Mustergedichte: Teil 1 Unterstufe [Reprint 2020 ed.] 9783112350669, 9783112350652


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German Pages 76 [96] Year 1884

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Table of contents :
Poesie
Uber Zweck, Anordnung und Gebrauch dieser Sammlung
Ernst Moritz Arndt geb. 26. XII. 1769 zu Schoritz auf Rügen, f 29. I. 1860 zu Bonn. 1. Gebet eines kleinen Knaben an den heiligen Christ
Ludwig Bechstein geb. 24. XL 1801 bei Meiningen, f 14. V. 1860 zu Meiningen. 2. Der Verdrießliche
Friedrich Justin Bertuch geb. 30. IX. 1747 zu Weimar, f 3. IV. 1822 daselbst. 3. Das Lämmchen
Clemens Brentano geb. 8. IX. 1778 zu Ehrenbreitstein, t 28. VII. 1842 zu Aschaffenburg. 4. Herr Gott, du sollst gelobet sein
Adelbert von Chamiffo geb. 31. I. 1781 st. Schloß Boncourt in Frankreich, f 21. VIII. 1838 zu Berlin. 5. Das Riesenspielzeug
Matthias Claudias geb. 15. VIII. 1740 zu Reinfeld in Holstein, f 21. I. 1815 zu Hamburg. 6. Ein Lied, hinterm Ofen zu singen
7. Der Esel
Wilhelm Curtman geb. 3. III. 1802 zu Alsfeld in Hessen, f 6. II. 1871 zu Gießen. 8. Der König und der Müller
Joseph Ludwig Franz Deinhardstein geb. 21. VI. 1794 zu Wien, f 12. VII. 1859 daselbst. 9. Des Bogels Freude
Johannes Falk geb. 28. X. 1768 zu Danzig, f 14. II. 1826 zu Weimar. 10. Die drei Feste
11. Hirtenreigen
Abraham Emanuel Fröhlich geb. 1. II. 1796 zu Brugg in der Schweiz, f 1. XII. 1865 zu Gabenstorf bei Aarau. 12. Ellengröße
13. Die beiden Bäche
Christian Fürchtegott Gellert geb. 4. VII. 1715 zu Hainichen im Erzgebirge, f 13. XII. 1769 zu Leipzig. 14. Der Blinde und der Lahme
15. Der grüne Esel
16. Der Bauer und sein Sohn
Guido Görres geb. 28. V. 1805 zu Koblenz, f 14. VH. 1852 zu München. 17. Die Kinder im Walde
Johann Wolfgang von Goethe geb. 28. VIII. 1749 zu Frankfurt a. Main, f 22. Marz 1832 zu Weimar. 18. Die wandelnde Glocke
19. Gefunden
20. Heidenröslein
Johann Konrad Grübel geb. 3. VII. 1736 zu Nürnberg, f 8. III. 1809 daselbst. 21. Der Peter in der Fremde
Friedrich Güll geb. 1. IV. 1812 zu Ansbach, f 23. XII. 1879 zu München. 22. Will sehen, was ich weiß: Bom Büblein auf dem Eis
23. Rekrut
24. Vom listigen Grasmucklein ein lustiges Stücklein
25. Wie das Finklein das Bäuerlein im Scheuerlein besucht
Heinrich Harnes geb. 1762 zu Brügge bei Kiel, f 1802. 36. Heil Dir im Siegerkranz
Wilhelm Hauff geb. 29. XI. 1802 zu Stuttgart, f 18. XL 1827 daselbst. 27. Retters Morgengesang
Johann Peter Hebel geb. 10. V. 1760 zu Basel, f 22. IX. 1826 zu Schwetzingen. 88 Das Liedlein vom Kirschbaum
Luise Hensel geb. 80. m. 1798 zu Linum, Prov. Brandenburg, f 18. XU. 1876 zu Nonnenwerth bei Rolandseck. 3d. Nachtgebet
Johann Gottfried von Herder geb. 25. VIII. 1744 zu Mohrungen in Ostpreuß., f 18. XII. 1803 zu Weimar. 30. Wind und Sonne
Wilhelm Hey geb. 26. V. 1789 zu Laucha b. Gotha, f 19. V. 1854 zu Ichtershausen. (No. 31—37. Reg. II, 9, 24.) 31. Rabe
38. Vogel am Feuster
33. Vogel
34. Wandersmann und Lerche
35. Pferd und Sperling
36. Mäuschen
37. Pudel
38. Was ich alles habe
39. Weihnachten
40. Wo wohnt der liebe Gott
41. Weißt du, wieviel Sterne stehen
42. Vöglein im hohen Baum
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben geb. 2. IV. 1798 z. Fallersleben, f 19. I. 1874 zu Corvey a. d. Weser. 43» Sehnsucht nach dem Frühling
44. Winters Flucht
45. Des Frühlings Ball
46. Frühlings Ankunft
47. Im Walde möcht' ich leben
48. Das Lieb der Vögel
49. Das Lied vom Monde
50. Von meinem Blümchen
51. Der Blümlein Antwort
Wilhelm Kilzer geb. 11. IV. 1799 zu Worms, f 9- IV. 1864 zu Frankfurt a. Main. 52. Das Kirchlein
August Kopisch, geb. 26. V. 1799 zu Breslau, f 6. II. 1853 zu Berlin. 53. Hütchen
54. Der Mänseturm
Friedrich Adolf Krummacher geb. 13. VII. 1767 zu Tecklenburg, f 4. IV. 1845 zu Bremen. 55. Winterlieb
Gottfried Lichtwer geb. 30. I. 1719 zu Wurzen in Sachsen, f 6. VII. 1783 zu Halberstadt. 56* Die Katzen uni) der Hausherr
Rudolf Löwenstein geb. 20. II. 1819 zu Breslau, lebt zu Berlin. 57. Der Vöglein Abschied
58. Guten Morgen
Johann Friedrich von Meyer geb. 12. IX. 1772 zu Frankfurt a. Main, f 28. I. 1849 daselbst. 59. Gottes Treue
Wilhelm Müller geb. 7. X. 1794 zu Dessau, f 30. IX. 1827 daselbst. 60. Müllers Wanderschaft
Gottlieb Konrad Pfeffel geb. 28. VI. 1736 zu Kolmar im Elsaß, f 1. V. 1809 daselbst. 61, Die Stufenleiter
62. Ochs und Esel
Robert Reinick geb. 22. II. 1805 zu Danzig, f 7. II. 1852 zu Dresden. 63. Vom schlafenden Apfel
64. Versuchung
65. Der Faule
Friedrich Rückert geb. 16. V. 1788 zu Schweinfurt, f 31. I. 1866 zu Neuseß bei Koburg. 66. Lohn der Freigebigkeit
67. Kinderlied von den grünen Sommervögeln
68. Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt
69. Statt Büblein, das überall mitgenommen hat sein wollen
70. Das Männlein in der Gans
71. Des Hahn Gockels Leichenbegängnis
72. Die Rätsel der Elfen
73. Barbarossa
74. Drei Paare und Einer
Friedrich von Schiller geb. 10. XI. 1759 zu Marbach, f 9. V. 1805 zu Weimar. 75. Der Schütz (aus Wilhelm Tell)
76. Rätsel
Julius Sturm geb. 21. VII. 1816 zu Köstritz (Reuß), lebt daselbst. 77. Golt grüße dich
78. Der Bauer und sein Kind
Ludwig Uhland geb. 26. IV. 1787 zu Tübingen, f 13. XI. 1862 daselbst. 79. Einkehr
80. Der weiße Hirsch
81. Zimmerspruch
82. Das Schwert
83. Siegfrieds Schwert
84. Der gute Kamerad
85. Klein Roland
86. Graf Eberhards Weißdorn
87. Lied eines Armen
88. Volksrätsel
Volkslieder. 89. Kuckuck
90. Vogelhochzeit
91. Gute Nacht mein Kind
92. Wie oft Gott zu danken sei
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Mustergedichte: Teil 1 Unterstufe [Reprint 2020 ed.]
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Mustergedichte. Zum Gebrauch

in Schulen, Lehrer- und Lehrerinnen-Bildungsanstalten ausgewählt von

Dr. Karl Hessel, Rektor der höheren Mädchenschule und Lehrerinnen-Bildungsanstalt zu Koblenz.

I. Teil.

Aikterllitfe.

Donn, Eduard Weber's Verlag (Julius Flittner).

1884.

Poesie Engel aus dem Himmel droben Warfen in das Erdenthal Goldne Schleier, licht gewoben Wohl aus Mond- und Sonnenstrahl. Kennet ihr das himmelsschöne, Schimmernde Gewebe nicht? Gerne hüllend Erdensöhne Nm ihr blödes Angesicht. Wenn sie durch den Schleier schauen, Liegt die Welt voll Sonnenglanz, Glück und gläubiges Vertrauen Füllet ihre Seele ganz.

Lauter lichte Traumgestallen Glauben selig sie zu schaun, Stirne legt sich nicht in Fallen, Keine Nacht erreget Graun; Alle Freunde wahr und bieder, Alle Geister uns verwandt, Alle Töne werden Lieder, Selbst die Heide blühend Land!

Wird der Schleier uns entwunden, Traurig dann die Klage tönt: „Ach, der Zauber ist verschwunden, Der uns rings die Welt verschönt!"

So erblickt man kühle Fluten Oft am fernen Wüstenrand, Wenn der Sonne Mittagsgluten Spielen auf dem heißen Sand; Weiter aber rückt der Schimmer, Fliehend vor dem Wandrer her, Brennender umfängt ihn immer Nur der Wüste sandig Meer.

Nehmet uns der Dichtung Schleier Nimmer von dem Angesicht! Mühsal wird uns dann zur Feier, Sehn des Lebens Wüsten nicht.

K. H.

Kber Zweck, Anordnung nnd Gebrauch dieser Sammlung.

Wenn wir entdeckten, daß einem jungen Mädchen, welches sich zum Lehrerinnenberuf vorbereitet, oder dem Schüler eines Leh­ rerseminars, daß angehenden Lehrern oder Lehrerinnen, ja irgend einem auf Bildung Anspruch machenden Menschen Gedichte unbe­ kannt wären, wie „des Knaben Berglied" oder „schwäbische Kunde", Rückerts „Barbarossa" oder Chamissos „Riesenspielzeug", dann dächten wir ohne Zweifel, solche Unkenntnis lasse tief blicken. Denn es gibt Hunderte von deutschen Gedichten, deren Kenntnis wir bei jedem Menschen von leidlicher Schulbildung voraussetzen. In der unendlichen Flut deutscher Gedichte schwimmen eine An­ zahl immer oben, die gegen jeden Untergang, wenn auch nicht auf ewig, so doch auf längere Zeit hinaus gefeit sind. Sie durch­ ziehen vor allen Dingen die zahllosen deutschen Lesebücher und Gedichtsammlungen, wo immer dieselben Lieblinge uns wieder be­ gegnen, durchaus nicht zum Überdruß, sondern als immer gern gesehene Freunde mit lieben Augen uns grüßend. Und das sind zum Glück gerade alles auch die deutschesten Lieder, Lieder, welche der Ausdruck eines frommen, sittenreinen und menschenliebenden Gemütes sind, seelenvolle Lieder von dichterischer Vollendung, und „nicht an wenig stolze Namen ist die Liederkunst gebannt". So soll es auch sein: das gibt eine Gleichförmigkeit der Bildung, welche deshalb noch lange nicht Schablone ist; das dient wesent­ lich der nationalen Erziehung: wir haben die Gewißheit, daß in Schwaben und Holstein, am Rhein und in Österreich und über dem Meer Millionen von deutschen Herzen sich geistig verbunden und verwandt fühlen, in Denken, Fühlen und Wollen einander ähnlich, aufgewachsen und atmend in derselben spezifisch deutschen Lebenslust. Und trotz alledem bin ich als Leiter eines Lehrerinnense­ minars oft genug in Verlegenheit gekommen, wenn ich meinen Zöglingen zumutete, sie sollten alle wirklich mustergültigen Schul-

II

Vorrede.

gedichte kennen, und folgerichtig ihnen dann auch die Hilfsmittel angeben sollte, wie sie diese Kenntnisse sich erwerben oder doch die Lücken darin ausfüllen sollten. Schiller, Göthe, Uhland, Rückert und einige andere Dichter können diese Suchenden leicht aus den Originalausgaben ihrer Gedichte kennen lernen, aber da sind noch an hundert Namen, von denen nur einzelne Erzeugnisse in betracht kommen. — Jene Verlegenheit entsteht freilich nicht aus Mangel, sondern aus Fülle. Welche der zahlreichen Samm­ lungen genügt für sich allein diesem Zwecke? Dies ist schwer zu sagen; denn jede einzelne bietet zu gleicher Zeit zu wenig und zu viel. Zu wenig — denn jede Sammlung übergeht, wie ich durch sorgfältige Vergleichung festgestellt habe, eine große Anzahl gerade der wertvollsten Sachen; zu viel — denn überall findet sich neben dem anerkannt Schönen reichlicher Ballast von Zweifelhaftem und ganz Gleichgültigem. Das ist unvermeidlich, da jede Anthologie von einem anderen Standpunkte aus veranstaltet ist. Da gibt es Trösteinsamkeit und stille Stunden für die Einsamen, Balla­ denschätze für die Familie, Edelsteine für die Schule und Sam­ melwerke für Schule und Haus; gibt es Wunderhörner für Knaben und Mädchen, Dichtersäle und -Wälder für Jünglinge und Kränze, Blüten, Sträuße, Perlen und andere Kostbarkeiten für Jung­ frauen; Trost für Schwermütige und Liederbücher für fröhliche Gesellen; erbauliche Sammlungen und solche für Liebesleute; bald macht sich das lyrische, bald das epische und bald das belehrende Element breit auf Kosten der anderen Dichtungsarten; blumen­ lesende Damen bevorzugen in ihren Prachtbänden, deren Titel aus ebenso kühnen als gesuchten Metaphern gebildet sind, die zarten Blümchen der Liebe und der Gefühle; andere Sammler­ wühlen im Weltschmerz; noch andere bringen aus gutgemeintem Patriotismus wertlose historische Reimereien in Masse; oder man räumt endlich der litterarhistorischen Vollständigkeit zu liebe Dich­ tern, die sich nur einer Tagesberühmtheit erfreuten, oder solchen, welche nur bewundert werden, weil es so hergebracht ist, über­ mäßigen Platz ein. In eine Verlegenheit etwas anderer, wenn auch ähnlicher Art wird jeder Schulmann, jede Lehrerin, die mit dem deutschen Unterrichte betraut ist, gebracht. Da ist jetzt die Sitte, daß vielbändige Lesebücher gebraucht werden, jedes Schuljahr bringt die Schüler in eine neue Klasse und drückt ihnen einen neuen Band des Lesebuchs in die Hand. Welche großen Nachteile das hat, darauf macht unter andern Wendt in der Vorrede zu seiner­ trefflichen Gedichtsammlung (Sammlung deutscher Gedichte für Schule und Haus) aufmerksam. Es gibt ein unruhiges Jagen;

Vorrede.

