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German Pages [361] Year 2018
Stefan Lobenhofer
Sprache, Bedeutung, Geist Untersuchung zur aristotelischen Semantik
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ALBER THESEN
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Stefan Lobenhofer Sprache, Bedeutung, Geist
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Stefan Lobenhofer
Sprache, Bedeutung, Geist Untersuchung zur aristotelischen Semantik
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Stefan Lobenhofer Language, Meaning, Mind A study of Aristotelian semantics This book is dedicated to the reconstruction of the Aristotelian theory of meaning. Starting point is the first chapter of De interpretatione, in which Aristotle puts language, mental states and real objects into relation with one another (e.g. language as a symbol of mental states). Due to the vagueness of this “basic semantic framework”, the book conducts detailed examinations of the Aristotelian understanding of language, of the theories of perception, imagination and intellect, and includes systematic observations in order to establish whether Aristotle represented a consistent theory of meaning.
The Author: Stefan Lobenhofer, born in 1979, studied philosophy at the University of Erlangen-Nuremberg, where he completed his PhD in 2015. Since 2016, he has worked as a research associate at the Department of Philosophy at TU Braunschweig.
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Stefan Lobenhofer Sprache, Bedeutung, Geist Untersuchung zur aristotelischen Semantik Das Buch widmet sich der Rekonstruktion der aristotelischen Bedeutungstheorie. Ausgangspunkt bildet das erste Kapitel von De interpretatione, in dem Aristoteles Sprache, mentale Zustände und reale Dinge in verschiedenartige Relationen zueinander setzt (z. B. Sprache als Symbol mentaler Zustände). Aufgrund der Vagheit dieses »semantischen Grundgerüsts« werden detaillierte Untersuchungen zum aristotelischen Sprachbegriff, zur Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Intellekttheorie angestellt sowie systematische Betrachtungen einbezogen, um herauszufinden, ob Aristoteles eine konsistente Bedeutungstheorie vertreten hat.
Der Autor: Stefan Lobenhofer, Jahrgang 1979, hat an der Universität ErlangenNürnberg Philosophie studiert und 2015 promoviert. Seit 2016 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Philosophie der TU Braunschweig.
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Alber-Reihe Thesen Band 69
Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2017 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-48892-8 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81379-9
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Für meine Mutter
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Vorbemerkung
Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im April 2015 an der Universität Erlangen-Nürnberg eingereicht und im Juni des gleichen Jahres erfolgreich verteidigt wurde. Die Realisierung eines solchen Projekts ist nur mit viel Unterstützung möglich. Den beteiligten Personen, die sich mit ihrer Zeit und ihrem Ratschlag eingebracht haben, soll an dieser Stelle herzlich gedankt werden: Die Gutachter der Arbeit, die den Entstehungsprozess begleitet, die Arbeit korrekturgelesen und viel hilfreiche Kritik geäußert haben, waren Prof. Dr. Maximilian Forschner und PD Dr. Rosario La Sala (beide aus Erlangen). Ganz besonders danke ich Herrn Prof. Dr. Forschner, der als Betreuer und Erstgutachter der Doktorarbeit dieses Projekt erst ermöglicht, dessen Entwicklung mit Kritik und Ratschlag umsichtig begleitet und schließlich mit dem Verfassen eines Vorworts dazu beigetragen hat. Herrn PD Dr. La Sala danke ich für die formalen und inhaltlichen Hinweise, die wir miteinander diskutieren konnten und die Eingang in die Arbeit gefunden haben. Ein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Nicole C. Karafyllis (Braunschweig), die den Kontakt mit dem Verlag Karl Alber hergestellt und es ermöglicht hat, dass die Arbeit hier erscheinen kann; zudem hat sie den Prozess der Redigierung mit wertvollen Ratschlägen begleitet. Frau Anna Katharina Göb, ebenfalls aus Braunschweig, danke ich für das Korrekturlesen der gesamten Arbeit. Schließlich möchte ich Herrn Lukas Trabert stellvertretend für den Verlag Karl Alber für die Hilfe im Rahmen des Publikationsprozesses danken. Fürth, im Januar 2017
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Abkürzungsverzeichnis der aristotelischen Schriften
An. post. An. pr. Cat. De an. De int. Gen. an. Mem. Part. an. Pol. Hist. an. Met. Phys. Poet. Rhet. Sens. Somn. Top.
Analytica posteriora Analytica priora Categoriae De anima De interpretatione De generatione animalium De memoria et reminiscentia De partibus animalium Politica Historia animalium Metaphysica Physica Poetica Ars rhetorica De sensu et sensibilia De somno et vigilia Topica
Sofern nicht anders angegeben, sind die altgriechischen AristotelesZitate den entsprechenden Ausgaben der Oxford Classical Texts (OCT) entnommen und vom Autor übersetzt. Zentrale Originalzitate werden petit gesetzt im laufenden Text wiedergegeben. Der Zeilenumbruch entspricht der für die Zitation maßgeblichen Bekker-Ausgabe. Die deutsche Übersetzung ist darunter angegeben, ebenso petit; Anmerkungen des Autors sind in eckige Klammern gesetzt. Dabei handelt es sich um griechische Ausdrücke, z. B. [νόημα], um den Bezug zur deutschen Übersetzung hervorzuheben, um Erläuterungen, die den Sinn eines Ausdrucks oder einer Wendung erhellen sollen, z. B. [i. e. der Gedanke], schließlich um Ergänzungen, die aufgrund elliptischer Ausdrucksweisen zum besseren Verständnis eingeführt werden, z. B. [Gedanke].
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Inhalt
Vorwort von Prof. Dr. Maximilian Forschner . . . . . . . .
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1.
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19 20 24 32
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Das semantische Grundgerüst. Elemente und Relationen . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1. Semantik und Epistemologie . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Deborah Modraks Aristotle’s Theory of Language and Meaning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2. David Charles’ Aristotle on Meaning and Essence
2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.
4.
Elemente A und B . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . φωνή σημαντική und ἀγράμματοι ψόφοι φωνή, ψόφος und σημαντικός . . . . . . φωνή, ψόφος und διάλεκτος . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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54 55 57 62 64 68
Relation x und y . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71 72 73 74 77 96 97
4.1. πρώτων und πρώτως . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Zeichen und Symbol: synonym oder heteronym? . . 4.2.1. Der Unterschied zwischen Zeichen und Symbol 4.2.2. Natürliches Zeichen in De interpretatione? . . 4.3. Oder doch πρῶτον? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
5.
Elemente C und D . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Systematische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . 5.1.1. Dinge als Referenten sprachlicher Ausdrücke . . 5.1.2. Mentale Entitäten als Referenten sprachlicher Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Grundideen der aristotelischen Physik . . . . . . . . . 5.2.1. Form und Materie . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2. Möglichkeit und Wirklichkeit . . . . . . . . . . 5.2.3. Bewirken und Erleiden . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4. Nochmals: Epistemischer Dualismus . . . . . . . 5.2.5. Zusammenfassung und Überleitung . . . . . . . 5.3. Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1. Spezifische Objekte . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2. Der Vorgang der Wahrnehmung . . . . . . . . . 5.3.3. Gemeinsame Objekte . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4. Akzidentelle Objekte . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Vorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1. Die Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2. Aisthetische und logische Vorstellung . . . . . . 5.4.3. Wahrnehmungs- und Vorstellungsgehalt . . . . 5.4.4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1. Die Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2. Aktiver und passiver Aspekt des Denkvermögens 5.5.3. Funktion, Objekt und Gehalt des Denkvermögens 5.5.4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102 102 105
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125 152 154 155 157 157 162 171 171 177 185 196 204 206 215 218 230 233 235 269 284 321
6.
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
7.
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
7.1. Primärliteratur . . . . 7.1.1. Aristoteles . . . 7.1.2. Weitere Autoren 7.2. Sekundärliteratur . . .
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345 345 349 350
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Inhalt
8.
Indices . . . . 8.1. Sachindex . . . 8.2. Personenindex 8.3. Stellenindex .
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Vorwort von Prof. Dr. Maximilian Forschner
Die Arbeit von Stefan Lobenhofer intendiert eine Rekonstruktion der aristotelischen Semantik, und zwar mit besonderem Augenmerk auf den Zusammenhang von Semantik und Epistemologie. Sie verbindet ein systematisches mit einem exegetischen Interesse. Sie geht aus von Autoren, Positionen und Theoriestücken neuzeitlicher und moderner philosophischer Semantik und fragt, ob der Übertrag dieser theoretischen Ansätze auf Aristoteles gelingen kann. Als aristotelische Textgrundlagen dienen schwerpunktmäßig De int. 1 sowie Passagen aus De an. und den Parva naturalia. Im Zentrum steht die Klärung des aristotelischen semantischen ›Grundgerüsts‹ (nach De int. 1, 16a1–8), seiner Elemente und Relationen sowie der mit ihm verbundenen Verständnisprobleme. Gesucht ist näherhin eine Antwort auf die Frage, was unter παϑήματα und πράγματα zu verstehen ist und welche Relationen mit den Ausdrücken σύμβολον, σημεῖον und ὁμοίωμα angesprochen sind. Dabei gilt die Aufmerksamkeit der sachlichen Differenzierung zwischen tierischer Kommunikationsform und menschlicher Sprache sowie den Beziehungen, die nach Aristoteles zwischen geschriebener und gesprochener Sprache, zwischen Sprache und mentalen Zuständen, zwischen mentalen Zuständen und realen Sachverhalten bestehen. Ferner zentriert sich die Abhandlung auf die Analyse der Verhältnisbestimmung des formalen und des epistemischen Aspektes der Bedeutungsfrage, näherhin auf die durch sprachliche Ausdrücke repräsentierten semantischen Einheiten und das epistemische Fundament unseres Bedeutungswissens. Dem adäquaten Verständnis der vagen Ausdrücke παϑήματα und πράγματα in De int. 1 dient denn auch eine eingehende Interpretation der aristotelischen Theorie der Wahrnehmung (αἴσϑησις), der Vorstellung (φαντασία) und des Denkens (νόησις). Nach Aristoteles besteht unsere grundlegende Kenntnis von der Welt nicht in der Kenntnis von konkreten Individuen, sondern von Sprache, Bedeutung, Geist
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Vorwort von Prof. Dr. Maximilian Forschner
»erstem Allgemeinem« (πρῶτον καϑόλου) »des Undifferenzierten« (τῶν ἀδιαφόρων) (vgl. An. post. II, 19, 100a15–16). Lobenhofer versteht die ersten Allgemeinheiten, im Anschluss an moderne Aristotelesinterpreten (Wolfgang Detel u. a.) im Sinne von sog. Qualia, von vorsprachlichen Einheiten der Wahrnehmung, in denen der individuelle und allgemeine Aspekt noch nicht unterschieden und das Allgemeine an ihnen noch nicht näher spezifiziert ist und die die epistemische Grundlage sprachlicher Differenzierung und Bedeutung bilden. Die vorsprachlichen Qualia lassen sich, so Lobenhofer, in primitiven Konzepten (etwa der elementaren Sinnesqualitäten) fassen und über Schritte sprachlicher Differenzierung und Abstraktion in lexikale, Objektivität und Mitteilbarkeit sichernde Konzepte überführen. Qualia spielen also die Rolle der epistemischen Fundierung sprachlicher Bedeutung. Es handelt sich um irreduzible perzeptivphänomenale Gehalte. Sie sollen einerseits den Anspruch der kausalen und externen Grundlage sprachlicher Bedeutung erfüllen; sie sind andererseits etwas rein Mental-Subjektives. Aristoteles löst, so Lobenhofer, das daraus resultierende erkenntnistheoretische Problem über die Position eines »epistemischen Dualismus«, nämlich den Gedanken, dass ein und derselbe Prozess bzw. ein und dasselbe Objekt eines perzeptiven oder kognitiven Vermögens sowohl aus subjektivphänomenalem als auch aus objektiv-physikalischem Blickwinkel betrachtet und erfasst werden kann, ohne sich damit auf einen ontologischen Dualismus zu verpflichten. Eine besondere Rolle im Rahmen der Arbeit spielt die Interpretation der aristotelischen Theorie des Denkens. In ihrem Rahmen identifiziert Lobenhofer Aristoteles’ aktiven Intellekt als jene Fähigkeit, mit der aus den phänomenalen Gehalten, deren Grundlage die wahrnehmbaren Objekte sind, semantische Einheiten gebildet werden: Der aktive Intellekt, so Lobenhofer, ordnet dem phänomenalen Gehalt einen sprachlichen Ausdruck zu, er ›noematisiert‹, er ›kategorisiert‹ ihn als semantische Einheit. Die Kategorisierungsleistung ist mit formalen Funktionen und Regeln verbunden, mit denen er »apriorisch« das Wahrgenommene ordnet und versteht. Aristoteles, so Lobenhofer, ist kein reiner Empirist; der aktive Aspekt des aristotelischen Intellekts (νοῦς) sei ein »formales Sprachwissen«, das »die apriorische Bedingung« für die semantische und propositionale Verarbeitung der empirischen Daten darstellt. Lobenhofer weist meines Erachtens überzeugend nach, dass nach 16
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Aristoteles Wahrnehmung und Vorstellung zwar eine grundlegende Rolle im Aufbau von menschlicher Erkenntnis spielen, dass sie aber bei Aristoteles als vorsprachlich zu verstehen sind. Die Leistungen dieser Vermögen sind nicht propositional strukturiert. Dafür ist das Denkvermögen vonnöten. Und das bedeutet, dass die mentalen Zustände bzw. Objekte (παϑήματα) und die Gegenstände bzw. Dinge (πράγματα) aus De int. 1 nur als Denkobjekte bzw. deren mentale Korrelate verstanden werden können. Dies ist ein eindeutiges und meines Erachtens überzeugendes Ergebnis der vorliegenden Studie, das neuere Forschungskontroversen aufzulösen in der Lage ist. Sie enthält daneben noch eine Fülle von Detailvorschlägen zur Interpretation der aristotelischen Semantik, Epistemologie und Theorie des Geistes, die im Rahmen moderner Fragestellungen zur Lebendigkeit aktueller Aristotelesrezeption beizutragen vermögen. Maximilian Forschner
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1. Einführung
Aristoteles’ Leistungen auf dem Gebiet der philosophischen Untersuchung der menschlichen Sprache sind so vielfältig wie außerordentlich. Mit der Syllogistik hat er das erste formallogische System der abendländischen Geistesgeschichte vorgelegt, und auch die pragmatische Seite der Sprache, die Kunst der Dialektik und die der Rhetorik hat Aristoteles eingehend untersucht. Während die genannten Themenfelder einen recht eindeutigen Platz im aristotelischen Œuvre haben, ist eine zusammenhängende Darstellung einer Bedeutungstheorie, um die es in dieser Arbeit gehen wird, nicht vorzufinden. Schon die Frage, ob Aristoteles überhaupt eine solche Theorie zugeschrieben werden kann, ist in der Forschung vieldiskutiert; und bei denjenigen, die davon ausgehen, dass es eine aristotelische Bedeutungstheorie gibt, herrscht wenig Einigkeit über ihren Inhalt und ihre Tragweite. Auch aus diesem Grund ist schon viel über die Semantik im aristotelischen Werk geschrieben worden, zahlreiche Artikel und ganze Monographien. In solchen Situationen sehen sich Autoren, die ein vielbegangenes und somit vermeintlich gut erschlossenes Forschungsgebiet neu entdecken wollen, einem gewissen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt: Was könnte es noch Neues zu sagen geben, das eine weitere und zudem monographische Arbeit über das Thema rechtfertigen würde? Im Rahmen dieser Einführung soll diesem Druck entgegengewirkt werden, und zwar auf zweifache Weise. Zum einen soll eine knappe Skizze des Inhalts der vorliegenden Arbeit erfolgen, der eine Explikation eines zentralen Grundgedankens vorangeht, zu dem die Vorarbeiten geführt haben und von dem aus die vorliegende Untersuchung ihren systematischen Ausgang nimmt. Zum anderen bildet dieser Grundgedanke, der sich auf den Zusammenhang von Semantik und Epistemologie bezieht, auch den Ausgangspunkt zu einer ersten und allgemeinen Abgrenzung von den Arbeiten von David Charles und Deborah Modrak, die jeweils eine der besagten Monographien Sprache, Bedeutung, Geist
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Einführung
zur aristotelischen Semantik geschrieben haben, welche aufgrund ihres jeweils umfassenden Charakters ein neuerliches Bemühen in diesem Gebiet ungerechtfertigt erscheinen lassen könnten. Mit dieser Abgrenzung soll die inhaltliche Ausrichtung der vorliegenden Arbeit deutlich und gleichzeitig – freilich in einem vorbereitenden Sinn – gerechtfertigt werden. Zunächst aber zum erwähnten zentralen Grundgedanken.
1.1. Semantik und Epistemologie Die Suche nach der Grundlage unseres Wissens von der Welt ist eine interessante Unternehmung – das dürfte unstrittig sein. Unser Wissen von der Welt ist nicht die Welt selbst, es ist nicht mit ihr identisch (außer in extrem idealistischen Positionen, die man Aristoteles jedoch mit Sicherheit nicht zuschreiben kann); dennoch geht man davon aus, einen epistemischen Zugang zu dieser Welt haben zu können, der es uns erlaubt, verlässliches Wissen von dieser Welt zu erlangen (außer in extrem skeptischen Positionen, die man Aristoteles aber ebenso wenig zuschreiben kann). Da Aristoteles in wissenschaftstheoretischer Hinsicht eine realistische Position vertritt, 1 d. h. davon ausgeht, dass es eine externe Welt gibt, die wir verstehen können, kommt die Frage auf, wie wir zu einem Wissen von dieser externen Welt gelangen können und was die Basis ist, aufgrund der wir die Wahr- bzw. Falschheit unserer Annahmen über die Welt beurteilen können – das Erlangen von Wissen von der Welt ist ja offensichtlich kein kausaler Automatismus, wir müssen einige Anstrengungen aufbringen, um Annahmen über die Welt möglichst gut zu belegen oder zu falsifizieren. Bei dieser Frage ist nun zu berücksichtigen, dass das Wissen von der Welt immer sprachlich verfasst ist – es kann gar nicht anders als sprachlich verfasst sein. Wissen wird erst mittels der Ermöglichung eines intersubjektiven Zugangs zu echtem Wissen. Dieser notwendige Schritt wird mit der Sprache und durch die Sprache vollzogen – sie ist in ihrem Beitrag zur Möglichkeit von Weltwissen gar nicht zu überschätzen. Wenn in der Sprache ein ganz grundlegender Beitrag Der Realismus drückt sich im Fall von De int. dadurch aus, dass Aristoteles von dem, was wir durch Sprache bezeichnen, sagt, dass es für alle Menschen dasselbe ist (ταὐτά πᾶσι παϑήματα τῆς ψυχῆς, καί ὧν ταῦτα πράγματα ἤδη ταὐτά, De int. 1, 16a6–7).
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Einführung
zur Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit menschlicher Wissenschaften anerkannt wird, wenn sie als Bedingung der Möglichkeit von Wissen verstanden wird, wenn mit der Sprache die epistemische Verbindungslinie zwischen Welt und Mensch gezogen wird, dann ist die Frage nach der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken keine Spezialfrage einer Nischendisziplin namens Semantik, sondern eine grundlegend epistemische Frage. Die Frage nach unserem Wissen von der Welt kulminiert in der Frage nach dem Sprachwissen: Was ist und woher kommt sprachliche Bedeutung? Was sind und woher kommen die formalen Sprachstrukturen (formale Syntax, Grammatik, Semantik)? Das Motto dieser Grundgedanken könnte lauten: Bevor man von der Welt wissen kann, muss man immer schon sprechen können. Aristoteles hat eine solch fundamentale Verbindung von Epistemologie und Sprache, wie sie eben ganz grob skizziert wurde, angenommen. Nicht von ungefähr sieht man bei seiner sogenannten ersten oder frühen Ontologie in Cat. eine sehr enge Bindung der vermeintlich ontologischen Annahmen über die Struktur der externen Welt an die Untersuchung der Sprache, ihrer Syntax und Semantik. In Cat. sind die konkreten Individuen wie bspw. ein bestimmtes Pferd oder ein bestimmter Mensch deswegen die ontologisch prioritären Entitäten, weil sie selbst (genauer: die sie bezeichnenden Ausdrücke) nicht mehr von anderen Dingen (genauer: die sie bezeichnenden Ausdrücke) ausgesagt werden können – sie bilden die Grundlage der Prädikation und sind deswegen die grundlegenden ontologischen (oder semantischen?) Entitäten. 2 Die enge Ausrichtung an der Sprachstruktur, die sich in Cat. zeigt, kann mit gewisser Berechtigung zu der Annahme verleiten, dass es sich dort nicht so sehr um eine differenzierte Ontologie, sondern um grundlegende semantische Betrachtungen handelt, um eine Auslotung der grundlegenden Bedeutungsklassen sprachlicher Ausdrücke. Im vierten Kapitel spricht Aristoteles etwa davon, dass die unverbundenen sprachlichen Ausdrücke, also isolierte Subjekt- oder Prädikatausdrücke, eine der zehn Kategorien bezeichnen bzw. bedeuten (σημαίνειν). 3 Die Kategorien erscheinen hier als semantische Kategorien; jeder sprachliche Ausdruck lässt sich in Isolation eindeutig einer dieser Bedeutungskategorien zuschreiben. Aus der Betrachtung von formalen Grundfunktionen der 2 3
Vgl. Cat. 5, 2a9–14. Vgl. Cat. 4, 1b25–27.
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Einführung
menschlichen Sprache und unter Annahme einer vortheoretischen und alltagspsychologischen Ontologie ergeben sich diese zehn Kategorien, die dann aber selbst keine ontologischen Entitäten darstellen müssen, sondern semantische Klassifizierungen. Die δεύτεραι οὐσίαι, z. B. natürliche Arten, müssen bei Aristoteles noch nicht deswegen als selbständige ontologische Entitäten verstanden werden, weil mit ihnen die essentiellen Eigenschaften konkreter Individuen ausgesagt werden. Cat. wäre demnach nicht so sehr eine ausgewachsene Ontologie, sondern zunächst eine Untersuchung der grundlegenden semantischen und syntaktischen Strukturen menschlicher Sprache, die sich freilich immer auch auf die externe Welt bezieht. 4 Auch in An. post. betont Aristoteles die herausragende epistemische Bedeutung der Sprache. Die wissenschaftstheoretische Schrift beginnt mit der bekannten Feststellung, dass alles Lehren und Lernen von einem Vorwissen ausgehen muss. 5 Einsichtig wird das unter anderem in Anbetracht des demonstrativen Syllogismus, also des Hauptinstruments zur Darstellung von Wissen. In formaler Hinsicht nimmt jede wissenschaftliche Erkenntnis ihren Anfang von bekannten Prämissen, und da ein infiniter Regress droht, wenn man nach dem erkenntnistheoretischen Ursprung fragt, postuliert Aristoteles ein Vorwissen, das er in zwei Arten unterteilt: 6 Zunächst gibt es ein Wissen davon, dass gewisse Sachverhalte schlichtweg bestehen. 7 Aristoteles’ Beispiel ist, dass entweder die Affirmation oder die Negation einer Proposition wahr ist. 8 Damit ist ein formales Prinzip menschlicher Sprache angesprochen, das grundlegender ist als alles, was man mit ihr inhaltlich ausdrücken kann. Dass solche Prinzipien nicht beweisbar sind, zumindest nicht im Sinne einer Demonstration, genau dieser Umstand ist von Aristoteles hier angesprochen. 9 Es geht um formal-sprachliche Regeln, die »vor-
Diese Sichtweise der Kategorienschrift ist sicherlich nicht unproblematisch und bedarf weiterer Argumentation, für die hier jedoch nicht der Platz ist. Unstrittig dürfte aber sein, dass Sprachbetrachtungen in Cat. eine zentrale Rolle einnehmen. 5 Vgl. An. post. I, 1, 71a1–2. In Kapitel I, 2 wird dieses »Vorwissen« genauer anhand der Adjektive »wahr«, »ursprünglich«, »unvermittelt«, »bekannter«, »vorrangig« und »ursächlich« erläutert. 6 Vgl. An. post. I, 1, 71a11. 7 Vgl. An. post. I, 1, 71a12. 8 Vgl. An. post. I, 1, 71a13–14. 9 Vgl. hierzu auch die Untersuchung des Widerspruchsprinzips in Met. IV, 3, 1005b17–20. 4
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Einführung
gewusst« (προγιγνώσκειν) werden; es stellt sich deswegen die Frage, wie dieses Wissen erlangt wird. Eine wichtige Rolle kommt der Sprache auch insofern zu, als man einen sprachlichen Ausdruck verwenden können muss, bevor man in einer wissenschaftlichen Weise mit dem Bezeichneten bekannt wird. Man muss also wissen, was ein Ausdruck bedeutet, um überhaupt erst mit einer Untersuchung des Bezeichneten beginnen zu können. 10 Aristoteles’ Beispiel ist das Dreieck. 11 Man muss, bevor man im Einzelnen den Beweis führt, dass die Winkelsumme eines Dreiecks der Summe zweier rechter Winkel entspricht, schon wissen, dass es sich bei einer bestimmten Figur um ein Dreieck handelt. 12 Das weiß man aufgrund einer Definition, also einer hinreichend genauen Beschreibung des mit dem Ausdruck »Dreieck« Bezeichneten. Auch hier stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass wir etwas auf diese Weise wissen können, dass wir also ohne Induktion oder Deduktion ein semantisches Wissen vom Ausdruck »Dreieck« haben können. 13 Schon diese kurzen Betrachtungen heben die Wichtigkeit des Sprachwissens bei Aristoteles in zweifacher Weise hervor: Man muss formale Prinzipien kennen (z. B. das Widerspruchsprinzip, das Bivalenzprinzip, das Prinzip der Kontradiktion als Grundlage der Prädikation) und man benötigt ein vortheoretisches semantisches Wissen, d. h. eine vorwissenschaftliche Kenntnis der inhaltlichen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke. Es drängt sich die Frage auf, wie wir zu diesem Wissen kommen, wenn nicht auf demonstrative, d. h. streng wissenschaftliche Weise. Etwas weiter oben wurde davon gesprochen, dass Aristoteles als wissenschaftlicher Realist zu verstehen ist. Diese Ausgangsposition führt zu der Annahme, dass eine Repräsentation der Welt durch die Das ist die aristotelische Adaption des Menon-Problems: wie man sich auf die Suche nach etwas begeben soll, wenn man dieses Etwas eben noch nicht kennt – entweder kennt man es, dann muss man es nicht mehr suchen, oder man kennt es nicht, dann weiß man auch nicht, wonach man suchen soll, vgl. Platon, Menon, 71a29–30. 11 Vgl. An. post. I, 1, 71a14–15. 12 Vgl. An. post. I, 1, 71a19–21. 13 Diesen Aspekt hat David Charles im ersten Teil seines Buchs detailliert berücksichtigt. Er schreibt Aristoteles eine dreistufige Theorie des Wissens zu, von der die erste Stufe in einem descriptive account of meaning besteht. Allerdings lässt Charles die Frage außer Acht, wie es möglich ist, dass wir für dieses Beschreibungswissen empfänglich sind, d. h. wie es uns überhaupt möglich ist, Beschreibungen zu geben oder zu verstehen. Auf diesem epistemischen Aspekt liegt in der vorliegenden Arbeit der Fokus. 10
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Sprache gelingen kann. Wenn Weltwissen durch die Sprache erlangt wird, dann muss die Sprache und ihre Bedeutung von irgendwo in der als real angenommenen Welt in verlässlicher und infallibler Weise aufgebaut werden. Dieses Irgendwo bildet den externen und kausal wirksamen Grundstein, den letzten Bezugspunkt für sprachliche Bedeutung und in der Folge auch für das Wissen von der Welt. Die These, dass sprachliche Bedeutung letztlich auf unseren vorsprachlichen Kontakt mit der außermentalen Welt zurückzuführen ist, muss den Blick auch auf die perzeptiven Vermögen des Menschen lenken. Ein Teil der vorliegenden Arbeit besteht dann auch in einer genauen Untersuchung dieser perzeptiven Vermögen (Wahrnehmung und Vorstellung), aber auch des kognitiven Vermögens (Denken). 14 Dabei stellt der Übergang vom vorsprachlichen zum sprachlichen Erfassen der Welt einen kritischen Punkt dar: Wo ist dieser Übergang in der Vermögenstruktur verortet, wodurch ist ein Lebewesen zu diesem Übergang befähigt, warum kann der Mensch die externe Welt sprachlich repräsentieren, das Tier jedoch nicht? Nicht umsonst formuliert Aristoteles in De int. 1, dem zentralen Text zu seiner Semantik, einen Verweis auf De an., wo diese Vermögen detailliert dargestellt werden. Um aber nicht vorzugreifen – denn die Betrachtungen der Vermögen erfolgen in der vorliegenden Arbeit erst zu einem späteren Punkt –, sei nun eine generelle Skizze der Arbeit dargestellt.
