197 88 16MB
German Pages 316 [320] Year 1984
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Herausgegeben von Wilfried Barner, Richard Brinkmann und Friedrich Sengle
Band77
Klaus-Dieter Dobat
Musik als romantische Illusion Eine Untersuchung zur Bedeutung der Musikvorstellung E.T. A. Hoffmanns für sein literarisches Werk
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1984
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Dobat, Klaus-Dieter: Musik als romantische Illusion : e. Unters, zur Bedeutung d. Musikvorstellung Ε. T. A. Hoffmanns für sein literar. Werk / Klaus-Dieter Dobat. — Tübingen : Niemeyer, 1984. (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 77) NE: GT ISBN 3-484-18077-3
ISSN 0081-7236
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1984 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Inhalt
EINLEITUNG
1
ERSTES KAPITEL
HOFFMANNS MUSIKENTHUSIASMUS -
AUSGANGSPUNKT SEINER
UMWERTUNG ROMANTISCHER KUNSTVORSTELLUNGEN 1. D i e
Grundlagen
der romantischen
Musikvorstellung
15 E.T.A.
Hoffmanns 1.1. Die Instrumentalmusik als Modell der romantischen Ästhetik . . . 1.2. Von der Gefühlsästhetik zu E . T . A . Hoffmanns Verabsolutierung der Kunstmusik - die Musik im Spannungsfeld von Kunst und Wirklichkeit Die empfindsame Musikanschauung des jungen Hoffmann (25) Die >vorromantische< Präformation der Kunstanschauung Hoffmanns (31) - Der Übergang zur romantischen Musikästhetik (38) - Das musikalische Kunstwerk bei Wackenroder (42), Tieck (44), F. Schlegel (51) und Novalis (54) - Hoffmanns Sonderstellung (59) 2. H o f f m a n n s A u f w e r t u n g der Kunstmusik mit den Kategorien romantischer Kunstmetaphysik — die Entstehung seines Kunstproblems Die Instrumentalmusik als die romantischste aller Künste< — die ästhetische Problematik der Kunstmusik 2.1.1. Die metaphysische Ranghöhe des >organischen< Kunstwerks . . . . 2.1.2. Kennzeichen des romantischen Kunstwerks: >Kontrapunktische Verschlingung< und künstlerisches Kalkül 2.1.3. Musik und Sprache — die >romantische< Instrumentalmusik zwischen >höhererSprachfähigkeitKlassik< und >Romantik< - die Umwandlung einer romantischen Antithese in Hoffmanns Musikanschauung 2.4. Die Oper als romantische Gegenwelt
15 15
25
60
2.1.
61 61 68 73
78 89 98 V
2.4.1. Die >poetische Wahrheit« des Librettos 2.4.2. Die O p e r und die Instrumentalmusik — Ausdruck des >Romantischen< oder Illusionismus?
100 104
ZWEITES KAPITEL
D E R ÜBERGANG VOM MUSIKSCHRIFTSTELLER ZUM DICHTER
. . . .
1. > Ritter Gluck< - der Widerspruch zwischen der romantischen Musikanschauung und der geschichtlich gebundenen Form des Kunstwerks 2. >DonJuan< — die Oper als romantische Scheinwelt 2.1. 2.2. 2.3.
Die unvollständige Schilderung der A u f f ü h r u n g Die >romantischen< Tendenzen in Mozarts O p e r Die Widerlegung der romantischen Perspektive durch den Tod der Sängerin
117
119 138 139 143 148
3. >Kreisleriana< - die Auflösung des romantischen Musikerlebnisses im Widerstreit der Perspektiven
155
4. Romantisches Musikideal, >CallotsManier< und Kunstmärchen . .
167
DRITTES KAPITEL
D I E ÜBERTRAGUNG DER MUSIKÄSTHETISCHEN PERSPEKTIVE AUF AUSSERMUSIKALISCHE VORSTELLUNGSBEREICHE
175
1. Naturphilosophie und Kunstreflexion - die Idee des >Goldenen Zeitalters« und das Mechanische des Kunstwerks
178
1.1. 1.2. 1.3.
Die Problematik naturphilosophischer Z u s a m m e n h ä n g e Die >Musik der Naturserapiontische Prinzip« — die poetische Konsequenz aus Hoffmanns musikalischer Einsicht 3.1.
H o f f m a n n s Musikvorstellung, das >serapiontische Prinzip« und idea-
3.2.
Die serapiontische Erzählweise als literarische Analogie zu H o f f -
listische Vorstellungen manns Verständnis der Kunstmusik
VI
178 189 194
204 204 212 226
228 228 237
4. D i e erneute Thematisierung des Musikproblems in dem Roman > Lebens-Ansichten des Katers Murr< 4.1. Zur »musikalischen* Form des Romans 4.2. Der Musiker, der Maler und der Mechaniker - die literarische Konfiguration einer musikästhetischen Idee 4.3. Kunst und Wirklichkeit
256 276
SCHLUSSBEMERKUNGEN
284
LITERATURANGABEN
293
248 249
VII
Einleitung
In der Literatur der Romantik wird die Musik aufgrund ihrer gegenstandslosen und stimmungshaltigen Aussage als Medium des R o mantischem, als Symbol romantischer Sehnsüchte verklärt. Ε. Τ. A. H o f f m a n n geht in seinem Musikenthusiasmus sogar so weit, geniale Musikwerke mit der Aura der einzig möglichen Manifestation des Wunderbaren in der Wirklichkeit zu umgeben. Sein Werk scheint daher einen Höhepunkt der Romantik zu markieren, denn es ist unbestritten, daß die Musik in seinem Schaffen eine dominierende Stellung einnimmt und daß seine Betätigung auf musikalischem Gebiet - sei es als Komponist oder als Musikkritiker - in seinen Dichtungen nachwirkte. Bisher wurde allerdings noch nicht die Frage aufgeworfen, inwiefern H o f f m a n n s Musikvorstellung nun eigentlich auf seine Dichtungen eingewirkt und seine spezifische literarische Darstellung des >Romantischen< präformiert hat. Auf den ersten Blick scheinen seine musikästhetischen Überlegungen - ganz zu schweigen von seinen eigenen Kompositionen - mit seiner bizarren und zerrissenen dichterischen Welt wenig gemeinsam zu haben. Zwangsläufig stellt sich die Frage, wie Hoffmanns musikalische Idealvorstellung - in der Musik hofft er die Offenbarung des >Wunderbaren< in der Wirklichkeit zu erfahren - mit seinem zwiespältigen Wirklichkeitsbild zusammenhängen soll, in dem man häufig einen Endpunkt der Romantik, eine Vorstufe des Realismus oder sogar Züge einer ambivalenten Wirklichkeitsdarstellung sieht, die den heutigen Leser gelegentlich wie eine Vorwegnahme moderner Wirklichkeitserfahrung anmutet. Die Musik muß demzufolge nicht mehr unbezweifelt als letzter Garant einer überwirklichen romantischen Einheit existieren. Paradoxerweise könnte bei H o f f m a n n auch der entgegengesetzte Prozeß in Gang gekommen sein - sein eigener Entwicklungsgang würde dem nicht widersprechen daß die Auseinandersetzung mit der Musik als der romantischsten aller Künste< den Glauben an eine Einheit der Wirklichkeit zerstört und den Wunsch nach einer Poetisierung der Welt in die bittere Erfahrung einer ambivalenten, doppelbödigen Wirklichkeit auflöst. Dieser ungeklärte 1
Widerspruch läßt es sinnvoll erscheinen, die Frage nach der Rolle der Musik in Hoffmanns Dichtung erneut aufzuwerfen. In der Forschungsliteratur wurde die Beziehung zwischen Hoffmanns Musikanschauung und seiner literarischen Wirklichkeitsdarstellung bisher sehr widersprüchlich beurteilt. Die ältere Hoffmann-Forschung ging von der Gegenüberstellung zweier Wirklichkeitsebenen aus und ordnete die Kunst - vor allem die Musik - der >höheren Wirklichkeit^ der Sphäre von Atlantis zu. Der Dualismus der >zwei Welten< wurde mit dem Hinweis auf die Musik harmonisiert, die als Symbol eines verborgenen romantischen Sinnzusammenhangs galt. 1 Demgegenüber hat die neuere Forschung darauf hingewiesen, daß das Wirklichkeitsbild in Hoffmanns Dichtungen durch die Perspektiven der Erzählfiguren aufgebaut wird. In dem Maße, in dem die Realität in Hoffmanns Erzählungen nicht mehr als transparente Fassade vor einer höheren romantischen Sphäre fungiert, steht der Widerstreit zweier Wirklichkeiten in engem Zusammenhang mit dem Erkenntnisproblem. Man betont die Vieldeutigkeit in Hoffmanns Erzählwelt, in der objektive oder romantisch idealisierte Wirklichkeiten in ein widersprüchliches Geflecht divergierender Perspektiven eingebunden werden. 2 Dabei handelt es sich nicht um eine unverbindliche Pluralität der Gesichtspunkte. Der thematische Kern dieser >Vieldeutigkeit< wird in Hoffmanns Grundüberzeugung gesehen, daß die Duplizität von Phantasie- und Außenwelt unauflöslich sei und auch die Dichtung keine idealisierte Wirklichkeit mehr darstellen könne. Wie wenig Klarheit über die Bedeutung der Musik in Hoffmanns Erzählwelt besteht, zeigt ein kurzer Überblick über divergierende Stel1
So ζ. B. Hans Dahmen, Ε. T. A. Hoffmanns Weltanschauung. Marburg 1929; ders., Der Stil Ε. T. A. Hoffmanns. In: Helmut Prang (Hg.), Ε. T. A. Hoffmann. Darmstadt 1976, S. 141 ff; Hilde Cohn, Realismus und Transzendenz in der Romantik, insbesondere bei Ε. T. A. Hoffmann. Phil.Diss. Heidelberg 1933; Margot Kuttner, Die Gestaltung des Individualitätsproblems bei Ε. Τ. A. Hoffmann. Phil.Diss. Hamburg 1936 2 Vgl. ζ. B. Lothar Köhn, Vieldeutige Welt. Studien zur Struktur der Erzählungen Ε. T. A. Hoffmanns und zur Entwicklung seines Werkes. Tübingen 1966; Wolfgang Preisendanz, Humor als dichterische Einbildungskraft. Studien zur Erzählkunst des poetischen Realismus. München 1963; ders., Eines matt geschliffnen Spiegels dunkler Widerschein. Ε. T. A. Hoffmanns Erzählkunst. In: Helmut Prang (Hg.), E.T. A. Hoffmann, a.a.O., S. 270-292; Wulf Segebrecht, Autobiographie und Dichtung. Eine Studie zum Werk Ε. T. A. Hoffmanns. Stuttgart 1967; Peter von Matt, Die Augen der Automaten. Ε. Τ. A. Hoffmanns Imaginationslehre als Prinzip seiner Erzählkunst. Tübingen 1971
2
lungnahmen. Nobert Miller proklamiert, daß »in Ε. Τ. Α. Hoffmanns Denken [...] die Musik (die Instrumentalmusik im besonderen) die von allem Irdischen gereinigte, die vollkommenste Emanation des Wunderbaren in der Erfahrungswirklichkeit« sei.3 Thomas Cramer führt H o f f manns Dichtungen auf das Grundmuster des >Grotesken< zurück, sieht die Musik in Hoffmanns Denkmodell allerdings noch als einzige Kunst, die eine objektive romantische Einheit, die subjektiv nicht mehr greifbar sei, repräsentieren könne.4 Lothar Köhn versucht, das Wirklichkeitsproblem mit der Unterscheidung zwischen >Realität< »die rein geistig-innerliche Wirklichkeit« 5 - und >Wirklichkeit< - »die objektive, allgemein erkennbare Welt der äußeren Anschauung« 6 - zu fassen. Das >Ich< strebe bei Hoffmann danach, >Realität< und >Wirklichkeit< in Übereinstimmung zu bringen, könne aber letztlich nie mehr als >Realität< erreichen. Lothar Köhn bemerkt, daß sich die Schwierigkeit, eine Übereinstimmung von >Realität< und >Wirklichkeit< in der Kunst darzustellen, in Hoffmanns Reflexionen über Musik und Sprache niederschlage. » D i e Musik ist das Unendliche, Umfassendere, aber sie ist wenigstens für ihn - nicht völlig objektivierbar; die Sprache ist problemlos objektivierbar, aber sie vermittelt nicht unmittelbar Unendliches, sondern Bestimmtes und Begrenztes.« 7 Für Peter von Matt ist Hoffmanns Neigung zur Musik darauf zurückzuführen, daß er » i n der Musik immer wieder den >einzigen Ton< oder doch eine Annäherung daran sucht« und daß daher in seiner Musikvorstellung »alle Musik aus einem geahnten und ersehnten Urton oder Urakkord« 8 hervorgehe. Eine Vermittlerposition zwischen den >zwei Weitem erhält die Musik bei Wulf Segebrecht. Er verweist auf ihre >Sprachähnlichkeit< und rückt sie damit in das Spannungsfeld von »Sagbarkeit und Unsäglichkeit«. 9 » D i e Musik bringt etwas zur Sprache in dem Maße, als sie sich von der Sprache des Sinnlichen löst und sich der Sprache des Übersinnlichen annähert.« 10 Wolfgang Preisendanz kommt dagegen, mit Blick auf die Gestalt des Kapellmeisters Kreisler, zu der Schlußfolgerung, Nobert Miller, Das Phantastische - Innensicht, Außensicht. Nachtstücke und Märchen bei Ε. T. A . Hoffmann. In: Phaicon 3. Almanach der phantastischen Literatur. Hg. v. Rein A. Zondergeld. Frankfurt/M. 1978, S. 42 4 Thomas Cramer, Das Groteske bei Ε. T. A. Hoffmann. München 1966, S. 177f 5 Lothar Köhn, Vieldeutige Welt, a.a.O., S. 38 6 Ebd. 7 Ebd. S. 31 8 Peter von Matt, Die Augen der Automaten, a.a.O., S. 25, 27 9 Wulf Segebrecht, Autobiographie und Dichtung, a.a.O., S. 187 10 Ebd. S. 97 3
3
daß »also auch die allem anderen entsagende Hingabe an die transzendentalste Kunst, an die Musik, nicht aus der Entzweiung von innerem Leben und äußerer Welt« 11 herausführen könne. Ungeachtet aller Differenzen im einzelnen wird eigentlich nie die Frage gestellt, ob die Musik als Kunst noch von dem Riß durch die Wirklichkeit verschont bleibt oder ob er auch durch sie hindurchgeht und die Beteuerung der metaphysischen Würde der Musik nur Hoffmanns Wunschdenken entspringt. Es bleibt daher zu klären, ob Hoffmanns romantisches Musikideal und seine Wirklichkeitsdarstellung beziehungslos nebeneinanderstehen oder ob nicht doch eine wechselseitige Beeinflussung zu erkennen ist. Berücksichtigt man Hoffmanns eigene künstlerische Entwicklung vom Musiker zum Musikrezensenten und zum Dichter, so ist die Überlegung nicht von der Hand zu weisen, daß in seiner Musikanschauung die Vorstufen seines literarischen Wirklichkeitsmodells angelegt sein könnten. 12 Gerade bei Hoffmann, der seine eigenen musikalischen Erfahrungen in seinen Dichtungen verarbeitete, liegt es nahe, von einer wechselseitigen Erhellung der Künsteromantischer< Stimmungen hinaus, 14 da Dichtung und Musik zwei unterschiedliche, nicht direkt aufeinander beziehbare Aussageebenen darstellen. Bei unserer Fragestellung sind zwei Schwierigkeiten zu berücksichtigen. Zum einen ist eine semantisch unbestimmte musikalische Aussage nur sehr begrenzt mit der Begrifflichkeit der Sprache zu umschreiben. Daneben zwingt die Tatsache, daß H o f f m a n n im Gegensatz zu anderen romantischen Dichtern 11
Wolfgang Preisendanz, Humor als dichterische Einbildungskraft, a.a.O., S. 76 Damit soll nicht suggeriert werden, daß Komposition, Rezensententätigkeit und Dichtung zeitlich aufeinanderfolgende und abgeschlossene Etappen seiner Künstlerbiographie repräsentieren. D e n n aus allen Lebensphasen gibt es Zeugnisse von Hoffmanns künstlerischer Vielseitigkeit. Wesentlich ist, daß die verschiedenen Künste in dieser Reihenfolge in den Vordergrund traten. 13 Oskar Walzel, Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe. Berlin 1917 14 Vgl. Steven P. Scher, How meaningful is >musical< in literary criticism? In: Yearbook of comparative and general literature 21 (1972), S. 52-56 12
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selbst Musiker war und ein umfangreiches musikalisches Werk hinterlassen hat, zu der Überlegung, inwieweit die musikalische Thematik seiner Dichtungen mit literaturwissenschaftlichen Methoden überhaupt zu fassen ist. Verfehlt wäre es, an der Dialektik von Sagbarkeit und Unsagbarkeit anzusetzen, denn indem Hoffmann über Musik geschrieben hat, sind seine musikalischen Erfahrungen bereits in sprachliche Äußerungen übersetzt und als solche interpretierbar. Entscheidender wird es, den Angelpunkt zu finden, an dem sich die musikalische Erfahrung und deren ästhetische Bewältigung treffen und von dem her verfolgt werden kann, inwieweit musikalische Eindrücke auf das literarische Werk einwirken. Von der Literaturwissenschaft wurden zur Klärung der Wechselbeziehung von Musik und Literatur verschiedene Ansatzpunkte erarbeitet. 15 Es bleibt in einem kurzen Überblick zu überprüfen, inwieweit sie zur Lösung unseres Problems herangezogen werden können. Einen Anhaltspunkt bieten die >musikalischen< Elemente der Sprache wie ζ. B. Rhythmus, Klang oder Imitation akustischer Qualitäten in der >WortmusikSchall< sei und wieder in >Klang< verwandelt werden müsse, zieht sich von den Sprachreflexionen des Novalis über A. W. Schlegels >Vocalfarbenleiter< bis zu Wagners Anmerkungen über das Verhältnis von Musik und Sprache in der Oper. Es wäre jedoch falsch zu glauben, mit diesen Sprachexperimenten könne wirklich eine Annäherung der Sprache an die Musik, an die >reine Poesie< erreicht werden. Emil Staiger hat zu Recht am Beispiel Brentanos davor gewarnt, den Dichter voreilig als »musikalischen Sprachkünstler« zu apostrophieren, da man erst einmal Aufschluß über den »Sinn der Musik in seiner dichterischen Welt« 1 6 erhalten müßte. Denn umgekehrt würde Hoffmann, geht man von seinem Sprachstil aus, als äußerst >unmusikalischer< Dichter gelten. Was an seinem Stil auffällt, ist das Formel- und Schablonenhafte, die Neigung zum Klischee und das übertriebene Bemühen um Eindringlichkeit und Echtheit des Ausdrucks. 17 Einen allgemeinen Überblick gibt Steven P. Scher, Verbal music in German literature. New Haven and London 1968, S. 3ff, 155ff 16 Emil Staiger, Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters. Zürich 1939, S. 44 17 Vgl. dazu u.a. Lothar Köhn, Vieldeutige Welt, a.a.O., S. 33, 189ff; Helmut Müller, Untersuchungen zum Problem der Formelhaftigkeit bei Ε. T. A. Hoffmann. Phil.Diss. Basel 1964, S. 113ff; Thomas Cramer, Das Groteske bei Ε. T. A. Hoffmann, a.a.O., S. 37ff 15
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Ein weiterer Hinweis auf Wechselbeziehungen zwischen Musik und Dichtung wird in formalen Parallelen zwischen musikalischen und literarischen Strukturen gesehen. Anknüpfend an die verwirrende Themenführung in Hoffmanns musikalischen Werken versuchte man, Strukturanalogien in der Dichtung festzustellen. Hoffmanns Konzentration auf die thematisch-motivische Arbeit in der Instrumentalmusik, die er als >kontrapunktische Verschlingung< bezeichnet, setzt Erwin Rotermund in Beziehung zu der Verschachtelung zweier Lebensläufe in >Kater Murr< und folgert: »Die Hoffmannsche Variante des romantischen Arabeskenstils zwingt den Leser, den teils >willkürlich< zerstörten, teils nicht geleisteten Zusammenhang selbst herzustellen«. 18 Die kalkulierte Abstimmung disparater Teile in einem sinnvollen Zusammenhang stellt auch nach Justus Mahr ein gemeinsames Strukturprinzip in Hoffmanns Dichtung und Musik dar: »Ein in Dichtung und Musik gleichartiges Gestaltungsprinzip waltet hier, dessen Basis letztlich eine kontrapunktische Verschlingung von Ereignissen oder Themen in der Musik ist.« 19 Mit diesen Strukturanalogien lassen sich zwar Parallelen in der dichterischen und musikalischen Verfahrensweise aufdecken, offen bleibt unter diesem Gesichtspunkt aber die Frage, ob die Musik als Kunst wirklich dem romantischen Anspruch genügen kann. Wenn die >arabesken< Strukturen als Hinweis auf das »eigentlich unaussprechlich Unendliche« 20 verstanden werden, so sollte man berücksichtigen, daß der Zusammenhang von artifizieller Form und metaphysischer Bedeutung bei H o f f m a n n nicht problemlos ist. Seine Kunstproblematik kann mit einer Strukturanalogie nicht grundsätzlich erfaßt werden, denn die Musik wird bei ihm in dem Sinne thematisiert, daß ihr metaphysischer Rang und ihr Werkcharakter sich einerseits gegenseitig bedingen, andererseits aber in einem latenten Gegensatz zueinander stehen und gerade die Frage, ob das >Romantische< in einer individuellen künstlichen Form zum Ausdruck kommen könne, in den Vordergrund rückt.
18
Erwin Rotermund, Musikalische und dichterische >Arabeske< bei Ε. Τ. A. Hoffmann. In: Poetica 2 (1968), S. 69; zu diesem Zusammenhang vgl. auch Victor Terras, Ε. Τ. A. Hoffmanns polyphonische Erzählkunst. In: German Quarterly 39 (1966), S. 549-569; Wolfgang Wittkowski, Ε. Τ. A. Hoffmanns musikalische Dichtung. In: Akten des V. Internationalen Germanistenkongresses Cambridge 1975. Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, Bd. 2/2, S. 294-298 19 Justus Mahr, Die Musik Ε. T. A. Hoffmanns im Spiegel seiner Novelle vom >Ritter GluckArabeskehöhere< imaginäre und eine reale Welt auf. Für diese Konzeption gelten aber die gleichen Einschränkungen wie für die literaturwissenschaftliche These von den zwei Wirklichkeiten Hoffmanns. Pauline Watts beschränkt sich in ihrer 1966 erschienenen Studie 24 darauf, H o f f m a n n eine metaphysische Musikauffassung zuzusprechen, und zählt einzelne Motivkomplexe auf, ohne ihre Überlegungen in der Interpretation literarischer Werke zu überprüfen. Nora Haimberger analysiert die Funktion des Akkords in Hoffmanns Kompositionen, in seinen Rezensionen und in seiner Dichtung. Wenn sie behauptet, daß seine musikdramatischen Schwächen den Übergang zur Dichtung bewirkt hätten, wo er die reine Harmonie und die Dissonanzen sicherer zu gestalten wisse, so identifiziert sie fälschlicherweise Hoffmanns eigene Musik mit der Funktion, die der Musik als Kunst in seinem ästhetischen Konzept zukommt. 2 5 21
Vgl. ζ. B. Herbert Riedel, Musik und Musikerlebnis in der erzählenden deutschen Dichtung. Phil.Diss. Bonn 1959; George Schoolfield, The figure of the musician in German literature. New York 1966; Roman Nahrebecky, Wakkenroder, Tieck, Ε. T. A. Hoffmann, Bettina von Arnim. Ihre Beziehung zur Musik und zum musikalischen Erlebnis. Bonn 1979 22 Carl Schaeffer, Die Bedeutung des Musikalischen und Akustischen in Ε. T. A. Hoffmanns literarischem Schaffen. Marburg 1909, S. 71 23 Ebd. S. 226 24 Pauline Watts, Music: the medium of metaphysical in Ε. Τ. Α. Hoffmann. Amsterdam 1972 25 Nora Ε. Haimberger, Die symbolische Funktion des Akkords in Ε. T. A. Hoffmanns dichterischem Werk. Phil.Diss. Washington 1970. - Zu dieser anfechtbaren These der älteren Hoffmann-Forschung vgl. die kritischen Hinweise von Gerhard Allroggen, Ε. T. A. Hoffmanns Kompositionen. Ein chronolo7
Entscheidend ist aber - das wird häufig nicht genügend beachtet -, daß Hoffmann nicht alle akustischen Phänomene gleichberechtigt in seine Überlegungen einbezieht. Die metaphorische Verwendung der Musik als Stimmungsträger oder die Schilderung der Naturmusik treten bei ihm, im Gegensatz zu anderen Romantikern, hinter das musikalische Kunstwerk zurück, das ausschließlich als Organ des R o mantischem gilt. Damit stellt sich die Frage, ob Hoffmanns Bevorzugung der Kunstmusik einen Anhaltspunkt für eine >wechselseitige Erhellung< der Künste bietet. Die Überlegung, wie der vermutete Aussagegehalt musikalischer Kompositionen in der Literatur umschrieben wird, hat man bisher nicht nur in der Hoffmann-Literatur - vernachlässigt. Steven P. Scher setzt mit der Überlegung an, wie Aussage und emotionale Wirkung der Musik mit literarischen Mitteln vergegenwärtigt werden können. »Rather than capturing a poetic semblance of musical sound or imitating musical form, verbal music aims primarily at poetic rendering of the intellectual and emotional implications and suggested symbolic content of music.«26 Sein Konzept der >verbal music< beruht darauf, die Aussage literarischer Texte zu untersuchen, die eine real existierende oder fiktive Komposition beschreiben. Aus seinen eigenen Interpretationsergebnissen folgert er, daß die literarische Technik der >verbal music< die symbolische Bedeutung sprachlich nicht direkt faßbarer Sachverhalte, komplexe Gedankensequenzen und poetische Assoziationen andeuten könne. 27 Er konzentriert sich vor allem auf die Frage, welche Sprachformen am geeignetsten sind, musikalische Eindrücke zu suggerieren, auf »verbal music [...] as a successful and characteristic set of rhetorical, syntactical, and poetic strategies based on some essential affinities between literature and music«.28 Steven P. Scher hat diesen Ansatz unter anderem auch in der Interpretation eines Textabschnitts aus Hoffmanns >Ritter Gluck< überprüft. 29 Er weist nach, daß Gluck, indem er das Werk engagiert dirigiert und seine Ergriffenheit sich in seinem ganzen Gebaren äußert, den Enthusiasten in den Zauberkreis des Werks hineinzieht und selbst die gisch-thematisches Verzeichnis seiner musikalischen Werke mit einer Einführung. Regensburg 1970, S. (19)ff, (28)ff 26 Steven P. Scher, Notes toward a theory of verbal music. In: Comparative literature 22 (1970), S. 152 27 Vgl. ders., Verbal music in German literature, a.a.O., S. 7ff 28 Ebd. S. 154; vgl. auch ders., Notes toward a theory of verbal music, a.a.O., S. 155 29 Vgl. ders., Verbal music in German literature, a.a.O., S. 57-67, 71-75
8
Darbietung eines Kaffeehausorchesters transparent macht für die im Werk geformte >platonische IdeeReich der Träume< ist, dessen metaphysische Aussage in der Wirklichkeit nur aufgrund der Ignoranz der Umwelt nicht zum Durchbruch kommt. Steven P. Scher hat mit seinem Konzept der >verbal music< zwar ein Instrumentarium entwickelt, um den ästhetischen Aussagegehalt einzelner Schilderungen musikalischer Darbietungen zu erschließen. Er kann damit aber nicht erklären, ob die suggerierten poetischen >Inhalte< der Musik im Erzählzusammenhang den absoluten Stellenwert der Musik und den Glauben an die Existenz des >Romantischen< auch wirklich absichern. Denn es ist charakteristisch für Hoffmanns Dichtung, daß einzelne Passagen und Aussagen nie isoliert gesehen und als verbindliche Äußerungen Hoffmanns akzeptiert werden dürfen. Über den Stellenwert einer musikalischen Aussage entscheidet vielmehr, in welchen Bedeutungszusammenhang sie eingeordnet ist, aus welchen Blickwinkeln die musikalischen Erfahrungen jeweils geschildert werden und wie diese Perspektiven hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit innerhalb der Dichtung einzuschätzen sind. Daß sich Hoffmanns erste literarische Versuche ganz in der Gedankenwelt der Musik bewegen, ist offensichtlich. Ungeklärt ist jedoch weiterhin, inwieweit seine Faszination durch die Kunstmusik ganze Dichtungen strukturieren und die >romantische< Perspektive seines literarisches Werks beeinflussen kann. Dieser Zusammenhang ist nur mit einem Ansatz aufzuhellen, der die literarische Relevanz des Kunstcharakters der Musik erklären kann. Wenn - wie häufig in der Literatur der Romantik - ein einzelner Ton, ein plötzlich erklingendes Lied oder Verseinlagen in Prosadichtungen romantische Stimmungen evozieren, handelt es sich weniger u m ein musikalisches Phänomen. Hier ist die Musik nur ein vages Symbol, das nicht mehr als ein unerreichbares Ziel der Dichtung andeutet. Musik fungiert als Metapher der Idee des >PoetischenPoetischen< garantiert, sondern in die Formzwänge der Tonsprache eingebunden und wie die Dichtung der Dialektik von Endlichkeit und Unendlichkeit des künstlerischen Werks ausgesetzt ist.31 Von diesem Sachverhalt ausgehend kann die Beeinflussung der Dichtung durch die Musik wesentlich genauer bestimmt und in ihren Auswirkungen konsequenter verfolgt werden, als es von der Dichotomie von Sagbarkeit und Unsagbarkeit her möglich wäre. Die Tatsache, daß die ästhetische Bedeutung der Musik weniger anhand kompositionstechnischer Überlegungen als vielmehr vor dem Hintergrund literarischer und philosophischer Erwartungen interpretiert wird, verstellt nicht den Blick auf Wechselwirkungen zwischen den beiden Künsten. Vielmehr zeigt sich hier ein Berührungspunkt, von dem aus musikalische Erfahrungen in der Literatur fortwirken können. Carl Dahlhaus hat am Beispiel der Entwicklung der Idee der absoluten Musik auf die Bedeutung literarischer Kategorien für das musikalische Denken hingewiesen. Die Literatur über Musik ist kein bloßer Reflex dessen, was in der musikalischen Praxis der Komposition, Interpretation und Rezeption geschieht, sondern gehört in einem gewissen Sinne zu den konstitutiven Momenten der Musik selbst. D e n n sofern sich Musik nicht in dem akustischen Substrat erschöpft, das ihr zugrundeliegt, sondern erst durch kategoriale Formung des Wahrgenommenen entsteht, greift eine Änderung des Kategoriensystems der Rezeption unmittelbar in den Bestand der Sache selbst ein. 32
Indem H o f f m a n n in der Kunstmusik, vor allem in der Instrumentalmusik Beethovens, eine Aussage des > Romantischem zu erfahren glaubt, werden aus ästhetischer Perspektive die Eigentümlichkeiten der Struktur eines musikalischen Werks vor allem danach beurteilt, ob sie geeignet sind, den Eindruck des >Romantischen< im Hörer zu erwekken. Zwar sind die durch die Musik hervorgerufenen poetischen Assoziationen insofern >romantischer< als das literarisch vermittelte >WunderbareRomantische< keine von außen herangetragene metaphysische >Zugabe< ist, die sich zufällig in einer empirischen >Hülse< spiegelt, sondern sich in der inneren Durchbildung der musikalischen Form erst entwickelt und zur Geltung kommt. Das gemeinsame Moment der Musikanschauung und der Dichtung Hoffmanns besteht in der Überlegung, inwieweit der fiktive Schein des >Romantischen< in der Musik wirklich als Rechtfertigung für den Glauben an ein >unbekanntes Reich< gelten kann. Erst daran läßt sich ablesen, ob die Musik noch als romantisches Refugium vor der Wirklichkeit zu verstehen ist oder ob sie die Zwänge der Wirklichkeit, von denen sie befreien soll, nicht selbst reproduziert. Von diesem Ausgangspunkt her können wesentliche Fragen zum Werk Hoffmanns beantwortet werden, über die in der Forschungsliteratur bisher Unklarheit herrschte. Im Laufe der Untersuchung soll geklärt werden, -
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inwieweit Hoffmanns musikalische Erfahrungen die spezifischen inhaltlichen und erzähltechnischen Züge seiner Dichtung präformieren, inwiefern sich Hoffmann an zeitgenössische Denkmuster anlehnt und bei allem Eklektizismus - aus der Anwendung dieser Gedankengänge auf sein Musikproblem sein eigenes >romantisches Paradigma< entwickelt, ob von der Musikreflexion Hoffmanns her seine spezifische Ausformung der romantischen Poesievorstellung in ihrer Eigenart zu erfassen und von der anderer Romantiker abzugrenzen ist, inwiefern aus Hoffmanns literarischer Verarbeitung der Musikproblematik Aufschluß über die Funktion seiner Dichtungen und ihre literaturgeschichtliche Stellung in der Übergangszeit von der Romantik zum Realismus zu erzielen ist.
Der Argumentationsgang der Arbeit ist durch die vorangegangenen Überlegungen sowie durch Hoffmanns eigene künstlerische Entwicklung im Prinzip bereits angedeutet. Im einzelnen soll der Frage, ob in Hoffmanns Musikanschauung der gedankliche Kern seiner Dichtungen bereits angelegt ist, auf verschiedenen Ebenen nachgegangen werden. Einleitend ist der ästhetische Rahmen zu umreißen, an dem sich Hoffmann in der Auseinandersetzung mit dem eigenen - noch von 11
vorromantischen Traditionen geprägten - kompositorischen Schaffen wie auch mit den musikalischen Werken der Wiener Klassik orientieren kann. Hier liegt auch der Ansatzpunkt für eine literaturwissenschaftliche Untersuchung der Thematik. Denn erst vor dem Hintergrund der empfindsamen und später der romantischen Literatur kann die Musik mit ihrer begrifflich unbestimmten Aussage plötzlich zum Leitbild der übrigen Künste aufgewertet werden (1/ 1.1.). Der Blick auf Hoffmanns eigene Entwicklung wie auch der Vergleich mit den Musikvorstellungen anderer Romantiker zeigt, daß seine Überlegungen zum Verhältnis von Musik und Wirklichkeit trotz der engen Anlehnung an zeitgenössische Denkmuster von Anfang an recht eigenständige Züge aufweisen. Die >schwärmerischen< Äußerungen des jungen Hoffmann verraten bereits ansatzweise Grundkonstanten seines späteren Wirklichkeitsbildes, so vor allem die Diskrepanz zwischen schwärmerischen Phantasievorstellungen und Wirklichkeit. Erst unter dem Einfluß romantischer Gedankengänge und dem Eindruck der Musik der Wiener Klassik verklärt er aber - im Gegensatz zu den übrigen Romantikern, f ü r die die Position der Dichtung durch die Aufwertung der Musik keineswegs in Frage gestellt wurde - ausschließlich die Kunstmusik zum romantischen Ideal, das von keiner anderen Kunst erreicht werden könne (1/ 1.2.). Auf diesem Axiom aufbauend, besteht Hoffmanns musikästhetische Eigenständigkeit nicht zuletzt darin, daß er mit den zu seiner Zeit verbreiteten Kategorien der romantischen Kunsttheorie die metaphysische Ranghöhe der Kunstmusik legitimieren will. Der Zwiespalt zwischen der universalen poetischen Idee und dem individuellen künstlerischen Werk zwingt ihn schließlich, seine Apotheose des >Romantischen< in der Musik zu modifizieren. Die dabei entwickelten Gedankengänge verdichten sich zu einer Aporie von poetischer Idee und artifizieller Form, die schließlich noch über die Musikthematik hinaus seine eigene Ansicht bestimmen wird, daß das >Romantische< nur noch als künstlich inszenierter Schein denkbar ist (1/ 2.). An Hoffmanns ersten literarischen Werken - er nannte sie selbst noch >AufsätzeRitter Gluck< möglich sind, neue Aspekte erschlossen 12
und strittige Fragen zum Verständnis der Werke geklärt werden können. Steht in den Rezensionen das musikalische Werk als solches im Vordergrund, so wird es in den Erzählungen in das Spannungsfeld zwischen der prosaischen Wirklichkeit, in der es als artifizielles Kunstwerk erscheint, und der Wirkung auf die Phantasie des Hörers, der das >Romantische< in ihm erkennen soll, gestellt. An dem Problem, daß das Kunstwerk nur Perspektiven auf das >Romantische< eröffne, keineswegs aber dessen Einlösung verspricht, entwickelt sich H o f f m a n n s vieldeutige Wirklichkeitsdarstellung, die er in seinen weiteren Werken auch unabhängig von der Musikthematik beibehält (II.). Seit der Berliner Zeit H o f f m a n n s ist die Kunstmusik nicht mehr das entscheidende handlungskonstituierende Moment seiner Dichtung. Gleichzeitig wird aber erkennbar, daß sich das Grundmuster der Musikvorstellung ausgeweitet hat. Das zeigt sich daran, daß das Musikmotiv mit anderen Themenbereichen verbunden werden kann - mit naturphilosophischen Überlegungen, Gedanken zu den >Nachtseiten< der Wirklichkeit, mit dem Automatenproblem, der Malerei und mit den Reflexionen zum >serapiontischen Prinzip< - und daß auch die Verarbeitung außermusikalischer Vorstellungsbereiche nach dem an der Musikproblematik entwickelten Denkmuster erfolgen kann. An dem Roman >Lebens-Ansichten des Katers Murr< - in dem die Musik noch einmal im Mittelpunkt steht - können die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel zur Bedeutung der Musikproblematik für Hoffmanns literarisches Werk abschließend überprüft werden. In einer Interpretation läßt sich zeigen, daß sowohl die musikalische Thematik wie auch das aus der Musikproblematik hervorgegangene Kombinationsmuster außermusikalischer Motive konzentrisch um die Person des Kapellmeisters Kreisler angelegt und auf seine Musikerproblematik bezogen sind (III.). Abschließend stellt sich die Frage, ob Hoffmanns Schaffen als Komponist und Schriftsteller wirklich so weit auseinanderklafft, wie es seine konventionelle Tonsprache auf der einen und seine bizarre Dichtung auf der anderen Seite vermuten lassen. Als Musiker verfolgt er sein Ziel, indem er an vorromantische Traditionen anknüpft und die Wiener Klassik umgeht. In Beethovens Werken erlebt er zwar den kühnsten musikalischen Ausdruck seiner Zeit, der alle bisherigen Vorstellung übertrifft. Andererseits schafft ihm aber die Bindung der romantischen Idee an eine strenge formale Gesetzlichkeit Unbehagen, und er zielt in seinen Kompositionen stärker auf den freien assozativen Ausdruck poetischer Ideen durch die Musik. Es bleibt zu überlegen, ob er in seiner Dichtung den Zweifel literarisch verarbeitete, daß die zu13
nehmende Dominanz des Artifiziellen in der Fortentwicklung der Musik eine Entwicklung in Gang setzt, die die Kunst von ihrer eigentlichen Aufgabe, der Darstellung des >Romantischen< wegführt. Dieses zentrale Musikproblem Hoffmanns - die Spannung zwischen poetischer Idee und Formkalkül - präformiert nicht nur den thematischen Kern seiner literarischen Werke, dieses Spannungsfeld markiert auch seinen literaturgeschichtlichen Standort und macht verständlich, daß seine Dichtung als Vorläufer der unterschiedlichsten literarischen Strömungen angesehen werden konnte.