III

Was gelernt und durchgenommen ist, das kann nun nicht mehr gemeinsam wiederholt und gelesen werden, darein kann nicht mehr die Seele des Kindes sich vertiefen, das ist abgethan für immer. Und die Seele ist nun einmal kein Archiv, dem etwas übergeben und nach Jahren vergilbt, aber sonst unverändert wieder entnom­ men werden kann. Wie erwünscht, wenn wenigstens alles echte Gold der Dichtung das ganze Schulleben hindurch in der Hand des Kindes bleibt, mindestens eine Reihe von Jahren hindurch; denn gute Gedichte sind selten, wie köstliche Perlen, aber auch kostbar, wie diese: selbst die gefeiertsten Dichter haben meistens nur verhältnismäßig weniges geliefert, was dauernd wertgeschätzt wird, darum sollen diese Sachen nicht flüchtig beschaut und dann weggeworfen werden. Und damit hätten wir den Zweck der vorliegenden Samm­ lung schon hinlänglich angedeutet: Sie will diejenigen für die Jugend geeigneten deutschen Gedichte aus neu­ hochdeutscher Zeit bringen, deren poetischer Wert ebenso innerlich und dauernd begründet als allgemein anerkannt ist, diese aber auch in möglichster Voll­ ständigkeit. Es sind dabei allerdings dem pädagogischen Be­ dürfnis einige Zugeständnisse zu machen. Zunächst gibt es noch allerlei alte Jnventarstücke, welche die Lehrer als Freunde aus der eigenen Jugendzeit ungern miffen, obwohl der bleibende poe­ tische Wert anfechtbar ist. Sodann gibt es manches aus vater­ ländischer Sage und Geschichte, was wegen des stofflichen Jntereffes sich oben hält. Ich habe aber von solcher Art Sachen mehr weggelassen, als die meisten Sammlungen es wagen. Man muß doch endlich einmal mit dem Aufräumen ansangen. Aus­ geschlossen blieb die ganze Zeit vor Opitz (die aufgenommenen Volkslieder gehen schwerlich tiefer hinab), ausgeschlossen das kirch­ liche Lied im engeren Sinne, auch das eigentliche Liebeslied, mit Ausnahme einiger besonders zart gehaltener, allbekannter Gedichte von Göthe, Rückert, ühland und Heine. Endlich ist serngehalten alles Nachgeahmte, Manierierte und nur Anempfundene, auch das im Ausdruck Geschraubte und Schwülstige, wie es die Gegenwart leider so sehr liebt: was nicht aus der Seele drang, das ist keine echte Poesie, und das Einfachste bleibt in der Kunst immer auch das Schönste. Dagegen ist das frisch Launige, Humorvolle wohl vertreten, auch der Dialektdichtung ein Plätzchen gegönnt. Die Jugend soll fühlen, daß die Volkssprache durchaus nichts Ver­ ächtliches ist, daß vielmehr die konkrete, lebende Sprache selbst nur in dem, Vielfachen der Dialekte vorhanden ist, einer Eiche gleich, deren Äste weithin auseinandergehen.

IV

Borrede.

So bietet das Buch in erster Linie angehenden Lehrern und Lehrerinnen seine Dienste an, indem es sie mit den besten für die Schule geeigneten Gedichten bekannt macht. Es dient aber auch Schulen der verschiedensten Art und läßt sich neben den eingesührten Lesebüchern benutzen, da es eben aus allen Lese­ büchern die poetische Quintessenz zieht. Vor allem bietet die Sammlung vollständigen Memorierstoff für alle Stufen der Schule, alle Gedichte darin sind wert, dem Gedächtnis übergeben zu werden, wenn auch natürlich nicht alle gelernt werden sollen, sondern nur solche, bei denen man merkt, daß sie beim Durch­ nehmen die Seele der Kinder so erfüllen, daß das Auswendig­ lernen ihr eigener Wunsch ist. Ich werde mich wohl hüten, einer solchen Überfütterung das Wort zu reden, wie sie z.B. ein ge­ schätzter Kollege in einer verbreiteten Gedichtsammlung für Schulen empfiehlt. Derselbe will einfach sein ganzes Buch auswendig ge­ lernt haben und zwar so, daß durch neun Schuljahre hindurch alljährlich etwa 36 sestbestimmte Gedichte dem Gedächtnis über­ liefert werden sollen. Nein, der Anblick eines derartigen Buches darf nach überstandenen Schuljahren nicht das unangenehme Ge­ fühl erzeugen, welches den von reichem Mahl Gesättigten beim Geruch von Speisen überkommt, sondern soll erfreulich und an­ ziehend bleiben, wie der kühle Waldbrunnen es bleibt, aus dem wir eben erst volle Züge gethan haben. In bezug auf die Behandlung der Stücke, Memorieren und Lesen schließe ich mich im allgemeinen Wackernagels und Hildebrands Ausführungen an und verweise mit Freuden auf deren Schriften (Wackernagel deutsches Lesebuch 4. Th. 2. Aust. 1879; Hildebrand vom deutschen Sprachunterricht 2. Aufl. 1879) ; auch in Palleskes Kunst des Vortrages (Stuttgart, 1880) findet man besonders über das Chorlesen Beherzigens­ wertes. Was nun die Anordnung des Buches anlangt, so ist den unmittelbaren Schulbedürfnissen Rechnung getragen durch den ge­ sonderten Abdruck der für die Behandlung auf der Unterstufe, Mittelstufe und Oberstufe geeigneten Sachen. Noch bestimmter den Stoff auf Schuljahre verteilen, hieße doch Lehrer und Schüler zu sehr einengen, zumal es ganz willkürlich ist, ein Gedicht be­ stimmt etwa dem 11. oder 12. Lebensjahre zuzuweisen. Dabei ist der Begriff der Unterstufe über die vier ersten Schuljahre ausgedehnt worden, so daß das Lebensalter von 6—10 Jahren gemeint ist; während als Mittelstufe die vier folgenden Jahr­ gänge gedacht sind, das Lebensalter von 10—14 Jahren. Das Leben in Haus und Feld, in der Familie und mit der Tierwelt,

Vorrede.

V

endlich die einfache kindliche Frömmigkeit bilden vorzugsweise das Gebiet, auf dem die für die Unterstufe gewählten Gedichte sich bewegen. Bei dem allbekannten Gedichte vom Lämmchen, weiß wie Schnee, ist die letzte Strophe als pädagogisch verfehlt gestrichen. Der zweite Teil ist also für das 5. bis 8. Schuljahr be­ stimmt. Hier steht im Vordergrund das Vaterländische, das Epische, das Frische, während die Gefühle, insbesondere aber die Reflexionen über Gefühle möglichst bei Seite geschoben sind. Wir betrachten das als einen wichtigen Grundsatz, besonders auch für Mädchenschulen. Dies muß ganz besonders betont wer­ den der leider noch so vielfach, zumal auch in Lesebüchern für Töchterschulen befolgten Praxis gegenüber, unreifen Mädchen mög­ lichst viel Empfindsames und „Gemütvolles" zu bringen. Be­ sonders kraß tritt uns diese Unsitte in den Wirth'schen Lese­ büchern entgegen. Nein, Mädchen wollen, wie die Knaben auch, vor allem frische Erzählung, lieben es, von männlichen Helden­ thaten und kraftvollen Gestalten zu hören und finden zum Glück alles Reflektierende, Süßliche und Schwülstige langweilig. Die Gedichte aber, welche wir für passend halten, kürzen wir wohl hier und da aus ästhetischen und pädagogischen Gründen um eine oder mehrere Strophen, verstümmeln sie aber nicht, erlauben uns vor allem keine so abscheulichen Änderungen, wie die meisten Lese­

bücher sie beispielsweise in Vogls Erkennen anbringen, um fich um das harmlose „Schätze! fromm" herumzudrücken. Als Beispiel einer Kürzung aus ästhetischen Gründen nenne ich Bürgers Lied vom braven Mann, welches durch die Streichung der fünf Stro­ phen unendlich gewinnt. Die Oberstufe führt uns zu den Sachen, die fich dem reifern Jugendalter eignen, wir halten aber auch hier manches fern, was sonstwie für paffend angesehen wird. Mit Abficht sind z. B. Arion von Schlegel und Salas h Gomez von Chamiffo wegge­ blieben. Das erstere Stück ist nur insofern lehrreich, als es, mit den schillerischen Balladen verglichen, sich als ein zwar wohllau­ tendes, sonst aber ganz schwächliches Produkt ausweist, das man doch endlich aus der Zahl der mustergültigen Poesien streichen sollte. Wie aber Chamissos Gedicht immer noch als „schulfähig" gelten und als solches angepriesen werden kann, ist mir unbe­ greiflich. Man sollte doch das zwecklos Gräßliche, das geradezu bis zur völligen Unwahrscheinlichkeit gesteigert ist, nicht in die Schule einführen! Chamiffo bietet sonstwie ja des Schönen so viel! Die Texte sind möglichst den Originalausgaben der Dichter ent­ nommen, oder doch so zuverlässigen Sammlungen, wie z. B. Engelien

VI

Vorrede.

und Fechner. Es ist unglaublich, mit welchem Leichtsinn darin noch immer verfahren wird, und wie erschrecklich durch das ewige Abdrucken aus trüben Quellen die Texte meist zugerichtet sind. Die Sachen von Hölth sind hier nach Halms kritischer Ausgabe gegeben, mit Weglassung des nachweislich von Voß Geänderten und Zugesetzten. Arndts Gedichte sind aus der Ausgabe von 1840. Die später von ihm selbst vorgenommenen Änderungen sind leider keine Ver-

befferungen gewesen, wie z. B. eine Vergleichung der Gedichte: Die leipziger Schlacht und: Wer soll der Hüter sein? in späterer und früherer Fassung lehrt. Bei Göthes Gedichten sind die Jah­ reszahlen der Entstehung hinzugefügt, auch sonst hier und da, wo es von Interesse schien. Daß von Schiller nur die für das Lebensalter bis zum 12. Jahre geeignet scheinenden Sachen abge­ druckt wurden, die übrigen nur mit den Überschriften gegeben, wenngleich in die Register eingereiht sind, geschah nicht allein der Raumersparnis zu liebe, sondern vor allem auch, um die Jugend zu veranlaffen, in Schillers Gedichten selbst sich frühzeitig heimisch zu machen. — Uhlands Gedichte sind ein noch immer nicht aus­ geschöpfter Born: der Ruhm dieses Dichters ist noch stets im Wachsen; man wird mehrere Lieder von ihm finden, welche sonst seltener in Sammlungen für Schulen ausgenommen werden. — Das Rätsel, der Jugend so lieb, hat Vertreter aus der Neuzeit wie aus vergangenen Jahrhunderten. Wie alle Dichter sich der sogenannten „neuen" Orthographie, so mußten sie auch der alphabetischen Ordnung sich fügen. Die Änordnung nämlich ist auf jeder Stufe lexikalisch nach den Namen der Dichter. Diese an sich rein äußerliche An­ ordnung hat doch viele Vorzüge, vor allem den, daß die Gedichte so am fichersten und raschesten zu finden sind. Mag eine Anord­ nung nach dem Inhalt noch so'geistreich sein, sie hat das un­ bequeme, daß zu viel Gleichartiges sich folgt; dadurch wirkt das Lesen der Reihenfolge nach geradezu ermüdend. Ein Gedicht aber kommt, wie ein Gemälde, erst dann zur vollen Geltung, wenn man es völlig isoliert beschaut. Beider Anordnung nach dem Inhalt wird auch die historische Be­ trachtung, die Gewinnung eines einheitlichen Eindrucks von einem Dichter beinahe unmöglich gemacht, da seine einzelnen Schöpfungen eben durch das ganze Buch hin zerstreut sind. Die Anordnung nach Epochen und innerer Verwandtschaft verfehlt es darin, daß je mehr wir uns der Gegenwart nähern, desto bunter und will­ kürlicher ja doch die Reihe wird. Auf allgemeine Zustimmung hat da keine Gruppierung zu rechnen, sollte sie noch so durch­ dacht sein.

Borrede.

VII

Nicht angemessen erscheint auch die Anordnung nach Dich­ tungsarten, so häufig auch seit O. L. B. Wolffs poetischem Haus­ schatz dieselbe gewählt worden ist. Es wird dadurch dem rein Formalen eine Wichtigkeit beigelegt, die es nicht hat. Wenn es noch bei den ganz großen Fächern, bei der epischen, lyrischen Poesie re. bliebe! Und selbst da bleibt es oft Sache des subjek­ tiven Gefühls, ob man ein Gedicht als lyrisch oder episch, ein anderes als lyrisch oder didaktisch bezeichnen will. Je zuversicht­ licher aber die Dichtungen ganz bestimmten Gattungen der Poesie zugewiesen werden, desto leichter wird die Jugend dadurch an gedankenloses Nachsprechen von Urteilen gewöhnt, da sie veran­ laßt wird, Schlußfolgerungen dogmatisch sich anzueignen, zu denen das eigene logische Denken sie nicht zwingend hinführt. Die Fächer aber erscheinen dann den Schülern als etwas für sich be­ stehendes, allgemeingültiges: sie werden zu der Ansicht verleitet, die Dichter paßten schon im Entwurf ihre Dichtungen jenen Fächern an, ähnlich wie man etwa von Rafael gefabelt hat, er habe die Madonna della sedia in einen runden Faßboden hinein­ komponiert. Daß wir es hier mit einer nachträglichen Systema­ tisierung bereits vorhandener Sachen zu thun haben, kommt ihnen um so weniger zum Bewußtsein, mit je größerer Wichtigkeit ihre Lehrer diese Sache behandeln. Wie unmöglich es aber ist, die vorhandenen Dichtungen unter die verschiedenen Dichtungsarten so zu verteilen, daß die Einordnung allgemeine Zustimmung findet, das lehren uns die Schriften selbst, welche sich mit jener Syste­ matisierung befassen: so ist z. B. in Werner Hahns poetischer Mustersammlung (Berlin, 1882) der Felsenstrom von Stolberg als eine Elegie bezeichnet, während ich diese Dichtung mit eben­ soviel Recht eine Ode und nebenbei eine Allegorie nenne; die Ge­ schichte vom Bäumlein, das andre Blätter hat gewollt, wird als Fabel aufgeführt, und zwar wird Fabel als eine didaktische Dich­ tung definiert, „in welcher ein Satz allgemeiner Lebenserfahrung durch Erzählung eines Vorgangs erläutert wird, der nach Art des wunderbaren Verlaufs ihn an einem Beispiel anschaulich macht." Ich lasse ja gern jenes allerliebste Gedicht als Fabel gelten, nur frage ich: ist es wirklich als Erläuterungsbeispiel eines allgemei­ nen Satzes gedichtet, oder nicht vielmehr eine launige Erzählung für Kinder, aus welcher, ganz unbeabsichtigt, sich allerdings auch eine Lehre ziehen läßt, so wie sich solche so ziemlich aus allen Dichtungen, die nicht müßige Phantasiespiele sind, ergibt? Rückert selbst nennt das fragliche Gedicht ein Märchen. Die Geschichte vom Mann im Syrerland ist nach dem genannten Buch eine Allegorie. Wir lassen das wiederum gelten, bemerken aber, daß

VIII

Vorrede.

der Dichter sie ausdrücklich Parabel überschreibt.

