt, nepad.org/about, nepad.org/history, sowie die historische Übersicht über die Entwicklung der Afrikanischen Union au.int/en/about/nutshell, acc. 160131. 32 nepad.org/history, acc. 160131. Die NEPAD-Initiative wurde von fünf afrikanischen Staaten unter der OAU, Ägypten, Algerien, Nigeria, Senegal und Südafrika, ins Leben gerufen. 33 Ob NEPAD als vertretungsberechtigte Institution für die wirtschaftlich-technische Entwicklung des gesamten afrikanischen Kontinents legitimiert ist oder nicht, kann hier nicht diskutiert werden. Das NEPAD-Programm ist mittlerweile für sämtliche internationale

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Fünfjahresplan beschlossen und verabschiedet, der sogenannte „Science and Technology Consilidated Action Plan for Africa“, der „Hochschulen, Wissenschaftsund Technologieeinrichtungen als Instrumente für eine zukunftsorientierte wirtschaftliche und soziale Entwicklung“ begreift und einsetzen will.34 Dieser Plan hat aufgrund seiner Zielsetzung eine entfernte Ähnlichkeit mit den 7-Jahres Zyklen der „Forschungsrahmenprogramme“ der EU, weil er als Wegbereiter für zukünftige Entwicklungen fungiert: „it creates a roadmap for international and regional cooperation in science and technology over the next five years.“35 Innerhalb der NEPADInitiative wurde 2001 der „Biosciences in eastern and central Africa-International Livestock Research Institute“ BecA Hub-ILRI gegründet, zu deren Sponsoren die Firma Inquaba biotec gemeinsam mit den globalen Unternehmen Roche, Merck und F & S Scientific gehört. BecA Hub-ILRI ist eine sehr gut finanzierte ost- und mittelafrikanische Plattform, über die in Afrika biotechnologische Wissenschaftler gefördert und weitergebildet werden. Sie hat zum Ziel, biotechnologisches KnowHow in Afrika zu verbreite(r)n, unter anderem mit dem Ziel, die Lebensmittelressourcen über Gentechnologie zu sichern: „The BecA-ILRI Hub was established as a research platform to enable African scientists to address key agricultural challenges through the applications of modern biotechnology.“36 Die Stichworte lauten „Feed the Future“, „Research for a food secure Africa“ und „Mobilizing biosciences for

 Partnerschaften und Kooperationen der AU richtungsweisend und damit bindend für alle Länder des afrikanischen Kontinents. The „partnerships are consistent with the clearly defined vision and development strategy of the African Union (AU), with particular emphasis on speeding up industrialization, development of infrastructure, development and acquisition of technology and know-how and development of human capital, all of which are outlined in the Commission’s Strategic Plan and the AU’s NEPAD programme.“ au.int/en/partnerships, zuletzt acc. 130520, sowie au.int/en/NEPAD, acc. 160131. 34 Bundesbericht Forschung und Innovation vom 22.5.2008; Drucksache 16/9260 Deutscher Bundestag, S. 430. 35 CANDAU / SCHNEEGANS 2007, Foreword by Walter Erdelen. 36 Vgl. die Broschüre des International Livestock Research Institute ILRI: „The BecA-ILRI Hub. Africa Biosciences Challenge Fund (ABCF) Capacity Building Evaluation. Final Report.“ 2014, S. 3. Die Erforschung und Implementierung von genetisch modifizierten Pflanzen gehört zu den erklärten Zielen dieser Initiative. In einer Fallstudie zu Kenia heißt es 2005: „Funding to start up BecA has been obtained from the Canadian International Development Agency (CIDA). While BecA is yet to start work on GMOs, it is however clear from its mandate that it will eventually start working on GMOs. An environmental impact assessment as well as a strategic environmental assessment is currently ongoing as required by the Environmental Management and Coordination Act of 2000.“ KAMERI-MBOTE 2005, S. 11.

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Africa’s development“.37 Auch das „Capacity Building“ samt entsprechender praktischer und pragmatischer Eingriffsaktivitäten ist erklärtes Ziel der Initiative.38 Parallel zur NEPAD-Initiative der AU gibt es seit 2002 die NEPAD Business Foundation NBF, die ein Zusammenschluss privater Unternehmen ist, aber nur formal der AU untersteht. Die NBF arbeitet eng mit internationalen Institutionen zusammen, unter anderem mit KMPG und der US Agency for International Development USAID.39 Neben der Firma Sasol sind Unternehmen wie Coca Cola Africa, Nestle, Dell, Bombardier, die GIZ und andere Mitglieder verzeichnet, wobei Sasol die NEPAD Business Foundation als „sozioökonomische Initiative“ tituliert.40 Der Titel des Online-Magazins „Science in Africa“ findet sich wortgleich auf einer UNESCO Broschüre von 2007, die die NEPAD-Initiative darstellt und bewertet, der vollständige Titel der Broschüre lautet: „Science in Africa. UNESCO’s Contribution to Africa’s Plan for Science and Technology to 2010“. Diese später sowohl in Print- als auch in digitaler Version veröffentlichte Broschüre beschäftigt sich mit dem bereits genannten „Science and Technology Consilidated Action Plan“, der 2005 von der NEPAD beschlossen und verabschiedet wurde.41 Die UNESCO bewertet dabei aus Sicht der westlichen, zivilisierten, nördlichen Welt aufgrund des vorgelegten NEPAD-Programms die Anschlussfähigkeit des afrikanischen Kontinents. Außerdem wird mit Hilfe eigener UNESCO-Programme und Initiativen die wissenschaftliche Entwicklung in Afrika unterstützt oder hergestellt. 42

 37 hub.africabiosciences.org, acc. 160131. 38 International Livestock Research Institute ILRI: „The BecA-ILRI Hub. Africa Biosciences Challenge Fund (ABCF) Capacity Building Evaluation. Final Report.“ 2014. 39 nepadbusinessfoundation.org/index.php/about-us/partners, acc. 160131. 40 sasol.com/sasol_internet/frontend/navigation.jsp?navid=5900002&rootid=2, acc. 120112, sowie nepadbusinessfoundation.org/index.php/membership/member-stories, acc. 160131. 41 Als Frucht einer kontintentweiten Beratung: „The fruit of a continent wide consultation“, vgl. CANDAU / SCHNEEGANS 2007, Foreword by Walter Erdelen. 42 Dazu gehört der Programmbaustein „Building Public Understanding of Science and Technology“, der dem Oberbegriff des sogenannten „Capacity Building“ untersteht, was etwa soviel wie „Befähigungs- oder Ermächtigungsprogramm für die Bevölkerung“ bedeutet. Dazu gehören weit gestreute Informationsprogramme, die z.B. das Ziel haben: „Helping the public grasp the value of chemistry“. Die UNESCO lobt an der NEPADInitiative, dass unter dem Dach einer „Federation of African Societies of Chemistry“ (gegründet 2006 in Addis Ababa, Äthiopien) die bisher existierenden chemischen Gesellschaften in Afrika zusammen gefasst werden. Den bestehenden afrikanischen Institutionen wird unter dem Dach einer „Federation“ ‚geholfen‘, missionarisch tätig zu werden; die Aufgabe lautet: „To help member chemical societies ‚spread the word‘ about the value of chemistry for society and the need both to integrate science in national policy deve-

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Zu diesen Initiativen gehört beispielsweise eine neugegründete Dachorganisation für alle afrikanischen chemischen Gesellschaften, die beispielsweise Informationsprodukte und Lehrmaterialien bereitstellt. Im Rahmen der umfassenden Bestrebungen zur Eingliederung des afrikanischen Kontinents in die Funktionsweisen und Strukturen einer nördlich zivilisierten, globalisierten Welt wurde auch das „GMO teaching kit“ entwickelt, das den Schülern des Kontinents Afrika ermöglicht, den Wert von GMO-Saatgut (Genetic Modified Organisms–Saatgut) „entmystifiziert“ kennenzulernen.43 Die Informationsprodukte und Lehrmaterialien entstammen aus einer Koproduktion der UNESCO mit AGFA, der IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) und der „Royal Flemish Chemical Society in Belgium“.44 Die später aufgelegte UNESCO-Broschüre zeigt, dass das Online-Magazin sich über die NEPAD-Initiative in einen größeren Rahmen von politischen Kommunikationsbestrebungen in Kombination mit industrieller Lobbyarbeit einordnen lässt. Die UNESCO-Broschüre trägt vielleicht nur zufällig denselben Titel wie das Magazin, aber indem sie einen Überblick über die mannigfachen Anstrengungen, die zur Wissenschafts- und Technikförderung in Afrika unternommen werden, gibt, wirkt das von Janice Limson initiierte Magazin wie ein komprimierter Vorläufer der NEPAD-Initiative. Publikationsform, mediale Textgestalt, Textgenre Den englischsprachigen Text des Features gibt es nicht in gedruckter Form, das elektronische Dokument wurde genuin für das Lesen im Internet geschaffen, es ist nur mit Hilfe eines Computers zugänglich; nach Veränderung der Website wandert

 lopment and and to invest in chemistry, the Federation plans to publish the works of chemists who have made valuable contributions to society. In addition, it will be providing products and services to students, teachers and policy-makers.“ CANDAU / SCHNEEGANS 2007, 24. 43 „In late 2006, UNESCO was in the final stages of putting together a Pedagogical Training Kit on Genetically Modified Organisms. The kit will provide teachers with the necessary tools and information they need to teach secondary school pupils about GMOs and thereby do their bit to ‚cultivate‘ the knowledgeable consumers of tomorrow.“ Dieses „kit“ wurde 2007 in verschiedenen Schulen des UNESCO – assoziierten Schulprogramms weltweit „evaluiert“ bevor es in die Massenproduktion ging: „evaluate the kit in selected schools around the world, including several in Africa, within UNESCO’s Associated Schools Programme, in order to finalize the kit prior to mass production and distribution.“ CANDAU / SCHNEEGANS 2007, 23. 44 Mit diesen Lehrmaterialien wird die Mission verfolgt, „to raise public understanding the benefits of chemistry for society“. CANDAU / SCHNEEGANS 2007, 23.

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es für einige Jahre auf ein digitales Nebengleis neben der aktualisierten Website, um dann ohne Datierung in ein aktualisiertes Design zurück geholt und später eventuell abgeschaltet zu werden und zu verschwinden.45 Die Website ist an den Aufbau eines Print-Magazins angelehnt, vom Selbstverständnis her stellt sie für die Öffentlichkeit sachliche Informationen aus der Wissenschaft bereit. Das Magazin zielt aufgrund einer fachlich heterogenen Gemengelage als wissenschaftlicher und publizistischer Gemischtwarenladen auch im Hinblick auf eine geographisch verstandene Raumperspektive auf ein heterogenes Publikum. Mögliche Rezipienten können wissenschaftlichen Disziplinen (oder auch keiner) angehören, sowohl inländisch (in Bezug auf Südafrika als Land) als auch kontinentalafrikanisch (in Bezug auf Afrika als Region und Kontinent) als auch (im Hinblick auf eine imaginierte globale Sichtweise einer wissenschaftlichen Welt) auf der Nordhalbkugel der Erde verortet werden. Aus dem Jahr 2011 stammt die Angabe, dass das Online-Wissenschaftsmagazin „Subscriber“ in über 100 Ländern weltweit habe.46 Das Printmedium erscheint als Rezeptionsfolie inklusive der impliziten Aufforderung, Texte in ihrem dauerhaften Informationsgehalt analog zu Print-Magazinen aufzufassen. Aus dieser Perspektive könnte man sagen, es handelt sich um eine Art Wissenschaftsmagazinavatar, einen digitalisierten Wissenschafts-Magazin-Stellvertreter, der Datierungen, Genrebezeichnungen und eine Redaktion mitbringt, aber aufgrund einer speziellen sozialräumlichen historischen Situation anstelle eines gedruckten Wissenschaftsmagazins ausschließlich (und nicht zusätzlich) im Internet existiert. Angeboten werden überwiegend allgemeine Wissenschaftsinformationen, die als textbasierte Wissenschaftskommunikation einer imaginierten Öffentlichkeit präsentiert werden. Wenn die Redaktion interessierte Leser auffordert, eigene Beiträge auf der Seite einzustellen, wird der Eindruck erweckt, dass es eine partielle Beteiligung gibt, insofern kann man bei der Initiierung der Website von einem bewusst inszenierten öffentlichen Raum sprechen, der durch Diskussionsbeiträge bereichert und so zu einer Art ‚kollektivem Wissensraum‘ wird. Der vormals naiv anmutende interaktive Charakter der Website ist in der aktuellen Version professionalisiert, das in der Kommunikation zugängliche Wissen wird gemanagt. Es gibt zwar noch immer ein Kontaktformular und die Möglichkeit, Werbung auf der Website zu schalten, Nachrichten

 45 Die Zeit gibt am 5.11.1998, S. 46, die mittlere Lebensdauer eines html-Dokuments im Internet mit 45-70 Tagen an (um die Vergänglichkeit der Informationen zu betonen?), wovon das hier analysierte Dokument mit nachgewiesenen 15 Jahren Existenz abweicht. Warnke folgert aus diesen Zahlen, aufgrund eines „tätigen Vollzug[s] des ‚Erinnerns‘ [sei] das Web vielleicht das modernste ernst zu nehmende Modell eines Gedächtnisses überhaupt.“ WARNKE 2005, 23. 46 Vgl. den Artikel über Janice Limson in myvirtualpaper.com/doc/rhodes_university/speci al_staff_issue/2011040701/3.html#3, acc. 160131.

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können über Rss abonniert werden, aber der Zugang zur Website ist durch „Login“ geschützt. Die allgemeine Einleitung in das Feature kann als eine Art fortdauerndes (afrikanisches) Manifest der Nanotechnologie charakterisiert werden. Die Genrebestimmung „Feature“ findet sich graphisch gesehen über, in Lesefolge vor dem Text und sticht aufgrund einer größer formatierten Schrift mit roten Buchstaben hervor. Damit ist auf ein journalistisches Textgenre bzw. Informationsformat verwiesen, bei der ausführliche Informationen zu einem aktuellen Thema gegeben werden.47 Das Feature spielt im informationsbasierten Journalismus eine wichtige Rolle, wo es die von Aktualität und Kürze dominierten Hauptnachrichten ergänzt. Radio- (und im angelsächsischen Raum Zeitungs-)Features haben einen Bezug zu einem aktuellen, politisch mehr oder weniger brisanten Thema bzw. liefern charakteristische Aspekte zu einem breiten gesellschaftlichen Diskurs, der nicht explizit genannt werden muss.48 Formal stellt die Genreangabe „Feature“ einen bewussten metatextuellen Hinweis dar, mit dem die Rezeptionsweise des Lesers gesteuert und eine bestimmte Position des Autors stabilisiert wird, im größeren Zusammenhang wird damit der Bezug zu einer medialen Praxis hergestellt. Da kein Autor angegeben ist, wohl aber die Textsorte, wird eine kulturelle (sowohl journalistisch als auch literarisch etablierte) Text-Praxis genutzt, um einen wissenschaftlichen Seriösitätsstatus herzustellen.49 Mit der Genreangabe wird eine Rezeptionsweise aus dem etablierten

 47 Es ist üblich, dieses Format auch in Deutschland mit dem englischen Wort „Feature“ zu bezeichnen und wird sogar im Deutschlandfunk verwendet, der sehr um deutsche Sprachsorgfalt bemüht ist. Das Format ermöglicht thematisch zentrierte Hintergrundinformationen und integriert unterschiedliche Textelemente und Redeformate. Die Themen werden gemäß einer materialen Originalität (und nicht gemäß eines journalistischen Zwangsregimes) aufbereitet. Formal beinhaltet das Genre einen Aktualitäts-, mehr noch einen Relevanzanspruch, der an einen breiten Hintergrundinformationsteppich geknüpft ist und sich daraus herleitet, insofern bietet es Gegenwartserklärungen mit Zukunftsbezug an. 48 Grundverschiedene Features wie über Ehescheidungen internationaler Ehen (samt Sorgerechtsfragen und Versorgungsausgleich) und über die Situation der Sinti und Roma in Rumänien und Bulgarien können gleichermaßen zeigen, dass der europäische Einigungsprozess notwendig ist. Das eine Mal aufgrund einer privatrechtlichen Dimension, das andere Mal aufgrund von Menschenrechtsfragen. 49 Metatextuelle Hinweise auf „Textsorten“ finden sich nicht nur in Zeitungs- und Radiobeiträgen, sondern auch als etabliertes paratextuelles Strukturmuster in der Literatur. Im Roman steht die Genreangabe zur Kennzeichnung, dass es sich um ein „fiktives“ Werk handelt, in dem erdachte Personen und Handlungen dargestellt werden, die im zivil- und strafrechtlichen Sinne rechtsfrei sind. Mord, Diebstahl und Folter werden (wenn, dann) im Rahmen der Romanhandlung gerichtsbar, nicht aber kann der Autor belangt werden.

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Journalismus induziert, respektive das Stillen eines Informationsbedürfnisses, basierend auf der (unpolitischen) wissenschaftlichen Seriösität der Informationsquelle ‚Wissenschaftsmagazin‘, ergänzt durch die Datierung „November 2003“. Der dem Medium Internet nach zeitlose Text erhält eine historische Dimension und Kontextualität, Genrebezeichnung und Datierung verweisen auf gekennzeichnete Informationen, die materiell unterscheidbar und zeitlich verortet sind.50 Damit wird ein formaler, paratextuell induzierter Status von Seriösität ‚hergestellt‘, der signalisiert, dass es sich um seriöse Hintergrundinformationen zu einem aktuellen Thema handelt. Formal gesehen wird der Text im Rahmen einer westlich verstandenen freien Presse und wissenschaftsbasierten Informationskultur veröffentlicht. Damit wird ein Relevanzanspruch der präsentierten Inhalte zum Thema „Nanotechnologie“ geschaffen, obwohl oder gerade weil das Feature nicht so strengen Vorgaben wie andere informative Textsorten unterliegt. Dies spielt bei der Einschätzung der Wissenschaftlichkeit der gebotenen Informationen eine mindestens mittelbare Rolle. Inhaltlich geht es in den weiteren Abschnitten um die Forschungen der Arbeitsgruppen von Kolawole und Rapravadu, Zululand Universität, das Thema ist damit ein wissenschaftliches. Allerdings sprechen die ersten zehn Zeilen allgemein und definitorisch über Nanotechnologie, daher scheint dieser Teil zeitlos gültig zu sein, obwohl der Status der Wissenschaftlichkeit wie bei anderen untersuchten Texten unklar ist. Sicher ist nur, dass es kein vollkommen unwissenschaftlicher Text ist. „Nanotechnology – the next big thing is very, very small“ Ich gehe zunächst auf den Titel des Features ein, beschreibe kurz die Abbildung und komme zum Schluss zu den Abschnittsüberschriften. Der Titel lässt sich einigermaßen wörtlich übersetzen mit „Nanotechnologie – die nächste große Sache ist (eine) ziemlich winzig(e) “. Damit wird in widersprüchlicher Formulierung und umgangssprachlicher Redeweise („big thing“) das Thema benannt. In der englischen Formulierung sticht das Oxymoron „big is small“ ins Auge, auf Deutsch fällt der räumlich semantisierte Gegensatz zwischen „big“ und

 Der metatextuelle Hinweis „Roman“ ist sowohl Hilfe für den Leser, sich nicht täuschen zu lassen als auch Absicherung des Autors, der sich bei Schilderung strafbarer Handlungen hinter der Freiheit der Kunst verschanzen kann (alles ,nur‘ Fiktion). Die Genreangabe sichert dem Autor außerdem den gesellschaftlichen Status einer Künstlerin zu. 50 Damit ist gemeint, dass im Unterschied zu dem Medium Buch oder einer Zeitung aus Papier beispielsweise kein zeitlich manifester Abrieb des Materials oder eine Geruchsveränderung stattfinden kann.

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„small“ (groß und klein) je nach Übersetzung weg.51 Durch die widersprüchliche Formulierung „eine große Sache ist ganz klein“ entsteht die Frage, um was es bei der „großen Sache“ geht. Die Überschrift sorgt für Spannung und stellt implizit die Frage nach der Nanotechnologie, die in den ersten zehn Zeilen des Textes beantwortet wird. Insofern kündigt der Titel eine Definition der Nanotechnologie an.52 Mit Hilfe eines raumsemantischen Oxymorons werden zwei thematische Aussagen verbunden: „Nanotechology“ und „the next big thing“. Die beiden Einzelthemen, die man semantisch als Einzelaussagen bezeichnen könnte, sind durch einen Trennungsstrich verbunden und stehen in syntagmatischer Beziehung, die ich hierarchisch nennen würde: „Nanotechnology“ lässt sich unter „big thing“ hierarchisieren. Die metaphorische Rede von „einem dicken Ding“, „neuen Renner“ oder „Knüller“ oder dem nächsten „großen Wurf“ ist der allgemeinere, überwölbende semantische Rahmen und gleichzeitig der eigentliche thematische Fokus des Textes, die Rede davon ist die zwischen den Zeilen stehende ‚Message‘ des Textes. Nanotechnologie ist sozusagen die namhafte Konkretion innerhalb dieses semantischen Rahmens und ihm unterworfen. Die Aussage der Überschrift erhält durch das Adjektiv „next“ (die „nächste“) zunächst eine temporale Dimension. Was immer „der nächste Renner“ sein wird: Die Rede davon impliziert, dass es schon einmal einen gab und dass es bald, d.h. zeitlich gesehen, wieder einen geben wird. Damit wird temporal ein repetitiver Ereignisverlauf induziert, von dem berichtet werden kann; es entsteht eine Erzählung über Knüller, Renner und ähnlich „große Sachen“, zu denen auch Nanotechnologie ‚irgendwie‘ gehört. Zusammen mit dem temporaldeiktischen53 Adjektiv „next“ wird die eigentlich inkorrekte Verbzeitform „is“ benutzt. Eigentlich müsste es heißen: „the next big thing will be very small“. Dadurch, dass die Zeitform der Gegenwart

 51 Man kann die Formulierung wiedergeben als „das nächste dicke Ding ist miniklein“ oder „der nächste Renner wird winzig“. 52 Angemerkt sei, dass mittlerweile (2016) für die Wirtschaft der Kontinent Afrika selbst als „The next big thing“ erscheint: „Is Africa the next big thing for investors?“, 13.2.14 Nachrichtenagentur Reuters: „The appeal of investing in Africa is that its future is still ahead of it. The region is setting out on the journey to economic, financial and industrial development that places like latin America and mainland Asia, the last next big things, embarked on 20 or 30 years ago. [...] Sub-Saharan Africa is also benefiting from business-friendly policies, such as privatization of state industries and construction of largescale infrastructure projects, says Babatunde Ojo, an analyst specializing in the region for the portfolio manager Harding Loevner.“ reuters.com/article/us-column-deaenlle-africaidUSBREA1C1U820140213, acc. 160131. 53 Stellt man sich den Zeitverlauf als Zeitstrahl vor, der linear und unumkehrbar von der Vergangenheit in die Zukunft läuft, zeigt (‚deiktisch‘) das Adjektiv „next“ in die Zukunft.

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benutzt wird, entsteht innerhalb der temporalen Verlaufsnarration eine Aussageebene, die als konkret aktualisierend oder realisierend bezeichnet werden kann. In eine Narration diegetischer Großereignisse wird Nanotechnologie als etwas selbstverständlich Vorhandenes eingetaktet, durch die Verwendung der inkorrekten Verbzeitform „is“ erfolgt semantisch der Sprung in die Gegenwart. Die Semantik der Überschrift verweist nicht allein auf die Zukunft, sondern auch auf die Gegenwart. Die narrative Aussage der Überschrift lautet nicht nur, dass es eine Wiederholung von Ereignissen gibt, zu denen auch die Nanotechnologie gehört. Zusätzlich wird durch einen ‚falschen‘ Zeitgebrauch ausgesagt, dass Nanotechnologie schon jetzt ein Knüller-Renner ist. Diese semantische Realisierungs- oder Konkretionaussage wirkt wie eine Art Wirklichkeitsschub für alle weiteren Aussagen. Der Titel besagt: Es ist schon jetzt, in der Gegenwart wie in einem Urteil feststellbar, dass die nächste wichtige Sache Nanotechnologie ist und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie bereits jetzt „das dicke Ding“ oder „die große Sache“ ist, weil grammatikalisch uneindeutig bleibt, ob es sich um die Zukunft oder um die Gegenwart handelt. In jedem Fall suggeriert der Titel in Kombination mit der Genreangabe „Feature“, dass es um ein wichtiges und seriöses Thema geht. Damit macht der Titel eine semantisch eindeutige Zukunftsaussage zur Bedeutung, die allerdings nicht semantisch äquivalent z.B. in „Nanotechnology will be important“ umgewandelt werden kann. Diese Aussage wäre langweilig und auch unseriös, weil die Zukunft zwar wissenschaftlich modelliert, aber nicht im Wortsinn vorausgesagt werden kann. Insofern ist die umgangssprachliche Titelformulierung gerade aufgrund ihrer unwissenschaftlichen Wortwahl eindeutig und präzise im Hinblick auf seriöse Bedeutsamkeit von Wissenschaft. Auch wenn dabei verschliffen wird, dass es sich dabei um Erwartungen an Wissenschaft handelt.54 Ich gehe nun auf die Abbildung ein, die gemeinsam mit dem Titel rezipiert wird. Abb. 8 zeigt drei mit Schutzkleidung bekleidete dunkelhäutige („african, coloured“) Wissenschaftler, die aufmerksam und leicht nach vorne gebeugt auf eine Labor-Apparatur aus Kolben und Reagenzgläsern im Bildvordergrund blicken. Es

 54 SCHUMMER 2009, 70f. identifiziert „The Next Big Thing is Really Small“ als Botschaft von „monatlichen Investment-Briefen und dicken Wirtschaftsberichten, wie etwa die Nanotech-Reports von Forbes-Wolfe und Lux-Capital, die für beachtliche Gebühren zu beziehen sind, bis zu den zahlreichen Ratgebern, die bald den Buchmarkt als ‚Einführungen‘ [...] dominierten – die Botschaft des ‚Insider-Wissens‘ war immer dieselbe: ein früher Kapitaleinstieg wird durch hohe Renditen belohnt, weil revolutionäre Durchbrüche der Nanotechnologie unmittelbar bevor stehen [...] [D]ie Botschaft [wurde] stets mit demselben Sprachwitz eingekleidet, der [...] in unzähligen Schlagzeilen die Medien bis heute selbst in Deutschland beherrscht.“ Eine weitergehende Kontextualisierung dieser Worte, deren Kontext eben nicht rein ökonomischer Natur ist, wird hier vorgenommen.

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könnten Afrikaner sein, der Wissenschaftler im Bildvordergrund könnte aus Südostasien (Indien oder Pakistan) stammen55, sie befinden sich im Labor und sind im vollen Berufsornat mit weißen Laborkitteln und Schutzbrillen abgebildet. Die Situation zeigt: identifizierbare männliche, junge, nicht-weiße Wissenschaftler-Individuen benutzen Maschinen und Apparaturen, um ihre Forschung auszuüben. Der Wissenschaftler in der Bildmitte (im Bildhintergrund) legt selbst Hand an, er hält einen Glaskolben, der über einen Schlauch mit der Apparatur verbunden ist. Vielleicht beobachten die drei im Augenblick des Fotografierens gerade „das nächste große Ding“, vielleicht ist die sehr kleine Nanotechnologie schon sichtbar, zumindest spatial aber ist sie evident „da“. Die Bild-Semantik des laborwissenschaftlichtechnischen „Es gibt etwas“ ergänzt die Titelaussage und Genrebezeichnung: Nanotechnologie gibt es, sie gehört zur seriösen Wissenschaft. In einem emphatischen Daseins-Sinn findet Nanotechnologie als Forschungsaktivität im Laborraum und damit spatial identifizierbar statt. Mit Hilfe der Abbildung wird die zeitliche Titelaussage mit einer Raumaussage angereichert: es gibt (bereits) etwas Raumgreifendes und Wissenschaftliches, das sich im Labor abspielt, wir sehen eine wissenschaftliche Aktivität. Ich würde der widersprüchlichen Titelaussage, dass „eine große Sache ganz klein“ ist, zugestehen, eine grundlegende semantische Verräumlichung zu bewirken. Durch sich widersprechende Größenangaben wird eine allgemeine Spatialsemantik über den Titel, der ein grammatikalisch vollständiger Satz ist, gespannt. Der Satzanfang „Nanotechnology“ findet mit einem semantisch passenden Adjektiv zum Satzende „small“. Satzanfang und -ende werden mit der redundanten Information zusammengespannt, dass es sich um etwas sehr Kleines handelt. In Kombination mit dem allgemeinen temporal-raumsemantisierenden Ausdruck „next big thing“ als metaphorischer Anspielung auf eine (vor allem temporale) Reihe von wichtigen Ereignissen entsteht im Hinblick auf Nanotechnologie ein raumgreifender Sinn, der nicht bloß metaphorisch sondern existenzbildend ist. Nanotechnologie wird durch das Adjektiv „next“ in eine Abfolge von wichtigen Dingen eingeordnet und der Oberkategorie „Großereignisse“ untergeordnet. Allgemein gesprochen gibt es „bedeutende Dinge“, herausragende wissenschaftlich-ökonomische Ereignisse, von denen behauptet wird, es habe sie als identifizierbare gegeben und sie würden nun aufs Neue realisiert durch „Nanotechnology“. Beides geht nicht ohne Raum. Dabei bezieht sich die semantische Räumlichkeits-Konnotation (sozusagen der metaphorische Raum-Wert) des „next big thing“ auf einen ökonomischen, aber zusätzlich auch auf einen technisch-wissenschaftlichen Erfolg,

 55 Die weiteren Abschnitte des Textes berichten von den Forschungen des Neerish Repravasadu, die man als chemische Materialwissenschaft bezeichnen könnte; eventuell zeigt das Bild ihn im Vordergrund (die Abbildung ist nicht näher ausgewiesen).

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was an die Ankündigungen und Ausführungen von Richard Feynman erinnert; allerdings bleibt unklar, wie dieser „Raum“ weiter semantisiert wird oder werden kann.56 Aber auch der Sinn des Adjektivs „next“ wird erweitert, so dass die Narration mindestens raumsemantisch angereichert wird. Im weiteren Sinn profitiert die Bedeutung von „next“ von den in den Wissenschaften üblichen Forschungsverfahren, in dem ein Schritt logisch auf den nächsten Schritt folgt. Insofern kann man sagen: das Adjektiv „next“ spielt zusätzlich mit einem (forschungs-)logischen Sinn.57 Dieser wissenschaftsgesättigte Neben-Sinn korreliert mit der insgesamt objektivierenden Perspektive, die der Titel einnimmt und von dem oben bereits gesagt wurde, es handele sich um eine Art ‚Urteil‘, das über die Nanotechnologie gefällt wird. Der metaphorische Ausdruck des „next big thing“ beinhaltet im Hinblick auf wissenschaftliche Errungenschaften, im Hinblick auf gesellschaftliche Dimensionen und auf technische und wissenschaftliche Disziplinen mehrere ausdifferenzierbare Räum, ist aber gleichzeitig ein lebensweltlicher und kein wissenschaftlicher Ausdruck. Dieser lebensweltliche Ausdruck impliziert eine Identifikation sowie eine Messbarkeit oder Quantifizierung von wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolgen („big things“), die beispielsweise in einem geordneten ‚Universum‘ von Gesellschaft vergleichbar und skalierbar werden (dazu gleich mehr). Interessanterweise bindet der Titel an einen symbolischen Raum der Gesellschaft (sozusagen oxymorontisch) einen metrisch skalierbaren Raum, auf den sich zwar der Terminus „Nanotechnology“, nicht aber das Adjektiv „small“ bezieht. Die Bedeutung von „very, very small“ ist nicht in erster Linie in einer physikalischen Metrik situiert, sondern gründet in einer Erfahrung vergleichbarer Größen. D.h. die paradoxe sprachliche Formulierung „Nanotechnology – the next big thing is very, very small“ verknüpft einen ökonomisch-wissenschaftlichen Erfolg im symbolischen Raum der Gesellschaft semantisch und syntagmatisch sowohl mit dem physikalisch-wissen-

 56 Man könnte etwas diabolisch fragen: Ist der Fortschritt oder die wissenschaftliche Entwicklung kleiner als gedacht? 57 Die lockere Verbindung von zeitlicher und raumsemantisch konkreter Interpretation in der Formulierung „the next big thing“ führt im weiteren Sinn zu einer logischen Bedeutung, was mit folgenden Praxisbezügen verdeutlicht werden kann. Ruft die Sprechstundenhilfe beim Arzt „Der Nächste bitte!“, sitzt der nächste Patient im Wartezimmer, d.h. es gibt ihn, er ist räumlich-konkret vorhanden. Zum Zeitpunkt des Aufrufs und mit dem Akt des Aufrufens wird er „verurteilt“, der nächste Patient des Arztes oder der Zahnärztin zu sein, eine logische Folge aus dem vorhergehenden Patienten ist er nicht. Wenn die Lehrerin für die „nächste Stunde“ die Fortführung des Unterrichtsstoffes ankündigt, folgt der nächste Unterricht zeitlich und im besten Fall logisch auf die vorhergehende, bereits abgeschlossene Unterrichtseinheit. In diesem logischen Sinn wird in wissenschaftlichen Analysen und Verfahren raumsemantisch aufgeladen vom „nächsten Schritt“ gesprochen.

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schaftlichen Raum der Ingenieur- und Technikwissenschaften als auch mit einem (irgendwie) lebensweltlich erfahrbaren Raum. Die raumsemantischen Elemente des Titels haben meiner Ansicht nach folgende Struktur: Der ökonomische und/oder wissenschaftliche Erfolg wird implizit in einer Gesellschaft situiert und syntagmatisch einem physikalischen Raum der Raum- und Technikwissenschaft hierarchisch übergeordnet (das gesellschaftliche „big thing“ ist als thematische Rahmung vorgängig vor der „Nanotechnologie“). Die lebensweltliche Raumerfahrung („very small“) bekommt im Titel die Funktion, die ‚wissenschaftliche Hürde‘ („Nanotechnology“) für sogenannte Nichtwissenschaftler zu ebnen. Damit wird suggeriert, dass der gesamte Text eine Übersetzungsfunktion von der Wissenschaft in die Lebenswelt liefert. Neben den einleitenden zehn Sätzen gibt es weitere Textabschnitte, deren Abschnittsüberschriften im Verbund mit dem Titel eine komplexe und anspielungsreiche Erzählung für sich bilden. Ihre Abfolge lautet: „Nanotechnology – the next big thing is very, very small / Making silicon light up / Nanotech takes off in Africa / Applications / The right precursors“. Unter dem Titel „big thing“ wird eine Geschichte erzählt, in der zunächst Silikon zum Leuchten gebracht wird, anschließend wird Nanotechnologie insgesamt in Afrika „auf die Spur gesetzt“ („to take off“ wird in II.4 analysiert) und drittens werden weitere Anwendungen („applications“) dargestellt. Zum Schluß werden in einer Doppeldeutigkeit die „richtigen“ Wegbereiter bzw. Grundstoffe genannt („the right precursors“). Betrachtet man die Abschnittsüberschriften für sich, indem man sie beispielsweise schnell überfliegt, kann man eine raumsemantisch-metaphorische Erzählung rekonstruieren, die besagt, wie der Weg einer neuen Technik aus dem Labor („Making Silicon light up“) heraus führt, in ganz Afrika zu einem wichtigen ökonomischen Faktor wird („Nanotech takes off in Africa“58), der in die Gesellschaft („Applications“) führt und für den es wichtig ist, die richtigen Vorreiter und Wegbereiter („The right precursors“) zu finden. Die letzte Abschnittsüberschrift spielt mit der Doppeldeutigkeit des Wortes „precursors“, so dass der Hinweis auf Wegbereiter zwar auf der Ebene der Überschrift in die temporal-spatiale Gegenwart zurückführt; in dem Abschnitt geht es inhaltlich aber um chemische „Precursors“, Indikatoren und chemische Grundstoffe. Damit ist ein wichtiger Aspekt der Textkonstruktion genannt: Zwar beschäftigen sich die Arbeitsgruppen von Kolawole und Rapravadu mit definierbaren naturwissenschaftlichen Tätigkeiten und insofern wird „Nanotechnologie“ auf deren Art von Forschungs- und laborwissenschaftliche Tätigkeit eingegrenzt. Die paratextuelle Semantik der Abschnittsüberschriften, die von einer allgemeinen nanowissenschaft-

 58 Die Überschrift „Nanotech takes off in Africa“ ziert einen anderen Text auf der Website von 2008, der über die nanotechnologischen Aktivitäten und die südafrika-eigene nanotechnologische Strategie informiert, scienceinafrica.com/nanotech-takes-sa, acc. 160131.

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lichen Erfolgsgeschichte für ganz Afrika berichten, steht aber (ebenso wie die ersten zehn Sätze des Textes) quer zu einer solchen disziplinären Eingrenzung, indem explizit mehrdeutige Kapitelüberschriften mit einem temporal-spatialen Sinn gewählt wurden. „Precursor“ bezeichnet etwas, das etwas Anderem vorangeht. Es besitzt formallogisch die Semantik des Vorher-Nachher, die sich als Raum-, aber auch als Zeitsemantik identifizieren lässt. In der Abfolge der Überschriften wird diese Vorher-Nachher-Semantik für die Erzählung einer afrikanischen NanotechnologieErfolgsgeschichte genutzt. Diese raumsemantisch angereicherte ÜberschriftenNarration bildet den Rahmen für die Aussagen der ersten zehn Sätze des Textes.59 Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie Das Feature behandelt ein wissenschaftliches Thema, dessen Präsentationsmodus seriös und wissenschaftsnah ist. Inhaltlich geht es um die Arbeitsgruppen von zwei Forschern, die die „synthesis and characterisation of nanomaterials for possible industrial applications“ betreiben. Wissenschaftsdisziplinär kann man diese Forschungstätigkeit als Mischung von Chemie, Materialwissenschaft und Physik bezeichnen. Damit kann man dem Gesamttext die Zielrichtung entnehmen, „Nanotechnologie“ auf diese Art von Forschungs- und laborwissenschaftlicher Tätigkeit einzugrenzen, also beispielsweise Biologie und Gentechnik aus der Nanotechnologie auszuschließen. Gleichzeitig werden allgemeine Aussagen über Nanotechnologie gemacht (vgl. die Abschnittsüberschriften). Diese sollen nun im Hinblick auf die Wissenschaften näher untersucht werden. Lassen sich Wissenschaftsdisziplinen identifizieren – wenn ja, welche? Zunächst antwortet der Text definitorisch auf die nicht gestellte Frage, was Nanotechnologie eigentlich ist. „Nanotechnology is the almost-invisible science of construction on scales of a billionth of a metre.“ Formal und inhaltlich an den Titel anschließend, wird Nanotechnologie sowohl als Wissenschaft („science“) als auch als Technik („science of construction“) qualifiziert, die auf einen skalierbaren Raum bezogen ist („scales of a billionth of a metre“). Die lebensweltliche Semantik eines extrem kleinen Raums („very, very small“) wird aufgenommen und im ersten Satz an ein physikalisch-technisches Messsystem verwie-

 59 Im November 2003, aktualisiert am 11.06.13, berichtet der Wissens- und Know-HowDienstleister AZONANO.com („A to Z of Nanotechnology“) mit fast identischen Worten von Forschung an der Zululand Universität: „Nanotech Takes Off At University Of Zululand“, azonano.com/article.aspx?ArticleID=241. Das Portal ist „a knowledge tool [...] intended to provide the science, engineering and design community worldwide with a continuously updating source of all the information they need to make an informed decision on the implementation or acquisition of nanotechnology.“ azonano.com/faqs.aspx#2, acc. 160215.

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sen. Dieser wissenschaftlich messbare Raum ist lebensweltlich der Wahrnehmbarkeit entzogen: „almost-invisible science of construction“. Bei Nanotechnologie handelt es sich um eine „fast-unsichtbare“ Ingenieurs-Wissenschaft, wobei die Kleinheit den Fortschritt der Entwicklung anzeigt. Damit wird ein Widerspruch formuliert, der aus verschiedenen Perspektiven analysiert werden kann. Eine fast unsichtbare Wissenschaft ist zuerst eine Wissenschaft, die einem (lebensweltlichen? nicht-wissenschaftlichen?) Beobachter verborgen bleiben könnte, das heißt, der erste „Definitionssatz“ perspektiviert einerseits das Thema Wissenschaft, andererseits führt er davon weg und nimmt eine außerwissenschaftliche Betrachtungsweise ein. Stilistisch wird der bereits erwähnte Widerspruch (groß ist klein) aus dem Titel verlängert, das bereits in der Überschrift verwendete Stilmittel des Oxymorons kommt ein zweites Mal zum Einsatz. Außerdem wird die Existenz der Nanotechnologie bekräftigt: Nanotechnologie „is the almost invisible science of construction“, sie „involves making things“. Nanotechnologie wird semantisiert als Wissenschaft, die konkret stattfindende Tätigkeiten ausübt – sie wird nicht als Forschung dargestellt, die noch das Ziel verfolgt, etwas herstellen zu wollen. Es wird so getan, als sei es bereits möglich, kleinstmöglich denkbare Konstruktionsteile für einen sinnvollen Verwendungszusammenhang herzustellen. Weil Nanotechnologie sich damit befasst, Dinge herzustellen (und nicht: sie zu erforschen), deshalb gibt es sie. Wird Nanotechnologie als „science of construction“ bezeichnet, werden in einer undifferenzierten Aussage die Konstruktions- oder Ingenieurwissenschaften genannt. Ingenieur- und Technikwissenschaften (welche einzelnen Fakultäten das auch sein mögen) tauchen als Wissenschaften der Nanotechnologie auf, und damit allgemein als vorgängige Basiswissenschaften der technisch-wissenschaftlichen Welt (dazu gleich mehr). Man könnte sie als allgemeine Referenzwissenschaften der Nanotechnologie bezeichnen. Ignoriert wird, dass es sich aufgrund des Größenbereichs der Objekte eher um ein nicht konventionelles Verständnis von Ingenieurwissenschaften handelt: ‚Molekülwissenschaften‘ wie Chemie, Biologie oder Pharmazie gehören damit plötzlich unausgewiesen zum semantischen Feld der hier unter einem Sammelbegriff zusammengefassten Ingenieurwissenschaften. Allerdings beschränkt der Text Nanotechnologie nicht auf eine objekthafte Technikvorstellung im Sinne von beschreib- und darstellbaren Maschinen und der ihnen zugeordneten (Technik)-Wissenschaften. Es handelt es sich bei „making things“ nicht um die einzige Sache, die Nanotechnologie ‚kann‘ oder ‚will‘: „Nanotechnology involves making things [...] But there’s more ...“ Es gibt somit eine (technik-) wissenschaftssemantische Rahmung der Nanotechnologie, die jedoch im selben Atemzug als vorläufig dargestellt wird. Es gibt mehr, worüber man reden muss und es gibt mehr, was Nanotechnologie noch alles kann; es gibt mehr technologische Anwendungen, die wie auch immer wissenschaftlich generiert werden. Alle Aussa-

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gen zur Nanotechnologie werden im zweiten Abschnitt mit dem Hinweis auf eine Tagung an der Universität Witwatersrand unterlegt und bekommen dadurch eine Konkretisierungs- oder Realisierungsebene. Nanotechnologie heißt, dass es sich um einen universitären Zusammenhang und um weitere (Technik-)Wissenschaften handelt: „an African Materials Forum due to be held in Johannesburg, South Africa, at Wits University [...].“ Bevor aber der Horizont dessen, was sie noch ‚kann‘ oder ‚will‘, entfaltet wird, wird Nanoelektronik als Wissenschaftsdisziplin genannt, die im „computing“ weitreichende Anwendung finden kann. Damit kommen Elektrotechnik und Informatik als zugehörige Wissenschaftsdisziplinen zur Sprache. Während bei Feynman die Informatik als Wissenschaft von Software (und zum Teil Hardware) selbstverständlich Mathematik und Physik beinhaltet, geht es hier wissenschaftssemantisch um die Ingenieurwissenschaften bzw. Maschinenbau. Elektrotechnik und Informatik sind mittelbar im Spiel, Physik und Mathematik gehören nur am Rande dazu. Die explizit genannte „Nanoelectronics“ als Wissenschaftsdisziplin und/oder als Technik, übernimmt eine besondere wissenschaftssemantische Rolle: Sie bietet den Übergang von Wissenschaft und Labor zur industriell hergestellten Technik. Zuerst lässt sich „nanoelectronics“ als Wissenschaftsdisziplin, die eine wissenschaftsbasierte Hochtechnologie erforscht, identifizieren (und nicht als Industriesektor). Diese Abgrenzung lässt sich daran ablesen, dass sie explizit von ihren Anwendungen unterschieden wird: „has enormous applications, particularly in computing“. Desweiteren bietet das Wort „nanoelectronics“ den Übergang von der Wissenschaftsdisziplin zur Industrie. Das heißt, in diesem ‚Begriff‘ lässt sich semantisch der Übergang von Wissenschaft zur privatwirtschaftlichen Massenproduktion von Kleinstteilen für Computer festmachen. Wenn in den ersten beiden Sätzen die Rede von „making things“ ist, kommen die Technik-Wissenschaften zunächst mit einem bevorzugten Ort wissenschaftlicher Produktion, dem Labor, zur Sprache. Zwar wird dieses nicht explizit genannt, wohl aber auf der Abbildung gezeigt, die Konstrukteure der wundersam-widersprüchlichen Unsichtbarkeitstechnik arbeiten im Labor und nicht in einer industriellen Fertigungshalle.60 Obwohl es sich zunächst um den Kontext von Forschung handelt, scheidet die Industrie als Referenzproduktionsstätte der Nanotechnologie dennoch nicht aus. Vor allem in bezug auf mögliche Anwendungen der „nanoelectronics“ ist nicht ausgeschlossen, dass es sich um Produktionen in einer privatwirt-

 60 Die Unterscheidung der Semantik des Labors in einerseits eine wissenschaftliche und andererseits eine industrielle Semantik ist natürlich heikel. Labore sind in der Industrie zu finden, und man kann beispielsweise mit Blick auf die Firmengeschichte von Sasol das Labor unbedingt als produktionstechnisch industriell semantisierten Ort ansehen, in dem nur Anwendung stattfindet und keine Forschung. Mir geht es aber um eine Unterscheidung, die gemacht werden kann.

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schaftlichen Produktionsstätte oder Industriefertigungen handeln kann. Angesichts der metrischen Größe der produzierten Dinge, die unglaublich klein und neu ist, kommt die Wissenschaft und das Labor als Einstiegssemantik vor, wobei das nanotechnologische Labor-Habitat mit der Abbildung der Wissenschaftler übereinstimmt. Der außerwissenschaftliche Ort industrieller Fertigung kommt mit dem Hinweis auf die Anwendungen der „nanoelectronics“ im „computing“ ins Spiel. Das wissenschaftliche Labor und die industrielle Werkstatt oder Produktionsstätte fallen semantisch ineinander. Ich komme noch einmal auf den Widerspruch einer „fast-unsichtbaren Technik“ zurück. Obwohl die Sichtbarkeit der Konstruktions-Wissenschaft Nanotechnologie aufgesprengt wird, indem die nähere Größenangabe „billionth of a metre“ gegeben wird, erhält der Text semantisch die Anschaulichkeit der metrisch geordneten Lebenswelt. Wie ist dies wissenschaftssemantisch aufzulösen? Technik- und Ingenieurwissenschaften betätigen sich „nanotechnologisch“ in einem „fast-unsichtbaren“ Bereich, der bezüglich der Größen-Skala an die Norm der physikalisch-naturwissenschaftlichen Längenmessung gebunden ist. Die Verwendung des Meters (und nicht wie bei Feynman die angelsächsische Maßeinheit „Foot“ bzw. „Inch“ als Bezugsgröße) lässt vermuten, dass der Text entweder nicht aus einer angelsächsischen Feder stammt oder sich explizit an ein nicht-amerikanisches oder gar europäisches Publikum richtet. Der „Meter“ ist (außer in England und Irland) der kollektiv verankerte Maßstab der europäischen sichtbaren Lebenswelt, er evoziert als Lebenswelt-Signal diese Sichtbarkeitswelt. Auch der Millimeter ist noch gut sichtbar und damit ist der „Meter“ hier ein Maßstab für konkrete lebensweltliche Objekte wie Pumpen, Räder und Verbindungsträger, die zwecks Anschaulichkeit genannt werden. Aus der lebensweltlichen Perspektive werden diese als nanotechnologische Objekte aber gerade als unsichtbar qualifiziert. Die unsichtbare Welt der Nanotechnologie wird durch das „Meter-Millimeter-Maß“ allerdings zur Sichtbarkeit ermächtigt. Weil es die Welt der Skalen und der Messbarkeit gibt (samt der Sichtbarkeitsinstrumente, weil also die wissenschaftlich erklärbare Welt vorgängig ist vor der Lebenswelt), ist die Unsichtbarkeit nur eine fast-Unsichtbarkeit. Die wissenschaftliche messbare Welt ist gewissermaßen ‚wahrer‘ als die Lebenswelt, deren Unsichtbarkeitsurteil auf einer Täuschung beruht. Der erste Satz behauptet eine fast unsichtbare Wissenschaft und Technik des kleinsten Raums, deren Unsichtbarkeit dieser „science of construction“ besteht aber nur scheinbar, weil die wissenschaftlich messbare Welt der Lebenswelt vorgängig und sozusagen ‚wahrer‘ ist.61

 61 Es geht hier nicht um eine philosophische Diskussion, sondern um ein in diesem Text auffindbares semantisches Phänomen: Die Nachvollziehbarkeit und Argumentation beruht darauf, dass es (semantisch) ein Primat der Wissenschaft über die Lebenswelt gibt.

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Verbindungsstücke sowie Pumpen und Räder werden („wie in der Lebenswelt“) in den Dingen verwendet, die von Nanotechnologie hergestellt werden. Es ist nicht klar, was die Tätigkeit der Nanotechnologie und ihrer Wissenschaften ist: klar ist nur, dass irgendwie irgendwelche Dinge hergestellt werden, „making things“, bei denen technische Objekte ‚stark verkleinert‘ zum Einsatz kommen. Nanotechnologie umfasst („involves“) eine maschinentechnische Seite, beschränkt sich aber nicht darauf. Wissenschafts,thema‘ oder Wissenschaft oder Technik erscheint sie laut der ersten drei Sätze als etwas, das parallel zur Lebenswelt da ist oder sein wird und laut Titel auf Gesellschaft (und Lebenswelt) mit einem großen Einfluss zurück schlägt („is the next big thing“), und zwar aufgrund der unvorstellbaren Winzigkeit. Zu der impliziten Aussage über nanotechnologische Wissenschaften kommt die logische, dass in Bezug auf Nanotechnologie die Wissenschaft der Lebenswelt vorausliegt und diese dominiert. Sowohl Titel als auch der erste Abschnitt des Textes reden von Nanotechnologie in einer Weise, bei der eine selbstverständliche wissenschaftliche Welt verschiedener Wissenschaftsdisziplinen einer Lebenswelt logisch ‚vorgeordnet‘ ist. Auf dieser semantischen Folie lässt sich auch der zweite Absatz lesen, so dass sich die, man könnte vielleicht sagen, implizite Liste der technikorientierten, physiklastigen Wissenschaften, die in den ersten drei Sätzen des Textes aufgerufen wird, über die Analyse des zweiten, etwas längeren Abschnitts ergänzen und erweitern lässt, deren Verbindung mit dem verheißungsvollen „But there’s more ...“ geleistet wird. Mit dem grammatikalisch vollständigen, aber formal offenen Satz (er hat drei Punkte, das heißt, es handelt sich nicht nur inhaltlich sondern auch formal um eine Fortführungsankündigung) wird einerseits gesagt, dass Nanotechnologie nicht auf einen technisch-physikalischen Bereich, der in den ersten drei Sätzen genannt wurde, beschränkt bleibt. Nanotechnologie umfasst („involves“) Aktivitäten wie die Herstellung technischer Objekte bzw. Maschinen. Dazu kommt ein „noch mehr“, ein „darüber hinaus“. Das kann einerseits heißen: es gibt weitere Wissenschaftsdisziplinen, die im Text implizit und explizit genannt werden. Andererseits kann es heißen, dass es über eine bloße Natur- und Ingenieurwissenschaftlichkeit inklusive der elektrotechnischen Bedeutsamkeit für Computertechnologie hinaus eine andere, soziale Bedeutung der Nanotechnologie gibt. Wäre eine soziale Bedeutung außerwissenschaftlich? Sie läge außerhalb der in den ersten Sätzen genannten Wissenschaften. Nimmt man die Analyse des ersten Abschnittes ernst, eine wissenschaftlich verfasste Welt liege selbstverständlich einer Lebenswelt voraus, verweist die Rede von der ‚sozialen Bedeutung‘ aber auf die Soziologie.62 Weitere Wissenschaftsdisziplinen sind die Materialwissenschaften (anhand des Hinweises auf eine materialwissenschaftliche Tagung im fünften Satz), weiterhin kommen der Bergbau, die Chemie, die Medizin und die Pharmazie („Drug Delive-

 62 MACLURCAN 2010.

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ry“) zur Sprache.63 Bergbau und Chemie kommen als Wissenschaftsdisziplinen im Zusammenhang mit der rohstoffverarbeitenden Industrie64 zur Sprache, wenn der Text behauptet, dass mit Hilfe von Nanotechnologie eine Wertsteigerung afrikanischer Rohstoffe bereits vor dem Export erzeugt werden kann: „Nanotechnology can add enormous value to African minerals [...] once simply exported abroad in their raw state to be transformed by others into valuable commodities.“ Medizin und Pharmazie gehören selbstverständlich zu den Wissenschaften, die von Nanotechnologie profitieren können: „nanotechnology could lead towards [...] more efficient drug delivery“; dabei kann man sie als Technik ansehen, die in diesen Wissenschaften angewendet wird. In diesem Fall wäre Nanotechnologie nicht eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin sondern eine Hilfstechnik für andere Wissenschaften. Über den Umweg einer stilistischen Analyse lässt sich darlegen, dass und wie die zusätzlichen Wissenschaften, die hier ins Spiel kommen, auch soziale Wissenschaften wie Geschichte und Soziologie, in eine semantische Figur eingebunden sind, die ich am liebsten als „Oxymoron“ bezeichnen würde; dann könnte ich sagen, dass das Oxymoron nicht nur die Titelformulierung und die ersten Sätze strukturiert, sondern den gesamten zweiten Abschnitt des Textes. Es handelt sich aber leider nur um einen Kontrast: Der reiche Kontinent Afrika wird im zweiten Abschnitt mit seiner armen Bevölkerung kontrastiert. Dieser Kontrast arm-reich wird vorausgesetzt und ist semantisch so stark und geschlossen, dass man ihn an dieser Textstelle als eine semantische Figuration ansehen kann (um nicht zu sagen, als Kollektivsymbol), die den zweiten Abschnitt strukturiert.65 Innerhalb dieser Kontrastierung zwischen dem reichen Kontinent und der armen Bevölkerung werden als zusätzliche Wissenschaftsdisziplinen wie die Sozialwissenschaften und Soziologie, die Politikwissenschaften und die Ökonomie, respektive die Volkswirtschaftslehre mit der Nanotechnologie verbunden. Der zweite Abschnitt des Textes ist auf dem territorial-sozialen Gegensatz zwischen dem Rohstoffreichtum des afrikanischen Kontinents und der gleichzeitigen Armut der Bevölkerung aufgebaut. Der semantisch-pragmatische Widerspruch zwischen reichen Bodenschätzen und armer Bevölkerung (als lebensweltlich erfahrbarer Widerspruch von reichem Land, Territorium, geographischem Raum und armen Bewohnern, Raum(be)nutzern, Ein-

 63 Der medizinische Diskurs für Afrika wird 2016 noch immer dominiert von der AIDS / HIV Thematik, obwohl es Bestrebungen gibt, die Thematik des Krebs auch in Afrika zu platzieren. Vgl. „Cancer: not an African problem?“ in scienceinafrica.com/biotechnology/ health/cancer-not-african-problem, acc. 160215. 64 Das betrifft beispielsweise die Chemiekonzernen Sasol und Merck. 65 Der Wunsch, diese Figuration als Oxymoron zu bezeichnen, entspringt der Sehnsucht nach einer praktikablen Klassifizierung einer identifizierbaren semantischen Figur, die auch in anderen Texten wirksam ist.

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wohnern) macht nicht bloß logische oder soziale, sondern raumsemantische Aussagen, innerhalb derer zusätzliche Wissenschaften aufscheinen. Das unterschwellig wirksame Argument lautet: die Armutsbekämpfung wird (erst?) möglich durch die Nutzung der Möglichkeiten, die die Wissenschaft liefert. Der Befund einer armutsgeprägten afrikanischen Lebenswelt kann oder muss innerhalb einer bereits bestehenden technisch-wissenschaftlichen Entwicklung angegangen, muss also nicht politisch gelöst werden. Diese technische Entwicklung wird als extrem beschleunigter, konkurrenzdominierter Fortschrittsprozess semantisiert, als bereits bestehendes technisch-wissenschaftliches Wettrennen. Durch den Hinweis auf den technologischen Wettlauf „Sub Saharan Africa may be a late entrant in this new technological race“ wird die Vorgängigkeit (oder das Primat) der Wissenschaft über die Lebenswelt temporal erweitert und damit konkretisiert. Es gibt einen irgendwie neuen ökonomisch wichtigen, technologisch-wissenschaftlichen Wettlauf mit Namen „Nanotechnologie“, der trotz seiner Neuheit schon da ist.66 In diesen Wettlauf tritt das südliche („Sub-Saharan“) Afrika spät, aber mit guten Erfolgsaussichten ein, wobei offen bleibt, wie ein Erfolg aussieht; gesagt wird nur, dass die Entwicklung des südlichen Teils des Kontinents ökonomisch und sozial davon profitieren kann. Damit kommen Ökonomie (Volkswirtschaftslehre) und Soziologie als Wissenschaften ins Spiel, weil sowohl volkswirtschaftlich als auch soziologisch, vielleicht sogar historisch argumentiert wird, dass Nanotechnologie als Kombination aus Technik und Wissenschaft für die Entwicklung eines halben Kontinents wichtig und notwendig ist. Da der Prozess eines technischen Fortschritts sich gewissermaßen extrem beschleunigt hat, gehört Nanotechnologie semantisch nicht (mehr) zum technischen Fortschritt, der aufgrund seiner Raumsemantik eine gewisse Kontrollierbarkeit ausstrahlt, da ein Schritt auf den nächsten folgt. Sondern Nanotechnologie wird dynamisch („technological race“) semantisiert, mit einer beschleunigten Bewegung, die einerseits riskant und unkontrollierbar verläuft, andererseits eigene Wirklichkeiten erzeugt, und letztlich in der „Arena einer sozialen Entwicklung“ stattfindet. Die soziale Welt dient nicht nur als Dekor oder „äußerliche“ Illustration. Die raumsemantisch aufgeladene „Arena der sozialen Entwicklung“ ist elementarer Bestandteil der Argumentation und aus dem semantischen Aufbau heraus wissenschaftsdisziplinär gesättigt. Die Nennung der massiven Armutsproblematik angesichts eines an Bodenschätzen reichen Kontinentes erfolgt als wissenschaftliches, genauer gesagt: als soziologisch-ökonomisches Argument, mit dem eine technisch-wissenschaftliche Lösungsmöglichkeit (sc. die Nanotechnologie) an den rechten Platz ihres Wirkens gerückt und geradezu herbeigerufen wird. Soziologisch und politologisch gesprochen: Nanotechnologie kann im Sinne von technologischer Innovation zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden. Das technisch-wissenschaftliche Wett-



66 Das Wettrennen um eine neue Technologie ist Gegenstand der Nanoblume, Kap. II.6.

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bekämpfung eingesetzt werden. Das technisch-wissenschaftliche Wettrennen (unter dem Namen Nanotechnologie) ist bereits im Gange und findet zwischen aus globaler Perspektive territorial identifizierbaren Mitstreitern67 statt, der südliche Teil des Kontinents Afrika tritt in das Wettrennen mit ein. Dieses Wettrennen findet nicht in einer festgefügten, stabilen Arena statt, sondern in der dynamischen Arena einer sozialen Entwicklung, der „arena of social development“. Das heißt, Nanotechnologie kann im Bereich einer soziologisch wahrnehmbaren und beschreibbaren sozialen Entwicklung eine Funktion einnehmen. Die Soziologie als Wissenschaft ist bezogen auf einen Objektbereich, der raumsemantisch als „arena of social development“ bezeichnet wird. Die Verbindung zur Politikwissenschaft lässt sich an dieser Stelle ‚ex negativo‘ rekonstruieren. Das im zweiten Abschnitt genannte wissenschaftspolitische Strategie-Papier legt eine politische Relevanz der Nanotechnologie nahe, indem für ihre Nutzung zwei unterschiedliche ‚Potential-Richtungen‘ ausbuchstabiert werden. Einerseits erscheint eine volkswirtschaftlich bedeutsame Aufwertung der Bodenschätze möglich: „Nanotechnology can add enormous value to African minerals - gold, titanium, palladium, platinum and so on - once simply exported abroad in their raw state to be transformed by others into valuable commodities.“ Würden die afrikanischen Bodenschätze vor dem Export aufgewertet, bedeutete dies eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes und der Außenhandelsbilanz, die beide die Stärke und Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft auszeichnen. Dies wäre politikwissenschaftlich relevant, da volkswirtschaftliche Veränderungen Konsequenzen nach sich ziehen, die analysiert werden können. Eine zweites, davon unabhängiges Potential, das sozusagen ‚in‘ der Nanotechnologie steckt, lautet Armutsbekämpfung: „to fight poverty“. Damit ist ein politisches Ziel genannt, das technologisch über niedrige Energiekosten, billige Elektronik und wirksamere Medikamente erreicht werden soll68 und dessen Umsetzbarkeit historisch und politisch diskutiert werden kann.69

 67 Diese werden nicht genannt, aber man könnte ergänzen: Nordamerika, Europa, Asien. 68 Dass das Ziel technologisch statt politisch erreicht werden soll, ist ein politisch bedeutsamer Vorschlag, der sich politikwissenschaftlich, wissenschaftshistorisch, technikhistorisch, soziologisch ... diskutieren lässt. 69 Das nicht näher ausgewiesene nanotechnologische Strategiepapier ist der Meinung, dass das politische Ziel Armutsbekämpfung nicht durch eine technologisch induzierte Aufwertung der Bodenschätze geschieht. Das armutsbekämpfende Potential der Nanotechnologie liegt nur im Bereich niedriger Energiekosten, billiger Elektronik und Medizin, eine Aufwertung der afrikanischen Bodenschätze hat nichts mit der „arena of social development“ zu tun. Zeitlich gesehen könnte es sich bei dem Strategiepapier um die South Africa Nanotechnology Initiative SANi handeln, die seit 2002/03 in Südafrika existiert, und die mit

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Nanotechnologie steht hier weder mit den Rechts- noch mit den Kunst- oder Literaturwissenschaften oder der Toxikologie semantisch in Verbindung. Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanopartikel – Nanobiotechnologie Die Nanotechnologie wird in der hier untersuchten Einleitung breiter diskursiviert und aufgrund verheißungsvoller Aussagen aus einem nicht näher ausgewiesenen wissenschaftspolitischen Strategie-Papier und mit Verweis auf eine wissenschaftliche Tagung als „Next Big Thing“ metaphorisiert, wodurch eine allgemeine Perspektive entworfen wird, die für unterschiedliche Nutzer Bestand hat. Damit wird für die postkoloniale Zukunft Afrikas hier eine vor allem ökonomisch semantisierte Dynamik entworfen, bei der nicht in erster Linie die Wissenschaften und der Bildungssektor Afrika verändern, sondern die Entwicklung der Industrie und Technik. Insgesamt kommen in den allgemeinen Aussagen zur Nanotechnologie alle drei Raumskripte zum Einsatz, allerdings liegen sie zum Teil quer zu den Diskursbereichen oder sogar ‚außerhalb davon‘. Der Zusammenhang zum Diskursbereich Nanobiotechnologie ist zwar vorhanden, aber das Raumskript Bottom-Up wird deutlich identifizierbar in einem anderen Zusammenhang verwendet. Bevor ich zu den einzelnen Raumskripten komme, möchte ich beschreiben, wie die genannten technischen Objekte „beams, girders, pumps, wheels“ raumrelevante Aussagen ‚transportieren‘ und einen nanotechnologischen Raum generieren, der in einem technischen Sinne bestimmt ist. Danach gehe ich darauf ein, wie der Widerspruch einer gleichzeitig „sichtbaren“ und „unsichtbaren“ Wissenschaft mit Hilfe des Top-Down Raumskripts bewältigt wird. Stützen, Pumpen und Räder bringen etablierte Raum-Seme einer technischen Zivilisation mit, die die als unsichtbar bezeichnete Nanotechnologie-Wissenschaft vorstrukturieren und in ein bekanntes Set von Raumrelationen einbinden. Diese Objekte sind raumsemantisch an eine technisch zugerichtete Welterfahrung und Weltaneignung geknüpft, die man als Ganzheit (Totalität) eines makroweltlichen, technisch zivilisierten Raums bezeichnen könnte. Stützen tragen den Raum in besonderer Weise, Pumpen gehören zur Infrastruktur und Räder verweisen auf die Nutzung eines technisch zivilisierten und erschlossenen Raums. Stabilität (beams70, girder), Infrastruktur (pumps) und Bewegungsmöglichkeiten (wheels) sind kollektive raum-

 der National Nanotechnology Strategy zusammenhängt, vsani.org.za/National_Nanote chnology_Strategy.pdf sowie sani.org.za/SANI_Constitution.pdf, acc. 160215. 70 „Beam“ deckt Bedeutungsfelder wie Lichtstrahl oder Energielinie sowie stabiles Bauelement, Verbindungsstück ab. Vermutlich ist der Doppelsinn bewusst gewählt. Der lexematische Wert hängt vom Kontext ab, ich beziehe mich auf die Bedeutung von Stabilität.

