Mustergedichte: Teil 2 Mittelstufe [Reprint 2021 ed.] 9783112467527, 9783112467510


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Mustergedichte: Teil 2 Mittelstufe [Reprint 2021 ed.]
 9783112467527, 9783112467510

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Musterge-ichte. Zum Gebrauch

in Schulen, Lehrer- und Lehrerinnen-Bildnngsanstalten ausgewählt von

Dr. Karl Heftel, Rektor der höheren Mädchenschule und Lehrerinnen-BildungSanstalt zu Koblenz.

II. Teil.

Mittelstufe.

Dom, Eduard Weber's Verlag (Julius Flittner). 1884.

Vorbemerkung.

Vorliegende Sammlung bietet

den Memorierstoff für die

Mittelstufe höherer Schulen und zwar für das Lebensalter vom 10. bis 14. Jahre (5., 6., 7. und 8. Schuljahr). Näheres über

Anordnung, Zweck und Gebrauch der Sammlung findet der Lehrer Die Verwei­ sungen auf Register II der Gesamtausgabe haben den Zweck, bei

in dem der Gesamtausgabe vorgedruckten Vorwort.

jedem Gedichte einen Vergleich mit allen Stücken verwandten In­

halts, welche ausgenommen sind, zu ermöglichen. Zwischen den eckigen [] Klammern ist angegeben, wo sich das betreffende Gedicht

erläutert findet, und zwar sind folgende Schriften berücksichtigt:

G. — Götzinger, deutsche Dichter, 2 Bände 5. Ausl. Aarau 1876. 77. L. u. N. — Lüben und Nacke, Einführung in die deutsche Littera­ tur, 1. und 2. Thl. 9. Ausl. Leipzig 1882; 3. Thl. 9. Ausl.

Leipzig 1883. Gude — Gude, Erläuterungen deutscher Dichtungen, 1. Reihe 7. Ausl. 1881. 2. Reihe 6. Ausl. 1879. 3. Reihe 6. Ausl. 1881. 4. Reihe 5. Ausl. 1880. Leipzig. L. — Leimbach, ausgewählte deutsche Dichtungen erläutert. Kassel 1. Bd. 3. Ausl. 1882; 2. Bd. 3. Aufl. 1883; 3. und 4.Bd.

2. Aufl. 1880. D. — Dietlein, die Poesie in der Volksschule 3 Bde. Berlin 1880. Sinnig — Sinnig, Vorschule der Poetik und Literaturgeschichte.

Paderborn 1878. Förster = Förster, das Volkslied in der Volksschule, 3. Aufl.

Breslau 1879. Kr. — Kriebitzsch, zum Lesebuch, 1. Heft, 2. Aufl. Gotha 1881.

Kehr — Kehr, Anweisung z. Behandlung deutscher Lesestücke, 7. Aufl. Gotha 1878.

Inhalt. Seile. A Bauer Hal drei Buabn . . 171 Abend wird es wieder . . .. 79 Abend wird's, des Tages . .. 109 Aber Wörter sind's doch nicht: 36 Ach, könnten wird doch leben . 82 Als Kaiser Rotbart . . 176 Als noch, verkannt . . 50 Am Abgrund leitet . . 152 Am gewaltigen Meer . 26 Am Ufer eines Baches ... 47 An den Rhein, an den Rhein 169 An der Saale...................... 111 Arm am Beutel . .... 52 Äuf der Burg zu Germersheim 91 Auf des Berges höchster . . 27 Blaue Berge............................ 71 Chidher, der ewig junge . . 142 Da droben saßen...................... 126 Das ist der Tag des Herrn . 174 Der Damm zerreißt .... 59 Der Derfflingcr...................... 145 Der große König wollte . . 146 Der Knecht hat erstochen . . 180 Der König Karl fuhr . . . 175 Der Mai ist gekommen. . . 43 Der Mond ist aufgegangen . 22 Der Reiter reitet durchs Helle. 164 Der Sämann streut .... 110 Der Samstag ruft dem Sonntag 67 Der Samstig het zum Sunntig 66 Der Tauwind kam .... 11 Der Winter ist gekommen . . 132 Des Sonntags in d. Morgenstund 131 Deutsches Herz, verzage nicht . 1 Deutschland, Deutschland . . 80 Die Araber hatten ihr Feld . 144 Die Heere blieben am Rheine. 104 Die Himmel rühmen . . . 45 Die Luft ist blau...................... 87 Die Mitternacht zog näher . 73 Die Sterne sind erblichen . . 78 Die Thadener zu Hanerau . 103 Dort unten in der Mühle. . 93 Draus bei Schleswig . . . 10 Drei Zigeuner....................... 113 Droben stehet die Kapelle . . 174

Seite. Durch Feld und Buchenhallen 24 Du siehst geschäftig .... 17 Eine kleine Biene .... 46 Ein frommer Landmann . . 94 Ein junger Mönch im Kloster 123 Ein kluger Maler .... 44 Einst war ein Graf ... 122 Ein Vogel ist es..................160 Ein Wald im Frankenlande . 125 Ein Wanderbursch .... 184 Erhebt euch von der Erde. . 149 Er stand auf s. Daches Zinnen 154 Es blüht ein schönes Blümchen 79 Es braust ein Ruf • . . . . 162 Es ging c. Mann i. Syrerland 139 Es heult der ©turnt ... 5 Es ist Geduld e. rauher Strauch 186 Es läuft ein fremdes Kind . 137 Es stand ein Sternlein... 23 Es steht e. groß, geräumig Haus 157 Es zieht ein stiller Engel . . 170 Et wore drei Sivveschläfer. . 166 Fern im Süd d. schöne Spanien 38 Frau Magdalis........................... 14 Freude war in Trojas Hallen 161 Frisch auf zum fröhlichen Jagen 25 Gemächlich in d. Werkstatt faß 19 Glückselige Jugendzeit . . . 135 Hast du das Schloß gesehen . 179 Hat der alte Hexenmeister. . 55 Herr Heinrich sitzt am Vogclherd 185 Hoch auf d. alten Turme steht. 49 Ich bin v. Berg d. Hirtenknab 174 Ich hab mich ergeben . . . 114 Ich kann den Blick nicht . . 29 Ich sehe oft um Mitternacht . 22 Ich träum' als Kind. ... 17 Ich war ein kleiner Knabe . 121 Ich weiß nicht, was soll es . 73 Ich wohne in e. steinernen Haus 160 Jenseits Koblenz......................... 166 Ihr Freunde, hänget. ... 88 Jk wull, wi weern .... 61 Im Schank zur goldnen Traube 37 Im Vaterland...............................148 In dem wilden Kriegestanze . 150

VI

Inhalt. Seite.

Seite.

In eine lichte Rotunde ... 72 Jsch echt do obe Bauwele feil 70 Ist der holde Lenz .... 161 Kein schöner Land als Heimat 79 Kennst du das Bild. . . . 158 Lieblich war die Maiennacht . 112 Lütt Malten de Has' ... 60 Mensch! es ist der Schöpfung. 142 Mit dem alten Förster heut . 41 Mitten in des Weltmeers . . 78 Muttersprache...............................148 Nach Frankreich zogen ... 75 Nacht ist's und Stürme. . . 129 Nächtlich am Busertto . . . 128 Nehmt euch in acht . . . . 144 Nehmt hin die Welt.... 161 Nei, lueget doch ..... 62 Noch harrte im heimlichen. . 105 Normannenherzog Wilhelm . 180 Nun werden grün .... 32 O du lieblicher Geselle.... 35 O frag mich nicht .... 80 O, hätt datt doch......................... 136 O wären wir weiter.... 53 Preisend mit viel schönen . . 90 Priams Feste............................... 161 Rein gehalten...............................141 Schier dreißig Jahre. ... 82 Schneeglöckchen thut läuten . 129 Schon war gesunken . . . . 127 Schwing' mir die Buben . . 35 Seht, da sitzt er.......................... 161 Seht doch einmal das Spinnlein 63 Sie haben Tod und Verderben 31 Siehst du die Brigg dort . . 46 Sie sollen ihn nicht haben. . 6 Sohn, da hast du m. Speer . 172 Steh auf, steh auf ... . 100 's war einer................................. 21 Tief im Schoße des Kyffhäusers 36 Tief in waldgrüner Nacht . . 133 Treue Liebe bis zum Grabe . 81 Ueb immer Treu u. Redlichkeit 86 Uf'm Bergli bin i gesässe . . 49 Um den Zepter................. 161 Und die Sonne machte... 4 Und dräut v. Winter . . . 40 Und vum Uchse de Kraft . . 83 Unkraut seid ihr................... 35 Unter allen Schlangen . . . 158 Urahne, Großmutter, Mutter . 163

Verschwunden ist d. finstre Nacht 151 Viktoria! mit uns ist Gott . 48 Von Edenhall d. junge Lord . 182 Von Wunden ganz bedecket . 116 Bor allem eins, mein Kind . 133 Vor seinem Löwcngarten . . 161 Wann's Mailüfterl weht . - 94 War einst ein Glockengießer . 119 Was bewegt man .... 145 Was blasen die Trompeten . 3 Was die Schickung schickt . . 76 Was frag ich viel .... 114 Was glänzt dort......................... 108 Was hör' ich draußen ... 57 Was ist d. Deutschen Vaterland 2 Was macht ihr......................... 171 Was steht d. nordschen Fechter 178 Was willst du, Fernando . . 7 Welches Wunder......................... 161 Wem Gott will rechte ... 25 Wenn alles eben käme ... 27 Wenn dieser Sicgesmarsch . . 104 Wenn du noch eine Mutter hast 88 Wer hat dich, du schöner Wald 24 Wer hat die weißen Tücher . 118 Wer recht in Freuden wandern 41 Wer reitet so spät .... 56 Wer schlägt so rasch a. d. Fenster 118 Wer wollte sich m. Grillen plagen 87 Wie heißt das Ding.... 159 Wie ist der Abend so traulich. 170 Wie ist doch die Erde so schön 131 Wie könnt' ich dein vergessen . 81 Wie waren die Mönche. . . 167 Wie war zu Köln es doch vordem 96 Will sich Hektor......................... 161 Willst du nicht das Lämmlein 153 Windet zum Kranze .... 161 Wir stammen, unser sechs . . 159 Wohlauf! noch getrunken . . 91 Wüstenkönig................................ 30 Zu Aachen in s. Kaiserpracht - 161 Zu dem vollen Roscnbaume . 36 Zu Dionys, dem Tyrannen . 161 Zu Mantua in Banden . . 116 Zum Kampf der Wagen . . 161 Zum Klee die Zaunranke . . 5 Zu Speicr im letzten Häuselein 124 Zween Knaben liefen ... 84 Zwei Eimer sieht man . . .158

Emst Moritz Amdt geb. 26. XII. 1769 zu Schoritz auf Rügen, f 29. I. 1860 zu Bonn.

1.

Deutscher Trost.

(Reg. II, 14, 44.)

[ß. u. R. 3, 203.]

1. Deutsches Herz, verzage nicht, Thu, was dein Gewissen spricht, Dieser Strahl des Himmelslichts: Thue recht und fürchte nichts. 2. Baue nicht auf bunten Schein, Lug und Trug ist dir zu fein. Schlecht gerät dir List und Kunst, Feinheit wird dir eitel Dunst. 3. Doch die Treue ehrenfest, Und die Liebe, die nicht läßt, Einfalt, Demut, Redlichkeit Stehn dir Wohl, du Sohn Vom Teut. 4. Wohl steht dir das gerade Wort, Wohl der Speer, der gerade bohrt, Wohl das Schwert, das offen ficht Und von Vorn die Brust durchsticht.

5.

Laß den Welschen Meuchelei,

Du sei redlich, fromm und frei; Laß den Welschen Sklavenzier,

Schlichte Treue sei mit dir! 6. Deutsche Freiheit, deutscher Gott,

Deutscher Glaube ohne Spott, Deutsches Herz und deutscher Stahl

Sind vier Helden allzumal.

7.

Diese stehn wie Felsenburg,

Diese fechten alles durch, Hessel, Mustergedichte.

ß

Arndt.

2 [II]

Diese halten tapfer aus In Gefahr und Todesbraus. 8. Drum, o Herz, verzage nicht, Thu, was dein Gewissen spricht, Redlich folge seiner Spur,

Redlich hält es seinen Schwur. 2.

Des Deutschen Vaterland.

(Reg. 11,14, 44.) [L. u. N. 3,198; L. 1, 1; D. 2, 1; Kr. 16; Förster 165; Kehr 331.]

1. Was ist des Deutschen Vaterland? Jst's Preußenland, ift'S Schwabenland? Jst's, wo am Rhein die Rebe blüht? Jst's, wo am Belt die Möwe zieht? O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein. 2. Was ist des Deutschen Vaterland? Jst's Vaterland, ist's Steierland? Jst's wo des Marsen Rind sich streckt? Jst's, wo der Märker Eisen reckt? O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein. 3. Was ist des Deutschen Vaterland?

Jst's Pommerland? Westsalenland? Jst's, wo der Sand der Dünen weht? Jst's, wo die Donau brausend geht? O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein. 4. Was ist des Deutschen Vaterland?

So nenne mir das große Land! Jst's Land der Schweizer, ist's Tirol? Das Land und Volk gefiel mir wohl;

Doch nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein. 5. Was ist des Deutschen Vaterland?

So nenne mir das große Land!

Arndt.

[H] S

Gewiß, es ist das Österreich, An Ehren und an Siegen reich?

O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein. 6. Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne endlich mir das Land! So weit die deutsche Zunge klingt Und Gott im Himmel Lieder fingt, Das soll es sein! Das, wackrer Deutscher, nenne dein! 7. Das ist des Deutschen Vaterland, Wo Eide schwört der Druck der Hand, Wo Treue hell vom Auge blitzt Und Liebe warm im Herzen fitzt — Das soll es sein!

Das, wackrer Deutscher, nenne dein! 8. Das ist des Deutschen Vaterland, Wo Zorn vertilgt den welschen Tand, Wo jeder Franzmann heißet Feind, Wo jeder Deutsche heißet Freund —*)

Das soll es sein! Das ganze Deutschland soll es sein!

9. Das ganze Deutschland soll es sein! O Gott vom Himmel, fieh darein, Und Daß Das Das

gib uns rechten deutschen Mut, wir es lieben treu und gut. soll es sein! ganze Deutschland soll es sein!

3.

Das Lied vom Feldmarschall.

(Reg. II, 17,46.) [8. u. N. 3,201; Gude 4,37; D.3,1; Förster 162; tr. 16.] 1.

Was blasen die Trompeten? Husaren, heraus!

Es reitet der Feldmarschall im fliegenden Saus, Er reitet so freudig sein mutiges Pferd, Er schwinget so schneidig sein blitzendes Schwert.

♦) Andere Lesart: Wo walsch und falsch hat gleichen Klang, Und deutsch meint Herzensüberschwang —

4 [II]

Arndt.

2. O schauet, wie ihm leuchten die Augen so klar! O schauet, wie ihm wallet sein schneeweißes Haar! So frisch blüht sein Alter wie greifender Wein, Drum kann er Verwalter des Schlachtfeldes sein. 3. Der Mann ist er gewesen, als alles versank, Der mutig auf gen Himmel den Degen noch schwang, Da schwur er beim Eisen gar zornig und hart, Den Welschen zn weisen die-preußische Art.

4. Den Schwur hat er gehalten. Als Kriegsruf erklang, Hei! wie der weiße Jüngling in'n Sattel sich schwang! Da ist er's gewesen, der Kehraus gemacht, Mit eisernem Besen das Land rein gemacht. 5. Bei Lützen aus der Aue er hielt solchen Strauß, Daß vielen tausend Welschen der Atem ging aus, Viel tausende liefen dort hasigen Lauf, Zehntausend entschliefen, die nie wachen auf. 6. Am Wasser der Katzbach er's auch hat bewährt, Da hat er den Franzosen das Schwimmen gelehrt: Fahrt wohl, ihr Franzosen, zur Ostsee hinab! Und nehmt, Ohnehosen, den Walfisch zum Grab! 7. Bei Wartburg an der Elbe wie fuhr er hindurch! Da schirmte die Franzosen nicht Schanze noch Burg, Da mußten sie springen wie Hasen übers Feld, Und hell ließ erklingen sein Hussa! der Held. 8. Bei Leipzig auf dem Plane, o herrliche Schlacht! Da brach er den Franzosen das Glück und die Macht,

Da lagen sie sicher nach blutigem Fall, Da ward der Herr Blücher ein Feldmarschall.

9. Drum blaset, ihr Trompeten! Husaren, heraus! Du reite, Herr Feldmarschall, wie Winde im Saus! Dem Siege entgegen zum Rhein, über'n Rhein,

Du tapferer Degen, in Frankreich hinein!

4. Ballade. (Reg. II, 7, 32.)

1. Und die Sonne machte den weiten Ritt Um die Welt,

Arndt.

[II]

Und die Sternlein sprachen: wir reisen mit

Um die Welt; Und die Sonne sie schalt sie: ihr bleibt zu Haus! Denn ich brenn' euch die goldnen Äuglein aus Bei dem feurigen Ritt um die Welt. 2. Und die Sternlein gingen zum lieben Mond In der Nacht, Und sie sprachen: du, der auf Wolken thront In der Nacht, Laß uns wandeln mit dir, denn dein milder Schein Er verbrennet uns nimmer die Äugelein —

Und er nahm sie, Gesellen der Nacht. 3. Nun willkommen, Sternlein und lieber Mond, In der Nacht! Ihr verstehet, was still in dem Herzen wohnt

In der Nacht. Kommt und zündet die himmlischen Lichter an, Daß ich lustig mitschwärmen und spielen kann In den freundlichen Spielen der Nacht.

5.

Zaunranke und Klee. (Neq. II, 24.)

1. Zum Klee die Zaunranke sprach: Nachbar, komm mir doch nach! Stiegen wir doch zugleich aus den Schollen, Warum hast du nicht mit mir wollen?

2. Lächelnd erwidert der Klee: Darfst auf die stattliche Höh' Eben so trotzig nicht pochen; Ich stehe, du bist gekrochen!

6.

Des Schiffers Traum. (Ncg. II, 13, 20.)

1.

Es heult der Sturm, die Woge schäumt

Und durch die Wolken fahren Blitze, Der alte Schiffer nickt und träumt Gar ruhig auf dem nassen Sitze:

5

s

Becker.

[II]

Wie wild um ihn die Woge schlägt,

Wie auf und ab das Schifflein schaukelt, Ein Traum, der süße Bilder trägt, Umspielt sein Haupt und scherzt nnd gaukelt. 2. Ein Eiland hebt er hell und schön Mit reichen Fluren aus den Wogen, Ein wundervolles Lenzgetön

Aus Blütenhainen kommt's geflogen — Der Alte ruft: „Hier legt ans Land, Hier in die Bucht, den stillen Hafen! O kommst du endlich, Friedensstrand? Wie will ich süß nach Stürmen schlafen!" 3. Da schießt aus schwarzer Nacht ein Strahl, Ein glühnder Gottespseil, von oben, Der Schiffer und das Schiff zumal Mit Mann und Maus sie sind zerstoben. Die wilde Woge treibt zum Strand, Treibt Trümmer und Leichen treu zum Hafen — Glückseliger Träumer! du hast Land, Nun kannst du süß nach Stürmen schlafen.

Nikolaus Becker geb. 8. X. 1809 zu Bonn, f 28. VIII. 1843 zu Hunshofen.

7. Der deutsche Rhein. An Alphons de Lamartine. 1840. (Reg. II, 15, 45.)

1.

Sie sollen ihn nicht haben,

Ob sie wie gierge Raben

2.

den freien deutschen Rhein,

sich heiser danach schrei'»,

Solang er ruhig wallend

sein grünes Kleid noch trägt,

Solang ein Ruder schallend in seine Woge schlägt! 3. Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein,

Solang sich Herzen laben an seinem Feuerwein; 4. Solang in seinem Strome noch fest die Felsen stehn, Solang sich hohe Dome

in seinem Spiegel sehn!

Brachmann.

[II] 7

5. Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein, Solang dort kühne Knaben um schlanke Dirnen freien; 6. Solang die Flosse hebet ein Fisch auf seinem Grund, Solang ein Lied noch lebet in seiner Sänger Mund! 7. Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein, Bis seine Flut begraben des letzten Manns Gebein!

Luise Brachmann geb. 9. II. 1777 zu Rochlitz, f 17. IX. 1822 zu Halle a. Saale.

8. Kolumbus. (Reg. II, 13, 19) [L. 1, 14.] 1. „Was willst du, Fernando, so trüb und bleich? Du bringst mir traurige Mär'." — „Ach, edler Feldherr, bereitet euch! Nicht länger bezähm' ich das Heer. Wenn jetzt nicht die Küste sich zeigen will, So seid ihr ein Opfer der Wut; Sie fordern laut, wie Sturmgebrüll, Des Feldherrn heiliges Blut." 2. Und eh' noch dem Ritter das Wort entflohn, Da drängte die Menge sich nach, Da stürmten die Krieger, die wütenden, schon Gleich Wogen ins stille Gemach. Verzweiflung im wilden, verlöschenden Blick, Auf bleichen Gesichtern der Tod: „Verräter, wo ist nun dein gleißendes Glück? Jetzt rett' uns vom Gipfel der Not! 3. Du gibst uns nicht Speise, so gib uns denn Blut! Blut!" rief das entzügelte Heer. — Sanft stellte der Große den Felsenmut Entgegen dem stürmenden Meer:

„Befriedigt mein Blut euch, so nehmt es und lebt! Doch bis noch ein einziges Mal

8 [II]

Brachmann.

Die Sonne dem feurigen Osten entschwebt,

Vergönnt mir den segnenden Strahl. 4. Beleuchtet der Morgen kein rettend Gestad', So biet' ich dem Tode mich gern, Bis dahin verfolgt noch den mutigen Pfad Und trauet der Hilfe bes Herrn." Die Würde des Helden, sein ruhiger Blick Besiegte noch einmal die Wut; Sie wichen vom Haupte des Führers zurück Und schonten sein heiliges Blut. 5. „Wohlan denn, es sei noch! doch hebt sich der Strahl

Und zeigt uns kein rettendes Land, So siehst du die Sonne zum letzten Mal! So zittre der strafenden Hand!" Geschloffen war also der eiserne Bund, Die Schrecklichen kehrten zurück. Es thue der leuchtende Morgen nun kund

Des duldenden Helden Geschick. 6. Die Sonne sank, der Tag entwich; Des Helden Brust ward schwer; Der Kiel durchrauschte schauerlich Das weite, wüste Meer. Die Sterne zogen still herauf, Doch ach, kein Hoffnungsstern! Und von des Schiffes ödem Lauf Blieb Land und Rettung fern. 7. Vom Trost des süßen Schlafs verbannt, Die Brust voll Gram, durchwacht, Nach Westen blickend unverwandt, Der Held die düstre Nacht. „Nach Westen, o nach Westen hin Beflügle dich, mein Kiel! Dich grüßt noch sterbend Herz und Sinn, Du meiner Sehnsucht Ziel!

8. Doch mild, o Gott, von Himmelshöhn Blick' auf mein Volk herab!

Brachmann.

[II] S

Laß nicht sie trostlos untergehn

Im wüsten Flutengrab!" So sprach der Held, von Mitleid weich; — Da horch! welch' eiliger Tritt? „Noch einmal, Fernando, so trüb und bleich?

Was bringt dein bebender Schritt?" — 9. „Ach, edler Feldherr, es ist geschehn, Jetzt hebt sich der östliche Strahl!" — „Sei ruhig, mein Lieber, aus himmlischen Höhn

Entsprang der belebende Strahl. Es waltet die Allmacht von Pol zu Pol; Mir lenkt sie zum Tode die Bahn." — „Leb' wohl denn, mein Feldherr, leb' ewig wohl!

Ich höre die Schrecklichen nahn." 10. Und eh' noch dem Ritter das Wort entstohn, Da drängte die Menge sich nach; Da stürmten die Krieger, die wütenden, schon Gleich Wogen ins stille Gemach. „Ich weiß, was ihr fordert, und bin bereit; Ja, werft mich ins schäumende Meer! Doch wisset, das rettende Ziel ist nicht weit, Gott schütze dich, irrendes Heer!" 11.

Dumpf klirrten die Schwerter, ein wüstes Geschrei

Erfüllte mit Grausen die Luft;

Der Edle bereitet sich still und frei Zum Weg in die flutende Gruft. Gelöst war nun jedes geheiligte Band; Schon sah sich zum schwindelnden Rand Der treffliche Führer gerissen, und — Land! Land! rief es und donnert' es, Land! 12. Ein glänzender Streifen, mit Purpur gemalt, Erschien dem beflügelten Blick; Vom Golde der steigenden Sonne bestrahlt,

Erhob sich das winkende Glück:

Was kaum noch geahnet der zagende Sinn, Was mutvoll der Große gedacht! —

Brentano.

10 [II]

Sie stürzten zu Füßen dem Herrlichen hin

Und priesen die göttliche Macht.

Clemens Brentano geb. 8. IX. 1778 zu Ehrenbreitstein, t 28. VII. 1842 zu Aschaffenburg.

9. (Reg. II, 33.)

Die Gottesmauer.

[L. u. N. 3, 162; L. 1, 20; Kehr 280.]

1. Draus bei Schleswig vor der Pforte Wohnen armer Leute viel, Ach, des Feindes wilder Horde Werden sie das erste Ziel. Waffenstillstand ist gekündet, Dänen ziehen ab zur Nacht. Ruffen, Schweden sind verbündet, Brechen her mit wilder Macht. Draus bei Schleswig, weit vor allen, Steht ein Häuslein ausgesetzt. 2. Draus bei Schleswig in der Hütte Singt ein frommes Mütterlein: „Herr, in deinen Schoß ich schütte

Alle meine Angst und Pein." Doch ihr Enkel, ohn' Vertrauen,

Zwanzigjährig, neuster Zeit, Will nicht auf den Herren bauen, Meint, der liebe Gott wohnt weit. Draus bei Schleswig in der Hütte

Singt ein frommes Mütterlein.

3. „Eine Mauer um uns baue," Singt das fromme Mütterlein,

„Daß dem Feinde vor uns graue, Hüll' in deine Burg uns ein." „Mutter,"

spricht der Weltge­

sinnte, „Eine Mauer uns ums Haus Kriegt unmöglich so geschwinde Euer lieber Gott heraus."

„Eine Mauer um uns baue,"

Singt das fromme Mütterlein. 4. „Enkel, fest ist mein Ver­

trauen, Wenn's dem lieben Gott gefällt, Kann er uns die Mauer bauen, Was er will, ist wohl bestellt."

Trommeln

romdidom rings prasseln, Die Trompeten schmettern drein, Roffe wiehern, Wagen raffeln, Ach, nun bricht der Feind herein. „Eine Mauer um uns baue,"

Singt das fromme Mütterlein. 5. Rings in alle Hütten brechen

Schweb' und Russe mit Geschrei, Lärmen, fluchen, drängen, zechen, Doch dies Haus ziehn sie vorbei.

Bürger. Und der Enkel spricht in Sorgen: „Mutter, uns verrät das Lied," Aber sieh, das Heer vom Morgen Bis zur Nacht vorüber zieht. „Eine Mauer um uns baue," Singt das fromme Mütterlein. 6. Und am Abend tobt der Winter, An das Fenster stürmt der Nord, „Schließt den Laden, liebe Kinder!" Spricht die Alte, und singt fort. Aber mit den Flocken fliegen Vier Kosackenpulke an, Rings in allen Hütten liegen Sechzig, auch wohl achtzig Mann. „Eine Mauer um uns baue," Singt das fromme Mütterlein. 7. Bange Nacht voll Kriegs­ getöse, Wie es wiehert, brüllet, schwirrt, Kantschuhhiebe, Kolbenstoße, Weh! des Nachbarn Fenster klirrt. Hurrah, Stupai,Boschka, Kurwa, Schnaps und Branntwein, Rum und Rack,

[II] 11

Schreit und flucht und plackt die Turba, Erst am Morgen zieht der Pack. „Eine Mauer um uns baue," Singt das fromme Mütterlein. 8. „Eine Mauer um uns baue," Singt sie fort die ganze Nacht; Morgens wird es still: „O schaue, Enkel, was der Nachbar macht." Auf nach innen geht die Thüre, Nimmer käm> er sonst hinaus; Daß er Gottes Allmacht spüre, Lag der Schnee wohl mannshoch draus. „Eine Mauer um uns baue," Sang das fromme Mütterlein. 9. „Ja, der Herr kann Mauern bauen, Liebe, fromme Mutter komm Gottes Mauer anzuschauen!" Rief der Enkel und ward fromm. Achtzehnhundertvierzehn war es, Als der Herr die Mauer baut, In der fünften Nacht des Jahres. Selig, wer dem Herrn vertraut! „Eine Mauer um uns baue," Sang das fromme Mütterlein.

Gottfried August Bürger geb. 31. XII. 1747 zu Molmerswende am Harz, f 8. VI. 1794 zu Göttingen.

10. Der brave Mann. (Gekürzt.) (Reg. II, 33.) [®. 1,296; L. u. N. 2, 154; L. 1, 31; D. 2, 12; Kr. 13; Kehr 283.] 1. Der Tauwind kam vom Mittagsmeer Und schnob durch Welschland trüb und feucht;

12 [II]

Bürger. Die Wolken flogen vor ihm her, Wie wenn der Wolf die Herde scheucht. Er fegte die Felder, zerbrach den Forst;

Auf Seeen und Strömen das Grundeis borst. 2. Am Hochgebirge schmolz der Schnee:

Der Sturz von tausend Wasiern scholl; Das Wiesenthal begrub ein See; Des Landes Heerstrom wuchs und schwoll; Hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis, Und rollten gewaltige Felsen Eis. 3. Auf Pfeilern und auf Bogen schwer,

Aus Quaderstein von unten auf, Lag eine Brücke drüber her, Und mitten stand ein Häuschen drauf. Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind: „O Zöllner, o Zöllner, entfleuch geschwind!" 4. Es dröhnt und dröhnte dumpf heran; Laut heulten Sturm und Wog' ums Haus. Der Zöllner sprang zum Dach hinan Und blickt' in den Tumult hinaus. „Barmherziger Himmel, erbarme dich!

Verloren! verloren! wer rettet mich?" — 5. Die Schollen rollten, Schuß auf Schuß, Von beiden Ufern, hier und dort, Von beiden Ufern riß der Fluß Die Pfeiler samt den Bogen fort. Der bebende Zöllner mit Weib und Kind, Er heulte noch lauter als Strom und Wind. 6. Die Schollen rollten, Stoß auf Stoß, An beiden Enden, hier und dort,

Zerborsten und zertrümmert, schoß Ein Pfeiler nach dem andern fort. Bald nahte der Mitte der Umsturz sich. — „Barmherziger Himmel, erbarme dich!"

7.

Hoch auf dem fernen Ufer stand

Ein Schwarm von Gaffern, groß und klein,

Bürger.

[II] 18

Und jeder schrie und rang die Hand, Doch mochte niemand Retter sein. Der bebende Zöllner mit Weib und Kind Durchheulte nach Rettung den Strom und Wind. — 8. Rasch galoppiert' ein Graf hervor, Auf hohem Roß ein edler Graf. Was hielt des Grasen Hand empor?

Ein Beutel war es, voll und straff.

„Zweihundert Pistolen sind zugesagt Dem, welcher die Rettung der Armen wagt." 9. Und immer höher schwoll die Flut, Und immer lauter schnob der Wind, Und immer tiefer sank der Mut. — O Retter, Retter, komm geschwind! Stets Pfeiler bei Pfeiler zerborst und brach; Laut krachten und stürzten die Bogen nach. 10. „Halloh! halloh! frisch auf gewagt!" Hoch hielt der Graf den Preis empor. Ein jeder hört's, doch jeder zagt; Aus tausenden tritt keiner vor. Vergebens durchheulte mit Weib und Kind Der Zöllner nach Rettung den Strom und Wind. — 11. Sieh, schlecht und recht, ein Bauersmann Am Wanderstabe schritt daher, Mit grobem Kittel angethan, An Wuchs und Antlitz hoch und hehr. Er hörte den Grafen, vernahm sein Wort, Und schaute das nahe Verderben dort. 12. Und kühn in Gottes Namen sprang Er in den nächsten Fischerkahn; Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang Kam der Erretter glücklich an: Doch wehe! der Nachen war allzu klein, Der Retter von allen zugleich zu sein. 13. Und dreimal zwang er seinen Kahn,

Trotz Wirbel, Sturm und Wogendrang,

Bürger.