„Über allen

Wipfeln ist Ruh" wird dort überhaupt nicht zur Lyrik gerechnet, sondern zu der Didaktik, und zwar zu den beschreibenden Gedichten. Göthe selbst nennt es bekanntlich ein Lied. Von allgemeiner Zu­ stimmung. kann also da nicht gut gesprochen werden, wo gleich die Zustimmung der Dichter selbst fehlt. Gerade die größten Dichter haben niemals die Verpflichtung gefühlt, die Gesetze der Poetik streng zu befolgen, vielmehr hat umgekehrt die Poetik ihre Regeln aus den Werken jener Männer herzuleiten oder auch da­ nach zu modifizieren. Sowie man die Farben mancher Gemälde unmöglich mit bestimmten Namen benennen kann, weil sie eine Mischung aus allen Grundfarben sind, so kann man auch oft die gehaltvollsten Dichtungen nicht mit bestimmten Gattungsnamen aus der Poetik belegen, weil sie als der Ausdruck eines durchein­ anderwogenden Seelenlebens auch eine Mischung verschiedener Dichtungsarten sind. Nichtsdestoweniger fällt es uns nicht ein, zu bestreiten, daß es nützlich ist, wenn die Schüler die herkömmlichen Kunstausdrücke der Poetik kennen und gebrauchen lernen; doch müßte man hier­ bei nicht philosophisch, sondern rein historisch zu Werke gehen. So würde ich es als ein unrichtiges Verfahren bezeichnen, wenn man die angeblich so verschiedenen Begriffe vonBallade und Romanze philosophisch entwickeln und reinlich voneinander sondern wollte — und mit welchem Aufwand von subtilsten Distink­ tionen geschieht das oft! — Das paßt dann auf manche Gedichte, auf andre aber wieder durchaus nicht. Man müßte vielmehr, ähnlich wie es in Linnigs Vorschule zur Poetik geschieht, zuerst die Her­ kunft der Ausdrücke Ballade und Romanze untersuchen, alsdann berichten, wie Percy die alten englischen und schottischen Volks­ lieder unter dem Namen ballads and songs gesammelt hat, wie auf Anregung Herders diese Dichtungsart mitsamt dem Namen nach Deutschland verpflanzt ward, wo man damals ja erst ahnte, daß wir in unsern Volksliedern reiche Schätze ganz derselben Art besitzen. Darauf wäre zu zeigen, wie nach Schillers Vorgang auch Darstellungen wie der Ring des Polykrates oder die Kraniche des Jbykus Balladen genannt wurden u. s. w. Bei Romanze müßte man ebenfalls den Wandlungen des Sprachgebrauchs folgen, wie z. B. Schiller unter Romanze ein romantisches Gedicht ver­ standen hat und als romantisch wiederum alles ansprach, was mit dem Wunderglauben, dem Ritter- und Mönchswesen des Mit­ telalters zusammenhing, wie er deshalb von seinen Gedichten nur den Kampf mit dem Drachen eine Romanze, von seinen Dra­ men aber die Jungfrau von Orleans eine romantische Tragödie genannt hat.

Vorrede.

IX

Um auch aus der Lyrik ein Beispiel zu geben, so wäre bei der Durchnahme von Oden einfach zu sagen, Ode sei der griechische Ausdruck für Lied, und dieser Name sei vorzugsweise an denjenigen deutschen Gedichten haften geblieben, welche die Kunststrophen der griechischen Lyrik zeigten. Nach Klopstocks Vorgang habe es sich so gemacht, daß die fremdartige Form auch den Gebrauch fremd­ artiger Redewendungen und Satzbildungen nach sich gezogen, und daß man vorzugsweise erhabene Gefühle in dieser Kunstform nie­ dergelegt habe. Aus dem didaktischen Gebiet greife ich die Fabel heraus, welche ja dorthin gerechnet zu werden pflegt. Da müßten zunächst die verschiedenen Arten der Fabel aufgezählt werden: die äsopische, die so ganz anders gestaltete altdeutsche Fabel, Tiersage, in wel­ cher die Lust am Erzählen die Hauptsache ist, die Belehrung aber ganz unabsichtlich hier und da sich von selbst ergibt; die Fabel in Lafontainischer Weise, also die schalkhaft pikant-satirische, be­ haglich breite Erzählung mit lehrhafter Tendenz, wie sie bei Gleim, Hagedorn, Gellert auftritt, dann die Fabel Lessings und seiner Nachfolger, zuletzt die Fabeln von Fröhlich und Hey. Alle diese Arten von Fabeln haben ein Recht darauf, als Fabeln re­ spektiert zu werden. Wenn man aber, geblendet von Lessings Namen, dessen Fabeltheorie in Form eines dogmatischen Lehrsatzes zur allgemeingültigen Norm erhebt, wie in der oben zitierten De­ finition, und daran poetischen Wert oder Unwert vorhandener Fabeln messen will, dann bleiben viele vortreffliche Fabeln übrig, welche, von diesem Standpunkte aus gesehen, wie Peter Schlemihl ohne Schatten, so ohne das kostbare, wenn auch innerlich wertlose Gut eines Gattungsnamens in dieser Welt herumlaufen müßten. — Diese Andeutungen mögen genügen. Jedenfalls aber darf auch den berechtigten Erörterungen dieser Materie nicht allzuviel von der wertvollen Unterrichtszeit geopfert werden. Es wäre das ge­ radezu schädlich. Denn wenn wir unsern Verstand definierend be­ schäftigen bei Eindrücken, welche eigentlich ganz andere Saiten unseres Innern ertönen lassen, dann bedeutet das eine Ablenkung und gewaltsame Abschwächung des naturgemäßen Eindrucks. Und nur diesen letzteren sollen wir erzielen wollen, wenn wir der Ju­ gend Poesie darbieten. Wenn in einer Gedichtsammlung für die Schule ausgesprochenermaßen jedes Gedicht „nicht als interessante Lektüre, sondern als Mittel, einen Begriff klar zu machen und seine Grenze festzustellen", dasteht (vgl. Hahns poetische Muster­ sammlung, Vorrede), so kann ich dazu nur sagen: Wer das Un­ glück gehabt hat, daß ihn seine Lehrer wertvolle Dichterwerke als Mittel, Begriffe der Dichtungsarten festzustellen, haben lesen lassen, der ist zu bedauern, denn er war das

X

Vorrede. . ..................... Tier auf dürrer Heide, Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, Und ringsumher liegt schöne grüne Weide!"

Ebenso bedenklich ist das übermäßige Wertlegen auf die Dichtungsformen. Die Art, wie in Schulen vielfach Metrik getrieben wird, kann nur als Mißbrauch bezeichnet werden. Denn das nenne ich Mißbrauch, wenn teils in selbständigen, noch immer neu aufschießenden Leitfäden, teils in Einleitungen und Anhängen zu Lesebüchern und Gedichtsammlungen ganz veraltete und wertlose Theorien den Schulen aufgenötigt werden. Wie die Poetik, so kann auch die Metrik nur historisch klar gemacht werden, aber nicht so, daß man die verwickelten Kunstausdrücke der griechisch-römischen Versfüße und Reihen als etwas Ewiggültiges aufzählt, das auch für die deutsche Sprache selbstverständlich Geltung habe. Das ist alles ja einfach nicht wahr! In erster Linie muß in das Verständnis der national deutschen Dichtungsformen eingeführt werden. Und da könnte man ganz kurz sein. Die ursprünglich national-deutsche Dich­ tungsform, so wäre ungefähr zu beginnen, ist der Stabreim (Al­ literation), der uns bis heute noch tief im Blute steckt. Das wäre dann noch etwas näher zu erläutern. Darauf, so würde man etwa fortzufahren haben, brachte die christliche Zeit gereimte Verse, in welchen vier Silben durch stärkere Betonung über die anderen erhoben wurden. Auf diese Silben — wir nennen sie auch Hebungen — kam es vorzugsweise an: ihre Zahl war bestimmt, nicht so die der unbetonten Silben (Senkungen). Die Hebungen konnten unmittelbar aufeinander folgen oder durch Senkungen getrennt sein; vollends gleichgültig war es, ob der Vers mit einer betonten Silbe anfing, oder ob der ersten Hebung noch eine oder mehrere unbetonte Silben (Auftakt) vorangingen. Jedoch ist von Anfang an das Bestreben wahrzunehmen, Hebungen und Senkungen regelmäßig abwechseln zu lassen, und immer mehr wurde die alte Freiheit im Gebrauch der Senkungen eingeschränkt. Von größter Bedeutung für diese Entwickelung des Versbaues war das Erblühen einer vielgestaltigen Lyrik im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts. Die enge Verbindung der Poesie mit der Musik, die regelmäßige Wiederkehr derselben Weise (Melodie) in mehreren Strophen, verlangte eine bestimmte Silbenzahl für den einzelnen Vers, und so führte die Rücksicht auf die Betonung einerseits, auf die Silbenzahl andrerseits zu einem regelmäßigen Wechsel von Hebung und Senkung. An den Auftakt stellte man weniger strenge Forderungen, doch soviel ist unverkennbar, daß man auch ihm gegenüber nicht gleichgültig war: es gibt viele Lieder, in

Vorrede.

XI

denen Verse mit und ohne Auftakt nach bestimmtem Gesetz mit einander wechseln, so .daß der steigende und fallende (jambische und trochäische) Rhythmus jenem Zeitalter keine durchaus unbe­ kannte Sache war. Ja auch daktylische Rhythmen sind der mit­ telalterlichen Lyrik nicht völlig fremd (Walther v. d. Vogelweide: Wol mir der stunde, da ich sie erkante). Die Strophenformen, welche der Minnegesang hervorgebracht hat, sind sehr mannigfaltig; die meisten sind dreiteilig gebaut, d. h. auf zwei metrisch und musikalisch sich völlig entsprechende Teile (die beiden Stollen oder der Aufgesang) folgt ein dritter von ihnen verschiedener Teil: der Abgesang. Die berühmteste Strophenform der Zeit jedoch, die Nibelungenstrophe, ist nicht als dreiteilig anzusehen. Sie besteht aus vier paarweis durch den Reim gebundenen Langzeilen; jede Langzeile ist durch einen Einschnitt (Cäsur, Diärese) in zwei Teile von je drei He­ bungen zerlegt, nur die letzte Halbzeile hat deren vier. Die Reime sind männlich, die Ausgänge vor dem Einschnitt jedoch weiblich. Die spätere Zeit führte auch Binnenreime an der Cäsurstelle ein, so wie sich dies bei der Eingangsstrophe des Nibe­ lungenliedes selbst findet, setzte auch oft das Maß der letzten Halb­ zeile auf das der übrigen herab. Diese Abart (auch Hilde­ brandston genannt), ward außerordentlich beliebt und hat alle Stürme der Zeit überdauert: wir finden sie auch bei Opitz (wer Gott das Herze giebet) und Paul Gerhardt (Befiehl du deine Wege). Wie das Nibelungenlied, so sind noch einige andere epische Gedichte in Strophen abgefaßt, die weitaus häufigste Form jedoch der epischen Poesie des Mittelalters sind die kurzen Reim­ paare, deren Entwickelung wir vorhin geschildert haben. Die gefällige Versform, welche die mittelhochdeutsche Lyrik allmählich herausgebildet hatte, hielt sich leider nicht lange. Die Rücksicht auf die Silbenzahl hatte sich anfangs mit der älteren Rücksicht auf die Zahl der Hebungen glücklich vereinigt, allmäh­ lich riß jedoch das jüngere Prinzip die Herrschaft an sich, und wo überhaupt Regelmäßigkeit im Versbau erstrebt ward, da ließ man sich daran genügen, die Silben zu zählen. So ist es im Meistergesang, so verfuhr auch der berühmteste Meistersänger, Hans Sachs. Dadurch entstanden Verse, welche für unser Ge­ fühl nichts sind als Knüttelverse: wir vermissen in ihnen die Rücksicht auf die Sprachbetonung und empfinden die Regelmäßig­ keit, die in der Gleichheit der Silbenzahl liegt, gar nicht als solche. (So z. B. in dem Volkslied vom Schnitter Tod, in unserer Sammlung III, 224.) Es ist nun zwar nicht zu verkennen, daß manche Dichter, durch ein natürliches Gefühl geleitet, in ihren

XU

Vorrede.

Versen einen ziemlich regelmäßigen Wechsel zwischen Hebung und Senkung eintreten ließen, wie die alten Minnesänger, aber als Gesetz war dieser Wechsel nicht anerkannt. Es ist das große Ver­ dienst von Martin Opitz, daß er es klar aussprach: „Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein jambicus oder trochaicus; nicht zwar das wir auff art der griechen vnnd lateiner eine gewisse grosse der sylben können inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen, welche sylbe hoch vnnd welche niedrig gesetzt soll werden. Ein Jambus ist dieser: Erhall uns Herr bey deinem wort.

Der folgende ein Trocheus: Mitten wir im leben sind."