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semantische Vorgaben, mit denen Nanotechnologie als neuer technisch zivilisierter Raum gekennzeichnet und gewissermaßen räumlich vorstrukturiert wird. Man kann folgende beispielhafte Liste aufstellen: 1. Stützen ‚beinhalten‘ die Seme Bauwerk, Kulturleistung, Stabilität, Ortsgebundenheit, 2. Pumpen die Seme regelmäßige Bewegung, technisches Hilfsmittel, technische Infrastruktur, Maschine sowie Kontrolle und 3. Räder sind mit den Semen Bewegung, Fortbewegung, Fahrzeuge und Kulturleistung verbunden. Indem Nanotechnologie als die „fast unsichtbare Wissenschaft der Konstruktion“ diese technischen Objekte begrifflich ‚beinhaltet‘, wird ein technischer Raum entworfen, der im Verhältnis zum makroweltlichen Erfahrungsraum miniaturisiert erscheint und auf dieselbe Weise technisch erschlossen/erschließbar ist, in jedem Fall ist er selbstverständlich und unhinterfragt ‚da‘. Dieser Raum ist wie der makroweltliche Erfahrungsraum stabil (Stützen stellen Stabilität her, brauchen diese aber auch als Voraussetzung); er kann technisch genutzt (Pumpen) und durchmessen werden (Räder/Auto) oder zumindest kontrolliert mit Bewegungen erfüllt bzw. angeeignet werden (Räder als Bestandteil von Maschinen). Der Text lässt offen, wie dieser Raum erreicht und wie auf ihn zugegriffen werden soll, aber er affirmiert dessen Existenz als ein ‚es gibt ihn‘. Dabei befindet sich dieser miniaturisierte Raum sozusagen überall, das heißt, er ist nicht nur auf das Labor beschränkt. Damit ist einerseits das Raumskript Top-Down verwirklicht. Der Text nutzt eine technische Verkleinerungsperspektive und verwendet das Raumskript des TopDown, wenn Nanotechnologie als extrem verkleinerte Technik ‚analog‘ oder ‚parallel‘ zur Makrowelt präsentiert und der technische Objektbereich der Makrowelt ‚in‘ den Technikbereich Nanotechnologie übertragen wird. Als selbstverständliche, funktionale Bestandteile von Bauwerken und Maschinen werden kollektiv bekannte, technische Objekte wie Stützen, Pumpen, Räder ‚von‘ der Nanotechnologie (zu ergänzen wäre: genau wie in der Makrowelt, ‚vergleichbar‘ zur Makrowelt) sowohl hergestellt als auch benutzt. Diese materiell-technische Perspektive kann man als Nanotechnik bezeichnen, in Hinsicht auf die hier verfolgte Fragestellung wird damit die Nanotechnologie zunächst im Diskursbereich Nanotechnik situiert. Ergänzend wird mit dem makroweltlichen Top-Down Analogie-Argument auch der logische Widerspruch zwischen der sichtbare und der unsichtbaren Wissenschaft widerlegt. Verbindungsstücke, Stützen, Pumpen und Räder als kollektiv selbstverständliches technisches Inventar der Gegenwart sind als technische Dinge (gegenständlich, lebensweltlich) und begrifflich als technische Kategorien abgesichert. Mit der Nennung einer anderen Größenordnung erfolgt eine Miniaturisierung des gegenständlich und lebensweltlich Bekannten technischen Dings in einer topdown Perspektive. (Begriffliche Kategorien werden ja nicht miniaturisiert.) Die Unvorstellbarkeit dessen, wovon eigentlich die Rede sein soll, wird über die rückversichernde Bezugnahme zur Makrowelt top-down domestiziert. Ob, wie und was

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Nanotechnologie (er)forscht, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob Nanotechnologie einfach nur technische Beherrschung heißt. Die Vertrautheit der makroweltlichen Technik wird einerseits genutzt, andererseits verfremdet, indem sie in die Unvertrautheit und Unzugänglichkeit einer „unsichtbar“ kleinen Meß-Welt versetzt wird. Dieser Bezug zwischen Makro- und der Mikrowelt wird über ein kontinuierliches metrisches System gewährleistet, wodurch ein „fast-unsichtbarer“ Objektbereich der nanotechnologischen Wissenschaft messbar gemacht und der logische Widerspruch ‚weggeglättet‘ wird. Das metrische System ist im ersten und zweiten Satz der semantische Rahmen, die Referenzgröße wird von Meter nach Millimeter variiert oder verkleinert, im ersten Satz Milliardster Teil eines Meters (engl. „billion“ = Milliarde), im zweiten Satz „Millionster Teil eines Millimeters“. Der Objektbereich und seine Größenordnung, also das, worum es eigentlich geht und worüber Aussagen generiert werden, wird dadurch nicht anschaulicher. Die top-down Verkleinerungsperspektive ‚verstärkt‘ aber die Aussagekraft der Größenangaben. In zwei aufeinanderfolgenden Sätzen werden Maßeinheiten im metrischen System in einer Groß-Klein-Relation aufeinander bezogen und produzieren einen ‚stabilen‘ metrischen Sinn, indem die ‚Sinnhaftigkeit‘ der Textaussagen auf der Kontinuität eines metrischen Systems beruht. Das metrische System dient als formaler Urgrund oder Struktur und garantiert die Kontinuität von der sichtbaren, ‚normalen‘ Wissenschaft hinunter in die unsichtbare Nanotechnologie. Auch die Überschrift arbeitet bereits raumsemantisch mit dem Miniaturisierungsschema Top-Down. Als „the next big thing“ kann Nanotechnologie auch als Bezeichnung einer dynamischen Technikentwicklung verstanden werden. Kombiniert man Titel und die ersten beiden Sätze, findet sich das Top-Down Raumskript als Rahmenperspektive einer umfassenderen gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Betrachtung von Technikentwicklung. Aus dieser Perspektive lässt sich insgesamt ein ‚Kleiner-werden‘ von Technik beobachten, sozusagen eine allgemeine top-down Technikentwicklung (siehe voriges Kapitel, der Verweis auf die Computertechnologie), wenn die nächste wichtige (wissenschaftliche? ökonomische?) Entwicklung technisch in einem minimal winzigen Größenbereich passiert. Nanotechnologie wird als Manifestation der nächsten Technikentwicklung ‚beobachtbar‘, nach dem Motto: Diese neue Technik ist nun wirklich „very very small“. Wird aus diesem (nicht weiter ausgewiesenen) Blickwinkel ‚die Technik‘ immer kleiner, ist Nanotechnologie die Steigerungsform dieser top-down Perspektive. Im zweiten Abschnitt ist das Raumskript der top-down Technikentwicklung vorhanden und der Diskursbereich Nanotechnik findet sich in den „low cost electronics“ und eventuell auch bei der „low cost energy“. Allerdings gibt es zusätzlich eine andere technische Perspektive als die des Diskursbereichs Nanotechnik. Vor allem die Verbesserung afrikanischer Rohstoffe wie Gold, Titan, Palladium und

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Platin durch Nanotechnologie ist nicht nanotechnisch im selben Sinn wie das Bauen elektronischer Kleinstteile, ebenso wenig wie die Verbesserung der Medikamentenwirksamkeit („more efficient drug delivery“). Nanotechnology can add enormous value to African minerals – gold, titanium, palladium, platinum and so on [...] nanotechnology could lead towards low cost energy, low cost electronics and more efficient drug delivery.

Die Veredelung von Rohstoffen gehört in den Diskursbereich Nanopartikel, die Entwicklung effizienterer Medikamente zum Diskursbereich Nanobiotechnologie. Beide Male geht es nicht um die Entwicklung technischer Objekte als Maschinen. Im ersten Fall geht es darum, einen Mehrwert zu den afrikanischen Bodenschätzen hinzuzufügen, also eine Wertsteigerung zu bewirken, wobei diese in einer ökonomisch interpretierten globalen Verteilungs- und Verwertungskette entsteht. Es geht um Bodenschätze als reale, dinghafte Objekte und gleichzeitig als chemische Stoffe, die bei einer ökonomischen Verwertungskette am Anfang stehen. Diese sollen mittels Nanotechnologie in distributiver Form, auf je einzelne Bodenschätze und chemische Stoffe bezogen, ökonomisch aufgewertet werden. Wenn auch nicht davon gesprochen wird, Nanopartikel herzustellen oder in Produkten zu verwenden, so ist doch die Verteilung und Auswirkung der Nanotechnologie partikulärdistributiv im Sinne von „Bodenschätze können aufgewertet werden“. Die Auswirkungen der Nanotechnologie verteilen sich an den Objekten haftend als verbesserter oder gesteigerter Wert in der Welt, und kommen, wie oben gesagt wurde, vor dem Export der (süd)afrikanischen Wirtschaft zugute. Der Hinweis auf preiswerte Elektronik gehört zum Diskursbereich Nanotechnik, wobei das Top-Down-Raumskript nicht noch einmal genannt wird. Sowohl die Rede von billiger Energie und preisgünstiger Elektronik profitieren davon, dass zu Beginn des Textes die top-down Perspektive eingenommen wird und dass dieses Raumskript den Text überwölbt.71 Es wurde bereits gesagt, dass die höhere Effizienz von Medikamenten zum Diskursbereich Nanobiotechnologie gehört. Allerdings ist bei diesem Diskursbereich das Bottom-Up Raumskript nicht erkennbar. Trotzdem ist das Bottom-UpRaumskript an drei Textstellen von Bedeutung. Die erste findet sich im ersten Abschnitt: „Nanoelectronics has enormous applications, particularly in computing. But there’s more...“ Wie bereits festgestellt, werden die Leistungen einer Wissen-

 71 Wenn niedrige Preise als kleine Preise semantisiert werden (in den Wendungen „low cost energy“, „low cost electronics“), ist das Top-Down-Raumskript in einer Art Modifikation realisiert. Die Verkleinerungsperspektive richtet sich dabei nicht direkt auf Technik sondern auf den Preis für die Technik. Gemäß dem Top-Down-Raumskript sollen die „kleinen“ Preise hier mit der „verkleinerten“ Technik zusammen hängen.

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schaftsdisziplin auf ein konkretes industrielles Anwendungsfeld, die Computer, bezogen. Die Konstruktion von Kleinstteilen für die Computerindustrie verschafft der Nanotechnologie an dieser Stelle einerseits das top-down Moment im Sinne einer Miniatur-Technik, wenn Computertechnologie top-down ‚immer kleiner‘ wird. Andererseits gibt es an dieser Stelle ein expansives bottom-up Moment, das im Zusammenhang mit der Nanotechnologie steht: Ist es Zufall, dass die Computerindustrie genannt wird und der Text auf umfangreiche („enormous“) Anwendungen der Nanoelektronik bei Computern verweist? Die Nanotechnologie wird damit semantisch an den immensen wirtschaftlichen Erfolg der Computerindustrie der 90er Jahre angeschlossen (an ein vergangenes „Next Big Thing“), der durch eine rasche und immense Expansion ökonomisch die Weltwirtschaft verändert hat und unseren Alltag, die Wissenschaften und unsere politische Kultur verändert. Der Text legt nahe, dass „die Nanotechnologie“, siehe Titel, als neues „Big Thing“ das ehemalige „Big Thing“ der Computer beerbt oder ablöst. In jedem Fall taucht das Bottom-Up Raumskript im Sinne von Expansion auf: Die noch nicht realisierten, weitreichenden Anwendungsmöglichkeiten der „nanoelectronics“ beinhalten die Möglichkeit, dass (analog zur Computertechnologie) aus einer technisch ‚kleinen‘ Entwicklung ein weltveränderndes ökonomisches (und kulturelles) ‚Riesenreich‘ entstehen kann. Folgt man dieser Interpretation, kann man auch das partikuläre Raumskript dieser Textstelle zuordnen, insofern der Siegeszug der Computer sowohl partikulär als auch expansiv war. Die expansive Verbreitung von Computern geht einher mit einer unübersichtlich ausdifferenzierten Einbindung in die Lebenswelt. Insofern kommt das partikuläre Raumskript ins Spiel: Die Anwendungen der Nanoelektronik werden gerätetechnisch im Computer verortet, Computer sind überall verstreut und eingesetzt und haben sich als vereinzelte Maschinen, partikulär, verbreitet, infolge eines bottom-up Aufstiegs vom Garagenhandel zum Weltkonzern. Insofern wird Nanotechnologie an dieser Textstelle mittelbar mit einem partikulären Raumskript in Verbindung gebracht. Der Diskurs der Nanopartikel, der abgewandelt zum Tragen kommt, kann dazu führen, dass der gesteigerte Wert von Bodenschätzen, der einem partikulären, distributiven Raumkonzept folgt, selbst auch als distributiver Wert interpretiert wird. Dieses Missverständnis, das einer flüchtigen Lektüre geschuldet sein könnte, kann dazu führen, dass Nanotechnologie als etwas verstanden wird, das wiederum einzelnen notleidenden Menschen in Afrika zugute kommen kann. Die Nanotechnologie kann als Veredelungstechnik für wertvolle Bodenschätze verstanden werden, wobei sie partikulär-distributiv im Sinne von nanotechnologischen Partikeln agiert, die sich (im schlechten Fall) unkontrolliert im Raum verteilen. Die nanopartikuläre Nanotechnologie kann aber für einen auf partikuläre Objekte (Bodenschätze) verteilten Wertsteigerungseffekt sorgen, dessen materielle Segnungen (sozusagen in umkehrter partikulärer Perspektive) wiederum verteilt werden könnten auf die Ein-

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wohner Afrikas. Das Nanopartikel-Raumskript kann dazu führen, dass Nanotechnologie einem verteilten Raumkonzept folgend, infolge eines gesteigerten Wohlstands wohltuend auf die Menschen wirkt, ein ähnlich partikuläres Raumkonzept wäre mit der Aussage verbunden: Nanotechnologie macht satt. Der Kampf gegen die Armut, der mit Hilfe der Nanotechnologie geführt werden soll, würde dann in doppelter Weise partikulär-distributiv stattfinden. Das semantische Raumskript von Nanopartikeln wird so geschickt übereinander gelegt mit einem partikulär-individualisierten Verteilungskonzept, bei dem im Hintergrund eine demokratische Gerechtigkeitsvorstellung wirksam ist. Die Wissenschaft(en) soll(en) helfen, eine bessere Verteilung der ökonomischen Ressourcen des Landes bzw. des Kontinents zu erreichen und zwar im Hinblick auf einzelne Bürger. Dass es sich bei dieser Lesart um ein Missverständnis handelt, kann man auch so erklären, dass in einem überaus allgemein gehaltenen Text aus einem Strategiepapier zitiert wird, bei dem die beiden Alternativen (Aufwertung der Bodenschätze sowie soziale Verbesserungen) beide unter dem Label Nanotechnologie ausgeführt werden. Nanotechnologie ist ein vereinheitlichendes Konzept, bei dem diese Missverständnisse in Kauf genommen werden. Der Verweis auf ein vorangegangenes oder altes „Big Thing“ wird am Beginn des zweiten Abschnitts noch einmal wiederholt, wenn Nanotechnologie als „new technological race“ interpretiert wird. Das neue technologische Wettrennen Nanotechnologie hat bereits begonnen: „Although Sub-Saharan Africa may be a late entrant in this new technological race, [...].“ Wenn Nanotechnologie das neue technologische Wettrennen ist, ist das ‚alte‘ technologische Wettrennen die Computertechnologie und Computerindustrie. Die Länder in Afrika, die, geographisch aus einem eurozentristischen Blick auf den Globus gesehen, unterhalb der Sahara liegen und die als ehemalige Kolonien von Europa einen mehr oder weniger weiten Weg hin zu Demokratie und Wohlstand für die Mehrheit ihrer Bevölkerung vor sich haben, sollen bei einem technologischen Rennen mitmachen, das ohne sie bereits in anderen Erdteilen begonnen hat. Die eurozentristische Sichtweise, die in diesem Text eingenommen wird, betrifft Nanotechnologie als etwas, das bisher ohne Afrika stattfindet, wobei die Rede von einem Wettrennen als diskursives Strukturelement und weiteres Kollektivsymbol über dekorative Metaphorik hinaus geht. Das Wettrennen um die Nanotechnologie kommt in dem Roman ‚Die Nanoblume‘ (Fallstudie II. 6.) als literarische Inszenierung vor, das mit Waffen und Verfolgungsjagden inszeniert wird, als Eingangsfolie des materialwissenschaftlichen Power-PointVortrags (Fallstudie II. 3.) fungiert ein Kunstfoto von Andreas Gursky, eine überlang zusammenmontierte Rennstrecke in der Wüste, die als exponiertes Beispiel von wissenschaftlich-technischer Tauglichkeit bei Extrembelastungen dient. Im Text auf der Webseite impliziert die Rede von einem bereits begonnenen Rennen, dass Afrika bisher noch nicht einmal mitfährt auf den wissenschaftlichen und tech-

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nologischen Straßen der Welt. Für die Länder unterhalb der Sahara braucht es einen ausdrücklichen „Schnellstart“ („a distinct kick-start“) in Form einer Tagung, der es ihnen ermöglicht, anschließend zum Motorsportclub der Wissenschaftsraser dazu zu gehören.72

 72 Man könnte das Rennen als Kamelrennen imaginieren oder als Sprint menschlicher Einzelläufer. Allerdings passen diese Picturae nicht zu dem genannten „technologischen Rennen“ („technological race“), das eher, wie im materialwissenschaftlichen PPT-Vortrag, als Autorennen picturalisiert werden kann, zum Beispiel über die idealisierte Abbildung der Formel1-Wüstenrennstrecke in dem Fotokunstwerk von Andreas Gursky (Folie 2). Zum Kollektivsymbol Wettlauf LINK 1985, 111.

 

5. Regionalstudie „Nanotechnologie in Dresden / Sachsen (2006)“ Pragmatischer Redekontext Die „Regionalstudie: Nanotechnologie in Dresden/Sachsen“ wurde 2006 vom VDI Technologiezentrum GmbH als Ergebnisveröffentlichung eines Projekts unter der Leitung von Axel Zweck herausgegeben. Sie entstand im Auftrag des Amtes für Wirtschaftsförderung der Landeshauptstadt Dresden und versammelt Ergebnisse aus Fragebogenumfragen, Experteninterviews und Workshops. Als Informationsquelle hat sie das Ziel, „aufzuzeigen, welche Kräfte mobilisiert werden müssen, um ein ‚Nanotechnologie-Cluster Dresden‘ zu entwickeln / weiterzuentwickeln“.1 Die Verwendung des Ausdrucks „Cluster” ist kollektivsymbolisch überdeterminiert, insofern Fullerene in der Physik als Cluster und ihre Herstellung und Erforschung als Nanotechnologie bezeichnet werden.2 Die Auftragsarbeit wurde zum Zweck der Politikberatung angefertigt und vom Freistaat Sachsen und der Europäischen Kommission kofinanziert. Sie zielt auf wirtschaftspolitische Beratung für Entscheidungsträger in Sachsen und anderswo und geht auf das „Projekt“ „Nanotechnologie in Dresden – Status quo und Handlungsbedarf für die Entwicklung der Potenziale der Nanotechnologie als Wachstumskern für die Region Dresden / Sachsen“ zurück, das 2005 beauftragt wurde und in ein Gutachten mündete, das nicht identisch mit der Studie ist. Entstanden sind Projekt und Publikation im Umfeld des Vereins Deutscher Ingenieure VDI e.V. mit Sitz in Düsseldorf, dem etwa 155 000 überwiegend deutsche Ingenieure als Mitglieder angehören. Der Verein wurde 1856 in Alexisbad im Harz gegründet und

 1

GLAUNER et al. 2006, 15.

2

In der Physik ist ein Fulleren, ein C60-Molekül aus 60 Atomen, „ein kleiner Festkörper. Genau genommen ist es ein Cluster, ein Gebilde, das zwischen Molekül und Festkörper steht. Man kann im C60-Molekül – da es eine Hohlkugel ist, sollte man vielleicht besser sagen: man kann auf dem C60-Molekül Feskörperphysik betreiben: Man kann Energiebänder berechnen, Energielücken, Exzitonen, Korrelationsenergien u.v.a.m. Man kann aber auch die Moleküle zu einem geordneten Molekülkristall zusammenfügen und so aus lauter Minifestkörpern einen großen Festkörper machen.“ Der Durchmesser eines C60Moleküls liegt bei etwa 1 nm. Lexikon der Physik, Stichwort „Fullerene“, Siegmar Roth (Stuttgart), Kun Liu (Shanghai) spektrum.de/lexikon/physik/fullerene/5389, acc. 160227.

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versteht sich national und international als Sprecher der Ingenieure und der Technik. Er ist eine gemeinnützige, von wirtschaftlichen und parteipolitischen Interessen unabhängige Organisation

3

und „als drittgrößter Regelsetzer [...] Partner für die deutsche Wirtschaft und Wissenschaft“.4 Die Mitglieder verbindet laut Leitbild die „Faszination für Technik mit ihrem Potenzial, die Welt positiv zu verändern.“5 Seit der Gründung tritt der VDI als die Lobbyorganisation der deutschen Ingenieure mit reger Publikationstätigkeit an die Öffentlichkeit, sei es über das eigene Nachrichtenorgan, die VDI-Nachrichten, oder mit der Veröffentlichung von Fach- und Sachbüchern. Im Leitbild 2015 heißt es, der VDI sei als anerkannte Wissens- und Kompetenzplattform [...] die Denkfabrik für Technik. Wir setzen Standards und sind Impulsgeber für neue Technologien und technische Lösungen.

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Die untersuchte Regionalstudie wurde nicht vom eingetragenen Verein, sondern von einer Unterabteilung des VDI Technologiezentrums VDI TZ GmbH erstellt, das sich als „Einrichtung“ des VDI e.V. bezeichnet.7 Die blasse Bezeichnung macht nahezu unkenntlich, dass es sich beim VDI TZ GmbH seit 2003 um ein Unternehmen handelt, das dem Verein nicht mehr unterstellt ist. Es bezeichnet sich als „Mediator und Promoter von Innovationen“, seine Arbeit schließt an das 1975 gegründete VDI Technologiezentrums VDI TZ (ohne GmbH) an, das noch kein Unternehmen war, sondern aus öffentlichen Geldern finanziert wurde. Das VDI TZ GmbH Düsseldorf, dessen Unterabteilung „Zukünftige Technologien Consulting“ ZTC, seit 2014/15 Innovationsbegleitung und -beratung IBB, die Studie angefertigt hat, wird vom BMBF, weiteren öffentlichen Auftraggebern sowie aus der Wirt-

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So noch 2010, vdi.de/43431.0.html, acc. 100702. Aktuell: „Wir sind der Sprecher der Ingenieurinnen und Ingenieure. Wir prägen die Meinungsbildung in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft und sind anerkannter Ratgeber. Wir verbinden Wissenschaft und Praxis und bewerten Technik ganzheitlich und unabhängig von politischen oder wirtschaftlichen Interessen. Unsere Meinungs- und Willensbildungsprozesse sind transparent und nachvollziehbar.“ vdi.de/ueber-uns/unser-leitbild/, acc. 160222.

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vdi.de/ueber-uns/, acc. 160227.

5

vdi.de/ueber-uns/unser-leitbild/, acc. 160222.

6

vdi.de/ueber-uns/unser-leitbild/, Leitbild als digitales Markenhandbuch, vdi-markenhand

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Vditz.de, acc. 160222.

buch.de/, acc. 160222.

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schaft finanziert.8 Das VDI TZ GmbH beherbergt unter anderem die Nationale Kontaktstelle Nanotechnologie, die „deutsche Antragsteller im Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘“ unterstützt9 und veranstaltet unter dem Motto „Bürger treffen Experten“ beispielsweise am 30.11.15 an der Christian-Albrechts-Universität Kiel ein „Gespräch zu Chancen und Risiken der Nanotechnologie“.10 Seit 2004 begleitet es „unter aktiver Vertretung der Interessen des BMBF“ die „Informations- und Bildungskampagne zur Nanotechnologie“, zu der der nanoTruck gehört.11 Das VDI TZ GmbH ist eines von mehreren Unternehmen, die zur VDI-Unternehmensgruppe (VDI-Gruppe) zusammengefasst werden und betätigt sich überwiegend als Projektträger des BMBF.12 Hervorgegangen aus dem früheren VDI Technologiezentrum, das 1978 in Berlin gegründet wurde und als Institution nicht mit der jetzigen GmbH verwechselt werden darf, arbeitete das Zentrum zunächst im Rahmen staatlicher Förderprogramme. [...] [und beriet] Unternehmen bei innovatorischen Vorhaben auf den Gebieten der Mikroelektronik und der Physikalischen Technologien.

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 8

Vditz.de, acc. 160222. Das Gründungsdatum des VDI TZ GmbH lautet auf der Website 1975, in der historischen Übersicht des VDI wird 1978 angegeben. vdi.de/fileadmin/ vdi_de/redakteur_dateien/dps_dateien/alte_Dateien/geschichte_vdi_bis_2009.pdf.

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Vditz.de/forschungsfoerderung/nano-und-werkstoffe/, acc. 160224.

10 Vditz.de/meldung/buerger-treffen-experten-1/, acc. 160224. 11 Vditz.de/referenz/nanotruck-treffpunkt-nanowelten/, acc. 160224, Nanotechnologie aktuell, Ausgabe 2/2009, Herausgeber: VDI Technologiezentrum GmbH. 12 Ich würde das Institutionenkonglomerat VDI e.V. mit Unter-Unternehmen als Mittelding zwischen privatwirtschaftlichem Unternehmen und Institution mit öffentlichem Interesse charakterisieren. Die damit einhergehende Intransparenz scheint mit Defiziten im deutschen Vereinsrecht zusammenzuhängen. Es gibt in der BRD mehrere Vereine, zum Beispiel den ADAC e.V., die unter einem Non-Profit-Vereinsdach verschiedene Unternehmenszweige mit teilweise Millionen Euro (beim ADAC ist die Rede von einer Milliarde Euro) Einnahmen versammeln, aber keiner Unternehmenskontrolle wie in der Wirtschaft unterliegen. Vgl. Interview Adams 21.1.14, 8:14 h, im Deutschlandfunk sowie ADAMS / MASSMANN 2002, (leicht geglättet digital abrufbar), die den VDI e.V. nicht erwähnt. wiso.uni-hamburg.de/fileadmin/bwl/rechtderwirtschaft/institut/Veroeffentlichungen/Vere insreform.pdf, acc. 160224. Allein das VDI Technologiezentrum erwirtschaftet mit 200 Mitarbeitern einen Umsatz von mehr als 21 Millionen Euro und betreut laut Eigenwerbung ein Fördervolumen von 300 Millionen Euro, VDI TZ „Neue Perspektiven für Forschung und Entwicklung“, o.J., S. 6. 13 vdi.de/fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/dps_dateien/alte_Dateien/geschichte_vdi_bis _2009.pdf, acc. 160224.

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1984 differenzierte sich das VDI Technologiezentrum in das Berliner VDI TZ Informationstechnik sowie das Düsseldorfer VDI TZ Physikalische Technologien aus, wobei das Berliner Technologiezentrum bereits 1986 in die VDI/VDE Technologiezentrum Informationstechnik GmbH umgewandelt wird. Die Düsseldorfer VDI TZ Physikalische Technologien wird seit 1992 von Axel Zweck geleitet und bekommt 1998 eine Unterabteilung, die zunächst den Namen „Zukünftige Technologien“ trägt. Ab 2004 wird die Unterabteilung in VDI Technologiezentrum Zukünftige Technologien Consulting VDI TZ ZTC umbenannt, es handelt sich um eine Teilabteilung der VDI TZ GmbH, die privatwirtschaftlich arbeitet. Unter deren Namen wird die Regionalstudie herausgegeben, wobei das herausgebende Unternehmen seit 2014/15 umbenannt wurde in die Abteilung Innovationsbegleitung und –beratung IBB. Die Abteilung VDI TZ Physikalische Technologien fungiert schon 1994 als Herausgeber der ersten Studie zur „Nanotechnologie“.14 Das frühere ZTC erweckte den Eindruck, es handele sich um eine wissenschaftliche Institution (dazu gleich mehr), auch die jetzige IBB betont die „Neutralität und Unabhängigkeit“ ihrer Arbeit.15 Bevor die Abteilung „Zukünftige Technologien“ im Jahr 1998 gegründet wurde, gab es seit 1993 die gleichnamige Schriftenreihe mit dem Titel „Zukünftige Technologien“, ihr Name stimmt dabei nicht nur zufällig mit dem Abteilungsnamen „Zukünftige Technologien Consulting“ überein. Als Verein ist der VDI e.V. eine aktive Lobbyorganisation und in vielfältiger Weise in das politische System der BRD eingebunden. Seit 1986 führt das Präsidium gemeinsame Gespräche mit den Präsidien der deutschen demokratischen Parteien CDU, SPD und FDP und wirkt im selben Jahr auch an den Technologiekongressen dieser Parteien mit. 1990 wird der VDI e.V. in der ehemaligen DDR neu gegründet, bis Ende 1991 haben sechs VDI-Bezirksvereine ihre Tätigkeit in den neuen Bundesländern aufgenommen, „erste parlamentarische Abende“ finden seit 1992

 14 Die Publikation erscheint als Band 5 der Reihe „Zukünftige Technologien“ zweisprachig in Deutsch und Englisch (Januar 1994). Das ZTC hatte 2010 etwa dreißig überwiegend promovierte Mitarbeiter sowie neun wissenschaftliche Hilfskräfte und präsentierte sich als Ansammlung hochkarätiger Wissenschaftlern, die sich ausnahmslos mit zukünftigen Technologien und den Methodiken ihrer Erforschung beschäftigen, zt-consulting.de, acc. 100522. Die Nachfolgeinstitution IBB hält sich im Internet bezüglich des Personals zurück und veröffentlicht weder Leitung noch Mitarbeiter, deren Anzahl lediglich „über 40 hochqualifizierte wissenschaftliche“ umfasst, vditz.de/innovationsbegleitung-und-beratu ng-ibb/ueber-ibb/, acc. 160222. 15 Die Neutralität und Unabhängigkeit wird damit begründet, dass es keine „Unternehmensbeteiligungen und Ausgründungen“ aus der VDI TZ GmbH gibt, vditz.de/innovationsbe gleitung-und-beratung-ibb/ueber-ibb/, acc. 160224.

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auf Bundesländerebene, d.h. in Sachsen und Sachsen-Anhalt statt.16 2000 wird der VDI e.V. Landesverband Sachsen gegründet, in dessen ‚Hoheitsgebiet‘ die Regionalstudie angesiedelt ist, der aber mit ihrer Erstellung (soweit ich das sehe) nichts zu tun hat.17 Die Projektbeauftragte der Studie, das VDI TZ GmbH Düsseldorf mit der Unterabteilung „Zukünftige Technologien Consulting ZTC“, agiert als Unternehmen unabhängig vom VDI e.V., obwohl es in der Unternehmensgeschichte seit 1978 auf ihn zurückführbar ist. Trotz der institutionellen Trennung des Wirtschaftsunternehmens vom Verein ist die Nähe beider medial und optisch durch die Benutzung eines gemeinsamen VDI-Symbols induziert. Umgekehrt formuliert: medial ist nicht erkennbar, dass es sich um zwei getrennte und wirtschaftlich unterschiedlich agierende Institutionen handelt. Die wesentliche Differenz zwischen einer GmbH und einem eingetragenem Verein ist in einem Piktogramm visuell eingeebnet und muss über aufwändige Rekonstruktionsarbeit erschlossen werden. Auf der Website 2016 ist gar keine Transparenz bezüglich der Struktur der einzelnen Unternehmen der VDI-Gruppe zu finden, lediglich ein Organigramm zur Organisation des VDI e.V. findet sich.18 Zur Ununterscheidbarkeit oder besser Nichtidentifikationsmöglichkeit des Wirtschaftsunternehmens gehört, dass „VDI Technologiezentrum“ (ohne GmbH) den Titel jeder Publikation ziert. Die Unterabteilung ZTC (ab 2014/15 als IBB) fungiert als Herausgeber von mittlerweile 95 Publikationen der Reihe „Zukünftige Technologien“ (ZT), die auf der unterabteilungseigenen Website des ZTC und 2016 auf der Website der VDI TZ GmbH verzeichnet sind. Wie bei der vorliegenden ist bei fast allen Studien der doppelpromovierte Axel Zweck als Abteilungsleiter des ZTC als Mitautor und Projektleitung beteiligt. Auch die Entstehung der Institution „Zukünftige Technologien Consulting“ trägt seine Handschrift. Seine zweite Dissertation im Fachbereich Soziologie (erste Promotion im Fach Chemie) wird 1993 veröffentlicht und beschäftigt sich mit der „Entwicklung der Technikfolgenabschätzung zum gesellschaftlichen Vermittlungsinstrument“.19 Der Titel der Dissertation bezeichnet in etwa das Programm der späteren Institution „Zukünftige Technologien Consulting“ ZTC /

 16 vdi.de/fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/dps_dateien/alte_Dateien/geschichte_vdi_bis _2009.pdf, acc. 160224. 17 SCHUMMER 2009, 103f, verzichtet auf eine Untersuchung der Institutionen des VDI, stellt nur pauschal fest, dass der VDI als „sogenannter ‚Projektträger‘ des Bundesforschungsministeriums“, der „hinter der deutschen Nano-Initiative steckt“ und einer nahezu „idealen Verkörperung der Technokratie“ einen forschungs- und wirtschaftspolitischen Prozess verantwortet, der aller „nur denkbaren demokratischen Elemente“ ermangele. 18 vdi.de/ueber-uns/vdi-gruppe/, acc. 160224. 19 ZWECK 1993.

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IBB. Zur Nanotechnologie verzeichnet die Reihe „Zukünftige Technologien“ 27 Publikationen, die bis 1994 zurückdatieren20, obwohl es die VDI TZ samt Abteilung ZTC erst seit 2004 gibt, d.h., seit 1993 leistet die Schriftenreihe der Gründung eines gleichnamigen privatwirtschaftlichen Beratungsunternehmens Vorschub. Da sich ein Drittel der Schriften mit Nanotechnologie beschäftigen, hat die Schriftenreihe einen gewissen Anteil an der Genese des VDI TZ ZTC.21 Auf der Website der ZTC waren die Regionalstudie und weitere Publikationen datiert zurück bis 1987 abrufbar, auch einige Publikationen, die nicht von der ZTC herausgegeben wurden, was daran lag, dass es die Abteilung ZTC des VDI TZ GmbH noch nicht gab (und seit 2014 nur als IBB gibt). Unter den Schriften, die in anderen Verlagen erschienen sind, findet sich die Dissertation von Zweck und weitere ‚externe‘ Publikationen anderer Mitarbeiter. Aufgrund des zentralen Verzeichnisses der Publikationen kann man sagen, dass die Institution ZTC sich wie eine Art wissenschaftliches Institut22 präsentiert, an dessen Spitze Zweck steht, der seit 2011 als Honorarprofessor an der RWTH Aachen im Fachbereich Soziologie lehrt und auch Seminare zu Science Fiction anbietet. Zeigen die Publikationsverhältnisse der Regionalstudie im Hinblick auf Autorund Herausgeberschaft institutionelle Verflechtungen, gibt es ein ebenso verwirrendes Bild hinsichtlich Verlag und Druck. Zwar kann man für die Einzelstudie die Finanzierungslage benennen, das ZTC (IBB) fungiert als Herausgeber und die Geldgeber wie der Freistaat Sachsen und die Europäische Union sind bekannt. Wer aber druckt sie? In der Studie finden sich dazu keine Angaben. Auf der Website der VDI TZ GmbH gibt es zwar den Hinweis, dass die „Publikationen regelmäßig in allgemeinverständlicher Form über Förderprojekte und aktuelle Entwicklungen informieren“, allerdings wird nicht angegeben, wer die Publikationen verlegt und druckt.23 Die VDI TZ GmbH ist kein Verlag und betreibt keinen Verlag. Da es im Zusammenhang mit dem VDI e.V. eine rege Publikationstätigkeit gibt, möchte ich kurz den Publikationskontext schildern, der sich inmitten einer unübersichtlichen

 20 Dazu gehört die älteste Veröffentlichung zur Nanotechnologie vom Januar 1994, die vom VDI-TZ Physikalische Technologien im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Forschung und Technik BMFT herausgegeben wurde. vditz.de/publikation/nanotechnolo gie/, außerdem das Verzeichnis von 2009 unter web.archive.org/web/20100720021326 /http://www.zukuenftigetechnologien.de/publikationen.php, acc. 160224. 21 Die Publikationen sind finanzierten Projekten zugeordnet, d.h., aus den Publikationen kann auf die Projektfinanzierung des VDI TZ ZTC (heute IBB) geschlossen werden. 22 Die Übersicht über die Mitarbeiter vom April 2009 (29 Akademiker, davon 21 promoviert, 14 wissenschaftliche Hilfskräfte, 4 Sekretärinnen) in waybackmachine web.archive. org/web/20090415104414/http://www.zukuenftigetechnologien.de/team.php, acc.160225. 23 Standardhinweis unter vditz.de/de, zuletzt acc. 100418, zugänglich über Webarchive.

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Situation präsentiert. Ursprünglich gab es einen vereinseigenen VDI-Verlag, der 1923 gegründet wurde. Seit 1997 gibt es ein Unternehmen, in dem der VDI-Verlag mit dem Wissenschaftsverlag Springer Berlin / Heidelberg zusammenarbeitet. Dieses Unternehmen heißt „Springer-VDI Verlag GmbH & Co KG Verlag für technische Zeitschriften“. Der vereinseigene VDI Verlag bringt weiterhin die VDI-Nachrichten, -Berichte, -Fortschrittsberichte sowie Jahrbücher der VDI-Gliederungen heraus, während die Buchveröffentlichungen an den Springer-Verlag abgegeben wurden.24 Über Druck und Verlag der Publikationsreihe „Zukünftige Technologien“ finden sich keine Informationen, insofern kann die Studie nicht innerhalb der komplexen Eigenverlagstätigkeit des VDI Verlagswesens oder ‚außerhalb‘ beim VDI Springer-Verlag kontextualisiert werden. Wenn es so wäre, dass der VDISpringer Verlag als Unternehmen die Studien der Reihe „Zukünftige Technologien“ veröffentlichte, würde in Bezug auf die Veröffentlichungen der Reihe „Zukünftige Technologien“ keine unabhängige verlegerische Entscheidung fallen. In diesem Fall wäre er ein Verlag, der institutionell wie eine Art Selbstverlag der Studienersteller firmierte und ähnlich wie der vereinseigene VDI-Verlag agiert (zu dem Verein VDI e.V. gehört aber das VDI TZ GmbH samt ZTC / IBB seit 2004 gerade nicht mehr), zugespitzt formuliert: Es würde sich um Beratungsliteratur handeln, die von öffentlicher Hand finanziert im lobbyeigenen Verlag des VDI e.V. veröffentlicht und erstellt würde. Die Publikationstätigkeit eines selbständigen Unternehmens mit langfristigen, kommerziell motivierten, selbständigen verlegerischen Entscheidungen wäre in diesem Fall nicht trennbar von Projektstudienpublikationen, die aus öffentlich geförderten Gutachten resultieren. Der VDI hat als Verein, der die Interessen einer Berufsgruppe, nämlich der Ingenieure, vertritt, ursprünglich einen eigenen Verlag unterhalten, dessen Publikationen eine Leserschaft erreichen, die weit über den Ingenieurberuf hinausgeht.25 Es geht, wie bei dem Journal, in dem Feynmans Rede erscheint, nicht nur um Befriedigung eines Informationsbedürfnisses einer mehr oder weniger homogenen ursprünglichen Gruppe, der Ingenieure. Die Publikationen aus dem Umkreis des VDI erreichen weite Kreise der politischen Gremienarbeit. Auch die Veröffentlichungen aus der Beratungstätigkeit der Zukünftige Technologien Consulting ZTC (jetzt IBB) reichen weit in gesellschaftliche, industrielle und politische Bereiche hinein, obwohl die Beratungseinheit unabhängig vom VDI ist.

 24 vdi.de/fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/dps_dateien/alte_Dateien/geschichte_vdi_bis _2009.pdf, acc. 160222. 25 Laut Leitbild ist er „das führende Netzwerk“, zu dem neben IngenieurInnen auch „Akademikerinnen und Akademiker anderer Disziplinen, insbesondere der Informatik, Naturwissenschaften und Mathematik“ gehören, vdi.de/nc/ueber-uns/unser-leitbild/, 160224.

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Die Institution ZTC (jetzt IBB) bietet ihre Beratungstätigkeit international an, die Website war auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Chinesisch, Niederländisch, Japanisch, Koreanisch, Polnisch und Russisch (in dieser Reihenfolge aufgelistet) abrufbar. Heute ist die Website des IBB dezenter und weniger offensiv gestaltet. Da Referenzen für alle Tätigkeiten, auch internationale, nur auf Anfrage herausgegeben werden, kann dieser Kontext hier nicht weiter entfaltet werden. Die „Regionalstudie: Nanotechnologie in Dresden / Sachsen“ erschien sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch, im Englischen heißt sie „Nanotechnology-Cluster in the Region Dresden / Saxony“. Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre Die Studie ist als digitale Version öffentlich zugänglich und kann als PDF-Dokument entgeltfrei über die Website der ZTC (jetzt IBB) heruntergeladen werden, sobald man Namen, Firma und Emailadresse preisgegeben hat. Insofern ist es ein öffentlicher Text, dessen freie Zugänglichkeit an einen Computer, eine Verbindung zum Internet sowie an Deutsch- oder Englischkenntnisse gebunden ist und einen geringen monetären Aufwand erfordert, den man entweder selbst oder den jemand anderer trägt.26 Man kann Studien direkt beim IBB der VDI Technologiezentrum GmbH bestellen, solange sie nicht vergriffen sind. Wichtig ist, dass das vorrangige Publikationsmedium die digitale Version ist, weil nur ‚dort‘ die zahlreichen Balkendiagramme und Übersichtsgraphiken überhaupt richtig gelesen bzw. sinnvoll gedeutet werden können, da sie in Farbe wiedergegeben vergrößert werden müssen.27 Die etwa 150seitige Publikation wurde als sechzigstes Exemplar im Rahmen der Publikationsreihe Zukünftige Technologien veröffentlicht. Mittlerweile sind über einhundert Veröffentlichungen (Band 102 Mai 2015) unter dem Reihentitel erschienen. Seit 1993 erscheinen aus der Abteilung von Axel Zweck Schriften als „Analyse und Bewertung zukünftiger Technologien“, später mit einheitlichem Reihentitel „Zukünftige Technologien“ samt Durchnummerierung, heute mit einheitlichem Design unter dem Reihentitel samt Bandnummer in öffentlichen Bibliotheken verzeichnet. In öffentlichen Darstellungen ist die kapitalismusaffine Institutsgeschichte, die sich mit der Veröffentlichungsreihe verbindet, nicht erkennbar (die

 26 In öffentlichen Bibliotheken kann man den Text entgeltfrei am Computer lesen. Will man eine Papierversion in den Händen halten, erfordert dies direkten oder indirekten monetärem Aufwand, entweder im Zusammenhang mit der eigenen Hardware, im Kopierladen oder der Bibliotheksfernleihe, sofern das Werk nicht im Bestand ist. 27 GLAUNER et al 2006, beispielsweise Abbildung Seite 37. In der Papierversion geht das nicht, ein glattes Manko.

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Reihe mündet in die Gründung eines privatwirtschaftlich tätigen Unternehmens). Vielmehr erweckt die Reihe den Eindruck, es handele sich um eine wissenschaftliche Buchreihe, die anhand eines wissenschaftlichen Oberthemas redigiert und zusammengestellt wurde. In der Anfangszeit passt die Durchnummerierung nicht chronologisch mit dem Erscheinungsdatum zusammen, da 1993 mehrere Publikationen mit nicht fortlaufender Nummerierung erscheinen28, beispielsweise die Studie „Science Center der Welt – eine Bestandsaufnahme“ unter dem noch anderslautenden Reihentitel „Präsentation zukunftsrelevanter Technologien“. Diese Studie wird ex post ebenso in die ZT-Reihe als sechster Band eingegliedert wie die ebenfalls 1993 erschienene „Europäische Technikfolgenabschätzung als Chance für zukunftsrelevante Technologien“ als Band 7. Weitere Publikationen von 1993 zu „Adaptronik“, „Nichtlinearer Dynamik“ und „Bionik“ (Band 4), allerdings ist nicht erkennbar, welche Publikation die erste ist.29 Bereits 1994 wird sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch als fünfter Band eine Studie zu „Nanotechnologie“ publiziert. Die Schriftenreihe wird vom Bundesministerium für Forschung und Technologie BMFT in Auftrag gegeben und finanziert, als Herausgeber fungiert bis 1998 das VDI Technologiezentrum (ohne GmbH), Abteilung Physikalische Technologien (bis Band 27). Ab Band 28 („Innovationsschub aus dem Nanokosmos“), also ab Oktober 1998, wird als Herausgeber das VDI TZ genannt und die Abteilung „Zukünftige Technologien“ taucht das erste Mal institutionell genannt auf. Die Schriftenreihe hat bis 2004 auf dem Buchumschlag ein charakteristisches Weiß als Designgrundlage mit drei rechteckigen, leicht überschnitten angeordneten Gestaltungselementen, in denen Titel, Obertitel sowie eine Abbildung zu sehen sind. Seit 2005 wird das Design abgelöst durch ein charakteristisches Blau als Designgrundlage mit vorgegebenem Titelformat und weiteren Gestaltungselementen. Bei dem neuen (und aktuellen) Design schwebt auf dem Titelbild vor blauem Hintergrund eine kleine Erdkugel mit drei kleiner werdenden Jahreszahlen, die sich perspektivisch vom Betrachter entfernen (bei der vorliegenden Studie sind es 2010, 2015 und 2020). Die ZT-Reihe hat über das blaue Hintergrunddesign und die Ele-

 28 Der erste Band „Adaptronik“ erscheint 1993, ebenso Nr. 4 zu „Bionik“ und Nr. 8 zu „Internationale Technologieprognosen im Vergleich“, Nr. 2 zu Fullerenen erscheint im November 1995, dem Veröffentlichungsjahr der „Nanoblume“. 29 Im SWB Online Katalog wird als erste Publikation genannt: Neumann, Dieter (1993): Adaptronik. Technologieanalyse. Analyse und Bewertung zukünftiger Technologien. VDI Technologiezentrum Physikalische Technologien, herausgegeben im Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie BMFT. Zukünftige Technologien; Bd. 1. Recherchiert auf swb.bsz-bw.de, acc. 160225.

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mente einen maximalen Wiedererkennungswert, nicht zuletzt evoziert die Erdkugel den Weltraum als maximal externe (und objektive?) Blickperspektive.30

Abb. 9.a und b: Titelbild der Regionalstudie, Ausschnittvergrößerung

Das symbolisch aufgeladene Erkennungsbild taucht zuerst 2002 auf dem Titel von Band 45 als Zusatzillustration innerhalb des vorherigen Designs (Übersichtsstudie über regionale Foresightstudien in Deutschland) mit den Jahreszahlen 2005, 2010, 2015 auf. Als Vollbild-Umschlagabbildung findet es sich auf dem „ZTC-WorkingPaper Nr. 2“, das aber nicht zur ZT-Reihe gehört.31 Die erste Publikation aus der ZT-Reihe mit blauem Design ist Band 56, eine Studie zur Nachhaltigkeit in der Abfallwirtschaft von 2005.32 Sowohl der bildlich dargestellte, zeitlich extrapolierende

 30 15 Jahre ist der Zeitraum, der von der International Technology Roadmap for Semicondutors ITRS seit 1992/1994 vorgegeben (SCHUBERT 2007) und seitdem von anderen Institutionen ,verwendet‘ wird. Insofern zeigt das Design eine Pictura der halbleiterindustriellen Zeithorizont-Subscriptio, d.h. eine für Fachleute sofort erkennbare Symbolisierung. 31 GLAUNER, C / ZWECK, A / BRAUN, A (2005): Einführung in die Praxis der Regionalen Vorausschau. Hintergründe und Methoden. Düsseldorf (ZTC Working Paper 2). 32 SCHUG, H / KRÜCK, C / PLOETZ, C / ZWECK, A (2005): Nachhaltigkeit in der Abfallwirtschaft. Düsseldorf, Zukünftige Technologien Bd. 56.

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Horizont als auch der raumsemantische Darstellungsfokus, die europäisch perspektivierte Erde33 aus großem räumlichen Abstand, vermitteln einen symbolträchtigen Eindruck des ambitionierten Programms der Institution ZTC / IBB und ihrer selbst gewählten Perspektivierung. Die Studie wird 2005 vom Informationsdienst Wissenschaft angekündigt (idwMeldung 8.3.05), allerdings von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS34, wobei der Forschungsinhalt (oder das Ergebnis?) im Titel zusammengefasst wird als „Nanotechnologie-Studie Region Dresden – Standortvorteile ausbauen, Innovationen schnell in die Praxis, Unternehmen fördern“, womit in allgemeiner Formulierung das wirtschaftspolitische Programm benannt ist, das als Ergebnis anvisiert wird. Die Formulierung der idw-Ankündigung führt zu der Frage, in welchem Sinn es sich hier um eine wissenschaftliche Studie handelt oder auch nicht handelt. Ob die Reihe „Zukünftige Technologien“ wissenschaftliche Texte anbietet oder nicht, ist schwierig zu beantworten. Einerseits steht es außer Frage, dass sie von akademisch ausgebildeten Wissenschaftlern verfasst werden, die überwiegend promoviert sind und ihrem eigenen Selbstverständnis nach mit wissenschaftlichen Methoden im „Methodenmix“ arbeiten, über die sie Rechenschaft ablegen.35 In den Studien gibt es auch formale Merkmale wissenschaftlicher Literatur, wie Gliederung, Fragestellung, Auskunft über Methodik und Vorgehen sowie Zitationen, Literaturverzeichnis und Quellennachweis. Andererseits ist das Institut ZTC / IBB ein Dienstleistungsunternehmen, dessen Produkt ‚Beratung‘ heißt, das als (politisch gesättigte) Beratungsleistung international verkauft wird und werden soll, zum Beispiel in Form von Gutachten. Diese Dienstleistung manifestiert sich zuerst als Projekt (das verwirrenderweise auch den Namen „Studie“ tragen kann) dessen Ergebnisse als Gutachten teilweise textualisiert werden, was teilweise in öffentlich zugängliche Studien eingeht. Hier liegt ein Text vor, der mit Hilfe von wissenschaftlichen Methoden aus einem von öffentlichen Stellen beauftragten Forschungsprojekt heraus erstellt wurde, das eine politisch motivierte Fragestellung verfolgt. Die „Forschungs-“ergebnisse sind (zumindest im Rahmen der Veröffentlichung) öffentlich zugänglich, aber die Fragestellung entstammt der Wirtschaftspolitik. Das komplexe Verhältnis von (öffentlich) beauftragtem Projekt und angefertigtem wissenschaftlichen Gutachten, später als wissenschaftliche Studie deklariert, wird zwar ausformuliert, bleibt aber tendenziell intransparent.

 33 Dargestellt ist die eurozentristische geographische Sichtweise der Erdkugel: Europa und Afrika liegen in der Mitte, der amerikanische Kontinent sowie Australien sind gar nicht und von Asien ist nur die Hälfte zu sehen. 34 Vom Pressesprecher des IWS, Ralf Jaeckel, idw-online.de/de/news103621, acc. 160225. 35 GLAUNER et al. 2006, 7.

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Die Wirtschaftsförderung der Landeshauptstadt Dresden [hat] in Abstimmung mit den sächsischen Ministerien für Wirtschaft und Arbeit, Wissenschaft und Kunst sowie weiteren Partnern beschlossen, eine umfangreiche Studie über den Status-Quo sowie über die Entwicklungsmöglichkeiten des Nanotechnologie-Standortes Dresden / Sachsen erstellen zu lassen. 36

Die vorliegende Publikation ist das öffentliche Ergebnis dieser Studie.

Nur die vorliegenden Ergebnisse sind öffentlich und sollen es ihrem Zweck nach sein, nur diese Ergebnisse und nicht das Gutachten. Es werden nicht alle Ergebnisse des Forschungsprojekts veröffentlicht, wodurch sich an diesen Punkten Schwierigkeiten mit einem forschungsorientierten Wissenschaftsverständnis ergeben.37 Dabei ist nicht die Tatsache problematisch, dass es wissenschaftsferne Auftraggeber gibt, die für die Arbeit von Wissenschaftlern in einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Beratungsinstitution bezahlen. Vielmehr ist das Problem, dass die Auftraggeber nicht vollständig genannt sind (sc. weitere Partner38) und dass die institutionelle Verankerung der Verfasser teilweise nicht transparent gemacht wird, so bei Matthias Werner, NMTC, Berlin: das NMTC ist das aus einer Teilinstitution der Deutschen Bank heraus entstandene private Beratungsunternehmen eines ehemaligen Mitarbeiters. Bei der ZTC/IBB als Institution kann die institutionelle Verankerung vielleicht auch gar nicht transparent gemacht werden, sie ist keine unabhängige wissenschaftliche Institution, sondern lebt auf unklare Weise von ihren Aufträgen. Intransparent ist auch, welche Ergebnisse veröffentlicht werden und welche nicht. Die Studie hat einen wissenschaftlichen Charakter, weil sie von Experten verfasst wurde, in rudimentärer Weise über ihre Methodik Auskunft gibt, und einer Institution entstammt, die nur Fachleute und Experten versammelt und wissenschaftliche Hilfskräfte beschäftigt. Von der inhaltlichen Ausrichtung und Zielvorgabe her aber geht es um politische Anwendung im Sinne von Wirtschaftsförderung, und zwar um schnelle Anwendung, wie aus der idw-Mitteilung von 2005 hervor geht. Damit Ergebnisse der Studie schnell konkrete Projekte werden können, sind Partner wie das Nanotechnologie-Kompetenzzentrum „Ultradünne funktionale Schichten“ Dresden, das Säch-

 36 GLAUNER et al. 2006, 7. 37 Vgl. die oberste Regel zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der DFG: Denkschrift. Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“. Ergänzte Auflage. Bonn, Wiley 2013 [1998], 110 Seiten. 38 Das Nanotechnologie-Kompetenzzentrum Ultradünne funktionale Schichten, Dresden, das Sächsische Wirtschaftsministerium, die Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH, die Ostsächsische Sparkasse Dresden und IHK werden als Partner genannt, idw-online.de /de/news103621, acc. 160226.

306 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL sische Wirtschaftsministerium, die Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH, die Ostsächsische 39

Sparkasse Dresden und die IHK einbezogen.

Insofern gibt es eine (wohlwollend ausgedrückt) breiteste wissenschaftliche interdisziplinäre Autorschaft, in Form eines wissenschaftlichen Textes, zu dem es eine Art Forschungsauftrag gibt. Insgesamt ist die Regionalstudie in einem intransparenten wirtschaftspolitischen Kontext angesiedelt, sowohl, was die Beauftragung des Gutachtens als auch was die Zielsetzung als Veröffentlichung angeht. Forschungsergebnisse werden partiell bekanntgegeben, der Zweck der Veröffentlichung wird nicht transparent gemacht, und ist, vorsichtig formuliert, als eher forschungsfremd zu charakterisieren.40 Ob dies als seriöse wissenschaftliche Publikation angesehen werden kann oder nicht, kann ich nicht beurteilen. 2004, zwei Jahre zuvor, gibt es mit „Nanotechnologie als Wachstumsmarkt“ eine Vorgängerstudie, die doppelt so umfangreich ist und teilweise von denselben41 sowie weiteren Autoren verfasst wurde (ebenfalls ein Gutachten?). Falls es erlaubt ist, aus der Autor- auf die Leserschaft zu schließen, ist diese umfangreiche Studie stärker und vor allem offensichtlich im Bankensektor institutionell verankert (‚banklastig‘). Aus dem Innovationsteam Mikro- und Nanotechnologien INMT der Deutschen Bank waren drei Autoren namentlich beteiligt (die Abteilung, die Matthias Werner lange Jahre geleitet hat, bevor er sich mit dem NMTC Berlin selbständig machte); außerdem ein Professor sowie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule für Bankwirtschaft HfB Frankfurt, der heutigen Frankfurt School of Finance and Management FSFM42, seit 3.11.2004 im Status einer wissenschaftlichen Hochschule.43 Das dritte Kapitel der Regionalstudie, das sich mit dem „Status-Quo

 39 idw-online.de/de/news103621, acc. 160226. 40 Eine Aufarbeitung der Technologiefördermaximen für Deutschland in RADKAU 2008. 41 Zweck, Malanowski, Bachmann. LUTHER et al 2004 (ZT 53). 42 Thomas Heimer und Hermann Sanders. Heimer liefert für seinen Berufsstand (Stellungnahme 29.7.03 gegen Ehrenkodex bzw. Berufseid für Manager) eine eigenwillige Innovationsdefinition: „Das Recht setzt den Ordnungsrahmen, innerhalb dessen sich der Manager bewegen und seine Organisation ausrichten darf. Dass hierzu auch die bewusste, begrenzte Regelverletzung – [...] Innovation genannt – gehört, ist längst eine Selbstverständlichkeit.“ handelsblatt.com/unternehmen/management/strategie/prof-dr-thomas-hei mer-ist-geschaeftsfuehrender-dekan-der-hochschule-fuer-bankwirtschaft-in-frankfurt-mai n-thomas-heimer-der-markt-ist-das-effizientere-instrument/2261988.html, acc. 160226. 43 Die Gründung der Frankfurter HfB, heute Frankfurt School of Finance and Management, befördert einen Diskurs der „Anwendungsorientierung“ von Wissenschaft, darauf kann hier nicht weiter eingegangen werden. „Um den privaten Hochschulgedanken zu fördern, ist die HfB Gründungsmitglied im Verband der Privaten Hochschulen e.V. Ihr Träger ist

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und Trends in der Nanotechnologie“ beschäftigt und die Definitionsfrage der Nanotechnologie behandelt, wird fast vollständig dieser banklastigen Studie entnommen. Parallel wird 2006 in der ZT-Reihe eine Riege von fünf ähnlich anwendungsbezogenen Publikationen zum Thema Nanotechnologie44 publiziert, so dass die Regionalstudie als Teil einer wissenschaftspolitischen Publikationsformation oder eines Studien-Verbundes der ZT-Reihe erscheint. Dazu gehören zwei Schriften, die auf der ZTC/IBB-Website als Publikationen verzeichnet werden, deren Autoren allerdings nicht an einer der beiden genannten Studien beteiligt sind, sondern außerhalb der VDI TZ GmbH veröffentlichen. Diese Neben-Publikationen seien erwähnt, weil sie zeigen, dass das Thema Nanotechnologie 2006 vom ZTC/IBB im Verbund mit zwei Zeitschriftenartikeln in Kapitalmarktmagazinen angeboten wird.45 Die genannten Studien, die im mehr oder weniger engen Rahmen der Politikberatung und Unternehmensberatung angefertigt werden, werden von einer Reihe von Power-Point-Vorträgen begleitet, die in der Regel nicht zugänglich sind, da sie in internen Meetings entsprechenden Auftraggebern und Entscheidern vorgetragen werden. Allerdings stehen zwei PPT-Vorträge in indirektem bzw. in direktem Zusammenhang mit der Regionalstudie, zum einen „Nanotechnologie-Standort Bremen – Ausgangslage und Perspektiven“, am 16.11.06 von Christoph Glauner in der Auftaktveranstaltung zum Ideenwettbewerb „Innovation durch Nanotechnologie im

 die Bankakademie e. V., in deren Aufsichtsrat die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, die Commerzbank, die Bayerische Hypo- und Vereinsbank, die ING-BHF-BANK sowie der Bundesverband deutscher Banken vertreten sind.“, 21.10.04 idw-online.de/pages/de/news 87713. „Die HfB [...] finanziert sich überwiegend über Studiengebühren. Ihre Studiengänge sind staatlich anerkannt und von der FIBAA akkreditiert. Weltweit kooperiert sie mit 17 Business Schools und [...] Unternehmen der Finanzwirtschaft.“ bankazubi.de/wis senspool/artikel.php?opid=1&fachgebietid=9&katid=39&artikelid=245. HfB bzw. FSFM (deren Logo ein doppelt durchgestrichenes kleines f ist) blickt auf eine 50jährige Geschichte zurück. frankfurt-school.de/content/de/who_we_are/history.html, alle 160226. 44 Neben Band 60 sind es 59, 62, 63 und 65 der ZT-Reihe. Studie 61 beschäftigt die „Regionale Vorausschau in ostdeutschen Grenzregionen“. 45 WAGNER, Volker (2006): Nanomedizin – The New Kid on the Block. In: Going Public Magazin. Sonderausgabe Biotechnologie 2006. Going Public Media AG, 104 – 105 und TEICHERT, Olav (2006): Nanotechnologie in der Sicherheitstechnik – Neue Einsatzund Marktpotenziale. In: VentureCapital Magazin. Sonderausgabe Tech-Guide 2006. Going Public Media AG, 80 – 81. Beide Magazine verlegt im 1998 gegründeten Verlag Going Public Media AG, produziert laut Eigeninformation als „führende[r] ZeitschriftenFachverlag in Deutschland rund um Unternehmensfinanzierung, Technologie und Investment/Börse” jährlich etwa 100 Zeitschriftenausgaben, Newsletter und Bücher, vcmagazin.de/team-kontakt/, acc. 160217.

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Land Bremen“46, zum anderen der öffentliche PPT-Vortrag von Axel Zweck „Technologien der Zukunft – Bewerten und Erkennen“ am 21.10.02 (einen Monat nach den Ereignissen von Prey...) in der Ringvorlesung „Zukunftsforschung heute“ an der Freien Universität Berlin, in dem sich ein Vorläufer von Abb. 10 der Regionalstudie findet.47 „Regionalstudie: Nanotechnologie in Dresden / Sachsen“ Der Text trägt in der deutschen Ausgabe einen simplen und neutralen Titel, der wie ein semantischer Monolith hermetisch abgeschlossen gegenüber einer semantischen Analyse erscheint. Der nicht-metaphorische Titel impliziert sowohl, dass Nanotechnologie existiert, als auch, dass sie eine einheitliche Technologie ist. Definitionsfragen stehen weder bezüglich des Raumes noch bezüglich der Technik zur Disposition, ihm zufolge kann und muss man Nanotechnologie als einheitliches Phänomen und als Technik bzw. Technologie verstehen. Dieser Evidenzstatus liegt daran, dass eine (fraglose) Technologie in einem (fraglosen) Territorium verortet wird. Formal unterteilt in Unter- bzw. Übertitel mit Genrezuordnung sowie einen Haupttitel, der den Gegenstand benennt, wird zugleich mit dem Textgenre Regionalstudie der eigentliche Gegenstand benannt: „Nanotechnologie in Dresden / Sachsen“. Die Genrebezeichnung „Studie“ suggeriert, dass es um eine wissenschaftliche Untersuchung geht, wobei das Adjektiv „wissenschaftlich“ elliptisch ausgelassen oder verschliffen wird. Nach Link müsste die semantische Struktur des Titels emblematisch sein, wenn es sich um einen wissenschaftlichen Text handelte (Kap. I.4): das, was durch die Titelbegriffe semantisch aufgerufen wird, muss voll explizierbar sein und demselben Praxisbereich angehören. Im Folgenden werde ich das aufgerufene, komplexe Aussagegefüge rekonstruieren, indem ich die Aussagefunktion des Titels, also zu sagen, worum es in der Studie geht, ernst nehme. Der vermeintlich deskriptiv-emblematische Titel beinhaltet ein Programm bzw. eine Forderung, deren dreifaltigen Sinn man übersetzen könnte als: a) Es soll Nanotechnologie in Dresden/Sachsen geben und sie soll dort eine Bedeutung haben. b) Was wäre zu

 46 Die PPT-Folien von 2006 zugänglich unter wfb-bremen.de/de/wfb-publikationen, zuletzt acc. 130110, wurden durch die ZT-Veröffentlichung als PDF-Dokument ersetzt, wfbbremen.de/sixcms/media.php/49/band-73-nanotechnologie-bremen.pdf, acc. 160226, zugleich GLAUNER et al 2008: „Innovation durch Nanotechnologie im Land Bremen“, als Nr. 73 der ZT–Reihe. Der Ideenwettbewerb hat denselben Namen wie die Studie 2008. 47 Folie 41 zeigt den Vorläufer von Abb. 10 der Regionalstudie, weitgehend übereinstimmend, englisch beschriftet. Axel Zwecks Vortrag 21.10.02 in der Ringvorlesung „Zukunftsforschung heute“, WS 02/03, FU Berlin, PPT-Folien über den Uni-Server institutfutur.de/_service/download/RV_Zweck_Technologien.pdf, acc. 160226.

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tun, wenn Nanotechnologie in Dresden/Sachsen eine Bedeutung hätte? c) Was müssen wir tun, damit Nanotechnologie in Dresden/Sachsen weiterhin Bedeutung hat? Diese Aussagen stehen einerseits an verschiedenen Stellen der Studie. Andererseits versteckt sich die Dreifaltigkeit als Teil der Titelaussage hinter der simplen Aussage „es gibt die Nanotechnologie“. Dass eine Technologie einfach in einem (fraglosen) geographischen Raum sozusagen territorial verortet wird, ist bei näherer Hinsicht nicht evident. Es gibt zwar die Genrebezeichnung „(wissenschaftliche) Regionalstudie“, aber es ist mindestens zweideutig, worum es bei der Untersuchung der geographischen Region, genauer der Stadt Dresden im Bundesland Sachsen, geht. „Dresden“ und „Sachsen“ kann man als Orte bzw. Räume in einem materiellen Sinn betreten, das heißt territorial besuchen und erkunden. Die Titelformulierung verortet, so scheint es, eine evidente Technik in einer evidenten Region, eine raumsemantische Interpretation, die vom Text gestützt wird, wenn vom „Standort“ bzw. vom „Nanotechnologie-Standort [...] Dresden / Sachsen“ (145) die Rede ist. Das Wort „Region“ ist aber nicht im Sinne einer touristisch-territorialen Laiensichtweise auf Land und Leute gemeint. Vielmehr handelt es sich bei „Region“ um einen Begriff, der ein bestimmtes disziplinäres Selbstverständnis einer wissenschaftlichen Disziplin (bzw. eines Teilgebietes) der Geographie beinhaltet. Wirtschafts- und Sozialgeographie beschäftigt ist sich als Wissenschaft mit wirtschaftlichen Strukturen, wissenschaftlichen Akteuren sowie politischen Einheiten. Mit der semantischen Kombination „Regionalstudie: Nanotechnologie in Dresden/Sachsen“ ist nicht gemeint, dass eine Technologie territorial in einer Stadt oder in einem Bundesland vorhanden oder zugegen ist; es wäre vielleicht sinnlos, über die bloße Anwesenheit oder Präsenz einer Technologie in einer Region ein Gutachten zu verfassen. Gemeint sind Firmen, Unternehmen und andere Akteure und Institutionen, die sich mit Nanotechnologie beschäftigen, die regionalpolitisch im Hinblick auf politische Ziele (in einer nicht näher bestimmten Mischung aus Landes- und Kommunalpolitik) und bezüglich ihrer Wirtschaftsbeziehungen und Entwicklungsmöglichkeiten perspektiviert werden. Für einen Nicht-Wirtschaftsgeographen ist die raumsemantische Dynamik des wissenschaftlichen Begriffs „Region“, die mit einer bestimmten Form und Logik von Forschungsfragen verbunden ist, fast unkenntlich verborgen unter einer alltagspraktischen und undynamischen, weil ästhetisch oder touristisch semantisierten Begrifflichkeit „Region“. Die getrennten Praxisbereiche Wirtschafts- und Sozialgeographie, touristisch motivierte Ausflüge, dauerhafte Lebensmittelpunktentscheidungen oder parteipolitische Organisationsfragen überlagern sich und konvergieren sprachlich in dem interdiskursiven Begriff „Region“, dessen „clare et distincte“ Emblematik scheitert – oder umgekehrt, extrem produktiv wird. Mit der Nennung einer territorialen Perspektive „Regionalstudie“ ruft der Titel zunächst einen geographischen (und nicht politischen) Raum auf, so dass man sowohl Dresden als auch Sachsen als (mit Hilfe der Geographie als Lehre von Ter-

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ritorien) bestimmbare Orte auf der Landkarte interpretieren kann. Die Assoziation einer wissenschaftsdisziplinär interesselosen, touristisch-territorialen Perspektive tritt aber zugunsten einer wirtschaftsgeographischen Perspektive zurück, die nicht von einer wirtschaftspolitischen trennbar ist und ursprünglich als Gutachten ausformuliert wird. Sachsen ist als (wirtschafts)politische Entität und Dresden als „wichtigster Wirtschaftsstandort in den östlichen Bundesländern“ (60) aufgerufen. Sowohl der Freistaat Sachsen als auch die Stadt Dresden werden im Hinblick auf Steuereinnahmen, Landespolitik und (mehr oder weniger vage) wirtschaftliche Zukunftsperspektiven analysiert. Als „Studie“ behauptet der Text, eine wissenschaftliche, d.h. objektive und externe Perspektive zu verfolgen, die für eine anonyme und öffentliche Leserschaft die landeseigene Wirtschaftspolitik und die Universitäten im Hinblick auf Nanotechnologie unter die Lupe nimmt. Die Semantik der Genrebezeichnung „Regionalstudie“ bleibt dabei unklar und schief in Bezug auf das, was unter dem Raum, der Region, verstanden werden soll und wird. Expliziert man, was der Titel bezeichnet, wird deutlich, dass unkenntlich gemacht wird, dass es um eine wirtschaftsgeographische Darstellung von Akteuren, Firmen und wirtschaftliche Bedeutung sowie um politische Zukunftsfragen geht, wenn das Wort „Nanotechnologie“ genannt wird. Es geht nicht um Technik als Technik, sondern um eine Agenda, die zunächst feststellt: wer betreibt Nanotechnologie, wer erforscht sie, wer produziert sie, wer verdient welches Geld damit. Insofern noch kein Geld damit verdient wird, wird gefragt, wie und wer Geld damit verdienen könnte. Dieses Fragen ‚rund‘ belässt die Nanotechnologie als Technik gewissermaßen in der Black Box. Eine weitere Unklarheit besteht zwischen dem Textgenre „Studie“ und dem Gutachten „Nanotechnologie in Dresden. Status-Quo-Analyse und Handlungsbedarf für die Entwicklung der Potenziale der Nanotechnologie als Wachstumskern für die Region Dresden/Sachsen“, das ein von der Stadt Dresden beauftragtes Projekt mit einer Laufzeit von Februar bis Oktober 2005 ist. Der sperrige Gutachtentitel trifft genau das, was der Titel der untersuchten Studie eigentlich meint. Ich möchte eine zweite Perspektive anbieten, warum es Sinn macht, den Titel bezüglich seiner Semantik zu problematisieren und hinsichtlich seiner Leistung zu befragen. Er stellt eine elliptische Formulierung dar und erbringt komplexe Aussage- und Konstitutionsleistungen in Bezug auf wissenschaftliche Kollektivsymbolik. Elliptisch ist er, weil er mit der Nennung einer Technik stattdessen oder zugleich eine große Anzahl von Akteuren wie zum Beispiel Universitäten und Unternehmen oder mittelständische Firmen verbindet, die sich mit Nanotechnologie beschäftigen. In der englischen Ausgabe kommt die Fokussierung auf Akteure durch den Terminus „Cluster“ zur Sprache: „Nanotechnology-Cluster in the Region Dresden / Saxony“. Dabei handelt es sich bei dem Terminus um einen fachsprachlichen Begriff aus der ökonomischen Theorie, bei dem verschiedenartige Akteure aus ökonomischer Perspektive auf einen (territorial bestimmbaren) Ort bezogen wer-

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den.48 Im deutschen Titel werden die Akteure in wissenschaftlich erkennbaren emblematischen Sinn nicht benannt, da die Bezeichnung „Studie“ vor allem auf die Tätigkeit eines forschenden Wissenschaftlers rekurriert. Die wirtschaftsgeographisch perspektivierten, eigentlich fokussierten Akteure werden elliptisch hinter der Genrebezeichnung „Regionalstudie“ versteckt, wo sie sich mit den Auftraggebern des Gutachtens gemeinsam tummeln, nur vermeintlich durch die Ortsbezeichnung „Dresden / Sachsen“ evident gemacht. Die Analyse zeigt die Titelformulierung als umfassende Ellipse, bei der Akteure, Institutionen und komplexe Zielsetzungen als eigentliche Relevanzgeber der Nanotechnologie unsichtbar (gemacht) werden. Die sachlich vorliegende Komplexität wird heruntergekocht auf die simple Relation „Technik im Raum“. Durch diese semantische Operation werden dem Begriff der Nanotechnologie im gleichen Atemzug Akteure, Institutionen und das wissenschaftliche Selbstverständnis einer bestimmten Art von ökonomischer Geographie genommen und unauslöschlich eingebrannt, so dass sich aus diesem Grund semantisch-diskursiv die Nanotechnologie (nur noch) als fokussierendes Kollektivsymbol begreifen lässt. Mit Metaphorik hat das nichts zu tun. Interessanterweise lässt sich die analysierte Semantik auf dem Titelbild als Pictura wiederfinden (Abb. 9.b). Der Ausschnitt zeigt über einer landschaftlich zu nennenden Stadtperspektive von Dresden – man sieht neben der Elbe nur Dächer von Häusern und Frauenkirche, der Blick geht sozusagen über Dresden hinweg in den nebligen Horizont Sachsens – im Himmel ein leuchtendes „nano“, das perspektivisch von links oben nach rechts unten zur Erde herabschwebt. Das himmlische „nano“ ist ikonographisch den Bildsimulationen raummanipulierter Atome nachempfunden, die mit Hilfe von Rasterkraftmikroskopen hergestellt werden, allerdings wurden bei dieser (viel zu exakten) rein computeranimierten Darstellung der besseren Lesbarkeit halber die horizontalen Buchstabenlinien jeweils mit doppelten Atomen geformt. Die Farbe des Schriftzuges ist in Anspielung auf die Kohlenstoffnanoröhrchen passenderweise graphitfarben, der direkte Hintergrund des Schriftzuges milchweiß. Der himmlische Nanohintergrund hat dieselbe atomförmige Struktur wie der Schriftzug selber, wobei die Struktur nach unten, das heißt zu den Dächern der Stadt hinunter, verblasst und in einen klaren Himmel übergeht. Es sieht aus, als würde der Schriftzug „nano“ von hinten von der Sonne angestrahlt, so dass er leuchtende Schatten auf seine Umgebung wirft und bildlich mit der Dresdenan-

 48 Die Studie beruft sich auf den Harvard-Ökonom Michael Porter: „Cluster [sind] räumliche Konzentrationen von miteinander verbundenen Unternehmen, spezialisierten Zulieferern und Dienstleistungsanbietern, Unternehmen in verwandten Branchen sowie institutionellen Einrichtungen (z.B. Universitäten, Standardisierungseinrichtungen, Handelsorganisationen). Räumliche Branchencluster sind [...] häufig selbstverstärkende Systeme“, GLAUNER et al. 2006, 8.