1.2. Skizze Wie erwähnt, gibt es in De int. 1, in einer Passage, in der Aristoteles grundlegende Ausführungen zu Sprache und Bedeutung anstellt, einen Verweis auf die Schrift De an. 15 Der hier vorliegende Versuch geht von einem sehr engen und weitreichenden inhaltlichen Zusammenhang von De int. 1 und De an. aus und legt den Fokus auf eine tiefgehende systematische und exegetische Auslotung dieses Zusammenhangs. Zwar ist jener Verweis auf De an. sicherlich keine Neuentdeckung und es gab und gibt viele Spekulationen darüber, wo ge-
Auch wenn heutzutage der Begriff »Kognition« weiter gefasst wird, dient er hier zur Abgrenzung vom Begriff »Perzeption« und bezieht sich somit ausschließlich auf das Vernunft- oder Denkvermögen. 15 Diese grundlegenden Ausführungen sind das, was hier etwas später als das Semantische Grundgerüst bezeichnet wird. Der Verweis findet sich in De int. 1, 16a8–9. 14
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nau diese Bezugsstelle in De an. zu finden ist. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Bezug aber doch ernster genommen als üblich, d. h., es wird nicht nur ein oberflächlicher thematischer Bezug hergestellt, der sich letztlich in bloßen Hinweisen erschöpft (»In De int. spricht Aristoteles über die φωνή σημαντική; in De an. ist die φωνή im zweiten Buch, Kapitel sechs thematisiert« 16 oder: »Die Relation der ὁμοίωσις, die in De int. 1, 16a7 formuliert wird, ist zentral in den aristotelischen Überlegungen zur Perzeption und Kognition« 17). Vielmehr wird versucht, die inhaltliche Tiefe auszuloten, die in diesem Verweis steckt – dazu gehören unter anderem die ausführlichen Behandlungen der psychischen Vermögen. Zu diesem Versuch gehört aber auch, über nur beiläufige Bemerkungen zu systematischen Problemen der Bedeutungstheorie hinauszugehen; denn oft beschleicht einen die Vermutung, dass über der Exegese der aristotelischen Texte diese systematischen Fragen etwas stiefmütterlich behandelt werden. Der Weg dieses Versuchs soll nun – in aller gebotenen Knappheit – in Form eines inhaltlichen Abrisses vorgezeichnet werden. Ausgangspunkt ist das Gerüst, bestehend aus Elementen und Relationen, das in der ersten Hälfte von Kapitel 2 von De int. entwickelt wird. Da dieses Gerüst die Grundlage bildet, auf der sowohl die aristotelische Bedeutungstheorie als auch die hier vorgelegten Ausführungen aufbauen, bekommt es einen eigenen Namen samt Abkürzung: Semantisches Grundgerüst (SGG). Die Elemente sind die geschriebene und gesprochene Sprache, mentale Zustände und/ oder mentale Objekte, schließlich Sachverhalte und/oder Objekte der außersprachlichen und außermentalen Realität. Die verschiedenen Relationen sind die Symbol-, die Zeichen- und die Ähnlichkeitsrelation. Die Darstellung des SGGs und ein erster Blick auf Probleme seiner Interpretation sind Thema des zweiten Kapitels. In Kapitel 3 geht es um das generelle Sprachverständnis von Aristoteles: Was ist Sprache überhaupt, wer ist dazu fähig, und was macht sie aus? Hier werden auch die relevanten naturwissenschaftlichen Schriften herangezogen, um ein spezifisches Kriterium der menschlichen Sprache zu finden. Das Kriterium, das die menschliche Sprache gegenüber anderen Kommunikationsformen abgrenzt, scheint für Aristoteles in der Möglichkeit zur syntaktischen und semantischen Analyse zu bestehen. Dieses Ergebnis bietet auf den ers16 17
Vgl. Modrak, 2001, S. 219. Vgl. Charles, 2000, S. 81.
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ten Blick vielleicht kaum wertvolle Antworten, denn was heißt es schon, festzustellen, dass menschliche Sprache sich etwa von tierischer Kommunikation darin unterscheidet, dass sie eine formale Semantik und Syntax besitzt? Das ist aber nicht so trivial, wie es zunächst scheinen mag, denn auch wenn an dieser Stelle noch nicht erklärt werden kann – und darin besteht die eigentlich interessante Frage – woher diese Möglichkeit bzw. Fähigkeit zur Analyse kommt, so wird deutlich, dass Aristoteles sie nicht mit organischen Differenzen, die zwischen Mensch und Tier bestehen mögen, begründet. In diesem nicht-körperlich fundierten Unterschied der semantischen Analyse findet sich später ein Anknüpfungspunkt zur aristotelischen Theorie des Denkvermögens, genauer zum aktiven Intellekt. Dieser ist ja nach Aristoteles reine Potentialität, d. h., es gibt ihn in keiner Hinsicht in aktualisierter Weise, was im Hinblick auf die Vermögenslehre bei Aristoteles heißt, dass ihm kein Organ zugeordnet ist. Zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Sprache besteht laut SGG ein Symbolverhältnis. Des Weiteren konstituieren die Symbol- und die Zeichenrelation das Verhältnis von Sprache und dem damit Bezeichneten oder Bedeuteten; das wiederum sind die mentalen Zustände bzw. Objekte (τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα) und die realen Sachverhalte bzw. Objekte (τά πράγματα), die selbst in einem Ähnlichkeitsverhältnis zueinander stehen, d. h., die mentalen Zustände sind ὁμοιώματα der realen Zustände. Symbol- und Zeichenrelation sowie die in der Forschung oft gestellte Frage, ob Aristoteles überhaupt einen inhaltlichen Unterschied zwischen Zeichen (σημεῖον) und Symbol (σύμβολον) macht, stehen in Kapitel 4 im Vordergrund. Die Frage nach dem inhaltlichen Unterschied ist deswegen von Wichtigkeit, weil bei einer Heteronymität der Ausdrücke »Symbol« und »Zeichen« – eine These, die v. a. auf Norman Kretzmann zurückzuführen ist 18 – weitreichende Konsequenzen zu ziehen sind, die darin bestehen, dass Aristoteles in De int. 1 überhaupt keine semantischen Überlegungen anstellt, sondern sich letztlich nur über die Konventionalität der menschlichen Sprache äußert. In jenem Kapitel wird mit neuen Argumenten versucht, die These der Synonymität beider Ausdrücke zu untermauern. 19 Vgl. Kretzmann, 1974. Diese Diskussion dreht sich letztendlich um verschiedene Lesarten eines bestimmten Wörtchens in De int. 1, 16a6 als πρώτων, πρώτως oder πρῶτον. Es ist auffällig, dass in den großangelegten Monographien von Modrak und Charles dieser doch zen-
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Das Herzstück des SGGs besteht dann in der Behauptung, dass sich jeder sprachliche Ausdruck auf etwas bezieht und durch diesen Bezug seine Bedeutung erhält (diese These wird als »semantischer Repräsentationalismus« bezeichnet). Hierin liegt die Möglichkeit zur Beantwortung der semantischen Kernfrage: Was ist sprachliche Bedeutung, woher kommt sie? Die Elemente, die durch sprachliche Ausdrücke repräsentiert werden, sind laut SGG die mentalen Zustände bzw. Objekte (τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα) und die realen Dinge bzw. Sachverhalte (τά πράγματα) (Kapitel 5). An dieser Stelle ist es nun möglich, weiter in die Tiefe zu gehen. Oftmals wird die Breite, die die griechischen Begrifflichkeiten als aristotelische termini technici offenbaren, nicht angenommen, sondern man beschränkt sich auf eine naive und eingeschränkte Lesart, die bspw. die παϑήματα mit bildhaften Vorstellungen und die πράγματα mit konkreten Individuen identifiziert– und diese naive Sichtweise ist mit systematischen und exegetischen Problemen behaftet. Die Probleme mit naiven Sichtweisen werden zunächst anhand systematischer Betrachtungen detaillierter dargestellt und kritisiert (Kapitel 5.1): Ausgehend von der Tatsache, dass Aristoteles einerseits die mentalen Zustände und andererseits die Dinge als das durch Sprache Repräsentierte ansieht, werden einige zentrale Aspekte von realistischen (Kapitel 5.1.1) und von mentalistischen Bedeutungstheorien (Kapitel 5.1.2) diskutiert. Die realistische Grundüberzeugung lautet: Sprache bezieht sich auf die außersprachlichen Dinge, und durch diesen Gegenstandsbezug erhalten sprachliche Ausdrücke ihre Bedeutung. Die mentalistische Theorie setzt den semantisch relevanten Bezug zwischen Sprache und dem Mentalen, z. B. Vorstellungen oder Ideen. 20 Obwohl an einigen Stellen in einem propädeutischen Sinne ein Bezug zu Aristoteles hergestellt wird, liegt in Kapitel 5.1 das Augenmerk auf den systematischen Überlegungen, die sich auf trale Punkt sehr vernachlässigt wird. Vgl. hierzu auch O’Callaghan in seiner Rezension zu Modraks Buch: »By ignoring the vexing »primarily« in the text, Modrak has provided us with an account of what Aristotle should have written in the De interpretatione, not, it would seem, of what he did write.« (O’Callaghan, 2004, S. 512) 20 Die Unterscheidung von realistischen und mentalistischen Bedeutungstheorien lässt sich übertragen auf die Externalismus-Internalismus-Debatte unserer Tage. Hier geht es im Kern um die Frage, wie mentaler Gehalt, somit auch sprachliche Bedeutung, individuiert wird. Grob gesagt besteht der Externalist darauf, dass diese Individuation nur mittels einer bestimmten Beziehung zur externen Umwelt stattfinden kann; der Internalist beruft sich auf von äußeren Aspekten unabhängige innere Strukturen bzw. Fähigkeiten, durch die mentale Gehalte individuiert werden können. Sprache, Bedeutung, Geist
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neuzeitliche und moderne Klassiker (Locke, Frege, Russell, u. a.) beziehen. Dennoch ist diese systematische Durchsicht auf Aristoteles zugeschnitten. Das Ziel ist zu zeigen, dass eine naive Interpretation des SGGs aus systematischer Sicht nicht tragbar ist, dass aber Aristoteles eine solche naive Position auch nicht zuzuschreiben ist. Im Laufe dieser systematischen Betrachtungen offenbart sich die Sinnhaftigkeit der Unterscheidung zweier verschiedener Aspekte der Bedeutungsfrage, von denen einer oben als Grundgedanke eingeführt wurde: Es handelt sich um die Unterscheidung des formalen und des epistemischen Aspekts sprachlicher Bedeutung. Der formale Aspekt beruht auf einer alltagspsychologischen Grundüberzeugung, die im Rahmen des semantischen Repräsentationalismus theoretisch untermauert wird: Jeder bedeutsame Ausdruck bezieht sich auf etwas, und dieses Etwas ist als semantische Einheit zu verstehen, als das, was die Bedeutung des entsprechenden Ausdrucks konstituiert. Diese semantischen Einheiten gehen allem Anschein nach über den Bestand der konkreten Individuen, also das, was es in unproblematischer Hinsicht in der Welt gibt, hinaus. Es schließt sich deshalb unmittelbar die Frage an, die dann den epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage expliziert: Was ist die erkenntnistheoretische Grundlage dieser semantischen Einheiten. Angenommen man bezieht sich mit dem allgemeinen Ausdruck »Bockhirsch« auf den Bockhirsch als semantische Einheit, als abstrakten und allgemeinen Gegenstand. 21 Wie soll man diese Entität verstehen? Gibt es eine Möglichkeit, solchen Einheiten erkenntnistheoretische und ontologische Relevanz zu verleihen und somit dem semantischen Repräsentationalismus – mit seinem alltagspsychologischen Anstrich – theoretische Tiefe zuzuschreiben und insoweit auch glaubhaft zu machen? Mit der Differenzierung von formalem und epistemischem Aspekt wird die theoretische Tiefe zu ergründen versucht, die in der vorliegenden Arbeit dem SGG unterstellt wird. Die Elemente und Relationen des SGGs sind nicht bloß aus einem dieser Blickwinkel zu betrachten, sondern sie beziehen sich sowohl auf den formalen als auch auf den epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage. Auch deswegen verwendet Aristoteles im SGG den sehr vagen Ausdruck παϑήματα für den mentalen Aspekt der Bedeutungsfrage. Mit ihm lässt sich auf der Der »Bockhirsch« (τραγέλαφος) ist ein aristotelisches Beispiel für einen bedeutsamen und allgemeinen sprachlichen Ausdruck, der von keinem existierendem Individuum prädiziert werden kann. Vgl. z. B. De int. 1, 16a16–18.
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einen Seite der epistemische Weg von fundamentalen Wahrnehmungsobjekten hin zu komplexeren semantischen Einheiten umfassen, während auf der anderen Seite, nämlich aus formalem Blickwinkel, die παϑήματα nur die νοήματα, also Denkobjekte sein können. Aristoteles wechselt im zweiten Teil von De int. 1 auch zur Wendung νόημα ἐν τῇ ψυχῇ, weil es hier nicht mehr um allgemein epistemische Betrachtungen, sondern um dezidiert formale Aspekte, um Affirmation und Negation geht. 22 In den systematischen Erläuterungen erfolgt nach kritischer Prüfung der naiven Ansätze eine alternative Lesart des semantischen Repräsentationalismus, die nun die erwähnte Tiefe beansprucht und einen Ausgleich von formalem und epistemischem Aspekt findet: Eine Theorie der Konzepte. Konzepte haben den Vorteil, dass sie in ihrer Struktur analog zu den sprachlichen Ausdrücken verstanden werden, und sich jeder Ausdruck auf das analoge Konzept bezieht (»Bockhirsch« bezieht sich auf das Konzept Bockhirsch). Diese lexikalen Konzepte sind strukturiert, d. h. aus anderen fundamentaleren Konzepten zusammengesetzt, und indem man einen Ausdruck definiert, weist man auf diese Struktur hin. Mit diesen strukturierten Einheiten, den lexikalen Konzepten, kann man zunächst dem semantischen Repräsentationalismus Genüge leisten: Man bezieht sich mit dem Ausdruck »Bockhirsch« tatsächlich auf etwas, das seine Bedeutung konstituiert, nämlich auf das Konzept Bockhirsch. Es stellt sich dann die Frage, als welche Art von Entitäten diese Konzepte zu verstehen sind und wie ihr erkenntnistheoretischer und ontologischer Status ist. An dieser Stelle werden v. a. die primitiven Konzepte relevant, die nicht (nur) sprachlich strukturiert sind, sondern vielmehr die perzeptive Grundlage aller lexikalen Konzepte darstellen; sie sind fundamentale Gehalte sinnlicher Wahrnehmung, die man erst in einem weiteren Schritt auch als lexikale Konzepte verstehen kann. Bei diesen primitiven Konzepten handelt es sich um Qualia, also phänomenale Gehalte. Es wird davon ausgegangen, dass dieser perzeptiv-phänomenale Gehalt die erkenntnistheoretische Grundlage der semantischen Einheiten darstellen kann, gerade weil es sich hier um vorsprachliche Gehalte handelt. Primitive Konzepte sollen den Anspruch der kausalen und externen Grundlage sprachlicher Bedeutung erfüllen. Es erscheint allerdings problematisch, Qualia diese
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Vgl. De int. 1, 16a9–11.
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Aufgabe übertragen zu wollen, denn sie sind per definitionem subjektiv und deswegen als kausale und externe Quelle menschlicher Sprache und Erkenntnis denkbar ungeeignet. Die systematische Lösung dieses Problems trägt den Titel: »Epistemischer Dualismus«. Die Grundthese dieser Position lautet, dass ein und derselbe Prozess bzw. ein und dasselbe Objekt eines perzeptiven oder kognitiven Vermögens sowohl aus subjektiv-phänomenalem als auch aus objektivphysikalischem Blickwinkel betrachtet und erfasst werden kann. Die »Objektivierung« phänomenaler Gehalte wird also möglich, indem man die subjektive Beschreibungsebene mit der objektiv-naturwissenschaftlichen zusammenführt. Weitere Folgefragen lauten dann: Wie wird aus einer perzipierbaren eine semantische Einheit? Wie geschieht der Übergang von einem primitiven zu einem lexikalen Konzept? Wie können, ausgehend von primitiven Konzepten, komplexere Konzepte entwickelt werden, welche Fähigkeiten sind dazu notwendig? Mit dem Begriff »Konzept« erreicht man ja zunächst nicht viel mehr als eine terminologische Vereinheitlichung der beiden Aspekte: Primitives Konzept als epistemische, lexikales Konzept als formal-semantische Grundlage der Sprache bzw. Bedeutung. Mit dieser terminologischen Vereinheitlichung ist aber schon eine erste Hürde übersprungen, um die beiden Aspekte auch inhaltlich miteinander zu verbinden und die Defizite der naiven Sichtweisen zu überwinden. Neben diesen systematischen Betrachtungen zur Konzepttheorie ergeben sich freilich auch die entsprechenden exegetischen Fragen: Passen Konzepte und Qualia überhaupt in das aristotelische Verständnis perzeptiver und kognitiver Prozesse bzw. deren Objekte? Vor dem Hintergrund, dass Aristoteles dem wissenschaftlichen Realismus zugeordnet wird, begegnet das systematische Problem, inwiefern man Qualia Objektivität zuschreiben kann, wenn sie doch gemeinhin als irreduzibel subjektiv verstanden werden, auch als ein exegetisches Problem. Die Lösung dieses Problems besteht dann klarerweise darin, Aristoteles anhand der relevanten Texte als epistemischen Dualisten zu verstehen. Die systematischen Fragen zu Qualia und dem epistemischen Dualismus sind noch Thema von Kapitel 5.1. Erste Nachweise dafür, dass der Übertrag dieser theoretischen Ansätze auf Aristoteles gelingen kann, erfolgen in Kapitel 5.2. Da das Thema des epistemischen Dualismus eine zentrale Rolle in der vorliegenden Argumentation einnimmt – denn Qualia spielen die Rolle der epistemischen Fundierung sprachlicher Bedeutung –, erfol30
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gen weiter Belege parallel zu den detaillierten Untersuchungen der psychischen Vermögen bei Aristoteles. Die Untersuchung dieser Vermögen ist deswegen notwendig, weil die theoretische Tiefe der Begriffe, die Aristoteles für mentale Zustände (τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα) bzw. reale Dinge (τά πράγματα) verwendet, mehrere Interpretationen zulässt. Aristoteles kennt viele Arten von »Affektionen der Seele« und »Dingen/Sachverhalten«. Im Kontext der Bedeutungsfrage sind v. a. das Wahrnehmungs-, das Vorstellungs- und das Denkvermögen von Interesse. Jedes dieser Vermögen bezieht sich auf einen bestimmten Objektbereich. Diese Objekte stellen die potentiellen Ansatzpunkte zur notwendigen inhaltlichen Ausdifferenzierung des aristotelischen Ausdrucks τά πράγματα dar, entsprechend sind die mentalen Korrelate der Objekte Kandidaten für eine Präzisierung der Wendung τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα. Die Vermögen bauen aufeinander auf und beziehen sich aufeinander, auch die Objekte der Vermögen stehen zueinander in einem bestimmten Verhältnis. Eine zentrale Frage lautet, an welcher Stelle der menschlichen Vermögensstruktur die Fähigkeit zur Sprache einsetzt; denn die Objekte dieses Vermögens sind dann mit hoher Wahrscheinlichkeit die gesuchten semantischen Einheiten. Es wird sich zeigen, dass es auf der einen Seite einen fließenden Übergang zwischen den verschiedenen Vermögensobjekten gibt; v. a. hinsichtlich des epistemischen Aspekts wird deutlich, dass die grundlegenden Objekte die Wahrnehmungsobjekte sind – ohne sie gibt es keine Vorstellungs- oder Denkobjekte. Hinsichtlich des formalen Aspekts wird allerdings ebenso deutlich, dass diese Wahrnehmungsobjekte explanatorisch zu schmal sind, um die Rolle der semantischen Einheiten übernehmen zu können. All diese Aspekte werden also bezüglich der Frage, welches Vermögen bzw. Vermögensobjekt die Aufgabe der inhaltlichen Ausdifferenzierung der aristotelischen Begrifflichkeiten im SGG am ehesten meistert, in Kapitel 5.3 bezüglich der Wahrnehmung, in Kapitel 5.4 bezüglich der Vorstellung, schließlich in Kapitel 5.5 bezüglich des Denkvermögens untersucht. In einem Schlusskapitel werden die Erkenntnisse und der hier verfolgte Interpretationsansatz zusammengefasst.
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1.3. Abgrenzungen Nach der allgemeinen Skizze erfolgt nun eine weitere Präzisierung der hier verfolgten Argumentationslinie durch eine Abgrenzung von zentralen Positionen, die Deborah Modrak und David Charles in ihren jeweiligen Arbeiten entwickeln und vertreten.
1.3.1. Deborah Modraks Aristotle’s Theory of Language and Meaning Modrak entdeckt hinter dem terminus technicus, der die mentale Komponente des SGGs beschreibt, also τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα, die φαντασία als das verantwortliche Vermögen. Wie schon angedeutet, wird in dieser Arbeit dafür argumentiert, dass unter den παϑήματα unbedingt die νοήματα zu verstehen sind. 23 Im Folgenden soll der Grundzug einer Kritik an Modraks Auffassung aufgezeigt werden, der dann in der Arbeit an den relevanten Stellen, v. a. in der Behandlung der psychischen Vermögen bei Aristoteles (Kapitel 5.3 – 5.5), wieder aufgegriffen wird. Modrak betont in vielfältiger Weise die zentrale Stellung der φαντασία in der Bedeutungsfrage, z. B. wie folgt: »Aristotle’s broad conception of perceptual activity, by contrast to the minimalist’s, holds some promise of providing support for an explanation of meaning that invokes phantasia.« (Modrak, 2001, S. 226)
Mit broad conception sind die vielfältigen Aufgaben des perzeptiven Vermögens bei Aristoteles angesprochen. So differenziert er zwischen spezifischer, allgemeiner und akzidenteller Wahrnehmung, die für die Ausführung vielfältiger Lebensfunktionen verantwortlich sind (z. B. Strebung und Erinnerung). Der Tatbestand der broad conception des perzeptiven Vermögens wird in der vorliegenden Arbeit nicht geleugnet, ganz im Gegenteil. Allerdings ist darauf zu achten, wo die Grenze zwischen vorsprachlicher und sprachlich strukturierter Wahrnehmung liegt. Dass die φαντασία und die φαντάσματα eine gewichtige Rolle hinsichtlich des epistemischen Aspekts der Bedeutungsfrage spielen, ist gar nicht abzustreiten. Allerdings wird in der In dieser grundsätzlichen Entscheidung gehe ich mit David Charles konform, der aber keine weiterführende Argumentation für diese Wahl anbringt.
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vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass die φαντασία, wenn man sie unabhängig vom νοῦς betrachtet, vollkommen vorsprachlich ist und dass deren Objekte deswegen nicht als semantische Einheiten taugen. Das Vorstellungsvermögen für sich muss sich auf die Objekte der Wahrnehmung beschränken, kann also schon aus diesem Grund die Vielfalt bedeutsamer sprachlicher Ausdrücke nicht abdecken. Es fehlt in diesem bloß perzeptiven Bereich eine Fähigkeit, die darin besteht, die phänomenalen Gehalte in semantische Gehalte zu überführen und darauf aufbauend lexikale Konzepte zu entwickeln. Die grundlegenden Einheiten der Perzeption, die αἰσϑητά ἴδια, sind phänomenal-perzipierbare Einheiten, die zwar als epistemischer Ausgangspunkt dienen, selbst aber noch keine semantischen Einheiten darstellen. Dass sich eine Theorie der Bedeutung bezüglich des epistemischen Aspekts auf die φαντασία berufen muss, dürfte unstrittig sein. Modrak geht aber so weit, die πάϑηματα des SGGs explizit mit den φαντάσματα zu identifizieren: »The sticking point is that according to the De Interpretatione the word signifies the mental pathema that is a likeness of the object. The pathema is the only candidate for the internal state that is constitutive of meaning, and the pathema is described as a likeness. Turning to the De Anima, we found good reason to identify the pathema with a phantasma, and we found evidence in the De Memoria that Aristotle believes that a phantasma can function as a likeness that attaches the present mental state to an object in the world.« (Modrak, 2001, S. 236–7)
Man erkennt hier den naiven Ansatz recht gut: Vorstellungsgehalte sind Abbilder (likenesses) der Dinge in der Welt (objects in the world). Modrak scheint die Begrenztheit, die für das Vorstellungsvermögen gilt, entweder nicht zu erkennen oder für unproblematisch zu halten. Wie sich aber zeigen wird, bezieht sich die eigentümliche Funktion des Vorstellungsvermögens einzig auf die Speicherung der Wahrnehmungsgehalte. Dass man sich Dinge bildlich vorstellen kann, die es nicht gibt, hängt ab vom Denkvermögen, das das Abheben vom bloß perzeptiv Gegebenen erst ermöglicht. Dass dieser naive Ansatz unmittelbare Probleme bereitet, ist offensichtlich. So versucht sich Modrak bspw. an einer Integration allgemeiner Ausdrücke in ihre Theorie. Der allgemeine Ausdruck »Hund« ist in seiner Bedeutung ja nicht identisch mit einem Vorstellungsbild: Sprache, Bedeutung, Geist
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»The meaning of ›dog‹ does not resemble Fido. Aristotle has a rejoinder, however, because he need only claim that the phantasma that is the vehicle for the meaning resembles Fido. The phantasma refers to fido and other canines, and the definition of dog specifies characteristics that are apparent in the phantasma. The person who hears and understands ›dog‹ does so in virtue of having a phantasma of this sort and recognizing in it some or all of the features that are constitutive of the definition of ›dog‹.« (Modrak, 2001, S. 236)
Es ist zwar richtig, dass die Bedeutung von »Hund« mit einem φάντασμα einhergeht. Aristoteles besteht ja auch darauf, dass jeder Denkakt mit einer Vorstellung zusammenhängt. 24 Wenn man den allgemeinen Ausdruck »Hund« verwendet, hat man ein begleitendes Bild im Kopf. Aber auch Modrak gesteht zu, dass die Bedeutung von »Hund« keinem φάντασμα, das man von einem einzelnen Hund haben kann, ähnlich ist. Das φάντασμα, das den allgemeinen Gedanken bzw. Ausdruck »Hund« begleitet, ist nicht die Bedeutung von »Hund«, denn es gibt den allgemeinen Gegenstand Hund nicht in dem Sinn, dass er von der externen Welt aus kausal auf unseren Wahrnehmungsapparat einwirken könnte. Man muss überhaupt anzweifeln, dass es so etwas wie eine allgemeine Vorstellung von »Hund« im Sinne einer piktoralen Vorstellung gibt. Denn selbst wenn man an den Hund im Allgemeinen denkt, ist damit doch immer eine ganz konkrete Vorstellung eines bestimmten individuellen Hundes verbunden, der freilich alle essentiellen Eigenschaften des Konzepts Hund exemplifiziert. Modrak konstatiert also, dass die Bedeutung von »Hund« nicht Fido ähnlich ist. Ihre Lösung lautet, dass lediglich das φάντασμα als vehicle for the meaning Fido ähnlich ist. Woher aber kommt nun die Entkoppelung von Bedeutung und φάντασμα, wenn im vorigen Zitat festgestellt wurde, dass die mentalen Zustände aus dem SGG, auf die sich die sprachlichen Ausdrücke beziehen, die φαντάσματα sind? Durch diesen Symbolbezug der Sprache auf die mentalen Zustände und die »Dinge« wird ja erst die Bedeutung konstituiert. Deswegen kommt es dringend darauf an nachzuvollziehen, was Aristoteles unter diesen vagen Begriffen versteht, um die Bedeutungsfrage zu beantworten. Modrak sagt zunächst, dass mit den mentalen Zuständen die φαντάσματα gemeint sind, dass durch sie also die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke konstituiert wird, um diese fast im selben Atemzug zu bloßen vehicles for 24
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Vgl. De an. III, 7, 431a16–17.