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ERSTES KAPITEL
Hoffmanns Musikenthusiasmus - Ausgangspunkt seiner Umwertung romantischer Kunstvorstellungen
1.
Die Grundlagen der romantischen Musikvorstellung Ε. T. A. Hoffmanns
1.1.
Die Instrumentalmusik als Modell der romantischen Ästhetik
In literatur- und musikwissenschaftlichen Abhandlungen über Ε. Τ. A. Hoffmann werden immer wieder die engen Beziehungen des Dichters zur Musik hervorgehoben. Abgesehen von seiner Tätigkeit als Kapellmeister in Bamberg, Dresden und Leipzig verweist man dabei auf ein umfangreiches musikalisches Werk, zahlreiche Musikrezensionen und eine in weiten Teilen durch musikalische Themen bestimmte Dichtung. Selbst ein flüchtiger Überblick zeigt allerdings auch, daß sich Hoffmanns Auseinandersetzung mit der Musik in einem Spannungsfeld divergierender Bezugspunkte und Traditionen vollzieht. In seiner enthusiastischen Besprechung der fünften Symphonie Beethovens argumentiert er mit den Thesen der literarischen Romantik »Beethovens Musik [...] erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist«1 - und beweist seine Aufgeschlossenheit gegenüber den neuartigen Entwicklungen der Instrumentalmusik, die in den Werken Beethovens hervortraten und häufig Verwirrung unter seinen Zeitgenossen hervorriefen. 2 Seine Rezension der fünften Symphonie Beethovens stellt unbestritten eines der wesentlichen Zeugnisse der romantischen Musikästhetik dar.
' Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik. Nachlese. Hg. sowie mit Nachworten u. Anm. versehen v. Friedrich Schnapp. München 1963, S. 36 Zur damaligen Ablehnung der Musik Beethovens aufgrund ihrer »bizarren Manier« vgl. Ernst Lichtenhahn, Über einen Ausspruch Ε. T. A. Hoffmanns und über das Romantische in der Musik. In: Musik und Geschichte. Leo Schrade zum 60. Geburtstag. Köln 1963, S. 178ff, sowie die Untersuchung von Peter Schnaus, Ε. T. A. Hoffmann als Beethoven-Rezensent der Allgemeinen Musikalischen Zeitung. München/Salzburg 1977, S. 34ff
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Befremdet wurde in der Forschungsliteratur jedoch vielfach konstatiert, daß H o f f m a n n den Begriff des >Romantischen< auf die klassischem Werke Haydns, Mozarts und Beethovens anwendet. 3 Was Hoffmann in dieser Terminologie zum Ausdruck bringen wollte, wurde in dem Maße verständlicher, in dem eine starre musikgeschichtliche Epochenunterteilung in Klassik und Romantik aufgegeben wurde, die den Vorstellungen der Zeit um 1800 nicht entsprach, sondern erst nachträglich die Musikwerke dieser antithetisch angelegten Klassifizierung unterwarf. 4 Gleichzeitig wird jedoch darauf hingewiesen, daß die romantische Musikästhetik und die Musik der Wiener Klassik in Hoffmanns Beethoven-Rezensionen zwar eine Verbindung eingehen, aber nicht zur Deckung gelangen, da beide Strömungen unterschiedlichen Traditionen verhaftet bleiben. 5 Scheinbar noch verwirrender wird die Sachlage, wenn man mit einem an der Dichtung orientierten Erwartungshorizont Hoffmanns eigene Musik in die Überlegungen einbezieht. Zu einem sehr abschätzigen Urteil führt diese Gegenüberstellung bei Ferruccio Busoni. Mit dem Hinweis auf die offensichtliche Bindung an vorromantische Traditionen wertet er, im Gegensatz zu den »vielen und oft ausgezeichneten Bemerkungen des Schriftstellers« über »ein anderes Ideal der Musik«, dessen Kompositionen als Produkte eines Spießbürgers ab. Man vergleiche dagegen Hoffmanns bestes musikalisches Werk mit der schwächsten seiner literarischen Produktionen, und man wird mit Trauer wahrnehmen, wie ein übernommenes System von Taktarten, Perioden und Tonarten - zu dem noch der landläufige Opernstil des Seinige tut - aus dem Dichter einen Philister machen konnte. 6
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Vgl. dazu Gustav Becking, Zur musikalischen Romantik. In: DVjs 2 (1924), v.a. S. 592f; Arnold Schmitz lehnt »vom historischen Standpunkte aus das romantische Beethovenbild« ab, ders., Das romantische Beethovenbild. Darstellung und Kritik. Berlin/Bonn 1927, S. VIII, zu Ε. T. A. Hoffmann vgl. v.a. S. 6ff; Carl Leonhardt, Romantische Musik. In: Romantik. Ein Zyklus Tübinger Vorlesungen. Hg. v. Th. Steinbüchel. Tübingen und Stuttgart 1948, S. 114f 4 Vgl. Arno Forchert, »Klassisch« und »romantisch« in der Musikliteratur des frühen 19. Jahrhunderts. In: D i e Musikforschung 31 (1978), S. 405-425; Hans Heinrich Eggebrecht, Beethoven und der Begriff der Klassik. In: BeethovenSymposion Wien 1970. Bericht. Wien 1971, S. 45ff, 52 5 Vg. dazu Carl Dahlhaus, Romantische Musikästhetik und Wiener Klassik. In: Archiv für Musikwissenschaft 29 (1972), S. 169ff 6 Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Mit Anmerkungen von Arnold Schönberg und einem Nachwort von Η. H. Stukkenschmidt. Frankfurt/M. 1974, S. 27
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Ein unmittelbarer Vergleich mit den literarischen Aussagen wird jedoch dem musikgeschichtlichen Stellenwert der Musik Hoffmanns nicht gerecht. Zwar wurde vielfach auf seine Abhängigkeit von vorklassischen Formen, von der Musik Glucks und Mozarts hingewiesen 7 sowie damit zusammenhängend auf »einen wesentlichen Zwiespalt in Hoffmanns musikalischem Werk, der zwischen seinem Ausdruckswollen und der musikalischen Gestaltung liegt [.. .]«.8 Die eingehendere Berücksichtigung der musikalischen Situation zwischen 1799 und 1814 (in diesem Zeitraum komponierte H o f f m a n n seine Werke im wesentlichen) und das Bewußtsein, daß »Hoffmanns musikalisches Schaffen [...] in das Niemandsland zwischen ausgehender musikalischer Klassik und beginnender Frühromantik« 9 fällt, schärfte allerdings den Blick für den eigenen Stil, den er in der Auseinandersetzung mit den ihm zur Verfügung stehenden Vorbildern entwickelte. 10 Außerdem darf man nicht übersehen, daß die Wiener Klassik keinesfalls nur eine Etappe auf einem bruchlos verlaufenden direkten Weg zur musikalischen Romantik darstellt, sondern als unabhängige »Insel« inmitten der zeitgenössischen Strömungen existiert. Ähnlich wie H o f f m a n n knüpfen auch Hummel, Kreutzer, Spohr oder Weber mit ihren Kompositionen nicht an Beethoven an, sondern umgehen die Wiener Klassik und führen die expressiven vorromantischen Traditionen weiter. 11 Zu klären ist angesichts dieser Divergenzen die Frage, wie die Bindung an musikalische Formen der Vorromantik gleichzeitig mit der literarischen Umdeutung der Wiener Klassik im Sinne der romantischen Kunstmetaphysik in Hoffmanns Werk korrespondieren kann. 7
Einen Überblick über die Beurteilung Hoffmanns als Musiker gibt Gerhard Allroggen in: Ders., Ε. T. A. Hoffmanns Kompositionen, a.a.O., S. (19)ff 8 Karl Gustav Feilerer, Der Musiker Ε. T. A. Hoffmann. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 4 (1963), S. 43; vgl. dazu auch Georg von Dadelsen, Alter Stil und alte Techniken in der Musik des 19. Jahrhunderts. Phil.Diss. Berlin (FU) 1951, S. 52-58 9 Justus Mahr, Die Musik Ε. T. A. Hoffmanns im Spiegel seiner Novelle vom >Ritter GluckMacbeth< oder >Hamlet 12
Carl Dahlhaus verweist in diesem Zusammenhang auf das scheinbare Paradox, daß der Musik der Wiener Klassik u m 1800 keine ihr entsprechende Musikästhetik gegenübersteht und daß die romantische Musikästhetik sich nicht an konkreten musikalischen Vorbildern orientieren kann. D i e Ursache sieht er darin, daß »eine Musikästhetik im allgemeinen weniger durch die Entwicklung der Musik, die ihren Gegenstand bildet, als vielmehr durch die philosophische und literarische Tradition, aus der ihre Kategorien stammen, geprägt ist« (ders., Romantische Musikästhetik und Wiener Klassik, a.a.O., S. 171). Bei der Einordnung von Hoffmanns Musikanschauung folge ich diesem Ansatz und den entsprechenden Ausführungen in >Die Idee der absoluten Musik< von Carl Dahlhaus.
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Vgl. Wilhelm Heinrich Wackenroder, Werke und Briefe. Heidelberg 1967, S. 255, 292, 430. - Zu den engen Kontakten zwischen Wackenroder, Tieck und Reichardt vgl. Walter Salmen, Johann Friedrich Reichardt. Komponist, Schriftsteller, Kapellmeister und Verwaltungsbeamter der Goethezeit. Frei-
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und AxurSymphonien< bezeichnet, erfahren sie die >Revolution< des musikalischen Sturm und Drang, die sich vor allem in den Klavierkompositionen C. Ph. E. Bachs und den Orchestersymphonien der Mannheimer Schule seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vollzogen hat. 14 Wenn H o f f m a n n 1810 die fünfte Symphonie Beethovens als Offenbarung des »unbekannten Reichs« 15 verherrlicht, so wurzelt diese Emphase in einem Hörerlebnis, dessen ästhetischer Orientierungsrahmen von den Werken Beethovens derart irritiert wurde, daß die Symphonien Haydns und Mozarts bereits den Schein des Überlieferten und Vertrauten erhielten. 16 Entscheidend für die Herausbildung einer Metaphysik der Instrumentalmusik ist jedoch, daß diese musikalischen Entwicklungen mit einem Wandel der Kunstanschauung zusammentrafen, durch den ein neues Verständnis der Instrumentalmusik bewirkt und diese als Metapher für literarische Intentionen aufgewertet wurde. Stand die Instrumentalmusik in der Aufklärung noch unter dem Verdacht, nichtssagend und unnatürlich zu sein, so änderte sich ihre Einschätzung mit dem Wandel der ästhetischen Grundsätze. Bereits Bodmer und Breitinger hoben im Gegensatz zur idealisierenden Nachahmung der >schönen Natur< und der Forderung nach Wahrscheinlichk e i t die Bedeutung der Einbildungskraft hervor. Aus diesem Blickwinkel mußte die inhaltlich unbestimmte Aussage der Instrumentalmusik nicht mehr von vornherein als zweitrangig gelten. 17 Klopstock, der in bürg 1963, S. 73f, 246, 281. Reichardt unterwies Wackenroder in Klavierspiel, Harmonielehre und Kontrapunkt, unterstützte ihn bei der Abfassung der >Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders< und regte den Titel an. »So wurde Reichardt z u m Förderer der deutschen Romantik, ohne indessen sich selbst ganz dieser jugendlichen Strömung anschließen zu können« (ebd. S. 74). 14 Vgl. Hans Heinrich Eggebrecht, Das Ausdrucks-Prinzip im musikalischen Sturm und Drang. In: Ders., Musikalisches Denken: Aufsätze zur Theorie und Ästhetik der Musik. Wilhelmshaven 1977, S. 72, der betont, »daß nie zuvor die Tradition der abendländischen Musik derart einschneidend erschüttert, krisenhaft umbrochen wurde wie durch die Errungenschaften des 18. Jahrhunderts«. Vgl. auch ders., Musik als Tonsprache. In: Ders., Musikalisches Denken, a.a.O., S. 41 15 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 34 16 Vgl. dazu Arno Forchert, »Klassisch« und »romantisch«, a.a.O., S. 409. - Auf das Neue der Wiener Klassik, auf die Ausbildung einer autonomen Musiksprache, weist Thrasybulos Georgiades an konkreten Beispielen hin, vgl. ders., Aus der Musiksprache des Mozart-Theaters. In: Mozart-Jahrbuch 1950. Salzburg 1951, S. 76-99, bes. S. 82ff; ders., Zur Musiksprache der Wiener Klassiker. In: Mozart-Jahrbuch 1951. Salzburg 1953, S. 50-60, bes. S. 58f 17 Vgl. Walter Serauky, Die musikalische Nachahmungsästhetik im Zeitraum
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der Auseinandersetzung mit Gottsched für die >Schweizer< Partei ergriff, verstand die Klavierkompositionen C. Ph. E. Bachs als musikalisches Gegenstück seiner wortmusikalisch ausgestalteten Dichtungen. 1 8 M i t Rückblick auf die Oden Klopstocks, auf seine Idee einer erhabenen Poesie wird C. Ph. E. Bach 1801 seinerseits als ein »anderer Klopstock« bezeichnet. 1 9 Für das Verständnis der musikalischen Aussage bedeutet dies aber nicht, daß die K e n n t n i s der musikalischen Mittel und des Programms eine distanzierte A u f s c h l ü s s e l u n g ermöglichten, sondern d a ß die Mitteilung des >Unsagbaren< auf einer sympathetischen Übere i n s t i m m u n g Gleichgesinnter beruhte. So heißt es zu C. Ph. E. Bach: In ihm regte sich irgendeine ästhetische, d. h. aus Begriff und Empfindung zusammengesetzte I d e e , welche sich nicht in Worten ausdrücken läßt [...]. Diese trug er auf sein Klavier (oder in Noten) über, indem seine innige Vertrautheit mit der Tonmechanik ihm die nötigen Formen dazu fast von selbst zuführte. Da ihn nun sein D i c h t e r g e i s t von gemeinen Ideen zurückhielt, wenn er frei komponieren durfte, so konnte es nicht fehlen, daß diejenigen, deren Geist dem seinigen nicht verwandt war, ihn nicht verstanden und nur nach wiederholter Übung kaum ahndeten, was für ein Gedankenreichtum darin verborgen wäre. 20
von 1700 bis 1850. Münster i.W. 1929, S. 69ff; Ernst Lichtenhahn, Über einen Ausspruch Hoffmanns, a.a.O., S. 183ff 18 Für das Grabmal C. Ph. E. Bachs in der Hamburger Michaeliskirche entwarf er die Inschrift: »Er war groß in der vom Worte gebildeten Musik, größer in der kühneren wortlosen.« (Zit.n. Karl Kindt, Klopstock. Berlin 1941, S. 148) 19 Triest, Bemerkungen über die Ausbildung der Tonkunst in Deutschland im 18. Jh., Allgemeine Musikalische Zeitung, Leipzig 1801, zit.n. Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik. Kassel 1978, S. 56, vgl. auch ebd. - Klopstocks Wende gegen das aufklärerische Kunstverständnis wirkte nachhaltig auf die Musiker des 18. Jahrhunderts. J. A. Peter Schulz hat auf die Bitte, Klopstocks Oden zu vertonen, geantwortet: »Komponieren soll ich das? Das ist ja schon Musik!« (Zit.n. Karl Kindt, Klopstock, a.a.O., S. 148). F. J. Riedel lobt 1775 Gluck aufgrund seiner Opernreform als den »Klopstock für die Musik« (zit.n. Walter Serauky, Die musikalische Nachahmungsästhetik, a.a.O., S. 151). An der Einschätzung der Dichtung Klopstocks als >musikalisch< erweist sich gleichzeitig, daß nicht nur das Musikverständnis durch literarische Wertmaßstäbe beeinflußt wird, sondern umgekehrt auch die Dichtung in der Musik eine Bestätigung ihrer Konzeptionen sucht. Schiller nennt »Klopstock vorzugsweise einen musikalischen Dichter«, da er Effekte »hervorzubringen vermag, ohne die Einbildungskraft durch ein bestimmtes Objekt zu beherrschen« (Schillers Werke. Nationalausgabe. Hg. v. L. Blumenthal und B. v. Wiese. Weimar 1943ff, Bd. 20, S. 455f). 20
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Triest, Bemerkungen über die Ausbildung der Tonkunst in Deutschland im 18. Jh., zit.n. Arnold Schering, Carl Philipp Emanuel Bach und das »redende Prinzip« in der Musik. In: Ders., Vom musikalischen Kunstwerk. Leipzig 1951, S. 244
Gerade die Problematik der Ausdrucks- und Gefühlsästhetik, für individuelle und sprachlich nicht zu fassende Empfindungen Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, führte neben der Andeutung durch elliptische Stilfiguren, Losungsworte und den Unsagbarkeitstopos zur stärkeren Einbeziehung der Musikmetaphorik. Auch die Äußerungen des jungen Hoffmann zur Musik bewegen sich noch ganz im Rahmen der Gefühlsästhetik, wenn er in den Jugendbriefen an Hippel die Musik als >Sprache des Gefühls< versteht. Die sympathetische Wirkung der Musik, die als >Sprache der Empfindung< die Verständigung Gleichgesinnter jenseits der begrifflichen Einengung durch die Sprache erst möglich macht, weitet sich im zeitgenössischen Musikverständnis schließlich aus zur »unbeschreiblichen Wehmut« (K. Ph. Moritz), zum »Nachklang aus einer entlegnen harmonischen Welt« (Jean Paul) 21 - eine Verbindungslinie führt von hier aus weiter zur »unendlichen Sehnsucht« nach einem »fernen Geisterreiche«, die Beethovens Symphonie in Hoffmann hervorruft. Die Ausdrucks· und Gefühlsästhetik stellt jedoch nur eine Vorstufe der romantischen Musikmetaphysik dar, wie Tiecks Schilderung der MacbethOuvertüre von Reichardt eindeutig zeigt. Carl Dahlhaus hat auf die Differenz hingewiesen, die zwischen der Interpretation des Musikstücks - die in ihren exzentrischen Anklängen durchaus der Sturm und Drang-Haltung der Ouvertüre verhaftet bleibe - und dessen ästhetischer Einordnung als künstliche Sphäre einer wirklichkeitsüberhobenen »reinpoetischen Welt« besteht. 213 Denn Tiecks Verherrlichung der Symphonien, die »ein so buntes, mannigfaltiges, verworrenes und schön entwickeltes Drama« 2 2 seien, steht in schroffem Gegensatz zu den musikästhetischen Vorstellungen Reichardts, der gerade beklagt, daß »die Instrumentalmusik für sich allein gieng«, und der in der >willkührlichen< und >unschicklichen< Vermischung gegensätzlicher Affekte wie >Freude< und >Traurigkeit< ein Hauptübel der »höchst unnatürlichen Sonaten, Symphonien, Konzerte und andrefn] Stücke unsrer neuern Musik« 23 sieht. Der Sprung von einer Ausdrucks- und 21
Karl Philipp Moritz, Andreas Hartknopf. Eine Allegorie. Andreas Hartknopfs Predigerjahre. Fragmente aus dem Tagebuche eines Geistersehers. Faksimiledruck der Originalausgaben. Hg. u. m. einem Nachw. versehen v. Hans Joachim Schrimpf. Stuttgart 1968, S. 133. - Jean Paul, Die unsichtbare Loge. In: Ders., Werke. Hg. v. Norbert Miller. Abt. I, Bd. 1. München 1960, S. 60. - Zu diesem Übergang vgl. Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 64ff 2,a Vgl. Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 67f 22 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 255 23 Johann Friedrich Reichardt, Musikalisches Kunstmagazin. Bd. 1. Berlin 1782,
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Gefühlsästhetik zur romantischen Musikmetaphysik hängt eng mit dem grundlegenden Wandel der ästhetischen Maßstäbe zusammen, der sich mit der Entwicklung der romantischen Kunsttheorie vollzog. Zum einen war die Gefühlsästhetik um 1800 bereits überholt und drohte beständig ins Sentimentale und Weinerliche abzugleiten - Wackenroder und Tieck sahen sich in ihrem Briefwechsel genötigt, ihre Haltung von einer weit verbreiteten >Empfindelei< abzugrenzen.24 Daneben trafen die Werke des musikalischen Sturm und Drang (und der Wiener Klassik wie später bei Hoffmann) mit einer neuen Kunstanschauung zusammen, die die Autonomie der Kunst proklamierte und ausschließlich der freien künstlerischen Produktivität die Fähigkeit zusprach, in der Realität vorhandene Widersprüche zu überwinden und zu lösen. So berichtet Köpke über Tieck zur Zeit seines Studiums in Halle 1792: Voll Gefühl und Leidenschaft, überwiegend in der Welt der Phantasie lebend, und einem geheimen Zuge zum Unerklärlichen, Mystischen folgend, war ihm das strenge Urteilen und Abschließen, das weitläufige Deduzieren, die zuversichtliche Systematik gleich sehr zuwider. Nichts hatte ihn tiefer erschüttert, als jene Lebensfragen, welche die Philosophie behandelte, aber er fühlte, diese Weise sei geeignet, ihm den Gegenstand zu verleiden. [...] Es wurde bei ihm Überzeugung, wer sich der Dichtung, der Kunst mit ganzer Seele ergeben habe, müsse auch in ihren Offenbarungen die vollste Befriedigung finden, und könne dann der philosophischen Hilfen und Stützen gar wohl entbehren. 25
Tiecks Ablehnung der Philosophie ist jedoch nicht repräsentativ für die romantische Kunstreflexion. Mit F. Schlegels und Novalis' Übertragung der Einsichten der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes in eine Transzendentalpoesie scheint die Aufhebung der seit Kant aufgebrochenen Spaltung zwischen Subjekt und Objekt nur im ästhetischen Werk als utopische Vorwegnahme möglich. Mit der stärkeren Gewichtung des Geistigen, der Idee in der Dialektik von »Geist und Buchstabe« 26 erhält bei F. Schlegel im wesentlichen die Instrumentalmusik als S. 25 (Reprint: Hildesheim 1969). - Vgl. auch Walter Salmen, Johann Friedrich Reichardt, a.a.O., S. 189ff, 201 24 Vgl. W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 293, 297 25 Rudolf Köpke, Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mitteilungen. Zit.n. Uwe Schweikert (Hg.), Ludwig Tieck. Dichter über ihre Dichtungen 9. Bd. 3. München 1971, S. 234f 26 Zu dieser romantischen Gegenüberstellung vgl. Friedrich Schlegel, Charakteristiken und Kritiken I (1796 - 1801). Hg. v. Hans Eichner. München/Paderborn/Wien/Zürich 1967 (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hg. v. Ernst Behler unter Mitw. von Jean-Jacques Anstett u. Hans Eichner. Im folgenden abgekürzt zitiert: KSA; Bandangabe: Römische Ziffern; Seitenangabe: Arabische Ziffern), Bd. II, S. 182f (Nr. 116), 155 (Nr. 69), 158 (Nr.93)
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»Kunst dieses Jahrhunderts« 2 7 die Aufgabe, die Musik dem Bewußtseinsstand der Epoche gemäß zu repräsentieren. Schlegel lehnt den »platten Gesichtspunkt« ab, demzufolge »die Musik nur die Sprache der Empfindung sein soll«, und proklamiert eine »gewisse Tendenz aller reinen Instrumentalmusik zur Philosophie«: » M u ß die reine Instrumentalmusik sich nicht selbst einen Text erschaffen? und wird das T h e m a in ihr nicht so entwickelt, bestätigt, variiert und kontrastiert, wie der Gegenstand der Meditation in einer philosophischen Ideenreihe?« 2 8 Analog zu der Umdeutung der thematischen Verarbeitung des musikalischen Materials in eine >Transzendentalmusik< äußert sich Novalis: »Sonaten und Symphonieen etc. - das ist wahre Musik.« 2 9 In den Vordergrund trat die Ausrichtung auf das >PoetischePoesie< als metaphysische Idee, die in den verschiedenen künstlerischen Formen nur annäherungsweise verwirklicht werden kann, verstanden wurde. So antwortet A. W. Schlegel auf die Frage nach der >PoesiePoesie< bildet den Kernpunkt der neuen Kunstkonzeption, vor deren Erwartungshorizont die Herausbildung einer eigenständigen Instrumentalmusik und deren Neuartigkeit nicht als Fehlentwicklung erschienen, sondern sogar als Bestätigung der ästhetischen Zielvorstellungen interpretiert werden konnten. Vor diesem 27
Friedrich Schlegel, Literary Notebooks 1797 - 1801, edited with introduction and commentary by Hans Eichner. London 1957, S. 162 (Nr. 1606). (Diese Ausgabe wird im folgenden abgekürzt zitiert: LN) 28 KSA II, S. 254 (Nr. 444) 29 Novalis, Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Hg. v. Paul Kluckhohn und Richard Samuel. (Kritische Neuausgabe unter Mitarb. v. Heinz Ritter, Gerhard Schulz und Hans-Joachim Mähl). Stuttgart 1960ff. (Diese Ausgabe wird im folgenden abgekürzt zitiert: KNA; Bandangabe: Römische Ziffern; Seitenangabe: Arabische Ziffern) Bd. III. Stuttgart 1968, S. 691 (Nr. 695) 30 August Wilhelm Schlegel, Kritische Schriften und Briefe. Hg. v. Edgar Lohner. Bd. 2: Die Kunstlehre. Stuttgart 1963, S. 225. - Vgl. dazu Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 70 23
Hintergrund ist Hoffmanns Auseinandersetzung mit Beethoven zu sehen. Denn er beschreibt die Bedeutung der Musik Beethovens mit den Kategorien der romantischen Kunstvorstellung und begreift die Instrumentalmusik als >romantischste aller Künsteoft nur aus dem Geiste zum Geiste< spricht«. 32 Die Anknüpfung an vorromantische Traditionen, der Bezug auf die Wiener Klassik und die romantische Apotheose der Musik dürfen nicht als sich gegenseitig ausschließende Pole in Hoffmanns Musikanschauung aufgefaßt werden. Die Komponenten spiegeln die verschiedenen Anknüpfungspunkte und Erfahrungen, die bei der Entstehung der romantischen Musikmetaphysik wirksam wurden, und sind als Teilmomente in Hoffmanns Vorstellung vom >Romantischen< und >Wunderbaren< der Musik aufgehoben. Gleichzeitig ist ihre Integration in einer Metaphysik der Instrumentalmusik aber nicht nahtlos vollzogen. Bereits der kurze Überblick über die problemgeschichtliche Position von Hoffmanns Musikvorstellung deutet an, daß zwischen den verschiedenen Komponenten seiner Musikanschauung ein latenter Konflikt angelegt ist. So können die Ausrichtung auf eine unmittelbare musikalische Aussage einer Intuition, auf die Metaphysik der Kunstmusik und die Bindung der poetischen Idee an die durchgeformte musikalische Struktur, an die >Mechanik der Instrumenten auch in einen Widerspruch zueinander treten. Geht man davon aus, daß Hoffmanns Musikanschauung sein späteres literarisches Werk entscheidend prägt, so läßt sich gerade an dem zu seiner Zeit so verbreiteten Musikthema klären, inwieweit von einem »beirrenden Abweichen von der normierten literaturgeschichtlichen Entwicklungslinie« 33 gesprochen werden kann. In der vorliegenden Untersuchung geht es dabei weniger u m Fragen unbedingter Originalität oder philosophischer Dignität als um die Überlegung, warum Hoffmanns Versuche, die geistesgeschichtliche Situation seiner Epoche und seine Wirklichkeitserfahrung künstlerisch zu bewältigen, sich in 31 32 33
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Vgl. Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 34 Ernst Lichtenhahn, Über einen Ausspruch Hoffmanns, a.a.O., S. 196 Fritz Martini, Die Märchendichtungen Ε. T. A. Hoffmanns. In: Helmut Prang (Hg.), Ε. T. A. Hoffmann, a.a.O., S. 159, vgl. auch S. 158
wesentlichen Etappen seines Lebens am Medium der Musik herauskristallisieren. Aufschlußreicher als sich mit einzelnen Abhängigkeitsverhältnissen zu beschäftigen, ist es daher zu überlegen, von welchen Positionen H o f f m a n n ausgeht, warum er für bestimmte Gedankengänge zeitgenössischer Musikvorstellungen besonders empfänglich ist und zu welcher eigenwilligen Kombination sich viele damals gängige Denkmuster bei ihm verbinden. 1.2.
Von der Gefühlsästhetik zu Ε. T. A. Hoffmanns Verabsolutierung der Kunstmusik die Musik im Spannungsfeld von Kunst und Wirklichkeit
An den Überlegungen des jungen Hoffmann, die im Gegensatz zu seiner romantischen Apotheose der Instrumentalmusik häufig übergangen werden, ist recht deutlich zu verfolgen, in welchem Maß verschiedene zeitgenössische Einflüsse seinen Weg zu seiner Spielart der romantischen Kunstvorstellung markieren und mitbestimmen und inwieweit die Auseinandersetzung mit der Musik seine Kunst- und Wirklichkeitsanschauung prägt. Zum einen läßt sich erkennen, daß H o f f m a n n auch im Rahmen empfindsamer und schwärmerischer Vorstellungen von Anfang an um die Frage kreist, inwieweit sich der einzelne durch die Kunst von den Zwängen der Alltagswelt befreien könne, wobei die Musik in dieser frühen Phase noch keine Sonderstellung einnimmt. Darüber hinaus wird von Hoffmanns Ausgangsposition her verständlich, daß sich der gedankliche Kern, aus dem seine eigenwilligen romantischen Vorstellungswelten hervorgehen, in dem Moment herausbildet, als er die Eindrücke, die die Musik Beethovens bei ihm hinterläßt, aus seinem Verständnis der frühromantischen Kunstanschauung heraus bewältigt. Abgesehen von flüchtigen Hinweisen auf aufklärerisch geprägte Zukunftspläne, durch ein vernünftig gestaltetes Leben Glück und Freiheit zu erreichen - Hoffmann deutet gemeinsame »Ideen für den G e n u ß der Zukunft« und »alte GlückseeligkeitsPläne« an 1 -, bewegen sich seine Jugendbriefe an Hippel im Umfeld des empfindsamen Freundschaftskultes. Die »Sprache des Herzens« 2 steht in den Briefen in schrof1
So im Brief an Hippel vom 28. Mai 1796. In: Ε. T. A. Hoffmann. Briefwechsel. Gesammelt und erläutert von Hans von Müller und Friedrich Schnapp. Hg. v. Friedrich Schnapp. (Im folgenden abgekürzt zitiert: Bw; Bandangabe: Römische Ziffern; Seitenangabe: Arabische Ziffern) Bd. I (Königsberg bis Leipzig 1794 - 1814). München 1967, S. 93 2 Brief an Hippel vom 25. Jan. 1796, Bw I, S. 82
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fem Gegensatz zu der durch starre Konventionen und Nützlichkeitserwägungen eingeengten Königsberger Alltagsumwelt. Die Ablehnung der platten Alltäglichkeit, die >hohen< Gefühle, die elliptischen Wendungen und andeutenden Worte, die sprachlose Verständigung Gleichgesinnter und das >Wir-Gefühl< des exklusiven Freundschaftsbundes diese in den Briefen immer wieder auftretenden und damals geläufigen Formeln eines empfindsamen Selbstverständnisses konnten zwanglos durch musikalische Metaphorik überhöht werden. H o f f m a n n vergleicht Hippel mit einem »schönen Instrumente, dessen Saiten abgespannt sind«, in denen aber »eine Fluth entzückender Harmonien« verborgen liege; 3 Liebe und Freundschaft verhalten sich zueinander »wie der Akkord der Aeolsharfe, der alle Fibern erschüttert, zu den angeschlagenen Saiten des FortePiano, die sanft und lange in der Seele nachklingen«. 4 Vielfach reproduziert er in gängigen Redewendungen die weit verbreitete Resonanzlehre, nach deren Vorstellungen die Musik die Sprache der sympathetisch >mitklingenden Saiten< des Gefühls ist. Schubart bezeichnet ζ. B. das Clavichord als »des Herzens Resonanzboden«, 5 und für Herder spielt die Musik »in uns ein Clavichord, das unsere eigne innigste Natur ist«. 6 Unabhängig von bestimmten Musikstücken und ohne Blick auf die künstlerische Struktur der Werke scheint ausschließlich die unmittelbare Wirkung der Musik, das eigene Klavierspiel die Gefühle freizusetzen und damit über die Banalitäten des Alltags hinwegzuhelfen. Dein S. hat ganz recht - viel Seeligkeit entgeht Dir, daß Du nicht spielst N i m m nicht übel - Dein Zuhören ist gar nichts - die fremden Töne drängen Dir Ideen oder vielmehr sprachlose Gefühle auf, aber wenn Du eigne Empfindungen - die inartikulierte Sprache des Herzens aushauchst in die Töne Deines Instruments, dann erst fühlst Du, was Musik ist - Mich hat Musik empfinden gelehrt, oder vielmehr schlummernde Gefühle geweckt - Im tollsten Hypochonder spiel' ich mich mit den silberhaltigsten Passagen Benda's (des Berliners) oder Mozart's an, und hilft das nicht, so bleibt mir nichts mehr übrig, als auf alles zu resignieren.— 7
Die Eindrücke, die er bei Aufführungen von Opern und Oratorien empfängt, schildert er ausschließlich nach der Intensität, mit der der musikalische Ausdruck auf ihn wirkte. Karl Heinrich Grauns Oratorium 3
Brief an Hippel v o m 28. Mai 1796, Bw I, S. 92 Brief an Hippel vom 15. März 1797, Bw I, S. 117f 5 C. F. D. Schubart, Bd. 6, a.a.O., S. 70 6 J. G. Herder, Sämtliche Werke. Hg. v. B. Suphan. Berlin 1877 - 1899, Bd. 22, S. 68 7 Brief an Hippel vom 25. Jan. 1796, Bw I, S. 82; vgl. auch Brief an Hippel vom 22. Sept. 1795, Bw I, S. 64f
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>Der Tod Jesu< erregte in ihm Empfindungen, die er »nicht beschreiben kann«. Besonders hervorgehoben wird bezeichnenderweise die Arie >Ihr weichgeschaffnen SeelenDon Giovanni< - die Don Juan in den »Konflikt der göttlichen und dämonischen Kräfte« 9 stellt fasziniert ihn 1795 noch »das Abwechseln der Leidenschaften« 10 und die Spannweite der Gefühlsregungen, die diese Musik umfaßt. Die »viel[en] neue[n] Schönheiten« der Musik erschließen sich ihm mit Hilfe eines Klavierauszugs, wenn er »mit einer Art von tiefem Studium zu jedem einzelnen Takt den gehörigen Ausdruck sucht - « . " Auch die zunächst so irritierende Überlegung Hoffmanns, ob er nicht die Musik mit der Malerei vertauschen solle, ist auf die emotionale Wirkung der Musik zurückzuführen. Ich liebe nicht mehr die Musik - es ist wahr, was Jean Paul sagt, die Musik legt sich um unser Herz, wie die Löwenzunge, welche so lange kitzelnd und juckend auf der Haut liegt, bis Blut fließt! - so ungefähr lautet die Stelle - Sie macht mich weich wie ein Kind, alle vergeßne Wunden bluten aufs neue [· · J.12
Nicht Mozarts >Don Giovanni< oder eine Symphonie von Haydn erinnert ihn an die »vergeßnen Wunden« - gemeint ist damit seine frühere Beziehung zu Frau Hatt - und ruft unerträgliche Gefühlswallungen hervor, sondern der Klang einer Flötenuhr, die »das Mozartsche Vergißmeinnicht in feyerlichen Tönen spielte - [.. .]«.13 Darin unterscheidet sich der junge H o f f m a n n aber keineswegs von der Musikanschauung seiner Zeit. Auch in Jean Pauls >Hesperus< genügt dies einfache Lied - noch dazu von dem Wandermusikanten F. Koch auf der >Maultrommel< geblasen -, um bei den Zuhörern Rührung und Tränen hervorzurufen. Endlich warf nur noch der letzte Ton des Liedes seine melodischen Kreise im Äther und flöß auseinander über eine ganze Vergangenheit - dann hüllte ihn ein fernes Echo in ein flatterndes Lüftchen und wehte ihn durch tiefere Echo hindurch und endlich an das letzte hinüber, das rings um den Himmel liegt 8
Brief an Hippel vom 4. April 1795, Bw I, S. 60f Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke. Hg. und mit einem Nachwort versehen v. Walter Müller-Seidel. München 1960, S. 75 10 Brief an Hippel vom 4. März 1795, Bw I, S. 59 " Brief an Hippel vom 4. März 1795, Bw I, S. 59 12 Brief an Hippel vom 15. März 1797, Bw I, S. 118 13 Ebd. S. 118f; vgl. dort auch F. Schnapps Hinweis, daß die Komposition dieses Lieds nicht von Mozart stammt (Anm. 3). 9
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dann verschied der Ton und flog als eine Seele in einen Seufzer Klothildens. Da entfiel ihr die erste Träne, wie ein heißes Herz, auf Viktors Hand.14
Die Intensität des Musikerlebnisses ist in keiner Weise von der durchgeformten musikalischen Struktur, der künstlerischen Qualität des Werks und der Interpretation abhängig. Entscheidend ist aus Jean Pauls Perspektive nur die Sensibilität für das Unsagbare des subjektiven Empfindens. So betont er, daß nur ein Mensch, der »sehr zart« sei, »ohne Bedenken mit stiller zerfließender Seele dem Franz Koch« 15 zuhören könne. Wie weit verbreitet diese >Literarisierung< der Musik war, zeigt nicht nur das in vielen Partien von der Musikthematik durchzogene Werk Jean Pauls. In Laurence Sternes >Tristram Shandy< - einem Roman, den H o f f m a n n sehr schätzte - trifft Tristram im Verlauf seiner Reise auf ein Flöte spielendes junges Mädchen, das über einer unglücklichen Liebe den Verstand verloren hat. Ihrem einfachen Spiel glaubt er mehr zu entnehmen, als er durch Worte hätte erfahren können, »denn in diesem selben Augenblick griff sie zur Flöte und blies [ihm] darauf eine Erzählung von solchem Weh und Leid, daß [er sich] erhob und mit wankenden, ungleichen Schritten sachte zu [sjeiner Kutsche ging«. 16 Nur vor dem Hintergrund der Bemühung, die Musik als Kunst über der Musik als Empfindungssprache vergessen zu lassen, ist in Karl Philipp Moritz' Roman >Andreas Hartknopf. Eine Allegorie< die scheinbar paradoxe Charakterisierung des Titelhelden zu verstehen: »Hartknopf wäre ein großer Musikus gewesen, wenn er gleich nie hätte die Flöte blasen, und das Klavier spielen lernen.« 17 Auch wenn das einzelne Musikstück einmal genannt wird, wie ζ. B. in H. Jung-Stillings >LebensgeschichteZaubers< des Phantasiebildes wird mit der störenden Einwirkung der Wirklichkeit beschlossen. Und entgegen seinen hochgespannten Erwartungen registriert Hoffmann sehr kritisch, daß dem Aufschwung der Phantasie »insgemein Dauer« fehle und er sogar ein Gefühl des Ungenügens hinterläßt.42 Daher sucht er noch orientierungslos in den verschiedenen Kunstformen, in Werken unterschiedlichster Qualität nach Anhaltspunkten für seine Phantasievorstellungen. Kennzeichnend ist, daß er wahllos alle Anregungen aufgreift, in seiner Suche nach einer phantastischen Gegenwelt aber noch nicht über den Horizont seiner Vorlagen hinausgelangt. »dem Höchsten, dessen seine Seele begehrte und bedurfte. Nicht zufrieden, sich dieses Urbild selbst geschaffen zu haben, stattete es seine Phantasie auch mit den köstlichsten Farben aus« (Ε. T. A. Hoffmann in Aufzeichnungen, a.a.O., S. 34 (Nr. 27)). 41 Brief an Hippel vom 19. Febr. 1795, Bw I, S. 54 42 Brief an Hippel vom 7. Dez. 1794, Bw I, S. 45. - H o f f m a n n s Ausrichtung auf seine Phantasiebilder führt häufig zu hypochondrischen Anwandlungen (vgl. Brief an Hippel vom 22. Sept. 1795, Bw I, S. 65). Diese Erfahrung ist symptomatisch f ü r den Schwärmer: »Seine Flucht aus dieser Wirklichkeit in eine schönere Phantasiewelt ist naturgemäß jedoch nicht von Dauer. [...] immer folgt auf die Ausschweifung der Phantasie der Rückfall auf den Boden der Wirklichkeit, der um so härter wirkt, je höher sich der Schwärmer verstiegen hatte.« (Lothar Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität, a.a.O., S. 92, vgl. auch ff)
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An den damaligen politischen Ereignissen, den Vorgängen der Französischen Revolution nahm er keinen Anteil. 43 Eine wesentlich stärkere Anziehungskraft übten neben der Lektüre Shakespeares, Sternes und Jean Pauls die >Natürliche Magie< von Wiegleb, Schillers >Die RäuberDon Carlos< und >Der Geisterseher< sowie Karl Grosses Roman >Der Genius< aus. Ähnlich wie der junge Tieck wird er neben Grosses >Genius< auch die damals verbreiteten Romane von Chr. A. Vulpius oder J. G. Cramer gelesen haben, denen er im Dezember 1812 nur noch zögernd ein »gewisses Bürgerrecht in der Lesewelt« 44 zuspricht. In der Erzählung >Der Elementargeist< spiegeln die literarischen Jugendeindrücke Viktors Hoffmanns eigene Faszination durch die Modeströmung der Trivial- und Schauerromane wieder, die dem jugendlichen »Hang zum Mystischen, zum Wunderbaren« entgegenkamen und dem Leser »ein magisches Reich voll überirdischer, oder besser unterirdischer Wunder erschlossen [.. .]«.45 Auf rationalistische Manier wurde der Eindruck des Unheimlichen, Phantastischen in diesen Romanen allerdings wieder aufgehoben, indem sich das gespenstische Geschehen auf die Aktivitäten eines Geheimbundes oder auf die psychologische Erklärung eines außergewöhnlichen Verbrechens zurückführen ließ. 46 Wenn die Wirkung dieser Romane Leser wie Hoffmann oder Tieck bis an die Grenze des Ertragbaren aufstachelte, 47 so lag dies an dem raffiniert auf Reizwirkung abgestimmten Instrumentarium bizarrer und gespenstischer Versatzstücke, die ihre Phantasie beschäftigten und den Ausblick auf eine Sphäre des Geheimnisvollen suggerierten. 48 Aus Hoff43
Dies berichtet Hippel für die Jahre 1792/93, die Zeit der Koalitionskriege, der Hinrichtung Ludwigs XVI. und der beginnenden Schreckensherrschaft Robespierres (vgl. Ε. T. A. Hoffmann in Aufzeichnungen, a.a.O., S. 25 (Nr. 13)). Ähnliche Beobachtungen sind mit einem Unterton des Befremdens auch aus seiner Warschauer Zeit 1804 - 1807 (vgl. ebd. S. 115), u. a. für den Zeitraum der Besetzung durch französische Truppen (vgl. ebd. S. 111, 114) überliefert.