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sicht verbunden wird. Unterhalb der Bildmontage aus „nano“ und Dresden findet sich im unteren Bilddrittel ein gestelltes Laborfoto, das vor einem geschlossenen schwarzen Hintergrund drei verschiedene farbig leuchtende dünnschichttechnologische LED-Displays zeigt sowie rechts davon im Bildhintergrund einen männlichen Forscher, der in den Bildvordergrund zwischen seinen Forscherhänden einen gleichmäßig strukturierten, graphitfarbenen Block hält, den er begutachtet und gleichzeitig dem Betrachter präsentiert. Die mehrfach raumsemantisch überdeterminierte bildliche Symbolik zeigt Nanotechnologie als Kollektivsymbol, das einen geographischen und politischen Raum mit Forschung und Technik vereint. Dabei wird die Nanotechnologie vertreten durch das Wort „nano“, während Forschung als LED- und Dünnschichttechnologie (Quantumdots) vertreten ist, die den technologischen Untergrund und die arbeitgebende Basis (der Mann mit weißem Kittel) für einen geographischen Raum (Dresden / Sachsen) bildet. Man kann sogar sagen, dass Nanotechnologie die „Region“ beseelt, messianisch schwebt sie nach Dresden und bietet Arbeitsplätze im Labor oder der Industrie. Dass diese Kreation das ist, was die Abteilung „Zukünftige Technologien Consulting“ (jetzt IBB) hervorbringt, ist zugleich offensichtlich und verborgen: Man kann den Namen der Beratungsabteilung als Überschrift des Dresden-Nano-Labor-Bildes ansehen oder übersehen. Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie Die Wissenschaftsdisziplinen lassen sich in drei Aspekten zur Sprache bringen. (1) Erstens gehören die Verfasser verschiedenen Fachdisziplinen an, aus deren Perspektive sie über Nanotechnologie schreiben. (2) Zweitens werden Nanotechnologie bestimmte wissenschaftliche Disziplinen zugeordnet. Die Regionalstudie verfolgt eine bestimmte Begriffsstrategie, in der die Wirtschaftsgeographie, die Volkswirtschaftslehre sowie die Finanzwissenschaften und auch die Soziologie, die gemeinhin nicht genuin mit der Nanotechnologie in Verbindung gebracht wird, eine besondere Rolle einnehmen. Drittens (3) haben die die Nanotechnologie betreibenden Wissenschaften zueinander ein bestimmtes Verhältnis. Mit der Problematik der Definitionsfrage schließt das Kapitel. Zu (1). Die Studie geht auf umfassend in verschiedenen Fakultäten wissenschaftlich ausgebildete Autoren zurück, deren wissenschaftliche Heimatdisziplinen aus dem redaktionellen Teil nicht hervorgehen. Lediglich Sebastian Henn wird 2006 am Institut für Geographie der Universität Halle-Wittenberg in Halle (Saale) verortet49, er forscht und arbeitet seit 2012 am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig im Forschungsbereich „Raumproduktionen im Verhältnis von Polarisierung

 49 Das Institut heißt seit 2006 Institut für Geowissenschaften und Geographie.

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und Peripherisierung“, seit 2015 als „Senior Research Affiliate“, mittlerweile als Professor in Jena.50 Glauner, Malanowski, Bachmann sowie Zweck tragen als Berufsbezeichnung „Technologieberater“ der Abteilung Zukünftige Technologien Consulting des VDI Technologiezentrums GmbH und sind (bis auf Glauner) Autoren der genannten finanz- und banklastigen Studie von 2004. Bachmann ist bis mindestens 2013 bei der ZTC tätig, arbeitet dort seit 1991 und ist Physiker (Mitarbeiterberufsbezeichnung).51 Axel Zweck als alter und neuer Leiter des ZTC / IBB ist doppelpromoviert in Chemie sowie Soziologie, er wurde 2011 zum Honorarprofessor für Soziologie an der RWTH Aachen berufen. Malanowski hält im WS 2011/12 an der Universität Witten-Herdecke ein Seminar am Lehrstuhl Politikwissenschaft zum Thema Lobbyismus in Deutschland.52 Der 2009 zum Dr. phil. pro-

 50 Dort hält er am 22.03.05 den Kolloquiumsvortrag „Die Entstehung von High-TechClustern am Beispiel der Nanotechnologie“, exakt in der Begutachtungsphase für das Dresden / Sachsen Projekt. Die Dissertation zum Dr. rer. nat. „Cluster in der Nanotechnologie. Entstehung, Entwicklung, Handlungsempfehlungen“ wird 2006 an der Universität Halle-Wittenberg angenommen, Habilitation 2014: „Transnationale Unternehmer und wissensbasierte Regionalentwicklung. Eine Untersuchung am Beispiel des Diamantsektors“. Seit 2014 hält Henn den W3 Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie am Institut für Geographie der Friedrich Schiller Universität in Jena, Forschungsschwerpunkte sind urbane Ökonomien und Quartiersentwicklung, wissensbasierte Regionalentwicklung, globale Unternehmensverflechtungen und räumliche Entwicklungsdynamiken, geographische Immobilienmarktforschung mit dem strategischen Kooperationspartner Savills Immobilien-Beratungs GmbH, Berlin. geographie.uni-jena.de/Henn.html, acc. 160227. 51 Die Umarbeitung der Website des ZTC zum IBB macht eine Recherche der Mitarbeiter unmöglich. Bachmann war Jurymitglied des Nanokurzfilmfestivals nanospots, das zum ersten Mal 2012 in Halle (Saale) stattfand und nach dreijährigem Bestehen 2015 umgewandelt wurde zum „Foresight Filmfestival. Science meets Vision“. nanospots.de/blog/ jury/dr-gerd-bachmann/, acc. 130116. Das Festival versammelt Wissenschaftler, Journalisten und Künstler, gefördert vom BMBF, Fraunhofer ISI und weiteren Institutionen, geleitet von der Martin-Luther Universität Halle. Foresight-filmfestival.de/ueber-uns/ Es kann vor dem sogenannten strategischen „Foresight“-Prozess der Bundesregierung, jeweils einen Zeitraum von 15 Jahren umfassend, zuletzt 2012 gestartet, verstanden werden, bmbf.de/de/mit-foresight-in-die-zukunft-schauen-930.html, acc. 160227, ergänzt um den undiskutierten Hinweis auf das 1985-86 von Eric Drexler und seiner Exfrau Christine Peterson gegründete einflussreiche Foresight-Institut. 52 Malanowski wird 2013 als Mitarbeiter des ZTC geführt, 2001 ist sein Aufgabenbereich „Teamkoordinator für Innovations- und Technikanalyse (ITA) und Arbeitsforschung, Abteilung Zukünftige Technologien“, vgl. Töpsch, Karin / Menez, Raphael / Malanowski, Norbert (2001): Ist Wissensarbeit regulierbar? Arbeitsregulation und Arbeitsbeziehungen

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movierte Christoph Glauner ist seit 2009 im „Inhouse Consulting der Deutsche Post World Net“, zu seiner disziplinären Herkunft zählen die Fächer Geographie, Politikwissenschaften und Soziologie.53 Der 1994 promovierte Matthias Werner wird als Mitglied einer Einrichtung namens „NMTC, Berlin“ aufgeführt, wobei nicht klar ist, dass es sich um seine eigene privatwirtschaftliche Beratungsfirma handelt, die sich mit „Nano- und Mikrotechnologie Consulting / Business Information and Consulting“ beschäftigt.54 Der promovierte Elektrotechniker Werner leitete ab 1998 mehrere Jahre als beratender „Techno-Späher“ das auf Mikrotechnologien spezialisierte Investment-Team der Deutschen Bank.55

 am Beispiel der IT-Branche. Praxisbericht. In: Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management. Jg. 8, Nr. 3, 306-332, hier 306. Im Wintersemester 2011/12 gibt er an der Universität Witten-Herdecke am Lehrstuhl Politikwissenschaft das Seminar „Verändertes Lobbying? Ein deutsches Phänomen“. In der Seminarankündigung heißt es: „Unter Lobbying werden in der Regel informelle Versuche von Interessengruppenvertretern verstanden, auf Akteure des politischen Entscheidungsprozesses einzuwirken, um Politikergebnisse in ihrem Sinne zu erreichen. In Deutschland genießt Lobbying nicht immer den besten Ruf, u. a. aufgrund öffentlich gewordener enger Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik. Mitunter kann Lobbying sogar illegale Formen hin zur politischen Korruption annehmen.“ Inwieweit sich die „Studie“ als Lobbypublikation ansehen lässt, kann in diesem Rahmen nicht diskutiert werden. 53 Die Dissertation „Creative Cluster in Global Cities. Die räumliche Standortstruktur der Werbebranche in Deutschland“ wurde 2009 im Südwestdeutschen Verlag für Hochschulschriften SVH veröffentlicht. 54 Nmtc.eu/html/impressum.html, acc. 160227. 55 „Techno-Späher für die Banker“ in Bild der Wissenschaft von 11/2003, S. 94, bild-derwissenschaft.de/bdw/bdwlive/heftarchiv/index2.php?object_id=10096108, acc. 160227. „Unsere Hauptauftraggeber [...] [die Deutsche Bank], für die wir [...] Technologie dolmetschen. Unsere Gutachten für die Bank sind dazu da, Technologien und Märkte qualifiziert einzuschätzen. Extern arbeiten wir beispielsweise für das Bundsforschungsministerium. Besonders stolz sind wir auf ein EU-Forschungsprojekt, bei dem es um Hochtemperaturelektronik geht. [...] Ziel dieses Projekts ist es, die Zuverlässigkeit von elektronischen Bauelementen bei hoher Umgebungstemperatur zu steigern. [...] Wirklich harte Kriterien, um solche Arbeiten zu beurteilen, gibt es nicht. Wenn andere Studien zu einem ähnlichen Ergebnis kommen wie die eigene, offenbart das sicherlich, dass man so falsch nicht liegt. Je weiter entfernt die zu umschreibende künftige Entwicklung aber ist, desto mehr Kaffeesatzleserei ist dabei. Da helfen Experten nicht weiter, weil auch sie nur spekulieren können. [...] Äußerungen über das Weltmarktvolumen [...] mit Umsätzen von einer Billion US-Dollar im Jahr 2015 [sind] nicht viel wert.”

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Die Wirtschaftsgeographie hat einen ausgewiesenen methodischen und personellen Anteil an der Erstellung. Die Dissertation von Henn heißt „Cluster in der Nanotechnologie: Entstehung, Eigenschaften, Handlungsempfehlungen“, mit dieser Arbeit wurde er 2006 mit der Note „Sehr gut“ an der Universität Halle-Wittenberg in Halle (Saale) promoviert, wo er von 2001 bis 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geowissenschaften und Geographie in der Fachgruppe Wirtschaftsgeographie tätig war. Dissertation und Regionalstudie sind inhaltlich eng aufeinander bezogen, die Methodik einer Clusteranalyse wird in der Dissertation ausführlich diskutiert. Der personelle Anteil der Soziologie ergibt sich hauptsächlich über den Projektleiter der Studie, den Leiter des damaligen ZTC und heutigen IBB, Axel Zweck. Er wurde 2011 als Honorarprofessor für das Lehrgebiet Allgemeine Soziologie an der RWTH Aachen berufen. Im Sommersemester 2012 gab es ein Seminar zur „Soziologie der Science Fiction“, es beschäftigte sich mit der „Frage der Geeignetheit literarischer Entwürfe als assoziatives Prognoseinstrument im Rahmen der Zukunftsforschung“ und konnte als prüfungsrelevantes Hauptseminar sowohl dem Modul Mikro- als auch Makro- sowie der Techniksoziologie zugeordnet werden.56 Zwecks kreativer Ansatz im Umgang mit Technologien wird 2013 im Magazin Wissenschaftsmanagement pointiert zusammengefasst. Es gibt letztendlich keine Technologie, die nicht auch Folgen bzw. Wirkungen für die Gesellschaft hat, und genauso kann man auch zu gesellschaftlichen Problem- bzw. Bedarfslagen, die zunächst keinen Technikbezug zu haben scheinen, gemeinhin einen solchen konstruieren.

57

Da die Metawissenschaft Soziologie nicht explizit vorkommt, wird sie auch nicht hinsichtlich ihrer Implikationen reflektiert, was entsprechend für die Volkswirtschaftslehre bzw. die Finanzwissenschaften gilt, die keinem der Autoren direkt als Heimatdisziplin zugeordnet werden58 können, aber als personal und methodisch un-

 56 soziologie.rwth-aachen.de/aw/cms/website/zielgruppen/allgemeine_soziologie/mitarbeite r/Mitarbeiter_Allg_Soziologie/Ablagestruktur/~udp/axel-zweck/?lang=de, acc. 160227. 57 Im Magazin „Wissenschaftsmanagement“ erscheint 2013 ein Artikel über die ITA-Kurzstudie zu „Monitoring in der Innovations- und Technikanalyse. Konzept und Nutzen für die Praxis“, Autoren: Axel Zweck und Norbert Malanowski (Zweck et. al. 2004), die als relevant und aktuell für den derzeitigen Umgang mit Technikentwicklung und -bewertung vorgestellt wird, weil mit „Hilfe der Innovations- und Technikanalyse [...] Chancen und Risiken der Forschung sichtbar“ werden. wissenschaftsmanagement 1/2013, 41-45, Zitat Seite 43, Artikel auch digital. 58 Henn studierte in Heidelberg von 1997-99 zwei Jahre Volkswirtschaftslehre und Geographie, und wechselte zum Parallelstudium von Betriebswirtschaftslehre und Geographie.

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ausgewiesene wissenschaftliche Perspektiven immer wieder zum Tragen kommen. Die Volkswirtschaft übernimmt als ökonomische Wissensdisziplin die perspektivierende Aufgabe, Interdisziplinarität strukturell einzufordern. Bei der Beförderung der Nanotechnologie ist es primär notwendig, durch interdisziplinäre Ansätze in Forschung und Entwicklung das nanotechnologische Know-how zu erweitern, indem die vorhandenen wissenschaftlichen Ressourcen gebündelt werden. Danach ist die anwendungsorienterte Umsetzung dieses Wissens in marktfähige Produkte eine unumgängliche Aufabe in einer hochentwickelten Volkswirtschaft. (29)

Allerdings liefern Volkswirtschaftlehre oder Ökonomie weder eine Methodik noch eine mögliche Theorie dafür, wie die Interdisziplinarität aussehen und wie sich der Übergang vom Wissen zum Tun, also zur Anwendung, gestalten soll. Formal kann man von einer Interdisziplinarität des Textes sprechen und vielleicht sogar sagen, dass die Perspektivierung über die gewählte Perspektive „Clusteranalyse“ in einem ökonomietheoretischen Korsett steckt. Dieses Korsett bleibt im Hinblick auf die Wissenschaften und ihr interdisziplinäres Verhältnis zueinander aber nichtssagend, da es bei einer formalen, metaperspektivischen Forderung nach Interdisziplinarität bleibt, bei der als Nebeneffekt sämtliche raumsemantischen Effekte der jeweiligen Begrifflichkeiten ungezügelt, man könnte auch sagen ‚kreativ‘, freigesetzt werden. Insofern erscheint die zitierte Forderung nach der Interdisziplinarität der Nanotechnologie gleichzeitig als hohl und extrem produktiv. Zwar erscheint die Kooperation der Autoren mindestens als unreflektiert, aber ob diese unreflektierte Interdisziplinarität mit einem anderen Korsett als aus der Ökonomie reflektierter werden würde, kann ich nicht beurteilen. Raumsemantische Überdetermination scheint bei Interdisziplinarität unausweichlich. Zu (2). In Bezug auf die beteiligten Wissenschaften verfolgt die Studie ausdrücklich eine „breite Definition“ von Nanotechnologie59, die Frage nach der materiell-räumlichen Qualität der Technologie bleibt offen. Was wie wo eigentlich nanotechnologisch kontrolliert oder getan wird, wird nicht und kann nicht gesagt werden, sondern unter Rückgriff auf einzelne Beispiele demonstriert. Dem ökonomischen Theorie-Ansatz folgend geht es um „Cluster“, die sich um diese „Technologie“ wie um einen „Wachstumskern“ entwickeln, die Worte tauchen als Schlüsselbegriffe der Studie mehrfach auf. Insofern geht es nicht um Wissenschaft(en) und ihr mögliches Verhältnis zueinander, sondern um eine „zukunftsweisende Technologie“ (46) bzw. „eine der wichtigsten Zukunftstechnologien“ (7). Dabei lässt die Studie offen, ob die Nanotechnologie eine Technik oder eine wissenschaftliche Methode ist. Nanotechnologie

 59 GLAUNER et al 2006, 7.

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beschreibt [...] eine neue interdisziplinäre [...] Herangehensweise für [...] Fortschritte in der Elektronik, Optik, Biotechnologie und bei neuen Materialien. Nanotechnologie beschreibt die Herstellung, Untersuchung und Anwendung von Strukturen, molekularen Materialien, inneren Grenz- und Oberflächen mit mindestens einer kritischen Dimension oder mit Fertigungstoleranzen (typischerweise) unterhalb 100 Nanometer. (7)

Damit verbunden ist die Unklarheit, welche Wissenschaften Nanotechnologie betreiben, die als „noch [...] sehr junge Technologie“ (10) bezeichnet wird. Nanotechnologie als „neue interdisziplinäre Herangehensweise“ benennt wissenschaftliche Entwicklungen in Anwendungsbereichen wie beispielsweise Elektronik, Optik, Biotechnologie, neue Materialien, die nicht wissenschaftsdisziplinär verortet sind. Die Entwicklungen, als „Innovationen“ semantisch an „Fortschritt“ gebunden, werden nicht von genialen Erfindern und bestimmten Wissenschaftsdisziplinen erarbeitet, sondern erfolgen dem „Cluster“-Ansatz zufolge in „Innovationsnetzwerke[n], [die] für den Fortschritt sorgen“ (52). Nanotechnologie ist etwas, bei dem Etwas wissenschaftlich (oder etwas Wissenschaftliches) getan wird, zum Beispiel wird Krebs therapiert (139) oder „Nanotechnologieaktivitäten mit [...] Mikroelektronikaktivitäten [...] verbunden“ (138, Fußnote 13) verknüpft mit etwas, das Innovation und „Fortschritt“ (52) heißt. Die die Nanotechnologie beheimatenden Wissenschaften geraten durch die „breite Definition“ graduell aus dem Blick, wobei ein exponiertes Stadium des Verschwindens der Herkunftswissenschaften der Nanotechnologie erreicht ist, wenn sie selbst zur „Zukunftswissenschaft“ erklärt wird. Es scheint nicht nur eine, sondern mehrere „thematisch [...] komplexe Zukunftswissenschaften wie [die] Nanotechnologie“ (140) zu geben, Nanotechnologie ist als Technologie (passend zur Materialwissenschaft in Fallstudie II.3?) eine von mehreren Zukunftswissenschaften. Folgt man der Studie, fallen Technologie und Wissenschaft begrifflich ineinander. An anderer Stelle wird Nanotechnologie als „wissensintensive Industrie“ (52) bezeichnet, ein Ausdruck, der semantisch mit Wissenschaftsdisziplinen nur noch mittelbar und in allgemeiner Weise zu tun hat. Neben einem Verschwinden einzelner Disziplinen ist damit die gegenläufige Tendenz der „breiten Definition“ genannt. Es handelt sich (per se) um viele beteiligte Wissenschaften, die in allgemeiner Weise adressiert werden. Dies manifestiert sich in unscharfen Formulierungen, die Nanotechnologie wissenschaftsräumlich semantisieren, vor allem mit den Worten „Bereich“ oder „Gebiet“. Wissenschaften werden nicht explizit genannt, aber implizit mitgemeint (Hervorhebungen von mir, FN). [Forschungen auf dem] Gebiet der Nanotechnologie (42, 43, 140) Bereich(e) [der] Nanotechnologie (138, 145) Forschungsschwerpunkte [...] in den Bereichen Nanomaterialien [...], Nanobiotechnologie [...], Nanoelektronik (9)

318 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Forschung ist in den Nanobereich vorgedrungen (46) industrieverbundene akademische Forschung im Bereich Materialherstellung und -technologie (142) wissenschaftliche Exzellenz im Bereich Molekulare Biotechnologie (145) Forschungslandschaft (7) Erschließung des Nanokosmos (42) Technologiefeld (42), Zukunftsfeld (45) wissenschaftliche Domänen der Nanotechnologie (44)

Die inflationäre Verwendung des Wortes „Bereich“ kennzeichnet die sprachliche Situierung der Studie60, eine unkonkrete Räumlichkeitssemantik wird in semantisch vielfältigen Kontexten eingesetzt. Wissenschaftsdisziplinen und ihre Forschungstätigkeiten verschwinden hinter der begrifflichen Gleichsetzung von Technologie und Wissenschaft. Andererseits geht es dennoch um mehrere Wissenschaften (zur Frage einer Differenzierung gleich mehr), die neben einer Verräumlichung als „Gebiet“ oder „Bereich“ zusätzlich eine Nationalisierung erfahren. Die Verräumlichung besteht in einer Regionalisierung im Hinblick auf Dresden / Sachsen und im Hinblick auf einzelne Nationen wie Deutschland, Japan, USA, sowie auf Wirtschaftsverbünde wie die Europäische Union.61 Es kommt zu allgemeinen Aussagen, die die Wissenschaft mindestens mit einer doppelten Raumsemantik („-bereich“, „Deutschland“, „Hansestadt“) überzieht, die unkonkret bleibt: „In vielen Teilbereichen der Nanotechnologie besitzt Deutschland noch einen Wissensvorsprung“ (41) heißt es, oder es kommen „die in der Hansestadt im Bereich der Nanotechnologie vorhandenen Kenntnisse“ (64) zur Sprache. Gleichzeitig finden sich drei konkrete Wissenschaften als Großordnungsdisziplinen der Nanotechnologie, in einer theoretisch-abstrakten, allgemeinen Weise vor allem im dritten Kapitel, das fast vollständig aus der finanzwirtschaftlichen Studie von 2004 übernommen wurde, inklusive der vom VDI TZ erstellten Abbildung 10, die die drei als Quelldisziplinen für „Anwendungen der Nanotechnologie“ in einem komplexen thematisch-metrisch-historischen Koordinatensystem verortet. Abbildung 10 stammt mindestens von 1998.62 In einer raumzeitlichen Darstellung werden

 60 Das Suchprogramm für digitale PDF-Dokumente liefert bei knapp 140 Seiten insgesamt 315 Treffer für das Wort „Bereich“, was bei Abzug von Abbildungen, Leerseiten und ähnlichem auf etwa drei Treffer pro Seite hinausläuft. 61 Philippe Busquin, ehemaliger Forschungskommissar der EU, bescheinigt Deutschland, dass es „bei den nanotechnologischen Innovationen die Wachstums-Lokomotive in der EU“ ist, GLAUNER et al 2006, 44f. 62 Bereits in LUTHER et al 2004, 17 sowie BMBF 2004, 8. Eine nahezu identische Abbildung unter der Überschrift „Nanotechnologie als interdisziplinäres Forschungsfeld“ in

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drei Einzelwissenschaften (technische) Physik, Biologie und Chemie auf der vertikalen Achse drei verschiedene Strukturgrößen „makro, mikro, nano“ zugeordnet. Damit soll angegeben sein, in welchem skalierbaren Objektbereich die Wissenschaften tätig sind, wobei eine Skala samt Messwerten bemerkenswerterweise fehlt.

Abb. 10: „Generelle Entwicklungstendenzen und Bezug zur Nanotechnologie“, Glauner et al 2006, 28, Bildunterschrift (vgl. Fußnote 62).

Die horizontale Achse beginnt als lineare Zeitschiene im Jahr 1940 und läuft bis 2060, wobei „heute“ um 2000 herum in der Mitte liegt. In den 1940er Jahren ist die Chemie die einzige Wissenschaft im Bereich „nano“, die Biologie befindet sich noch im „Mikrobereich“, die (technische) Physik besetzt den Makrobereich. Durch mehrere im Zeitverlauf abfallende Kurvenverläufe unterstützt gibt es eine an dieser Darstellung ablesbare historische Entwicklung, bei der sich einzelne Fachgebiete dieser Großordnungswissenschaftsdisziplinen hin(unter-)entwickeln zu einem Größenbereich „nano“, so zum Beispiel das funktionale Moleküldesign der Biologie ab Mitte der 1960er Jahre. Diese Entwicklungen münden in einen abgrenzbaren, run-

 der Dissertation von HENN 2006, 99. Dort steht „Physik“ statt „Technische Physik“, auf der y-Achse sind zusätzlich drei Größen eingetragen: 0,1 mm markiert die Trennlinie Mikro-Makro, 0,1 „?m“ (sic!) markiert die Trennlinie Mikro-Nano, 0,1 nm ist der niedrigste Wert. Henn verweist als Quelle auf BACHMANN 1998, 7 (Zukünftige Technologien 28), was in der Dresdner Studie nicht passiert. Eventuell wurde die Abbildung vor 1998 angefertigt. Die Dissertation von MACLURCAN 2010, 4 zeigt eine englisch beschriftete Version und verweist auf BACHMANN 2000, 75, als Teil einer EU-Publikation.

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den Kreis von Anwendungen der Nanotechnologie. Ein Kreisflächenbereich nanotechnologischer Anwendungen erstreckt sich von Mitte der neunziger Jahre bis in das Jahr 2020 und zählt Elektronikgeräte, Photonikelemente, Sensoren und Biochips auf, wobei diese Aufzählung durch die drei Punkte „...“ wie auf der afrikanischen Website als offene Aufzählung im Sinne von Nicht-Vollständigkeit und Unabgeschlossenheit charakterisiert wird. Die Materialwissenschaften gibt es in dieser Darstellung nicht, wohl aber das Stichwort „Materiales Design“, das der Fachdisziplin Physik zugeordnet und von 1960 bis 1980 (noch?) im Mikro-Strukturgrößenbereich angesiedelt wird. Die drei Wissenschaften Physik, Biologie und Chemie werden auf dem linearen Zukunftszeitstrahl bis 2060 in einer nach rechts oben, wieder in den Makrobereich hinein wachsenden dreieckigen Fläche miteinander vereinigt, innerhalb derer es eine „Integrierte Nutzung von physikalischen Gesetzen, biologischen Prinzipien und chemischen Eigenschaften“ geben soll. Diese dreieckige Fläche erwächst aus dem vorhandenen Kreis nanotechnologischer Anwendungen, wobei die Gerade mit einer benennbaren Steigung steil nach rechts oben läuft, so dass die darunter liegende Fläche, gewissermaßen das Integral der ultimativen Interdisziplinarität, im Verlaufe der Jahre im Prinzip unendlich anwächst. Physik, Chemie und Biologie werden sowohl als die Quell- als auch als die Zukunftswissenschaften der nanotechnologischen Anwendungen dargestellt, wobei sie in der Zukunft eben gerade nicht mehr als einzelwissenschaftliche Disziplinen zum Tragen kommen sollen, sondern in einer nicht näher beschriebenen „Integrierten Nutzung“ ihrer Prinzipien (in der englischen Version der Abbildung wird dies mit „Integrated exploitation“ übersetzt). Sie beliefern als Einzelwissenschaften die als Raumskripte bezeichneten Raummuster der Nanotechnologie. Zusätzlich gibt es eine Reihe nanotechnologischer Einzelbeispiele, bei denen einzelne Wissenschaften, zum Beispiel die Medizin (12, 135, 139), die Materialwissenschaften (141), der Maschinenbau (12) sowie die Elektronik / Elektrotechnik (10, 135, 136) und die Informatik (10, 27)63 zur Sprache kommen. Allerdings werden sie nicht als Wissenschaften thematisiert, sondern geraten aufgrund der dominierenden ökonomischen Blickrichtung nur en passant als selbstverständliche semantische Folie ins Blickfeld. Die Beiläufigkeit entsteht dadurch, dass es eigentlich um die Betrachtung einer fiktiven semantischen Einheit, der sogenannten „Nano-

 63 Überwiegend geht es um den materialen Aspekt von Computern, um Bauteile wie Systemkomponenten und elektronische Hardware. Man kann mit etwas Phantasie auch die Informatik als notwendige Wissenschaft identifizieren: „Das Verständnis biologischer Prozesse wurde in jüngster Zeit auf zellulärer wie molekularer Ebene entscheidend ausgebaut. [...] Zukünftig gilt es, die zugrunde liegenden biologischen Prinzipien vertärkt auf technische Systeme zu übertragen.“ (27) (Mit Grüßen an Prey).

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technologie-Branche“ (42, 136) bzw. um den internationalen „NanotechnologieMarkt“ (139) geht. Diese fiktive Einheit wird aufgespalten in „Technologiefelder“ (12, 14, 37, 71, 145) samt zugehöriger „Branchen“ (8, 80, 85), wobei industrielle Branchen als relevante empirisch-semantische Distinktionseinheiten verstanden werden. Die Toxikologie als medizinisch, das heißt körper- und umweltrelevante Disziplin kommt nicht vor. Es gibt in der ganzen Studie eine einzige Erwähnung von „Toxizität“, in maximaler Distanz zur wissenschaftlichen Disziplin gelabelt als sozioökonomischer ,Show Stopper‘. Ein dynamisches Marktwachstum wird [...] bei neueren Nanomaterialien wie Kohlenstoffnanoröhren, Polymernanokompositen, Aerogelen, organischen Halbleitern und anorganischen Nanopartikeln erwartet, vorausgesetzt, dass ‚Show Stopper‘ technologischer (z. B. Probleme beim Upscalen von Herstellungsprozessen) oder sozioökonomischer Art (z. B. Toxizität von Nanomaterialien) keinen hemmenden Einfluss ausüben.

64

Es geht nicht um Wissenschaften, sondern um „Unternehmen, die Segmente mit nanotechnologischem Bezug bearbeiten“ (135) oder um „Nanoelektronik als derzeit bestimmende[n] Nanotechnologie-Zweig“ (135). Wird das Einzelbeispiel aufgerufen, dass „Tumore durch magnetische Nanopartikel gezielt zerstört werden“ (139) können, erscheint die Medizin wissenschaftssemantisch gleichzeitig als Anwendungs- und Forschungsbereich, der gerade nicht von der physikalischen Fakultät oder dem Institut für Biochemie erforscht wird. Zwar stellen Fakultäten und Wissenschaftsdisziplinen ihr technologisches Wissen in Bezug auf Geräte und in Bezug auf Zellmodelle bereit, das Spannungsverhältnis zwischen ihren Begrifflichkeiten und Erkenntnismodellen wird nicht thematisiert, es verschwindet im Sinne eines strikten Technologie-Verständnisses anwendungsbezogen beispielsweise im „Bereich der nanotechnologischen Krebsbekämpfung mit Methoden der Hyperthermie“ (139). Wissenschaften kommen nicht als solche zur Sprache, sondern (in einer semantisch-sachlichen Deformation?) als ökonomisch relevante Akteure65 oder als Zulieferer für außerwissenschaftliche ökonomisch relevante Akteure. Die Geographie erscheint auf der paratextuell-redaktionellen Metaebene, aber nicht als Teil der Disziplinen, die auf der Textebene66 als „Nanotechnologie-Diszi-

 64 GLAUNER et al 2006, 38. 65 Diese die Wissenschaften ausklammernde Sichtweise führt im Hinblick auf einen sogenannten morphologischen Vergleich der Städte Dresden und Hamburg zu einem Parameter „Fokussierung in der Nanotechnologie“, der folgendermaßen definiert ist: „Die Fokussierung in der Nanotechnologie beschreibt die Fähigkeit zur Schwerpunktbildung in der Nanotechnologie“. Glauner et al 2006, 137f, Fußnote 13. 66 Ich hätte fast Diegese geschrieben.

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plinen“ genannt sind. Das Kapitel über Wirtschaftscluster, das das Cluster-Konzept anhand eines einzigen Kapitels aus einem Handbuch der Wirtschaftsgeographie diskutiert, ist im Hinblick auf Wissenschaftsdisziplinen, die eine Technologie befördern, entwickeln oder beheimaten, wenig aussagekräftig. Im Clusterkonzept ist Wissenschaft einer von vielen möglichen „Input“-Faktoren, die für Unternehmen zur Verfügung stehen müssen.67 Cluster werden als selbstverstärkendes wirtschaftliches System angesehen (oder als das Versprechen darauf), das, wenn es als Konzept politisch klug angewendet wird, zum Nutzen der Volkswirtschaft funktioniert. Eine weitergehende methodische Reflektion auf das ökonomische Konzept erfolgt nicht, es wird nur kritisch bemerkt, es handele sich beim Clustering um einen Modebegriff (51f). Die Wirtschaftsgeographie hat zwar entscheidenden Anteil an der Erstellung der Studie, aber das methodische Kapitel, das der ökonomischen Theorie (oder vielleicht letztlich der Informatik?68) entstammt, liefert nur einen schwachen Versuch der Darstellung und Auseinandersetzung mit den Annahmen, auf denen die Studie beruht. Es liefert keine Reflexion, inwiefern die Wissenschaftsdisziplin selbst dazu beiträgt, Nanotechnologie als Objekt zu konstituieren.69 Zu (3). Das modellierte Verhältnis der Wissenschaften zueinander lässt sich auf zweifache Weise rekonstruieren. Das erste Modell leitet sich daraus ab, dass Nanotechnologie als diskursive Technologie behandelt wird: Technik kommt als „Thema“ zur Sprache. „Sowohl die zukunftsorientierten Firmen als auch die öffentliche Hand setzen erhebliche Mittel zur Stärkung des Themas und seiner Akteure ein.“ (43) Das „Thema“, nicht eine Technologie oder Wissenschaften, wird gefördert, es wird von verschiedenen Akteuren nicht nur diskutiert, sondern – „Akteur“ – in Aktivitäten ausagiert. Die semantische Großfolie der ökonomischen Perspektive ist die des Theaters. „Nanotechnologie-Aktivitäten“ (136, 138) der sächsischen Akteure werden aus (volks-)wirtschaftlicher Perspektive beobachtet und als Handlungszu-

 67 Glauner et al 2006, Abb. 4-1, 51. 68 Ein wackeliger interdiskursiver Hinweis auf das „Kludging“-Konzept in der Informatik Mitte der achtziger Jahre, LENHARD 2015, 160f. 69 Am 11.2.2016 fand in Frankfurt der Workshop „Industrielle Produktion von Nanomaterialien – Stand und aktuelle Herausforderungen“ der ProcessNet Fachgruppe Nanotechnologie unter Federführung der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie DECHEMA e.V. statt, der hinterfragte, „was die vielen Millionen gebracht haben, die Staat und Industrie in das Gebiet investiert haben [...] und [...] [Ideen entwickelte], welche Maßnahmen evtl. noch fehlen, um die Früchte der Förderarbeit zu ernten. [...] Der langjährige BASF-Nanotechnologie-Sprecher [...] Rüdiger Iden wird [...] diskutieren, was geeignete Schritte sein können, um die investierten Forschungsgelder möglichst gut auszunutzen.“ process.vogel.de/index.cfm?pid=2799&pk=23573, acc. 160227. Hätte Henn als Experte für ,Förderarbeit‘ zu dieser Frage Input?

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sammenhang gedeutet und bewertet, wobei deren Aktivitäten keine zu große „technologische Distanz“ (135) aufweisen dürfen, damit es überhaupt einen Handlungszusammenhang gibt. Die Studienersteller übernehmen semantisch-diskursiv eine Rolle zwischen Theaterkritiker und Regisseur, sie initiieren das beobachtete Zusammenspiel zwar nicht, sollen und wollen es aber kraft ihrer ökonomischen Kritikfähigkeit verbessern (zusammenführen) und geben dafür „Handlungsempfehlungen“ (12, 14, 145f), von deren Erfolg sie überzeugt sind: „Mit einer gezielten Umsetzung der Handlungsempfehlungen sind deutliche wirtschaftliche Wettbewerbsvorteile und Investitionen für die Region zu erwarten.“ (14) Als soziologisch, geographisch, ... diskursivierbares „Thema“ wird Nanotechnologie in „unterschiedliche thematische Schwerpunkte (Nanobiotechnologie, Nanomaterialien, Nanoelektronik)“ (135) ausdifferenziert, wobei die Schwerpunkte von öffentlichen und (privat-) wirtschaftlichen Akteuren (Institutionen, Unternehmen) gesetzt werden, die so zu mächtigen Bestimmern werden. Wissenschaftsdisziplinen werden unkenntlich und spielen innerhalb des übergreifenden „Themas“ eine nur schwer identifizierbare Rolle. Auf der Produktionsinstanz der Studie versammeln sich Soziologie, Volkswirtschaft und Geographie als Metawissenschaften, Gegenstand der Studie sind naturwissenschaftlich-technologische Wissenschaften, die fast nicht als Einzelwissenschaften vorkommen. Obwohl über weite Strecken nur allgemein von „Forschung in der Nanowissenschaft“ (44) oder von „Forschungsarbeiten zu nanowissenschaftlichen Fragestellungen“ (135) gesprochen wird, lassen sich dennoch einige Aussagen zum Verhältnis der Wissenschaften analysieren. Es ergibt sich neben einer Anonymisierung zunächst eine eigentümliche Egalisierung der wissenschaftlichen Disziplinen. Die anonymisierten Wissenschaften werden von Förderinstitutionen wie zum Beispiel dem BMBF aufgefordert, sich egalitär einem „interdisziplinäre[n] Ansatz zur Beförderung des Feldes“ (45) unterzuordnen, so dass eine „breite industrielle Umsetzung“ nanowissenschaftlicher Erkenntnisse (135) möglich wird. Was das heißen und wie das gehen soll, bleibt offen. Wissenschaftsdisziplinen sind auf diese Weise gleichzeitig da und nicht da, vor allem aber sind sie im Angesicht der Nanotechnologie alle gleich, wobei sie sich auf bestimmten „Gebieten“ oder in bestimmten „Bereichen“ treffen. Die inflationäre Verwendung des Ausdrucks „Bereich“ hilft, einen skalierbaren, materiell-räumlichen Größenbereich genauso zu adressieren wie einen semantisch-thematischen sowie einen materiell-technologischen Bereich. Es wird gleichsam eine konturlose Raumsemantik verwendet, bei der es möglich wird, Wissenschaften sowohl im thematischen als auch im technologischen Bereich als auch in einem Größenbereich zu interdisziplinärer Zusammenarbeit aufzufordern.70 Die Abgrenzung zwischen den „Hardcore-Nanowissen-

 70 Ein Vorteil der stumpfen Rede von „Bereichen“ liegt darin, dass (unsichtbare) Trennlinien zwischen Wirtschaft/Industrie und Öffentlichkeit/Politik sowie „der Wissenschaft“

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schaften“ ist dabei nicht aufrecht zu erhalten, weil die Technologie die wie auch immer gearteten wissenschaftlichen „Gebiete“ oder „Bereiche“ quer durchläuft: „Nanotechnologie [...] ist eine Querschnittstechnologie, die eine starke interdisziplinäre Herangehensweise erfordert.“ (13) Der Terminus Querschnittstechnologie (29) beinhaltet, dass aus Sicht der Metawissenschaften das Verhältnis der Wissenschaften als egalitäres, irgendwie verschwimmendes Nebeneinander charakterisiert werden muss, durch das Nanotechnologie quer hindurchzieht: die Querschnittstechnologie betrifft aber bloß die Naturwissenschaften, nicht (wie bei Prey) alle Wissenschaften inklusive der Heimatdisziplinen der Studienersteller. Das zweite modellierbare Verhältnis kommt als Ergänzung von Disziplinen in der raum-zeitlichen Abbildung 10 sowie im Kapitel „Thematische und strukturelle Interdisziplinarität“ zum Tragen (29f). In „interdisziplinären Ergänzungen“, bei der „Methoden einer Disziplin durch Verfahren und Fachkenntnisse aus anderen Fachrichtungen sinnvoll ergänzt werden können“ (28), treffen sich die Wissenschaften auf einer (materiell-räumlichen Objekt-?)„Nanoebene“. Eigenschaftsänderungen durch Nanoskaligkeit beruhen [...] auf einer neuen Herangehensweise der Nutzung von Dimension, Form und Zusammensetzung zum Erzielen neuer physikalischer, chemischer und biologischer Wirkprinzipien. Aufgrund dieser Integrationstendenzen hat sich die heutige Nanotechnologie [...] aus drei Richtungen kommend entwickelt, die sich auf der Nanoebene treffen. (27)

Wie das aussehen und wie sich das Verhältnis der beteiligten Wissenschaften gestalten soll, wird ausgeblendet. Die Disziplinen werden gewissermaßen sich selbst überlassen und einem blassen Kooperationsschema überantwortet, das mit dem Ausdruck „interdisziplinär“ benannt, aber nicht näher ausgeführt wird. Anders als der Text von Feynman, anders als bei Prey, der Nanoblume oder im materialwissenschaftlichen Vortrag gibt es keine Aussagen dazu, wie eine Zusammenarbeit der Wissenschaften aussehen muss, damit es „Fortschritte“ oder „Entwicklungen“, ein weiterer Terminus lautet „Beförderungen“, bei der Forschung geben kann. Bei der Beförderung der Nanotechnologie ist es primär notwendig, durch interdisziplinäre Ansätze in Forschung und Entwicklung das nanotechnologische Know-how zu erweitern, indem die vorhandenen wissenschaftlichen Ressourcen gebündelt werden. [...] In der Nanotechnologie gilt es [...] die für Anwendungen geeigneten Akteure interdisziplinär zusammen-

 verlaufen, aber offen bleibt, wo. So gibt es beispielsweise Nanotechnologie-Forschung innerhalb öffentlicher Förderprogramme (vor allem BMBF-finanziert, vgl. 42f), aber auch „eigene Mittel der Industrie für Nanotechnologie-Forschung außerhalb der öffentlichen Förderung“ (43).

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zuführen [...] In diesem Prozess sind ein „langer Atem“ und die Bereitschaft zur ständigen Weiterentwicklung nötig, müssen doch [...] bisher bestehende Disziplinengrenzen überschritten und neue, unerprobte Kooperationen eingegangen werden. (29f)

Welche Disziplinen ihre Grenzen überschreiten, wie in welchen Kooperationen zusammengearbeitet und ergänzt werden soll, bleibt offen, stattdessen werden „wesentliche Inhalte“ (30) der Kooperationen unter sieben Stichpunkten (Kapitel 3.4.1 bis 3.4.7) aufgeführt. Bei genauer Lektüre zeigt sich, dass es nur bei zwei von sieben „Kooperationen“ tatsächlich um Kooperation von Wissenschaftsdisziplinen geht. Dies betrifft Nanobiotechnologie (Kap. 3.4.2, 31) sowie „industrielle Produktion“ (Kap. 3.4.7). Die industrielle Produktion braucht grundlegende Forschungsarbeiten [...], die das Zusammenspiel von klassischem Maschinenbau und neueren Verfahren der Mikrosystemtechnik notwendig machen, um die Grenze von ‚mikro‘ und ‚nano‘ zu überwinden. (36)

Bei der Nanobiotechnologie dagegen wird in allgemeiner Weise anhand ihrer Zielsetzung darauf verwiesen, dass es um die Gestaltung der Schnittstelle zwischen biologischen und technischen Systemen auf der biologisch relevanten Skala einzelner Moleküle und Molekülverbände [geht]. [...] Eine Schlüsselstellung nimmt [...] die Kopplung elektronischer und biologischer Systeme ein. (31)

Dazu sei eine „effiziente und hochauflösende Analytik“ gefordert, die die Grenzen von „optischen, mechanischen, chemischen und biosensorischen Verfahren [...] [in] Kombinationen untereinander“ (32) ausschöpft. Mit etwas gutem Willen lässt sich erkennen, dass es um interdisziplinäre Kooperation von Physik, Ingenieurwissenschaften, Chemie und Teilbereichen der Biologie (ohne Toxikologie) geht. Bei anderen Kooperationsinhalten sind keine Disziplinengrenzen oder zugehörige Wissenschaften erkennbar, stattdessen sind Anwendungsfelder genannt, die eindeutig entweder der Chemie oder der Elektro(tech)nik oder der Physik (mit Untergebieten wie Optik oder Quantenphysik) zugeordnet werden können. Lediglich bei der Nanoelektronik findet sich die Randbemerkung, dass das Neue an den aufkommenden „Themen“ der Nanoelektronik ist, „dass sie vielfach Know-how außerhalb der heutigen Fachszene Mikroelektronik“ (35), also Ergänzungen, benötigen. Auch hier ist nicht die Rede von einzelnen Wissenschaften, die interdisziplinär kooperieren müssten, nur von einer bestehenden, vorhandenen „Fachszene“ und ihrem (zu ergänzenden) „Know-how“. Es ist nur mit einer einzigen Ausnahme, ganz am Rande, die Rede von „Wissen“: wenn es um Investitionen aus dem Finanzsektor geht, wird von dem „Wissen“

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von Venture-Capitalisten gesprochen. Sonst wird, wenn das Wort „Wissen“ fallen könnte, der Anglizismus „Know-how“ verwendet, der neben dem Wissensaspekt vornehmlich den technischen „Könnens“-Aspekt und damit den erwünschten Praxisbezug beinhaltet.71 Das geht soweit, dass nicht von einem Wissenstransfer sondern von einem „Know-how Transfer“ (42) gesprochen wird.72 Allerdings lässt sich das Wort „Wissenstransfer“ als etablierte Begrifflichkeit und Fragebogenstichwort nicht völlig vermeiden, und in einem entsprechenden Kapitel „Kooperationen, Wissens- und Technologietransfer im Diskurs der Experten“ (118f) werden die Ergebnisse der Expertenbefragung zum Thema Wissenstransfer zusammengefasst. Aber auch dort wird das Wort nicht benutzt, sondern von dem „Know-how-Abfluss“ (118), gesprochen, den Experten als Risiko von Kooperationen (soviel zum Thema Ergänzung..) sehen. Die mögliche Erklärung dafür, dass diese Studie sich so sehr bemüht, den Wissensaspekt wissenschaftlicher Forschung auszublenden, findet sich meiner Ansicht nach darin, dass sie sich, konform zu den Ergebnissen der Expertenbefragung, selbst um eine herausragende Anwendungsorientierung bemüht, die sich sprachlich niederschlägt, und die als Gegensatz zu einer theorielastigen Abstraktheit (inklusive der Reflexion auf Begriffe?) gemeint ist. Für den Bereich Maschinen- und Anlagenbau/Verfahrenstechnik sowie Biotechnologie /Medizintechnik wurde (in den Expertenworkshops, FN) [...] angemerkt, dass sowohl die Nanotechnologie selbst als auch die Ausrichtung der FuE-Einrichtungen zu wenig anwendungsorientiert sei. In diesem Zusammenhang müssten die Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie deutlicher und offensiver dargestellt werden. (120)

Insgesamt ist nach Expertenmeinung „die Nanotechnologie selbst [...] zu wenig anwendungsorientiert“. Sie scheint zu sehr wissensorientiert bzw. -basiert zu sein und eine zu große Emphase auf das theoretisch-methodische Wissen von Wissenschaftsdisziplinen zu legen statt auf Anwendungsorientierung. Diesem (im Sinne ökonomischer Theoriebildung metawissenschaftlich) diagnostizierten Fehler will sich die Studie nicht unterwerfen, mit Ausnahme des „Wissens“ von Eigenkapitalbeteiligungsgesellschaften (sogenannten Venture Capitalisten), das im Bereich Nanotechnologie allerdings nicht besonders groß ist.

 71 Vergleiche zum Begriff „Know-how” BARTZSCH et al 2009, 138, sowie CARSTENSEN 1994, Bd. 2, 782f. 72 „Diese flexiblen Innovationsunternehmen besetzen spezifische Nischen innerhalb der Wertschöpfungskette und liefern einen wichtigen Beitrag zum Know-how Transfer aus der Forschung in die Industrie.“ (42)

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Lediglich 2 % der Summe (von 8,6 Mrd. US $, der in Forschung und Entwicklung in Nanotechnologie investiert wurde, FN) wurden von Venture Capitalisten aufgebracht, was dadurch begründet sein könnte, dass Venture Capitalisten in diesem Technologiebereich weitaus weniger Wissen besitzen, als sie es im Bereich IT oder Life Science zu haben glauben. (106)

Wird das „Wissen“ über Nanotechnologie für Venture Capitalisten erhöht, wird, so die Hoffnung, mit einer größeren Investitionsbereitschaft gerechnet, was wiederum die Nanotechnologie-„Aktivitäten“ in der Region erhöhen könnte. Ich komme zu einer wissenschaftlichen (?) Kooperation im industriellen Bereich, bevor ich zu einem weiteren Aspekt der überwiegend vernachlässigten Rede des Wissens von Wissenschaftsdisziplinen komme. Im Bereich Nanoanalytik sagt die Studie mittelfristig eine inhaltliche Kooperation der besonderen Art voraus. Mittelfristig wird bei zunehmenden industriellen Aktivitäten in der Nanotechnologie die Nanoanalytik ebenso wie der Bereich Normierung und Standardisierung in den Anwendungsfeldern integriert sein. (35)

Wer kooperiert wie mit wem? Der Bereich Normierung und Standardisierung wird mittelfristig in die industriellen Anwendungsfelder integriert, die durch die physikalische Nanoanalytik überhaupt erst erreichbar werden; das kann heißen, dass im Rahmen der wissenschaftlich-industriellen Kooperation die Industrie mittelfristig die Regeln für ihre Produktion selber aufstellen wird. Es ergibt sich eine wissenschaftliche (?), interdisziplinäre Kooperation der besonderen Art, bei der juristische Fachbereiche mit den vorwiegend physikalischen Fachbereichen der hier gemeinten Analytik kooperieren werden bzw. hier integriert werden.73 Wenn die Studie in weiten Strecken eine konturlose Rede von Wissenschaftsdisziplinen pflegt und insgesamt das „Wissen“ einzelner Wissenschaftsdisziplinen vernachlässigt, geht damit gleichzeitig einher, dass Konflikte zwischen einzelnen Wissenschaftsdisziplinen im toten Winkel liegen und insofern das Problem unterschätzt wird, das an dieser Stelle entstehen kann. Zwar wird in der Expertenbefragung das Problem erkannt, der Wissenstransfer von FuE-Einrichtungen in die Unternehmen „hinein“ funktioniere nicht besonders gut (114f), und für die Aus- und Weiterbildung wird in einem Branchenworkshop „von den meisten Teilnehmern gefordert, dass die Interdisziplinarität gefördert werden müsse und dass man die

 73 Standardisierungsprozesse bei der ISO wurden in I.6 diskutiert. Letztlich kann man wohl von einer toxikologischen Intransparenz der Standardisierungsprozesse reden, da es keine industriefreie Generierung von Regelungsbedarfen gibt, und diese mit der Wissensgenerierung parallel laufen. Staat, Industrie, Wissenschaft, Finanzwirtschaft, internationale Institutionen kooperieren ohne toxikologische ,Außenperspektive‘ eng miteinander.

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Synergien zwischen den einzelnen Nanobereichen stärker nutzen sollte.“ (110) Als Reflex wird mantraartig von einer „Anwendungsorientierung“ gesprochen und auf der begrifflichen Ebene die Notwendigkeit des Technologietransfers betont und ausgelotet, statt auf „Wissenstransfer“ zu reflektieren. Auch die Expertenbefragung zu „Kooperationen, Wissens- und Technologietransfer“ wird lediglich unter der Konzeption „Kooperationen und Technologietransfer“ und gerade nicht unter dem Aspekt des Wissenstransfers zusammengefasst.74 Insofern lässt sich eine starke ökonomische Perspektive mit Interesse an finanzwissenschaftlich durchdachten Investitionen erkennen, unterteilt in Industriebranchen oder Technologiebereiche.75 Entsprechend der theoretischen Konzeption von Clustern lautet die Folgerung, man müsse informelle „face-to-face“ Kommunikation zwischen den Akteuren stärken, weil der „Kooperation und dem damit einhergehenden Technologietransfer ein wichtiger Stellenwert für die Innovationsfähigkeit und die wirtschaftliche Stärke einer Region“ (111) zukomme. Gemäß der eindimensionalen theoretischen Konzeption werden lediglich ökonomische Forschungen zum Thema Clusterbildung herangezogen, die den Aspekt des Wissenstransfers in interdisziplinärer Kommunikation und Kollaboration nicht reflektieren können, mit der Folgerung, Schwierigkeiten in Geschäftsbeziehungen und Kooperationen zwischen öffentlichen FuE-Einrichtungen und privaten Unternehmen „ließe[n] sich durch intelligente und wohldosierte Information und Kommunikation beheben“ (120). Es handelt sich nur um ein „Kommunikationsdefizit“ (120), nicht um ein handfestes Problem beteiligter Wissenschaften, das vielschichtige theoretische Probleme bei der Konzeption von Wissen beinhaltet. Dementsprechend wird dafür plädiert, „die Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie deutlicher und offensiver“ darzustellen, gerade für die Unternehmen, die die Potenziale der Nanotechnologie zur Verbesserung ihrer Produkte noch nicht erkannt haben, sowie für potenzielle Kunden [...] Zu diesem Zwecke müsste aber auf populärere Medien – wie z.B. Tageszeitungen, Hörfunkbeiträge – zurückgegriffen werden“ (120).

Wissenschaften inklusive der interdisziplinären Vermittlung expliziten und impliziten Wissens bleiben in dieser Studie für sich, alleingelassen in der Black Box.76

 74 Kapitel 7.5.5 und 7.5.6 in GLAUNER et al. 2006. 75 Vgl. beispielhaft die Liste (Tabelle 2) in der Statistik von 2006, in der die Industriebranchen hinsichtlich der Venture-Capitalinvestitionen aufgeschlüsselt sind BVK 2007, 9. 76 Eine ‚kleinere‘ ZTC-Studie „Kommerzialisierung der Nanotechnologie“ koppelt betriebswirtschaftliche Überlegungen zur Interdisziplinarität mit dieser räumlichen Semantisierung: „Um [...] kommerzielle Erfolge und nennenswerte Wettbewerbseffekte in Deutschland zu erzielen, ist eine [...] strukturelle Anpassung der Forschung und Entwick-

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Diese Situation wird durch das Problem der Definitionsfrage verschärft, worauf ich jetzt eingehen möchte, zum Teil in Überschneidung mit Kapitel I.6. Die Studie trifft zwei Feststellungen, die letztlich das Verhältnis der Wissenschaften zueinander bestimmen. Bei der Definition der Nanotechnologie gibt es noch keine international einheitliche Sichtweise. [...] Eine absolut richtige und unanzweifelbare Definition für die Klassifizierung von technologischen Prozessen und Produkten in die Nanotechnologie gibt es nicht. (26)

Bislang, wie es im Marginalientext heißt, gibt es keine einheitliche Sichtweise, später schon? Eine eindeutige Definition von nanotechnologischen Prozessen und Produkten wird generell verneint, begründet wird der Befund mit einer soziologischen Beschreibung der Uneinigkeit innerhalb der Diskussion über Nanotechnologie, bei der sich zwei nicht näher definierte Diskussionsgruppen gegenüberstehen. Die eher anwendungsorientierten Experten sehen die Nanotechnologie als Bereich unterhalb der Mikrotechnologie, mit einer breiten Grauzone der Zugehörigkeit zu einem der beiden Felder, während die ‚Hardliner‘ eher Verfechter der ‚Molekularen Nanotechnologie‘ sind; diese betrachten die Verwendung individueller Bausteine (Atome und Moleküle) für die Herstellung von Systemen Atom für Atom bzw. Molekül für Molekül. (26)

Diese soziologische Beschreibung mischt das Format eines wissenschaftlichen, fachlich nicht näher gekennzeichneten Diskurses, der innerhalb von Wissenschaftsdisziplinen (oder darüber hinaus) in einem imaginierten Diskussionszusammenhang zwei Gruppen von personal agierenden Wissenschaftlern argumentierend und gleichberechtigt gegenüber stellt, mit dem Format einer politischen Diskussion. Die Assoziation einer wissenschaftlich argumentierenden Diskussionskultur kippt ins Politische, wenn eine Gruppe als „anwendungsorientierte Experten“, die andere als „Hardliner“ und „Verfechter“ einer anderen Sichtweise gekennzeichnet sind. Beide Diskussionsgruppen müssen nicht notwendigerweise aus Wissenschaftlern bestehen, „Experten“ sind nicht unbedingt Wissenschaftler. Alle „Experten“ bewegen

 lung im Sinne einer vertikalen Interdisziplinarität entlang der Wertschöpfungskette und der Aufbau entsprechender Schnittstellen zwischen Technologieentwickler und anwendendem Unternehmen erforderlich. Bei der Etablierung derartiger Kooperationen spielen PPP-Modelle (Public-Private-Partnership-Modelle, FN) und öffentlich geförderte Verbundprojekte eine wichtige Brückenfunktion.“ LUTHER et al 2006, 59. Können Modelle eine Brückenfunktion spielen? Handelt es sich um eine Hierarchiebildung unter ökonomischem Diktat? Beteiligt sind Axel Zweck als Projektleiter sowie der langjährige Kollege Gerd Bachmann, vgl. auch das Vorwort zum Thema Interdisziplinarität.

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sich aber nur solange gleichberechtigt auf einer Ebene, bis die zweite Gruppe mit einem alltagssprachlichen Ausdruck gebrandmarkt wird, der eine Asymmetrie herstellt. Ihre Mitglieder werden nicht als theorieorientierte Experten oder ähnliches bezeichnet: das Wort „Verfechter“ charakterisiert, wie sie ihre Meinung vertreten, gesteigert durch den Ausdruck „Hardliner“, der die Assoziation einer halsstarrigen Haltung umfasst. Mitglieder der zweiten Gruppe scheinen auf einer strengen, abgrenzenden, ausschließenden Sichtweise zu beharren, die sich als kommunikationsverneinende von der ersten unterscheidet. Sie verhalten sich störrisch (und ideologisierend?) innerhalb eines (diskursiven Wissenschafts-?)Betriebs, eine Semantik, die vor allem durch das englische Wort „Hardliner“ induziert ist, auf Deutsch übersetzbar als Beton- oder Sturkopf. Der negative Beiklang entsteht durch den Kontrast der kompromisslosen Vertretung eigener Interessen innerhalb eines diskursiv-rhetorischen Zusammenhangs.77 Die terminologisch gebrandmarkte Gruppe kämpft hart für ihre Sichtweise, wobei der springende Punkt darin liegt, dass sie als Abweichung von „anwendungsorientierten Experten“ erscheinen, als nicht anwendungsorientierte „Hardliner“, deswegen tendenziell nicht mal als Experten. Die Betonung „anwendungsorientierten Expertentums“ fügt sich insgesamt in den Zusammenhang eines Gutachtens zur Politikberatung ein. Allein durch den Sprachgebrauch wird suggeriert, dass die erste Gruppe erstens die erstrebenswerte Norm der Sichtweise auf Nanotechnologie vorgibt, dass zweitens eine andere Sichtweise zu vernachlässigen ist, die sich in einem Umfeld von nüchternen Experten als hartnäckige Rechthaberei selbst diskreditiert. Drittens wird suggeriert, dass die Studienersteller selber zu den anwendungsorientierten Experten gehören, die über Nanotechnologie etwas sagen können. Allerdings handelt es sich in keinem Fall um Latoursche Wissenschafts-Praktiken-Kollektive aus Maschinen und Forschern, sondern es geht nur um Menschengruppen mit Überzeugungen (und soziologischer, ... Bildung), die in der Studie diskutiert werden. Indem man rhetorisch und soziologisch auf einen imaginierten Diskussionzusammenhang zwischen zwei imaginierten Gruppen unterschiedlicher Meinung fokussiert, wird es möglich, das Streitgespräch über Definitionsfragen inhaltlich zu ignorieren und die unklare Definitionsfrage wird mit Verweis auf (wissenschaftliche?) Meinungsunterschiede lapidar weggeschoben. Dadurch ergeben sich für die objektive Beschreibung dessen, was Nanotechnologie ist bzw. welches Unternehmen als Nanotechnologie-Unternehmen bezeichnet werden kann, Schwierigkeiten, welche im Rahmen dieser Studie nicht gelöst werden können. (26)

 77 Vgl. BARTZSCH et al 2009, 116, CARSTENSEN 1994, 618f.

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„Experten“ mit deutlichem Praxisbezug unternehmen keine klare Zuordnung – „breite Grauzone der Zugehörigkeit“ (26) –, ihre liberale Haltung gegenüber der Definitionsfrage steht der Haltung von „Hardlinern“ im Sinne einer Binäropposition gegenüber, die dadurch indirekt zu anwendungsfernen, theoretischen Nichtexperten werden, da die erste Gruppe als „anwendungsorientierte Experten“ klassifiziert ist. Legen Experten die Norm dessen fest, was erlaubt oder geboten ist, liegt der Schluss nahe, dass die Definitionsfrage liberal gehandhabt werden sollte78; damit ist bezüglich der Wissenschaften für jeden alles offen. Wundersamerweise werden gemäß der Aufgabe des Gutachtens eine Reihe von positiven und validen Aussagen über Nanotechnologie und ihre Förderung hervorgebracht, obwohl (oder gerade weil?) die Möglichkeit einer Klassifikation und Definition verneint wird. Weitreichende Empfehlungen zu Fördernotwendigkeiten entstehen, mit denen sich mittelbar Aussagen über beteiligte Wissenschaften verbinden. Die Studie schiebt die Definitionsfrage nicht nur einfach beiseite, sondern verzeitlicht sie. Durch das Adverb „noch“ wird eine nicht abgeschlossene Aushandlungsphase bezeichnet, es scheint nicht ausgeschlossen, dass es in Zukunft möglicherweise eine einheitliche „Sichtweise“ geben wird. Damit wird eine eindeutige Definition als Ergebnis eines internationalen Aushandlungsprozesses in Aussicht gestellt, der begreiflicherweise dauern kann und dessen Abschluss in der Zukunft liegt. Der Verweis auf Aushandlungsprozesse in Wirtschaft und Wissenschaft lässt sich abgewandelt auch außerhalb der Studie finden79, wird hier aber nicht unter ein toxikologisches Dach gebracht und fokussiert, sondern mit demokratisch legitimierten, gesellschaftlichen Selbstbestimmungsprozessen semantisiert. Aufgrund dieser Semantisierung wird jeder Hinweis auf Gefährlichkeit oder die Notwendigkeit toxikologischer Forschungen vernachlässigt. Der Sprachgebrauch verzeitlicht die Frage, was unter Nanotechnologie sachlich zu verstehen ist, und signalisiert, mit der Definitionsarbeit könnten Fachleute, „Experten“ irgendwann fertig werden. Nach Abschluss wird, so das Versprechen, eine Definition vorliegen, die für industrielle Produktionsverfahren ebenso brauchbar ist wie für Gesetze zum Schutz der Gesundheit und für toxikologische Gutachten zur industriellen Verwendung neuer Materialien und Substanzen. Man kann das mit Blick auf die ISO glauben oder nicht,

 78 Das Kapitel wird der ZTC-Studie LUTHER et al 2004 entnommen, wo sich dieselbe Gegenüberstellung findet, dort verwirrenderweise im Marginalientext als „Nanotechnologie versus Nanotechnologie“ (16) pointiert, was in GLAUNER et al 2006, 26 in „Weite Definition vs. Hardliner“ abgeändert wird. 79 Der Toxikologe Rolf Hertel vom Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung BfR berichtet 2008 bezüglich der Ungefährlichkeit oder Gefährlichkeit von Nanopartikeln als Bestandteil industriell gefertigter Nahrungsmittel, dass an der Definitionsfrage „heftig gearbeitet“ werde. Radio-Interview „Forschung aktuell“, Deutschlandfunk, 11.03.08.