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the meaning zu degradieren. Was ist dann aber die Bedeutung des Ausdrucks »Hund«? Und wie ist zu beurteilen, ob das φάντασμα, das Fido ähnelt, ein vehicle for the meaning vom allgemeinen Ausdruck »Hund« ist? Wie ist die Verbindung zwischen einzelnen Vorstellungen, die eine kausale Ursache in der externen Welt haben, und der Bedeutung des allgemeinen Ausdrucks »Hund« herzustellen? Muss nicht schon vorher und in formaler Hinsicht (also im Sinne eines Konzepts) klar sein, welche charakteristischen Eigenschaften ein Hund hat, um sich erst danach eine piktorale Vorstellung als ein vehicle for the meaning zu bilden? Um zu verstehen, dass das φάντασμα von Fido dem Ausdruck »Hund« zugeordnet (attached) ist, muss schon vorher das Konzept Hund zu Verfügung stehen – man kann nicht durch die einzelnen konkreten φαντάσματα die Entstehung eines allgemeinen Konzepts erklären. Die Frage bleibt bestehen, auf welche Weise Begriffsbildung möglich ist, wie man von der Kenntnis primitiver Konzepte zur Kenntnis komplexerer, allgemeiner lexikaler Konzepte kommen kann. Hierzu meint Modrak: »Thinking about the universal by employing a phantasma of an exemplification of that universal results in a mode of representation that is not limited to specific objects (as are the senses) and that enables its possessor to manipulate concepts, draw inferences, and conceive of abstract objects and imaginary ones.« (Modrak, 2001, S. 251)
Hier stößt man nun zum Kern des Problems vor. Die Fähigkeit »[…] to manipulate concepts, draw inferences, and conceive of abstract objects and imaginary ones […]« geht nach Modrak darauf zurück, dass der Mensch nicht nur auf Objekte der Wahrnehmung limitiert ist, sondern auch über Universalien, über Allgemeines reflektieren kann. Wenn man über sie nachdenken kann, dann ergibt sich auch die Möglichkeit der »Konzeptmanipulation«, sprich: der Begriffsbildung. 25 Ist es aber nicht andersherum? Ist es nicht eine Voraussetzung dafür, sich vom Gegebenen abzuheben, um in der Folge über diese Wahrnehmungsgegenstände hinauszugehen, dass man die Fähigkeit hat, Konzepte zu bilden? Diese Voraussetzung wird bei Modrak nicht erklärt bzw. gar nicht als Voraussetzung anerkannt. In der Vgl. hierzu auch die folgende Äußerung Modraks: »Aristotle makes no attempt to derive the capacity for reasoning from the ability to apprehend universals – although a case could be made that a creature lacking universal concepts would be unable to draw inferences.« (Modrak, 2001, S. 252)
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vorliegenden Arbeit wird dafür argumentiert, dass dieses Voraussetzungsverhältnis besteht und dass die entsprechende Fähigkeit im νοῦς verortet ist. Alles, was Modrak zur Fähigkeit der Konzeptbildung, die ein Grundelement der Rationalität ist, mitteilt, läuft hinaus auf ein Verstecken hinter der Berufung auf vermeintlich emergente Eigenschaften und Fähigkeiten, die ein Lebewesen irgendwann und irgendwie eben einfach hat. Zwei Textbeispiele hierzu: »But at a more basic level, it is simply a consequence of having human cognitive powers; we experience the world through perception as consisting in kinds of objects, and we use linguistic signs of univerals to name these kinds and to describe the world as experienced.« (Modrak, 2001, S. 251) »Thought cannot be reduced to sensory representation. It is best construed as a property that humans possess that is for them the natural outcome of having the ability to represent objects and states of affairs sensorically […].« (Modrak, 2001, S. 255)
Auch viele Tiere haben die Fähigkeit zur sensorischen Repräsentation. Wieso ist es bei ihnen kein natural outcome, denken oder Konzepte bilden zu können? 26 Die Erklärung der Fähigkeit zur menschlichen Sprache und die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke lässt sich nicht hinreichend mit der Bezugnahme auf perzeptive Vermögen beantworten, aus denen dann diese Fähigkeiten inklusive der Rationalität einfach so entstehen. Der Punkt ist also, dass bei der Identifikation von sprachlicher Bedeutung bzw. mentalem Inhalt mit φαντάσματα vieles unklar bleibt. Der Unterschied zwischen menschlicher Sprache und anderen, auch tierischen Formen der Kommunikation ist nicht verstehbar; was unsere Rationalität ausmacht, die auf der Fähigkeit zur Konzeptualisierung aufbaut, ist von diesem Standpunkt aus nicht erklärbar. Die letzte Zuflucht besteht bei Modrak im Postulieren einer emergenten Sprach- bzw. Denkfähigkeit – und das kann nicht zufriedenstellend sein. In der vorliegenden Arbeit wird ausführlich dafür argumentiert, dass τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα mit den νοήματα zu identifizieren
Auch Charles meint, dass »[…] there are additional explanatory constraints present at the level of thought which are not present in experience.« (Charles, 2000, S. 156)
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sind. Zwar erhebt Modrak den folgenden Einwand gegen diese Lesart des SGG: »If the pathemata is construed as a mere thought, phantasia would have no role to play in the explanation of meaning, and Aristotle’s making phantasia a requirement for language in the De Anima would be baffling.« (Modrak, 2001, S. 245)
Hier zeigt sich aber lediglich ein Unverständnis für die theoretische Tiefe des SGGs. Dass in formaler Hinsicht nur die νοήματα in Frage kommen (was nichts anderes bedeutet, als dass jeder sprachliche Ausdruck mit einem νόημα im Sinne eines Konzepts korrespondiert, sich darauf bezieht und dadurch seine Bedeutung erhält), schließt ja in keiner Weise aus, dass die φαντάσματα eine herausragende epistemische Rolle spielen und die νοήματα auch »begleiten«. Die Bedeutung von »Bockhirsch« lässt sich bezüglich des epistemischen Aspekts auf die Wahrnehmung von Böcken und Hirschen erklären. Die Tatsache aber, dass wir etwas Einheitliches meinen, wenn wir vom Bockhirsch reden, lässt sich nicht hinreichend mit den φαντάσματα erklären. Wie schon erwähnt: Dass Aristoteles im SGG den umfassenden Begriff τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα verwendet und sich nicht auf φάντασμα oder νόημα beschränkt, lässt vermuten, dass er beides, den formalen und den epistemischen Aspekt, berücksichtigt wissen wollte.
1.3.2. David Charles’ Aristotle on Meaning and Essence Wie schon der Titel seines Buchs andeutet, geht es Charles nicht nur darum, die Bedeutungsfrage zu behandeln, sondern sie im Lichte des Essentialismus zu untersuchen. Charles versteht Aristoteles aus guten Gründen als Essentialisten und verteidigt ihn gegen moderne Konzepte des Essentialismus, wofür er – v. a. von Hilary Putnam ausgehend – die stereotype Figur des modern essentialist entwirft. Der modern essentialist beruft sich nach Charles in letzter Instanz auf die – mittels entsprechender Einzelwissenschaft festzustellenden – wesentlichen Eigenschaften von Dingen, um zu beurteilen, ob ein sprachlicher Ausdruck richtig oder falsch auf ihn angewandt wird. Die Bedeutung eines Ausdrucks besteht in der wissenschaftlichen Essenz eines Gegenstands. Nach Charles gibt es in dieser Konzeption einen sehr hohen Grad an semantischer Tiefe, eben die Annahme, Sprache, Bedeutung, Geist
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dass ein Gegenstand eine ganz bestimmte wissenschaftliche Eigenschaft besitzen muss, um ihn in korrekter Weise mit einem bestimmten Ausdruck zu bezeichnen. So wird der Ausdruck »Wasser« nur auf Flüssigkeiten mit der chemischen Zusammensetzung H2O richtig angewandt und nicht auf andere Flüssigkeiten, die genauso wie Wasser transparent und geruchlos sind und lediglich durch eine chemische Analyse von Wasser zu unterscheiden wären. 27 Charles meint dementgegen zur aristotelischen Position Folgendes: »According to his [i. e. Aristoteles’, S. L.] account, one can understand the term ›water‹ as a natural-kind term without having any views as to whether water possesses a fundamental scientific feature. Nor need one intend to defer to scientific specialists who have such knowledge. For Aristotle, it is the craftsman not the scientist who is the key to understanding terms for natural kinds. The craftsman can grasp terms for natural kinds without making the semantically deep assumptions implicit in my modern essentialist’s account.« (Charles, 2000, S. 15)
Ein zentraler Kritikpunkt von Charles bezieht sich auf eine Folge dieser Grundausrichtung des modern essentialism, nämlich auf die Notwendigkeit der Existenz von Instanzen einer Art, um dem entsprechenden sprachlichen Ausdruck überhaupt Bedeutung zusprechen zu können: »[M]y modern essentialist accepts (first) that one element of the meaning of a natural-kind term is determined by its referent and (second) that one understands its meaning by having knowledge (either directly or indirectly) of its instances as instances of that kind. He must reject the possibility of our distinguishing (e. g.) in the earlier stages of scientific investigation between: (i) knowing the meaning of a natural kind term; and (ii) knowing that there is a kind referred to by this term.« (Charles, 2000, S. 17)
Die Unterscheidung dieser verschiedenen Stufen wissenschaftlicher Untersuchung spielt eine wichtige Rolle in Charles’ Vorhaben. Aufgrund einer detaillierten Analyse von An. post. II, 8–10 schreibt er Aristoteles eine solche mehrstufige Theorie zu, die als three-stage view of scientific inquiry bezeichnet wird. Die erste Stufe besteht in einem descriptive account, d. h., hier wird die Bedeutung eines AusEine weitere zentrale Charakteristik des modern essentialist folgt daraus: »We can be essentialists without countenancing natural kinds, as classically conceived, possessed of their own essential properties quite independently of how we describe them. Nor do we need a special faculty of intuition, or any distinctive epistemological capacity, to grasp them.« (Charles, 2000, S. 11)
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drucks mittels Beschreibung bzw. Konzeptualisierung expliziert. Deswegen benötigt man in dieser ersten Stufe nicht zwingend ein Wissen von der Existenz (zweite Stufe) oder von den essentiellen Eigenschaften (dritte Stufe) des betreffenden Gegenstands, sondern nur eine hinreichend genaue Beschreibung: »For Aristotle, by contrast, knowledge of the meaning of a kind-term need not involve anyone’s having knowledge of the existence of instances of the kind. I shall argue that he separates these two stages of enquiry, and thus rejects my modern essentialist’s Existence Assumption.« (Charles, 2000, S. 17–18)
Letztendlich nimmt Charles also zwei Stufen von sprachlicher Bedeutung an, die man als »Alltagsbedeutung« und »wissenschaftliche Bedeutung« bezeichnen kann. 28 Damit umgeht er die Existenzbehauptung, die der modern essentialist machen muss. Charles macht an einem Beispiel klar, wie diese Unterscheidung zwischen Alltags- und wissenschaftlicher Bedeutung zu verstehen ist. Es geht um eine Ärztin, die das Bild einer Krankheit (dropsy, i. e. Wassersucht) entwickeln will: She could say: ›Dropsy‹ signifies a unified medical condition with the following symptoms … […] Something further would be required to establish the existence of one condition: e. g. repeated successful manipulation of symptoms (›if I do this, that will happen …‹), some understanding of how different aspects of the illness are interconnected, or a prognosis of how the illness develops in standard cases. Without this, the doctor will be able to formulate an account of what ›dropsy‹ signifies (which she uses in her hypothesis) without knowing of the existence of dropsy.« (Charles, 2000, S. 158)
Ob nun Charles’ modern essentialist und seine Existenzbehauptung die moderne Diskussion des Themas adäquat wiedergibt, ist zwar eine interessante Frage, darf hier aber ausgeblendet werden. Ein anderer Punkt ist für die vorliegenden Belange viel wichtiger: Beide Positionen, sowohl der moderne als auch der aristotelische Essentialismus nach Charles, ist der These des semantischen Externalismus verpflichtet. D. h., die Bedeutung von Ausdrücken wird bestimmt und Die Bedingung der Möglichkeit dieser Alltagsbedeutung, die als Fundament von sprachlicher Bedeutung angesehen wird, steht entgegen der wissenschaftlichen Bedeutung und dem Essentialismus in der vorliegenden Arbeit im Fokus. Es interessiert die fundamentale Frage, wie es möglich und was nötig ist, menschlicher Sprache befähigt zu sein.
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individuiert durch externe Objekte, die Charles bei Aristoteles als efficient causes versteht. Deutlich wird das in der streng kausalen Weise, in der Charles das SGG interpretiert: »In this passage, Aristotle says only that thoughts (all or some) are likenesses of things in the world (homoiōmata), a topic which he notes he has discussed elsewhere (in fact, in De Anima). He is content to point his reader to the place to look for a more detailed account of likeness (16a8–9). In Aristotle’s discussion of perception and thought in De Anima the notion of likeness plays a major role. In cases of successful thinking and perceiving, entities in the world liken the relevant faculty to themselves. Likening is a causal process in which the starting point is (e. g.) a particular external object.« (Charles, 2000, S. 81–82) »Likening, therefore, is an asymmetric causal process in which the relevant object or kind (with its form) is (1) the efficient cause of the relevant perception or thought, and (2) explains the general features of the perception or thought (what it is about).« (Charles 2000, 82)
Während der modern essentialist die Existenz eines Gegenstands annehmen muss, um die Bedeutung des entsprechenden Ausdrucks zu beurteilen, gilt das zwar für den aristotelischen Essentialisten nicht, aber er muss trotzdem eine kausale Beziehung zwischen dem externen Objekt und dem mentalen Zustand einer Person annehmen. Charles baut deshalb den Aspekt der Obskurität ein, da sich selbst die Wissenschaftlerin, die mit Hilfe der Alltagsbedeutung (also mit einer zunächst hypothetischen Beschreibung der Wassersucht) eine Krankheit untersucht, von der sie noch gar nicht weiß, ob es sie überhaupt gibt, in einem kausalen Kontakt mit der betreffenden und existierenden Art dropsy befindet: »She was, in fact, interacting with one disease, without knowing that she was doing so. Her interactions with the kind, although not sufficient (by her lights) to generate knowledge of its existence, are sufficient to give her thoughts about it. […] At the outset her thinking facutly is ›likened‹ to the kind, even though she does not know that this is the case.« (Charles, 2000, S. 158–9)
Die Obskurität besteht im Nichterfassen der Tatsache, dass man mit einem externen Objekt in einer kausalen Verbindung steht. Wie aber kann man mit etwas in kausalem Kontakt stehen, das zwar bewusst, aber trotzdem obskur ist? Wenn mit dem visuellen Sinn etwas bewusst wahrgenommen wird, dann verbietet es sich ja geradezu, dieses Objekt in seiner Ursächlichkeit als obskur zu charakterisieren. Der 40
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Inhalt einer Wahrnehmung ist das Objekt dieser Wahrnehmung, das diese verursacht. Wie kann der Inhalt des Denkens, z. B. die Krankheit Wassersucht, als Objekt des Denkens im Gegensatz zu Wahrnehmungsobjekten obskur bleiben? 29 Charles ist letztendlich verpflichtet zu dieser Obskurität, weil seine Lesart des SGGs naiv ist: Er versteht die πράγματα im SGG als entities in the world, die eine kausale Wirkung auf den Geist haben – das ist relativ unproblematisch für die Perzeption, nicht aber für das Denken bei Aristoteles. 30 Selbst wenn man das Problem der Obskurität beiseitelässt oder annimmt, dass man es auf irgendeine Weise lösen kann, bleibt das Grundproblem der Charles’schen Interpretation des SGGs bestehen, wenn man die Semantik leerer Ausdrücke betrachtet: Der modern essentialist nach Charles kann solchen Ausdrücken (wie z. B. »Bockhirsch«) nur semantische Sinnlosigkeit attestieren, da es nichts gibt, was unter diesen generellen Ausdruck fällt, somit eine wissenschaftliche Untersuchung von vornherein unmöglich ist (das ist die existence-assumption, die Charles dem modern essentialist unterstellt). Nun weiß Charles sehr wohl, dass Aristoteles explizit behauptet, dass der Ausdruck »Bockhirsch« etwas bedeutet, dass damit aber noch nichts über seine Existenz behauptet wird. 31 Hier besteht dann nicht mehr die Möglichkeit, mit der Idee der Obskurität den Externalismus bzw. die Interpretation der πράγματα im SGG als entities in the world zu retten. Der Bockhirsch existiert schlichtweg nicht, wie also sollte er als ein efficient cause fungieren können? Charles ist sich dieser Ungereimtheit freilich bewusst und antwortet darauf folgendermaßen: 32 Der Ausdruck »Bockhirsch« ist ein zusammengesetzter Subjektausdruck (compound name), dessen konstitutive Teile einfache Subjektausdrücke (simple names) sind, deren Man könnte die Idee der Obskurität vielleicht »retten«, indem man beim Denkvermögen eine andere Prozessart unterstellt, die nicht mit der naturwissenschaftlichen Kausalität identisch ist. Gerade das macht Charles aber nicht; er behauptet, dass auch beim Denkvermögen die Inhalte ausschließlich durch externe Objekte individuiert werden. 30 Diesen Punkt greift auch Wheeler in seiner Rezension zu Charles’ Buch auf: »Although Charles makes a reasonable case for externalism in the case of perceptible individuals, it remains unclear […] why the efficient causal story, obviously essential to the psychological account of the origin of thought, is likewise essential to the semantic theory of the representational content of thought.« (Wheeler, 2004, S. 488–9) 31 Vgl. De int. 1, 16a16–18. 32 »Clearly, the signification of these terms cannot be determined by the process of ›likening‹ of thoughts to kinds in the world.« (Charles, 2000, S. 87–88). 29
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semantische Gehalte durch eine kausale Beziehung mit Gegenständen in der Welt konstituiert werden; denn mit »Bock« und »Hirsch« beziehen wir uns ja schließlich auf unproblematische Dinge in der Welt. Die Bedeutung des Ausdrucks »Bockhirsch« lässt sich also rückstandslos reduzieren auf die Bedeutung von »Bock« und »Hirsch«. Zwei zusammenhängende und zentrale Punkte sind an Charles’ Sichtweise problematisch: Zum einen reduziert er die formalen Anforderungen des SGGs auf einfache Subjektausdrücke: »The account in the previous Section [i. e. Charles’ Kapitel über das SGG, S. L.] has been of simple names.« (Charles, 2000, S. 88) »The significance of the simple and compound names is fixed in radically different ways. As a consequence, while simple thoughts must signify one object or kind in the world, compund names need not.« (Charles, 2000, S. 89)
Das würde bedeuten, dass nur die einfachen Subjektausdrücke in das SGG-Schema passen. Nur sie beziehen sich auf ein νόημα und auf ein πρᾶγμα, zusammengesetzte Subjektausdrücke dagegen beziehen sich nicht auf ein πρᾶγμα, das von Charles ja als entity in the world verstanden wird. Das SGG trifft also nur auf einfache Subjektausdrücke zu. Gegen eine solche eingeschränkte Reichweite des SGGs spricht aber einiges. In den ersten Zeilen des ersten Kapitels von De int. zählt Aristoteles die Arten von sprachlichen Ausdrücken auf, die er unterscheidet und in der Folge detaillierter untersucht. Dabei handelt es sich um Subjekt- und Prädikatausdruck (ὄνομα, ῥῆμα), um Affirmation, Negation und den Behauptungssatz insgesamt (ἀπόφασις, κατάφασις, ἀπόφανσις) und schließlich um ein längeres Gefüge von Sätzen (λόγος). 33 Bevor er in den folgenden Kapiteln auf diese verschiedenen Formen sprachlicher Ausdrücke näher eingeht, folgen jene zentralen Betrachtungen, die hier als Semantisches Grundgerüst bezeichnet werden. Dieser Aufbau des ersten Kapitels legt nahe, dass die grundlegenden Betrachtungen des SGGs auf alle Arten von sprachlichen Ausdrücken zutreffen, nicht nur auf eine spezielle Form des ὄνομα, die in der eröffnenden Auflistung gar nicht auftaucht, sondern erst in dem Kapitel, das dem ὄνομα gewidmet ist. 34 In De 33 34
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Vgl. De int. 1, 16a1–2. Es ist zudem eine plausible Annahme, dass die ungesättigte Wendung τά ἐν τῇ
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int. 2 unterscheidet Aristoteles zwischen einfachem Subjektausdruck (ὄνομα ἁπλοῦν) und zusammengesetztem Subjektausdruck (ὄνομα πεπλεγμένον). 35 Und es scheint, dass Aristoteles darauf besteht, dass nicht nur die einfachen Subjektausdrücke semantische Atome darstellen, was bedeutet, dass die Teile des Ausdrucks keine eigenständige Bedeutung haben (μηδέν μέρος ἐστί σημανιτκόν κεχωρισμένον, De int. 2, 16a20–21). Zwar gesteht er zu, dass in Ausdrücken wie »Bockhirsch« die Teile etwas bedeuten wollen (βούλεται, De int. 2, 16a25), betont aber gleich darauf wieder, dass sie trotzdem keine eigenständige Bedeutung haben (ἀλλ’ οὐδενός κεχωρισμένον, οἷον ἐν τῶ ἐπακτορκέλης τό κελης. De int. 2, 16a25–26). Damit dürfte die semantische Einheitlichkeit angesprochen sein, die sich nicht auf die bedeutsamen Teilausdrücke von zusammengesetzten Subjektausdrücken reduzieren lässt. In epistemischer Hinsicht lässt sich die Bedeutung von »Bockhirsch« durchaus auf die Bedeutung der Teilausdrücke zurückverfolgen, in formaler Hinsicht jedoch sind alle Formen der ὀνόματα eigenständig. Und diese formal-semantische Eigenständigkeit ist auch im SGG ausgedrückt, und zwar insofern, als jeder bedeutsame sprachliche Ausdruck seine Bedeutung aufgrund seiner Symbolbeziehung zum entsprechenden νόημα und πρᾶγμα (als νοητόν) erhält. Man muss dann natürlich die naive Lesart der πράγματα des SGGs ausschließlich als objects in the world aufgeben – und genau das wird in der vorliegenden Arbeit gemacht. 36 Die Reduktion des Bezugs des SGGs auf simple names erscheint somit als nicht gut begründet. Der zweite, mit dem gerade Erwähnten zusammenhängende Punkt bezieht sich darauf, dass Charles durch seine vermeintliche Lösung des Problems leerer Ausdrücke nur ein neues epistemisches Problem schafft, das seinerseits gelöst werden muss. Im Falle der Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks »Bockhirsch« nimmt Charles bezüglich der νοήματα »Bock« und »Hirsch« φωνῇ, die Aristoteles für die gesprochene Sprache im SGG verwendet, mit den in den ersten Zeilen von De int. aufgelisteten Arten von sprachlichen Ausdrücken ergänzt werden kann. Auch das spräche dafür, dass das SGG und die darin enthaltenen formalsemantischen Betrachtungen ganz grundsätzlicher Natur sind und somit auch zusammengesetzte Subjektausdrücke umfassen. 35 Vgl. De int. 2, 16a22–26. 36 Schon Cat. 5, 4a34–4b1 zeigt, dass Aristoteles πρᾶγμα auch im Sinne von Sachverhalt verwendet; diese Verwendung passt auch insofern zu De int., als auch der λόγος und seine Unterarten sprachliche Ausdrücke sind, die sich auf ein νόημα und ein πρᾶγμα beziehen. Sprache, Bedeutung, Geist
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an, dass ihre Rolle nun nicht mehr darin besteht »[…] to signify things in the world, but rather to serve as an input (with the content they have) to an operation which yields a new significant thought.« (Charles, 2000, S. 89) Es wäre interessant zu wissen, wie diese operation genau aussieht, wer dazu befähigt ist und wodurch. Ist damit vielleicht etwas gemeint, das schließlich problematisch für den Externalismus werden kann? Sind damit interne Strukturen angesprochen, etwa eine Fähigkeit zur Begriffsbildung, die in Kombination mit dem externen Input ein Bedeutungsverstehen erst ermöglicht? Auch bei Charles muss man also konstatieren, dass die theoretische Tiefe des SGGs nicht berücksichtigt wird. In epistemischer Hinsicht hat er sicherlich damit Recht, dass die Bedeutung des zusammengesetzten Ausdrucks »Bockhirsch« auf die Ausdrücke »Bock« und »Hirsch« zurückzuführen ist. Der formale Aspekt des SGGs bezieht sich aber auf die Intuition, dass man mit dem Ausdruck »Bockhirsch« etwas vom Hirsch und vom Bock Verschiedenes, etwas Eigenständiges bezeichnet (σημαίνει τι oder ἕν σημαίνει, wie Aristoteles sagt); man bezieht sich auf eine semantische Einheit, auf das Konzept Bockhirsch. Die Frage, der die vorliegende Arbeit nachgeht, ist, wie sich formaler und epistemischer Aspekt bei Aristoteles zueinander verhalten und ergänzen. Zwar wird die Frage, wie die παϑήματα, also die mentalen Entitäten, auf die sich sprachliche Ausdrücke beziehen, in formaler Hinsicht zu interpretieren sind, auch hier – pace Modrak – mit den νοήματα beantwortet. Allerdings soll des Weiteren – pace Charles – dafür argumentiert werden, dass die πράγματα, die sich als νοητά mit den νοήματα in einer Ähnlichkeitsrelation befinden, (vernunft-)interne Objekte sind. Die Möglichkeit, semantische Einheiten als interne Objekte zu bilden, geht auf eine dem Menschen eigentümliche und grundlegende Fähigkeit, eine ἕξις zurück, die bei Aristoteles mit dem aktiven Intellekt zu identifizieren ist. Der erste Schritt zur Explikation der aristotelischen Semantik erfolgt nun im nächsten Kapitel anhand der Darstellung des Semantischen Grundgerüsts und eines knappen Aufrisses der Probleme, die mit diesem Grundgerüst einhergehen.