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So in der Anzeige für die Leihbibliothek von C. F. Kunz, Bw III, S. 34. - In seinen Tagebüchern erwähnt er nachträglich die Lektüre der R o m a n e >Der verworfene Julius< und >Der deutsche Alcibiades< von J. G. Cramer, bemerkt dazu aber im Oktober 1803: »Das ganze Geschreibsel ist wirklich unter aller Critik.« (Ε. T. A. Hoffmann, Tagebücher. Nach der Ausgabe Hans v. Müllers mit Erläuterungen hg. v. Friedrich Schnapp. München 1971, S. 57f) Ε. T. A. Hoffmann, Späte Werke. Mit einem Nachwort von Walter MüllerSeidel und Anm. v. Wulf Segebrecht. München 1965, S. 375 Darauf verweist Marianne Thalmann, Der Trivialroman des 18. Jahrhunderts und der romantische Roman. Berlin 1923. Vgl. auch Norbert Miller, Das Phantastische, a.a.O., S. 34f Tieck berichtet darüber Wackenroder in seinem Brief vom 12. Juni 1792 (W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 315ff). Vgl. Marianne Thalmann, Die Romantik des Trivialen. Von Grosses >Genius
Cornaro< und >Der Geheimnisvolle< ist zu entnehmen, daß er sich noch an gängige Schemata hielt und vor allem auf überraschende oder geheimnisvolle Effekte abzielte. Es mag verwundern, daß die Malerei - abgesehen von seinem früh entwickelten Hang zur karikaturistischen Verzerrung - bei Hoffmann ähnliche Wirkungen auslöste wie die Musik und zeitweise sogar deren Stellung übernehmen konnte. In einer Briefäußerung über ein Porträt deutet er an, worauf der Ausdruck eines Gemäldes zurückzuführen sei. S. ist gewiß ein großer Künstler, denn es ist nur zu sichtbar - daß es ihm gelungen ist, nicht allein die Züge genau zu kopiren, sondern auch dem Bilde den Geist einzuhauchen, der nur allein fähig ist ein Bild in der Ähnlichkeit brauchbar zu machen [.. .].4'
Unter dem Einfluß der Gefühlsästhetik versuchte die Porträtmalerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nicht nur das Äußere abzubilden, sondern das Seelische, das Wesen eines Menschen in seinen Gesichtszügen widerzuspiegeln. Auch in der Malerei sollte für den Betrachter das Äußere für nachempfindbare innere Wesenszüge transparent werden. Hoffmanns Bemerkung ordnet sich in diese Zeitströmung ein. Und nicht nur in der Porträtmalerei fühlt er sich von dem Ausdruck der Darstellung besonders angesprochen. Sein Bericht an Hippel über die Kunstausstellung in Berlin 1798 hebt generell die im Werk dargestellten Empfindungen und die unmittelbare Wirkung auf den Betrachter hervor. J. Ph. Hackerts arkadische idyllische Parklandschaften mit ihren »bloßen Stimmungswerten des Augenblicks« 50 würdigt er noch als »ganz vortreffliche Landschaften nach der Natur«, 51 von einer Zeichnung fühlt er sich vor allem »ihres unnachahmlichen Ausdrucks wegen sehr angezogen«, er kann »zur Bewunderung hingerissen« werden und angesichts der Gemälde der italienischen Renaissance »in Enthusiasmus geraten«. 52 Auch damit bleibt Hoffmann noch ganz im Rahbis Tiecks >William Lovelle München 1970, S. 114. - Diese Anregungen durch die Schauerliteratur werden sich in Hoffmanns literarischem Werk fortsetzen (vgl. Klaus Kanzog, Ε. T. A. H o f f m a n n und Karl Grosses >GeniusDie Jesuiterkirche< mit Blick auf eine romantisch verstandene Landschaftsmalerei wesentlich distanzierter äußern. 53 Seine musikalische Ausbildung wird in dieser Zeit durch die expressiven Strömungen bestimmt. Sein Klavierlehrer C. G. Richter galt als hervorragender Interpret der Werke C. Ph. E. Bachs, 54 seine Phantasievorstellungen entzündeten sich an den Werken Mozarts und Franz Bendas.55 In Generalbaß und Kontrapunkt unterrichtete ihn der von Reichardt hochgeschätzte Königsberger Organist Chr. W. Podbielsky, der von Forkel im aufklärerischen Tonfall darauf hingewiesen wird, er solle »gewisse wilde Ausdrücke kennen und vermeiden [...] lernen«. 56 In den Jahren 1798 bis 1800, in denen er in Berlin als Referendar am Kammergericht arbeitete, hatte er keinen Kontakt zu den regen literarischen Zirkeln der neuen romantischen Bewegung, 57 sondern ließ sich von Reichardt in Kompositionslehre und Instrumentierung unterrichten. 58 Noch in seiner Königsberger Zeit besuchte er Singspielaufführungen, erlebte Werke der italienischen Oper und war tief beeindruckt von Mozarts >Don GiovanniDer Musikfeind< und >Die Fermateschwere Styl< der Musik J. S. Bachs, die an Popularität den Cembalowerken seines berühmten Sohnes Carl Philipp weit unterlegen war, wurde ζ. B. von Reichardt als »canonische Künstelei« abgelehnt, in der der »Geist der Symmetrie oder Mathematik« vorherrsche und der »hohe Wahrheitssinn und das tiefe Gefühl für Ausdruck« 5 9 dagegen fehle. In der Erzählung >Die Fermate< werden jedoch die Eindrücke von der Musik Bachs, die auf Hoffmanns Erinnerungen an das Spiel seines Klavierlehrers C. G. Richter zurückgehen, in einer Weise geschildert, die auch die Wirkung der Schauerromane kennzeichnen könnte. Ganz wunderbar wurde mir dann oft zu Muthe, mancher Satz vorzüglich von dem alten Sebastian Bach, glich beinahe einer geisterhaften graulichen Erzählung, und mich erfaßten die Schauer, denen man sich so gern hingibt in der fantastischen Jugendzeit. 60
Seine Begeisterung für >Don Giovanni< spiegelt, abgesehen von der Handlung, seine Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksbereichen, denn um 1800 rief die Musikdramatik in Mozarts Oper häufig Ablehnung und Unverständnis hervor. 61 Auch in der Musik sieht er damals vor allem ein Stimulans zur Entfaltung schwärmerischer Phantasiewelten. In seinen eigenen Kompositionen entfernt er sich manchmal bewußt von gängigen Vorlagen und wählt für die Motette >Judex ille< den Text der Dom-Szene aus Goethes Faust. 62 Er ist bereits damit zufrieden, daß die Motette vom Sujet und von der ausgefallenen Instrumentierung her »eine schauervolle Wirkung thun« 6 3 müßte. Die Überlegungen des jungen H o f f m a n n sind in zweifacher Hinsicht aufschlußreich für das Verständnis seiner Kunstanschauung und seiner weiteren literarischen Entwicklung. Einerseits war die Musik für ihn ursprünglich nur eine, wenn auch nicht unbedeutende Kunst neben anderen, in der die Vorstellungen des Komponisten oder des Interpre59
Zit.n. Walter Salmen, Johann Friedrich Reichardt, a.a.O., S. 209 Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder. Mit einem Nachwort von Walter Müller-Seidel und Anm. v. Wulf Segebrecht. München 1973, S. 59 61 Vgl. dazu Karl Gustav Feilerer, Zur Mozart-Kritik im 18./19. Jahrhundert. In: Mozart-Jahrbuch 1959. Salzburg 1960, S. 80-94 62 Vgl. Brief an Hippel vom 26. Okt. 1795, Bw I, S. 68: »[...] und neulich legt' ich den Anfang eines Motetts von eigner Composition auf - aber den Text dazu wirst D u schwerlich rathen - er ist aus Goethe's Faust - [...].« 63 Ebd. 60
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ten möglichst unmittelbar zum Ausdruck kommen oder schauerliche Wirkungen< erzielt werden sollten. Dabei zeichnet sich in den Jugendbriefen bereits eine wesentliche Grundkonstante seiner späteren Wirklichkeitsanschauung ab. Die kontrastierende Gegenüberstellung der beengenden Wirklichkeit und eines imaginären Phantasiebereichs, der eine wunderbare Gegenwelt erschließen soll, ist eine Vorstufe zu Hoffmanns späterer Überzeugung, daß die Wirkung einer Symphonie Beethovens dem in der Alltagswelt befangenen Hörer eine Ahnung von einem überwirklichen >Geisterreich< vermitteln solle. Allerdings ist sich der junge H o f f m a n n der Vorläufigkeit und Brüchigkeit seiner schwärmerischen Phantasmagorien sehr wohl bewußt. Zum anderen sind damit aber nur vage Umrisse der spezifischen Kunst- und Wirklichkeitsproblematik Hoffmanns vorgeformt. Sie bildet sich erst heraus, als er unter dem Eindruck der Instrumentalmusik Beethovens die Musik in eine exponierte Sonderstellung rückt und dabei nicht nur als Kunst um ihrer selbst willen betrachtet, sondern auch als Repräsentation eines romantisch verstandenen Sinnzusammenhangs der Wirklichkeit einschätzt. Die Aufwertung der Kunstmusik zur >romantischsten aller Künste< markiert den entscheidenden Wendepunkt in Hoffmanns Entwicklung. Dies zeigt nicht nur der Wandel, der sich zwischen seinen frühen Äußerungen und der romantischen Apotheose der Musik in den Musikrezensionen vollzogen hat. Darüber hinaus findet er seine eigene Kunstkonzeption in der Auseinandersetzung mit der Kunstmusik, integriert die vielfältigen Einflüsse, die er aufgenommen hat, in seine Metaphysik der Instrumentalmusik und vollzieht schließlich mit der literarischen Verarbeitung seiner Musikproblematik den Übergang vom Musiker zum Dichter. 64 Der Weg Hoffmanns zu seiner eigenen vielschichtigen Musik- und Kunstvorstellung verläuft somit, in geistesgeschichtlicher Terminologie gesprochen, von der Aufklärung, der spätaufklärerischen Schauerli64
Norbert Miller schließt aus seinem Überblick über die Vorstellungswelt des jungen Hoffmann, daß er zum Dichter geworden sei, weil für ihn die Musik über dem Dualismus von >Innensicht und Außensicht< stehe. »Die Erkenntnis, daß die Musik nichts anderes verkünden könne >als die Wunder jenes Landes, von dem sie zu uns herübertöntWunderbaren< verbürgen soll. 6 7 Daran, daß H o f f m a n n in s e i n e n R e z e n s i o n e n u n d A u f s ä t z e n das romantische Kunstwerk selbst als Manifestation des >Romantischen< u n d nicht nur als Auslöser subjektiver Phantasiewelten versteht, zeigt sich, wie weit er über Jean Paul hinausgeht. Jean Paul weitet bereits den Bereich der E m p f i n d u n g zur A h n u n g einer transzendenten Phantasie65
Zu Hoffmanns Beeinflussung durch Jean Paul vgl. Johann Cerny, Jean Pauls Beziehung zu Ε. T. A. Hoffmann. In: Programm des Κ. K. Staats-Obergymnasiums in Mies (1907), S. 3-20 und (1908), S. 5-23; Robert Herndon Fife, Jean Paul Friedrich Richter and Ε. Τ. A. Hoffmann. Α study in the relations of Jean Paul to romanticism. In: PMLA 22 (1907), S. 1-32 66 So charakterisiert Fritz Martini Hoffmanns Entwicklungsgang, vgl. ders., Die Märchendichtungen Ε. Τ. A. Hoffmanns, a.a.O., S. 158f. - Hitzig weist ausdrücklich darauf hin, daß er in Warschau H o f f m a n n mit frühromantischen Gedankengängen bekannt machte. »Nächstdem war Hitzig in den unmittelbar vorhergegangenen Jahren eine Gunst des Geschickes zu Theil geworden, welche es H o f f m a n n gerade versagt hatte, er hatte sie nämlich in Berlin zugebracht, wo August Wilhelm Schlegel damals seine Vorlesungen hielt, und, durch glückliche Verhältnisse unterstützt, mit den neuesten Erzeugnissen der Literatur und zum Theil auch mit ihren Schöpfern Bekanntschaft gemacht, [...]. Was konnte ihm [i. e. Hoffmann, Anm.d.Verf.) unter solchen Umständen der neue Freund nicht alles erzählen, und welche unbekannte Welt ihm erschließen, als er ihm aus seiner Büchersammlung den Sternbald, den Schlegelschen Calderon und dergl. mehr mittheilte.« (Zit.n. Ε. Τ. A. Hoff mann in Aufzeichnungen, a.a.O., S. 92f) 67
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Für die weitere Entwicklung Hoffmanns ist es dabei nicht unwesentlich, daß er durch Hitzigs Bericht über die Berliner Vorlesungen A. W. Schlegels mit der frühromantischen Kunsttheorie vertraut wurde. Denn A. W. Schlegel hatte die zentralen Argumente der frühromantischen Theorie - so ζ. B. des Novalis, F. Schlegels und Schellings - aufgegriffen und versucht, sie in systematisierter Form in seinen Vorlesungen zu verbreiten und einem weiteren Publikum einen Begriff von den Intentionen des romantischen Kunstverständnisses zu vermitteln. Auf diesem Wege übernahm H o f f m a n n sicherlich wesentliche romantische Gedanken, die in seinen musikalischen Schriften immer wiederkehren, so ζ. B. die Vorstellung von der Autonomie des Kunstwerks, von der untrennbaren Einheit von Form und Inhalt im >organischen< Kunstwerk, von der notwendigen Verbindung von Gefühl und Urteil in der Kunstkritik und vom romantischen Genie.
welt aus. Er warnt jedoch vor »der Unart, den köstlichen Ersatz der Wirklichkeit und die Wirklichkeit zugleich zu begehren«. 68 Zwar ist er davon überzeugt, daß »die Töne ihre Allmacht von dem Sinne des Grenzenlosen überkommen«, 6 9 aber auch in der Musik sind letztlich nur die ausgelösten Phantasien und nicht das einzelne Kunstwerk von Bedeutung. Eine Symphonie Haydns oder ein Konzert von Stamitz steht als Kunstwerk in keiner Beziehung zu den illusionären Phantasiewelten, die musikalischen Eindrücke müssen erst in nur subjektiv gültige Traumbilder umgesetzt werden. 70 Die Romantiker fordern dagegen, daß ein Kunstwerk selbst eine fiktive Wirklichkeit aufbaue, die als eigentlich wahre gelten soll. Hoffmanns Metaphysik der Instrumentalmusik ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Allerdings wäre es falsch, Hoffmanns Position einer Klischeevorstellung vom romantischen Gefühl und Unsagbaren des musikalischen Ausdrucks unterschiedslos anzupassen, zumal in der Literatur der Romantik die Musik nicht ausschließlich als vages Symbol des Unendlichen erscheint, sondern auch in ihrem Kunstcharakter berücksichtigt wird. Daß in Hoffmanns Musikerfahrung der Kern seiner eigenständigen Kunst- und Wirklichkeitsanschauung angelegt ist, läßt sich in einem Vergleich mit musikästhetischen Überlegungen anderer romantischer Dichter demonstrieren. Denn die jeweilige Perspektive, aus der die Musikthematik gesehen wird, gibt Aufschluß über die Differenzen der verschiedenen romantischen Kunstvorstellungen, über ihre unterschiedlichen Aussagen zum Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. Als Anhaltspunkt für einen Vergleich der musikästhetischen Äußerungen von Wackenroder, Tieck, F. Schlegel und Novalis mit denen Hoffmanns dienen zwei zentrale Postulate der romantischen Kunst68
Jean Paul, Über die natürliche Magie der Einbildungskraft, a.a.O., Bd. 4, S. 205 69 Ebd. S. 204 70 Ebd. - In diesem Sinne - und nicht mit Blick auf eine Potenzierung wie in F. Schlegels Wendung >Poesie der Poesie< - überschreibt Jean Paul in den >Flegeljahren< mit der Wendung >Musik der Musik< das Kapitel, in dem Walt in einem Konzert eine Symphonie Haydns und das Spiel des angeblich blinden Flötisten Vult hört. Die Symphonie Haydns, das musikalische Kunstwerk, dient Walt nur als Vorbereitung für die Entfaltung seiner Gefühle. Im >Hesperus< beschreibt Jean Paul die Ouvertüre, die in dem Konzert von Stamitz gespielt wird, als »Staubregen, der das Herz für die großen Tropfen der einfachem Töne aufweicht. Alle Empfindungen in der Welt bedürfen Exordien; und die Musik bahnet der Musik den Weg - oder die Tränenwege« (Hesperus, a.a.O., S. 775, vgl. auch S. 948).
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reflexion, die allen Überlegungen zur Bedeutung der Kunst zugrundeliegen und häufig in Widerspruch zueinander treten. Zum einen soll die Kunst einen idealen Bereich eröffnen, der als utopisches Gegenbild von der empirischen Wirklichkeit abgesondert ist, zum anderen soll diese ästhetische Perspektive in einen übergreifenden, häufig pantheistisch oder naturphilosophisch verstandenen Sinnzusammenhang der Wirklichkeit wiederum eingeordnet werden. H o f f m a n n s Äußerungen sollten aber nicht von vornherein zur Klage über eine scheinbar verworrene, oberflächliche und eklektische Verwendung frühromantischer Terminologie führen. Entscheidender ist, wie er bei dem Übergang von der Gefühlsästhetik zu romantischen Vorstellungen damals verbreitete Theoreme gewissermaßen als Versatzstücke einsetzt und seine ursprüngliche Konzeption zu seiner eigenen Anschauung vom >Romantischen< der Kunstmusik ausweitet. In den unterschiedlichen Argumentationen, mit denen sich sowohl Wackenroder als auch Tieck von der Modeerscheinung der >Empfindelei< abgrenzen, werden die verschiedenen Entwicklungslinien deutlich, die zu einer romantischen Musikästhetik führen und denen auch Hoffmann in seinen Überlegungen teilweise folgt. Wackenroders entscheidendes Problem bei der Umwandlung des Empfindsamen in eine romantische Musikanschauung ist enthalten in seiner rückhaltlosen Zustimmung zu dem Ausspruch Luthers, »daß nächst der Theologie unter allen Wissenschaften und Künsten des menschlichen Geistes, die Musik den ersten Platz einnehme«. 7 1 So sehr Wackenroder noch in der Tradition der Gefühlsästhetik steht - Berglinger unterscheidet Tonstücke nur nach den Gefühlen, die sie auslösen -, vollzieht sich bei ihm doch der entscheidende Schritt zu einer romantischen Musikästhetik, wenn über die sympathetische Geselligkeitskultur hinausgehend nur die »künstliche, kühne, so dichterische« 72 Instrumentalmusik eine autonome Sphäre verabsolutierter Gefühle eröffnet. Er lehnt die durch den Text noch an Formen der Wirklichkeit gebundene Vokalmusik ab, da nur in der inhaltlich unbestimmten Aussage der Instrumentalmusik »eine ganze Welt, ein ganzes Drama menschlicher Affekte ausgeströmt ist«. 73 Diese Gefühle sind nicht mehr nur begrifflich unfaßbar. Völlig losgelöst von intentionalen Bezügen werden sie in der Musik als abstrakte Gefühle schlechthin 71 72 73
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W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 60 Ebd. S. 224 Ebd. S. 226
erfahrbar. Für Berglinger kennt die Musik »in ihrer Unschuld weder den Ursprung noch das Ziel ihrer Regungen, kennt nicht den Zusammenhang ihrer Gefühle mit der wirklichen Welt«. 74 Mit ähnlichen Wendungen setzt Ε. T. A. Hoffmann die Vokalmusik, »wo die hinzutretende Poesie bestimmte Affekte durch Worte andeutet«, von dem »Unaussprechlichen« in Beethovens Instrumentalmusik ab. Beethovens Leistung sieht er nicht zuletzt darin, daß er in seiner Musik an reale Anlässe gebundene Affekte in eine Sphäre verabsolutierter Gefühle überführt. Wackenroders Zustimmung zu dem Ausspruch Luthers, daß die Musik den ersten Platz in der Kunst nur »nächst der Theologie« einnehme, zeigt, daß der metaphysische Charakter der Instrumentalmusik in seinem Konzept nicht ausschließlich aus der überragenden Stellung der Kunst abzuleiten ist. Mit einer Umdeutung der Äußerungen Raffaels über sein Galatea-Gemälde versucht er zu suggerieren, daß »die größten Meister« den Anstoß zu ihren Werken »nur durch göttliche Eingebung erlangt haben«, 75 und Berglinger verehrt in der Musik ihre »tiefgegründete, unwandelbare Heiligkeit« 76 und zieht sich zurück »in das Land der Musik, als in das Land des Glaubens«. 77 Wackenroder stellt die Kunst in eine bisher einmalige Ranghöhe, da das religiöse Bewußtsein nur in ihr seine Bestätigung erfahren kann. Allerdings bleibt auch durch die ästhetische Vermittlung hindurch das religiöse Moment noch als solches eigenständig erhalten. Mit der Orientierung an der Religion kann die Instrumentalmusik noch nicht als ein Bereich sui generis legitimiert werden, sie ist letztlich >Magd der Theologien 78 Der Versuch, die Instrumentalmusik, die, »in ihrer jetzigen Vollendung, die jüngste unter allen Künsten ist«, 79 noch aus dem Zusammenhang einer primär theologisch verstandenen Kunst- und Gefühlsreli74
Ebd. S. 224 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 12. - Zu dieser Umdeutung vgl. Friedrich Strack, Die »göttliche« Kunst und ihre Sprache. Zum Kunstund Religionsbegriff bei Wackenroder, Tieck und Novalis. In: Romantik in Deutschland. Ein interdisziplinäres Symposion. Hg. v. Richard Brinkmann. Stuttgart 1978, S. 370f 76 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 221 77 Ebd. S. 204; vgl. ebd. S. 115, 211 78 Zur Stellung der Kunst bei Wackenroder vgl. Friedrich Strack, Die »göttliche« Kunst, a.a.O., S. 372f, 374. Zur Musikanschauung Wackenroders vgl. Elmar Hertrich, Joseph Berglinger. Eine Studie zu Wackenroders MusikerDichtung. Berlin 1969, S. 113ff, zur Beziehung Religion - Musik vgl. ebd. S. 154ff 79 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 219
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gion abzuleiten, scheitert an ihrem »kunstreiche[n] System«. 80 Zwar bezog sich Wackenroder nie auf bestimmte Musikstücke, er war sich aber der Tatsache bewußt, daß die Wirkung der Instrumentalmusik nicht unabhängig von ihrer künstlerischen Form gedacht werden kann. Die Musik, die er als höchste Äußerungsform eines >göttlich< inspirierten Kunstenthusiasmus begreift, erweist sich bei näherem Hinsehen als raffiniert ausgeklügeltes Artefakt, als »täuschender, trüglicher Aberglaube«. 81 Die Steigerung der künstlichen Instrumentalmusik zur >Ahnung des Unendlichem zeigt deren Zweideutigkeit, da die Musik sich nicht mehr in einen umfassenden Lebenszusammenhang eingliedern läßt, sondern ihn selbst zu erstellen versucht und scheitert. Wenn aber die Engel des Himmels auf dieses ganze liebliche Spielwerk herabsehen, das wir Kunst nennen, - so müssen sie wehmütig lächeln über das Kindergeschlecht auf der Erde, und lächeln über die unschuldige Erzwungenheit in dieser Kunst der Töne, wodurch das sterbliche Wesen sich zu ihnen erheben will.82
Auch Hoffmann wird bei seiner Bestimmung des >Romantischen< in der Musik um die Frage kreisen, wie die unbestimmte Schilderung der aus intentionalen Bezügen losgelösten Gefühle mit dem artifiziellen Kalkül der musikalischen Form zu vereinbaren sei. Im Gegensatz zu Wackenroder begreift Hoffmann aber die Musik nie als eine genuin religiöse Aussageform. In seinen Bemühungen, die Phantasiewelten über den bloßen Anspruch hinaus behaupten zu können und gegen den Einwand, es handle sich dabei nur um nicht ernst zu nehmende Phantastereien, abzusichern, steht er hinsichtlich der Ausgangslage wie auch der weiteren Entwicklung Tieck näher. Unabhängig von den Ansätzen der idealistischen Philosophie, aus der die Jenaer Frühromantik wesentliche Anregungen bezog, prägen sich bei Hoffmann und Tieck in der Auseinandersetzung mit der Gefühlsästhetik Denkmuster aus, die wesentliche Komponenten ihrer Version des romantischen Poesiebegriffs vorbilden. Während es für Wackenroder in den Briefen aus dem Jahr 1792 um die »wahre, echte Empfindung« in der Kunst geht, die nicht affektiert ist, macht Tieck die rührenden Gefühle von der Größe und Bedeutung des vorgestellten Gegenstandes abhängig. 83 Auf der Suche nach Ansatzpunkten, wie eine Empfindung künstlerisch adäquat wiederzugeben 80 81 82 83
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Ebd. S. 218 Ebd. S. 2 3 0 ; vgl. dazu auch E l m a r Hertrich, Joseph Berglinger, a.a.O., S. 126ff W . H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 208 Vgl. ebd. S. 309f
sei, lehnt Tieck die O d e n k o n z e p t i o n Wackenroders 8 4 bereits mit Argum e n t e n ab, die auch seine Einschätzung der Musik b e s t i m m e n werden. Deine Idee von individuellen Empfindungen kann ich also durchaus nicht billigen, selbst der dramatische Dichter wird sie nie so ganz darstellen können, schon die Sprache nötigt mich, sie allgemeiner, (genereller) zu machen, wollte ich ganz meine Empfindungen niederschreiben, so müßte ich erst eine eigne Sprache erfinden, und dann würde mich niemand verstehn, und erlernte er auch diese Sprache, so bleibt immer noch die Frage übrig, ob er auch dieselben Empfindungen hat. - Dies macht das Idealisieren bei den Dichtern notwendig [.. ,].85 Tieck sucht nach Möglichkeiten, bei der Gestaltung einer E m p f i n d u n g den a l l g e m e i n e n begrifflichen Charakter der Sprache durch die >Idealisierung< der Darstellung zu u m g e h e n . D a b e i versteht er die Empfind u n g e n nicht mehr als genau bestimmbare u n d eindeutig abgegrenzte Erfahrungsmomente, sie sind vieldeutig, unerklärbar und sich ständig wandelnd, ein » C h a o s v o n dunklen E m p f i n d u n g e n « . 8 6 W e r d e n die Vorstellungen und E m p f i n d u n g e n in der sprachlichen Darstellung geordnet u n d ausgesprochen, so haben sie den Charakter einer individuellen E m p f i n d u n g bereits verloren und existieren nur n o c h als Fiktion, als Schein. In Tiecks R o m a n »William Lovell< verfällt Balder über dieser Erfahrung in tiefe Depressionen: Ich will Worte schreiben, William, Worte - das was die Menschen sagen und denken, Freundschaft und Haß, Unsterblichkeit und Tod - sind auch nur W o r t e . - Wir leben jeder einsam für sich, und keiner vernimmt den andern, antwortet aber wieder Zeichen aus sich heraus, die der Fragende eben so wenig versteht. 87 A u c h der j u n g e H o f f m a n n fragt mit Blick auf die » K e t t e n « des »empirischein] Alltagsleben^]«: » [ . . . ] a m Ende sind diese Ketten vielleicht nur das Spiel unserer Einbildung?« 8 8 D i e Bewußtseins- u n d Wirklich84
Diese Oden sollten »treue Gemälde der Empfindung und Leidenschaft sein, ganz individuell und ganz nach der Natur gemalt«. (W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 384) 85 Ebd. S. 403 f. - An diesem Problemkreis setzt Gerhard Kluge an, der das »allmähliche Herauswachsen einer romantischen Formensprache aus den literarischen Klischees« beim jungen Tieck aufgezeigt hat (ders., Idealisieren Poetisieren. Anmerkungen zu poetologischen Begriffen und zur Lyriktheorie des jungen Tieck. In: Wulf Segebrecht (Hg.), Ludwig Tieck, a.a.O., S. 386-444). Unsere Fragestellung konzentriert sich auf den Stellenwert der Musik in der Herausbildung von Tiecks romantischem Konzept. 86 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 404 87 Ludwig Tieck, Schriften. Berlin 1828 - 1854, Bd. 6, S. 221 88 Brief an Hippel vom 10. Dez. 1803, Bw I, S. 177; vgl. Brief an Hippel vom 22. Sept. 1795, Bw I, S. 65; vom 19. Dez. 1795, Bw I, S. 72 45
keitsproblematik ist, ganz anders als ζ. B. bei Heinrich von Kleist, bei Tieck und Hoffmann nicht auf erkenntnistheoretische Spekulationen zurückzuführen. Hoffmann ignoriert die Philosophie Kants, 89 Tieck läßt sich zwar von F. Schlegel über Fichtes >Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre< informieren, glaubt aber damit in erster Linie seine Meinung von der subjektiven Freiheit der künstlerischen Willkür sanktionieren zu können. 90 Beiden geht es weniger um die Frage, wie ein Bild von der Wirklichkeit zustande kommt und wie es sich rechtfertigen läßt, sie suchen nach Möglichkeiten, ihren Phantasievorstellungen Beständigkeit zu verleihen. So paradox es auf den ersten Blick erscheint, bietet die Instrumentalmusik durchaus Anhaltspunkte für ihr Vorhaben. Wie Wackenroder und Hoffmann stellt Tieck die Instrumentalmusik über jede »bedingte Kunst«, 91 wozu er auch die Vokalmusik und die durch ein Programm entschlüsselbaren Instrumentalstücke zählt. Erst die neuere Entwicklung der Instrumentalmusik läßt ihn hoffen, daß die verwirrende Verflochtenheit unterschiedlichster Gefühle in ihr zum Ausdruck kommen kann. Das »Chaos von dunklen Empfindungen« findet, kompositionstechnisch gesehen, sein Äquivalent in der Aufschlüsselung und Verarbeitung musikalischer Themen und Motive. Das »Tiefste, das Wunderbarste« der unverstehbaren emotionalen Regungen deuten nur die Symphonien an, da sie »ein so buntes, mannigfaltiges, verworrenes und schön entwickeltes Drama darstellen, wie es uns der Dichter nimmermehr geben kann [.. ,]«.92 An der Wirkung der Musik interessieren Tieck daher nicht nur die ausgelösten Affekte. Vor der unbewältigten Gefühls- und Wirklichkeitsproblematik weicht er in eine romantisierte Form des >Idealisierens< aus, um auf diese Weise den fragwürdigen Wahrheitswert der Vorstellungen zu kompensieren. Die 1793 entstandene Studie >Über Shakespeares Behandlung des Wunderbarem geht von der Überlegung aus, 89
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Darüber berichtet Hippel in seinen Erinnerungen: »Ihm blieben daher auch die Kantschen Vorlesungen fremd, die er nicht zu verstehen unverhohlen zugab, wiewohl die Sitte seiner Zeit es forderte, daß jeder aus der Schule eben Entlassene seinen Kursus mit Logik, Metaphysik und Moralphilosophie bey Kant anfangen mußte - wie unverdaut und unverstanden, ist leicht zu erachten. - « (Ε. T. A. Hoffmann in Aufzeichnungen, a.a.O., S. 26 (Nr. 13) Vgl. Lothar Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität, a.a.O., S. 87; vgl. auch Dieter Arendt, Der >poetische Nihilismus< in der Romantik. Studien zum Verhältnis von Dichtung und Wirklichkeit in der Frühromantik. Bd. 1. Tübingen 1972, S. 14ff W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 254 Ebd. S. 255
warum sich Leser oder Zuschauer »ganz dem schönen Wahnsinn des Dichters überlassen«. 93 Die Kunst Shakespeares wird nun danach beurteilt, ob sie eine Phantasiewelt jenseits der Realität glaubhaft vorstellen kann. Der Bereich des >Wunderbaren< erhält damit seine eigene poetische Wahrscheinlichkeit, die sich entfalten kann, wenn »die spielende Phantasie durch keine plötzliche und widrige Überraschung aus ihren Träumen geweckt wird«. 94 Ausdrücklich räumt Tieck der Musik eine wichtige Rolle bei der Vorführung des >Wunderbaren< ein, denn gerade sie kann durch den besonderen »Einfluß der Tonkunst auf die Gemüter« 95 den Eindruck des >Wunderbaren< glaubhaft verstärken. In den >Phantasien über die Kunst< schlägt sich die unterschiedliche Nuancierung, die Wackenroder und Tieck bei der Transformierung der Gefühlsästhetik in eine Metaphysik der Instrumentalmusik vornehmen, in ihren Aufsätzen nieder. Auch Tieck bezieht wie Wackenroder konkrete Musikwerke nicht in seine Überlegungen ein, allerdings verherrlicht er die Instrumentalmusik gerade als Kunst, die das Poetische in einem artifiziell errichteten Paradies aufscheinen läßt. Die Instrumentalmusik ist der Sprache nicht nur durch ihre Unbestimmtheit überlegen, sie stellt eine von der Wirklichkeit völlig abgehobene Scheinwelt dar, da sie »ihren eignen Weg geht, und sich um keinen Text, um keine untergelegte Poesie kümmert«, 9 6 sie bleibt »in ihrer reinpoetischen Welt«. 97 Auf ähnliche Weise wird sich auch für Hoffmann in der fünften Symphonie Beethovens ein wirklichkeitsüberhobener idealer Bereich der Poesie erschließen, wenn nach seiner Charakterisierung der Zuhörer »nicht aus dem wundervollen Geisterreiche, wo Schmerz und Lust in Tönen gestaltet ihn umfingen, hinaustreten« 9 8 kann. Die Folgerungen hinsichtlich der romantischen Reichweite der Musik als Kunst fallen aber bei H o f f m a n n und Tieck unterschiedlich aus. Tieck reflektiert in den >Phantasien< bereits, daß eine Konzentration auf die künstlerische Sphäre eine völlige Entfremdung von der Wirklichkeit nach sich ziehen könnte. In Hoffmanns literarischen Werken verkörpern das Phantastische, die künstlichen Paradiese der Musik und die Wirklichkeit zwei disparate Teile einer dualistischen Welt, die sich vor allem in seinen früheren Erzählungen feindlich gegenüberstehen. 93 94 95 96 97 98
Ludwig Tieck, Kritische Schriften. 4 Bde. Leipzig 1848 - 1852, Bd. 1, S. 36 Ludwig Tieck, Kritische Schriften, Bd. 1, a.a.O., S. 37 Ebd. S. 62 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 252 Ebd. S. 255 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 50 47
Nicht zuletzt dieses Charakteristikum wird Jean Paul zur Warnung vor Hoffmanns »durch die Kunstliebe einbüßende Menschenliebe« 99 veranlaßt haben. Tieck weist zwar ausdrücklich auf die abstrakte künstliche Form der Instrumentalmusik, 100 er versucht aber den Widerspruch zwischen dem »höchst beseligende[n] Gefühl« 101 und den »Dürftigkeiten des Lebens« 102 zu vermitteln. Die Kunst wandelt für ihn die Prosa des Alltags in die Erscheinungen des Poetischen und bringt das Wesen zum Vorschein, das hinter der prosaischen Hülle verborgen ist. Die zentralen Kategorien werden für ihn die Stimmung und das poetische Gemüt, aus deren Sensibilität er seine Vorstellung vom »poetische[n] Auge« ableitet, das den Bezug zwischen Innen- und Außenwelt harmonisiert. 103 Nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit der Instrumentalmusik öffnet Tieck den Blick für entscheidende Momente seiner romantischen Konzeption, trotzdem hat er daraus nicht den Schluß gezogen, der Musik den Vorrang vor der Dichtung einzuräumen. Zum einen kann nach seiner Meinung die Musik ebenso wie die Dichtung das anvisierte metaphysische Moment nicht vollkommen verwirklichen. 104 Daneben setzt er seine Vorstellungen von der Musik um in seine Konzeption einer Musikalisierung der Dichtung, einer musikalischen Stimmungspoesie, in der das Inhaltliche des Gedichts durch die Stimmung, durch musikalische Strukturen wie Reim, Metrum etc. weitgehend absorbiert wird.105 Im >Phantasus< ordnet er schließlich die Instrumentalmusik 99 100
Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 9 »Die schönsten Töne, die die Natur hervorbringt, [...], alle diese Klänge sind nur unverständlich und rauh, sprechen gleichsam nur im Schlafe, nur einzelne Laute, wenn wir sie gegen die Töne der Instrumente messen. Ja diese Töne, die die Kunst auf wunderbare Weise entdeckt hat, und sie auf den verschiedensten Wegen sucht, sind von einer durchaus verschiedenen Natur, sie ahmen nicht nach, sie verschönern nicht, sondern sie sind eine abgesonderte Welt für sich selbst.« (W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 245)
Ebd. S. 237 Ebd. 103 Ludwig Tieck, Schriften, Bd. 14, a.a.O., S. 20. - Zu den vermittelnden Ansätzen in den >Phantasien< vgl. auch W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 240, bezüglich der Musik S. 237, 242. Daneben zeigt sich noch die für den jungen Tieck kennzeichnende Spaltung zwischen dem esoterischen Bereich der Kunst und der sinnentleerten Wirklichkeit, vgl. dazu Werner Kohlschmidt, Der junge Tieck und Wackenroder. In: Hans Steffen (Hg.), Die deutsche Romantik. Poetik, F o r m e n und Motive. Göttingen 1967, S. 41 101
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Vgl. W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 248 Vgl. dazu Gerhard Kluge, Idealisieren - Poetisieren, a.a.O., der daneben noch auf »eine weitere Gestaltungsmöglichkeit: die A l l e g o r i e und Personifikation der Natur« verweist (vgl. ebd. S. 434ff).