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als Wissenschaftler, der aus einer historischen Perspektive Forschungsprozesse einschätzt, wird man zustimmend nicken und auf Fachkollegen-Experten vertrauen, die als Experten in dieser Studie aber vielleicht gar nicht adressiert sind. Die eingeforderte interdisziplinäre Kooperation der Wissenschaften wird durch die breite Definition als Problem jedenfalls eher intensiviert und zugespitzt als aufgeklärt und gelöst. Naturwissenschaften haben als mehr oder minder institutionalisierte Wissenshervorbringungsmaschinerien in der Logik der Studie keinen bevorzugten Platz und keinen bevorzugten semantischen Zugriff auf Nanotechnologie. Nanotechnologie wird durch eine „breite“ Definition diskursiv aus dem Zugriffsbereich einer Reflexion auf technowissenschaftliche Praxis herausgefischt, wohingegen sich Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft selber in den Pool der Wissenschaften werfen, die raumsemantisch gesättigte Forschungen zur Nanotechnologie vorlegen. Kapitalgeber für sogenanntes „Risikokapital“ wollen klären, welche Technologien zur Nanotechnologie gehören und welche möglicherweise nicht, sie und die sie fördernden Politiker wollen Technologien und Unternehmen identifizieren, in die sich eine Investition lohnt80, insofern ist die Rede von einem „Zuständigkeitsbereich der Nanotechnologie“ Teil dieser technisch-finanziell interessierten Abgrenzungsarbeit (26), die notwendig und nicht trivial ist. Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanopartikel – Nanobiotechnologie Der Ansatz einer konzeptuell „breit“ angelegten Diskursivierung kommt der in Diskursbereiche gefassten Unterteilung des Nanotechnologiediskurses einerseits überraschend nahe, andererseits steht er ihr fundamental entgegen, vor allem, wenn die Studie versucht, trotz der konzeptuell umfassend angelegten Diskursivierung Nanotechnologie immer wieder als Technik zu reformulieren und im Sinne von eindeutig technischen Materialitäten dingfest zu machen. Das führt dazu, dass der Diskursbereich der Nanotechnik im Vordergrund steht und das Raumskript des Top-Down die dominierende raumsemantische Interpretationsfolie ist. Mehrmals wird von einer „evolutorischen“ Entwicklung bei der „Miniaturisierung“ von Produkten und For-

 80 Die deutsche Investment-Firma Nanostart AG, Frankfurt platziert diese elegante Antwort: „Nanotechnologie umfasst sämtliche Wissenschafts- und Technikzweige, die sich dem nanoskaligen Bereich (üblicherweise 100 nm und kleiner) widmen. Nanotechnologie ist interdisziplinär und umschließt Bereiche der Physik, der Chemie und der Biologie. Sie ist somit keine prinzipiell neue Naturwissenschaft, sondern vielmehr ein Sammelbegriff für alle involvierten Technologien.“ nanostart.de/de/nanotechnologie/der-begriff-nano-undseine-bedeutung, acc. 160227.

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schungen gesprochen81, womit sich ein wissenschaftliches Erklärungsmodell aus der Biologie, die Evolutionslehre, als semantische Folie erkennen lässt. Die Semantisierung als Evolution erlaubt, wissenschaftlich fundierte, gesetzmäßige Entwicklungen in einem historischen Verlauf beobachten. Die Entwicklung der Nanotechnologie (nicht: die Nanotechnologie) erhält eine wissenschaftlich fundierte Unvermeidbarkeit, die auf sie selbst als Subjekt und Objekt der Evolution zurückschlägt. Das (1) Raumskript Top-Down wird in Abb. 10 und im Rahmen des wirtschaftsgeographischen Beschreibungsansatzes genauer untersucht. In Abgrenzung zur dominierenden Miniaturisierungsfolie diskutiert die Studie explizit (2) das Raumskript des Bottom-Up. Ebenfalls in Abb. 10 findet sich der Diskursbereich der Nanobiotechnologie zunächst als technologisch-wissenschaftliche Entwicklungsfolie graphisch abgebildet, außerdem kommt er in der Definitionsfrage und der wirtschaftsgeographischen und ökonomischen Sichtweise explizit zum Tragen. (3) Der Diskursbereich Nanopartikel ist vor allem für die wirtschaftsgeographische Sichtweise wichtig. Nanopartikel kommen als Materie-Einheiten mit innovativen Eigenschaften zur Sprache, diese können in technologische Prozesse eingespeist werden und zu Produkten führen. Gleichzeitig findet sich das Raumskript der Streuung im wirtschaftsgeographischen „Cluster“-Ansatz sozusagen umgekehrt wieder, wenn mehr oder minder autonome „Akteure“ in eine theoretische Interpretationsfolie namens „Nanotechnologie-Cluster“ gefaltet werden, die das wirtschaftliche Geschehen in Territorien oder in politisch-geographischen Räumen angemessen beschreiben möchte. Die wirtschaftliche Zusammenballung von Einzel-Akteuren wird als positiv konnotierte „Cluster-Bildung“ beschrieben und daraufhin befragt, welche Parameter dafür ausschlaggebend sind. Zu (1). Nanotechnik und Top-Down-Raumskript fallen nicht ineinander. Der Diskursbereich der Nanotechnik als technisch kontrollierbarer Zugriff auf einen kleinsten Raum wird mit allen drei Raumskripten verbunden, wobei das Raumskript Top-Down den Prozess der unvermeidbaren technologischen Miniaturisierung beherrscht. Das Immer-Kleiner betrifft Wissenschaften, die in einem historischen Verlauf seit 1940 in immer kleineren Strukturgrößen forschen und kontrollierend technologisch zugreifen, und die Produkte von Unternehmen, die immer kleiner werden. „Im Bereich der Mikroelektronik (bewegen sich) die meisten Unternehmen evolutorisch auf die Nanometerdimension zu.“ (82) Das Raumskript Top-Down wirkt als evolutorisches Prinzip abgelöst von direkter Einflussnahme oder For-

 81 In der Mikroelektronikbranche bewegen sich „die meisten Unternehmen evolutorisch auf die Nanometerdimension“ zu (82). Die Berliner Forschungseinrichtungen und Universitäten haben sich allerdings „den Nanometerdimensionen gleichsam evolutorisch angenähert“, weshalb sie nicht wissen, was sie tun, nämlich, „dass Nanotechnologie-Aktivitäten unterhalten werden“ (72), womit sich auch ihr fehlendes Cluster-Bewusstsein erklärt.

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schungs- und Entwicklungsentscheidungen. Semantisch besteht kein bewusster Handlungszugriff (kein Agieren) von Unternehmen oder Forschungseinrichtungen, vielmehr wird das Entwicklungsprinzip namens „Evolution“ aus der Biologie, Anthropologie, Paläontologie, Primatologie und aus der Soziologie Luhmanns bemüht. Die Interpretationsfolie eines evolutorischen top-down-Mechanismus trägt so weit, dass bei Forschungseinrichtungen „oftmals ein fehlendes Bewusstsein darüber besteht, dass Aktivitäten im Bereich Nanotechnologie unterhalten werden“ (72). Die Berliner Forschungseinrichtungen wissen nicht einmal, dass sie Nanotechnologie beforschen und betreiben, weil sie sich evolutorisch in die Forschungsbereiche hinein bewegt haben. Volkswirtschaftlich-ökonomisch wird das Raumskript TopDown in einem funktionalen Sinn relevant. Indem Produkte kleiner werden, hat eine evolutionäre „Entwicklung“ ökonomische und volkswirtschaftliche Konsequenz. Im Hinblick auf die Naturwissenschaften garantiert das Raumskript Top-Down eine Entwicklung, bei der sich Wissenschaftsdisziplinen auf der „Nanoebene“ treffen (Abb. 10). Der wissenschaftliche Objektbereich wird kontinulierlich kleiner im Sinne einer metrischen Größenmessung, die Zugriffsmöglichkeit der Wissenschaften wird ausdifferenzierter, man könnte auch sagen, präziser. Die semantische Folie der Präzision ist aber nur in einem materiellen Objektsinn („Präzisionsoptiken“, die hergestellt und verkauft werden) präsent und gar nicht im Hinblick auf Wissenschaften. Da Wissenschaften als Akteure fast nicht repräsentiert sind, können sie auch nicht als immer präziser agierende dargestellt und semantisiert werden; Fragen der Exaktheit, Genauigkeit oder disziplinär unterschiedlicher Meßverfahren kommen nicht zur Sprache.82 Evolutorisch geht es nur um den Zugriff auf ein ImmerKleiner in einem materiell-räumlichen Objektsinn, über die Art und Weise wissenschaftlicher Praxis gibt es keine Aussagen. Der Diskursbereich der Nanotechnik im Sinne einer breiten praktischen technischen Zugriffsmöglichkeit dominiert, er kulminiert in einer Liste mit der Abschätzung von „[n]anotechnologischen Produkten“ im „jährlichen Weltmarktvolumen“.83 Zu (2). Das Raumskript Bottom-Up kommt auf mehrfache Weise zum Tragen. Einmal geht es um Chemie und Biologie, die als Wissenschaften Objekte bottom-up beschreiben und entwickeln. Das Prinzip molekularer Selbstorganisation wird nicht eigens thematisiert und tritt so gut wie gar nicht in Erscheinung. Zwar gibt es ein Schaubild, das das Neuartige der „Nanowelt“ in einer Übersicht darstellt, aber dort ist das Wort „Selbstorganisation“ nur eines von vier Prinzipen, die „neue Bioanwendungen“ ermöglichen: Selbstorganisation, Reparaturfähigkeit, Adaptionsfähigkeit, Erkennungsfähigkeit sind unter dem Schlagwort „Molekulare Erkennung“

 82 WILLIAMS 2014. 83 Tabelle 3-1, GLAUNER et al. 2006, 40.

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aufgeführt.84 „Neue“ Bioanwendungen stehen als dritte Säule neben „neuen“ Chemieprozessen und „neuer“ technischer Physik („neu“ steht jedes Mal in Anführungszeichen). Da es sich bei der Nanotechnologie in erster Linie um Effekte handelt, die genutzt werden sollen, wird das Raumskript Bottom-Up sozusagen nicht technisch relevant. Es geht vielmehr um „3 wesentliche Eigenschaftsänderungen in der Nanowelt“, um „[q]uantenmechanisches Verhalten, vergrößerte Oberflächen und molekulare Erkennung“.85 Der Aspekt molekularer Selbstorganisation oder molekularer Manipulierbarkeit im Sinne der Initiierung energieeffizienter, automatisch ablaufender Generierungseffekte von Dingen und Materie spielt nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn das „Verständnis biologischer Prozesse“ einen Teilbereich von Nanotechnologie bildet (27). Zur Biotechnologie heißt es: Das Verständnis biologischer Prozesse wurde in jüngster Zeit auf zellulärer wie molekularer Ebene entscheidend ausgebaut. Hierzu gehören eine Vielzahl von Abläufen, wie z.B. die Selbstorganisation von Molekülverbänden oder die Photosynthese, von technologisch unerreichter Funktionalität und Komplexität auf engstem Raum. Zukünftig gilt es, die zugrunde liegenden biologischen Prinzipien verstärkt auf technische Systeme zu übertragen. (27)

Das Raumskript Bottom-Up wird explizit genannt (Abb. 10), aber nicht auf Nanobiotechnologie eingeschränkt, was daran sichtbar wird, dass in Zukunft die Wissenschaften integral bottom-up vereinigt sein werden. Insofern es überhaupt um „Nano-Objekte wie Proteine, Enzyme oder Viren“, wird explizit betont, dass diese durch Selbstorganisation nach Bauplänen der Natur [entstehen], wobei ein Großteil der grundlegenden Prozesse, wie z.B. die Photosynthese auf der Nanoskala bzw. auf molekularer Ebene, abläuft. (28)

Damit geht die Studie auf sicheren Abstand zu eventuell unkontrollierbar werdenden Selbstorganisationsprozessen, wie sie bei Feynman, in Prey und der Nano-Blume beschrieben werden und wie sie als schwacher Widerhall auf dem Schuhspray zur Sprache kommen. Wenn trotzdem die Rede auf biotechnologische Herstellung und „künstliche Muskeln oder den Organersatz“ (28) kommt, wird diese durch den Verweis auf einen „umfangreichen Werkzeugkasten von Verfahren zum Design funktionaler Moleküle“ und „den zukünftigen Einsatz biologisch-technischer Hybridsysteme“ (27) entschärft, durch eine Wortwahl, die die technische Kontrollierbarkeit durch die Wissenschaft (Design, Einsatz, technische Systeme) assoziiert und semantisiert, wobei Wissenschaft selbst nicht zur Sprache kommt.

 84 Abb. 3-3, GLAUNER et al. 2006, 29. 85 Überschrift Abb 3-3, GLAUNER et al 2006, 29.

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Abb. 10 kann so interpretiert werden, dass Biologie, Chemie und Physik nach einem umfassenden Konsolidierungsprozess in einem Anwendungskreis und in einem stetig anwachsenden Betätigungsfeld vereinigt sein werden. Das Raumskript Bottom-Up kommt im Hinblick auf die „Potenziale der Nanotechnologie in der Region Dresden / Sachsen“ (15) zur Anwendung, Nanotechnologie soll sich clusterbasiert entwickeln und wachsen. Gemäß dem Gutachtentitel ist mehrfach die Rede von einem „Wachstumskern“ Nanotechnologie (15, 53, 60, 145), das Feld soll bottom-up kontinuierlich anwachsen. Für die gesamte Studie dominiert die wirtschaftsgeographische Sichtweise, die im Sinne einer Konzentration auf die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten das Emergente und Entstehende betont (49 Treffer für das Wort „Wachstum“ auf etwa 150 Seiten). Die Betonung und das Interesse an einer (politikräumlich lokalisierbaren) emergenten wirtschaftlichen Entwicklung steht dabei in Zusammenhang mit Bestrebungen zur Bewahrung der politischen Autonomie Dresden und Sachsens, da es im Zeitraum bis zur Erstellung der Studie explizite Bestrebungen aus der Wirtschaft und der Politik gibt, die Bundesländer Thüringen, Sachsen und Sachsen/Anhalt zu einer Großregion Mitteldeutschland zusammenzufassen.86 Zu (3). Nanopartikel kommen an verschiedenen Stellen zur Sprache, insbesondere, wenn es um die in Beschichtungen gebundenen Materieteilchen, die technologisch wirksame Effekte induzieren, geht. Für Lacke und Farben bieten kleinste Partikel neue Anwendungsmöglichkeiten, wie z.B. unterschiedliche Farbeffekte durch kontrolliert Änderung ihrer Größe oder transparente und dennoch funktionale Beschichtungen, wie Antischmutz-Versiegelung oder UV-Schutz. (29)

Das Raumskript Partikularität ist im Falle von Lacken und Schutzversiegelungen das einer gebändigten Streuung, weil die Partikel in „funktionalen Beschichtungen“ festgehalten sind. Dabei ist auch die Rede von sogenannten Cluster-Molekülen, bei denen sich einzelne Teile (Partikel) zusammenballen und als Zusammenballung in Produkte und Prozesse eingespeist werden. Ein Beispiel ist das Verfahren, das die Firma MagForce seit einigen Jahren zu kommerzialisieren versucht87, eine Art mechanischer Krebstherapie, bei der 15 Nanometer große Eisenoxid-Nanopartikel in Tumorzellen eingeschleust werden, um sie anschließend durch Magnetfelder (mechanisch) in Schwingung zu versetzen und zu erhitzen, so dass die Tumorzellen ab-

 86 Stichwort „Sachsendreieck“ sowie „Metropolregion Mitteldeutschland“, die Wirtschaftsinitiative verfolgt die Fusionierung der Bundesländer nicht mehr offensiv als Programm, KIESE 2012, 17, sowie mitteldeutschland.com/wim/ziele.html, acc. 160227. 87 GLAUNER et al. 2006, 139f. .

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sterben. Die Nanopartikel verbleiben anschließend im Tumor.88 Trotz der Kleinheit der Partikel wird nicht von einer chemischen Therapie gesprochen (also von einer Medizin), sondern von einem technologischen Medizinprodukt. Das Raumskript der Streuung wird fruchtbar, wenn es um die wirtschaftsgeographische Beschreibung der Nanotechnologie geht. In der Wirtschaftsgeographie werden Unternehmen, wissenschaftliche Institutionen, Arbeitskräfte als Einzelteile angesehen, die sich zu Clustern vereinigen. Konsequent wird der englische Terminus Cluster verwendet, der auf Deutsch sowohl mit Bündel, Gruppe, Haufen, Verbund oder Ballung übersetzt werden könnte.89 Der englische Terminus ist kein originär einer bestimmten Wissenschaft zugehöriger Fachterminus, „Cluster“ wird sowohl in Bezug auf Musik (‚Tontrauben‘, wobei Cluster zwischen Ton und Geräusch steht) als auch in der Kernphysik verwendet. Dort handelt es sich um eine Ansammlung von Teilchen, die als Ganzes betrachtet wird, zum Beispiel bei der Physik anorganischer Cluster. Auch in der Astronomie (Galaxienhaufen) ist der Terminus Teil der physikalischen Fachsprache.90 In der metaphorischen Lesart der wirtschaftsgeographischen Sichtweise können Cluster auch wieder zerfallen, obwohl das Konzept mit seiner raumsemantisch informierten Beschreibung von Prozessen und Aktivitäten letztlich keineswegs abstrakt metaphorisch ist, sondern zu Handlungsempfehlungen im Sinne dieses partikulären Konzepts führt. Informelle „‚face-to-face‘-Kontakte“ (111) sind notwendig, damit es zu „Kooperationen zwischen den Akteuren der Nanotechnologie“ (118f) kommen kann, nur in Kooperationen kann „die Innovationsfähigkeit aller Akteure sichergestellt werden“ (119), so dass auch die Rede von den Kontakten zwischen einzelnen Akteuren der Nanotechnologie vor der raumsemantischen Folie der Partikel gelesen werden kann. Einzelakteure sollen zu Kooperationen verbunden werden.91 Das Vorbild einer wirt-

 88 Die technologische Krebstherapie ist 2015 in Deutschland in sieben Zentren verfügbar für die Behandlung von Hirntumoren, in den USA soll zusätzlich eine Therapie von Prostatakrebs entwickelt werden, magforce.de, acc. 160227. 89 BARTZSCH 2009, 58. 90 CARSTENSEN 1994, 261f. 91 Der von Henn und Brachert herausgegebene Tagungsband „Cluster in Mitteldeutschland – Strukturen, Potenziale, Förderung”, IWH-Sonderheft 5/2012, Halle (Saale) 2012, untersucht mehrere mitteldeutsche Cluster, weil es „bislang an genaueren Erkenntnissen über deren Aufbau und Enwicklungsstadien, die Ausgestaltung und Wirksamkeit der aktuellen Clusterförderung sowie die zu erwartende Entwicklung der bisherigen Strukturen [mangelt] [...] und [um] zur Erweiterung der konzeptionellen Basis beizutragen.“ (Vorwort). Sechs Jahre nach der Regionalstudie will einer der maßgeblichen Autoren das theoretisch breite wirtschaftsgeographische „Cluster-Konzept“ und die „konzeptionelle Basis“ also noch einmal erweitern, um „genauere [...] Erkenntnisse über [...] Aufbau und Entwick-

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schaftsgeographisch begründeten Clusterförderung ist der überragende und weltverändernde wirtschaftliche Erfolg des sogenannten Silicon Valley südlich von San Francisco, nahe der Golden Gate Bridge, dessen Entstehung allerdings nicht auf Clusterpolitik zurückgeht.92 Es kann als eines der (wie sie oben bezeichnet wurden) kleinen Kollektivsymbole des deutschen Nanotechnologiediskurses angesehen werden und dient (möglicherweise nicht nur für diesen Diskurs) als komplexes ordnungsstiftendes Bezugssymbol (Abb. 12 und 13 im Anhang).93 Die wirtschaftliche und soziale Clusterbildung des Silicon Valley, in Kombination mit ingenieurtechnisch initiierter gesellschaftlicher Veränderung und der Generierung einer (positiv verstandenen) ökonomischen Vorrangstellung einer Nation ist das Vorbild für eine komplexe raumsemantische Diskursivierung von Technik, die sich auch im PowerPoint-Vortrag des Materialwissenschaftlers und in der Nanoblume (Kapitel II.3 und II.6) wiederfindet. Die Wirtschaft des Silicon Valley [...] ist [...] deswegen so erfolgreich, weil sie vom sogenannten kalifornischen Geist geprägt ist. Der sieht die Gegenwart als den immerwährenden Beginn einer Zukunft, in der sich Fortschritt nicht buchhalterisch planen lässt.

94

Zum Schluss komme ich zum Zusammenhang von Definitionszwang der Nanotechnologie und ihrer raumsemantischen Produktivität. Die Regionalstudie steckt in dem Widerspruch, einerseits Stellung für eine „breite“ oder „weite“ Definition der Nanotechnologie zu beziehen, aus der sich andererseits der „Zuständigkeitsbereich der Nanotechnologie“ (26), also eine Abgrenzung, ergeben soll. Konfrontiert man die diskursivierte Definition wie hier mit einer technikdiskursiven Perspektive, kommt ihr die Studie einerseits entgegen und steht andererseits quer dazu. Nano-

 lungsstadien“ zu erhalten, verbreitert sozusagen die konzeptionell breite Basis noch einmal, was man mindestens als Prozess wissenschaftlicher Landnahme deuten kann. 92 Das Silicon Valley wird mehrfach als Beispiel-Cluster genannt, das mit Hilfe „indirekter Politik“ entstanden sei, GLAUNER et al. 2006, 54. Gegen diese Auffassung Kiese, der den wissenschaftlich objektivierenden Interpretationsabstand zum Phänomen korrekt einhält: „Als explizites oder implizites Vorbild (für Clusterstrategien in der Wirtschaftspolitik, FN) gilt die Technologieregion Silicon Valley südlich von San Francisco, auch wenn deren Entstehung und Entwicklung nicht auf eine gezielte Clusterpolitik zurückgeführt werden kann.“ KIESE 2012, 7. Zur ‚Schaffung‘ eines nanoValleys siehe Anhang. 93 Ungeschützt gesprochen ist das Silicon Valley der Stachel im Fleisch des deutschen Ingieurs, nach dem Motto: Wie schafften es die Amerikaner, technisch die Welt so sehr zu verändern, wo doch eigentlich wir die besten Ingenieure der Welt sind? Und so viel zu verdienen! (Mit einer Mischung aus Empörung und Faszination auszusprechen.) 94 KREYE 2016. Visualisierung des nanoValley.eu siehe Anhang.

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technologie wird als einheitliches Technikphänomen angesehen, das sich ausdifferenzieren lässt. Sie erscheint als weicher Mantelbegriff, der Techniken und Technologien großzügig umfasst. Nanotechnik, Nanobiotechnologie und Nanopartikel kommen als einzelne Techniken und nicht als Diskurse vor. Das ermöglicht irritierenderweise trotz breiter Definition den „Zuständigkeitsbereich der Nanotechnologie abzugrenzen“ (26).95 Nicht jede Technik und jedes wissenschaftliche Tun, nicht jeder wissenschaftliche oder wirtschaftliche Förderantrag wird unter den Fördermantel der Nanotechnologie gelassen: Der weiche Mantelbegriff verhärtet und verändert sich zu einer stoppeligen und trennenden Grenzfläche mit Zaun, der andere Technologien und Wissenschaften abgrenzt, die leider draußen bleiben müssen. Da pragmatische Konsequenzen im Hinblick auf Fördermittel, Finanztransaktionen und Arbeitsplätze für Wissenschaftler und Nichtwissenschaftler anvisiert sind, ist die Definition in diesem Sinne operabel, was der hier gewählten Analyseperspektive, Nanotechnologie als Diskurs mit Diskursbereichen anzusehen, entgegen steht. Der entstehende sprach- und sachlogische Widerspruch wird in unverschämt kreativer Weise ausgeschlachtet. Technologische (technische) Aspekte rücken in den Vordergrund, wodurch semantische Fragen und wissenschaftstheoretische Probleme (scheinbar) ausgeklammert werden, zuletzt läuft der Widerspruch einer Definition, die keine sein will aber eine sein muss, semantisch-rhetorisch darauf hinaus, Nanotechnologie als Thema (statt als Technik) zu semantisieren. Nanotechnologie wird in einen wirtschaftsgeographisch semantisierten Cluster-Zusammenhang eingebettet, bei dem Fragen nach konkreten Techniken gleichzeitig nachrangig und konstituierend sind. Das diskursivierte „Thema“ erlaubt die breite gesellschaftliche, ökonomische und politische Semantisierung entlang der Raumsemantik der Begrifflichkeiten der jeweiligen Wissenschaftsdisziplinen, so dass „Innovation“96 oder „Wachstumskern“ als raumsemantische Begriffe mit emergenter Dynamik und dem Raumskript Bottom-Up für den Nanotechnologiediskurs fruchtbar werden.

 95 Ein „Zuständigkeitsbereich“ einer Technik ist semantisch ungewöhnlich. Gibt es einen Zuständigkeitsbereich von Telefon, Automobiltechnologie oder Verpackungsmaschine? 96 Auch auf Gefahr der Wiederholung: Innovation wird als bewusste ‚Regel‘überschreitung (positiv) semantisiert und sogar gegen einen Berufseid für Manager ins Spiel gebracht.



6. Roman „Die Nano-Blume“ Pragmatischer Redekontext „Mindstar. The Nano-Flower“ (1995), hier als Grundlage in deutscher Übersetzung „Mindstar. Die Nano-Blume“ von 1999 gewählt, gehört in Linkscher Terminologie zur institutionalisierten Literatur und ist, mit Genette gesprochen, eine Erzählung. Auf dem abgeschlossenen Werk steht auf dem Titelbild die Bezeichnung „Roman“, sein Inhalt ist fiktiver Natur. Es beschließt eine Trilogie aus der digitalen Feder (?) des britischen Schriftstellers Peter F. Hamilton, drei eigenständige Erzählungen sind in einer übergreifenden Diegese um einen „Mindstar“ als titelgebenden Protagonisten zentriert. Er besitzt biotechnisch aufgerüstet eine besondere Form der geistigen Fähigkeit, eine implantierte Drüse ermöglicht eine gesteigerte Wahrnehmung jeder Art von Bewusstsein. In der Nano-Blume geht es nicht vorrangig um diese Figur, aber erzählt wird streckenweise aus seiner Perspektive, daneben treten Perspektivierungen (Fokalisierungen) anderer Figuren. Da die Erzählung deutlich länger als die übrigen analysierten Dokumente ist, wird eine Art textuelle Makroperspektive notwendig, die der komplexen Verflechtung(struktur) der Nanotechnologie in Fortgang und Aussagestruktur der Handlung nicht Seite für Seite nachgeht, sondern sie aus einem größeren textlichen Abstand fokussiert. Die Erzählung ist (extradiegetisch) in verschiedene pragmatische Redekontexte und Praktiken eingebunden, die sich mehr oder weniger kursorisch einholen und sich einerseits als Diskurse, andererseits als Praktiken bezeichnen lassen. Reale, global agierende Unternehmen werden ebenso genannt wie Klimawandel samt Anstieg der Meeresspiegel, es geht um ubiquitäre digitale Kommunikation sowie die Folgen einiger großer Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts, außerdem um Pop- und Freizeitkultur der westlichen Zivilisation zu Beginn des 21. Jahrhunderts, und um eine intelligente kollektivsymbolische Anknüpfung an den Atom-Diskurs. Das Buch hat 765 Seiten, die Handlung erstreckt sich ungefähr über drei Tage.1 Sie wird vorangetrieben von der Suche nach dem verschwundenen Forscher und

 1

Das ergibt eine gewisse Langsamkeit der Narration, oder, um es mit dem Ausdruck von Genette zu sagen, eine als verzögert oder langsam charakterisierte „narrative Geschwindigkeit [...]“, also „das Verhältnis der Länge der Erzählung zur Dauer der Geschichte“ für die Aufklärung des Geheimnisses um die Nanoblume: auf einer Seite finden durchschnittlich knapp 6 min erzählte Zeit Platz. GENETTE 2010, 191, 54. Ohne ins Detail zu gehen, verweise ich sicherheitshalber darauf, dass die Pseudo-Zeitlichkeit dieser Narration das Tempo, also die Erzählgeschwindigkeit, variiert; der Text hat sowohl „Beschleunigungsals auch Verzögerungskapazitäten“ (192) sowie ausgeprägte „Rhythmuseffekte“ (54).

R OMAN „D IE N ANOBLUME “ | 341

Ehemann Royan, der seiner Frau, der Konzernchefin Julia Evans, eine Blume als rätselhaftes Zeichen schickt. Überlagert werden Suche und Liebesgeschichte von einem Wettrennen (414) um eine radikal neue Technologie, die sogenannte „[a]tomare Strukturierung [...] das größte Supergeheimnis aller Zeiten“ (229), die als geheimnisvolle Reformulierung des Drexlerschen „molecular manufacturing“2 angesehen werden kann, wobei der aufbauende und herstellende Effekt, manufacturing, in dem blasseren Wort Struktur verborgen bleibt. Man könnte sagen, das auf der afrikanischen Website benannte Wettrennen um eine neue Technologie („race“) (Kap. II.4) inklusive der Anspielung auf das technologische Wettrennen der 60er Jahre zwischen USA und Sowjetunion werden als Romanhandlung ausbuchstabiert. Die Geschichte ist eine Mischung aus Wirtschaftskrimi und Liebesgeschichte, wobei sich beide Elemente die Waage halten. Im letzten Drittel der Erzählung (ca. 27. Kapitel) wird der Wirtschafts- in einen Wissenschaftskrimi transformiert, in dessen Zentrum Royan als neugieriger und ehrgeiziger Forscher steht. Damit wird an den pragmatischen Kontext eines Wissenschaftsbetriebs angeknüpft, der idealerweise unbegrenzt forschen kann und darf (434, 486, 676-699). Unglücklicherweise verschmilzt der ehrgeizige, geniale Forscher mit dem, was er erschaffen hat (689), und steckt buchstäblich fest, bevor er durch den wissenschaftlich-technisch-digitalen Zugriff seiner Frau errettet wird. Das Forschen findet unter der Übermacht der Wirtschaft statt, der männliche Forscher arbeitet zudem unter einem Anerkennungszwang gegenüber seiner Ehefrau, einer übermächtigen Wirtschaftskönigin.3 Beim vorliegenden Weltentwurf (Diegese) gibt es geographische und politische Anleihen an Großbritannien und Europa. Monaco, Nizza und Odessa spielen eine Rolle, ebenso die britischen Städte Peterborough, Newcastle und Duxford sowie politische Gegebenheiten, die sich mehr oder weniger handlungsrelevant auswirken: Unabhängigkeitsbestrebungen von Wales (501), Falkland- und Golfkrieg (7), Afghanistan-Krieg (472) sowie das Ende des kalten Krieges. Vor allem England liefert Bezüge für Diegese und Geschichte; Bezüge zu dessen Politik und Geographie sind für Britinnen leichter zu erkennen als für Leser aus der Schweiz oder Griechenland. Obwohl die Handlung in einer nicht mit Jahreszahlen ‚bezifferten‘ Zukunft spielt, wird die Diegese als Extrapolation einer von Nationalstaaten geprägten europäischen Staatengemeinschaft erkennbar.4 Es werden fiktive politische, ökonomische und ökologische Verhältnisse geschildert, die ungefähr auf das Ende unseres 21.

 Teilweise scheint das in der Analyse zum pragmatischen Kontext durch, ohne dass ich den Aspekt der komplex situierten Zeitlichkeit eigens zum Thema gemacht hätte. 2

DREXLER 1986.

3

Man kann auf die Verquickung von Geschlechter- und ökonomischem Diskurs aufmerk-

4

Ich schreibe nicht „von unserer“, weil ich mir Leserinnen im Kongo wünsche.

sam werden, aber dieser Zusammenhang wird geflissentlich ignoriert.

342 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

Jahrhunderts datiert werden könnten und geographisch-politisch auf den pragmatischen Kontext der Leserin verweisen.5 Die fiktionale Welt (Diegese) ist in weiten Teilen eine negative Extrapolation der Gegenwart. Das Klima ist nachhaltig erwärmt, es gibt eine Zitrusplantage in Mittelengland6, der Meeresspiegel ist angestiegen und die Exposition der Handlung geht mittelbar auf die geographisch induzierte radikale Veränderung der sozialen Lebensverhältnisse zurück. Andererseits gibt es aus britischer Perspektive durchaus positive Momente, aus Sicht eines britischen Lesers 2016 handelt es sich um einen partiell positiven Zukunftsentwurf, denn das fiktive England hat wirtschaftlich ‚die Nase vorn‘.7 Die Handlung spielt im Umfeld des exportstarken Konzerns namens „Event Horizon“, der aufgrund von Monopolen und Forschungsstärke eine globale Vorrangstellung hat, seine Macht aber zum Nutzen Englands ausübt.

 5

Über eine Hauptfigur, die Soldatin Suzi, heißt es: „Eine militärische Karriere war alles, was sie sich je gewünscht hatte [...] – unterschwellig ermuntert durch ihren leicht verrufenen Großvater [...], der faszinierende Geschichten von Ruhm und Ehre aus seiner Dienstzeit im Falklands- und im Golfkrieg erzählte.“ (7) Mit dem Hinweis auf Kriege werden historische Fakten und Ereignisse genannt, die öffentlich bekannt sind und einen Bezug zum Erfahrungshorizont der Leser haben. Die Art der ‚öffentlichen Ereignishaftigkeit‘ und die damit verbundene ‚Öffentlichkeit‘ ist schwer zu charakterisieren. Sowohl Falklands- als auch Golfkrieg gehen über Europa hinaus, sind aber trotz internationaler Beteiligung und Konflikte um geographisch-politische Großregionen keine ‚Weltkriege‘. Bezogen auf eine öffentliche Wahrnehmung sind sie globale mediale Ereignisse.

6

Mit genmanipulierten Früchten, die dort angebaut und im Sommer geerntet werden (84).

7

Der nationalstaatliche Diskurs wird fortgeschrieben, aber mit romantischer Ironie gebrochen. Der Superlativ-Konzern als Herzstück des diegetischen Englands ist romantischer Gegenentwurf zur Jahrtausendwende, wo der industrielle Sektor zum Bedauern der Briten seit Jahren schrumpft. 15 Jahre nach Veröffentlichung der Nano-Blume analysiert die Financial Times Deutschland: „Kein Land setzte in den vergangenen Jahrzehnten stärker auf Dienstleister und Staat als Arbeitgeber als die Wiege der Industrialisierung. In Zeiten der massiven Einschnitte sehnen sich viele zurück nach der guten alten Zeit. [...] Ausgerechnet das produzierende Gewerbe soll [...] die Jobs schaffen, die so dringend benötigt werden. ‚Die nächsten zehn Jahre müssen das Jahrzehnt der Unternehmer werden.‘, sagt Cameron. Das [...] Land hofft auf eine neue industrielle Revolution. [...] Laut OECD ist (seit den 70er Jahren, FN) [...] in keinem anderen Industriestaat der Anteil der Arbeitsplätze in der Produktion so stark geschrumpft [...]. Während die Franzosen selbst die Parfümherstellung zur strategisch wichtigen und schützenswerten Branche erklärten, verscherbelten die Briten ihre Fabriken.“ de Paoli, Nicola: „Briten trauern ihrer Industrie hinterher” 22./23.10.10, web.archive.org/web/20101024232707/http://www.ftd.de/politik /europa/:agenda-briten-trauern-ihrer-industrie-hinterher/50184903.html?, acc. 160212.

R OMAN „D IE N ANOBLUME “ | 343

[D]as Herzstück jedes Event–Horizon–Produkts [wurde] in England gebaut. Hier war die wirkliche Arbeit zu Hause, [...], das wirkliche Geld. Der Hauptgrund, warum Englands Handelsbilanz permanent schwarze Zahlen schrieb. (204)

Das diegetische Großbritannien ist dank seiner Tätigkeit ein prosperierendes Land, dessen wirtschaftliche Lage nicht besser sein könnte. Die Firma forscht und produziert „auf jedem Gebiet menschlichen Strebens“ (507), auch im Weltraum und bei der Raumfahrttechnologie. Zentrum der technologischen Entwicklungen des Konzerns (und des Landes) ist ein Ort namens Duxford. Duxford war der Hauptgewinn. [...] Das Institut vereinigte alle technischen Disziplinen der Menschheit, verlangte dem Erfindungsreichtum alles ab und verschaffte England damit einen unschlagbaren technischen und wirtschaftlichen Vorsprung vor den übrigen Nationen der Europäischen Marktallianz. (204)

Um das komplexe Verhältnis von Kontext und Roman darzustellen, werde ich partiell auf die Unterscheidung von fiktiv und real zurückgreifen. Die erzähltheoretische Simplifizierung der Trennung von fiktionaler und realer Welt erfolgt gleichzeitig mit der Beobachtung, dass die fiktionale Welt, wie bei Prey, gewissermaßen in die ‚reale‘ Welt hineinragt.8 Hinsichtlich der Kontextualisierung der Diegese kann man sagen, Großbritannien als Nationalstaat innerhalb Europas sei deren parallel laufende Bezugsfläche.9 Die simple Parallelführung zwischen ‚Realität‘ und Fiktion verkompliziert sich an einigen Stellen und es reicht nicht, von einer Verdoppelung der Realität in der Fiktion zu sprechen. Kontextualisierungen plausibilisieren die Handlung nicht nur, sondern begründen als pragmatische Kontexte einen Aussagestatus (oder können es), was am echten Kriegsmuseum der echten englischen Stadt Duxford verdeutlicht werden kann. Diegetisch sind die Forschungs- und Produktionsabteilungen von Event Horizon auf dem Gelände des Kriegsmuseums in Duxford platziert. Das fiktive Innovationszentrum des wichtigsten fiktiven Konzerns eines fiktiven Englands wird diegetisch in einer real existierenden Stadt auf dem Grundstück eines momentan real existie-

 8

Ich wiederhole den Genetteschen Hinweis, dass fiktional und diegetisch nicht miteinan-

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Als Beispiel zum Verhältnis fiktiv – real die Talsperre Rutland Water in Mittelengland:

der verwechselt werden darf, GENETTE 2010 [1998], 149. Der Autor der Trilogie wurde im extradiegetischen Rutland geboren, er lebt in der Nähe der echten Talsperre (vgl. Seite 1), seine Ortskenntnisse fließen in die Diegese ein. An der fiktionalen betreibt Mindstar Greg Mandel seine Zitrusplantage; bei gleichem Ortsnamen werden Zeit, geographische Gegebenheiten, politische Situation im Kontext der (unserer) politisch-sozialen-geographischen Gegenwart geändert.

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renden britischen Kriegsmuseums angesiedelt, das in der fiktiven zukünftigen Vergangenheitsnarration allerdings abgerissen wurde. Stellt man die Frage, welche Beziehung die Erzählung an dieser Stelle zur Gegenwart hat und wo eigentlich das Kriegsmuseum bleibt, antworten Kenner der Trilogie-Diegese lächelnd: Das Museum wurde von der Sozialistischen Volkspartei zerstört, die einen naiven Pazifismus verfocht10, was die Neuleserin allerdings nicht wissen kann. Kontrastiert man Diegese (fiktiver Abriss Kriegsmuseum und Neubau Forschungszentrum) mit gegenwärtiger Realität, stellt man fest: In einer fiktiven Zukunft ist das Kriegsmuseum obsolet. Ein pragmatischer Kontext wird fiktional verändert und eine Zukunftserzählung (samt einer zu einer erst noch stattfindenden Zukunft alternativen Vergangenheitserzählung) entworfen. Mit Hilfe dieser Kontrastierung lassen sich mehrere Aussagen und Kontexte rekonstruieren. Die für den fiktiven „technischen und wirtschaftlichen Vorsprung“ Englands (204) notwendigen Forschungsgebäude sind auf dem Gelände des Militärmuseums Duxford (202f) angesiedelt, das es tatsächlich in Duxford / England gibt. Das Museum als Erinnerungsort für nationale Vergangenheit (und Gegenwart?) eines militärisch mächtigen Englands wird fiktional ersetzt durch fiktive Produktions- und Forschungsstätten, die für eine fiktional ausformulierte Zukunft wichtig sind. Forschung und industrielle Fertigung innovativer Produkte treten fiktiv als neue Identität an die Stelle eines obsolet gewordenen rückwärtsgewandten Denkens, das nationale Identität mit (zurückliegenden) militärischen Siegen verknüpft. Durch die Wahrnehmung eines Gegenwartssettings und die Verortung der Trilogie innerhalb eines pragmatischen Kontextes wird es möglich, wahrzunehmen, dass und wie die Erzählung gewissermaßen metaleptisch (und diskursiv) in die Gegenwart eingreift.11 Das Innovations-Paradigma löst in (eigentlich müsste man sagen: mit) der Erzählung ein militärisches Paradigma ab. Geht es nach dem Roman, soll England seine Identität innerhalb eines Staatenverbundes, einer „Marktallianz“ (204), wenn überhaupt, über Innovationen, Forschung und Wirtschaftserfolg konstruieren.12 Wenn das real existierende Kriegsmuseum, das histori-

 10 Der zum Scheitern verurteilt war, „Die Spinne im Netz“ (1. Auflage 1998, 2. Auflage 2002, Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe; Originaltitel „Mindstar Rising“, 1993), 224. 11 Die Metalepse als erzähltheoretische Figur (Genette 2010 [1998], 152f) bezeichnet den Schnittpunkt zwischen erzählerischen Ebenen (z.B. das Eingreifen oder Auftauchen der Figur des Autors auf der Ebene der erzählten Welt). Um diskurisv den Schnittpunkt von fiktionaler und ‚realer‘ Welt zu perspektivieren, könnte man den Begriff einer ‚umgekehrten Metalepse‘ benutzen, um die Stelle zu benennen, wo die Fiktion in die (wie auch immer verstandene) Realität hineinragt oder umschlägt. 12 Es kann nicht beantwortet werden, inwieweit sich dieser Vorschlag verallgemeinern lässt, also ein Innovationsparadigma als nationale Identität generell auch für andere Staaten als Ersatz für eine Identität vorgeschlagen wird, die anstelle eines militärischen Paradigmas

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sche Kampferfolge und alte Waffen zeigt, überbaut wird mit fiktiven Forschungsund Produktionstürmen des Konzerns, heißt das, dass dies die Waffen der Zukunft sind. Forschung, Innovation, industrielle Produktion sind Kampfinstrumente, in diesem Fall: privatwirtschaftliche Kampfinstrumente, die der englischen Nation dienen.13 Dazu passt, dass die einzige Hauptfigur, die im Verlauf der Handlung einen endgültigen Tod erleidet, die Söldnerin Suzi ist, die eine rein militärische Sozialisation und Kämpferkarriere durchlaufen hat: braucht man nicht mehr. Kontrastiert man die fiktive positive wirtschaftliche Situation des fiktiven Englands am Ende des fiktiven 21. Jahrhunderts mit der wirtschaftlichen Gegenwart Großbritanniens zu Beginn des realen 21. Jahrhunderts fällt auf, dass trotz positiver Außenhandelsbilanz (undsoweiter) keine harmonische Welt begründet wird. Die Geschichte ist gespickt mit waffenstrotzenden Auseinandersetzungen rund um Datenraub, Industriespionage und dem Wettlauf um eine neue Technologie, mit dem auf den Klimawandel, den steigenden Energieverbrauch und die sich erschöpfenden Bodenschätze reagiert werden kann; also mit Problemen, die ich an dieser Stelle als diskursiv gebundende, aber reale Probleme der Gegenwart bezeichnen würde. Der Klimawandel-Diskurs bildet das handlungsrelevante geographisch-ökologische Setting und damit den pragmatischen Kontext der Diegese. Wissenschaftliche Forschungen, mathematische Berechnungen, politische Forschungen und Aushandlungsprozesse zur globalen Klimaerwärmung werden in ‚konkrete Fiktionen‘ transformiert. Der diskursive Zusammenhang zwischen Erderwärmung und sozialer Veränderung wird in der Trilogie als selbstverständlich gesetzt und dient als dystopische Diegese. Zu Beginn wird in Rückblenden auf fiktive soziale, ökonomische und politische Veränderungs- und Zerfallsprozesse im Gefolge der Erderwärmung referiert, so dass die handlungstragenden Figuren eine Biographie erhalten, die von schlimmen Gewalterfahrungen geprägt ist (Royan, Greg, Suzi). Das historisch-

 tritt. Da Innovation wohlgemerkt nicht nur technische Entwicklungen bzw. Erfindungen umfasst, sondern auch wirtschaftlichen Erfolg, lässt sich eine starke Befürwortung und Attraktivität des Innovationsparadigmas kaum übersehen. Damit lässt sich der Erzählung ein ‚neoliberales Gedankengut‘ unterstellen und sie in in diesen Diskurs einordnen, womit die Erzählung gleichzeitig europafreundlich argumentieren würde: Europa als politische Einheit verficht 2016 ein Wirtschafts- und Innovationsparadigma als identitätsstiftendes, einigendes Programm. 13 Vgl. den Dialog zwischen dem fiktiven Industrieminister und der Konzernmanagerin Julia (424) sowie Victor Tyos Reflektionen (201f). Im ersten Band „Die Spinne im Netz“, engl. „Mindstar Rising“ (1993, dt. 1998), wird die Monarchie als nationaler Identitäts– stifter durch Innovation abgelöst. Greg äußert angesichts von Duxford: Wissen statt Kronjuwelen! „Wissen“ sei „etwas weit Wertvolleres“ als „Kronjuwelen“ (228).

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biographische Setting ist aber nicht bloßes Dekor, sondern entfaltet an den Hauptfiguren Royan, Julia und Suzi eine handlungsmotivierende Kraft. Oben wurde bereits der Wettlauf-Diskurs genannt, der technisch-wissenschaftliche Innovation und unternehmerische bzw. nationale ökonomische Vormachtstellung verbindet. Zwar ist die Romanhandlung in einer wirtschaftlich prosperierenden Nach-(Bürger-)Kriegszeit exponiert, trotzdem muss viel gekämpft werden, weshalb ich kurz auf die Kontextualisierung der Kampf- und Gewaltdarstellungen eingehe. Die technisch-wissenschaftliche Innovation wird diegetisch mit bewaffneten Auseinandersetzungen verbunden: ein wirtschaftlich motivierter Konkurrenzkampf um ökonomische Vormacht wird mit Waffen ausgetragen. Die fiktive bewaffnete Gewalt steht ausschließlich im Zusammenhang mit der Sicherung wirtschaftlicher Vorherrschaft des Konzerns bzw. Englands. Wird der Innovations- und Wirtschaftsdiskurs dagegen mit den Separationsbemühungen von Wales verknüpft, bleibt er friedlich (426f). Der Roman positioniert sich in einem pragmatischen Kontext, der die Konkurrenz um Information und Innovation als Ressourcensicherung interpretiert. Damit wird der diegetische Kampf um technische Innovation dem (früher? extradiegetisch real kolonial geführten) Kampf um Bodenschätze gleichgestellt.14 Für die radikal neue Technologie der „atomaren Strukturierung“ und die „Generatordaten“ interessieren sich nicht nur das fiktive Event Horizon, sondern auch die fiktiven Schwestern der extradiegetischen Unternehmen Mitsubishi, General Electric und einer Kooperation aus Boeing und Saab (600) sowie ein fiktives russisches Mafiasyndikat. Der Wettlauf um Innovation mündet in blutiges Gemetzel, in das allerdings nur die fiktiven Unternehmen Globecast und Mutizen verwickelt sind. Die Perspektivierung der Gewalt erfolgt aus der Sicht des Konzerns Event Horizon und der Hauptfigur-Chefin Julia Evans, und dessen Sicherheitschefs Victor Tyo. Seine Abteilung war proportional zur kommerziellen Seite von Event Horizon angewachsen; vom Umfang her konkurrierte sie mit staatlichen Geheimdiensten, und sie verfügte über das taktische Angriffspotential von ein paar Staffeln der Luftwaffe. [...] Victors Stab überwachte gegenwärtig achtzehn verschiedene Teksöldnereinsätze gegen das Unternehmen. (201)

Die Bedrohungslage des Unternehmens (erstes Kapitel, 200f) aufgrund von Industriespionage steht mehr oder weniger im direkten Zusammenhang mit der Bedrohung Englands, das (bedrohte) Unternehmen wird einem (bedrohten) Nationalstaat vergleichbar, wobei das Unternehmen weitgehend eigenverantwortlich, ohne militä-

 14 Es gibt auch einen kolonialen Kampf um Bodenschätze. Der Asteroid New London bietet eine ‚elegante‘ Lösung der Kolonialproblematik, da er als zunächst unbewohntes Stück Planetenraum eingefangen und auf eine Erdumlaufbahn gebracht, zugänglich gemacht und anschließend mit Bergbau-Maschinerie und -Personal besiedelt wird.

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rische Hilfe des Staates, gesichert werden muss. Die poetische Erfindung setzt eine Art Nationalunternehmen ins Werk, das einen hochgerüsteten Sicherheitsapparat unterhält, der mehr oder weniger gewalttätige Kampfeinsätze absolviert. Das Sicherheitsteam wird von ehemaligen Soldaten, sogenannten Teksöldnern, in halblegalen Aktionen unterstützt. Da die Söldner für einzelne Einsätze rekrutiert werden, finden Kampfsituationen in wechselnden Konstellationen, Gegnerschaften und Koalitionen statt. Neben dem Diskurs um ein staatliches Gewaltmonopol, das sich nach innen in einer von der Jurisprudenz kontrollierten Polizei und nach außen in militärischer Armeepräsenz realisiert, kommt zusätzlich der Diskurs um staatliche Überwachung im Rahmen einer digitalisierten Wirtschafts- und Lebenswelt ins Spiel.15 In den Kampfsituationen werden zum Teil persönliche Animositäten und Konkurrenzsituationen, auch finanzielle Interessen inszeniert oder der Kampf mutiert zum Selbstzweck (Suzi, Leol Reiger), insofern sind Gewaltdarstellungen nicht vorrangig auf den Diskurs um das Gewaltmonopol des Staates bezogen. Eher wird der pragmatische Kontext der Pop- und Medienkultur mit einer universalen Präsenz von Gewaltdarstellungen zur Unterhaltung relevant. Gewaltgesättigtes Kino, Fernsehen und Computerspiele bilden einen extradiegetischen Rahmen für die Erzählung, die nicht nur computerisiert aufgerüstete kämpferische Auseinandersetzungen thematisiert, sondern an mehreren Stellen um eine literarische Darstellung von Computerspielen bemüht ist, z.B. im Eingangs- und Schlusskapitel, oder wenn ein

 15 Das staatliche Gewaltmonopol wird in oberflächlichen Randbemerkungen problematisiert. Bei einem Rechercheauftrag streiten zwei kämpfende Söldner um die Schuldfrage des Blutvergießens: „Du stehst [...] auf der falschen Seite, Leol. Ich habe die verdammte englische Armee hinter mir.“ (282) Der Sicherheitschef Tyo reflektiert: „Die drei führenden Oppositionsparteien in Westminster forderten ständig, dass man den Gerüchten über seine Aktionen nachging [...] und selbst die Neokonservativen wurden inzwischen nervös. [...] Zwischenfälle [...] [hätten] leicht dazu führen können, dass die Polizei sich aktiver mit dem Thema befasste. Als ob sie die Mittel gehabt hätte, mit Teksöldnern fertig zu werden; nur, das sollte mal jemand einem Politiker zu erklären versuchen! Die EventHorizon-Sicherheit war nicht die Ursache von Problemen, sondern deren Folge.“ (201) Greg Mandel reflektiert das juristische Spannungsverhältnis: „Es konnte doch leichte Beunruhigung hervorrufen, wenn man sich überlegte, wie verfügbar die Welt für Event Horizon war. [...] Hätte ein Ermittler von Interpol diese Daten angefordert, hätte es Stunden oder sogar Tage gedauert, bis die entsprechenden Rechtsverfahren eingeleitet und die Übermittlung genehmigt waren. Unternehmen und Kombinate entwickelten sich zu Mächten außerhalb des Gesetzes, die durchsetzungsfähiger waren als Regierungen [...] Es war ein Schritt zurück ins Mittelalter, dachte Greg, als die Leute sich noch an den örtlichen Baron wenden mussten, damit wirklich etwas passierte, während die Rechtsprechung des Königs nur eine ferne Wegweisung war.“ (249)

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Luftschiff-Kampf über einen digitalen Persönlichkeits-Prozessornetzknoten, der in Sicherheits- und Steuerungsprogramme ‚hochgeladen‘ oder eingespeist wurde, fokalisiert wird.16 Bezogen auf die selbstverständliche Existenz bewaffneter Kampfszenen liegt die Erzählung im pragmatischen Kontext des kulturellen Mainstreams Popkultur, sie gleicht einem ausbuchstabierten abenteuerlichen Computerspiel, das mit Gewaltdarstellungen spielerisch, man könnte auch sagen: ästhetisch, umgeht. Ein weiterer pragmatischer Kontext ist die europäische inklusive der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Zu Beginn ist die destabilisierte innenpolitische Lage unter der Herrschaft der fiktiven Sozialistischen Partei Englands SVP als jüngste Vergangenheit beendet; das Ende der fiktiven diktatorischen Partei, der Bürgerkrieg sowie die Aktivitäten militärischer und paramilitärischer Gruppierungen liegen siebzehn Jahre zurück und das englische Königshaus wurde nach einem fiktiven Jahrzehnt einer fiktiven „fast maoistischen Diktatur“ (7) samt neokonservativer Wirtschaftsordnung restauriert (504). Die Diegese zeigt ein politisch (wieder) stabilisiertes Umfeld und nutzt sowohl die deutsche Naziherrschaft samt der Endphase des zweiten Weltkriegs als auch das Ende der Diktatur des Proletariats der DDR von 1989 sowie das Ende der Sowjetunion als pragmatische Kontexte. Diese werden auf eigenwillige Weise ineinander verdreht mit dem Ergebnis, dass die Biographien der meisten Hauptfiguren von Erfahrungen der Hilflosigkeit aufgrund staatlich legitimierter (oder tolerierter) willkürlicher Gewalt und Unterdrückung sowie einer insgesamt rechtlosen Situation geprägt sind.17 Ungeschoren davongekommen ist nur Julia, den versehrtesten Körper aus dieser Zeit trägt Royan.18 Die Erzählung fokussiert nicht auf Faschismus oder faschistoiden Kommunismus und eine damit verbundene Zerstörung, Gewalt und Rechtlosigkeit. Die historischen Kontexte werden benutzt, um einerseits die fiktiven Biographien der Hauptfiguren zu erschaffen und andererseits den fiktiven wirtschaftlichen Rahmen zu charakterisieren, der der Handlung vorausgeht und sie als Dynamik antreibt. Ein kleines Detail ist, dass es (endlich?) eine gesamteuropäische einheitliche Währung gibt (die sogenannten Eurofrancs), die sogar in England gilt; im ersten Roman der Trilogie gab es noch zwei unterschiedene fiktive Währungen. Das größere Augenmerk liegt auf dem wirtschaftlichen Wiederaufbau sowie auf der Wiedervereinigung auf englische Art, womit hier die Wiedervereinigung mit dem Königshaus gemeint ist. Dabei bekommt Julia Evans eine eigentlich königliche Rolle.19 Auch

 16 Eingangs- und Schlusskapitel: Frankenstein–Küchenschabe, -Wespe, Jupiterflug (321f). 17 Ist es wichtig, dass fiktive Biographien komplexe Angebote zur Identifikation an zeitgenössische Leser machen, deren Familienbiographien ähnliche Erfahrungen aufweisen? 18 Vgl. die Schilderungen 77f. 19 Ich wiederhole, dass Julia von einer gewaltgeprägten Biographie ausgenommen ist, für die es den Bezug zum pragmatischen Kontext des englischen Königshauses gibt. Mehr-

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die titelgebende „Mindstar“-Figur Greg Mandel tritt im vorliegenden Roman hinter diese dominierende weibliche Zentralfigur zurück. So gesehen könnte man sagen, die in fast jeder Hinsicht omnipotente Figur der Julia steht für den Entwurf eines wirtschaftlichen Königtums. Damit einher gehen popkulturelle Starkult-Anleihen, wobei der hier inszenierte Starkult nicht auf einer künstlerischen sondern auf der wirtschaftlichen Leistung der Romanfigur beruht. Julia Evans ist eine wirtschaftliche Elisabeth II., als Star-Persona ist sie sozusagen eine Mischung aus Bill Gates und Christine Lagarde im Körper einer Ladi Di, versehen mit dem Ehrgeiz von Madonna. Ihre geistige Potenz und kognitive Leistungsfähigkeit, die sie für ihre vielfältigen verantwortungsvollen und simultan anstehenden Aufgaben benötigt, ist durch drei eingebaute „Netzknoten“, die man sich als leistungsfähige Computerchips vorstellen kann, extrem gesteigert. Die informationstechnische Aufrüstung führt zu einem weiteren pragmatischen Kontext, der später verhandelt wird. Insgesamt wird Julia als eine Art informationstechnisch aufgerüstete Märchenprinzessin inszeniert, mit Kindern, widerspenstigem, genialem, ehrgeizigem Mann und großer Firma, verantwortungsvoll, machtbewusst, begehrenswert und unschuldig zugleich, also eine getreue Wiedergabe des modernen Frauenbildes.20 Der Zerfall der Sowjetunion und das Ende des kalten Krieges dienen als weiterer pragmatischer Kontext, verursachen handlungsmotivierendes Geschehen und die Existenz der fiktiven Verbrecherorganisation, der russischen Dolgoprudnensky (z.B. 472). Diese, wenn man so will, osteuropäische Mafia verantwortet einen wesentlichen Teil des fiktionalen Geschehens.21 Hier kommt der Zusammenhang mit

 fach wird sie als Königin bezeichnet (297; 466; 430 als Eiskönigin) bzw. als jemand, der aus einer überragenden wirtschaftlichen Machtstellung heraus Verantwortung für England übernehmen will (203). Diese Figur ist die „eigentliche Königin“ Englands, ihr Ehemann Royan wird nicht nur als „Prinzgemahl“ bezeichnet (518), sondern hat auch eine ähnlich undankbare Rolle. Nur ihre eigenen Kinder glauben als einzige an die Wichtigkeit des echten Königs William (422). 20 Es wäre möglich, die Frage nach dem Gender-Diskurs zu stellen, aber das bleibt Lücke. 21 „Afghanistan markierte den Anfang; die jungen Leute, die von dort zurückkehrten, waren von einem Schlag, wie ihn die Behörden noch nie erlebt hatten. [...] Sie hatten keinen Respekt, keine Moral, kein Gewissen. Der Krieg hatte das alles aus ihnen herausgebrannt; sie sahen, dass sie für nichts kämpften, und schlimmer noch, für eine Lüge. Natürlich nicht alle von ihnen, aber genug, ein harter Kern, der sich dem Verbrechen zuwandte. Dann stürzten die Kommunisten, und die Banden füllten allmählich das Vakuum, das sie zurückließen. [...] Die Leute im Westen wissen nach wie vor zu wenig davon, wie die Kommunisten unser Land ausgeplündert haben, um ihren persönlichen Status zu wahren. Die Dolgoprudnensky hat nicht ihre Statur, agiert aber ebenso heimtückisch mit ihren

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der Popkultur und dem James Bond Genre als weiterer Kontext ins Spiel, wodurch eine kulturelle Diskursivierung der Politik als weitere Verschachtelung erscheint. Die echten James Bond-Filme und -Bildwelten inszenieren den ewigen (fiktiven) britischen Kampf gegen Verbrecherorganisationen im Spannungsfeld von Wirtschaft und Politik (früher: Kaltem Krieg) zwar anders, trotzdem sind die Figuren James Bond und Greg Mandel vergleichbar. Im Roman ist es allerdings nicht ein niemals alternder Geheimagent in den besten Jahren, universal gebildeter Tausendsassa im Dienste Ihrer Majestät, der tätig wird. Greg Mandel, wirtschaftlich selbständiger Landwirt, alternder Exsoldat (254) und Privatdetektiv, familiär gebunden, kehrt im Dienste Ihrer Konzernchefin Julia Evans auf der Suche nach dem Geheimnis der Nano-Blume aus seiner ‚Rentner‘-Existenz als Vater und Zitrusfrüchtebauer zurück.22 Die James-Bond-Figur verteilt sich auf Mandel und den Sicherheitschef Victor Tyo (200f), der die schöne Frau und Mutter (sozusagen die irdische Original-Version von Julia) bekommt. Die genannten pragmatischen Redekontexte Popkultur und insbesondere James Bond verweisen auf einen weiteren Zusammenhang, der gewissermaßen auf eine Art ‚Null-Kontext‘ hinausläuft. Dies hat mit dem Unterhaltungscharakter von Science Fiction zu tun, auf den ich auch im nächsten Kapitel eingehe. Diesen Kontext würde ich als seriöses Bildungsbürgertum bezeichnen, er sieht pragmatisch ungefähr so aus: Die seriöse Bildungsbürgerin weiß, dass sie nicht zur Zielgruppe von grellbunten Paperbacks aus dem Bastei-Lübbe Verlag gehört; selbst wenn sie nicht genau bestimmen kann, an welche Gruppe von Lesern sich dieser Science Fiction Roman richtet, sie gehört nicht dazu. Dieser Befund wird empirisch dadurch bestätigt, dass sie das Zeug in der Regel nicht liest und vielleicht sogar schon den Buchumschlag als abstoßend empfindet.23 Die ephemere technische Machart der Ta-

 Gaunereien, ihren Syntholabors und Prostituierten; ihre legalen Firmen betrügen Fabrikanten und Bauern, und gekaufte Beamte sanktionieren beides.“ (472). 22 Als Figur mit soldatischer Vorgeschichte wird er als Geheimdetektiv auf Bitten der Figur Julia tätig, wobei er gegenüber dieser Dienstherrin einer ähnlich unabweisbaren Verpflichtung unterliegt wie die James-Bond-Figur seiner Dienstherrin; Julia vereinigt ‚in Personalunion‘ die James-Bond-Figuren Ihrer Majestät und „M“, da sie an der Spitze der eigentlichen Macht im Lande steht. Analog zu James Bonds „Q“ gibt es eine technische Tüftlerfigur, die in diesem Buch am Anfang und am Ende eine kurze Rolle spielt, Jools the Tool. Die von ihm entworfenen technisch aufgerüsteten Insekten FrankensteinKüchenschabe und -wespe bilden den technisch-erzählerischen Rahmen. (5f, 748f). 23 Das bunte Titelbild zeigt ein explodierendes Luftschiff im Orbit, davor zwei mit Handfeuerwaffen ausgestattete junge Menschen in dynamischer Bewegung, der Mann blond seitengescheitelt im glänzend violetten Hosenanzug, die Frau wehenden Haares und mili-

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schenbücher (verlieren die Farbe, durch intensives Lesen und Blättern auch die Fassung, der Einbanddeckel löst sich, das Papier vergilbt) verletzt nicht nur inhaltlich, sondern auch durch die Machart ästhetisches Normempfinden, wohl gehütete gesellschaftliche Bildungsideale von dauerhafter, wertvoller Bildung, die sich von billigem Schund unterscheidet, werden durch das Produkt als Material entweder ignoriert oder bewusst verabschiedet. Science Fiction-Literatur wird aus einer bildungsbürgerlichen Perspektive im Wesentlichen zu Konsumprodukten gezählt, die einen postmodernen Menschen in einer entfremdeten Seinsweise als dumpfer, entfremdeter und abhängiger Konsument bestätigen anstatt ihn davon zu befreien.24 Insofern ergibt sich für das Objekt oder den Gegenstand Science Fiction-Roman als Alltagsund Konsumprodukt pragmatisch gesehen eine gewisse Nähe zum Nanospray. Begriffe wie Klischee oder Massengeschmack sollen reflektieren, dass mit Science Fiction-Romanen ‚vor allem Geld verdient wird‘, dass sie sich möglichst nahtlos in einen kapitalistischen Warenkreislauf einpassen und in möglichst hoher Auflage verkauft werden sollen. Gegen diese Sichtweise behaupten sich reale Konsumenten, die sich durch Kauf zu erkennen geben, sich für einzelne Figuren begeistern, den techniklastigen Romaninhalt spannend finden und mitunter gemeindeartig in ausufernden Fangemeinschaften organisiert sind25 oder gar mit dem Autor kommuni-

 tärisch be-outfittet – es geht um ‚Action‘, um Handlung mit waffengespickten Kampfszenen, die Erde wird als Schauplatz verlassen. 24 Ausgenommen sind Autoren wie Stanislaw Lem, dessen Bücher im Suhrkamp-Verlag verlegt werden. Dort findet seine Literatur als „Phantastische Bibliothek“ statt, nicht etwa als Science Fiction. Die Abgrenzung geht so: „,Phantastische Bibliothek‘ – das ist Verzauberung der Phantasie, keine Betäubung der Sinne, sondern Öffnen der Augen als Blick über den nächsten Horizont ins Hypothetisch-Virtuelle. Der Zukünftige verbindet sich mit dem zeitlosen, rationales Kalkül steht neben poetischer Vision, denkbare Wirklichkeit und analytischer Blick in menschliche Abgründe neben Wunsch- und Alptraum. Anregend und unterhaltsam ist es immer.“ Zitat ohne Autorangabe, „Phantastische Bibliothek in den suhrkamp taschenbüchern“, als Anhang in LEM 1976 [1964], 234. 25 Treffen von Science Fiction-Fans lassen sich angeblich seit 1936 in den USA nachweisen und finden seit 1956 auch in Deutschland statt. Vgl. die Website der alle zwei Jahre in Dortmund stattfindenden Messe für Science Fiction Fans dortcon.de/index.php?content =index. Die seit 1939 fast jährlich in einer anderen Stadt stattfindende US-amerikanische World Science Fiction Convention Worldcon findet als Worldcon 75 in 2017 in Helsinki, Finnland statt, worldcon.org. Auf der Website verlinkt ist eine Tagungsankündigung für eine „Pre-Centennial 1873 Worldcon“ in Minneapolis, zu der man mit Hilfe des „Dodd Clegler Institute of Trans-Temporal Studies“ transportiert wird, geplante Aktivitäten: „Discussions of technology and how it will affect the life of the late 1800s.“ sowie „dis-

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zieren. Insofern wird die Nanoblume aus verschiedenen Gründen als Alltagsliteratur (was auch immer das sei) angesehen, die keinen künstlerischen Anspruch erfüllt; keine Lektüre für einen (hoch-)gebildeten Leser, der diese Art Literatur langweilig findet und ignoriert. Das heißt, pragmatisch gesehen gibt es wenig Chancen, dass der Roman von vielen gebildeten Lesern gelesen oder gar zum Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen wird, selbst wenn er (aus Linkscher Perspektive) zur institutionalisierten Literatur gehört. „Im Buchmarkt gibt es [...] Bestseller. Aber niemand, der ernstgenommen wird, erklärt das Easy-Reading zur Kunst.“26 Im Hinblick auf das Leseverhalten ‚seriös‘ literarisch interessierter Lebewesen (wer immer das sei) führt dieser pragmatische Redekontext sozusagen in eine Art NullKontext, da es keine bestehende Praxis gibt. Auch literaturwissenschaftlich gesehen wird eine produktionsseitige und inhaltliche Ausrichtung auf Zielgruppe bzw. identifizierbare Leserschaft als Mangel bewertet. Die Ausrichtung auf Leser als Kunden führt, so die Unterstellung, zu einer Anpassung an Erwartungen und Rezipientenwünsche, so dass die literarische Qualität unter standardisierten Handlungssequenzen, Personenkonstellationen und wenig ambitionierten geistigen Gehalt leidet. So das Klischee gegenüber Science Fiction Romanen aus dem Bastei Lübbe Verlag. Kulturwissenschaftlich gesehen kann dieser (einem Genre unterstellte) Mangel, d.i. Science Fiction als oberflächliche Unterhaltungsliteratur, dazu führen, dass das Buch zumindest in Deutschland nicht als Literatur angesehen wird, weil es nicht dem als allgemeingültig angesehenen Kriterium unterliegt, ein autonomes, unabhängiges Kunstwerke mit Eigengesetzlichkeit oder Eigenlogik hervorzubringen. Dieser Auffassung folgend beruht die Originalität und der Wert von Kunst darauf, einen in sich geschlossenen Entwurf einer Welt zu präsentieren, der sich trotzig oder elegant abgrenzt, in oder gegen eine(r) ‚Realität‘ behauptet, gegen Erwartungen und Wünsche von Zielgruppen oder Leserschaften, auch wenn Kunstmarkt und Siegerkunst27 längst andere Analysebegriffe erfordern. Es ist erkennbar, dass die Erzählung in einen pragmatischen Kontext eingebunden ist, der Computern, einer computerbasierten Kommunikation sowie der Digitalisierung der Lebenswelt einen großen Stellenwert beimisst. Man kann transhumanistische Vorstellungen bewundern, die davon ausgehen, dass man mit implantierten „Netzknoten“ Gehirne aufrüsten oder den Sehsinn mit digitalen Hilfsmitteln und

 cussions of the works of GoH Jules Verne, Edgar Allan Poe, and other recent speculative fiction authors.“ romm.org/1973/, acc. 160222. 26 Martin Zeyn: „Zu teuer, um gut zu sein? Die Kunst und der Markt.“ DLF, 3.10.16, deutsc hlandfunk.de/die-kunst-und-der-markt-zu-teuer-um-gut-zu-sein.1184.de.html?dram:articl e_id=364341, acc. 161102. 27 Siegerkunst ist „Kunst von Siegern für Sieger. Sie ist zum wichtigen Ingrediens einer exklusiven Lebenswelt der Erfolgreichsten“ geworden. ULLRICH 2016, 9.