14 [II]

Und dreimal kam er glücklich an, Bis ihm die Rettung ganz gelang. Kaum kamen die letzten in sichern Port, So rollte das letzte Getrümmer fort. — 14. „Hier," rief der Graf, „mein wackrer Freund,

Hier ist dein Preis! komm her, nimm hin!" Sag' an, war das nicht brav gemeint? Bei Gott! der Graf trug hohen Sinn. Doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug

Das Herz, das der Bauer im Kittel trug. 15. „Mein Leben ist für Gold nicht feil, Arm bin ich zwar, doch eff' ich satt.

Dem Zöllner werd' eu'r Gold zu teil, Der Hab und Gut verloren hat!" So rief er mit herzlichem Biederton, Und wandte den Rücken und ging davon. —

11.

Die Kuh.

(Reg. II, 33.) 1.

(Um eine Strophe gekürzt.) [G. 1, 345; L. u. N. 2, 162.]

Frau Magdalis weint' auf ihr letztes Stück Brot;

Sie konnt' es vor Kummer nicht effen.

Ach, Witwen bekümmert oft größere Not, Als glückliche Menschen ermessen. 2. „Wie tief ich auf immer geschlagen nun bin! Was hab' ich, bist du erst verzehret?" — Denn, Jammer! ihr eins und ihr alles war hin,

Die Kuh, die bisher sie ernähret. — 3. Heim kamen mit lieblichem Schellengetön Die andern, gesättigt in Fülle:

Vor Magdalis Pforte blieb keine mehr stehn Und rief ihr mit sanftem Gebrülle.

4.

Wie Kindlein, welche der nährenden Brust

Der Mutter sich sollen entwöhnen, So klagte sie Abend und Nacht den Verlust, Und löschte ihr Lämpchen mit Thränen.

Bürger.

[II] 15

5. Sie sank auf ihr ärmliches Lager dahin In hoffnungslosem Verzagen,

Verwirrt und zerrüttet an jeglichem Sinn, An jeglichem Gliede zerschlagen.

6.

Doch stärkte kein Schlaf fie von Abend bis früh;

Schwer abgemüdet, im Schwalle Von ängstlichen Träumen, erschütterten sie Die Schläge der Glockenuhr alle. 7. Früh that ihr des Hirtenhornes Getön

Ihr Elend von neuem zu wiffen. „O Wehe, nun hab' ich nichts aufzustehn!" — So schluchzte sie nieder ins Kissen. 8. Sonst weckte des Hornes Geschmetter ihr Herz, Den Vater der Güte zu preisen; Jetzt zürnet' und hadert' entgegen ihr Schmerz Dem Pfleger der Witwen und Waisen. 9. Und horch! auf Ohr und auf Herz, wie ein Stein, Fiel's ihr mit dröhnendem Schalle; Ihr rieselt' ein Schauer durch Mark und Gebein:

Es dünkt' ihr wie Brüllen im Stalle. 10.

„O Himmel! verzeihe mir jegliche Schuld,

Und ahnde nicht meine Verbrechen!" Sie wähnt', es erhübe sich Geistertumult, Ihr sträfliches Zagen zu rächen.

11.

Kaum aber hatte vom schrecklichen Ton

Sich mählich der Nachhall verloren, So drang ihr noch lauter und deutlicher schon Das Brüllen vom Stalle zu Ohren. 12. „Barmherziger Himmel, erbarme dich mein, Und halte den Bösen in Banden!" Tief barg sie das Haupt in die Kiffen hinein,

Daß Hören und Sehen ihr schwanden. 13. Hier schlug ihr, indem fie im Schweiße zerquoll, Das bebende Herz wie ein Hammer; Und drittes noch lauteres Brüllen erscholl, Als wär's vor dem Bett in der Kammer.

Bürger.

16 [II] 14.

Nun sprang sie mit wildem Entsetzen heraus,

Stieß auf die Laden der Zelle; Schon strahlte der Morgen; der Dämmerung Graus

Wich seiner erfreulichen Helle. 15. Und als sie mit heiligem Kreuz sich versehn 7 „Gott helfe mir gnädiglich, Amen!" Da wagte sie's zitternd zum Stalle zu gehn In Gottes allmächtigem Namen. 16. O Wunder! hier kehrte die herrlichste Kuh, So glatt und so blank, wie ein Spiegel, Die Stirne mit silbernem Sternchen ihr zu: Dor Staunen entsank ihr der Riegel. 17. Dort füllte die Krippe frisch duftender Klee, Und Heu den Stall, sie zu nähren; Hier leuchtet' ein Eimerchen, weiß wie der Schnee, Die strotzenden Euter zu leeren. 18. Sie trug ein zierlich beschriebenes Blatt Um Stirn und Hörner gewunden: „Zum Troste der guten Frau Magdalis hat N. N. hierher mich gebunden." — 19. Gott hatt' es ihm gnädig verliehen, die Not Des Armen so wohl zu ermessen; Gott hatt' ihm verliehen ein Stücklein Brot: Das konnt' er allein nicht essen. — 20. „So," schwur mir ein Maurer, „so ist es geschehn!" Allein er verbot mir den Namen. Gott laß' es dem Edeln doch wohl ergehn!

Das bet' ich herzinniglich.

Amen!

Chamisso.

[II]

17

Adelbert von Chamifso geb. 31. I. 1781 auf Schloß Boncourt in Frankreich, f 21. Aug. 1838 zu Berlin.

12. (Reg. II, 8.)

Das Schloß Boncourt.

[ß. u. N. 3, 235; Gude 4, 244; ß. 1, 140.]

1. Ich träum' als Kind mich zurücke,

Und schüttle mein greises Haupt; Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder, Die lang ich vergessen geglaubt?

2. Hoch ragt

aus

schatt'gen

Gehegen Ein schimmerndes Schloß hervor,

Ich kenne die Türme, die Zinnen, Die steinerne Brücke, das Thor. 3. Es schauen vom Wappen­

schilde Die Löwen so traulich mich an, Ich grüße die alten Bekannten, Und eile den Burghof hinan.

4. Dort liegt die Sphinx am Brunnen, Dort grünt der Feigenbaum, Dort, hinter diesen Fenstern,

Verträumt' ich den ersten Traum. 5. Ich tret' in die Burgkapelle Und suche des Ahnherrn Grab,

13. (Reg. II, 20.)

Dort ist's, dorthängt vom Pfeiler Das alte Gewaffen herab.

6. Noch lesen umflort die Augen Die Züge der Inschrift nicht, Wie hell durch die bunten Scheiben

Das Licht darüber auch bricht.

7. So stehst du, o Schloß meiner

Väter, Mir treu und fest in dem Sinn, Und bist von der Erde verschwun­

den, Der Pflug geht über dich hin. 8.

Sei fruchtbar,

o

teurer

Boden, Ich segne dich mild und gerührt,

Und segn'ihn zwiefach, to er immer Den Pflug nun über dich führt. 9. Ich aber will auf mich raffen, Mein Saitenspiel in der Hand, Die Weiten der Erde durch­

schweifen, Und singen von Land zu Land.

Die alte Waschfrau.

[ß. u. N. 3, 227; Gude 3, 244; L. 1, 99; D. 1, 198; Förster 108.] 1.

Du siehst geschäftig bei dem Linnen

Die Alte dort in weißem Haar, Hessel, Miistergedichte.

18 [II]

Chamisso. Die rüstigste der Wäscherinnen

Im sechsundsiebenzigsten Jahr. So hat sie stets mit sauerm Schweiß Ihr Brot in Ehr' und Zucht gegessen, Und ausgefüllt mit treuem Fleiß Den Kreis, den Gott ihr zugemessen.

2. Sie hat in ihren jungen Tagen Geliebt, gehofft und sich vermählt;

Sie hat des Weibes Los getragen, Die Sorgen haben nicht gefehlt; Sie hat den kranken Mann gepflegt; Sie hat drei Kinder ihm geboren; Sie hat ihn in das Grab gelegt, Und Glaub' und Hoffnung nicht verloren. 3. Da galt's die Kinder zu ernähren; Sie griff es an mit heiterm Mut, Sie zog sie auf in Zucht und Ehren, Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.

Zu suchen ihren Unterhalt Entließ sie segnend ihre Lieben, So stand sie nun allein und alt, Ihr war ihr heitrer Mut geblieben. 4. Sie hat gespart und hat gesonnen Und Flachs gekauft und nachts gewacht, Den Flachs zu feinem Garn gesponnen. Das Garn dem Weber hingebracht; Der hat's gewebt zu Leinewand; Die Schere brauchte sie, die Nadel, Und nähte sich mit eigner Hand

Ihr Sterbehemde sonder Tadel. 5. Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es, Berwahrt's im Schrein am Ehrenplatz; Es ist ihr Erstes und ihr Letztes, Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.

Cie legt es an, des Herren Wort Am Sonntag früh sich einzuprägen;

Chamisso.

[II]

19

Dann legt fie's wohlgefällig fort, Bis sie darin zur Ruh' sie legen.

6.

Und ich, an meinem Abend, wollte,

Ich hätte, diesem Weibe gleich, Erfüllt, was ich erfüllen sollte In meinen Grenzen und Bereich;

Ich wollt', ich hätte so gewußt Am Kelch des Lebens mich zu laben,

Und könnt' am Ende gleiche Lust An meinem Sterbehemde haben.

14.

Die Soune bringt es au den Tag.

(Reg.II, 83.) [G.2, 535; L.u.N.8, 229; Gude4,244; L. 1,91;®. 1,193.] 1.

Gemächlich in der Werkstatt saß

Zum Frühtrunk Meister Nikolas, Die junge Hausfrau schenkt' ihm ein, Es war im heitern Sonnenschein. — Die Sonne bringt es an den Tag. 2. Die Sonne blinkt von der Schale Rand,

Malt zitternde Kringeln an die Wand, Und wie den Schein er ins Auge faßt, So spricht er für sich, indem er erblaßt:

Du bringst es doch nicht an den Tag. 3. Wer nicht? was nicht? die Frau fragt gleich, Was stierst du so an? was wirst du so bleich? Und er darauf: sei still, nur still; Jch's doch nicht sagen kann, noch will. 4.

Die Sonne bringt's nicht an den Tag. Die Frau nur dringender forscht und fragt,

Mit Schmeicheln ihn und Hadem plagt, Mit süßem und mit bitterm Wort, Sie fragt und plagt ihn fort und fort: Was bringt die Sonne nicht an den Tag? 5. Nein, nimmermehr! — Du sagst es mir noch. — Ich sag' es nicht. — Du sagst es mir doch. —

Chamisso.

20 [II]

Da ward zuletzt er rniib’ und schwach, Und gab der Ungestümen nach. —

6.

Die Sonne bringt es an den Tag. Auf der Wanderschaft, 's sind zwanzig Jähr',

Da traf es mich einst gar sonderbar,

Ich hatt' nicht Geld, nicht Ranzen, noch Schuh',

War hungrig und durstig und zornig dazu. — Die Sonne bringt's nicht an den Tag. 7. Da kam mir just ein Jud' in die Quer', Ringsher war's still und menschenleer: Du hilfst mir, Hund, aus meiner Not; Den Beutel her, sonst schlag' ich dich tot! Die Sonne bringt's nicht an den Tag. 8. Und er: vergieße nicht mein Blut, Acht Pfennige sind mein ganzes Gut! Ich glaubt' ihm nicht, und fiel ihn an; Er war ein alter, schwacher Mann. — Die Sonne bringt's nicht an den Tag. 9. So rücklings lag er blutend da; Sei» brechendes Aug' in die Sonne sah; Noch hob er zuckend die Hand empor. Noch schrie er röchelnd mir ins Ohr: Die Sonne bringt es an den Tag. 10. Ich macht' ihn schnell noch vollends stumm,

Und kehrt' ihm die Taschen um und um: Acht Pfenn'ge, das war das ganze Geld. Ich scharrt' ihn ein aus selbigem Feld — Die Sonne bringt's nicht an den Tag. 11.

Dann zog ich weit und weiter hinaus,

Kam hier ins Land, bin jetzt zu Haus. — Du weißt nun meine Heimlichkeit,

So halte den Mund und sei gescheit;

Die Sonne bringt's nicht an den Tag. 12. Wann aber sie so flimmernd scheint,

Ich merk' es wohl, was sie da meint, Wie sie sich müht und sich erbost, —

[II] 21

Chamisto. Du, schau' nicht hin, und sei getrost: Sie bringt es doch nicht an den Tag. 13. So hatte die Sonn' eine Zunge nun, Der Frauen Zungen ja nimmer ruhn. — Gevatterin, um Jesus Christ! Laßt euch nicht merken, was ihr nun wißt. — Nun bringt's die Sonne an den Tag. Die Raben ziehen krächzend zumal Nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl. Wen flechten fie aufs Rad zur Stund'? Was hat er gethan? wie ward es kund? Die Sonne bracht' es an den Tag. 14.

15. Tragische Geschichte. (Reg. II, 33.)

[Kr. 63.]

1. 's war einer, dem's zu Herzen ging, Daß ihm der Zopf so hinten hing, Er wollt' es anders haben. 2. So denkt er denn: wie fang' ich's an? Ich dreh' mich um, so ist's gethan —

Der Zopf, der hängt ihm hinten.

3. Da hat er flink fich umgedreht, Und wie es stund, es annoch steht — Der Zopf, der hängt ihm hinten. 4. Da dreht er schnell fich anders 'tum,

's wird aber noch nicht bester drum — Der Zopf, der hängt ihm hinten. 5. Er dreht sich links, er dreht fich rechts, Es thut nichts Gut's, es thut nichts Schlecht's —

Der Zopf, der hängt ihm hinten. 6. Er dreht sich wie ein Kreisel fort, Es hilft zu nichts, in einem Wort — Der Zopf, der hängt ihm hinten. 7. Und seht, er dreht sich immer noch,

Und denkt: es Hilst am Ende doch — Der Zopf, der hängt ihm hinten.

Claudius.

22 [II]

Matthias Claudius geb. 15. VIII. 1740 zu Rcinfeld in Holstein, f 21. I. 1815 zu Hamburg.

16.

Abendlied.

(Reg. II, 7.) [®. 1, 869; L. u. N. 2, 18; L. 1, 154; Förster 49.]

1. Der Mond ist aufgegangen,

Die goldnen Sternlein prangen

Am Himmel hell und klar; Der Wald steht schwarz und schweiget, Und aus den Wiesen steiget Der weiße Nebel wunderbar. 2. Wie ist die Welt so stille, Und in der Dämmrung Hülle So traulich und so hold! Als eine stille Kammer, Wo ihr des Tages Jammer Beischlafen und vergessen sollt. 3. Seht ihr den Mond dort stehen? — Er ist nur halb zu sehen.

Und ist doch rund und schön! So find wohl manche Sachen, Die wir getrost belachen,

Weil unsre Augen fie nicht sehn.

4. Wir stolze Menschenkinder Sind eitel arme Sünder, Und wissen gar nicht viel;

Und suchen viele Künste, Und kommen weitervon demZiel. 5. Gott, laß uns dein Hell schauen, Auf nichts Vergängliche trauen, Nicht Eitelkeit uns freun! Laß uns einfältig werden,

Und vor dir hier auf Erden Wie Kinder fromm und fröhlich

sein! 6. Wollst endlich sonderGrämen

Aus dieser Welt uns nehmen Durch einen sanften Tod! Und, wenn du uns genommen, Laß uns in Himmel kommen, Du unser Herr und unser Gott! 7.

So legt euch

denn, Brüder, In Gottes Namen nieder; Kalt ist der Abendhauch.

Verschon' uns, Gott! mit Strafen,

Und laß uns rühig schlafen! Und unsern kranken Nachbar auch!

Wir spinnen Luftgespinste,

17.

Die Steruseherin Life.

(Reg. II, 7, 21.)

ihr

[S. u. N. 2, 20; L. 1, 153.]

1. Ich sehe oft um Mitternacht, Wenn ich mein Werk gethan,

Claudius.

[II] 23

Und niemand mehr im Hause wacht,

Die Stern' am Himmel an. 2. Sie gehn da, hin und her zerstreut, Als Lämmer auf der Flur; In Rudeln auch, und aufgereiht Wie Perlen an der Schnur; 3. Und funkeln alle weit und breit, Und funkeln rein und schön; Ich seh' die große Herrlichkeit Und kann nicht satt mich sehn. —

4. Dann saget — unterm Himmelszelt — Mein Herz mir in der Brust: „Es gibt was Bessers in der Welt, Als all ihr Schmerz und Lust." 5. Ich werf' mich auf mein Lager hin Und liege lange wach, Und suche es in meinem Sinn, Und sehne mich darnach.

18.

Christiane.

(Reg. II, 22, 27.) 1. Es stand ein Sternlein am

Himmel, Ein Sternlein guter Art, Das thät so lieblich scheinen, So lieblich und so zart! 2. Ich wußte seine Stelle Am Himmel, wo es stand, Trat abends vor die Schwelle Und suchte, bis ich's fand;

[L. 1, 151.]

3. Und blieb dann lange stehen, Hatt' große Freud in mir,

Das Sternlein anzusehen, Und dankte Gott dafür. 4. Das Sternlein ist verschwun­ den; Ich suche hin und her, Wo ich es sonst gefunden, Und find' es nun nicht mehr.

24 [II]

Eichendorfs.

Joseph Freiherr von Eichendorff geb. 10. in. 1788 zu Lubowitz (Schlesien), -f-26. XL 1857 zu Neiße.

19.

Reiselied.

(Reg. II, 8.)

1. Durch Feld

und Buchen­

hallen,

Bald singend, bald fröhlich still, Recht lustig sei vor allen, Wer's Reisen wählen will! 2. Wenn's kaum im Osten glühte, Die Welt noch still und weit, Da weht recht durchs Gemüte

Die schöne Blütenzeit! 3. Die Lerch' als Morgenbote Sich in die Lüfte schwingt, Eine frische Reisenote

Durch Wald und Herz erklingt.

2«.

[Förster 33.]

Berg zu schauen Weit über Wald und Strom, Hoch über sich den blauen, Tiefklaren Himmelsdom! 5. Vom Berge Vöglein fliegen Und Wolken so geschwind, Gedanken überfliegen Die Vögel und den Wind. 6. Die Wolken ziehn hernie­ der, Das Vöglein senkt sich gleich, Gedanken gehn und Lieder Fort bis ins Himmelreich. 4.

O Lust,

vom

Der Jäger Abschied. (Reg. II, 10.)

1.

Wer hat dich, du schöner

Wald, Aufgebaut so hoch da droben? Wohl den Meister will ich loben, So lang noch mein' Stimm' er­ schallt. Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald!

2. Tief die Welt verworren schallt, Oben einsam Rehe grasen,

Und wir ziehen fort und blasen,

Daß es tausmdfach verhallt:

Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald! 3. Banner, der so kühle wallt! Unter deinen grünen Wogen Hast du treu uns aufgezogen, Frommer Sagen Aufenthalt! Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald! 4. Was wir still gelobt im

Wald, Wollen's draußen ehrlich halten,

de la Motte Fouque.

Ewig bleiben treu die Alten: Deutsch Panier, das rauschend wallt,

[II] 25

Lebe wohl, Schirm' dich Gott, du schöner Wald!

21. Der frohe Wandersmann. (Reg. II, 8.) [L. u. N. 3, 218; Förster 30.] 1. Wem Gott will rechte Gunst erweisen, Den schickt er in die weite Welt; Dem will er seine Wunder weisen In Berg und Wald und Strom und Feld. 2. Die Trägen, die zu Hause liegen, Erquicket nicht das Morgenrot, Sie wissen nur von Kinderwiegen, Von Sorgen, Last und Not um Brod. 3. Die Bächlein von den Bergen springen, Die Lerchen schwirren hoch vor Lust, Was sollt' ich nicht mit ihnen singen Aus voller Kehl' und frischer Brust? 4. Den lieben Gott lass' ich nur walten; Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld Und Erd' und Himmel will erhalten, Hat auch mein Sach' aufs best' bestellt!

Friedrich Baron de la Motte Fouquä geb. 12. II. 1777 zu Brandenburg, f 23. I. 1843 zu Berlin.

22.

Kriegslied der freiwilligen Jäger. (Reg. II, 17, 45.)

1. Frisch auf zum fröhlichen Jagen, es ist nun an der Zeit; Es fängt nun an zu tagen, der Kampf ist nicht mehr weit! Auf! laßt die Faulen liegen, laßt sie in ihrer Ruh! Wir rücken mit Vergnügen dem lieben König zu. 2. Der König hat gesprochen: Wo sind meine Jäger nun? Da find wir aufgebrochen, ein wackres Werk zu thun.

de la Motte Fouque.

26 [II]

Wir woll'n ein Heil erbauen für all das deutsche Land, Im frohen Gottvertrauen mit rüstig starker Hand. 3. Schlaft ruhig nun, ihr Lieben am väterlichen Herd, Derweil mit Feindeshieben wir ringen, keck bewehrt. O Wonne, die zu schützen, die uns die liebsten find. Hei! laßt Kanonen blitzen! ein frommer Mut gewinnt. 4. Die mehrsten ziehn einst wieder zurück in Sieger-Reihen; Dann tönen Jubellieder, das wird 'ne Freude sein! Wie glühn davon die Herzen so froh und stark und weich! Wer fällt, der kann's verschmerzen, der hat das Himmelreich. 5. Ins Feld, ins Feld gezogen zu Roß und auch zu Fuß!

Gott ist uns wohlgewogen, Ihr Jäger all' zusammen, Die Freudenfeuer flammen,

83.

schickt manchen hohen Gruß. dringt lustig in den Feind, die Lebenssonne scheint.

Turmwächterlied. (Reg. II, 13.)

1. Am gewaltigen Meer In der Mitternacht,

Wo schwindelt am Riff Des Wanderers Gang,

Wo der Wogen Heer

Daß oben ein Mensch hier wacht!

An die Felsen kracht,

3. Ein kräftiger Mann, Recht frisch bereit,

Da schau' ich vom Turm hinaus.

Ich erheb' einen Sang Aus starker Brust Und mische den Klang In die wilde Lust, In die Nacht, in den Sturm, in den Graus. 2. Dringe durch, dringe durch Recht freudenvoll,

Mein Lied, von der Burg In das Sturmgeroll! Verkünd' es weit durch die Nacht, Wo schwanket ein Schiff Durch die Flut entlang,

Wo er helfen kann, Zu wenden das Leid Mit Ruf, mit Leuchte, mit Hand.

Ist zu schwarz die Nacht, Ist zu fern der Ort, Da schickt er mit Macht

Seine Stimme fort Mit Trost über See und Land. 4. Wer auf Wogen schwebt — Sehr leck sein Kahn — Wer im Walde bebt,

Wo sich Räuber nahn, Der denke: Gott Hilst wohl gleich.

[II] 27

Freiligrath. Wen das wilde Meer Schon hinunterschlingt,

In die Hüfte dringt, Der benf an das Himmel­

Wem des Räubers Speer

reich!

24.

Trost.

(Reg. II, 21, 45.) 1.

wie du gewollt es hast, und gäb' dir keine Last:

Wenn alles eben käme,

Und Gott dir gar nichts nähme,

Wie wär's da um dein Sterben, du Menschenkind, bestellt? Du müßtest fast verderben, so lieb toär) dir die Welt! 2.

Nun fällt, eins

nach dem andern,

manch süßes Band

dir ab, Und heiter kannst du wandern gen Himmel durch das Grad. Dein Zagen ist gebrochen, und deine Seele hofft; —

Dies ward schon oft gesprochen,

doch spricht man's nie zu oft.

Ferdinand Freiligrath geb. 17. VI. 1810 zu Detmold, f 18. III. 1876 zu Cannstatt.

25. (Reg. II, 8, 10.) 1.

Auf des

Die Tanne.

[£. U. N. 3, 544; L. 1, 258.]

I. Berges höchster

Spitze Steht die Tanne, schlank und grün,

Sind der Edeltann^ gewaltige,

Regenschwangre Nadelkissen.

4. Tief in ihren Wurzelknollen,

Durch der Felswand tiefste Ritze

In den faserigen, braunen, Winzig klein, und reich an tollen

Läßt sie ihre Wurzeln ziehn; 2. Nach den höchsten Wolken­

Launen, wohnen die Alraunen, 5. Die des Berges Grund be­

bällen

Läßt sie ihre Wipfel schweifen, Als ob sie die vogelschnellen Mit den Armen wollte greifen.

3. Ja, der Wolken vielgestaltige

Streifen, flatternd und zerrissen,

fahren Ohne Eimer, ohne Leitern,

Und in seinen wunderbaren Schachten die Metalle läutern. 6. Wirr läßt sie hinunterhangen Ihre Wurzeln ins Gewölbe;

Freiligrath.

28 pi]

Diamanten sieht sie prangen,

Und des Goldes Glut, die gelbe. 7. Aber oben mit den dunkeln Ästen sieht sie schönres Leben; Sieht durch Laub die Sonne

funkeln, Und belauscht des Geistes Weben, 8. Der in diesen stillen Bergen Regiment und Ordnung hält. Und mit seinen klugen Zwergen

Alles leitet und bestellt; 9. Oft zur Zeit der Sonnen­

wenden Nächtlich ihr vorübersaust. Eine Wildschur um die Lenden, Eine Kiefer in der Faust. 10. Sie vernimmt mit leisen Ohren, Wie die Vögel sich besprechen; Keine Silbe geht verloren Des Gemurmels in den Bächen.

14. O, Wohl magst du lieblich wehen! O,wohlmagst dutrotzig rauschen! Einsam auf des Berges Höhen Stark und immergrün zu stehen— Tanne, könnt' ich mit dirtauschen!

II. 1. Inmitten der Fregatte Hebt sich der starke Mast, Mit Segel, Flagg' und Matte; Ihn beugt der Jahre Last. 2. Der schaumbedeckten Welle Klagt zürnend er sein Leid: „Was hilft mir nun dies helle, Dies weiße Segelkleid? 3. Was helfen mir die Fahnen,

O, Wohl magst du deine Zapfen Freudig schütteln in die Loden! 13. O, Wohl magst du gelben

Die schwanken Leiterstricke? Ein starkes innres Mahnen Zieht mich zum Forst zurücke. 4. In meinen jungen Jahren Hat man mich umgehauen; Das Meer sollt' ich befahren Und fremde Länder schauen. 5. Ich habe die See befahren; Meerkön'ge sah ich thronen; Mit schwarzen und blonden Haaren Sah ich die Nationen. 6. Isländisch Moos im Norden Grüßt' ich auf Felsenspalten;

Harzes Duft'ge Tropfen niedersprengen,

MitPalmenaufsüdlichenBorden Hab Zwiesprach ich gehalten.

Und

dem Heimat­ berge Zieht mich ein starker Zug,

11. Offen liegt vor ihr der stille

Haushalt da der wilden Tiere.

Welcher Friede, welche Fülle In dem schattigen Reviere! 12. Menschen fern; nur Rot­ wildstapfen Aufdem moosbewachs'nenBoden!

dein

straffes,

grünlich

schwarzes Haar mit Morgentau behängen!

7. Doch

nach

Freiligrath. Wo ich ins Reich der Zwerge

O grüne Einsamkeit!

Die haarigen Wurzeln schlug.

O blumenreiche Halde!

8. O stilles Leben im Walde!

26. (Reg. II, 8, 20.) 1.

Wie weit seid ihr, wie weit!"

Die Auswanderer.

[Gude 2, 304; L. 1, 227; D. 3, 124; Förster 151.]

Ich kann den Blick nicht von euch wenden;

Ich muß euch anschaun immerdar:

Wie reicht ihr mit geschäftigen Händen Dem Schiffer eure Habe dar!

2. Ihr Männer, die ihr von dem Nacken Die Körbe langt, mit Brot beschwert, Das ihr aus deutschem Korn gebacken, Geröstet habt auf deutschem Herd; 3. Und ihr, im Schmuck der langen Zöpfe,

Ihr Schwarzwaldmädchen, braun und schlank, Wie sorgsam stellt ihr Krug' und Töpfe

Auf der Schaluppe grüne Bank! 4. Das sind dieselben Töpft und Krüge, Oft an der Heimat Born gefüllt! Wenn am Missouri alles schwiege, Sie malten euch der Heimat Bild: 5. Des Dorfes steingefaßte Quelle, Zu der ihr schöpfend euch gebückt, Des Herdes traute Feuerstelle,

Das Wandgesims, das sie geschmückt. 6. Bald zieren sie im fernen Westen

Des leichten Bretterhauses Wand; Bald reicht sie müden, braunen Gästen,

Voll frischen Trunkes, eure Hand. 7. Es trinkt daraus der Tscherokese, Ermattet, von der Jagd bestaubt; Nicht mehr von deutscher Rebenlese Tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt. 8.

[II] 29

O sprecht! warum zogt ihr von dannen?

30 [II]

Freiligrath.

Das Neckarthal hat Wein und Korn; Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen, Im Speffart klingt des Älplers Horn. 9. Wie wird es in den fremden Wäldern Euch nach der Heimatberge Grün, Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern, Nach seinen Rebenhügeln ziehn! 10. Wie wird das Bild der alten Tage Durch eure Träume glänzend wehn! Gleich einer stillen, frommen Sage Wird es euch vor der Seele stehn.

11. Der Bootsmann winkt! — Zieht hin in Frieden: Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis! Sei Freude eurer Brust beschieden, Und euren Feldern Reis und Mais!

27.

Löwenritt.

(Reg. II, 18.) [L. u. N. 3, 639; Gude 2, 291; L. 1, 216; D. 1, 203.] 1.

Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen,

Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen. Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre;

Zitternd über dem Gewalt'gen rauscht das Laub der Sycomore. 2. Abends, wenn die Hellen Feuer glühn im Hottentottenkrale, Wenn des jähen Tafelberges bunte, wechselnde Signale Nicht mehr glänzen, wenn der Kaffer einsam schweift durch die Karru, Wenn im Busch die Antilope schlummert, und am Strom das Gnu: 3. Sieh, dann schreitet majestätisch durch die Wüste die Giraffe,

Daß mit der Lagune trüben Fluten sie die heiße, schlaffe Zunge kühle; lechzend eilt sie durch der Wüste nackte Strecken, Knieend schlürft sie langen Halses aus dem schlammgefüllten Becken. 4. Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken Springt der Löwe; welch ein Reitpferd! sah man reichere Scha­

bracken

Freiligrath.

[II]

31

In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen,

Als das bunte Fell des Renners, den der Tiere Fürst bestiegen?

5.

In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne;

Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne.

Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt; Sieh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt. 6. Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten

Füßen! Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fließen An dem braungefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen,

Und das Herz des flüchtigen Tieres hört die stille Wüste klopfen.

7.

Gleich der Wolke, deren Leuchten Israel im Lande Demen

Führte, wie ein Geist der Wüste, wie ein fahler, luftiger Schemen,

Eine sandgeformte Trombe in der Wüste sandigem Meer, Wirbelt eine gelbe Säule Sandes hinter ihnen her.

8.

Ihrem Zuge folgt der Geier;

krächzend schwirrt er durch

die Lüfte;

Ihrer Spur folgt die Hyäne, die Entweiherin der Grüfte; Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberisch verheerte; Blut und Schweiß bezeichnen ihres Königs grausenvolle Fährte.

9.

Zagend auf lebend'gem Throne sehn sie den Gebieter sitzen,

Und mit scharfer Klaue seines Sitzes bunte Polster ritzen.

Rastlos, bis die Kraft ihr schwindet, muß ihn die Giraffe tragen; Gegen einen solchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen. 10.

Taumelnd an der Wüste Saume stürzt sie hin, und röchelt

leise. Tot, bedeckt mit Staub und Schaume, wird das Roß des Reiters Speise.

Ueber Madagaskar, fern im Osten, sieht man Frühlicht glänzen; — So durchsprengt der Tiere König nächtlich seines Reiches Grenzen.

28.

(Reg. II, 17.)

Die Trompete von Bionville.

[L. u. N. 3, 551; L. 1, 268; D. 3, 142.]

1. Sie haben Tod und Verderben gespieen: Wir haben es nicht gelitten.

Frciligrath.