nicht mehr als Zielpunkt der Dichtung ein, sondern stellt umgekehrt die Möglichkeiten der Dichtung weit über die der Musik. Die alte Kirchenmusik der Italiener, die er ausschließlich als Musik akzeptiert, erscheint ihm nur als »eine schwache Nachahmerin der Rede und Poesie«, die neuere Instrumentalmusik Haydns, Mozarts und Beethovens mit ihrem Streben nach Autonomie des musikalischen Ausdrucks stuft er gar als hybride und falsche Entwicklung ein. 1 0 6 Im Gegensatz zu Wackenroder hat Tieck den Stellenwert der Kunst gegenüber der Religion stärker betont, 1 0 7 im Gegensatz zu Hoffmann verkündet er aber nicht den absoluten Anspruch der Kunst. Vor der Natur versagt in >Franz Sternbalds Wanderungen< die das Wunderbare nur in Fiktionen heraufbeschwörende Kunst als »unmächtige Kunst«, deren poetische Inszenierung des Wunderbaren nur noch als »kleinliche Hinterlist« 1 0 8 gilt. Tiecks Neigung, die Konturen des Realen in der poetischen Stimmung zu verflüchtigen, ist für Hoffmann keine diskutable Lösung, er sucht die Offenbarung des > R o m a n t i s c h e m ausschließlich in den W e r k e n der Instrumentalmusik. 1 0 9 Dies zeigt seine dezidierte Ablehnung des Lieds. So wird aus seiner Warschauer Zeit berichtet: Was aber bei Hoffmann ordentlich wehe thut, das war sein Haß gegen das Lied. Es hatte für ihn eine zu enge Grenze, lag für ihn der Natur zu nahe, hatte für ihn, der nur dem Phantastischen vorzugsweise sich hingab, viel zu viel reale Wahrheit viel zu wenig harmonischen Wechsel, und verlangte eine zu anspruchslose einfache Natur, als daß er sich zum Liede hätte herablassen können-[...]. 1 1 0 In einer Rezension weist er 1814 auf die »so höchst einfachen und doch
Ludwig Tieck, Schriften, a.a.O., Bd. 4, S. 425, vgl. auch 427 Vgl. dazu Friedrich Strack, Die »göttliche« Kunst, a.a.O., S. 374ff. »Der Heiligenschein der Kunst ist verlorengegangen; er verwandelt sich in einen heiligen Schein, der dem K u n s t g l a u b e n Wackenroders im Glauben an die K u n s t eine neue Zukunft verspricht.« (Ebd. S. 379) 108 Ludwig Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen. Hg. v. Alfred Anger. Stuttgart 1974, S. 249; vgl. dazu auch Friedrich Strack, Die »göttliche« Kunst, a.a.O., S. 375f, 380f 109 Im Unterschied zu Tieck lehnt Hoffmann in den Gesprächen der Serapionsbrüder Verseinlagen in Prosastücken ab. »Der somnambule Rausch, den wohlklingende Verse ohne weitern sonderlichen Inhalt zu bewirken imstande sind, gleicht dem, in den man wohl verfallen mag, bei dem Klappern einer Mühle oder sonst! - Es schläft sich herrlich dabei! - « (Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder. Mit einem Nachwort von Walter Müller-Seidel und Anm. v. Wulf Segebrecht. München 1963, S. 318) 110 Ε. T. A. Hoffmann in Aufzeichnungen, a.a.O., S. 116 106 107
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so tief ergreifenden Lieder Reichardts« 111 hin, bemerkt aber dabei überdeutlich, daß Reichardt, da er dem »kühnern Flug der Instrumentalmusik« nicht folgen könne, »statt seine Kraft an das Niegelingende zu verschwenden, uns noch manches gemütliche, herrliche Lied« 112 singen solle. In Hoffmanns Apotheose des musikalischen Kunstwerks spiegeln sich verschiedene Denkmuster der Frühromantik. Die Werke von Novalis hat Hoff mann selbst gelesen, mit den Thesen F. Schlegels wurde er indirekt vertraut durch die Gedankengänge A. W. Schlegels, die ihm Hitzig in Warschau vermittelte. Die Vorstellung, daß die Musik Empfindungen ausdrücke, erscheint den an der Transzendentalphilosophie orientierten Romantikern zu trivial. Die Jenaer Frühromantik unterscheidet sich auch von Tieck, indem für sie die Poesie der Natur nicht mehr nur durch die Stimmung gefühlt werden soll. Novalis fordert vielmehr, die Poesie solle darstellen »nicht wie es ist, sondern wie es seyn könnte und seyn muß«. 113 Den Stoff der Wirklichkeit zu poetisieren bedeutet nun, daß die Poesie des Lebens erst im künstlerischen Werk konstituiert wird. Dieser Gesichtspunkt bleibt in Untersuchungen zur Romantik häufig unberücksichtigt, während unverändert das Vorurteil tradiert wird, die Musik sei eigentlich romantische Kunst, weil »sie wegen ihres innerlichen und ideellen Charakters das glücklichste Symbol für diese Transzendenz ist«. 114 Zwar bleiben F. Schlegel und Novalis trotz aller Verehrung der Musik selbst Dichter und glauben nicht, daß die Existenzberechtigung ihrer Kunst durch die Musik in Zweifel gezogen würde. Dennoch bringen sie neue Gesichtspunkte in die ästhetische Diskussion ein, die auch Hoffmanns Argumentationsweise in seinen Musikrezensionen beeinflussen.
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Ders., Schriften zur Musik, a.a.O., S. 239 Ebd. S. 204, 206 113 K N A III, S. 650 (Nr. 557). Ähnlich formuliert A. W. Schlegel: »Nach unserer Ansicht sagt der Künstler nicht in einem solchen Werke: die Natur ist so; darin würden ihm die Nichtkünstler widersprechen, weil jeder sie aus seinem beschränkten Gesichtspunkte anders sieht; sondern sagt: die Natur soll so sein; [.. .].« (A. W. Schlegel, Die Kunstlehre, a.a.O., S. 70). - Vgl. auch KSA II, S. 180 (Nr. 101) 114 Ronald Peacock, Probleme des Musikalischen in der Sprache. In: Weltliteratur. Festgabe für Fritz Strich z u m 70. Geburtstag. Bern 1952, S. 98. In diesem Sinne äußern sich auch Klaus Lankheit, Die Frühromantik und die Grundlagen der >gegenstandslosen< Malerei. In: Heidelberger Jahrbücher N F (1951), S. 79ff; Ernst Lichtenhahn, Über einen Ausspruch Hoffmanns, a.a.O., S. 190, 194, 195 112
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F. Schlegel spielt in einem Fragment auf die verschiedenen Bedeutungsebenen an, die der Begriff >Musik< ebenso wie der Begriff >Poesie< in seinen ästhetischen Reflexionen aufweist. B i l d u n g u n d E r f i n d u n g ist das Wesen der bildenden Kunst, und Schönheit (Harmonie) ist das Wesen der Musik, der höchsten unter allen Künsten. Sie ist die a l l g e m e i n s t e . Jede K(unst) hat mus(ikalische) Princ(ipien) und wird vollendet selbst Musik. Dieß gilt sogar von der Philo(sophie) und also wohl auch von der P(oesie), vielleicht auch vom Leben. Die Liebe ist Musik sie ist etwas höheres als K(unst). 115
Schlegels Fragment schließt mit einer metaphysischen Überhöhung der Musik, die über das begrenzte individuelle Kunstwerk hinausführt. Die Zusammenstellung von Liebe und Musik begegnet auch in anderen Fragmenten. 116 Seine Erklärung der Liebe läßt die Musik in diesem Zusammenhang als Symbol der universellen Einheit gelten: »Jede wahre Liebe ist einzig und unendlich, kann ewig nur steigen. Die Liebe auch der Quell aller Poesie.« 117 Das Wesen der Musik als Kunst definiert F. Schlegel zu Beginn seines Fragments mit dem Begriff >SchönheitHarmonieallgemeinste< Kunst, die frei ist von festgelegten Bedeutungen. F. Schlegel bezieht sich zwar nie auf konkrete musikalische Werke, sein Hinweis auf die Begriffe >Schönheit< und >Harmonie< zeigt aber deutlich, daß er den Werkcharakter der Musik nicht ignoriert. Auch er macht das Romantische in der Musik nicht zuletzt in ihrer artifiziellen Struktur dingfest. Er betont ausdrücklich: »Das Große in der Musik ist m e c h a n i s c h , grade der Geist der Kirchenmusik, die Fuge; sie geht wie Schraube, Hebel pp.-« 120 Analog dazu erfolgt wohl mit Blick auf 115
LN 1417 Vgl. z.B. LN 1536. Auf diesen Zusammenhang verweist auch Karl Konrad Polheim, Die Arabeske. Ansichten und Ideen aus Friedrich Schlegels Poetik. München/Paderborn/Wien 1966, S. 164ff 1.7 LN 1500, vgl. auch LN 1471, 1481, 1499; KSA II, S. 286 1.8 LN 2046 U8a L N 1945 119 Vgl. KSA XIII, S. 57ff 120 LN 1990 116
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J. S. Bachs Fugen die zunächst ungewöhnlich erscheinende Einordnung seiner Musik: » S e b a s t i a n B a c h s M u s i k ist k u b i s c h . - [.. .].«121 Die unbestimmte musikalische Aussage verbindet F. Schlegel mit dem Artifiziellen und Kombinatorischen. Die Behauptung: »Jede K(unst) hat mus(ikalische) Princ(ipien)«, was »auch wohl von der P(oesie)« gelte,122 belegt er in anderen Fragmenten, indem er gerade die Momente der künstlichen Strukturierung als musikalische Formgesetze umschreibt. Die Aufschlüsselung der musikalischen Themen und Motive dient als Paradigma für die Struktur des Romans: »Die Methode des Romans ist die der Instrumentalmusik. Im Roman dürfen selbst die Charaktere so willkührlich behandelt werden, wie die Musik ihr Thema behandelt.-«123 In der Dichtung kennzeichnet F. Schlegel vorzugsweise den Reim, den Refrain, Vers und Metrum als musikalische Mittel.124 Er weist aber ausdrücklich darauf hin, daß allein die artifizielle Konstruktion nicht ausreicht, um das Romantische in der künstlerischen Form zu verwirklichen, denn: »Die m e t r i s c h e Form der gewöhnlichen originalmodernen aber nicht R(omantischen) regelmäßigen Lieder ist bloß Appretur zur Musik.-«125 Auch in seinen Überlegungen zur Musik kommt Schlegel zu dem Schluß, daß sich nur in der bewußt gebildeten Form die Ahnung des Unendlichen niederschlagen könne »denn nur das hat Form, was sich selbst bedeutet, wo die Form den Stoff symbolisch reflektiert«.126 Die eigentliche Aufgabe des Künstlers besteht darin, aus den frei und >willkührlich< gewählten artifiziellen Mitteln eine innere Gesetzmäßigkeit des Kunstwerks zu entwickeln: »Das a b s o l u t W i l l k ü h r l i c h e in der metrischen Form der romantischen Kunstgedichte und die absolute Gesetzmäßigkeit und Consequenz dieser einmal gesezten Willkührlichkeit ist eine r o m a n t i s c h e S c h ö n h e i t , - [.. ,].«127 121
LN 2070 So äußert sich auch F. Schlegel bezüglich der bildenden Kunst (vgl. LN 1403) und der Philosophie (vgl. LN 873). Auf das »Widerspiel von >pictoriellem< und >musikalischem< Element« in der romantischen Kunsttheorie weist Helmut Schanze, Romantik und Aufklärung. Untersuchungen zu F. Schlegel und Novalis. Nürnberg 1966, S. 107f. Zu den Beziehungen Musik - Malerei vgl. Karl Konrad Polheim, Die Arabeske, a.a.O., S. 160-164 123 LN 1359, vgl. auch u. a. LN 859, 1144 124 Vgl. LN 516, 1155, 1164, 1736, 1824, 1839 etc. - Auf diesen artifiziellen Aspekt der Musikanschauung F. Schlegels ist m. W. bisher nur Eberhard Huge, Poesie und Reflexion in der Ästhetik des frühen Friedrich Schlegel. Stuttgart 1971, S. 83ff eingegangen. 125 LN 1046 126 KSA III, S. 100 122
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Mit einem vergleichbaren Argumentationsgang verteidigt Hoffmann Beethoven gegen den Vorwurf, seine Werke seien trotz genialer Einfälle konfus und regellos. Denn er hebt hervor, daß Beethovens Werke zwar nicht in ein vorgegebenes Formschema zu pressen sind, daß die genialen thematischen Einfälle aber die Keimzellen darstellen, aus deren eigener Gesetzmäßigkeit Beethoven mit seiner »Besonnenheit« die formale Konsistenz eines scheinbar zerstückelten Werks entfaltet. Die bewußte artifizielle Konstruktion ist ein wesentliches Moment des romantischen Kunstcharakters. Ein einfaches, aber fruchtbares, zu den verschiedensten kontrapunktischen Wendungen, Abkürzungen etc. taugliches, singbares Thema liegt jedem Satz zum Grunde, alle übrigen Nebenthemata und Figuren sind dem Hauptgedanken innig verwandt, so daß sich alles zur höchsten Einheit durch alle Instrumente verschlingt und ordnet. So ist die Struktur des G a n z e n ; aber in diesem künstlichen Bau wechseln in rastlosem Fluge die wunderbarsten Bilder, in denen Freude und Schmerz, Wehmut und Wonne neben- und ineinander hervortreten. 1 2 8
Die romantische Wirkung des Werks, das den Zuhörer »festhält in einer unnennbaren Sehnsucht«, ist für Hoffmann nicht denkbar ohne die formalen Kennzeichen der >kontrapunktischen VerschlingungenGanzen< integrieren. Hoffmann sieht in den thematischen Verknüpfungen auch keinen Selbstzweck, sondern einen Verweis auf einen verborgenen metaphysischen Überschuß, der sich nach seiner Ansicht in Beethovens Werken am reinsten manifestiere. 129 Die Einbindung der inhaltlich unbestimmbaren Aussage in eine genau durchkalkulierte artifizielle Struktur veranlaßt F. Schlegel, die Musik »ohne Scheu [ . . . ] eine sentimentale Kunst zu nennen«. 1 3 0 Sentimental erscheint sie, da sie die freigesetzte Subjektivität - ihren Objekt127 128
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L N 354 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 121. - Erwin Rotermund stellt die Parallelen dar, die zwischen Hoffmanns Beschreibung des >Romantischen< in der Musik und Friedrich Schlegels Bestimmung der >Arabeske< bestehen. (Ders., Musikalische und dichterische >Arabeske< bei Ε. T. A. Hoffmann. In: Poetica 2 (1968), S. 4 8 - 6 9 ) . Ich werde später darauf zurückkommen, inwieweit die Kategorien F. Schlegels Anhaltspunkte für das Verständnis der Werke Ε. T. A. Hoffmanns liefern können. So betont Hoffmann hoven : »Als Resultat damals den Satz auf, mehr als je einer sei, KSA II, S. 333
bei der Besprechung der Klaviertrios op. 70 von Beetdes eifrigen Studiums der Werke desselben stellte Rez. daß Beethoven ein rein r o m a n t i s c h e r Komponist, [ . . . ] . « (Schriften zur Musik, a.a.O., S. 119)
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verlust im Vergleich zur Antike - repräsentiert. Vor dem geschichtsphilosophischen Hintergrund der Anschauung F. Schlegels, der Ineinssetzung von Zeitgeist, Kunstgattung und Geschichte, muß die Musik den Vorrang allerdings an die Poesie, als Dichtkunst verstanden, abtreten: »Die ganze classische P(oesie) hat einen plastischen Ton, die sentimentale einen mus(ikalischen) und die progressive einen p o e t i schen).« 131 Hat F. Schlegel Bachs Musik als kubisch charakterisiert, so fährt er im gleichen Fragment bezeichnenderweise fort: »[...] - Es giebt eine kubische und eine transcendentale K(unst) und Wissenschaft).-« 132 Und in den Athenäumsfragmenten weist er darauf hin, daß die Schönheit »nicht bloß eine notwendige Fiktion, sondern auch ein Faktum, nämlich ein ewiges transzendentales« 133 sei. Als Kunst tritt die Musik daher hinter der >progressiven< Dichtkunst zurück, die mit ihrer Fähigkeit zur transzendentalen Selbstreflexion gerade das einzelne künstlerische Werk als »Reflexionsmedium« transparent macht für die »Unendlichkeit der Kunst«. 134 Ε. T. A. H o f f m a n n verzichtet jedoch auf die in Anlehnung an die Transzendentalphilosophie entwickelten komplizierten Gedankengänge F. Schlegels. Wenn er die künstliche Instrumentalmusik mit ihren scheinbar undurchsichtigen thematischen Verknüpfungen als poetischen Ausdruck eines universalen Weltzusammenhangs legitimieren will, greift er explizit auf Gedankengänge von Novalis zurück. Er verteidigt Novalis gegen den Vorwurf der »Unverständlichkeit«. Ebenso weiß ich recht gut, daß man ihm Unverständlichkeit und Schwulst vorwarf, unerachtet es zu seinem Verständnis nur darauf ankam, mit ihm in die tiefsten Tiefen hinabzusteigen, und wie aus einem in Ewigkeit ergiebigen Schacht die wundervollen Kombinationen, womit die Natur alle Erscheinungen in ein Ganzes verknüpft, heraufzubergen, wozu denn freilich den mehrsten es an innerer Kraft und an Mut mangelte. 135
Auch Novalis schränkt den Begriff der Poesie nicht auf die Dichtkunst ein. Der »specielle Sinn für Poesie« ist von » R e d e ( S p r a c h ) k u n s t himmelweit verschieden«. 136 Dieser poetische Sinn konfrontiert den 131
LN 231 LN 2070 133 KSA II, S. 209 (Nr. 256) 134 Walter Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. In: Ders., Schriften. Hg. v. Theodor W. und Gretel Adorno. Bd. 2. Frankfurt/M. 1955, S. 474 135 Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 136f 136 K N A III, S. 685 (Nr. 668) 132
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Künstler mit dem Paradox der romantischen Kunst: »Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht das Unsichtbare, fühlt das Unfühlbare [.. .].«137 In seinen Überlegungen, wie dieses Ziel zu erreichen sei, ordnet Novalis der Musik - als Kunstwerk wie auch in metaphorischem Sinne eine fest umrissene Position zu. Novalis geht über Fichte hinaus, indem das Ich ebenso wie die Objektwelt in seiner Konzeption durch das unbekannte Absolute gesetzt wird, gleichzeitig verselbständigt sich damit die Wirklichkeit gegenüber dem Ich und erscheint als Figuration eines geheimnisvollen Sinnzusammenhangs, als »eine versteinerte Zauberstadt«. 138 In musikalischer Metaphorik beschreibt er die verborgenen Analogien und geheimnisvollen Verknüpfungen zwischen Gemüt bzw. Innenwelt, Kunst und Weltzusammenhang. Töne erscheinen als »Stimmungen des Gemüths«, 1 3 9 die emotionalen Regungen werden als »Acustik der Seele« 140 beschrieben, die Stimmungen des poetischen Gemüts werden als »musicalische Seelenverhältnisse« 141 gedeutet. Die »allg(emeine)n S p r a c h e der Musik« begünstigt die Auflösung eingefahrener Erfahrungsmuster durch die freien Assoziationen der inneren Vorstellungskraft. 142 Selbst in der immateriellen Substanz der Musik findet Novalis verborgene Konfigurationen, die über eine isolierte Innenwelt hinaus auf eine verdeckte Einheit der Natur verweisen. Ausgehend von den »Schwingungen« eröffnet sich ihm die »acustische Natur der Seele«, wobei er »eine neue Aehnlichkeit des Lichtes und der Gedanken« 1 4 3 feststellt. An den Chladnischen Klangfiguren fasziniert ihn der Zusammenhang von immaterieller Schwingung und Zeichen. Der Rhythmus bringe »Figurationen, C a t e n a t i o n e n etc.« 144 hervor, und Malerei und Plastik erweisen sich als »Figuristik der Musik«. 145 Eine Form ohne Inhalt ist für Novalis undenkbar, Formen sollten den poetischen Sinn vielmehr herausfordern, die geheimen Andeutungen der >Geisterwelt< zu entziffern. Daher definiert er Kristallisationen als »acustische Figuren c h e m i s c h e r S c h w i n g u n g e n « 1 4 6 und Arabesken als die 157
KNA III, S. 685 (Nr. 671) KNA III, S. 564 (Nr. 65) 139 KNA III, S. 639 (Nr. 507) 140 KNA III, S. 473 (Nr. 1122) 141 Ebd. 142 Vgl. KNA III, S. 283 (Nr. 245); KNA III, S. 319 (Nr. 413) 143 KNA III, S. 308 (Nr. 380) 144 KNA III, S. 310 (Nr. 382) 145 Ebd. S. 309 (Nr. 382) 146 KNA III, S. 564 (Nr. 65) 138
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»eigentliche s i c h t b a r e Musik«.147 Auf diese Gedankengänge greift Hoffmann zurück, wenn er in den >Kreisleriana< scheinbar aus der Perspektive des Philisters die »wahnsinnigen« Künstler charakterisiert: Die ganz unnützen Spielereien des Kontrapunkts [ . . . ] nennen sie schauerlich geheimnisvolle Kombinationen, und sind imstande, sie mit wunderlich verschlungenen Moosen, Kräutern und Blumen zu vergleichen. 148
In den >Ahnungen aus dem Reich der Töne< schildert Hoffmann den Versuch eines Knaben, »aus den Moosen Melodien h e r a u s s e h e n zu wollen«.149 Aus den ironisch verschlüsselten >Gedanken über den hohen Wert der Musik< läßt sich Hoffmanns Ansicht erschließen, dem Musiker erscheine seine Kunst als »geheimnisvolle, in Tönen ausgesprochene Sanskritta der Natur [...] und nur in ihr verstehe er das hohe Lied der - Bäume, der Blumen, der Tiere, der Steine, der Gewässer! -« 15 ° Darüber hinaus soll die Musik eine Harmonie von Mikrokosmos und Makrokosmos repräsentieren. Die mathematische Ordnung der Tonrelationen spiegelt für Novalis die »musicalischen Seelenverhältnisse« wie auch die »Grundverh(ältnisse) der Natur«.151 Die Anspielungen auf den Mythos von der Sphärenharmonie dienen in >Heinrich von Ofterdingen< zur Erklärung der verborgenen Zusammenhänge zwischen Musik und Natur.152 In den musikalischen Zahlenproportionen komme »der innige Zusammenhang, die Sympathie des Weltalls« zum Ausdruck, die »Weltverhältnisse« der Mathematik erscheinen »in der Musik [...] förmlich, als Offenbarung - [.. .]«.153 Auch Hoffmann erwähnt in der Erzählung >Die Automate< »die herrliche Sage von der Sphärenmusik« 154 im Zusammenhang mit dem Bestreben des romantischen Künstlers, »in das heilige Geheimnis der Natur« 155 einzudringen. Hoffmanns Überlegungen, wie die Kunst des modernen Musikers in den Zusammenhang der Natur einzuordnen sei, fußen in wesentlichen 147
K N A III, S. 559 (Nr. 28) Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 39 149 Ders., Schriften zur Musik, a.a.O., S. 609 150 Ders., Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 39 151 K N A III, S. 473 (Nr. 1122), S. 564 (Nr. 65); der Generalbaß wird als » M a t h e m a t i k d e s O h r s « (KNA III, S. 50) und mit Verweis auf Pythagoras und Leibniz als »Zahlencompositionskunst« ( K N A III, S. 360, Nr. 547) verstanden. 152 K N A I, S. 211f und S. 213ff 153 K N A III, S. 593 (Nr. 241) 154 Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 349 155 Ebd. S. 351 148
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Teilen auf Anregungen von Novalis. Allerdings setzt er aus der Sicht des Musikers andere Akzente. Der Aufsatz >Ahnungen aus dem Reich der TöneKreisleriana< in umgearbeiteter Fassung unter dem Titel >Johannes Kreislers Lehrbrief< aufgenommen wird, ist den »Lehrlingen zu Sais< und dem darin enthaltenen Märchen nachgebildet.156 Hoffmann hat die Grundstruktur des Märchens auf den Entwicklungsgang eines jungen Musikers bezogen. Auf die Erzählung des Vaters von einem Mythos über die ursprüngliche Einheit von Musik und Natur, der die geheimnisvolle Übereinstimmung der Moose, des »wunderlich geformten Steins« 157 und des Gesangs der Nachtigall erklärt, folgt die Phase der technischen kontrapunktischen Ausbildung des Jünglings, in der er sich über die mythischen Vorstellungen erheben zu können glaubt. Nur im Traum kann er die erneute Heraufbeschwörung des Mythos in der Musik noch erfahren, während der Kunstmusik dieser Bereich versperrt bleibt. Hoffmanns an sein Märchen anschließende Überlegungen zur Musik ähneln bis in einzelne Motive und Wendungen hinein den Gedankengängen von Novalis. Der Musiker ist für Hoffmann wie für Novalis weniger als andere Künstler den Formen der empirischen Wirklichkeit verhaftet. Unser Reich ist nicht von dieser Welt, sagen die Musiker, denn wo finden wir in der Natur, so wie der Maler und der Plastiker, den Prototypus unserer Kunst? Der Ton wohnt überall, aber die Töne, das heißt, die Melodien, welche die höhere Sprache des Geisterreichs reden, nur in der Brust des Menschen.-158 156
Zu Hoffmanns Wertschätzung der >Lehrlinge zu Sais< vgl. das 5. Stück der >Kreisleriana< (Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 313). Auf diese Übereinstimmung hat bereits Werner Vordtriede, Novalis und die französischen Symbolisten. Zur Entstehungsgeschichte des dichterischen Symbols. Stuttgart 1963, S. 58ff hingewiesen. 157 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 607 158 Ebd. S. 609f. - Novalis vergleicht den Musiker mit dem Maler: »Nirgends aber ist es auffallender, daß es nur der Geist ist, der die Gegenstände, die Veränderungen des Stoffs poetisiert, und daß das Schöne, der Gegenstand der Kunst uns nicht gegeben wird oder in den Erscheinungen schon fertig liegt als in der Musik. [...] Der Musiker nimmt das Wesen seiner Kunst aus sich auch nicht der leiseste Verdacht von Nachahmung kann ihn treffen.« (KNA II, S. 573f, Nr. 226) Beide betonen auch, daß die Naturlaute sich erst im Bewußtsein des Musikers in Musik umwandeln. H o f f m a n n begründet seine Aussage mit der Berufung auf Johann Wilhelm Ritter, einen Freund des Novalis, und formuliert: »Die dem äußern Gehörsinn vernehmbaren Laute der Natur, das Säuseln des Windes, das Geräusch der Quellen u.s.f. sind dem Musiker erst einzeln ausgehaltene Töne - dann Akkorde - dann Melodien mit harmonischer Begleitung.« (Vgl. ebd. S. 610) Und Novalis stellt fest: »Alle Töne,
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Beide stellen fest, daß in der Musik »jene Verbindung des Gedankens mit seiner Hieroglyphe nicht notwendig ist« 159 bzw. »Chiffer, Werckzeug und Stoff« 160 getrennt sind. Für Novalis macht die Gleichzeitigkeit der unbestimmten inhaltlichen Aussage und der formalen artistischen Konsistenz die Instrumentalmusik zum Paradigma einer poetischen Kunst. »Sonaten und Symphonieen etc. - das ist wahre Musik. So muß auch die Poesie schlechthin bloß verständig - k ü n s t l i c h - e r d i c h t e t - Fantastisch! etc. seyn.« 161 Als ein autonomes Kombinationssystem verbindet sie in sich die Unabhängigkeit von der Empirie und die >Magie< kosmologischer Verknüpfungen, denn »Töne [...] sind, als diejenige e i n f a c h e , äußre Erscheinung, die am mannichfaltigsten gebildet, variirt und zusammengesezt werden kann, am bequemsten zur Bezeichnung des Universums«. 162 Was Novalis letztlich anstrebt, ist die Transzendierung der Kunst in eine »2te Natur« 163 als » R e a l i s i r u n g d e s S c h e i n s « . 1 6 4 Darin steht aber nach Novalis die Dichtkunst über Malerei und Musik. 165 Die ästhetische Verwandlung der Wirklichkeit in der Kunst vollzieht sich in einer metasprachlichen Ausdruckswelt wunderbarer Zeichen und Hieroglyphen. An der Musik ist diese poetische Metasprache als >musikalisches Ideeninstrument< insofern orientiert, als sie die bestimmte Begrifflichkeit aufgeben 166 und eine autonome Kombinatorik sui generis entfalten soll. Der Künstler kann den Naturzustand nur noch in der Kunst durch eine orphische Sprachmagie wieder herbeiführen, 1 6 7 indem er eine Symbolsprache entwickelt, die Novalis nicht in die Musik, sondern in das Märchen übertragen wissen will. 168 H o f f m a n n setzt ebenfalls an der a u t o n o m e n musikalischen Form an. D a s künstlerische Problem, inwieweit der Musiker seine unklaren Indie die Natur hervorbringt sind rauh - und geistlos - nur der musikalischen Seele dünkt oft das Rauschen des Waldes - das Pfeifen des Windes, der Gesang der Nachtigall, das Plätschern des Bachs melodisch und bedeutsam.« (KNA II, S. 573f) 159 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 611 160 KNA II, S. 575 (Nr. 226) 161 KNA III, S. 691 (Nr. 695) 162 KNA III, S. 381 (Nr. 633); vgl. auch KNA III, S. 360 (Nr. 547) 163 KNA II, S. 646 (Nr. 468) 164 KNA III, S. 244 (Nr. 38) 165 Vgl. KNA II, S. 574 (Nr. 226), S. 584 (Nr. 249) 166 Vgl. KNA III, S. 572 (Nr. 113) 167 »Erst dann, wenn der Philosoph, als Orpheus erscheint, ordnet sich das Ganze.« (KNA III, S. 335, Nr. 461) 168 Vgl. KNA III, S. 454 (Nr. 986), KNA III, S. 438 (Nr. 883)
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tuitionen - die H o f f m a n n noch als Manifestationen der >Sprache der Natur< umschreibt - überhaupt jemals adäquat in ein künstliches Werk übertragen könne, scheint aber in den Vordergrund zu rücken und die naturphilosophische Rechtfertigung der Kunstmusik zu verdrängen. Aber bei der Musik, dieser allgemeinen Sprache der Natur, wo jene Verbindung des Gedankens mit seiner Hieroglyphe nicht notwendig ist, rauschen wohl oft wunderbare geheimnisvolle Klänge im Innern vorüber, und wir mühen uns vergeblich, dafür Zeichen zu finden, was nur Sprache bleiben und niemals Schrift werden kann. 169
Offensichtlich folgt Hoffmann in vielen Äußerungen zeitgenössischen Gedankengängen. Zugleich hat sich aber gezeigt, daß er kein reiner Eklektiker ist, sondern diese aufgenommenen Theoreme umwandelt und zielstrebig auf seine Vorstellung vom >Romantischen< der Kunstmusik ausrichtet. Entwickeln sich kunsttheoretische Denkmodelle der Romantik auf der Suche nach Argumenten f ü r die Existenzberechtigung der modernen Kunst gegenüber dem Vorbild der Antike oder in der philosophischen Begründung der besonderen Geltung des Ästhetischen, in das ausschließlich die mögliche Vermittlung der theoretischen und praktischen Vernunft projiziert wird, so tastet Hoffmann nach Ansatzpunkten für eine Bestätigung seiner schwärmerischen Phantasiewelten. Dabei greift er die Vorstellungen von der Musik als einer »ihrem ganzen Wesen nach idealisch[en]« 170 Kunst und von der Autonomie des Kunstwerks auf. Ohne langwierige theoretische Überlegungen bringt er bereits in seine frühesten Musikschriften zwei grundlegende Modifikationen der romantischen Kunstanschauung ein. Vor allem unter dem Eindruck der fundenen Werke Beethovens kann für Instrumentalmusik das >Romantische< sämtlichen anderen Künsten prinzipiell
als umwälzend neuartig empH o f f m a n n nur die Musik als repräsentieren und ist damit überlegen.