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Kameras ersetzen kann, man findet in diesem Text von 1995 einfachere computertechnische Praktiken wie das ,Chatten‘, das instantane digitale, schriftliche Kommunizieren per Tastatur und Monitor oder die digitale Recherche in Datenbanken. Auch das ‚Hacken‘, eine ambitionierte, informationstechnisch gebildete Tätigkeit, das kriminelle digitale Eindringen in und das Ausspionieren von Datenbanken, gehört zu den wichtigen Tätigkeiten, die mehrfach ausgeübt werden und die Handlung beeinflussen. Der Kontext einer computerisiert ausgestatteten und durchgebildeten Lebenswelt zeigt sich auch sprachlich: viele Begriffe, geschilderte Tätigkeiten oder Vorgänge kann man nur verstehen, wenn man den computerlastigen Kontext kennt. Bevor ich auf weitere techno-literarische pragmatische Kontexte und den Autor zu sprechen komme, möchte ich noch einmal auf die digitale Kommunikation und den Transhumanismus eingehen. Die bei den Hauptfiguren implantierten „Netzknoten“ verursachen nicht superschlaue Menschen, sondern durch die eingepflanzten Computer sind die Figuren vor allem kommunikativ auch an entlegensten Orten miteinander verbunden. Ein Netzknoten ist eine Art ortlose digitale Persönlichkeit, dessen Implantierung staatlich geregelt ist. Julia hat drei Netzknoten, die miteinander interagieren können oder unabhängig von den anderen die Kontrolle über die Körperperson Julia übernehmen; einer dieser Netzknoten enthält Persönlichkeit, Wissen und Erfahrungen ihres verstorbenen Großvaters. Mit Hilfe der Netzknoten kann Julia mehrdimensional agieren, gleichzeitig das Unternehmen kontrollieren (das sie im Stil eines mittelständischen Unternehmers alleinverantwortlich führt) und bei einem Kampf digital präsent sein. Ein Netzknoten kann auch in ein tragbares Kommunikationsgerät heruntergeladen und jemandem offline als Unterstützung mitgegeben werden. Ihr Mann Royan hat sich insgesamt sieben Netzknoten implantieren lassen. In diesem digital aufgerüsteten Kommunikationsverbund ist Greg Mandel ein überlebter Anachronismus, weil er nur eine neurohormonproduzierende Drüse hat, die seine Empathie und Hellsichtigkeit biologisch verstärkt. Der pragmatische Kontext ubiquitär-elitärer Visionen der technikaffinen Transhumanismusgemeinde wird hier verbunden mit einem technisch basierten Kommunikationsparadigma. Die ubiquitäre Kommunikation mittels Computern ermöglicht einerseits das Aufbewahren von Wissen und Fachwissen (siehe Feynman) an Computer zu deligieren, andererseits wird Wissen und Fachwissen zum Teil mit dem Computer generiert, zum Beispiel durch digitale Repräsentationen des Wissens, den Abgleich von Datenbanken oder die Berechnung von Gleichungen. Einzelne Menschen können gegen Bezahlung körperlich-digital mit dem Datenbankwissen verbunden werden, was angesichts von digitalen Suchmaschinen wie Google und digitalen Nach-

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schlagewerken wie Wikipedia als Vision mit einer zu groß geratenen Eingriffstiefe erscheint.28 Als einen pragmatischen Redekontext kann man den Autor nennen. Zu der Trilogie gibt es einen lebendigen Schöpfer-Autor, der auf seiner Website zur titelgebenden Zentrierungsfigur Greg Mandel und anderen Schriften Auskünfte erteilt und einen Blog samt Kontaktformular anbietet.29 Es gibt youtube-Videos, kurze Videofilme auf der Website der Firma youtube im Internet, in denen der Autor sich – entweder von seinem Verlag oder von seinen Fans interviewt – zu Büchern und zum Beispiel über Fans der Greg Mandel Trilogie äußert.30 Er reist zu Science Fiction Kongressen wie der SDCC San Diego 2012 und geht auf Leserreise durch England. Auf seiner Website wird 2010 eine Neuauflage der Mindstar–Trilogie in England und den USA im Jahr 2011 angekündigt.31 Aus der Existenz der Autorfigur, die in dieser Rolle mit Lesern kommuniziert, lässt sich eine Praxis rekonstruieren, die bestimmte Konsumenten bzw. Rezipienten der Texte in einer ‚multimedialen Aktivität‘ in eine Kommunikation über die Texte einbezieht. Beispielsweise befragen manchen Rezipienten den Autor über das Verhältnis von Realität und Fiktion in Bezug auf Technik. Sichtet man Gästebucheinträge auf der Website, werden Hamiltons Romane vor allem in englischsprachigen westlichen Ländern gelesen: in Australien, den Vereinigten Staaten von Amerika sowie in Kanada oder den skandinavischen Ländern. Es gibt auch Leserrückmeldungen aus Pakistan, allerdings nicht

 28 Der 1995 in der Nano-Blume inszenierte, weitreichende digitale Zugriff auf Datenbanken und Informationen erscheint als hellsichtige Extrapolation der damaligen maschinenübergreifenden Text- und Datenverarbeitungstechniken wie Archie, Gopher, Veronica, WorldWideWeb Wanderer und Yahoo. Die 2016 weltweit am stärksten frequentierte Suchmaschine Google ist seit 1998 online, die Suchfunktion googeln lief seit 1996 mit dem Vorläufer BlackRub. Das Rechenzentrum der TU Darmstadt beschloss im August 1994, als zentrales Informationsmedium das www einzusetzen, Gopher wurde abgelöst, Archie 1999 eingestellt. https://web.archive.org/web/20080323170330/http://tu-darmstadt .de/hrz/netz/netzFAQ.shtml, acc. 160222. 29 peterfhamilton.co.uk/index.php?page=Greg_Mandel, acc. 160222. 30 Im Interview auf der Comic Messe San Diego SDCC 2012 bejaht er die Frage nach GregMandel-Autogrammjägern, distanziert sich von der Trilogie. youtube.com/watch?v=8Syb 5Lg6skQ&feature=related, acc. 160222. 31 „The three Mandel books should also be re-released in America by Del Rey next year. The plan [...] is for an omnibus edition.“ peterfhamilton.co.uk//index.php?page=blog021---june-2010, acc. 160222. Die Trilogie inzwischen bei Del Rey, die ersten MindstarBände zusammengefasst 2011, „The Nano Flower“ 2012, knapp 20 $ (2016).

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explizit zu diesem Roman.32 Der Autor bzw. dessen britischer Verlag Pan Macmillan arbeiten mit mehreren Verlagen in unterschiedlichen Ländern auf den jeweiligen Buchmärkten zusammen; man kann davon ausgehen, dass jeder Buchmarkt national gesehen innerhalb von Eigenlogiken etwas anders funktioniert, wobei die Digitalisierung der Leseprodukte ein eigener systemstabilisierender Faktor ist. Ich möchte in kollektivsymbolischer Manier auf den goetheanischen „Zauberlehrling“ verweisen, der die Geister, die er rief, nicht selbständig wieder loswerden kann.33 Meiner Meinung nach macht es Sinn, diesen Kontext zum Zwecke des Verständlichmachens heranzuziehen und zu kontrastieren, insofern sich die Problemlage des Zauberlehrlings, wie bei Prey, abgewandelt in der Nano-Blume findet. Wie bei Prey geht es zunächst um eine wissenschaftliche, moderne Ausgangslage, um Forschung und Manipulation zum eigenen (und gesellschaftlichen?) Nutzen und nicht um Zauberei zum eigenen Vorteil. Es geht darum, einen Weg zu finden, Materie für sich arbeiten zu lassen und eine lebensbedrohliche Situation entsteht, weil die angewendeten Methoden nicht ausreichend beherrscht werden. Allerdings ist Royan kein Hexenmeister, sondern Wissenschaftler, der sich (im Gegensatz zu Prey) außerirdisches Material aneignet, wobei man im Hinblick auf den Forschungsprozess in den Worten des Zauberlehrlings sagen könnte, er sei sozusagen sein eigener Hexenmeister. Die Nano-Blume bietet eine ‚dynamischere‘ Endlösung der Bedrohungssituation als das Gedicht, wenn der Roman sozusagen Hexenmeister, Besen, Wasser und Lehrling gemeinsam zurück ins Universum schickt, oder in eine neue Welt entschwinden lässt. Auch hat Royan nur eine indirekte Lehrlingsrolle (294, 506, 517) und die Figurenkonstellation ist komplexer als im Zauberlehrling. Zwar ist Royan abhängig von seiner omnipotenten Frau, aber das Hexenmeisterbzw. Meister- und Lehrlingsverhältnis wird in ein Geschlechterverhältnis transformiert, bei dem die Lehr- und Lernsituation zumindest in Teilen wechselseitig ist (was die Informatikkenntnisse angeht, hat Royan Julia unterrichtet, z.B. 313, 320). Trotzdem ist es Meister Julia, die in der entscheidenden Situation den von Royan

 32 Zum Beispiel Eintrag unter dem Namen Hussain Akbar (Pakistan), 30.06.10 um 12:32 h, peterfhamilton.co.uk/index.php?page=Guestbook, zuletzt acc. 100707. (2016 sind Einträge erst ab Januar 2011 zugänglich.) Hussain fragt am 16.8.11, ob Konföderation oder Commonwealth besser seien, und fordert eine neue Trilogie, am 9.8.12, 19:56 h spornt Hussain aus Pakistan den Autor an, schneller zu schreiben: „Ok, you have had quite enough time. Stop galvinating off to comic conventions. Somebody should nail you to your chair till you finish you next series. And, impossible as it may be, it should better surpass the Commonwealth Series. Nuff said. Write!” peterfhamilton.co.uk/index.php? page=Guestbook, 160222. 33 Johann Wolfgang von Goethe: Der Zauberlehrling. Ballade. Verfasst um 1798, veröffentlicht 1827.

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angerichteten Schlamassel wieder richtet bzw. beendet. Man könnte sagen, die Problematik des Zauberlehrlings wird als moderne Technik- und Wissenschaftsreflexion reformuliert. „Anmaßung“ (690) (bei Crichton sind es mangelnde Reflexion und Vorbereitung) führt dazu, dass Royan sich in eine aussichtslose Lage gebracht hat, bei der das von ihm geschaffene Wesen ihn vollständig in der Hand hat. Sein Körper wird durch seine Forschung in Kombination mit der außerirdischen Eigenlogik affiziert und fixiert, anders als bei Prey, wo die Partikel menschliche Körper durchdringen und gestalten.34 Die Problematik der Nano-Blume steht dem märchenhaften Zauberlehrling in nichts nach. Dabei ist der Zauberlehrling im Vergleich poetisch in sich geschlossener, weil es nicht um menschliche Figuren geht, sondern um Hexer, um Märchenfiguren, bei denen die Rollenverteilung klar ist und die Fähigkeiten hierarchisch verteilt sind. Die meisten Hauptfiguren der Nanoblume haben zwar ebenfalls übermenschliche, künstlich implantierte Fähigkeiten, insofern ist der Abstand zu den Märchenfiguren des Zauberlehrlings eventuell weniger groß als es auf den ersten Blick scheint. Allerdings geht es um Technik und nicht um Zauberei. Die Nano-Blume erscheint poetisch offener, in ihrer absurd-phantastischen Lösung des Problems auch verletzlicher als der Zauberlehrling.35 Die Diegese ist in einer geographisch identifizierbaren Räumlichkeit situiert, die ausgehend von England ausgreift in einen global-nationalen Erdraum, zu einem Gutteil im Himmel (in der Erdatmosphäre) spielt, dann zu einem extraterrestrischen Raum, einem Asteroiden namens „New London“ überwechselt und für die beiden (letztlich endgültig transformierten) Protagonisten Royan und eine ‚digitale‘ Julia samt Außerirdischem zum Schluss irgendwo auf einem Planeten im Weltall endet,

 34 Royan steckt in einer Art überdimensionalem Ei fest, das die außerirdische Technik um ihn geformt hat. „Julia erstarrte. ‚Was ist passiert?‘ schrie sie. [...] ‚Zuversicht und Sorglosigkeit‘, antwortete Royans Stimme aus dem Terminal. ‚oder um es unverblümt auszudrücken: Anmaßung. Ein Begriff, der mein Leben gut umschreibt.“ (690) 35 Royans Anmaßung reformuliert die Prey’sche Problematik rund um technologische Unbesiegbarkeit, weswegen er als komplizierte Bezugnahme auf die Hauptfigur Rohan des „Unbesiegbaren“ von Lem gelesen werden kann, mit halber Drehung des mittleren Buchstabens. Royan und Rohan könnten im Sinne Simondons als Protagonisten einer kulturell-„mechanologischen“ Analyse interpretiert werden, was hier nicht ausgeführt werden kann. „Um der Kultur den wahrhaft umfassenden Charakter zurückzugeben, [...] muss man in der Lage sein, das Bewusstsein von der Natur der Maschinen, das Bewusstsein ihrer wechselseitigen Beziehungen und ihrer Beziehungen zum Menschen sowie der in diesen Beziehungen implizierten Werte wieder in sie einzuführen. Diese Bewusstwerdung erfordert neben der Existenz des Psychologen und des Soziologen auch die des Technologen oder Mechanologen.“ SIMONDON 2012 [1958], 13.

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während die irdische Julia mit dem halben James Bond, dem Sicherheitschef ihres Unternehmens Victor Tyo, glücklich wird. Zieht man Überlegungen zur pragmatischen Semiotik jahrtausende Jahre lang strahlenden Atommülls heran, ergibt sich ein Kontext, den ich unbedingt nennen möchte. Ab 1981 gibt es Überlegungen zu der Frage, wie die (amerikanische) Atomindustrie ihren Müll für 10.000 Jahre erkennbar als gefährlich im Endlager Yucca Mountain in der Wüste von Nevada, einem Hauptspielort der Preyschen Diegese, kennzeichnen kann. Der Vorschlag von Lem unterscheidet einen ‚starren‘ von einem selbstreproduzierenden Informationsträger: mit Hilfe von, heute würde man sagen, synthetischer Biologie wird „lebendes Trägermaterial“ hergestellt, so dass das Wissen nicht verloren geht.36 Seine Kollegen Bastide und Fabbri optieren für „lebende Detektoren“, die in der Nähe von Radioaktivität ihre Farbe ändern, deren Existenz sich als Gewohnheit in Sprachgemeinschaften und Kulturen einschreibt, beispielsweise „Strahlenkatzen“, die bei Kontakt mit Radioaktivität ihre Farbe ändern und damit signalisieren, dass etwas sehr Gefährliches, potentiell den Menschen Vernichtendes nahe ist, kein Schatz, der gehoben werden will. Es könnte aber „auch jede dekorative Pflanze, die für Detektorzwecke manipuliert worden ist, verwendet werden.“37 Mit ebendieser Funktionalität der Lemschen, Bastide- und Fabbrischen Vorschläge spielt Hamiltons Erzählung, eine spielerische, literarisch und wissenschaftlich völlig konsequente Aufnahme und Neukontextualisierung lebendiger Gefahrenzeichen, fern jedes goetheanischen Zauberlehrlings. Publikationsform, mediale Sprachgestalt, Textgenre Die Erzählung beschließt eine kleine Serie, eine dreiteilige Techno-Saga, und lässt sich dem Cyberpunk zurechnen. 2010/11 wurde auf Englisch eine neue Auflage der Trilogie mit verändertem Buchumschlag herausgegeben. Für den Roman „Die Nano-Blume“ hat sich auch sechzehn Jahre nach der Ersterscheinung die Buchausgabe noch nicht erledigt. Der buchmediale Status ist bei der Publikation gegeben, das Taschenbuch im Bastei Lübbe Verlag hat in der deutschen Übersetzung 766 Seiten, ist 5 cm dick und wiegt ziemlich genau ein halbes Kilogramm. Die Aufmachung des Buchumschlags der englischen Originalausgaben wurde weitgehend auf die deutsche Ausgabe übertragen, wobei die deutsche Ausgabe als Trilogie-Erkennungszeichen eine Art quer rechteckiges Titelschild im Stil eines Autokennzeichens trägt, das in Majuskeln das Wort „Mindstar“ zeigt. Die deutsche Übersetzung von 1999 konnte man als privatwirtschaftliches Konsumprodukt in Buchläden finden oder beim Großhändler bestellen. Da es in Deutschland die Buchpreisbindung gibt, galt

 36 LEM 1984. 37 BASTIDE / FABBRI 1984, 261.

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der Preis von 16,90 DM, der auf dem hinteren Buchrücken über dem Strichcode und der ISBN Nummer aufgedruckt ist. In Deutschland sind die Mindstar-Bände vergriffen, antiquarisch noch erhältlich.38 Die mit neuem Cover neu aufgelegte britische Version liegt pro Band 2016 bei 9,99 £ für die Taschenbuchversion, Sonderrangebote sind möglich. Beim britischen Amazon-Internet-Buchversand gibt es außerdem eine Kindle-Ausgabe, bei der das Buch-Ding aus Papier, Pappe und Druckerschwärze ersetzt wird durch einen digitalen Buchtext, der auf den Kindle, ein elektronisches Lesegerät, das von Amazon weltweit vertrieben wird, heruntergeladen wird. Der Buchlesecomputer wiegt etwa 400 g, ist etwas über einen Zentimeter dick und kann seinem Zweck entsprechend in neueren Versionen mindestens tausend Bücher speichern, die jeweils in ungefähr einer Minute auf das Gerät aufgespielt, also hochgeladen, werden können. Die Größe des Bildschirms des Lesecomputers ist ungefähr vergleichbar mit der Seite eines deutschen Taschenbuchs. Der Preis für die englische digitale Kindle-Ausgabe von „The Nano-Flower“ liegt beim britischen Amazon Buchversand im 2016 bei knapp über 5 £.39 Von den in dieser Arbeit untersuchten Texten ist der Roman eindeutig klassifizierbar: es handelt sich um einen Roman und damit um Schreib-Kunst, also ein definiertes Genre mit etablieter Publikationsform; in den Kategorien von Jürgen Link handelt es sich um institutionalisierte Literatur. Bei der Rekonstruktion des pragmatischen Kontextes wurde deutlich, wie der Roman verschiedenste Diskurse aufnimmt und an sie anknüpft. Da zum Textgenre dazu gehört, dass das, was im Roman passiert, ebenso wie Figuren, Schauplätze, und auch die Wissenschaften, als fiktiv angesehen werden, d.h. als erdachter Kosmos oder fiktionale Welt, sind die Aussagen, die sich rekonstruieren lassen, Aussagen unter Vorbehalt, mit einem Nicht-Wirklichkeitsstatus. Als erdichtete Schreiberzeugnisse unterliegen sie der Freiheit der künstlerischen Gestaltung, womit die Annahme über ein bestimmtes Leseverhalten einhergeht. Die Realität des im Roman geschilderten, sei es Mord, Sternenflug oder Ehebruch, ist suspendiert und nicht justiziabel. Die zusätzliche Genre-Klassifizierung Science Fiction-Roman hat darüber hinaus eine Signalfunktion für bestimmte Leser, an die sich der Roman vornehmlich richtet (und für die Leser, die keine Science Fiction Romane mögen). Andererseits hat die GenreKlassifizierung eine emblematische Funktion mit inhaltlicher Aussagekraft, insofern das Genre eine mehr oder weniger weit vorausliegende Zukunft der Zivilisation thematisiert, die von einer im Vergleich zur Gegenwart gesteigerten Technisierung geprägt ist. „Science Fiction“ als spezielles Romangenre ist explizit über dem

 38 2016 werden beim Internet-Buchversand Amazon zwölf gebrauchte Exemplare zwischen 13 und 40 Euro angeboten, amazon.de, acc. 160222. 39 Recherche auf Amazon.uk, acc. 160226.

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Strichcode auf dem hinteren Buchdeckel aufgedruckt.40 Jenseits dieser Kategorien kann man die Erzählung als erstklassiges Technik-Märchen klassifizieren oder dahingehend differenzieren, dass eine Liebesgeschichte mit einem Wirtschaftskrimi als Detektivgeschichte zusammengedreht wird. Aus der kombinierten Detektivgeschichte wird im letzten Drittel des Romans ein Wissenschaftskrimi samt märchenhaftem Ende. Die Erzählung gehört zur techniklastigen Unterhaltungsliteratur (Belletristik), die in der fernen Zukunft spielt und deren Inhalt sozusagen doppelt fiktiv ist. Der Inhalt ist gewissermaßen noch unwahrer als bei einer normalen Erzählung, obwohl (oder weil) die Sprache des Romans sowohl von wissenschaftlichen und technischen als auch pseudowissenschaftlichen und pseudotechnischen Begriffsbildungen geprägt und durchsetzt ist (Mikroben, DNA, Gentechnologie, taktisches Angriffspotential, Neurohormon, Implantat, Bewusstsein, Identität, xenophobisch, sterilisieren, Gigaleiter, Prozessor-Netzknoten, Bioware, Interface, Wechselwirkungsgenerator, Sonnensegel). Wenn es um die neue Technologie, die sogenannte „atomare Strukturierung“, geht, lehnt sich die Sprache nicht nur stark an wissenschaftliche Begriffsbildungen an und imitiert diese, sondern mischt existierende Begrifflichkeiten sowie bekannte wissenschaftliche Phänomene, technische Erfindungen selbstverständlich darunter (Generatordaten, Patent, Gluonen, Verarbeitungskapazität, Industriekybernetik, kritische Masse (693), proteische Zellen, symbiotisches Arrangement, Wechselwirkung). Eine kulturkritische Perspektive auf das Textgenre schreibt jedem Science Fiction-Roman einen untilgbaren Mangel zu: in der Regel wird jedem Vertreter des Genres eine ernsthafte oder ästhetisch relevante Auseinandersetzung mit der problematischen Welt, in der wir leben, abgesprochen, weil die Probleme und Lösungen in einer systemisch ausdifferenzierten modernen Welt, die als existierende Sachprobleme bekannt sind, von wissenschaftlichen Experten bearbeitet werden sollen. Wenn ein populärwissenschaftliches Genre wissenschaftliche Entwicklungen, virtuelle Realitäten und Digitalisierung thematisiert oder extrapoliert, steht der Status der ernsthaften Wissenschaften in der Gesellschaft zur Debatte. Das Verdikt über Science Fiction als kulturindustrielle Konsumliteratur, die die Leserschaft weder aufklären will noch kann und eine entfremdete, konflikt-

 40 Die Trilogie ist formal eine entfernte Verwandte der Ursage des Science Fiction, der Sage von Perry Rhodan, die jahrelang in loser Heftform publiziert wurde. Die Zukunftsabenteuer wurden von mehreren Autoren verfasst, was zu uneinheitlichen Figurenkonstellationen und Handlungsverläufen führte. Später entstand eine Buchreihe mit mehr oder weniger einheitlichen Handlungssträngen und standardisierterem Figureninventar. Die billigen und vergänglichen „Kiosk-Heftchen“ wurden verstetigt und mit buchmedialem Status geadelt und kulturell aufgewertet. Die Problematik einer verteilten und temporal gestreckten Autorschaft besteht hier nicht.

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reiche und hochtechnisierte Lebenswelt kritiklos bejaht oder gar überhöht, dient indirekt der Stabilisierung einer arbeitsteilig in Expertenaufgaben unterteilten Perspektive auf gesellschaftliche Organisation. Diese Perspektive braucht sich nicht auf die sowieso als fiktiv klassifizierten Wissenschaften der Erzählung einzulassen, weil es dieser kulturkritischen Perspektive ausreicht, festzustellen, dass eine konflikthaft imaginierte Zukunft mit söldnerdominierten Guerillakämpfen und aberwitzigen Waffen nur zu Unterhaltungszwecken gezeigt wird, mit Schauplätzen, die nicht nur auf der Erdoberfläche oder in ihrem Luftraum liegen, sondern auch auf einem auf eine Erdumlaufbahn gebrachten Asteroiden namens „New London“ und die noch weiter entfernt irgendwo im Universum münden. Als mediales Ding wird das Buch in der Regel unabhängig vom Autor wahrgenommen, der Text der Nano-Blume braucht keine Anbindung an einen Autor, der die Aussagen, die im Text identifizierbar werden, als erzählerische Instanz auf eine direkte oder indirekte Weise verantwortet.41 Allerdings hat der Autor eine Meinung über die Notwendigkeit des medialen Status der Nano-Blume: die MindstarTrilogie ist seiner Ansicht nach nicht verfilmungsfähig, weil zu umfangreich. Insofern bestimmt er darüber, ob der mediale Status der Nano-Blume als Stoff zur Vorlage für ein Drehbuch für einen Kino- oder Fernsehfilm werden könnte, wodurch der Stoff seinen medialen Status in einem anderen Sinne verändern würde als durch eine Kindle-Ausgabe. (Ich halte eine Verfilmung der „Nano-Blume“, also einen medialen und diskursiven Entwicklungs- und Transformationsschub, „eine crossmediale Verwertung des Contents“42, für denkbar und vielversprechend.) Hinsichtlich der medialen Textgestalt ist zu ergänzen, dass sich bei bestimmten Sorten erzählerischer Perspektivierungen das Schriftformat ändert, so finden die Kommunikationen zwischen digitalen Persönlichkeiten in der deutschen Buchaus-

 41 Als Anhängsel zum geschlossenen buchmedialen Status der Erzählung gibt es den Autor sozusagen trotzdem. Er tritt als Urheber des Werks auf, erhält Geld für den Verkauf der Bücher und Manuskripte, steht als Erfinder der Trilogie für die Kohärenz der Figuren und Figurenkonstellationen ein. Auf Fragen zur künstlerischen Relevanz und zur öffentlichen Würdigung seiner Werke durch Literaturkritiker oder Öffentlichkeit lässt Hamilton sich nicht ein, selbst wenn Fragen wohlmeinend sind und eine indirekte Bestätigung und Lob enthalten. Er beharrt darauf, dass seine Werke abgeschlossene fiktionale Werke sind, zu denen er nichts sagen muss. Allerdings tut er das doch immer wieder, zum Beispiel auf seiner Website, auf der er diverse Diskussionen mit den Lesern über Inhalte oder Figurenkonstellationen unterhält, und übernimmt damit eine gewisse diskursive Verantwortung für den Text, peterfhamilton.co.uk, acc.160222. 42 OELS / SCHIKOWSKI 2012, 6.

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gabe in kursiver Schrift statt.43 Das heißt, die technisch aufgerüsteten Figuren kommunizieren in einer Art digitalisierter innerer Rede, die zwar spontan ist, sich jedoch lautlos vollzieht und sich für die Figuren (wie für den Leser) im verschriftlichten Modus vollziehen müsste (denn ein digitales Bewusstsein kann ja nicht hören). Diese Kommunikationsform eines inneren digitalisierten Dialogs wird in der Schriftform als kursive Schrift hervorgehoben und erzeugt poetisch eine maximale Distanzlosigkeit gegenüber dem Leser, der einen Einblick in materialisierte (und irgendwie versprachlichte) Bewusstseinsvorgänge erhält, der für die zusätzlich anwesenden anderen Figuren der Handlung nicht zugänglich ist. Man könnte mit Genette von einer eigentümlich gesteigerten inneren Fokalisierung sprechen, insofern sich die elektronisch kommunizierten Sichtweisen und Dialoge in einem technisch weiter dimensionierten Subjekt-Innenraum der jeweiligen Figur abspielen.44 Mit diesem erzähltheoretischen Begriff gesprochen kann man die erzählerische Rekonstruktion eines telepathischen Gedankenaustauschs als spezielle Fokalisierung eines (irgendwie) digital materialisierten Bewusstseins, das privat (und stellenweise intim) mit einem anderen digitalen Bewusstsein kommuniziert, bezeichnen.45 Davon unterschieden ist eine digitale Kommunikation mittels ‚Chat‘, die in durchgängigen Majuskeln wiedergegeben wird.46 Ebenfalls in Großbuchstaben ‚redet‘ bzw. kommuniziert der schwerst versehrte Royan in einer Situation, bei der Julia entscheidet, dass sein bedauernswerter körperlicher Zustand als Kriegskrüppel (ein Körperrumpf mit Kabeln an allen Extremitäten und in den Augen) abgeändert werden soll.47 Die Figuren der Handlung sprechen in unterschiedlichen Sprachstilen bzw. auf unter-

 43 Zum Beispiel zwischen Julia (eigentlich muss man sagen: zwischen Julias Netzknoten) und Royan (einige ‚Persönlichkeitspakete‘ von Royan tauchen als personalisierte OfflineNachrichtenpakete während der Suche nach und nach auf) oder als ‚innerer‘ Dialog zwischen Julia und ihrem digital existierenden Großvater, aber auch zwischen Suzi und Greg oder Victor und Julia. HAMILTON 1999 [1995], 56f, 81, 141, 422f, 557f. 44 GENETTE 2010, 121f. und 217f. 45 Die privat-intime Kommunikationsform wird mehrmals beschrieben, am deutlichsten in dem Rückblick: „Julia wünschte sich [...], sie hätte ein direktes Interface zwischen ihren Netzknoten und seinen Ware-Systemen [...] herstellen können; normalerweise kommunizierten sie unmittelbar über das Datennetz von Event Horizon – munteres, ungezügeltes Geplauder über jedes Thema, das sie beide interessierte, streitend, lachend, ohne jemals zu lügen; es grenzte fast an Telepathie. Aber das hier lief schmerzhaft langsam und furchtbar öffentlich.“ (77f). 46 Das Chatten als Eintippen von Nachrichten auf eine Tastatur taucht nur einmal auf, wenn Julia eine Anfrage zu Recherchezwecken unternimmt (312-317). 47 Hin zu einem ‚richtigen‘ Körper. Der sprachlose Royan äußert sich ablehnend öffentlich mittels digitaler Schrift an einem Monitor in Großbuchstaben (77-79).

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schiedlichen Sprachniveaus, wobei vor allem die Söldnerfiguren Suzi und Leol Reiger eine Reihe von Kraftausdrücken verwenden. Wie und ob diese unterschiedlichen Schriftgestalten in der elektronischen englischen Kindle-Ausgabe ebenso gestaltet sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Denkbar ist, die digitale Schrift zum Beispiel zu animieren, d.h. zum Beispiel als blinkende Sätze zu zeigen, wenn es sich um besonders nachdrückliche Äußerungen handelt. Die vorliegende Schriftgestaltung der gedruckten deutschen Ausgabe ist farblich einheitlich, ebenso wie die Einteilung des Textes in insgesamt 42 fortlaufende Kapitel. „Die Nanoblume“ Der Roman trägt einen doppelten Titel: „Mindstar“ (auf dem Buchdeckel der deutschen Ausgabe in Majuskeln in Form eines Autokennzeichenschildes) und „Die Nano-Blume“. Das englische Wort „Mindstar“ ordnet die Erzählung über eine männliche Figur einer Trilogie zu. Die Figur Greg Mandel ist eine Art transformierter James Bond, eine hybride Rollenmischung aus Kämpfer, Detektiv, Geheimagent, Ex-Soldat, Vater, Ehemann und Zitrusbauer. Das Titelwort hebt darauf ab, dass sich diese Figur durch eine besondere geistige Kraft auszeichnet, emblematisch verweist „Mindstar“ auf ein kleines biografisches und biotechnisches Narrativ: Die Mitglieder der geheimen militärischen „Mindstar-Brigade“ wurden als Kämpfer durch Drüsen-Implantate aufgerüstet, um Hellsichtigkeits- und Gedankenlesefähigkeiten zu steigern (was aber nicht richtig funktionierte, weshalb die Brigade wieder aufgelöst wurde). Als Detektiv nutzt Greg Mandel die Sekretion von ‚Neurohormonen‘ einer eingebauten Drüse in bezug auf andere Bewusstseine. Er kann zwar nicht Gedanken lesen, hat aber eine biologisch induzierte, räumlich-situative Hellsichtigkeit in bezug auf ‚Gedankenfarben‘ und die gefühlsmäßigen Abläufe bzw. die emotionale Lage anderer Bewusstseine. Außerdem kann er punktuell in das Bewusstsein anderer eingreifen, zum Beispiel Ängste und Wünsche verstärken und Trugbilder entstehen lassen. Dieser übermäßige Gebrauch der Drüse verursacht anschließend einen „Neurohormonkater“ samt Kopfschmerzen. Durch diese (fiktionale, dennoch aber emblematische) definitorische Erklärung in der Form „das ist ein Mindstar“, entsteht eine adjektivische Qualität des Titelworts. Die Bezeichnung „Mindstar“ funktioniert emblematisch und adjektivisch und das erste Titelwort hat einen emblematischen Wiedererkennungswert. Dieses Buch ist „eins von den Mindstar-Bänden“, wobei in jedem Roman mindestens eine Figur Greg Mandel als Mindstar identifiziert („ah, sie sind ein Mindstar“) und entsprechend bewundernd, verunsichert oder trotzig reagiert. Andererseits bezeichnet das Wort „Mindstar“ eine besondere körperliche Eigenschaft, die zum Beruf gemacht wurde. Damit funktioniert das Wort Mindstar semantisch einerseits wie das substantivierte Adjektiv

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Schnelldenker48, andererseits wie das Wort Fußballstar.49 Die titelgebende männliche Figur gewährleistet den Zusammenhalt der Trilogie, die im England der Zukunft spielt; insofern verweist das Titelwort „Mindstar“ außerdem auf die fiktive Vorgeschichte und ruft die erzählte Welt samt ihrer Genese auf. Da das biografische Narrativ des „Mindstar“ für alle Bände gleich ist, kann man das erste Titelwort als Obertitel bezeichnen. Wenn man „Mindstar“ (analog zu „James Bond“) als Haupttitel bezeichnete, würde man den Zusammenhalt der Trilogie als wichtigste Titelaussage betonen. Dagegen wird hier „Die Nano-Blume“ als Haupttitel angesehen, denn es geht nicht, wie bei der James Bond-Serie, um die Inszenierung eines Titelhelden. Die Erzählungen sind zwar narrativ um den titelgebenden Protagonisten zentriert, aber im vorliegenden letzten Teil geht es um die Liebesgeschichte und das Wettrennen um eine neue Technologie, die als Detektivgeschichte zusammengedreht sind. Das zweite Titelwort ist das aktualisierte Gegenstück zum ersten Titelwort. Es bezeichnet den aktuellen Fall für den Mindstar und damit das, worum es im Buch geht: eine geheimnisvolle Blume und die an dieses fiktive Ding geknüpften Geschehnisse. (Zu deren Aufklärung hätte vielleicht ein Detektiv ohne MindstarBefähigung ausgereicht, was allerdings literarisch weniger interessant und weniger spannend gewesen wäre. Es liegt ein gewisser Reiz darin, wie dieses innere Bewusstsein, das mit anderen Bewusstseinen konfrontiert wird, dargestellt wird und wie aus der Intuition des Mindstar vorauseilende Ahnungen entspringen, die für die Bewältigung der Kampfsituationen notwendig sind). Das formale Verhältnis der beiden Titelworte ist „Serie“ und „Episode“ (bzw. „Sequel“). Man könnte dieses Verhältnis als Satz ausformulieren: „In dieser Episode beschäftigt sich der berühmte Mindstar mit einer Nano-Blume“, womit man das formale Verhältnis der Titelwörter, nicht aber die Aussage der Erzählung treffen würde. „Die Nano-Blume“ bezeichnet im Rahmen des fiktiven Kosmos emblematisch ein Ding, das auf dem originalen Buchumschlag als lilafarbene Rose abgebildet ist. Dieses Titelwort bezeichnet ein Nano-Ding, auf das im Rahmen fiktionaler Rede gezeigt und das überbracht werden kann. Wichtig ist, dass Nano als Qualitätsmerkmal und nicht als Größenordnung verstanden wird: Würde es sich semantisch um eine nanokleine Blume handeln, eine ultrawinzige Miniblume, würde dies dem

 48 Das englische Wort müsste man auf zwei Arten übersetzen, um diese semantische Struktur zu finden. Beim Mindstar spielt der Geist („mind“) die Hauptrolle („to star“: die Hauptrolle spielen). Gleichzeitig kann man den Anklang von „to stare at“ (in dem Wort „star“) heraus hören, was das durchdringende Ansehen von etwas meint. Der Mindstar kann Leuten in den Geist („mind“) hineinsehen. 49 Insofern beide Male die virtuose Beherrschung eines Objektes (Fußball, Geist) die herausgehobene öffentliche Wahrnehmung hervorbringt.

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Inhalt des Romans, der Umschlagabbildung und der emblematischen Aussagestruktur des Titels entgegen laufen.50 Eine Blume in Nanometergröße könnte weder blühen noch einen wahrnehmbaren Zeichenwert erfüllen. Da das Nano-Ding im Deutschen durch den bestimmten Artikel „die“ spezifiziert wird, wird damit gesagt, dass es um eine einzelne Blume geht, die emphatisch hervorgehoben wird, und nicht um eine Gattung von Nano-Blumen (wobei ich finde, dass der bestimmte Artikel „die“ an dieser Stelle einen deiktischen Sinn bekommt). Da es keine Nano-Blumen gibt, erzeugt der Titel eine Irritation oder Spannung, in der Erzählung wird die Blume nur „Blume“ genannt. Die Blume sah komisch aus; so eine hatte sie noch nie gesehen. Sie war trompetenförmig, fünfzehn Zentimeter lang und lief in etwas aus, was, wie Julia vermutete, eine kleine Samenkapsel war. Die Farbe war ein zartes Purpur, und als Julia einen Blick ins offene Ende warf, war innen alles ganz weiß. Sie bemerkte ein komplexes System von Staubgefäßen mit zitronengelben Staubbeutelausbuchtungen. An der Außenseite der Trompete wuchsen kurze seidige Härchen. (64)

In der Erzählung erfüllt die Blume dieselbe Funktion, die sie auch als paratextuelles Titelwort erfüllt: sie fungiert als Zeichen, dessen Bedeutung nur durch intensive Nachforschung erschlossen werden kann. Man soll und muss den Roman lesen, um zu erfahren, was eine Nano-Blume ist, wobei sich herausstellt, dass das Anstoßen der Nachforschungen bereits der Zweck der Überbringung des Nano-Dings ist: im Roman in Kombination mit einer gleichzeitig überreichten Karte ein Hilferuf. Im Verlauf des Romans verliert die Blume aber diese deiktische Titelfunktion, sie rückt im letzten Drittel des Buches zugunsten einer größeren Problematik in den Hintergrund. Es geht letztlich nicht um die Blume, sondern um die Problematik außerirdischer Existenzform und der (Nano)Technologie. Dies wird mit Hilfe der Intuition von Greg Mandel recht früh klar: „Die Blume“, sagte er. „Sie ist nicht tödlich, aber ich habe ein Gespür von Gewicht hinter ihr, von einem anwachsenden Druck. [...] da ist etwas ... und wartet auf den richtigen Zeitpunkt.“ (98/99)

Das Nano-Blumen-Ding wird als biologisches Artefakt (214f) bezeichnet, dessen Abbild (wenn man so will: sogar) auf dem Einband der englischen Originalausgabe und der deutschsprachigen Ausgabe zu sehen ist. Der Titel kombiniert einen simplen biologischen Gegenstand („Blume“) mit einer technischen Assoziation („Na-

 50 Die emblematische Struktur wird mindestens für den zweiten Titel „Mindstar. Das MordParadigma“ verwendet, der erste Band heißt: „Mindstar. Die Spinne im Netz“.

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no“), dessen hybride Existenz erklärt wird als Blüte einer von dem verschwundenen Royan geklonten Pflanze, eines Prototypen der sogenannten „Aussaatpflanze“. Der Titel ruft semantisch die Großopposition Technik und Natur auf und zwingt sie zusammen in einen Gegenstand. Dabei wird für Nanotechnologie ein biologischer Kontext gewählt, der auf die Gentechnologie zurückweist. Die Blume ist (man weiß nicht wie) technologisch, mindestens technologisch durchsetzt, wenn nicht gar erzeugt. Der dinghaft gebundene Widerspruch von Technik und Natur ist ungeklärt und erzeugt Spannung, insofern im Titelwort zwei Bereiche vereinigt werden, die trotz allseits praktizierter Genmanipulation traditionell kategorial (und) fundamental voneinander geschieden sein sollen. Beide semantisch voneinander unterschiedenen Bereiche werden durch einen Bindestrich miteinander vereinigt. Dabei lässt sich die Unterscheidung als eine der semantischen Binärdifferenzen der westlichen, wissenschaftlich geprägten Kultur reformulieren, bei der Technik das Reich des Menschen, einen Bereich der Zwecke und Mittel umfassen würde, in dem selbst erzeugte und beabsichtigte Kulturleistungen dafür benutzt werden, Natur beherrschbar zu machen, Natur dagegen als kategorial von Technik verschiedene mit einer eigenen Dynamik versehen und gewissermaßen selbstzweckhaft angesehen wird. Stehen Technik und Natur als binäre Opposition gegenüber, wird Natur zu einem begrifflich bestimmten Objekt-Bereich, der durch wissenschaftlich-technische Entwicklungen beherrschbar wird, der aber andererseits wie ein Stehaufmännchen immer wieder als Herausforderung zurückkehrt. Natur im Gegensatz zur Technik heißt dann, dass es in der Natur (begrifflich) ein persistierendes unverfügbares Moment gibt. Natur wäre das, was pragmatisch-technisch diszipliniert und beherrschbar gemacht wird, aber kategorial-begrifflich für Wissenschaft und Technik unverfügbar ist, das ‚immer-wieder-noch-nicht Verfügbare‘, das durch Wissenschaft und Technik erforscht und beherrschbar gemacht werden muss und wird. Die Auseinandersetzung um eine vermeintliche oder tatsächliche Entgegensetzung von Natur und Technik, wobei Natur als das ‚immer schon gegebene‘ Gegenüber dauernd durch Naturwissenschaft und Technik verfügbar gemacht wird, aber ‚immer wieder neu‘ als Herausforderung auftritt, wurde bei Prey bereits thematisiert.51

 51 Dass ,Natur‘ eine diskursiv konstruierte Vorstellung ist, wurde vielfach erforscht und gezeigt, ebenso, dass die Gegenüberstellung von Natur und Technik in der technischen Zivilisation mit einem technisierten Wissenschaftsbetrieb problematisch bzw. obsolet wird, und in der Beschreibung durch Ansätze wie die von Latour oder Simondon unterlaufen werden kann und muss. Allerdings spielt das an dieser Stelle keine Rolle, weil es um eine kulturell aufgerufene Semantik geht, um eine binäre Opposition als Interpretationsfolie, nicht um die Wahrheit des wissenschaftlich verfügbaren Wissens über Natur und Technik oder ihr Verhältnis.

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Wenn die Technik durch das Kürzel Nano ins Spiel kommt, erfolgt auf diese Weise die Einbindung in den Nanotechnologiediskurs und damit der semantische Bezug auf Technik, wobei der Technikdiskurs gleichberechtigt neben dem semantischen Bezug auf Natur steht, der durch das Wort Blume aufgerufen wird. Das gesamte Titelwort ist emblematisch, seine beiden Einzelbestandteile funktionieren dagegen symbolisch: „Blume“ als Symbol für die lebendige Natur, auch in genmanipulierter Züchtung noch eine organisch gegebene Seinsweise, etwas selbstzweckhaft und aus sich heraus organisch Gewachsenes, das eine Blüte trägt. Das Kürzel „Nano“ dagegen liefert den Hinweis auf etwas technisch Gemachtes, das der Natur gegenübergestellt wird, auch wenn aus dem Titel nicht hervorgeht, wie genau die Technik ins Spiel kommt. Insofern verweist „Nano“ auf den Aspekt des Gemachten bzw. menschlich erzeugten, man könnte es im Gegensatz zu einem konkreten technischen Ding als eine Technik-Assoziation bezeichnen. Da die Nano-Blume in der Erzählung nicht als „Nano-Blume“ bezeichnet wird, bildet das Titelwort eine semantische Einheit, die (im Gegensatz zum Titelwort „Mindstar“) nicht Teil des geschilderten Kosmos wird und gewissermaßen paratextuell über dem fiktionalen Romankosmos schwebt, es liefert eine abstrakte Syntheseleistung dessen, was im Roman beschrieben wird. Wohl ist später von „Nanoware“ die Rede (dazu komme ich noch), aber die Blume selbst wird als fremd und genmanipuliert beschrieben und in ihrer Existenzgenese als Blüte einer Aussaatpflanze, die aussieht wie eine Mischung aus Kaktus und Farn (561), erklärt. Dabei zeigt der Verlauf des Romans zwar, dass auch die Blüte und vor allem die Mutterpflanze tatsächlich interessant sind; zu dem Zeitpunkt, wo ihre rätselhafte Herkunft entschlüsselt wird und die Mutterpflanze auftaucht, führt sie aber zu einer Problematik, die über ihre Existenz hinaus geht und wichtiger und dramatischer ist. Es zeigt sich, dass aus denselben Zellen, aus denen die Pflanze gemacht wurde, aufgrund des speziellen proteischen Charakters (der proteischen Natur!) der außerirdischen Zellen darüber hinaus noch ein Bewusstsein entstehen konnte (691), ähnlich wie bei „Prey“. Der Titel bekommt erst durch die Erzählung eine symbolische Bedeutung, bei der die Leitdifferenz Technik-Natur verwoben wird mit der Leitdifferenz außerirdisch-irdisch, die dem Science-Fiction-Genre geschuldet ist. Die Nano-Blume entspringt einer irdischen, technowissenschaftlichen Tätigkeit, bei der außerirdisches Material („Mikroben“) und irdische Natur verklont werden, sie führt aufgrund der speziellen Natur (oder Seinsweise) der außerirdischen Mikroben zu der Problematik eines selbsttätigen außerirdischen, lebendigen, proteischen Materials, wobei der Aspekt des Gemachten, also Technischen, bereits in den Mikroben enthalten ist. Die symbolische Bedeutung der Nano-Blume ist das, was zur Semantisierung der Nanotechnologie hinführt. Als fiktionales Ding verweist sie auf eine durch menschliche Begriffe und Zugriffsweisen letztlich nicht zu bändigende außerirdische Natur, die den Charakter des hochentwickelten, selbsttätig Entwickelnden trägt. Im

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Roman wird dieser autonome Charakter als „Endpunkt und zugleich der Vorfahre der Evolution“ eines fremden Planeten bezeichnet (691) (dazu später mehr). An dieser Stelle sei auf die unhistorische Seite einer Diskursanalyse verwiesen, die den Nanotechnologie-Diskurs als pragmatischen Kontext des Titelwortes identifiziert, andererseits dem Roman über Titelwort und Handlung einen Beitrag zum Nanotechnologie-Diskurs zugesteht. Das geht, wie in der Analyse von Feynmans Text, über eine saubere ideenhistorische Rekonstruktion hinaus.52 Wissenschaftsdisziplinen der Nanotechnologie Die Frage nach den Wissenschaftsdisziplinen kann auf zweifache Weise gestellt werden. Erstens kann man fragen, welche Rolle Wissenschaften in der Diegese einnehmen. Ist ‚Wissenschaft‘ ein handlungsmotivierendes, bestimmendes Element? Oder wird Wissenschaft und Technik als Ornament benutzt, als Illustration? Damit verbindet sich die zweite Frage: was kommt als Wissenschaft und Technik vor und wie wird es inszeniert?53 Zunächst inszeniert der Roman eine technisch höchst entwickelte Welt, die, salopp gesagt, vor neuester Technologie nur so strotzt. Es gibt „Cybofaxe“, Kommunikationsobjekte ähnlich den heutigen Smartphones, kleine tragbare Computer, mit denen telefoniert und bildlich kommuniziert wird. Das technologisch aufgerüstete Haus der Hauptfigur Julia könnte man als Smart-Home bezeichnen, mit selbsttönenden Fensterscheiben, ausgefeilter Sicherheitstechnik, „Bioleuchtkörpern“ und unsichtbarem, ubiquitärem Kommunikationsnetz. Autos kommen fast gar nicht vor (nur kurz am Anfang und am Ende), dafür leise zischende, Gigaleiter-betriebenen, über- und unterschallschnelle Flugzeuge sowie Raumfähren. Diese ausgefeilte Technik ist aber alles nicht Nanotechnologie. Denn die

 52 Schummers Ansatz intendiert Ideengeschichte, wenn er die Ursprünge der Nanotechnologie in der „amerikanischen Populärkultur“ lokalisiert, verursacht aber einen Widerspruch, wenn er sich darüber lustig macht, dass Wissenschaftler und Ingenieure bis 1999 so gut wie nichts von der Nanotechnologie wussten, nicht einmal von ihrem Kommen „ahnten“, SCHUMMER 2009, 13 und 10. Unklar ist, ob Hamilton als Brite zur amerikanischen Popkultur im Schummerschen Sinn gehört und ob Wissenschaftler und Ingenieure notwendigerweise außerhalb der Popkultur situiert sind. 53 Vielleicht ist es notwendig, die Beobachtung von Genette, dass Fiktion nie ganz rein ist, also immer einen mehr oder weniger realistischen Charakter trägt, zu rekapitulieren. „[E]in Roman kann bei aller Phantastik doch zugleich in der ,wirklichen‘ Geschichte situiert sein“. Die „reine Fiktion [wäre] eine Erzählung, die keinerlei Bezug auf den historischen Rahmen hätte. Dies ist bei Romanen [...] nur selten und bei epischen Erzählungen wohl so gut wie nie der Fall.“ Handelt es sich um einen Science-Fiction-Roman, gilt dies auch für Wissenschaften als Element der „wirklichen“ Geschichte. GENETTE 2010, 222.

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Nanotechnologie ist neu, sie kommt erst noch dazu, zu dieser sowieso schon technisch ambitionierten Welt. Die Nanotechnologie erschüttert als neue Technik diese technisierte Welt durch ihr Auftreten. Das, was diegetisch als Nanotechnologie verhandelt wird, wird wissenschaftssemantisch (und den Genre-Regeln folgend) außerhalb der technisch höchstentwickelten Welt angesiedelt. Nanotechnologie ist, wie sich herausstellt, außerirdischen Ursprungs und tritt zunächst als Zwei-, letztlich aber als Dreifaltigkeit in das Romangeschehen ein. Dabei wird die Reihenfolge Nanoblume, neue Technik, Mikroben eingehalten. Wir lesen von einem wissenschaftlich erforschten und geordneten Kosmos, in den eine außerirdische und somit außerwissenschaftliche Nanotechnologie eindringt. Im Hinblick auf die hier verfolgte Fragestellung „Welche Wissenschaftsdisziplinen beschäftigen sich mit Nanotechnologie bzw. gehören semantisch zur Nanotechnologie?“ ergibt sich dadurch ein Widerspruch. Folgt man der Logik des Romans, gibt es eigentlich keine Wissenschaften, die der Nanotechnologie beikommen können. Darauf läuft das Romangeschehen auch hinaus: Ein außerirdischer, mit Bewusstsein versehener Organismus entsteht und muss schließlich irgendwo im interstellaren Raum verschwinden (die Nanoware landet in der Heterotopie). Eine Existenz der Nanotechnologie innerhalb des fiktiven, technisch und wissenschaftlich entwickelten Kosmos erscheint als zu gefährlich und sogar als unmöglich, weil nicht zu bändigen. Trotzdem wird die (außerirdische) Nanotechnologie in der Erzählung wissenschaftssemantisch aufgeladen. Um die durch die Konzeption der fiktionalen Wissenschaftswelt hervorgerufenen logischen Verwicklungen im Hinblick auf die Fragestellung nach der Nanotechnologie so weit wie möglich zu bändigen, (1) beschreibe ich zunächst, wie die wissenschaftlich-technische Welt beschaffen ist. Dann (2) komme ich zur neuen Technologie der atomaren Strukturierung, durch die die diegetische54 Wissenschaftswelt erschüttert wird. Zwar wird diese neue Technologie später ursächlich anders erklärt (nämlich als Organismus, nicht als Technik), jedoch passiert das erst spät im Roman, so dass der größere Teil des Buches eine eigenständige Technik inszeniert. Dabei entsteht der Bogen zu (1), indem die Mathematik als die fundierende aller Wissenschaften ins Spiel kommt. Zum Schluss (3) gehe ich darauf ein, was der Forscher Royan wissenschaftlich tut. Bei diesem Punkt ist es hilfreich, dass der Roman sich bemüht, eine nachvollziehbare Erklärung für die Entstehung der Nano-Blume und damit der Nanotechnologie zu liefern. Zu (1). In diesem Wissenschaftsroman wird ein umfassender technisch-wissenschaftlicher Kosmos durch das Auftreten von außerirdischer „Nanotechnologie“ herausgefordert. Innerhalb eines kommunikativ extrem vernetzten Kosmos muss

 54 Hier ist noch einmal Platz für den Hinweis von Genette, dass fiktional und diegetisch nicht miteinander verwechselt werden darf, GENETTE 2010 [1998], 149.

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eine empirisch vorfindliche Abweichung in Gestalt der Nano-Blume zunächst als privates Problem detektivisch und wissenschaftlich aufgeklärt werden. Wie ist der dafür vorgesehene wissenschaftlich-technische Kosmos beschaffen? Zunächst gibt es einen breiten wissenschaftlichen Kontext. Dabei kommen viele einzelne wissenschaftliche Disziplinen zur Sprache, Physik, Biochemie, Chemie, Biologie, Genetik, Astrophysik, Bergbau, Astronomie55, Medizin, Informatik, Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften (566), Kybernetik (566) sowie „alle technischen Disziplinen der Menschheit“ (199), die überwiegend an bestimmten Wissenschaftsorten, also Forschungsstätten, lokalisiert sind. Eine wichtige Forschungsstätte ist der eingangs erwähnte Ort Duxford, der wie ein riesiger Wissenschaftspark samt Labors und Forschungsstationen alle „technischen Disziplinen der Menschheit vereinigt“ (199f, 211). Außerdem gibt es eine Meeresfarm mit Genlabors (520). Mehrere Kliniken spielen eine Rolle, die zum Teil auf maritimen Industriestandorten (wie dem fiktiven Listoel) untergebracht sind; allerdings kommen diese Kliniken nicht in bezug auf Nanotechnologie zur Sprache oder zum Einsatz. Die Nano-Blume taucht in einem Zusammenhang auf, der hochtechnisiert, wissenschaftlich dominiert und weitgehend erforscht ist. In diese geordnete wissenschaftliche Welt kann nicht „einfach so“ etwas Außerirdisches, völlig Fremdes einbrechen, das wird nicht nur diskutiert, sondern das haben alle Hauptfiguren als eine Art wissenschaftliche Rationalität verinnerlicht. Greg Mandel reagiert amüsiert über die Kämpferin Suzi, die Folgendes überlegt: Die Technik eines Sternenschiffs wäre einen Haufen Knete wert. Antimaterietriebwerke, Boronhydridfusion, Hochgeschwindigkeits-Staubschirme. Irgendwas davon würde einen sofort zum Billionär machen.“ [...] Ihre Reaktion amüsierte ihn – Suzi als Fan von Sternenschiffen! Er wusste, dass die Englische interstellare Gesellschaft regelmäßige Tagungen finanziell unterstützte, wobei die Themenliste von Antriebssystemen bis zur praktischen Seite von Siedlungen in fremdartigen Biosphären reichte. Eine große Ortsgruppe war natürlich in Peterborough aktiv, dem Zentrum der englischen High-Tech-Industrie. Die Vorstellung von einer Suzi, die an solchen Tagungen teilnahm, passte nicht in sein Weltbild. (242)

Die Abgrenzung von einer plumpen Science Fiction-Welt, in der es von Sternenschiffen wimmelt, ist so wichtig, dass es dafür eine eigene Belegstelle gibt, die sogar nicht ganz passgenau in den Romanablauf eingebunden ist. Neben dieser betonten Wissenschaftlichkeit im Allgemeinen gibt es mehrere Besonderheiten der hier inszenierten Wissenschaften.

 55 „Die Astronomie war ihm schon immer als gletscherhafte Wissenschaft erschienen: [...] unverständliche Apparate konzentrierten sich auf abgelegene Segmente des Himmels und lieferten Bausteine für abstruse Papiere zur Kosmologie“ (411).

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Erstens sind die Wissenschaften meist personal repräsentiert. Es gibt einen Quantenphysiker (Nicolas Beswick), der über Quantenphysik spricht, einen Astrophysiker (Rick Parnell), der die Bedingungen im Weltall kennt und erklärt, einen Meeresbiologen (Eliot Hayden 521) usw. Der verschwundene Ehemann Royan ist genialer Informatiker und gleichzeitig innovativer Forscher, der aufgrund seiner informationstechnischen Begabung und Fähigkeiten nicht nur Daten und Programme in jeglicher Form beherrscht. Er hat keine nennenswerte wissenschaftliche Ausbildung durchlaufen, sondern war Kopf einer Bürgerkriegspartei. Im Verlauf der Handlung kommt heraus, dass er im Hinblick auf Nanotechnologie etwas betreibt, das man heute Synthetische Biologie nennen würde (siehe (3)). Die Figur der Julia Evans repräsentiert Wissen aus mehreren Wissenschaften, so zum Beispiel aus der Informatik, der Biochemie, der Genetik oder den Wirtschaftswissenschaften (vgl. z.B. 566). Man könnte diskutieren, ob die Informatik durch Julia und Royan repräsentiert wird oder durch den namentlich erwähnten, realen Informatiker von Neumann (565), oder durch ‚alle drei‘. Oder ob von Neumann eher als Repräsentant der Nanotechnologie verstanden werden könnte, wie an einer Stelle deutlich wird (siehe Punkt sieben in dieser Aufzählung). Zweitens sind die Wissenschaften und die Forschung überwiegend männlich besetzt: zwar kann Julia Evans genauso gute Computerprogramme schreiben wie ihr Ehemann (sonst könnte sie ihn zum Schluss nicht retten), sie ist politisch gebildet und hat umfassendes wirtschaftswissenschaftliches Verständnis. Dennoch wird diese Figur nur punktuell als Wissenschaftlerin und gar nicht als Forscherin semantisiert. Eine weibliche Forscherfigur taucht nur an einer Stelle als Assistentin in einem Labor auf. Drittens sind Wissenschaft und Forschung in erheblichem Maße digitalisiert. Insbesondere bei Genetik und Biologie steht das bestehende Wissen als abrufbares digitalisiertes Wissenskorpus zur Verfügung. Deshalb muss Royan in diesem Bereich nicht wissenschaftlich ausgebildet sein, es reicht, wenn er digitalisiertes Wissen in seine im Kopf implantierten Computerkerne hochlädt. Damit ist ein Unteraspekt der digitalisierten Wissenschaften benannt, der gleichzeitig einen Widerspruch im Hinblick auf die Konzeption dieser elaborierten Wissenschaftswelt beinhaltet. Die Hauptfiguren des Romans haben einen oder mehrere implantierte(n) Netzknoten, das heißt, sie sind digital aufgerüstet, aber nur eine Hauptfigur (Royan) ist wirklich wissenschaftlich tätig. Die handelnden Hauptfiguren sitzen nicht mehr an Computern, obwohl es hier und da noch Terminals gibt, sondern der (oder die) Computer sitzt bzw. sitzen in ihnen; vor allem Julia (drei implantierte Netzknoten) kann ihre Aufmerksamkeit auf diese Computer richten oder nicht („Selfcores erbitten Zugang“). Für den geschilderten digitalisierten Wissenschaftskosmos gilt: Braucht man mehr Leistungsfähigkeit, lässt man sich einen neuen Netzknoten einpflanzen, man muss ihn (wie im realen Leben den neuen Computer) nur bezahlen

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können. Im Hinblick auf die ambitionierten Wissenschaft(ler) entsteht dadurch der Widerspruch, dass die Figuren, die wissenschaftlich tätig sind, keine Netzknoten haben: als einzige Erklärung dafür wird angeboten, dass diese zu teuer seien. Rick Parnell, Eliot Hayden, Nicolas Beswick usw. arbeiten und denken also hoffnungslos traditionell, sitzen an Computern oder stehen im Labor. Man hätte meinen können, dass sie entweder aus eigenem Forscherehrgeiz oder aus Interesselage der Chefin Julia Evans wenigstens mit einem Netzknoten aufgerüstet wären, was aber nicht der Fall ist. Ein zweiter Unteraspekt der Digitalisierung von Wissenschaft und Forschung ist etwas, was ich als ‚kategorialen Zwischenstatus‘ im Hinblick auf informatorisches Wissen und informatorische Wissensgenerierung bezeichnen würde. Informatik als Wissenschaft, die sich mit der Verbindung von Hardware und Software beschäftigt, steht im Reigen der genannten Wissenschaften im Zentrum und deckt als Objektbereich einen Zwischenbereich von Materie und Programm ab. Man könnte sagen, die Informatik hängt hier an einem Objektbereich irgendwo zwischen Materialität, strukturierter Programmierung und Automatisierung. Dieser kategoriale Zwischenstatus wird in der deutschen Ausgabe des Romans sprachlich mit dem englischen Wort „Ware“ (abgeleitet von den englischen Wörtern Hardware und Software) ausgedrückt. Ware ist programmierte Materie, es ist materiell, etwas, das man herstellen und verkaufen kann, beinhaltet aber immaterielle Programmierungen, also informationstechnische Handlungsanweisungen und Entscheidungsroutinen oder Entscheidungsmatrizen. Von „Ware“ ist mehrfach die Rede, als Ableitung gibt es Hardware, die Bioware, und am Schluss sowie in einem resümierenden Dialog in Kapitel 30 die Nanoware. Wobei Nanoware hier die eigentliche Nanotechnologie sein soll (vgl. Punkt Sieben dieser Aufzählung). Die Möglichkeiten der digitalen Repräsentation von Dingen, aber auch von dem Wissen über diese Dinge (also über ihre Strukturen), bilden, so könne man meinen, günstige Voraussetzungen für jede Art von Forschung. Bei der Figur Royan entsteht allerdings daraus eine Art digital verursachte Hybris mit hochproblematischen Folgen. Auffällig ist viertens, dass in dieser Wissenschaftswelt der geisteswissenschaftliche Bereich unterrepräsentiert, man könnte auch sagen, an den Rand gedrängt ist. Es gibt zwar Politiker und Staatsmänner und die meisten Figuren zeigen politische Einsichten, aber weder Politik- noch Geschichtswissenschaft sind als Wissenschaftsdisziplinen erkennbar, die für das Unternehmen Event Horizon eine Rolle spielen. Auch kann man von einer Art psychologischem Wissen sprechen, das der Mindstar Greg Mandel (aber auch Julia, Eleanor und Suzi) hat und anwendet, aber

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Psychologie gibt es nur am Rande.56 Der Bereich des (sozio)logischen und philosophischen Denkens wird in der Diegese weder disziplinär noch personal repräsentiert, obwohl sonst für alles Fachleute und Experten zur Verfügung stehen. Bei Event Horizon oder außerhalb des Unternehmens gibt es weder Soziologen noch Philosophen.57 Stattdessen wird der philosophische Bereich technisch, genauer gesagt: informationstechnisch, besetzt, es sind Logikmatrizen, die in technisch aufgerüsteten Gehirnen (vor allem bei Julia) abgerufen werden können und Wahrscheinlichkeiten berechnen. Andererseits lassen alle Hauptfiguren philosophische Neigungen und soziologische sowie politische Einsichten erkennen, sind also Denker in eigener Sache.58 Die Kunstwissenschaft oder Kunstgeschichte ist die einzige geisteswissenschaftliche Bildungsdisziplin, die im Roman explizit vorkommt, allerdings in das Prostitutionsgewerbe eingebunden und schlüpfrig konnotiert.59 Soviel zum allgemeinen wissenschaftlichen Charakter der Diegese, dem wie selbstverständlich fünftens die Religion zur Seite gestellt wird. Dazu gehören eine religiöse Prägung von Julia, die erwähnt, aber nicht handlungsrelevant wird und das ehrfürchtige Staunen Royans angesichts des Mikroben-Lebens im All. Julia und Royan sind beide der festen Überzeugung, dass „Gott existiert“, dass der „allererste Funke, aus dem wir entstanden sind [...] kein Werk der Natur war [...] [sondern] ein Segen“ und dass wir „kein chemischer Witz“ oder „das Nebenprodukt eines gleich-

 56 Julia recherchiert den Bösewicht Leol Reiger und findet ein „psychologisches Gutachten“, aus dem hervorgeht, dass er ein „Soziopath“ ist. (309) 57 Man würde gerne behaupten, dass diese Disziplinen über die Fokalisierungen des Geschehens zur Sprache kommen, und dafür zum Teil eine Linie bis zum Autor zurückverfolgen, da es mir aber nicht um eine erzähltheoretische Rekonstruktion geht, bleibt dies eine nicht weiter belegte Fußnote. 58 Der Sicherheitschef Victor Tyo baut eine politische Einsicht in sein berufliches Selbstverständnis ein: „Sicherheit war ein heikler und vielschichter Job; Befehle zu schnauzen wie ein Feldwebel machte vielleicht Eindruck auf den Vorstand, aber wie alle Diktaturen war es letztlich ineffektiv.“ (205). Auch bei der Figur der Charlotte, der hochgebildeten Prostituierten, die als einzige Figur in der Diegese durchgängig eine Rolle spielen muss, hat man den Eindruck, es gehöre integral zu ihrer Rolle, zu philosophieren (190). 59 Wenn der alte Zuhälter Baronski seine schönheitsoperierte sechzehnjährige Schülerin mit Kunstbänden unterrichtet (244f), bekommt diese Sorte Wissen einen eindeutig zweideutigen Beigeschmack. Es werden aufschlussreiche Machtverhältnisse inszeniert, die mit wissenschaftlichem Wissen und einem traditionellen Kunstverständnis einhergehen: Kunstgeschichtliches Wissen dient dazu, reichen und gebildeten Kenner-Männern, die sich nicht mehr über Geld, sondern durch Bildung und kunstgeschichtliches Wissen von anderen gesellschaftlich unterscheiden, als Dienstleistung eine Bestätigung ihres Wissens, und damit ihrer gesellschaftlichen Stellung, anzubieten, ULLRICH 2016.