32 [II]

Zwei Kolonnen Fußvolk, zwei Batterie'n,

Wir haben sie niedergeritten. 2. Die Säbel geschwungen, die Zäume verhängt, Tief die Lanzen und hoch die Fahnen, So haben wir sie zusammengesprengt, — Kürassiere wir und Ulanen. 3. Doch ein Blutritt war es, ein Todesritt,

Wohl wichen sie unsern Hieben, Doch von zwei Regimentern, was ritt und was stritt,

Unser zweiter Mann ist geblieben. 4. Die Brust durchschossen, die Stirn zerklafft, So lagen sie bleich aus dem Rasen, In der Kraft, in der Jugend dahingerafft, — Nun Trompeter, zum Sammeln geblasen! 5. Und er nahm die Trompet', und er hauchte hinein; Da — die mutig mit schmetterndem Grimme Uns geführt in den herrlichen Kampf hinein, Der Trompete versagte die Stimme! 6. Nur ein klanglos Wimmern, ein Schrei voll Schmerz Entquoll dem metallenen Munde; Eine Kugel hatte durchlöchert ihr Erz, — Um die Toten klagte die wunde! 7. Um die Tapfern, die Treuen, die Wacht am Rhein, Um die Brüder, die heut gefallen, —

Um sie alle, es ging uns durch Mark und Bein, Erhub sie gebrochenes Lallen. 8. Und nun kam die Nacht, und wir ritten hindann, Rundum die Wachtfeuer lohten;

Die Roffe schnoben, der Regen rann, — Und wir dachten der Toten, der Toten!

sr». Aus dem schlesischen Gebirge. (Reg. II, 20, 33.) [L. u. N. 3, 537; L. 1, 243.]

1.

„Nun werden grün die Brombeerhecken;

Hier schon ein Veilchen, welch ein Fest!

Freiligrath.

[II] SS

Die Amsel sucht sich dürre Stecken, Und auch der Buchfink baut sein Nest.

Der Schnee ist überall gewichen, Die Koppe nur fieht weiß ins Thal; Ich habe mich von Haus geschlichen,

Hier ist der Ort — ich wag's einmal: Rübezahl! 2. Hört er's? ich seh ihm dreist entgegen! Er ist nicht bös; auf diesen Block Will ich mein Leinwandpäckchen legen — Es ist ein richt'ges volles Schock! Und fein! ja, dafür kann ich stehen! Kein besseres wird gewebt im Thal, — Er läßt sich immer noch nicht sehen; Drum frischen Mutes noch einmal: Rübezahl! 3. Kein Laut — ich bin ins Holz gegangen, Daß er uns hilft in unsrer Not. O, meiner Mutter blaffe Wangen — Im ganzen Haus kein Stückchen Brot! Der Vater schritt zu Markt mit Fluchen —

Fänd' er doch Käufer nur einmal! Ich will's mit Rübezahl versuchen — Wo bleibt er nur? zum dritten Mal:

Rübezahl! 4. Er half so vielen schon vor Zeiten, Großmutter hat mir's oft erzählt; Ja, er ist gut den armen Leuten, Die unverschuldet Elend quält.

So bin ich froh denn hergelaufen Mit meiner richt'gen Ellenzahl; Ich will nicht betteln, will verkaufen! O, daß er käme! — Rübezahl!

Rübezahl! 5. Wenn dieses Päckchen ihm gefiele, Vielleicht gar bät' er mehr sich aus; Hessel, Mustergedichte.

8

34 [II]

Freiligrath. Das wär' mir recht, ach gar zu viele Gleich schöne liegen noch zu Haus!

Die nahm' er alle bis zum letzten. Ach, fiel' auf dies doch seine Wahl! Da löst' ich ein selbst die versetzten —

Das wär' ein Jubel! Rübezahl! Rübezahl! 6. Dann trät' ich froh ins kleine Zimmer Und riefe: Vater, Geld genug!

Dann flucht' er nicht, dann sagt' er nimmer: Ich web' euch nur ein Hungertuch! Dann lächelte die Mutter wieder,

Und tischt' uns auf ein reichlich Mahl; Dann jauchzten meine kleinen Brüder — O käm', o käm' er! Rübezahl! Rübezahl!" 7. So rief der dreizehnjähr'ge Knabe; So stand und rief er, matt und bleich. Umsonst! nur dann und wann ein Rabe Flog durch des Gnomen altes Reich. So stand und paßt' er Stund auf Stunde, Bis daß es dunkel ward im Thal, Und er halblaut mit zuckendem Munde Ausrief durch Thränen noch einmal: Rübezahl! 8. Dann ließ er still das buschige Fleckchen Und zitterte, und sagte: Hu! Und schritt mit seinem Leinwandpäckchen

Dem Jammer seiner Heimat zu. Oft ruht' er aus auf moos'gen Steinen,

Matt von der Bürde, die er trug. Ich glaub', sein Vater webt dem Kleinen

Zum Hunger- bald das Leichentuch. Rübezahl?!

[II] 35

Fröhlich.

Abraham Emanuel Fröhlich geb. 1. II. 1796 zu Brugg in der Schweiz, f 1. XII. 1865 zu Gabenstorf bei Aarau.

30.

Wiederfinden.

(Reg. II, 24.)

[L. u. N. 3, 509.]

Weithin auf des Stromes Pfa­

„O du lieblicher Geselle," Sprachen Blumen zu der Welle, „Eile doch nicht von der Stelle!"

den, Mich im Meere jung zu baden. Aber dann will ich vom Blauen

Aber jene sagt' dawider: „Ich muß in die Lande nieder,

3t.

Wieder auf euch niedertauen."

Die Nützlichen.

(Reg. II, 24.)

[L. u. N. 3, 510.]

„Unkraut seid ihr," sprachen

Wenn

das

Aehren

Zu der Korn- und Feuer-Blume;

„Und ihr dürfet euch vermessen Selbst von unserm Boden näh­ rend"

„Wir sind

einzig hilft zum Ruhme,"

Sagten diese Wohlgemuten; „Aber wir erblühn hieneben, Euer Einerlei, ihr Guten,

Mannigfarbig zu beleben."

freilich nicht zum

Essen,

32. (Reg. II, 24.)

Turnen. [L. u. N. 3, 510.]

„Schwing' mir die Buben und schwing' sie mir stark!"

Ruft dem Winde der Wald; „Klagen sie gleich in müdem Gestöhn,

Laß mir nicht ab sobald! Also nur wurzelt ihr Fuß, und mit Mark Füllet sich Arm und Brust; Und sie wachsen zu stolzen Höhn, Mir eine Herzenslust. Denn ich hasse die Zwergenart,

86

[II]

Geibel.

So die sumpfige Kluft Eingewindelt vor Wetter bewahrt Immer in Stubenluft.

Fahl und kahl in des Frühlings Saft Hat schon ein Lüftchen sie umgerafft."

33.

Lebensworte. [L. u. N. 3, 510.]

(Reg. II, 24.)

Zu dem vollen Rosenbaume Sprach der nahe Leichenstein: „Ist es recht, in meinem Raume Groß zu thun und zu verhüllen MeinerSprüche goldnenSchein?" „Auch aus Grüften," sagt die Blüte,

34. (Reg. II, 24.)

„Ruft mich Gottes Macht und Güte, Heller noch, denn tote Schriften Sein Gedächtnis hier zu stiften.

Und ich blühe tröstend fort, Ein lebendig Gotteswort!"

Wörterkur.

[L. u. N. 3, 510; L. 1, 284.]

„AberWörter sind's doch nicht,

Was du fingest", also spricht

Zu der Nachtigall der Star, Dem gelöst die Zunge war, Der auch mit den Wörtern bald

Will bekehren seinen Wald. — „'s ist drum," sagt sie, „sonderbar, Daß so viel zum Herzen dringt,

Was man nicht in Worte bringt."

Emanuel Geibel geb. 18. X. 1815 zu Lübeck, lebt zu Lübeck.

35.

Friedrich Rotbart. (Reg. II, 30.)

1. Tief im Schoße des Kyff-

2. Ihn umwallt der Purpur­

häusers Bei der Ampel rotem Schein Sitzt der alte Kaiser Friedrich An dem Tisch von Marmorstein.

mantel, Ihn umfängtderRüstung Pracht,

Doch auf seinen Augenwimpern Liegt des Schlafes tiefe Nacht.

[II] 37

Geibel.

3. Vorgesunken ruht das Antlitz, Drin sich Ernst und Milde paart,

8. Bis der Adler stolzen Fluges Um des Berges Gipfel zieht,

Durch denMarmortisch gewachsen

Daß vor seines Fittichs Rauschen

Ist sein langer, goldner Bart.

Dort derRabenschwarm entflieht.

4. Rings

wie

eh'rne

Bilder

9. Aber dann wie ferner Donner Rollt es durch den Berg herauf,

stehen

Und

Seine Ritter um ihn her,

der

Kaiser

greift

zum

Schwerte,

Harnischglänzend, schwertumgür-

Und die Ritter Wachen auf.

tet, Aber tief im Schlaf, wie er.

10. Laut

5. Heinrich auch, derOfterdinger, Ist in ihrer stummen Schar, Mit den liederreichen Lippen, Mit dem blondgelockten Haar.

in

seinen

Angeln

dröhnend Thut sich auf das eherne Thor; Barbarossa mit den Seinen Steigt im Waffenschmuck empor.

6. Seine Harfe ruht dem Sänger

11. Auf dem Helm trägt er die

In der Linken ohne Klang;

Krone

Und den Sieg in seiner Hand;

Doch auf seiner hohen Stirne Schläft ein künftiger Gesang.

Schwerterblitzen, Harfen klingen,

7. Alles schweigt, nur hin und

Wo er schreitet durch das Land.

wieder Fällt ein Tropfen vom Gestein,

12. Und dem alten Kaiser beugen Sich die Völker allzugleich,

Bis der große Morgen plötzlich

Und aufs neu zu Aachen gründet

Bricht mit Feuersglut herein;

Er das heilige deutsche Reich.

36*

Bon des Kaisers Bart. (Reg. II, 33, 44.)

1. Im Schank zur goldnen Traube, da saßen im Monat Mai In blühender Rosenlaube guter Gesellen drei. Ein frischer Bursch war jeder,

der erff am Gurt das Horn,

Der zweit' am Hut die Feder,

der dritte mit Koller und Sporn.

2.

Es trug in funkelnden Kannen

Lustige Reden sie spannen,

der Wirt den Wein auf

den Tisch; und sangen und tranken frisch.

Da war auch einer drunter, Vom Kaiser Rotbart munter

der grüne Jägersmann, zu sprechen hub er an:

38 [II]

Geibel.

„Ich habe den Herrn gesehen am Rebengestade des Rheins, Wohl in den Dom nach Mainz. Das war ein Bild, der Alte, fürwahr von Kaiserart! Bis auf die Brust ihm wallte der lange, braune Bart." 3.

Zur Messe wollt' er gehen

4. Ins Wort fiel ihm der zweite, der mit dem Federhut: „Ei Bursch, bist du gescheite? dein Märlein ist nicht gut. Auch ich hab' ihn gesehen auf seiner Burg im Harz. Am Söller thät er stehen, sein Bart, sein Bart war schwarz." 5.

Da fuhr vom Sitz der dritte,

der Mann mit Koller und

Sporn, Und in der Zänker Mitte rief er in Hellem Zorn : „So geht mir doch zur Höllen, ihr Lügner! Glück zur Reis'! — Ich sah den Kaiser zu Köllen, sein Bart war weiß, war weiß!" 6. Das gab ein grimmes Zanken um Weiß und Schwarz

und Braun, Es sprangen die Klingen, die blanken, und wurde scharf gehaun. Verschüttet aus den Kannen floß der vieledle Wein,

Blutige Tropfen rannen aus leichten Wunden drein. 7. Und als es kam zum Wandern, ging jeder in zornigem Mut, Sah keiner nach dem andern, und waren sich jüngst so gut. Ihr Brüder, lernt das eine aus dieser schlimmen Fahrt: Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine, nicht um des Kaisers Bart!

37.

Der Zigeunerbnbe im Norden.

(Reg. II, 8, 20.) 1.

[8. 2, 21.]

Fern im Süd das schöne Spanien,

Spanien ist mein Heimatland, Wo die schattigen Kastanien Rauschen an des Ebro Strand,

Wo die Mandeln rötlich blühen, Wo die heiße Traube winkt, Und die Rosm schöner glühen, Und das Mondlicht goldner blinkt. 2. Und nun wandr' ich mit der Laute

Seibel. Traurig hier von Haus zu Haus, Doch kein helles Auge schaute

Freundlich noch nach mir heraus. Spärlich reicht man mir die Gaben,

Mürrisch heißet man mich gehn; Ach, den armen braunen Knaben Will kein einziger verstehn. 3. Dieser Nebel drückt mich nieder, Der die Sonne mir entfernt, Und die alten lust'gen Lieder Hab' ich alle fast verlernt. Immer in die Melodieen Schleicht der eine Klang sich ein: In die Heimat möcht' ich ziehen. In das Land voll Sonnenschein! 4. Als beim letzten Erntefeste Man den großen Reigen hielt, Hab' ich jüngst das allerbeste

Meiner Lieder aufgespielt. Doch wie sich die Paare schwangen In der Abendsonne Gold,

Sind auf meine dunkeln Wangen Heiße Thränen hingerollt. 5. Ach, ich dachte bei dem Tanze

An des Vaterlandes Lust, Wo im duft'gen Mondenglanze

Freier atmet jede Brust, Wo sich bei der Zither Tönen

Jeder Fuß beflügelt schwingt, Und der Knabe mit der Schönen Glühend den Fandango schlingt. 6. Nein! des Herzens sehnend Schlagen Länger halt' ich's nicht zurück; Will ja jeder Lust entsagen, Laßt mir nur der Heimat Glück! Fort zum Süden! fort nach Spanien!

[II] 39

Geibel.

40 [II]

In das Land voll Sonnenschein! Unterm Schatten der Kastanien

Muß ich einst begraben sein.

38.

Hoffnung.

(Reg. II, 2.) [L- u. N. 3, 582; L. 1, 309; D. 2, 32; Förster 99.] 1.

Und dräut der Winter noch so sehr

Mit trotzigen Gebärden, Und streut er Eis und Schnee umher, Es muß doch Frühling werden. 2. Und drängen die Nebel noch so dicht Sich vor den Blick der Sonne, Sie wecket doch mit ihrem Licht Einmal die Welt zur Wonne. 3. Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht! Mir soll darob nicht bangen; Auf leisen Sohlen über Nacht Kommt doch der Lenz gegangen. 4. Da wacht die Erde grünend auf, Weiß nicht, wie ihr geschehen

Und Und 5. Und

lacht in den sonnigen Himmel hinauf, möchte vor Lust vergehen. Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar, schmückt sich mit Rosen und Ähren,

Und läßt die Brünnlein rieseln klar, Als wären es Freudenzähren.

6.

Drum still! und wie es frieren mag,

£) Herz, gib dich zufrieden!

Es ist ein großer Maientag

Der ganzen Welt beschieden. 7. Und wenn dir oft auch bangt und graut, Als sei die HM auf Erden,

Nur unverzagt auf Gott vertraut!

Es muß doch Frühling werden.

Seibel. 39.

Morgeuwandenmg.

(Reg. II, 6.) [S. u. N. 3, 577; L. 2, 27.] 1.

Wer recht in Freuden wandern will,

Der geh' der Sonn' entgegen; Da ist der Wald so kirchenstill,

Kein Lüftchen mag sich regen; Noch sind nicht die Lerchen wach, Nur im hohen Gras der Bach Singt leise den Morgensegen. 2. Die ganze Welt ist wie ein Buch, Darin uns ausgeschrieben In bunten Zeilen manch ein Spruch, Wie Gott uns treu geblieben; Wald und Blumen nah und fern Und der Helle Morgenstern

Sind Zeugen von seinem Lieben.

3. Da zieht die Andacht wie ein Hauch Durch alle Sinnen leise, Da pocht ans Herz die Liebe auch In ihrer stillen Weise, Pocht und pocht, bis sich's erschließt.

Und die Lippe überfließt Von lautem, jubelndem Preise.

4. Und plötzlich läßt die Nachtigall Im Busch ihr Lied erklingen, In Berg und Thal erwacht der Schall Und will sich aufwärts schwingen; Und der Morgenröte Schein Stimmt in lichter Glut mit ein: Laßt uns dem Herrn lobsingen! 40.

Aus dem Walde.

(Reg. II, 10.) 1. Mit dem alten Förster heut Bin ich durch den Wald gegangen,

Fl] 41

Geibel.

42 [II]

Während hell im Festgeläut

Aus dem Dorf die Glocken klangen.

2.

Golden floß ins Laub der Tag,

Vöglein sangen Gottes Ehre,

Fast, als ob's der ganze Hag Wüßte, daß es Sonntag wäre.

3. Und wir kamen ins Revier, Wo, Umrauscht von alten Bäumen, Junge Stämmlein sonder Zier

Sproßten auf besonnten Räumen. 4. Feierlich der Alte sprach: „Siehst du über unsern Wegen Hochgewölbt das grüne Dach? Das ist unsrer Ahnen Segen. 5. Denn es gilt ein ewig Recht, Wo die hohen Wipfel rauschen; Von Geschlechte zu Geschlecht Geht im Wald ein heilig Tauschen. 6. Was uns Not ist, uns zum Heil

Ward's gegründet von den Vätern; Aber das ist unser Teil, Daß wir gründen für die Spätern. 7. Drum im Forst auf meinem Stand Ist mir's oft, als böt' ich linde

Meinem Ahnherrn diese Hand, Jene meinem Kindeskinde. 8. Und sobald ich Pflanzen will, Pocht das Herz mir, daß ich's merke,

Und ein frommes Sprüchlein still

Muß ich beten zu dem Werke: 9. Schütz euch Gott, ihr Reiser schwank!

Mögen unter euren Kronen, Rauscht ihr einst den Wald entlang,

Gottesfurcht und Freiheit wohnen! 10. Und ihr Enkel, still erfreut Mögt ihr dann mein Segnen ahnen,

Geibcl.

[II] 43

Wie's mit frommem Dank mich heut An die Vätex will gemahnen." 11. Wie verstummend im Gebet

Schwieg der Mann, der tiefergraute, Klaren Auges, ein Prophet, Welcher vorwärts, rückwärts schaute. 12. Segnend auf die Stämmlein rings Sah ich dann die Händ' ihn breiten: Aber in den Wipfeln ging's Wie ein Gruß aus alten Zeiten.

41.

Der Mai ist gekommen.

(Reg. II, 2, 8.) 1.

[2. u. N. 3, 584; L. 2, 24.]

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,

Da bleibe wer Lust hat mit Sorgen zu Haus; Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt,

So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt. 2. Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt!

Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht!

Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert, Es gibt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert. 3. Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl! Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Thal! Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all, Mein Herz ist wie 'ne Lerche, und stimmet ein mit Schall. 4.

Und abends im Städtlein da kehr' ich durstig ein:

„Herr Wirt, Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein!

Ergreife die Fiedel, du lust'ger Spielmann du, Von meinem Schatz das Liedel das sing' ich dazu."

5.

Und find' ich keine Herberg, so lieg' ich zu Nacht

Wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht;

Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach, Es küffet in der Früh' das Morgenrot mich wach. 6.

O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust!

Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust;

44

[II]

Gellert.

Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:

Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!

Christian Fürchtegott Gellert geb. 4. VII. 1715 zu Hainichen im Erzgebirge, f 13. XU. 1769 zu Leipzig.

42.

Der Maler.

(Reg. II, 24.)

Ein kluger Maler in Athen, Der minder, weil man ihn bezahlte, Als weil er Ehre suchte, malte, Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn,

Und bat sich seine Meinung aus. Der Kenner sogt' ihm frei heraus, Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte, Und daß es, um recht schön zu sein, Weit minder Kunst verraten sollte. Der Maler wandte vieles ein; Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen, Und tonnt’ ihn doch nicht überwinden. Gleich trat ein junger Geck herein Und nahm das Bild in Augenschein: „O!" rief er bei dem ersten Blicke, „Ihr Götter, welch ein Meisterstücke!

Ach welcher Fuß! o wie geschickt Sind nicht die Nägel ausgedrückt! Mars lebt durchaus in diesem Bilde. Wie viele Kunst, wie viele Pracht Ist in dem Helm und in dem Schilde Und in der Rüstung angebracht!" Der Maler ward beschämt, gerühret,

Und sah den Kenner kläglich an.

„Nun," sprach er, „bin ich überführet! Ihr habt mir nicht zu viel gethan."

Gellert.

[II] 45

Der junge Geck war kaum hinaus, So strich er seinen Kriegsgott aus. Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt, So ist es schon ein böses Zeichen;

Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält,

So ist es Zeit, sie auszustreichen.

43.

Die Ehre Gottes aus der Natur. (Reg. II, 21, 40.)

1.

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,

Ihr Schall pflanzt seinen Namen sott.

Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere; Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort! 2. ' Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne? Wer führt die Sonn' aus ihrem Zelt? Sie kommt und leuchtet und lacht uns von ferne, Und läuft den Weg, gleich als ein Held. 3. Vernimm's, und siehe die Wunder der Werke, Die die Natur dir aufgestellt! Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt? 4. Kannst du der Wesen unzählbare Heere, Den kleinsten Staub fühllos beschaun?

Durch wen ist alles? O gib ihm die Ehre! Mir, ruft der Herr, sollst du vertraun. 5. Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Erde; An meinen Werken kennst du mich. Ich bins, und werde sein, der ich sein werde, Dein Gott und Vater ewiglich. 6. Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und Güte, Ein Gott der Ordnung und dein Heil; Ich bin's! Mich liebe von ganzem Gemüte, Und nimm an meiner Gnade teil!

46 [II]

Giesebrecht.

Gleim.

Ludwig Giesebrecht geb. 5. VII. 1792 zu Mirow in Mecklenburg, f 18. III. 1873 zu Jasemtz.

44.

Der Lotse.

(Reg. II, 13, 20.) 1.

[D. 3, 180.]

„Siehst du die Brigg dort auf den Wellen?

Sie steuert falsch, sie treibt herein Und muß am Vorgebirg zerschellen,

Lenkt sie nicht augenblicklich ein.

2.

Ich muß hinaus, daß ich sie leite!"



„Gehst du ins offne Wasser vor,

So legt dein Boot sich auf die Seite

Und richtet nimmer sich empor." — 3.

„Allein ich sinke nicht vergebens,

Wenn sie mein letzter Ruf belehrt;

Ein ganzes Schiff voll jungen Lebens Ist wohl ein altes Leben wert. 4.

Gib mir das Sprachrohr! Schifflein, eile!

Es ist die letzte, höchste Not." —

Vor fliegendem Sturme, gleich dem Pfeile, Hin durch die Scheren eilt das Boot.

5.

Jetzt schießt es aus dem Klippenrande.

„Links müßt ihr steuern!" hallt ein Schrei. Kieloben treibt das Boot zu Lande, Und sicher fährt die Brigg vorbei.

Johann Wilhelm Ludwig Gleim geb. 2. IV. 1719 bei Halberstadt, f 18. II. 1803 zu Halberstadt.

45.

Die Gärtnerin und die Biene.

(Reg. II, 24.)

[ß. u. N. 1, 446.]

Eine kleine Biene flog

Emsig hin und her und sog

Gleim.

[II] 47

Süßigkeit aus allen Blumen. „Bienchen," spricht die Gärtnerin, Die sie bei der Arbeit trifft, „Manche Blume hat doch Gift,

Und du saugst aus allen Blumen?"

„Ja", sagt sie zur Gärtnerin,

„Ja, das Gift laß ich darin!"

46*

Der Fischreiher. (Reg. II, 24.)

Am Ufer eines Bachs auf einer Wiese ging Ein Reiher ernsthaft hin auf langen, dürren Beinen, Mit langem Hals, woran ein langer Schnabel hing.

Des Baches Wasser floß auf harten Kieselsteinen, Durchsichtiger als ein Kristall

Bergab mit angenehmem Schall, Und stand dann wieder tief.

Vom Himmel ohne Wolke

Fiel warmer Sonnenstrahl

Auf seine Fläche, drang zum kalten Wasservolke, Lockt' es herauf im Haufen ohne Zahl. Es setzte sich, war guter Dinge, Und machte tausend krumme Sprünge Am warmen Sonnenstrahl. Herr Reiher, wie so faul? du schnappest nicht einmal Mit deinem langen Schnabel zu, Und holst dir einen Hecht? du zauderst? wartest du

Auf einen Karpfen? ei, wie wird es dir gereun! Wenn du wirst schnappen woll'n, dann wird kein Hecht mehr sein. Wie ernsthaft stehet er! wie still! Wie drehet er den Hals, den er nicht brauchen will!

Freund von gesunder Mäßigkeit, Besinnt er sich und denkt: es ist noch Zeit!

Stets essen ist gemeiner Vögel Weise: Bald aber hungert ihn, und nun sieht er sich um Rach Karpfen oder Hecht,

48 [II]

Gleim.

Allein verschwunden ist das ganze Fischgeschlecht. Nur Schleie schwimmen noch, allein er ist nicht dumm, Er hat Geschmack: Schlei ist zu schlechte Speise

Für eines Reihers Mund, er läßt sie ziehn, Und immer mehr noch hungert ihn. Er geht vom Ufer ab und wartet in dem Bach, Gründlinge trifft er an, fragt aber nichts danach; Er lässet sie im Frieden schwimmen, spricht: „Gründlinge fressen Reiher nicht!

Darnach den Schnabel aufzuthun, Das wäre Schimpf für einen Leckermund." Er sagt es, und es geht, was Fisch ist, auf den Grund.

Nicht einer läßt sich sehn.

Ei Leckermund, wie nun?

Nachdem er lang umsonst gesuchet und geschnappt, Wird mit genauer Not ein Frosch von ihm ertappt.

47.

Siegeslied nach der Schlacht bei Prag 6. Mai 1757. (Reg. II, 16.)

1.

Victoria! mit uns ist Gott:

Er liegt, gerecht ist unser Gott,

2.

Zwar unser Vater ist nicht mehr,

Und sieht nun unser Siegesheer

3.

der stolze Feind liegt da!

er liegt, Victoria!

jedoch er starb ein Held, vom hohen Sternenzelt.

Er ging voran, der edle Greis,

voll Gott und Vaterland!

Sein alter Kopf war kaum so weiß, als tapfer seine Hand. 4. Mit jugendlicher Heldenkraft ergriff sie eine Fahn', Hielt sie empor an ihrem Schaft, daß wir sie alle sahn,

5.

Wir folgten alle, Mann vor Mann, 6.

Ha!

auf Schanzen und Ge­ schütz!" geschwinder wie der Blitz.

Und sagte: „Kinder, Berg hinan,

Ach, aber unser Vater fiel,

welch glorreiches Lebensziel,

die Fahne sank auf ihn.

glückseliger Schwerin!

7. Dein Friederich hat dich beweint, indem er uns gebot; Wir aber stürzten in den Feind, zu rächen deinen Tod.

8.

Du, Heinrich, wärest ein Soldat,

Wir sahen alle, That vor That,

du fochtest königlich!

du junger Löw', auf dich.

Goethe.

[II]

49

9. Der Pommer und der Märker stritt mit rechtem Christenmut: Rot ward sein Schwert, aus jeden Schritt floß dick Pandurenblut. 10. Aus sieben Schanzen jagten wir die Mützen von dem Bär: Da, Friedrich, ging dein Grenadier auf Leichen hoch einher! 11. Dacht’ in dem mörderischen Kampf Gott, Vaterland und dich; Sah tief in schwarzem Rauch und Dampf dich, seinen Friederich; 12. Und zitterte, ward feuerrot im kriegrischen Gesicht, (Er zitterte vor deinem Tod, vor seinem aber nicht.) —

13. Verachtete die Kugelsaat, der Stücke Donnerton, Stritt wütender, that Heldenthat, bis deine Feinde flohn. 14. Nun dankt er Gott für seine Macht und singt: Victoria! Und alles Blut aus dieser Schlacht

fließt nach Theresia.

15. Und weigert sie auf diesen Tag den Frieden vorzuziehn, So stürme, Friedrich, erst ihr Prag, und dann führ uns nach

Wien!

Johann Wolfgang von Goethe geb. 28. VIII. 1749 zu Frankfurt a. M., f 22. III. 1832 zu Weimar.

48.

Schweizerlied.

(Reg. II, 1, 46.)

1. Uf’m Bergli bin i gesässe,

Ha de Vögle zugeschaut;

Hänt gesunge, hänt gesprunge, Hänt’s Nestli gebaut. 2. In ä Garte bin i gestände,

Ha de Jmbli zugeschaut; Häntgebrummet, häntgesummet,

Hänt Zelli gebaut.

49.

Gar z’ schön hänt’s gethan.

4. Und da kummt nu der Hansel, Und da zeig i em froh, Wie sie’s mache, und mer lache Und mache’s au so.

Geistesgruß.

(Reg. II, 21.)

1.

3. Uf b’ Wiese bin i gange, fingt’ i Summervögle a; Hänt gesoge, hänt gefloge,

[G. 1, 541.]

Hoch auf dem alten Turme steht

Des Helden edler Geist, Hcsscl, Mustergedichte.

Goethe.

50 [II]

Der, wie das Schiff vorübergeht.

Es wohl zu fahren heißt. 2. „Sieh, diese Sehne war so stark, Dies Herz so fest und wild, Die Knochen voll von Rittermark,

Der Becher angefüllt; 3. Mein halbes Leben stürmt' ich fort, Derdehnt' die Hälft' in Ruh, Und du, du Menschen-Schifflein dort, Fahr immer, immer zu!"

50. (Reg. II, 31, 44.)

Legende vom Hufeisen. [®. 1, 675; L. u. N. 2, 395; L. 2, 223.]

Als noch, verkannt und sehr gering, Unser Herr aus der Erde ging, Und viele Jünger sich zu ihm fanden, Die sehr selten sein Wort verstanden, Liebt' er sich gar über die Maßen Seinen Hof zu halten auf der Straßen, Weil unter des Himmels Angesicht Man immer bester und freier spricht. Er ließ sie da die höchsten Lehren Aus seinem heil'gen Munde hören; Besonders durch Gleichnis und Exempel

Macht' er einen jeden Markt zum Tempel. So schlendert' er in Geistes Ruh Mit ihnen einst einem Städtchen zu,

Sah etwas blinken auf der Straß', Das ein zerbrochen Hufeisen was.

Er sagte zu Sankt Peter drauf: Heb' doch einmal das Eisen auf!

Sankt Peter war nicht aufgeräumt.

Er hatte soeben im gehen geträumt; So was vom Regiment der Welt,

m Was einem jeden wohlgefällt: Denn im Kopf hat daS keine Schranken; Das waren so seine liebsten Gedankm.

Nun war der Fund ihm viel zu klein, Hätte müssen Kron' und Zepter sein; Aber wie sollt' er seinen Rücken Nach einem halben Hufeisen bücken?

Er also sich zur Seite kehrt Und thut, als hätt' er's nicht gehört. Der Herr, nach seiner Langmut, drauf Hebt selber das Hufeisen auf, Und thut auch weiter nicht dergleichen. Als sie nun bald die Stadt erreichen. Geht er vor eines Schmiedes Thür, Nimmt von dem Mann drei Pfennig dafür. Und als sie über den Markt nun gehen, Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen, Kauft ihrer, so wenig oder so viel, Als man für einen Dreier geben will, Die er sodann nach seiner Art Ruhig im Ärmel aufbewahrt.

Nun ging's zum andern Thor hinaus, Durch Wies' und Felder ohne Haus,

Auch war der Weg von Bäumen bloß;

Die Sonne schien, die Hitz' war groß, So daß man viel an solcher Stätt' Für einen Trunk Wasser gegeben hätt'. Der Herr geht immer voraus vor allen,

Läßt unversehens eine Kirsche fallen. Sankt Peter war gleich dahinter her, Als wenn es ein goldner Apfel wär';

Das Beerlein schmeckte seinem Ganm.

Der Herr, nach einem kleinen Raum, Ein ander Kirschlein zur Erde schickt, Wornach Sankt Peter schnell sich bückt. So läßt der Herr ihn seinen Rücken

ei

52 [II]

Goethe. Gar vielmal nach den Kirschen bücken.

Das dauert eine ganze Zeit; Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:

Thätst du zur rechten Zeit dich regen, Hätt'st du's bequemer haben mögen. Wer geringe Ding' wenig acht't,

Sich um geringere Mühe macht.

51.

Der Schatzgräber.

(Reg. II, 32, 52.) [G. 1, 652; D. 1, 23; L. 2, 173.] 1. Arm am Beutel, krank am Herzen, Schleppt' ich meine langen Tage. Armut ist die größte Plage, Reichtum ist das höchste Gut! Und, zu enden meine Schmerzen, Ging ich, einen Schatz zu graben. Meine Seele sollst du haben! Schrieb ich hin mit eignem Blut. 2. Und so zog ich Kreis' um Kreise, Stellte wunderbare Flammen, Kraut und Knochenwerk zusammen: Die Beschwörung war vollbracht. Und auf die gelernte Weise Grub ich nach dem alten Schatze

Auf dem angezeigten Platze;

Schwarz und stürmisch war die Nacht.