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2. Das semantische Grundgerüst. Elemente und Relationen
Die Anfangspassage von De int. ist berüchtigt. In nahezu jeder Veröffentlichung zu dieser Textstelle wird erwähnt, dass es sich um eine der einflussreichsten Passagen zum Thema Semantik handelt. 37 Diese Stelle muss auch hier Gegenstand der Untersuchung sein – aber nicht nur sie. Im Gegensatz zu gängigen Versuchen, diese Passage zu entschlüsseln, soll hier der Versuch gemacht werden, den Gesamtkontext mehr zu berücksichtigen, um besser zu verstehen, was der Skopus dieser Passage und somit auch der Schrift De int. überhaupt ist. 38 Πρῶτον δεῖ ϑέσϑαι τί ὄνομα καί τί ῥῆμα, ἔπειτα τί ἐστιν ἀπόφασις καί κατάφασις καί ἀπόφανσις καί λόγος. Ἔστι μέν οὖν τά ἐν τῇ φωνῇ τῶν ἐν τῇ ψυχῇ παϑηSo paradigmatisch Kretzmann: »A few sentences near the beginning of De interpretatione (16a3–8) constitute the most influential text in the history of semantics.« (Kretzmann, 1974, S. 3) 38 Zum Skopus der Schrift meint Sedley: »The central theme of the De interpretatione is the nature of contradiction between assertions.« (Sedley, 1996, S. 88) Dies ist auch die These von Whitaker: »[…] it [die Abhandlung, S. L.] does not take as its subject propositions, seen as the components of the syllogism, but rather contradictory pairs, which are central to the working of dialectic. It is meant to provide theoretical underpinning for dialectic, and so should be read closely with the Topics and Sophistici Elenchi, rather than with the Categories and Prior Analytics. I shall thus challenge the traditional view of the place of the De Interpretatione in the Organon.« (Whitaker, 1996, S. 2) Whitakers Verdienst ist es, De int. als Ganzes gelesen und interpretiert zu haben. Letztlich kommt er aber zu einem zu restriktiven Schluß. Die Vielfalt der Organonschriften ist so groß, deren Verbindungslinien innerhalb des aristotelischen Oeuvres so vielgestaltig, dass man sie in sehr vielen Zusammenhängen lesen kann, gleichzeitig aber ein Aspekt den anderen nicht ausschließt. Die Kontradiktion ist sicherlich ein zentrales Thema von De int., allerdings nicht nur bezüglich der Fundierung des dialektischen Gespräches, sondern auch im Rahmen der Untersuchung der logisch-semantischen Grundprinzipien und -regeln unserer Sprache. Die daran anschließenden Fragen nach dem erkenntnistheoretischen Ursprung dieser Regeln und sprachlicher Bedeutung – Fragen, die in dieser Arbeit im Vordergrund stehen – sind zum erweiterten Skopus der Schrift zu zählen. 37
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Das semantische Grundgerüst. Elemente und Relationen
μάτων σύμβολα, καί τά γραφόμενα τῶν ἐν τῇ φωνῇ. καί ὧσπερ οὐδέ γράμματα πᾶσι τά αὐτά, οὐδέ φωναί αἱ αὐταί. ὧν μέντοι ταῦτα σημεῖα πρώτων, ταὐτά πᾶσι παϑήματα τῆς ψυχῆς, καί ὧν ταῦτα ὁμοιώματα πράγματα ἤδη ταὐτά. Zuerst muss festgelegt werden, was ein Subjekt und was ein Prädikat 39 ist, danach was eine affirmative Behauptung, was eine negative Behauptung, was eine Behauptung und was ein Satz ist. Es ist nun das Gesprochene ein Symbol der mentalen Zustände, und das Geschriebene ein Symbol des Gesprochenen. Und genauso wie die Schrift nicht bei allen Menschen dieselbe ist, ist auch das Gesprochene nicht bei allen dasselbe. Wofür dies jedoch in erster Linie Zeichen ist, nämlich für die mentalen Zustände, die sind für alle Menschen dieselben; ebenso sind die Dinge dieselben, wovon diese [i. e. die mentalen Zustände] wiederum Ähnlichkeiten sind. De int. 1, 16a1–8
Es ist sinnvoll, kurz zu paraphrasieren, was uns Aristoteles hier sagt. Zeile eins und zwei stellen eine kleine, allerdings verkürzte Inhaltsangabe der Schrift dar: Es soll zunächst festgestellt werden, was ein Subjekt (ὄνομα, De int. 2, 16a19–16b5) und was ein Prädikat (ῥῆμα, De int. 3, 16b6–25) ist, dann, was eine affirmative bzw. eine negative Behauptung ist (ἀπόφασις, 5, 17a8–24 bzw. κατάφασις, De int. 6, 17a25–37), was eine Behauptung überhaupt ist (ἀπόφανσις, De int. 4, 16b26–17a7 bis 5, 17a8–24) und schließlich, was ein Satz (λόγος, De int. 4, 16b26–17a7) ist. 40 Was dann im restlichen ersten Kapitel Die Übersetzung von ὄνομα mit »Subjekt« und ῥῆμα mit »Prädikat« ist nicht alternativlos. Dennoch scheint mir, dass diese Übersetzung die Funktion, die Aristoteles diesen sprachlichen Entitäten zuschreibt, am besten darstellt. Etwas etwas anderem zu- oder absprechen ist die fundamentale Funktion eines Behauptungssatzes (vgl. De int. 6, 17a15–37). Dieses Zu- und Absprechen kann man sehr gut mit dem Begriff der Prädikation umschreiben, ohne die grammatische Form der Bestandteile zu berücksichtigen. Weidemann, 2014, verwendet in seiner Übersetzung die etwas künstlich wirkenden Übersetzungen »Nennwort« und »Aussagewort«. 40 Zum Widerspruch von Auflistung und chronologischer Behandlung der zusammengesetzten sprachlichen Elemente, siehe Weidemann, 2014, S. 133 f. Weidemann merkt hier an, dass der Umstand, dass er die letzten vier sprachlichen Elemente in genau umgekehrter Reihenfolge zur Auflistung behandelt, damit zu erklären ist, dass nicht der Satz überhaupt, der immer aus Subjekt und Prädikat besteht, interessiert, sondern eine bestimmte Art, nämlich der Behauptungssatz in seiner affirmativen und negativen Form. Die Auflistung geht also vom Speziellen zum Allgemeinen, in der Behandlung der sprachlichen Elemente schien es Aristoteles aber sinnvoller, nach den atomaren Einheiten Subjekt und Prädikat zunächst den Satz 39
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Das semantische Grundgerüst. Elemente und Relationen
noch behandelt wird, ist jene Passage, die die philosophische Nachwelt bis heute beschäftigt. Um einen einfachen systematischen Zugang zu dieser Passage zu bekommen, werden die Elemente und Relationen, die in den Zeilen drei bis acht eingeführt werden, schematisch dargestellt: Das semantische Grundgerüst (SGG) Element A τὰ γραφόμενα Schrift
• in Relation x (σύμβολον Symbol) zu
Element B τὰ ἐν τῇ φωνῆ Sprache
• in Relation x (σύμβολον; Symbol) und y (σημεῖον; Zeichen) zu
Element C τὰ ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα Mentale Zustände
• in Relation z (ὁμοίωμα; Ähnlichkeit) zu
Element D τὰ πράγματα Dinge
Der Reihenfolge nach werden folgende Relationen zwischen den Elementen behauptet: Die gesprochene Sprache symbolisiert die mentalen Zustände (BxC), die geschriebene Sprache symbolisiert die gesprochene Sprache (AxB); auf die Feststellung, dass die Elemente C und D für alle Menschen dieselben sind, folgt die Zeichenrelation zwischen der gesprochenen Sprache und den mentalen Zuständen (ByC). 41 Zuletzt führt Aristoteles die Ähnlichkeitsrelation zwischen den mentalen Zuständen und den Dingen an (CzD). im Allgemeinen zu behandeln, um dann zu seinen speziellen Unterarten zu gelangen. 41 Die Frage, ob zwischen BxC und ByC ein inhaltlicher Unterschied besteht, ist eines der vieldiskutierten Probleme, die das SGG mit sich bringt; sie wird in Kapitel 4 eingehender betrachtet. Dort wird auch die Möglichkeit einer weiteren, impliziten Relation ByD besprochen. Sprache, Bedeutung, Geist
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Das semantische Grundgerüst. Elemente und Relationen
Man könnte der Auffassung sein, dieses Schema biete keinerlei Probleme, indem man feststellt: Die Schrift symbolisiert die Sprache, die Sprache das Mentale und das Mentale die Dinge. 42 Dass die scheinbare Einfachheit aber trügerisch ist und dass das Verständnis dieser Passage immense Schwierigkeiten mit sich bringt, wurde in etlichen Veröffentlichungen zu dem Thema offenbar. 43 Diese Schwierigkeiten gehen, wie es bei altsprachigen Texten die Regel ist, auch auf philologische Fragen und Probleme zurück, etwa auf die generelle Schwierigkeit, griechische Fachausdrücke eins zu eins in eine moderne Sprache zu übersetzten. Es stellen sich also prinzipielle Übersetzungs- und Bedeutungsfragen hinsichtlich der genannten Elemente und Relationen, wie etwa: Was versteht Aristoteles unter dem Element D, was genau ist mit »Ding« gemeint? Oder: Was versteht er unter der Relation z? Wie ist ὁμοίωμα zu übersetzen und zu verstehen? Ist damit Gleichheit, Ähnlichkeit oder gar Identität gemeint? Alle diese Ausdrücke erscheinen als mögliche Übersetzungen des griechischen ὁμοίωμα und somit offenbart sich ein immenser Bedeutungsspielraum der zentralen griechischen Begriffe. Es gilt also für jedes Element und jede Relation die Frage zu beantworten, was damit eigentlich gemeint ist. Wie nicht anders zu erwarten, werden in der Forschung die verschiedensten Ansichten dazu vertreten. Die folgende Übersicht soll einen ersten Einstieg in die vorherrschenden Tendenzen hinsichtlich der Beantwortung dieser Fragen darstellen und dabei gleichzeitig die hier vertretene Interpretation vorbereiten, die dann in den entsprechenden Unterkapiteln ausgearbeitet wird. – Element A: Das ist wohl das unproblematischste Element, da es in den folgenden Kapiteln von De int., in De an., wie überhaupt im aristotelischen Oeuvre keine entscheidende Rolle spielt. Das Hauptaugenmerk wird nicht auf die geschriebene, sondern auf die gesprochene Sprache (φωνή), also Element B gelegt. Die Vgl. z. B. Bocheński: »The explicit semantic scheme of Aristotle is a rather simple one: written words are symbols of spoken words, these are symblos of mental experiences, and mental experiences are again symbols of things; thus spoken words are also symbols of things.« (Bocheński, 1951, S. 29) 43 Mit Kretzmann, 1974, hat die intensive Beschäftigung mit dieser Textstelle in jüngerer Zeit (wieder) eingesetzt. Folgende Artikel sind in dieser Hinsicht einschlägig und in dieser Arbeit berücksichtigt: Irwin, 1982; Weidemann, 1982; Pépin, 1985; Polansky/Kuczewski, 1990; de Rijk, 1996; Sedley, 1996; Wheeler, 1999; Di Mattei, 2006; Walz, 2006; Thorp, 2009. Neben den gängigen Kommentaren zur aristotelischen De int. sind folgenden Monographien wichtig: Larkin, 1971; Whitaker, 1996; Charles, 2000; Modrak, 2001. 42
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Das semantische Grundgerüst. Elemente und Relationen
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Symbolrelation, die zwischen den Elementen A und B postuliert wird, macht diese Vernachlässigung der geschriebenen Sprache nachvollziehbar. Element B: Die gesprochene Sprache, τά ἐν τῇ φωνῇ, ist etwas schwieriger zu bestimmen. Wörtlich übersetzt mit »das in der Sprache [Vorkommende]«, lässt Aristoteles hier zunächst einigen interpretatorischen Spielraum, da der Ausdruck unvollständig ist. Zudem stellen sich hier Fragen genereller Art: Auf was für eine Art von Sprache ist hier abgezielt? Was ist mit Tierlauten, die etwas später im dritten Kapitel von De interpretatione erwähnt werden, oder anderen nicht-sprachlichen Geräuschen, denen wir dennoch gewisse Bedeutsamkeit unterstellen? Gibt es eindeutige Kriterien der Differenzierung? Geht Aristoteles hier ausschließlich auf menschliche Sprache ein, und wenn ja, was ist ihre differentia specifica? Relationen x und y: Die schon erwähnten Elemente A und B stehen in der Relation x. Worin besteht aber die Funktion eines Symbols? Zu Element A wurde oben gemutmaßt, dass es deswegen vernachlässigt werden kann, weil es in einer Symbolrelation zu Element B steht. Aber durch was wird etwas für etwas anderes zum Symbol? Die gleichen Fragen gelten für die Relation y, die Zeichenrelation. In der Forschung gibt es dazu einen generellen Disput: Manche Interpreten gehen von einer Verschiedenheit dieser Relationen aus; die Symbolrelation x beziehe sich auf den konventionellen Charakter der Sprache und der Schrift, die Zeichenrelation y auf den natürlichen und kausalen Zusammenhang zwischen Sprache und deren Ursache, Element D. Andere gehen von einer synonymen Verwendungsweise von den Relationen x und y und somit von einer einheitlichen Bedeutung von »Symbol« und »Zeichen« aus. Element C: Die Formulierung παϑήματα τῆς ψυχῆς ist ein aristotelischer terminus technicus und hat eine sehr generelle Bedeutung, die man gut mit dem modernen Ausdruck »mentaler Zustand« wiedergeben kann. Je nach Aspekt kann man darunter verschiedene Arten von mentalen Zuständen verstehen. 44 Im Falle von De int. gehen die meisten Interpreten davon aus, dass
Vgl. De an. I, 1, 403a7–8. Dort werden einige Beispiele aufgezählt, z. B. »sich erzürnen« (ὀργίζεσϑαι), »mutig sein« (ϑαρρεῖν), »begehren« (ἐπιϑυμεῖν), »wahrnehmen« (αἰσϑάνεσϑαι), schließlich »denken« (νοεῖν).
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Das semantische Grundgerüst. Elemente und Relationen
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mit Element C entweder Vorstellungen (φαντάσματα) oder Gedanken (νοήματα) gemeint sind. Die Vorstellungen sind bei Aristoteles sehr eng an die Wahrnehmungen gebunden. D. h., jede Vorstellung setzt eine Wahrnehmung voraus, und das ist bei Aristoteles durchaus kausal gedacht; deswegen besteht in der Wahl der Vorstellungen die eher empiristische Deutung des Elements C. Die Gedanken eröffnen andere Möglichkeiten. An vielen Stellen postuliert Aristoteles eine Unabhängigkeit der Gedanken von den anderen Vermögensleistungen. Die empirische Gebundenheit scheint beim νόημα nicht so groß zu sein, ein erfahrungsunabhängiger Aspekt der Rationalität tritt in den Vordergrund. Auffällig ist auf jeden Fall, dass in De int. das Wort φαντασία kein einziges Mal vorkommt, dafür aber νόημα. Zwar taucht es nur zweimal auf, jedoch im unmittelbaren Kontext des SGGs, im zweiten Teil des ersten Kapitels. 45 Element D: Eine geläufige Übersetzung für πρᾶγμα ist der Ausdruck »Ding«. Aber was für Dinge sind gemeint? Wenn man Element C mit Vorstellungen, also mit mentalen Abbildern o. Ä. erklären will, dann erscheint die Interpretation von Element D als konkretes Individuum sehr plausibel. 46 Aristoteles verwendet den Ausdruck aber auch für einen Sachverhalt. 47 Auch im Kontext von De int. liegt die Vermutung nahe, dass Aristoteles unter
Vgl. De int. 1, 16a10 und 14. Diese Interpretation legen z. B. Ackrill und Kretzmann nahe. Ackrill, 1963, übersetzt πράγματα hier mit actual things und Kretzmann bezieht sich auf diese Übersetzung mit dem Hinweis, sie sei: »[…] the only one in english that shows an understanding of the text« (Kretzmann, 1974, S. 18, Anm. 2). Vgl. auch Modrak, die bei Aristoteles »[…] an argument to show that significant terms refer to real objects […]« beobachtet haben will und darauf aufbauend behauptet, dass »[a] referential term denotes a subject existing in the world. The meaning of the term is determined by its referent. By making subjects primary, Aristotle makes the meanings of all terms ultimately dependent upon their relation to extralinguistic subjects.« (Modrak, 2001, S. 4) Auch Wheeler bleibt bei dieser empiristischen Deutung, differenziert jedoch zwischen wahrnehmbaren und intelligiblen Eigenschaften (qualities), die aber jeweils auf ein konkretes Individuum zurückzuführen sind. Seinen Ansatz fasst er folgendermaßen zusammen: »On this interpretation, every mental image signified by a spoken sound represents (by means of having it) a perceptible or intelligible quality had by some real thing.« (Wheeler, 1999, S. 206). Freilich ist es ein Problem zu behaupten, dass jeder sprachliche Ausdruck eine wahrnehmbare oder intelligible Eigenschaft, was immer das auch sein mag, bezeichnet; diese Annahme würde unseren Wortschatz um einiges verkürzen. 47 Vgl. z. B. Cat. 5, 4a36. 45 46
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Element C, gerade wenn unter Element B auch Sätze zu subsumieren sind, mehr als Einzeldinge versteht. Daran schließt sich eine nächste Frage an: Ein Sachverhalt kann, muss aber nicht bestehen. Erkennt Aristoteles als πρᾶγμα nur aktuale Individuen bzw. bestehende Sachverhalte an, Dinge also, die Bestandteil der außersprachlichen und außermentalen Wirklichkeit sind? Oder kennt er auch nicht-aktuale, nur potentielle Individuen und Sachverhalte? Hat Aristoteles schon über die Idee verfügt, die man heute mit dem Ausdruck »Intentionalität« bezeichnet? 48 Muss man den πρᾶγμα-Begriff vor dem Hintergrund dieser Intentionalität verstehen, also bezogen auf eine Eigentümlichkeit mentaler Zustände? Ist es möglich, ein πρᾶγμα als einen intentionalen Gegenstand zu verstehen? Es deutet sich an, dass eine naive, streng empiristische Deutung von πρᾶγμα als konkretem Individuum dem SGG wohl nicht gerecht werden kann. Relation z: Schließlich ist die schon erwähnte Ähnlichkeitsrelation zwischen Element C und D genauer zu bestimmen. In welcher Hinsicht können Dinge und mentale Zustände ähnlich sein? Das führt zurück zu den Fragen: Was ist ein Ding, was ist ein mentaler Zustand? Wenn ein Ding ein konkretes Individuum ist, also ein materieller Gegenstand in Raum und Zeit, wie kann es einem mentalen Zustand darin ähnlich sein? Indem man
Die Frage, ob Aristoteles schon einen Intentionalitätsbegriff hatte, ist vieldiskutiert. Vgl. hierzu Sorabji, 1991; Sorabji, 1992; Shields, 1995; Caston, 1998; Rapp, 2001. Das Problem der Intentionalität weist auch auf ein weiteres, nämlich das psychophysische Problem hin: Hat Aristoteles die intentionalen Zustände und Prozesse (z. B. Wahrnehmen, Vorstellen und Denken) als besondere gegenüber »normalen« physischen Prozessen angesehen? Versucht er Intentionalität mit physikalischer Sprache und Methode zu erklären? Ein Aspekt dieser Auseinandersetzung ist das Verständnis der Formulierung »Aufnahme der Form ohne die Materie«, mit der Aristoteles in De an. II, 12, 424a17–21 den Wahrnehmungsprozess beschreibt. Die sogenannten »Literalisten« wollen hier einen »normalen« physischen Prozess unterstellen, während die »Spiritualisten« die physische Fundierung psychischer Prozesse gerade leugnen (vgl. Kapitel 5.3.2). In dieser Arbeit wird dafür argumentiert, dass Aristoteles das Konzept der Intentionalität gekannt und verwendet hat, wenn auch nicht in der begrifflichen Exaktheit, die man heute gewohnt ist (vgl. v. a. das Kapitel 5.5.1). Die Annahme der Intentionalität führt aber nicht zu einem ontologischen Problem, einer Trennung von Körper und Geist, sondern es wird nachzuweisen versucht, dass bei Aristoteles auch in diesem Fall die Theorie des epistemischen Dualismus als Hintergrundannahme mitzudenken ist.
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auch diesen als konkretes Individuum in Raum und Zeit, also physikalisch, definiert? Aber worin besteht dann ihre Ähnlichkeit im Unterschied zu anderen Dingen und Zuständen, wodurch wird sie konstituiert? Durch eine kausale Verbindung? Ein bestimmter raumzeitlicher Gegenstand ruft mittels Affektion einen bestimmten raumzeitlich zu identifizierenden Prozess hervor, den wir dann auch als mental charakterisieren. Aber reicht dieses kausale Verständnis hin, um sprachliche Bedeutung zu erklären? Die Elemente C und D erscheinen im SGG als Bedeutungsträger unserer sprachlichen Ausdrücke. Kann man von Bedeutung in diesem kausalen Sinn reden? Lässt sich das vereinbaren mit der Vorstellung vom Inhalt oder Gehalt sprachlicher Ausdrücke? Wir verstehen die Bedeutung eines Ausdrucks ja nicht, wenn wir wissen, welcher neuronale Prozess durch die Wahrnehmung eines Pferdes stattfindet. Muss man deswegen anstatt einer kausal verstandenen Verbindung zwischen Element C und D eher eine Abbildrelation annehmen? Es gibt da Dinge, Individuen in der Welt, und indem ich sie anschaue, habe ich ein mentales Abbild in meinem Kopf, das ich abspeichern und von dem ich abstrahieren kann? Was aber ist dann mit nicht-wahrnehmbaren Dingen? Soweit zu einer generellen Formulierung relevanter Fragen und Probleme. Eine interpretatorische Tendenz dürfte herauszulesen sein. Einer verengt empiristischen Interpretation des SGG stehen ernste Probleme gegenüber, die sich im Laufe der Arbeit als unüberwindbar herausstellen werden. Die Position, die hier entwickelt wird, mündet in der These eines Apriorismus, d. h., bedeutsame Sprache ist nach Aristoteles nicht möglich ohne ein vorempirisches Wissen logisch-semantischer Natur bzw. einer apriorischen Sprachfähigkeit. Diese Position lässt sich auch auf das generelle Problem der Fundierung des Wissens bei Aristoteles übertragen: Aristoteles ist kein reiner Empirist; für jede Art von inhaltlichem Wissen ist ein Sprachwissen, das in jenen formalen logisch-semantischen Strukturen besteht, unbedingte Voraussetzung. 49 Im Folgenden soll diese Position untermauert werDie Verwendung von »apriorisch« und »vorempirisch« soll nicht dazu verleiten, Aristoteles mit Kant’schen Augen lesen zu wollen. Das sollte vermieden werden, denn die Ansätze beider Denker sind sicherlich streng zu unterscheiden. Die Rede von »apriorisch« und »vorempirisch« sollte immer mit Bezug auf die Vermögensstruktur verstanden werden, die bei Aristoteles in erkenntnistheoretischer Sicht zentral ist. Im Kern geht es darum, dass das Denk- bzw. Sprachvermögen nur mit einer angeborenen
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den, indem die verschiedenen Elemente und die Relationen, in denen diese zueinander stehen, detailliert untersucht werden.
Grundkompetenz, einer nativen Disposition zu verstehen und zu erklären ist. Genauso, wie es bei den perzeptiven Vermögen eine grundlegende Kompetenz (in aristotelischen Worten: die erste Potentialitätsstufe) gibt, die in der organischen Ausstattung eines Lebewesens liegt (beim visuellen Sinn also das Auge und die neuronalen Verbindungen zum entsprechenden Gehirnareal), so muss es auch beim Denk- bzw. Sprachvermögen eine solche Kompetenz geben. Aus verschiedenen Gründen, die noch thematisiert werden, ist bei Aristoteles aber eine physisch-organische Erklärung dieser Kompetenz hier nicht möglich. Deswegen setzt er eine nicht-organische – und in diesem Sinne vorempirische und apriorische – Kompetenz oder Fähigkeit an, und zwar den aktiven Intellekt. Nun steht man heute einer solchen nicht-physikalischen Erklärungsweise geistiger Vermögen tendenziell eher skeptisch gegenüber, weil sie scheinbar einem ontologischen Dualismus die Tür öffnet. Es wird sich aber zeigen, dass diese Befürchtung bei Aristoteles nicht angebracht ist. Sprache, Bedeutung, Geist
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3. Elemente A und B
Am Anfang steht die Untersuchung der Elemente A und B, der geschriebenen und der gesprochenen Sprache. Zum Element A, τά γραφόμενα, finden sich keine weiterführenden, aufschlussreichen Aussagen bei Aristoteles. Alles was er zur Sprache insgesamt zu sagen hat, bezieht er zum größten Teil auf die gesprochene Sprache. Einzig die Feststellung, dass die Schrift je nach Sprachgemeinschaft divergent ist, stellt eine explizite Charakterisierung im Kontext des SGGs dar, 50 die allerdings ebenso auf die gesprochene Sprache zutrifft. Angesichts der Symbolbeziehung zwischen den Elementen A und B scheint die Konzentration auf das »wichtigere« Element B nachvollziehbar zu sein. Dass die gesprochene Sprache für Aristoteles bedeutender ist als die geschriebene, ergibt sich etwa aus Äußerungen in Sens., wo er die Wichtigkeit des Hörens und nicht des Sehens bzw. Lesens für das Lernen und das gute Leben, das mit der Sprachfähigkeit ermöglicht wird, hervorhebt. 51 Es dürfte unstrittig sein, dass die gesprochene und nicht die geschriebene Sprache der Ausgangspunkt für das Erlernen von Sprache überhaupt ist. 52 Der Zusammenhang zwischen geschriebener und gesprochener Sprache hinsichtlich der Symbolrelation, in der sie stehen, wird im Kapitel 4.4 eingehender betrachtet. Im Folgenden geht es um das Element B, die gesprochene Sprache.
Vgl. De int. 1, 16a5. Vgl. Sens. 1, 437a9–15. 52 Vgl. Phys. I, 1, 184b12–14. Aristoteles illustriert dort das kindliche Erlernen von Ausdrücken wie »Mutter« und »Vater«. Zuerst benennt (προσαγορεύειν) das Kind alle Frauen bzw. Männer in dieser Weise. Erst später lernt es die differenziertere Definition (ὁρισμός) der Ausdrücke und kann sie angemessen anwenden. Dieser Prozess läuft klarer Weise zuerst über Hören und Sprechen, erst danach über Schreiben und Lesen ab. 50 51
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Vorbemerkung
3.1. Vorbemerkung In der Einleitung wurde die Frage aufgeworfen, welcher Sprachbegriff im SGG vorliegt. Ein naheliegender erster Schritt zu dessen Bestimmung liegt in der Unterscheidung von tierischer und menschlicher Kommunikation. Dahingehend scheint in De int. immer schon eine klare Entscheidung getroffen. Keinem Tier würden wir zugestehen wollen, dass es sich über die morgige Seeschlacht, über die Welt überhaupt unterhalten kann, was sie ist und wie sie sein soll. Kein Tier kann wahrheitsfähige Äußerungen tätigen. Sicherlich kommunizieren Tiere miteinander, aber es gibt die sehr berechtigte Intuition, dass es einen gewichtigen Unterschied zwischen der menschlichen und der tierischen Kommunikationsform gibt. Es ist bekannt, dass Aristoteles an vielen Stellen in seinem Werk von einer nur dem Menschen möglichen Sprachfähigkeit ausgeht, die den Ausgangspunkt zu theoretischem und praktischem Wissen darstellt. 53 Es handelt sich bei dieser generellen Unterscheidung von menschlicher und tierischer Kommunikation um eine so evidente Tatsache, dass sie gar nicht erwähnenswert scheint. Doch im vorliegenden Kontext soll diese Evidenz hinterfragt werden. Denn wenn man die differentia specifica erfasst hat, wenn man weiß, worin die Bedingungen für die menschliche Sprache liegen, dann hat man mit ihrer Bestimmung im Idealfall schon erste Einsichten hinsichtlich der Frage, worauf sich sprachliche Ausdrücke beziehen, worauf ihre Bedeutsamkeit zurückzuführen ist, gewonnen. Auch wenn also die Frage, auf welche Art von Sprache De int. abzielt, in einem generellen Sinn schon jetzt beantwortet werden kann, so sind die Kriterien der Unterscheidung der menschlichen Sprache von anderen Kommunikationsformen noch nicht offenbar. Genau das soll das vorliegende Teilkapitel leisten: Eine genaue Analyse des aristotelischen Sprachbegriffs und der jeweiligen Differenzierungskriterien, um möglichst genau zu verstehen, was die menschliche Sprache ausmacht, was ihre Voraussetzungen sind. 54 Vgl. etwa Pol. I, 2, 1253a10–18. Von diesem Punkt aus starten auch heute noch sprachphilosophische Überlegungen, wie z. B. in Brandoms Expressiver Vernunft: »Wie können sprachliche Fähigkeiten aus nichtsprachlichen entstehen? Oder, ähnlich gefragt: Was müssen empfindende Wesen können, um auch als verstandesfähig zu gelten? Es muß also eine Geschichte über Praktiken erzählt werden, die hinreichen, um denen, die sie ausüben, propositional gehaltvolle intentionale Zustände verleihen zu können, ohne aber diese bei den Praxisteilnehmern vorauszusetzen. Die Hoffnung besteht darin, Anhaltspunkte dafür
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Elemente A und B
Aristoteles ist zu einem großen Teil Naturforscher. Deswegen überrascht es nicht, dass er das Phänomen Sprache eingehend aus naturwissenschaftlicher, aus physiologischer Sicht untersucht. In der Frage nach dem Spezifikum der menschlichen Sprache wird sich aber herausstellen, dass die physischen Aspekte z. B. des Sprechapparats als mögliche Antwort nicht hinreichen, denn: es gibt auch Tiere, die in dieser Hinsicht dieselben Voraussetzungen erfüllen wie der Mensch. Deswegen verschiebt sich die »Last des Spezifikums« auf einen nicht-physischen Aspekt der Sprache. Wenn die Sprachfähigkeit nicht von der organisch-physischen Struktur eines Lebewesens abhängt, dann dürfte der nächste Schritt darin liegen, die Vermögensstruktur sprachfähiger Lebewesen zu untersuchen. Aristoteles kennt ein Vermögen, das nur dem Menschen (oder einem noch höheren Wesen) zukommt: die Vernunft (νοῦς). 55 Strenggenommen ist mit der Vernunftfähigkeit aber noch nichts über Unkörperlichkeit ausgesagt, zumal Aristoteles in Gegnerschaft zur platonischen Ontologie eine Ansicht vertritt, die man mit dem Etikett »Hylemorphismus« versehen hat: Jedem mentalen Zustand korrespondiert ein körperlicher Zustand. 56 Allerdings ist sich Aristoteles relativ unsicher, ob der Hylemorphismus auch auf die Vernunft (νοῦς) zutrifft. 57 Es ist noch heute Thema in der Exegese seiner Texte, v. a. der schwierigen Kapitel vier und fünf von De an. III, ob Aristoteles eine abgetrennte, also unkörperliche Vernunftseele anerkannt hat oder nicht. Zu diesem Zeitpunkt spielt dieses Thema aber noch keine tragende Rolle. Wichtig ist zunächst, dass die Frage nach dem Spezifikum menschlicher Sprache unter Umständen schon Aufschlüsse hinsichtlich des Verständnisses der Elemente C und D gibt, die ja intentionale Objekte der perzeptiven und kognitiven Vermögen darstellen. Die folgenden Untersuchungen werden zu dem Ergebnis führen, dass das Spezifikum menschlicher Sprache in etwas besteht, das sehr eng mit dem
zu gewinnen, was involviert wäre, wenn man bei fremden Wesen solche Zustände diagnostizieren würde, und wie Computer zu programmieren oder bloß empfindungsfähige Lebewesen zu unterrichten sind, damit sie diese Zustände aufweisen.« (Brandom, 2000, S. 41) 55 Vgl. z. B. De an. II, 3, 414b18–19. 56 Vgl. De an. I, 1, 403a16–17. Etwas später im Text, in a25, spricht Aristoteles dann von diesen Zuständen als »verkörperte Proportionen« (λόγοι ἔνυλοί; zu dieser Formulierung siehe auch Kapitel 5.2.4 dieser Arbeit). Vgl. auch De an. I, 1, 403b17–18. 57 Vgl. z. B. De an. I, 1, 403a8–10 oder III, 4, 429a10–13.