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gültigen Kosmos“ sind (327). Die Wissenschaft verweist nach Meinung dieser Figuren gerade wegen ihrer Erkenntnisse auf einen göttlichen Ursprung. Wissenschaft wird durch die Existenz Gottes nicht infrage gestellt, sondern benötigt ihn geradezu. Dazu passt, dass die Erzählung einen Schluss mit religiösem Überbau bekommt: das Außerirdische, das eigentlich den Gipfelpunkt jeglicher erreichbaren Wissenschaft, vor allem aber jeder möglichen Technikwissenschaft darstellt, wird mit biblischen Worten bezeichnet (Hexaemeron, Behemoth) und kann auf der Dialogebene nur mit religiösen Metaphern gemeistert werden.60 Nähme man den Schluss ernst, könnte man sagen, die Heterotopie, in der (eine Version von) Julia und Royan samt Nanoware landen, sei eine Version der Kleistschen Heterotopie, die im Marionettentheater erwähnt wird: Julia und Royan landen in dem von hinten offenen Paradies, das durch eine ambitionierte Wissenschaftsleistung wieder für den Menschen geöffnet wird.61 Eine eher poetische Nebenrolle spielt eine religiöse Gruppierung, die auf dem konzerneigenen Asteroiden „New London“ lebt und auf den Auserwählten wartet. Diese Sekte „Die Himmlischen“ ist in ihrem Lebens- und Einflussbereich räumlich von der Erde abgekoppelt, bildet aber das Bindeglied zum in der Klemme steckenden Royan. Sechstens ist jede irdische wissenschaftliche Tätigkeit mit wirtschaftlicher Bedeutung integral verknüpft und hat eine juristisch-politische Dimension: so ist mehrmals die Frage, ob für die neue Technologie bereits ein Patent angemeldet wurde oder nicht. Der Wettlauf um Information und technisch-wissenschaftliche Innovationen hat die gleiche Bedeutung wie die Sicherung von Ressourcen für Nationen, also der Kampf um Bodenschätze. Dabei besteht zwar die Einbindung in tagespolitische Fragen, vor allem aber geht es um die Durchsetzung langfristiger Machtpolitik. Dabei sind die inszenierten Wissenschaften zum großen Teil, aber nicht vollständig privat von Event Horizon finanziert. Hier wird siebtens ein diegetischer Wissenschaftskosmos inszeniert, innerhalb dessen es keinen Platz für zweckfreie Wissenschaft gibt. Das, was der Roman inszeniert, geht sogar darüber hinaus, wenn das zweckfreie Forschen mit Hilfe der Eigenlogik der Informatik problematisiert wird. „Das ist reinster von Neumannismus“ sagt Royan über die Erschaffung von Nanoware bzw. Nanotechnologie (565). Das muntere Drauf-Los-Forschen mit dem ultraneuen, nie gekannten (weil außerirdischen) Material führt zu einer unbeherrschbaren Bedrohung der gesamten Lebenswelt. Die Hybris einer „gottähnliche[n] Wissenschaft“ (514) und die „alte Großspurigkeit“ von Royan (693) bringen eine nicht beherrschbare, globale Bedrohung hervor. Die informations- und biotechnisch geschaffene Bedrohung steht im scharfen Kontrast zu der sonstigen Selbstverständlichkeit im Umgang mit wissen-

 60 Was als Sprachlosigkeit reflektiert wird: „es scheint keine anderen Begriffe zu geben“. 61 Wobei die Frage ist, ob dieser Royan und diese Julia-Version ,Menschen‘ sind.

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schaftlicher Forschung und distanzlosen Anwendungen in Mensch-MaschineKopplungen. Es erscheint nicht abnorm oder bedrohlich, dass fast alle Hauptfiguren medizintechnisch aufgerüstete Sondermodelle sind, mit einer technologischen Eingriffstiefe, die bis in die Denkfähigkeit hineinreicht (die eingebauten ComputerNetzknoten). Die technologische Aufrüstung von Individuen in ihrer radikalen Distanzlosigkeit ist selbstverständlicher Bestandteil der diegetisch-wissenschaftlichen Welt. Dagegen macht sich der Roman die Mühe, das wissenschaftliche Forscherideal eines unendlich neugiergetriebenen männlichen Genius als brandgefährlich zu inszenieren und damit der Wissenschaft in ihrer elitärsten Form, der herausragenden Wissenschaftlerpersönlichkeit, eine existenzbedrohende Naivität zu bescheinigen.62 Dies wird kombiniert mit einer Reflexion auf die Eigenlogik der Informatik als omnipräsenter Querschnittswissenschaft. Dieser Wissenschaftlertypus und die Art der Wissenschaftswelt gehören zusammen (siehe oben: die Wissenschaften werden personal repräsentiert), so dass die selbstzweckhafte, informationstechnowissenschaftlich basierte Wissenschaft als öffentliche, existenzbedrohende Gefahr inszeniert und in privater Hinsicht als familien- und partnerschaftsuntauglich gezeigt wird. Die durch die Forschungstätigkeit von Royan entstehende Bedrohung ist räumlich semantisiert, das oder der Außerirdische verhält sich in einem buchstäblichen Sinne als Raum-verschlingend. Erst am Schluss findet sich in der Heterotopie, in der Royan, Julia und die Nanoware-Organismen nach einer jahrhundertelangen interstellaren Reise gelandet sind, eine versöhnliche Ahnung (Ankündigung) von ungefährlicher, partnerschaftstauglicher und selbstzweckhafter Wissenschaft: Diesen Planeten hier zu erforschen würde ein Leben in Anspruch nehmen. Sie beide würden es gemeinsam tun, allein und frei von allen Pflichten. So, wie es auf der Erde nie hätte sein können. (766)

Aber diese konfliktfreie Wissenschaft vollzieht sich irgendwo im Nichts des Weltalls, ortlos, zeitlos, sozusagen als Ende dieser literarischen Imagination (und noch immer familienuntauglich).

 62 Die Naivität des Eliteforschers Royan zeigt sich besonders eindrücklich, wenn er, einem militärischen Hintergrund entstammend, für eine Weile im friedlichen Zwischenstadium gelebt habend, bevor er sich der Wissenschaft widmet, der existenziellen Bedrohung seiner Schöpfung mit der Montage von „Gammaminen“ begegnet, und hofft, das ambivalente Produkt seiner Forschung im Notfall militärisch durch Vernichtung zu bändigen. Ein Motiv, dass bei Prey wiederkehrt und im unterirdischen „Nest“ der Schwärme in der Wüste Nevada zur Explosion gebracht wird.

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Zu (2). Die industriestaatenerschütternde neue Technologie „atomare Strukturierung“ kann man als technologischsten Teil der inszenierten Nanotechnologie bezeichnen. Dieser Technik werden Physik, Ingenieurwissenschaften und Mathematik zugeordnet, aber auch Finanz- und Wirtschaftswissenschaften. Die rätselhafte Technik taucht zur selben Zeit auf wie die Nano-Blume und muss im Gegensatz zur Nano-Blume, die ein privates Problem kennzeichnet, als öffentliches Problem aufgeklärt werden, da sie staatlich und wirtschaftlich relevant ist. Julia findet heraus, dass sich eine Liste von Unternehmen und Staaten in Gestalt ihrer Verteidigungsministerien für die Technologie interessieren. Dastein, Johnathan-Hewit, Siemens, Boeing, Mutizen, Mitsubishi, Sparaviz, Renault, Globecast, Honda, General Electric, Event Horizon, Embraer, Saab, Mikoyan und Rockwell. [...] die Verteidigungsministerien der folgenden Länder [...] Australien, Brasilien, China, Deutschland, England, Frankreich, Japan, Kanada, Russland, Südafrika, Taiwan und USA. (315f)

Für den Kauf der neuen Technologie bieten nicht nur das fiktive Unternehmen Event Horizon in Absprache mit dem englischen Verteidigungsministerium, sondern auch, als Mischung von fiktiven und realen Unternehmen, Mitsubishi, General Electric und eine Kooperation aus Boeing und Saab (600) sowie ein russisches Mafiasyndikat. So wird Nanotechnik als industrielle Technik inszeniert, mit der viel Geld verdient und politischer Einfluss gewonnen werden kann. Dass die industrielle Technik auch wirtschafts- und finanzwissenschaftlich interessant ist, wird deutlich, wenn es um die Finanzierung der Entwicklung der Technologie geht. Noch so ein verdammtes Problem [...] die Banken und Finanzhäuser waren über die Aussichten der atomaren Strukturierung erschrocken und liefen herum wie kopflose Hühner. Das machte Geschäfte auf dem Geldmarkt extrem schwierig. (503)

In Bezug auf die Technologie der atomaren Strukturierung und die Generatordaten kommt die Physik in Gestalt von Nicolas Beswick, einem „Physikprofessor [...] mit unvergleichlichem Verständnis für Quantenmechanik“ (146f) als Charakterisierungsinstanz ins Spiel, „der beste“, der in dem globalen Konzern arbeitet.63 Der Physiker gesteht seine fachliche Hilflosigkeit, wenn er die umfassende Neuartigkeit der Technologie charakterisiert: Wir gingen zunächst davon aus, es würde sich nur um eine verbesserte Methode unserer heutigen Festkörper-Montagetechniken handeln; [...] die Herstellung von Quantendraht [ist]

 63 Die wichtigste Figur im zweiten Band der Trilogie „Mindstar. Das Mord-Paradigma“, 2. Auflage, Bergisch Gladbach 2005. (Engl. Mindstar. A Quantum Murder, 1994).

376 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL selbst mit den heutigen Ionenpositionierern immer noch recht mühselig. Es [...] [ging jedoch um] eine Methode [...], Atome durch kohärente Emissionen von Gluonen, den Feldteilchen der starken Wechselwirkung, stabil zu positionieren. Die Gluonen wirken sich direkt auf die Quarks aus, aus denen Neutronen und Protonen bestehen. Falls es wirklich möglich ist, die Kernkraft dermaßen zu manipulieren, könnte man buchstäblich Luft verfestigen, sie in einen Block verwandeln, der stärker wäre als Monofasern. [...] Das geht völlig über meine Begriffe. Im Grunde sind Gluonenemissionen der Art [...] mit unserem Verständnis der Quantenchromodynamik nicht [...] erklärbar. (148f)

Mit dem geltenden physikalischen Wissen untrennbar verbunden ist eine ingenieurtechnische Praxis des Wissens: der Physiker spricht von Montagetechniken. Die neue Technologie erscheint als physikalisch-technische Methode, mit Hilfe derer man Atome „stabil positionieren“ kann. Der Physiker gesteht angesichts dieser neuen Technik ein, dass sein Wissen und die Ordnung seines Wissens (wie fiktiv dies auch sein mag) infrage gestellt werden. Es „geht völlig über“ seine „Begriffe“, sein bestehendes, begrifflich geordnetes Wissen wird übertroffen durch etwas, das im technischen Sinn neu gemacht werden kann. Angesichts der neuen Technologie kommt eine anwendungsorientierte, ingenieurwissenschaftlich (eventuell materialwissenschaftlich) ausgerichtete Physik als geordneter Wissenskosmos an seine Grenzen. Insofern wird die neue Technologie, die Nanotechnik, innerhalb eines Wissenschaftskosmos platziert, der nach physikalischen Gesetzen ingenieurtechnisch funktioniert, logisch erklär- und intersubjektiv vermittelbar ist; gleichzeitig werden geltende Gesetze oder Erklärungen verletzt. Dabei greift die Technik auf den Nanometer-Größenbereich zu, denn Atome zu positionieren, heißt, sich im Nanometerbereich zu bewegen. In der Äußerung des Physikers taucht der neue technisch beherrschbare Raum nicht als Faszinosum ‚an sich‘ auf, da die neue Zugriffsmöglichkeit in einen naturwissenschaftlich kontinuierlichen Zugriff eingemeindet wird. Obwohl die neue Nanotechnik die bisherige Physik infrage stellt, wird der inszenierte Wissenschaftszusammenhang trotzdem nachhaltig gestärkt. Auch wird die Technik (siehe oben) abgegrenzt von außerirdischer Großtechnik, wie man sie vielleicht auf Sternenschiffen finden könnte. Für den diegetischen Wissenschaftskosmos gilt der abgewandelte Wittgensteinsche Satz: Die Grenzen der Wissenschaft sind die Grenzen dieser Welt. In diese Welt kommt die Nanotechnologie als ‚wissenschaftliches Trotzdem‘. Dass die Technologie der „atomaren Strukturierung“ trotzdem da ist, ist an die Physik, die Ingenieurwissenschaften und die Mathematik geknüpft. Der Physiker identifiziert die Technik als außergewöhnlich, revolutionär und klinkt sie als noch unerklärbares Phänomen in sein bestehendes Wissen ein. Ergänzt wird diese Einordnung durch die Mathematik: es handelt sich um die „Theorie“ der atomaren Strukturierung, also um mathematische Gleichungen. Nanotechnik existiert als po-

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tentielle Technik in Form mathematischer Gleichungen, insofern sind die Ingenieurwissenschaften einerseits an der inszenierten Nanotechnik beteiligt, andererseits jedoch nicht. Insofern die Physik mit den Ingenieurwissenschaften verbunden ist, muss Nanotechnik mit ingenieurwissenschaftlicher Unterstützung anwendbar sein. Andererseits ist sie das nicht, da sie nur mathematisch, in Form von Gleichungen existiert. Dies kommt aber erst am Schluss heraus. „Dann weißt Du also wirklich über die atomare Strukturierung Bescheid“, sagte Julia. „Ja. Sowas gibt es aber nicht.“ (682) [Sie existiert] nicht, nicht als Hardware. Die Gleichungen ergeben Sinn, sind aber nur ein Gedankenexperiment, ein Modell: Was wäre möglich, falls ein starker Wechselwirkungsgenerator existierte? (696)

An dieser Stelle möchte ich auf den wichtigsten Aspekt eingehen, der die für die Nanotechnologie relevanten Wissenschaften kennzeichnet. Ähnlich wie bei Feynman bekommt die Mathematik nicht nur eine wichtige Einzelrolle als theoretische Wissenschaft, sondern erhält im Kosmos der inszenierten Wissenschaften eine besondere Funktion. Die Mathematik ist die Wissenschaft, durch die die drei unterschiedlichen Bereiche der Nanotechnologie in wissenschaftlicher Hinsicht verbunden werden.64 Die neue Technologie, die Nanotechnik, besteht in Form von Gleichungen, die theoretisch die atomare Strukturierung möglich machen sollen. Es ist die Mathematik, die die Gleichungen bereitstellt. Wie sich im nächsten Kapitel (3) zeigen wird, ist die Mathematik gleichzeitig auch eine Art methodische Existenzgrundlage der anderen an der Nanotechnologie beteiligten Wissenschaften, auch der Biologie und der Chemie. So kann die Mathematik als übergreifendes wissenschaftliches Bindeglied zwischen allen Formen der Nanotechnologie und zwischen allen Wissenschaften angesehen werden. „Man kann letztlich alles auf Zahlen und Formeln zurückführen“ (562), heißt es später. Wie sich zeigt, ist Mathematik der Schlüssel zur Entstehung des Lebens, wenn es um Genmanipulation geht, mit Hilfe derer die Nano-Blume kreiert wird. Zu (3). Die Nanotechnologie kommt als Dreier-Set zur Sprache: als neue Technologie, als Nano-Blume und als Mikroben. Ich komme nun zur Nano-Blume und den Mikroben, die im Hinblick auf die mit ihnen inszenierten Wissenschaften gemeinsam behandelt werden können. Beide Male lassen sich dieselben wissenschaftlichen Disziplinen Genetik, Biologie, Biochemie, Chemie und Informatik identifizieren, dazu kommt eine weitere Wissenschaft, die es zum Zeitpunkt der Verfassung des Romans zumindest als Begriffsvorschlag gab, die sogenannte



64 Ich wiederhole als Ersatz für mögliche wissenschaftstheoretische Forschungen, die hier angesprochen sein könnten, den im Feynmankapitel II.1 genannten Verweis auf das „Leonardo-Bacon-Galilei-Programm“ in LENHARD 2015, 183ff.

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sung des Romans zumindest als Begriffsvorschlag gab, die sogenannte Synthetische Biologie.65 Bevor ich auf Royans wissenschaftliche Tätigkeit eingehe, möchte ich die Abweichung näher charakterisieren, mit der die Nano-Blume eingeführt wird. Die Nano-Blume ist ein rätselhaftes Nano-Ding, das nicht gekauft, sondern verschenkt wird. Dieser Natur-Gegenstand ist nicht im Rahmen der diegetisch vorhandenen wissenschaftlichen Klassifizierungssysteme klassifizierbar. [Ich] habe [...] die Blume für eine Genprobe ins Labor geschickt [...] Sie ist außerirdisch [...] die Blume hat nichts an sich, was unserer DNA ähnelt. Die Gegenstücke zu den Chromosomen sind torisch beschaffen und in konzentrischen Schalen angeordnet. Meine Genetiker behaupten, dass die Kugel, die sie formen, heillos komplex ist und eindeutig nicht aus unserem Sonnensystem stammt [...] Die Genetiker schätzen, dass die Evolution auf dem Ursprungsplaneten bis zu ein paar Milliarden Jahre weiter ist als unsere. Die Genkugel ist viel größer als irdische DNA-Stränge. (97/98)

Die Genetik der Nano-Blume kann in kein botanisches Klassifizierungssystem eingeordnet werden, weil die Gene kugelförmig angeordnet sind. Damit handelt es sich um eine räumliche Umsemantisierung eines wissenschaftlichen Phänomens oder epistemischen Dings wie der DNA-Stränge, die bekanntlich in einer Doppelhelix angeordnet sind. Dass die Nano-Blume eine fundamentale Abweichung innerhalb des wissenschaftlich erschlossenen, auf räumlicher Anordnung basierenden Wissens markiert, wird durch Genetiker beglaubigt, also von informationstechnisch geschulten Biologen bzw. Informatiker-Biologen und raumsemantisch plausibilisiert (Kugel statt Doppelhelix). Im Hinblick auf die Wissenschaften heißt das, dass diegetisch die Wissenschaften generiert werden, die die Abweichung bei der NanoBlume feststellen können: Die Nano-Blume als Abweichung stabilisiert in der Diegese die Wissenschaft. Andererseits helfen Computer-Suchprogramme, die fundamentale Abweichung festzustellen: der Datenabgleich erfolgt im Rückgriff auf digitalisierte Einordnungssysteme. Die Nano-Blume markiert als informatorische Leerstelle die Ausnahme von bestehenden wissenschaftlichen Ordnungssystemen. Es wird wissenschaftlich festgestellt, dass sie nicht zum wissenschaftlich geordneten Kosmos gehört, als Teil des fiktionalen Kosmos gehört sie dennoch nicht zu dem narrativ entwickelten wissenschaftlich-technischen Welt. Als Objekt verweist die Nano-Blume auf ein Anderes oder ein Außen: beim Mindstar Greg Mandel löst sie bei der ersten Begegnung „eine leichte Woge Xenophobie“ aus (97). Da sie weder in den disziplinär-logischen Bereich von (Einzel-)Wissenschaften eingegliedert, noch ihr Ursprung und ihr Absender räumlich situiert oder lokalisiert werden kann, bestimmen die Zuordnungsanstrengungen bezüglich Herkunft und bezüglich des

 65 WINNACKER 1990, vgl. BARBEN 2011, 268.

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ontologischen Status der Blume die Handlung.66 Wie sich herausstellt, ist die NanoBlume ein Stück selbstgemachte Natur. Die wissenschaftliche Tätigkeit von Royan, der Herstellungsprozess der Nano-Blume, lässt sich als doppelt außerordentliche Mischung bezeichnen. Das, was Royan tut, wird als Mischung aus Gentechnik und Informatik erkennbar, es ist eine außerordentliche technische (und irdische) Wissenschaftsleistung von Royan. Andererseits gibt es etwas, das er mischt, nämlich außerirdische Mikroben mit irdischen Korallen (215).67 Die Nano-Blume ist eine irdisch-außerirdische Mischung, wobei die Mikroben vom Jupiter stammen, von wo sie mit einer von Royan ausgeschickten Sonde eingesammelt und zur Erde gebracht wurden (292f). Um die Mikroben zu etwas Nützlichem zu modifizieren, muss Royan als Informatiker sich zuerst harte Fakten, also wissenschaftliche Kenntnisse aneignen, um zunächst die DNA-Struktur der Mikroben digital zu repräsentieren. Dazu lässt er sich drei Prozessornetzknoten neu implantieren (432), so dass seine Denk- und Merkfähigkeit sowie seine Datenverarbeitungskapazität mit sieben Netzknoten anlässlich der neuen Aufgabe ultimativ und optimal gesteigert sind. Royan rüstet sich selbst digital auf, lädt das verfügbare Wissen ein, und lässt Programme ablaufen. Das Forschen wird zu einer Mischung aus nicht näher ausgewiesener Denktätigkeit und technisierten Programmen, die trotzdem noch im Forscherkopf lokalisiert sind: „Ich habe meine Implantate mit Biochemie- und Genetikkenntnissen geladen und damit begonnen, die Chromosomenstruktur aufzuzeichnen.“ (433) Wenn er Julia das entstandene digitale Modell der außerirdischen DNA, eine Kugel mit mehreren Schalen und komplizierten Genanordnungen, zeigt, sind die empirischen Befunde mit informatorischen Programmen und Informationsverarbeitungsmechanismen durchsetzt. Das ist nur die Außenschale [...] Es ist komisch. [...] Die Gene, die den Aufbau der Mikrobe bestimmen, sind alle in der Außenschale enthalten. Der Rest, die inneren Schalen, sind inaktiv. (435)

Bevor Royan versteht, was er sieht, verklont er die Mikroben mit terrestrischen Korallen. Sein Ziel ist die Optimierung dessen, was er als außerirdisches Material vor-

 66 Auch Ontologie kann zum Gegenstand einer fiktionalen Erzählung werden. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sie auch zum Gegenstand einer kollektivsymbolischen Analyse werden kann; ich kann diese Analyse jedenfalls nicht durchführen. 67 Korallen kann man aus einer ästhetischen Perspektive als Mischung von Tier, Pflanze und Stein ansehen, eine Mischung, die sich allerdings mit der Taxonomie der Biologie nicht rechtfertigen lässt. Ästhetisch lässt sich wahrnehmen, dass Steinkorallen zu einer geographisch lokalisierbaren Entstehung von Inseln geführt haben, also gewissermaßen das geologische Material der Erde verändern.

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findet, aber nicht versteht, und zwar zum Nutzen des Menschen. „[E]r plante, die Mikroben so zu modifizieren, dass etwas Nützliches aus ihnen würde. Eine weiterentwickelte Form von Bioware.“ (414) Royan verändert die außerirdische Mikroben-Materie, weil er es kann und will, weil er Daten und Programme in jeder Form beherrscht, darin besteht seine Forschung. Indem er Synthetische Biologie betreibt, entsteht die „Aussaatpflanze“, „ein symbiotisches Arrangement“, das „terrestrische Landkorallen und außerirdische Mikroben kombiniert“ (691). An dieser Pflanze entwickelt sich eine Blüte, die Nano-Blume. Obwohl nicht erzählt wird, welche labortechnische Praxis ausgeübt wird, ist es eine Kombination der Wissenschaften Informatik, Biochemie, Biologie und Genetik mit dem Ziel, etwas Lebendes zu erschaffen und dessen Eigenschaften beliebig zu „designen“.68 Das Produkt soll selbst(-)tätig werden, trotzdem aber beherrschbar sein und wie eine konstruierte Maschine den Zwecken des Menschen dienen. Royan nutzt, dass es mehrere Sorten Mikroben gibt, die er in der neuen Pflanze wie in einer Maschine unterschiedlich platziert und einbaut.69 Bei der Flachen ist die Mineralabsorption verbessert, während bei der Eiförmigen die Effizienz der Wärmeumwandlung um den Faktor fünf gesteigert wurde. Ich habe sie mit der Landkoralle in einer Sandwichanordnung kombiniert. Die Landkoralle dient als grundlegendes organisches Gerüst und überzieht den Asteroiden mit einer Kruste, die ein Skelett bietet, auf dem die Mikroben wachsen können. Die Außenseite trägt eine Schicht aus Wärmeumwandlungsmikroben, um die Nährflüssigkeit des Polypen zu energetisieren – als Ersatz für Photosynthese -, während die anderen Mikroben an der Innenseite das Gestein verschlingen. Ich musste ein zweites Kapillarennetz einbauen, um die aufgelösten Verbindungen zu den Ausstoßporen zu befördern. Später ergänze ich das Ganze noch um Sammelhülsen und hoffentlich einer Art Filtermechanismus, um in jeder Hülse auch reine Ablagerungen zu erhalten. [...] für den Moment reicht es. (563)

Die „Aussaatpflanze“, als Maschine konstruiert und gebaut, ist aber nicht das eigentliche Ziel der Unternehmung, sondern nur ein „Prototyp“ einer lebenden Maschine, der gut funktioniert (691). Eigentlich will Royan Nanoware erzeugen. Die Asteroidensaatpflanze ist eine lebende Maschine. Die erste ihrer Art. Ich stehe kurz davor, Nanoware zu erzeugen [...] die machtvollste Technik, die es gibt. Sobald dieses Problem geknackt ist, kann man einfach alles bewirken; das ist reinster von Neumannismus – eine sich

 68 Ich benutze das eingedeutschte englische Verb bewusst. Vgl. die Auseinandersetzung mit dem von SCHÄFFNER 2010 eingeforderten Design-Turn zu Beginn der Arbeit. 69 Hier und im folgenden Zitat handelt es sich um die Wiedergabe der digitalen Rede, im Buch als Kursivschrift, hier des besseren Lesbarkeit halber in geraden Lettern zitiert.

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selbst vermehrende Technik, die in der Lage ist, alles zu produzieren, wofür man einen Bauplan vorlegt. Sobald die Zellen erst richtig entwickelt sind, kann man sie dazu programmieren, einen Asteroiden abzubauen [...] (oder) eine O’Neill-Kolonie oder einen Teelöffel züchten oder irgendwas dazwischen; man kann winzige spezialisierte Zellgruppen zusammensetzen, die durch menschliche Blutgefäße treiben und Gewebeschäden reparieren, fliegende Sporen, die das Kohlendioxid in der Atmosphäre aufspalten und die Erwärmung umkehren. Nanoware herrscht im Mikro- wie im Makrokosmos [...]. (565)

Diese Nanoware ist „die machtvollste Technik, die es gibt“, sie ist gleichzeitig irgendwie biologisch („Zellen“), dabei „eine sich selbst vermehrende Technik“.70 Nanoware ist das Produkt einer umfangreichen wissenschaftlichen Tätigkeit, bei der vor allem Netzknoten zum Einsatz kommen, eine digital aufgerüstete, in Forschergehirnen eingebaute und lokalisierte Denktechnik. Von Laborgeräten ist nur in Bezug auf ein „Genlabor“ die Rede, aber da die Darstellung der wissenschaftlichen Tätigkeit von Royan in Bezug auf die Basiserzählung in einer externen Analepse erfolgt, also temporal der eigentlichen Basiserzählung vorausliegt71, ist dieses leer und aufgeräumt. Obwohl Nanoware keine Wissenschaft ist sondern eine Technik, herrscht sie ähnlich wie physikalische Gesetze „im Mikro- wie im Makrokosmos“ (565). Die skalenübergreifende Geltung der Nanoware ähnelt der der Mathematik, also der Wissenschaft, ohne die es keine Skalen gäbe, die selbst aber nicht an Skalen gebunden ist. Wie schon gesagt, wird in diesem Wissenschaftskosmos die Mathematik als übergreifendes Bindeglied zwischen allen Formen der Nanotechnologie und zwischen allen Wissenschaften angesehen. „Man kann letztlich alles auf Zahlen und Formeln zurückführen“, wie es in der Kommunikation zwischen Royans und Julias Netzknoten heißt. Die außerirdischen Gene sind in einer numerischen Reihe angeordnet. [Aber] [s]eit wann regiert die Mathematik die Natur? Leben ist Chemie, entgegnete sie. Man kann letztlich alles auf Zahlen und Formeln zurückführen. Das sind Gene schließlich, chemische Zahlen. Die genetische Struktur der Mikroben ist eleganter als unsere; das kann man bei einer Lebensform, die Milliarden Jahre weiter fortgeschritten ist als wir, auch erwarten. (561f)

Die außerirdischen Mikroben sind in ihrer Genetik in numerischen Reihen angeordnet und werden sozusagen im Nachhinein mathematisch beschreibbar. Die Mathematik als eine Art ewige und universale Wissenschaft ist der Schlüssel zum Design

 70 Eine biologisch gesättigte Version des sogenannten „molecular manufacturing“ aus „Engines of Creation“, DREXLER 1986. 71 GENETTE 2010 [1998], 27.

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und der Entstehung des Lebens, wenn es um Genmanipulation geht, mit Hilfe derer die Nano-Blume und die Aussaatpflanze kreiert werden. Gene sind „chemische Zahlen“, das „Leben ist Chemie“, das heißt, ein chemisch-biologisch-wissenschaftlich beschreibbares Leben ist mathematisch beschreibbar: als Forschungsergebnis ex post und als Entwurf (und Programmierung) für die Zukunft. Der Zeithorizont der Mathematik mit unbegrenzter und ewig gültiger Formalisierbarkeit ermöglicht nicht nur die Beschreibung, sondern auch die biologisch-chemische Entstehung des Lebens. Die Mathematik macht einerseits die bestehenden Strukturen (hier: der außerirdischen Mikroben, Milliarden Jahre alt) mathematisch darstellbar und ermöglicht andererseits die Rekombination der Gene mithilfe anderer mathematischer Strukturen: „Man kann letztlich alles auf Zahlen und Formeln zurückführen.“ Zahlen und Formeln können wiederum digitalisiert, das heißt materiell in „Ware“ gebunden werden; woraus wiederum letztlich eine einzigartige Rolle für die Informatik als hervorgehobener Ingenieurwissenschaft resultiert, die im Hinblick auf Nanotechnologie die entscheidende Rolle spielt. Da Royans Forschung keine weiteren Wissenschaften beteiligt, könnte ich hier abbrechen. Im Roman allerdings wird es jetzt erst interessant, wenn aus (oder in?) der Pflanze, wie bei Prey, Bewusstsein entsteht, das sich der Forschertätigkeit und einer Kontrolle nicht mehr unterwirft. Die weiter modifizierten Zellen bekommen eine „kritische Masse“ (693), entwickeln andersartige Zellen, „fangen an, von selbst zu denken“ (692), ballen sich zu einer „mordsmäßigen Amöbe zusammen“ und verschlucken Royan (693), so dass er in einer Art Ei, das den Namen „Hexaemeron“ bekommt, festsitzt. Das vorläufige, äußerst unangenehme Ende der wissenschaftlichen Schöpfungsgeschichte zeigt, wie er als Mensch vom selbstgeschaffenen Paradiesvehikel gefangen, angefressen und halb verdaut wird. Aber die Selbsttätigkeit und Lebendigkeit der Nanotechnologie sowie die Rettung durch Julia hat, außer mit Informatik, nichts mit weiteren menschlichen Wissenschaften und Technik zu tun. Royan stoppt das Hexaemeron, das dabei ist, ihn zu verdauen, und erzeugt im Ei feststeckend eine Art Intelligenz-Gleichgewicht der Kräfte. „Als das Hexaemeron seine Jonasnummer durchzog, habe ich seine Befehlsprozeduren verpfuscht [...] Intelligenz besteht in der Datenverarbeitung.“ (693) Als Rettung greift ein digitales Persönlichkeitspaket von Julia ein, um ihn und ‚sich‘ (als Ding mit Eigenaktivität) samt aller außerirdischen Substanz und Nanoware aus dem Kosmos heraus zu steuern. Dabei verschmelzen Julia, Royan, das außerirdische Bewusstsein und der Zellhaufen zuerst zu einer mineralabbauenden organischen amorphen beweglichen Masse, die wie eine expandierende Bergbaufabrik in Form einer stetig anwachsenden gefräßigen Riesenschlange den Asteroiden in seine wertvollen Einzelminerale verarbeitet. Dann windet sich diese Riesenschlange aus dem Asteroiden heraus ins All, sozusagen aus ihm geboren werdend, und verwandelt sich in eine Fläche, in ein riesiges Sonnensegel, das, angetrieben von der Energie, die auftreffende Lichtstrah-

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len in ihrer materiellen Eigenschaft erzeugen, auf eine interstellare Reise entschwebt und aufgrund seiner Ausmaße lange von der Erde aus sichtbar bleibt. Die Figur Royan ist nicht nur mit einem allgemeinen ingenieurtechnischen Forscherdrang gesegnet, sondern er leidet sozusagen darunter. Royan musste immer alles Neue auseinandernehmen, um daraus schlau zu werden, und es wieder zusammenzusetzen, so dass es besser funktionierte. (486)

Vor allem aber leidet er unter Anerkennungssucht, gemischt mit einer Art digital verursachten Hybris. Das heißt, Royan hat einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber seiner Frau (682), ist gelangweilt (294f), hält sich aber aufgrund seiner informationstechnischen Fähigkeiten und seines Wissens für einen wissenschaftlichen Alleskönner. Damit sei auf die spezielle Semantisierung eines Forscherdrangs hingewiesen, der die Frage nach den Wissenschaften um einen Seitenaspekt ergänzt.72 Bezug der Raumskripte zu den Diskursbereichen Nanotechnik – Nanopartikel – Nanobiotechnologie Wie lässt sich die Erzählung im Nanotechnologiediskurs situieren und auf die Raumskripte beziehen? Diese räumlich semantisierte Formulierung ist missverständlich, weil es eigentlich darum geht, zu zeigen, wie der Nanotechnologiediskurs auch durch diesen Text hervorgebracht wird. Wie wird Nanotechnologie inszeniert und mit welchen räumlichen Implikationen geht die Rede von der Nanotechnologie einher? Bei dem inszenierten Kosmos handelt es sich um eine hochtechnisierte Welt, in die die Nanotechnologie als etwas Neues einbricht. Die dichterische Aufgabe liegt in der Inszenierung dieses radikal Neuen, nie Dagewesenen in doppelter Weise darin, eine Abweichung vom geltenden Wissen zu motivieren oder poetisch zu plausibilisieren. Dies gilt einerseits in den poetisch entworfenen, diegetischen Grenzen einer wissenschaftlich erforschten und technisch beherrschten Welt, andererseits im Hinblick auf die extradiegetische, wissenschaftlich erforschte und tech-

 72 Bei Royan lässt sich eine psychologische Gemengelage identifizieren, in dem sein ‚Forscherdrang‘ situiert ist. Außerhalb der Erzählung wird, je nach Semantisierung der Wissenschaften und ihrer Akteure, Forscherdrang entweder als personal identifizierbarer und subjektivierter Motor von Innovationen (in Gestalt eines Erfinders) semantisiert oder kommt als anthropologisch notwendige Motivation, oder was sonst noch möglich ist, ins Spiel. Ich verweise wieder auf die Hauptfigur Rohan des Lemschen „Unbesiegbaren“, auf die die Forscherfigur Royan als Antwort gelesen werden kann, LEM 1995 [1964].

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nisch beherrschte Welt.73 Diese Abweichung wird mit „Nano“ semantisiert. Wie im vorigen Kapitel gezeigt, nutzt die Erzählung einzelne Wissenschaften, die sich auf verschiedene Formen der Nanotechnologie verteilen, im Folgenden werden die Raumskripte und der Bezug zu den drei Diskursbereichen untersucht. Die Dreiteilung in eine neue Technologie bzw. Technik, die Nano-Blume und in außerirdische Mikroben entspricht nicht trennscharf der in dieser Untersuchung unternommenen diskursiven Dreiteilung der Nanotechnologie, sondern liegt hinsichtlich der Raumskripte gewissermaßen quer oder verschoben dazu. Die Erzählung legt vor allem das Raumskript Bottom-Up über den gesamten Technikdiskurs der Nanotechnologie. An einer Stelle wird Nanotechnik, die „atomare Strukturierung“, als erste Stufe bezeichnet, die (Aussaat-)Pflanze als zweite und das Hexaemeron als dritte Stufe (696f). Nanotechnologie wird als einheitliche Technologie mit einem überwiegend einheitlichen Raumskript präsentiert, als sei sie in drei Enwicklungsstufen unterteilt oder eingeteilt. Im Folgenden werden die einzelnen Diskursbereiche soweit wie möglich mit ihren Raumskripten mit der Erzählung abgeglichen. Es zeigt sich, dass sie sozusagen quer zur Ausgangsthese dieser Untersuchung liegt. Zunächst komme ich zum (1) Diskursbereich Nanotechnik / Nanotechnologie, (2) zur Nanobiotechnologie, den Schluss bildet (3) der Diskursbereich Nanopartikel. Zu (1). Die neue Technik und die organische Nano-Blume kommen diegetisch im selben Moment ins Spiel, tauchen jedoch an unterschiedlichen Orten auf unterschiedliche Weise auf. Die Nanotechnik besteht zunächst nur aus „Informationen“ bzw. einem „Datenpaket“, wird aber trotzdem als Technik bezeichnet und ist als solche wirtschaftlich, technisch und politisch interessant. Diese Technik heißt in der deutschen Übersetzung atomare Strukturierung („atomic structuring“), der Industrieminister telefoniert deswegen mit der Konzernchefin. „Heute morgen erhielt die Regierung Informationen über eine ziemlich wertvolle neue Technologie, die überall auf dem Markt feilgeboten wird.“ „Ja, die atomare Strukturierung.“ [...] „Sie wissen also davon [...] Sowohl die Großeuropäische Verteidigungsallianz als auch das Unternehmen Globecast sind ans Verteidigungsministerium herangetreten und berichteten, diese atomare Strukturierung würde angeboten, damit sie jemand entwickelt. Unserer Analyse zufolge – und ich habe absolute Spitzenleute damit beauftragt, Julia! – wird diese Technik doch für ein paar Umwälzungen sorgen. Tatsächlich kursiert sogar das Wort revolutionär, und das nicht nur im Scherz.“ „Meine Leute sagen das gleiche“, entgegnete sie. (424)

 73 Die Aufgabe besteht hinsichtlich des Handlungszusammenhangs bzw. hinsichtlich der intelligenten und gebildeten Leser, die sich nicht für dumm verkaufen lassen wollen, alles, was erfunden ist, ist dieser Aufgabe unterworfen.

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Die neue Technik teilt mit der Nano-Pflanze die Eigenschaft, dass ihr Ursprung „verdammt schwer aufzuspüren“ ist (302), beide hängen zusammen, was die in einem von Julias Netzknoten abgespeicherte Großvater-Persönlichkeit in einer Beobachtung zusammenbringt. Die Theorie der atomaren Strukturierung ist mehr oder weniger zum gleichen Zeitpunkt aufgetaucht wie Royans Warnung vor dem Außerirdischen. Eine Technologie, die so neuartig ist, dass man sie nicht mal als Durchbruch im üblichen Sinn beschreiben kann, weil niemand auch nur daran gearbeitet hat. Eine Technologie, deren Ursprung verdammt schwer aufzuspüren ist. (302)

Die Semantisierung als Nano-Technik ist vor allem durch die Parallelität des Auftretens mit der Nano-Blume hergestellt. Obwohl die atomare Strukturierung als in gewisser Hinsicht außerwissenschaftliche (sie wurde von keinem irdischen Wissenschaftler entworfen, sonst wäre dies in der wissenschaftlich durchherrschten Welt bekannt) und als ‚immaterielle‘ Technologie inszeniert wird, weil sie nur auf dem Papier bzw. als Datenpaket und in der Theorie existiert, liefert sie diskursiv den Bezug zu einer materiellen Nanotechnik. Der Diskursbereich Nanotechnik wird einerseits durch die Nennung eines Größenbereichs angesprochen: dies geschieht sowohl durch den Namen, also den Begriff der atomaren Strukturierung, andererseits durch die Ausführungen eines „Physikers“, der erzählt, es gehe darum, „Atome stabil zu positionieren“ (148f, vgl. Prey und das atomare IBM-Logo). Die semantische Verbindung erfolgt sowohl über das Merkmal Größenordnung als auch über die Tätigkeitsbeschreibung. Zudem wird Nanotechnik einem materiellen Technikverständnis folgend semantisiert, obwohl sie nur immateriell existiert: als innovative Technik scheint sie beherrschbar zu sein und ungeheuren finanziellen Erfolg zu versprechen, wäre sie nicht beherrschbar, würde sich niemand interessieren oder gar darum kämpfen. Die Beherrsch- und Kalkulierbarkeit in industrieller und wirtschaftlicher Hinsicht ist der Grund, warum die Technik mehreren Firmen und Ländern zur Entwicklung angeboten wird und warum diese in ein Wettrennen um sie geraten (vgl. afrikanische Website II.4). Das Wettrennen wird dabei gleichzeitig als Glücksspiel semantisiert: „Ich würde sagen, der erste, der Royan erreicht, kassiert den technologischen Jackpot.“ (309) Die Jackpot-Metapher bedeutet einerseits, dass es im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln, wie groß und weitreichend diese Mittel auch immer sein mögen, einen immensen Gewinn gibt, der die Mittel unverhältnismäßig weit übersteigt. Ein monetärer, steuerrechtlich und finanzwissenschaftlich beschreibbarer Gewinn ist semantisch überlagert vom Glück im Spiel, bei dem man gewinnen kann. Andererseits bekommt die Technik eine symbolische Materialität: Die Technik wird mit Hilfe vorliegenden technologischen Wissens aus dem (symbolischen) Jackpot heraus in

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eine materielle Technik übersetzt, sie liegt als materiell wertvolle Technologie in potentiell monetärer Form innerhalb eines symbolischen Jackpots bereits vor. Auch das Titelwort Nano-Blume trägt zur Semantisierung als „Nanotechnik“ bei, weil immer wieder darauf hingewiesen wird, dass Technik und Blume integral zusammenhängen, und beide, wie sich herausstellt, den außerirdischen Mikroben entstammen, siehe (3). Dabei erweist sich die Nanotechnik in ihrer theoretischen Existenzweise als intellektuelle Leistung des Hexaemerons. Das Raumskript des Top-Down kann der Nanotechnik an einer Stelle zweifelsfrei zugeordnet werden, und zwar dort, wo es um die schon zitierte Äußerung des Physikers geht. Wir gingen zunächst davon aus, es würde sich nur um eine verbesserte Methode unserer heutigen Festkörper-Montagetechniken handeln; [...] die Herstellung von Quantendraht (ist) selbst mit den heutigen Ionenpositionierern immer noch recht mühselig. Es [...] (ging jedoch um) eine Methode [...], Atome durch kohärente Emissionen von Gluonen, den Feldteilchen der starken Wechselwirkung, stabil zu positionieren. Die Gluonen wirken sich direkt auf die Quarks aus, aus denen Neutronen und Protonen bestehen. Falls es wirklich möglich ist, die Kernkraft dermaßen zu manipulieren, könnte man buchstäblich Luft verfestigen, sie in einen Block verwandeln, der stärker wäre als Monofasern. [...] Das geht völlig über meine Begriffe. Im Grunde sind Gluonenemissionen der Art [...] mit unserem Verständnis der Quantenchromodynamik nicht einmal erklärbar. (148f)

Ein fiktionales Statement semantisiert mit nichtfiktiven physikalischen Elementen und Begriffen eine fiktive Technik, das Raumskript des Top-Down liegt vor, wenn man die Rede so versteht, dass es um den technischen Zugriff auf einen noch kleineren Größenbereich geht als bisher. Der Quantendraht benennt einen materiellen Bereich, „Draht“, der schon sehr klein ist („Ionen“), und auf den bisher technisch zugegriffen wird („Positionierer“, „herstellen“). Gluonen, „die Feldteilchen der starken Wechselwirkung“, sind noch kleinere physikalische Einheiten, die plötzlich, das heißt auf neuartige Weise, kontrollierbar und dadurch beherrsch- und manipulierbar werden sollen. Mit Hilfe von Nanotechnik kann technologisch in einem kleineren Bereich agiert werden, der vorher dem Zugriff nicht zugänglich war. Diese Nanotechnik ist in einem noch kleineren Bereich angesiedelt als die bisher bekannte Technik des „Ionenpositionierens“. Es ist unerheblich, was Gluonen sind und was Quantenchromodynamik ist, weil erkennbar ist, dass die neue Technik kontrollierend weiter ,nach unten‘ reicht als bisherige, indem sie „die Kernkraft“ manipulieren und „Luft verfestigen“ kann: Dieser Nanotechnik ist das Raumskript Top-Down eingeschrieben. An dieser Stelle findet sich ein weiterer Bezug des Nanotechnologiediskurses zum Diskurs der Atomtechnologie oder Kernkraft, der mit Hilfe der Nanotechnologie sozusagen umgeschrieben wird: die Explosivität der Kernkraft wird mit der Nanotechnologie (und mit Hilfe ihrer Raumskripte) stabili-

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siert und gebändigt. Das Raumskript des Top-Down kann der Nanotechnik aber nur in dieser Einzeläußerung des Physikers zugeordnet werden, im Rest des Romans funktioniert die Zuordnung eher schlecht. Das hängt damit zusammen, dass in der Erzählung die inszenierte neue Technik nicht als reale sondern als potentielle Technik auftritt, man könnte sagen, mit dem inszenierten immateriellen Charakter der Nanotechnologie hängt zusammen, dass es vornehmlich das Raumskript des Bottom-Up ist, das zum Tragen kommt. Die Technik existiert nur in Form von „Generatordaten“, in Form mathematischer Gleichungen, die in der Erzählung glücklicherweise nicht in Erscheinung treten, aber von Romanfiguren hinsichtlich ihrer technologischen Qualität bewertet werden. „Die Gleichungen ergeben Sinn, sind aber nur ein Gedankenexperiment, ein Modell: Was wäre möglich, falls ein starker Wechselwirkungsgenerator existierte.“ (696) An die Nanotechnik sind weder konkrete Entwicklungen noch eine top-down Herunterskalierung existierender Techniken gebunden. Hinsichtlich der diegetischen technischen Praxis gibt es nur die Äußerungen des Physikers, die im Verlauf der Handlung nicht korrigiert, sondern erweitert werden: Da sich niemand mit der Entwicklung der Technik beschäftigt hat, sondern nur plötzlich die Generatordaten als Datenpaket bzw. als Theorie bei verschiedenen Firmen auftauchen, hat Nanotechnik als Potential eine pragmatische Null-Ausdehnung und liegt so gesehen eigentlich ganz ohne Raumskript vor. Eine fiktionale top-down Nanotechnik liegt diegetisch sozusagen in fiktiver Theorieform vor, was im Verlauf der ersten zwei Drittel der Erzählung nicht zu erkennen, aber der Äußerung des Physikers zu entnehmen ist. Untersucht man die beiden anderen Diskursbereiche samt ihrer Raumskripte, entsteht eine weitere Schieflage im Hinblick auf die verfolgte Arbeitshypothese, als der Nanotechnik im Anschluss an die Äußerung des Physikers das Raumskript des Bottom-Up unterlegt wird. „,Dieser Prozess, die atomare Strukturierung‘, sagte sie. ‚Wollen Sie damit sagen, sie könnten Blöcke von Atomen in jeder beliebigen Form zusammensetzen?‘“ (148). Die Nano-Technik arbeitet bottom-up und wird dadurch wirtschaftlich interessant, dass man mit einzelnen Atomen beliebige Dinge und Materie zusammensetzen kann, was einerseits Ressourcenschonung, andererseits ultimative materialtechnische Gestaltungsfreiheit verspricht. Das technologische Bottom-Up Raumskript setzt das Wettrennen um die Technologie in Gang. Dabei wird die Technik möglichst lange als irdische (und nicht außerirdische) inszeniert, die für eine große Anzahl bedeutender irdischer Firmen und Verteidigungsministerien interessant ist. Der lebendige bottom-up Charakter der Technik wird (sozusagen irdisch) mit einer wirtschaftsexpansiven Bottom-Up-Entwicklung, das heißt, mit einer expansiven kapitalistischen Entwicklung verkoppelt. An dieser Stelle lässt sich durch die Hintertür ein winziger Bogen zurück zum Raumskript Top-Down schlagen. Wenn die Technik dem Konzern zur Entwicklung angeboten wird, ist das Wirtschaftsunternehmen so stark top-down organisiert wie

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nur möglich. Das gleichsam königliche Wirtschaftsunternehmen, das wie ein autonomer monarchischer Staat inszeniert wird, beschäftigt sich wirtschaftlich gesehen aus einer top-down Perspektive mit Technik, gibt also beispielsweise Gelder frei, um für die Technologie in einem finanziellen Wettstreit bieten zu können. Aufgrund dieser Organisation kann das Unternehmen auf der Suche nach Blume und Technik top-down kurzfristig eine Umstrukturierung aller Forschungsbereiche anordnen. Im Hinblick auf die Ausgangsthese dieser Arbeit ergibt sich eine querliegende diskursive Raumskriptivierung der Nanotechnologie, die man so formulieren könnte: Der Technik, die diegetisch partiell als fiktive Technik inszeniert wird, unterliegt in Bezug auf ihre Kontrollierbarkeit das Raumskript des Top-Down, und sie bekommt zusätzlich das Raumskript des Bottom-Up verpasst, damit sie auf die „richtige Denkweise“ unwiderstehlich wirkt. „Es war ein Köder, der mythische Drachenhort. Dazu gedacht, auf die richtige Denkweise unwiderstehlich zu wirken.“ (696)74 Zusätzlich spielt das Raumskript der Vereinzelung und Streuung bei der Äußerung des Physikers eine Rolle. Indem Atome stabil positioniert werden (durch „Gluonenemissionen“), werden Einzelpartikel in eine Ordnung gebracht, und zwar in jede beliebige Ordnung, wie später herauskommt. Der „atomaren Strukturierung“ ist auch in anderer Hinsicht einer verstreuten Besonderung als Raumskript eingeschrieben: die Technik ist in der Lage, die bestehende Wirtschaftsordnung und politische Ordnung zu zerstören. Ob die Ordnung(en) hierarchisch, also top-down, oder gewissermaßen demokratisch, also bottom-up, zerstört werden, bleibt offen; der dringende Allianzwunsch der Regierung mit dem Konzern Event Horizon legt nahe, dass die atomare Strukturierung sozusagen verstreut wirken und dynamische Effekte in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen unkontrolliert produzieren kann, was eine Destabilisierung des politischen Gefüges nach sich zieht geht. Man kann die Technik der atomaren Strukturierung als billigen poetischen Trick entlarven: da die Existenz einer geheimnisvollen Nano-Blume als Motivation einer spannenden Detektivgeschichte, in der auch scharf geschossen wird, nicht ausreicht, wird eine öffentlich interessante Technologie eingeführt. „Ich würde sagen, der erste, der Royan erreicht, kassiert den technologischen Jackpot. Deswegen pfeifen Euch diese ganzen Kugeln um die Ohren.“ (309) Aber selbst wenn die poetische

 74 Ist es vermessen, auf die Website des BMBF zu verweisen? „An der überragenden Relevanz von Materialien für die Gesellschaft hat sich [...] nichts geändert. Über zwei Drittel aller technischen Neuerungen gehen direkt oder indirekt auf neue Materialien zurück. Das gilt für fast alle Wirtschaftszweige und Bedarfsfelder. [...] Das Spektrum der Anwendungen neuer Materialien ist nur durch die menschliche Phantasie begrenzt.“ bmbf.de/de/neue-werkstoffe-und-materialien-536.html, acc. 160130. Weniger kontrovers vermutlich der Hinweis auf die intellektuelle Krankheit bzw. infizierte Gehirne in Prey.

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Einbildungskraft auf diese billige Weise entlarvt wird, bleibt der Diskurs der Nanotechnologie übrig, der als poetisch gebändigter, raumsemantisch überdeterminierter Technikdiskurs erscheint und einen Bezug zum Diskurs der Kernkraft bzw. der Atomtechnologie und damit auch zur Antiatomkraftbewegung herstellt. Die rätselhafte Nanoware, die bottom-up alles herstellt, was sich Forschermann und Konzernchefinfrau in einer transformierten digitalisierten Version ihrer selbst abseits der Gesellschaft irgendwo im Weltall wünschen können werden, wird in der Diskursivierung in einer epilogischen Prolepse75 irgendwo platziert, ganz weit weg, nach einer Jahrhundertreise. Meiner Ansicht nach liefert der Epilog einen bemerkenswert eleganten Symbolwert im Hinblick auf nanotechnologische Diskursivierung, die so weit entfernt wie nur möglich von allen irdischen Existenzen platziert wird, sozusagen zurück ins Weltall geschickt wird, samt ihrer Erzeuger und samt einer mit ihr verbundenen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstandsversprechen und deren wissenschaftlicher Generierung. (2) Die Nanobiotechnologie bildet den überwiegenden semantischen Referenzbereich inklusive der Zuordnung zum Raumskript des Bottom-Up, wobei als traditionell verstandene „Technik“ eigentlich nur eine einzige Bottom-Up-Nano-Biotechnologie identifiziert werden kann. Die „Aussaatpflanze“ kann als lebende Maschine kontrolliert Metalle und Erze abbauen. Zu ihr gibt es eine weitere Stufe, das „Hexaemeron“, eine Zusammenballung klonierter Zellen, die anfangen, „proteisch“ andere Zellen und ein denkendes Bewusstsein zu erzeugen. Bei dem Hexaemeron wird es mit dem Technikbegriff schwierig: man kann es nicht als Technik im anthropomorphen Sinn bezeichnen, da es sich, wie bei den Nanoschwärmen in Prey, um einen eigengesetzlichen Prozess mit eigener Zwecksetzung und vom menschlichen Kreateur unabhängigen Bewusstsein handelt. Die Vorstufe der „Aussaatpflanze“, die sich nach einer Klonierung selbsttätig entwickelt und die Nano-Blume hervorbringt, hat eine organische Morphologie, die man nicht als Technik bezeichnen kann, da sie außer einer Blüte kein Produkt herstellt. Insofern ist die Aussaatpflanze als lebende Bergwerk-Maschine die einzige nanobiotechnologische Diskursivierung, bottom-up durch Klonierung erzeugt, die durch selbstorganisierte Tätigkeit dem Menschen Nutzen bringt. (Ich zögere mit dem Hinweis auf den Bionikdiskurs.) Alles ist vorhanden. […] Das ganze Potential […] Ein Haufen Zellen, die man auf einem Asteroiden verschmieren kann; dort wachsen sie, überdecken den ganzen Felsen mit einer photosynthetischen Membran und dann bauen sie im Innern das Erz ab, tragen Früchte in Form von Hülsen aus soliden Mineralen und Metallen. Man könnte […] den ganzen Asteroidengürtel in ein lebendiges Bergwerk verwandeln […] Genug Wohlstand, damit jeder wie ein König leben kann. (436f)

 75 Als Strukturbegriff für die Zeitfeldanalyse der Erzählung GENETTE 2010 [1998], 39f.

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Die Pflanze ist als eigenwillige Aufnahme des Bionikdiskurses eine funktionierende Maschine, was am Schluss deutlich wird, wenn sie als expandierende BergwerksSchlange („Behemoth“) den Asteroiden in seine chemischen Elemente und Metalle zerlegt, diese in Reinform zusammengeballt und als „Früchte“ ausstößt, bevor sie selbst inklusive Hexaemeron, Royan und Julia entschwindet. Damit ist der unkontrollierbare Aspekt genannt: die Zellen der Aussaatpflanze wachsen bottom-up wie ein riesiges Krebsgeschwür selbsttätig weiter in den Asteroiden hinein. Sie arbeiten zwar im Sinne ihres Erfinders, erweisen sich aber als unbeherrschbar. Die eigentliche Nanobiotechnologie, das, worauf es Forscher Royan abgesehen hat, ist die Technologie, mit der man „alles“, wofür man einen Bauplan hat, technologisch erzeugen kann, mit ökonomischem Mehrwert, der für alle, nicht nur für Julia, ein königliches Leben ermöglicht. Die Nanoware ist die eigentliche Nano(bio-) technologie. Man könnte sagen, die Nanoware verkörpert das Bottom-Up Raumskript der Nanobiotechnologie in Reinform. ,Es wird nachts kalt werden.‘ ,Die Nanoware stellt Kleider für dich her; sie macht alles, solange sie die richtigen Rohstoffe vorfindet, die sie verarbeiten kann.‘ (765)

heißt es am Schluss. Allerdings ist diese Nanoware keine reine Nanobiotechnologie, da das Element des „bios“ ein außerirdisches ist, und das außerirdische Leben bereits technologisch durchsetzt ist (siehe unten). Verwirklicht als solche wird diese Nano(bio-)technologie im All, als nicht mehr verantwortbarer und daher ins Exil verbannter, räumlich maximal ausgelagerter Teil der Diegese. Wenn sich die selbsttätige Kraft der Selbstorganisation der Materie gegen den Erzeuger richtet und und Royan buchstäblich verschluckt wird von Zellen, die sich als „proteische Zellen“ selbst umprogrammieren können und ein Bewusstsein entwickeln, ist dies ebenfalls nicht mehr Nanobiotechnologie. In der Erzählung firmieren sie als „dritte Stufe“ außerirdischer Technologie: [M]an [muss] an die dritte Stufe denken […] das Hexaemeron kann die eigenen Gene bearbeiten und entscheiden, welche Ringsequenzen es aktiviert. […] Die außerirdische Gensphäre […] [enthält in den Schalen] die genetischen Codes von über sechstausend verschiedenen Arten […] Das Hexaemeron ist ein Zwischenstadium, eine künstliche Hebamme. Sich selbst überlassen, kann es die Ökologie eines ganzen Planeten erzeugen. Das ist sein einziger Zweck; dazu wurde es konstruiert. […] Wo würden Sie es freisetzen, damit es sich fortpflanzen kann? […] was passiert in tausend Jahren […] Wenn den Außerirdischen der Expansionsraum ausgeht? (697)

Diese Nanotechnologie ist raumlogisch mit einem ungebremst expansiven Charakter versehen, der eigentlich vor allem den Nanopartikeln zukommt, daher nun zum

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dritten Diskursbereich. Hier lässt sich argumentieren, dass Partikularität als Streuung oder expansive Raumaneignung vor allem in Bezug auf die „Mikroben“ zu finden ist. Zu (3). Der Diskursbereich Nanopartikel setzt über das Raumskript vereinzelte Partikel in Beziehung zu einer Umwelt bzw. bindet sie in diese ein, wobei von der Umwelt bzw. der direkten Umgebung abhängt, ob eine räumlich expansive Qualität entsteht und ob die Expansion gebändigt werden kann. Als „Existenzgrund“ der Nano-Blume treten außerirdische Mikroben auf, anhand derer das Raumskript der Partikularität und Expansion entfaltet wird. Sie werden als Partikel inszeniert, wenn auch nicht als Nanopartikel in einem messbar spatialen Sinn einer Nanometergröße. In der Exposition der Handlung wird deutlich, dass es unmöglich ist, dass ein Sternenschiff unbemerkt außerirdisches Leben auf die Erde bringt, und dass außerirdisches Leben eine interstellare Reise überlebt. Auf das Problem, wie das ganz Andere oder Fremde zur Erde kommen kann, lautet die simple Antwort: Mikroben als vereinzelte, biologisch schlafende außerirdische Lebensform sind hinreichend klein genug, um übersehen zu werden. Insofern sind sie die zunächst vereinzelten (partikularisierten) Träger der Technik, die später als Nanotechnologie semantisiert wird und in eine Bedrohung umschlägt. Die Mikroben sind als einzelne Partikel, wie DNA, die materiellen Träger der Nanotechnik, deren räumliche Ausdehnung gering ist und die als einzelne Akteure selbst(-)tätig werden, vergleichbar einem winzigen lebendigen Computerchip. Mit der nanosemantischen, räumlichen Vereinzelung als Partikel geht ein Aspekt einher, der die Qualität der Mikroben betrifft. Aufgrund der speziellen „Natur“ außerirdischer Mikroben führt ihre Verklonung zur Problematik des selbsttätigen außerirdischen, lebendigen, proteischen Materials, das sich, sobald es in eine höhere Ordnung, nämlich pflanzlicher Art, gebracht wird, nicht nur expansiv, sondern auch eigengesetzlich verändernd verhält. Die Mikroben werden im Sinne von nanotechnologisch semantisierten, kleinen außerirdischen biologischen Einheiten zunächst eingebunden in eine bottom-up Technologie, die Aussaatpflanze, die expansiv wird, sich unkontrolliert ausbreitet und schließlich ein eigenes Bewusstsein (das Hexaemeron) entwickelt. Wichtig ist, dass der Aspekt des Gemachten und Technischen bereits zu den Mikroben gehört. Die Mikroben sind außerirdische Nanopartikel in dem Sinn, dass sie Nukleus und Endpunkt einer hochentwickelten außerirdischen Lebensform sind. Insofern ist auch das Raumskript des Top-Down enthalten: die Mikroben wurden konstruiert als herunterskalierter Speicherort einer außerirdischen Gensphäre. Sie sind nicht unsichtbar klein, wie es bei einzelnen nanometergroßen Nanopartikeln der Fall wäre, dennoch aber klein genug, um von einer hochgezüchteten Wissenschaft übersehen zu werden. Sie enthalten in sich in ihrer kugelförmigen DNAAnordnung in Schalen das versammelte technisch-natürliche Wissen der außerirdischen Lebensform, wobei dieses Wissen größensemantisch im Bereich der Nano-

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dimension liegt, weil DNA-Stränge mit einem Durchmesser von 2-3 nm bemessen werden.76 Der Aspekt des technisch gemachten, aber dennoch „natürlichen“ Organismus wird besonders hervorgehoben. Ich hatte gesagt, dass nichts wie diese Gensphäre in der Natur vorkommen könnte […] Sie wurde konstruiert […] und das absichtlich. Der Kern der Sphäre hat überhaupt nichts mit Genetik zu tun; er ist ein molekularer Schaltkreis, dessen Funktion der eines Neurons ähnelt, aber viel raffinierter ist. (691)

Das diegetisch inszenierte Außerirdische ist gleichzeitig das Technische par excellence.77 Daher bezeichnet Royan die Mikroben auch als „größte Entdeckung seit Amerika – seit dem Rad“ (558). Die technische Herunterskalierung top-down wird als Tätigkeit einer opaken außerirdischen Lebensform zugeschrieben, die im rätselhaften Dunkel verbleibt und von der man nur erfährt, dass sie die Mikroben „absichtlich konstruiert“ (691) hat. Die Erzählung gibt sich alle Mühe, die Mikroben technisch zu konnotieren, und zwar nicht als Erfindung, sondern als Entdeckung: Sie sind die größte Entdeckung seit dem Rad. Damit wird nebenbei ‚technische Erfindung‘ in ‚technische Entdeckung‘ umsemantisiert, so dass der tätige Eingriff und die menschlich tätige Zwecksetzung samt der Verantwortung wegfallen, obwohl der Charakter des Technischen erhalten bleibt. Technische Erfindungen und Entwicklungen, das tätige Schaffen, Eingreifen und Manipulieren werden zu technischen Entdeckungen: Neue Techniken werden, wie bei Feynman, entdeckt wie Kontinente. Nanopartikel sind nicht menschlich gemacht, sondern werden menschlich entdeckt.78 Das ihnen eigene Raumskript ist dreifaltig: einmal partikulär im Sinne einer größtmöglichen Expansion und Streuung, was später auf die Nanoware übertragen

 76 Zum Beispiel auf der Website der US-amerikanischen National Nanotechnology Initiative NNI nano.gov/nanotech-101/what/nano-size, acc. 160222. 77 Die Xenophobie Greg Mandels vor der Nano-Blume erweist sich als Xenophobie vor dem Außerirdischen.– Technikfeindlichkeit wird als Angst vor Veränderung mit ‚Xenophobie‘ parallelisiert: „Menschen sind von gefährlich xenophobischer Natur; eurer Führung würde es schwerfallen, öffentlichem Druck im Hinblick auf mich standzuhalten“ sagt das Hexaemeron (696). Meiner Ansicht nach wird damit einer ungebremsten Offenheit für jede Form von Technikentwicklung das Wort geredet, trotz der Darstellungen der düsteren Erfahrungen Royans. 78 Meiner Ansicht nach impliziert Skalierung Entdeckbarkeit – und umgekehrt. Es gibt Animationen, die die Skalierung durch eine visuelle Reise in den Nanokosmos verbildlichen, zum Beispiel „The Scale of the Universe“, Skalierungsanimation in mehr als zwanzig Sprachen, verlinkt bei der NNI nano.gov/nanotech-101/what/nano-size, htwins.net/ scale/lang.html, 160222. Zu Entdeckung vs. Erfindung JANICH 2006, 16f.

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wird, top-down als gewollt komprimierter, außerirdischer Weltnukleus und bottomup, das ebenfalls auf die Nanoware übertragen wird. Ein technischer Eingriff bzw. eine technische Kontrolle der Mikroben und der im Anschluss an die Mikroben erzeugten Zellen ist nicht möglich. Diese selbsttätigen Nanopartikel haben daher auch keinen Platz auf der Erde. Die Nanoware, in der die dreifaltige Nanotechnologie gipfelt, ist nur gehorsam gegenüber den aus einer digitalen Bauanleitung und Persönlichkeit wiedererstandenen Figuren Royan und Julia. „Sie machten sich über den Strand zur Landspitze auf. Nach einer Minute bewegten sich auch die Nanoware-Organismen und rutschten gehorsam hinter ihnen her.“ (766) Dies ist der letzte Satz des Romans, der im Vergleich zum vorangegangenen Geschehen eine versöhnliche Perspektive zeichnet, bei der digital rekonstruierte Menschen, also nicht mehr Menschen im mir bekannten Sinn (vielleicht als eine Art Computerspielavatare?), und Technik in einer untrennbaren Einheit in einem neuen Paradies verschmolzen sind. .



III. Schluss

 



Zusammenfassung In der diskursanalytischen Forschungsarbeit werden Aussagen zur Raumkonstitution der Nanotechnologie anhand von Fallstudien aufgearbeitet und eine empirisch kontextualisierende, qualitativ orientierte Minimalkorpus-Untersuchung unternommen.1 Das Ziel lässt sich mit einer Zweckentfremdung linguistischer Begrifflichkeiten so formulieren: die Kollokation oder besser die Kolligation des Wortes Nanotechnologie mit raumsemantischen Strukturelementen, hier als Raumskripte bezeichnet, exemplarisch und qualitativ zu untersuchen.2 In den Begrifflichkeiten des gewählten Theoriedesigns ausgedrückt, bilden drei Raumskripte Top-Down, Bottom-Up und Partikularität / Streuung die raumsemantische Subscriptio des Kollektivsymbols Nanotechnologie, wenn diese beispielsweise als Schlüsseltechnologie bezeichnet wird.3 Nanotechnologie lässt sich als raumsemantisch strukturierter Technikdiskurs beschreiben und in die Technikdiskursfelder Nanotechnik, Nanobiotechnologie und Nanopartikel aufgliedern. Die drei unterschiedlichen Raumaneignungsvorschriften beziehen sich im Nanotechnologiediskurs sowohl auf Techniken als auch auf technische Entwicklungsmöglichkeiten und -prozesse. Auf diese Weise funktioniert Nanotechnologie als Kollektivsymbol mit einer dreifach strukturierten, kulturellen Raumsemantik. Die Struktur der raumsemantischen Aussagen der Nanotechnologie wird in sechs Fallstudien einerseits als These an die Texte herangetragen, andererseits aus ihnen begründet. Dabei ist die Fragestellung im Spannungsfeld der Großthemen Sprache, Raum und Technik angesiedelt. Der analyti-

 1

Da es sich um eine relativ kleine Menge von Texten handelt, könnte man kritisieren, dass es sich nur um eine Vorstufe zu einer Diskursanalyse handelt, insofern Diskurse ihre Aussageregelmäßigkeiten nur im Hinblick auf größere Textkorpora freigeben. Eine quantitative Analyse, die diesen Namen verdient, müsste vermutlich digitalisierte Texte und digitale Instrumente verwenden. Da diese nur digitalisiert zugängliche Lexeme als Faktum der Sprache akzeptieren, entsteht ein Problem hinsichtlich der Programmierung und Fokussierung und somit der (unsichtbaren?) Zurichtung des Materials.

2

Kollokation benennt in der Korpuslinguistik das gleichzeitige Auftreten zweier Wörter (z.B. rotes Tuch oder hartes Leben), Kolligation bezeichnet Paare sprachlicher Einheiten, deren Zusammenhang durch die Bezeichnung ihrer syntaktischen Kategorien und der Beziehungen zwischen diesen Kategorien weiter qualifiziert ist. LEMNITZER / ZINSMEISTER 2010, 30f.