Wenn von der Musik als einer selbstständigen Kunst die Rede ist, sollte immer nur die Instrumentalmusik gemeint sein, welche, jede Hülfe, jede Beimischung einer andern Kunst verschmähend, das eigentümliche, nur in ihr zu erkennende Wesen der Kunst rein ausspricht. Sie ist die romantischste aller Künste, - fast möchte man sagen, allein r e i n romantisch. 171 169 170 171
Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 611 August Wilhelm Schlegel, Die Kunstlehre, a.a.O., S. 21 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 34. - Wie sehr sich Hoffmann als Musiker bewußt war, daß sich das >Romantische< eines Kunstwerks auch im Detail der musikalischen Form erkennen lassen müsse, darauf hat Ernst Lichtenhahn, Über einen Ausspruch Hoffmanns, a.a.O., S. 195ff hingewiesen. Viel dringlicher und direkter stellt sich damit für Hoffmann das
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Die Musik ist nicht mehr ein Zielpunkt für eine Transzendierung der Dichtung, vielmehr impliziert Hoffmanns These, daß die übrigen Künste nicht mehr in der Lage seien, das >Romantische< zu realisieren. Darüber hinaus setzt er gerade an dem Punkt an, an dem Wackenroder scheiterte, und überträgt die romantische Apotheose der Kunst direkt auf bestimmte musikalische Werke. Für ihn verwirklicht sich das >Romantische< in der Kunst nicht nur als Andeutung, sondern wird an konkrete Kunstwerke wie die fünfte Symphonie von Beethoven gebunden. Folgenreich für Hoffmanns künstlerische Entwicklung ist die Tatsache - und darin unterscheidet er sich grundlegend von seinen Zeitgenossen - daß alle Anknüpfungen an die Kunstreflexionen seiner Zeit in der Absicht erfolgen, das geniale künstlerische Musikwerk als Manifestation des >wundervollen Reichs des Unendlichem in der Wirklichkeit zu bestätigen. Die Kunst soll demzufolge das >Romantische< nicht mehr nur andeuten oder eine ästhetische Utopie eines >Goldenen Zeita l t e r entwerfen. Indem er vom Musikwerk die Bestätigung des R o mantischem in der Wirklichkeit erhofft, erhält sein Konzept die ihm eigene Brisanz. Denn nun m u ß sich am konkreten Fall bewahrheiten, ob das sonst in metaphysische Distanz gerückte >Unendliche< plötzlich in einem konkreten artifiziellen Gebilde manifest werden kann.
2.
Hoffmanns Aufwertung der Kunstmusik mit den Kategorien romantischer Kunstmetaphysik die Entstehung seines Kunstproblems
Wenn auch sehr häufig auf die Abhängigkeit der Terminologie Hoffmanns von zeitgenössischen Denkmodellen hingewiesen wird, so bleibt es doch anerkanntermaßen seine eigenständige Leistung, daß er die ästhetische Bedeutung der Instrumentalmusik mit den Kategorien romantischer Kunsttheorien beschrieben hat und während seiner Tätigkeit als Musikrezensent - vor allem während seiner Bamberger, Dresdner und Leipziger Zeit - nicht unwesentlich dazu beitrug, diese Gedankengänge für das bessere Verständnis vor allem zeitgenössischer KomProblem, das A.W. Schlegel allgemein formuliert: »Dichten (im weitesten Sinne für das Poetische allen Künsten zum Grunde liegende genommen) ist nichts anderes als ein ewiges Symbolisieren: wir suchen entweder für etwas Geistiges eine äußere Hülle oder wir beziehen ein Äußeres auf ein unsichtbares Inneres.« (A. W. Schlegel, Die Kunstlehre, a.a.O., S. 81f)
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Positionen nutzbar zu machen. Hoffmanns eigene Entwicklung vom Musiker und Musikschriftsteller zum Dichter, dessen erste Werke um die Musik als zentrales Thema kreisen, legt die Frage nahe, mit welchen Argumenten er seine Überzeugung absichert, daß das >Romantische< nur im musikalischen Kunstwerk zum Ausdruck komme. Nicht selten charakterisieren Interpreten die kunsttheoretischen Gedankengänge Hoffmanns auf eine wenig schmeichelhafte Weise. Zum einen haftet ihm das Odium des Eklektikers an, der aus allen ihm verfügbaren Schriften unterschiedlichster Qualität wahllos übernahm, was ihm gerade brauchbar erschien. Andererseits wird mit Befremden festgestellt, daß er philosophisch vorbelastete Termini wie Bewußtsein, Ich, Genie etc., die in der zeitgenössischen Diskussion bereits zum Allgemeingut geworden waren, häufig sehr unbekümmert und widersprüchlich anwendet, ohne daß eine klare Konzeption erkennbar wäre, die eine eindeutige Standortbestimmung Hoffmanns im Verhältnis zu idealistisch geprägten Kunsttheorien seiner Zeit erlaube. Es wäre jedoch verfehlt, in Hoffmanns Äußerungen überwiegend Eklektizismus, Inkonsequenzen und Widersprüchlichkeiten zu sehen. Unter verschiedenen Gesichtspunkten verfolgt er das Problem, wie die Erwartung einer Offenbarung des universalen >Romantischen< mit dessen Repräsentation durch ein individuelles und artifizielles Kunstwerk zu vereinbaren sei. Indem er diesen Zwiespalt mit den ihm vertrauten Kategorien der romantischen Kunsttheorie umkreist, entfaltet sich aus dem scheinbaren Eklektizismus seine originelle Kunstproblematik und damit die Grundlage für seine literarische Verarbeitung der Musikproblematik und die Ausprägung seiner spezifischen literarischen Form. 2.1.
Die Instrumentalmusik als die romantischste aller Künste< die ästhetische Problematik der Kunstmusik
2.1.1. Die metaphysische Ranghöhe des >organischen< Kunstwerks Den musikalischen Wirkungszusammenhang Komponist - Werk - Zuhörer umschreibt Hoffmann in seinen Rezensionen zwar häufig noch mit dem traditionellen musikästhetischen Vokabular, 1 ordnet ihn aber mit der Formel von der »tiefere[n] Verwandtschaft«, die »oft nur aus dem Geiste zum Geiste« spreche, 2 in einen romantisch verstandenen 1
2
Zur Umdeutung traditioneller Beurteilungskriterien vgl. Peter Schnaus, Ε. T. A. Hoffmann als Beethoven-Rezensent, a.a.O., S. 63ff Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 50
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Bedeutungszusammenhang ein. Im einzelnen läßt sich verfolgen, daß H o f f m a n n bei der genaueren Bestimmung der Komponenten im Rahmen zeitgenössischer Kunstvorstellungen verbleibt und seine Eigenständigkeit erst entfaltet, wenn er versucht, diese Denkmuster zu kombinieren, um die verschiedenen Aspekte der Kunstmusik in der Idee einer überwirklichen Einheit des >Wunderbaren< aufzuheben. H o f f m a n n reduziert das »eigentümliche Wesen der Musik«, 3 das nur im Kunstwerk zum Ausdruck kommen kann, nicht ausschließlich auf den formalen Aspekt der musikalischen >Strukturinnere Struktur< 4 über die formale Binnenstruktur eines Werks hinaus. 5 Indem sich in der »innerefn] Struktur Beethovenscher Musik« die »Romantik der Musik« 6 niederschlagen soll, rückt Hoffmanns Begriff der >inneren Struktur< in die Nähe der romantischen Vorstellung von der >inneren Form< eines organischen Kunstwerks. 7 Die musikalische Form gilt nicht mehr nur als beliebige äußere Hülle für eine poetische Idee, die Form ist insofern selbst »Geist«, als sie entsprechend der Aussageintention gestaltet und geprägt ist. H o f f m a n n kritisiert scharf, daß die Wirkung der Werke Glucks und Mozarts »in rein musikalischer Hinsicht nur stoffartig war«, da »der höhere Geist, dem dieser Stoff dienen mußte, nicht entdeckt« 8 wurde, und verurteilt jede »Nachahmerei der Form [...], die nie den Geist schafft, da nur der Geist sich die Form bildet«. 9 Die Beziehung zwischen der Bestimmung 3
Ebd. S. 34 Vgl. ebd. S. 37, 59, 103, 157, 302, 371 etc. 5 Auf den formalen Aspekt begrenzt diesen Begriff Klaus Kropfinger, Der musikalische Strukturbegriff bei Ε. T. A. Hoffmann. In: Gesellschaft für Musikforschung. Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongreß. Bonn 1970, S. 480-482 6 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 37 7 In den Klaviertrios op. 70 beweise »den überschwenglichen Reichtum des genialen Meisters, [...], daß einem einzigen Gedanken von ein paar Takten so viele Motive entsprießen, die sich ihm, wie herrliche Blüten und Früchte eines fruchtbaren Baums, darbieten« (Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 133). Er erklärt die >innere Einheit< des scheinbar zusammenhanglosen Werks Beethovens mit einem Verweis auf die Shakespeare-Deutung in der romantischen Dramentheorie (vgl. ebd. S. 37), wie er sie ζ. B. über A. W. Schlegel rezipiert haben könnte (vgl. A. W. Schlegel, Die Kunstlehre, a.a.O., S. 27, 34). 8 Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 316 9 Ebd. S. 317 4
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des Kunstwerks als einer organischen Bildung und der Erfahrung des »wundervolle[n] Geisterreich[s] des Unendlichen« 1 0 in eben diesem Kunstwerk ist mit dem zeitgenössischen Denkmodell der Übereinstimmung von Mikro- und Makrokosmos gegeben. A. W. Schlegels Kommentar zur Schrift >Über die bildende Nachahmung des Schönen< von Karl Philipp Moritz zeigt deutlich, daß diese beiden Bestimmungen im damaligen ästhetischen Denken nicht zusammenhanglos nebeneinanderstanden. Jedes schöne Ganze aus der Hand des bildenden Künstlers ist daher im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen im großen Ganzen der Natur. Vortrefflich! Sowohl die im Schönen liegende Beziehung aufs Unendliche, als das Streben der Kunst nach innerer Vollendung ist hierdurch aufs Glücklichste ausgedrückt. 11
Daß Hoffmann implizit eine Verbindung der organischen Form mit dem übergeordneten Zusammenhang eines romantischen >Unendlichen< voraussetzte, kann sowohl aus seiner eigenen Kenntnis naturphilosophischer Denkmodelle 12 wie auch - mit Bezug auf den Leser - aus den damals gängigen Argumenten der ästhetischen Diskussion geschlossen werden. Die Sonderstellung des musikalischen Kunstwerks bleibt nicht ohne Auswirkung auf Hoffmanns Schaffensästhetik. In den Mittelpunkt rückt die Frage, wie der geniale Künstler ein in diesem Maß über seine Individualität hinausweisendes Kunstwerk schaffen kann. In Übereinstimmung mit frühromantischen Kunstvorstellungen stellt für Hoffmann gerade die subjektiv bestimmte künstliche Formung ein Kennzeichen der romantischen Kunst dar. Mit dem Hinweis auf die >Besonnenheit< des Komponisten nimmt er ihn vor dem Angriff, er sei nur ein unbewußt und planlos schaffender Künstler, in Schutz. Dessen Werk erweise sich aus übergeordneter Perspektive nicht als »geniale Rhapsodie«, 13 sondern als wohlkonstruierte Einheit. Beethovens Coriolan-Ouvertüre sieht er als »künstliches Gebäude«, 1 4 bei der Besprechung der Klaviertrios Beethovens weist er hinsichtlich der thematischen Verarbeitung auf »die wunderlichsten Krümmungen und 10
Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 37 A. W. Schlegel, Die Kunstlehre, a.a.O., S. 92 12 Vgl. ζ. B. Wilhelm Ettelt, Philosophische Motive im dichterischen Werk Ε. T. A. Hoffmanns. In: Mitteilungen der Ε. Τ. A. Hoffmann-Gesellschaft 25 (1979), S. 35f 13 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 50 14 Ebd. S. 103 11
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Wendungen«, 15 auf »ein kunstreiches, kontrapunktisches Gewebe« 16 hin und kennzeichnet die Durchführung des ersten Satzes im Klaviertrio op. 70 Nr. 1 als »originellste[n], kunstreichste[n] Teil des ganzen Allegros«.17 Wie F. Schlegel in der Freiheit des modernen Künstlers und der artifiziellen Manier seiner Werke das vorausweisende Moment der Kunst sieht, so bringt Hoffmann Beethovens Sonderstellung in der modernen Musik mit dessen unkonventioneller und scheinbar verworrener Handhabung des musikalischen Materials in Verbindung.18 Daß die romantische Aussage aber nicht nur auf die kalkulierte musikalische Form zurückgeführt werden kann, macht Hoffmanns Hinweis auf die rätselhafte Verknüpfung von Konstruktion und Magie in der Musik deutlich. Denn dem Komponisten sind die »Zahlen-Proportionen« der Harmonie »magische Präparate, denen er eine Zauberwelt entsteigen läßt«.19 In der verborgenen Ordnung der scheinbar verworrenen Form spiegelt sich die nur bruchstückhaft erkennbare universale romantische Einheit. Der Künstler, in diesem Falle Beethoven, gerät aus dieser Perspektive als Vermittler in eine so hervorgehobene Stellung, daß er von seiner Umwelt isoliert wird und »seine Instrumentalmusik selten die Menge anspricht«. 20 Bis zu einem gewissen Grade deuten Hoffmanns Umschreibungen sogar darauf, daß Beethoven als Medium des >Romantischen< einen Teil seiner Individualität verliert. Der »Geist der Musik« wird - mit einer an Novalis anklingenden Emphase - nur »dem Geweihten« vernehmbar, so daß die Inspiration des Musikers als ein von ihm nicht beeinflußbarer Vorgang dargestellt wird. Diese nachhaltig vertretene Ansicht, daß die »wahre Musik« nur 15
Ebd. S. 122 Ebd. S. 123 17 Ebd. S. 124. - In neueren Untersuchungen wurde die Annahme widerlegt, Hoffmann sehe in Beethovens Werk nur die »irrationale Besonnenheit eines Zauberers« am Werke (so Arnold Schmitz, Das romantische Beethovenbild, a.a.O., S. 109). Vgl. dazu Ernst Lichtenhahn, Über einen Ausspruch Hoffmanns, a.a.O., S. 195ff; ders., Zur Idee des goldenen Zeitalters in der Musikanschauung Ε. T. A. Hoffmanns. In: Romantik in Deutschland, a.a.O., S. 502; Klaus Kropfinger, Der musikalische Strukturbegriff bei Ε. T. A. Hoffmann, a.a.O.; Lothar Köhn, Vieldeutige Welt, a.a.O., S. 27ff. 18 Ernst Lichtenhahn weist auf die Bedeutung frühromantischer Kategorien wie Witz und Kombinatorik in Hoffmanns Beethoven-Rezension hin, vgl. ders., Zur Idee des goldenen Zeitalters, a.a.O., S. 508f. - Zu Begriffen wie ζ. B. >StilManierTendenz< vgl. Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 25, 62, 65, 67, 126, 145, 172, 285f; A. W. Schlegel, Die Kunstlehre, a.a.O., S. 93-97 19 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 121 20 Ebd. S. 36 16
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»aus jener unwillkürlichen bewußtlosen innern Anregung« 21 entsteht, schlägt sich in der Beethoven-Rezension nieder, indem die fünfte Symphonie als ein Werk eingeschätzt wird, das dem Komponisten eigentlich entwachsen sei und eigenen Gesetzmäßigkeiten folge. 22 Auch Novalis sieht den Künstler als »Geweihten«, der »ordnet, vereinigt, wählt, erfindet - und es ist ihm selbst unbegreiflich, warum gerade so und nicht anders«. 23 Konsequenterweise gewinnt auch für Novalis das Werk an Eigenständigkeit gegenüber dem Künstler: »In dem Augenblicke, als es ganz Sein werden sollte, ward es mehr, als er, sein Schöpfer - er zum unwissenden Organ und Eigenthum einer höhern Macht. Der Künstler gehört dem Wercke und nicht das Werck dem Künstler«. 24 Entscheidend für Hoffmanns Konzeption ist die Kombination dieser eklektisch anmutenden Denkmuster. Ein Werk wie die Symphonie Beethovens kann das >Romantische< als zweite Wirklichkeit nur wiedergeben, weil es gleichzeitig »genial erfunden und mit tiefer Besonnenheit ausgeführt« 25 ist. Diese Bestimmung ermöglicht es Hoffmann zwar, die künstliche Konstruktion der Beethovenschen Symphonie mit ihrer metaphysischen Aussage zu vereinbaren, andererseits ergeben sich daraus aber sowohl für die Position des romantischen Künstlers wie auch für den Kunstcharakter des musikalischen Werks Probleme. Spricht H o f f m a n n in seinen Rezensionen von der >Romantik< des Musikers Beethoven, dann bezieht er sich nicht einfach auf die Person des Komponisten. Wie bei der Interpretation eines literarischen Werks der erkennbare oder anonym bleibende Erzähler keinesfalls mit dem Dichter gleichgesetzt werden kann, so unterscheidet auch Hoff mann zwischen der Person Beethovens und dem Künstler, der seine Einbildungen vor seinem geistigen Auge ablaufen läßt, sich von ihnen distanziert und gewissermaßen eine Erzählinstanz konstituiert, von der aus er eine >romantische< Welt in Tönen gestaltet und aufbaut. Im Sinnzusammenhang der Rezension fungiert Beethoven als fiktives Subjekt des Werks. Vergleichbar dem Erzähler in der Epik gewährleistet es den Zusammenhang des sprachlich inkommensurablen Aussagegehalts im 21
Ebd. S. 611 Sprachlich äußert sich das, indem an mehreren Stellen der Komponist Beethoven als grammatisches Subjekt durch Begriffe wie >Romantik< und >Musik< und ihre zugehörigen Bedeutungsfelder ersetzt wird. Vgl. Peter Schnaus, Ε. T. A. H o f f m a n n als Beethoven-Rezensent, a.a.O., S. 80f 23 K N A III, S. 686 (Nr. 671) 24 K N A III, S. 411 (Nr. 737) 25 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 50 22
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musikalischen Ablauf. In der fünften Symphonie vollzieht sich somit keineswegs eine direkte Emanation des >Wunderbaren< in der Wirklichkeit. Beethoven begeistert den Hörer aufgrund der Genialität, mit der er im musikalischen Kunstwerk bewußt eine fiktive romantische Vorstellungswelt anlegt. In diesem Sinne äußert Hoffmann über Beethovens >BesonnenheitBesonnenheit< ein Grundproblem der romantischen Kunsttheorie ist. F. Schlegel hat stärker das artifizielle Moment betont und versucht, mit dem unendlichen künstlerischen Spiel der Formen die Transparenz des Kunstwerks als >Reflexionsmedium< zu erklären. Novalis wiederum distanziert sich mit seiner naturphilosophischen Rechtfertigung der Kunst von den Brüdern Schlegel gerade bei der Frage, ob Shakespeares Werke einen artifiziellen Charakter tragen: »Schlegels übersehn, indem sie von der Absichtlichkeit und Künstlichkeit der Shakespearschen Werke reden - daß die Kunst zur Natur gehört, und gleichsam die sich selbst beschauende, sich selbst nachahmende, sich selbst bildende Natur ist.« 27 Projiziert H o f f m a n n in die bewußtlos-bewußte Tätigkeit des schöpferischen Künstlers eine Vermittlung von Kunst und Natur, Intuition und absichtlicher Formung, so steht er damit Schellings Anschauung von der überragenden Stellung der Kunst als >Organon der Philosophie< näher. 28 Allerdings, und hierin liegt Hoffmanns Eigenständigkeit, versteift er sich nicht auf langwierige Spekulationen, inwieweit eine Vermittlung dieser Gegensätze denkbar und möglich wäre, sondern knüpft an der für den Musiker relevanten Frage nach der Realisierbarkeit des romantischen Anspruchs an. Gerade der entscheidende Punkt bleibt jedoch ungeklärt. Sollte denn das wahre Leben des Musikers in der Musik nur intensiv sein, und Alles, was er der Welt gibt, nur der schwache Reflex seiner innern Erscheinungen bleiben?- 2 ' 26
Ebd. S. 37. - Der Hinweis auf eine Analogie zwischen dem künstlerischen Subjekt eines Musikwerks und dem >Erzähler< in der Literatur bei Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 139 27 K N A III, S. 569 (Nr. 94) 28 Auch A. W. Schlegel ist bezüglich der Vermittlung der rationalen mit der irrationalen Schaffenskomponente nicht unwesentlich von Schelling beeinflußt worden. Vgl. dazu auch ders., Die Kunstlehre, a.a.O., S. 80f
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Damit ergibt sich eine für Hoffmanns Kunstanschauung kennzeichnende und folgenreiche Konstellation: Was der Künstler an Intuition gewinnt, das verliert er an Subjektivität und künstlerischer Originalität bei der Gestaltung eines Werks; was er aber an Selbständigkeit durch eine originelle Strukturierung gewinnen will, das verliert er an Genialität und an Fähigkeit, das >Romantische< in der Kunst hervorzubringen. Konsequenterweise sieht H o f f m a n n den Hörer - die dritte Komponente im musikalischen Wirkungszusammenhang - nicht mehr als Kenner, der die im Musikstück dargestellten Leidenschaften oder Vorgänge auf ihre Übereinstimmung mit dem Vorbild überprüft, oder als Empfindsamen, für den sich die Qualität eines Musikstücks daran mißt, ob er seine Gefühle ansprechend ausgedrückt findet. Hoffmanns Anforderungen an den Hörer romantischer Instrumentalmusik beruhen auf der gleichen Grundlage wie entsprechende Überlegungen Wackenroders und Tiecks, für die die Aufwertung der Instrumentalmusik eng mit einer veränderten ästhetischen Einstellung zur Musik verbunden ist: Das >Poetische< in der Musik erfährt der Hörer nur, wenn er sich vollständig auf den musikalischen Ablauf eines Werks konzentriert. 30 Gerade für das adäquate Verständnis der Werke Beethovens sei es nach Hoffmann unerläßlich, »daß man tief in sein Wesen eindringe, daß man im Bewußtsein eigner Weihe es kühn wage, in den Kreis der magischen Erscheinungen zu treten, die sein mächtiger Zauber hervorruft«. 31 Er betont aber, daß »eine tiefere Verwandtschaft« als die greifbare »innige Verwandtschaft der einzelnen Themen untereinander« dem Hörer den Eindruck des >Romantischen< vermittelt und »oft nur aus dem Geiste zum Geiste spricht«. 32 Produktion und Rezeption sind damit nicht austauschbare Seiten einer Sache, nämlich der durch das Werk übermittelten >romantischen< Vorstellung. Die romantische Imagination ist im Musikwerk durch den musikalischen >Erzähler< gebrochen, der die formalen Mittel ganz im Sinne der intendierten musikalischen Aussage gestalten muß. Wie für den Komponisten ist damit auch f ü r den Hörer zwischen Form und Aussage ein latenter Gegensatz angelegt, der die Erfahrung des >Romantischen< in der Musik auf wenige herausragende Ausnahmefälle beschränkt. Aus den Rezensionen
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Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 613 Vgl. dazu Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 83ff 31 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 143 32 Ebd. S. 50 30
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müßte sich erschließen lassen, an welchen Merkmalen Hoffmann eigentlich das >Romantische< eines Musikwerks erkennen will und mit welchen Mitteln der Komponist seiner Meinung nach den Zuhörer >verzaubern< kann. 2.1.2. Kennzeichen des romantischen Kunstwerks: >Kontrapunktische Verschlingung< und künstlerisches Kalkül Der Anforderung, eine >zweite Wirklichkeit zu repräsentieren, kann ein musikalisches Kunstwerk in Hoffmanns Rezensionen nur genügen, wenn es dem Komponisten gelungen ist, die verschiedenen Einzelteile im Werkzusammenhang zu integrieren oder - wie Hoffmann diesen Sachverhalt beständig umschreibt - »das Ganze in allen seinen Teilen zusammenzuhalten«. 3 3 Das ist von der Formulierung her kein neuer Maßstab. Bereits vor H o f f m a n n wurde die Qualität eines Kunstwerks an seiner Eigenschaft als >Ganzes< zu erscheinen gemessen. Das Neue an Hoffmanns Äußerungen besteht darin, daß er die Integration selbständiger, scheinbar zusammenhangloser Teile mit der verwirrenden >kontrapunktischen Verschlingung< in Zusammenhang bringt 34 und die musikalische Form mit dem vor allem von F. Schlegel verwendeten Denkmuster der >Arabeske< erklärt. E. Rotermund hat bereits darauf hingewiesen, daß Hoffmann das Modell der >Arabeske< auf die »kontrapunktische Behandlung« und auf die thematischen Beziehungen in einem Werk übertragen hat und den Begriff des Kontrapunkts vor allem auf die »ausfaltende Verarbeitung und aufschließende Entwicklung melodischen Materials« 35 anwendet. Auf die Parallelen zu den Bestimmungen F. Schlegels braucht daher nicht erneut eingegangen zu werden, weiterführend ist die Überlegung, inwieweit Hoffmann in diesem Verfahren Ansatzpunkte sieht, heterogene Bestandteile eines Werks zu einem über sich hinausweisenden >organischen Ganzem zusammenzufassen. 33 34
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Ebd. S. 33; vgl. dazu u. a. auch S. 43, 50, 79, 82, 103, 144 etc. Über die >Wiener Klassiken wird zur Zeit Hoffmanns wegen der Einführung mehrerer Themen und Motive in einem Satz häufig ein negatives Urteil gefällt. Über Mozart ζ. B. heißt es: »Ich erkenne alle die großen Verdienste eures Originals; ja, ich bewundere die sinnreiche Kunst, jenes musikalischen Dedalus, der so große, und undurchdringliche Labyrinthe zu bauen gewußt hat, aber ich kann die Ariadne nicht finden, die mir den Faden reicht, um den Eingang, noch weniger den Ausgang zu entdecken.« (Zit.n. Karl Gustav Feilerer, Zur Mozart-Kritik im 18./19. Jahrhundert, a.a.O., S. 92) Erwin Rotermund, Musikalische und dichterische >Arabeske< bei Ε. Τ. A. Hoffmann, a.a.O., S. 51f
Der Hinweis auf die Integration des musikalischen Materials wird häufig mit der Feststellung verbunden, daß Hoffmann sowohl in seinen Rezensionen als auch in seinen eigenen Werken übergreifende Strukturzusammenhänge wie ζ. B. die Form des Sonatensatzes vernachlässige. In seinen Klaviersonaten hat das zur Folge, daß er »oft den mit der Struktur des Sonatensatzes gegebenen Aufgaben ausweicht - was genau der Vernachlässigung der spezifischen Gattungsanalyse in den Beethoven-Rezensionen entspricht - und, fast als Kompensat, ausführliche kontrapunktische Verarbeitungen bietet«. 36 Völlig ignoriert hat Hoffmann die Strukturen des Sonatensatzes jedoch nicht. Geht man davon aus, daß seine Einschätzung der >kontrapunktischen Verschlingung< von der poetischen Diskussion angeregt wurde, so ist seinen Äußerungen zur kompensatorischem Funktion der Themenverknüpfungen auch zu entnehmen, inwieweit die Kunstmusik seinen romantischen Erwartungen gerecht werden kann. Die romantische Annahme, daß die auf den ersten Blick verworrene Ausarbeitung eines musikalischen Werks gleichsam aus einem organischen Keim entstanden sei, parallelisiert Hoffmann auf kompositionstechnischem Gebiet mit der Bemühung, das musikalische Geschehen auf ein zugrundeliegendes einfaches Strukturprinzip zurückzuführen. 3 7 Im Rahmen der zeitgenössischen Musiktheorie ist H o f f m a n n in seinen Rezensionen durchaus auf die wesentlichen Teile der Sonatenform eingegangen. Er erkennt und beschreibt Durchführung - die »Stelle der kunstreichen Nachahmungen und Verschlingungen« 38 - und Reprise und hat sogar eine weiterweisende Konzeption vertreten, indem er die Bedeutung der thematischen Entwicklung hervorhebt und häufig zwei Themen als Ausgangslage der musikalischen Verarbeitung bestimmt. 39 36
Ebd. S. 57 So weist Hoffmann bei Beethovens Coriolan-Ouvertüre darauf hin, »aus welchen höchst einfachen Elementen sein künstliches Gebäude zusammengesetzt ist [...]« (ebd. S. 103), und am ersten Satz der 5. Symphonie hebt er hervor: »Es gibt keinen einfachem Gedanken, als den, welchen der Meister dem ganzen Allegro zum Grunde legte [...]« (ebd. S. 43). Wie prinzipiell Hoffmann diese musikalische Vorgehensweise verstand, zeigt seine Verteidigung gegen Nägelis Kritik an einer seiner Klaviersonaten: »Aufrichtig gestanden hat mich das verwerfende Urtheil der übersendeten Sonate um so mehr geschmerzt, als ich gerade in dem gerügten Fehler wegen des Wiederkehrens des ersten Thema in der verwandten DurTonart ein mir vorschwebendes Ideal der höchsten Einfachheit zu erreichen gestrebt hatte.« (Brief an Nägeli vom 20. Mai 1809, Bw I, S. 282) 38 E.T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 273, vgl. auch S. 21, 40f, 80f etc. 39 Darauf verweist Alfred Ritzel, Die Entwicklung der »Sonatenform« im mu37
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Damit erfaßt er zwar wichtige Elemente des Sonatensatzes, berücksichtigt allerdings nicht die formdynamische Bedeutung der Teile. Der Musiktheorie des 18. Jahrhunderts bleibt er noch insofern verhaftet, als er die Dominanz des >ersten Themas< betont und die Homogenität eines Satzes mit dem Hinweis begründet, daß die gesamte musikalische Ausarbeitung auf dieses eine Motiv zurückgeführt werden kann. 40 Er setzt das >zweite Thema< in eine enge Beziehung zum >Hauptgedanken< und betont mit Blick auf Beethovens fünfte Symphonie die »beständigen Anspielungen auf das Hauptthema« 4 1 oder registriert bei den Klaviertrios, daß »alle übrigen Nebenthemata und Figuren [...] dem Hauptgedanken innig verwandt« 42 sind. Wie grundsätzlich H o f f m a n n dieses Kriterium verstanden wissen wollte, zeigt in einer änderen Rezension die Forderung, den Hauptsatz des Stücks so zu regeln, daß er sich auf mannigfache Weise kontrapunktisch behandeln läßt; denn wie oft ein Satz, der in seiner ursprünglichen Gestalt nicht sonderlich originell klingt, in irgendeiner Umkehrung einen ganz neuen, auffallenden Charakter annimmt, weiß jeder Komponist. 43
Beethovens Kompositionen wird H o f f m a n n auf diese Weise zwar nur bedingt gerecht, gleichzeitig interpretiert er aber traditionelle musiktheoretische Denkmuster im Sinne seiner romantischen Perspektive um. Er versucht, das >romantische< Werk als homogenes >Ganzes< darzustellen, das aus einem Mit- und Gegeneinanderwirken der letztlich identischen Elemente erklärt werden soll. Die Verschränkung der Stimmen repräsentiert ein romantisches Strukturprinzip, in das er die Einheit eines Widerspruchs projiziert. Über den technischen Vorgang der sikästhetischen Schrifttum des 18. und 19. Jahrhunderts. Phil.Diss. Frankfurt/M. 1968. »Mit den Arbeiten von Ε. T. A. Hoffmann beginnt eine Einengung der im 18. Jahrhundert noch recht weit gefaßten Möglichkeiten thematischer Gestaltung auf gewöhnlich zwei Themen. Der Begriff des >zweiten Themas< festigt sich ab 1810 und behält fortan seinen Platz in der Formtheorie.« (Ebd. S. 271, vgl. auch S. 200-206) 40 Vgl. ebd. S. 206 41 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 43 42 Ebd. S. 121 43 Ebd. S. 82. - Mit Befremden stellt er beim Klaviertrio op. 70 Nr. 2 fest, daß die thematische Verarbeitung nicht nur eine Ableitung aus dem >Hauptgedanken< darstellt, sondern aus verschiedenartigen Bestandteilen zusammengesetzt ist: »Unerachtet die Elemente, aus denen dieser Satz geschaffen, verschiedenartiger sind, als man es sonst bei Beethovenscher Musik gewohnt ist, da der zweite Satz des Allegros mit dem ersten wenig verwandt ist, und das dritte, der Einleitung entnommene Thema vollends fremdartig erscheint [...].« (Ebd. S. 135)
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Imitation und Abwandlung hinausweisend, vertritt die kontrapunktische Behandlung ein fast an die Schellingsche Identitätsphilosophie anklingendes Integrationsprinzip, in dem sich die universale romantische Einheit im Kleinen spiegeln soll. Nicht dadurch, daß es nun einmal gewöhnlich, in der Kirche Fugen zu hören, glaubt er [der Rezensent Hoffmann] nämlich seine hohe Teilnahme erweckt zu sehen; sondern er findet d a r i n einen tiefern Grund, daß durch das allmählige Eintreten der verschiedenen Stimmen in den beständigen harmonischen Verschlingungen derselben auf das lebhafteste ein Volk oder eine Gemeinde dargestellt werde, deren Glieder sonst in Meinung und Charakter merklich verschieden, doch wie von einer Idee begeistert, eins und dasselbe, nur nach ihrer individuellen Art, aussprechen. 44
Die scheinbare Ähnlichkeit bei der Bestimmung des >arabesken< Charakters der modernen Kunst darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Hoffmann das einzelne Kunstwerk mit anderen Augen sieht als F. Schlegel, denn H o f f m a n n bringt die künstlerische Wiedergabe eines »romantischen Geisterreichs« durch arabeskenhafte Themenverknüpfungen, die angeblich aufs Unendliche verweisen, in Zusammenhang mit der Ausbildung einer normsetzenden musterhaften Form. Erscheint F. Schlegel die Arabeske in der »Konstruktion des Ganzen« als »künstlich geordnete Verwirrung«, als »wunderbar e w i g e [ r ] Wechsel von Enthusiasmus und Ironie«, 45 so zielt er auf die Ironisierung des Zwiespalts zwischen Intention und Darstellung im Werk selbst, wodurch sich die Gegensätze über die Grenze des einzelnen Werks hinweg in einer unendlichen Abfolge von Ideen und Formen spiegeln. Für Hoffmann ist in den Werken Beethovens aber auch die geschlossene Form verwirklicht. So spricht er nicht nur von einem »ideellen Begriff der Symphonie, der sich nach dem Studium der oft genannten großen Meister in seinem [des Rezensenten Hoffmann] Innern feststellte«, 46 sondern konstatiert sogar: »[...] ihre genialen Produkte dieser Art sind mit Recht die Norm geworden, wornach spätere Komponisten ihre Sinfonieen ausarbeiteten«. 47 Es ist zu vermuten, daß Hoffmanns Fixierung auf das angeblich durch den Künstler hindurch von selbst hervortretende organische Kunstwerk eher seinem Wunschdenken als einer unerschütterbaren Gewißheit entspringt. Einen Hinweis gibt sein Entwurf >Über Sonatenc »Es muß anscheinende Willkür herrschen, und je mehr sich die 44 45 44 47
Ebd. KSA Ε. T. Ebd.