3.

Und ich sah ein Licht Von weiten,

Und es kam gleich einem Sterne Hinten aus der fernsten Ferne,

Eben als es zwölfe schlug. Und da galt kein Borbereiten; Heller ward's mit einem Male

Bon dem Glanz der vollen Schale, Die ein schöner Knabe trug.

[II] 53

4. Holde Augen sah ich blinken Unter dichtem Blumenkränze; In des Trankes Himmelsglanze Trat er in den Kreis herein. Und er hieß mich freundlich trinken; Und ich dacht': es kann der Knabe Mit der schönen, lichten Gabe Wahrlich nicht der Böse sein.

5. Trinke Mut des reinen Lebens! Dann verstehst du die Belehrung, Kommst mit ängstlicher Beschwörung Nicht zurück an diesen Ort. Grabe hier nicht mehr vergebens! Tages Arbeit, abends Gäste! Saure Wochen, frohe Feste! Sei dein künftig Zauberwort.

82. Der getreue Eckart. (Reg. H, 30.) [®. 1, 696; L. u. N. 2, 415; L. 2, 141; D. 1, 31.] 1. O wären wir weiter, o wär' ich zu Haus! Sie kommen, da kommt schon der nächtliche Graus; Sie find's, die unholdigen Schwestern. Sie streifen heran, und sie finden uns hier, Sie trinken das mühsam geholte, das Bier

Und lassen nur leer uns die Krüge. 2. So sprechen die Kinder und drücken sich schnell; Da zeigt sich vor ihnen ein alter Gesell:

Nur stille, Kind! Kinderlein, stille! Die Hulden, sie kommen von durstiger Jagd,

Und laßt ihr sie trinken, wie's jeder behagt, Dann find sie mch hold, die Unholden. 3. Gesagt —so geschehn! und da naht sich der Graus

Und siehet so grau und so schattenhaft aus, Doch schlürft es und schlampst es aufs beste.

54 [II]

Goethe.

Das Bier ist verschwunden, die Krüge find leer; Nun saust eS und braust es, das wütige Heer, Ins weite Gethal und Gebirge. 4. Die Kinderlein ängstlich gen Hause so schnell, Gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell: Ihr Püppchen, nur seid mir nicht traurig! — Wir kriegen nun Schelten und Streich' bis aufs Blut. — Nein, keineswegs, alles geht herrlich und gut, Nur schweiget und horchet wie Mäuslein! 5. Und der es euch anrät und der es befiehlt, Er ist es, der gern mit den Kindelein spielt, Der alte Getreue, der Eckart. Vom Wundermann hat man euch immer erzählt;

Nur hat die Bestätigung jedem gefehlt, Die habt ihr nun köstlich in Händen. 6. Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug Ein jedes den Eltern bescheiden genug Und harren der Schläg' und der Schelten. Doch siehe, man kostet: Ein herrliches Bier! Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier, Und noch nimmt der Krug nicht ein Ende.

7. Das Wunder, es dauert zum morgenden Tag; Doch fraget, wer immer zu fragen vermag: Wie ist's mit den Krügen ergangen?

Die Mäuslein, sie lächeln, im stillen ergetzt; Sie stammeln und stottern und schwatzen zuletzt, Und gleich find vertrocknet die Krüge. 8. Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem Gesicht

Ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann spricht,

So horchet und folget ihm pünktlich!

Und liegt auch das Zünglein in peinlicher Hut, Verplaudern ist schädlich, verschweigen ist gut; Dann füllt sich das Bier in den Krügen.

Goethe.

[II]

55

53. Der Zauberlehrling. [($L 1, 655; L. u. N. 2, 397; L. 2, 179; D. 1, 28.]

(Reg. II, 32.)

1. Hat der alte Hexenmeister

3. Seht,

er läuft zum

Sich doch einmal wegbegeben!

Ufer

nieder;

Und nun sollen seine Geister

Wahrlich! istschonandemFlusse,

Auch nach meinem Willen leben.

Und

Seine Wort' und Werke

Ist er hier mit raschem Gusse.

mit Blitzesschnelle wieder

Merkt' ich und den Brauch,

Schon zum zweiten Male!

Und mit Geistesstärke

Wie das Becken schwillt!

Thu' ich Wunder auch.

Wie sich jede Schale Voll mit Wasser füllt!

Walle! walle Manche Strecke,

Stehe! stehe!

Daß, zum Zwecke,

Denn wir haben

Deiner Gaben

Wasser fließe

Und

mit

reichem,

vollem

Schwalle

Zu dem Bade sich ergieße. 2. Und nun komm, die schlechten

Ach, ich merk' es! wehe! wehe! Hab' ich doch das Wort ver­

du alter

gessen! 4. Ach das Wort, worauf am

Besen!

Nimm

Vollgemessen! —

Lumpen­

Ende

Er das wird, was er gewesen.

hüllen;

Bist schon lange Knecht gewesen;

Ach, er läuft und bringt behende!

Nun erfülle meinen Willen!

Wärst du doch der alte Besen!

Auf zwei Beinen stehe,

Immer neue Güsse

Oben sei ein Kopf!

Bringt er schnell herein,

Eile nun und gehe

Ach! und hundert Flüsse

Mit dem Wassertopf!

Stürzen auf mich ein.

Walle! walle

Nein, nicht länger

Manche Strecke

Kann ich's lassen;

Daß, zum Zwecke,

Will ihn fassen.

Wasser fließe

Das ist Tücke!

Und

mit

reichem,

vollem

Schwalle Zu dem Bade sich ergieße.

Ach!

nun wird mir immer

bänger!

Welche Miene! welche Blicke!

56 [II]

Goethe.

5. O, du Ausgeburt der Hölle! Soll das ganze Haus ersaufen?

Seh' ich über jede Schwelle Doch schon Wafferströme laufen. Ein verruchter Besen, Der nicht hören will! Stock, der du gewesen. Steh doch wieder still!

Willst's am Ende Gar nicht lassen? Will dich fassen, Will dich halten Und das alte Holz behende Mit demscharfenBeile spalten. 6. Seht, da kommt er schleppend wieder! Wie ich mich nur auf dich werfe, Gleich, o Kobold, liegst du nieder; Krachend trifft die glatte Schärfe. Wahrlich! brav getroffen! Seht, er ist entzwei! Und nun kann ich hoffen, Und ich atme frei! Wehe! wehe!

Beide Teile

Stehn in Eile Schon als Knechte Völlig fertig in die Höhe! Helft mir, ach! ihr hohen Mächte! 7. Und sie laufen! naß und

näffer Wird's im Saal und auf den Stufen. Welch entsetzliches Gewäffer!

Herr und Meister! hör' mich rufen! — Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß, Die ich rief, die Geister, Werd' ich nun nicht los. „In die Ecke, Besen! Besen! Seid's gewesen. Denn als Geister Ruft euch nur zu seinem Zwecke Erst hervor der alte Meister."

54. Erlkönig. (Reg. II, 32,44.) [G. 1, 590; L. u. 91.2, 333; Gude 1, 146; L. 2,161; D. 1, 8; Sinnig 160; Förster 112; Kr. 74; Kehr 293.] 1.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm. 2. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? — Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron' und Schweif? — Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. —

Goethe.

[II] 57

3. „Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spie? ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand." 4. Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht? — Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind. — 5. „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein." 6. Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? — Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau, Es scheinen die alten Weiden so grau. — 7. „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt." Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids gethan! — 8. Dem Vater grauset's, er reitet geschwind, Er hält in Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.

55. (Reg. II, 32.)

Der Sänger.

[G. 1, 607; L. u. N. 2, 339; Gude 1, 282; L. 2, 186; D. 1, I; Kr. 57.]

1. Was hör' ich draußen vor dem Thor, Was auf der Brücke schallen? Laß den Gesang vor unserm Ohr Im Saale wiederhallen! Der König sprach's, der Page lief; Der Knabe kam, der König rief: Laßt mir herein den Alten! 2. Gegrüßet seid mir, edle Herrn,

58 [TI]

Gegrüßt ihr, schöne Damen! Welch reicher Himmel! Stern bei Stern!

Wer kennet ihre Namen? Im Saal voll Pracht nnd Herrlichkeit Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit, Sich staunend zu ergötzen.

3. Der Sänger drückt' die Augen ein. Und schlug in vollen Tönen; Die Ritter schauten mutig drein, Und in den Schoß die Schönen. Der König, dem das Lied gefiel, Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel, Eine goldne Kette reichen. 4. Die goldne Kette gib mir nicht, Die Kette gib den Rittern, Vor deren kühnem Angeficht Der Feinde Lanzen splittern. Gib sie dem Kanzler, den du hast, Und laß ihn noch die goldne Last Zu andern Lasten tragen. 5. Ich finge, wie der Bogel fingt,

Der in den Zweigen wohnet; Das Lied, das aus der Kehle dringt, Ist Lohn, der reichlich lohnet. Doch, darf ich bitten, bitt' ich eins: Laß mir den besten Becher Weins In purem Golde reichen.

6. Er seht' ihn an, er trank ihn aus: O Trank voll süßer Labe! O wohl dem hochbeglückten Haus, Wo das ist kleine Gabe! Ergeht's euch wohl, so denkt an mich, Und danket Gott so warm, als ich

Für diesen Trunk euch danke.

Goethe.

[H] 69

56. Johanna Srbus. (13. Januar 1809.) (Reg. II, 15,33.) [®. 1, 692; L. u. N. 2, 402; Gude 2,150; L. 2, 196.) 1.

2.

3.

4.

Der Damm zerreißt, das Feld erbraust, Die Fluten spülen, die Fläche saust. „Ich trage dich, Mutter, durch die Flut, Noch reicht fie nicht hoch, ich wate gut." — „Auch uns bedenke, bedrängt wie wir find, Die Hausgenosfin, drei arme Kind! Die schwache Frau! ... Du gehst davon!" — Sie trägt die Mutter durchs Wasser schon. „Zum Bühle da rettet euch! harret derweil! Gleich kehr' ich zurück, uns allen ist Heil, Zum Bühl ist's noch trocken und wenige Schritt; Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!" Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraust, Die Fluten wühlen, die Fläche saust. Sie setzt die Mutter auf fichres Land, Schön Suschen, gleich wieder zur Flut gewandt. „Wohin? wohin? die Breite schwoll; Des Wassers ist hüben und drüben voll. Verwegen ins Tiefe willst du hinein!" — „Sie sollen und müssen gerettet sein!" Der Damm verschwindet, die Welle braust, Eine Meereswoge, sie schwankt und saust. Schön Suschen schreitet gewohnten Steg, Umströmt auch, gleitet sie nicht vom Weg, Erreicht den Bühl und die Nachbarin; Doch der und den Kindern kein Gewinn! Der Damm verschwand, ein Meer erbraust's, Den kleinen Hügel im Kreis umsaust's. Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund Und zieht die Frau mit den Kindern zu Grund; Das Horn der Ziege faßt das ein', So sollten fie alle verloren sein! Schön Suschen steht noch strack und gut:

Groth.

60 [II]

Wer rettet das junge, das edelste Blut? Schön Suschen steht noch wie ein Stern; Doch alle Werber sind alle fern.

5.

Rings um sie her ist Wafferbahn, Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran. Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf, Da nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf. Kein Damm, kein Feld! nurhierund dort Bezeichnet ein Baum, ein Turm den Ort, Bedeckt ist alles mit Wafferschwall; Doch Suschens Bild schwebt überall. — Das Wasser sinkt, das Land erscheint, Und überall wird schön Suschen beweint. — Und dem sei, wer's nicht singt und sagt, Im Leben und Tod nicht nachgefragt!

Klaus Groth geb. 24. IV. 1819 zu Heide in Schleswig, lebt zu Kiel.

57.

Matten Has'.

(Reg. II, 9, 46.) 1. Lütt Matten de Has' De mak sik en Spaß,

He weer bi't Studeern Dat Danzen to lehrn, litt danz ganz allem Op de achtersten Been. 2. Keem Reinke de Voß litt dach: das en Kost! litt seggt: Lüttje Matten

So flink oppe Padden? Un danzst hier allem Oppe achtersten Been?

3. Kumm, lat uns tosam!

Jk kann as de Dam! De Krei de spelt Fitel, Denn zeit dat canditel, Denn zeit dat mal schön Op de achtersten Been! 4. Lütt Matten gev Pot. De Voß beet em bot;

Un fett sik in Schatten, Verspis' de lütt Matten: De Krei de kreeg een Vun de achtersten Bem.

[II]

61

58. Min Jehanu. (Reg. H, 20, 46.)

1.

Jk wull, tot weern noch kleen, Jehann, Do weer de Welt so grot! Wie seien op den Steen, Jehann, Weest noch? bi Nawers Sot. An Heben seil de stille Maan,

Wi fegen, toa he leep, Un snacken, toa de Himmel hoch

2.

3.

Un toa de Sot wul deep. Weest noch, toa still bat weer, Jehann? Dar röhr keen Blatt an Bom. So ist bot nu ni mehr, Jehann, As höchstens noch in Drom. Och ne, wenn do de Scheper sung, Alleen int wide Feld: Ni wahr, Jehann? bat weer en Ton! De eenzige op de Welt. Mitünner inne Schummerntid Denn ward mi so to Mod, Denn löppt mi't längs den Rügg so hitt, As domals bi den Sot. Denn dreih ik mi so hasti um, As weer ik nich allem: Doch allens, wat ik sinn, Jehann,

Dat is — ik sta un wem. Matten --- Martin;

— lustig;

Krei = Krähe;

lütt — klein;

Padden — Pfoten;

canditel

Sot = Brunnen; Heben — Himmel;

seil

— segelte; Maan = Mond; fegen—sahen; snacken—plaudern; Tid —Zeit;

Mod — Mut; hitt — heiß.

62 [II]

Hebel.

Johann Peter Hebel geb. 10. V. 1760 zu Basel, f 22. IX. 1826 zu Schwetzingen.

59. (Reg. II, 9, 46.)

1.

Das Spinalem. [S. u. N. 3, 29; Gude 4, 179.]

Nei, lueget doch das Spinnli a,

Wie's zarti Fäde zwirne cha! Bas Gvatter, meinsch, chasch's au ne so? De wirsch mers, traui, blibe Io. Es machts so subtil und so nett, I wott nit, aß i's z'hasple hätt. 2. Wo hets bi fini Riste g'no, Bi wellem Meister hechle Io? Meinsch, wemme 's wüßt, Wohl mengt Frau Sie wär so gscheit, und holt! au! Jez lueg rner, wie's si Füeßli setzt, Und d'Ermel streift und d'Finger netzt. 3. Es zieht e lange Faden us, Es spinnt e Bruck ans Nochbers Hus, Es baut e Landstroß in der Lust, Morn hangt sie scho voll Morgeduft, Es baut e Fueßweg nebe dra, 's isch, aß es ehne bitte cha. 4. Es spinnt und wandlet uf und ab, Potz tausig, im Galopp und Trab! — Jez gohts ringsum, was hesch, was gisch! Siehsch, wie ne Ringli worden isch!

Jez schießt es zarti Fäden t, Wirds öbbe solle gwobe sh? 5. Es isch verstuunt, es haltet still, Es weiß nit recht, wo 's ane will. 's goht weger z'ruck, i fieh's em a; 's rnueß nänrnis rechts vergeffe ha.

Zwor denkt es, fett pressirt jo nit,

I halt mi nummen uf derrnit.

Hebel.

tm ss

59. DaS Spinalem. (Übersetzung von Echtcrmeyer.)

1.

Seht doch einmal das Spinnlein an,

Wie's zarte Fäden zwirnen kann! Gelt, Base, das verstehst da nicht! Ich sag' es dreist dir ins Gesicht.

Es macht's so niedlich und so nett,

Möcht' nicht, daß ich's zu haspeln hätt'. 2. Wo nahm's den Flachs so zart und fein? Bei wem mag er gehechelt sein? Gar manche Frau, das glaube mir. Ging' auch dahin, wenn man's erfühl'. — Jetzt sieh mir, wie's sein Füßchen setzt, Den Ärmel streift, die Finger netzt.

3. Jetzt zieht's den langen Faden aus, Spinnt eine Brück' an Nachbars Haus, Baut eine Landstraß' in die Lust, Die morgen hängt voll Morgendust; Baut einen Fußweg neben dran,

Daß hier und da es wandeln kann. 4. Es spinnt und wandelt auf und ab,

Potz tausend, im Galopp und Trab! — Jetzt geht's ringsum — wo an, wo aus? — Nun bildet sich ein Ringlein draus! Jetzt schießt es zarte Fäden ein: Sollt's etwa gar gewoben sein? 5. Jetzt ist's erstaunt, jetzt hält es still

Und weiß nicht recht, wohin es will;

Es geht zurück, man sieht's ihm an, Was Wicht'ges fehlt ihm noch daran.

Doch denkt's: „Es hat damit nicht Eil', Lohnt nicht, daß ich dabei verweil'."

64 [H]

Hebel.

6.

Es spinnt und webt, und het kei Rast,

So gliichlig, rite verluegt st fast.

Und 's Pfarrers Christoph het no gseit, 's feig jede Fade z'same gleit. Es mueß ein guti Augi ha, Wers zehlen und erchenne cha. 7. Jez putzt es fine Händli ab, Es stoht und haut den Faden ab. Jetz fitzt es in si Summer-Hus Und luegt die lange Stroßen ns. Es seit: „Me baut si halber z'tot, Doch freuts ein au, wenn 's Hüsli stoht." 8. In freie Lüste wogt und schwankts,

Und an der liebe Sunne hangts; Sie schint em stei dur d'Beinli dur, Und 's isch em Wohl. In Feld und Flur Sieht 's Mückli tanze jung und feiß; 's denkt bi nem selber: „Hätti eis!" 9. O Tierli, wie hesch mi verzückt! Wie bisch so chlei und doch so gschickt! Wer het di au die Sache glehrt? Denkwol, der, wonis alli nährt, Mit milde Händen alle git. Biß z'frieden! er vergißt di nit. 10. Do chunnt e Fliege, nei wie dumm! Sie rennt em schier gar 's Hüsli um. Sie schreit und winflet Weh und Ach! Du arme Chetzer hesch di Sach!

Hesch keim Auge bi der g'ha? Was göhn di üst Sachen a? 11. Lueg, 's Spinnli merkts enanderno, Es zuckt und springt und het sie scho.

Es denkt: „I ha viel Arbet g'ha, Jez mueßi au ne Brotis ha!" I sags jo, der wo alle git, Wenns Zit isch, er vergißt ein nit.

[ii] es

Hebel.

6.

Es spinnt und webt und hat nicht Rast,

Allüberall, man staunet fast. Des Pfarrers Hans sagt obendrein, Zehnfach soll jeder Faden sein; Doch glaub'" ich's nicht; denn sagt mir an, Wes Aug' es sehn und zählen kann! 7. Jetzt putzt es seine Händchen ab, Steht still und haut den Faden ab. Jetzt fitzt's in seinem Sommerhaus, Schaut auf die lange Straß' hinaus, Es spricht: „Man baut fich halb zu Tod; Doch steht das Haus, ist all die Not." 8. Es wogt und schwankt in freier Luft, Im Sonnenstrahl, im weichen Duft, Und jeder Strahl umspielt es frei — Dem Spinnlein ist so wohl dabei. Es ficht dem Tanz der Mücklein zu Und denkt fich: „Käm' doch eins herzu!" 9. O Tierlein, hast mein Herz mtzückt; So Kein und dennoch so geschickt!

Wer hat dich solche Kunst gelehrt? Ich denk': Er, der uns alle nährt,

Der mild und gnädig alle liebt Und, glaub's, auch dir dein Teilchen giebt. 10. Sieh da die Fliege! Nein, wie dumm l Sie rennt ihm fast das Häuschen um, Nun fleht und schreit sie Weh und Ach! Ja, Ketzerin, du treibst's darnach!

Mit offnen Augen muß man sehn Und nie in fremde Grenzen gehn. 11. Schau nur! das Spinnlein merkt's geschwind, Es zuckt, es springt — hat's. wie der Wind Und denkt: „Ich hatte Müh' und Not, Nun schmeckt mir auch mein Abendbrot." Drum sag' ich ja: „Zur rechten Frist Sorgt Gott, der keinen je vergißt." Hessel, Mustergedichte.

10

Hebel.

66 [II]

60. Sountagsfrühe. (Reg. II, 6, 46.)

1.

[Förster 23; Kr. 123.]

Der Samstig het zum Sunntig gseit:

„Jez Hani alli schlafe gleit; Sie fin vom schaffe her und hi Gar füllt müed und schlöfrig gfi, Und 's goht mer schier gar selber so, I cha fast uf kei Bei meh stoh." 2. So seit er, und wo's zwölfi schlacht, Se sinkt er oben in d'Mitternacht.

Der Sunntig seit: „Jez isch's an mir!" Gar still und heimli bschließt er d'Thür. Er düselet hinter de Sterne no, Und cha schier gar nit obsi cho. 3. Doch endli ribt er d'Augen us, Er chunnt der Sunn an Thür und Hus; Sie schloft im stille Chämmerli; Er pöpperlet am Lädemli; Er rüeft der Sunne: „d'Zit isch do!" Sie seit: „I chumm enanderno." — 4. Und lisli uf de Zeeche goht,

Und heiter uf de Berge stoht Der Sunntig, und 's schloft alles no; Es steht und hört en niemes goh. Er chunnt ins Dorf mit stillem Tritt, Und winkt im Guhl: „Verrot mi nit!"

5.

Und wemmen endli au verwacht,

Und gschlofe het die ganzi Nacht,

Se stoht er do im Sunneschii, Und luegt eim zu de Fenstern i Mit finen Auge mild und guet Und mittem Meien uffem Huet. 6. Drum meint ers treu, und was i sag, Es freut en, wemme schlofe mag, Und meint, es feig no dunkel Nacht,

Hebel.

60» SomltagSfrühe. (Uebersetzung von Reinick.)

1. Der Samstag ruft dem Sonntag zu: „Da bracht' ich alle denn zur Ruh. So Arbeit durch die ganze Woch' Die macht am Ende schläfrig doch; Mir selber will's nicht besser gehn, Kaum kann ich auf den Beinen stehn." 2. Er spricht's, und wie es zwölfe schlägt. Da hat er sich zur Ruh gelegt. Der Sonntag sagt: „Jetzt ist an mir Die Reih!" schließt heimlich drauf die Thür Und duselt durch den Himmel hin, Ihm ist noch ganz confus im Sinn. 3. Draus reibt er sich die Augen aus, Da kommt er vor der Sonne Haus; Sie schläft im stillen Kämmerlein; Er klopft am Laden, kuckt hinein, Und ruft ihr zu: „Die Zeit ist da!" Sie sagt: „Schon gut, ich weiß es ja!" — 4. Und sachtchen auf den Zehen geht Und heiter auf den Bergen steht Der Sonntag, alles fchläst zur Stund, Ihn steht kein Mensch in weiter Rund. Er kommt ins Dors, ganz sachtchen spricht

Er da zum Hahn: „Verrat mich nicht!"

5.

Und wenn man endlich dann erwacht

Und lag im Schlaf die ganze Nacht,

So steht er da im Sonnenschein Und schaut durchs Fenster hell herein

Mit seinen Augen, mild und gut, Und mit dem Blumenstrauß am Hut. 6. Er meint es gut, das ist schon wahr! Und wenn man schläft, es freut ihn gar; Er glaubt, noch wär' es für uns Nacht,

[II] 67

68 [n]

Hebel.

Wenn d'Sunn am heitre Himmel lacht. Drum isch er au so lisli cho, Drum floht er au so liebli do. 7. Wie glitzeret uf Gras und Laub Vom Morgetau der Silberstaub! Wie weiht e frischt Maieluft, Voll Chriesibluest und Schleecheduft! Und d'Jmmli sammle flink und frisch, Sie wüsse nit, aß 's Sunntig isch. 8. Wie pranget nit im Garteland Der Chriesibaum im Maiegwand, Gel-Deieli und Tulipa Und Sterneblueme nebe dra, Und gfüllti Zinkli blau und wiiß, Me meint, me lueg ins Paredis! 9. Und 's isch so still und heimli do, Men isch so rüeihig und so froh! Me hört im Dorf kei Hüst und Hott, E Guete Tag und Dank der Gott;' Und 's git gottlob e schöne Tag, Isch alles, was me höre mag. 10. Und 's Vögeli seit: „Frili jo! Potz taufig, jo, do isch er scho! Er dringt jo i si'm Himmelsglast Dur Bluest und Laub in Hurst und Rast!" Und 's Distelzwigli vorne dra Het 's Sunntigröckli au scho a. 11. Sie litte weger 's Zeiche scho, Der Pfarrer, schint's, well zitli cho. Gang, brech mer eis Aurikli ab, Verwüschet mer der Staub nit drab; Und Chüngeli, leg di weidli a, De muesch derno ne Meie ha!

Hebel.

[ID es

Wenn schon die Sonn' am Himmel lacht; Drum kam er auch so leis heran, Drum lacht er uns so freundlich an. 7. Wie glitzert doch auf Gras und Laub Vom Morgentau der Silberstaub, Wie weht so frische Maienluft Voll Kirschenblüt' und Schlehendust! Und Bienchen sammeln immer zu, Die wissen nichts von Sonntagsruh. 8. Wie prangt nicht in dem Garten heut Der Kirschenbaum im Maienkleid, Der Goldlack und die Tulipan, Und Sternenblumen neben dran, Und Hyazinthen, bunt und schön, Man glaubt, ins Paradies zü sehn! 9. Wie still ringsum die Gegend liegt! Man ist so ruhig und vergnügt, Man hört im Dorf kein „Hüst!" und „Hott!" Nur „Guten Tag!" und „Dank dir Gott!" „Heut ist gottlob ein schöner Tag!" 's ist alles, was man hören mag. 10. Und 's Vögelchen sagt: „Ei steh da! Der tausend! schau, da ist er ja! Sein Himmelsglanz, der flimmert gleich Durch Busch und Blüt' und Laub und Zweig!" Und auch der Fink spaziert heran, Hat schon das Sonntagsröckchen an. 11. Da läuten sie! nun machet schnell! Der Pfarrer ist heut früh zur Stell'. Rasch! pflück mir noch Aurikeln, lauf! Verwisch mir nicht den Staub darauf. Und, Gundel, zieh recht flink dich an, Und steck dir auch noch Blumen an!

70 ÖH

Hebel.

61. (Reg. II, 5, 46.)

1.

Der Winter. [2. u. N. 3, 18; Förster 95.]

Jsch echt do obe Bauwele feil?

Sie schütten eint e redli Teil In d'Gärten oben und ufs Hus;

Es schneit doch au, es isch e Gruus; Und 's hangt no menge Wage voll Am Himmel obe, merkt wol. 2. Und wo ne Ma vo witem lauft, So het er vo der Bauwele g'chauft;

Er treit sie uf der Achsle no, Und uffem Hut, und laust dervo. Was laufsch denn so, du närrsche Ma? De wirsch fie doch nit gstohle ha? 3. Und Gärten ab, und Gärten uf, Hen alli Scheie Chäpli uf.

Sie stöhn wie großi Here do; Sie meine, 's heigs sust niemes so. Der Nußbaum het doch au si Sach, Und 's Herehus und 's Chilche-Dach. 4. Und wo me luegt, isch Schnee und Schnee,

Me sieht ke Stroß und Fueß-Weg meh. Meng Some-Chörnli, chlei und zart,

Lit unterm Bode wohl verwahrt, Und schnei's so lang es schneie mag, Es wartet uf fi Ostertag. 5. Meng Summer-Bögli schöner Art Lit unterm Bode wohl verwahrt; Es het lei Chummer und fei Chlag, Und Und Und 6.

wartet uf si Ostertag; gangs au lang, er chunnt emol, sieder schlofts, und s' isch em wohl. Doch wenn im Früehlig 's Schwälmli fingt

Und d'Sunne-Wärmi abedringt, Potz tausig, wacht's in jedem Grab,

[Hl 71

Hebel.

Und streift fi Tote-Hemdli ab. Wo nummen au ne Löchli isch, Schlieft 's Leben use jung und frisch. —

7.

Do fliegt e hungrig Spätzli her!

E Brösli Brot wär ft Begehr.

Es luegt ein so erbärmli a; 's het fieber nechte nüt meh g'ha. Gell Bürstli, sell isch andri Zit, Wenn 's Chorn in alle Fure lit?

8. Do hesch! loß andern au dervo! Bisch hungerig, chasch wieder cho! — 's mueß wohr sy, wie 's e Sprüchli git: „Sie seihe nit, und ernte nit; Sie hen kei Pflueg, und hen fei Joch, Und Gott im Himmel nährt fie doch."

62.

Sommerlied.

(Reg. II, 3.)

[8. u. N. 3, 48.]

1. Blaue Berge! BondenBergen strömtdas Leben,

Aus dem zarten Blatt enthüllt sich Halm und Ähre, schwanket schön.

Reine Luft für Mensch und Vieh;

Wenn die milden Lüfte wehn,

Wafierbrünnlein spat und früh Müssen uns die Berge geben.

Und das Körnlein wächst und füllt sich. 5. An dem Himmel Strahlt die Sonn' im Braut­ geschmeide! Weiße Wölklein steigen auf, Ziehn dahin im stillen Lauf; Gottes Schäflein gehn zur Weide.

2. Frische Matten! Grüner Klee und Dolden schießen; An der Schmele schlank Und fein Glänzt der Tau wie Edelstein,

Und die klaren Bächlein fließen. 3. Schlanke Bäume! Muntrer Vögel Melodeien Tönen im belaubten Reis, Singen laut des Schöpfers Preis;

Kirsche, Birn' und Pflaum' ge­ deihen. 4. Grüne Saaten!

6. Herzensfrieden, Woll' ihn Gott uns allen geben! O dann ist die Erde schön. In den Gründen, auf den Höhn

Wacht und fingt ein frohes Leben. 7. Schwarze Wetter

72 [II]

Hebel.

überzieh» den Himmelsbogen,

Bange harrt die Kreatur;

Und der Vogel fingt nicht mehr. Winde brausen hin und her,

Donnerschläge stürzen nieder. 9. Gut Gewissen,

Und die wilden Wafier wogen. 8. Rote Blitze Zucken hin und zucken wieder, Leuchten über Wald und Flur,

Wer es hat, und wer's bewachet, In den Blitz vom Weltgericht Schaut er und erbebet nicht, Wenn der Grund der Erde krachet.

63*

Rätsel.

(Reg. II, 28.) 1. In eine lichte Rotunde schaut Hinauf mein staunender Blick, Von Adams Erzeugten hat's keiner gebaut, Das künstliche Meisterstück. Seine Säulen sind nicht von Marmor, von Holz, Von keinem Metall, doch schwebt es stolz In freier Weite, trotzt furchtbar». Gewalten, w Sich selber vermögend im Sturme zu halten. Wer mißt seine Balken, wer zählet die Menge Der luftigen Hallen, der schwebenden Gänge? In der Mitte die waltende Herrscherin wohnt, In strahlender Mitte die Herrscherin thront. Nun melde mir Kunde: Wie heißt die Rotunde? Sie ist nicht des Himmels lasurner Bogen, Der sich spiegelt und bricht in den Meereswogen. Eine Mördergrube meine Rotunde ist Den Pilgrim zu ihr die Herrscherin frißt.

2.

Rat, o Lieber!

An der Tiber

Schlummert mein Gebein. Hell erwacht' ich, Freuden bracht' ich Später dir am Rhein. Hohe Würden,

Heine.

[II] 73

Schwere Bürden Gab ich an dem Main. 3. Ich hab' ein Ding im Sinn; Wohl lieben es die Mädchen traut, Es liegt um ihre zarte Haut; Doch stecken Nägel drin.

Heinrich Heine geb. 13. XII. 1799 zu Düsseldorf, f 17. II. 1856 zu Paris.

64. Lorelei. (Reg. II, 15, 30, 45.)

(Gude 4, 209; L. 2, 322; Förster 118.]

daß ich so traurig bin; das kommt mir nicht aus dem

1. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,

Ein Märchen aus alten Zeiten,

Sinn. Die Luft ist kühl, und cs dunkelt, und ruhig fließt der Rhein; Der Gipfel des Berges funkelt im Abcndsonnenschein.