(Braunes Neudruck S. 40, Halle 1876). Neben dem Jambus und Trochäus, auf welche Opitz hinweist, wird von jetzt ab am häufigsten daktylischer, auch anapästischer Rhythmus gebraucht. Für die Litteraturperiode, die Opitz eingeleitet hat, ist der Alexandriner der charakteristische Vers, ein sechsfüßiger Jambus mit einer Pause nach dem dritten Fuß. Seit der Mitte des vo­ rigen Jahrhunderts tritt er ganz zurück: vergeblich suchten später Dichter wie Rückert und Freiligrath ihn wieder zu Ehren zu bringen. Dagegen wurden um die Mitte' des 18. Jahrhunderts neue Formen ausgenommen: für das Drama seit Lessings Nathan der fünffüßige reimlose Jambus (der Blankvers der Engländer), für das Epos nach Klopstocks mächtigem Beispiel der Hexameter. Der letztgenannte Dichter suchte auch die künstlichen lyrischen Strophen der Alten neu zu beleben, aber obwohl es ihm nicht an Nachfolgern fehlte, sind sie doch nie recht heimisch geworden. Neben diesen neueren Maßen wurden auch die alten Reimpaare nicht ganz vergessen, wenn sie auch in der gelehrten Litteratur gering geachtet wurden. Göthes Kunst weihte sie aufs neue. Als man dann dem deutschen Mittelalter ein liebevolles Studium zu­ wandte, lebten auch andere Formen wieder auf: besonders wurde seit Uhland, Arndt, Heine ic. die Nibelungenstrophe ein be­ liebtes Maß, entweder in der Abart des Hildebrandstones, oder mehr der ursprünglichen Form angenähert (vgl. Hamerling Vater­ landslied III, 86), auch vielfach dadurch verschleiert, daß die Dichter gerne je zwei Langzeilen zu einer Strophe von vier Kurz­ zeilen zusammenstellen, so schon Göthe im König von Thule, Heine in der Lorelei rc. Dadurch, daß in unserer Sammlung in allen derartigen Gedichten die Langzeilen wiederhergestellt sind, wird es

Vorrede.

xm

in ost überraschender Weise auch äußerlich erkennbar, wie beliebt diese echt nationale Strophenart ist. Schließlich hätte man in der Schule noch den Hexa­ meter und Pentameter zu besprechen*), vielleicht eine oder die andere klopstockische Odenform, von Versfüßen kämen außer den vier obengenannten nur noch Spondeus (steigender und fallender) und Choriambus zur Besprechung, und wenn dann auch noch Sonett, Stanze, Terzine, Gasel erklärt wären, so wäre alles aus der Metrik erledigt, was als Bestandteil der allgemeinen Bildung gelten kann. Was machen aber die zahlreichen, für den Schulgebrauch ausdrücklich bestimmten Leitfäden aus dieser im Grunde so ein­ fachen Sache? Da ist ein Gewirr und Geschwirr von Strichen und Häkchen, daß es einem angst und bange wird, da müssen die Kinder von Dipodieen und katalektischen, logaödischen Reihen, von Trimetern, Bacchien, Antibacchien und Amphibrachen hören, die wohl noch alles Ernstes in Aufstürmer, Abstürmer, Schwachfüßer, Schwertstreiter 2c. verdeutscht werden (vgl. Knauth Auswahl deutscher Gedichte, Halle 1883 S. 331). Man sage doch nur, welche deutschen klassischen Gedichte denn eigentlich mit Hilfe dieses man möchte beinahe sagen trigonometrischen Meßapparates ge­ messen werden sollen! Diejenigen Gelehrten, die das versuchen, kommen regelmäßig dazu, bei unseren besten Dichtern sogenannte „metrische Fehler" zu finden, wie denn Viehoff und sogar auch der sonst so ausge­ zeichnete Götzinger fortwährend Schiller und Göthe solche Fehler aufrücken. Schülern aber solche Arbeit zumuten, heißt den Sinn für Poesie bei ihnen töten. Und man mutet es ihnen zu. Gibt doch ein allerneuester Metriker schon „metrische Aufgaben für Schüler, ähnlich wie in mathematischen Lehrbüchern", und so was wird in der Zeitschrift für weibliche Bildung 1882, 12. Heft sogar noch gelobt! „Sie suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel", seufzt der Wandsbecker Bote, Schiller aber fingt: „Wie der Quell aus verborgenen Tiefen, So des Sängers Lied aus dem Innern schallt Und wecket der dunklen Gefühle Gewalt, Die im Herzen wunderbar schliefen!" *) Hoffentlich wird man es als eine angenehme Neuerung empfin­ den (ich habe es wenigstens noch nirgend sonst wahrgenommen), daß die Hexameter so gedruckt sind, daß das Auge die Cäsur bemerkt. Es erleichtert dies das Lesen ungemein, denn auch der Geübteste vermag nicht stets prima Vista die richtige Pause zu finden; es unterbricht die lange Zeile angenehm fürs Auge, und es spart dem Lehrer Worte, Zeit und Verdrießlichkeiten.

XIV

Borrede.

Ich hielt es für eine Pflicht, im Vorstehenden etwas aus­ führlicher einige bedenkliche Abwege der neueren Pädagogik zu kennzeichnen, zumal jene Wege breit find und viele darauf wan­ deln. Gerade auch um niemanden aus derlei Irrwege zu verlocken, hat weder die Poetik noch die Metrik den Einteilungsgrund für unsre Sammlung abgegeben. Die von uns beliebte Ordnung ge­ währt vor allem den Vorteil, daß die Gewinnung eines einheit­ lichen Eindrucks von jedem bedeutenderen Dichter leicht möglich ist: stehen doch seine Gedichte zusammen, und selbst wenn sie auf die drei Stufen verteilt sein sollten, so sind sie deshalb nicht zer­ streut, sondern vermöge der lexikalischen Anordnung sehr leicht zu finden. Es wird auf diese Weise auch dem löblichen Bestreben Vorschub geleistet, in bestimmten Schulklassen die Beschäftigung mit bestimmten Dichtern in den Vordergrund zu stellen. Endlich, selbst wenn wir der Reihe nach lesen wollen, machen wir einen abwechselungsreichen Gang durch einen schönen Park. Will aber einer, und besonders der Lehrer wird das ja öfter wollen, will einer das inhaltlich Gleichartige, oder das der Zeit nach, der Form nach oder sonstwie Zusammengehörige auch zusam­ menschauen, so soll dieses Verlangen durch das zweite Register befriedigt werden. Unter der Überschrift jedes Gedichtes ist auf

eine oder mehrere Nummern dieses Registers verwiesen. Dasselbe gibt zunächst eine Gruppierung alles gegebenen Stoffes nach dem Inhalt: anfangend mit der Natur in ihren Zeiten und Gestal­ tungen, läßt es Deutschland folgen in Art, Land und Geschichte, ferne Gegenden nnd ferne Zeiten, das Menschenleben, Gottver­ trauen, Tod und Grab. Beigegeben ist unter Nr. 23 eine Zu­ sammenstellung der Gedichte, welche die Poesie selbst oder bestimmte Epochen und Persönlichkeiten der Litteraturgeschichte zum Inhalt haben, so daß hier im bescheidenen Maß das gegeben ist, was ausführlich Jmelmanns lehrreiches Buch (deutsche Dichtung im Liede, Berlin 1880) bietet. Es folgt eine Zusammenstellung nach Gattungen der Dichtkunst, im wesentlichen nach Linnigs Vorschule der Poetik und Litteraturgeschichte geordnet; endlich eine Gruppierung wenigstens nach dm wichtigsten Formen der Poesie: zunächst kommen die nationalen Formen der kurzen Reimpaare und der Nibelungenstrophe, dann die aus dem Alter­ tum und von allerlei Völkern her angeeigneten Formen. Für etwaige spätere Auflagen ist in Aussicht genommen, zur Ver­ gleichung auch diejenigen französischen und englischen Gedichte her­ anzuziehen, welche zur Lektüre für die Jugend sich eignen. Noch mehr. Wir wollten auch die Stellen angeben, wo der Lehrer Erläu­ terungen der einzelnen Gedichte finden kann. Auf Viehoffs und

BorrM.

XV

Düntzers Kommentare zu Göthe, Schiller und Uhland ist nicht beson­ ders verwiesen, dagegen auf eine Reihe der verbreitetsten Erläuterungs­ schriften. Alle zu nennen war unmöglich, vielleicht hätte noch für eine Anzahl einfacher Gedichte die treffliche Schrift von Eberhardt (Poesie in der Volksschule) zitiert werden können. Auch zum litteraturgeschichtlichen Unterricht gibt das Buch, soweit die neuhochdeutsche Zeit in betracht kommt, völlig für die Schule ausreichende Proben, ich sage ausreichend, so viele kleinere Geister auch ganz fehlen mögen. Denn in der Litteratur­ geschichte, wie die Schule sie gibt, soll es gar nicht auf Vollstän­ digkeit ankommen: zu was brauchen wir die Schüler die veralteten und kraftlosen Sachen der Romantiker lesen zu lasten, zu was mit ihnen durch die dürren Wüsten der ersten Hälfte des 18. oder gar des 17. Jahrhunderts zu pilgern? Was liegt uns am Welt­ schmerz oder an der politischen Dichtung der Revolutionsjahre? Von Dramen und Epen Fragmente zu geben, geht überhaupt gegen unsere Grundsätze, einzig Platens Parabase und Uhlands Kaiserwahl sind ausgenommen aus Gründen, die jeder Vernünf­ tige erkennt. Im Jntereffe des litteraturgeschichtlichen Unterrichts ist in einem dritten Register, nach Zeitaltern und Schulen geordnet, eine Zusammenstellung aller Dichter gegeben, von denen Poesien in die Sammlung ausgenommen sind. Doch alles das sind nur untergeordnete Zwecke, denn die Hauptsache bei der schulmäßigen Durchnahme deutscher Gedichte bleibt immer: den Sinn für die wahre und echte Poesie zu erschließen. Diesen Hauptzweck zu erreichen, ist die vorlie­ gende Zusammenstellung veranstaltet, als eine Sammlung alles wahrhaft Mustergültigen, soweit es wert ist, von der Jugend still und gesammelt ausgenommen und dauernd festgehalten zu werden als das schönste Erbteil unserer deutschesten Geister.

Schließlich statte ich noch für mehrfachen freundlichen Rat und zum Teil sehr wesentliche Unterstützung den Herren Professor Dr. Wilmanns in Bonn, Provinzialschulrat Dr. Höpfner in Koblenz, Gymnasialdirektor Dr. Jäger in Köln und Rektor Dörr in Solingen meinen verbindlichsten Dank ab. Dem erstgenannten, hochverehrten Manne verdanke ich eine höchst wertvolle Gabe, in­ dem nämlich der Abschnitt der Vorrede über die Entwickelung der deutschen Metrik beinahe wörtlich seiner Feder entstammt, wäh­ rend die Mitwirkung meines Freundes Dörr sich besonders auf dasjenige erstreckt, was, zwar unter der Oberfläche verborgen, aber

XVI

Vorrede.

dem kundigen Auge Wohl erkennbar, in dem Buche die Anlehnung an Herbartische Grundsätze verrät. Endlich die ergebenste Bitte an alle diejenigen, welchen die vorliegende Art der Behandlung dieses Stoffes sympathisch ist, mir etwaige Ausstellungen und Bemerkungen nicht vorenthalten zu wollen. Vielleicht läßt es sich einrichten, daß eine ergänzende Sammlung von Musterprosastücken nachfolgt.

Koblenz, Februar 1884.

Karl Kessel.

Ernst Moritz Arndt geb. 26. XII. 1769 zu Schoritz auf Rügen, f 29. I. 1860 zu Bonn.

!♦ Gebet eines kleinen Knaben an den heiligen Christ. (Reg. II, 5, 21.) 1.

Du lieber, heiliger, frommer Christ,

Der für uns Kinder kommen ist,

Damit wir sollen weiß und rein Und rechte Kinder Gottes sein; 2. Du Licht, vom lieben Gott gesandt In unser dunkles Erdenland, Du Himmelskind und Himmelschein,

Damit wir sollen himmlisch sein:

3. Du lieber, heiliger, frommer Christ, Weil heute Dein Geburtstag ist,

Drum ist aus Erden weit und breit Bei allen Kindern frohe Zeit. 4. O segne mich! ich bin noch klein,

O mache mir den Busen rein, O bade mir die Seele hell In Deinem reichen Himmelsquell!

5.

Daß ich wie Engel Gottes sei,

In Demut und in Liebe treu,

Daß ich Dein bleibe für und für, Du heiliger Christ, das schenke mir!

Bechstein.

2 [I]

Bcrtuch.

Ludwig Bechstein geb. 24. XL 1801 bei Meiningen, f 14. V. 1860 zu Meiningen.

S.

Der Verdrießliche. (Reg. II, 20.)

1. Ich bin verdrießlich! Weil ich verdrießlich bin, Bin ich verdrießlich. 2. Sonne scheint gar zu hell, Vogel schreit gar zu grell, Wein ist zu sauer mir, Zu bitter ist das Bier, Honig zu süßlich. Weil nichts nach meinem Sinn, Weil ich verdrießlich bin, Bin ich verdrießlich. 3. Dort wird Musik gemacht, Dort wird getanzt, gelacht, Dort wirft man gar den Hut: Wie mich das ärgern thut! Ist nicht ersprießlich, Ist nicht nach meinem Sinn, Weil ich verdrießlich bin, Ach! so verdrießlich. 4. Wo ich auch geh' und steh',

Ich meinen Schatten seh', Immer verfolgt er mich. Ist das nicht ärgerlich? Und wenn der Himmel trüb, Ist es mir auch nicht lieb. Winter ist mir zu kalt, Frühling kommt mir zu bald, Sommer ist mir zu warm, Herbst bringt den Mücken­ schwarm, Mücken auf jeder Hand, Mücken an jeder Wand, O wie mich das verstimmt! O wie mich das ergrimmt! Wie das ins Herz mich brennt! Himmelkreuzelement! — 5. Bin ganz verdrießlich, Weil nichts nach meinem Sinn, Weil ich verdrießlich bin, Ach, wie verdrießlich!

Friedrich Justin Bertuch geb. 30. IX. 1747 zu Weimar, f 3. IV. 1822 daselbst.

3.

Das Lämmchen. (Reg. II, 9, 24.)

1. Ein junges Lämmchen, weiß wie Schnee, Ging einst mit auf die Weide;

Brentano.

[I] 8

Mutwillig sprang es in den Klee Mit ausgelass'ner Freude. 2. Hopp! hopp! ging's über Stock und Stein, Mit unvorficht'gen Sprüngen.

„Kind!" rief die Mutter, „Kind, halt ein! Es möchte dir mißlingen." 3. Allein das Lämmchen hüpste fort, Bergauf, bergab mit Freuden; Doch endlich mußt's am Hügel dort Für seinen Leichtsinn leiden. 4. Am Hügel lag ein großer Stein, Den wollt' es überspringen, Es springt und fällt und — bricht ein Bein; Aus war nun Lust und Singen.

Clemens Brentano geb. 8. IX. 1778 zu Ehrenbreitstein, t 28. VII. 1842 zu Aschaffenburg.

4. Herr Gott, du sollst gelobet sei«. (Reg. II, 21).

1. Kein Tierlein ist auf Erden Dir, lieber Gott, zu klein, Du ließt sie alle werden Und alle sind sie dein. 2. Das Vöglein in den Lüften Singt dir aus voller Brust,

Die Schlange in den Klüften Zischt dir in Lebenslust.

3. Die Fischlein, die da schwim­ men, Sind, Herr, vor dir nicht stumm,

Du hörest ihre Stimmen, Ohn' dich kommt keines um. 4. Vor dir tanzt in der Sonne Der kleinen Mücken Schwarm,

[S. u. N. 3, 161]

Zum Dank für Lebenswonne Ist keins zu klein und arm. 5. Sonn, Mond gehn auf und unter In deinem Gnadenreich,

Und alle Sind sich 6. Zu Wenn es

deine Wunder an Größe gleich. dir muß jedes ringen, in Nöten schwebt,

Nur du kannst Hülfe bringm, Durch den das Ganze lebt. 7. In starker Hand die Erde Trägst du mit Mann und Maus,

Es ruft dein Odem: werde!

Und bläst das Lichtlein aus.

4 [I]

Chamisso.

8. Kein Sperling fällt vom Dache Ohn' dich, vom Haupt kein Haar:

O teurer Vater, wache

Bei uns in der Gefahr.