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φωνή σημαντική und ἀγράμματοι ψόφοι
Vernunftvermögen in Verbindung steht. Die Untersuchung des Elements B weist schon auf das Verständnis der Elemente C und D hin. Die grundlegenden Begriffe, die Aristoteles in diesen Betrachtungen verwendet, sind φωνή, ψόφος, διάλεκτος und λόγος. Die griechischen Ausdrücke bleiben zunächst unübersetzt, um eine trügerische Einfachheit hinsichtlich ihrer Übersetzung zu vermeiden. Zwar gibt es kompakte Schematisierungen, wie z. B. bei Larkin, 58 die aber oftmals grundlegenden Passagen aus dem aristotelischen Œuvre nicht gerecht werden. 59 Aristoteles selbst gibt uns einen Hinweis darauf, wo die relevanten Passagen zu diesem Thema zu finden sind: In Gen. an. verweist er uns auf die Werke De an. und Sens. 60 Diese Stellen werden berücksichtigt, aber Aristoteles hat auch in zahlreichen anderen Werken etwas zur Sprache gesagt, allen voran in Hist. an. Zuallererst wird jedoch untersucht, was man aus De int. zu dieser Frage gewinnen kann.
3.2. φωνή σημαντική und ἀγράμματοι ψόφοι In den Kapiteln zwei und vier von De int. behandelt Aristoteles zwei verschiedene Unterarten von Element B: ὄνομα und λόγος. 61 Dort werden sie allerdings nicht nur als φωνή, sondern als φωνή σημαντική bezeichnet. Die Tatsache, dass das Adjektiv σημαντική auch in die Passage 16a1–8 und somit in das Element B mit hineinzulesen ist, wird an zwei Punkten deutlich: Zum einen an der grammatischen Struktur, in der Aristoteles dieses Element B präsentiert, zum anderen wird sich aus inhaltlichen Gründen herausstellen, dass die φωνή bei Aristoteles immer schon eine φωνή σημαντική ist. »The natural basis of language is voice or articulate sound (φωνἤ)[sic!]. Voice is distinguished from articulate speech (διάλεκτος) and from the noise produced by the movement of air (ψόφος) which is its natural basis in sound. Voice is the material of speech and man alone of all the animals uses voice in speech.« (Larkin, 1971, S. 18) Meiner Ansicht nach wird einzig Wolfram Ax der komplexen Thematik gerecht, vgl. Ax, 1978, 1986 und 1992. Die folgenden Betrachtungen bauen auf Ax’ Arbeiten auf. 59 So ist, um direkten Bezug auf Larkin zu nehmen, sowohl die φωνή als auch der διάλεκτος nicht dem Menschen vorbehalten. Dies wird im Folgenden genauer dargelegt. 60 Vgl. z. B. Gen. an. V, 7, 786b23–26. 61 Vgl. De int. 2, 16a19 und 4, 16b26. Wenn auch von Aristoteles nicht explizit festgestellt, so ist der Prädikatausdruck (ῥῆμα) genauso eine Unterart der φωνή σημαντική. 58
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Elemente A und B
Zunächst zur grammatischen Struktur der entsprechenden Wendung: τά ἐν τῇ φωνῇ ist, wie schon erwähnt, ungesättigt. Der Artikel τά steht ohne Subjekt. Diesen Umstand kann man mit der literalen Übersetzung »das in der Sprache [Vorkommende]« wiedergeben. Walz hat darauf hingewiesen, dass der ungesättigte Artikel mit den sprachlichen Elementen, die in den ersten beiden Zeilen von De int. 1 erwähnt werden, sinnvoll ergänzt werden kann, also z. B. τά ἐν τῇ φωνῇ ὀνόματα. 62 Das würde bedeuten, dass die spätere Spezifizierung der φωνή hier schon mitgelesen werden muss, dass also die φωνή, um die es in De int. geht, immer eine φωνή σημαντική ist. 63 Es stellt sich dann die Frage, was genau unter der φωνή σημαντική zu verstehen ist. Ein erster Ausgangspunkt für ein genaueres Verständnis bieten Aristoteles’ Ausführungen zum ὄνομα, also einer Art der φωνή σημαντική, in De int. 2. Hier wird das ὄνομα als ein »gemäß Übereinkunft bedeutsamer Laut ohne temporalen Charak-
Vgl. Walz, 2006, S. 232 f. Di Mattei, 2006, vertritt eine etwas restriktivere Interpretation des Artikels: Die vermeintliche Trennung des Satzes 16a1–2 durch die Ausdrücke πρῶτων und ἔπειτα parallelisiert er mit der vermeintlichen Trennung des Abschnitts 16a3–18 in zwei Teile durch die Ausdrücke ἐστι μεν οὔν (16a3–9) und ἔστι δέ (16a9–18). Deswegen kann sich nach dieser Interpretation der ungesättigte Artikel des Ausdrucks, der Element B beschreibt, und der im Abschnit 16a3–9 vorkommt, nur auf die sprachlichen Ausdrücke beziehen, die im πρῶτων-Teil der ersten beiden Zeilen vorkommen; und das sind Subjekt und Prädikat. Diese Interpretation ist aber aus verschiedenen Gründen sehr fragwürdig: Die genannten Trennungsausdrücke müssen nicht zwingend die erwähnte Parallelisierung erfordern. Des Weiteren bringt es diese Lesart mit sich, dass im Abschnitt 16a9–18 nur von komplexen Ausdrücken die Rede sein dürfte. Allerdings werden in Zeile 11 eindeutig komplexe und einfache Ausdrücke angesprochen. Walz’ Ansicht, dass sich der Artikel auf alle sprachlichen Ausdrücke, die in den ersten beiden Zeilen genannt werden, bezieht, ist eindeutig vorzuziehen. 63 Weidemann legt eine alternative Ergänzung vor: »[…] (τά ἐν τῇ φωνῇ [παϑήματα scil.)] […]« (Weidemann, 1982, S. 247), d. h., er ergänzt die Formulierung parallel zu Element C τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα. Weidemann hat hier ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen, das darin besteht, durch die Parallelisierung von »Zustände der Seele« mit »Zustände der Stimme«, die späteren Ausdrücke ἐν τῇ ψυχῇ νόημα und ἐν τῇ φωνῇ in 16a9–11 auch parallel zu lesen, um damit zu zeigen, dass mit dem Element C Gedanken und keine Wahrnehmungs- oder Vorstellungsbilder gemeint sind. Diese Überlegungen nehmen einiges vorweg; an dieser Stelle ist nur die philologische Grundlage der beiden Lesarten relevant. Und auch wenn man sich vorstellen kann, dass eine Formulierung wie τά ἐν τῇ φωνῇ παϑήματα bei Aristoteles im Bereich des Möglichen liegt, so gibt es jedoch keine einzige Stelle, an der sie verwendet wird, im Gegensatz zu τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα. 62
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φωνή σημαντική und ἀγράμματοι ψόφοι
ter« bestimmt (φωνή σημαντική κατά συνϑήκην ἄνευ χρόνου, 16a19–20) und etwas später die folgende Erläuterung nachgeschoben: τό δέ κατά συνϑήκην, ὅτι φύσει τῶν ὀνομάτων οὐδέν ἐστιν, ἀλλ’ ὅταν γένηται σύμβολον: ἐπεί δηλοῦσι γέ τι καί οἱ ἀγράμματοι ψόφοι, οἷον ϑηρίων, ὧν οὐδέν ἐστιν ὄνομα. Gemäß Übereinkunft deswegen, weil nichts von Natur aus ein Subjekt ist, sondern erst dann, wenn es zum Symbol geworden ist. Denn auch die unstrukturierten Laute 64 [ἀγράμματοι ψόφοι] z. B. der Tiere bedeuten [δηλοῦν] 65 etwas, davon ist aber keines ein Subjekt. De int. 2, 16a27–29
Es handelt sich hier um eine Gegenüberstellung von ὄνομα bzw. σύμβολον auf der einen und den ἀγράμματοι ψόφοι auf der anderen Seite. Letztlich lässt sich das ὄνομα zur φωνή σημαντική generalisieren. 66 Wenn es nun gelingt herauszustellen, was das Kriterium dieser Unterscheidung ist, dann ist es möglich, das Element B besser zu erfassen, denn die ἀγράμματοι ψόφοι sind nach Aristoteles explizit
Der etwas seltsame Ausdruck »unstrukturierte Laute« sei zunächst verziehen. Im Laufe der folgenden Erläuterungen wird diese Übersetzung begründet. Weidemann scheint mit seiner Übersetzung »unbuchstabierte Geräusche« näher am Text zu sein, doch scheint mir die Buchstabierbarkeit eines Lautes nicht wirklich den Kern des von Aristoteles intendierten Kriteriums eines Symbols zu sein. 65 Man könnte meinen, dass das σημαίνειν eben der φωνή bzw. den σύμβολα zukommt, den ψόφοι aber nur das δηλόω. Das behauptet z. B. Whitaker: »[…] the verb ›to show‹ (δηλοῦν) is used here to denote the way in which animal sounds may express something by natural means, while ›to signify‹ (σημαίνειν) is reserved for human utterances, conventional, articulate, and rational in content.« (Whitaker, 1996, S. 51) Der Text gibt uns aber keine Möglichkeit, Aristoteles eine solch klare begriffliche Differenzierung zu unterstellen, denn neben der Stelle 16a28 findet sich δηλόω unter anderem in 17a16 und 18, sowie 17b8 wieder. An diesen Stellen ist Aristoteles schon mitten in der Erörterung des λόγος als einer Unterart der φωνή σημαντική und somit ist klar, dass δηλόω hier eher ein Synonym für σημαίνειν ist. Der synonyme Charakter von σημαίνειν und δηλόω wird in diesem Kapitel an noch weiteren Stellen offenbar. 66 Man kann sicherlich nicht von den Eigenschaften des ὄνομα auf die der φωνή σημαντική schließen. Z. B. gilt für das ὄνομα, dass es keinen temporalen Charakter hat; das gilt aber nicht für die φωνή σημαντική. Denn das ῥῆμα ist entgegen dem ὄνομα temporal bestimmt, und eine Unterart der φωνή σημαντική. Es dürfte aber unstrittig sein, dass hier der Blick auf die generelle Frage der Bedeutsamkeit des ὄνομα geworfen wird, der dann auch stellvertretend für alle anderen Arten der φωνή σημαντική gilt. Aus diesem Grund lässt sich die φωνή σημαντική den ἀγράμματοι ψόφοι gegenüberstellen. 64
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Elemente A und B
nicht darunter zu subsumieren, d. h., man hätte ein Ausschlusskriterium. Man könnte zunächst meinen, dass hier tierische von menschlichen Lauten unterschieden werden sollen. Dem ist aber nicht zwingend so: Das Geräusch eines Tieres, das etwa zur Warnung seiner Artgenossen in Gebrüll ausbricht, ist im obigen Zitat ja nur ein Beispiel (οἷον) eines »unstrukturierten Lauts«. Das schließt nicht aus, dass auch Menschen zu solchen Geräuschen fähig sind. Auch in der menschlichen Kommunikation gibt es »Gebrüll«, das als Warnung vor drohenden Gefahren dienen kann. Man könnte hier auch an das Phänomen der Lautmalerei denken, z. B. »Wau-Wau« in der Kindersprache oder »Peng« in der Comicsprache. Auch diese Laute bedeuten etwas, allerdings haben sie einen natürlichen Ursprung, nämlich ein Geräusch, das mit der Stimme nachgeahmt wird. Es ist nicht klar, ob Aristoteles gerade solche Differenzierungen im Sinn hatte, aber es lässt sich anhand der zitierten Stelle eine Opposition von κατά συνϑήκην und φύσει herauslesen, die auf das Kriterium einer so verstandenen Naturverhaftetheit abzielt. Die Trennlinie liegt hier aber nicht zwischen Mensch und Tier. 67 Der Schmerzensschrei, den Menschen spontan äußern und der etwas bedeutet, indem er auf diesen Schmerz hinweist, ist, wenn auch in verschiedenen Sprachgemeinschaften unterschiedlich ausgeprägt, »natürlicher« als die Art von Kommunikation, die Aristoteles in De int. als φωνή σημαντική anspricht. Es ist also angebracht, die Gegenüberstellung φωνή σημαντική – ψόφος ἀγράμματος noch eingehender zu betrachten. Zur weiteren Verdeutlichung und Differenzierung dieser Unterscheidung ist es sinnvoll, themenverwandte Stellen aus dem aristotelischen Werk zu untersuchen, die es bezüglich dieser Gegenüberstellung offensichtlich gibt. Zu Beginn seiner Schrift über die Tierkunde Hist. an. bezieht sich Aristoteles unter anderem auf die Geräusche, die die Lebewesen zu produzieren fähig sind: Vgl. hierzu Pol. I, 2, 1253a10–18.: Dort wird die Sprache (φωνή) zunächst als Zeichen (σημεῖον) des Schmerz– bzw. Lustvollen definiert, die dem Menschen, aber auch nicht-menschlichen Lebewesen zukommt, um dann in einem zweiten Schritt die menschliche Sprache (λόγος) als auf das Nützliche und Gute bezogen zu charakterisieren. Genau dieser Schritt interessiert hier: Was ist die Bedingung dafür, sich nicht nur mittels natürlicher Kommunikation auf Lust und Schmerz, sondern sich mit einer konventionellen Sprache als Symbolsystem auch auf moralische, auf abstrakte Erkenntnis überhaupt beziehen zu können?
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φωνή σημαντική und ἀγράμματοι ψόφοι
καί τά μέν ψοφητικά, τά δέ ἄφωνα, τά δέ φωνήεντα, καί τούτων τά μέν διάλεκτον ἔχει τά δέ ἀγράμματα, […]. 68 Einige [Lebewesen] sind geräuschfähig, wovon die einen stumm, die anderen stimmfähig sind, von denen wiederum sind die einen artikulationsfähig, die anderen nicht […]. Hist. an. I, 1, 488a31–33
Ax hat darauf hingewiesen, dass dieses Schema erläuterungsbedürftig ist. 69 Klar ist zunächst nur, dass τά διάλεκτον ἔχει und τά ἀγράμματα unter τά φωνήεντα zu subsumieren sind. Wie sich jedoch τά ψοφητικά und τά ἄφωνα zueinander verhalten ist zunächst unklar. Es gibt zwei Interpretationsmöglichkeiten: Die erste besteht darin, die ψοφητικά den ἄφωνα gegenüberzustellen und als Gegensatzpaar zu verstehen: entweder ist ein Lebewesen geräuschfähig oder nicht, also stumm. Diese Lesart wird unterstützt durch die grammatische Struktur von τά μέν – τά δέ. Eine andere Möglichkeit, an der sich auch die obige Übersetzung orientiert, ist, dass man die ἄφωνα und die φωνήεντα gegenüberstellt und somit beide als Unterarten der ψοφητικά versteht. Hier würde dann, im Gegensatz zur ersten Interpretationsmöglichkeit, berücksichtigt, dass es Lebewesen gibt, die zwar nicht stumm im Sinne von geräuschlos sind, die aber Geräusche nicht mittels φωνή, also des Stimmapparats produzieren. So ist es z. B. bei den Grillen der Fall, dass sie Geräusche hervorrufen, indem sie zwei Körperteile aneinander reiben (Stridulation). Dessen ungeachtet ist aber klar, dass die ἀγράμματα eine Unterart der φωνήεντα sind, dass also der vermeintliche Gegensatz von φωνή und ψόφος aus De int. nach dem Schema aus Hist. an. nicht aufrecht zu erhalten ist, dass zumindest eine Bedeutungsverschiebung vorliegt. Wählt man die auch hier zugrunde gelegte zweite Interpretation des Schemas wird zudem klar, dass die φωνή eine Unterart des ψόφος ist. Folgt man dieser grundlegenden Einteilung aus Hist. an., so ergibt sich folgendes Zwischenfazit: φωνή und ψόφος bilden keinen Gegensatz, sondern ein ArtGattung-Verhältnis. Die φωνή ist eine Art der Gattung ψόφος. 70 Um der Gegenüberstellung aus De int. Sinn abzugewinnen, kann man in einem nächsten Schritt das Augenmerk auf die beteiligten Adjektive Der griechische Text folgt der Loeb-Ausgabe. Vgl. Ax, 1978, S. 248–251. 70 Dieses Verhältnis wird noch durch weitere Stellen, die im Folgenden zitiert werden, untermauert. 68 69
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Elemente A und B
σημαντικός und ἀγράμματος richten, zumal die oben zitierte Stelle aus Hist. an. darauf hinweist, dass es innerhalb der φωνή einen Gegensatz zwischen διάλεκτον ἔχειν und ἀγράμματος gibt, der für die vorliegende Fragestellung von Belang sein könnte, sofern es möglich wäre, διάλεκτον ἔχειν und σημαντικός als Synonyma zu verstehen. Bevor aber auf diesen Gegensatz eingegangen wird, soll zunächst das Adjektiv σημαντικός genauer betrachtet werden. Im Zuge dessen werden sich die bis hierhin erzielten Befunde erhärten.
3.3. φωνή, ψόφος und σημαντικός Im achten Kapitel des zweiten Buches von De an., in dem Stimme und Gehör unter dem Aspekt der Sinneswahrnehmung untersucht werden, behauptet Aristoteles, dass nur Lebewesen fähig sind, φωνή zu entwickeln. Leblosen Gegenständen kann man höchstens eine »Fähigkeit« zum Geräusch (ψόφος) zusprechen. 71 In einer weiteren Passage heißt es dann: οὐ γάρ πᾶς ζῴου ψόφος φωνή, καϑάπερ εἴπομεν (ἔστι γάρ καί τῇ γλώττῃ ψοφεῖν καί ὡς οἱ βήττοντες), ἀλλά δεῖ ἔμψυχόν 72 τε εἶναι τό τύπτον καί μετά φαντασίας τινός: σημαντικός γάρ δή τις ψόφος ἐστίν ἡ φωνή, καί οὐ τοῦ ἀναπνεομένου ἀέρος, ὥσπερ ἡ βήξ: Denn nicht jedes Geräusch von einem Lebewesen ist Sprache, wie wir gesagt haben (denn man kann ein Geräusch sowohl mit der Zunge machen als auch wie die Hustenden), sondern der »Anschlagende« [τό τύπτον] muss beseelt sein und dabei eine bestimmte Vorstellung haben. Denn die Sprache [ἡ φωνή] ist ein bestimmtes bedeutsames Geräusch [τις ψόφος σημαντικός] und nicht das Geräusch eingeatmeter Luft, wie der Husten. De an., II, 8, 420b29–33
Hier wird zunächst auf die notwendige Bedingung der »Beseeltheit« (ἔμψυχόν) hingewiesen, um φωνή produzieren zu können. Eine weiVgl. De an. II, 8, 420b6–7. Hier weicht der Text, der hier der Loeb-Ausgabe zugrundeliegt, von Ross’ OCTAusgabe ab, die statt dem ἔμψυχον ein ἔμψοφον [d. h. ψόφος-fähig zu sein; klingend, tönend] liest. Es dürfte aber wenig Sinn ergeben, den spezifischen Unterschied der φωνή, im Sinne einer Abgrenzung vom ψόφος, mit dem Adjektiv ἔμψοφον zu umschreiben. Auch Hicks sowie Ross in seiner späteren und kommentierten De an.-Ausgabe lesen ἔμψυχον.
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φωνή, ψόφος und σημαντικός
tere Bestimmung kommt jedoch hinzu: Damit aus dem ψόφος eine φωνή werden kann, muss diese bedeutsam sein und dazu muss sie mit der Vorstellung (φαντασία) verbunden sein. Hier ist also das Spezifikum der φωνή die Bedeutsamkeit: die φωνή ist ein ψόφος σημαντικός. Dazu passt, dass Aristoteles in De int. sagt, dass auch die ἀγράμματοι ψόφοι etwas bedeuten (δηλοῦν). Es wird also noch einmal klar, dass die Gegenüberstellung φωνή σημαντική und ψόφος ἀγράμματος aus De int. nicht mit der generellen Gegenüberstellung φωνή und ψόφος aus den naturwissenschaftlichen und psychologischen Schriften in eins zu setzten ist, auch wenn Aristoteles’ Wortwahl es prima facie so erscheinen lassen mag. Auch die ψόφοι ἀγράμματοι bedeuten etwas, sind also im Sinne von Hist. an. und De an. φωναί. Die Bedeutsamkeit kann also in dieser Hinsicht nicht das Kriterium für menschliche Sprache darstellen, denn auch Tiere sind Lebewesen, die Vorstellungen und dementsprechend die Fähigkeit zum ψόφος σημαντικός haben. Neu im obigen Zitat ist die Behauptung, dass, um bedeutsam zu sein, ein Ausdruck mit dem Vorstellungsvermögen (φαντασία) zusammenhängen muss. Diese Aussage wird gerne herangezogen, um die These zu verteidigen, dass mit Element C, also das, was Sprache symbolisiert, ein Vorstellungs- und kein Denkinhalt gemeint ist. 73 Später wird diese Thematik noch genauer diskutiert, deswegen sei an dieser Stelle nur soviel gesagt: Aus dieser Aussage lässt sich zwar schließen, dass das Vorstellungsvermögen eine notwendige Bedingung bedeutsamer Sprache darstellt. Da aber jetzt schon offenbar wurde, dass auch nicht-menschliche Sprache bedeutsam sein kann, ist nicht sicher, ob die Vorstellung allein auch schon hinreichend für menschliche Sprache ist. Dazu kommt, dass nach Aristoteles sehr viele Tiere das Vorstellungsvermögen besitzen, dass also mit dieser Aussage ein sehr weiter Kreis an kommunikationsfähigen Lebewesen angesprochen ist. Es lässt sich folgendes Zwischenfazit ziehen: Die φωνή ist ein ψόφος σημαντικός, der wiederum nur von Lebewesen mit Vorstellungsvermögen geäußert werden kann. Das bedeutet, dass sowohl die Beschreibung als bedeutsam sowie als Vorstellung erfordernd zu unspezifisch für die Definition der menschlichen Sprache sind. Vgl. z. B. Modrak: »The identification of the pathema with a phantasma has considerable textual support […]. Aristotle mentions phantasia in connection with meaningful sounds (420b31–33).« (Modrak, 2001, S. 256)
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Elemente A und B
3.4. φωνή, ψόφος und διάλεκτος Nachdem klar ist, dass auch die Beschreibung als σημαντικός nicht auf verlässliche Weise auf die Spezifizität menschlicher Sprache hinweist, wird im Folgenden ein genauerer Blick auf ἀγράμματος geworfen. Wie gesehen, gibt es in Hist. an. den Gegensatz διάλεκτον ἔχει und ἀγράμματος. Deswegen liegt es nahe, auch den Ausdruck διάλεκτος näher zu untersuchen, um zu prüfen, ob damit das Spezifikum menschlicher Sprache formuliert ist. Im vierten Buch von Hist. an. führt Aristoteles weitere generelle Betrachtungen zur Sprache an, die sich auf physiologische Untersuchungen stützen: Φωνή καί ψόφος ἕτερόν ἐστι, καί τρίτον τούτων διάλεκτος. Stimme und Geräusch unterscheiden sich; und als ein drittes von ihnen die artikulierte Sprache. Hist. an. IV, 9, 535a27–28
In den Zeilen, die diesem Zitat folgen, bestimmt Aristoteles die physiologischen Voraussetzungen, um zunächst φωνή und schließlich διάλεκτος produzieren zu können. Lunge und Kehlkopf müssen vorhanden sein, um der φωνή fähig zu sein. Für den διάλεκτος ist des Weiteren eine sich frei bewegende Zunge vonnöten. 74 Im Zuge dieser Bestimmungen wird deutlich, was Aristoteles hier unter διάλεκτος versteht: Zum einen sagt er, dass διάλεκτος die »Zergliederung der Stimme« (διάρϑρωσις φωνῆς) durch die Zunge meint, zum anderen, dass διάλεκτος aus Vokalen und Konsonanten besteht, die von Stimme und Kehlkopf respektive Zunge und Lippen hervorgebracht werden. 75 Es scheint, dass der διάλεκτος mit den ἀγράμματοι ψόφοι insofern zusammenhängt, als durch die physisch bedingte Fähigkeit der διάρϑρωσις die Möglichkeit gegeben ist, ψόφοι γράμματοι (σημάντικοι) zu produzieren. Im Falle der Delphine, so Aristoteles, besteht zwar die Möglichkeit, φωνή zu produzieren, nicht aber »ein Glied der Stimme« (ἄρϑρον τι τῆς φωνῆς), denn es fehlen die sich frei bewegende Zunge sowie Lippen. 76
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Vgl. auch Part. an. II, 17, 660a22–23. Vgl. Hist. an., IV, 9, 535a30-b1. Vgl. Hist. an. IV, 9, 536a2–4.
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φωνή, ψόφος und διάλεκτος
Bis hierhin scheint es möglich zu sein, die physisch bedingte »Zergliederung der Stimme« als Äquivalent zu der in De int. zentralen φωνή σημαντική zu verstehen: Das »Zergliedern« ist das Spezifikum der φωνή σημαντική und steht insofern dem ψόφος ἀγράμματος gegenüber. Der Gegensatz besteht also nicht zwischen φωνή und ψόφος, zumal sich ja herausgestellt hat, dass beide in einem Art-Gattungs-Verhältnis stehen, sondern zwischen einer Sprache als διάλεκτος, als organisch bedingter »Zergliederung der Stimme«, und einer Sprache als ἀγράμματος, als Kommunikationsform, die ohne diese Zergliederung erfolgt. Diese Sichtweise steht aber einem neuen Problem gegenüber: Aristoteles behält den διάλεκτος, im Sinne einer physisch bedingten Zergliederung, nicht ausschließlich dem Menschen vor. Ein Beispiel eines Tieres, das διάλεκτος-fähig ist, ist der Vogel. Er kann γράμματα produzieren und ist somit artikulationsfähig. 77 Nicht nur der Mensch bringt also die Voraussetzungen mit, διάλεκτος und ἑρμηνεία zu entwickeln. Wenn man aber davon ausgeht, dass in De int. von einer ausschließlich menschlichen Sprachfähigkeit die Rede ist, dann muss man folgern, dass deren Spezifikum nicht der διάλεκτος und die damit zusammenhängende Fähigkeit zu γράμματα sein kann. Man sieht eindeutig, dass die physischen Bedingungen der Sprachfähigkeit, so wie sie uns in den hier diskutierten biologischen Schriften präsentiert werden, nicht ausreichen, um zu verstehen, was die φωνή σημαντική aus De int. als menschliche Sprache im Unterschied zum ψόφος ἀγράμματος letztlich ausmacht. Ein Ausweg bietet sich, wenn man berücksichtigt, dass es bei Aristoteles neben der organisch bedingten Zergliederung auch den Aspekt einer logisch-semantischen Zergliederung gibt. Im zwanzigsten Kapitel der Schrift Poet. werden die Bestandteile der Sprache (λέξις) diskutiert: Τῆς δέ λέξεως ἀπάσης τάδ’ ἐστί τά μέρη, στοιχεῖον συλλαβή σύνδεσμος ὄνομα ῥῆμα ἄρϑρον πτῶσις λόγος. στοιχεῖον μέν οὖν ἐστιν φωνή ἀδιαίρετος, οὐ πᾶσα δέ ἀλλ’ ἐξ ἧς πέφυκε συνϑετή γίγνεσϑαι φωνή. καί γάρ τῶν ϑηρίων εἰσίν ἀδιαίρετοι φωναί, ὧν οὐδεμίαν λέγω στοιχεῖον.