2. Die schönste Jungfrau sitzet dort oben wunderbar, Ihr goldnes Geschmeide blitzet, sie kämmt ihr goldenes Haar. Sie kämmt es mit goldenem Kamme und singt ein Lied dabei, Das hat eine wundersame, gewaltige Melodei. 3. Den Schiffer im kleinen Schiffe

ergreift es mit wildem Weh;

Er schaut nicht die Felsenriffe, er schaut nur hinauf in die Höh'. Ich glaube, die Wellen verschlingen am Ende Schifferund Kahn; Und das hat mit ihrem Singen

die Lorelei gethan.

65. Belsazar. (Reg. 19, 44.)

1.

[ß. u. N. 3, 445; Gude 4, 209; ß. 2, 313; D. 2, 74; Kr. 86.]

Die Mitternacht zog näher schon;

In stummer Ruh lag Babylon.

74 [H]

Heine.

2.

Nur oben in des Königs Schloß,

Da flackert's, da lärmt des Königs Troß. 3. Dort oben in dem Königssaal

Belsazar hielt sein Königsmahl. 4. Die Knechte saßen in schimmernden Reihn Und leerten die Becher mit funkelndem Wein. 5. Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht'; So klang es dem störrigen Könige recht. 6. Des Königs Wangen leuchten Glut; Im Wein erwuchs ihm kecker Mut. 7. Und blindlings reißt der Mut ihn fort,

Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort. 8. Und er brüstet sich frech und lästert wild; Die Knechteschaar ihm Beifall brüllt. 9. Der König rief mit stolzem Blick; Der Diener eilt und kehrt zurück. 10. Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt; Das war aus dem Tempel Jehovahs geraubt. 11. Und der König ergriff mit frevler Hand Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand. 12. Und er leert ihn hastig bis auf den Grund Und rufet laut mit schäumendem Mund: 13. „Jehovah, dir künd' ich auf ewig Hohn! — Ich bin der König von Babylon!" 14. Doch kaum das grause Wort verklang, Dem König ward's heimlich im Busen bang. 15. Das gellende Lachen verstummte zumal; Es wurde leichenstill im Saal. 16. Und sieh! und sieh! an weißer Wand, Da kam's hervor, wie Menschenhand; 17. Und schrieb und schrieb an weißer Wand Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

18. Der König stieren Blicks da saß, Mit schlotternden Knieen und totenblaß. 19. Die Knechteschar saß kalt durchgraut Und saß gar still, gab keinen Laut.

Heine. 20.

[H] 75

Die Magier kamen, doch keiner verstand

Zu deuten die Flammenschrist an der Wand. 21. Belsazar ward aber in selbiger Nacht

Von seinen Knechten umgebracht.

68. (Reg. II, 32.)

1.

Die Grenadiere.

[ß. u. N. 8, 447; Gude 4, 209; L. 2, 329.]

Nach Frankreich zogen zwei Grenadier',

Die waren in Rußland gefangen. Und als fie kamen ins deutsche Quartier, Sie ließen die Köpfe hangen. 2. Da hörten fie beide die traurige Mär:

Daß Frankreich verloren gegangen, Besiegt und zerschlagen das große Heer, — Und der Kaiser, der Kaiser gefangen. 3. Da weinten zusammen die Grenadier' Wohl ob der kläglichen Kunde. Der eine sprach: „Wie weh wird mir, Wie brennt meine alte Wunde!" 4. Der andre sprach: „Das Lied ist aus, Auch ich möcht' mit dir sterben, Doch hab' ich Weib und Kind zu Haus,

Die ohne mich verderben." 5. „Was schert mich Weib, was schert mich Kind,

Ich trage weit beffres Verlangen;

Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind, — Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen! 6. Gewähr' mir, Bruder, eine Bitt': Wenn ich jetzt sterben werde, So nimm meine Leiche nach Frankreich mit, Begrab' mich in Frankreichs Erde.

7. Das Ehrenkreuz am roten Band Sollst du aufs Herz mir legen; Die Flinte gib mir in die Hand Und gürt' mir um den Degen.

76 PI]

Herder.

8. So will ich liegen und horchen still, Wie eine Schildwach', im Grabe, Bis einst ich höre KanonengebrLll Und wiehernder Rosse Getrabe.

9. Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab, Viel' Schwerter klirren und blitzen; Dann steig' ich gewaffnet hervor aus dem Grab, -

Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!"

Johann Gottfried von Herder geb. 25. VIII. 1744 zu Mohrungen in Ostpreuß., f 18. XII. 1803 zu Weimar.

67. Die wiedergesuudene« Söhne. (Reg. II, 31, 52.)

[®. 1, 499; 2. 3, 9; D. 1, 168; Linnig 148.]

1. Was die Schickung schickt, ertrage! Wer ausharret, wird gekrönt. Reichlich weiß sie zu vergelten, Herrlich lohnt sie stillen Sinn. Tapfer ist der Löwensieger, Tapfer ist der Weltbezwinger, Tapfrer, wer sich selbst bezwang. 2. Placidus, ein edler Feldherr, Reich an Tugend und Verdienst,

Beistand war er jedem Armen, Unterdrückten half er auf. Wie er einst den Feind bezwungen, Wie er einst das Reich gerettet, Rettet' er, wer zu ihm floh. 3. Aber ihn verfolgt' das Schick­

sal, Armut und der Bösen Neid. „Laß dem Neid uns und der Armut

Still entgehn!" sprach Placidus ;

dem Fleiße dienen!" Sprach sein Weib: „Und, gute Knaben, Tapfre Knaben, folget uns!" 4. Also gingen sie; im Walde Traf sie eine Räuberschar, Trennet Vater, Mutter, Kinder. Lange sucht der Held sie auf. Placidus, rief eine Stimme

„Aus!

laß uns

Ihm im hochbeherzten Busen, Dulde dich! du findest sie.

5. Und er kam vor eine Hütte. „Kehre, Wandrer, bei mir ein!" Sprach der Landmann, „du bist traurig; Aus! und fasse neuen Mut! Wen das Schicksal drückt, den liebt es;

Herder.

Wem's entzieht, dem will's ver­ gelten;

Wer die Zeit erharret, siegt." 6. Und er ward des Mannes Gärtner,

Dient' ihm unerkannt und treu, Pflegend tief in seinem Herzen Eine bittre Frucht, Geduld. Placidus, rief eine Stimme Ihm im tiefbedrängten Busen, Dulde dich! du findest sie. 7. So verstrichen Jahr' auf Jahre, Bis ein wilder Krieg entsprang. „Wo ist Placidus, mein Feld­ herr?" Sprach der Kaiser, „suchet ihn!" Und man sucht' ihn nicht ver­ gebens: Denn die Prüfzeit war vorüber, Und des Schicksals Stunde schlug. 8. Zween seiner alten Diener

Kamen vor der Hütte Thür, Sahn den Gärtner und erkannten An der Narb' ihn im Gesicht, An der Narbe, die dem Feldherrn Statt der Schätze, statt der Lorbeern Einzig blieb als Ehrenmal.

9. Alsobald ward er gerufen; Es erjauchzt das ganze Heer. Vor ihm ging der Feinde Schrecken, Ihm zur Seite Sieg und Ruhm. Stillen Sinns nahm er den

Palmzweig,

[II] 77

Gab die Lorbeer« seinen Treuen,

Seinen Tapfersten im Heer.

10. Als nach ausgefochtnem Kriege Jetzt der Siegestanz begann, Drängt mit zween seiner Helden Eine Mutter fich hervor: „Vater, nimm hier deine Kinder! Feldherr, sieh hier deine Söhne, Mich, dein Weib, Eugenia! 11. Wie die Löwin ihre Jungen, Jagt' ich fie den Räubern ab. Nachbarlich in dieser Hütte — Komm und schau! — erzog ich fie. Glaubte dich uns längst verloren, Deine Sühne mir statt deiner,

Deiner wert erzog ich sie. 12. Als die Post erscholl vom Kriege, Rufend deinen Namen aus,

Auferweckt vom Totentraume Rüstet' ich die Jünglinge: Zieht, verdienet euren Vater! Streitet unerkannt, und werdet, Werdet eures Vaters wert! 13. Und ich seh', sie tragen Kränze, Ehrenkränze, dir zum Ruhm, Die du unerkannt den Söhnen, Nicht als Söhnen, zuerkannt.

Vater, nimm jetzt deine Kinder! Feldherr, sieh hier deine Söhne Und dein Weib Eugenia!" — 14. Was die Schickung schickt, ertrage; Wer ausharret, wird gekrönt.

78 [II]

Hoffmann von Fallersleben.

Placidus, der stillgesinnte, Lebet noch in Hymnen jetzt;

Seinen Namen nennt die Kirche Preisend Sankt Eustachius.

Christlich wandt' erseinenNamen,

68.

Der Schiffbruch.

(Reg. II, 31, 52.)

[L. 3, 38.]

Mitten in des Weltmeers wilden Wellen

Scheiterte das Schiff. Die Edeln retten Sich im Fahrzeug: „Wo ist Don Alonso?" Riefen sie. Er war des Schiffes Priester. „Reiset wohl, ihr Freunde meines Lebens, Bruder, Oheim!" sprach er von dem Borde; „Meine Pflicht beginnt, die eure endet." Und er eilt hinunter in des Schiffes Kammern, seine Sterbenden zu trösten, Höret ihre Sünden, ihre Buße, Ihr Gebet, und wehret der Verzweiflung, Labet sie und geht mit ihnen unter.--------Welch ein Geist war größer? Jenes Cato, Der im Zorne sich die Wunden aufriß, Oder dieses Priesters, der, den Pflichten

Seines Amtes treu, im Meer versinket?

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben geb. 2. IV. 1798 z. Fallersleben, f 19. I. 1874 zu Corvey a. d. Weser.

Morgenlied.

69.

(Reg. II, 6, 45.)

[ß. u. N. 3, 504.]

1. Die Sterne find erblichen mit ihrem güldnen Schein. Bald ist die Nacht entwichen, der Morgen dringt herein.

im Thal und überall; singt nur die Nachtigall.

Noch waltet tiefes Schweigen Auf srischbetauten Zweigen

Hoffmann von Fallersleben.

[II] 79

2. Sie singet Lob und Ehre

dem hohen Herrn der Welt, die Hand des Segens hält. Er hat die Nacht Vertrieben: ihr Kindlein, fürchtet nichts! Stets kommt zu seinen Lieben der Vater alles Lichts.

Der überm Land und Meere

Abcndlicd.

7«. (Reg. II, 7, 45.)

[L. u.N. 3, 504; L. 3, 70.]

1. Abend wird es wieder: über Wald und Feld Säuselt Frieden nieder, und es ruht die Welt. Nur der Bach ergießet sich am Felsen dort, Und er braust und fließet immer, immer fort. 2. Und kein Abend bringet Frieden ihm und Ruh, Keine Glocke klinget ihm ein Rastlied zu.

So in deinem Streben bist, mein Herz, auch du: Gott nur kann dir geben wahre Abendruh.

71.

Heimat.

(Reg. II, 8, 45.)

1.

[L. 3, 74.]

Kein schöner Land als Heimat,

und meine Heimat nur!

Wie blüht der Baum so anders, wie anders Wies' und Flur! 2. Jetzt hab' ich keine Heimat, dem Vogel gleich im Wald,

Und werd' in lauter Hoffen und Sehnen traurig alt. 3. Mit Liedern möcht' ich bannen zu mir mein Jugendland, Wie einen schönen Garten bebaun mit eigner Hand, 4. Und zwischen Laub und Blüten und Früchten mich ergehn

Und ruhig nach den Bergen

der blauen Ferne sehn. 5. Kein schlimmer Land als Fremde, und meine Fremde nur! Wie blüht der Baum so anders, wie anders Wies' und Flur!

72.

Vergißmeinnicht.

(Reg. II, 10, 45.)

1.

Es blüht ein schönes Blümchen auf unsrer grünen Au.

Sein Aug' ist wie der Himmel so heiter und so blau. Es weiß nicht viel zu reden, und alles, was es spricht, Ist immer nur daffelbe, ist nur: Vergißmeinnicht.

Hoffmann von Fallersleben.

80 [II]

2.

Wenn ich zwei Äuglein sehe so heiter und so blau,

So denk' ich an mein Blümchen auf unsrer grünen Au. Da kann ich auch nicht reden, und nur mein Herze spricht,

So bange nur, so leise, und nur: Vergißmeinnicht.

73.

Wo wohnt das Glück? (Reg. II, 21, 44.)

1.

O frag mich nicht: was ist denn Glück?

Sieh vorwärts nicht, noch sieh zurück!

O such es nicht in weiter Ferne Auf diesem oder jenem Sterne!

O such's nicht dort und such's nicht hier! Es wohnet Nur in dir.

2.

Und wenn du's da nicht finden magst,

Umsonst ist, daß du weinst und klagst, Umsonst dein Sehnen, dein Verlangen, Umsonst dein Hoffen und dein Bangen.

O frag mich nicht! — das Glück sind wir, Das Glück wohnt nur in dir.

74.

Das Lied der Deutschen. (Reg. II, 14.)

[L. 3, 72.]

1. Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt, Wenn es stets zu Schutz und Trutze

Brüderlich zusammen hält, Von der Maas bis an die Memel,

Von der Etsch bis an den Belt —

Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt! 2.

Deutsche Frauen, deutsche Treue,

Deutscher Wein und deutscher Sang Sollen in der Welt behalten Ihren alten schönen Klang,

Uns zu edler That begeistern

Hoffntann von Fallersleben.

[II] 81

Unser ganzes Leben läng. — Deutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher Sang! 3. Einigkeit und Recht und Freiheit Für das deutsche Vaterland, — Danach laßt uns alle streben

Brüderlich mit Herz und Hand!

Einigkeit und Recht und Freiheit Sind des Glückes Unterpfand, — Blüh im Glanze dieses Glückes,

Blühe, deutsches Vaterland!

75.

Mein Lieben.

(Reg. II, 14, 45.)

[S. 3, 73.]

1. Wie könnt' ich dein vergessen! ich weiß, was du mir bist, Wenn auch die Welt ihr liebstes und bestes bald vergißt. Ich fing es hell und ruf es laut: mein Vaterland ist meine Braut! Wie könnt' ich dein vergessen! ich weiß, was du mir bist. 2. Wie könnt' ich dein vergessen! dein denk ich allezeit; Ich bin mit dir verbunden, mit dir in Freud und Leid. Ich will für dich im Kampfe stehn, und soll es sein, mit dir vergehn. Wie könnt' ich dein vergessen! dein denk ich allezeit. 3. Wie könnt' ich dein vergessen! ich weiß, was du mir bist,

So lang ein Hauch von Liebe und Leben in mir ist. Ich suche nichts, als dich allein, als deiner Liebe wert zu sein. Wie könnt' ich dein vergessen! ich weiß, was du mir bist.

76.

Mei« Vaterland. (Reg. II, 14.)

1.

Treue Liebe bis zum Grabe

Schwör ich dir mit Herz und Hand: Was ich bin und was ich habe,

Dank ich dir, mein Vaterland. Hessel, Mustergedichte.

Holtet.

82 [II] 2.

Nicht in Worten nur und Liedern

Ist mein Herz zum Dank bereit; Mit der That will ich's erwidern

Dir in Not, in Kampf und Streit. 3. In der Freude wie im Leide Ruf ich's Freund und Feinden zu: Ewig find vereint wir beide, Und mein Trost, mein Glück bist du. 4. Treue Liebe bis zum Grabe Schwör ich dir mit Herz und Hand: Was ich bin und was ich habe, Dank ich dir, mein Vaterland. 77.

Lied der armen Damastweber. (Reg. H, 20, 45.)

1. Ach, könnten wir doch leben nur einmal sorgenfrei! Wir weben stets und weben und bleiben arm dabei. 2. Blüht Freud in Dorf und Städtchen, int Wald und auf der Flur, So hängt an einem Fädchen doch unsre Freude nur. 3. Wie manches Fädchen schießen wir in den Auftrag ein, Eh uns daraus will sprießen ein farblos Blümelein! 4. Doch wie auf weißem Grunde schneeweiß manch Blümchen blüht, So soll zu jeder Stunde auch blühen das Gemüt.

5. Ist farblos unser Leben, so ohne Frühlingsschein, — Gott wird einst Frühling geben, wir alle warten sein.

Karl von Holter geb. 24. I. 1797 zu Breslau, f 12. II. 1880 daselbst. 78.

Mantellied.

(Reg. n, 20.)

I. Schier dreißig Jahre bist du alt, Hast manchen Sturm erlebt;

Holtet.

[II]

83

Hast mich wie ein Bruder beschützet, Und wenn die Kanonen geblitzet, Wir beide haben niemals gebebt. 2. Wir lagen manche liebe Nacht,

Durchnäßt bis auf die Haut; Du allein, du hast mich erwärmet, Und was mein Herze hat gehärmet, Das hab ich dir, Mantel, vertraut. 3. Geplaudert hast du nimmermehr,

Du warst mir still und treu; Du warst getreu in allen Stücken, Drum laß ich dich auch nicht mehr flicken,

Du Alter, du würdest sonst neu. 4. Und mögen sie mich verspotten, Du bleibst mir teuer doch;

Denn wo die Fetzen runter hangen,

Sind die Kugeln hindurch gegangen; Jede Kugel, die macht halt ein Loch. 5. Und wenn die letzte Kugel kommt Ins preußsche Herz hinein: Lieber Mantel, laß dich mit mir begraben, Weiter will ich von dir nichts haben;

In dich hüllen sie mich ein. 6. Da liegen wir zwei beide Bis zum Appell im Grab! Der Appell, der macht alles lebendig, Da ist es denn auch ganz notwendig, Daß ich meinen Mantel hab.

79.

Frumme Wünsche (schlesische Mundart). (Reg. II, 46.)

1. Und vum Uchse de Kraft, Und vum Sperrlich a Saft, Und vum Marder a Zahn, Und do wär' ihch a Mahn!

2. Annen Bart, wie a Buck, Und an'n Zippelpelzruck *), Wie a Zeiske?) su grien, Und do wär ihch wul schien I

84

Hölty,

PI]

3. Und de Nase tonnt Fachs, Und de Oogen tonnt Luchs,

Und de Beene toum Färd, Und do wär ihch was wert! 4. Wie a Löwe ane Matt, Wie a Bählamm sn gntt, Und sn flink wie a Onerl, Und do wär ihch a Kerl! . 1) Zobelpelzrock.

2) Zeisig.

5. Wie a Hirsch nie nich matt, Wie a Schlampeißkerb) glatt, Wie Schalastern gescheit, Und do käm ich tont weit. 6. Oder 'sch8) kann nn nich sein, Und do find ihch mihch 'nein Und ihch bleib wie ihch bihn, Und's mnhß haldig ooch gihn. 3) Aal (Schlammbeißer).

4) Elster.

5) Wer es.

Ludwig Heinrich Christoph Hölty geb. 21. XII. 1748 zu Mariensee b. Hannover, f 1. IX. 1776 zu Hannover.

80.

Das Feuer im Walde.

(Reg. II, 10, 85, 52.)

[G. 1, 203; L. u. N. 2, 144.]

Zween Knaben liefen durch den Hain Und lasen Eichenreiser aus Und türmten fich ein Hirtenfeur. Sie freuten sich der schönen Glut, Die wie ein helles Osterfeur Gen Himmel flog, und setzten sich

Auf einen alten Weidenstumpf. Sie schwatzten dies und schwatzten das: Vom Feuermann und Ohnekopf, Vom Amtmann, der im Dorfe spukt Und mit der Fenerkette klirrt, Weil er nach Ansehn sprach und Geld,

Wie's liebe Vieh die Bauern schund,

Und niemals in die Kirche kam. Sie schwatzten dies und schwatzten das: Vom felgen Pfarrer Habermann,

Hölty.

Der noch den Nußbaum pflanzen thät, Von dem sie manche schöne Nuß

Herabgeworfen, als sie noch Zur Pfarre gingen, manche Nuß!

Sie segneten den guten Mann In seiner kühlen Gruft dafür Und knackten jede schöne Nuß Noch einmal in Gedanken auf. Da rauscht das dürre Laub empor, Und sieh, ein alter Kriegesknecht Wankt durch den Eichenwald daher, Sagt: „Guten Abend!" wärmet sich Und setzt sich aus den Weidenstumpf. „Wer bist du, guter alter Mann?" — „Ich bin ein preußischer Soldat, Der in der Schlacht bei Kunersdorf Das Bein verlor, und leider Gotts! Vor fremden Thüren betteln muß. Da ging es scharf, mein liebes Kind! Da sauseten die Kugeln uns

Wie tausend Teufel um den Kopf! Dort flog ein Arm und dort ein Bein! Wir Patschelten durch lauter Blut, Und Roß und Reiter lagen da, Wie Kraut und Rüben." „Lieber Gott!" Sprach Hans und sahe Töffeln an, „Mein Seel! ich werde kein Soldat, Und wandre lieber hinterm Pflug. Da fing ich mir die Arbeit leicht Und spring und tanze wie ein Hirsch

Und lege, wann der Abend kommt, Mich Hintern Ofen auf die Bank. Doch kommt der Schelmfranzos zurück, Der uns die besten Hühner stahl Und unser Heu und Korn dazu; Dann nehm ich einen roten Rock

[II] SS

Hölty.

86 [II]

Und auf den Buckel mein Gewehr!

Dann komm nur her, du Schelmfranzos!" Das Feuer sank und wölkte kaum

Noch Dampf empor; sie gingen fort.

81.

Der alte Land«««« a« seinen Soh«. (Gekürzt). (Reg. II, 20.)

1.

[G. 1, 212.]

Üb immer Treu und Redlichkeit

Bis an dein kühles Grab,

Und Weiche keinen Finger breit Von Gottes Wegen ab!

Dann wirst du, wie aus grünen Aun, Durchs Pilgerleben gehn; Dann kannst du sonder Furcht und Graun Dem Tod ins Antlitz sehn. 2. Dann wird die Sichel und der Pflug In deiner Hand so leicht; Dann singest du beim Wasierkrug, Als wär' dir Wein gereicht. Dem Bösewicht wird alles schwer, Er thue, was er thu; Der Teufel treibt ihn hin und her Und läßt ihm keine Ruh. 3. Der schöne Frühling lacht ihm nicht, Ihm lacht kein Ährenfeld; Er ist auf Lug und Trug erpicht Und wünscht sich nichts als Geld.

Der Wind im Hain, das Laub am Baum Saust ihm Entsetzen zu; Er findet nach des Lebens Raum Im Grabe keine Ruh. 4. Sohn, übe Treu und Redlichkeit Bis an dein kühles Grab, Und weiche keinen Finger breit Von Gottes Wegen ab!

Hölty. Dann suchen Enkel deine Gruft Und weinen Thränen drauf, Und Sommerblumen, fioH von Duft,

Blühn aus den Thränen auf.

82. Aufmunterung zur Freude. (Gekürzt). (Reg. II, 1, 20.)

1.

[L. u. N. 2, 144; G. 1, 78.]

Wer wollte sich mit Grillen plagen,

So lang uns Lenz und Jugend blühn? Wer wollt' in seinen Blütentagen

Die Stirn in düstre Falten zieh»? 2. Die Freude winkt auf allen Wegen, Die durch dies Pilgerleben gehn;

Sie bringt uns selbst den Kranz entgegen, Wenn wir am Scheidewege stehn. 3. Noch rinnt und rauscht die Wiesenquelle;

Noch ist die Laube kühl und grün; Noch scheint der liebe Mond so helle,

Wie er durch Adams Bäume schien! 4. Noch tönt der Busch voll Nachtigallen Dem Jüngling süße Fühlung zu; Noch strömt, wenn ihre Lieder schallen, Selbst in zerrißne Seelen Ruh! 5. O, wunderschön ist Gottes Erde Und wert, darauf vergnügt zu sein! Drum will ich, bis ich Asche werde, Mich dieser schönen Erde fteun!

83.

Frühliugslied.

(Reg. II, 2.)

1.

[Kr. 147.]

Die Lust ist blau, das Thal ist grün,

Die kleinen Maienglocken blühn, Und Schlüsielblumen drunter; Der Wiesengrund

[II] 87

Kaulisch.

88 [II] Ist schon so bunt

Und malt sich täglich bunter. 2. Drum komme, wem der Mai gefällt, Und schaue froh die schöne Welt Und Gottes Vatergüte,

Die solche Pracht

Hervorgebracht, Den Baum und seine Blüte.

84.

Auftrag.

(Reg. II, 22, 39, 47.) 1.

[G. 1, 215.]

Ihr Freunde, hänget, wann ich gestorben bin, Die kleine Harfe hinter dem Altar auf, Wo an der Wand die Totenkränze Manches verstorbenen Mädchens schimmern!

2.

Der Küster zeigt dann freundlich dem Reisenden Die kleine Harfe, rauscht mit dem roten Band,

Das, an der Harfe festgeschlungen, Unter den goldenen Saiten flattert.

Wilhelm Kaulisch geb. 15. IV. 1827 zu Roßwein, Königreich Sachsen, Neustadt bei Stolpen.

85.

Wenn du noch eine Mntter hast. (Reg. II, 22.)

f 15. IX. 1881 zu

(Gekürzt.)

[D. 3, 112.]

1. Wenn du noch eine Mutter hast, So danke Gott und sei zufrieden; Nicht allen auf dem Erdenrund Ist dieses hohe Glück beschieden.

Wenn du noch eine Mutter hast, So sollst du sie mit Liebe pflegen, Daß sie dereinst ihr müdes Haupt In Frieden kann zur Ruhe legen.

Kaulisch. 2. Sie hat vom ersten Tage an Für dich gelebt mit bangen Sorgen; Sie brachte abends dich zur Ruh

Und weckte küssend dich am Morgen. Und warst du krank, sie pflegte dein, Den sie mit tiefem Schmerz geboren;

Und gaben alle dich schon auf, Die Mutter gab dich nicht verloren. 3. Sie lehrte dich den frommen Spruch, Sie lehrte dich zuerst das Reden; Sie faltete die Hände dein Und lehrte dich zum Vater beten. Sie lenkte deinen Kindesfinn, Sie wachte über deine Jugend;

Der Mutter danke es allein, Wenn du noch gehst den Pfad der Tugend. 4. Wie oft hat nicht die zarte Hand

Auf deinem lockgen Haupt gelegen, Wie ost hat nicht ihr frommes Herz Gefleht für dich um Gottes Segen; Und hattest du die Lieb verkannt, Gelohnt mit Undank ihre Treue,

Die Mutter hat dir stets verziehn,

Mit Liebe dich umfaßt aufs neue. 5. Und hast du keine Mutter mehr,

Und kannst du sie nicht mehr beglücken, So kannst du doch ihr frühes Grab Mit frischen Blumenkränzen schmücken. Ein Muttergrab, ein heilig Grab!

Für dich die ewig heilge Stelle! O, wende dich an diesen Ort, Wenn dich umtost des Lebens Welle!

[II] 89

Kerner.

so [II]

Justinas Kerner geb. 18. IX. 1786 zu Ludwigsburg, f 22. II. 1862 zu Weinsberg.

86.

Der reichste Fürst.

(Reg. II, 16.) [G. 2, 528; Gude 4, 165; L. 3, 83; D. 2, 61; Förster 186; Kr. 137; Kehr 49.]

1. Preisend mit viel schönen Reden Ihrer Länder Wert und Zahl, Saßen viele deutsche Fürsten Einst zu Worms im Kaisersaal. 2. Herrlich, sprach der Fürst von Sachsen, Ist mein Land und seine Macht, Silber hegen seine Berge Wohl in manchem tiefen Schacht. 3. Seht mein Land in üppger Fülle, Sprach der Kurfürst von dem Rhein, Goldne Saaten in den Thälern,

Auf den Bergen edlen Wein! 4. Große Städte, reiche Klöster,

Ludwig, Herr zu Baiern, sprach, Schaffen, daß mein Land dem euren

Wohl nicht steht an Schätzen nach.

5.

Eberhard, der mit dem Barte,

Würtembergs geliebter Herr,

Sprach: Mein Land hat kleine Städte, Trägt nicht Berge silberschwer; 6. Doch ein Kleinod hält's verborgen: — Daß in Wäldern, noch so groß, Ich mein Haupt kann kühnlich legen Jedem Unterthan in Schoß. 7. Und es rief der Herr von Sachsen, Der von Baiern, der vom Rhein: Graf im Bart! Ihr seid der reichste, Euer Land trägt Edelstein!

Kerner.

[II] 91

87. Wanderlied. (Reg. D, 8.)

1. Wohlauf! noch getrunken Den funkelnden Wein! Ade nun, ihr Lieben! Geschieden muß sein. Ade nun, ihr Berge, Du väterlich Haus! Es treibt in die Ferne

Mich mächtig hinaus. 2. Die Sonne, sie bleibet Am Himmel nicht stehn, Es treibt sie, durch Länder Und Meere zu gehn. Die Woge nicht haftet Am einsamen Strand, Die Stürme, sie brausen Mit Macht durch das Land. 3. Mit eilenden Wolken Der Vogel dort zieht Und fingt in der Ferne Ein heimatlich Lied.

88.

Der wandernden Welt. 4. Da grüßen ihn Vögel,

Bekannt überm Meer, Sie flogen von Fluren Der Heimat hieher;

Da duften die Blumen Vertraulich um ihn, Sie trieben vom Lande

Die Lüfte dahin. 5. Die Vögel, die kennen Sein väterlich Haus. Die Blumen einst pflanzt' er Der Liebe zum Strauß, Und Liebe, die folgt ihm, Sie geht ihm zur Hand: So wird ihm zur Heimat Das ferneste Land.

Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe.

(Reg. II, 15, 16, 36.)

1.

So treibt es den Burschen Durch Wälder und Feld, Zu gleichen der Mutter,

[L. 3, 87; D. 1, 213.]

Auf der Burg zu Germersheim,

Stark am Geist, am Leibe schwach,

Sitzt der greise Kaiser Rudolf, Spielend das gewohnte Schach. 2. Und er spricht: „Ihr guten Meister Ärzte, sagt mir ohne Zagen: Wann aus dem zerbrochnen Leib

Wird der Geist zu Gott getragen?" 3.

Und die Meister sprechen: „Herr!

Wohl noch heut erscheint die Stunde."

92 [II]

Kerner. Freundlich lächelnd spricht der Greis: „Meister, Dank für diese Kunde!" —

4. „Auf nach Speier! auf nach Speier!" Ruft er, als das Spiel geendet, „Wo so mancher deutsche Held Liegt begraben, sei's vollendet!

5. Blast die Hörner! bringt das Roß, Das mich ost zur Schlacht getragen!" Zaudernd stehn die Diener all, Doch er ruft: „Folgt ohne Zagen!" 6. Und das Schlachtroß wird gebracht. „Nicht zum Kampf, zum ewgen Frieden," Spricht er, „trage, treuer Freund, Jetzt den Herrn, den lebensmüden!" 7. Weinend steht der Diener Schar, Als der Greis auf hohem Stoffe, Rechts und links ein Kapellan, Zieht, halb Leich', aus seinem Schlosse. 8. Trauernd neigt des Schlosses Lind Vor ihm ihre Äste nieder, Vögel, die in ihrer Hut, Singen wehmutsvolle Lieder. 9. Mancher eilt des Wegs daher, Der gehört die bange Sage, Sieht des Helden sterbend Bild Und bricht aus in laute Klage. 10. Aber nur von Himmelslust Spricht der Greis mit jenen zweien; Lächelnd blickt sein Angesicht,

Als ritt' er zur Lust im Maien. 11. Von dem hohen Dom zu Speier Hört man dumpf die Glocken schallen;

Ritter, Bürger, zarte Frauen Weinend ihm entgegen wallen. 12. In den hohen Kaisersaal Ist er rasch noch eingetreten;

Kerner.

[II] 9»

Sitzend dort auf goldnem Stuhl

Hört man für das Volk ihn beten. 13. „Reichet mir den Heilgen Leibi" Spricht er dann mit bleichem Munde; Drauf verjüngt sich sein Gesicht

Um die mitternächtge Stunde. 14. Da auf einmal wird der Saal Hell von überirdschem Lichte, Und entschlummert fitzt der Held, Himmelsruh im Angesichte. 15. Glocken dürfen's nicht verkünden, Boten nicht zur Leiche bieten; Alle Herzen längs des Rheins Fühlen, daß der Held verschieden. 16. Nach dem Dome strömt das Volk, Schwarz, unzähligen Gewimmels; Der empfing des Helden Leib, Seinen Geist der Dom des Himmels.

89. (Reg. II, 22, 45.)