9. Zu dir, zu dir Ruft Mensch und Tier,

Der Vogel dir singt, Das Fischchen dir springt, Die Biene dir brummt, Der Käfer dir summt; Auch pfeifet dir das Mäuslein klein: Herr Gott, du sollst gelobet sein.

Adelbert von Chamiffo geb. 31. I. 1781 st. Schloß Boncourt in Frankreich, zu Berlin.

5. (Reg. II, 15, 30.)

1.

f 21. VIII. 1838

Das Riesenspielzeug.

[®. 2, 571; L. u. N. 3, 223; Gude 4, 130.]

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,

Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand; Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer, Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr. 2. Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor,

Erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Thor, Und stieg hinab den Abhang bis in das Thal hinein, Neugierig, zu erkunden, wie's unten möchte sein. 3. Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald, Erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald, Und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld Erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

4. Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut, Bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut; Es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,

Es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar. 5. „Ei! artig Spielding!" ruft sie, „das nehm' ich mit nach

Haus." Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus, Und feget mit den Händen, was da sich alles regt,

Zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammen schlägt;

Claudius.

[I]

5

Und eilt mit freud'gen Sprüngen, — man weiß, wie Kinder find, — Zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind: „Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön! So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höh'n." 7. Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein, Er schaut fie an behaglich, er fragt das Töchterlein: „Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei? Du hüpfest ja vor Freuden: laß sehen, was es sei." 8. Sie spreitet aus daS Tüchlein und fängt behutsam an, Den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann; Wie alles auf dem Tische fie zierlich aufgebaut. So klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut. 9. Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht: 6.

„Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht! Wo du es hergenommen, da trag' es wieder hin! Der Bauer ist kein Spielzeug: was kommt dir in den Sinn! 10. Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot; Denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot: Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,

Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!" 11. Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt, Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;

Sie selbst ist nun verfallm, die Stätte wüst und leer, Und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

Matthias Claudias geb. 15. Vni. 1740 zu Reinfeld in Holstein, f 21. I. 1815 zu Hamburg.

6. Ein Lied, hinten» Ofen zu singe«. (Reg. n, 5.)

1.

(G. 1, 370; Kr. 169.]

Der Winter ist ein rechter Mann,

Kernfest und auf die Dauer,

Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an, Und scheut nicht süß noch sauer.

Claudius.

6 [I] 2.

Er zieht sein Hemd im Freien an

Und läßt's vorher nicht wärmen; Und spottet über Fluß im Zahn Und Kolik in Gedärmen. 3. Aus Blumen und aus Vogelsang Weiß er sich nichts zu machen, Haßt warmen Drang und warmen Klang

Und alle warmen Sachen. 4. Doch wenn die Füchse bellen sehr, Wenn's Holz im Ofen knittert Und um den Ofen Knecht und Herr

Die Hände reibt und zittert; 5. Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht

Und Teich' und Seen krachen: Das klingt ihm gut, das haßt er nicht, Dann will er tot sich lachen. 6. Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus

Beim Nordpol an dem Strande, Doch hat er auch ein Sommerhaus Im lieben Schweizerlande. 7. Da ist er denn bald dort, bald hier, Gut Regiment zu führen; Und wenn er durchzieht, stehen wir, Und sehn ihn an und frieren.

7.

Der Esel.

(Reg. II, 24.)

[®. 1, 361.]

Hab' nichts, mich dran zu freuen,

Bin dumm und ungestalt, Ohn' Mut und ohn' Gewalt; Mein spotten, und mich scheuen Die Menschen, jung und alt; Bin weder warm noch kalt; Hab' nichts, mich dran zu freuen,

Bin dumm und ungestalt;

Curtman.

[I] 7

Muß Stroh und Disteln kauen;

Werd' unter Säcken alt — Ah, die Natur schuf mich im Grimme! Sie gab mir nichts, als eine schöne Stimme.

Wilhelm Curtman geb. 3. III. 1802 zu Alsfeld in Hessen, f 6. II. 1871 zu Gießen.

8.

Der König und der Müller. (Reg. II, 16.)

1. Es wohnt ein Müller sor­ genfrei In seiner Keinen Mühle. Das Mühlchen Kappert Brot herbei Bei Sonnenbrand und Kühle. 2. Nicht weit davon ein König hat Ein Schloß sich aufgebauet. Wär' nicht die Mühl', man hätte Stadt Und Land draus überschauet.

5. Der Fürst sagt ja, der Mül­ ler nein; Der Fürst wird ungeduldig. „Ich werd' doch Herr im Lande sein; Du bist zu weichen schuldig." — 6. „Ich weiche nicht." — „Dann muß Gewalt

3. Der König bot dem Müller Geld: „Verkauf mir deine Hütte! Bau neu sie auf, wo dir's gefällt, Nach größerm Maß und

7. „Die Richter?" fällt dem König ein, Die selbst er eingesetzet — „Da hast du recht; ich geb' mich

Schnitte." —

Den starren Sinn dir beugen."— „Ihr irret, Herr, euch werden bald

Die Richter andres zeigen."

drein, Dein Gut bleibt unverletzet."

4. „Mein Mühlchen ist mir

8. Seit jener Stunde lebten

gut genug, Das laß ich meinen Erben; Es trägt des Vaters Segens­

sie Als Freunde, hoch und niedrig.

spruch, Hier will ich ruhig sterben." —

souci, Des Königs Name Friedrich.

Des Schloffes Nam' ist Sans­

Deinhardstein.

8 [I]

Falk.

Joseph Ludwig Franz Deinhardstein geb. 21. VI. 1794 zu Wien, f 12. VII. 1859 daselbst.

9.

Des Bogels Freude. (Reg. II, 9.)

1. In blauer Luft Ueber Berg und Kluft

Läßt du lustig dein Lied er­ klingen, Schwebest hin und her In dem blauen Meer, Dir

zu

kühlen

die luftigen Schwingen.

2. Wo die Wolke saust, Wo der Waldstrom braust, Kannst du auf, kannst du nieder schweben, So mit einem mal Aus der Luft ins Thal: Ach, was führst du ein herrliches Leben!

Johannes Falk geb. 28. X. 1768 zu Danzig, f 14. II. 1826 zu Weimar.

10.

Die drei Feste.

(Reg. II, 5, 21, 37.) 1. O du fröhliche, O du selige, Gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren!

Freue, fteue dich, o Christenheit!

2. O du fröhliche, O du selige, Gnadenbringende Osterzeit!

Welf lag in Banden, Christ ist erstanden! Freue, freue dich, o Christenheit! 3. O du ftöhliche, O du selige, Gnadenbringende Pfingstenzeit! Christ unser Meister Heiligt die Geister: Freue, freue dich, o Christenheit!

[I] 9

Fröhlich.

11.

Hirtemeige«. (Reg. II, 20.)

2. Ja, der Herr der Welt Kam vom Himmelszelt, Um bei Hirten einzukehren!

1. Was kann schöner sein,

Was kann edler sein, Als von Hirten abznstammen, Da zu aller Zeit

Arme Hirtenleut Selbst zu Königswürden kamen.

Moses war ein Hirt mit Freuden,

Joseph mußt in Sichern weiden; Selbst der Abraham Und der David kam BonderHürd und grünenWeiden.

Laßt uns jederzeit Arme Hirtenleut Halten drum in großen Ehren. Die auf Gold und Seid sich legen, Sollten billig dies erwägen: Daß der Hirten Tracht Christus nicht verachtet Und in Krippen dargelegen.

Abraham Emanuel Fröhlich geb. 1. II. 1796 zu Brugg in der Schweiz, f 1. XII. 1865 zu Gabenstorf bei Aarau.

18.

Ellengröße.

(Reg. II, 24.)

Die Pappel spricht zum Bäum­ chen: „Was machst du dich so breit Mit den geringen Pfläumchen?" Es sagt: „Ich bin erfreut,

13.

[S. 1, 283.]

Daß ich nicht bloß ein Holz, Nicht eine leere Stange!" „Was!" ruft die Pappel stolz, „Ich bin zwar eine Stange, Doch eine lange, lange!"

Die beiden Bäche.

(Reg. II, 12, 24.)

sLinnig 32.]

1. „Laß uns," sprach ein Bach zum andern, „Lustig durch die Thäler wandern;

Blumenmatten, Wald und Lieder Rufen uns zu sich hernieder."

Gellert.

10 [I]

„Warte doch!" sprach der Geselle;

2.

„Noch zu klein ist unsre Welle,

Du verlörest dich in Bälde

Auf dem breiten Sonnenfelde. Birg dich vor den gier'gen Strahlen,

3.

Stärke dich in Bergesgründen; Doppelt wirst du dann in Thalen

Freuden finden und verkünden!"

4.

Doch, umsonst zurückgerufen,

Sprang von des Gebirges Stufen Jener mit Gejauchz herab

In sein frühes Freudengrab. Und der andre suchet Nahrung

In des tiefen Schachts Verwahrung; Und es sprudelt seine Welle Jetzo von des Berges Schwelle, Heilsam jedem, der begegnet, Alle segnend, allgesegnet.

Christian Fürchtegott Gellert geb. 4. VII. 1715 zu Hainichen im Erzgebirge, f 13. XII. 1769 zu Leipzig.

14»

Der Blinde und der Lahme.

(Reg. II, 24.)

1.

[S. u. N. 1, 357.]

Von ungefähr muß einen Blinden

Ein Lahmer auf der Straße finden, Und jener hofft schon freudenvoll,

Daß ihn der andre leiten soll. 2.

Dir, spricht der Lahme, beizustehen?

Ich armer Mann kann selbst nicht gehen;

Doch scheint's, daß du zu einer Last Noch sehr gesunde Schultern hast. 3.

Entschließe dich, mich fortzutragen,

So will ich dir die Stege sagen:

Gellert.

[I] 11

So wird dein starker Fuß mein Bein, Mein Helles Auge deines sein. 4. Der Lahme hängt mit seinen Krücken Sich auf des Blinden breiten Rücken. Vereint wirkt also dieses Paar, Was einzeln keinem möglich war.

15.

Der grüne Esel.

(Reg. H, 33.)

(Gude 1, 12.]

Wie oft weiß nicht ein Narr durch thöricht Unternehmen Viel tausend Thoren zu beschämen!

Neran, ein kluger Narr, färbt einen Esel grün,

Am Leibe grün, rot an den Beinen, Fängt an, mit ihm die Gassen durchzuziehn; Er zieht, und jung und alt erscheinen. Welch Wunder! rief die ganze Stadt, Ein Esel, zeisiggrün, der rote Füße hat! Das muß die Chronik einst den Enkeln noch erzählen,

Was es zu unsrer Zeit für Wunderdinge gab! Die Gaffen wimmelten von Millionen Seelen, Man hebt die Fenster aus, man deckt die Dächer ab;

Denn alles will den grünen Esel sehn, Und alle konnten doch nicht mit dem Esel gehn.

Man lief die beiden ersten Tage Dem Esel mit Bewundrung nach. Der Kranke selbst vergaß der Krankheit Plage, Wenn man vom grünen Esel sprach. Die Kinder in den Schlaf zu bringen, Sang keine Wärterin mehr von dem schwarzen Schaf; Vom grünen Esel hört man singen,

Und so gerät das Kind in Schlaf. Drei Tage waren kaum vergangen, So war es um den Wert des armen Tiers geschehn;

Das Volk bezeigte kein Verlangen, Den grünen Esel mehr zu sehn;

Gellert.

12 [I]

Und so bewundernswert er anfangs allen schien, So dacht' jetzt doch kein Mensch mit einer Silb' an ihn.

16.

Der Bauer und sein Sohn. (Reg. II, 33.)

Ein guter, dummer Bauernkuabe, Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm,

Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe, Recht dreist zu lügen, wieder kam, Ging kurz nach der vollbrachten Reise Mit seinem Vater über Land. Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand, Log auf die unverschämtste Weise. Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt. Ja, Vater, rief der unverschämte Knabe, Ihr mögt mir's glauben oder nicht, So sag' ich's euch und jedem ins Gesicht, Daß ich einst einen Hund bei — Haag gesehen habe, Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt, Der — ja, ich bin nicht ehrenwert, Wenn er nicht größer war, als euer größtes Pferd. Das, sprach der Vater, nimmt mich wunder; Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn. Wir zum Exempel gehn jetzunder, Und werden keine Stunde gehn, So wirst du eine Brücke sehn, (Wir müssen selbst darüber gehn), Die hat dir manchen schon betrogen; (Denn überhaupt soll's dort nicht gar zu richtig sein); Auf dieser Brücke liegt ein Stein, An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen, Und fällt und bricht sogleich das Bein.

Der Bub' erschrack, sobald er dies vernommen. Ach, sprach er, laust doch nicht so sehr!

Doch wieder auf den Hund zu kommen,

GörreS.

[I] 18

Wie groß sagt' ich, daß er gewesen wäll'?

Wie euer großes Pferd? Dazu will viel gehören. Der Hund, jetzt fällt mir's ein, war erst ein halbes Jahr; Allein das wollt' ich wohl beschwören, Daß er so groß als mancher Ochse war. Sie gingen noch ein gutes Stücke; Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt' es anders sein? Denn niemand bricht doch gern ein Bein. Er sah nunmehr die richterische Brücke Und fühlte schon den Beinbruch halb. Ja, Vater, fing er an, der Hund, von dem ich red'te, War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte, So war er doch viel größer als ein Kalb. Die Brücke kömmt. Fritz! Fritz! wie wird dir's gehen! Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind. Ach Vater, spricht er, seid kein Kind Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen; Denn kurz und gut, eh' wir darüber gehen, Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde find.

Gmdo Görres geb. 28. V. 1805 zu Koblenz, f 14. VH. 1852 zu München.

17.

Die Kinder im Walde. (Reg. n, 10, 20.)

1. Es blieben einst drei Kinder stehn, Die grad' zur Schule sollten gehn; Sie dachten dies, und dachten das: Das Lernen sei ein schlechter Spaß, 2. Und sprachen dann mit leichtem Sinn:

„Ei, laßt uns doch zum Walde hin! Das Spielen ist der Tierlein Brauch;

Laßt spielen uns mit ihnen auch!" Hessel, Mustergedichte.

u m

GörreS.

3. Sie luden dann im Walde ein Zum Spiel die Tiere groß und klein; Doch sprachen die: „Es ist uns leid, Wir haben jetzo keine Zeit." 4. Der Käfer brummte: „Das Mär' schön, Wollt' ich mit euch so müßig gehn! Ich muß aus Gras ein Brücklein bann; Dem alten ist nicht mehr zu traun."