Vgl. Part. an. II, 17, 660a29 ff.. In 660a29–30 wird der Vogel als Lebewesen dargestellt, das γράμματα in der Kommunikation verwendet (φϑεγγόμενος γράμματος). Etwas weiter unten in 660a35-b1 ist die Rede von der Sprache und Kommunikation (ἑρμηνεία) unter den Vögeln.
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Die gesamte Sprache besteht aus folgenden Teilen: Element bzw. Buchstabe, Silbe, Verbindung, Subjekt, Prädikat, Verbindungswort, Modus, Satz. Ein Element ist ein unteilbarer Laut, aber nicht alle [unteilbaren Laute sind Elemente], sondern nur diejenigen, aus denen zusammengesetzte Laute entstehen. Denn auch die Tiere äußern unteilbare Laute, von denen ich aber keines als Element bezeichne. Poet., 20, 1456b22–24
Zentral und von primärem Interesse ist hier zunächst der Begriff στοιχεῖον, der zwar v. a. aus den physischen und metaphysischen Untersuchungen von Aristoteles bekannt, hier aber in logisch-semantischer Hinsicht relevant ist. Wichtig ist die Definition als φωνή ἀδιαίρετος, die zu φωναί συνϑεταί kombiniert werden können. Ein στοιχεῖον kann ein Vokal (τό φωνῆεν), ein Halbvokal (τό ἡμίφωνον) oder ein Konsonant (τό ἄφωνον) sein, was die Übersetzung mit »Buchstabe« zu rechtfertigen scheint und eine inhaltliche Verbindung mit den γράμματα aufweist. 78 Auch die oben zitierte Stelle aus Hist. an. beinhaltet den Hinweis, dass die Funktion des διαλεκτός darin besteht, Vokale und Konsonanten hervorzubringen. Soweit könnte man eine Identifikation von γράμμα und στοιχεῖον annehmen. Nun schließt Aristoteles im obigen Zitat aber explizit tierische Laute aus: Zwar sind diese auch φωναί ἀδιαίρεται, aber eben keine στοιχείαι. Diese Formulierung legt den Verdacht nahe, dass γράμματα und στοιχείαι Fälle von φωνή ἀδιαίρετος sind und jedes στοιχεῖον zwar ein γράμμα, aber nicht jedes γράμμα ein στοιχεῖον ist. Es scheint in der Folge eine plausible Annahme zu sein, dass die ψόφοι ἀγράμματοι aus De int. nicht im Sinne von »physisch nicht artikuliert« zu verstehen sind, sondern im Sinne von »semantisch nicht strukturiert«, d. h., dass die ψόφοι ἀγράμματοι keine στοιχείαι darstellen. Der kommunikativ bedeutsame Vogelgesang ist physisch artikuliert und besteht insofern aus sprachlichen Einheiten, aber er besteht nicht aus semantischen Einheiten, aus στοιχείαι. Was aber, und das erscheint als die wichtigste Folgefrage, macht ein στοιχεῖον im semantischen Sinne aus? Ein Hundebellen kann ein kommunikativ-bedeutsamer Laut sein. Vielleicht kann man dem Hund sogar ein gewisses Maß an Artikulationsfähigkeit im physischen Sinn zugestehen. Diese Laute, und das scheint der Unterschied zwischen γράμμα und στοῖχειον 78
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Vgl. Poet., 20, 1456b25–26.
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φωνή, ψόφος und διάλεκτος
zu sein, sind aber unstrukturiert, sie sind semantisch nicht analysierbar. In bestimmter Hinsicht könnte man meinen, dass Hundebellen auch buchstabierbar ist: W-A-U. Aber wenn man es genauer betrachtet, muss man wohl zugestehen, dass »Wau« auf lautmalerische Weise eher auf das Hundebellen als solches bezogen ist, nicht auf die Repräsentation eines distinkten Belllauts mit einer bestimmten Bedeutung, denn durch die fehlende semantische Struktur ist eine Symbolisierung einzelner Hundelaute schwer möglich. »Wau« ist das Ergebnis eines sprachgemeinschaftsabhängigen Zusammendampfens (»woof« im Englischen oder »ouaf« im Französischen) vieler akustisch sehr divergenter natürlicher Laute von Hunden, das in der Lerngeschichte eines Kleinkinds als erste Bezeichnung für Hunde im Allgemeinen dienen kann. Der Belllaut für sich, wenn auch möglicherweise buchstabierbar, ist aber nicht semantisch strukturiert, d. h., man kann ein Bellen nicht semantisch analysieren, um zu verstehen, was uns der Hund sagen will. In diesem Sinne sind Belllaute φωναί ἀδιαίρεται; sie sind unanalysierbare Einheiten stimmlicher Verlautbarung. Auch στοιχείαι sind unanalysierbar, aber nicht, weil sie im selben Sinne unstrukturiert wären wie ein Hundebellen, sondern weil sie jene Elemente sprachlicher Strukturiertheit darstellen, die selbst nicht weiter analysierbar sind. Die Darstellung der στοιχείαι hängt insofern auch eng mit den γράμματα zusammen. Vokale und Konsonanten sind sowohl in physischer als auch in semantischer Hinsicht die Grundlagen der Sprache. Denn aus der physisch bedingten Fähigkeit zur Artikulation folgt die Möglichkeit, στοιχείαι zu bilden und zu verwenden, sie ist aber nicht allein hinreichend. Irgendetwas muss den Menschen dazu befähigen, die durch bestimmte Organe hervorgebrachten und »zergliederten« Lauteinheiten in semantische Einheiten zu überführen. Und diese Fähigkeit ist nicht organisch bedingt – das ist der zentrale Punkt, der sich aus den Betrachtungen bisher ergibt. In Poet. geht Aristoteles in der Folge noch genauer auf die semantische Struktur ein. Er führt die Silbe (συλλαβή) ein, die aus einem Konsonanten und einem Vokal besteht und als φωνή συνϑετή definiert wird. 79 Eine Silbe als zusammengesetzter, nicht-bedeutsamer (ἄσημος) Laut besteht aus eben jenen στοιχείαι. Auf einer höheren Stufe werden dann ὄνομα, ῥῆμα und λόγος jeweils als φωνή συνϑετή σημαντική eingeführt. Diese Überlegungen decken sich 79
Vgl. Poet., 20, 1456b34–35.
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Elemente A und B
mit denen aus De intepretatione: ὄνομα, ῥῆμα und λόγος sind auch in dieser Schrift die grundlegenden Einheiten bedeutsamer Sprache im Sinne der φωνή σημαντική. Allerdings spielen hier Überlegungen zur Zusammensetzung dieser semantischen Einheiten aus den στοιχείαι nur insofern eine Rolle, als Aristoteles bemerkt, dass ὄνομα und ῥῆμα aus nicht-bedeutsamen Teilen bestehen, also aus der φωνή ἄσημος συνϑετή. 80 Es dürfte deutlich geworden sein, dass sich der Ausdruck φωνή σημαντική aus De int. nicht auf eine grundlegende kommunikative Bedeutsamkeit von physisch artikulierter Sprache bezieht, die auch einigen Tieren möglich ist, sondern auf eine Bedeutsamkeit, die auf einer semantischen Strukturiertheit und damit Analysierbarkeit beruht. Analog ist der Ausdruck ψόφος ἀγράμματος aus De int. nicht als Gegenpol zum διάλεκτον ἔχει, als physisch bedingter Fähigkeit zur Artikulation sprachlicher Elemente zu verstehen, sondern im Sinne von semantisch unstrukturiert, also ἀγράμματος im Sinne von nicht-στοιχεῖον. 81 Somit bleibt festzuhalten, dass auch die Fähigkeit zum διάλεκτος nur auf den ersten Blick dazu hinreicht, den Unterschied zwischen φωνή σημαντική und ψόφος ἀγράμματος aus De int. zu erklären. Ein genauerer Blick offenbart jedoch, dass dieses Kriterium nicht die notwendige Differenzierung von menschlicher und tierischer Sprache widerspiegelt. In Poet. wird aber ein ähnlicher Aspekt angesprochen: Die στοιχείαι, die die Grundlage der Analysierbarkeit bedeutsamer Sprache bilden und insofern vom διάλεκτος verschieden sind. Es scheint, dass der ψόφος ἀγράμματος aus De int. so zu verstehen ist, dass es sich hierbei zwar um physisch artikulierte und bedeutsame Laute handelt, die aber keiner semantischen Analyse zugänglich sind. Mit der φωνή σημαντική ist nicht die physische Möglichkeit des Hervorbringens von grundsätzlichen Lauten angesprochen, sondern deren στοιχεῖον-Strukturiertheit.
3.5. Fazit An dieser Stelle ist ein kurzes Resümee angebracht, das die bisherigen Erkenntnisse zusammenfasst und bewertet. Menschliche Sprache Vgl. De int. 2, 16a19–21 und 3, 16b6–7. Damit dürfte auch die Übersetzung von ψόφος ἀγράμματος als »unstrukturierter Laut« hinreichend begründet sein.
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Fazit
wird bei Aristoteles nicht durch die physisch bedingte Fähigkeit zur Artikulation oder durch eine generelle kommunikative Bedeutsamkeit spezifiziert, all das kommt nämlich auch Tieren zu. Das spezifische Kriterium menschlicher Sprache ist in der semantischen Strukturiertheit zu finden, die die konventionellen sprachlichen Symbole gegenüber den natürlichen kommunikativen Lauten auszeichnet. Dieses Ergebnis ist wohl kaum überraschend und erscheint vielleicht als evident. Dass menschliche Sprachfähigkeit letztlich nicht von physisch bedingten oder kommunikativen Fähigkeiten abhängt, sondern von der Vernunft, scheint klar. Dennoch ist der Verweis auf die Evidenz der These »Sprachfähigkeit hängt ab von der Vernunftfähigkeit« nicht sehr erklärungskräftig. Was heißt »Vernunft« in diesem Kontext, was genau trägt sie zur menschlichen Sprache bei? Wie ist der Zusammenhang von Vernunft und Sprache zu verstehen? Es ist nicht hilfreich, bei alltagspsychologischen Erklärungen stehen zu bleiben. Der sprachrelevante Aspekt der Vernunft bei Aristoteles muss genauer untersucht werden. Somit zeigt sich, dass die Untersuchung des Elements B schon auf das Verständnis von Element C verweist. Denn wie gesehen, gelten die φαντασία und der νοῦς als die aussichtsreichsten Kandidaten. Die hier erfolgten Analysen zum aristotelischen Sprachbegriff offenbaren hinsichtlich dieser Frage nun eine grundsätzliche Tendenz. Im Rahmen der Betrachtung des Adjektivs σημαντικός wurde klar, dass dieses in einem weiten und einem engeren Sinn verwendet wird: Zum einen als kommunikativ bedeutsam (der ψόφος σημαντικός aus den biologischen Schriften), zum anderen als semantisch analysierbar (die φωνή σημαντική aus De int.). Tierlaute können kommunikativ bedeutsam sein, sind aber in semantischer Hinsicht unstrukturiert. Bezüglich der in Kapitel 3.3 zitierten De an.-Passage II, 8, 420b29–33, die die φαντασία als Bedingung für bedeutsame Sprache einführt, stellt sich nun die Frage, ob »bedeutsam« hier im weiten oder engen Sinn gemeint ist. Der Kontext der Passage weist darauf hin, dass hier nur der weite Sinn von σημαντικός gemeint sein kann. Denn den Rahmen bildet die generelle Bestimmung der fünf Wahrnehmungssinne, die ja nicht nur dem Menschen, sondern auch Tieren zugerechnet werden. Auch die Gegenüberstellung von ψόφος und φωνή, die schon aus den generellen Untersuchungen aus Hist. an. bekannt ist, weist auf die weite Bedeutung hin. Wenn diese Sichtweise stimmt, dann folgt, dass die φαντασία als Vermögen nicht hinreichend für eine semantisch-strukturierte Sprache sein kann. Das ist deswegen Sprache, Bedeutung, Geist
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Elemente A und B
von Interesse, weil Passagen wie diese oft herangezogen werden, um dafür zu argumentieren, dass mit Element C aus dem SGG die φαντασία gemeint ist. 82 Wenn man aber erkennt, dass Aristoteles einen differenzierten und aspektreichen Begriff von Sprache hat, dann ist ein undifferenziertes In-Beziehung-Setzen dieser De an.-Passage mit De int. fragwürdig. Denn nach der hier erfolgten Untersuchung sind die jeweiligen Sprachbegriffe der beiden Schriften nicht deckungsgleich; derjenige aus De int. ist spezieller. Diese Diskussion wird im Kapitel 5 wieder aufgegriffen. Zunächst erfolgt ein Blick auf die Relationen x und y.
So z. B. Modrak: »In light of the De anima’s description of speech as sound informed by phantasia (420b29–34), the pathos in question seems to be a particular use of imagination phantasia [sic].« (Modrak, 2001, S. 222) Es gibt auch andere prominente Stellen, die für diese Position herangezogen werden, z. B. De an. III, 8, 432a7–14, wo Aristoteles eine Abhängigkeit des νοῦς von der φαντασία proklamiert; vgl. Kretzmann, 1974, S. 9.
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4. Relation x und y
In Kapitel 2 wurde auf die grobe Struktur des SGGs, die Elemente und ihre Beziehungen zueinander hingewiesen. An dieser Stelle ist es nun nötig, diese Grobstruktur zu präzisieren. Als unstrittig dürften folgende Relationen gelten, die in der Reihenfolge, in der sie in De int. 1, 16a1–8 auftauchen, angegeben werden: BxC: Die Sprache ist ein Symbol der mentalen Zustände. AxB: Die Schrift ist ein Symbol der Sprache. ByC: Die Sprache ist ein Zeichen der mentalen Zustände. CzD: Die mentalen Zustände sind Ähnlichkeiten der Dinge. Unkommentiert blieb bis jetzt der Umstand, dass zwei verschiedene Relationen bei identischen Relata formuliert werden: BxC und ByC. Dadurch wird die Frage aufgeworfen, ob die Relationen x und y zwar mit den Ausdrücken »Symbol« und »Zeichen« unterschiedlich benannt werden, diese Ausdrücke aber synonym sind, oder ob durch die Verwendung verschiedener Ausdrücke auch ein inhaltlicher Unterschied festgemacht werden soll. Zu dieser Frage kommt eine Problematik philologischer Natur. Hinsichtlich der Formulierung der Relation ByC wurde bis jetzt die folgenreiche Wendung »in erster Linie« (πρώτων, De int. 1, 16a6) übergangen. Wenn Sprache in erster Linie ein Zeichen für mentale Zustände ist, dann könnte das bedeuten, dass sie für etwas anderes in zweiter Linie ein Zeichen ist. Damit wäre implizit eine weitere Relation ausgedrückt. Eine plausible Option dafür ist die Zeichenrelation zwischen Element B und D, zumal in Zeile sieben, also unmittelbar nach der hier diskutierten Stelle, die Formulierung der Relation CzD folgt, die ja eine Ähnlichkeit zwischen Element C und D behauptet. Folgt man dieser Überlegung, würde das bedeuten, dass im SGG folgende Relation implizit enthalten ist:
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Relation x und y
ByD: Die Sprache ist ein Zeichen der Dinge. Allerdings fangen hier die Schwierigkeiten erst an. Die Formulierung »in erster Linie« ist die Übersetzung des griechischen πρώτων. Das Problem ist, dass es hinsichtlich dieses Wörtchens verschiedene Lesarten gibt, die zu inhaltlich differenten Sichtweisen führen, von denen die gerade skizzierte nur eine ist. 83 Diese zusammenhängenden Probleme werden im Folgenden dargestellt und Lösungsansätze diskutiert.
4.1. πρώτων und πρώτως Die Frage nach der Differenzierung von »Zeichen« und »Symbol« ist verbunden mit alternativen Lesarten von πρώτων aus Zeile sechs: Neben πρώτων wird πρώτως und πρῶτον gelesen. 84 Zunächst werden die beiden erstgenannten Varianten besprochen. Die hier verwendete Lesart πρώτων ist die von Minio-Paluello in der OCT-Ausgabe angenommene und wurde in ihren inhaltlichen Konsequenzen oben schon kurz dargestellt. Wenn man πρώτων liest, was als Adjektiv im Genitiv Plural verstanden werden muss, ist die Zeichenrelation einerseits auf die Elemente B und C, andererseits auf die Elemente B und D zu beziehen. Der relevante Passus 16a6: ὧν μέντοι ταῦτα σημεῖα πρώτως muss dann folgendermaßen paraphrasiert werden: »Sprache ist in erster Linie ein Zeichen von mentalen Zuständen und in zweiter Linie von Dingen«. Wie oben dargestellt, kommt in diesem Fall zu ByC auch die implizite Relation ByD hinzu. Im Falle von πρώτως gilt dagegen Folgendes: Als Adverb bezieht es sich auf die Zeichenrelation zwischen Sprache und mentalen Zuständen, die dann der Symbolrelation zwischen denselben Elementen vorrangig ist: Hier müsste eine sinngemäße Übersetzung etwa so lauO’Callaghan hat dieses Wörtchen sehr treffend einen »interpretativen Albtraum« genannt: »The »primarily« in Aristotle’s text is the interpretative nightmare that has animated the discussion of Aristotle’s thesis« (O’Callaghan, 2004, S. 511). 84 Minio-Paluello, 1949, liest πρώτων, Cooke, 2002, der sich mit der Loeb-Ausgabe auf die Bekker-Ausgabe bezieht, dagegen πρώτως. Während πρώτως durch die relevanten Kodices gestützt wird, πρῶτον durch die Kommentare von Ammonius und Stephanus, handelt es sich bei πρώτων um eine Emendation. Vgl. hierzu auch Whitaker, 1996, S. 20–23 und Kretzmann, 1974, S. 18, Anm. 4. 83
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Zeichen und Symbol: synonym oder heteronym?
ten: »Sprache ist in erster Linie Zeichen und in zweiter Linie Symbol von mentalen Zuständen«. πρώτων führt also zur Annahme einer impliziten Relation, πρώτως dagegen zu einer Rangfolge der explizit genannten Relationen mit identischen Relata: ByC vor BxC. Klar ist, dass bei dieser Lesart ein Bedeutungsunterschied von »Zeichen« und »Symbol« angenommen werden muss, weil ansonsten die Betonung einer Rangfolge keinen Sinn ergeben würde. Bei der πρώτων-Lesart kann die Synonymitäts-These beibehalten werden. 85
4.2. Zeichen und Symbol: synonym oder heteronym? Die beiden dargestellten Lesarten haben verschiedene Auswirkungen auf die Frage der Synonymität von »Symbol« und »Zeichen«. Diese Frage wurde aufgeworfen durch den Umstand, dass Aristoteles zwischen die Elemente B und C sowohl die Zeichen- als auch die Symbolrelation setzt. Eine Möglichkeit besteht darin, die unterschiedlichen Ausdrücke als Synonyma zu interpretieren, was bedeuten würde, dass eine inhaltliche Differenzierung der Relationen x und y nicht nötig, vielleicht auch gar nicht möglich wäre. Eine erste Betrachtung der Ausdrücke weist aber auf einen möglichen Bedeutungsunterschied hin: »Symbol« besitzt eine konventionelle, »Zeichen« eine eher natürliche Konnotation. 86
Eine Synonymität vertritt z. B. Bonitz, 1870, S. 715 in seinem Index und Oehler: »Die Wörter σύμβολον und σημεῖον sind im ersten Kapitel von De int. gleichbedeutend.« (Oehler, 1962, S. 149, Anm. 2) 86 Grundlegend hierzu ist etwa Peirces Text What is a sign? von 1894: »[…] indications, or indices; which show something about things, on account of their being physically connected with them […]« und »[…] symbols, or general signs, which have become associated with their meanings by usage. Such are most words, and phrases, and speeches, and books, and libraries.« (Peirce, 1998, S. 5) In Bezug auf Aristoteles hat Kretzmann auf diesen Unterschied hingewiesen und gibt ein Beispiel: »A medical symptom may be considered the paradigm of a σημεῖον, and an identity token (especially one of two irregular broken halves of a potsherd or a seal on a document) may be considered the paradigm of a σύμβολον.« (Kretzmann, 1974, S. 8) Kretzmann, 1974, und Wheeler, 1999, sind der Ansicht, dass Aristoteles diesen Unterschied von Zeichen und Symbol in De int. vertreten hat. Diese beiden naturalistischen Positionen werden im vorliegenden Kapitel genauer untersucht. 85
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Relation x und y
4.2.1. Der Unterschied zwischen Zeichen und Symbol Ein gängiges Beispiel für die Darstellung eines natürlichen Zusammenhangs lautet: Rauch ist ein Zeichen für Feuer. Der Rauch zeigt etwas an, weist auf etwas anderes hin, ist ein Anzeichen für etwas. Der Satz »Rauch bedeutet Feuer« muss in diesem Sinne verstanden werden. Hier spielt also die Frage nach der Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks »Rauch« keine Rolle. Ein Verständnis des Ausdrucks ist vielmehr vorausgesetzt, denn wenn man gar nicht weiß, was »Rauch« bedeutet, kann man auch dieses natürliche Zeichenverhältnis von Rauch und Feuer weder verstehen noch ausdrücken. Ein Symbol dagegen stellt genau diese Bedeutungsbeziehung zwischen dem Ausdruck und dem mit ihm bezeichneten Gegenstand her. »Rauch« bedeutet in diesem Sinne nicht Feuer, sondern eben Rauch. Die scheinbare Trivialität dieser Feststellung (»Rauch« = Rauch) verschwindet, wenn wir unsere unhintergehbare Verfangenheit in der Sprache berücksichtigen. Mit sprachlichen Ausdrücken bezeichnen wir Gegenstände, sie sind aber nicht diese Gegenstände. »»Rauch« bedeutet Rauch« sieht zwar tautologisch aus, wenn man aber bedenkt, dass hier eine besondere Sprachebene vorliegt, wird klar, dass mit diesem Satz über den sprachlichen Ausdruck und nicht über den mit diesem Ausdruck bezeichneten Gegenstand gesprochen wird; hier kommt der Unterschied zwischen Objekt- und Metasprache zum Tragen. »Rauch bedeutet Feuer« ist ein objektsprachlicher Satz, d. h., er bezieht sich auf die außersprachlichen Objekte. Ein metasprachlicher Satz, wie »»Rauch« bedeutet Rauch«, bezieht sich auf die Sprache, auf den sprachlichen Ausdruck selbst. Dennoch bleibt der Satz in epistemischer Hinsicht problematisch, weil die Gefahr einer petitio lauert. Denn wenn man nicht weiß, was »Rauch« bedeutet, ergibt es überhaupt keinen Sinn, diesen Ausdruck mit seiner objektsprachlichen Variante zu erläutern. Wir lernen Ausdrücke aber nicht auf diese Weise, sondern indem wir im Kontext der phänomenalen Erfahrung eines Gegenstands sein sprachliches Symbol vorgesagt bekommen und es auf diese Weise anzuwenden und weiter zu differenzieren lernen. 87 Wenn wir über die direkte, phänomenale und subjektive Erfahrung eines Gegenstands hinaus wollen, müssen wir ihn versprachlichen, und dies geschieht durch die »Symbolwerdung« Auch Aristoteles erwähnt diesen sprachlichen Lernprozess. Vgl. Phys., I, 1, 184a26b14.
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Zeichen und Symbol: synonym oder heteronym?
eines sprachlichen Ausdrucks. In epistemischer Hinsicht sehen wir den Rauch zuerst, wir können bestimmte Eigenschaften dieses Phänomens feststellen. Voraussetzung ist die sinnliche Wahrnehmbarkeit des Phänomens, das dadurch etwa in Form, Farbe und Bewegung spezifizierbar und differenzierbar wird. 88 Man kann, je genauer man das Phänomen untersucht und (wissenschaftlich) durchdringt, immer feinere Unterscheidungen vornehmen und entsprechende Begrifflichkeiten einführen (im Falle des Rauchs etwa dann die Fachausdrücke »Aerosol« oder »Kolloid«). Die Bestimmung eines Phänomens oder Gegenstands durch seine Eigenschaften ist eine kognitive Leistung, die es ermöglicht, diese Phänomene oder Gegenstände wiederzuerkennen und sie als ein bestimmtes Phänomen oder als einen bestimmten Gegenstand, also als zugehörig zu einer bestimmten Art zu identifizieren. Es kann auf dieser generellen Ebene zunächst außer Acht gelassen werden, wie dieser Prozess des (Wieder-)Erkennens zu verstehen ist, wie er funktioniert. Wichtig ist, dass wir immer schon mit Phänomenen bzw. Gegenständen konfrontiert sind und diese durch Sprache als Symbol intersubjektiv zugänglich machen können. In dieser Hinsicht ist die Formulierung »»Rauch« bedeutet Rauch« v. a. in Abgrenzung zur Zeichenfunktion durchaus hilfreich. Denn im Rahmen der hier angenommenen Funktion eines Zeichens besteht ein Verhältnis zwischen zwei Gegenständen, die in einer natürlichen Beziehung zueinander stehen: Das Feuer verursacht Rauch, deswegen ist letzteres ein Zeichen für ersteres. Das ist kein sprachliches, sondern ein natürliches Verhältnis. Beim Symbol verhält es sich, wie gesehen, anders. »»Rauch« bedeutet Rauch« ist ein Satz über einen sprachlichen Ausdruck, nicht über einen natürlichen Gegenstand. Dieser sprachliche Ausdruck wird vielmehr per Konvention in Beziehung zu einem, zumindest in diesem Fall, natürlichen Gegenstand gesetzt, und durch diese Beziehung kann er erst seine Funktion als Symbol erfüllen, weil er dadurch seine Bedeutung erhält. Der Ausdruck steht dann für den Gegenstand, ist aber gleichzeitig abgekoppelt von ihm, denn wir verstehen ein Symbol auch dann, wenn das Symbolisierte nicht im Bereich der sinnlichen Erfahrung liegt. Die natürliche Verbindung, die zwischen Zeichen und Bezeichnetem vorliegt, wird hier durchbrochen. Das Symbol hilft vielmehr dem oft vorkommenden Problem des Nichtvorhandenseins dessen, worüber man Dass Aristoteles diese Art der epistemologischen Fundierung vertreten hat, wird in Kapitel 5.3 weiter ausgeführt.
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sprechen will, ab; es soll den Gegenstand, der aus bestimmten Gründen sinnlich nicht zugänglich ist, ersetzen. Zwar ist die Sprachfähigkeit ein natürliches Phänomen, d. h., sie ist beschreib- und erklärbar in einer physikalischen Sprache – die Betrachtungen des ersten Kapitels haben aufgezeigt, dass Aristoteles Sprache auch als natürlichen Prozess beschreibt. 89 Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass die natürlichen und organischen Prozesse und Fähigkeiten nicht ausreichen, um die menschliche Sprache von anderen Formen der verbalen Kommunikation zu unterscheiden. Dieses Kriterium war schließlich in der Möglichkeit zur semantischen Analyse sprachlicher Ausdrücke zu finden. Diese semantisch analysierbaren sprachlichen Ausdrücke sind nun diese konventionellen Symbole. Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: Zwar gibt es eine strukturelle Gemeinsamkeit von Zeichen und Symbolen; in beiden Fällen steht etwas für etwas anderes, zeigt es an, bedeutet es oder verweist auf es. Die Arten des Verweisens sind aber grundlegend zu unterscheiden. Es handelt sich bei der Zeichenrelation um ein natürliches Verhältnis von Gegenständen oder Ereignissen: Das Feuer entwickelt Rauch, deswegen verweist der Rauch auf Feuer. Im Falle der Symbolrelation verweist der Ausdruck »Rauch« auf den natürlichen Gegenstand Rauch. Dies ist möglich, weil ein arbiträres sprachliches Gebilde in Zusammenhang mit einem Gegenstand gebracht wird. Dadurch bekommt der sprachliche Ausdruck seine Bedeutung. Hier liegt kein natürliches Verhältnis vor, sondern ein konventionell-semantisches. Natürlich kann man das Hervorbringen und Erlernen eines sprachlichen Ausdrucks auch hinsichtlich der physischen Aspekte und Voraussetzungen betrachten. Aber das ist ein anderer epistemologischer Aspekt, der nicht die eher formale Frage behandelt, aus wel-
Whitaker formuliert diesbezüglich einen Einwand, der gegen Kretzmanns naturalistische Sichtweise gerichtet ist: »Just because the production of voice is natural in the sense that it is part of human nature to speak, it does not follow that words are natural signs.« (Whitaker, 1996, S. 19) Diese Kritik von Whitaker ist angreifbar, da Kretzmann den konventionellen Charakter sprachlicher Zeichen nicht leugnet, sondern glaubt, dass Aristoteles neben diesem konventionellen noch den vorrangigen natürlichen Zusammenhang erwähnt wissen will, nämlich dass eine mental impression die Ursache eines sprachlichen Ausdrucks darstellt. Diese beiden Aspekte widersprechen sich nicht, wie Whitaker meint. Die Kritik an der systematischen Relevanz dieser Differenzierung bleibt davon aber unbeschadet. Weitere Argumente gegen die naturalistische Lesart bietet auch Di Mattei, 2006, S. 10–12.