Der Wandrer in der Sägemühle. [L. u. N. 3, 415; Gude 4, 165; L. 3, 86; D. 2, 57; Förster 88; Kr. 141.]

1. Dort unten in der Mühle saß ich in süßer Ruh, Und sah dem Räderspiele und sah den Waffern zu. Sah zu der blanken Säge, es war mir wie ein Traum, Die bahnte lange Wege in einen Tannenbaum. 2. Die Tanne war wie lebend; in Trauermelodie, Durch alle Fasern bebend, sang diese Worte sie: „Du kehrst zur rechten Stunde, o Wanderer, hier ein, Du bist's, für den die Wunde mir dringt ins Herz hinein. 3. Du bist's, für den wird werden, wenn kurz gewandert du„ Dies Holz — im Schoß der Erden

ein Schrein zur langen Ruh." Vier Bretter sah ich fallen, mir ward's ums Herze schwer, Ein Wörtlein wollt' ich lallen, da ging das Rad nicht mehr.

94

Knapp.

Klesheim.

[II]

Anton Freiherr von Klesheim geb. 9. II. 1816 zu Pcterwardein, lebt zu Wien.

90.

's Mailüfterl (östreichisch). (Reg. II, 2, 46.)

1. Wann's Mailüfterl weht,

Schön frisch alle Jahr;

Zgeht im Wald braust der Schnee, Da hebn die blaun Veigerln

Abr d'Liab blüaht nur amal, Und nacha is gar. 5. Jeds Jahr kummt daFrüah-

Dö Köpfcrln auf d'Höh.

2. Und d'Vögerln, dö gschlafn Hann Durch d'Winterszeit,

ling, Js Winter vorbei, Da Mensch aba hat nur

Dö Wern wieder munter Und singen voll Freud. 3. Und blüahn amal d'Rosn, Js 's Herz nimmer trüab,

An anzign Mai; 6. Dö Schwalberln fliagn furt, Do sö ziagn wieder her, Nur da Mensch, wann der furt-

Denn d'Rosnzeit is a Dö Zeit für die Liab. 4. Nur d'Rosn dö blüahn

ziagt, Der kummt nimmer mehr.

Albert Knapp geb. 25. VII. 1798 zu Tübingen, f 18. VI. 1864 zu Stuttgart.

91.

Die Einladung.

(Reg. II, 21, 33.)

1.

[2. 3, 140.]

Ein frommer Landmann in der Kirche saß;

Den Text der Pfarrer aus Johanne las Am Ostermontag, wie der Heiland rief Vom Ufer: „Kindlein, habt ihr nichts zu essen?" —

Das drang dem Landmann in die Seele tief, Daß er in stiller Wehmut dagesessen. 2. Drauf betet er: „Mein liebster Jesu Christ!

So ftagest du? O, wenn du hungrig bist,

Knapp.

[II] 95

So sei am nächsten Sonntag doch mein Gast

Und halt an meinem armen Tische Rast! Ich bin ja Wohl nur ein geringer Mann, Der nicht viel Gutes dir bereiten kann; 3. Doch deine Huld, die dich zu Sündern trieb, Nimmt auch an meinem Tische Wohl fürlieb." — Er wandelt heim und spricht sein herzlich Wort An jedem Tag, die ganze Woche fort. Am Samstag Morgen läßt's ihn nimmer ruhn:

„Frau," hebt er an, „nimm aus dein bestes Huhn,

4. Bereit es kräftig, fege Flur und Haus, Stell in die Stub auch einen schönen Strauß! Denn wisse- daß du einen hohen Gast Auf morgen Mittag zu bewirten hast! Putz unsre Kinderlein, mach alles rein! — Der werte Gast will wohl empfangen sein." 5. Da springen alle Kinderlein heran: „O Vater, wer? wie heißt der liebe Mann?" Die Mutter fragt: „Nun, Vater, sage mir, Gar einen Herren ludest du zu dir?" Der Vater aber lächelt, sagt es nicht, — Und Freude glänzt in seinem Angesicht. 6. Am Sonntag ruft der Morgenglocken Hall, Zum lieben Gotteshause ziehn sie all. Und immer seufzt der Vater innerlich: „O liebster Jesu, komm, besuche mich! Du hast gehungert; — ach, so möcht' ich gern

Dich einmal speisen, meinen guten Herrn!" 7. Wie die Gemeinde drauf nach Hause geht,

Die Mutter bald am Herde wieder steht. Das Huhn ist weich, die Suppe dick und fett; Sie deckt den Tisch, bereitet alles nett, Trägt auf und denkt beim zwölften Glockenschlag: Wo doch der Gast so lange bleiben mag! 8. Es schlägt auf Eins, da wird's ihr endlich bang: „Sprich, lieber Mann, wo weilt dein Gast so lang?

Kopisch.

96 [II]

Die Suppe siedet ein, die Kinder stehn So hungrig da, — und noch ist nichts zu sehn.

Wie heißet denn der Herr? ich glaube fast, Daß du vergeblich ihn geladen hast."

Der Vater aber winkt den Kinderlein:

9.

„Seid nur getrost! er kommt nun bald herein."

Drauf wendet er zum Himmel das Gesicht

Und faltet zum Gebet die Hände, spricht: „Herr Jesu Christe, komm, sei unser Gast, Und segne uns, was du bescheret hast!"

10.

Da klopft es an der Thüre; seht, ein Greis

Blickt matt herein, die Locken silberweiß. „Gesegn' euch's Gott! erbarmt euch meiner Not!

Um Christi willen nur ein Stücklein Brot! Schon lange bin ich hungrig umgeirrt:

Vielleicht, daß mir bei euch ein Biffen wird."

11.

Da eilt der Vater: „Komm, du lieber Gast!

Wie du so lange doch gesäumet hast! Schon lange ja dein Stuhl dort oben steht. Komm, labe dich, du kommst noch nicht zu spät." —

Und also führet er den armen Mann

Mit hellen Augen an den Tisch hinan.

12.

Und: „Mutter, sieh doch! seht, ihr Kinderleinl

Den Heiland lud ich vor acht Tagen ein.

Ich wußt' es wohl, daß, wenn man Jesum lädt, Er einem nicht am Haus vorüber geht. O Kinder, seht! in diesem Ärmsten ist Heut unser Gast der Heiland Jesus Christ."

August Kopisch geb. 26. V. 1799 zu Breslau, f 6. II. 1853 zu Berlin.

92.

Die Heinzelmännchen.

(Reg. II, 15, 30, 44.) [L. u. N. 3, 513; Gude 4, 286; D. 3, 53.]

1.

Wie war zu Köln es doch vordem

Mit Heinzelmännchen so bequem!

Kopisch. Denn war man faul, — man legte sich

Hin auf die Bank und pflegte sich: Da kamen bei Nacht, Ehe man's gedacht, Die Männlein und schwärmten Und klappten und lärmten Und rupften

Und zupften Und hüpften und trabten Und putzten und schabten, — Und eh ein Faulpelz noch erwacht, — War all sein Tagewerk — bereits gemacht! 2. Die Zimmerleute streckten fich Hin auf die Spän und reckten fich. Jndeffen kam die Geisterschar Und sah, was da zu zimmern war. Nahm Meißel und Beil Und die Säg in Eil; Sie sägten und stachen Und hieben und brachen,

Berappten Und kappten, Vifierten wie Falken Und setzten die Balken, — Eh sich's der Zimmermann versah, — Klapp! stand das ganze Haus — schon fertig da! 3. Beim Bäckermeister war nicht Not, Die Heinzelmännchen backten Brot. Die faulen Burschen legten sich — Die Heinzelmännchen regten sich —

Und ächzten daher Mit den Säcken schwer — Und kneteten tüchtig

Und wogen es richtig Und hoben Und schoben Hessel, Mustergedichte.

[H] 97

SS

Kopisch.

[II]

Und fegten und backten Und Köpften und hackten. Die Burschen schnarchten noch im Chor: Da rückte schon das Brot — das neue, vor!

4.

Beim Fleischer ging es just so zu:

Gesell und Bursche lag in Ruh;

Indessen kamen die Männlein her Und hackten das Schwein die Kreuz und Quer. Das ging so geschwind. Wie die Mühl im Wind! Die Kappten mit Beilen, Die schnitzten an Speilen, Die spülten, Die wühlten Und mengten und mischten Und stopften und wischten. That der Gesell die Augen auf: Wapp! hing die Wurst da schon im Ausverkauf! 5. Beim Schenken war es so: es trank Der Küfer, bis er niedersank; Am hohlen Fasse schlief er ein. Die Männlein sorgten um den Wein Und schwefelten fein Alle Fässer ein Und rollten und hoben Mit Winden und Kloben Und schwenkten

Und senkten Und gossen und panschten Und mengten und manschten. Und eh der Küfer noch erwacht, War schon der Wein geschönt und fein gemacht! 6. Einst hatt' ein Schneider große Pein: Der Staatsrock sollte fertig sein; Warf hin das Zeug und legte sich

Hin auf das Ohr und pflegte sich.

Kopisch.

[II] 99

Da schlüpften sie frisch In den Schneidertisch

Und schnitten und rückten Und nähten und stickten Und faßten

Und paßten Und strichen und guckten Und zupften und ruckten; — Und eh mein Schneiderlein erwacht, War Bürgermeisters Rock — bereits gemacht! 7. Neugierig war des Schneiders Weib Und macht sich diesen Zeitvertreib: Streut Erbsen hin die andre Nacht. Die Heinzelmännchen kommen sacht; Eins führet nun aus. Schlägt hin im Haus, Die gleiten von Stufen Und plumpen in Kufen, Die fallen Mit Schallen, Die lärmen und schreien

Und vermaledeien! Sie springt hinunter auf den Schall Mit Licht: husch husch husch husch! — verschwinden all'! 8. O weh! nun find sie alle fort Und keines ist mehr hier am Ort! Man kann nicht mehr wie sonsten ruhn.

Man muß nun alles selber thun! Ein jeder muß fein Selbst fleißig sein Und kratzen und schaben Und rennen und traben Und schniegeln Und biegeln Und klopfen und hacken Und kochen und backen.

100 [II]

Kopisch.

Ach, daß es noch wie damals wär'! Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her.

93. Des Meinen Volkes Überfahrt. (Reg. II, 30.)

[Gude 4, 286.]

1. „Steh auf, steh auf! es pocht ans Haus!" „„Tipp, tipp!"" — „Wer mag das sein?" Der alte Fährmann geht hinaus: „„Tipp, tipp!"" — „Wer mag das sein?" Nichts sieht er, — halb nur scheint der Mond: Die Sache deucht ihm ungewohnt. Da flüstert es fein: ,,„O Fährmann mein, Wir sind ein winzig Völkelein Und haben Weib und Kindelein. Fahr über uns, die Müh ist klein, Und jedes zahlt sein Hellerlein. Es lärmt zu sehr int Lande, Wir wollen zum andern Strande. 2. Unheimlich wird's an diesem Ort, Es gellt hier zu viel Hammerschlag

Und schießt und trommelt fort und fort, Die Glocken läuten Tag für Tag!"" — Der Fährmann steigt in seinen Kahn: „Ich will euch fahren; kommt heran!

Werft ohne Betrug Das Geld in den Krug!" — O welchen Lärm vernahm er da, Obwohl er nichts am Ufer sah: Er wußte nicht, wie ihm geschah, Es klang wie fern und war doch nah: Zehntausend kleine Stimmchen, Viel feiner als die Jmmchen. 3. Der Schiffer ruft dem Knechte sein; Er kommt. Die kleinen Wesen schrein:

„„Zertritt uns nicht, wir find so klein!"" —

Da mußt' er wohl behutsam sein.

Tück, tück! fiel's in den Krug hinab. Wie jeder seinen Heller gab. Pirr! trippelt's heran

Und stapft zum Kahn Und ächzt wie mit Kisten und Kasten schwer, Rückt, drückt und schiebt fich hin und her, Weint, ruft und zankt fich überquer, Es drängt und zwängt sich immer mehr: »„Fahr ab, der Kahn will finken! Fort! eh wir all ertrinken!"" 4. Der Schiffer stößt vom User los ; Und als er jeho drüben war, Geht an das Schiff mit leichtem Stoß. „„Au!"" schrie die ganze kleine Schar. In Ohnmacht fiel da manche Frau, Das hörte man am Ton genau. Run dappelt's hinaus Mit Katz und Maus, Mit Kind und Kegel und Stuhl und Tisch, Mit Kisten und Kasten und Federwisch. Es war ein Lärmen und ein Gemisch

Von Ruf und Zank und Stillgezisch! Nichts steht man; doch am Schalle Hört man, hinaus find alle. — 5. Nach holt er wieder neue Schar; Die lärmt hinaus; er fährt zurück. Als dreißigmal gefahren war, Läßt nach im Krug das tück tück tück.

Er fährt den letzten Teil zum Strand, Der Mond geht unter am Himmelsrand.

Doch dunkelt es nicht: Was glänzt so licht? Am Strand gehn tausend Lichter klein

Wie von Johanneswürmelein....

102 [II]

Kopisch. Da rafft der Knecht vom Uferrain Erdboden in den Hut hinein. Setzt auf und kann nun schauen

Die Männlein und die Frauen. 6. O welche Wunder er nun sah: Der ganze Strand war all bedeckt; Sie liefen mit Laternchen da, Von Gras und Blumen oft versteckt, Und trugen Kindlein wunderhold Und Edelstein und rotes Gold.

Hei, dmket der Knecht,

Das kommt mir recht! Und langt begierig aus dem Kahn Am Uferrrande weit hinan.... Da merket ihn ein kleiner Mann, Der fängt ein Zeterschreien an. — Puh, puh! sind aus die Lichte, Verschwunden alle Wichte! 7. Drauf flog es her wie Erbsen klein; Es mochten kleine Steinchen sein, Die warfen sie mit großer Pein Und ächzten mühsam hinterdrein! — „Es sprühet immer mehr wie toll! Fort, fort von hier, der Kahn wird voll!" Sie wenden geschwind Herum wie der Wind, Und stoßen eilig ab vom Land Und fahren in Angst sich fest im Sand, Bald rechter Hand, bald linker Hand, Und immer ruft es nach vom Strand: „„Das Fliehn war euer Glücke, Sonst kamt ihr nicht zurücke!"" —

[II]

Kopisch.

94*

103

Das grüne Tier und der Natnrkenner. (Reg. II, 33.)

1.

Die Thadener zu Hanerau sind ausgewitzte Leute:

Wär' noch kein Pulver in der Welt, erfänden sie es heute!

Allein, allein

So wird es immer sein: Was man zum erstenmal erficht,

Kennt selber auch der klügste nicht! Und — wie einmal die Thadener mähn, Sie einen grünen Frosch ersehn, So grüne, so grüne! 2. So grüne war der liebe Frosch und blähte mit dem Kropfe:

Den Thadnem fiel vor Schreck dabei die Mütze von dem Kopfe. Mit Beinen vier Ein grünes, grünes Tier! Das war für fie zu wunderlich, Zu neu und zu absunderlich! Da mußte gleich der Schultheiß her,

Sollt' sagen, welch ein Tier das wär',

Das grüne, das grüne! 3. Das grüne Tier der Schultheiß sah,

als einen Hupf es

machte. Die Thadner wollten schon davon; da sprach der Alte: „Sachte! Lauft nicht davon. Es sitzt und ruhet schon; Seid still! und ich erklär es bald: Das Tier kommt aus dem grünen Wald,

Der grüne Wald ist selber grün, Davon ist auch das Tier so grün, So grüne, so grüne! 4. So grüne; denn es lebt darin von eitel grünem Laube: Und wenn es nicht ein Hirschbock ist, ist's eine Turteltaube!" Da hub der Haus Den Schulz mit Schultern auf, Sie riefen: „das ist unser Mann,

Kopisch.

104 [II]

Der jeglich Ding erklären kann, Er kennt und nennt es keck und kühn.

Kein Kreatur ist ihm zu grün, Zu grüne, zu grüne!"

85.

Blücher am Rhein.

(Reg. II, 15, 17.)

[8. u. N. 3, 516.]

Die Heere blieben am Rheine stehn: Soll man hinein nach Frankreich gehn? Man dachte hin und wieder nach, Allein der alte Blücher sprach: „Generalkarte her! Nach Frankreich gehn ist nicht so schwer. Wo steht der Feind?" „„Der Feind? — dahier!"" „Den Finger drauf, den schlagen wir! Wo liegt Paris?" „„Paris? — dahier!"" „Den Finger drauf, das nehmen wir! Nun schlagt die Brücken übern Rhein! Ich denke, der Champagnerwein Wird, wo er wächst, am besten sein!"

96.

Der Trompeter.

(Reg. II, 20, 22, 45.)

[S. 3, 169.]

1. Wenn dieser Siegesmarsch in das Ohr mir schallt, Kaum halt ich da die Thränen mir zurück mit Gewalt.

Mein Kamerad, der hat ihn geblasen in der Schlacht, Auch schönen Mädchen oft als ein Ständchen gebracht; Auch zuletzt, auch zuletzt in der grimmigsten Not Erscholl er ihm vom Munde, bei seinem jähen Tod. Das war ein Mann von Stahl, ein Mann von echter Art; Gedenk ich seiner, rinnet mir die Thrän in den Bart. Herr Wirt, noch einen Krug von dem feurigsten Wein! Soll meinem Freund zur Ehr, ja zur Ehr getrunken sein.

Körner.

[II] 105

2. Wir hatten musiziert in der Frühlingsnacht Und kamen zu der Elbe, wie das Eis schon erkracht; Doch schritten wir mit Lachen darüber unverwandt, Ich trug das Horn und er die Trompet' in der Hand. Da erknarrte das Eis, und es bog, und es brach, Ihn riß der Strom von dannen, wie der Wind so jach; Ich konnt' ihn nimmermehr erreichen mit der Hand, Ich mußte selbst mich retten mit dem Sprung auf den Sand. Er aber trieb hinab, auf die Scholle gestellt, Und rief: Nun geht die Reif in die weite, weite Welt! 3. Drauf setzt' er die Trompet' an den Mund und schwang Den Schall, daß rings der Himmel und die Erde klang! Er schmetterte gewaltig mit vollem Mannesmut, Als gält' es eine Jagd mit dem Eis in der Flut. Er trompetete klar, er trompetete rein, Als ging's mit Vater Blücher nach Paris hinein. Da donnerte das Eis, die Scholle, sie zerbrach, Und wurde eine bange, bange Stille danach! Das Eis verging im Strom, und der Strom in dem Meer: Wer bringt mir meinen Kriegskameraden wieder her?

Karl Theodor Körner geb. 23. IX. 1791 zu Dresden, f 26. VIII. 1813 bei Gadebusch in Mecklenburg.

97.

Harras, der kühne Springer. (Reg. II, 30, 48.)

1. Noch harrte im heimlichen Dämmerlicht Die Welt dem Morgen entgegen, Noch erwachte die Erde vom Schlummer nicht, Da begann sich's im Thale zu regen. Und es klingt herauf wie Stimmengewirr, Wie flüchtiger Hufschlag und Waffengeklirr, Und tief aus dem Wald zum Gefechte Sprengt ein Fähnlein gewappneter Knechte.

106 [II]

Körner.

2. Und Vorbei mit wildem Ruf fliegt der Troß, Wie Brausen des Sturms und Gewitter, Und voran aus feurig schnaubendem Roß Der Harras, der mutige Ritter. Sie jagen, als gält' es den Kampf um die Welt, Auf heimlichen Wegen durch Flur und Feld, Den Gegner noch heut zu erreichen Und die feindliche Burg zu besteigen. 3. So stürmen sie fort in des Waldes Nacht Durch den fröhlich aufglühenden Morgen; Doch mit ihm ist auch das Verderben erwacht, Es lauert nicht länger verborgen: Denn plötzlich bricht aus dem Hinterhalt Der Feind mit doppelt stärkrer Gewalt, Das Hifthorn ruft furchtbar zum Streite, Und die Schwerter entfliegen der Scheide. 4. Wie der Wald dumpf donnernd wiederklingt Von ihren gewaltigen Streichen! Die Schwerter klingen, der Helmbusch winkt,

Und die schnaubenden Rosse steigen. Aus tausend Wunden strömt schon das Blut, Sie achten's nicht in des Kampfes Glut, Und keiner will sich ergeben, Denn Freiheit gilt's oder Leben. 5. Doch dem Häuflein des Ritters wankt endlich die Kraft,

Der Uebermacht muß es erliegen; Das Schwert hat die meisten hinweggerafft, Die Feinde, die mächtigen, siegen.

Unbezwingbar nur, eine Felsenburg, Kämpft Harras noch und schlägt sich durch, Und sein Roß trägt den mutigen Streiter Durch die Schwerter der feindlichen Reiter. 6. Und er jagt zurück durch des Waldes Nacht, Jagt irrend durch Flur und Gehege;

Denn flüchtig hat er des Weges nicht acht, Er verfehlt die kundigen Stege.

Körner. Da hört er die Feinde hinter sich drein, Schnell lenkt er tief in den Forst hinein, Und zwischen den Zweigen wird's Helle,

Und er sprengt zu der lichteren Stelle.

7. Da hält er auf steiler Felsenwand, Hört unten die Wogen brausen; Er steht an des Zschopauthals schwindelndem Rand Und blickt hinunter mit Grausen. Aber drüben auf waldigen Bergeshöhn Sieht er seine schimmernde Beste stehn; Sie blickt ihm freundlich entgegen, Und sein Herz pocht in lauteren Schlägen. 8. Ihm ist's, als ob's ihn hinüberrief. Doch es fehlen ihm Schwingen und Flügel, Und der Abgrund, wohl fünfzig Klafter tief, Schreckt das Roß, es schäumt in den Zügel; Und mit Schaudern denkt er's und blickt hinab, Und vor sich und hinter sich sieht er sein Grab; Er hört, wie von allen Seiten Ihn die feindlichen Scharen umreiten. 9. Noch sinnt er, ob Tod aus Feindes Hand, Ob Tod in den Wogen er wähle. Dann sprengt er vor an die Felsenwand

Und befiehlt dem Herrn seine Seele; Und näher schon hört er der Feinde Troß, Aber scheu vor dem Abgrund bäumt sich das Roß;

Doch er spornt's, daß die Fersen bluten,

Und er setzt hinab in die Fluten. 10. Und der kühne, gräßliche Sprung gelingt, Ihn beschützen höhre Gewalten; Wenn auch das Roß zerschmettert versinkt,

Der Ritter ist wohl erhalten; Und er teilt die Wogen mit kräftiger Hand, Und die Seinen stehn an des Ufers Rand Und begrüßen fteudig den Schwimmer. — Gott verläßt den Mutigen nimmer.

[U] 107

Körner.

108 [II]

98.

(Reg. II, 17.) 1.

LützowS wilde Jagd.

[L. u. N. 8, 190; Gude 4, 69; D. 2, 65; Förster 170; Kr. 72.]

Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?

Hör's näher und näher brausen; Es zieht sich herunter in düsteren Reihn,

Und gellende Hörner schallen darein Und erfüllen die Seele mit Grausen. Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt: Das ist Lützows wilde verwegene Jagd. 2. Was zieht dort rasch durch den finstern Wald Und streift von Bergen zu Bergen? Es legt sich in nächtlichen Hinterhalt; Das Hurrah jauchzt, und die Büchse knallt, Es fallen die fränkischen Schergen. Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt: Das ist Lützows wilde verwegene Jagd. 3. Wo die Reben dort glühen, dort braust der Rhein, Der Wütrich geborgen sich meinte; Da naht es schnell mit Gewitterschein Und wirft sich mit rüstgen Armen hinein Und springt ans Ufer der Feinde. Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt: Das ist Lützows wilde verwegene Jagd. 4. Was braust dort im Thale die laute Schlacht,

Was schlagen die Schwerter zusammen? Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht, Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht Und lodert in blutigen Flammen. Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt:

Das ist Lützows wilde verwegene Jagd. 5. Wer scheidet dort röchelnd vom Sonnenlicht, Unter winselnde Feinde gebettet? Es zuckt der Tod auf dem Angesicht,

Doch die wackern Herzen erzittern nicht;

Körner.

[II] 109

Das Vaterland ist ja gerettet! Und wenn ihr die schwarzen Gefallnen fragt: Das war Lützows wilde verwegene Jagd. 6. Die wilde Jagd, und die deutsche Jagd

Auf Henkersblut und Tyrannen! Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt; Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt, Wenn wir's auch nur sterbend gewannen! Und von Enkeln zu Enkeln sei's nachgesagt:

Das war Lützows wilde verwegene Jagd.

99.

Die fünf Eichen vor Dellwitz. (Reg. II, 10, 17, 48.)

1.

Abend wird's, des Tages Stimmen schweigen,

Röter strahlt der Sonne letztes Glühn, Und hier fitz ich unter euren Zweigen, Und das Herz ist mir so voll, so kühn.

Alter Zeiten alte, treue Zeugen, Schmückt euch noch des Lebens frisches Grün, Und der Vorwelt kräftige Gestalten

Sind uns noch in eurer Pracht erhalten. 2. Viel des Edlen hat die Zeit zertrümmert, Viel des Schönen starb den ftühen Tod, Durch die reichen Blätterkränze schimmert

Seinen Abschied dort das Abendrot. Doch um das Verhängniß unbekümmert,

Hat vergebens euch die Zeit bedroht, Und es ruft mir aus der Zweige. Wehen: Alles Große muß im Tod bestehen. 3. Und ihr habt bestanden! — Unter allen Grünt ihr ftisch und kühn mit starkem Mut. Wohl kein Pilger wird vorüber wallen,

Der in eurem Schatten nicht geruht; Und wenn herbstlich eure Blätter fallen, Tot auch find sie euch ein köstlich Gut;

Krummacher.

110 [II]

Denn verwesend werden eure Kinder Eurer nächsten Frühlingspracht Begründer.

4. Schönes Bild von alter deutscher Treue, Wie sie beßre Zeiten angeschaut, Wo in freudig kühner Todesweihe Bürger ihre Staaten sestgebaut. Ach, was hilft's, daß ich den Schmerz erneue? Sind doch alle diesem Schmerz vertraut! — Deutsches Volk, du herrlichstes vor allen, Deine Eichen stehn, du bist gefallen!

Friedrich Adolf Krummacher geb. 13. VII. 1767 zu Tecklenburg, f 4. IV. 1845 zu Bremen. 100.

Das Lied vom Samenkorn. (Reg. II, 10.)

1. Der Sämann streut aus voller Hand Den Samen aus das weiche Land, Und wundersam! was er gesät, Das Körnlein wieder aufersteht. 2. Die Erde nimmt es in den Schoß, Da wird es seiner Windeln los; Ein zartes Keimchen kommt hervor

Und hebt sein rötlich Haupt empor. 3. Es steht und frieret, nackt und klein,

Und fleht um Tau und Sonnenschein; Die Sonne schaut von hoher Bahn Der Erde Kindlein freundlich an. 4. Bald aber dräuet Frost und Sturm, Und scheu verbirgt sich Mensch und Wurm; Das Körnlein kann ihm nicht entgehn, Es muß in Wind und Wetter stehn. 5. Doch schadet ihm kein Leid noch Weh, Der Himmel deckt mit weichem Schnee

Kugler.

[D] 111

Der Erde nacktes Kindlein zu; Dann schlummert es in guter Ruh. 6. Bald fleucht des Winters trübe Nacht;

Die Lerche singt, das Korn erwacht; Der Lenz heißt Bäum und Wiesen blühn Und schmückt das Feld mit frischem Grün. 7. Nun müssen Halm an Halm erstehn, Und Ähr an Ähre läßt sich sehn,

Und wie ein leise wallend Meer Im Winde wogt es hin und her. 8. Dann schaut vom hohen Himmelszelt Die Sonne auf das Ährenseld; Die Erde ruht in stillem Glanz, Geschmückt mit goldnem Erntekranz. 9. Die Ernte naht, die Sichel klingt, Die Garbe rauscht, gen Himmel dringt Der Freude lauter Jubelsang,

Des Herzens stiller Preis und Dank.

Franz Kugler geb. 19. I. 1808 zu Stettin, f 18. III. 1858 zu Berlin.

101* Rvdelsbura. (Reg. II, 8.)

1. Ander Saale hellem Strande Stehen Burgen stolz und kühn,

Ihre Dächer find gefallen, Und der Wind streicht durch die Hallen, Wolken ziehen drüber hin.

2. Zwar die Ritter sind ver­ schwunden,

Nimmer

klingen

Speer

und

Schild; Doch dem Wandersmann erschei­

nen Auf den altbemoosten Steinen Ost Gestalten zart und mild.

3.Droben winken holde Augen, Freundlich lacht manch roter Mund,

112 [II]

Lenau.

Wandrerschautwohl in die Ferne, Schaut in holder Augen Sterne, Herz ist heiter und gesund. 4.Und der Wandrer zieht von

Denn die Trennungsstunde ruft;

Und er singet Abschiedslieder, Lebewohl! tönt ihm hernieder, Tücher wehen in der Lust.

dannen,

Nikolaus Lena« (Edler vo« Strehlena«) geb. 13. VIII. 1802 zu Csatad int Banat, f 22. VIII. 1850 bei Wien.

102. Der Postillion. (Reg. II, 2, 20, 33.)

[L. u. N. 3, 485; Gude 2, 263.]

1. Lieblich war die Maiennacht, Silberwölklein flogen, Ob der holden Frühlingspracht Freudig hingezogen. 8. Schlummernd lagen Wies' und Hain, Jeder Pfad verlassen;

Niemand als der Mondenschein Wachte auf der Straßen. 3. Leise nur das Lüftchen sprach, Und es zog gelinder Durch das stille Schlafgemach All der Frühlingskinder. 4. Heimlich nur das Bächlein schlich, Denn der Blüten Träume Dufteten gar wonniglich Durch die stillen Räume. 5. Rauher war mein Postillion, Ließ die Geißel knallen, über Berg und Thal davon

Frisch sein Horn erschallen.

6. Und von flinken Rosien vier Scholl der Hufe Schlagen, Die durchs blühende Revier Trabten mit Behagen. 7. Wald und Flur, im schnellen Zug Kaum gegrüßt — gemieden; Und vorbei, wie Traumesflug, Schwand der Dörfer Frieden. 8. Mitten in dem Maienglück Lag ein Kirchhof innen, Der den raschen Wanderblick Hielt zu ernstem Sinnen. 9. Hingelehnt an Bergesrand War die bleiche Mauer, Und das Kreuzbild Gottes stand Hoch, in stummer Trauer.

10. Schwager ritt auf seiner Bahn Stiller jetzt und trüber, Und die Rosse hielt er an, Sah zum Kreuz hinüber:

Lenau.

11. „Halten muß hier Roß und Rad, Mag's euch nicht gefährden:

[II] 113 14. Und dem Kirchhof sandt'

Drüben liegt mein Kamerad

er zu Frohe Wandersänge, Daß es in die Grabesruh

In der kühlen Erden!

Seinem Bruder dränge.

12. Ein gar herzlieber Gesell! Herr, 's ist ewig schade!

Keiner blies das Horn so hell, Wie mein Kamerade! 13. Hier ich immer halten muß, Dem dort unterm Rasen Zum getreuen Brudergruß Sein Leiblied zu blasen!"

15. Und des Hornes heller Ton Klang vom Berge wieder, Ob der tote Postillion

Stimmt' in seine Lieder. 16. Weiter ging's durch Feld und Hag Mit verhängtem Zügel; Lang mir noch im Ohre lag Jener Klang vom Hügel.

103*

Die drei Zigeuner. (Reg. II, 20.)

1. Drei Zigeuner fand ich einmal Liegen an einer Weide, Als mein Fuhrwerk mit müder Oual Schlich durch sandige Heide.

2.

Hielt der eine für fich allein

In den Händen die Fiedel, Spielte, umglüht vom Abendschein, Sich ein feuriges Liebel.

3. Hielt der zweite die Pfeif im Mund, Blickte nach seinem Rauche, Froh, als ob er vom Erdenrund Nichts zum Glücke mehr brauche.

4. Und der dritte behaglich schlief, Und sein Zimbal am Baum hing, über die Saiten der Windhauch lief, Über sein Herz ein Traum ging.

5. An den Kleidern trugen die drei Löcher und bunte Flicken,

Aber sie boten trotzig frei Spott den Erdengeschicken. Hessel, Mustergedichte.

114 [II]

Maßmann.

6.

Miller.

Dreifach haben sie mir gezeigt,

Wenn das Leben uns nachtet, Wie man^s verraucht, verschläft, vergeigt

Und es dreimal verachtet. 7. Nach den Zigeunern lang noch schaun Mußt' ich im Weiterfahren, Nach den Gesichtern dunkelbraun, Den schwarzlockigen Haaren.