3

Schlüsseltechnologie ist nach der hier vorgeschlagenen Lesart ein kleines Kollektivsymbol, dessen Semantik in anderen Kontexten umgeschrieben werden und wechseln kann, beispielsweise, wenn Gen- oder Biotechnologie, Kernenergie oder Materialwissenschaften als Schlüsseltechnologie bezeichnet werden (II.3, II.5).

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sche Blick richtet sich auf einen als andauernden und beweglich vorausgesetzten mehrebigen und mehrdimensionalen Vermittlungsprozess zwischen Technik und Sprache, der durch eine rauminteressierte Analyse als ästhetische Fragestellung objektiviert wird. Die punktuelle, qualitative Auswahl der Texte erfolgt entlang eines großen Spektrums nationaler und textueller Manifestationen der Nanotechnologie und bildet die Bandbreite des Phänomens exemplarisch ab. Nanotechnologie kann als raumgesättigter Diskurs und Kollektivsymbol nur mit literaturwissenschaftlicher Untersuchung erfasst werden.4 Eine Analyse muss gewissermaßen in die innere Logik einsteigen, wie sie in textuellen Manifestationen (um nicht ‚verbale Performanzen‘ sagen zu müssen) anzutreffen ist, und dabei einen individuell zu analysierenden Zusammenhang einzelner Texte mit einem als kollektiv gesetzten Sprachhaushalt rekonstruieren. Dieser mit den Theoriekonzepten von Link, Foucault und Latour konzeptualisierte Sprachhaushalt ist mannigfach durchzogen von Mechanismen materieller und kultureller Provenienz und Bedeutung, inklusive einer diskursiven Verortung der Nanotechnologie in einem näher zu beschreibenden, (auch) semantisch konstituierten Geflecht von Wissenschaften. Es geht nicht um die Analyse einer universalistisch funktionierenden abstrakten „Idee“ der Nanotechnologie, die immateriell ist und kraft einer intellektuellen Anstrengung erkannt und begriffen werden kann, ebenso wenig gibt es eine (US-amerikanische) Ideologie der Nanotechnologie.5 Stattdessen ergibt sich so etwas wie ein techniksemantisches Dispositiv, das wirksam ist und bleibt. Wie bei Kehrt wird in den vorgelegten Fallstudien deutlich, dass Nanotechnologie nicht kulturell neutral ist und sozial namhaft gemacht werden kann.6 Der hybriden Begriffsbildung Nanotechnologie wird zugestanden, durch eine verteilte Machtproduktion bestimmte Aussagen generieren zu können. Diese Wirk-

 4

Radkaus detailreiche Technikgeschichte ignoriert das Phänomen Nanotechnologie, obwohl das Wort einmal als Schlagwort neuester, problematischer Technikentwicklungen vorkommt. „Wie weit die mit DNA-Neukombinationen operierende Gentechnik von ihren Risiken her scharf gegen andere Arten der Manipulation biologischer Prozesse abzugrenzen ist, bleibt bis heute unklar. Und noch viel undurchsichtiger sind die Chancen und Risiken der allerneuesten ‚Querschnittstechnik‘: der Nanotechnik.“ RADKAU 2008, 435. Das Wort fehlt im Stichwortverzeichnis, was einem Nicht-Existenz-Verdikt über Nanotechnologie gleicht.

5

Vgl. SCHUMMER 2009. Die von Schummer skizzierte „Idee“ der Nanotechnologie liegt

6

Kehrt legt eine Analyse für die „deutsche Hauptstadt der Nanotechnologie“ München

meiner Ansicht nach konzeptionell relativ nah an Ideologie im plakativen Sinn. vor, KEHRT 2016, 7, bleibt aber gegenüber der Ästhetik des Sprechens über Nanotechnologie und der Poetik wissenschaftlicher Begriffe hilflos. Ich würde mein Verfahren am liebsten ‚sozialtechnologisch‘ nennen.

Z USAMMENFASSUNG | 399

und Generierungsmacht lässt sich anhand dreier Raumskripte in Sprachdokumenten identifizieren und innerhalb von Textlogiken rekonstruieren. Andererseits lassen sich Kontexte in einem pragmatischen Sinn rekonstruieren, wodurch eine diskursive Einbindung und Rückbindung an Institutionen, Wissenschaftsdisziplinen und Karriereverläufe beispielhaft skizziert werden kann. Ziel war und ist es, Nanotechnologie so zu untersuchen, dass sie der techniksemantischen Vielschichtigkeit des Gegenstandes gerecht wird. Die Ergebnisse werden anhand von sechs distinkt identifizierbaren Texten erarbeitet und belegt. Insgesamt handelt es sich um den Versuch, in methodischer Aufgeklärtheit eine diskurstheoretische Aufklärung zu unternehmen.7 Das verwendete begriffliche Instrumentarium ist an Link und Foucaults Theoriemuster angelehnt, wird aber nicht linientreu verwendet; die begriffliche Schärfe der Theorieentwürfe dient, fürchte ich, eher dazu, die untersuchte trübe Gemeinsprachensuppe kräftig zu würzen als sie analytisch zu proportionieren und servierfertig zu machen. Oder wird hier gar nur mit einem analytischen Messer umgerührt?8 Oder wurde der Anspruch der Arbeit im Vergleich zu den zitierten Geistesheroen zu streng heruntergekocht, worunter die begriffliche Schärfe leidet?

 7

Schummer nimmt eine ideologiekritische Haltung ein, die sich auf die selbstverständliche

8

Eine Suppe lässt sich auch mit den schärfsten analytischen Instrumenten nicht schneiden,

Vernünftigkeit des eigenen Ansatzes beruft. SCHUMMER 2009, insbesondere 136 ff. ebenso wenig, wie sich ein Pudding schälen oder an die Wand nageln lässt. Da ich gerade bei der wilden Metaphorik bin: Vielleicht lässt sich die spezifische Machtausübung wissenschaftlicher Begrifflichkeiten im allgemeinen Sprachhaushalt mit einer Metapher von Tino Sehgal fassen. Sehgal spricht vom Hula-Hoop-Reifen der Ökonomie: „Unsere Ökonomie ist wie ein wirbelnder Hula-Hoop-Reifen, den wir immer weiterdrehen müssen, um das Wohlstandsniveau zu halten. Das ist aufregend, und man kann in einen Geschwindigkeitsrausch geraten. Das Ganze kann schneller oder langsamer werden, wachsen oder schrumpfen, aber eins geht nicht: Stillstand.“ Süddeutsche Zeitung Nr. 197, 28.8.15, 21. Aus der Perspektive der Wissenschaft gibt es die unhintergehbare Notwendigkeit, den Hula-Hoop-Reifen der Fachsprache immerzu in Schwung zu halten, und Nanotechnologie verweist als Symptom darauf, dass die Bewegung nicht aus dem HulaHoop-Reifen selbst entsteht. (In der Hula-Hoop-Metapher verschaltet sich die Sportsemantik (Körper bewegen sich, ein Kollektivkörper bewegt einen Reifen) mit dem Kollektivsymbol Autofahren (Geschwindigkeitsrausch), wobei Sport die Technik dominiert, denn auch ein Skifahrer kann in einen Geschwindigkeitsrausch geraten.) Wenn Schummer Nanotechnologie als durch Fördermittel initiierte „soziale Bewegung in der Wissenschaft“ charakterisiert, trifft er, mit Latour gesprochen, eine soziologische Gruppenaussage, ohne jedoch eine Gruppe zu benennen, SCHUMMER 2004, 46. Eine unklare metaphorische Begrifflichkeit kann das, was sie bezeichnen soll, nicht einholen oder diskredi-

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Im Diskurs der Nanotechnologie werden wiederholte Bezüge zum Raum zu etwas, das man als „diskursive Formation“ bezeichnen kann.9 An und mit Texten treten Regelmäßigkeiten im Hinblick auf ein (mehr oder weniger fixiertes) Wissen hinsichtlich technisch determinierter Prozessverläufe auf, die als raumgreifende Prozessverläufe bestimmt sind. Raumskripte sind diskursive Formationen im Hinblick auf technisch bestimmte Prozessverläufe, sie sind Raumsemantiken mit ‚eingebauter‘ Richtungsvorgabe einer Raumerzeugung. Wissensformationen über den Raum werden angesprochen und wiederholt. Bei der Rede über Nanotechnologie wird immer eine Richtung angegeben, in der technisch der Raum angeeignet wird, insofern handelt es sich um techniksemantische Raumskripte. Der Typisierung eines Bündels von Techniken durch ein gemeinsames Merkmal wird in der vorliegenden Untersuchung durch die Beschreibung der Raumkonstitution der Nanotechnologie in Texten und Kontexten Genüge getan. Die zu diesem Zweck herangezogenen heterogenen Texte werden als empirische Fallbeispiele und gleichzeitige Zugänge zum Diskurs behandelt und bilden das Textkorpus für diese Untersuchung. Da der gewählte Ansatz in einer raumorientierten Lesart von Quellentexten zur Nanotechnologie gründet, sind drei Technikdiskursfelder systematisch unterscheidbar: Nanopartikel, Nanotechnik und Nanobiotechnologie. Dies beinhaltet einerseits, dass ‚Raumkonstitution‘ die wichtigste Diskursregel für den NanotechnologieDiskurs darstellt anhand derer die Diskurse unterscheidbar werden. Diese Einteilung wird anhand sechs exemplarischer Einzeluntersuchungen ausgearbeitet und gewissermaßen exemplarisch verifiziert. Für die Interpretation der Textfallbeispiele übernimmt die Anbindung der Analysen an Diskursfelder zunächst ‚nur‘ eine heuristische Funktion, ihre Einteilung spielt aber letztlich eine systematische Rolle. Die Arbeit argumentiert, dass Diskursfelder sich anhand von ‚räumlichen‘ Großunterscheidungen konstitutieren, und dass die drei Diskurse ihre Einheit anhand von unterscheidbaren Raumkonstitutionen gewinnen, die sich auf die Kurzform Streuung/Partikel, TopDown, Bottom-Up bringen lassen. Diese Unterscheidung, die sozusagen mit einer Phänomenologie des Raumgreifens arbeitet, ist bisher nicht als solche verbreitet und die hier vorgelegte Interpretation gerät insbesondere durch die Zuordnung der Nanobiotechnologie zur Nanotechnologie in einen Gegensatz zu den Auffassungen anderer Diskutanten.10 Die Unterteilung hat aber den Vorteil, dass sie, statt von einer Unterscheidung von Technikfeldern auszugehen, um eine Einteilung in Technikdiskursfelder bemüht ist. Zwar könnte es sein, dass durch die Einteilung eine Unterscheidung von ‚harten‘ Technikfeldern vor-

 tiert ungewollt: Handelte es sich bei der Nanotechnologie um eine „soziale Bewegung“, ließe sie sich nicht politisch, also durch Fördermittelentzug, zum Stillstand bringen. 9

Vgl. FOUCAULT 1994 [1973], 31ff, besonders 48f.

10 SCHIEMANN 2006, 119, 125f, KÖCHY 2006, 132f, KÖCHY 2006a.

Z USAMMENFASSUNG | 401

genommen wird, aber untersucht werden ausdrücklich sprachlich vermittelte Technikfelder. Damit wird sprachliche Technik-Vermittlung als untrennbar von den infrage stehenden Techniken angesehen und umgekehrt. Der analytische Blick richtet sich auf einen als andauernden und beweglich vorausgesetzten Vermittlungsprozess zwischen Technik und Sprache, der objektiviert und intersubjektiv vermittelbar wird, und operiert mit der Annahme, dass es keine von sprachlicher Vermittlung unabhängig existierende Nanotechnologie (und nanotechnologischen Technikfelder) gibt und dass Sprache umgekehrt technisch ‚gebunden‘ ist. Als Einteilung des NanotechnologieDiskurses werden drei Technikdiskursfelder unterschieden, deren jeweilige Raumkonzepte, begrifflich als Raumskripte gefasst, entfaltet wurden. Wichtig ist, dass der Raumbezug und die Raumskripte nicht als kognitive Grundmuster verstanden werden. Raumskripte werden diskursiv konstitutiert. Ein vorgefundener Raumbezug eines Bündels von Techniken, das unter dem Namen Nanotechnologie firmiert, wird zur Grundlage für eine empirische Untersuchung gemacht, die Raumbezüge in einzelnen Texten herausgearbeitet und als Diskurs beschreibt. Darüber gelangt man zu einer Art rauminteressierter Phänomenologie der Nanotechnologie, wobei sich die phänomenologische Unterscheidbarkeit gegenüber anderen Techniken auf die in Texten beschriebenen, verwendeten und auffindbaren Räume stützt. Es ergibt sich so etwas wie eine diskursive ‚Topologie der Nanotechnologie‘. In ihrer gesamten Darstellung lassen sich die Raumskripte als Topologie der Nanotechnologie verstehen. Für ihre angemessene Beschreibung und Erfassung braucht man eine ästhetisch und philosophisch informierte Methode, die hier zusätzlich im Sinne Latours partiell auf die materiellen Erscheinungsformen der Sprache hin mitreflektiert wird. Wendet man die Methode auf Computer- oder Gentechnologie an, impliziert der Vorschlag, dass Technikdiskurse je ‚andere‘ Räume konstituieren, die sie in Besitz nehmen und mit denen sie sich in epistemischer, aber auch in gesellschaftlicher Hinsicht auseinandersetzen (oder gar herumärgern) müssen. Die Methode impliziert, dass unterschiedliche Technikdiskurse anhand eines Rückgriffs auf ihre Topologie unterschieden werden können. Es gibt keinen Einheitsbrei der Rede über Zukunftstechnologien, wohl aber Standards und Stereotype der Kommunikation über Zukunft und Technik. Diese müssen in diffizilen und komplexen Aushandlungsprozessen hergestellt und durchgesetzt werden, und bedienen sich, wie im Falle der Nanotechnologie deutlich wird, einer Vielzahl kursierender Kollektivsymbole. Vor allem geht es in den Fallstudien um die Darstellung der und eine Zugriffsmöglichkeit auf die mit Hilfe von Rauminszenierungen und Wissenschaftsverbindungen operabel gemachte diskursive Konstitution von Technik. Entlang der These, dass Texte den Nanotechnologiediskurs als raumgesättigten Interdiskurs generieren, wobei sie für unterschiedliche Orte und damit gleichzeitig für Art und Weisen der Kommunikation und Wissenschaftskommunikation stehen,

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werden in den Fallstudien die textuell konstituierten Räume und damit die semantische Raumkonstitution untersucht. Eine wichtige Überlegung für die Auswahl der Texte war, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sprachlich vermittelt werden müssen und die Vermittlung oder Präsentation an einem Ort – räumlich und medial gebunden – stattfinden muss. Wenn man die Topologie des Nanotechnologiediskurses untersucht, gehört auch dazu, zur Kenntnis zu nehmen wo und entlang welcher Mechanismen sich diese performativ realisiert.11 Die Wissensarbeit bezieht sich auf Semantik und bemüht sich um eine Raumlinguistik der Nanotechnologie. Das Wissen, das erarbeitet wird, ist aber nicht nur ein strukturelles Wissen über Wörter, Sätze, Texte und Medien wie PowerPoint oder Internet, sondern geht über Sprache hinaus, insofern es über Dokumente an einen pragmatischen Zusammenhang zurückgebunden ist. Es geht darum, ein Wissen über den Machtzusammenhang zu gewinnen, der es Wissenschaftlern, Politikern, Managern und Lehrern erlaubt, über Nanotechnologie zu reden, diesbezüglich Förderentscheidungen zu treffen und tatsächlich zu forschen. Über die Analyse der Titel konnte gezeigt werden, dass der Diskurs der Nanotechnologie durch den Bezug zu anderen Diskursen mehrfach raumsemantisch (über-)determiniert ist12 , wobei Feynmans Text vom Beginn der 60er Jahre bis heu-

 11 Ein deplatzierter Hinweis: Mit dem Verschwinden der Schriftsetzer durch die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung und die weitgehende Digitalisierung der Zeitungsdruckereien verschwindet ein intellektuelles Korrektiv einer Gesellschaft, das wodurch ersetzt wird? „Der Schriftsetzer war der Intellektuelle unter den Arbeitern: Er musste die Texte, die er setzte, verstehen, um orthographische Fehler zu vermeiden, und setzte seinen Stolz in diese Fähigkeit. Die Setzer gehörten in Deutschland zu den selbstbewusstesten Berufsständen; sie waren die einzige Arbeitnehmergruppe, die sich gegen die Einführung der EDV, die ihre überkommene Qualifikation weitgehend entwertete, durch einen Streik zu wehren versuchte.“ RADKAU 2008, 433, Bildunterschrift. 12 SCHWARZ 2006 zeigt, wie Nanotechnologie angesichts knapper Ressourcen im Nachhaltigkeitsdiskurs wirksam wird, deren Raumdiskurs mit einer intern expansiven Strategie verführt, die keine ‚äußeren‘ Ressourcen (ver-)braucht. Damit verbindet sich ein Machtanspruch: Nanotechnologie beansprucht im Nachhaltigkeitsdiskurs eine, wenn man so will, herausragende Technikposition. Gleichzeitig schreibt Schwarz ihrerseits in Bezug zum politischen und wirtschaftlichen Diskurs in Deutschland, in dem „High-tech, Greentech, Cleantech“ als Zukunftstrend identifiziert und hergestellt wird. „[D]er Trend zur umweltfreundlichen Technik ist weltweit und bekommt Impulse [...] auch durch das Konsumentenverhalten. Zur Überraschung eingefleischter Zyniker hat sich seit den 1990er Jahren die ‚Zertifizierung‘ – die [...] Garantie einer gewissen ethischen und ökologischen Korrektheit von Produkten und ihrer Herstellungsweise – zu einer florierenden Branche

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te diskurskonstitutiv wirkt. Ursprünglich war die Einladung, sich mit einem neuen Forschungsfeld zu beschäftigen, an amerikanische (und nicht an sowjetische) Kollegen gerichtet, heutzutage wird die Einladung von internationalen Forschern befolgt. Weitergehende Detailstudien könnten untersuchen, wie sich die Euphorie der fünfziger Jahre über die Möglichkeiten der Nutzung einer als unendlich angesehenen atomaren Energie im Enthusiasmus über unendliche Möglichkeiten der Nanotechnologie reformuliert, und wie die Kontrolle über die Nutzung der Atomenergie mit der Kontrolle über den Nanoraum zusammenhängt.13 Die Untersuchung fokussiert auf das diskursive Gebilde Nanotechnologie, das auf einem Kommunikationszusammenhang aufsitzt, der in sechs Fallstudien sprachphänomenologisch lokalisiert wird. Der Kommunikationszusammenhang ist vielfach geschichtet und lässt sich entlang einer westlichen Wissenschaftslandschaft als durchorganisierte und digitalisierte Wissenschaftskommunikation begreifen.14 Es wird begründet, warum es sich bei der Nanotechnologie nicht um einzelne Techniken handelt, sondern um einen Technik-Diskurs, und gezeigt, inwiefern das diskursive Gebilde Nanotechnologie im Sinne eines Forschungsgegenstandes als Kollektivsymbol identifiziert werden kann und muss. Indem sich eine raumsemantische Struktur entlang dreier Raumskripte entfalten lässt, wird Nanotechnologie als Kollektivsymbol in einen wissenschaftlich und disziplinär geordneten Kosmos eingebunden. Insofern dieser wissenschaftlich geordnete, disziplinäre Kosmos heutzutage global ist, ist auch der Nanotechnologie-Diskurs ein global geordneter. Dabei spielt eine Rolle, dass das Verhältnis der Wissenschaften untereinander entlang kollektiver, kommunikativer Sinnbildungen geordnet ist. Insbesondere das Zusammenwirken der ‚Eigenlogiken‘ von alten und neuen, von historisch, sozialwissenschaflich oder medial interessierten Wissenschaftsdisziplinen und also ihrem Funktionieren entlang ihrer benennbaren Forschungsinteressen führt in Kombination mit benennbaren Forschungsmethoden zur Ausprägung von Kollektivsymbolen, mit denen auf verschiedene Weise Politik gemacht werden kann und wird.15 Bezogen auf das semantische Verhältnis von Raum, Sprache und Technik heißt das, dass nicht nur Transporttechnik, Ballone, Eisenbahnen, Flugzeuge, Autos, mit irreduziblen und beobachtbaren Sagbarkeiten

 eigener Art entwickelt.“ RADKAU 2008, 430. Die Wissenschaften, die sich mit Nanotechnologie beschäftigen, tragen zu ihrer wissenschaftlichen Zertifizierung bei. 13 „Der Nanoraum ist [...] ein ‚innerer Weltraum‘, der sich [...] dadurch auszeichnet, dass er unbegrenzte Möglichkeiten birgt. Dieser Raum wird nun erst einmal exploriert. [...] So erschließen wir uns neue Räume für wirtschaftliches Wachstum in einer begrenzten Welt.“ NORDMANN 2007a. 14 Vgl. die Studie zum Roadmapping in der Halbleiterindustrie, SCHUBERT 2007. 15 Die Verbindungen zum Computerdiskurs können im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden. Zum Computerdiskurs ALPSANCAR 2012; PIAS 2005, Vorwort.

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einhergehen und als implizit oder explizit raumbewältigende Techniken kollektivsymbolisch in allgemeine Sprachgewohnheiten eingehen und dort Sinn konstituieren. Technik, und ich würde an dieser Stelle ergänzen: Wissenschaft, sorgt dafür, dass der Kreis dessen, was gesagt wird und der Rahmen dessen, was an Argumenten und Beweisverfahren auf der sprachlichen Ebene (also: machtpolitisch) zugelassen wird, in einem starken Sinn bestimmt und determiniert wird.16 Nicht nur ihr Gebrauch in Alltag und Beruf, nicht nur die Wissenschaft in technischen Dingen sowie großtechnischen Systemen, verändern im großen Stil individuelle Sprachund Denkgewohnheiten und damit kollektive Sagbarkeitsmöglichkeiten, auch das wissenschaftliche Vokabular zu Technik, Prozessen und Praktiken.17 Indem theoretisch erschlossene Wissensräume durch die Sprachspiele der Fachsprachen hindurch in die Gemeinsprache Eingang finden, verändert und erweitert sich der Umfang und die Gestalt dessen, was sagbar und denkbar ist, und umgekehrt. Man kann die techniksemantischen Untersuchungen bezüglich des Kollektivsymbols Nanotechnologie vielleicht anders als hier vorgeschlagen unternehmen. Mir ging es darum, plausibel zu machen, dass eine begriffliche Fassung von Nanotechnologie als Kollektivsymbol einen Sinn macht und wie dieser Sinn aussieht.

 16 DNA kann als Erbsubstanz verstanden über viele Sprachbeispiele als Kollektivsymbol beschrieben werden. Die informelle Anhörung zur Verfolgung Homosexueller durch den IS im UN Sicherheitsrat am 24.8.15 wird laut der amerikanischen Botschafterin Samantha Power in die DNA der Vereinten Nationen überführt: „We’re getting this issue into the DNA of the United Nations“ (DLF-Bericht 26.8.15, 9:54h, der deutsche Bericht übersetzt das Wort mit „Erbgut“). Franz-Josef Strauß wird vom JU Kreisvorsitzenden Michael Daniel bei einer Feierlichkeit als „DNA der CSU“ bezeichnet, Süddeutsche Zeitung, 4.09.15, S. 36 „Nostalgische Andacht. Die Junge Union feiert Franz Josef Strauß.“ Weitere Beispiele, nicht näher nachgewiesen: Uli Hoeneß wird als DNA des Fußballvereins FC Bayern, der Wirtschaftsliberalismus als DNA der Partei der FDP bezeichnet. 17 Heideggers Technik-Sprache Vortrag erhebt einen ähnlichen Befund, kommt aber zu anderen Schlussfolgerungen, HEIDEGGER 1989 [1962].



Literaturwissenschaftliche Ergebnisse Das, was als Gegenstand von Literaturwissenschaft akademisch befragt werden will, muss oder kann, ist in dieser Untersuchung in ‚amorpher Form‘ vorhanden und wird durch die Analyse in seiner Gestalt herausgearbeitet. Damit liegt eine literaturwissenschaftliche Ermächtigung vor, die sich auf Texte richtet, die üblicherweise nicht im Fokus literaturwissenschaftlicher Aufmerksamkeit stehen. Damit wird Literatur in einem grundsätzlichen Sinn als machtvolle, sprachkreative Handlung begriffen und als diskursiver Gegenstand konzeptualisiert, der Sprach- oder Textkunst im Hinblick auf generierte und generierende Momente erfasst. Ungeschützt und angreifbar gesprochen: Es ging am Beispiel der Nanotechnologie um die Rekonstruktion einer die Gemein- und Fachsprachen übergreifenden Qualität, nämlich der der Sprache innewohnenden Ästhetik und ihrer Macht. Diese literaturwissenschaftliche Ermächtigung im Hinblick auf eine allgemeine ästhetische Qualität von Sprache zeitigt bestimmte lokalisierte und kontextgebundene Ergebnisse. Als sprachlich manifester Gegenstand liegt die so verstandene Literarität in gewisser Hinsicht quer zu den Luhmannschen Systemgrenzen, die aus systemtheoretischer Sicht zwischen Kunst und Wissenschaft bestehen. Die etwas hölzerne Begriffs- und Theoriewahl für diese Arbeit (Kollektivsymbol, Diskurs, Raumsemantik) konstruiert in gewisser Hinsicht eine unmögliche Versuchsanordnung, die die wuchernde und unkontrollierte Seite der Wissenschaftskommunikation in den Blick bekommen will. Die Annahme, dass ,kleine‘ Kollektivsymbole wie Wettrennen, Brücke, Lego-Baukasten oder Silicon Valley als kommunikationsgenerierende und -strukturierende Elemente im Nanotechnologiediskurs existieren und identifiziert werden können, ist der erste Schritt. Der wesentliche Punkt ist, dass Nanotechnologie selbst als machtvolles Kollektivsymbol (als ,großes‘ Kollektivsymbol) in den Blick genommen wird, und damit sozusagen ein Technikdiskurs als in sich differenziertes Identifikationsmerkmal für eine ästhetisch überformte Diskursordnung dient. Dafür muss die Perspektive noch einmal gedreht werden. Eine solche Analyse geht über eine rein ideologiekritische oder rein historische Analyse der Genese der Nanotechnologie hinaus. Diese Arbeit hat ein begriffliches Tauchbad aus verschiedenen Methoden- und Theorieschränken zusammengebastelt und aufgestellt. In dieses großräumig interpretierte begriffliche Tauchbad aus Theorierastern und Begriffselektroden sind nacheinander sechs präzise charakterisierte Texte hineingehängt worden. Dabei habe ich beobachtet, wo sich Abscheidungs- und Konzentrationsprozesse ergeben. In der Tat lassen sich verschiedene kleinere Kollektivsymbole identifizieren: das technologische Wettrennen (Website, Roman), die Inbesitznahme eines Wissenschaftsraums zwischen Kolonialisierung und ,Last Frontier‘ (Feynman im positiven Sinn, Roman in differenzierterer Weise), Alltagsinnovation (Feynman, Schuhspray) oder

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das Silicon Valley (PPT-Vortrag, Regionalstudie). Gleichzeitig wird Nanotechnologie mit einer begrifflichen Peitsche durchs Dorf getrieben, entlang der Vermutung, dass es möglich sein könnte, das anpassungsfähige und dennoch stabile Gerüst ihres Erfolges durch die Beschreibung ihrer techniksemantischen Bewegung sichtbar zu machen. Drei Raumskripte können als dreifaches raumsemantisches Rückgrat des nanotechnologischen Diskurses angesehen werden. Damit habe ich gezeigt, dass es Sinn macht, Nanotechnologie als machtdurchsetztes und machtgenerierendes Kollektivsymbol anzusehen. Mit dieser Arbeit wird gewissermaßen die Subscriptio dieses Kollektivsymbols (mit Link gesprochen) diskursanalytisch (mit Foucault gesprochen) als in einzelnen Texten formulierte untersucht. Die kulturwissenschaftliche Herausarbeitung der semantischen Gruppenbildung (mit Latour gesprochen) beruht auf einem aufgeklärten Umgang mit einem literaturwissenschaftlichen Vokabular und dessen Theoriestücken. Eine sozial- oder politikwissenschaftliche Arbeit mit historischem Ansatz kann für Deutschland den diskursiven Zusammenhang von finanzierter Forschungsstruktur, Forschungspolitik und Wissenschaftskommunikation an einer Institution wie dem Projektträger DESY beispielhaft veranschaulichen oder sich auf München als deutsche Nano-Hauptstadt richten.1 Dies war nicht das Ziel der Arbeit. Die literaturwissenschaftliche Arbeit ist fächerübergreifend angelegt und verfolgt das ehrgeizige Ziel, etwas, das als Nanotechnologie-Diskurs bezeichnet wurde, möglichst nachvollziehbar im Spannungsfeld der Begriffe Raum, Sprache und Technik zu rekonstruieren. Der Interpretationsfokus liegt auf Textdokumenten, auf einer sprachlich ermöglichten regelgeleiteten Symbolisierung von Raum. Dass es bildliche Repräsentationen gibt, wird vorausgesetzt, Nanotechnologie ist insgesamt ein bildliches oder verbildlichtes Phänomen, das sich in seiner materiellen Heterogenität nicht als einheitliches technisches Phänomen reformulieren lässt.2 Kultur-

 1

pt.desy.de/index_ger.html, acc. 130625. KEHRT 2016 beschäftigt sich mit dem ästhetischen Aspekt der Sprache nur am Rande. Er zeigt „neue Erkenntnismöglichkeiten über das nur schwer verallgemeinerbare Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft“ auf und untersucht die Nanotechnologie im Raum München im Zusammenspiel einzelner Akteure und Forschungskontexte und spricht, wie Schummer 2009, trotz einer genauen historischen Rekonstruktionsarbeit, von „gesellschaftlichen Spiele[n]“, KEHRT 2016, 8f.

2

Bildliche Darstellungen der Nanotechnologie lassen sich benennen und auffinden als digital verarbeitete Messwerte hochpräziser physikalischer Messinstrumente, die in die Form einer nanokleinen Landschaft ‚verrechnet‘ werden, oder als schematische Verbildlichungen von Datenerhebungen oder physikalischen Versuchsanordnungen oder als Abbildung in Form eines Autobahnschildes, das die Nanotechnologie in den dynamischen Zusammenhang einer Wissenschaftslandschaft einordnet (Abb. 1 und 2). Für diese Untersuchung werden die nanotechnologischen Abbildungen (methodisch in unzulässiger Wei-

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wissenschaftliche und bildwissenschaftliche Untersuchungen zu NanotechnologieBildern oder bildlichen Repräsentationen werden als existent zur Kenntnis genommen, müssen aber jeweils im Kontext ihrer Veröffentlichung rekonstruiert werden. Wenn Janich von bestimmten Verbildlichungen der Nanotechnologie als „Ikonen“ spricht und gleichzeitig den Text von Feynman mit diesem Begriff belegt, behauptet er implizit eine Trennbarkeit von einer echten Nanotechnologie als Technik, die sich von einer Nanotechnologie unterscheidet, die ihren Machtanspruch gelegentlich ikonisch materialisiert. Die Entscheidung für eine Diskursanalyse kann mit der Durchführung einer ideenkritischen Studie kontrastiert werden, wie sie von Schummer vorgelegt wurde.3 Er bezeichnet und untersucht Nanotechnologie abwechselnd als „forschungspolitische Idee“, als „Leitidee“ (23), als „Idee einer Technik“ (im Nanometerbereich) (9) oder wahlweise „Idee über Technik“ (155, Fußnote 28), als „Bündel von Ideen über die Rolle von Wissenschaft und Technik in der Gesellschaft, die an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit artikuliert werden“ (13)4 oder als „wissenschaftspolitische Idee“ (24, 25). Nanotechnologie [ist] [...] eine Idee, die weit über die eigentliche Forschung und quer zu allen Disziplinen hinausgreift. Diese Idee positioniert die Rolle von Wissenschaft und Technik insgesamt in der Gesellschaft neu [...] und [...] [weist] erstaunlich konsistente Züge auf [...], 5

die auf eine Verschiebung und Auflösung zahlreicher etablierter Grenzen abzielen.

Nanotechnologie wird nicht nur selbst als Idee bezeichnet, sondern Schummer identifiziert auch Ideen „hinter der Nanotechnologie“. Als Philosoph betont er „die Unvernünftigkeit der hinter der Nanotechnologie steckenden Ideen.“6 Einher mit dieser

 se?) als existent begriffen und als heterogene Verbildlichungen von etwas angesehen, das Nanotechnologie heißt. 3

SCHUMMER 2009.

4

„Meine These lautet [...], dass Nanotechnologie gar keine spezifische Technik oder Forschungsrichtung ist, sondern ein Bündel von Ideen über die Rolle von Wissenschaft und Technik in der Gesellschaft, die an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit artikuliert werden. Um diese Ideen zu verstehen, ist zunächst ein Rückblick auf ihre Entstehungsgeschichte notwendig.“ SCHUMMER 2009, 13.

5

SCHUMMER 2009, 46. Andere Charakterisierungen, die er wählt, sind ein „gesellschaftliches Spiel mit Grenzen“ und die „Radikalisierung eines bereits älteren wissenschaftspolitischen Programms“ (14). Nanotechnologie ist aber nicht nur eine Idee, sondern auch „Phänomen“ (12) oder „Begriff“ (23).

6

SCHUMMER 2009, 18.

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Etikettierung geht die Möglichkeit einer Analyse der „spezifischen Ideeninhalte“(25) sowie die Möglichkeit einer Historisierung dieser Ideen. Um diese Ideen zu verstehen, ist zunächst ein Rückblick auf ihre Entstehungsgeschichte notwendig [...] [D]er historische Ursprung dieser Ideen [ist] in der amerikanischen Populärkultur zu suchen.“(13)

Der analytische Abstand zum „Begriff“ (23), „Phänomen“ (12) oder der „Wissenschaftsbewegung“ (48) Nanotechnologie ist bei diesem Ansatz wenig transparent, ebenso wenig die Rolle des Wissenschaftlers, der die Untersuchung zur Nanotechnologie durchführt. Dies wird insbesondere bei der historischen und kulturhistorischen Herleitung deutlich, wenn Nanotechnologie in ihren Ursprüngen anthropologisch auf „menschliche Fantasie, Sehnsüchte und Ängste“ zurückführbar wird. Tatsächlich hat Nanotechnologie nicht nur gründungsmythologisch, sondern auch kulturgeschichtlich ihre Wurzeln in der Science-fiction-Literatur und damit im Bereich der menschlichen Fantasie, Sehnsüchte und Ängste.

7

Schummers Ansatz (als Mischung von Sozial- und Kulturphilosophie) ist vor allem deshalb unbefriedigend, weil Literatur in diesem Ansatz eine vollkommen unterkomplexe Rolle erhält. Literatur, insbesondere Science-Fiction-Literatur, bekommt die Aufgabe, „menschliche Fantasie, Sehnsüchte und Ängste“ gleichsam zu inkorporieren. Diese Auffassung erscheint als anthropologisch überfrachtete, essentialistische Über- und Unterschätzung der Literatur, und lässt vor allem für literaturwissenschaftliche Analysen und Ansätze wenig intellektuellen Spielraum. Die Überschätzung liegt in der Auffassung, dass sich in literarischen Produkten eine geschichtslose ‚humane‘ Gefühlsökonomie sedimentieren und konservieren kann, die Unterschätzung besteht in der Ignoranz gegenüber der analytisch-intellektuellen Potenz literarischer Erzeugnisse und der Vernachlässigung der Macht von sozialtechnologischen Generierungs- und Institutionalisierungsprozessen. Die Beschreibung und Deutung des Phänomens Nanotechnologie in einer ideenkritischen Rekonstruktion erscheint aber auch methodisch als unbefriedigend. Das gegenseitige Erklärungs- und Verwendungsverhältnis einzelner Texte und ihrer Aussagen wird als ‚philosophisch‘ oder ‚theoretisch‘ hintergehbar angesehen und damit nicht ernst genommen. Dem mächtigen Diskurs der Nanotechnologie wird ein philosophischintellektueller Erklärungsanspruch entgegengesetzt, der das symbolische Kapital der Technikphilosophie für die Erklärung der Nanotechnologie in Anspruch nimmt. Dieses Verfahren wird in dieser Arbeit, so hoffe ich, ein Stück weit mit einer text-

 7

SCHUMMER 2009, 49.

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kritischen Haltung in die Schranken gewiesen, auch weil ich glaube, dass mehr davon nötig wäre. Für diese Arbeit wurde die Legitimationsfrage der Literaturwissenschaft gewissermaßen umgedreht. Nicht eine wissenschaftliche Methodik muss sich legitimieren, sondern der Gegenstand muss als literaturwissenschaftlich qualifizierter begründet werden, indem eine (theoretisch gesättigte) literaturwissenschaftliche Methodik auf einen Gegenstand (ein Minimal-Archiv8) zugeschnitten wird. Damit wird ein ästhetischer Ansatz formuliert und eingelöst, insofern es darum geht, etwas wahrzunehmen und zur Sprache zu bringen, das über das hinausgeht, was vorliegt oder ‚da‘ ist. Liest man die Texte eindimensional als historische Quellen, wird mit ihrer Diskursivität gewissermaßen das sprachkreative Potential und ihre potentielle Ästhetik verschludert, statt sie mit Rückgriff auf literaturwissenschaftliche Theoriebildung als elementarliterarische, diskursive Manifestationen und damit gewissermaßen auf eine potentielle Ästhetik hin wahrzunehmen und zu befragen. Die Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, eine literaturtheoretische Perspektive einzunehmen, die eine raumorientierte Lesart von Sprachzeugnissen verfolgt und fragt: Wie konstituiert sich ein Denk- und Handlungsraum der Nanotechnologie? Die Ausgangsüberlegung der Arbeit lautete: Sprachlich manifestierte Räume sind so machtvoll, dass Nanotechnologie, obwohl es sich um ein visionäres und heterogenes Technikfeld handelt, doch zu etwas ‚Konkretem‘, ‚Realem‘ und ‚Verhandelbarem‘ wird. Indem Nanotechnologie als artifizieller, als hergestellter semantisierter Technikraum beschrieben wurde, entstand die Frage, wie sich die Künstlichkeit dieses sprachlich erzeugten Raumes angemessen beschreiben, rekonstruieren und verstehen lässt. Die These lautete, dass nanotechnologische Visionen, Imagination und Realitäten über sprachliche, semantisch rekonstruierbare Räume zusammen hängen. Allerdings erscheinen die Begrifflichkeiten ‚Vision‘, ‚Imagination‘, ‚Realität‘ oder ‚Metaphorik‘ als wenig geeignet, um der Macht von zeitgenössischen Texten, wie sie weiter fortlaufend produziert werden, habhaft zu werden. Ich denke, forschungspolitische Entwürfe lassen sich wissenschaftlich nur bedingt durch eine ‚Visionenkritik‘ näher differenzieren und anschließend bejahen oder zurückweisen. Nanotechnologie erscheint in Dokumenten und Praktiken als Fachterminus, der einen techno-wissenschaftlichen Objektbereich bezeichnet und verständlich gemacht werden kann. Gäbe es eine Definition der Nanotechnologie, könnten sich Untersuchungen zur Raumfrage beispielsweise auf ein ästhetisches Interesse an der Unsichtbarkeit konzentrieren. Raummetaphern könnten unabhängig von der Frage

 8

Dieser Begriff hat in Foucaults Philosophie oder philosophischen Methode eine zentrale Funktion. Laut Gehring sind die „drei Begriffe – Aussage, Diskurs, Archiv – [...] gleich wichtig und sie verweisen aufeinander. Sie bilden gemeinsam und eigentlich auch: nur gemeinsam ein Modell.“ GEHRING 2004, 55.

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untersucht werdeen, ob der Objektbereich als solcher existiert oder wie dieser beschaffen ist, Nanowissenschaft und -technologie wären durch den Gebrauch von Definitionen (als Textgenre) in ihrer wissenschaftlichen Existenz bestätigt, mit einer informationsvermittelnden Funktion, die nicht als generierende thematisiert werden müsste. Die Definitionsfrage ist aber, wie in Kapitel I.6 gezeigt wird, aus verschiedenen Gründen ungelöst, oder vielleicht besser: in Verhandlung. Im Hinblick auf Nanotechnologie sollte Sprache deshalb nicht als Vermittlungsmedium für außersprachlich identifizierbare Techniken oder Technologien angesehen werden. Zwar schaffen Definitionen und Messverfahren Fakten, aber das Feld der Spitzenforschung ist heterogen durchsetzt von unterschiedlichen Fachlogiken und eingebunden in historische und politische Entwicklungen. Deshalb geht es hier um eine Perspektive, die die ästhetische Qualität von Texten über Nanotechnologie nicht von deren instrumentellen Charakter isoliert, sondern den Machtaspekt von Raummetaphern und Raumsemantisierungen auch mit einer entsprechenden Begriffswahl einholt. Die Besonderheit dieser literaturwissenschaftlichen Arbeit liegt darin, dass Raumkonstitution als machtvolle Leistung von Sprache beschreibbar wird, die genreübergreifend aus Texten etwas macht, das man mit einer Anleihe bei Foucault als diskursive Formation bezeichnen könnte.9 Sie interessiert sich vor allem für einen Befund und eine Beschreibung und ist weder primär erkenntnistheoretisch noch primär wissenschaftshistorisch ausgerichtet. Als textbasierte, an der Raumfrage interessierte Untersuchung formuliert sie ein literaturwissenschaftliches und ästhetisches Interesse, das sich als Suche nach einem methodischen Zugriff auf die ästhetischen Residua von Fach- und Gemeinsprachen reformulieren lässt. Allerdings gerade nicht im Sinne der Durchforstung eines ‚geistig-idealen‘, ‚inneren‘, eigenlogischen Sprachraums. Die Beschreibung eines Alltagsgegenstandes, des Schuhimprägniersprays, hat ergeben, dass das Textmedium Spraydose einen materiellen Textraum konstitutiert, der in einem (anders als bei Link gedachten, aber dennoch elementarliterarischen Sinn) über die Organisation in Oben und Unten sowie Vorder-, Rück- und Seitenflächen einer runden (!) Dose lesbar wird. Der Produktname lässt sich als Titel verstehen, die Minimalerzählung auf der Rückseite wird zum Klap-

 9

Vgl. FOUCAULT 1994 [1973], 31ff, insbesondere 48f. Auch mit diesem Theorie-Begriff wird Geschichte als Gegenstand der Geschichtswissenschaft auf Diskontinuität umgestellt: „Die historische Vergangenheit erscheint plötzlich in verändertem Licht. Unter dem Ordnungsgesichtspunkt betrachtet verwandelt sich gleichsam die Beschaffenheit der Geschichte: Man sieht eigentümlich fremde, nur zeitweilig stabile Ordnungen der Wahrheit – Ordnungen der wissenschaftlichen Rede, Denksysteme –, die sich in plötzlichen Umbrüchen verändern. [...] Diskursive Formationen stehen wie große und sehr eigenartige Monolithen im Raum.“ GEHRING 2004, 51.

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pentext, der in einer wissenschaftlich durchsetzten Lebenswelt über den Inhalt und die zu imaginierende Funktion eines technologischen Produktes Auskunft gibt. Das Textmedium als materiales Kommunikationsmedium lässt sich im Falle der Spraydose als materieller Raum identifizieren, der eine elementare Literatur in einem dinghaften Sinn ermöglicht und vorstrukturiert. Bücher und die Praxis des Bücherlesens sind elementare Konsumentenpraktiken im Umgang mit Waren und Hilfsprodukten, und diese Praktiken schließen eine Wissensgenerierung mit ein. Man liest Bücher und Aufschriften auf Produkten, je mehr drin steht, desto besser. Die Spraydose als Objekt wird als Gegenstand identifiziert, der einen empirischen Beleg für die Rede von elementarer Literatur erbringt. Diese Arbeit rückt Literatur in die Nähe eines Kommunikationssystems, sie fasst sie in einer Funktionalität auf, und nicht als durch Topoi bestimmte oder gar als kultureller Gedächtnisraum existierende. Damit erhält Literaturwissenschaft von einem theoretischen Ausgangspunkt aus als Disziplin den Auftrag, eine semantische Aufschlüsselungsleistung zu erbringen (statt, beispielsweise, eine Huldigung). Aus allgemeiner Perspektive gesehen könnte es sein, dass literaturwissenschaftliche Arbeit selbst ‚immer‘ diskursiv verfasst ist, aus einer Vielzahl unterschiedlicher wissenschaftlicher Diskurse bestehend, die quer über akademisch institionalisierte Fächer und Lehrdisziplinen laufen und ihr Wissen einspeisen, zum Beispiel aus der Zeichentheorie. (Die Frage ist allerdings, ob es, abseits von Zitationskartellen, überhaupt ,fachreine‘, also a-diskursive Wissenschaften gibt.) Für die vorliegende Arbeit stellt sich dieses Problem nicht, weil ein begriffliches Instrumentarium erprobt wird, das die Literaturwissenschaft bereitstellt. Mit diesem kann die raumkonstituierende Leistung der Nanotechnologie beschrieben und der kulturelle Zugriff auf sie ‚geknackt‘ werden, wobei es darum geht, ein Verständnis von Nanotechnologie im Hinblick auf eine soziale und kulturell wirksame Semantik zu ermöglichen, die nur mit einer literaturwissenschaftlich gebildeten Methode erfassbar ist. Dass die gewählten Begriffe der Methode sich mit dem Vollzug dieser Untersuchung verändern, ist ihr wissenschaftliches Schicksal. Ein literaturwissenschaftlicher Anschluss liegt in der Frage nach einer zeitgenössischen Form des wissenschaftlichen Essayismus angesichts von zunehmender interdisziplinärer Zusammenarbeit, die notwendigerweise in Begriffsverlegenheiten gerät.10 Eine Patentlösung, wie sich angesichts fachübergreifender Interessen wis-

 10 BRAUNGART / KAUFFMANN 2005 untersuchen Essayismus als zeitgebundenes Phänomen um 1900, in Deutschland als Gattung und Schreibverfahren nach 1870 erstmalig „zu einer gängigen Form der Publizistik und Literatur entwickelt“(VII). Die Schreibform verficht (als Beispiele Max Bense, Lukácz, Adorno vor allem MÜLLER-FUNK 1995) als einen speziellen „‚Modus der Erkenntnis‘“, um sich kritisch von „Theorien, Systemen und Methoden des Rationalismus, Szientismus, Objektivismus und dergleichen“ abzuset-

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senschaftliche Begrifflichkeiten, Gegenstandsbereiche und Zugriffe zur gleichen Zeit voneinander abgrenzen und zueinander hin öffnen lassen, gibt es vermutlich nicht. Zeichen, Symbole und wissenschaftliche Begriffe erbringen wirklichkeitskonstituierende Leistungen, die nicht allein technisch, soziologisch, kommunikationstheoretisch oder politisch genutzt werden. Wissenschaftssemantik geht einher mit einem machtgesättigten ästhetischen Überschuss, der jeweils eingeholt werden muss. Konstatieren lässt sich eine sprachliche Durchlässigkeit, die dem, was sich als wissenschaftlicher Essayismus bezeichnen lässt, in die Hände spielt. Ein Ergebnis dieser Untersuchung ist (sozusagen kontraintutiv) eine Beobachtung: Es zeichnet sich für die Literaturwissenschaftlerin ab, dass die eigentlich de jure geschiedenen Begriffsuniversen wissenschaftlicher Disziplinen punktuell durch Termini verbunden werden, deren Aussagefunktion heterogen semantisierbar bleibt und mit einem ästhetischen Überschuss versehen ist. Wenn Link bemerkt, dass das psychoanalytische Symbol der Flut zwar nicht dasselbe, aber auch nicht etwas völlig anderes sei als die historische Metapher der Flut, fasst er diese Beobachtung, indem er die Flut als einen „kulturellen Gegenstand“ bezeichnet, der eine Art semantische Einheit bildet.11 Dieser kulturell-semantische Gegenstand ist sowohl Teil der Psychoanalyse als auch des Journalismus, aber auch Teil der Geschichtswissenschaft, man kann ihn als metaphorischen Begriff, Metapher oder, mit Link, als Kollektivsymbol bezeichnen. Ähnliche Beobachtungen lassen sich aber auch bei Begriffen

 zen (VIII). Klaus Günther Just bezeichnete 1960 in einem Lexikonartikel den Essay als „Interdiskurs avant la lettre“ (IX). (ders.: Artikel ‚Essay‘, in: Wolfgang Stammler (Hg.): Deutsche Philologie im Aufriß, 2., überarb. Aufl., Bd. 2, Berlin 1960, Sp. 1897-1948.) Essayistik funktionierte um 1900 „als Interdiskurs“, der die Ausdifferenzierung und die „zunehmende Zersplitterung der modernen Wirklichkeit in unterschiedliche Wissensdisziplinen und Lebensformen schreibend zu überwinden“ trachtete (X); vgl. PARR 2005, 114, zum Theoriepotenzial ZIMA 2014. PFAMMATTER 2002 plädiert für das interdiskursive Genre und die „Erkenntniskraft“ der „unwissenschaftlichen Darstellungform“ (Titel): „[A]ufgrund der sich ständig schneller entwickelnden und verändernden Medien differenziert sich essayistisches Schreiben in den vielfältigsten Zusammenhängen. Zentral bleibt die Funktion, Kultur und Wissen immer wieder von neuem zur kritischen Diskussion zu stellen, Defizite zu formulieren, mögliche Positionen zu skizzieren. [...] Der Isolierung der Diskurse durch die rasante Spezialisierung in allen Bereichen der Wissenschaft und der Gesellschaft bietet essayistisches Schreiben eine Möglichkeit entgegenzuwirken – fordert auf zu grenzüberschreitender Kommunikation.“ (16), als Beispielautoren dienen W. Heisenberg, C.F. Weizsäcker und S. Freud. DANNEBERG 1993, Fußnote 83, klammert bei seiner Reflexion auf Darstellungsformen in Geistes- und Naturwissenschaften Interdisziplinarität explizit aus. 11 DREWS et al. 1985, 256.

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wie Design, Architektur, Innovationspotential oder DNA machen. Die Architektur eines Computerprogramms ist nicht dasselbe wie die Architektur einer gotischen Kirche, eines Fertighauses12 oder eines Wolkenkratzers, oder die Architektur einer Transzendentalphilosophie oder gar des Wissens13, dennoch handelt es sich nicht um einen jeweils völlig anderen ‚kulturellen Gegenstand‘. Die Semantik des ‚kulturellen Gegenstandes‘ Architektur ist weder kontingent oder beliebig, sondern in gewissen Grenzen, die auch wissenschaftlich-disziplinärer Natur sind, bestimmbar und festgelegt. Sie lässt sich in Auseinandersetzung mit den jeweiligen textlichen Belegstellen sowie der historisch-institutionellen und materiellen Begrifflichkeit ausbuchstabieren und muss sich auch in Auseinandersetzung mit diesen historischinstitutionellen und materiellen Begrifflichkeiten ausbuchstabieren lassen. Der Begriff Architektur ist zurückgebunden an Diskursivierung in Architekturschulen, an Fertighäuser, teure staatliche Repräsentationsbauten und Beton. Es ist weder ein neutraler Begriff, noch ein Lexem, noch eine Metapher, die man in einem ‚allgemeinen Sinne‘ verwenden kann, und insofern ein philosophiehistorisch und etymologisch vielfach überdeterminierter Begriff.14 Es gibt keine eigentliche Bedeutung des Wortes Architektur und wenn der Begriff munter durch verschiedene Zusammenhänge flottiert, ist das weder trivial noch ein rein rhetorisches Phänomen. (Da ist er wieder, der Lego-Baukasten der Nanotechnologie). Der (oder das?) Crossover von Begrifflichkeiten wird in einem institutionalisierten, international agierenden, vielfach geschichteten ‚Wissenschaftsbusiness‘ entweder kreativ und bewusst (und damit vielleicht zum Vorteil der Sache und der Beteiligten) oder unbewusst verwendet. Falls dies häufiger vorkommt und generell für Technikwissenschaften, die Philosophie und Kulturwissenschaften, ihre Begriffe und Produkte gilt, wäre die Frage: Wie geht man mit diesem semantischen ‚Zustand‘ um? Auf jeden Fall durch die Erhöhung großinterdisziplinärer Forschungsprojekte und damit verbundener gegenseitiger Lerneffekte, die vor allem bis in die Institutionen, die über Forschung entscheiden, hineinreichen sollten (und in jedes Projekt ein Literaturwissenschaftler!). Ludes, der sich anlässlich der Einführung des Euro mit international kursie-

 12 Schöne Grüße ins Reihenhaus. 13 Beispielhaft sei die Verwendung des Begriffs nachgewiesen bei SCHÄFFNER 2010, 34. Im Forschungs- und Innovationsbericht des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung 2014 wird von einer „Architektur des Wissenschaftssystems“ gesprochen, BMBF 2014, 21, womit weder Wolkenkratzer noch Blockhaus gemeint sein dürfte. 14 „Bereits Aristoteles hat den Philosophen, der sich mit der Politik beschäftigt, als (architecton) bezeichnet, da er immer den Endzweck im Auge hat und da sich hieran der Plan orientiert, muss der Philosoph mithin auch über ein Wissen aus verschiedenen Disziplinen verfügen.“ DANNEBERG 2013, 62. Vgl. „Vom Blockhaus zum Wolkenkratzer“, MUMFORD 1997 [1924/25].

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renden Symbolen in zunehmend digitalisierten Kommunikationszusammenhängen beschäftigt hat, formuliert die Herausforderung deutlich. Untersuchungen für einen reflektierteren, verständnisvolleren Umgang mit Symbolen in allen Hauptbereichen moderner Gesellschaften und bei der Kommunikation der Weltkulturen gehö15

ren zum Überlebensprogramm für das 21. Jahrhundert.

Man mag die Dramatik dieser Ansicht belächeln und sich an den 11. September, das Wort „Korruption“, die Lagerdauer von Atommüll, den sogenannten Islamischen Staat oder die US-amerikanische Wahl 2016 erinnern. Wissenschaften als integraler Teil der Kommunikation der Weltkulturen haben (ob sie wollen oder nicht) einen komplizierten Bezug zur Symbolproduktion und -genese, auch die Technikwissenschaften mit ihren angestrebten oder realen Produkten. Das betrifft nicht zuletzt die Demokratie, selbst wenn man nicht so weit gehen will (oder kann) wie Nordmann, dessen Skepsis auf einen besonderen Budenzauber zielt: dass, zugespitzt, Wissenschaft, verkleidet als Demokratie, ,früher‘ vielleicht dieselbe legitimierende Rolle für hegemoniale Interessen spielte wie heutzutage das Design.16 Differenzierbare Einzelwissenschaften, das ist hier die Abweichung von Link, können ebenso zu kollektivsymbolischen Stichwortgebern oder Kollektivsymbollieferanten werden wie ‚fertige‘ technische Produkte oder der Umgang mit einer technisch durchsetzten Lebenswelt. Das verstörende (und mir fast unmöglich aufklärbar erscheinende) Phänomen ist, dass ein kultureller Interdiskurs im Linkschen Sinne angesichts der hier unternommenen Untersuchung als nicht von den Spezialdiskursen abtrennbarer erscheint und vielleicht niemals mehr durch Luhmann gerettet werden kann. Anders ausgedrückt: Der kulturelle Interdiskurs besteht, so das Beispiel des kulturellen und wissenschaftlichen Gegenstandes Nanotechnologie, aus den Spezialdiskursen der Wissenschaften, wird von ihnen angereichert und durchdrungen und füttert und gestaltet sie seinerseits. Anders gesagt: Die Luhmannschen gesellschaftlichen Funktionssysteme Öffentlichkeit, Recht, Politik und Wissenschaft müssten neben einer historisch und begrifflich geschulten zusätzlich eigentlich auch mit einer ästhetisch aufgeklärten Sprache sprechen, um die gegenseitige semantische Verseuchung zu verstehen und einzuholen. Beobachten allein genügt nicht.

 15 LUDES 2004, 277f. 16 EHN / NORDMANN 2017, Briefwechsel, Ehn rekapituliert Nordmann: „I can understand your worries that ,design‘ might come to play the same legitimizing role for hegemonic interests, dressed as ,democracy‘, which once ,science‘ played.“ (im Erscheinen, Manuskript S. 12).



Wissenschaftssprache zwischen Epistemologie, Literatur und Kommunikation Bei der begrifflichen Trennung von Gemeinsprache und Fachsprache muss berücksichtigt werden, dass der sprachliche Sonderwortschatz nur bedingt von der Gemeinsprache getrennt ist. Es liegt immer eine strukturelle Notwendigkeit der Verbindung zwischen beiden Sprach- oder Diskursformen vor. Dies wird deutlich, wenn eine Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien stattfinden soll, oder, wie im Fall der Nanotechnologie, immer schon stattfindet. Die idealisierte Kommunikationssituation zwischen Fachmann und Laie wird in heikler Weise potenziert und dynamisiert, wenn eine interdisziplinäre Kommunikation zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen stattfindet. Im Gespräch zwischen Fachleuten besteht nicht mehr der Idealzustand einer „Fachsprache“, den es vielleicht gar nicht gibt. Aus unserer kommunikativen Erfahrung wird deutlich, dass die Fachsprache eine Sondersprache ist für eine eindeutige und widerspruchsferie Kommunikation unter Fachleuten eines Fachgebietes, deren Funktionieren durch eine vereinbarte bzw. per definitionem festgelegte Terminologie und durch eine für die jeweilige Fachsprache charakteristische Grammatik wie auch Textstruktur entscheidend unterstützt wird.

1

Wären Fachsprachen abgeschlossene Sondersprachen, deren Funktionalität von ihrer Abgeschlossenheit abhängt, ergäben sich unüberwindliche Probleme, wenn Mathematiker oder Biologen mit der Physik, oder wenn die Wirtschaftswissenschaften mit den Geschichtswissenschaften kooperieren sollten, und insbesondere, wenn in interdisziplinären Konstellationen mehr als zwei Disziplinen miteinander kooperieren, um einen komplexen Gegenstand angemessen zur Sprache kommen zu lassen. (Unüberwindlichen Probleme scheint es bisweilen bei der Förderung interdisziplinärer Projekte, Dissertationen oder Karrieren zu geben.) In interdisziplinärer Kommunikation muss nicht nur die Gemeinsprache als zweifelsfreie Verständigungsgrundlage herhalten, da die Rollen Fachmann und des Laien jeweils wechselseitig vertauschbar sind; je nach Aus- und Gemeinbildung der Fachfrau können die Fachsprachen anderer Disziplinen herangezogen werden. Die Erklärungsnot betrifft sogar Vertreter desselben Fachs, wenn ausgewiesene Spezialisten aus unterschiedlichen Fachgebieten sich nicht einfach so verstehen können. Die Gemeinsprache bekommt einerseits einen höheren Sättigungsgrad an Fachtermini und wird zunehmend disziplinierter. Andererseits büßen Fachtermini ihre eineindeutige, emblema-

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HEUSINGER 2004, 50f.

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tische Bedeutung zum Teil ein und können zu Kollektivsymbolen werden.2 Davon unterscheidbar ist noch einmal die Auffassung, dass die Gemeinsprache bereits durch die materielle Sättigung mit Worten aus dem technisch-pragmatisch-modernen Lebensalltag durchsetzt ist von Kollektivsymbolen. (Das wäre eher Links Erklärungsansatz, der Fachdiskurse und Terminologien in den Wissenschaften gewissermaßen unangetastet lässt.) In jedem Fall spielen kollektiv kursierende Symbole eine wichtige Rolle, egal, wie man nun genau das Auftreten von Kollektivsymbolen linguistisch-theoretisch modelliert. Allerdings weiß ich weder, ob es sinnvoll, noch ob es überhaupt machbar oder wünschenswert ist, eine sprach-, technik- und literaturwissenschaftlich informierte „ästhetische Epistemologie“ zu etablieren, die wissenschafts- und techniktheoretisch auf der Höhe unserer Zeit ist. Wissenschaftssprachen mit eigenen Imaginationsräumen, die an die Logiken der (Fach-)Sprachen gebunden sind, gibt es genau wie gutes oder schlechtes Wetter, und die Imaginationsräume oder ,semantischen Matrizen‘ von Raum können vielleicht, müssen aber nicht elementarliterarisch im Hinblick auf Wissenschaftssprachen untersucht werden.3 Wir müssen keine interdisziplinären Pioniere sein, wir dürfen friedlich im eigenen Labor arbeiten und die Familie (im Reihenhaus?) bei Laune halten – und unter jedem Dach ein Ach. Durch das wortbildungsaktive Fremdkonfix nano (sc. Nanowelten, Nanolöcher, Nanogitarre) bei der Rede über Nanotechnologie eine nicht leicht zu charakterisierende Nähe zur Sprachverwendung fachspezifischer Ausdrücke (oder tatsächlicher Neologismen) in Science Fiction Texten und damit eine Nähe zu der damit einhergehenden Kommunikationssituation.4 Kann die „Kenntnis fachsprachlicher Lexik beim Leser (und Zuhörer, FN) nicht immer vorausgesetzt werden“, so ist diese für

 2

Diese funktionale Erklärung für die Entstehung von Kollektivsymbolen steht etwas schräg und asymmetrisch zu den Ausführungen von Link und seinen Kollegen, die das „Interferenzspiel der Diskurse einer Kultur“ als Generatoren des Kollektivsymbolsystems ansehen. Die Frage einer notwendigen interdisziplinären Kooperation kommt in der Erklärung nicht vor. DREWS et al. 1985, 270.

3

LINK 1978, 57.

4

Siebold thematisiert die wechselseitige Beeinflussung der Sprachschöpfungen von „Science“ und „Science Fiction“ nicht. Er erklärt, dass der Terminus Kyborg im Genre der Science Fiction Literatur „einen mit technischen Bestandteilen verschmolzenen Organismus“ (SIEBOLD 2000, 52) bezeichnet, und ignoriert, dass der Terminus nicht (mehr) allein zu ihrem genretypischen Vokabular gehört. Schon 1985 wird er als positive Ermächtigungsfigur, als mit einer spezifischen Macht versehener Begriff von Donna Haraway gebraucht und damit als Fachterminus einer posthumanistischen Philosophie. Der Cyborg ist ein schlagkräftiger theoretischer Kampfbegriff gegen das „Angstbild“ einer durch technologische Hegemonie geprägten Gesellschaft.

Z UR W ISSENSCHAFTSSPRACHE | 417

ein Verständnis von Science-Fiction-Texten auch gar nicht unbedingt notwendig.5 Es ergibt sich eine Rezeptionssituation, bei der der Text dem Leser „durch die Verwendung einer geeigneten Konstituente eine vage und in erster Linie sprachliche Nähe“ zu bestimmten Wissenschaften suggeriert (Link würde das als geeignete Isotopien bezeichnen).6 Um die Irritation durch Science-Fiction-typische Neologismen oder Sprachschöpfungen beim Rezipienten zu charakterisieren, verwendet Siebold ein idealisiertes Beispiel einer innovativen Kommunikationssituation. [D]er Leser [ist] für einen Augenblick in einer ähnlichen Situation wie bei der Lektüre eines physikalischen Fachtextes. Der Leser (zu ergänzen wäre: Zuhörer und Zuschauer, FN) von Science Fiction versteht möglicherweise nicht alles, kann dann aber immerhin vermuten, dass er es mit der Sprache der Wissenschaft zu tun hat. [...] Der Leser kann eine Neubildung auch adäquat, d.h. den Absichten des Autors gemäß verstehen, obwohl er die Bedeutung einer Konstituente nicht kennt, ja in gewissem Sinn sogar, weil er sie nicht kennt.

7

Diese im Grunde defizitäre Kommunikationssituation, bei der aus einem Nichtwissen ein Verstehen und damit eine Kompetenzanmutung entsteht, lässt sich als Grundkonstellation für politische Entscheidungssituationen hinsichtlich von Innovation, Technikfolgenabschätzung oder Implementierung von Techniken begreifen. Kommunikation über neue Technologien erfolgt mit oder ohne Massenkommunikationsmittel in einem kollektivsymbolisch durchsetzten Sprachbrei, dessen Machtansprüche aus Expertendiskursen mit Rückgriff auf Institutionen resultieren – was nicht unbedingt heißt, dass es nur uninformierte Entscheidungen geben kann.8 Die Rede über Nanotechnologie als sprachliche und nicht-empirische Neubildung lässt sich bei den Textbeispielen überwiegend analog zur Kommunikationssituation von Science Fiction Romanen beschreiben. Bei der Nanotechnologie wird verstanden, dass es sich um Hochtechnologie handelt und um Forschung, auch wenn nicht klar ist, worum es eigentlich im Einzelnen geht und in gewissem Sinn sogar, weil nicht klar ist, worum es eigentlich geht. Vertraut wird darauf (und verstanden wird) entlang des Kollektivsymbols des Silicon Valley und eines damit verbundenen „kalifornischen Geistes“, dass das wissenschaftliche Umfeld und die wissenschaftlichen Bedingungen für eine bisher ungekannte technische Beherrschbarkeit sorgen, wobei die Bedingung des ‚(Noch-)Nicht-Kennens‘ im Zusammenspiel mit der aktualisierbaren Erfahrung einer permanent weiter durchtechnisiert-

 5

SIEBOLD 2000, 42.

6

SIEBOLD 2000, 43.

7

SIEBOLD 2000, 43.

8

Vgl. die Beschreibung zur Nichtwissenskommunikation in den Wissenschaften in interund transdisziplinärer Zusammenarbeit in JANICH et al 2012.

418 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

werdenden Lebenswelt gerade für die Glaubwürdigkeit und Sinnhaftigkeit dessen, was über Nanotechnologie geschrieben oder gesagt wird, sorgt. In einer als technisiert erfahrenen Lebenswelt, in der (zunehmend und stets veränderlich) Forschung und Technik alles Mögliche möglich machen, den digitalen Fahrkartenverkauf und -kontrolle, minimalinvasive Operationen, Elektroautos, die Bewertung von Kreditwürdigkeit oder die Partnersuche, in der also (im Vorhinein unvorhersehbare) technische Innovationen als Veränderung der Lebenswelt erfahrbar werden, sorgt eine Kommunikationssituation, die auf einem Nicht-Wissen der Adressaten aufbaut und dieses in gewisser Hinsicht (voraus-)setzt, paradoxerweise für besondere Glaubwürdigkeit und für ein Verständnis dessen, was gesagt wird. Dazu kommt eine weitere Parallele. Terminologisch gesättigte Aussagen über Nanotechnologie sind ähnlich wie manche fiktionale Aussagen literarischer Science Fiction „oft [...] an der Darstellung ernsthafter Spekulationen beteiligt und werden unter Auswahl thematisch relevanter Lexik gebildet.“9 Dies gilt insbesondere für die Regionalstudie Nanotechnologie in Dresden / Sachsen. Key Enabling Technologies (KETs) provide the basis for innovation in a range of products across all industrial sectors. They underpin the shift to a greener economy, are instrumental in modernising Europe’s industrial base, and drive the development of entirely new industries. Their importance makes them a key element of European industrial policy. [...] KETs are a group of six technologies: micro and nanoelectronics, nanotechnology, industrial biotechnology, advanced materials, photonics and advanced manufacturing technologies. They have applications in multiple industries and help tackle societal challenges. Countries and regions that fully exploit KETs will be at the forefront of creating advanced and sustainable economies.

10

Nanotechnologische Forschungen (was immer das ist oder sein soll) beruhen in ihrer Ausdifferenziertheit auf einer entsprechend finanzierten Forschungsstruktur, bei der Episteme und Kommunikation zusammenlaufen, und es kommt, wie bei anderen neuen Technologien, zur einer „stereotypen Begleitmusik“, bei der „technikzentrierte Wunschvorstellungen“ eine große Rolle spielen.11 Der Kommunikationszusammenhang des diskursiven Gebildes Nanotechnologie besteht einerseits aus Politik und Medien, andererseits aus einem textlichen Universum, in dem Wissenschaftssprachen entlang der verwendeten Untersuchungsmaschinerien und bildgebenden Verfahren im Hinblick auf einen als universell (als zugänglich) imaginierten Mikrokosmos interferieren. Deshalb kann eine literaturwissenschaftliche Untersu-

 9

SIEBOLD 2000, 49.