5. Am Ameishaufen schlichen fie Ganz leis vorbei, ich weiß nicht wie, Und liefen vor dem Bienlein schier, Als wär' es gar ein giftig Tier. 6. Das Mäuslein sprach zu ihnen fein: „Ich sammle für den Winter ein," — „Und ich," das weiße Täubchen sprach, „Zum Neste dürre Reiser trag'." 7. Das Häschen winkte freundlich bloß: „Ich könnte um die Welt nicht los; Ihr seht, mein Schnäuzchen ist nicht rein, Das muß im Fluß gewaschen sein." 8. Auch Erdbeerblütchen schüchtern sprach: „Ich nütze diesen schönen Tag, Zu reifen meine süße Frucht, Die dann der arme Bettler sucht." 9. Da kam ein junger Hahn daher. Sie riesen: „Liebster Monfieur Er, Er hat doch wahrlich nichts zu thun Und kann ein bißchen bei uns ruhn!" 10. „Pardon! ich hab' von Adel ©äff Und arrangiere heut ein Fest!" So spricht der Hahn voll Gravität,

Verneigt fich steif und kalt und geht. 11. Drauf dachten fie in ihrem Sinn:

„Du, Bächlein, plätscherst doch so hin, Komm, spiel' mit uns, sei mit uns froh!"

Das Bächlein sprach erstaunt: „Wie so?

SSrreS.

[I] 15

12. Ei seht die faulen Kinder, seht! Ich weiß nicht, wo der Kopf mir steht; Sie meinen, ich hätt' nichts zu thun,

Und kann doch Tag und Nacht nicht ruhn. 13. Menschen, Tiere, Gärte», Wälder, Wiesen, Thal und Berg und Felder —

Alle muß das Bächlein tränken Und die Töpfe auch noch schwenken, . 14. Kinder wiegen, Mühlen treiben, Bretter schneiden, Erz zerreiben, Wolle spinnen, Schiffe tragen, Feuer lvschm, Hämmer schlagen. 15. Ich kann euch alles sagen nicht, Weil mir dazu die Zeit gebricht." So sprach's, und sprang von Ort zu Ort, Und husch! war gleich das Bächlein fort. 16. Da war ihr Mut dem Sinken nah, Als einer einen Finken sah, Der auf dem Aste saß in Ruh Und pfiff sein Lied und fraß dazu. 17. Sie riefen: „Ach, Herr Biedermann, Der all die schbnm Lieder kann, Du hast gewiß recht viele Zeit Und bist mit uns zum Spiel bereit!" 18. „Potz tausend! Hab' ich schlecht gehört? Ihr Kinder scheint mir recht bethört; Ich hab' gejagt den langen Tag Dm Mücken, fie zu fangen, nach. 19. Nun wollen auch die Jungen mein

Noch in den Schlaf gesungen sein; Drum pfeif' ich mit dem Brüderchor

Den Kleinen meine Lieder vor, 20. Ich sing' dem Wald zu hoher Lust, Ein müder Mann, aus froher Brust, Dem Herren gibt mein Mund deß Preis Und lobt die Arbeit und den Schweiß.

Goethe.

16 [I] 21.

Doch sprecht, was habt denn ihr gemacht,

Die also schlecht von mir gedacht?

Kehrt um, ihr Müßiggänger ihr, Und stört die Leut' nicht länger hier!" 22. Bon allen Tierlein so belehrt, Sind drauf die Kinder froh gekehrt, Und wußten, daß dem Fleiß allein

Des Spieles Lust ein Preis kann sein.

Johann Wolfgang von Goethe geb. 28. VIII. 1749 zu Frankfurt a. Main, f 22. Marz 1832 zu Weimar.

18. (Reg. H, 29, 33.)

Die wandelnde Glocke. [®. 1, 694; L. u. N. 2, 412; L. 2, 192.]

1. Es war ein Kind, das wollte nie Zur Kirche sich bequemen. Und Sonntags fand es stets ein Wie, Den Weg ins Feld zu nehmen. 2. Die Mutter sprach: „Die Glocke tönt, Und so ist dir's befohlen, Und hast du dich nicht hingewöhnt, Sie kommt und wird dich holen." 3. Das Kind, es denkt: „Die Glocke hängt Da droben auf dem Stuhle."

Schon hat's den Weg ins Feld gelenkt, Als lief' es aus der Schule. 4. „Die Glocke Glocke tönt nicht mehr, Die Mutter hat gefackelt." Doch welch ein Schrecken! hinterher Die Glocke kommt gewackelt. 5.

Sie wackelt schnell, man glaubt es kaum;

Das arme Kind im Schrecken

Es läuft, es kommt, als wie im Traum; Die Glocke wird es decken.

[I]

Goethe.

17

6. Doch nimmt es richtig seinen Husch, Und mit gewandter Schnelle

Eilt es dnrch Anger, Feld und Bnsch Zur Kirche, znr Kapelle. 7. Und jeden Sonn- und Feiertag Gedenkt es an den Schaden, Läßt dnrch den ersten Glockenschlag, Nicht in Person sich laden.

19»

Gefunden.

(Reg. II, 10, 27.)

„Soll ich zum Welken Gebrochen sein?" 4. Ich grub's mit allen

1. Ich ging im Walde So für mich hin, Und nichts zu suchen,

Den Würzlein ans, Zum Garten trug ich's

Das war mein Sinn. 2. Im Schatten sah ich Ein Blümchen stehn, Wie Sterne leuchtend, Wie Äuglein schön.

Am hübschen Hans. 5. Und pflanzt' es wieder Am stillen Ort;

Nun zweigt es immer Und blüht so fort.

3. Ich wollt' es brechen, Da sagt' es fein:

20. (Reg. II, 10, 27.)

(D. 2, 54.]

Heidenröslein. [®. 1, 520; L. u. N. 2, 321.]

1. Sah ein Knab' ein Röslein

stehn, Röslein auf der Heiden, War so jung und morgenschön, Lief er schnell, es nah zu sehn, Sah's mit vielen Freuden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden.

2. Knabe sprach:

ich breche

dich, Röslein auf der Heiden! Röslein sprach: ich steche dich,

Daß du ewig denkst an mich, Und ich will's nicht leiden. Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein ans der Heiden.

18

m

Grübel.

3.

Und der wilde Knabe brach

's Röslein auf Röslein wehrte Hals ihm doch Mußt' es eben

der Heiden; sich und stach,

kein Weh und Ach, leiden.

Röslein, Röslein, Röslein rot,

Röslein auf der Heiden.

Johan» Konrad Grübel geb. 3. VII. 1736 zu Nürnberg, f 8. III. 1809 daselbst.

21.

Der Peter in der Fremde.

(Eigentlich in nürnberger Mundart verfaßt, hochdeutsch von Aug. Gottl. Eberhardt, geb. 1769 zu Belzig, t 13. V. 1845 zu Dresden.)

(Reg. II, 33.)

1.

Der Peter will nicht länger bleiben,

Er will durchaus fort in die Welt. Dies Wagestück zu hintertreiben Der Mutter immer schwerer fällt. „Was willst du," spricht sie, „draußen machen? Du kennst ja fremde Menschen nicht; Dir nimmt vielleicht all deine Sachen

Der erste beste Bösewicht." 2. Der Peter lacht nur ihrer Sorgen, Wenn er die Mutter weinen sieht, Und wiederholt an jedem Morgen Sein längst gesungnes Reiselied. Er meint: die Fremde nur macht Leute; Nicht in der Nähe wohnt das Glück. Drum sucht ers gleich recht in der Weite, Doch kehrt er mit der Zeit zurück. 3. Zu Hilfe ruft man alle Basen, Jedwede gibt dazu ihr Wort: Doch Peter läßt nicht mit sich spaßen,

Grübel.

m 19

Der Tollkopf will nun einmal fort. Da sprach die Mutter voller Kummer: „So sieh doch nur den Vater an!

Der reiste nie, und ist nicht dummer, Als mancher weit gereiste Mann." 4.

Doch Peter läßt sich nicht bewegen,

So daß zuletzt der Vater spricht: „Nun gut! Ich wünsch dir Glück und ©egen; Fort sollst du; doch nun säum auch nicht!" Nun geht es an ein emballieren

Vom Fuß hinauf bis an den Kopf;

Man wickelt, daß auch nichts kann frieren, Das dickste Band um seinen Zopf. 5. Und endlich ist der Tag gekommen! Gleich nach dem Essen geht er heut. Voraus ist Abschied schon genommen, Und alles schwimmt in Traurigkeit. Die Eltern das Geleit ihm geben Bis auf das nächste Dorf hinaus, Und weil da ist ein Wirtshaus eben, Hält man noch einen Abschiedsschmaus.

6. Ein Fläschchen Wein wird vorgenommen; — Doch still wird Peter, mäuschenstill. Man trinkt ans glücklich Wiederkommen, Und Peter seufzt: „Nun, wie Gott will!" Er muß die Augen manchmal reiben, Nimmt Abschied noch einmal recht schön, Und sagt, man soll nur sitzen bleiben, Denn weiter laß er keinen gehn.

7.

Und endlich wankt er fort, der Peter,

Obgleich es ihn beinahe reut, Nach jeden hundert Schritten steht er Und denkt: wie ist die Welt so weit! Das Wetter will ihn auch nicht freuen; Es weht der Wind so rauh und kalt.

Grübel.

20 [I]

Er glaubt: es kann noch heute schneien, Und schneits nicht heut, so schneits doch bald. 8.

Jetzt schaut er bang zurück, jetzt geht er

Und sinnt, wie weit er heut noch reist; Jetzt kommt ein Kreuzweg, ach! da steht er,

Und niemand, der zurecht ihn weist! „Ach," seufzt er, „so was zu erleben Gedacht ich nicht! daß Gott erbarm! Hätt ich der Mutter nachgegeben,

So säß ich jetzt noch weich und warm. 9.

Wie konnt ich so mein Glück verscherzen!

Ich war doch wirklich toll und dumm.

Wie würde mich die Mutter herzen, Kehrt ich an diesem Kreuzweg um!"

Und rasch beschließt er, sich zu drehen,

Wie wenn man was vergessen hat. Und rennt — ich hätt ihn mögen sehen —

Zurück zur lieben Vaterstadt.

10.

Die Eltern saßen unterdessen

Im Wirtshaus noch in guter Ruh, Bekämpften ihren Gram durch essen

Und tranken tiefgerührt dazu.

Der Peter ließ sie gern beim Schmause; Ihn reizte nur der Heimat Glück;

Drum läuft er sporenstreichs nach Hause

Aus einem Seitenweg zurück. 11.

Und froh, daß in der Näh' und Ferne

Sein Fuß sich nicht verirret hat,

Gelangt er vor dem Abendsterne Noch ungesehen in die Stadt.

Doch ist er kaum erst hergekommen, Da schallt Gelächter durch das Haus,

Das hätt er Übel fast genommen,

Allein — er macht sich nichts daraus. 12.

Man spaßt: „Du mußt mit Meilenschuhen

Gewandert sein; drum setz dich auch

[I] 21 Nun Hintern Ofen, um zu ruhen,

Und pfleg am Brutschrank deinen Bauch!" Er thuts. Jetzt treten seine Alten Zur StuLenthür betrübt herein; Die Mutter seufzt mit Händefalten: „Ach, Gott, wo mag nun Peter sein?"

13. Da kriecht der Peter vor und schmunzelt: „Was klagt ihr denn? Hier bin ich ja." Die Mutter jauchzt, der Vater runzelt

Die Stirn und spricht: „Schon wieder da? Nun, wie ichs dachte, ists geschehen; Die Mutter war nur ganz verwirrt; Ich Habs dem Burschen angesehen, Wie weit die Reise gehen wird." 14. Die Mutter jubelte, durchdrungen Von frommem Dank: „'s ist besser so; Nun hab ich wieder meinen Jungen Gesund daheim, des bin ich froh!" Doch Peter sagte ganz beklommen: „Hätt ich nur nicht geglaubt, es schneit, Und wär der Kreuzweg nicht gekommen,

Ich wäre jetzt, wer weiß, wie weit!"

Friedrich Güll geb. 1. IV. 1812 zu Ansbach, f 23. XII. 1879 zu München.

22.

Will sehe«, was ich weiß: Bom Büblein auf dem Eis. (Reg. H, 5, 20.)

1. Gefroren hat es heuer Noch gar kein festes Eis, Das Büblein steht am Weiher,

Und spricht so zu sich leis:

„Ich will es einmal wagen, Das Eis, es muß doch tragen." — Wer weiß?

2. Das Büblein stampft und

hacket Mit seinem Stiefelein.

Das Eis auf einmal knacket, Und krach! schon bricht's hinein. DasBübleinplatschtund krabbelt Als wie ein Krebs, und zappelt Mit Schrei'n.

22

m

GM.

3. „O helft, ich muß versinken In lauter Eis und Schnee!

O helft, ich muß ertrinken Im tiefen, tiefen See!" Wär' nicht ein Mann gekommen,

Der sich ein Herz genommen, O weh!

4. Derpackt es bei dem Schopfe, Und zieht es dann heraus: Vom Fuße bis zum Kopfe

Wie eine Waffermaus. Das Büblein hat getropfet, Der Vater hat's geklopfet Zu Haus.

23. Rekrut. (Reg. II, 20.)

Büblein, wirst du ein Rekrut, Merk dir dieses Liedchen gut.

1. Wer will unter die Soldaten, Der muß haben ein Gewehr, Das muß er mit Pulver laden Und mit einer Kugel schwer. 2. Der muß an der linkenSeiten Einen scharfen Säbel han, Daß er, wenn die Feinde streiten, Schießen und auch fechten kann;

3. Einen Gaul zum Galoppieren, Und von Silber auch zwei Sporn, Zaum und Zügel zum Regieren, Wenn er Sprünge macht im Zorn. 4. Einen Schnurrbart an der Nasen, Auf dem Kopfe einen Helm — Sonst, wenndieTrompeterblasen, Ist er nur ein armer Schelm.

24. Bom listigen Grasmiicklein ein lustiges Stücklet«. (Reg. II, 9.)

1. Klaus ist in den Wald gegangen, Weil er will die Vöglein sangen; 2. Auf den Busch ist er gestiegen, Weil er will die Vöglein kriegen. 3. Doch im Nestchen sitzt das alte Vögelein just vor der Spalte, 4. Schaut und zwitschert: „Ei der Taus! Kinderlein, es kommt der Klaus!

5. Hu, mit einem großen Prügel, Kinderlein, wohl auf die Flügel!"

Gull. 6.

[I] 23

Prr, da flattert's: Husch, husch, husch!

Leer das Nest und leer der Busch. 7. Und die Vöglein lachen Klaus

Mit dem großen Prügel aus. 8. Daß er wieder heimgegangen, Zornig, weil er nichts gefangen; 9. Daß er wieder heimgestiegen, Weil er konnt' kein Vöglein kriegen.

25.

Wie das Finklein das Bäuerlein im Schenerlei« besucht.

(Reg. II, 9.) 1.

Bäuerlein, Bäuerlein: Tiktiktak!

Hast 'nen großen Habersack, Hast viel Weizen und viel Kern, Bäuerlein, hab' dich gar zu gern! 2. Bäuerlein, Bäuerlein: Tiktiktak! Komm' zu dir mit Sack und Pack, Komm' zu dir nur, daß ich lern', Wie man ausdrischt Korn und Kem.