Hans Ferdinand Maßmann geb. 15. VIII. 1797 zu Berlin, t 3. VIII. 1874 zu Muskau.

104.

Gelübde. (Reg. II, 14, 45.) (Förster 146.]

1. Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand Dir, Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland!

2. Mein Herz ist entglommen, dir treu zugewandt, Du Land der Freien und Frommen, du herrlich Hermannsland! 3. Will halten und gläuben an Gott fromm und frei! Will, Vaterland, dir bleiben auf ewig fest und treu! 4. Ach Gott, thu erheben mein jung Herzensblut Zu frischem freudgen Leben,

zu freiem frommen Mut! Laß Kraft mich erwerben in Herz und in Hand, Zu leben und zu sterben fürs heilge Vaterland! 5.

Johan» Martin Miller geb. S. XII. 1750 zu Ulm, f 21. VI. 1814 daselbst.

105.

Zufriedenheit.

(Reg. II, 21.)

1.

(Förster 73.]

Was frag ich viel nach Geld und Gut,

Wenn ich zufrieden bin!

Miller. Gibt Gott mir nur gesundes Blut, So hab ich frohen Sinn, Und fing aus dankbarem Gemüt Mein Morgen- und mein Abendlied. 2. So mancher schwimmt im Überfluß,

Hat Haus und Hof und Geld Und ist doch immer voll Verdruß

Und freut sich nicht der Welt:

Je mehr er hat, je mehr er will; Nie schweigen seine Klagen still.

3. Da heißt die Welt ein Jammerthal Und deucht mir doch so schön;

Hat Freuden ohne Maß und Zahl, Läßt keinen leer ausgehn. Das Käferchen, das Vögelein Darf sich ja auch des Maien freun. 4. Und uns zu Liebe schmücken ja

Sich Wiese, Berg und Wald, Und Vögel singen fern und nah, Daß alles wiederhallt: Bei Arbeit singt die Lerch uns zu, Die Nachtigall bei süßer Ruh.

5. Und wenn die goldne Sonn aufgeht, Und golden wird die Welt, Und alles in der Blüte steht, Und Ähren trägt das Feld;

Dann denk ich: alle diese Pracht Hat Gott zu meiner Lust gemacht. 6. Dann preis ich laut und lobe Gott Und schweb in hohem Mut Und denk: Es ist ein lieber Gott, Und meint's mit Menschen gut! Drum will ich immer dankbar sein Und mich der Güte Gottes freun.

[II] 115

116 [II]

Mosen.

Julius Mosen geb. 8. VII. 1803 zu Marieney im Boigilande, f 10. X. 1867 zu Oldenburg.

106.

Der Trompeter an der Katzbach. (Reg. II, 17.)

(26. August 1813.)

[S. u. N. 3, 527; L. 3, 238.]

1. Bon Wunden ganz bedecket, Der Trompeter sterbend ruht, An der Katzbach hingestrecket, Der Brust entströmt das Blut. 2. Brennt auch die Todeswunde, Doch sterben kann er nicht, Bis neue Siegeskunde Zu seinen Ohren bricht. 3. Und wie er schmerzlich ringet In Todesängsten bang,

5. Und die Trompete schmettert— Fest hält sie seine Hand — Und wie ein Donner wettert Viktoria in das Land. 6. Viktoria — so klang es, Viktoria — überall, Viktoria — so drang es Hervor mit Donnerschall. 7. Doch als es ausgeklungen, Die Trompete setzt er ab;

Zu ihm herüberdringet Ein wohlbekannter Klang.

Das Herz ist ihm zersprungen. Vom Roß stürzt er herab.

4. Das hebt ihn von der Erde, Er streckt fich starr und wild —

8. Um ihn herum im Kreise Hielt's ganze Regiment, Der Feldmarschall sprach leise:

Dort sitzt er auf dem Pferde Als wie ein steinern Bild.

107.

„Das heißt ein selig End!"

Andreas Hofer.

(Reg. II, 16, 36.)

(20. Febr. 1810.)

[ß. u. N. 3, 525; D. 2, 85.]

1. Zu Mantua in Banden Der treue Hofer war, In Mantua zum Tode Führt ihn der Feinde Schar; Es blutete der Brüder Herz, Ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz! Mit ihm das Land Tirol.

2.

Die Hände auf dem Rücken,

Andreas Hofer ging

Mit ruhig festen Schritten,

Mosen.

Ihm schien der Tod gering; Der Tod, den er so manchesmal Vom Jselberg geschickt ins Thal Im Heilgen Land Tirol. 3. Doch als aus Kerkergittern

Im festen Mantua Die treuen Waffenbrüder Die Händ er strecken sah, Da rief er aus: „Gott sei mit euch,

Mit dem verratnen deutschen Reich

Und mit dem Land Tirol!"

4. Dem Tambour will der Wirbel Nicht unterm Schlägel vor, Als nun Andreas Hofer Schritt durch das finstre Thor; — Andreas, noch in Banden frei.

Dort stand er fest aus der Bastei, Der Mann vom Land Tirol. 5. Dort soll er niederknieen, Er sprach: „Das thu ich nit! Will sterben, wie ich stehe, Will sterben, wie ich stritt, So wie ich steh auf dieser Schanz; Es leb mein guter Kaiser Franz, Mit ihm sein Land Tirol!" 6. Und von der Hand die Binde Nimmt ihm der Korporal; Andreas Hofer betet Allhier zum letztenmal, Dann rüst er: „Nun, so trefft mich recht! Gebt Feuer! ach, wie schießt ihr schlecht!

Ade, mein Land Tirol!"

[II] 117

118 [II]

Müller.

Wilhelm Müller geb. 7. X. 1794 zu Dessau, f 30. IX. 1827 daselbst.

108.

Das Frühlingsmahl.

(Reg. II, 2, 45.) (Gude 4, 138; Förster 17.]

1.

Wer hat die weißen Tücher

gebreitet über das Land,

Die weißen, duftenden Tücher mit ihrem grünen Rand? 2. Und hat darüber gezogen das hohe, blaue Zelt, Darunter den bunten Teppich gelagert über das Feld? 3. Er ist es selber gewesen, der gute reiche Wirt Des Himmels und der Erden, der nimmer ärmer wird; 4. Er hat gedeckt die Tische in seinem weiten Saal Und ruft, was lebet und webet, zum großen Frühlingsmahl. 5. Wie strömt's aus allen Blüten herab von Strauch und Baum! Und jede Blüt ein Becher voll süßer Düfte Schaum! 6. Hört ihr des Wirtes Stimme? Heran, was kriecht und fliegt, Was geht und steht auf Erden, was unter den Wogen sich wiegt! 7. Und du, mein Himmelspilger, hier trinke trunken dich, Und finke selig nieder aufs Knie, und denk an mich!

109.

Morgenlied.

(Reg. II, 2, 6.)

(Gude 4, 138.]

1. „Wer schlägt so rasch an die Fenster mir Mit schwanken grünen Zweigen?" — „Der junge Morgenwind ist hier Und will sich lustig zeigen.

2.

Heraus, heraus, du Menschensohn!" —

So ruft der kecke Geselle — „Es schwärmt von Frühlingswonnen schon Vor deiner Kammerschwelle.

3. Hörst du die Käfer summen nicht? Hörst du das Glas nicht klirren,

Müller.

[II] 119

Wenn sie, betäubt von Dust und Licht,

Hart an die Scheiben schwirren? 4. Die Sonnenstrahlen stehlen sich Behende durch Blätter und Ranken Und necken auf deinem Lager dich Mit blendendem Schweben und Schwanken. 5. Die Nachtigall ist heiser fast,

Solang hat sie gesungen, Und weil du sie gehört nicht hast, Ist sie vom Baum gesprungen. 6. Da schlug ich mit dem leerm Zweig An deine Fensterscheiben:

Heraus, heraus in des Frühlings Reich! Er wird nicht lange mehr bleiben."

11V.

Der Glockenguß zu Breslau.

(Reg. II, 32, 45.) [L. u. N. 3, 436; Gude 4, 138; L. 3, 243; D. 2, 93; Kr. 26.]

1.

War einst ein Glockengießer

zu Breslau in der Stadt,

Ein ehrenwerter Meister, gewandt in Rat und That. Er hatte schon gegoffen viel Glocken, gelb und weiß, Für Kirchen und Kapellen, zu Gottes Lob und Preis.

2. Und seine Glocken klangen so voll, so hell, so rein; Er goß auch Lieb und Glauben mit in die Form hinein. Doch aller Glocken Krone, die er gegoffen hat, Das ist die Sünderglocke zu Breslau in der Stadt. 3. Im Magdalenenturme da hängt das Meisterstück, Rief schon manch starres Herze zu seinem Gott zurück. Wie hat der gute Meister Wie hat er seine Hände

so treu das Werk bedacht!

gerührt bei Tag und Nacht!

4. Und als die Stunde kommen, daß alles fertig war, Die Form ist eingemauert, die Speise gut und gar, Da ruft er seinen Buben zur Feuerwacht herein: „Ich laß auf kurze Weile beim Keffel dich allein.

5.

Will mich mit einem Trünke

noch stärken zu dem Guß,

120 [II]

Müller,

Das gibt der zähen Speise

erst einen vollen Fluß;

den Hahn mir nimmer an,

Doch hüte dich und rühre

Sonst Mär' es um dein Leben, 6.

Fürwitziger, gethan!"

Der Bube steht am Kessel,

schaut in die Glut hinein; und will entfesselt sein

Das wogt und wallt und wirbelt

und zuckt ihm durch den Sinn

Und zischt ihm in die Ohren

ihn nach dem Hahne hin.

Und zieht an allen Fingern

7.

er hat ihn umgedreht;

Er fühlt ihn in den Händen,

Da wird ihm angst und bange,

er weiß nicht, was er thät.

Und läuft hinaus zum Meister,

die Schuld ihm zu gestehn,

Will seine Knie umfassen 8.

und ihn um Gnade flehn.

der jähe Zom ihm fort.

Er stößt sein scharfes Messer

dem Buben in die Brust. sein selber nicht bewußt;

Dann stürzt er nach dem Kessel, 9.

des Knaben erstes Wort,

Doch wie der nur vernommen

Da reißt die kluge Rechte

den Strom noch hemmen

Vielleicht, daß er noch retten,

kann —

Doch sieh, der Guß ist fertig,

und sieht und will's nicht sehn,

Da eilt er, abzuräumen,

Ganz ohne Fleck und Makel 10.

es fehlt kein Tropfen dran. die Glocke vor sich stehn.

Der Knabe liegt am Boden,

er schaut sein Werk nicht

mehr: Ach, Meister, wilder Meister,

du stießest gar zu sehr!

Er fteöt sich dem Gerichte,

er klagt sich selber an.

Es thut den Richtern wehe

wohl um den wackern Mann;

11.

Doch kann ihn keiner retten,

Er hört sein Todesurtel

Und als der Tag gekommen,

daß man ihn führt hinaus,

der letzte Gnadenschmaus.

Da wird ihm angeboten

12.

und Blut will wieder Blut.

mit ungebeugtem Mut.

„Ich dank euch",

spricht der Meister,

„ihr Herren lieb

und wert; mein Herz von euch begehrt:

Doch eine andre Gnade

Laßt mich nur einmal hören Ich hab sie ja bereitet,

13.

der neuen Glocke Klang!

möcht' wissen, ob's gelang."

Die Bitte ward gewähret,

Die Glocke ward geläutet,

sie schien den Herrn gering;

als er zum Tode ging.

Muller. Der Meister hört sie klingen,

Die Augen gehn ihm über, 14.

so voll, so hell, so rein! es muß vor Freude sein.

Und seine Blicke leuchten,

Er hatt' in ihrem Klange

[II] 121

als wären fie verklärt;

wohl mehr als Klang gehört.

Hat anch geneigt den Nacken

zum Streich voll Zuversicht;

Und was der Tod versprochen, das bricht das Leben nicht. 15. Das ist der Glocken Krone, die er gegoffen hat, Die Magdalenenglocke zu Breslau in der Stadt. Die ward zur Sünderglocke seit jenem Tag geweiht.

Weiß nicht, ob's anders worden

111.

in dieser neuen Zeit.

Der kleme Hhdriot.

(Reg. II, 13, 18, 45.)

[L- u. N. 3, 434; Gude 3, 264.]

Ich war ein kleiner Knabe, stand fest kaum auf dem Bein, Da nahm mich schon mein Vater mit in das Meer hinein

Und lehrte leicht mich schwimmen an seiner sichern Hand Und in die Fluten tauchen bis nieder aus den Sand; Ein Silberstückchen warf er dreimal ins Meer hinab. Und dreimal mußt' ich's holen, eh er's zum Lohn mir gab. Dann reicht' er mir ein Ruder, hieß in ein Boot mich gehn. Er selber blieb zur Seite mir unverdrossen stehn, Wies mir, wie man die Woge mit scharfem Schlage bricht, Wie man die Wirbel meidet und mit der Brandung ficht. Und von dem kleinen Kahne ging's flugs ins große Schiff, Es trieben uns die Stürme um manches Felsenriff; Ich saß auf hohem Maste, schaut' über Meer und Land,

Es schwebten Berg und Türme vorüber mit dem Strand.

Der Vater hieß mich merken auf jedes Vogels Flug, Auf aller Winde Wehen, auf aller Wolken Zug; Und bogen dann die Stürme den Mast bis in die Flut, Und spritzten dann die Wogen hoch über meinen Hut, Da sah der Vater prüfend mir in das Angesicht — Ich saß in meinem Korbe und rüttelte mich nicht, Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so rot: „Glück zu auf deinem Maste, du kleiner Hhdriot!" Und heute gab der Vater ein Schwert mir in die Hand

122 [II]

Müller von Königswinter.

Und weihte mich zum Kämpfer für Gott und Vaterland. Er maß mich mit den Blicken vom Kopf bis zu Mir war's, als thät' sein Auge hinab ins Herz Ich hielt mein Schwert gen Himmel und schaut' Und deuchte mich zur Stunde nicht schlechter als

den Zehn,

mir sehn;

ihn sicher m ein Mann,

Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so rot: „Glück zu mit deinem Schwerte, du Heiner Hydriot!"

Wolfgang Müller (von Königswinter) geb. 5. III. 1816 zu Königswinter, f 29. VI. 1873 zu Neuenahr.

113. 1.

Schwert und Pflug. (Reg. II, 30.)

(Neuenahr.)

Einst war ein Graf, so geht die Mär, der fühlte, daZ er

sterbe; Die beiden Söhne rief er her, zu teilen Hab und Erbe. Nach einem Pflug, nach einem Schwert rief da der alte Degen» Das brachten ihm die Söhne wert; da gab er seinen Segen:

2.

„Mein erster Sohn,

3.

So starb der lebensmüde Greis, als er sein Gut vergeben;

mein stärkster Sproß, du sollst daS Schwert behalten. Die Berge mit dem stolzen Schloß, und aller Ehren walten. Doch dir, nicht minder liebes Kind, dir sei der Pflug gegcken. Im Thal, wo stille Hütten sind, dort magst du friedlich leben." Die Söhne hielten das Geheiß treu durch ihr ganzes Leben.

Doch sprecht, was ward denn aus dem Stahl, dem Schlöße und dem Krieger? Was ward denn aus dem stillen Thal, was aus dem schwachen

4.

Pflüger? O, fragt nicht nach der Sage Ziel, euch künden rings die

Der Berg ist wüst,

Gauen: das Schloß zerfiel, das Schwert ist längst

zerhauen.

[II] 123

Müller von Königswintcr.

Doch liegt das Thal voll Herrlichkeit im lichten Sonnenschimmer, Da wächst und reist es weit und breit: man ehrt den Pflug noch

immer.

118.

Der Mönch z« Heisterbach.

(Reg. II, 15, 31.)

[ß. 3, 255.]

1. Ein junger Mönch im Kloster Heisterbach Lustwandelt an des Gartens fernstem Ort;

Der Ewigkeit sinnt tief und still er nach Und forscht dabei in Gottes heilgem Wort. 2. Er liest, was Petrus der Apostel sprach: Dem Herren ist ein Tag wie tausend Jahr, Und tausend Jahre find ihm wie ein Tag; Doch wie er sinnt, es wird ihm nimmer klar. 3. Und er verliert sich zweifelnd in den Wald: Was um ihn vorgeht, hört und sieht er nicht; Erst wie die fromme Besperglocke schallt, Gemahnt es ihn der entfielt Klosterpflicht. 4. Im Lauf erreichet er den Garten schnell; Ein Unbekannter öffnet ihm das Thor. Er stutzt — doch sieh, schon ist die Kirche hell Und draus ertönt der Brüder heilger Chor. 5. Nach seinem Stuhle eilend tritt er ein, Doch wunderbar, ein andrer fitzet dort;

Er überblickt der Mönche lange Reihn: Nur Unbekannte findet er am Ort. 6. Der Staunende wird angestaunt ringsum, Man fragt nach Namen, frugt nach dem Begehr; Er sagt's, da murmelt man durchs Heiligtum:

Dreihundert Jahre hieß so niemand mehr. 7. Der letzte dieses Namens, tönt es laut, Er war ein Zweifler und verschwand im Wald, Man hat den Namen keinem mehr vertraut. — Er hört das Wort, es überläuft ihn kalt.

124 [II]

Der.

8. Er nennet nun den Abt und nennt das Jahr; Man nimmt das alte Klosterbuch zur Hand, Da wird ein großes Gotteswunder klar:

Er ist's, der drei Jahrhunderte verschwand. 9. Der Schrecken lähmt ihn, plötzlich graut sein Ha»r, Er sinkt dahin, ihn tötet dieses Leid, Und sterbend mahnt er seiner Brüder Schar: „Gott ist erhaben über Ort und Zeit. 10.

Was Er verhüllt, macht nur ein Wunder klar,

Drum grübelt nicht, denkt meinem Schicksal nach; Ich weiß: ihm ist ein Tag wie tausend Jahr, Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag."

Max von Ovr geb. 30. IX. 1806 zu Rottbeck, Westfalen, f 9. VIII. 1846 zu Erfirt.

114.

Die Glocken zu Speier. (Reg. II, 15, 16, 30, 44.)

I.

1. Zu Speier im letzten Häuselein Da liegt ein Greis in Todespein;

Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart, Viel Thränen rinnen in seinen Bart. 2. Es Hilst ihm keiner in seiner Not, Es hilft ihm nur der bittre Tod. Und als der Tod ans Herze kam, Da tönt's auf einmal wundersam.

3. Die Kaiserglocke, die lange verstummt, Von selber dumpf und langsam summt, Und alle Glocken groß und klein Mit vollem Klange fallen ein. 4.

Da heißt's in Speier weit und breit:

Der Kaiser ist gestorben heut!

Pfarrms.

[II] 125

Der Kaiser starb, der Kaiser starb! Weiß keiner, wo der Kaiser starb?

II. 1.

Zu Speier, der alten Kaiserstadt,

Da liegt auf goldner Lagerstatt

Mit mattem Aug und matter Hand Der Kaiser Heinrich, der Fünfte genannt. 2. Die Diener laufen hin und her, Der Kaiser röchelt tief und schwer; — Und als der Tod ans Herze kam, Da tönt's auf einmal wundersam. 3.

Die kleine Glocke, die lange verstummt,

Die Armesünderglocke summt, Und keine Glocke stimmet ein,

Sie summet fort und fort allein. 4. Da heißt's in Speier weit und breit: Wer wird denn wohl gerichtet heut? Wer mag der arme Sünder sein? Sag an, wo ist der Rabenstein?

Gustav Pfarrius geb. 31. XII. 1800 zu Heddesheim bei Kreuznach, lebt zu Köln.

115.

Die Gründung Kreuznachs. (Reg. II, 15, 80, 45.)

1.

Ein Wald im Frankenlande lag wild und schauerlich,

Ein Fluß entwand dem Schatten der Felsenklüfte fich,

Und mitten aus dem Flufle lag eine Insel klein, Und mitten auf der Insel stand hoch ein Kreuz von Stein. 2. Und wenn der Fluß zum Strome durch Regengüsse schwoll,

Daß rings von seinem Tosen Gebirg und Thal erscholl Und seine Hütt in Trümmer der Fischer finken sah: Stand hoch und unerschüttert das Kreuz im Strome da.

126 [II]

Pfarrius.

3. Der Meister, der's errichtet mit kunstgeübter Hand, War übers Meer gekommen ins fränksche Heidenland; War in die Nacht gedrungen der wüsten Barbarei, Damit des Kreuzes Schimmer ein Licht im Finstern sei.

4. Der Fischer ohne Hütte zum fremden Meister fleht: „O lehr ein Haus mich bauen, das gleich dem Kreuze steht!" Und jetzt auf Felsenboden ward Stein auf Stein gesetzt, Das Waffer schwoll und brauste, das Haus blieb unverletzt. 5. Da kamen sie zur Insel gepilgert durch den Wald; Belehrt durchs Kreuz, bekehret zum Kreuz ward jung und alt. Und eine Stadt erhob sich, wo einst die Hütte stand: Vom nahen Kreuz der Insel ward Kreuznach sie genannt.

116.

Der Trunk aus de« Stiefel. (Reg. II, 15, 30, 44.)

1.

Da droben saßen sie allzumal

Und zechten im alten Rittersaal;

Die Fackeln glänzten herab vom Stein Und schimmerten weit in die Nacht hinein.

2. Ließ Wer Dem 3. Voll

Es sprach der Rheingraf: „Ein Kurier jüngst mir diesen Stiefel hier; ihn mit einem Zug wird leeren, soll Dorf Hüffelsheim gehören!" Und lachend goß er mit eigner Hand Wein den Stiesel bis an den Rand,

Und hub ihn mitten wohl in den Kreis:

„Wohlan, ihr Herren, ihr kennt den Preis!" 4. Johann von Sponheim hielt sich in Ruh Und wünschte dem Nachbarn Glück dazu, Und dieser, Meinhart war's von Dhaun,

Zog scheu zusammen die dunkeln Braun.

5. Verlegen den Bart sich Flörsheim strich, Und Kunz von Stromberg schüttelte sich,

Und selbst der mutige Burgkaplan Sah den Koloß mit Schrecken an.

Platen. 6.

[II] 127

Doch Boos von Waldeck rief von fern:

„Mir her das Schlückchen! Zum Wohl, ihr Herrn!"

Und schwenkte den Stiefel und trank ihn leer Und warf sich zurück in den Sessel schwer

7.

Und sprach: „Herr Rheingraf, ließ der Kurier

Nicht auch seinen andern Stiefel hier? Wasmaßen in einer zweiten Wette

Auch Roxheim gerne verdienet hätte." 8.

DeS lachten fie alle und priesen den Boos

Und schätzten ihn glücklich als bodenlos;

Doch Hüffelsheim mit Maus und Mann Gehörte dem Ritter Boos fortan.

Avgirst Graf von Platen-Hallermünde geb. 24. X. 1796 zu Ansbach, f 5. XII. 1836 zu Syrakus.

117.

Harmosan.

(Reg. II, 19.)

(637 n. Chr.)

[S. u. N. 3, 473; L. 3, 276.]

1. Schon war gesunken in den Staub der Saffaniden alter Thron; Es plündert Mosleminenhand das schätzereiche Ktefiphon: Schon langt am Oxus Omar an, nach manchem durchgekämpsten

Tag, Wo Chosrus Enkel Jesdegerd, auf Leichen eine Leiche, lag.

2.

Und als die Beute mustern ging Medinas Fürst auf weitem

Plan, Ward ein Satrap vor ihn geführt, er hieß mit Namen Harmosan; Der letzte, der im Hochgebirg dem kühnen Feind sich widersetzt;

Doch ach, die sonst so tapfre Hand trug eine schwere Kette jetzt! 3.

Und Omar blickt ihn finster an und spricht: „Erkennst du

nun, wie sehr Vergeblich ist vor unserm Gott der Götzendiener Gegenwehr?"

Und Harmosan erwidert ihm: „In deinen Händen ist die Macht. Wer einem Sieger widerspricht, der widerspricht mit Unbedacht!

128 [II] 4.

Platen.

Nur eine Bitte wag ich noch, abwägend dein Geschick und

meins! Drei Tage focht ich ohne Trunk, laß reichen einen Becher Weins!" Und auf des Feldherrn leisen Wink steht ihm sogleich ein Trunk bereit; Doch Harmosan befürchtet Gift, und zaudert eine kleine Zeit.

5.

„Was zagst du?" rüst der Sarazen; „nie täuscht ein Moslem seinen Gast,

Nicht eher sollst du sterben, Freund, als bis du dies getrunken hast!" Da greift der Perser nach dem Glas, und statt zu trinken, schleudert hart Zu Boden er's auf einen Stein mit rascher Geistesgegenwart. 6. Und Omars Mannen stürzen schon mit blankem Schwert aus ihn heran,

Zu strafen ob der Hinterlist den allzuschlauen Harmosan; Doch wehrt der Feldherr ihnen ab und spricht sodann: „Er lebe fort! Wenn was auf Erden heilig ist, so ist es eines Helden Wort."

118.

Das Grab im Busento.

(410 n. Chr.)

[Reg. II, 16.) [L. u. N. 3, 469; Gude 4, 277; L. 3, 272; D. 1, 172; Kr. 46.] 1. Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder,

Aus den Wassern schallt es Antwort, und inWirbeln klingt eswieder! 2. Und den Fluß hinauf, hinunter, ziehn die Schatten tapster Goten, Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten. 3. Allzustüh und fern der Heimat mußten hier fie ihn begraben, Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben.

4. Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette, Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette. 5. In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde, Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde. 6. Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe, Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe. 7. Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluß herbeigezogen: Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.

Reinick.

[II] 129

8. Und es sang ein Chor von Männern: „Schlaf in deinen Helden­ ehren! Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je dein Grab versehren!" 9. Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gotenheere; —

Mälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!

IIS. Der Pilgrim vor St. Just. (24. Febr. 1557.) (Reg. II, 16.) [L. u.N. 3, 471; Gude 4, 277; L. 3, 286; D. 1, 176; Kr. 36.] 1. Nacht ist's, und Stürme sausen für und für, Hispanische Mönche, schließt mir auf die Thür! 2. Laßt hier mich ruhn, bis Glockenton mich weckt, Der zum Gebet euch in die Kirche schreckt! 3. Bereitet mir, was euer Haus vermag. Ein Ordenskleid und einen Sarkophag! 4. Gönnt mir die kleine Zelle, weiht mich ein! — Mehr als die Hälfte dieser Welt war mein. 5. Das Haupt, das nun der Schere sich bequemt, Mit mancher Krone ward's bediademt. 6. Die Schulter, die der Kutte nun sich bückt,

Hat kaiserlicher Hermelin geschmückt. 7. Nun bin ich vor dem Tod den Toten gleich Und fall in Trümmer, wie das alte Reich.

Robert Reinick geb. 22. II. 1805 zu Danzig, f 7. II. 1852 zu Dresden.

120. Frühlingsglocken. (Reg. II, 2, 10.) 1.

Schneeglöckchen thut läuten Kling-ling-ling! Was hat das zu bedeuten? —

Ei, gar ein lustig Ding! Der Frühling heut geboren ward, Ein Kind der allerschönsten Art; Hessel, Mustergedichte.

180 [II]

Keimet. Zwar liegt es noch im Weißen Bett,

Doch spielt es schon so Wundemett. Dmm kommt, ihr Vögel, aus dem Süd Und bringet neue Lieder mit! Ihr Quellen all,

Erwacht im Thal! Was soll das lange Zaudem? Sollt mit dem Kinde plaudem! 2. Maiglöckchen thut läuten

Bim-bam-bam! Was hat das zu bedeuten? —

Frühling ist Bräutigam, Macht Hochzeit mit der Erde heut Mit großer Pracht und Festlichkeit. Wohlaus denn, Nelk und Tulipan, Und schwenkt die bunte Hochzeitfahn! Du, Ros' und Lilie, schmücket euch, Brautjungfem sollt ihr werden gleich! Ihr Schmetterling Sollt bunt und flink Den Hochzeitreigen führen, Die Bögel musizieren! 3. Blauglöckchen thut läuten Bim-bim-bim! Was hat das zu bedeuten? — Ach, das ist gar zu schlimm!

Heut Nacht der Frühling scheiden muß, Drum bringt man ihm den Abschiedsgruß, Glühwürmchen zieh» mit Lichtern hell, Es rauscht der Wald, es klagt der Quell, Dazwischen singt mit süßem Schall

Aus jedem Busch die Nachtigall, Und wird ihr Lied Sobald nicht müd,

Ist auch der Frühling schon fern; Sie hatten ihn alle so gerne!

Reinick.

121.

[H] 131

Juchhe!

(Reg. II, 1.)

1. Wie ist doch die Erde so schön, so schön! Das wissen die Vögelein; Sie heben ihr leicht Gefieder

Und fingen so fröhliche Lieder In den blauen Himmel hinein. 2. Wie ist doch die Erde so schön, so schön! Das wisien die Flüfs' und Seen; Sie malen in klarem Spiegel Die Gärten und Städt' und Hügel

Und 3. Und Und Und

die Wolken, die drüber gehn. Und Sänger und Maler wiffen es,

es wifsen's viel andere Leut;

wer's nicht malt, der fingt es, wer's nicht fingt, dem klingt es

In dem Herzen vor lauter Freud!

122.

Sonntags am Rhein.

(Reg. II, 15.)

(Förster 32.]

1. Des Sonntags in der Morgenstund Wie wandert's sich so schön Am Rhein, wenn rings in weiter Rund Die Morgenglocken gehn! 2. Ein Schifflein zieht auf blauer Flut, Da singt's und jubelt's drein; Du Schifflein, gelt, das fährt sich gut In all die Lust hinein? 3. Vom Dorfe hallet Orgelton,

Es tönt ein frommes Lied, Andächtig dort die Prozession

Aus der Kapelle zieht. 4.

Und ernst in all die Herrlichkeit

Die Burg herniederschaut

Reinick.

132 [II]

Und spricht von alter, starker Zeit,

Die auf den Fels gebaut. 5. Das alles beut der prächtge Rhein An seinem Rebenstrand

Und spiegelt recht in Hellem Schein Das ganze Vaterland — 6. Das fromme, treue Vaterland In seiner vollen Pracht, Mit Lust und Liedern allerhand Vom lieben Gott bedacht.

123. Weihnachtsfest. (Reg. II, 5.)

1. Der Winter ist gekommen Und hat hinweg genommen Der Erde grünes Kleid; Schnee liegt auf Blütenkeimen, Kein Blatt ist an den Bäumen, Erstarrt die Flüsse weit und breit. 2. Da schallen plötzlich Klänge

Und frohe Festgesänge Hell durch die Winternacht. In Hütten und Palästen Ist rings in grünen Ästen Ein bunter Frühling aufgewacht.

3. Wie gern doch seh ich glänzen Mit all den reichen Kränzen

Den grünen Weihnachtsbaum, Dazu der Kindlein Mienen, Von Licht und Lust beschienen! Wohl schönre Freuden gibt es kaum! 4. Da denk ich jener Stunde,

Als in des Feldes Runde Die Hirten sind erwacht,

Geweckt vom Glanzgefunkel, Das durch der Bäume Dunkel Ein Engel mit herabgebracht. 5. Und wie sie da nach oben Die Blicke schüchtern hoben Und sahn den Engel stehn, Da standen sie int Strahle, Wie wenn zum erstenmale Die Kinder einen Christbaum sehn. 6. Ist groß schon das Entzückm Der Kinder, die erblicken, Was ihnen ward beschert: Wie haben erst die Kunde Dort aus des Engels Munde Die frommen Hirten angehört!

7. Und rings ob allen Bäumen Sang in den Himmelsräumen Der frohen Engel Schar:

„Gott in der Höh soll werden

Der Ruhm, und Fried auf Erden Und Wohlgefallen immerdar!"

[II] 133

Reinick.

8. Drum pflanzet grüne Äste

9. Ja, laßt die Glocken klingen,

Und schmücket sie aufs beste

Daß wie der Engel Singen

Mit frommer Liebe Hand,

Sie rufen laut und klar:

Daß sie ein Abbild werden

„Gott in der Höh soll werden

Der Liebe, die zur Erden Solch großes Heil uns hat ge­

Der Ruhm,

sandt.

124.

und

Fried

Deutscher Rat. (Reg. II, 14.)