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chem Grund und mit welchem Recht ein bestimmter Ausdruck für einen bestimmten Gegenstand steht. Soweit zu einer generellen systematischen Unterscheidung von »Zeichen« und »Symbol«. Man muss nun sehen, ob und inwiefern diese Unterscheidung im Kontext von De int. eine Rolle spielt. Dabei fällt zunächst auf, dass Aristoteles dort ausdrücklich auf die Konventionalität sprachlicher Ausdrücke hinweist. Im zweiten Kapitel von De int. (vgl. S. 59 f.) findet sich die Abgrenzung »natürlich – konventionell« ganz explizit vor. Ein Symbol ist konventionell (κατά συνϑήκην, De int. 2, 16a26–27); kein sprachlicher Ausdruck ist ein solcher von Natur aus (φύσει τῶν ὀνομάτων οὐδέν ἐστιν, De int. 2, 16a27), er muss zum Symbol gemacht werden (γένηται σύμβολον, De int. 2, 16a28). Das oben erläuterte Verständnis von »Symbol« findet bei Aristoteles also Berücksichtigung. Nach einer positiven Bestimmung und Charakterisierung des Ausdrucks »Zeichen« im Sinne der oben festgestellten Bedeutung sucht man in De int. allerdings vergeblich. Das ist ein erstes Indiz für die Synonymität von »Zeichen« und »Symbol«. Im Gegensatz dazu gibt es jedoch in der Forschung viele Stimmen, die einen inhaltlichen Unterschied der Relationen behaupten. Im Folgenden soll in Auseinandersetzung mit solchen Positionen der Verdacht der Synonymität beider Ausdrücke bestärkt und belegt werden.
4.2.2. Natürliches Zeichen in De interpretatione? Kretzmann behauptet, dass »Symbol« und »Zeichen« in De int. unterschiedliche Bedeutungen haben. Er versteht die Zeichenrelation im Sinne des oben erläuterten natürlichen Verständnisses und argumentiert entsprechend für die πρώτως-Lesart: »Spoken sounds are (in the first place) effects indicative of their concurrent causes, mental impressions.« (Kretzmann, 1974, S. 8) 90 Die Zeichenrelation interpreKretzmann identifiziert mit Element C die Entitäten, die er als mental impressions bezeichnet. Ohne detailliert geprüft zu haben, ob die Vorstellung (φαντασία) und ihre Objekte die Ansprüche für Element C überhaupt erfüllen können, wird in diesem Kapitel auch mit »Vorstellung« auf das Element C verwiesen. Das liegt ganz einfach daran, dass wohl alle Interpreten, die die Zeichenrelation im Sinne eines natürlichen bzw. kausalen Verhältnisses sehen (Ackrill, Kretzmann, Wheeler), unter Element C eben mental images oder mental impressions verstanden haben; ausgehend von dieser »naturalistischen« Sichtweise liegt es auf der Hand, diese psychologischen Größen
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tiert er als eine kausale Beziehung zwischen den Elementen C und D, in Ergänzung zu ihrer nachrangigen und konventionellen Symbolbeziehung. Hier kommt eine naturalistische Lesart des SGGs zum Tragen. Sprache ist eine Wirkung von mentalen Zuständen, die deren Ursache darstellen. Erst in zweiter Linie wird dieses Verhältnis als konventionell anerkannt: Welche Sprachzeichen diese mentalen Zustände repräsentieren, ist eben eine Sache der Konvention. Da hier eine Beziehung von Sprache und außersprachlicher Wirklichkeit, den Dingen, fehlt, die bei der πρώτων-Lesart ja impliziert ist, liegt laut Kretzmann in De int. gar keine semantische Theorie vor. 91 Diese naturalistische Sichtweise findet noch heute ihre Vertreter, so z. B. bei Wheeler: »The natural sign relation between sounds and mental impressions is semantically prior to the more robust conventional sign relation between them.« (Wheeler, 1999, S. 203) Kretzmann spricht explizit von Ursache und Wirkung, weswegen seine Interpretation der Zeichenrelation als kausal bezeichnet werden kann. Allerdings ist in der oben erfolgten systematischen Charakterisierung des Zeichenbegriffs das Adjektiv »kausal« weitgehend vermieden und etwas allgemeiner von einer natürlichen Relation gesprochen worden. In den folgenden Ausführungen wird klar werden, dass erstens eine solche kausale Interpretation nicht haltbar ist, dass es zweitens auch eine nicht-kausale natürliche Interpretation gibt, dass aber drittens diese Sichtweise auch höchst problematisch ist.
Eine kausale Interpretation natürlicher Zeichen Kretzmann führt das Beispiel des medizinischen Symptoms an, um zu erläutern, was er unter σημεῖον verstanden wissen will. In diesem Sinne ist ein Symptom (analog: ein sprachlicher Ausdruck) ein »[…] indicative effect […]« (Kretzmann, 1974, S. 8) einer Krankheit (analog: eines mentalen Zustands) als dessen »[…] concurrent cause […]« (ibd.) und insofern ein Zeichen einer Krankheit (analog: eines mentalen Zustands). Die Wirkung ist ein Zeichen für ihre Ur-
den seltsamen und abstrakten Gedanken oder Konzepten (νοήματα) vorzuziehen. Siehe dazu Kapitel 5. 91 »If it [der Text von De int., S. L.] contains no claim at all, explicit or implicit, about a relationship of spoken sounds to actual things, then it is not even a sketch of a general theory of meaning.« (Kretzmann, 1974, S. 5)
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sache. Wenn von Kausalität die Rede ist, schwingt immer schon die Forderung einer detaillierten Kenntnis der physischen Prozesse, die ein entsprechendes Ereignis notwendigerweise hervorrufen, mit. Wenn man das Zeichen in einem kausalen Sinn versteht, dann steht es für die Ursache, d. h., wenn man die Wirkung in dieser Zeichenfunktion erfasst, dann spielt das Zeichen eine erklärende Rolle: Das Symptom ist ein Zeichen für eine Krankheit, weil die Krankheit das Symptom verursacht. Zum Verhältnis von kausaler und konditionaler Formulierung Man muss hinsichtlich des Verständnisses eines natürlichen Zeichens allerdings nicht unbedingt Ausdrücke wie »Ursache« und »Wirkung« verwenden. Es genügt zunächst eine konditionale Formulierung: »Wenn a, dann b«. Allerdings kann man von dieser konditionalen schnell zu der kausalen Form »Weil a, deswegen b« »abrutschen«. 92 Kretzmanns kausale Wortwahl scheint genau auf ein solches »Abrutschen« hinzuweisen. Es besteht allerdings ein gewichtiger Unterschied zwischen kausaler und konditionaler Formulierung. Bei letzterer ist noch nicht entschieden, welcher Art das Bedingungsverhältnis genau ist; bei der kausalen Formulierung ist das zumindest konnotiert. Nach einem klassischen Beispiel ist Regen eine hinreichende Bedingung für Nässe. Das bedeutet, dass Regen hin- oder ausreicht, um für nasse Straßen zu sorgen (unter der Bedingung, dass diese nicht überdacht, mithin von Regen geschützt sind). Auf sprachlicher Ebene heißt das: Wenn der Satz »Es regnet« wahr ist, dann ist der Satz »Die Straße ist nass« notwendigerweise auch wahr. Allerdings ist der Regen keine notwendige Bedingung für Nässe, denn auch andere Ereignisse können dafür sorgen, dass eine Straße nass wird. Die sprachliche Interpretation würde dann lauten: Wenn der Satz »Die Straße ist nass« wahr ist, dann muss der Satz »Es regnet« (oder »Es regnete«) nicht wahr sein. 93 Die Flexibilität konditionaler FormulieVgl. etwa Kambartel in der Enzyklopädie für Philosophie und Wissenschaftstheorie: »Als B[edingung, S. L.] bzw. sprachliche Artikulation einer B[edingung, S. L.] versteht man in Sätzen, die sich auf die Form wenn α, so β bringen lassen, in der Regel das α; der Satz β heißt dann durch α bedingt. Bisweilen werden auch Sätze der Form weil α, deswegen β als Bedingungssätze aufgefaßt, obwohl α dabei eher als Begründung oder Ursache in einer Folgerung, oder in einer Kausalaussage angegeben wird unter implizitem Verweis auf einen Bedingungssatz.« (Kambartel, 2005, S. 379) 93 Diese Differenzierung zwischen natürlichen oder realen Bedingungen und logischen Bedingungen wird noch eine wichtige Rolle spielen. 92
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rungen liegt auch darin, dass ihre Elemente sinnvoll austauschbar sind, denn es wird nichts über kausale Verhältnisse ausgesagt. Es ist sinnvoll zu fragen, inwiefern Regen nasse Straßen bedingt, aber auch inwiefern nasse Straßen Regen bedingen. Wenn man allerdings in der Lage ist, das Bedingungsverhältnis als hinreichend und/oder notwendig zu spezifizieren, dann erhält man Hinweise darauf, dass der Regen die Nässe verursacht, nicht umgekehrt. Eine hinreichende Bedingung erzwingt das Bedingte – hier kann man am ehesten ein kausales Verständnis unterstellen. Eine notwendige Bedingung ist zwar eine conditio sine qua non, aber allein noch nicht hinreichend. Wenn man die konditionale Formulierung in eine kausale übersetzten will, dann muss v. a. auf hinreichende Bedingungen Rücksicht genommen werden. Aber auch hier kann man nur von der Ursache auf die Wirkung schließen (Wenn es regnet, dann wird es nass), nicht umgekehrt. Erst wenn ein hinreichendes und notwendiges Bedingungsverhältnis identifiziert werden kann, kann von der Wirkung auf die Ursache geschlossen werden. Wendet man das kausale Verständnis des Zeichens nach Kretzmann auf das Regen-Beispiel an, dann müsste die Nässe als Wirkung ein Zeichen für ihre Ursache sein. Allerdings handelt es sich dann nicht um ein sicheres, sondern um ein bloß mögliches Zeichen, da ja die Nässe auch durch etwas anderes verursacht werden kann. Fragt man sich nun bezüglich Kretzmanns Beispiel, in welcher Hinsicht eine Krankheit eine Bedingung für ein Symptom ist, dann ergibt sich zweierlei: Sie ist eine hinreichende Bedingung, d. h., wenn eine Krankheit vorliegt, dann auch ein Symptom. Gleichzeitig ist sie aber auch notwendig: Nichts anderes kann ein Symptom hervorrufen. Hier liegt also der Fall vor, dass auch von der vermeintlichen Wirkung auf die vermeintliche Ursache geschlossen werden kann. Wenn man über das detaillierte empirische Wissen darüber verfügt, was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für ein Ereignis sind, dann kann man am ehesten ein kausales Verhältnis postulieren. Diese Klarheit liegt bei äquivalenten Bedingungsverhältnissen vor, d. h., hier ist klar identifiziert, was die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für ein Ereignis sind. Im Falle von Kretzmanns SymptomBeispiel liegt ein einfaches äquivalentes Bedingungsverhältnis vor. 94 »Einfach« deswegen, weil oft erst ein Bündel von einzelnen notwendigen Bedingungen auch hinreichend für das Bedingte ist. Im Symptom-Beispiel liegt ein eins-zueins-Verhältnis vor.
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Krankheit und Symptom bedingen sich gegenseitig in hinreichender und notwendiger Weise. Immer und nur dann wenn eine Krankheit vorliegt, liegt auch ein Symptom vor. Das Symptom ist hier ein sicheres, ein notwendiges Zeichen für eine Krankheit. Ist nun Kretzmanns Beispiel adäquat für die Darstellung des Verhältnisses von Vorstellung und Sprache? Wenn ja, dann müsste das heißen, dass die Sprache ein sicheres, ein notwendiges Zeichen für die Vorstellung wäre. Die Vorstellung müsste also hinreichende und notwendige Bedingung für Sprache sein, wenn Sprache ein notwendiges Zeichen für die Vorstellung sein soll. Es dürfte aber klar sein, dass wenn man unter einer Ursache etwas versteht, das die Wirkung erzwingt, dies hier nicht der Fall sein kann. Zwar ist die Vorstellung eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Sprache. Wir sprechen ja nicht immer schon dann von etwas, wenn wir eine Vorstellung von diesem Etwas haben. Es müsste genauer geprüft werden, was Sprache verursacht, um davon zu sprechen, dass hier ein kausales Zeichen vorliegt. Die folgenden Untersuchungen zu dieser Frage werden genau dieses Ergebnis haben: Die Vorstellung ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. φαντασία als Ursache für Sprache? Auf Seite 62 f. wurde schon darauf hingewiesen, dass Aristoteles die Vorstellung als eine notwendige Bedingung für bedeutsame Sprache ansieht: Wer dazu fähig ist, hat immer auch eine Vorstellung. 95 Die Formulierung einer solchen Bedingung beinhaltet aber nicht zwingend die Behauptung eines kausalen Verhältnisses. Denn klarerweise gilt, dass beim Vorliegen einer Vorstellung nicht unbedingt die Äußerung eines sprachlichen Ausdrucks erfolgt. Man kann also höchstens von der Vorstellung als einer notwendigen Bedingung sprechen. In De an. II, 8, 420b31 ff., die Stelle, in der dieses Bedingungsverhältnis formuliert wird, wird zudem deutlich, dass Aristoteles die physischen Vorgänge beim Hervorbringen nicht-sprachlicher Laute von Es wurde an dieser Stelle festgestellt, dass die Vorstellung nicht als Spezifikum für menschliche Sprache, von der im SGG die Rede ist, taugt. Trotzdem wird im Folgenden die Frage behandelt, wie φαντασία und φωνή kausal zusammenhängen, auch deswegen, um der argumentativen Mauer wider der φαντασία als relevanten Kandidaten für Element C einen weiteren Stein hinzuzufügen. Denn wenn das kausale Verständnis der Zeichenrelation nicht möglich ist, fällt ein weiterer prima facieGrund weg, an einer empiristischen SGG-Interpretation und somit auch an der φαντασία als Element C festzuhalten.
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denen beim Hervorbringen der Sprache unterscheidet. Der Ton bzw. das Geräusch (ψόφος) wird im ersten Teil (419b4–420b5) dieses Kapitels erläutert, daran schließt sich in einem zweiten Teil (420b5– 421a6) die Behandlung bedeutsamer Sprache als einer Unterart des Geräuschs (ἡ δέ φωνή ψόφος τίς ἐστιν ἐμψύχου, De an. II, 8, 420b5) an. Der erste Teil ist im Rahmen der naturwissenschaftlichen Erklärung der fünf Sinne in einer kausalen Sprache formuliert (δύναμις/ ἐνεργεία in De an. II, 8, 419b5; κίνησις z. B. 419b18, 23 et passim). 96 Im zweiten Teil kommt zu diesen Überlegungen dann aber ein wichtiger Aspekt hinzu. Zunächst heißt es in 420b27–29: ὥστε ἡ πληγή τοῦ ἀναπνεομένου ἀέρος ὑπό τῆς ἐν τούτοις τοῖς μορίοις ψυχῆς πρός τήν καλουμένην ἀρτηρίαν φωνή ἐστιν. Deshalb ist die Sprache der Stoß der eingeatmeten Luft gegen die sogenannte Luftröhre, [verursacht] von der Seele in genau diesem Teil. De an. II, 8, 420b27–29
Es folgt darauf die schon auf Seite 62 zitierte Stelle, die das Geräusch von der Sprache unterscheidet, indem auf die Vorstellung und auf die Bedeutsamkeit hingewiesen wird. Danach liest man das Folgende: σημαντικός γάρ δή τις ψόφος ἐστίν ἡ φωνή, καί οὐ τοῦ ἀναπνεομένου ἀέρος, ὥσπερ ἡ βήξ. ἀλλά τούτῳ τύπτει τόν ἐν τῇ ἀρτηρίᾳ πρός αὐτήν. 97 Denn Sprache ist ein bedeutsames Geräusch und nicht [verursacht] von der eingeatmeten Luft, wie beim Husten, sondern [der Sprechende] schlägt mit ihr [der eingeatmeten Luft] in der Luftröhre gegen die selbige. De an. II, 8, 420b32–421a1
Schon Ross hat darauf hingewiesen, dass diese beiden hier zitierten Passagen in enger Verbindung stehen. 98 Interessant ist, dass einerseits Die Formulierung etwa von 420a3–4: ψοφητικόν μέν οὖν τό κινητικόν ἑνός ἀέρος συνεχείᾳ μέχρις ἀκοῆς, ἀκοή δέ συμφυής ἀήρ weist gleichzeitig auf die Unterscheidung von Bewirkendem und Erleidendem hin, sowie auf das Medium als Mittler zwischen beiden. Das ist allgemein ein starkes Indiz für naturwissenschaftliche Erklärungsansätze im aristotelischen Werk. Vgl. hierzu auch das Kapitel 5.2, das die Grundkonzepte und Begrifflichkeiten der aristotelischen Physik kurz darstellt. 97 Der griechische Text folgt der Loeb-Ausgabe, die sich lediglich in einer plausibleren Zeichensetzung von der OCT-Ausgabe unterscheidet. 98 »οὐ … φωνή (ll. 29–33) must be treated as parenthetical, in order to connect καί οὐ τοῦ ἀναπνεομένου ἀέρος (l. 33) with τοῦ ἀναπνεομένου ἀέρος in ll. 27–28.« (Ross, 1961, S. 252) 96
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eine kausale Beschreibung des Sprechens beibehalten wird (»die eingeatmete Luft wird an die Luftröhre gestoßen«), andererseits eine Abgrenzung von »normalen« kausalen Geschehnissen erfolgt. Denn der Vorgang des Sprechens ist nicht wie der des Hustens hinreichend mit dieser »normalen« kausalen Beschreibung zu erläutern, sondern hier kommt, was v. a. im zweiten Zitat offenbar wird, der Aspekt des Mentalen hinzu. Zwar gibt es eine naturwissenschaftliche Beschreibung des Sprechvorgangs, aber seine Ursache liegt im Unterschied zu »normalen« physischen Vorgängen in der Seele bzw. in demjenigen, der eine Seele hat. Das Thema ist also die mentale Verursachung. Ohne an dieser Stelle die Frage angehen zu können, wie Aristoteles dieses Phänomen im Detail erklärt, scheint doch klar zu sein, dass er zwischen einem naturwissenschaftlich-kausalen Erklärungsansatz und dem hier angesprochenen Phänomen mentaler Verursachung differenziert. Ein wichtiger Unterschied zwischen diesen beiden Ansätzen ist die Determiniertheit: Ein physischer Vorgang kann im Sinne des Determinismus präzise vorhergesagt werden, wenn Ausgangsdaten und die relevanten Gesetzmäßigkeiten bekannt sind. Im Falle des Sprechens ist aber als hauptursächlich ein Faktor zu berücksichtigen, den man mit »Strebung« (ὀρέξις), mit »Entscheidung« (προαίρεσις) oder ganz allgemein mit »Wille« (βουλή) umschreiben kann; es muss zu den physischen Voraussetzungen auch die Entscheidung zum Sprechen vorhanden sein. 99 Das bedeutet, dass die Vorstellung nicht in der Weise Sprache verursacht, wie Regen Nässe oder eine Krankheit ein Symptom verursacht. Das Vorhandensein der Vorstellung erzwingt eine sprachliche Äußerung nicht, sie ist keine hinreichende Bedingung. Man kann also eine Katzen-Vorstellung nicht in diesem Sinne als Ursache des sprachlichen Ausdrucks »Katze« verstehen. Die kausal entschei-
Vgl. Met. IX, 5. Aristoteles unterscheidet hier rationale und irrationale Vermögen und spricht bei ersteren von den Faktoren der Strebung und Entscheidung: ἀνάγκη ἄρα ἕτερόν τι εἶναι τό κύριον: λέγω δέ τοῦτο ὄρεξιν ἢ προαίρεσιν. (1048a10–11) Vgl. dazu auch Everson: »[…] change is necessitated when the agent and the patient come into contact. [Anm. 101:] Rational capacities are more complicated, since they can bring about either of two contrary effects – when the possessor of a rational capacity comes into contact with a suitable patient, no change is necessitated. The possessor of a rational capacity not only needs to come across a suitable patient but to desire [Hervorhebung S. L.] to effect the relevant change – given the desire, however, the change is again necessitated […].« (Everson, 1997, S. 54)
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dende Determinante ist die Entscheidung zum Sprechen (oder Schreiben), die den relevanten physischen Vorgang initiiert. Wenn man also, wie Kretzmann, die Zeichenrelation, die Aristoteles in De int. 1 erwähnt, im Unterschied zur Symbolrelation als dezidiert kausales Verhältnis zwischen Element B und C verstehen will, dann scheitert das daran, dass die Vorstellung zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, mithin nicht kausale Ursache der Sprache ist. Die für eine kausale Erklärung konstitutive hinreichende Bedingung liegt vielmehr in der Entscheidung des Sprechers zum Sprechen. Man könnte einen letzten Rettungsversuch der kausalen Deutung von Zeichen anstellen, indem man eine alternative Interpretation von φαντασία aus De an. II, 8, 420b32 behauptet, die Hamlyn anbietet: »Imagination is required because the animal has to make a kind of movement in order to make the relevant sound and, according to Aristotle, imagination is necessary for this. (Cf. III.10 and 11 and the accounts of the production of movement given there).« (Hamlyn, 1993, S. 109) Die Vorstellung wird hier also nicht im Sinne eines mentalen Korrelats eines bestimmten sprachlichen Ausdrucks verstanden, sondern im Sinne der soeben beschriebenen Fähigkeit, eine Entscheidung zum Sprechen zu treffen. Diese Interpretation erscheint im De an.-Kontext sogar als plausibel, denn das Strebevermögen und die Rolle des Vorstellungsvermögens werden in den letzten beiden Kapiteln von De an. eingehend diskutiert. Wenn man diese Konnotation von φαντασία anerkennt, könnte es gelingen, ein kausales Verständnis der Zeichenrelation zu retten. Denn die so verstandene φαντασία führt um einiges näher hin zur hinreichenden Bedingung für Sprache, nämlich zur Entscheidungsfähigkeit. Ganz abgesehen von der Frage, ob damit wirklich die Ursache des Sprechens erfasst wird – denn letztlich bleibt die autonome Entscheidung des Sprechers und nicht die dann auch wieder nur als notwendige Bedingung für eine solche Entscheidung zu verstehende Fähigkeit zur Entscheidung bzw. Bewegung die hinreichende Bedingung –, steht man vor dem Problem, dass dieses Verständnis von φαντασία eindeutig von demjenigen, das in De int. vorherrscht, abzugrenzen ist. Wenn es stimmt, dass die Sprache in De int. als φωνή σημαντική in semantischer und nicht in physiologischer oder physikalischer Hinsicht relevant ist, dann dürfte es plausibel sein, unter φαντασία das Vermögen zu verstehen, mittels dessen man den korrespondierenden mentalen Gehalt eines sprachlichen Ausdrucks haben kann, und nicht die grundsätzliche Fähigkeit, durch eine willentliche Entscheidung 84
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jene Prozesse zu verursachen, die die sprachlichen Laute zum Ergebnis haben. Gegen eine kausale Interpretation der Zeichenrelation spricht demnach, dass die Vorstellung aus De int., verstanden als mentales Äquivalent zu sprachlichen Äußerungen, nicht Ursache dieser sprachlichen Äußerung sein kann. Sie ist notwendige Bedingung, aber nicht hinreichend. Betrachtet man eine mögliche kausale Rolle der φαντασία genauer, dann bleiben diese zwei Möglichkeiten: Entweder die φαντασία im Sinne von De int. kann diese kausale Rolle gar nicht spielen, oder die φαντασία hat, wenn man sie als Befähigung zur Entscheidung bzw. Bewegung versteht, ganz ungeachtet der Frage, ob sie in diesem Fall als hinreichende Bedingung zu verstehen ist, nichts mit der Konnotation, die in De int. vorherrscht, zu tun.