3. Bäuerlein, Bäuerlein: Tittittak! Ei, wie ist denn der Geschmack Von dem Korn und von dem Kem, Daß ich's unterscheiden lern'? 4. Bäuerlein, Bäuerlein spricht und lacht:

„Finklein, nimm dich nur in acht, Daß ich, wenn ich dresch' und klopf', Dich nicht treff' auf deinen Kopf! 5. Komm' herein und such' und lug', Bis du satt hast und genug;

Daß du nicht mehr hungrig bist, Wenn das Kom gedroschen ist."

Harnes.

24 [I]

Hauff.

Heinrich Harnes geb. 1762 zu Brügge bei Kiel, f 1802.

36.

Heil Dir im Siegerkranz.

(Reg. II, 16.)

[Sinnig 252; F. 188.]

1. Heil Dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands!

Mutig für einen Mann,

Heil, Kaiser, Dir! Fühl' in des Thrones Glanz

Für Thron und Reich. 4. Handlung und Wissenschaft Hebe mit Mut und Kraft Ihr Haupt empor. Krieger- und Heldenthat Finden ihr Lorbeerblatt Treu aufgehoben dort An Deinem Thron! 5. Sei, Kaiser Wilhelm, hier Lang Deines Volkes Zier, Der Menschheit Stolz! Fühl' in des Thrones Glanz

Die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein!

Heil, Kaiser, Dir! 2. Nicht Ross' und Reisige Sichern die steile Höh', Wo Fürsten stehn; Liebe des Vaterlands, Liebe des freien Manns Gründen den Herrscherthron Wie Fels im Meer. 3. Heilige Flamme, glüh', Glüh' und verlösche nie Für's Vaterland! Wir alle stehen dann

Kämpfen und bluten gern

Die hohe Wonne ganz, Liebling des Volks zu sein!

Heil, Kaiser, Dir!

Wilhelm Hauff geb. 29. XI. 1802 zu Stuttgart, f 18. XL 1827 daselbst.

27.

Retters Morgengesaug.

(Reg. II, 20). [Gude 4, 99; D.2, 81; Förster 176; Kr. 125; Kehr 328.]

1. Morgenrot, Leuchtest mir zum ftühen Tod? Bald wird die Trompete blasen; Dann muß ich mein Leben lasten, Ich und mancher Kamerad.

2. Kaum gedacht, War der Lust ein End gemacht. Gestern noch auf stolzen Rosten,

Heute durch die Brust geschossen, Morgen in das kühle Grab.

Hebel.

3. Ach, Wie bald Schwindet Schönheit und Gestalt! Thust du stolz mit deinen Wangen, Die mit Milch und Purpur prangen? Ach! die Rosen welken all'.

m 25

4. Darum still, Füg' ich mich, wie Gott es will.

Nun so will ich wacker streiten;

Und sollt ich den Tod erleiden, Stirbt ein braver Reitersmann.

Johann Peter Hebel geb. 10. V. 1760 zu Basel, f 22. IX. 1826 zu Schwetzingen.

88

Das Liedlein vom Kirschbaum.

(Reg. II, 10, 46.)

[ß. u. N. 3, 22; Gude 4, 183.]

(In alemannischer Mundart.)

1. Der Liebgott het zum Früehlig gseit: „Gang, deck im Würmli au st Tisch!" Druf het der Chriesbaum Blätter treit, Viel tusig Blätter, grün und frisch. 2. Und 's Würmli ufern Ei verwachts, 's het gschlofe i firn Winterhus: Es streckt ft, und sperrts Müli uf, Und ribt die blöden Augen us. 3. Und druf se het's mit stillem Zahn

Am Blättli gnagt enanderno, Und gseit: „Wie ist das Gmües so guet!

Me chunnt schier nümme weg dervo." 4. Und wieder het der Liebgott gseit: „Deck jez im Jmmli au ft Tisch!" Druf het der Chriesbaum Blüethe treit, Biel tusig Blüethe wiß und frisch. 5.

Und 's Jmmli fiehts und fliegt druf hi

Früeih in der Sunne Morgeschin. Es denkt: „Das wird mi Kaffi sy,

Sie hen doch chosper Porzelin!"

26

Hebel.

[I]

6. Wie sufer sin die Chälchli gschwenkt! Es streckt ft trochche Züngli btt, Es trinkt und seit: „Wie schmeckts so süeß! Do mueß der Zucker wohlfel sy." 7. Der Liebgott het zum Summer gseit: „Gang, deck im Spätzli au si Tisch!" Druf het der Chriesbaum Früchte treit, Viel tusig Chriesi rot und frisch.

8.

Und 's Spätzli seit: „Jsch das der Bricht?

Do fitzt me zue und fingt nit lang. Das git mer Chrast in Mark und Bei, Und stärkt mer d' Stimm zu neuem Gsang."

9.

Der Liebgott het zum Spötlig gseit:

„Rum ab! sie hen jez alli gha!" Druf het e chüele Bergluft gweiht, Und 's het scho chleini Rife gha.

10. Und d' Blättli werde gel und rot Und fallen eis im andre no; Und was vom Boden obfi chunnt,

Muß au zum Bode nidfi go. 11. Der Liebgott het zum Winter gseit: „Deck weidli zu, was übrig isch!"

Druf het der Winter Flocke gstreut. (Hochdeutsch von Theodor Echtermeyer, geb.

1805 zu Liebenwerda,

t 6. V. 1844 zu Dresden.)

1. Zum Frühling sprach der liebe Gott: „Geh, deck' dem Würmlein seinen Tisch!"

Darauf der Kirschbaum Blätter trug, Biel tausend Blätter grün und frisch. 2. Und's Würmlein — aus dem Ei erwacht's Nach langem Schlaf im Winterhaus. Es streckt sich, sperrt sein Mäulchen auf Und reibt die blöden Augen aus.

3.

Und drauf so nagt's mit stillem Zahn

Am zarten Blättlein hier und dort

Hebel.

Und spricht: „Me ist's Gemüs so gut! Man kommt schier nimmer wieder fort."

4.

Und aber sprach der liebe Gott:

„Deck' jetzt dem Bienlein seinen Tisch!" Darauf der Kirschbavm Blüten trug, Biel tausend Blüten weiß und frisch. 5. Und bei der Sonne Morgenlicht

Schaut's Bienlein, und es fliegt heran Und denkt: „Das wird mein Kaffee sein; Sie haben kostbar Porzellan. 6. Wie sauber sehn die Kelchlein aus!"

So steckt's sein Züngelchen hinein Und trinkt und sagt: „Wie schmeckt's so süß ! Der Zucker muß doch wohlfeil sein."

7. Zum Sommer sprach der liebe Gott: „Deck' auch dem Spätzlein seinen Tisch!" Darauf der Kirschbaum Früchte trug,

Mel tausend Kirschen rot und frisch. 8. Und's Spützlein sagt: „Jst'S so -gemeint, Da nimmt man Platz und fragt nicht lang. Das gibt mir Kraft in Mark und Bein Und stärkt die Kehle zum Gesang." 9. Zum Spätling sprach der liebe Gott: „Räum' ab, fie haben alle jetzt!" Drauf kam die kühle Bergeslust, Und schon hat's kleinen Reif gesetzt.

10. Die Blätter werden gelb und rot Und fallen bei des Windes Wehn,

Und was vom Boden aufwärts kommt, Muß auch zum Boden abwärts gehn. 11. Zum Winter sprach Gott zum Beschluß: „Deck' wacker zu, was übrig ist!" Da streut' er Schnee im Ueberfluß.

m 27

28

Herder.

Hensel.

[I]

Luise Hensel geb. 80. m. 1798 zu Linum, Prov. Brandenburg, f 18. XU. 1876 zu Nonnenwerth bei Rolandseck.

3d.

Nachtgebet.

(Reg. II, 7, 21, 44.)

1. Müde Lin ich, geh zur Ruh, Schließe beide Äuglein zu; Vater, laß die Augen dein Ueber meinem Bette sein! 2. Hab ich unrecht heut gethan, Sieh es, lieber Gott, nicht an! Deine Gnad und Jesu Blut Macht ja allen Schaden gut. 3. Vater, hab mit mir Geduld Und vergib mir meine Schuld,

[8. u. N. 3, 661.]

Wie ich. allen auch verzeih, Daß ich ganz in Liebe sei. 4. Alle, die mir find verwandt, Gott, laß ruhn in deiner Hand, Alle Menschen, groß und klein, Sollen dir befohlen sein. 5. Kranken Herzen sende Ruh, Nasse Augen schließe zu; Laß den Mond am Himmel stehn, Und die stille Welt besehn!

Johann Gottfried von Herder geb. 25. VIII. 1744 zu Mohrungen in Ostpreuß., f 18. XII. 1803 zu Weimar.

30.

Wind und Sonne.

(Reg. II, 24.)

1. Wind und Sonne machten Wette, Wer die meisten Kräfte hätte, Einen armen Wandersmann Seiner Kleider zu berauben.

2. Wind begann; Doch sein Schnauben

That ihm nichts; der Wanders­ mann Zog den Mantel dichter an. 3. Wind verzweifelt nun und

ruht;

[8. u. N. 2, 42.]

Und ein lieber Sonnenschein Füllt mit holder, sanfter Glut Wanderers Gebein. 4. Hüllt er sich nun tiefer ein? Nein, Ab wirft er nun sein Gewand Und die Sonne überwand. 5. Uebermacht, Vernunftgewalt Macht und läßt uns kalt; Warme Christusliebe — Wer, der kalt ihr bliebe?

Hey-

ffl 29

Wilhelm Hey geb. 26. V. 1789 zu Laucha b. Gotha, f 19. V. 1854 zu Ichtershausen. (No. 31—37. Reg. II, 9, 24.)

31.

Rave.

1. Was ist das für ein Bettelmann? Er hat ein kohlschwarz Röcklein an

Und läuft in dieser Winterzeit Vor alle Thüren weit und breit, Ruft mit betrübtem Ton: „Rab! Rab! Gebt mir doch auch einen Knochen ab." 2. Da kam der liebe Frühling an, Gar wohl gefiel's dem Bettelmann; Er breitete seine Flügel aus Und flog dahin weit übers Haus; Hoch aus der Lust so frisch und munter: „Hab Dank! hab Dank!" rief er herunter. 38.

Bogel am Feaster.

1. An das Fenster klopft es: „pick! pick! Macht mir doch auf einen Augenblick. Dick fällt der Schnee, der Wind geht kalt, Habe kein Futter, erfriere bald. Lieben Leute, o laßt mich ein, Will auch immer recht artig sein."

2.

Sie ließen ihn ein in aller Not;

Er suchte fich manches Krümchen Brot, Blieb fröhlich manche Woche da.

Doch als die Sonne durchs Fenster sah, Da saß er immer so traurig dort; Sie machten ihm auf: husch, war er fort! 33. 1.

Bogel.

„Knabe, ich bitt' dich, so sehr ich kann:

O rühre mein kleines Nest nicht an! Hessel, Mustergedichte.

30

[I]

O sieh nicht mit deinen Blicken hin!

Es liegen ja meine Kinder drin; Die werden erschrecken und ängstlich schrei'n,

Wenn du schaust mit den großen Augen herein." 2. Wohl sähe der Knabe das Nestchen gern, Doch stand er behutsam still von fern. Da kam der arme Vogel zur Ruh',

Flog hin und deckte die Kleinen zu, Und sah so freundlich den Knaben an: „Hab Dank, daß du ihnen kein Leid gethan."

34.

Wandersmann und Lerche. (Kehr 268.)

1.

W. Lerche, wie früh schon fliegest du Jauchzend der Morgensonne zu! L. Will dem lieben Gott mit Singen

Dank für Leben und Nahrung bringen; Das ist von altersher mein Brauch, Wandersmann, deiner doch wohl auch? 2. Und wie so laut in der Luft sie sang Und wie er schritt mit munterm Gang,

War es so froh, so hell den zwei'n Im lieben, klaren Sonnenschein, Und Gott, der Herr im Himmel droben, Hörte gar gern ihr Danken und Loben.

35. 1.

Pferd und Sperling.

Sp. Pferdchen, du hast die Krippe voll; Gibst mir Wohl auch einen kleinen Zoll,

Ein einziges Körnlein oder zwei; Du wirst noch immer satt dabei. Pf. Nimm, kecker Vogel, nur immer hin, Genug ist für mich und dich darin. 2. Und sie aßen zusammen, die zwei,

Litt keiner Mangel und Not dabei.

Hey-

m

Und als dann der Sommer kam so warm, Da kam auch manch böser Fliegenschwarm; Doch der Sperling fing hundert auf einmal, Da hatte das Pferd nicht Not und Qual.

36. 1.

Mäuschen.

Frau. Mäuschen, was schleppst du dort

Mir das Stück Zucker fort? Liebe Frau, ach vergieb, Habe vier Kinder lieb; Waren so hungrig noch. Gute Frau, laß mir's doch.

M.

2. Da lachte die Frau in ihrem Sinn Und sagte: „Nun, Mäuschen, so lauf nur hink Ich wollte ja meinem Kinde soeben Auch etwas für den Hunger geben." Das Mäuschen lief fort, o wie geschwind! Die Frau ging fröhlich zu ihrem Kind.

37. 1.

Pudel.

„Wer hat hier die Milch genascht?

Hätt' ich doch den Dieb erhascht!

Pudel, wärst denn du es gar? Pudel, komm doch! ei fürwahr,

Einen weißen Bart hast du;

Sag mir doch, wie geht das zu?" 2. Die Hausfrau sah ihn an mit Lachen: „Ei Pudel, was machst du mir für Sachen? Willst wohl gar noch ein Naschkätzchen werden? " Da hing er den Schwanz bis auf die Erden Und heulte und schämte fich so sehr.

Der naschet wohl so bald nicht mehr.

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Hey-

32 [I]

38. Was ich alles habe. (Reg. II, 21.) 1.

Zwei Augen hab' ich, klar und hell,

Die drehn sich nach allen Seiten schnell, Die sehn alle Blümchen, Baum und Strauch Und den hohen blauen Himmel auch. Die setzte der liebe Gott mir ein,

Und was ich kann sehen, ist alles sein.

2. Zwei Ohren sind mir gewachsen an, Damit ich alles hören kann, Wenn meine liebe Mutter spricht:

„Kind, folge mir und thu das nicht I" Wenn der Vater ruft: „Komm her geschwind, Ich habe dich lieb, mein gutes Kind."

3. Einen Mund, einen Mund hab' ich auch, Davon weiß ich gar guten Gebrauch, Kann nach so vielen Dingen fragen, Kann alle meine Gedanken sagen, Kann lachen und singen, kann beten und loben Den lieben Gott im Himmel droben. 4.

Hier eine Hand und da eine Hand,

Die rechte und die linke sind sie genannt; Fünf Finger an jeder, die greifen und fassen.