S. 181 f II, S. 318f (Hervorh. d. Verf.) A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 153 S. 20, vgl. auch S. 22, 82, 86, 145, 149
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höchste Künstlichkeit dahinter versteckt, desto vollkommener.-« 48 In diesem Prinzip liegt die Gefahr beschlossen, daß sich das >Romantische< eigentlich nur als ausgeklügelte vorauskalkulierte Übereinstimmung erweist und die verwirrende Anlage der aufgefächerten Teile einer Struktur im Werk selbst, überspitzt ausgedrückt, >aufgehtkontrapunktische VerschlingungRomantische< eines Musik48 49
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Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 16 Darauf deutet auch die im Entwurf >Über Sonaten< unmittelbar anschließende Wendung: »Größe des Theoretikers, Haydn. - « (Ebd. S. 16). Äußert sich Hoffmann etwas distanziert zu Haydns »Tändeleyen« (Ε. T. A. Hoffmann, Tagebücher, a.a.O., S. 56, Eintrag v o m 7. Okt. 1803), so wird Haydn auf kompositionstechnischem Gebiet sein Vorbild: »Haydn soll mein Meister seyn - so wie in der VokalMusick Händel und Mozart - « (ebd. S. 58, Eintrag vom 8. Okt. 1803). Die Bewunderung beruht nicht auf dem >romantischen Geist< von Haydns Kompositionen, sondern auf der geschickten Verarbeitung scheinbar zusammenhanglosen musikalischen Materials (vgl. Schriften zur Musik, a.a.O., S. 22). Damit ist Haydn zu einem kompositionstechnischen Muster geworden, denn Hoffmann beurteilt vor allem die Menuette und Finalsätze von Symphonien »nach diesem Maßstabe, den Haydn, der Schöpfer dieser Tonstücke, gegeben hat [...]« (ebd. S. 22, vgl. auch S. 35, 43, 50, 68, 76, 82, 145, 204). Norbert Miller, Ε. T. A. Hoffmann und die Musik. In: Akzente. Zeitschrift für Literatur 24 (1977), S. 125. Auf diese Diskrepanz zwischen romantischer Idee und musikalischem Regelwerk in Hoffmanns musikalischem Schaffen hat detailliert hingewiesen Georg von Dadelsen, Alter Stil und alte Techniken in der Musik des 19. Jahrhunderts. Phil.Diss. Berlin 1951, S. 52-58 Norbert Miller, Ε. T. A. Hoffmann und die Musik, a.a.O., S. 125
werks bewirken sollte, droht sich in einen Käfig der musikalischen Inspiration zu verwandeln. Einen Ansatzpunkt, die Musik dennoch als Träger eines sprachüberhobenen poetischen Gedankens zu sehen, findet Hoffmann in ihrem besonderen romantischen Sprachcharakter. 2.1.3. Musik und Sprache - die >romantische< Instrumentalmusik zwischen >höherer Sprachfähigkeit< und Formelhaftigkeit Wenn Hoffmann in seinen Schriften das >Romantische< der Musik nicht zuletzt in ihrem Sprachcharakter entdeckt, so scheint seine Annahme widersprüchlich zu sein. Ist nicht die Musik die geheimnisvolle Sprache eines fernen Geisterreichs, deren wunderbare Akzente in unserm Innern widerklingen, und ein höheres, intensives Leben erwecken? Alle Leidenschaften kämpfen schimmernd und glanzvoll gerüstet miteinander, und gehen unter in einer unaussprechlichen Sehnsucht, die unsere Brust erfüllt. Dies ist die unnennbare Wirkung der Instrumentalmusik. 52
Baut die Musik eine zweite Wirklichkeit auf, die mit ihrer »unnennbaren Wirkung« eine eigene sprachlich nicht erreichbare Sphäre verkörpert, so erweist sie sich als Träger des poetischen Gedankens von einem »fernen Geisterreiche« wiederum als »geheimnisvolle S p r a c h e « ganz eigener Art. Diese Unklarheit ist auf ein scheinbares Paradox zurückzuführen, das sowohl bei den Romantikern als auch bei Hoffmann zu der hohen Einschätzung der Instrumentalmusik führt. Ist sie einerseits >unbestimmter< als die an eine Begrifflichkeit gebundene Sprache, so soll sie gleichzeitig das Unendliche in der »Sprache eines fernen Geisterreichs« viel genauer wiedergeben, als es die Wortsprache jemals vermag. Auch dieser Widerspruch beeinflußt Hoffmanns Vision vom >Romantischen< der Musik. Bereits in einem früheren Kapitel wurde dargelegt, daß die ästhetische Aufwertung der Instrumentalmusik an ihrer unbestimmten Aussageform ansetzte. Erlebt nach Hoffmann der Hörer in der Musik »eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurückläßt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben«, 53 so unterscheidet er sich mit dieser Feststellung in keiner Weise von den Äußerungen anderer Romantiker, die wie ζ. B. Tieck in der Musik den 52 53
Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 83 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 34 73
»Seelenton einer Sprache, die die Himmelsgeister reden«, 54 zu vernehmen glauben. Auch bei Hoffmann finden sich Anklänge an die romantische Sprachmetaphysik, wonach die zur Formelhaftigkeit erstarrte Begrifflichkeit der Sprache - das >Wort< - die Darstellung der eigentlichen Intention - des >Tons< - verhindert. Explizit verweist er darauf, daß im Gegensatz zur Musik in der »individualisierten Sprache [...] die innigste Verbindung zwischen Wort und Ton«, die »Verbindung des Gedankens mit seiner Hieroglyphe« 55 notwendig ist. Interessant ist jedoch in diesem Zusammenhang, wie H o f f m a n n im September 1813 seine eigenen dichterischen Versuche einordnet. Er fordert nicht, daß sich die Dichtung die Musik als Vorbild nehmen und durch sprachmusikalische Elemente die begriffliche Einengung durchbrechen solle. In der Sprache bietet sich für ihn die Möglichkeit, eine fiktionale Wirklichkeit aufzubauen und die Einwirkung des >Romantischen< auf die Wirklichkeit darzustellen. 56 Was er aus dieser Perspektive anzustreben scheint, ist eine >Arbeitsteilung< zwischen den verschiedenen Künsten. Die Musik entführt den Hörer in die >künstlichen Paradiese< der Werke Beethovens und müßte daher »jede Fessel einer andern Kunst zerreißen«. 57 Allein durch die Sprache bleibt aber der einzelne auch in seiner Vorstellungswelt den Denkmustern des Alltags verhaftet - bezüglich der Schrift weist Hoffmann deutlich darauf hin, »daß kein Gedanke in uns sich ohne seine Hieroglyphe [...] erzeugt [.. .]«.58 Der Schriftsteller hätte demnach die Aufgabe, die Wirklichkeit so darzustellen, daß der Leser das >Romantische< als Einbruch in seine scheinbar geordnete Wirklichkeit erfährt. H o f f m a n n konstatiert bezüglich seiner ersten literarischen Versuche, daß nicht eine Auflösung des >Worts< in den >Tonunbestimmten< Aussage das Romantische vollkommener 54 55 56 57 58 59
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W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 242 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 611 Vgl. dazu Lothar Köhn, Vieldeutige Welt, a.a.O., S. 30ff Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 35 Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 326 Brief an C. F. Kunz vom 20. Juli 1813, Bw I, S. 400
wiederzugeben. Die Ahnung der »überirdische[n] Heimat« 6 0 vermittelt nach Hoffmann ausschließlich die Musik, »die immer vielfältiger und vollkommener von den Wundern des fernen Reichs sprach«. 61 In diesem Sinne kommentiert er auch Beethovens Klaviertrios: [...] und mitten in diesem aufgeschlossenen Geisterreiche horcht die entzückte Seele der unbekannten Sprache zu, und versteht alle die geheimsten Ahnungen, von denen sie ergriffen.-62
Er betont häufig, daß die »Ahnungen der Freudigkeit [...] aus einem unbekannten Lande« nur durch die »reine Instrumentalmusik, da, wo sie n u r d u r c h s i c h a l s M u s i k « 6 3 wirkt, künstlerisch dargestellt werden. Für Wackenroder spricht die Musik »in einer fremden, unübersetzbaren Sprache«, 64 und Tieck begreift sie als ein äußerst differenziertes Ausdrucksinstrumentarium des Menschen, sie sei »feiner als die Sprache, vielleicht zarter als seine Gedanken, der Geist kann sie nicht mehr als Mittel, als Organ brauchen, sondern sie ist Sache selbst [.. ,]«.65 Diese Überlegungen stellen insofern auch einen Reflex der musikgeschichtlichen Vorgänge dar, als sie auf die Aufschlüsselung und Entwicklung des thematischen Materials abzielen. 66 Gerade ihre >UnbestimmtheitSprachfähigkeit< der Instrumentalmusik ist darauf zurückzuführen, daß ein musikalisches Werk eine eigene konsistente Bedeutungsschicht enthält. H o f f m a n n begreift die Notation der Musik nicht nur als Anweisung für den Interpreten und reduziert das Musikwerk als ästhetischen Gegenstand auch nicht auf den akustischen Eindruck in einem Konzert. Vielmehr »wird die Partitur das 60
Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 230 Ebd. 62 Ebd. S. 121 63 Ebd. S. 130 (Hervorh. d. Verf.) 64 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 212; vgl. auch S. 223 65 Ebd. S. 190 66 Vgl. dazu Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 106; vgl. auch S. 109 67 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 248 68 Vgl. ebd. S. 254f 61
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Zauberbuch, welches die geheimste Sprache der Natur geformt und gestaltet im Leben festhält, daß sie willkürlich und vernehmbar ertönt«. 69 An der »Kunst des Komponierens« 70 betont er besonders »die Fähigkeit, jene Anregungen wie mit einer besondern geistigen Kraft festzuhalten und festzubannen in Zeichen und Schrift [.. ,]«.71 Er erwähnt »das lebendige Hervorgehen der Musik bei dem Anblick dieser Zeichen« 72 und unterstreicht in seinen Rezensionen, daß sich ihm verwickeitere thematische Beziehungen nicht über den akustischen Eindruck, sondern erst nach einem eingehenden Partiturstudium erschlossen haben.73 Als Werk erfährt er die Musik, indem sich aus der Notation der musikalische Aussagegehalt, die musikalische >Intention< entnehmen läßt.74 Das >Romantische< eines Musikwerks ist damit ausschließlich an die musikalische Form gebunden und existiert nur durch sie. Auf diesem Charakteristikum, zu dem es in der Wortsprache kein Pendant gibt, beruht der romantische Sprachcharakter der Musik. Nur der Blick auf die Form führt zu einem »tiefere[n] Eindringen in den Geist des Stücks, der sich eben in den verschiedenen kontrapunktischen Wendungen eines kurzen, faßlichen Themas ausspricht Bestimmt Hoffmann die Musik als Tätigkeit des >GeistesEnergeiaErgonintentionalarabeskenhaften< Behandlung musikalischer Themen bestätigen. Durch die künstlerische Entwicklung werden musikalische Werke in ihrem Aussagewert >überholtRomantischen< in der Musik darauf, daß nur Beethoven »eindrang in ihr innigstes Wesen«. 78 Das Werk Haydns trägt in seiner Rezension der fünften Symphonie nur insofern romantischen Charakter, als es im Rahmen der Entwicklungslinie zu Beethoven gesehen wird. Die häufige Anwendung der musikalischen Mittel der Instrumentalmusik, wie sie von Haydn, Mozart und Beethoven entwickelt wurden, beurteilt Hoffmann sehr kritisch. Nur d e r Künstler, der den exzentrischen Flug seines Genies durch das eifrigste Studium der Kunst zügelte, der so die höchste Besonnenheit erlangte, und nun über das innere Reich der Töne herrscht, weiß es klar und sicher, wo er die frappantesten Mittel, die ihm die Kunst darbietet, mit voller Wirkung anwenden soll, und der Schüler, oder gar der blinde Nachahmer ohne Genie und Talent, wird da am ersten fehlgreifen, wo er gerade es vorhat, mit aller Macht und Kraft zu wirken.- 79
H o f f m a n n lehnt zwar den gekonnt eingesetzten Effekt nicht ab, dieser darf jedoch nicht Selbstzweck werden und die »Wahrheit des Ausdrucks« 80 verhindern. Eindringlich fordert Hoffmann, »daß man das starke Gewürz sparen müsse«, 81 da andernfalls die Ausdrucksmöglichkeiten der Musik von oberflächlicher Effekthascherei, zweitrangigen Werken und Epigonentum überdeckt würden. Darüber hinaus konstatiert er, daß die Musik kein Ausdrucksmittel mehr ist, das dem Schablonenhaften und Klischeehaften entgehen kann. Sorgfältig registriert er in seinen Rezensionen die Anwendung >verbrauchter< musikalischer Mittel. 82 Wenngleich diese Feststellung auch von anderen Rezensenten der Allgemeinen Musikalischen Zeitung teilweise getroffen wird, so sind die Konsequenzen für Hoffmanns 76
Ebd. S. 35 Ε. T. A. Hoffmann, Tagebücher, a.a.O., S. 56 78 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 35 79 Ebd. S. 137 80 Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 320 81 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 81 82 Vgl. ebd. S. 25, 54, 76, 146f, 150, 183, 208 77
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These von der >Romantik< des musikalischen Kunstwerks wesentlich vertrackter. Was von den Romantikern an der Sprache beklagt wird, wiederholt sich bei näherem Hinsehen also auch am musikalischen Kunstwerk. Als >Gemachtes< ist es immer vom Verschleiß der musikalischen Sprachelemente und damit von der Gefahr, ins Triviale und Mechanische abzusinken, bedroht. In dem Maße, in dem die Vervollkommnung ihrer >Sprachfähigkeit< die Musik auf einen Höhepunkt ihrer ästhetischen Wertschätzung führte, droht sie in den musikalischen Formen eben dieser >Sprachfähigkeit< zu erstarren. Aufschlußreich ist es, diese Diagnose Hoffmanns in den weiteren Rahmen der Frage nach der Herkunft sowie der Zukunft der Musik zu stellen, denn die romantische geschichtsphilosophische Ausrichtung auf ein »Goldenes Zeitalter< könnte auf eine zu erwartende Überwindung dieser Schwierigkeiten deuten. 2.2.
Alte Kirchenmusik und moderne Instrumentalmusik - die Abkehr von der geschichtsphilosophischen Zukunftsperspektive der Frühromantik
Nach Hoffmanns Apotheose der Instrumentalmusik Beethovens wirkt es befremdend, daß sowohl die alte italienische Kirchenmusik - »Mit Palestrina hub unstreitig die herrlichste Periode der Kirchenmusik (und also der Musik überhaupt) an [.. ,]«1 - als auch die moderne Instrumentalmusik die >Romantik< der Musik gleicherweise repräsentieren sollen.2 Bei dem Versuch, diese beiden Positionen zu vermitteln, knüpft Hoffmann an das dreistufige geschichtsphilosophische Denkmuster der frühromantischen Kunsttheorie an, verbindet allerdings in eklektischer Weise zwei Argumentationsstränge. 1 2
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Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 214 Die Grundzüge von Hoffmanns Vorstellungen zur Kirchenmusik werden abgehandelt bei Karl Gustav Feilerer, Der Musiker Ε. T. A. Hoffmann, a.a.O., S. 47f; Martin Geck, Ε. T. A. Hoffmanns Anschauungen über Kirchenmusik. In: Walter Salmen(Hg.), Beiträge zur Geschichte der Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Regensburg 1965, S. 61-73. - Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 50ff, S. 94ff setzt ebenfalls an dem genannten Problem an, seine Argumentation läuft allerdings darauf hinaus, den Zwiespalt in Hoffmanns Konstruktion mit dem Hinweis auf dessen Äußerung v o m >Fortschreiten< des >waltenden Geistes< zu harmonisieren. In meinen Überlegungen knüpfe ich an Ernst Lichtenhahn, Zur Idee des goldenen Zeitalters, a.a.O., S. 502-513 an, der zum einen auf Übereinstimmungen mit den Ansichten Reichardts und A. W. Schlegels hinweist und vor allem mit Bezug auf den Europa-Aufsatz von Novalis Parallelen zur frühromantischen Geschichtskonzeption herausstellt.
Zum einen stehen neben der Malerei sowohl die Musik Palestrinas wie auch die moderne Instrumentalmusik paradigmatisch für die Kunst des christlichen romantischen Zeitalters im Gegensatz zur >plastischen< Kunst der heidnischen Antike. Beide Künste, Musik und Malerei, behaupteten in der antiken Welt nur scheinbar ihren Platz: sie wurden von der Gewalt der Plastik erdrückt, oder vielmehr, in den gewaltigen Massen der Plastik konnten sie keine Gestalt gewinnen ; beide Künste waren nicht im mindesten das, was wir jetzt Malerei und Musik nennen, so wie die Plastik, durch die, jeder Verleiblichung entgegenstrebende Tendenz der christlichen, modernen Welt, gleichsam zum Geistigen verflüchtigt, aus dem körperlichen Leben entwich. 3
Auch Jean Paul unterscheidet in der >Vorschule der Ästhetik< »zwischen griechischer oder plastischer Poesie und zwischen neuer oder romantischer oder auch musikalischer« 4 und folgert, »daß man die romantische ebensogut die christliche nennen könnte«. 5 Völlig mit A. W. Schlegel übereinstimmend betont Hoffmann, daß die Musik der antiken Welt »nur rein rhythmisch war«, während »Melodie und Harmonie, die beiden Angeln, in denen sich unsere Musik bewegt, der antiken Welt unbekannt blieben«. 6 An die Vorstellung von einem inneren Zusammenhang zwischen Geschichte und ästhetischem System der Künste anknüpfend hat A. W. Schlegel die ästhetischen Einsichten seiner Zeit gesammelt und zu einem antithetischen Kategorienschema geordnet, an dem sich H o f f m a n n bei seiner geschichtsphilosophischen Rechtfertigung der Instrumentalmusik orientieren konnte. 7 Die Musik Palestrinas wie auch Beethovens ist als vergeistigte und verinnerlichte Kunst die adäquate Äußerungsform einer vom Christentum geprägten Kultur. Daneben findet sich bei Hoffmann, ähnlich wie bei Wackenroder 8 oder Novalis, 9 eine Historisierung des geschichtsphilosophischen Denkmusters, indem das Wunschbild des ursprünglichen >Goldenen Zeitalt e r nicht mehr auf die klassische Antike bezogen, sondern in das Mit3
Ebd. S. 212f Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, Bd. 5, a.a.O., S. 67 5 Ebd. S. 93 6 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 213 7 Carl Dahlhaus hat dargestellt, daß die Auseinandersetzung um den Vorrang der >Melodie< oder der >Harmonie< in der Musik - vergleichbar der literaturästhetischen Diskussion - als musikalische »Querelle des anciens et des modernes« zu verstehen ist. Vgl. ders., Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 48ff 8 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 63 9 K N A III, S. 507 4
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telalter projiziert wird. Für Hoffmann symbolisiert die Kirchenmusik Palestrinas mit ihren konsonierenden Akkorden das vergangene Ideal einer harmonischen, auf dem christlichen Glauben beruhenden universalen Lebensgemeinschaft. Die Liebe, der Einklang alles Geistigen in der Natur, wie er dem Christen verheißen, spricht sich aus im Akkord, der daher auch erst im Christentum zum Leben erwachte; und so wird der Akkord, die Harmonie, Bild und Ausdruck der Geistergemeinschaft, der Vereinigung mit dem Ewigen, dem Idealen, das über uns thront und doch uns einschließt. Am reinsten, heiligsten, kirchlichsten muß daher die Musik sein, welche nur als Ausdruck jener Liebe aus dem Innern aufgeht, alles Weltliche nicht beachtend und verschmähend. 10
Hoffmann lehnt sich an Wackenroder und Novalis an, wenn er den Niedergang der Religion und der Kunst in der auf das Mittelalter folgenden Zeit auf einen geistigen Verfall zurückführt. Novalis sieht hinter der »modernen Denkungsart« der Aufklärung den Versuch, »die menschlichen Seelen und die Wissenschaften von der Poesie zu säubern«,11 und Hoffmann äußert: In der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts brach nun endlich jene Verweichlichung, jene ekle Süßlichkeit in die Kunst ein, die, mit der sogenannten, allen tieferen religiösen Sinn tötenden Aufklärerei gleichen Schritt haltend, und immer steigend, zuletzt allen Ernst, alle Würde aus der Kirchenmusik verbannte. 12
Seine Warnung vor der »Seuche des weltlichen, prunkenden Leichtsinns« 13 kann er mit den Klagen zeitgenössischer Musiktheoretiker über den Verfall eines reinen Kirchenstils und die Vermischung der musikalischen Schreibarten - nämlich des Kirchen- und des Opernstils - kombinieren. 133 Vor allem im Oratorium sieht er einen Ansatzpunkt dieser Entwicklung, da es als »geistliche Oper« 14 der Theatermusik »den Eintritt in die Kirche eröffnet hatte«.15 Haydn, Mozart und Beet10
Ebd. S. 215 KNA III, S. 516 12 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 227 13 Ebd. 13a Vgl. dazu Ernst Lichtenhahn, Zur Idee des goldenen Zeitalters, a.a.O., S. 505f 14 Ebd. S. 223 15 Ebd. S. 225; Kurt von Fischer weist nach, daß daher das Oratorium in musiktheoretischen Schriften immer ausdrücklich von der Oper abgesetzt wurde (S. 45f) und sich diese »Ablehnung des Dramatischen im Sinne des Opernhaften für die Kirchenmusik [...] wie ein roter Faden über Friedrich Rochlitz bis zu Mendelssohn« ziehe. Ders., Das Dramatische in der geistlichen Musik. In: Archiv für Musikwissenschaft 34 (1977), S. 38ff 11
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hoven schufen aus seiner Perspektive zwar in den Formen der Instrumentalmusik »eine neue Kunst« 16 und lieferten damit die musikalischen Mittel, in denen sich der Verfall der Kirchenmusik vollzog. Die Fehlentwicklung ist allerdings »nicht die Schuld jener Meister«, 17 sondern wurde durch den »Leichtsinn«, den »Unverstand« oberflächlicher Komponisten, die »mit dem erworbenen Reichtum übel haushaltete[n]«, 18 hervorgerufen. Nach H o f f m a n n verkörpern Palestrina und Beethoven gemeinsam die christliche Kultur im Unterschied zur Antike, gehören aber innerhalb der Neuzeit differierenden kulturellen Bezugssystemen an. Folgerichtig konstatiert er: Rein unmöglich ist es wohl, daß jetzt ein Komponist so schreiben könne, wie Palestrina, Leo, und auch wie später Händel u.A.-'9
Damit hat sich Hoffmann noch eng an vorgegebene romantische Vorstellungen gehalten. Deren Kombination mit seiner Apotheose der Instrumentalmusik birgt aber eine Widersprüchlichkeit in sich, die eine harmonisierende romantische Lösung nicht mehr möglich macht und seine Ansicht vom >Romantischen< in der Kunst von den Überlegungen seiner Zeitgenossen wegführt. Dieser Sachverhalt ist in den bisherigen Interpretationen noch nicht in seiner Tragweite erkannt worden. Im folgenden sind zwei grundsätzliche Fragen zu stellen, die das Verhältnis der Kunstmusik zu ihrem romantischen Anspruch betreffen. Zum einen muß der Unklarheit nachgegangen werden, warum die Musik einer >Verfallsepoche< eigentlich als >romantischste aller Künste< dargestellt werden kann. In einem weiteren Schritt wäre zu klären, wie sich die Hoffnung auf ein erneutes >Goldenes Zeitalter< damit verträgt, daß sich - wie Hoffmann in einigen seiner Rezensionen äußert - das >Romantische< doch bereits in den Werken Beethovens verwirklicht habe. 20 16
Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 230 Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd. S. 229 20 Diese Frage hat Ernst Lichtenhahn am Ende seines Aufsatzes nur angedeutet, aber hinsichtlich des ästhetischen Stellenwerts der Musik bei Hoffmann nicht beantwortet, vgl. Ernst Lichtenhahn, Zur Idee des goldenen Zeitalters, a.a.O., S. 510f. Er betont in seinem Aufsatz, daß Hoffmanns Übernahme des triadischen Dreischritts in das Musikgeschichtsbild keineswegs auf eine Restauration des ursprünglichen >Goldenen ZeitaltersVerfalls< diagnostiziert Hoffmann, daß sich in der Musik, ganz im Gegensatz zum inhaltlichen und formalen Niedergang der Malerei, eine völlig neue Aussageform entwickelt habe. Mit der Musik ist es aber anders. Der Leichtsinn der Menschen konnte den waltenden Geist nicht aufhalten, der im Dunkeln fortschritt [...]. Das wunderbare Streben, jenes Walten des belebenden Naturgeistes, ja unser Sein in ihm, unsere überirdische Heimat, zu erkennen, das sich in der Wissenschaft offenbart, wurde durch die ahnungsvollen Töne der Musik angedeutet, die immer vielfältiger und vollkommner von den Wundern des fernen Reichs sprach. Es ist nämlich wohl gewiß, daß die Instrumentalmusik sich in neuerer Zeit zu einer Höhe erhoben hat, die die alten Meister nicht ahneten, so wie an technischer Fertigkeit die neuern Musiker die alten offenbar weit übertreffen. 21
Die moderne Musik ist daher der alten italienischen Kirchenmusik ähnlich wie in der Argumentation F. Schlegels - aufgrund ihrer artifiziellen Perfektion überlegen. Die auf einen »waltenden Geist« zurückgeführte Entwicklung trägt an den Künstler gesteigerte Anforderungen hinsichtlich der Bewältigung künstlerischer Formprobleme heran. F. Schlegel deutet auf das weiterweisende Moment der künstlichen Bildung< am Beispiel der Poesie, »deren Werkzeug, die willkürliche Zeichensprache, Menschenwerk und also unendlich perfektibel und korruptibel ist«. 22 Indem Hoffmann die frühromantische Apologie des Artifiziellen der modernen Kunst in sein Musikgeschichtsbild übernimmt, beginnt sich das Bild zu verwirren, was manchmal zu falschen oder nur Teilaspekte erfassenden Deutungen seines Geschichtsbildes geführt hat. Einen verbindlichen Anhaltspunkt oder eine weiterweisende Perspektive vermißt man. Die Einsicht in die Entwicklungsrichtung der modernen Musik hat keine eindeutige Abgrenzung der >richtigen< und der f a l schen Tendenzen< zur Folge.23 Vielmehr werden Haydn und Mozart die H o f f m a n n sonst nur mit der aufsteigenden Entwicklungslinie zu einer >romantischen< Musik in Verbindung bringt - in der Schrift >Alte und neue Kirchenmusik< wie auch in Kirchenmusikrezensionen, die im gleichen Zeitraum entstanden sind, sowohl positiv als auch negativ eingeschätzt und sehr zweideutig charakterisiert.
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Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 230 KSA I, S. 294; dieser Befund veranlaßt F. Schlegel zu der Feststellung, die Zeit scheine »für eine ä s t h e t i s c h e R e v o l u t i o n reif zu sein« (ebd. S. 269). Gegen diese Parallelisierung Ernst Lichtenhahns (vgl. a.a.O., S. 508) wäre einzuwenden, daß bei Hoffmann, im Gegensatz zum F. Schlegel des StudiumAufsatzes, der Selbstwiderspruch der Moderne stärker akzentuiert wird.
In der Rezension der C-Dur Messe von Beethoven betont Hoffmann in bewußter Absetzung von Tiecks Auffassung, daß nur die alte italienische Kirchenmusik die eigentliche Kirchenmusik sei, den »Eindruck des Rein-Romantischen, wie es in Mozarts, in Haydns phantastischen Kompositionen lebt und webt!« 24 Auch in dem Aufsatz >Alte und neue Kirchenmusik< rühmt H o f f m a n n bezüglich der künstlerischen Vollendung den »große[n] Haydn«, der im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Kirchenkomponisten fast als Ideal einer romantischen Kirchenmusik erscheine. Denn er wurde zwar »nachgeahmt, oder vielmehr nachgeäfft: aber bloß an der Schale nagten die sogenannten Kirchenkomponisten, ohne den Kern zu erbeuten, und der tiefe Geist der Harmonik, der in seinen Werken verschlossen, konnte ihnen nicht aufgehen«. 25 Die neuartigen Anregungen Haydns, Mozarts und Beethovens parallelisiert er mit »eben dem Grade, als die Instrumentalmusik stieg«, und rühmt die Werke »jener Meister, in denen sich der Geist so herrlich offenbarte«. 26 Gleichzeitig äußert er sich jedoch - diesmal am »Maßstab der reinen Kirchenmusik« 2 7 orientiert - recht ablehnend zu Haydns Messen, die »durchaus nicht Muster des Kirchenstils zu nennen« 2 8 seien und urteilt, »daß selbst der, in seiner Art so große, unsterbliche J. H a y d n , selbst der gewaltige M o z a r t , sich nicht rein erhielten von dieser ansteckenden Seuche des weltlichen, prunkenden Leichtsinns«. 29 Hoffmann hat sich damit in ein dichotomisches Kategorienschema verwickelt, das nicht eindeutig aufzulösen ist. Auf der einen Seite verherrlicht er die alte Kirchenmusik als unmittelbaren »Ausdruck der höchsten Fülle des Daseins - Schöpferlob! - «,30 muß jedoch zugestehen, daß sie an Aussagefähigkeit und künstlerischer Qualität hinter der modernen Instrumentalmusik zurücksteht. Auf der anderen Seite beklagt er aber, daß die moderne Instrumentalmusik zwar als »Kunst des neuesten, auf innere Vergeistigung hinarbeitenden Zeitalters« 31 ein bisher ungekanntes Niveau künstlerischer Ausdrucksfähigkeit erreicht ha24
Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 156 Ebd. S. 229 26 Ebd. S. 230 27 Ebd. S. 228 28 Ebd. 29 Ebd. S. 227 30 Ebd. S. 212 31 Ebd. S. 232. - Für Carl Dahlhaus wird bei Hoffmann die Dialektik, »daß die Musik als >Kunst< oder >Technik< gewinne, was sie an >Geist< und substantiellem Interesse< einbüße«, im »Fortschreiten« des »Weltgeistes« aufgehoben (Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 95). 25
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be, daß dieser Aufschwung jedoch mit dem Verlust an unmittelbarer religiöser Aussage erkauft sei. Er sieht in diesen widersprüchlichen Beziehungen keine ihm entgegen seiner Absicht unterlaufene Inkonsequenz, die er gar mit einer Entscheidung »gegen die Sache und für das System«32 hinter einer restaurativen Geschichtsideologie und der Forderung nach der Rückkehr zur alten Kirchenmusiktradition verstecken will. Daß er in diesem unlösbaren Zwiespalt vielmehr das entscheidende Problem der modernen Musik zu erkennen glaubt, beweist die Umarbeitung der Schrift über die Kirchenmusik für die >Serapions-BrüderWalten< des forttreibenden Weltgeistes< - sehr vage und ist untrennbar mit der Zwiespältigkeit der modernen Musik verflochten. Hoffmann versetzt die Musik nur in ein fiktives jenseitiges Refugium, in das sie sich von der prosaischen Wirklichkeit zurückzieht und von dem aus »Trost und Heil in die unruhvolle Brust des Menschen h i n a b s t r a h l t ! - « 3 9 Gerade Hoffmanns Argumente für den religiösen Charakter der Musik, mit denen er ihren romantischen Anspruch absichern wollte, bestätigen diesen Befund. Die alte italienische Kirchenmusik - »der wahrhafte, würdige Ausdruck des von der inbrünstigsten Andacht entzündeten Gemüts« - war an die Zeit gebunden, »als die Kirche in dem vollen Glanz ihrer ursprünglichen Hoheit und Würde strahlte«. 40 Mit der »von der Erde verschwundenen Kirche« 4 1 verfällt die Kirchenmusik, während die Instrumentalmusik jetzt der unsichtbaren Kirche< angehört. Stößt der theologische Bezug bei Hoffmann häufig auf Verwunderung, so sollte doch darauf hingewiesen werden, daß sein Konzept nicht religiös motiviert ist, sondern die zeitgenössische Umwertung des Kunstenthusiasmus mitvollzieht und in einer säkularisierten Kunstreligion aufgeht. Zum einen machen die neuen Tendenzen der Kunst, ihre >VergeistigungUnsagbare< der religiösen Botschaft auszudrücken. Für Hoffmann ist daher die Musik, die »nur einzig reingeistiger, ätherischer Mittel« bedarf, »religiöser Kultus«. 42 Der protestantische Theologe Martin Leberecht de Wette erklärt in seiner 1815 in Berlin anonym erschienenen Flugschrift >Die neue Kirchec »Dem religiösen Gefühl dient aber am besten die Kunst.« Dabei hebt er die Musik als »geistigste« der Künste nachdrücklich hervor. 43 Und Wackenroder kommentiert seine Bemühungen, den Aufschwung der Instrumentalmusik mit ihrer Eigenschaft als Sprachrohr des Religiösen in Übereinstimmung zu bringen, mit der Bemerkung: »Keine Flamme des menschlichen Busens steigt höher und gerader zum Himmel auf, als die Kunst!« 44 Auch mit Bezug auf die 38 39 40 41 42 43 44
Ebd. S. 231 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 235 (Hervorh. d. Verf.) Ebd. S. 216 Ebd. S. 218 Ebd. S. 212 Zit.n. Hubert Schrade, Deutsche Maler der Romantik. Köln 1967, S. 17 W. H. Wackenroder, Werke und Briefe, a.a.O., S. 229
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Opernkomposition betont Hoffmann das Phänomen, daß mit der Entwicklung der >opera seria< die religiöse alte Kirchenmusik einer Tendenz zur Kunstmusik als der ihr gemäßen Aussageform folgt. Wird in den Opern des »herrlichen Gluck« die »Verbindung mit den Göttern, die den Menschen zum höheren Leben, ja zu göttlicher Tat erweckt«, 45 thematisiert, so hat dies musikalische Folgen: »Ich wollte, Ferdinand, nichts Geringeres andeuten, als die innige Verwandtschaft der Kirchenmusik mit der tragischen Oper [.. ,]«.46 In einer Rezension verteidigt er einen Komponisten mit dem Hinweis darauf, daß er, »wie es eben die ernste Oper mit vollem Recht fordert, seiner Komposition den Kirchengesang zum Grunde legte [.. .]« 47 In dieser Argumentation ist aber gleichsam eine ästhetische Gegenbewegung angelegt. Hat die Instrumentalmusik die alte Kirchenmusik als »geheimnisvolle Kunst des neuesten, auf innere Vergeistigung hinarbeitenden Zeitalters« 48 abgelöst, so kommt die Musik der Religion nicht nur als Äußerungsform entgegen, vielmehr entwickelt sie selbst eine Tendenz zum Absoluten. Wie sich schon bei Tiecks Überlegungen - im Gegensatz zu denen Wackenroders - zeigte, daß der Gedanke der Kunstreligion einen letztlich ästhetischen Hintergrund hat, so dient auch Hoffmann in vielen Schriften der Verweis auf die >unsichtbare Kirche< als Topos, der von der sakralen Würde des Religiösen zehren und die überwirkliche metaphysische Würde der >romantischen< Kunst glaubwürdig machen soll.49 So faßt Hoffmann auch seine Überlegungen zur Oper in religiöse Metaphorik, wenn die romantische Oper das »ferne Reich der Romantik«, die »Seligkeit jenes Paradieses« 50 heraufbeschwören soll: »[...] da sind Dichter und Musiker die innigst verwandten Glieder e i n e r Kirche: denn das Geheimnis des Worts und des Tons ist ein und dasselbe, das ihnen die höchste Weihe erschlossen.« 51 Im Sinne eines absoluten Anspruchs der romantischen Kunst 45
Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 89 Ebd. 47 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 337 48 Ebd. S. 232 49 Mozart ordnet Hoffmann ausdrücklich der unsichtbaren Kirche< zu (ders., Schriften zur Musik, a.a.O., S. 210) und er spricht ein wirkliches Kunstverständnis auch nur den »Wenigen« zu, die »mit wahrhaft poetischem Gemüt sich zu der unsichtbaren Kirche bekennen« (ebd. S. 596). In diesem Sinne zählen auch in >Prinzessin Brambilla< die deutschen Künstler den Celionati zur unsichtbaren Kirche< (vgl. ders., Späte Werke, a.a.O., S. 248, 258), ähnlich äußert sich Hoffmann auch zu Spontini (ders., Schriften zur Musik, a.a.O., S. 370). 50 Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 83 51 Ebd. - Auch die Schauspiele Calderons versteht Hoffmann eher im Sinne der 46
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spricht auch F. Schlegel von der unsichtbaren KircheKlassik< und >Romantik< - die Umwandlung einer romantischen Antithese in Hoffmanns Musikanschauung
Wie H o f f m a n n in Übereinstimmung mit dem literarischen Kanon seiner Zeit Shakespeare, Calderon oder Gozzi >romantische< Dichter nennt, so bezeichnet er Mozart oder Beethoven als >romantische< Komponisten. Verwirrend wird die Sachlage aber bezüglich der Musik, wenn er gleichzeitig von den »klassischen« Werken Mozarts spricht und in Beethovens Musik zu Egmont das Beispiel einer »gediegenen, klassischen Komposition« 1 sieht. Erwin Kroll interpretiert die scheinbar widersprüchliche Terminologie H o f f m a n n s als Symptom des Dualismus in seiner Kunstauffassung. 2 Wulf Segebrecht erklärt am Beispiel der Egmont-Rezension, daß H o f f m a n n das >Klassische< als das »Muster- und Meisterhafte schlechthin«, das >Romantische< dagegen als das »Nochnichtgeklärte«, das »Fragmentarische, Unausgedachte« 3 sehe. Offen bleibt jedoch, welche Annahmen Hoffmann erlauben, diese widersprüchlich scheinenden Beurteilungen zugleich auf einen musikalischen Sachverhalt anzuwenden. Denn an Beethovens Werk rückt Hoffmann gerade nicht »das Fragmentarische, Unausgedachte« in den Vordergrund, sondern er verweist immer wieder auf die ausgefeilte Form des Werks. Weiterführend ist die These von Carl Dahlhaus, der einerseits die geschichtsphilosophische Antithetik der Begriffe, andererseits 59
KNA III, S. 309 (Nr. 382) Vgl ζ. Β. Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 75, 170 2 Erwin Kroll, Ε. T. A. Hoffmanns musikalische Anschauungen nebst einem Anhange über bisher unbekannte Rezensionen Hoffmanns für die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung. Phil.Diss. Königsber 1909, vgl. S. 108ff 3 Wulf Segebrecht, Autobiographie und Dichtung, a.a.O., S. 79 1
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die geschichtsunabhängige Anwendung auf das gleiche Kunstwerk feststellt. Er kommt allerdings zu dem Schluß: »Das >romantische< Wesen eines Werks und dessen >klassische< Geltung sind miteinander verträglich, weil sie nicht aufeinander bezogen sind.« 4 Dem wäre entgegenzuhalten, daß für Hoffmann romantische Intuition und formale Vorbildlichkeit im Werk eine unauflösliche Einheit bilden und somit gemäß seiner Überzeugung von der >Ganzheit< des romantischen Werks doch aufeinander bezogen sind und auch in einen Widerspruch zueinander treten können, der die Geltung des >Romantischen< einschränkt. Wenn H o f f m a n n - neben der geschichtsphilosophischen Argumentationsweise - an einem Kunstwerk das >Klassische< und das >Romantische< beschreibt, so mit Blick auf nur scheinbar voneinander unabhängige Aspekte. Das Prädikat des >Klassischen< verwendet er unabhängig von Epoche oder Gattung eines Werks und bezeichnet damit die musterhafte vorbildliche Gestaltung eines Werks, seine »höchste Präzision, bei der höchsten Klarheit«. 5 Unter die Kategorie des >Klassischen< fallen neben der Kirchenmusik Bachs, Händeis und der alten Italiener 6 - allen voran Palestrina - die Opern Glucks, 7 Mozarts, 8 Spontinis 9 und sogar die Musik Beethovens. 10 Beethoven verarbeite in seiner Musik zu Egmont die »echt romantische Tendenz des Trauerspiels« in seiner »klassischen Manier«, für die kennzeichnend ist, daß sich das »Einzelne [...] zum Ganzen verschlingt und ordnet«. 11 Das bedeutet aber, daß die >Romantik< der Musik, soll ihre Intention adäquat ausgedrückt werden, darauf angewiesen ist, in formvollendeter >klassischer< Gestalt zu erscheinen. Beide Komponenten sind in Hoffmanns Kunstanschauung wechselseitig voneinander abhängig. So ist » d i e hohe Besonnenheit« 1 2 Beethovens »von dem wahren Genie unzertrennlich«. 1 3 4
Carl Dahlhaus, Romantische Musikästhetik und Wiener Klassik, a.a.O., S. 179. - Ebenso bemerkt auch Hans Heinrich Eggebrecht, »daß im Bereich der frühen Beethoven-Rezeption klassisch und romantisch nicht als Antithese, sondern als Aspekte auftraten [...]« (ders., Beethoven und der Begriff der Klassik. In: Beethoven-Symposion Wien 1970. Bericht. Wien 1971, S. 56). 5 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 66 6 Vgl. ζ. B. ebd. S. 218, 234 7 Ebd. S. 66, 75 8 Ebd. S. 75; Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 82, 91 9 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 370 10 Ebd. S. 170, 172; Bw I, S. 364 " Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 172 12 Ebd. S. 37 13 Ebd. - Vgl. auch Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 638: »Nur die Begeisterung von dem darüber schwebenden Verstände beherrscht und gezügelt schafft das klassische Kunstwerk. Die Rolle wurde ge-
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Allerdings zeigen Hoffmanns gedankliche Konstruktionen, daß die bruchlose Übereinstimmung beider Vorstellungsbereiche eher eine Wunschvorstellung ist.14 Er empfiehlt dem jungen Komponisten, an »Werke der alten Meister« 15 oder an die »klassische[n] Meisterwerke« Glucks 16 anzuknüpfen anstatt »ohne dieses Studium der hohen Romantik Mozarts nachzujagen«. 1 7 An der >Klassik< Glucks könne er lernen, die formale Einheit eines Werks zu bilden, während die romantische Genialität Mozarts für den nachahmenden Künstler unerreichbar bleibe. 18 Bezeichnet H o f f m a n n auch Mozarts Werk als >klassischklassische< Kunstwerk ist vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Musikliteratur nicht völlig abwegig, denn Hoffmann überträgt wie diese mit den erwähnten Bezeichnungen auch das literaturgeschichtliche Denkmuster der >Querelle des anciens et des modernes< auf die Musik. 20 Andererseits ergibt sich aber von den kunsttheoretischen Implikationen dieser Begrifflichkeit her gesehen eine spezifisch Hoffmannsche Positionsbestimmung des romantischen Kunstwerks.
schaffen von der begeisterten Person, von dem versteckten Poeten, während das Bewußtsein des eignen Ichs der Verstand war, der den versteckten Poeten hervorlockte und ihm die Kraft verlieh körperlich geründet mit Fleisch und Bein ins Leben zu treten. - Wie wenige sind aber dieser Duplizität fähig. - « 14 Damit befindet sich Hoffmann in einer ähnlichen Lage wie die zeitgenössische Musikkritik. Ausgehend von einer Äußerung Reichardts deutet Arno Forchert auf den Widerspruch zwischen dem »Hinweis auf die genialischen romantischen Instrumentalwerke Haydns und Mozarts« und der »Erhebung einer Reihe von Werken [ . . . ] in den Rang kanonischer Geltung« hin (ders., »Klassisch« und »romantisch« in der Musikliteratur, a.a.O., S. 408). 15 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 231 16 Ebd. S. 66 17 Ebd. 18 Ebd. S. 66f 19 Vgl. Carl Dahlhaus, Romantische Musikästhetik und Wiener Klassik, a.a.O., S. 180 20 Vgl. dazu Arno Forchert, »Klassisch« und »romantisch« in der Musikliteratur, a.a.O., S. 405f, der den Bedeutungswandel dieser Begriffe in der Musikästhetik verfolgt.