10 Ec.europa.eu/growth/industry/key-enabling-technologies/index_en.htm, acc. 160227. 11 KEHRT 2011, 317.

Z UR W ISSENSCHAFTSSPRACHE | 419

chung nicht allein auf die „medialisierten Voraussetzungen von Spitzenforschung“ fokussieren.12 Die Sprache der physikalischen Teildisziplinen ist nicht die allein ausschlaggebende, diskursiv dominante Sprache, da die Biologie und Chemie entlang ihrer Objektbereiche ebenso Interesse an und Zugriffe auf einen als metrisch skalierten und als solchen als erreichbar gesetzten, subatomaren Mikrokosmos haben. Die Wissenschaftssprachen interferieren außerdem entlang einer internationalen (Natur-)wissenschaftssprache Englisch, die von nationalsprachlichen Wortbildungsmustern und (bisweilen unfreiwillig) mit nationalsprachlicher Grammatik angereichert wird. Technisch-physikalische Großgeräte, die als Forschungsmaschinen zur Forschung eingesetzt werden (Rasterkrafttunnelmikroskop, Magnetkraftmikroskop), wirken in diesen Prozessen wie sprachliche Verobjektivierungsmaschinerien und damit (wie jede Technik?) als Generierungszentren kultureller Versprechen. Mit der Linkschen Terminologie könnte man gegen die Linksche Theorie argumentieren, und von einem wissenschaftlichen Interdiskurs sprechen, der bei der Nanotechnologie vorliegt. In diesem wissenschaftlichen Interdiskurs interferieren Fachsprachen und Journalismus nicht nur, weil Wissenschaftsförderung ein elementares öffentliches Interesse erzeugt oder umgekehrt, weil Wissenschaftler notwendigerweise Visionen produzieren müssen, um gefördert zu werden.13 Bei der weitreichenden Überschneidung von wirtschaftlichen und politischen Machtbereichen mit der Wissenschaft handelt es sich um symbolisch überdeterminierte Kommunikationen, bei der Wissenschaft entlang spezifizierbarer, lokalisierbarer Kollektivsymbole poetisch diskursiviert wird oder selbst zum poetischen Kollektivsymbol wird. Insofern ist die Rede von „technikzentrierten Wunschvorstellungen“ in dem Augenblick problematisch, wenn semantische Eigendynamiken ins Spiel kommen, die sich einer (un-?)vermeidbaren Metaphorik interdisziplinärer Kommunikation verdanken. Die Poetisierung liegt an einer außerwissenschaftlichen Verwendung von wissenschaftlichen Begriffen und epistemischen Dingen, wie beispielsweise die Verwendung von DNA als Vererbungssymbol im Journalismus, zu der die Visualisierung einer Doppelhelix, vor allem aber eine bestimmte, skalierte Größenordnung gehört. Die Poetisierung gehört aber meiner Ansicht nach auch zum Problemkreis einer interdisziplinären Kommunikation. Das Problem bei der Klassifizierung eines ‚wissenschaftlichen Interdiskurses‘ ist, ich wiederhole mich, dass der Interdiskurs im Linkschen Entwurf gerade nicht wissenschaftlich qualifiziert ist. Der Interdiskurs vermittelt Wissenschaften und Diskurse auf eine Weise miteinander, die selbst nicht als Wissenschaft gekennzeichnet ist. Die echte Wissenschaft ist durch emblematische Wortverwendung gekennzeichnet, Begriffe müssen ausbuchstabierbar sein, und selbst wenn Metaphern verwendet werden, werden diese als Platzhalter

 12 KEHRT 2011, 328. 13 „No vision, no funding“, zitiert nach KEHRT 2011, 325.

420 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

für eine trotzdem mögliche, wenn auch anders reformulierbare emblematische Ausformulierung verstanden. (Mit einer Anspielung gesprochen ist die Sprachverwendung der Wissenschaft immer eigentliche Sprache.) Im Interdiskurs sind Kollektivsymbole die Ordnungsmuster, Sprachbilder, die in der Lebenswelt als Objektivierungen (nicht nur, aber auch als technische Objekte) verfügbar sind und die permanent an verschiedene Realisierungsnotwendigkeiten und für verschiedene Realisierungswünsche angepasst werden. In dieser Arbeit heißt, von Kollektivsymbolen zu reden, die ästhetische Qualität, wenn man so will, die poetische Qualität, jeder Sprache, also auch der Wissenschaftssprachen, versuchsweise über ihre epistemische Funktion zu stellen, und den Versuch zu wagen, sich vor den ausgreifenden Machtansprüchen dieser Ordnungsmuster nicht einfach wegzuducken oder sie herablassend als Antragsrhetorik von Forschungsanträgen zu belächeln. Kulturelle Stereotype machen nicht vor den Wissenschaften halt14, das ist keine ganz neue Erkenntnis – aber wie gehen wir damit um? Der „Selbstreinigungseffekt“ der Lotosblume kursiert als Diskurselement aus dem Bionikdiskurs in den Anfangszeiten des nanotechnologischen Diskurses in Deutschland als Bild für die Wirkweise einer quasi-natürlichen Technik der Nanotechnologie. Er hat auf eine (ephemere) Weise in die Sprache Eingang gefunden, so dass dieses Kollektivsymbol als sprachliches Emblem in der Aufschrift auf einem Imprägnierspray (Fallstudie II.2) erscheint. Der entscheidende Schritt dieser Untersuchung besteht darin, kleine und explizite Kollektivsymbole des nanotechnologischen Diskurses von den großen Kollektivsymbolen zu unterscheiden. Die kleinen Kollektivsymbole sind die, die in einer mehr oder weniger reflektierten Weise in einer Gemeinschaftsarbeit von Wissenschaftlern und Pressestellen, aus einer Kooperation von Strategen in Forschungseinrichtungen und politischen Entscheidern und deren Hilfskräften entstehen und in Umlauf gebracht werden.15 Diese Aktivitäten lassen sich ein Stück weit historisch und philologisch rekonstruieren, grundsätzlich müssen sie aber als kollektive und kulturelle Aktivitäten begriffen werden, die in einer bestehenden Gemengelage von Semantiken stattfinden, die über die Mani-

 14 „Symbolik“ meint „kulturell-stereotype Produkte, die [...] nicht als isolierte Einzelstrukturen, sondern als Glieder diachronischer Reihen und synchronischer Zusammenhänge begriffen werden müssten.“ DREWS et al. 1985, 256. 15 Link und Kollegen sprechen – systemtheoretisch-kollektivsymbolisch überformt – von einem synchronen „System“ von Kollektivsymbolen, das gleichzeitig kursiert, sich wechselseitig stützt und aus „hoch rekurrenten Symbolen“ besteht, vgl. DREWS et al. 1985, 285. Meine Beobachtungen haben als kleine Kollektivsymbole Revolution, Brücke, Wettrennen, Silicon Valley, Big Thing, Baukasten identifiziert, die in wechselnder Konstanz bestimmen sollen, was Nanotechnologie ist. Sie erlauben als explikative Kollektivsymbole „interdiskursive Kopplungen und Modellübernahmen“, DREWS et al. 1985, 284.

Z UR W ISSENSCHAFTSSPRACHE | 421

pulation durch einzelne Akteure hinausgeht. Davon unterschieden wird hier die kollektive Semantik, die die Nanotechnologie als Technikdiskurs insgesamt trägt. Dass Nanotechnologie als Technikdiskurs von einer raumsemantisch kollektivsymbolischen Struktur getragen wird, die sich als techniksemantische Dreifaltigkeit in einer überaus dynamischen Weise in Texten zur Nanotechnologie jeweils manifestiert und umgekehrt gestützt wird, wird in dieser Arbeit in sechs Fallstudien gezeigt. Das wissenschaftliche Vokabular, mit dem wissenschaftliche Geräte zur Funktion gebracht werden und mit Hilfe dessen Forschungsergebnisse erzielt werden können, ist international gültig und scheint insofern nicht verhandelbar zu sein. Andererseits sind hochtechnologische Großgeräte ‚identisch‘ mit ihren Forschungsergebnissen, insofern diese als wiederholt ‚beobachtbare‘ oder eher wiederholt simulierbare Phänomene nicht ohne diese Großgeräte erzielt werden können. Dazu kommt, dass, je größer die Apparaturen sind, desto ‚singulärer‘ sind sie (eigentlich gibt es keine Steigerung von singulär). Marianne Hänseler konstatiert in ihrer Untersuchung zu Metaphorik in Robert Kochs Bakteriologie, dass in seinen Laborheften „die politische Metaphorik als zentrales epistemisch-konstitutives Element fungiert“.16 Sie situiert die Metaphorik in einer Sphäre der begrifflichen Unschärfe, um gleichzeitig herauszuarbeiten, dass es gerade die Metaphorik ist, der die eigentlich produktive wissenschaftliche Arbeit geschuldet ist (164-167). Damit verbunden kann das Primat des Prozesses wissenschaftlichen Erkennens nicht mehr dem Eigentlichen, dem Begrifflichen, dem Kategorialen und dem Teleologischen zugeschrieben werden. (167)

Indem eine erkenntnisgenerierende Sphäre der begrifflichen Unschärfe angesprochen wird, gerät sozusagen die Sprache selbst in den Fokus, und damit die vielfältigen semantischen Strukturbildungsvoraussetzungen, die sich, wie hier vorgeschlagen, literaturwissenschaftlich als Prozess semantischer Generierung reformulieren lassen, der von Kollektivsymbolen durchsetzt ist, beziehungsweise diese als Kollektivsymbole hervorbringt. Technik wird als „Kollektivsymbol des Wissens“ hervorgebracht17, sie konstituiert sich diskursiv. Das Experiment dieser Untersuchung besteht dagegen darin, die Literaturwissenschaft mit Rückgriff auf den Linkschen Theoriebestand als semantikgenetische Experimentalapparatur zu begreifen. Damit wird die

 16 HÄNSELER 2009, 164. 17 DREWS et al. 1985, 291.

422 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Kollektivsymbolik, die sämtliche Diskurse (einschließlich der originalitätsästhetischen) direkt oder indirekt aufs stärkste beeinflusste [...] [aus dem] toten Winkel der Reflexion

18

herausgeholt. Ob sich die angewendete Untersuchungspraxis letztlich eher als lauwarmes begriffliches Tauchbad oder eher als aufwändige Anordnung begrifflicher Laserkanonen erweist, in die die heterogenen nanotechnologischen Texte eingehängt oder mit denen die Texte durchlöchert werden, überlasse ich den Lesern dieser Arbeit. Wichtig ist mir, dass es irgendwie möglich wird, in den Wissenschaften die ungemein kreative Übernahme von Begriffen und die flottierenden Prozesse der interdisziplinären Bezugnahmen in irgendeiner Weise identifizieren zu können, und sie damit zumindest potentiell aufklärbar zu machen. Übernahmen aus der Alltagssprache und begriffliche Anleihen aus fachfremden Disziplinen sind in der interdiskursiven und interdisziplinären Kommunikation nicht nur Stilmittel, sondern fungieren als semantische Wegbereiter für technische und geistige Explorationen von Forschungsgebieten. (Ein weiteres, unmittelbar die Literaturwissenschaften betreffendes Beispiel ist der Begriff des „Information Flaneurs“.19) Für die Literaturwissenschaften bedeutet das, dass sie sich auch über die eigenen Kollektivsymbole Gedanken machen und diese verstehen sollten. Der „Zauberlehrling“ von Goethe ist ein solches Kollektivsymbol, dessen Verwendung man keine eigentliche literaturwissenschaftlich angemessene Verwendung entgegenstellen kann.20 Bei der Identifikation neuer Forschungs- und Wissenschaftsfeldern und ihrer Bearbeitung handelt es sich weder um beliebig semantisierbare Prozesse noch um vorstrukturierte technologische Notwendigkeiten. Aus linguistischer Perspektive handelt es sich um jeweils individuierbare Situationen, in denen Fachsprachen und (mehr oder weniger) fachsprachlich angereichterte Gemeinsprachen in institutioneller Rückbindung miteinander interagieren. Diese Institutionen beruhen auf einer

 18 DREWS et al. 1985, 287. 19 DÖRK et al 2011. Der Begriff bezeichnet „a new way of thinking about information seeking. The information flaneur is informed by three human-centred perspectives and inspired by the literary figure of the urban flaneur. The flaneur is an urban wanderer, who leisurely walks through streets and squares interpeting and re-imagining the city. Following the flaneur’s attitude toward the city, the information flaneur sees beauty and meaning in growing information spaces. By envisioning the information flaneur as a curious, creative, and critical persona, we promote a shift from negative concepts such as needs and problems towards positive information experiences.“ (1). Die literarische Figur des Flaneurs wird für einen binnendisziplinär identifizierten Bereich informatischer Forschung fruchtbar gemacht, gleichzeitig werden Ästhetik und Wissenskonzeptionen des 19. Jahrhunderts aufgerufen und so das Kollektivsymbol des urbanen Flaneurs umgeschrieben. 20 Und wird als literarisch gebildetes Kollektivsymbol in NORDMANN 2007a benutzt.

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(idealisiert gesetzten) Trennung der jeweils eigenen Fachsprache von einer als minoritär, weil epistemisch irrelevant, angesehenen Gemeinsprache, womit strukturell ausgeblendet wird, dass der sprachliche Sonderwortschatz immer nur bedingt von einer verständigungsermöglichenden Gemeinsprache (in der Linkschen Fassung: dem Interdiskurs) getrennt ist.21 Die strukturelle Notwendigkeit der Verbindung zwischen ‚Sprachformen‘, die traditionell epistemisch unterschiedlich gewichtet werden, wird in dieser Arbeit literaturwissenschaftlich mit Hilfe der Linkschen Interdiskurstheorie erfasst. Die in die interdisziplinären und interdiskursiven Prozesse eingeschriebenen kollektivsymbolischen, und damit ästhetischen Überschüsse, die eine unabsehbare Eigendynamik entwickeln22, können nur mit Hilfe der Literaturwissenschaft eingeholt werden: mit einer ausgebildeten Wahrnehmungsmöglichkeit für die poetische Funktion der Sprache und einem strukturell gebildeten Wissen über ihre Verwendung in der (institutionalisierten) Literatur. Ich würde sagen, dass Technikdiskurse immer interdiskursiv sind, selbst wenn sie nur zwischen legitimierten und ausgewiesenen Fachleuten verhandelt werden sollten. Interdisziplinäre Kommunikation kreiert eine Situation, die wechselseitig zwischen Fachleuten und Laien stattfindet. Der Fachmann wird dem Laien manches umschreiben (paraphrasieren) und unter Verwendung von gemeinsprachlichen Synonymen erklären müssen, wenn er sein Ziel, das annährend eindeutige Verständnis des Rezipienten vom Denotat der Kommunikation, erreichen will. Während sich also Experten in ihrer Fachsprache äußern können, wird das Gespräch zwischen Laien oder mit einem Fachmann hauptsächlich die Mittel und Möglichkeiten der Gemeinsprache nutzen müssen. Allerdings wird in hoch entwickelten Industrieländern erwartet, dass nahezu jeder Erwachsene einen fachbezogenen Grundwortschatz [...] beherrscht. Die 23

Grundlagen dafür hat die Schulbildung mit ihrem Spektrum an schulischen Fächern gelegt.

Die idealisierte Kommunikationssituation zwischen Fachmann und Laie(n) betrifft nicht nur einzelne Forschungsobjekte und komplexe Forschungsprozesse individuierter Fachdisziplinen, sondern auch die Wissenschaften selbst. Sie wird in heikler Weise potenziert und dynamisiert, wenn es sich um interdisziplinäre Kommunikation zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen handelt. In der interdisziplinären Kommunikation gilt, obwohl es sich um ein Gespräch zwischen Fachleuten handelt, nicht (mehr?) der Idealzustand einer Fachsprache, den es in der von Heusinger beschriebenen, idealisierten Form vielleicht sowieso nicht gibt.

 21 Die Fachsprachen und einzelnen Wissenschaften stehen gegenseitig nicht in einem hierarchiefreien System-Umwelt Verhältnis. 22 Vgl. SCHÄFFNER 2010. 23 HEUSINGER 2004, 50f.

424 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL Aus unserer kommunikativen Erfahrung wird deutlich, dass die Fachsprache eine Sondersprache ist für eine eindeutige und widerspruchsfreie Kommunikation unter Fachleuten eines Fachgebietes, deren Funktionieren durch eine vereinbarte bzw. per definitionem festgelegte Terminologie und durch eine für die jeweilige Fachsprache charakteristische Grammatik wie auch Textstruktur entscheidend unterstützt wird.

24

Wie bei Link beschrieben, muss in einer interdisziplinären Kommunikation die Gemeinsprache sozusagen letztlich als zweifelsfreie Verständigungsgrundlage herhalten, da die Rollen Fachmann und Laie jeweils wechselseitig vertauschbar sind. Der kommunikativ und alltagspraktisch gesättigte Interdiskurs (und mit ihm die Gemeinsprache) erfährt aber durch Technisierungsprozesse fortlaufend einen höheren Sättigungsgrad an Fachtermini, inklusive entsprechender Objekte samt ihrer Relationsmodelle und ausgreifenden Eigenlogiken. Fachtermini büßen damit pragmatisch ihre eineindeutige Bedeutung ein, sie werden neu verhandelt oder einfach durchgesetzt. In der interdisziplinär gesättigten Nanotechnologie-„Fachliteratur“ handelt es sich um fachsprachlich und semantisch vorgebildete Rezipienten, die durch eine interdisziplinäre Kommunikationssituation, die teilweise öffentlich und streckenweise außerfachwissenschaftlich vermittelt ist, in die Lage versetzt werden, zu einem interdisziplinären Thema Aussagen zu generieren, diese zu interpretieren und zu verstehen und anschließend Entscheidungen treffen zu müssen. Dabei gibt es keine unüberwindlichen Probleme. Wenn bei der Identifikation neuer Forschungsfelder die Fachsprachen der Mathematik und der Biologie mit denen der Physik oder der Wirtschaftswissenschaften und vielleicht irgendwann reflektiert mit den Geschichts- und Literaturwissenschaften kooperieren, entstehen interdisziplinäre Konstellationen, in denen komplexe Gegenstände angemessen zur Sprache kommen können.

 24 HEUSINGER 2004, 50f.



Ausblick und offene Frage Techniksemantische Raumkonstitution wird als eine machtvolle Leistung einer wissenschaftlich gesättigten und geordneten Sprache angesehen, die sozusagen genreübergreifend aus Texten etwas macht, das man mit einer Anleihe bei Foucault als diskursive Formation bezeichnen könnte.1 Dabei wird das Verhältnis von Fach- zu Gemeinsprachen nicht als einseitiges Hilfsverhältnis modelliert, bei der die Gemeinsprache sozusagen unidirektional den Fachsprachen hilft.2 Allerdings interessiert sich die Untersuchung vor allem für einen ästhetischen Befund und seine Beschreibung, sie ist weder erkenntnistheoretisch noch wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtet und kann, wenn überhaupt, zur Charakterisierung einer interdisziplinären und interdiskursiv gesättigten Kommunikationssituation herangezogen werden, wie sie bei der Nanotechnologie vorliegt. Die offene Frage bleibt: Wie gehen disziplinäre und interdisziplinäre Untersuchungen mit den „Kollektivsymbolen des modernen Wissens (darunter gerade und vor allem die Techniksymbole)“ um?3 Wie reagieren Wissenschaften auf die Ästhetik einer fortlaufenden Diskursivierung, und wie geht man wiederum wissenschaftlich damit um? Nanotechnologie fungiert als Terminus oder Fachwort mehrerer Fachsprachen, obwohl es keine festgelegte Bedeutung hat und diese auch nicht haben kann. Im Sinne einer ingenieurwissenschaftlichen und damit genormten Sprachverwendung, die auf weitreichenden definitorischen Festlegungen beruht, kann Nanotechnologie allenfalls als Sammelbegriff funktionieren, der für sich genommen blaß und nichtssagend ist, aber letztlich als mächtige interdiskursive Bezugsfolie dient. Eine pragmatisch gedeckte, objektbezogene Kommunikation im Hinblick auf spezielle Techniken und Technologien wird durch den Sammelbegriff aufgrund seiner undefinier-

 1

FOUCAULT 1994 [1973], 31ff, insbesondere 48f. Mit dem Theoriebegriff ‚diskursive Formation‘ wird Geschichte als Gegenstand der Geschichtswissenschaft auf Diskontinuität umgestellt: „Die historische Vergangenheit erscheint plötzlich in verändertem Licht. Unter dem Ordnungsgesichtspunkt betrachtet verwandelt sich gleichsam die Beschaffenheit der Geschichte: Man sieht eigentümlich fremde, nur zeitweilig stabile Ordnungen der Wahrheit – Ordnungen der wissenschaftlichen Rede, Denksysteme –, die sich in plötzlichen Umbrüchen verändern. [...] Diskursive Formationen stehen wie große und sehr eigenartige Monolithen im Raum.“ GEHRING 2004, 51. Meine Arbeit zielt gewissermaßen auf eine materiell basierte Interpretation einer diskursiven Formation ab, wie sie bei Heusinger beschrieben wird im Hinblick auf die Digitalisierung von Textformaten und der Textverarbeitung mithilfe von Computersoftware, HEUSINGER 2004.

2

HEUSINGER 2004.

3

DREWS et al. 1985, 291f.

426 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

baren Wissenschaftlichkeit zwar vernebelt, aufgrund der raumdiskursiven Homogenisierung und Überformung jedoch ermöglicht und befördert. „Nanotechnologie, das machen wir schon ewig. Die Mikroelektronik ist schon seit zwanzig Jahren eigentlich eine Nanoelektronik.“ [...] „Bei vielen Präsentationen denke ich [...], dass es dieselben Themen auch schon gab als ich vor über dreißig Jahren meine Doktorarbeit machte – damals allerdings ohne das Schlagwort ‚nano’. Sie liefen etwa unter der Überschrift Kolloidchemie oder Oberflächenphysik.“ „Ist es vielleicht so, dass vor 20 Jahren die Leute aus verschiedenen speziellen Disziplinen sich seltener auf einer Konferenz getroffen oder miteinander gesprochen hätten, und dass das heute wahrscheinlich anders ist?“ „Ja, das mag sein [...] die [...] berühmten Halbleiter-Quantumdots, die rot, grün oder blau fluoreszieren, [wurden] von der Gruppe Henglein aus Berlin schon in den achtziger Jahren vorgestellt [...] auf speziellen Fachtagungen für Kolloidchemie oder Physikalische Chemie, 4

und da wurde die schöne Sache wohl nicht hinreichend beachtet.“

Die nachhaltige Karriere des Begriffs liegt an der interdiskursiven Überformung durch Raumsemantiken, die interdisziplinär und wissenschaftsintern eine regelrechte Sichtbarkeit erzeugt, die mit literaturwissenschaftlicher Methode nachgezeichnet und erklärt werden kann. Als Folgerung müsste den Bestrebungen von Politik und Wissenschaft um breit angelegte Verständlichmachung aktueller Forschung und Technik meiner Meinung nach mit fröhlicher Skepsis begegnet werden, am besten ergänzt um solides Interesse am Rande des interdisziplinären Tellerrands (mit scharfem Blick auf das, was jeweils beim andern drauf liegt). Eine Herangehensweise, die die Verwendung „unklarer Begriffe“ kritisiert, halte ich für verfehlt, solange sie die Komplexität des Phänomens interdisziplinärer und interdiskursiver Kommunikation ignoriert.5 Es könnte sein, dass in interdisziplinärer Kommunikation notwendigerweise Unordnung entsteht, und die disziplinär klaren Verhältnisse zwischen Meta- und Objektsprache in Unordnung geraten. Eine lineare Repräsentationsfunktion der Sprache in sozusagen epistemologischer Neutralität gibt es nicht. Jedes Wort, das in wissenschaftlicher Kommunikation verwendet wird, macht einen Unterschied. Die faktenneutrale Vermittlungs-

 4

KEHRT, 2016, 76f. Der Titel der Regionalstudie zeigt Quantumdots (Abb. 9.a und b).

5

„Enge Begriffe erzeugen kleine Budgets und kleine Märkte. Mit schrittweisen Beriffserweiterungen steigert man Budgets und Märkte durch Einbeziehung anderer Technologien, demonstriert Innovationsinitiative und Wachstum und deckt ungeahntes Wirtschaftspotential auf. Je unklarer die Begriffe, desto mehr Spielraum gewinnt man für beliebige forschungspolitische und -ökonomische Strategien, da sich jeder Trend mit vermeintlich harten Fakten begründen lässt.“ SCHUMMER 2009, 20.

A USBLICK UND OFFENE F RAGE | 427

leistung, die Sprache erbringen soll, müsste auch und gerade in den Wissenschaften immer wieder erneut grundsätzlich in Frage stehen, mindestens so lange, wie das Silicon Valley und der „sogenannte kalifornische Geist“ als Kollektivsymbol verstanden werden.6 Forderungen, Entscheidungen über neue Technologien informiert und nüchtern entlang der Aussagen von Experten zu fällen, können (und müssen vielleicht sogar) sprachphänomenologisch relativiert werden. Und umgekehrt: Der Verdacht, dass Innovationen und Technologien aufgrund von fehlgeleiteter Kommunikation zu fehlgeleiteten Ängsten führen, muss vielleicht aus epistemologischen Gründen grundsätzlich eingeschränkt oder zurückgewiesen werden. 1994, wenn man einer bigotten Zeitrechnung folgen mag7, sechs Jahre vor der diskursiven Geburtsstunde der Nanotechnologie, stellt Link fest: „Tendenziell gilt heute, dass keine politische Aussage mediengerecht ist, wenn sie nicht symbolisch kodiert ist.“8 Was wäre, wenn dies immer gilt, für jede wissenschafts- und forschungspolitische Aussage? Wenn forschungspolitische Aussagen aufgrund der Anforderung, mediengerecht zu sein, immer symbolisch kodiert werden müssen oder sind? Also auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften? Inklusive eines sprachtechnischen Aspekts, dass Rechercheprozesse über digitale Suchmaschinen die Konzentrationsprozesse um bestimmte Fachbegriffe gleichsam natürlich strukturieren, mit dem Effekt, dass moderne Verlage, die im hohen Maße die Titelgebung für Fach- und Sachbücher bestimmen, eine Dauer-Verbeugung vor dem googeln praktizieren, immer die Verschlagwortung im Blick. Die Untersuchung hat gezeigt, dass Öffentlichkeiten für die Nanotechnologie vielfach geschichtet und in vielfältigen und komplexen Situationen reformulierbar sind. Dabei besteht für eine informierte Wissenschaftskommunikation und Technologieförderung das Problem, ein spezialisiertes Fachwissen gegenseitig kommunizieren zu müssen, während gleichzeitig gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse nicht ausgeblendet werden können, und, je nach Motivationslage und Diskursposition, auch nicht ausgeblendet werden sollen. Für die Nanotechnologie wird deutlich, dass und wie wir es gewissermaßen mit zwangsweise symbolisch kodierten öffentlichen Aussagen zu tun haben. Die Frage ist, wie politische Institutionen und die Wissenschaft damit umgehen, auch und gerade, wenn es um die Legitimati-

 6

KREYE 2016.

7

Schummer behauptet, Nanotechnologie war „Wissenschaftlern und Ingenieuren bis 1999 weitgehend unbekannt [...]. Man ahnte sogar bis dahin nicht einmal von ihrem Kommen, obwohl man keine Mühe scheute, die wissenschaftlichen und technologischen Trends der Zukunft vorauszuschauen. [...] In den Symposiumsberichten tauchte Nanotechnologie [...] explizit erst [...] 2000 auf.“ SCHUMMER 2009, 10. In der BRD publiziert der VDI 1994 „Technologieanalyse Nanotechnologie“, 1998 „Innovationsschub aus dem Nanokosmos“.

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LINK 1994, 77.

428 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

on von Forschungsbudgets und die Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit geht. Wichtige Entscheidungen sollen nicht dem Spielball der öffentlichen Meinung überlassen werden, so die voraussetzungsreiche Vorgabe, wenn auf Studien, auf Zahlen und Fakten und die ausgewiesene Meinung von Experten vertraut wird. Insbesondere in Deutschland, mit einer institutionell als überaus nüchtern und sachlich angesehenen öffentlichen Kommunikationskultur und einem hohen Stellenwert der Äußerungen von Experten, glaubt man sich oft im sicheren Hafen der Wissenschaft. Eine symbolische Kodierung der Nanotechnologie gelingt, so das Ergebnis dieser literaturwissenschaftlichen Arbeit, trotz einer nüchternen Kommunikationskultur gut und gewissermaßen zwanglos. Sei die Nanotechnologie eine politische Erfindung oder nicht, sei sie mit einer weiten Begrifflichkeit ausgestattet oder nicht: drei Raumskripte erlauben komplexe Zuordnungen von Techniken und Forschung zur Nanotechnologie, inklusive der Einbindung sozialer, politischer und künstlerischer Praktiken. Die Prognose lautet, dass Nanotechnologie nicht abgeschafft oder abgelöst wird und sich aufgrund der Internationalität der Wissenschaft und anderer internationaler Institutionen wie beispielsweise der Internationalen Organisation für Standardisierung und Normung ISO oder des Forschungsrahmenprogramms der EU bis auf Weiteres einer großen Popularität und angenehmer Verbreitung erfreuen wird. Der Terminus wird als diskursiv fruchtbarer weiter genutzt werden, und zwar solange und im selben Maße, wie der Computer das Auto als Kollektivsymbol des Kapitalismus ablöst9, solange, wie die raumsemantisch-praxeologische Freiheit des Autofahrens10 durch eine andere Freiheit abgelöst wird, die Freiheit des Umgangs mit Computern und digitaler Kreation, die Freiheit der Digitalisierung, als spielerische, maximal beherrschbare, ästhetische, performativ realisierte Freiheit eines kommunikativ vernetzten Weltzugangs, der Simulation, mit maximaler Kontrolle über Verwaltungsvorgänge.

 9

Vgl. Kapitel II.3, Fußnote 30.

10 Vgl. LINK 1990 [1974], 176 (VW-Reklame), Kapitel I.6, Fußnote 68.



Anhang

A NHANG | 431

Abbildungsverzeichnis Seite Abb. 1

158

Abb. 2

„Autobahnschild“. MESA+Institute for Nanotechnology, Universität Twente, Information Workshop „Fundamentals of Nanotechnology“, seit 2003 jährlich veranstaltet. Utwente.nl/mesaplus/students/workshop/, acc. 160227. Vorgänger-Version von Abbildung 1.

Abb. 3.a und 3. b

Werbeanzeigen Unternehmen, „Engineering and Science“, Volume 23 (5), S. 5 und S. 10.

171

Abb. 4.a Abb. 4.b

Pressemappe Firma Deichmann 8.12.04, vgl. S. 434. Abbildung TÜV-Siegel, Deckel des Imprägniersprays, Abbildung aus einem Internetblog. Imprägnierspray Firma Deichmann, deutsche Version 2016. Imprägnierspray Firma Deichmann, schweizer Version 2016.

202

Folie 13, Vortrag 16.7.07 „Schöne neue Welt der Materialien – Im schwebenden Zug ins Nano-Zeitalter“ und 18.4.08 „Nanotechnik in der Materialwissenschaft“ in Darmstadt. Folie 14, Nachweis wie Abb. 5. Folie 12, Nachweis wie Abb. 5.

236

Abb. 4.c Abb. 4.d Abb. 5

Abb. 6 Abb. 7

240 243

Abb. 8

Feature scienceinafrica.com/old/index.php?q=2003/november /nanotech.htm, zuletzt acc. 130408. Scienceinafrica.com/nan otechnology/nanotechnology-next-big-thing-very-very-small, acc. 161005.

259

Abb. 9.a Abb. 9.b

Titelbild GLAUNER et al 2006. Ausschnittvergrößerung Titelbild GLAUNER et al 2006.

303

Abb. 10

„Generelle Entwicklungstendenzen und Bezug zur Nanotechnologie“, Abb. 3-2 in GLAUNER et al. 2006, Seite 28.

319

Abb. 11

Internet-Pressemeldung Nanospray, 2004, erste Seite.

433

Abb. 12

Pressemitteilung Netzwerk Nanomaterialien. Ag-nano.de/pi2-08.pdf, acc. 160228, Webseiten: nanomat.de und kompetenznetze.de, Bildrechte bei nanomat und nanovalley.eu. nanovalley.eu, acc. 161005.

434

Abb. 13

432 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

Pressemeldung Nano-Nässe-Blocker (Dezember 2004) „Sehr gute wasserabweisende Eigenschaften für Leder und Polyester, gute Ergebnisse bei Mischgewebe“ lautete das Urteil des TÜV Rheinland über das neue Deichmann-Nanospray. Nicht nur in den Labors, sondern auch im vierwöchigen Test an Kleidungsstücken und Schuhen von 50 Personen zeigte der Nässeblocker, was er kann: Wasser perlte auf imprägniertem Leder, Baumwolle, Polyester oder Mischgewebe fast vollständig ab. Der Nässeschutz hielt über eine „signifikant“ lange Zeit, so der TÜV. Außerdem war das Material „wasserdampfdurchlässig“, mit anderen Worten: Es blieb atmungsaktiv. Auch die 50 Testpersonen beurteilten das Spray als gut und empfehlenswert. Besondere Kriterien bei ihrer Bewertung waren Bedienungsfreundlichkeit, bzw. Handhabung, Wirkung und Nebenwirkung. Weltneuheit. Die Nanotechnologie gilt als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Deichmann hat sich schon sehr frühzeitig mit möglichen Entwicklungen zur Ergänzung der Produktpalette beschäftigt. Als einziger Anbieter bundesweit hat Deichmann dieses völlig neue Imprägnierspray im Sortiment. Trotz der beeindruckenden Fähigkeiten ist die Handhabung denkbar einfach: Nach dem Aufsprühen bildet sich innerhalb von 30 Minuten auf dem Material ein schützendes unsichtbares Netz von Nanopartikeln. Hierbei richten sich die wasserabweisen-den Komponenten nach außen aus und lassen Feuchtigkeit draußen vor. Haftkomponenten richten sich nach innen, verbinden sich fest mit der Oberfläche und sorgen für einen dauerhaften Schutz. Das Ergebnis: Regen und Schmutz haben keine Chance mehr. Ein Spray mit vielen Vorteilen. Das Spray in der 250 ml Dose reicht für viele Anwendungen und ist für 7,95 EUR in allen Deichmann-Filialen erhältlich. Die superfeine Beschichtung pflegt, schützt und imprägniert alle Schuhe oder Textilien. Sie ist transparent und damit nicht sichtbar. Umfangreiche Tests des Fraunhofer-Institutes und des TNO Nutrition and Food Research haben die gesundheitliche Unbedenklichkeit bestätigt. Natürlich ist der Deichmann Nano-Nässeblocker FCKW-frei und ohne Fluoride. Pressekontakt: Heinrich Deichmann-Schuhe GmbH & Co. KG Unternehmenskommunikation N.N. Boehnertweg 9 45359 Essen [...] 1

Diese Meldung kann unter http://www.presseportal.de/meldung/625680/ abgerufen werden.

 1

Zitiert ist die zweite Seite der Pressemeldung, inklusive Postadresse der Firma, Webadresse der Pressemeldung, genau genommen eine Verlinkung auf sich selbst.

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Abb. 11: Erste Seite der Pressemeldung über die Erteilung des TÜV-Prüfsiegels für das Imprägnierspray vom 8.12.2004: „Nanospray kommt über den TÜV“, dargestellt auf einem Computerbildschirm am 21.09.2010 (Screenshot)

434 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

nano – Valley

Abb. 12 nanovalley.eu (2008)

Abb. 13 nanovalley.eu (2016)

Abb 12. Pressemitteilung: „NanoMat für KMU mündet im nanoValley.eu. Wirtschaftsministerium prämiert regionale Cluster in Baden-Württemberg und nanoValley.eu ist dabei.” Netzwerk Nanomaterialien, Forschungszentrum Karlsruhe GmbH 2008, Abb. 13 Webseite nanovalley.eu (2016).

Die Initiative nanoValley.eu für mittelständische Unternehmen am Institut für Nanotechnologie INT, Karlsruher Institut für Technologie KIT, startete zeitgleich mit EFRE Europäischer Fonds für regionale Entwicklung für Baden-Württemberg 2007-13, als Teil des wichtigsten Förderschwerpunkts „Innovation, wissensbasierte Wirtschaft und Cluster“, in den knapp die Hälfte der EFRE-Mittel in Millionenhöhe flossen, verwaltet von der württembergisch-europäischen Strukturfondsförderung „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung RWB”.1 NanoValley wurde von 2009-12 mit 300.000 Euro jährlich vom RWB gefördert.

 1

Ein RWB-Begleitausschuss aus ‚Regional‘-Partnern sowie „Vertretern der Kommission und der mit der EU-Strukturförderung befassten Landes- und Bundesbehörden” konstituierte sich am 1.2.08, als Grundlage einer Partnerschaft zwischen „Land und [...] repräsentativsten Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft in Baden-Württemberg”, Peter Hauk, 2.2.08, rwb-efre.baden-wuerttemberg.de/doks/PM/AuftaktDonaueschingen.pdf, 160228,

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nanobüro Meinen Erstkontakt mit Nanotechnologie hatte ich von 2005-08 als administrative Mitarbeiterin des „nanobüros“ am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung ZIT der TU Darmstadt, das an mehreren EU- und einem BMBF-Projekt beteiligt war.2 Die lebendig agierende Kommunikationsinstitution gewährte vielfältige Einblicke in Thema, Diskurs und Akteure und ermöglichte Begegnungen mit Autoren und Arbeiten, die hier zitiert wurden. Das ZIT wurde durch eine interdisziplinäre Institution abgelöst, das nanobüro existiert noch virtuell, als Website.

 dessen Aufgabe hinsichtlich international konkurrenzfähiger, regionalpolitischer Technikförderung mir unklar geblieben ist. 2

philosophie.tu-darmstadt.de/nanobuero/nanobuero/aktivitaeten_1/projekte/projekte_1.de. jsp, 160228.

436

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Register Afrika 88, 102, 162, 173, 215, 249, 251, 258-293, 304, 320, 341, 375, 385 äquivalent 275 ästhetisch 36, 41-44, 49-55, 56, 74, 76, 86, 100, 118, 127, 134, 148, 152, 241 -42, 309, 348, 351, 359, 379, 397-428 Aktanten 112, 127, 231 Alchemie 25, 248 Algorithmen 129, 192 Allegorie 115, 123-24 Analyseschema 5, 77, 78-85 Analyseschritt, -raster 78-85, 255 Ångström 56, 87, 193-95 anthropologisch 20, 30, 61-64, 73, 131, 134, 194, 215, 225, 383, 408 anthropozentrisch 64, 159, 169 Archetyp ./. Architektur 36, 37, 39, 94, 136, 154, 237, 252, 267, 413, 447, 448 Archiv 43, 76, 92, 133, 226, 260, 299, 409 Artefakt 40, 71, 90, 105, 129, 150, 217, 364 Atom 15-17, 27, 33, 38, 56, 62, 71, 87, 124, 132-34, 136-38, 141, 147, 170, 175-76, 180, 185, 187-88, 190-91, 195, 197-98, 249, 251-53, 255, 294, 311, 329, 340, 346, 357, 359, 368, 375-77, 384-89, 403, 414, 419, 436 Atombombe 165-67 Auto 124, 129, 159, 429 Autobahn 158f, 406 autonom 16, 26-9, 167, 193, 218 Ball 43, 252f, 363, 428 Ballon 90, 96, 98, 106-9, 117 Blockhaus 37, 413, 448 Bereich 9, 39, 45f, 49, 51, 69, 71, 80, 112, 114, 118f, 122, 132f, 144-9, 160, 167, 172f, 179, 183, 193-8, 202, 204, 212, 216f, 232, 236f, 241, 244f, 253, 255f, 286, 288, 308, 312f, 319-34, 338f, 365, 371f, 378, 386-91, 408f, 422 Bericht, riskanter 90, 127f, 285 Bibliothek 13, 42f, 61, 161, 181-2, 195, 301, 351, 442 Bild 43, 48, 111f, 175, 224, 227, 233, 237ff, 253f, 276, 301ff, 364, 420

Biologie 18, 25, 34, 38, 45, 50, 69, 71f, 83, 87, 102, 135ff, 155, 179ff, 211ff, 234ff, 279ff, 312ff, 367ff, 397, 419, 424 Bionik 53, 211, 217f, 302, 389f, 420, 436 Biotechnologie 14, 19, 21, 28, 37, 45, 141, 145, 153, 256, 262, 264, 268, 307, 317, 322, 326, 335, 397, 436 BMBF 37, 48, 50, 51, 80, 144f, 155, 167, 215, 220, 222, 229, 243ff, 253, 295f, 313, 318, 323f, 388, 413, 435 Bottom-Up 18, 42f, 57ff, 84, 114, 179, 194f, 218, 237, 242, 245, 250, 256f, 287, 290f, 319, 333ff, 384ff, 400 Brücke 78, 102, 234ff, 256f, 329, 405, 420 Bucky-Ball 252, 253 Chemie 28, 37-8, 45, 56, 69, 71, 83, 119, 132f, 143, 155f, 179ff, 211f, 222, 234ff, 260f, 279f, 298, 312ff, 332f, 367ff, 419, 426, 446 Cluster 39, 73, 134, 147, 255, 294, 301, 310-22, 328, 333ff, 434, 444, 445 CNT 251ff Computer 18ff, 28f, 35, 68-9, 80, 88, 101, 120-1, 166, 175, 183-196, 224, 232-3, 251, 253, 255, 258, 270, 281-3, 290f, 301, 311, 320, 347-53, 358, 367, 370, 374, 378, 391, 393, 401, 413, 425, 428, 433, 436 CT 14ff, 59f, 70, 88, 131, 134, 145, 179f, 193, 226, 259, 439, 441 CTEKS 134 Definition 15, 20, 45, 51, 56, 67, 86, 100, 111-3, 135ff, 172, 226, 255, 274, 280, 306-8, 312, 316-7, 329ff, 409-10, 415, 424 Design 17, 20, 24, 36f, 71, 79, 87, 157, 201f, 214, 236f, 258f, 271, 301f, 319f, 335, 380f, 413f, 440 Deutschland 13, 45, 60, 75, 80, 89, 139f, 146, 173, 201, 204, 220, 227, 233, 241, 246, 266, 275, 306, 314, 318, 328, 337, 351f, 357f, 406, 420 Diegese 13, 17f, 22, 25, 31, 321, 340ff Digital(isierung) 14f, 28, 31, 35, 43, 54, 61, 72, 78, 80, 82, 88ff, 118-34, 139, 145, 151, 154, 162, 174f, 184, 203f,

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224f, 235, 260, 264, 269, 271, 295f, 301, 315, 318, 340f, 347f, 352ff, 370f, 379ff, 389ff, 414, 418, 425, 427f Ding 9, 22-5, 27, 32, 34-5, 73, 83-4, 97-8, 101, 105-9, 124, 129, 141, 156, 177, 183, 190, 194, 197-9, 205f, 208, 213, 215, 219, 274-6, 280, 282-3, 288, 335, 358, 360, 363-6, 371, 378, 382, 387, 404, 419, 436 Diskursanalyse 44, 47, 76, 86, 90f, 107f, 129, 367, 397ff Diskursanalyse, generative 14, 77, 90f, 97f, 116f, 446 Diskursbereich, -feld 57f, 60, 66-78, 82, 84, 105, 110, 193ff, 209, 241ff, 249ff, 287ff, 332ff, 383ff, 397, 400f DNA 32, 54, 101, 135, 190, 197, 359, 378-9, 391-2, 398, 404, 413, 419 Drexler, Eric 15, 17, 20, 29, 72f, 154, 230, 313, 341, 381 Dynamik 9, 14, 29, 45, 57, 59, 61, 68ff, 82ff, 134, 138, 158f, 196, 286ff, 309, 313, 321, 339, 348, 350, 355, 365, 376, 388, 406, 415, 419, 421, 423 Eigenlogik 42, 57, 98, 102, 186, 352, 355, 374, 424 Eingriffstiefe 354 Einzelstudie 76, 299 Elektronik 30, 45, 50, 68, 173, 175, 182, 220, 235f, 239, 256, 270, 281, 286, 290, 291, 296, 314, 317, 320f, 333, 358, 361f, 402, 426 Elektrotechnik 45, 135, 155f, 183, 220, 235, 283, 314, 320 Emblem 113, 115, 123f, 230, 234, 309, 420 emblematisch 61, 114, 125, 230, 243, 252, 358, 362ff, 415, 420 entdecken 42, 118, 131, 151, 176, 180, 181, 187, 195, 392 epistemologisch 31, 50, 54, 64, 91f, 99, 110, 124, 156, 189f, 415f, 426f erfinden 188 Erzählung 13ff, 53, 89, 112, 209, 227ff, 249, 274, 278f, 340ff, 410 erzeugen 20, 25, 29, 42, 58, 61, 66, 106, 136, 146, 148, 151, 159, 175, 213, 227, 234, 250, 254, 284f, 361, 364f, 380, 382f, 389f, 393, 400, 408f, 419, 426

Essay 14, 15, 19, 99, 174, 411f ethisch 44, 132f, 402 EU 56, 70f, 80f, 89, 131, 134, 137ff, 150, 161f, 165, 201, 205, 221, 233, 246, 255, 266, 268, 294-9, 302, 314, 318f, 338, 341, 418, 428, 431, 434f Europa 70, 81, 89, 105, 188, 193, 200f, 230, 233, 246, 272, 282, 286, 292, 304, 338, 341-49, 375, 418, 431 Evolution 15f, 20, 25, 28, 36-42, 62, 71, 92, 105, 333f, 367, 378 exemplarisch 40, 43, 47f, 51, 53, 70f, 76, 84ff, 97, 129, 150, 165, 397ff, 452 Expansion 64f, 102, 110, 179, 200, 291, 387, 390ff, 402, 448 Experte 30, 72, 89, 131, 134, 144-50, 166, 193, 204, 231, 249, 294f, 305, 314, 322, 326ff, 359f, 372, 417, 423, 427f Exzellenz 39, 66, 318 Fachwissenschaft 73, 82, 121, 162, 166, 172ff, 221, 224, 230f, 245, 353, 424, 427 Fahrstuhl 221, 254 Feynman, Richard 38, 40, 46, 84, 87f, 93, 131, 165ff, 223, 251, 254, 277, 281f, 300, 324, 335, 353, 367, 377, 392, 402, 405, 407, 458f fiktional 14, 17, 23, 25, 48, 151, 231, 342-9, 358-68, 378f, 386f, 418 Finanzwissenschaft 312, 315, 328, 375, 385 Finanzwirtschaft 16, 64, 307, 318, 327 Foucault, Michel 9, 42, 47, 53, 61, 77f, 85-99, 107, 116, 119, 121, 130, 149, 167f, 398ff, 406ff, 425 frontier 169, 171-6, 195, 405 Freiheit 106, 109, 201, 240f, 267, 273, 357, 387, 428 Geld 24, 25, 65, 84, 103, 137, 140, 145, 161, 167, 188, 220, 244-46, 259, 2956, 299, 310, 322, 343, 348, 351, 360, 372, 375, 388, 413, 434f, 439 Gemeinsprache 24, 31, 35, 115, 118, 138, 151f, 174, 225, 232, 399, 404, 410, 415f, 422-24 Genesis / Schöpfung 14, 71, 87, 374, 382, 452 Genette, Gérard 9, 13, 14, 16, 22, 33, 35, 36, 44, 81, 236, 340, 343, 361, 367f

A NHANG | 455

Genre 15, 16, 32f, 59, 77, 81f, 97, 110, 119, 146ff, 173f, 207f, 224f, 258f, 270ff, 301ff, 350, 352, 357ff, 368, 410, 412, 416, 425 Gentechnologie 23, 45, 72f, 143, 243, 245, 256, 268, 359, 365, 401 Geschichte 13, 14, 27, 29, 46, 53, 73, 89, 93, 97, 129, 167, 176, 200, 205, 213, 231, 246ff, 261, 279, 281, 284, 298, 34063, 367, 407ff, 425f global 154, 266, 314, 340, 403, 448 GMO 72, 268, 270 googeln 354, 427 Gopher 354 Heckl, Wolfgang 34, 43, 48,102, 104 Heißluftballon 90, 96, 98, 106-9, 117 Heuristik 114 Hochtechnologie 23, 50, 73, 105, 134, 236, 281, 417, 421 Hochtemperatur(supra)leiter 227, 230, 232, 233, 253, 314 Hula-Hoop-Reifen 399 Hybrid 31, 32, 35, 110, 203, 209, 224, 237, 362, 365, 398 IBM 17, 33, 58, 80, 81, 175, 201, 385 Idee 17, 32, 62, 72, 80-81, 90, 92, 111, 128, 174, 192, 307-08, 367, 407-08 Ideologie 81, 86, 93-95, 99, 100, 117, 170, 172, 248, 261, 330, 398-99 Individuum 19, 29, 34, 95, 98f, 103f, 197, 228, 374, 404 Informatik 18, 21, 37, 45, 64, 155f, 162, 183, 223, 281, 300, 320, 322, 355, 369-82 Information 23, 43, 86, 105f, 135, 143, 181-7, 197ff, 207ff, 220-7, 236f, 244, 253, 259-314, 328, 346-357, 372-84, 410, 422, 428 Informationsarchitektur 237 Ingenieurwissenschaften, -wesen 15, 21, 39f, 60, 69, 71, 83, 87, 98, 124, 131, 137, 148, 155, 165ff, 196, 211, 220f, 235-42, 278ff, 294f, 300, 325, 338, 367f, 375f, 382f, 425f Interdiskurs 52, 96, 116, 120f, 401, 412, 414, 419f, 424 interdisziplinär 21, 31, 37, 39, 45, 51, 76, 83, 85, 138, 152, 155-62, 179, 221, 232, 234-45, 261, 316-32, 412-26

international 13, 16, 49, 51, 74, 76, 81, 105, 137, 139-55, 172, 194, 201, 233, 250, 260-72, 295, 301, 303f, 321, 327, 329, 331, 342, 403, 413, 421, 428, 435 Instrument 53, 81, 85f, 112, 117, 127, 140, 150,f, 172, 185, 190, 198f, 255, 270, 397, 399, 410f, 418 Interpretation 19, 76, 94, 115, 158, 174, 191, 224, 228, 233, 241, 277, 191, 309, 332, 338, 365, 400, 406, 425 ISO 51, 66, 74, 139ff, 207, 327, 331, 428 Isotopie 46, 112, 114, 116, 123 juristisch 139, 201, 264, 306, 327, 347, 373 Kamelrennen 293 Kapital(istisch) 15f, 30ff, 48, 60, 81, 131, 159, 195, 209, 228, 281, 301, 307, 326, 332, 351, 387, 408 Karriere 18, 342, 345, 426 Kernkraft 376, 386, 389 Kind 71 Kludging 322 Knäuel 79, 132, 133 Kollektiv 31, 61f, 80, 123, 129, 229, 282, 288, 416 Kollektivsymbol 31, 33, 35, 41, 44f, 47, 52ff, 60, 63, 76f, 86ff, 90-116, 93, 116, 122, 124, 128f, 130, 131ff, 143, 153, 158-62, 171, 173, 180-2, 195, 229f. 233, 237, 241, 248f, 292ff, 310ff, 338, 355, 379, 397-428 Komplexität 67, 151, 192, 311, 335, 426 Kontext, pragmatischer 23, 35, 57f, 63f, 73, 77-86, 102-17, 122, 125f, 129, 132, 157, 165ff, 200ff, 220ff, 258ff, 294ff, 340ff, 397ff Konzept(ualisierung) 24, 52, 66ff, 85f, 104, 122, 125ff, 142, 145, 221, 291f, 315, 322, 328, 332, 337f, 370, 398, 401, 422 Konvergenz 14ff, 59f, 70, 88, 131, 134, 179f, 193, 226, 259, 439, 441 Koralle 379f Kosmos 101, 116, 180, 185, 188, 196, 318, 358, 363, 366ff, 381f, 392, 403, 418-9 Kraftwerk 124, 159, 265 Krake 35 Krieg 25, 108f, 165ff, 170, 340-50, 361 Kristall 17, 45, 48, 71f, 173, 294

456 | N ANOTECHNOLOGIE ALS K OLLEKTIVSYMBOL

Kybernetik 53, 159-60, 369, 436 Labor 13-36, 39, 50, 54, 58, 60, 74, 91, 120, 125, 131, 150, 156, 161, 165f, 174, 195, 204, 213f, 225, 228, 236, 248ff, 259, 264, 275ff, 288, 312, 350, 369-81, 416, 421, 432 Landnahme 54, 171f, 233, 338 Latour, Bruno 30f, 53f, 80, 90, 106, 116, 127f, 201, 330, 365, 398, 401, 406 Lebenswelt 119, 278, 282f, 285, 347, 352f, 360, 411, 418, 420 Lego 152, 153, 405, 413 Lem, Stanislaw 26, 30, 53, 65, 257, 351, 356-7, 383 Lenhard, Johannes 114, 196, 322, 377 Leonardo-Bacon-Galilei-Programm 114, 196, 377, 382 Link, Jürgen 14, 31, 41, 43, 47ff, 54ff, 76f, 88-131, 152, 177, 208, 225-31, 293, 308, 340, 352, 358, 398f, 406, 412ff Literarität 405, 116f Literatur, elementare 14, 77, 96, 100ff, 127, 134, 161, 228-9, 409f, 416 Literaturwissenschaft 9, 41, 43, 45, 54f, 59, 76f, 81, 94ff, 103, 105, 110, 117f, 127ff, 159, 352, 405-13, 418, 421ff Lobby 73, 205, 220, 270, 295ff, 314 Luhmann, Niklas 56f, 61f, 78, 80, 92, 99, 105, 121, 153, 186-7, 334, 405, 414 Macht(produktion) 15, 30, 32f, 35, 44, 4960, 78, 81, 83, 86-96, 104ff, 120ff, 157, 168, 172, 189, 342ff, 380ff, 398ff, 425f Marx, Karl 40f, 79 Maschine 17f, 28ff, 36, 45, 54, 68, 80f, 97, 105, 108f, 155, 161, 176, 183f, 192, 197f, 201, 218, 225, 235f, 276, 280, 283, 288, 290f, 330, 332, 339, 354, 356, 374, 380, 389, 390, 418ff Materialwissenschaft 38, 45, 48, 56, 75, 88, 133, 136, 155ff, 220-57, 276, 279, 283, 292f, 317, 320, 324, 338, 397 Mathematik 20, 28, 40, 69, 83, 91, 96, 114, 148, 150, 162, 183-96, 236ff, 300, 345, 368, 376ff, 381ff, 424 Matrize 371, 372, 416 medialisiert 419

Medien 17, 50, 54, 98, 118, 142, 173, 236, 238, 262, 275, 328, 347, 402, 418, 427 Medizin 15, 25, 34, 40, 46, 69, 135, 141, 145, 155, 198, 201, 213f, 235ff, 283ff, 307, 320ff, 337, 369f Metapher 5, 23-4, 41, 53-4, 61, 73, 77, 79, 82, 98, 100, 107, 116, 121, 123-7, 152, 176-7, 180-1, 192, 213, 230, 243, 245, 274, 276-7, 287, 292, 311, 337, 373, 399, 412-3, 419, 421 Mikrobe 359ff Miniaturisierung 48, 64, 68-71, 87, 178ff, 212ff, 249ff, 287ff, 332ff Musik 30, 159, 337 Nanobiotechnologie 53, 68f, 84, 153, 193f, 214ff, 249ff, 287ff, 332ff, 383ff, 400 Nanoforschung 49, 141 Nanopartikel 25ff, 43f, 57, 66-76, 84, 147, 150, 198f, 214f, 249ff, 290f, 321, 331ff, 390ff, 397ff, 432 Nanotechnik 25, 49, 57, 60, 67, 76, 84, 149, 153, 155, 160, 193, 198, 216f, 221, 227, 232f, 239, 249f, 288f, 332f, 339, 375f, 384f, 391, 397-400 nanoTruck 135, 215, 296 national 25, 76f, 80-2, 96, 106, 136f, 139ff, 161, 166f, 171, 181f, 193, 200, 202, 205, 226, 233, 239, 245, 260ff, 287, 295f, 318, 341-56, 392, 398, 419 Natur 16, 18, 20, 28f, 33, 36ff, 60, 71, 124, 137, 154f, 172, 186ff, 198, 211, 217, 242, 335, 340, 356, 365f, 372, 378f, 391f, 413, 433 Narration 14, 16, 19, 22, 32, 53, 133, 340, 344 NBIC 14, 134 von Neumann 370, 373, 380, 448 Nichtwissen 81, 278, 339, 417 NNI 80, 136, 161, 167, 206, 226, 392 NSTC 17, 71, 249, 449 Öffentlichkeit 34, 49, 53f, 67, 73, 78, 81, 88f, 103, 141-9, 166f, 173f, 188, 205, 220-3, 231f, 245, 249, 259, 261, 271, 295f, 300-14, 323-9, 342, 360-75, 388, 392, 407, 414, 419, 424, 427f Paratext 14-19, 24, 30-35, 134, 272f, 278, 321, 364, 366

A NHANG | 457

Partikel 27, 65f, 74f, 144, 171, 200, 205f, 216, 254, 291, 336f, 356, 391 Partikularität (s. Streuung) 34, 57-67, 84, 194, 250, 290ff, 336f, 391f, 397 Phänomen 19, 24, 31, 34, 50, 53, 58, 66f, 76, 84f, 102, 110, 130, 135f, 148ff, 195f, 203, 210, 225, 282, 308, 314, 338, 359, 376f, 398ff, 406, 408, 413f, 421, 426 Philosophie 49, 53f, 66-73, 90f, 116f, 125, 134, 282, 372, 401, 408f, 413, 416 Physik 30, 38, 45, 56f, 69ff, 83, 87, 103, 132ff, 143, 150, 155f, 162, 16598, 212, 216, 222f, 235-41, 251, 256, 262, 277-83, 294-302, 313, 319-37, 369, 375-81, 386f, 406, 415, 419, 424f Pictura 113ff, 126, 252-3, 293, 303 Plastizität 25 poetologisch 35 Politik 50, 64, 72, 78, 96, 98, 106f, 118f, 131, 135, 139, 144, 151, 167f, 172, 238, 260, 263, 267, 295, 304, 307, 309f, 314, 323, 330, 332, 336, 338, 341, 350, 371, 373, 402, 406, 413f, 426 Politikwissenschaft 67, 284, 286, 313f, 406 Polyp 71ff, 380 pragmatisch 23, 77-85, 110ff, 126, 155f, 165ff, 200ff, 220ff, 258ff, 294ff, 340ff, 402, 424 Praktiken 44, 47, 79ff, 91f, 94, 97, 10410, 119ff, 129, 150ff, 181, 186, 191, 237, 284, 340, 404, 409ff, 428 praxeologisch 50, 81, 110, 118f, 353 Problem 13, 24, 26f, 34, 36, 41, 56, 61, 67, 69f, 82, 85, 91, 94-99, 106, 117, 125, 130, 137-157, 174, 187, 190ff, 206, 217, 233, 243f, 252, 254, 263, 267, 284f, 305, 310, 312, 315, 321, 327-32, 339, 345f, 355f, 359-75, 391, 397f, 411, 415, 419, 422, 424, 427 Programm 17-23, 33f, 38, 80, 114, 121, 138, 142f, 174, 192, 196f, 205f, 266ff, 296, 298, 304, 308, 318, 324, 336, 345, 348, 370-82, 390, 397, 407, 413f, 428 programmieren 18f, 28, 192, 371, 382, 390, 397

Raum 14, 20f, 27, 35-89, 92, 97-110, 113, 131, 134, 146ff, 156-9, 168-91, 194-9, 216-36, 245-53, 256f, 258, 267-71, 274-92, 304-39, 356f, 368ff, 383-92, 397-411, 416, 421, 425f raumlogisch 58, 74, 106ff, 199, 219, 390 Raumschiff 26, 30, 193 Raumskripte 42, 57-85, 105, 110ff, 178f, 193ff, 214ff, 249ff, 287ff, 332ff, 383ff, 397f, 406, 428 real 9, 18, 21, 43, 71, 73, 87, 106, 126, 132, 169, 176, 206, 249, 290, 340, 343ff, 370, 375, 387, 409, 414 Realität 16, 18, 21, 23, 33, 35, 40f, 78, 91, 93, 105, 126, 130, 177, 343-52, 358f, 409 regional 50, 89, 146, 220-7, 261, 264, 268, 294-318, 337f, 406, 418, 426, 434f regulieren 56, 61, 69, 91, 139, 143, 144, 257, 264, 313, 448 Reihenhaus 78, 413, 416 Rhetorik 99, 107, 110, 113, 119, 122ff, 171, 261, 330, 339, 413, 420 Risiko 105, 108, 127, 145f, 326, 331-2 Roco, Mihail 226 Schlüsseltechnologie 43ff, 76, 84, 90, 101, 131, 145, 234f, 243ff, 256, 397, 432, 437 Schreibmaschine 80f Schutz 25, 44, 200, 209, 213, 214ff, 275f, 331, 336, 432 Science Fiction 15, 31f, 46, 174, 192, 226, 254, 299, 315, 350ff, 369, 416ff Selbstorganisation 25, 71f, 87f, 196f, 218f, 256, 334ff semantisch / Semantik 31, 33, 42-64, 78, 82, 85, 88-103, 106-122, 126ff, 146, 154, 176ff, 186, 194, 207, 212f, 218f, 229ff, 244ff, 274-292, 308, 310f, 317ff, 330-9, 362ff, 385, 389, 397f, 402f, 406ff, 419ff Seriösität 21, 79, 83, 172, 191f, 272ff, 306, 350 Sicherheit 145, 166f, 204ff, 307, 346ff Silicon 137, 278 Silicon Valley 78, 233, 240, 338, 405, 406, 417, 420, 427 Simulation 45,113, 130, 150, 256, 311, 428

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Skalierung 64, 70, 185-195, 277, 279, 319, 323, 387, 391f, 419 Skript(s) 56ff Soziologie 31f, 54f, 61, 67f, 90-107, 116, 121, 127ff, 284ff, 299, 312-23, 329f, 334, 356, 372, 399, 412 Spekulation 32f, 174, 193, 418 Sphäre 15, 73, 108, 252, 356, 369, 381, 390f, 421 Spitzenforschung 26, 109, 139, 165, 384, 410, 419 Sprache 23f, 30f, 49ff, 76ff, 90ff, 151f, 173f, 207f, 224f, 270f, 301f, 357f, 415ff Streuung 57ff, 75, 84, 130, 199, 250, 333, 336-7, 388, 397, 400 Subscriptio 113f, 303, 397, 406 Suchmaschine 54, 80, 120, 129, 225f, 353-4, 427 Supraleiter 227, 230, 232, 233, 253, 314 Synthese 37, 156, 191, 250-51, 256, 366; (Proteinsynthese 449) Synthetische Biologie 45, 50, 72f, 143, 256, 357, 370, 378, 380, 452 System(e) 18, 22, 34, 45f, 54, 69, 71, 85, 92, 99, 102, 108, 136, 147, 198, 204, 250, 254, 311, 320, 325, 329, 335, 361, 369, 378, 404, 410-11, 414, 425, 445, 449 Technik 9, 13, 15ff, 49ff, 66ff, 84ff, 105ff, 116ff, 126,135ff, 159ff, 180, 186f, 193ff, 214ff, 249ff, 287ff, 310, 315f, 332ff, 345f, 365ff, 375ff, 397ff Technikgeschichte 53, 79, 93, 121, 161, 246f, 286, 398 Tetraeder 40, 41, 237, 256 Thema 15-20, 25f, 30, 32f, 42, 49, 57, 73f, 79, 85, 108, 119, 121, 122, 141, 145, 162, 173f, 203, 221, 226f, 232, 250, 256, 258, 261-84, 302, 307, 313, 317-29, 334, 339, 347, 358f, 361, 365, 369, 397, 410, 416, 418, 424, 426, 435 Theorie 17, 28-48, 49, 52ff, 78f, 90ff, 135ff, 150ff, 167, 193, 256, 310, 316, 322ff, 376, 385f, 397f, 405f, 419f Titel 14, 16, 19, 33, 38f, 43, 51, 75, 82, 88, 116, 121, 133, 134, 140, 151, 159, 167f, 176ff, 210ff, 227ff, 273ff, 308ff, 362ff, 402, 410, 426f

Top-Down 18, 42f, 57-70, 84, 193ff, 241ff, 249ff, 287ff, 332ff, 383ff Toxikologie 40, 56, 69f, 83, 102, 148, 151, 215, 287, 321, 325, 327, 331 Transhumanismus 72, 124, 348ff, 389 TU Darmstadt 85, 220-57, 354, 435 TU Delft 72, 206 U-Boot 169, 170, 175 Überschuss 152, 178, 412 unsichtbar 93, 160, 162, 209, 212, 215ff, 280ff, 287ff, 311, 367, 391, 432 Unsinn 131 USA 25, 29, 32, 71, 80f, 156, 166ff, 226, 241, 265, 337, 341, 351, 354 validieren 47, 85 (Groß-)Vater 101, 156, 226, 249, 342, 350, 353, 361-2, 385 VDI 46, 89, 145, 155, 211, 220, 294-318, 427 Versprechen 109, 142, 185, 226, 263, 322, 331, 385 Vertrauen 230, 332 Vision 44, 46, 70ff, 113, 132, 154, 160, 172, 174, 192, 195, 220, 230, 233, 267f, 313, 351ff, 409, 419, 439 visualisieren 38, 158, 236, 240-3, 338, 419 Welt 18, 24, 34f, 40, 42f, 56, 68, 71, 119, 121, 148, 151, 177, 182, 220, 227-33, 26789, 295, 302, 338ff, 355, 363, 368f, 376, 385, 448 Weltall, -raum 169, 171f, 178, 196, 254, 303, 343, 356, 360, 389, 403 Wettlauf, -rennen 88, 95, 170, 178, 285f, 292f, 341ff, 363, 373, 385, 387, 405 Wirtschaft 30, 50, 69, 142, 145, 154, 161, 166, 168, 245f, 264, 274, 286, 290-6, 303, 305f, 314, 316, 322f, 331, 336, 338, 341 Wissenschaft(en) 16f, 45f, 154, 155ff, 179f, 211f, 234f, 279f, 312f, 367f Wissenschaftsforschung 53, 79, 125, 421 Wissenschaftsgeschichte 54, 83, 160, 162, 167, 168, 186f, 248, 286, 410 Wissenschaftstheorie 32, 54, 76, 87, 131, 133, 134, 138, 167, 339, 377 wuchern 77, 93, 134, 148, 205 Wunder 131, 212-9, 281, 331 Zweck, Axel 46, 71, 294-315, 329

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Literaturwissenschaft Uta Fenske, Gregor Schuhen (Hg.) Geschichte(n) von Macht und Ohnmacht Narrative von Männlichkeit und Gewalt September 2016, 318 S., kart., 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3266-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3266-2

Stefan Hajduk Poetologie der Stimmung Ein ästhetisches Phänomen der frühen Goethezeit Juli 2016, 516 S., kart., 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3433-4 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3433-8

Carsten Gansel, Werner Nell (Hg.) Vom kritischen Denker zur Medienprominenz? Zur Rolle von Intellektuellen in Literatur und Gesellschaft vor und nach 1989 2015, 406 S., kart., 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3078-7 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3078-1

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Literaturwissenschaft Tanja Pröbstl Zerstörte Sprache – gebrochenes Schweigen Über die (Un-)Möglichkeit, von Folter zu erzählen 2015, 300 S., kart., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3179-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3179-5

Heinz Sieburg (Hg.) ›Geschlecht‹ in Literatur und Geschichte Bilder – Identitäten – Konstruktionen 2014, 262 S., kart., 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2502-8 E-Book: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2502-2

Dieter Heimböckel, Georg Mein, Gesine Lenore Schiewer, Heinz Sieburg (Hg.) Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 7. Jahrgang, 2016, Heft 1 Juli 2016, 216 S., kart., 12,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-3415-0 E-Book: 12,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-3415-4

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