1. Vor allem eins, mein Kind: sei treu und wahr! Laß nie die Lüge deinen Mund entweihn! Von alters her im deutschen Volke war

Der höchste Ruhm, getreu und wahr zu sein. 2. Du bist ein deutsches Kind, so denke dran! Noch bist du jung, noch ist es nicht so schwer. Aus einem Knaben aber wird ein Mann, — Das Bäumchen biegt sich, doch der Baum nicht mehr. 3. Sprich ja und nein, und dreh und deutle nicht! Was du berichtest, sage kurz und schlicht! Was du gelobest, sei dir höchste Pflicht! Dein Wort sei heilig, drum verschwend es nicht! 4. Leicht schleicht die Lüge sich ans Herz heran, Zuerst ein Zwerg, ein Riese Hinternach; Doch dein Gewisien zeigt den Feind dir an, Und eine Stimme ruft in dir: „Sei wach!" 5. Dann wach und kämpf! es ist ein Feind bereit, — Die Lüg in dir, sie drohet dir Gefahr.

Kind, Deutsche kämpften tapfer allezeit; Du deutsches Kind, sei tapfer, treu und wahr!

125.

auf

Erden Und Wohlgefallen immerdar I"

Der Strom.

(Reg. II, 12.) 1. Tief in waldgrüner Nacht Ist ein Bächlein erwacht,

134 [II]

Reinick.

Kommt von Halde zu Halde gesprungen. Und die Blumen, sie stehn Ganz verwundert und sehn In die Augen dem lustigen Jungen. 2. Und sie bitten: „Bleib hier In dem stillen Revier!" Wie sie drängen, den Weg ihm zu hindern!

Doch er küßt sie im Flug

Und mit neckischem Zug Ist entschlüpft er den lieblichen Kindern.

3. Und nun springt er hinaus Aus dem still grünen Haus: „O du weite, du strahlende Ferne! Dir gehör ich, o Welt!" — Und er dünkt sich ein Held, Und ihm leuchten die Augen wie Sterne. 4. „Gebt mir Thaten zu thun!

Darf nicht rasten, nicht ruhn, Soll der Vater, der alte, mich loben!" — Hoch zum Flusse geschwellt, Von dem Fels in die Welt Braust er nieder mit freudigem Toben. 5. „Gebt mir Thaten zu thun, Kann nicht rasten, nicht ruhn!" — Und schon hört man die Hämmer ihn schmettern.

Und vorbei an dem Riff

Trägt er sicher das Schiff In dem Kampfe mit Sturm und mit Wettern.

6. Immer voller die Lust, Immer weiter die Brust! Und er wächst zum gewaltigen Strome;

Zwischen rankendem Wein

Schauen Dörfer darein Und die Städt' und die Burgen und Dome.

7. Und er kommt an das Meer,

Hell leuchtet es her,

Rcinick.

[II] 135

Wie verklärt von göttlichem Walten. Welch eilt Rauschen im Wind?

„Du mein Vater!" — Mein Kind! Und er ruht in den Armen des Alten.

126.

Die Großmutter.

(Reg. II, 20, 47.)

Großmutter.

Glückselige Jugendzeit! — Als ich noch Kind war Gleich meiner Enkelin,

Die dort spielt unter dem Blüten­ baum, Und der Lehrer uns Kindern Bon der Schwachheit der Men­

schen So viel erzählte, Und wie es so schwer sei, Sich vor Sünde zu hüten, Da dacht' ich oft: Was die Leute doch wollen! Immer gut zu sein Und das zu thun, Was die Mutter verlangt, Was ist's denn so großes? — Doch als ich älter worden Und trat in die Welt hinaus; Ach, wie so schwer ward's!

Ach, wie so schwer ward's! —

Kind. Großmutter! hörst du den schönen Vogel singen? Großmutter.

Des Lebens Fülle sich austhat, Und ich hörte die Eltern Von Sorgen sprechen, Und daß die Welt nur Voll Trübsal sei, Da dacht' ich bei mir: Was die Leute doch wollen! Sein fröhlich Gemüt Vor Unmut zu wahren Und nur der Schönheit

Dieser reichen Erde Sein Herz zu öffnen, Was ist's denn so großes? — Doch ich ward alt, Und es kamen die Sorgen; Ach, wie so schwer ward's! Ach, wie so schwer ward's! — Kind.

Großmutter, der schöne Vogel ist

weggeflogen!

Großmutter.

Jetzt ist. weiß mein Haar, Ich bin eine Greisin, Rur kurze Frist, und der Tod kommt; Doch wenn ich die Menschen

Und als ich Jungfrau worden,

Vor seinem Kuffe

Und meiner jungen Seele

Zittern sehe

136 [II]

Rottmann.

Und bange sich sträuben, Da mein ich oft:

Zu scheiden von hier,

Auf alle meine Lieben Und auf da8 süße, süße Kind

Was ist's denn so großes?-------

dort; Ach, wie so schwer,

Und doch! und doch!

Ach, wie so schwer wird es wer­

Wenn die Stunde wird schlagen, Und ich werfe den Blick

den! Kind. Großmutter! Wie ist es hier doch

Zum letztenmal Auf diese lichte Welt,

so wunderschön!

Peter Joseph Rottmann geb. 9. IV. 1799 zu Simmern, f 27. II. 1881 daselbst.

187

Die Marktschnhe

(Hunsrücker Mundart). (Reg. II, 33, 44, 46.)

O, hätt datt doch die Pestelenz Datt Schuhminsch Io1) vunn Permesenz!2) Eich hatt mr vor de Märdesmaart2)

Nein Batze Geld sesamm gespart, Unn kaafe bei em, vor se danze, Meer Schuh dervor — recht scheene ganze. Die harr eich noieft4) ähmol an, Do waar aag schun käh Suhl5) meh dran; Unn Vorerblaad, Quadehr unn Kabbe Koorzheiligklän unn laurer6) Labbe. Eich daagt:7) Nau waart! — Dett Johr dernoh War aag mei Schuhminsch vierer do

Und hatt sei Schuhe, so wie immer, Lo leihe2) uff der Erd erimmer9). Do fahr10) eich : heh! hoot der't gehoort? Watt hoot dehr meich so angefohrt11)? Und sahr-em12) dann alt12) rund eraus, So säh et mit de Schuhe aus.

Rückert.

[II] 137

Doruff fung nau datt Schuhminsch an Unn hoot alt Helle Lach geschlahn^) Unn saht: „Mei liewes Kind, deh Schaare^) Häst bau dr sinne leicht erspaare; Hast bau die Schuh nitt angedohn^),

Dau häst se kinne ewig hoon.

Die sin gemach, vor se verkaafe, Unn nit vor drinn erimm se laafe." 1) da, 2) Pirmasenz in der Pfalz, 3) Martinsmarkt, 4) nur, 5) Sohle, 6) lauter, 7) dachte, 8) liegen, 9) herum, 10) sagte, 11) angeführt, betro­ gen, 12) sagte ihm, 13) als, 14) hellauf gelacht, 15) Schaden, 16) ange-

Ävgen.

Friedrich Rückert geb. 16. V. 1788 zu Schweinfurt, f 31. I. 1866 zu Neuseß bei Koburg.

128.

Des fremde« Kindes Heilger Christ,

(Reg. II, 6, 45.)

[ß. u. N. 3, 299; L. 3, 314.]

1. Es läuft ein fremdes Kind Am Abend Vor Weihnachten Durch eine Stadt geschwind, Die Lichter zu betrachten, Die angezündet find. 2. Es steht vor jedem Haus

4. An der Geschwister Hand,

Als ich daheim gesessen,

Hat es mir auch gebrannt; Doch hier bin ich vergeffen

And sieht die Hellen Räume,

In diesem fremden Land. 5. Läßt mich denn niemand ein Und gönnt mir auch ein Fleckchen ?

Die drinnen schaun heraus,

In all den Häuserreihn

Die lampenvollen Bäume; Weh Wirdes ihm überaus. 3. Das Kindlein weint und

Und wär' es noch so klein?

spricht: „Ein jedes Kind hat heute

Ist denn für mich kein Eckchen,

6. Läßt mich denn niemand ein? Ich will ja selbst nichts haben;

Ein Bäumchen und ein Licht

Ich will ja nur am Schein Der fremden Weihnachtsgaben

And hat dran seine Freude,

Mich laben ganz allein."

Nur bloß ich armes nicht.

7. Es klopft an Thür und Thor,

138 [II]

Rückert.

An Fenster und an Laden; Doch niemand tritt hervor, Das Kindlein einzuladen; Sie haben drin kein Ohr.

Bei allen gleichermaßen;

8. Ein jeder Vater lenkt Den Sinn auf seine Kinder;

14. Ich will dir deinen Baum, Fremd Kind, hier lassen schim­

Die Mutter sie beschenkt,

mern Auf diesem offnen Raum,

Denkt sonst nichts mehr noch minder; Ans Kindlein niemand denkt! 9. „O lieber, Heilger Christ! Nicht Mutter und nicht Vater Hab ich, wenn du's nicht bist; O sei du mein Berater, Weil man mich hier vergißt!"

Das Kindlein reibt die Hand, Sie ist vom Frost erstarret; Es kriecht in sein Gewand Und in dem Gäßlein harret, 10.

Den Blick hinausgewandt. 11. Da kommt mit einem Licht

Durchs Gäßlein hergewallet Im weißen Kleide schlicht Ein ander Kind; — wie schallet Es lieblich, da es spricht: 12. „Ich bin der heilge Christ,

War auch ein Kind vordessen, Wie du ein Kindlein bist; Ich will dich nicht vergessen. Wenn alles dich vergißt. 13. Ich bin mit meinem Wort

Ich biete meinen Hort So gut hier auf den Straßen,

Wie in den Zimmern dort.

So schön, daß die in Zimmern So schön sein sollen kaum."

15. Da deutet mit der Hand Christkindlein auf zum Himmel, Und droben leuchtend stand Ein Baum voll Sterngewimmel Vielästig ausgespannt. 16. So fern und doch so nah,

Wie funkelten die Kerzen! Wie ward dem Kindlein da, Dem fremden, still zu Herzen, Das seinen Christbaum sah! 17. Es ward ihm, wie ein

Traum; Da langten hergebogen Englein herab vom Baum

Zum Kindlein, das sie zogen Hinauf zum lichten Raum. 18. Das fremde Kindlein ist Zur Heimat nun gekehret

Bei seinem Heilgen Christ, Und was hier wird bescheret,

Es dorten leicht vergißt.

[II] 139

Rückert.

129. (Reg. II, 25, 44.)

Tod und Leben.

(Parabel.)

[8. u. N. 3, 312; D. 2, 114; Sinnig 43.]

Es ging ein Mann im Syrerland, Führt ein Kamel am Halsterband. Das Tier mit grimmigen Geberden Urplötzlich anfing scheu zu werden

Und that so ganz entsetzlich schnaufen; Der Führer vor ihm mußt' entlaufen. Er lief und einen Brunnen sah Von ungefähr am Wege da. Das Tier hört' er im Rücken schnauben: Das mußt' ihm die Besinnung rauben.

Er in den Schacht des Brunnens kroch, Er stürzte nicht, er schwebte noch. Gewachsen war ein Brombeerstrauch Aus des geborstnen Brunnens Bauch; Daran der Mann sich fest that klammern Und seinen Zustand drauf bejammern. Er blickte in die Höh, und sah Dort das Kamelhaupt furchtbar nah,

Das ihn wollt' oben fasten wieder. Dann blickt' er in den Brunnen nieder; Da sah ant Grund er einen Drachen Aufgähnen mit entsperrtem Rachen,

Der drunten ihn verschlingen wollte, Wenn er hinunter fallen sollte.

So schwebend in der beiden Mitte Da sah der Arme noch das Dritte. Wo in die Mauerspalte ging

Des Sträuchleins Wurzel, dran er hing, Da sah er still ein Mäusepaar,

Schwarz eine, weiß die andre war. Er sah die schwarze mit der weißen Abwechselnd an der Wurzel beißen. Sie nagten, zausten, gruben, wühlten,

140 [II]

Rückert.

Die Erd ab von der Wurzel spülten; Und wie sie rieselnd niederrann, Der Drach im Grund aufblickte dann,

Zu sehn, wie bald mit seiner Bürde Der Strauch entwurzelt fallen würde. Der Mann in Angst und Furcht und Not, Umstellt, umlagert und umdroht, Im Stand des jammerhaften Schwebens,

Sah sich nach Rettung um vergebens. Und da er also um sich blickte,

Sah er ein Zweiglein, welches nickte Vom Brombeerstrauch mit reifen Beeren; Da tonnf er doch der Lust nicht wehren. Er sah nicht des Kameles Wut Und nicht den Drachen in der Flut Und nicht der Mäuse Tückespiel, Als ihm die Beer ins Auge fiel. Er ließ das Tier von oben rauschen Und unter sich den Drachen lauschen Und neben sich die Mäuse nagen, Griff nach den Beerlein mit Behagen.

Sie deuchten ihm zu essen gut, Aß Beer auf Beerlein wohlgemut, Und durch die Süßigkeit im essen War alle seine Furcht vergessen. — Du fragst: Wer ist der thöricht Mann,

Der so die Furcht veressen kann? So wiß, o Freund, der Mann bist du; Vernimm die Deutung auch dazu:

Es ist der Drach im Brunnengrund

Des Todes aufgesperrter Schlund; Und das Kamel, das oben droht, Es ist des Lebens Angst und Not. Du bist's, der zwischen Tod und Leben

Am grünen Strauch der Welt mußt schweben. Die beiden, so die Wurzel nagen,

Rückert. Dich samt den Zweigen, die dich tragen, Zu liefern in des Todes Macht, Die Mäuse heißen Tag und Nacht. Es nagt die schwarze Wohl verborgen Vom Abend heimlich bis zum Morgen, Es nagt vom Morgen bis zum Abend

Die weiße, wurzeluntergrabend. Und zwischen diesem Graus und Wust Lockt dich die Beere Sinnenlust, Daß du Kamel, die Lebensnot, Daß du im Grund den Drachen, Tod, Daß du die Mäuse, Tag und Nacht, Vergissest und auf nichts hast acht, Als daß du recht viel Beerlein haschest, Aus Grabes Brunnenritzen naschest.

130.

Reinlichkeit (Gasel). (Reg. II, 21, 51.)

Rein gehalten dein Gewand, Rein gehalten Mund und Hand! Rein das Kleid von Erdenputz, Rein von Erdenschmutz die Hand! Rein von Erdentrutz das Herz, Und von Gier der Lippe Rand!

Außen sei die Schwelle rein,

Innen rein des Hauses Wand; Daß einsprechen könn' im Haus Reiner Gast aus Himmelsland. Reiner Schmaus und reiner Kelch, Rein von Rauch des Herdes Brand! Sohn! die äußre Reinigkeit Ist der innern Unterpfand. Rein gehalten Hand und Mund! Rein gehalten dein Gewand!

[II] 141

142 [II]

Rückert.

131.

Der Schmuck der Mutter (Gasel). (Reg. II, 1, 61.) [G. 2, Anhang 100.]

Mensch! es ist der Schöpfung Pracht Nicht für dich allein gemacht, Einen Teil hat sich zur Lust Die Natur hervorgebracht.

Darum singt die Nachtigall, Wo du schlummerst, in der Nacht, Und die schönste Blume blüht,

Eh des Tages Aug erwacht, Und der schönste Schmetterling Fliegt, wo niemand sein hat acht.

Perle ruht in Meeresschoß,

Und der Edelstein im Schacht. Kind! da reichlich Aug und Ohr Dir mit Füllen ist bedacht, Gönn der Mutter etwas auch, Das sie zum Geschmeid sich macht.

(Reg. II, 26.)

132. Chidher. [G. 2, Anhang 96; L. u. N. 3, 303.]

1. Chidher, der ewig junge, sprach: „Ich fuhr an einer Stadt vorbei, Ein Mann im Garten Früchte brach; Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei.

Er sprach und pflückte die Früchte fort: „„Die Stadt steht ewig an diesem Ort, Und wird so stehen ewig fort."" Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

2. Da fand ich keine Spur der Stadt; Ein einsamer Schäfer blies die Schalmei, Die Herde weidete Laub und Blatt; Ich fragte: Wie lang ist die Stadt vorbei?

Rückert.

Er sprach und blies auf dem Rohre fort: „„Das eine wächst, wenn das andre dorrt;

Das ist mein ewiger Weideort."" Und aber nach fünfhundert Jahren

Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

3.

Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug,

Ein Schiffer warf die Netze frei; Und als er ruhte vom schweren Zug,

Fragt' ich, seit wann das Meer hier sei. Er sprach und lachte meinejn Wort:

„„So lang als schäumen die Wellen dort. Fischt man und fischt man in diesem Port.""

Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. 4. Da fand ich einen waldigen Raum Und einen Mann in der Siedelei: Er fällte mit der Axt den Baum; Ich fragte, wie alt der Wald hier sei. Er sprach: „„Der Wald ist ein ewiger Hort; Schon ewig wohn ich an diesem Ort, Und ewig wachsen die Bäum hier fort."" Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren.

5. Da fand ich eine Stadt, und laut Erschallte der Markt vom Volksgeschrei. Ich fragte: Seit wann ist die Stadt erbaut? Wohin ist Wald und Meer und Schalmei?

Sie schrieen, und hörten nicht mein Wort:

„„So ging es ewig an diesem Ort, Und wird so gehen ewig fort."" Und aber nach fünfhundert Jahren Will ich desselbigen Weges fahren!"

[II] 143

Rückert.

144 [II]

133.

Der betrogene Teufel.

(Reg. II, 33.) [G. 2, Anhang 97; L. u. N. 3, 303.]

1.

Die Araber hatten ihr Feld bestellt,

Da kam der Teufel herbei in Eil;

Er sprach: „Mir gehört die halbe Welt, Ich will auch von eurer Ernte mein Teil." 2. Die Araber aber sind Füchse von Haus, Sie sprachen: „Die untere Hälfte sei dein." Der Teufel will allzeit oben hinaus: „Nein," sprach er, „es soll die obere sein."

3.

Da bauten sie Rüben in einem Strich;

Und als es nun an die Teilung ging, Die Araber nahmen die Wurzeln für sich, Der Teufel die gelben Blätter empfing.

als es wiederum ging ins Jahr, der Teufel im hellen Zorn: ich die untere Hälfte fürwahr!" die Araber Weiz und Korn. 5. Und als es wieder zur Teilung kam, Die Araber nahmen den Ährenschnitt,

4. Und Da sprach „Nun will Da bauten

Der Teufel die leeren Stoppeln nahm Und heizte der Hölle Ofen damit. 134.

Auf die Schlacht an der Katzbach. (Reg. II, 17.)

1. Nehmt euch in acht vor den

Bächen,

Die da von Tieren sprechen, Jetzt und hernach!

Dort bei Roßbach! dort bei Roß­

bach! Dort von euren Rosien Hat man euch einst geschossen,

2. Nehmt euch in acht vor den Bächen, Die da von Tieren sprechen, Jetzt und hernach! An der Katzbach! an der Katz­

bach!

Da haben wir den Katzen

Ist das Blut gefloffen

Abgehauen die Tatzen, Daß sie nicht mehr kratzen;

In rechtem Bach.

Kein Hieb ging flach!

[II] 145

Sallet.

135.

Rätsel.

(Reg. II, 28.)

1. Was bewegt man, um Fische zu fangen, Und in die Stube zu gelangen? 2. Korn wird in ihnen rein gemacht, Und eines gibt mit ihnen acht, Doch wer mit ihnen Wasser schöpft, Der hat erstaunliches vollbracht. 3. Eine nennt im Garten sich,

Wie am Himmel die vielen, Nickt und neigt sich, wenn mit ihr Die gleichgenannten spielen. 4. Man läßt ihn sprechen, Man läßt ihn stechen,

Es ist ein Vogel Und ein Gebrechen. 5. Sie trägt ein bittres Laub, Sie trägt viel süße Kräuter, Auf ihr geht, unter ihr Die Kuh mit vollem Euter.

6. In geschickter Künstlerhand Macht er schöne, bunte Sachen, Als ein ungeschickter Mensch Läßt er alles mit sich machen.

Friedrich von Sallet geb. 20. IV. 1812 zu Neiße, | 21. II. 1843 zu Breslau.

136.

Der Dersflinger. (Reg. II, 16.)

1.

Der Dersflinger war ein Schneidergesell,

Doch nimmer ließ es ihn ruhn; Hessel, Mustergedichte.

15

146 [II]

Sallet.

Er dacht' an andres als Nadel und Ell — „Was aber, was soll ich thun?" 2. Da kam er beim Wandern die Kreuz und Quer Zum Fährmann bei Tangermünd; Hinüber wollt' er, sein Beutel war leer.

„Lump, zahle, sonst pack dich geschwind!" 3. „Ihr nehmt doch dort die Kerle mit, Es bezahlt euch ja keiner nicht." — „Das sind auch keine Schneiderböck' nit, Sind Kriegsleut, Respekt, du Wicht!" 4. Die Lippen biß er, verhöhnt blieb er stehn Und fluchte grimmig für sich: „Ihr Schufte, das soll mir nicht zweimal geschehn! Ich zeig's, was sich schickt für mich." — 5. Da ward er ein rascher Reitersmann, Zum Teufel schmiß er die Ell, Dafür packt er 'nen Degen an, Den schwang er gewichtig und schnell. 6. Bald hat er ein Regiment kommandiert, Zuletzt ward er Feldmarschall; Da hat ihn kein Fährmann mehr abgeführt, Sie respektierten ihn all. 7. Ein Gott den Soldaten, ein Teufel im Streit, Wie maß er der Schwedischen Heer Bei Fehrbellin die Läng und die Breit! Die eiserne Elle war schwer. 8. Drum sag ich: Keiner steh still in der Welt!

Wen's antreibt, nur vorwärts schnell! Wer ein Held kann werden, der werd ein Held,

Und wär's auch ein Schneidergesell.

137.

Ziethen.

tRcg. II, 16.) 1.

Der große König wollte gern sehn,

Was seine Genrale wüßten;

Saffet.

[II] 147

Da ließ er an alle Briefe ergehn,

Daß sie gleich ihm schreiben müßten, Was jeder von ihnm zu thun gedenkt, Wenn der Feind ihn so oder so bedrängt. 2. Der Vater Ziethen, der alte Husar, Besah verwundert den Zettel. „Der König hält mich zum Narren wohl gar!"

So flucht er, „was soll mir der Bettel? Husar, das bin ich, potz Element! Kein Schreiber oder verpfuschter Student." 3. Da macht er auf einen Bogen Papier Einen großen Klecks in der Mitten, Rechts, oben, links, unten dann Linien vier,

Die all in dem Kleckse sich schnitten, Und jede endete auch in 'nem Klecks. So schickt er den Bogen dem alten Rex. 4. Der schüttelt den Kopf gedankenvoll, Fragt bei der Revue dann den Alten: „Zum Schwerenot, Ziethen, ist er toll? Was soll ich vom Wische da halten?" Den Bart streicht sich Ziethen: „Das ist bald erklärt, Wenn Euer Majestät mir Gehör gewährt. 5. Der große Klecks in der Mitte bin ich, Der Feind einer dort von den vieren, Der kann nun von vorn oder hinten auf mich, Von rechts oder links auch marschieren. Dann rück ich auf einem der Striche vor Und hau ihm, wo ich ihn treffe, aufs Ohr."

6. Da hat der König laut aufgelacht Und bei fich selber gemeinet: „Der Ziethen ist klüger, als ich es gedacht, Sein Geschmier sagt mehr, als es scheinet.

Das ist mir der beste Reitersmann, Der den Feind schlägt, wo er auch rücket an."

148 [II]

Schenkendorf.

Mar von Schenkendorf geb. 11. XU. 1783 zu Tilsit, t 11. XII. 1817 zu Koblenz.

138. (Reg. II, 14.)

Muttersprache.

[2. u. N. 3,182; D. 2, 119; Kr. 1.]

1. Muttersprache, Mutterlaut! Wie so wonnesam, so traut! Erstes Wort, das mir erschallet. Süßes, erstes Liebeswort,

In den Reichtum, in die Pracht, Ist mir's doch, als ob mich riefen Väter aus des Grabes Nacht.

Erster Ton, den ich gelallet, Klingest ewig in mir fort. 2. Ach, wie trüb ist meinem

Heldensprache, Liebeswort!

Sinn, Wenn ich in der Fremde bin. Wenn ich fremde Zungen üben,

Leb aufs neu in Heilgen Schriften, Daß dir jedes Herz erglüht! 5. Ueberall weht Gottes Hauch,

Fremde Worte brauchen muß,

Heilig ist wohl mancher Brauch; Aber soll ich beten, danken, Geb ich meine Liebe kund, Meine seligsten Gedanken, Sprech ich wie der Mutter Mund.

Die ich nimmermehr kann lieben, Die nicht klingen als ein Gruß!

Z.Spracheschönund wunderbar, Ach, wie klingest du so klar! Will noch tiefer mich vertiefen

139.

4. Klinge, Hinge fort und fort,

Steig empor aus tiefen Grüften, Längst verschollnes altes Lied!

Vaterland.

(Gekürzt.) (Reg. II, 14.)

1. Im Vaterland, im Vaterland Hat jeder seinen rechten Stand Und rechten Grund gefunden. Da stehe fest und halte drauf! Und flöhest du im schnellen Lauf,

Es hält dich doch gebunden. 2. Ich ziehe nimmer weit hinaus, Ich bin daheim in meinem Haus,

Im schönen deutschen Lande. Im ganzen weiten Vaterland

Schenkendorf.

[II] 149

Ist alles traut mir und bekannt In jedem frommen Stande. 3. Ihr Hügel, wo die Trauben blühn,

Ihr Felder, wo stch Schnitter mühn, Sollt auf den Enkel kommen. Ihr Kirchen, hoch und kühn und zart, Erdacht nach alter deutscher Art, Euch lieben alle Frommen. 4. Zum Eichenwald, zum Eichenwald, Wo Gott in hohen Wipfeln wallt, Möcht' ich wohl täglich wandern. Du frommes, kühnes, deutsches Wort, Du bist der rechte Schild und Hort Zur Scheidung von den andern. 5. Das ist das deutsche Vaterland, Da, Jüngling, Jungfrau, sei dein Stand, Da führe du dein Leben! Da will ich stehn, ein grüner Baum, Will träumen manchen felgen Traum

Und nach dem Himmel streben.

140.

Soldaten-Morgenlied.

Nach der Weise:

Frisch aus zum fröhlichen Jagen.

(Reg. II, 17,45.) [L. u. N. 3, 183; Gude 4,87; D. 2, 124; Förster 174 ]

1. Erhebt euch von der Erde, ihr Schläfer, aus der Ruh; Schon wiehern uns die Pferde den guten Morgen zu.

Die lieben Waffen glänzen so hell im Morgenrot; Man träumt von Siegeskränzen, man denkt auch an den Tod. 2. Du reicher Gott in Gnaden, Du selbst hast uns geladen

Laß uns vor dir bestehen,

schau her vom blauen Zelt;

in dieses Waffenfeld. und gib uns heute Sieg;

dein ist, o Herr! der Krieg. 3. Ein Morgen soll noch kommen, ein Morgen mild und klar; Sein harren alle Frommen, ihn schaut der Engel Schar. Die Christenbanner wehen,

Schenkendorf.

150 [II]

Bald scheint er sonder Hülle

auf jeden deutschen Mann,

O brich, du Tag der Fülle,

du Freiheitstag, brich an!

4. Dann Klang von allen Türmen,

Und Ruhe nach den Stürmen,

dann frohes Siegsgeschrei —

Es schallt auf allen Wegen Und wir, ihr wackern Degen,

141.

und Klang aus jeder Brust,

und Lieb und Lebenslust.

wir waren auch dabei!

Aus Scharnhorsts Tod (ohne die letzte Strophe). (Reg. II, 17, 22.)

1.

[Gude 4, 87; Förster 180.]

In dem wilden Kriegestanze

Brach die schönste Heldenlanze,

Preußen, euer General.

Lustig auf dem Feld bei Lützen

Sah er Freiheitswaffen blitzen, Doch ihn traf des Todes Strahl.

2.

„Kugel, raffst mich doch nicht nieder!

Dien euch blutend, werte Brüder, Führt in Eile mich gen Prag!

Will mit Blut um Oestreich werben, Jst's beschlossen, will ich sterben, Wo Schwerin im Blute lag." 3.

Arge Stadt, wo Helden kranken,

Heilge von den Brücken sanken, Reißest alle Blüten ab!

Nennen dich mit leisen Schauern — Heilge Stadt, nach deinen Mauern

Zieht uns manches teure Grab.

4.

Aus dem irdischen Getümmel

Haben Engel in den Himmel

Seine Seele sanft geführt — Zu dem alten deutschen Rate, Den im ritterlichen Staate

Ewig Kaiser Karl regiert.

5.

„Grüß euch Gott, ihr teuren Helden,

Kann euch frohe Zeitung melden,

Schiller.

[II] 151

Unser Volk ist aufgewacht. Deutschland hat sein Recht gefunden,

Schaut, ich trage Sühnungswunden Aus der Heilgen Opferschlacht." 6. Solches hat er dort verkündet, Und wir alle stehn verbündet, Daß dies Wort nicht Lüge sei. Heer, aus seinem Geist geboren,

Jäger, die sein Mut erkoren. Wählet ihn zum Feldgeschrei! 7. Zu den höchsten Bergesforsten, Wo die freien Adler horsten, Hat fich früh sein Blick gewandt; Nur dem Höchsten galt sein Streben, Nur in Freiheit konnt' er leben, Scharnhorst ist er drum genannt. 8. Keiner war wohl treuer, reiner, Näher stand dem König keiner, — Doch dem Volke schlug sein Herz. Ewig auf den Lippen schweben Wird er, wird im Volke leben Besser als in Stein und Erz.

Friedrich von Schiller geb. 10. XI. 1759 zu Marbach, f 9. V. 1805 zu Weimar.

142.

Pförtners Morgenlied (aus Macbeth). (Reg. II, 6, 44.)

[L. u. N. 2, 636.]

1. Verschwunden ist die finstre Nacht, Die Lerche schlägt, der Tag erwacht,

Die Am Sie Sie

Sonne kommt mit Prangen Himmel aufgegangen. scheint in Königs Prunkgemach, scheinet durch des Bettlers Dach,

Schiller.

152 [II]

Und Was in Nacht verborgen war, Das macht sie kund und offenbar. 2. Lob sei dem Herm und Dank gebracht,

Der über diesem Haus gewacht, Mit seinen heiligen Scharen Uns gnädig wollte bewahren. Wohl mancher schloß die Augen schwer

Und öffnet sie dem Licht nicht mehr;

Drum freue sich, wer neu belebt

Den frischen Blick zur Sonn erhebt!

143* Berglied. (Reg. II, 11.) 1. Am Abgrund leitet der schwindlichte Steg, Er führt zwischen Leben und Sterben; Es sperren die Riesen den einsamen Weg Und drohen dir ewig Verderben; Und willst du die schlafende Löwin nicht wecken, So wandle still durch die Straße der Schrecken..

2.

Es schwebt eine Brücke, hoch über den Rand

Der furchtbaren Tiefe gebogen, Sie ward nicht erbauet von Menschenhand,

Es hätte sich's keiner verwogen^ Der Strom braust unter ihr spat und früh,

Speit ewig hinauf und zertrümmert sie nie. 3. Es öffnet sich schwarz ein schauriges Thor, Du glaubst dich im Reiche der Schatten, Da thut sich ein lachend Gelände hervor,

Wo der Herbst und der Frühling sich gatten;

Aus des Lebens Mühen und ewiger Qual Möcht' ich fliehen in dieses glückselige Thal. 4. Vier Ströme brausen hinab in das Feld, Ihr Quell, der ist ewig verborgen; Sie fließen nach allen vier Straßen der Welt, Nach Abend, Nord, Mittag und Morgen,

Schiller.

[II] 153

Und wie die Mutter sie rauschend geboren, Fort fliehn sie und bleiben sich ewig verloren.

5. Zwei Zinken ragen ins Blaue der Luft, Hoch über der Menschen Geschlechter, Drauf tanzen, umschleiert mit goldenem Duft, Die Wolken, die himmlischen Töchter.

Sie halten dort oben den einsamen Reihn, Da stellt sich kein Zeuge, kein irdischer, ein.

6. Es sitzt die Königin hoch und klar Auf unvergänglichem Throne, Die Stirn umkränzt sie sich wunderbar Mit diamantener Krone; Drauf schießt die Sonne die Pfeile von Licht,

Sie vergolden sie nur und erwärmen sie nicht.

144.

Der Alpenjäger.