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In den damaligen kunsttheoretischen Denkmodellen, in denen das >Romantische< und das >Klassische< sowohl geschichtsphilosophisch als auch ästhetisch-stilistisch verstanden wurden, stand im Vordergrund die Frage, wie sich unter den Bedingungen der Moderne die >interessante< Subjektivität im Kunstwerk objektivieren könne. Ein grundlegendes Problem bleibt für die Ästhetik des 18. Jahrhunderts, wie sich die >moderne< bzw. >romantische< Geisteshaltung mit der Zielvorstellung von einem geschlossenen >klassischen< Werk vermitteln lasse. Schillers Überlegungen zum >Naiven und Sentimentalischen< in der Kunst wobei er diese Begriffe in einer verwickelten Dialektik sowohl als Epochenbezeichnungen wie auch als Termini für Dichtungsarten der gleichen Epoche faßt - zielen auf eine Synthese, um » a u c h u n t e r d e n B e d i n g u n g e n d e r R e f l e x i o n die naive Empfindung, dem Innhalt nach, wieder herzustellen«. 21 Das Ideal, eine Verbindung des >Naiven< und >Sentimentalischen< auf höherer Ebene, trägt für ihn jedoch futurischen Charakter. 2 2 F. Schlegel sieht in seinem Studium-Aufsatz das >Interessante< nur als Übergangslösung und zielt auf eine Synthese des Objektiven und des interessantem, faßt daher Goethes Werke als Andeutung und »Morgenröte echter Kunst und reiner Schönheit« 23 auf, denn er stehe »zwischen dem Manirirten und Objektiven«. 24 In seinen Athenäumsfragmenten zählt er zwar Goethes >Wilhelm Meisten neben Fichtes Wissenschaftslehre und der Französischen Revolution zu den »größten Tendenzen des Zeitalters«, ergänzt jedoch bezeichnenderweise in einer anderen Fassung: »Aber alle drei sind doch nur Tendenzen ohne gründliche Ausführung.« 2 5 Völlig unvereinbar mit H o f f m a n n s Klassik-Begriff, der auf das >Musterhafte< oder auf die Zeitenthobenheit der einmal verwirklichten genialen Form abzielt, erweist
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Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20, a.a.O., S. 473 (Anm.) »Weil aber das Ideal ein Unendliches ist, das er niemals erreicht, so kann der kultivierte Mensch in s e i n e r Art niemals vollkommen werden, wie doch der natürliche Mensch es in der seinigen zu werden vermag.« (Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 20, a.a.O., S. 438). - Peter Szondi weist allerdings darauf hin, daß Schiller dieses Begriffspaar unter mehreren Gesichtspunkten betrachtet und damit auch die These relativiert, »daß eine Verbindung des >Naiven< und des >Sentimentalischen< erst in der Zukunft, im Rahmen einer historischen Entwicklung stattfinden sollte, und nicht auch schon individuell, im eigenen Künstlertum« (Ders., Poetik und Geschichtsphilosophie I. Antike und Moderne in der Ästhetik der Goethezeit. Hegels Lehre von der Dichtung. Frankfurt/M. 1974, S. 173, vgl. auch ff). KSA I, S. 260 KSA I, S. 261 KSA II, S. 198 (Nr. 216), KSA XVIII, S. 85 (Nr. 662)
sich Schlegels Hoffnung »auf eine grenzenlos wachsende Klassizität«. 26 In seiner Bestimmung des >Klassischen< in dem Aufsatz über Georg Forster polemisiert er nachdrücklich gegen den zeitüberdauernden Wert des stilistisch vollkommenen Kunstwerks: Aber ich möchte das doch zweifelhafte und ominöse Merkmal der Unsterblichkeit am liebsten ganz aus unserm Begriff v o m Klassischen entfernt wissen. Möchten doch Forsters Schriften recht bald so weit übertroffen werden, daß sie überflüssig und nicht mehr gut genug für uns wären; daß wir sie von Rechts wegen antiquieren könnten! 27
Die Notwendigkeit, gerade die Musik Beethovens mit den Perspektiven des >Romantischen< und des >Klassischen< in Übereinstimmung zu bringen, führt Hoffmanns Musikvorstellung an einen Grenzpunkt. Hinsichtlich der formalen Könnerschaft und Vollendung stellt er eine Gemeinsamkeit der Gestaltungsprinzipien Beethovens mit denen Haydns und Mozarts fest - er sei, »rücksichts der Besonnenheit, Haydn und Mozart ganz an die Seite zu stellen«. 28 Andererseits übertrifft Beethoven aber in einer von H o f f m a n n triadisch gefaßten Konzeption Haydn und Mozart, indem er die bei ihnen angelegten Möglichkeiten zu einer völlig neuartigen Aussage des >Romantischen< steigert. 29 Demzufolge komponiert Beethoven zwar noch in »klassischer Manier«. Der r o mantische Geist< droht aber die Fessel der geschlossenen Form zu sprengen und bleibt doch an sie gekettet, da er ohne sie nicht repräsentiert werden kann. Wenn Hoffmann in einigen Äußerungen mit dem Gedanken spielt, ob Beethovens Musik als die Verwirklichung des Ideals zu verstehen sei,30 so fragt sich, wie seine Vorstellung vom >Romantischen< im Vergleich zu dem wirklichkeitsverändernden Impetus der frühromantischen Kunsttheorie zu sehen ist. 26
KSA II, S. 183 (Nr. 116). Unter diesem Blickwinkel sieht er auch in Goethes Roman »eine ganz neue endlose Aussicht auf das, was die höchste Aufgabe aller Dichtkunst zu sein scheint, die Harmonie des Klassischen und des Romantischen« (KSA II, S. 346). 27 KSA II, S. 93, vgl. auch S. 79f. - Zu dem Stellenwert dieses Aufsatzes Schlegels und dem Versuch, darin die Idee der >objektiven Poesie< »mit einer neuen Konzeption des modernen Schriftstellers und seines Mediums, der Prosa, zu synthesieren«, vgl. F. N. Mennemeier, Friedrich Schlegels Poesiebegriff. München 1971, S. 181 ff 28 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 37 29 Vgl. ebd. S. 35f. - Auf die triadische Konzeption bei H o f f m a n n weist Arno Forchert, »Klassisch« und »romantisch« in der Musikliteratur, a.a.O., S. 41 lf hin. 30 Auf entsprechende Stellen verweist Peter Schnaus, Ε. T. A. H o f f m a n n als Beethoven-Rezensent, a.a.O., S. 70ff
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Es ist kein isoliertes Phänomen in der zeitgenössischen ästhetischen Diskussion, daß Hoffmann mit seiner Bestimmung des >Romantischen< an einem für unsere Begriffe >klassischen< Werk ansetzt. Wird für F. Schlegel an Goethes >Wilhelm Meister< deutlich, »was es jetzt an der Zeit ist in der Poesie«, 31 so zeigt nach H o f f m a n n Beethovens Symphonie : »[...] in dem tiefern, innigeren Erkennen des eigentümlichen Wesens der Musik liegt es, daß geniale Komponisten die Instrumentalmusik zu der jetzigen Höhe erhoben.« 32 Wie für F. Schlegel und Novalis »die Beschäftigung mit dem >Wilhelm Meisten ein Schritt auf ihrem Wege zur romantischen Poesie« 33 ist, so steht bei Hoffmann die Beethoven-Rezension am Anfang seiner Laufbahn als Musikschriftsteller und Dichter und weist bereits die ihm eigene Bestimmung ästhetischer Phänomene auf, die er in seiner literarischen Behandlung des Musikproblems fortführen wird. In seiner Einschätzung des Verhältnisses von Kunst und Wirklichkeit unterscheidet sich jedoch Hoffmann von den Frühromantikern nicht unwesentlich. F. Schlegel - in dessen Wilhelm-Meister-Kritik bereits wesentliche Momente seiner späteren Theorie der romantischen Transzendentalpoesie erkennbar sind 34 - versteht Goethes Roman als Buch, das nicht nach einem normativen Gattungsbegriff zu beurteilen ist, sondern das »man nur aus sich selbst verstehen lernen kann«. 35 Die objektivierende Darstellungsweise Goethes deutet F. Schlegel um in eine Tendenz zur Vereinigung des Subjektiven und des Objektiven, wobei er das verknüpfende Moment in das souveräne Spiel der Ironie projiziert, die »über dem ganzen Werke schwebt« und ihm den »sich selbst belächelnde[n] Schein von Würde und Bedeutsamkeit« 36 verleiht. Auf diese poetische Verfahrensweise führt er auch seinen Eindruck zurück, daß die im Werk angelegten Ansätze über sich hinausweisen, »weil jedes vortreffliche Werk, von welcher Art es auch sei, mehr weiß als es sagt, und mehr will als es weiß«. 37 F. Schlegel konzentriert sich daher weniger auf die Gestalten der »heilige[n] Familie der Naturpoesie«, 38 sondern vor allem auf die artistisch vollendeten »seltsamsten Verknüpfungen« 3 9 31
KSA II, S. 162 (Nr. 120) Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 35 33 Roland Heine, Transzendentalpoesie. Studien zu Friedrich Schlegel, Novalis und Ε. Τ. A. Hoff mann. Bonn 1974, S. 12 34 Vgl. ebd. S. 13ff 35 KSA II, S. 133 36 Ebd. 37 Ebd. S. 140 38 Ebd. S. 146 39 Ebd. S. 144. - Offenbart sich für ihn in den Gesängen Mignons und des 32
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der Einzelheiten des Romans. F. Schlegels spätere Überlegungen, die um die poetischen Mittel zur Verbindung vielfältiger und oft gegensätzlicher Teile - ζ. B. Ironie, Witz, Arabeske, Allegorie - kreisen, sind in der Wilhelm-Meister-Kritik insofern angelegt, als er vor allem auf das ironische Spiel mit dem Scheincharakter des Dargestellten verweist. Goethes objektivierendes Darstellungsprinzip wird auch von Novalis als vermittelnde Tendenz eingeschätzt, allerdings nicht in formalem Sinne wie von F. Schlegel. Novalis deutet es »als ein inhaltliches Prinzip, durch das das »individuelle Moment< zum »geläufigen Ausd r u c k einer höheren Wahrheit wird, die auch über das Subjekt des Dichters noch weit hinausgeht«. 40 Unter inhaltlichem Aspekt lehnt Novalis aber gerade den Scheincharakter des Poetischen in »Wilhelm Meisten ab und verurteilt den Untergang des »Wunderbarem: »»Das Romantische geht darinn zu Grunde - auch die Naturpoesie, das Wunderbare. - [ . . . ] Das Wunderbare darinn wird ausdrücklich, als Poesie und Schwärmerey behandelt. Künstlerischer Atheismus ist der Geist des Buchs.« 41 So kritisiert er, daß »Wilhelm Meisten »ganz ein Kunstproduct - ein Werck des Verstandes« 42 sei und Goethe die »Fantasie« vernachlässige, denn in seiner Darstellung sei sie nur »der Stoff des Verstandes«. 43 Bezüglich des Stils stellt Novalis allerdings fest, daß Goethe »eigentlich nicht oder doch nur u m sehr wenig« übertroffen werden könne, »denn seine Richtigkeit und Strenge ist vielleicht schon musterhafter, als es scheint«. 44 Dagegen müsse er jedoch »an Gehalt und Kraft, an Mannichfaltigkeit und Tiefsinn« 45 überboten werden. Indem Novalis aber die Vermittlung des Endlichen und Unendlichen als inhaltliches Prinzip versteht, zielt er in seiner Konzeption auf »die Ausdehnung dieses absoluten Anspruchs auf die darzustellende Außenwelt, deren Poetisierung dem endlichen, individuellen Gegensatz eine Bedeutung verleiht, die mit seinem poetischen, d. h. fiktionalen Stellenwert noch keineswegs erschöpft ist, ihn vielmehr zum >Ausdruck< des Absoluten erhebt«. 46 Harfners »die Poesie auch als die natürliche Sprache und Musik schöner Seelen« (ebd. S. 132), so zeigt er in seiner Besprechung durch musikalische Metaphorik doch vor allem, daß »die letzten Fäden des Ganzen nur durch die Willkür eines bis zur Vollendung gebildeten Geistes gelenkt werden« (ebd. S. 144). 40 Roland Heine, Transzendentalpoesie, a.a.O., S. 32 41 K N A III, S. 638f (Nr. 505) 42 K N A II, S. 641 (Nr. 445) 43 K N A II, S. 543f (Nr. 96) 44 K N A II, S. 642 (Nr. 445) 45 K N A II, S. 642 (Nr. 445) 46 Roland Heine, Transzendentalpoesie, a.a.O., S. 32
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Wenngleich in F. Schlegels und Novalis' Äußerungen zu >Wilhelm Meisten ihre unterschiedlichen Vorstellungen von einer romantischen Transzendentalpoesie anklingen, weisen sie gegenüber Hoffmanns Ansicht vom >Romantischen< in der Kunst eine wesentliche Gemeinsamkeit auf. Sie versuchen, durch die Kunst ein ganzheitliches, wahreres Bild der Wirklichkeit zu entwerfen, das das Bewußtsein des Aufnehmenden und damit gemäß ihrer idealistisch geprägten Konzeption die Wirklichkeit verändern soll. In ihrer Kunsttheorie stellen sie daher Poesie und Prosa nicht antithetisch gegenüber, sondern verschmelzen sie. Dabei wird der Begriff >Prosa< sowohl in metaphorischer Bedeutung mit Blick auf eine alltägliche, durch rationale Nüchternheit geprägte Wirklichkeit - wie auch im unmittelbaren sprachlichen Sinn - mit Bezug auf die ungebundene Schreibweise - verwendet und im Zuge einer Poetisierung der Wirklichkeit in die romantisierende Tendenz einbezogen, womit der Roman eine dominierende Position unter den Kunstformen einnimmt. 4 7 A. W. Schlegel definiert: »Romantische Poesie: unauflösliche Verschmelzung von Kunst und Natur. Also Prosa schon als ursprünglicher Bestandteil aufgenommen«, 4 8 und F. Schlegel bestimmt den Begriff der progressiven Universalpoesie< ebenfalls am Verhältnis Poesie - Prosa: »Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen [.. .].«49 Novalis zielt, indem er sein Konzept des >Romantisierens< im Gegensatz zu F. Schlegel vor allem inhaltlich versteht, sowohl auf eine Poetisierung der Prosa als auch auf eine Prosaisierung der Poesie. 50 Wenn Hoffmann dagegen das >Romantische< in der Musik bestimmt, ist es auf die künstliche Gegensphäre zur Wirklichkeit, auf das musikalische Kunstwerk begrenzt. Hier zeigt sich nicht die Bemühung, »die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch [zu] machen« (F. Schlegel). Von der prosaischen Wirklichkeit ist die Musik völlig getrennt als »eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt«. 51 In diesem Sinne beschreibt Hoffmann auch die Steigerung von Haydn über Mozart zu Beethoven: 47
Vgl. F. Schlegel, LN 602: »Alle P(oesie) soll Prosa, und alle Prosa soll P(oesie) sein. Alle Prosa soll romantisch sein. - Alle Geisteswerke sollen romantisiren, dem Roman sich möglichst approximiren. - « 48 A. W. Schlegel, Geschichte der klassischen Literatur. Kritische Schriften und Briefe Bd. 3, a.a.O., S. 321 49 KSA II, S. 182 (Nr. 116) 50 Vgl. K N A II, S. 536 (Nr. 51); K N A II, S. 545 (Nr. 105) 51 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 34. - Bei Hoffmann findet sich keine Vermischung der - in übertragenem Sinne gesehen - musikali-
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Haydn faßt das Menschliche im menschlichen Leben romantisch auf; er ist kommensurabler für die Mehrzahl. Mozart nimmt das Übermenschliche, das Wunderbare, welches im innern Geiste wohnt, in Anspruch. Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist.52 Was die Musik in ihrer formalen Vollendung durch die Absonderung von der Wirklichkeit an künstlerischer Esoterik gewinnt, verliert sie an Verbindlichkeit gegenüber der Wirklichkeit. Auf die Literatur bezogen, hätte diese musikalische Einsicht zur Konsequenz, daß der Dichter nur noch schillernde Phantasmagorien vorzeigen, aber nicht mehr ein >wahreres< Bild der Wirklichkeit vorführen könne. Der Oper spricht H o f f m a n n noch eine vermittelnde Rolle zu, denn er sieht in der Kombination mit einem Text oder einer dargestellten Handlung eine Chance für die Musik, daß sie sich ihrer Wirklichkeitsenthobenheit entledige, anschaulicher und verbindlicher werde und doch gleichzeitig in einer rein >poetischen< Sphäre über dem >Gemeinen< verbleibe. Aber nun soll die Musik ganz ins Leben treten, sie soll seine Erscheinungen ergreifen, und Wort und Tat schmückend, von bestimmten Leidenschaften und Handlungen sprechen. Kann man denn vom Gemeinen in herrlichen Worten reden? Kann denn die Musik etwas anderes verkünden, als die Wunder jenes Landes, von dem sie zu uns herübertönt? - Der Dichter rüste sich zum kühnen Fluge in das ferne Reich der Romantik; dort findet er das Wundervolle, das er in das Leben tragen soll, lebendig und in frischen Farben erglänzend, so daß man willig daran glaubt, ja daß man, wie in einem beseligenden Traume, selbst dem dürftigen, alltäglichen Leben entrückt in den Blumengängen des romantischen Lebens wandelt, und nur seine Sprache, das in Musik ertönende Wort versteht. 53
sehen Poesie und der musikalischen Prosa. Unter musikalischer Prosa verstände er abgenutzte, triviale oder eindeutig auf Unterhaltung und Zerstreuung abzielende musikalische Formen. In der Musik trennt er strikt die unterschiedlichen Aussagebereiche. Zu Beethovens Klaviertrios stellt er fest: »Es ist, als meinte der Meister, man könne von tiefen, geheimen Dingen, selbst wenn der Geist, mit ihnen innig vertraut, sich freudig und fröhlich erhoben fühlt, nie in gemeinen, sondern nur in erhabenen, herrlichen Worten reden; das Tanzstück der Isispriester kann nur ein hochjauchzender Hymnus sein. Auch Rez. ist überzeugt, daß die reine Instrumentalmusik, da, wo sie nur durch sich als Musik und nicht vielleicht zu einem bestimmten Zweck dramatisch wirken soll, das unbedeutend Spaßhafte, die tändelnden Lazzi, vermeiden soll.« (Ders., Schriften zur Musik, a.a.O., S. 130) 52 Ebd. S. 36 53 Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 83 97
2.4.
Die Oper als romantische Gegenwelt
Verführte die Vielseitigkeit Hoffmanns die Forschung manchmal dazu, von ihm eine Auflösung des Dualismus Poesie - Musik zu erwarten und die romantische Idee der Überführung der Einzelkünste in ein >Gesamtkunstwerk< mit seinem Schaffen in Verbindung zu bringen 1 bereits Jean Paul spielte in dem Vorwort zu den >Fantasiestücken< darauf an, »daß wir noch bis diesen Augenblick auf den Mann harren, der eine echte Oper zugleich dichtet und setzt« 2 -, so wird mit Verwunderung vermerkt, daß Hoffmann sich in >Der Dichter und der Komp o n i s t sowie in den angefügten Rahmengesprächen zu dieser Schrift in den >Serapions-Brüdern< gegen die Personalunion von Dichter und Komponist wendet. 3 An der für die Operngattung charakteristischen WortTon-Relation - der »Verbindung der individualisierten Sprache mit der allgemeinen Sprache der Musik« 4 - erläutert Hoffmann seine romantische Maxime, daß in der Oper »vor unsern Augen sich ein romantisches Sein« 5 erschließen solle, und grenzt dabei das Aufgabenfeld des Librettisten und des Komponisten ab. Seine Vorstellungen von dem Verhältnis zwischen Operndichtung und Musik lassen aber nicht nur erkennen, wie er sich die Erscheinungsform des >Romantischen< in der Oper vorstellt, in Hinblick auf sein dichterisches Werk interessiert vor allem, inwiefern diese Gedanken auch indirekt auf seine literarische Technik der Repräsentation des >Romantischen< in der Dichtung vorausdeuten. Vor allem die in >Der Dichter und der Komponist< häufig angesprochene Konfrontation des >Romantischen< beziehungsweise des >Fantastischen< mit der Wirklichkeit führte in der Hoffmann-Forschung zu der These, daß die Opernästhetik Hoffmanns Konzeption des >Wirklichkeitsmärchens< vorwegnehme. Inhaltlich verwies man dabei besonders auf die Parallelen zwischen der >Zauberflöte< und dem >Goldnen TopfGesamtkunstwerk< vgl. Monika Lichtenfeld, Gesamtkunstwerk und allgemeine Kunst. Das System der Künste bei Wagner und Hegel. In: Walter Salmen (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Regensburg 1965, S. 171-179 und Peter Rummenhöller, Romantik und Gesamtkunstwerk, ebd. S. 161-171; Alfred R. Neumann, The evolution of the concept >Gesamtkunstwerk< in German Romanticism. Phil. Diss. Univ. of Michigan 1951 12 Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 80 13 Ebd. 14 Ebd. S. 84 15 Vgl. Martin Ehrenhaus, Die Operndichtung der deutschen Romantik. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Oper. Phil.Diss. Breslau 1911, S. 15ff. Gozzis Verbindung von Märchen- und Maskenspiel mit ihrer - aus romantischer Perspektive - auf >willkürlicher< Verwirrung beruhenden burlesken Komik regte Tieck zur Umgestaltung einer Gozzischen Vorlage in seinem Libretto >Das Ungeheuer und der verzauberte Wald< an. Vom Stoff her urteilte Hoffmann, daß dieses Libretto Tiecks »wahrhaft romantisch angelegt« (ders., Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 92) war. H o f f m a n n schätzt die Märchen Gozzis als Opernstoff sehr hoch ein (vgl. Heide Ellert, Theater in der Erzählkunst, a.a.O., S. 11 ff). Auch A. W. Schlegel würde dem Librettisten rücksichts dessen, »was man von einer Oper erwarten und fordern darf, die Vergünstigung zu noch weit gewagteren Gaukeleien der Phantasie gern einräumen« (ders., Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur I, a.a.O., Bd. 5, S. 240).
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die Rechtfertigung des >romantischen< Charakters des Librettos zur >Zauberflöte< zu verstehen, 1 6 wie auch vor a l l e m der Rückgriff auf den literarischen K a n o n eine N e u b e l e b u n g der Oper aus romantischem Geist initiieren soll. 1 7 D a m i t wird bereits durch die W a h l des Sujets der den Zuschauer überwältigende Eindruck des >Wunderbaren< und ü b e r n a türlichem vorausgeplant. Ein wesentliches M o m e n t der operndramaturgischen U m s e t z u n g des Sujets beinhaltet die Forderung, daß » H a n d l u n g u n d Situation in mächtigen T ö n e n u n d Klängen s c h w e b e n d « 1 8 vorführbar sein müssen. D e n n Operntexte sind v o m Hörer in der A u f f ü h r u n g selten oder nur sehr schwer zu verstehen. G a n z i m Gegensatz z u m D r a m a - z u m i n d e s t in seiner g e s c h l o s s e n e m Form - , in d e m ein Sachverhalt verbal entwikkelt wird, j e d e Szene konsequent auf ein inhaltliches Ziel hin angeordnet ist u n d i m Bezug auf d e n dramatischen H ö h e p u n k t ihre Recht16
Zur >Zauberflöte< bemerkt Hoffmann, »herzlich schlechte Verse« müßten kein Hinderungsgrund für den Komponisten sein, eine >romantische< Oper zu schaffen. Oft »war es aber der wahrhaft opernmäßige, romantische Stoff, der sie begeisterte. Als Beispiel führe ich dir Mozarts Zauberflöte an« (ders., Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 94). Vgl. auch ders., Schriften zur Musik, a.a.O., S. 52, 264 17 Hoffmann empfiehlt die »dramatischen Märchen« Gozzis als »reiche Fundgrube vortrefflicher Opernsujets« (ders., Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 84; vgl. auch ders., Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 705), und plant noch in Berlin, eine Märchenoper nach Gozzis >Turandot< zu schreiben (vgl. Gerhard Allroggen, Ε. T. A. Hoffmanns Kompositionen, a.a.O., S. 129). An Calderons >Die Andacht zum Kreuz< bewundert er in seiner Bamberger Zeit die »zum Grunde liegende echtkatholische Idee«, deren Vorzug er darin erblickt, »die Sinne bei der symbolischen Darstellung des Übersinnlichen in Anspruch zu nehmen« (ders., Schriften zur Musik, a.a.O., S. 597f). Daher verwundert es nicht, daß Hoffmann 1817 den Plan faßt, Calderons Schauspiel >E1 Galan Fantasma< zu vertonen, da »die Idee des Ganzen einen herrlichen Opernstoff« (Bw II, S. 132) bietet. In seinen eigenen Opern hat er auf die literarische Qualität der Vorlagen durchaus Wert gelegt. So arbeitete er Calderons >La banda y la flor< selbst um (>Liebe und EifersuchtDie lustigen MusikantenUndineUndine< an Fouque sendet: » [ . . . ] nur sey es mir erlaubt zu bemerken, daß wenn manche Begebenheiten wegfallen, weil der Raum des Dramas sie nicht aufnehmen kann, und dadurch manche Nüanzirung verlohren zu gehen scheint, die Musik, welche mit ihren wunderbaren Tönen und Akkorden dem Menschen recht eigends das geheimnißvolle Geisterreich der Romantik aufschließt, alles wieder zu ersetzen im Stande ist.« (Brief an Fouque v o m 15. Aug. 1812, Bw I, S. 347) 22 Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 84 23 Ebd. S. 93 24 Ebd. 25 Ebd. 26 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 34f 20
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tung entspringen« 27 soll. Das Verhältnis von Operndichter und Komponist zeigt sich somit unter zwei Aspekten. Was die künstlerische Tätigkeit betrifft, leistet der Operndichter eher Geschicklichkeit als Genie erfordernde Vorarbeit für den Komponisten und schafft den wohlauskalkulierten Rahmen einer Bühnenhandlung, den der Musiker ausfüllen kann. Ganz im Gegensatz zu Richard Wagner betont Hoffmann ausdrücklich, daß sich der Operndichter an die vorgegebenen musikalischen Formen anpassen und operndramaturgische Regeln einhalten muß. 28 Mit Blick auf die dem Werk vorausgehende poetische Idee des Kunstwerks erscheinen jedoch musikalische Kenntnisse des Dichters, die ihn in die Lage versetzen, ein Libretto den Erfordernissen des Musikers gemäß auszuarbeiten, unwesentlich. Aus dieser Sicht zielen Dichter und Musiker gleicherweise auf das »ferne Reich der Romantik« und zeigen sich als »die innigst verwandten Glieder e i n e r Kirche«. 29 Es ist kennzeichnend, daß Hoffmann diese verschiedenen Blickwinkel, unter denen die Beziehung des Operndichters zum Musiker erscheinen kann, ähnlich wie in der Dialogfassung des KirchenmusikAufsatzes nicht harmonisiert, sondern in der Gesprächsform deutlicher hervortreten läßt. Als Künstler erkennt Hoffmann, daß die Oper zwar ein aus verschiedenen Künsten kombiniertes Werk, aber deshalb noch nicht zwangsläufig ein >Gesamtkunstwerk< ist. An dieser Gattung interessiert ihn jedoch die utopische Möglichkeit, die disparaten Kunstformen auf eine romantische Idee hin auszurichten und in einer homogenen Form zu verschmelzen. 30 Seine Begeisterung für die neuarti27
Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 84 Vgl. ebd. S. 81 f, 92; für Wagner ist eine derartige Einstellung gerade ein Hinderungsgrund, die Oper in ein wirkliches Drama< umzuformen, vgl. ζ. B. die Äußerungen in >Oper und Drama< (Richard Wagners gesammelte Schriften. Hg. v. Julius Kapp. Bd. 11. Leipzig (o. J.), S. 27ff) oder in der Beethovenschrift von 1870 (a.a.O., Bd. 8, S. 187). 29 Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 83. - In diesem Sinn schildert Hoffmann in seinem Brief an Fouque v o m 15. Aug. 1812 auch die Wirkung der Erzählung >UndineGesamtkunstwerks< ist nicht ausschließlich als Amalgation der Künste zu verstehen und setzt auch nicht zwingend voraus, daß ζ. B. eine Oper von einem universal begabten >Gesamtkünstler< zugleich gedichtet, komponiert und in Szene gesetzt wird. Vielmehr zielt die Transzendierung der Werke auf die Idee des >PoetischenRomantische< zum Ausdruck gebracht werden soll, wenngleich ihre Gattungen empirisch voneinander differieren, vgl. ζ. B. F. Schlegel, KSA XI, S. 207f; siehe auch Peter Rummenhöller, Romantik und Gesamtkunstwerk, 28
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gen und aus literarischer Perspektive >romantischen< Entwicklungen der Instrumentalmusik legt nahe, daß Hoffmann überlegt, ob der zielstrebige Einsatz ihrer Mittel in Richtung auf die Verwirklichung seines Opernideals führen könnte. 2.4.2. Die Oper und die Instrumentalmusik Ausdruck des >Romantischen< oder Illusionismus? Im Verlauf seiner Bemühungen, die Musik als eine Sphäre des Idealen über der Bühnenwirklichkeit abzusichern, setzt sich Hoffmann in seinen Rezensionen und vor allem in seinem eigenen kompositorischen Schaffen eingehend mit Mischformen wie Melodram und Schauspielmusik auseinander. Für diese Gattungen stellt er fest, daß die >romantisierende< Wirkung der Musik nur eintritt, wenn ihr Einsatz aus der Handlung heraus motivierbar ist. Andererseits bleibt die Musik in diesen Formen aber unabhängig von der Dichtung, sie existiert als eigener Bereich über der Bühnenwirklichkeit und wirkt in romantischem Sinne steigernd. Gemäß seiner Konzeption steht im Melodram die Musik keineswegs mit der Rede in unmittelbarer Berührung, sie ist vielmehr ein zufälliges Ereignis von der Rede unabhängig, wird von dem Zuhörer als solches beachtet und, insofern es die romantische Stimmung des Augenblicks erhöht, seine Wirkung nicht verfehlen. 31
Diese Überlegung überträgt Hoffmann zwar auf die Oper, muß dabei aber berücksichtigen, daß der Einsatz der Musik hier differenzierter zu a.a.O., S. 162ff. - Im Gegensatz zu A. W. Schlegel, für den nur das im schlechten Sinne >OpernhafteDirna< ein und erwähnt, »wie weit Hoffmann in den von Musik begleiteten Monologen die Ideen des Textes aufgreift und in Musik umsetzt, wie vielfältigen Ausdruck er dem ständigen Jammer und der fortwährenden Verzweiflung zu geben weiß, ohne jedoch die Musik zum Schaden der Bühnenhandlung in den Vordergrund zu rücken [...]« (ders., Ε. T. A. Hoffmanns Musik zur >DirnaDer Dichter und der Komponist< keine eindeutige Hierarchie der >opera seriaopera buffa< und der r o m a n t i schen Oper< aufstellt, deutet aber indirekt darauf hin, daß er noch keine genaue Vorstellung von der >romantischen< Rolle der Musik in der Oper hat. Der zeitgenössischen italienischen Opernmusik, die sich in effektvollen und virtuosen Partien erschöpft, stellt H o f f m a n n die >opera seria< Glucks als verlorenes Ideal aus einer früheren Phase der Musikgeschichte gegenüber, denn die »Wahrheit, daß die Oper in Wort, Handlung und Musik als Ganzes erscheinen müsse, sprach Gluck zuerst in seinen Werken deutlich aus«. 32 In seinen Schriften weist Hoffmann immer wieder darauf hin, daß die Musik bei Gluck nicht neben einer belanglosen Handlung einherläuft und nicht nur wirkungsvolle Effekte anstrebt, sondern vollständig auf die Erfordernisse der Handlung abgestimmt ist.33 Der wirklichkeitsüberhobene Bereich des Schicksalhaften und Erhabenen wird durch die musikalische Handlungsstilisierung allerdings in seiner Eigenwertigkeit gegenüber dem vordergründigen Bühnengeschehen herausgestellt. Der Komponist Ludwig hebt als Kennzeichen der Musik der >opera seria< hervor, daß »in seltsamen, ahnungsvollen Tönen die ewigen, unabänderlichen Ratschlüsse des Schicksals, das selbst die Götter beherrscht, verkündet werden«, wobei die tragischen Stoffe die Komponisten »zu einem hohen, ich möchte sagen, heiligen Stil begeistert« 34 hätten. Auch in der >opera buffa< erhält nicht zuletzt die Musik die Aufgabe, den Zuschauer durch das »bizarre Spiel des Zufalls« 35 in die Verwirrung des Alltagslebens hineinzuziehen. Wenn dabei in der Musik der >opera buffa< ein »besonderer Stil, der auf seine Weise das Gemüt der Zuhörer ergreift«, 36 entstanden sein soll, so trifft diese Feststellung Hoffmanns musikgeschichtlich durchaus zu. Denn in der >opera buffa< erfolgt anknüpfend an die literarische Tradition der Commedia dell'arte diesen Zusammenhang stellt auch H o f f m a n n her 37 - nicht mehr in erster Linie die Affektdarstellung in kontinuierlichen musikalischen Linien wie in der >opera seriaopera buffa< findet in Hoffmanns Darlegung dadurch Eingang, daß er sie in eine realitätsverzerrende Phantastik umdeutet. Er schränkt die Geltung der >opera buffa< aber ein. Wenn die Musik in dieser Form »das Komische in allen seinen Nuancen ausdrücken könne«, 39 so tritt doch nicht der »Totaleffekt« des >Romantischen< ein, da in der Lustspiel-Oper »recht eigentlich das Fantastische [...] in die Stelle des Romantischen tritt [.. ,]«.40 Gegenüber diesen strikt abgegrenzten Typen steht die >romantische< Oper, die von Hoffmann allerdings eher als Zielvorstellung denn als ausgebildete Kunstform gesehen wird, und für die er musikgeschichtlich noch kein Vorbild hat. Mit dem Terminus »musikalisches Drama« 4 1 umschreibt er sein Opernideal und bezieht die »unnennbare Wirkung der Instrumentalmusik« 4 2 in seine Vorstellung von der >romantischen< Oper ein, wie auch seine Charakterisierung der Symphonie als »Oper der Instrumente« 4 3 zeigt. In dieser Formulierung, die in ähnlicher Form bereits bei Wackenroder und Tieck verwendet wird, 44 deutet Hoffmann an, daß die Symphonie nicht mehr - wie in der Nachahmungsästhetik - der Oper nachgeordnet ist, sondern vielmehr in der Instrumentalmusik eine dominierende Position einnimmt, vergleichbar der der Oper in der Vokalmusik. 45 Ein Anzeichen dafür, daß die besondere Aussagefähigkeit der Instrumentalmusik eine differenziertere Ausgestaltung der romantischen Idee, die der Opernhandlung zugrundeliegt, bewirken könnte, findet er in dem »Charakter, welcher in der Sinfonie als einem musikalischen Drama herrschen, und in dem Aussprechen aller seiner Nuancen von allen Seiten den Zuhörer ergreifen und fest-
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Diesen Sachverhalt untersucht Thrasybulos Georgiades am Beispiel von Pergolesis >Serva PadronaPhantasien über die Kunst< Anhaltspunkte für die Vertonung liefern: [...] sehr erwünscht sollte es mir sein, wenn irgend ein Musiker fände, daß ich ihm Gelegenheit gegeben, die innersten Wunder seiner Kunst auszusprechen und alle seine Töne und Melodien in einem seltsam-bunten Kreis herum zu führen, und so seine Kunst nur durch die Kunst selbst zu erklären.55
Ganz im Gegensatz zu H o f f m a n n sieht Tieck in der Oper ähnlich wie in seinen Theaterstücken die Möglichkeit der Illusionsdurchbrechung und der Fiktionsironie, S6 die Wirkung der Musik beschränkt er auf das 53
Zit.n. Ludwig Tieck, Dichter über ihre Dichtungen 9. Hg. v. Uwe Schweikert. Bd. 1. München 1971, S. 181 (Hoffmann kannte dieses Libretto Tiecks, vgl. Bw I, S. 258, 270 sowie Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 92.) 34 Ebd. 55 Ebd. S. 181 56 Diese Tendenz tritt zwar nicht so stark hervor wie ζ. B. im >Gestiefelten Kater< oder im >Prinzen ZerbinoGesamtkunstwerks< führen soll -, daß die ästhetischen Konsequenzen, die beide ziehen, erheblich differieren. Bei seinem Versuch, die Funktion der Musik im Musiktheater neu zu bestimmen, setzt Wagner in seiner Schrift >Oper und Drama< mit der Kritik an der herkömmlichen Nummernoper an: »[...] der I r r t u m in d e m K u n s t g e n r e der O p e r b e s t a n d d a r i n , daß ein Mittel des Ausdrucks (die Musik) zum Zwecke, der Zweck des Ausdrucks (das Drama) aber zum Mittel gemacht war [.. ,].«58 Ähnlich wie Ε. Τ. A. Hoffmann lehnt er daher die effektvolle, aber nur vordergründige Entfaltung der Musik in der italienischen Oper ab59 und will die Musik in den Dienst des dramatischen Ausdrucks stellen. Musik und Dichtung sollen nun dahingehend zusammenwirken, den »Personen wirklichen Charakter, und dem Zusammenhange ihrer Handlungen das Siegel voller dramatischer Wahrheit aufzudrücken«. 60 heben, andererseits soll er aber »wieder musikalisch dem Ganzen dienen« (ebd.), so daß ein »Schauspiel entstehn konnte, das sich unaufhörlich selber widerspricht« (ebd.). Besteht für Hoffmann die Aufgabe der Musik in der Oper darin, daß sie den Hörer »gewaltiger ergreift und hinreißt« (ders., Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 84), so zielt Tieck eher auf die Relativierung der durch die Musik hervorgerufenen Illusion: »So wie Samieli nicht singt, so glaubt er auch nicht an den Inhalt des Stücks, und der König ist aus demselben Grunde als redende Person dazwischen gesetzt« (ebd. S. 181). Deshalb würdigt Hoffmann zwar an Tiecks Libretto die romantische Idee, bezüglich der operndramatischen Anlage kritisiert er aber, daß es »im Stoff überfüllt und zu ausgedehnt war« (ders., Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 92). 57 58
59
Ludwig Tieck, Dichter über ihre Dichtungen 9, Bd. 1, a.a.O., S. 181 Richard Wagners gesammelte Schriften, Bd. 11, a.a.O., S. 21. - Unter dem Begriff >Drama< versteht Wagner allerdings nicht ausschließlich den geschriebenen Text, das Libretto, sondern vor allem die dramatische Handlung eines Stücks. Vgl. ebd. S. 39ff
110
Gleichzeitig folgt Wagner der romantischen Idee von einer Metaphysik der Instrumentalmusik, wenn er zum Beispiel in der 1846 entstandenen Schrift >Neunte Symphonie. Programm< behauptet, »daß das Wesen der höheren Instrumentalmusik namentlich darin besteht, in Tönen das auszusprechen, was in Worten unaussprechbar ist«, 61 und ausdrücklich mit dem Hinweis auf ein Tieck-Zitat anmerkt, »daß Beethoven bei der Konzeption dieser Symphonie von einem ähnlichen Bewußtsein über das Wesen der Instrumentalmusik gedrängt gewesen sei«. 62 Allerdings stößt die reine Instrumentalmusik gerade in ihrer vollkommenen Form auf »die S c h r a n k e n der absoluten Musik«, 63 da sie sich in ihrem »unendlichen und unentschiedenen Ausdrucke« 6 4 von den anderen Künsten ablöst, abstrakt wird und folglich wieder den Anschluß an die Sprache und die dramatische Handlung suchen muß. Im Schlußsatz der neunten Symphonie kann daher nach Wagner nur durch die Verbindung der Instrumental- und der Vokalmusik »ein bestimmterer, sicherer Ausdruck [...] gewonnen« 65 werden. Die Divergenz zwischen der metaphysischen Ranghöhe der Instrumentalmusik und der musikdramatischen Bindung der Musik tritt nach der Schopenhauer-Rezeption Wagners noch stärker hervor. Der Überlegung Hoffmanns vergleichbar, wie die Instrumentalmusik als sprachüberhobener Ausdruck des >Unendlichen< das >Romantische< in der Oper »in das Leben tragen« und von »bestimmten Leidenschaften und Handlungen sprechen« 66 könne, verläuft Wagners Argumentationsgang.