Jetzt will ich sie nur noch spielen lassen; Doch wenn ich erst groß bin und was lerne, Dann arbeiten sie alle auch gar gerne. 5. Füße hab' ich, die können stehn, Können zu Vater und Mutter gehn, Und will es mit dem Laufen und Springen Nicht immer so gut, wie ich's möchte, gelingen, Thut nichts; wenn sie nur erst größer find, Dann geht es noch einmal so geschwind. 6. Ein Herz, ein Herz hab' ich in der Brust,

So klein und klopst doch so voller Lust, Und liebt doch den Vater, die Mutter so sehr.

Hey.

[I] SS

Und Wißt ihr, wo ich das Herz hab' her? Das hat mir der liebe Gott gegeben,

Das Herz und die Liebe und auch das Leben. 39.

Weihnachten.

(Reg. II, 5, 21.)

1. Die schönste Zeit, die liebste Zeit, Sagt's allen Leuten weit und breit, Damit sich jedes freuen mag, Das ist der liebe Weihnachtstag. 2. Den hat uns Gott der Herr bestellt,

Den herrlichsten in aller Welt, Daß jung und alt, daß groß und klein So recht von Herzen froh soll sein. 3. Das beste Kind, das liebste Kind, So viele rings auf Erden find, Kommt her und hört, damit ihr's wißt, Das ist der liebe Jesus Christ. 4. Wie der sich freundlich zu uns neigt, Mit seinen Händen nach uns reicht, Und wer sein Auge nur gesehn, Will nimmer wieder von ihm gehn. 5. Zur Weihnachtszeit, zur Weihnachtszeit, Da kam er von dem Himmel weit Zu seinen armen Menschen her, In einer Krippe schlummert' er. 6. Das Christuskind in einem Stall, Und ist doch von den Kindern all Kein andres diesem einen gleich Auf Erden und im Himmelreich.

7.

Vom Himmel hoch, vom Himmel hell,

Da gehet auf ein Glanz gar schnell,

Der scheinet in der Mitternacht Viel heller als der Sonne Pracht. 8. Und in den Lüsten überall Ertönt ein lauter Freudenschall,

34 [I]

HeyDa hören fie's wohl fern und nah:

„Das liebe Christuskind ist da." Die Engelein, die Engelein,

9.

Die singen alle froh darein Den Hirten zu herab aufs Feld: „Geboren ist der Herr der Welt."

10.

Geboren ist das Christuskind,

Durch das die Menschen selig sind,

Das alle so von Herzen liebt Und ihnen Himmelsgaben giebt. 11.

Das hören froh, das hören gern

Die Menschen alle nah und fern, Und denken nicht an Weh und Leid Und freuen sich der schönen Zeit;

12. Und jedes ruft dem andern zu: „Mein Bruder, Schwester, hörest du, Was uns vom Himmel diese Nacht Hat für ein großes Heil gebracht?" 13. Du Kind so lieb, du Kind so gut, Das allen Menschen Gutes thut, Komm bald einmal nun auch zu mir Und meiner kleinen Schwester hier. 14. Nimm von uns Angst und Weh und Schmerz,

Gib uns ein ftohes, frommes Herz, Laß uns auf Erden gut und rein Und einst im Himmel bei dir sein.

40.

Wo wohnt der liebe Gott? (Reg. II, 21.)

1.

Wo wohnt der liebe Gott?

Sieh dort den blauen Himmel an,

Wie Sich Daß Und

fest er steht so lange Zeit, wölbt so hoch, sich streckt so weit, ihn kein Mensch erfaflen kann; sieh der Sterne goldnen Schein

HeyGleich als viel tausend Fensterlein: Das ist des lieben Gottes Haus,

Da wohnt er drin und schaut heraus. Und schaut mit Bateraugen nieder

Aus dich und alle deine Brüder. 2. Wo wohnt der liebe Gott? Hinaus tritt in den dunkeln Wald; Die Berge steh zum Himmel gehn, Die Felsen, die wie Säulen stehn, Der Bäume ragende Gestalt;

Horch, wie es in den Wipfeln rauscht, Horch, wie's im stillen Thale lauscht. Dir schlägt das Herz, du merkst es bald, Der liebe Gott wohnt in dem Wald;

Dein Auge zwar kann ihn nicht sehen. Doch fühlst du seines Odems Wehen. 3. Wo wohnt der liebe Gott? Hörst du der Glocken hellen Klang? Zur Kirche rufen sie dich hin. Wie ernst, wie freundlich ist's darin! Wie lieb und traut und doch wie bang! Wie fingen sie mit frommer Lust! Wie beten sie aus tiefer Brust! Das macht, der Herr Gott wohnet da;

Drum kommen sie von fern und nah,

Hier vor sein Angesicht zu treten, Zu flehn, zu danken, anzubeten. ' 4. Wo wohnt der liebe Gott? Die ganze Schöpfung ist sein Haus.

Doch wenn es ihm so wohl gefällt, So wählet in der weiten Welt Er sich die engste Kammer aus.

Wie ist das Menschenherz so klein! Und doch auch da zieht Gott herein. O halt' das deine fromm und rein.

So wählt er's auch zur Wohnung sein,

m es

36 [I]

Und kömmt mit seinen Himmelsfreuden, Und wird nie wieder von dir scheiden!

41.

Weißt du, wieviel Sterne stehe«? (Reg.

1. Weißt du, wie viel Sterne

stehen An dem blauen Himmelszelt? Weißt du, wieviel Wolken gehen. Weithin über alle Welt? Gott der Herr hat sie gezählet, Daß ihm auch nicht eines fehlet An der ganzen großen Zahl. 2. Weißt du, wie viel Mücklein

spielen In der Hellen Sonnenglut? Wie vielFischlein auch sich kühlen

42.

2i.)

In der Hellen Wasserflut?

Gott der Herr rief sie mit Namen, Daß sie all ins Leben kamen, Daß sie nun so fröhlich sind.

3. Weißt du, wie viel Kinder

frühe Stehn aus ihren Bettlein auf? Daß sie ohne Sorg und Mühe Fröhlich sind im Tageslauf? Gott im Himmel hat an allen Seine Lust, sein Wohlgefallen, Kennt auch dich und hat dich lieb,

Vöglein im hohe« Baum. (Reg. II, 9.)

1. Vöglein im hohen Baum Klein ist's, ihr seht es kaum,

3. Wässerlein fließt so fort, Immer von Ort zu Ort

Singt doch so schön; Daß wohl von nah und fern Alle die Leute gern Horchen und stehn.

Nieder ins Thal; Dürstet nun Mensch und Vieh, Kommen zum Bächlein sie,

2. Blümlein im Wiesengrund Blühen so lieb und bunt, Tausend zugleich; Wenn ihr vorübergeht,

Wenn ihr die Farben seht, Freuet ihr euch.

Trinken zumal. 4. Habt ihr es auch bedacht, Wer hat so schön gemacht Alle die drei? Gott der Herr machte sie, Daß sich nun spät und früh

Jedes dran freu.

Hoffmann von Fallersleben.

[I]

37

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben geb. 2. IV. 1798 z. Fallersleben, f 19. I. 1874 zu Corvey a. d. Weser.

43»

Sehnsucht nach dem Frühling.

(Reg. II, 5.)

[S. u. N. 3, 504; Förster 2.]

1. O wie ist es kalt geworden Und so traurig, öd und leer! Rauhe Winde wehn von Norden, Und die Sonne scheint nicht mehr. 2. Auf die Berge möcht' ich fliegen, Möchte sehn ein grünes Thal, Möcht' in Gras und Blumen liegen Und mich freu’« am Sonnenstrahl; 3. Möchte hören die Schalmeien Und der Herden Glockenklang, Möchte freuen mich im Freien An der Vögel süßem Sang. 4. Schöner Frühling, komm doch wieder, Lieber Frühling, komm doch bald, Bring uns Blumen, Laub und Lieder,

Schmücke wieder Feld und Wald! 5. Ja, du bist uns treu geblieben, Kommst nun bald in Pracht und Glanz, Bringst nun bald all deinen Lieben Sang und Freude, Spiel und Tanz.

44.

Winters Flucht. (Reg. H, 2.)

1. Dem Winter wird der Tag zu lang, Ihn schreckt der Bögel Lustgesang; Er horcht, und hört's mit Gram und Neid,

Und was er sieht, das thut ihm leid; Er flieht der Sonne milden Schein, Sein eigner Schatten macht ihm Pein.

38

Hoffmann von Fallersleben.

[1]

2.

Er wandelt über grüne Saat

Und Gras und Keime früh und spat: „Wo ist mein silberweißes Kleid,

Mein Hnt, mit Demantstaub beschneit?"

Er schämt sich wie ein Bettelmann Und läuft, was er nur laufen kann. 3. Und hinterdrein scherzt jung und alt In Lust und Wasier, Feld und Wald; Der Kiebitz schreit, die Biene summt, Der Kuckuck ruft, der Käfer brummt; Doch weil's noch fehlt an Spott und Hohn, So quakt der Frosch vor Ostern schon.

45.

Des Frühlings Ball. (Reg. II, 2, 9.)

sprach zu der Nachtigall: „Ich will euch geben einen Ball; Lade, Nachtigall, alle ein, Alle Vögel groß und klein, Alle Vögel, alle!" 1. Frühling

Schmausten lauter seine Kost, Teure, seltne Sachen. 4. Als der Abend begann zu

nahn, Da sprach zur Nachtigall der

2. Und da kamen die Vögel all

Hahn: „Jetzo wird wohl das beste sein,

Zum Frühlingsball mit Sang und Schall: Kuckuck, Wiedehopf, Elster, Star, Reiher, Rabe, Strauß und Aar,

Wenn wir Vögel groß und klein Gehen heim zu Neste. 5. Aber billig vor allem ist, Daß man des Wirtes nicht

Drossel, Fink und Zeisig. 3. Und sie tanzten im Blumen­

vergißt; Laßt uns, Vögelein groß und

duft Bei Sonnenschein und linderLuft, Tranken würzigen Blütenmost,

klein, Kikriki! recht dankbar sein: Vivat hoch, Herr Frühling!"

46.

Frühlings Ankunft.

(Reg. H, 2, 9.)

1. Alle Vögel sind schon da, Alle Vögel, alle!

(Förster 41.]

Welch ein Singen, Musizier'«, Pfeifen, Zwitschern, Tirelier'n!

Hoffmann von Fallersleben.

Frühling will nun einmarschier'n, Kommt mit Sang und Schalle.

2. Wie sie alle lustig find. Flink und froh fich regen! Amsel, Drossel, Fink und Star, Und die ganze Bogelschar Wünschet uns ein frohes Jahr,

47.

[I]

SS

Lauter Heil und Segen.

3. Was sie uns verkündet nun, Nehmen wir zu Herzen: Wir auch wollen lustig sein, Lustig wie die Vögelein,

Hier und dort, feldaus, selbem, Singen, springen, scherzen!

Im Walde möcht' ich lebe«.

(R. II, 10, 45.)

[8. u. N. 3, 503.]

1. Im Walde möcht' ich leben zur heißen Sommerzeit! Der Wald, der kann uns geben viel Lust und Fröhlichkeit. In seine kühlen Schatten winkt jeder Zweig und Ast; Das Blümchen auf den Matten nickt mir: komm, lieber Gast!

2. Wie fich die Vögel schwingen im hellen Morgenglanz! Und Hirsch' und Rehe springen so lustig wie zum Tanz. Von jedem Zweig und Reise hör nur, wie's lieblich schallt! Sie fingen laut und leise: kommt, kommt in grünen Wald!

48.

DaS

(Reg. II, 9.)

1. Wir Vögel haben's wahrlich

gut, Wir fliegen, hüpfen, singen. Wir fingen frisch und wohlgemut, Daß Wald und Feld erklingen. 2. Wir find gesund und sor­ genfrei Und finden, was uns schmecket; Wohin wir fliegen, wo's auch sei, Ist unser Tisch gedecket.

der Bögel. (Förster 5.]

3. Ist unser Tagewerk vollbracht, Dann ziehn wir in die Bäume; Wir ruhen still und sanft die Nacht Und haben süße Träume. 4. Und weckt uns früh der Sonnenschein, Dann schwingen wir's Gefieder,

Wir fliegen in die Welt hinein Und singen unsre Lieder.

40 [I]

Hoffmann von Fallersleben.

49.

Das Lied vom Monde.

(Reg. II, 7, 45.)

[2. u. N. 3, 501.]

1. Wer hat die schönsten Schäfchen? Die hat der goldne Mond, Der hinter unsern Bäumen am Himmel drüben wohnt.

2. Er kommt am späten Abend, wenn alles schlafen will, Hervor aus seinem Hause zum Himmel leis und still. 3. Dann weidet er die Schäfchen auf seiner blauen Flur; Denn all die weißen Sterne sind seine Schäfchen nur.

4. Sie thun sich nichts zu leide, hat eins das andre gern, Und Schwestern sind und Brüder da droben Stern an Stern.

5. Und soll ich dir eins bringen, so darfst du niemals schrei'». Mußt freundlich wie die Schäfchen und wie ihr Schäfer sein!

50.

Bo« meinem Blümchen.

(Steg. II, 10.)

[ß. u. N. 3, 502.]

1. Ward ein Blümchen mir geschenket, Hab's gepflanzt und hab's getränket. Vögel, kommt und gebet acht! Gelt, ich hab' es recht gemacht? 2. Sonne, laß mein Blümchen sprießen! Wolke, komm, es zu begießen! Richt' empor dein Angesicht, Liebes Blümchen, fürcht' dich nicht! 3. Und ich kann es kaum erwarten, Täglich geh' ich in den Garten, Täglich frag' ich: „Blümchen, sprich,

Blümchen, bist du bös auf mich?" 4. Sonne ließ mein Blümchen sprießen, Wolke kam, es zu begießen; Jedes hat sich brav gemüht, Und mein liebes Blümchen blüht.

5. Wie's vor lauter Freuden weinet! Freut sich, daß die Sonne scheinet. Schmetterlinge, fliegt herbei,

Sagt ihm doch, wie schön es sei!

Kilzer.

51.

Kopisch.

[I] 41

Der Blümlei« Antwort. (Reg. II, 4, 10, 45.)

1. In unsers Vaters Garten da war's noch gestern grün. Da sah ich noch so mancherlei, so schöne Blumen blühn.

2. Und heut ist alles anders, und heut ist alles tot.

Wo seid ihr hin, ihr Blümelein, ihr Blümlein gelb und rot ? — 3. „O liebes Kind, wir schlafen nach Gottes Willen hier, Bis er uns seinen Frühling schickt, und dann erwachen wir.

4. Ja, deine Blümlein schlafen: so wirst auch schlafen du, Bis dich erweckt ein Frühlingstag aus deiner langen Ruh. 5. Und wenn du dann erwachest, o möchtest du dann sein So heiter und so frühlingsfroh wie deine Blümelein!"

Wilhelm Kilzer geb. 11. IV. 1799 zu Worms, f 9- IV. 1864 zu Frankfurt a. Main.

5