60
Vgl. Richard Wagners gesammelte Schriften, Bd. 11, a.a.O., S. 33. Die Reformopern Glucks und die Werke Mozarts wertet er nicht als Einlösung, sondern nur als Schritt zu diesem Ziel hin: »Die Taten Glucks und Mozarts waren aber auch nur einseitige Taten [...].« (Ebd. Bd. 10, S. 129f) - »In der Stellung des D i c h t e r s zum Komponisten war nicht das mindeste geändert [...].« (Ebd. Bd. 11, S. 28) 61 Richard Wagners gesammelte Schriften, Bd. 9, a.a.O., S. 119 62 Ebd. S. 123 (Anm.) 63 Ebd. S. 123 (Hervorh. d. Verf.) 64 Ebd. 65 Ebd. S. 124. - Zu der Auseinandersetzung mit der Instrumentalmusik Beethovens im Zusammenhang mit der musikdramatischen Konzeption in >Oper und Drama< vgl. Richard Wagners gesammelte Schriften, Bd. 11, a.a.O., S. 67ff. - Vgl. zum folgenden auch Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik, a.a.O., S. 24ff; ders., Wagners Konzeption des musikalischen Dramas. Regensburg 1971, S. 89ff, 11 Iff, 116ff 66 Ε. T. A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, a.a.O., S. 83
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Hören Sie meinen Glauben: d i e M u s i k k a n n n i e u n d in k e i n e r V e r b i n d u n g , die sie e i n g e h t , a u f h ö r e n , die h ö c h s t e , die e r l ö s e n d s t e K u n s t zu s e i n . Es ist dies ihr Wesen, daß, was alle andern Künste nur andeuten, durch sie und in ihr zur unbezweifeltsten Gewißheit, zur allerunmittelbarst bestimmenden Wahrheit wird. [...] Aber ebenso offenbar als dies, ebenso gewiß ist es, daß die Musik sich nur in Formen vernehmen läßt, die einer Lebensbeziehung oder einer Lebensäußerung entnommen sind, welche, ursprünglich der Musik fremd, durch diese eben nur ihre tiefste Bedeutung erhalten, gleichsam vermöge der Offenbarung der in ihnen latenten Musik. 67 D i e metaphysische Begründung der Musik, derzufolge sie »nicht die in d e n Erscheinungen der Welt enthaltenen Ideen darstellt, dagegen selbst eine, und zwar e i n e umfassende Idee der Welt ist«, 6 8 integriert Wagner in seine Konzeption, indem er die Bindung der Instrumentalmusik a n das dramatische G e s c h e h e n vor a l l e m auf die Kompositionstechnik u n d die Struktur des konkreten Kunstwerks bezieht und damit rechtfertigt, »daß der göttlichen Musik in dieser m e n s c h l i c h e n Welt e i n bindendes, ja - w i e wir sahen - bedingendes M o m e n t für die Möglichkeit ihrer Erscheinung gegeben werden m u ß t e « . 6 9 In dieser zweigleisig e n Argumentationsweise schränkt die empirische B e s t i m m u n g der Musik, derzufolge die kompositorische Ausgestaltung das >Mittel< der dramatischen Vergegenwärtigung darstellt, d e n metaphysischen A n spruch in keiner Weise ein. 7 0
67
Richard Wagners gesammelte Schriften, Bd. 8, a.a.O., S. l l l f Ebd. S. 188 69 Ebd. S. 112. - Bereits in >Oper und Drama< äußert sich Wagner zur Einbeziehung einer symphonischen Orchestersprache, um »das in der dramatischen Situation liegende Unaussprechliche dem Gefühle deutlich kundgeben« zu können, »so daß gerade die a l l e r r e i c h s t e Orchestersprache mit dem künstlerischen Zwecke sich kundgeben soll, gewissermaßen gar nicht beachtet, g a r n i c h t g e h ö r t zu werden, nämlich nicht in ihrer m e c h a n i s c h e n , sondern nur in ihrer o r g a n i s c h e n Wirksamkeit, in der sie eins ist mit dem Drama« (Bd. 11, a.a.O., S. 330f). Indem Wagner konkrete kompositionstechnische Fragen der Orchesterbehandlung von den ästhetischen Überlegungen als nur >mechanische< Angelegenheit abtrennt, werden sie dem metaphysischen Anspruch untergeordnet und können ihn damit auch nicht mehr relativieren. 70 »In dem träumerischen Zustande in den die Hörer durch das Musikdrama versetzt werden sollen, verwandelt sich die empirische Musik, die unter einem nüchtern kompositionstechnischen Gesichtspunkt als Mittel zur >Vergegenwärtigung des Dramas< für das >Gefühl< erscheint, in das >opus metaphysikumTristanWesensRomantischen< und dem Zweifel an deren Berechtigung aufgrund der Tücken der konkreten musikalischen Form, in der das >Romantische< nur bedingt und artifiziell in einer eigenen künstlerischen Welt hervorgebracht werden kann. Die »Erhebung zu dem poetischen Standpunkte, auf dem man an die herrlichen Wunder des Rein-Idealen willig glaubt«, eröffnet daher auch im Opernerlebnis nicht die Erkenntnis eines verborgenen Zusammenhangs der Wirklichkeit, sondern ist eher eine Frage der Perspektive.71 Wenn die Musik einerseits die Handlung zum Märchenhaften hin entgrenzt und in der Sphäre des harmonischen Wohllauts verbleibt, um den mit der Instrumentalmusik verbundenen artifiziellen Komplikationen auszuweichen, so kommt sie nicht entscheidend über ältere musikdramatische Positionen hinaus und bleibt hinter den in >Don Giovanni< vorgezeichneten Möglichkeiten zurück. Andererseits droht sie sich aber selbst den Ausblick auf die Sphäre des >Romantischen< zu verstellen, wenn sie die in der >romantischen< Instrumentalmusik angelegten musikdramatischen Aussagefähigkeiten entfaltet. Am Beispiel einer Szene aus >Don Giovanni< erläutert Hoffmann: [...] nicht die technische Struktur erkennt der Laie, worauf es auch gar nicht ankommt, sondern der Moment der Handlung ist es, der ihn gewaltig ergreift. Wenn im Don Juan die Statue des Kommandanten im Grundton Ε ihr furchtbares: Ja! ertönen läßt, nun aber der Komponist dieses Ε als Terz von C annimmt, und so in C-dur moduliert, welche Tonart Leporello ergreift: so wird kein Laie der Musik die technische Struktur dieses Übergangs verstehen, aber im Innersten mit dem Leporello erbeben, und ebensowenig wird der Musiker, der auf der höchsten Stufe der Bildung steht, in dem Augenblick der tiefsten Anregung an jene Struktur denken, denn ihm ist das Gerüste längst eingefallen, und er trifft wieder mit dem Laien zusammen. 72 71
Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 132. - So ironisiert Hoffmann den möglichen >Total-Effekt< einer Aufführung aus der Sicht des ausübenden Musikers, wenn er in einem Brief auf die spontane Reaktion des Publikums anläßlich der Darbietung seines Prologs >Die Pilgerin< zu sprechen kommt: »Mir schien es als ob dadurch sich das Ganze, Theater und Publikum, auf eine höchst vortreffliche Weise zu e i n e r Aktion verband und so das fatale Verhältniß zwischen darstellen und zusehen ganz aufgehoben wurde; mir lachte das Herz im Leibe und ich hatte noch nicht einmahl die 30 Carolin sondern nur etwelche gnädige Blicke ins Orchester hinab erhalten. - « (Brief an Hitzig vom 1. Jan. 1809, Bw I, S. 257) 72 Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 314f
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Der >enthusiastische< Hörer wird das >Romantische< im >Don Giovanni< anders hören als der >reflektierte< Hörer, der die Darstellungsform nicht völlig übersieht. Im Moment der Aufführung ist zwar auch der >gebildete< Musiker überrascht, wird aber letztlich den Eindruck nicht als unmittelbare Offenbarung des >Romantischen< verstehen wie der >EnthusiastRomantischen< vermitteln kann oder ob das >Wunderbare< nur als unverbindliche illusionäre Scheinwelt präsentiert wird, deren Täuschungen ein Enthusiast erliegt, wenn er sie für wahr hält. Auch Hoffmanns Oper >Undine< kann daher nicht als seine endgültige musikalische Antwort auf dieses ästhetische Problem interpretiert werden. In den »Nachträglichen Bemerkungen über Spontinis Oper 01ympia< hat er mit zunehmender Skepsis gegenüber seinen hochgespannten romantischen Erwartungen die Rolle der Musik als einer >bedingten< Kunst in der Oper akzeptiert. Nobert Miller hat aufgezeigt, daß der Wandel Hoffmanns vom harten Kritiker zum Verehrer Spontinis eng verbunden ist mit der Idee einer Wiederbelebung der >opera seria< unter romantischem Vorzeichen. Die Wende zu Spontini markiere in Hoffmanns Opernästhetik demzufolge insofern einen Endpunkt, als er in der Vervollkommnung der symphonischen >Sprachfähigkeit< den Ansatzpunkt für eine immer differenzierter werdene musikdramatische Ausgestaltung sieht, die sich in einer bruchlosen Entwicklungslinie von Gluck über Mozart zu Spontini entfaltet. Damit wird aber letztens auch die romantisch-phantastische Oper in Hoffmanns Musikästhetik ersetzt oder übertroffen durch den Idealtypus einer romantischen o p e r a seria - so schiebt Hoff mann in einem Nebensatz die romantische Oper, ästhetisch weit zurückgreifend, dem g e n u s m e d i u m oder m i x t u m z u - , in der das Phantastische und der freie Schwung der dichterischen Vorstellungskraft selbst wieder in die Grenzen nachempfindbarer Regungen und dramatischer Gegenwärtigkeit, in den Bereich des menschlich Bedeutenden eingebunden werden. Ein Vorgang, der übrigens in Hoffmanns späten Prosaschriften, auch in den Märchen, seine genaue Entsprechung findet!74
Damit beruhen Hoffmanns Überlegungen zur Oper ebenso wie seine übrigen musikästhetischen Äußerungen auf einem unlösbaren Para73 74
Vgl. ebd. S. 319 Norbert Miller, Hoffmann und Spontini, a.a.O., S. 424
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dox, das in seinen Konsequenzen über den Rahmen von Musikrezensionen hinausweist und letztlich dahin führt, daß sich H o f f m a n n in frühromantischen Denkmustern argumentierend von deren Grundlagen entfernt. Zwar ist seine Musikverehrung entscheidend von dem frühromantischen Postulat geprägt, daß die Kunst die Differenz zwischen Endlichem und Unendlichem zu einem Ausgleich bringen solle. Das >Romantische< umschreibt er aber immer nur mit Leerformeln von einem imaginären Jenseits höchster Erfüllung, von einem »fernen Reich«, das als Ziel einer unklaren Sehnsucht vage im Räume steht. Nie entwickelt er jedoch etwa dem Ironie-Konzept F. Schlegels vergleichbare Perspektiven, wie die Kunst eine unendliche Annäherung an dieses höchste Ziel realisieren könne. Er verbeißt sich in das Problem, daß selbst in der Musik aufgrund der Eigengesetzlichkeit des künstlerischen Materials jegliche Form der Repräsentation eine Intention grundsätzlich deformiert und verzerrt und das frühromantische Ideal einer unmittelbaren ästhetischen Anschauung< hinfällig werden läßt. Die Aporie, daß die überwältigende und faszinierende Steigerung der Kunstmusik gerade mit dem Verlust der Erfahrbarkeit des >Romantischen< in der Wirklichkeit einhergehen könnte, bewegt Hoffmann zu seinen ersten literarischen Versuchen, die problematische Position einer romantisch verstandenen Kunst gegenüber der Wirklichkeit aus verschiedenen Perspektiven genauer zu bestimmen. Die ersten Erzählungen kreisen nicht zuletzt um sein ungelöstes Opernproblem und rücken den Opernkomponisten >Ritter Gluck< oder eine Aufführung von Mozarts >Don Giovanni< in den Mittelpunkt.
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ZWEITES KAPITEL
Der Übergang vom Musikschriftsteller zum Dichter
Hoffmanns Äußerungen zur Musik als romantischster Kunst fallen in den Rezensionen und Aufsätzen, die in seiner Bamberger Zeit seit 1809 entstanden sind, während er sich erst in der Dresdner/Leipziger Zeit bewußt auf die literarische Arbeit verlegte. Nach seiner eigenen Einschätzung nehmen die ersten Erzählungen noch eine Zwischenstellung ein und sind daher als Nahtstelle in seiner Entwicklung vom Musikschriftsteller zum Dichter zu verstehen. >Ritter Gluck< (geschrieben 1808) und >Don Juan< (geschrieben 1812) bezeichnet er wie den >Magnetiseur< (geschrieben 1813) jeweils noch als »Aufsatz«. 1 Ebenso sieht er in »Aufsätzen« wie ζ. B. >Johannes Kreislers, des Kapellmeisters, musikalische Leiden< (1810 in der >Allgemeinen Musikalischen Zeitung< erschienen) mehr die gelegentlichen Niederschriften eines Musikers als präludierende Versuche eines literarisch ambitionierten Künstlers. 2 Längere Zeit nach dem Abschluß des >Ritter Gluck< findet sich im Tagebucheintrag vom 29. April 1812 noch nicht mehr als der Vorsatz: »Jezt wird es Zeit ernsthaft in l i t t e r i s zu arbeiten.« 3 Während der Arbeit am >Magnetiseur< und am >Goldnen TopfRomantischen< an Anziehungskraft zu gewinnen, 4 zumal er meint, »daß das S i c h h e r a u f s c h r e i b e n zu etwas ordentlichem, vielleicht bey mir eintreffen k ö n t e ! - « 5 Aber erst am Ende seines Leipziger Aufenthalts im August 1814 - in Leipzig hat er bereits alle noch bis 1815 in der >Allgemeinen Musikalischen Zeitung< erscheinenden Musikrezensionen abgeschlossen - trägt er seiner schrift1
Vgl. Bw I, S. 261, 365, 400 Vgl. Bw I, S. 342 3 Ε. T. A. Hoffmann, Tagebücher, a.a.O., S. 152 4 Vgl. Bw I, S. 408. Zum >Magnetiseur< bemerkt er im Brief an Kunz vom 20. Juli 1813: »Der Aufsatz, welcher nach meiner ersten Idee nur eine flüchtige, aber pittoreske Ansicht des Traümens geben sollte, ist mir unter den Händen zu einer ziemlich ausgesponnenen Novelle gewachsen [...].« (Bw I, S. 400) 5 Brief an Kunz vom 8. Sept. 1813, Bw I, S. 414 2
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stellerischen Arbeit Rechnung: »Der innere Poet arbeitet und überflügelt den C r i t i c u s [...]«. 6 Hoffmanns Weg vom Musiker und Musikrezensenten zum Dichter konnte deshalb über die Fiktionalisierung seiner musikästhetischen Grundsätze führen, weil er nicht nur an wesentliche frühromantische Denkmuster anknüpft, sondern in seinen ausführlichen Beprechungen auch den Wandel in der Kunstkritik mitvollzieht, der durch die frühromantischen Forderungen bewirkt wurde. Was die romantische Kritik von einer »sogenannte[n] Rezension«, 7 in der ein Werk an einem normativen Muster gemessen wird, unterscheidet, ist ihr >poetischer< Charakter. Die formalen Kennzeichen an sich sind kein entscheidendes Kriterium, sondern nur das Medium, in dem sich die romantische Idee entfaltet, die in der Kritik nachvollzogen und dem Leser bewußt gemacht wird. 8 »Ästhetische Meßkünstler« 9 sind auch für Hoffmann unfähig, die Werke Beethovens zu verstehen, weshalb er als Rezensent »die Grenzen der gewöhnlichen Beurteilungen überschreitend, alles das in Worte zu fassen strebt, was er bei jener Komposition tief im Gemüte empfand.-« 10 Dabei greift er zur Verdeutlichung nicht selten zu poetischen Szenen und Bildern. Wenn er ζ. B. zu Haydn bemerkt: »Seine Symphonie führt uns in unabsehbare, grüne Haine, in ein lustiges, buntes Gewühl glücklicher Menschen«, 11 oder zu Mozart: »Liebe und Wehmut tönen in holden Stimmen, die Nacht der Geisterwelt geht auf in hellem Purpurschimmer, und in unaussprechlicher Sehnsucht ziehen wir den Gestalten nach«, 12 dann meint er damit nicht ein mit Worten umschreibbares >ProgrammKreisleriana< deutet durchaus auf die hier angesprochene Entwicklungsrichtung, wenn er Rezensionsteile und von ihm verfaßte Artikel als Niederschriften einer fiktiven Gestalt in einen literarischen Zusammen6
Ε. T. A. Hoffmann, Tagebücher, a.a.O., S. 254 K S A I I , S. 133 8 Zu diesbezüglichen Äußerungen von Novalis vgl. z. B. KNA II, S. 235 (Nr. 414), S. 567 (Nr. 206), S. 438 (Nr. 68), S. 599 (Nr. 23), S. 602 (Nr. 39) 9 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 37 10 Ebd. S. 34 " Ebd. S. 35 12 Ebd. S. 35f 7
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hang einordnet und von einem fiktiven Ich, das als >Herausgeber< fungiert, kommentieren und relativieren läßt. Dies führt Hoffmann, wenn in der Dichtung die Musik mit der literarischen Wirklichkeit konfrontiert wird, von seinen musikästhetischen Überlegungen her zwangsläufig zu der Frage, ob das >Romantische< als ungreifbare Idee in der Wirklichkeit überhaupt jemals erscheinen und vom Aufnehmenden erkannt werden kann. Im folgenden Teil soll an den >Aufsätzen< Hoffmanns gezeigt werden, daß seine Darstellungsweise des >Romantischen< und die Ausbildung seiner spezifischen literarischen Form aus seinem ungelösten Musikproblem hervorgehen. In den >Fantasiestücken< verarbeitet er seine Musikanschauung unter verschiedenen Aspekten und entfaltet aus der in der Auseinandersetzung mit der Musik entwickelten literarischen Perspektive sogar seine besondere Spielart des romantischen Märchens, was sich in einer Interpretation des >Goldnen Topf< erkennen läßt. Ε. T. A. Hoffmanns Erzählung >Ritter Gluck< stellt in diesem Zusammenhang ein Verbindungsglied zwischen dem Musikschriftsteller und dem Dichter Hoffmann dar, da in der »Tendenz« 13 des Stücks die Auseinandersetzung mit der Musik im Vordergrund steht, gleichzeitig aber in der Forschungsliteratur immer wieder darauf hingewiesen wird, daß >Ritter Gluck< nicht die Schwächen eines literarischen Erstlings trägt, sondern bereits alle Kennzeichen der literarischen Wirklichkeitsdarstellung Hoffmanns aufweist.
1.
>Ritter Gluck< - der Widerspruch zwischen der romantischen Musikanschauung und der geschichtlich gebundenen Form des Kunstwerks
Unumstritten ist in der Forschungsliteratur, daß die Musik das thematische Zentrum der Erzählung bildet - neben der Kritik an der Berliner Musikpraxis finden sich in ihr Stellungnahmen zur Idee der Gluckschen Reformopern sowie die Symbolisierung der romantischen Inspiration des Musikers im Mythos vom >Reich der TräumeDoppelexistenzen< einzuordnen sei, deren Auftreten wie ζ. B. das des Archivarius Lindhorst im >Goldnen Topf< oder Leuwenhoeks im >Meister Floh< aus einem phantastischen Wirklichkeitsbereich ableitbar ist, der in die reale Wirklichkeit hineinwirkt, aber nicht mit deren Kategorien zu erklären ist. Die Kongenialität des rätselhaften Musikers wurde als Hinweis darauf verstanden, daß es sich um keinen Wahnsinnigen handle, sondern die schöpferische Umformung Gluckscher Musik »in höherer Potenz« 2 nur mit der Reinkarnation Glucks in der Gestalt des Unbekannten zu begründen sei. Christa Karoli sucht mit der These, daß Hoffmann seine Erzählung bewußt vieldeutig gelassen habe, nach einem Mittelweg und behauptet, die Gestalt des Ritters Gluck »schillert zwischen partiell Wahnsinnigem und Revenant C. W. Glucks«, 3 je nachdem, ob sie von der Perspektive des Alltags oder der des Wunderbaren aus gesehen werde. Damit überspannt sie aber die These von der Vieldeutigkeit der Dichtung und nimmt ihr die Brisanz. Zutreffend ist, daß bereits die erste Erzählung Hoffmanns eine Fülle von Perspektiven aufweist, die nicht einfach auf einen Nenner gebracht werden können. Zu überlegen bleibt allerdings, ob diese Vieldeutigkeit nicht aus einem thematischen Kern ableitbar ist, der aus Hoffmanns Auseinandersetzung mit dem >Romantischen< im musikalischen Kunstwerk hervorging. Daß Hoffmann sich mit seinem >Aufsatz< bei Rochlitz als Rezensent erst einführen wollte und seine Musikkritiken zu diesem Zeitpunkt noch nicht niedergeschrieben hatte, muß nicht bedeuten, daß seine Musikanschauung in ihren Grundzügen noch nicht ausgebildet war. Abgesehen von seinem eigenen kompositorischen Schaffen, in dem Eindrücke der Werke Glucks und Mozarts verarbeitet werden, hat er sich schon in Warschau mit den Grundzügen der frühromantischen Kunsttheorie wie auch mit Werken Glucks, Haydns, Mozarts und Beethovens eingehender beschäftigt. Und bereits die ersten auf den >Ritter Gluck< folgenden Besprechungen von 1809/1810 sind von dem musikästhetischen Denkmuster geprägt, das seinen Musikrezensionen zugrundeliegt. Eine Wiederkehr des verstorbenen Gluck in Berlin im Jahre 1809 darzustellen, liegt keinesfalls völlig außerhalb der Vorstellungswelt Hoff1
2 3
Zu den Argumenten, mit denen die verschiedenen Interpretationen des >Ritter Gluck< belegt wurden vgl. Christa Karoli, >Ritter GluckRitter GluckRitter Gluck< veröffentlicht wird - ironisch zu m y stifizierenden AnekdotenÜbertölpelung< dient, kann in anderem Zusammenhang ein auf diese Weise erzielter Überraschungseffekt den Leser auch zum Nachdenken über Sachverhalte anregen, die jenseits eingefahrener Vorstellungsbereiche liegen. Die Aussage der Anekdote kann durch eine rationale Überprüfung als Täuschung aufgedeckt werden, in >Ritter Gluck< dagegen ist der vergleichbare Versuch, den Künstler zum Wahnsinnigen zu erklären, vom Text her nicht abzusichern. Der fragmentarische Schluß zeigt, daß Hoffmann das Formprinzip der Pointe aus romantischer Perspektive einsetzt, um die Phantasie des Lesers für das scheinbar Unerklärbare empfänglich zu machen. Zu ähnlichen Gegenüberstellungen greift H o f f m a n n in seinen musikalischen Schriften, wenn er durch ein pointiertes Bild auf den r o mantischen Geist< eines Musikstücks hinweisen will. Grundsätzlich bleibt für H o f f m a n n im musikalischen Kunstwerk über Jahrhunderte hinweg der Geist der alten Künstler lebendig, und er weist den »mißmutigen Tondichter« darauf hin, »daß sein wahres, tiefes Eingehen in die Werke der Meister ihn bald mit dem Geiste dieser selbst in einen geheimnisvollen Rapport bringen« werde. 5 An 4 5
Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 883 Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 320. - Das scheinbar Unnatürliche, weil rational nicht Greifbare, versteht Hoffmann unter dem Blickwinkel der >poetischen Wahrheit< durchaus als >natürlich< (vgl. Ε. Τ. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 260). - Wenn Hoffmann behauptet, daß dem >Ritter Gluck< »eine wirkliche Begebenheit in Berlin zum Grunde
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der Diskrepanz zwischen dem überzeitlichen Fortwirken des >Geistes< der Musik und der historischen Entwicklung der Kompositionstechnik setzt Hoffmann in einer späteren Rezension mit der Schilderung einer Szene an, die bis in die Einzelheiten hinein einer Passage in >Ritter Gluck< gleicht. Der Ritter Gluck, der sein musikalisches Sensorium als >Euphon< charakterisiert, muß sich auf Mozarts >Don Giovanni< vorbereiten »durch Fasten und Gebet«, weil er weiß, »daß der Euphon von diesen Massen viel zu sehr bewegt wird und unrein anspricht«.6 Von Fasch berichtet Hoffmann: Man hatte den verstorbenen Fasch (wenigstens geht so die Sage) überredet, den D o n J u a n zu hören. Gleich nach der Ouvertüre schlich er aber aus dem Theater mit der Versicherung: er habe nun aus dieser Welt von Musik genug Nahrung geschöpft für vierzehn Tage.-7
Den verstorbenen Fasch, der in der Kirchenmusik für Hoffmann »im ganzen Sinne des Worts ein Meister der alten, frommen Zeit war«,8 schildert er als einen den Traditionen verhafteten Künstler, der von einer musikalischen Entwicklung überwältigt wird, die Hoffmann im Sinne einer Steigerung zum >Romantischen< an der musikdramatischen Entfaltung der Instrumentalmusik in der Oper beschreibt. Zu bedenken ist vor diesem Hintergrund, warum Hoffmann die Gestalt des von ihm verehrten Gluck in den Mittelpunkt der Erzählung rückt und ihn so darstellt, als ob er von Mozarts >Don Giovanni< überfordert würde. Von der Thematisierung der Musik her gesehen sollte die Frage zum Verständnis der Erzählung daher nicht lauten: >Wer ist liegt« (Brief an Rochlitz vom 12. Jan. 1809, Bw I, S. 261), so schließt dies keineswegs aus, daß er den angedeuteten realen Sachverhalt für seine Aussageintention zu einer Wiederkehr des verstorbenen Gluck umwertet. Eine derartige Vorgehensweise läßt sich an der Entstehung des >Aufsatzes< N a c h richt von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza< (entstanden 1813) verfolgen, in dem das von H o f f m a n n selbst erlebte Kunstbanausentum von dem >poetischen< Hund Berganza abgeurteilt wird. Hoffmann verknüpft in seiner Phantasie ein eigenes Bamberger Erlebnis mit dem Haushund Pollux vom > Gasthaus zur Rose< mit der literarischen Reminiszenz an das Hundegespräch in Cervantes' Erzählung >Gespräch zwischen Scipio und Berganza< (zum diesbezüglichen Bericht von C. F. Kunz vgl. Ε. T. A. Hoffmann, Dichter über ihre Dichtungen 13, a.a.O., S. 63f) und wandelt diese Eindrücke zu einer eigenen Erzählung um, so daß der Hund Berganza im fiktiven Zusammenhang des >Aufsatzes< auch allen Ernstes behaupten kann, daß er »jener Hund Berganza« sei, »der vor länger als hundert Jahren in Valladolid« gelebt hat (ders., Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 82). 6 7 8
Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 20 Ε. T. A. Hoffmann, Schriften zur Musik, a.a.O., S. 371 Ebd. S. 218
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der Unbekannte?< V i e l m e h r wäre ein Aspekt zu berücksichtigen, der in bisherigen Interpretationen dieser Erzählung vernachlässigt wurde: W a r u m wird gerade der v o n H o f f m a n n so hoch eingeschätzte Gluck in dieser Erzählung auf eine derart schillernde u n d vieldeutige Weise dargestellt, daß m a n in i h m nicht nur das G e n i e , sondern auch e i n e n Sonderling oder W a h n s i n n i g e n g e s e h e n hat. 9 D i e verschiedenen Seiten der Musikproblematik umkreist H o f f m a n n in mehreren a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n S z e n e n u n d erweitert dabei den Horizont, i n d e m er schrittweise die Begrenzungen überlieferter musikalischer F o r m e n auflöst. D i e Begebenheit wird aus der Sicht eines Ich-Erzählers geschildert. Ort und Zeit der H a n d l u n g gibt er eingangs g e n a u an - Berlin i m Spätherbst 1809, die Kaffeewirtschaft Weber i m Tiergarten. D i e Kritik des >reisenden Enthusiasten< an den »abs c h e u l i c h e n Oktaven« 1 0 des Orchesters entlockt d e m U n b e k a n n t e n a n s e i n e m Tisch den Ausruf: »Verwünschtes Schicksal! S c h o n wieder e i n Oktavenjäger!« 1 1 und veranlaßt ihn, als Gegenbeispiel die Ouvertüre 9
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Dieser Frage nachzugehen erscheint mir aufschlußreicher als nach Übereinstimmungen mit literarischen Vorbildern zu suchen. In Hoffmanns Erzählung sind zwar Anklänge an Friedrich Rochlitz' >Der Besuch im Irrenhaus< (AMZ 1804) und Denis Diderots >Le neveu de Rameau< (Goethes Übersetzung erschien 1805) festzustellen (ein detaillierter Nachweis der Übereinstimmungen findet sich bei Christa Karoli, >Ritter GluckRitter Gluck< im Brief an Rochlitz vom 12. Jan. 1809 zwar ausdrücklich auf dessen Aufsatz: »Aehnliche Sachen habe ich ehmahls in oben erwähnter Zeitung wirklich gefunden zB. die höchst interressanten Nachrichten von einem Wahnsinnigen, der auf eine wunderbare Art auf dem Ciavier zu fantasiren pflegte« (Bw I, S. 261). Diese Äußerung - die einzige Andeutung Hoffmanns, die die Hauptgestalt mit einem Geisteskranken in Verbindung bringt - legt die >Wahnsinnshypothese< nicht zwingend nahe. Zum einen können taktische Gründe dahinterstehen, um durch den Hinweis auf dessen eigenen Aufsatz den Herausgeber Rochlitz zu überzeugen, daß sich der >Ritter Gluck< mit der überraschenden Schlußpointe in die Grundkonzeption der Allgemeinen Musikalischen Zeitung durchaus einfügt, zum anderen läßt Hoffmanns Formulierung, er habe »aehnliche Sachen« in der Zeitschrift gefunden, der Auslegung erheblichen Spielraum. Insofern als sich der entscheidende Wendepunkt zur Dichtung im >Ritter Gluck< in der rätselhaften Schlußpointe manifestiert, die als inspiratorischer Kern der Erzählung die musikalische Idee und die dichterische Wirklichkeitsgestaltung in einer prägnanten Situation zusammenfaßt, handelt es sich bei den angesprochenen Parallelen zu Rochlitz und Diderot eher um die Übernahme einzelner Motive als um eine Beeinflussung von Hoffmanns Grundkonzeption. Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 15 Ebd. 123
zu Glucks Oper >Iphigenia in Aulis< spielen zu lassen. Der Unbekannte gibt sich somit gleich anfangs als ein Musiker zu erkennen, der den Ausdruck in der Musik nicht strengen Regeln unterordnen will. Der bisher störend wirkende musikalische Hintergrund mit dem »kakophonischen Getöse jenes vermaledeiten Orchesters« 12 erweitert sich durch die Reaktion des Unbekannten auf die Darbietung der Ouvertüre durch eben dieses »vermaledeite« Orchester unerwartet um eine weitere Dimension. Seine pantomimischen Bewegungen, die völlige Konzentration auf das Musikstück entwickeln eine derartige Suggestivkraft auf den Erzähler, daß das »Skelett«13 der erklingenden Musik zurücktritt hinter der in der Einbildung des Hörers entstandenen platonischen IdeeArmida< vor -, daß ein Musikstück auch produktiv umgeformt und weitergeführt werden kann. So hört der >reisende Enthusiast^ daß der Fremde leise den Priesterinnenchor aus >Iphigenia in Tauris< singt, aber mit Verwunderung bemerkt er, daß der Fremde »gewisse andere Wendungen der Melodien nahm, die durch Kraft und Neuheit frappierten«. 143 Das Eingeständnis des >reisenden Enthusiasten^ daß ihm bei seinen eigenen Kompositionsversuchen immer die Differenz zwischen der Idee und der musikalischen Ausführung zu schaffen machte - »[...] nur fand ich alles, was ich, wie mich dünkte, in Augenblicken der Begeisterung geschrieben hatte, nachher matt und langweilig [.. .]«15 12
Ebd. S. 14 Ebd. S. 16 14 In diesem Sinne wird die Szene interpretiert von Steven P. Scher, Verbal music in German literature. New Haven and London 1968, S. 57ff l4a Ε. T. A. Hoffmann, Fantasie- und Nachtstücke, a.a.O., S. 17 15 Ebd. S. 18 13
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und er das Komponieren daher aufgab, läßt ihn dem Unbekannten einsichtsvoll genug erscheinen, den Künstlermythos zu verstehen. Denn was der Ich-Erzähler auf der Ebene des Dilettanten erlebt, zieht sich durch alle Stufen der künstlerischen Entwicklung bis zur erträumten Vollendung. Die wenigen Komponisten, die die »Heerstraße« der Mittelmäßigkeit verlassen, kommen in das >Reich der TräumeReich der Träume< zu »zerfließen« 17 und in »herrlichen Akkorden« 1 8 unterzugehen, da erfährt er in einer Vision, welches zukünftige Klangideal er unbewußt herbeisehnte und als Künstler in seinen Werken verwirklichen soll. Nacht wurde es wieder, da traten zwei Kolosse in glänzenden Harnischen auf mich zu: Grundton und Quinte! sie rissen mich empor, aber das Auge lächelte: >Ich weiß, was deine Brust mit Sehnsucht erfüllt; der sanfte, weiche Jüngling, Terz, wird unter die Kolosse treten; du wirst seine süße Stimme hören, mich wieder sehen, und meine Melodien werden dein sein.