Eine nicht-kausale Interpretation natürlicher Zeichen Wheeler bietet mit seinem naturalistischen, aber nicht-kausalen Verständnis von Zeichen eine Alternative zu Kretzmann an, mit der man das Problem der Kausalität umgehen kann. 100 Die Zeichenrelation versteht er folgendermaßen: »[…] x is a sign of y if, and only if, when x is, either x is simultaneous with y or x precedes y or x is subsequent to y.« (Wheeler, 1999, S. 199). Er verweist auf An. pr. II, 27 mit dem Hinweis, dort sei der »[…] generic sense of sign […]« (Wheeler, 1999, S. 200) zu finden. Die besagte Stelle lautet wie folgt: οὗ γάρ ὄντος ἔστιν ἢ οὗ γενομένου πρότερον ἢ ὕστερον γέγονε τό πρᾶγμα, τοῦτο σημεῖόν ἐστι τοῦ γεγονέναι ἢ εἶναι. Es ist dies ein Zeichen für etwas Entstandenes oder Existierendes, was zusammen mit diesem [Existierenden], vor oder nach [diesem Entstandenen] vorkommt. An. pr. II, 27, 70a8–10 Wheelers generelle These lautet: »Every spoken sound is a vocal sound. Every vocal sound, by its very nature, is accompanied by an act of imagination [φαντασία] which is its signification [σημαντικός]. The content of an act of imagination is some mental image. Hence, every vocal sound, by nature, signifies some mental image in the soul, and there is a definite sense in which every spoken sound is a natural sign of some mental image.« (Wheeler, 1999, S. 202)
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Hier werden keine kausalen Verhältnisse postuliert. Etwas ist ein Zeichen, wenn es in einer Beziehung zu etwas anderem steht: Es taucht gleichzeitig mit, nach oder vor dem Bezeichneten auf. Außerhalb des Kontextes betrachtet scheint diese Formulierung nicht sehr aussagekräftig zu sein, denn letztlich bleibt nur die Behauptung, dass ein Zeichen für etwas steht, nämlich für das Bezeichnete, da die genannten zeitlichen Relationen erschöpfend sind und somit keine weitere Spezifikation darstellen. Diese Charakterisierung des Zeichens lässt sich ebenso auf das Symbol anwenden, da damit nicht viel mehr als die Struktur »etwas steht für etwas anderes« angedeutet ist. Man muss annehmen, dass es sich um ein Verhältnis natürlicher Ereignisse handelt, im Gegensatz zum konventionell verstandenen Symbol. Nach Wheelers Lesart geht es dabei aber nicht um die Frage der Kausalität: Rauch ist ein Zeichen für Feuer, aber Feuer auch ein Zeichen für Rauch; was Ursache und was Wirkung ist, ist nicht von Belang. Im Folgenden wird dafür argumentiert, dass »Zeichen« in An. pr. nicht als ein natürlicher, sondern als ein logisch-rhetorischer Begriff verstanden werden muss; zwar besteht auch beim logisch-rhetorischen Zeichenbegriff eine natürliche Komponente insofern, als sich ein Zeichen auf Dinge und Ereignisse in der Natur bezieht – und genau dieser natürliche, aber im Grunde nebensächliche Bezug wird durch das von Wheeler angeführte Zitat dargestellt. Im Kontext von An. pr. bleibt aber die logisch-rhetorische Funktion des Zeichens vorherrschend. Diese Funktion und ihr Zusammenhang mit einem streng natürlich verstandenen Zeichenbegriff soll nun genauer erläutert werden. In An. pr. ist bekanntlich die Theorie der aristotelischen Syllogistik zu finden. Für das hier angestrebte Beweisziel genügt es, die grundlegenden Begrifflichkeiten kurz zu rekapitulieren. Ein Syllogismus besteht aus Oberprämisse, Unterprämisse und der Konklusion. Sowohl die Prämissen als auch die Konklusion sind einfache Behauptungen mit bestimmter Qualität (affirmativ oder negativ) und Quantität (universell oder partikulär). Die Konklusion folgt bei gültigem Syllogismus mit Notwendigkeit aus den Prämissen, d. h., bei wahren Prämissen und gültigem Syllogismus ergibt sich notwendigerweise die Wahrheit der Konklusion. Kernstück hierbei ist der sogenannte Mittelterm (M), der in beiden Prämissen vorkommt, in der Konklusion aber »herausgekürzt« wird und so für die Verbindung von Subjekt (S) und Prädikat (P), die jeweils in einer der beiden Prämissen in Verbindung mit dem Mittelterm vorkommen, verantwortlich ist. Je 86
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nach Stellung des Mittelterms in den Prämissen ergeben sich vier verschiedene syllogistische Figuren. Die erste Figur hat folgende Form: Oberprämisse: M-P, Unterprämisse: S-M und Konklusion: S-P. Da die Form der Konklusion bei allen Figuren identisch bleibt, genügt es bei den weiteren Figuren die Prämissen zu betrachten. Die Prämissen der zweiten Figur haben die Form P-M und S-M, die der dritten Figur M-P und M-S. 101 Da jede Prämisse bzw. Konklusion vier verschiedene Formen annehmen kann, ergibt sich eine Gesamtzahl von 256 Kombinationsmöglichkeiten für Syllogismen, die sogenannten Modi. 102 Aristoteles’ Ziel in An. pr. ist es, alle gültigen unter diesen möglichen Syllogismen herauszufinden. Grundlage für dieses Vorhaben sind die sogenannten vollkommenen Syllogismen der ersten Figur, auf die alle gültigen Modi der anderen Figuren zurückgeführt werden. Die aristotelische Syllogistik ist somit ein formal-logisches Unterfangen. Es geht nicht um die inhaltliche Frage nach der Wahrheit bestimmter Behauptungen, sondern um die formal-logische Frage, wann die Wahrheit der Konklusion mit Notwendigkeit und unter Absehung eines bestimmten Inhalts aus als wahr gesetzten Prämissen folgt. Vor diesem Hintergrund erfolgt im letzten Kapitel von An. pr. die Einordnung des Zeichenbegriffs. Zu Beginn von An. pr. II, 27 unterscheidet Aristoteles zwischen Wahrscheinlichkeit (εἰκός) und Zeichen (σημεῖον). Die Wahrscheinlichkeit wird als »allgemein anerkannte Prämisse« (πρότασις ἔνδοξος, An. pr. II, 27, 70a4) definiert. 103 Dem Zeichen wird darüber hinaus eine spezifische Funktion zugewiesen: σημεῖον δέ βούλεται εἶναι πρότασις ἀποδεικτική ἀναγκαία ἢ ἔνδοξος: Das Zeichen will eine beweisende Prämisse sein, aufgrund [logischer] Notwendigkeit oder aufgrund [ihres Status als] allgemein anerkannter Meinung. An. pr. II, 27, 70a7–8
Wieso Aristoteles die vierte Figur (P-M und M-S) nicht berücksichtigt hat, muss an dieser Stelle nicht interessieren. 102 Da ein Satz mit festgelegten Subjekt und Prädikat formal durch Qualität und Quantität modifiziert werden kann, ergeben sich folgende vier Möglichkeiten: Universell-affirmativ (Alle S sind P; traditionell mit SaP abgekürzt; das a stammt aus dem lateinischen affirmo); partikulär-affirmativ (Einige S sind P; SiP; affirmo); universellnegativ (Kein S ist P; SeP; nego); partikulär-negativ (Einige S sind nicht P; SoP; nego). 103 Vgl. An. pr. II, 27, 70a3–4. 101
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Das Zeichen wird hier verstanden als logische Einheit, als Prämisse, die in einem Syllogismus oder alleine eine These beweisen soll. 104 Aristoteles erwähnt in der Folge drei verschiedene Konnotationen von Zeichen (τό σημεῖον τριχῶς, 70a12), je nach Stellung des Mittelterms in den drei syllogistischen Figuren. 105 Das Beispiel für die erste Figur lautet: Dass eine Frau schwanger ist, ist dadurch bewiesen, dass sie Milch hat (τό μέν δεῖξαι κύουσαν διά τό γάλα ἔχειν, An. pr. II, 27, 70a14). Aristoteles setzt für P »schwanger«, für M »Milch habend« und für S »Frau«. Die erste Figur im Modus Darii ergibt dann die Oberprämisse »Alle Milch Habenden sind schwanger«, die Unterprämisse »Einige Frauen haben Milch« bzw. »Diese Frau hat Milch« und die Konklusion »Einige Frauen sind schwanger« bzw. »Diese Frau ist schwanger«. Zeichen dafür, dass eine Frau schwanger ist, ist der Mittelterm; anders formuliert: Ein Beweis dafür, dass eine Frau schwanger ist, ist die Tatsache, dass sie Milch hat. 106 Hierbei ist nichts über Ursache oder Wirkung des Schwangerseins ausgesagt, auch wenn in diesem Fall das Zeichen notwendigerweise auf die Konklusion schließen lässt. 107 Angesichts der logischen Funktion des ZeiSmith weist in seinem Kommentar richtigerweise darauf hin, dass hier Zeichen als terminus technicus eingeführt wird und gerade nicht in seiner grundlegenden Bedeutung erklärt wird, wovon Wheeler ausgeht: »A sign […] is defined as such by its role in a kind of deduction. As with Aristotle’s other definitions, this is not intended to explain the term for those (like us) who are ignorant of its meaning, but to accommodate it in the deductive theory of the figures. The examples later in the Chapter make it clear enough what a sign is: it is just a statement predication A of B, offered in support of the claim that C is predicated of B.« (Smith, 1989, S. 226) 105 Dass Aristoteles insofern »locker« mit dem logischen Zeichenbegriff umgeht, als er zunächst eine Prämisse (πρότασις) als Zeichen charakterisiert, dann die dreifache Differenzierung des Zeichenbegriffs anhand der verschiedenen Stellungen des Mittelterms in den verschiedenen syllogistischen Figuren (ὁσαχῶς καί τό μέσον ἐν τοῖς σχήμασιν, 70a12) vornimmt, stellt hinsichtlich der Kontrastierung mit einem natürlichen Zeichenbegriff kein Problem dar. Vgl. zu den verschiedenen Bedeutungen auch Weidemann, 1989, S. 344–345. Es wird sich zeigen, dass zwar in rhetorischer Hinsicht eine Prämisse als Zeichen genügen kann, in logischer Hinsicht aber immer die zweite Prämisse notwendig ist; wenn Aristoteles im Folgenden den Mittelterm eines Syllogismus als Zeichen versteht, dann steht der logische Aspekt im Vordergrund, denn dieser ist das logische Scharnier der beiden Prämissen. 106 »Diese Frau hat Milch« mag in rhetorisch-pragmatischer Hinsicht als Beweis ausreichen, wenn die Oberprämisse stillschweigend angenommen wird. In logischer Hinsicht müssen aber Ober- und Unterprämisse bzw. der Mittelterm berücksichtigt werden. 107 Rolfes weist in seinen Anmerkungen darauf hin, dass auch wenn hier eine logische Notwendigkeit vorliegt, kein natürliches Ursache-Wirkung-Verhältnis formuliert ist: 104
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chens sollte man eher sagen: Die Wahrheit der Prämissen lässt mit logischer Notwendigkeit auf die Wahrheit der Konklusion schließen. Das zweite Beispiel, das Aristoteles anführt, bezieht sich auf die dritte Figur: Die Aussage »Alle Weisen sind tüchtig« soll bewiesen werden durch die Prämisse »Pittakos ist tüchtig« (τό δ’ ὅτι οἱ σοφοί σπουδαῖοι, Πιττακός γάρ σπουδαῖος, An. pr. II, 27, 70a18). Hier wird deutlich, dass eine Prämisse, um als Zeichen zu gelten, nicht notwendig zur Konklusion, d. h. zur Wahrheit der Konklusion führen muss, denn in dieser Form gibt es keinen gültigen Syllogismus: Die Prämissen sind partikulär, das Subjekt ist jeweils »Pittakos«, die Konklusion aber ist universell. 108 Auch wenn die Behauptungen über Pittakos der Wahrheit entsprechen, folgt daraus nicht die Wahrheit der universellen Konklusion. 109 Auch im letzten Beispiel, das sich auf die zweite Figur bezieht, wird diese Erkenntnis bestätigt: Dass eine Frau schwanger ist, soll bewiesen werden durch die Tatsache, dass sie bleich ist (τό δέ κύειν ὅτι ὠχρά, An. pr. II, 27, 70a21). 110 Das bedeutet, dass die Wahrheit der Prämissen »Alle Schwangeren sind bleich« und »Diese Frau ist bleich« die Wahrheit der Konklusion »Diese Frau ist schwanger« zur Folge haben soll. Dieser vermeintliche Beweis gelingt schon deswegen nicht, weil beide Prämissen affirmativ sind, in den gültigen Modi der zweiten Figur aber immer eine negative Prämisse enthalten ist. 111 Ein Zeichen ist im geschilderten Kontext als eine Prämisse zu verstehen, die zum Beweis einer Konklusion angegeben wird. Um als Zeichen zu gelten, muss diese beweisende Funktion aber nicht erfüllt werden. 112 Aristoteles legt hier ein pragmatisches Verständnis von Zeichen zugrunde, denn es scheint ihm zunächst um den rhetorischen Gebrauch einer Aussage als Beweis für eine andere Aussage »Gleichwohl ist dieser Schluß keine Apodeixis, kein wissenschaftlicher Beweis. Er geht nicht von dem aus, was von Natur früher ist. Die Frau hat nicht empfangen, weil sie Milch hat, sondern sie hat Milch, weil sie empfangen hat.« (Rolfes, 1944, S. 205, Anm. 94) 108 Vgl. An. pr. II, 27, 70a33–34. 109 Vgl. die Erläuterung zu dem analogen Beispiel aus Rhet., I, 2, 1357b13–14. 110 Schon in der anschließenden Formulierung διά τοῦ μέσου σχήματος βούλεται εἶναι wird durch das βούλεται klar, dass hier das Zeichen eigentlich nicht die logische Kraft hat, die Konklusion tatsächlich zu beweisen. 111 Vgl. An. pr. II, 27, 70a34–36. Die Stellung des Mittelterms weist zwar auf die zweite Figur hin, aber das Kriterium der gemischten Qualität der Prämissen, dass also eine negativ, die andere affirmativ sein muss, ist nicht erfüllt. 112 Vgl. die Formulierungen mit βούλεται in 70a8 und 22. Sprache, Bedeutung, Geist
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zu gehen. Ob dieser Gebrauch logisch gerechtfertigt ist, ist eine zunächst untergeordnete Frage. Im Fall des ersten Beispiels ist der Gebrauch des Mittelterms als Beweis logisch gerechtfertigt, bei den anderen beiden Beispielen ist dies nicht der Fall. Da eine Prämisse trotz verfehlter logischer Funktion bei Aristoteles als Zeichen gilt, scheint es noch präziser, von einer rhetorischen anstatt von einer logischen Funktion zu sprechen. Aristoteles stellt dementsprechend auch die Überlegung an, dass man ein »notwendiges Zeichen« als eine spezielle Art von Zeichen, eben eines, das die Beweisfunktion erfüllt, mit einer eigenen Bezeichnung (nämlich τεκμήριον) anerkennen sollte. 113 Aufgrund der Betonung des pragmatischen Charakters des Zeichenbegriffs überrascht es nicht, dass Aristoteles auch in Rhetorica über das Zeichen in diesem Sinne verhandelt. 114 Doch auch wenn Aristoteles auf die Frage, was ein Zeichen ist, einigermaßen flexibel antwortet und scheinbar mehr Wert auf den rhetorischen als auf den logischen Aspekt legt, bleibt der logische Aspekt des Zeichens immer ein Thema. Die logische Form ist die Matrix, mit der die rhetorische Verwendung eines Zeichens als beweisende Prämisse geprüft wird. Dies wird auch offenbar an Aristoteles’ Sprachwahl. In An. pr. II, 27 weist er auf den Unterschied von Zeichen und Syllogismus hin: Wenn eine Prämisse ausgesprochen wird (λέγειν), handelt es sich um ein Zeichen, wenn die zweite Prämisse hinzugenommen (προσλαμβάνειν) wird, um einen Syllogismus (Ἑάν μέν οὖν ἡ μία λεχϑῇ πρότασις, σημεῖον γίγνεται μόνον, ἐάν δέ καί ἡ ἑτέρα προσληφϑῇ, συλλογισμός, An. pr. II, 27, 70a24–26). Die Betonung des pragmatischen Aspekts durch Verwendung der Verben λέγειν und προσλαμβάνειν weist darauf hin, dass zwar im rhetorischen Sinn ein Zeichen in nur einer Prämisse bestehen kann, dass aber im logischen Sinn ein Zeichen immer vor dem Hintergrund eines vollständigen Syllogismus verstanden werden muss; denn es müssen immer zwei Prämissen vorliegen, um eine Behauptung, die Konklusion, beweisen zu können. Die Umschreibung des Zeichens als Mittelterm, der in beiden Prämissen eines Syllogismus vorkommt, weist auf die logische Funktion hin. Es ist bezeichnend, dass Aristoteles in dem Passus, in dem er die dreifache KonVgl. An. pr. II, 27, 70b1–7. Smith, 1989, S. 226, weist auf den offensichtlichen Zusammenhang des letzten Kapitels von An. pr. mit Rhet. hin. Die Unterscheidung zwischen σημεῖον und τεκμήριον findet sich auch in Rhet. I, 2, 1357b1–21.
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notation von Zeichen anhand der verschiedenen Stellungen des Mittelterms in den drei syllogistischen Figuren untersucht, formal-logische Gründe dafür anbringt, wieso ein Zeichen notwendig oder nicht notwendig ist. Es geht hier um die Form, nicht um den Inhalt. 115 In Rhetorica verwendet Aristoteles den Gegensatz partikulär– universell (καϑ’ ἕκαστον – καϑόλου), um das Zeichen in logischer Hinsicht zu klassifizieren. Ein partikuläres Zeichen ist zu verstehen als »[…] singular indicative premiss from which, with the help of a further singular premiss, a universal conclusion is derived.« (Weidemann, 1989, S. 347) Ein universelles Zeichen »[…] is a universal indicative premiss from which, with the help of an additional singular premiss, a singular conclusion is derived.« (Weidemann, 1989, S. 347) Ein partikuläres Zeichen wäre zu finden im Pittakos-Beispiel aus An. pr. 116 Zwei singuläre Prämissen sollen die universelle Konklusion beweisen; weil das aber schon formal unmöglich ist, gibt es bei den partikulären Zeichen auch keine notwendigen, also beweisenden Zeichen. Nur bei den universellen Zeichen sind diese möglich, nämlich genau dann, wenn eine universell-affirmative Prämisse, als Zeichen, in Verbindung mit einer partikulär-affirmativen Prämisse mit Notwendigkeit zur entsprechenden partikulären Konklusion führt. 117 Das Schwangeren-Beispiel aus An. pr. beinhaltet ein notwendiges Zeichen. Diese Betrachtungen zeigen, dass Aristoteles im Kontext von An. pr. und Rhet. das Zeichen vor dem Hintergrund einer logischrhetorischen Funktion diskutiert. Nur sekundär ist das Zeichen als natürlich zu charakterisieren, und zwar insofern, als sich ein sprachlicher Ausdruck auch immer auf natürliche Sachverhalte bezieht. Dass aber Rauch ein Zeichen für Feuer ist, wird hier nicht unter naturwissenschaftlichem Aspekt betrachtet, also inwiefern Feuer Rauch verursachen kann und inwiefern diese beiden natürlichen PhänomeVgl. An. pr. II, 27, 70a29–39. Lediglich in einem Beispiel aus Rhet. scheint ein inhaltlich-empirischer Punkt hinsichtlich der Beweiskraft eines Zeichens gemacht zu werden. Das Beispiel lautet: Ein Zeichen für Fieber ist heftiger Atem (οἷον εἴ τις εἴπειεν ὅτι πυρέττει σημεῖον εἶναι, πυκνόν γάρ ἀναπνεῖ, I, 2, 1357b18–19). Aristoteles führt dieses Beispiel im Rahmen der Diskussion universeller Zeichen, die aber nicht notwendig, also widerlegbar sind, an. 116 In Rhet. lautet das analoge Beispiel: Die Weisen sind gerecht, da Sokrates weise und gerecht war: οἱ σοφοί δίκαιοι, Σωκράτης γάρ σοφός ἦν καί δίκαιος, I, 2, 1357b12–13. 117 Aristoteles nennt diese Fälle auch ἀλύτος, also unbestreitbar. 115
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ne zusammenhängen, sondern der logische Aspekt steht im Vordergrund. Das formale Verhältnis der dieses natürliche Phänomen beschreibenden Prämissen zur Konklusion steht zur Debatte und nicht das natürliche Verhältnis der beschriebenen Ereignisse. Bei der Formulierung einer Zeichenrelation achtet Aristoteles nicht auf die Frage, warum die beweisenden Prämissen wahr sind, sondern untersucht die pragmatischen und in der Folge auch die logischen Aspekte der Frage, wann eine als wahr gesetzte Prämisse als ein Zeichen für die Wahrheit der Konklusion angeführt wird und inwiefern eine logische Rechtfertigung für diese Anführung besteht. 118 Interessanterweise verwendet Aristoteles in seinen Erörterungen ein ähnliches Beispiel wie Kretzmann, anhand dessen der Unterschied zwischen einem logisch und einem natürlich verstandenen Zeichen nun dargestellt werden soll. Aristoteles’ Beispiel lautet: Jemand ist krank, weil er Fieber hat. 119 Das ähnelt zunächst dem Kretzmann’schen Verständnis von Zeichen, der zur Illustration das Symptom als Zeichen für Krankheit anführt: Die Krankheit verursacht das Symptom, deswegen ist es ein Zeichen für die Krankheit. In diesem Zeichenverhältnis steckt eine Behauptung über reale Verhältnisse. Wenn man sich Aristoteles’ Argumentation zum notwendigen Zeichen aus An. pr. ansieht, dann erkennt man, dass es hier nicht um Behauptungen über reale, sondern über logische Verhältnisse geht. Das zugegebenermaßen verkürzte Argument lautet, dass das Zeichen deswegen notwendig, d. h. unwiderlegbar ist, weil es universell ist. 120 Das verweist zurück auf die logische Unterscheidung von partikulären und universellen Zeichen aus Rhet. Ein universelles Zeichen ist genau dann notwendig, wenn eine partikuläre Konklusion aus einer universellen und einer partikulären Prämisse mit Notwendigkeit folgt, d. h. wenn ein entsprechender gültiger Modus aus einer der drei Figuren vorliegt. Da sich Aristoteles auf affirmative Prämissen beschränkt, kommen nur die erste und die dritte Figur in Frage. In der ersten Figur ist der Modus Darii ein Garant für notwendige Zeichen, was Aristoteles auch mit Beispielen, sowohl in An. pr. als auch in Aristoteles geht in seinen Beispielen immer von wahren Prämissen bzw. Zeichen aus und stellt sich die Frage, wann diese zu einer falschen Konklusion führen. Vgl. An. pr. II, 27, 70a37–38: ἀληϑές μέν οὖν ἐν ἅπασιν ὑπάρξει τοῖς σημείοις, διαφοράς δ’ ἔχουσι τάς εἰρημένας. Diese Frage wird mit Hinweis auf formale Eigenschaften der entsprechenden Syllogismen beantwortet. 119 Vgl. Rhet. I, 2, 1357b14–15. 120 Vgl. An. pr. II, 27, 70b29–31. 118
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Rhet., darstellt. Weil ein universelles Zeichen in der ersten Figur in eine gültige Form eingebettet werden kann, kann es auch notwendig sein. Diese Möglichkeit besteht auch für die dritte Figur im Modus Disamis. Jedoch diskutiert Aristoteles nur ein partikuläres Zeichen als Beispiel der dritten Figur, das prinzipiell keiner gültigen Form folgen kann. Das Pittakos-Beispiel ist aufgrund der Stellung des Mittelterms in der dritten Figur zu verorten; »Pittakos« liegt in beiden Prämissen an Subjektstelle, was charakteristisch für die dritte Figur ist. Aufgrund der quantitativen Struktur des vermeintlichen Syllogismus, beide Prämissen sind partikulär und die Konklusion universell, kann hier aber von vornherein kein gültiger Syllogismus vorliegen. Das ist eine rein formale Bestimmung, unabhängig vom jeweiligen Inhalt. Diese Erörterungen zeigen, dass in dem Kontext, in dem Wheeler den ursprünglichen Sinn von »Zeichen« zu erkennen glaubt, gerade nicht ein natürliches, sondern ein logisch-rhetorisches Verständnis vorherrscht. 121 Was bedeutet das aber für die Interpretation des Ausdrucks σημεῖον in De int.? Liegt hier diese logisch-rhetorische Bedeutung vor? Und müsste man dann dennoch eine Heteronymität von »Zeichen« und »Symbol« annehmen, da die logische Funktion des Zeichens ja definitiv verschieden ist von der semantischen Funktion des Symbols? Wenn man sich Beispiele ansieht, in denen Aristoteles die logische Zeichenfunktion selbst als rhetorische Technik anwendet, ergibt sich ein eindeutiger Hinweis darauf, dass sich der Zeichenbegriff aus An. pr. und Rhet. gerade nicht mit dem aus De int. deckt. Ein berühmtes Beispiel findet sich ganz am Anfang von Met.: Πάντες ἄνϑρωποι τοῦ εἰδέναι ὀρέγονται φύσει. σημεῖον δ’ ἡ τῶν αἰσϑήσεων ἀγάπησις. Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen. Ein Zeichen hierfür ist die Neigung zur Wahrnehmung [die allen Menschen gemein ist]. Met. I, 1, 980a22–23
Der erste Satz stellt die zu beweisende Konklusion in einem Syllogismus dar. Zu diesem Zweck führt Aristoteles den zweiten Satz als beweisende Prämisse, also als Zeichen, an. Strenggenommen ist das Zeichen kein Satz, sondern eine Nominalphrase: Die Neigung zur Auch ein Blick in den Bonitz’schen Index offenbart, dass Aristoteles »Zeichen« zumeist in diesem Sinne verwendet. Vgl. Bonitz, 1870, S. 677.
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Wahrnehmung. Wie aber festgestellt wurde, kann ein Zeichen auch im Sinne des Mittelterms eines Syllogismus verstanden werden, und genau das ist im vorliegenden Beispiel der Fall. Mit M »Neigung zur Wahrnehmung« soll die Konklusion S-P »Alle Menschen streben nach Wissen« bewiesen werden. Man muss also entsprechend ergänzen, um den vollständigen Syllogismus zu erhalten: Die Oberprämisse (M-P) lautet: »Die bzw. jede Neigung zur Wahrnehmung ist ein Streben nach Wissen«, die Unterprämisse (S-M): »Alle Menschen besitzen die Neigung zur Wahrnehmung«. Mit dem Modus Barbara der ersten Figur ergibt sich die Wahrheit der Konklusion (S-P): »Alle Menschen streben nach Wissen«. In der Folge versucht Aristoteles dann auch die Wahrheit der beiden Prämissen zu untermauern. 122 Sieht man sich die besagte Stelle aus De int. vor diesem Hintergrund nochmal genauer an, bemerkt man gewichtige Unterschiede: ὧν μέντοι ταῦτα σημεῖα πρώτων, ταὐτά πᾶσι παϑήματα τῆς ψυχῆς, Die mentalen Zustände, wovon diese [i. e. die sprachlichen Ausdrücke] in erster Linie Zeichen sind, sind bei allen [Menschen] dieselben. De int. 1, 16a6–7
Schon die Formulierung im Plural weist darauf hin, dass hier »Zeichen« nicht in logisch-rhetorischem Sinne verwendet wird. Die Sprache bildet hier nicht das Zeichen im Sinne eines Mittelterms, der eine bestimmte Konklusion beweisen soll. Es geht hier nicht um das konkrete inhaltliche Verhältnis von logisch-rhetorischen Einheiten zueinander, sondern um das formale Verhältnis von semantisch relevanten Einheiten. Es ist ja auch überhaupt nicht klar, für welchen Satz der Mittelterm »Sprache« denn ein logisch verstandenes Zeichen sein sollte. Es heißt lediglich, dass die Sprache ein Zeichen für mentale Zustände ist. Also ein Zeichen für eine Entität, nicht für einen Satz bzw. eine Konklusion, die dadurch bewiesen werden soll. Die sprachliche Umgebung von σημεῖον in De int. harmoniert nicht mit dem logisch-rhetorisch verstandenen Zeichenbegriff, wie er in An. pr. und Rhet. entwickelt wird. All das deutet darauf hin, dass der AusZunächst betont Aristoteles, dass wir die Wahrnehmung im ästhetischen Sinne als Selbstzweck schätzen, nicht nur hinsichtlich ihrer biologischen Funktion, und dass die visuelle Wahrnehmung dabei heraussticht. Der Bezug zum Wissen wird hergestellt, indem Aristoteles betont, dass wir mittels visueller Wahrnehmung am ehesten von der Welt wissen (γνωρίζειν, 980a27) und dadurch Unterschiede offenbar werden (πολλάς δηλοῖ διαφοράς, 980a28).
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druck »Zeichen« keine eigenständige Bedeutung in De int. besitzt, sondern vielmehr als Synonym von »Symbol« zu verstehen ist. Dementsprechend hat auch Weidemann gegen Kretzmann und die Überinterpretation der vorhandenen sprachlichen Differenzierung von »Zeichen« und »Symbol« völlig zu Recht angemerkt, dass der Ausdruck σημεῖον, das dazugehörige Adjektiv σημαντικός bzw. das Verb σημαίνειν in den folgenden Kapiteln von De int. eng mit der Symbolfunktion und der formal-semantischen Frage, welche Art sprachlicher Ausdrücke sich auf welche Art von Entitäten beziehen, verknüpft ist. 123 Das bedeutet, dass »Symbol« und »Zeichen« in sehr enger inhaltlicher Verbindung stehen, die auch am aristotelischen Text nachgewiesen werden kann, und somit eine systematische Differenzierung von »Zeichen« und »Symbol« im SGG nicht zu begründen ist. 124
Eine Differenzierung Eine etwas differenziertere Interpretation, die einen Unterschied sieht in der Bedeutung von konventionellem Symbol und natürlichem Zeichen, bietet Pépin: 125 Er sieht die Symbolbeziehung zwischen Gedanke (νοήμα) und Subjekt (ὄνομα) bzw. Prädikat (ῥῆμα) auf der einen Seite, die Zeichenbeziehung zwischen Vorstellungen (φαντασία) und den »unstrukturierten Geräuschen« (ἀγράμματοι ψόφοι) auf der anderen Seite. Unter Element C subsumiert Pépin sowohl den Gedanken (νοήμα) als auch die Vorstellung (φαντασία), unter Element B sowohl menschliche, bedeutungsvolle Laute (u. a. ὄνομα/ῥῆμα) als auch die ἀγράμματοι ψόφοι, die Pépin als Tierlaute versteht. Auch wenn diese differenziertere Sichtweise vielleicht besser mit den genannten Schwierigkeiten umgehen könnte (so wird etwa die kausale Beziehung hier nur auf »naturverhaftete« Sprache bezogen), so ist sie doch aus folgendem schwerwiegenden Grund unhaltbar: Mit dem Element B können im ersten Kapitel nicht die ψόφοι Vgl. Weidemann, 1982, S. 244–245. Als Beispiel sollen hier die Ausführungen zum ὄνομα in De int. 2, 16a19–16b5 dienen. Es wird dort als φωνή σημαντική bestimmt, dessen Teile für sich nichts bedeuten (οὐδέν καϑ’ αὑτό σημαίνει); eine Lauteinheit wird erst dann ein zu einem ὄνομα, wenn es, per Übereinkunft, zu einem σύμβολον gemacht wurde. Vgl. auch die Ausführungen zum ῥῆμα, De int. 3, 16b6–10. 125 Vgl. Pépin, 1985, S. 29–44. 123 124
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ἀγράμματοι gemeint sein. Wenn die Ergebnisse aus dem Kapitel 3 über Element B zutreffen, dann folgt daraus, dass die in De int. 2, 16a29 erwähnten ἀγράμματοι ψόφοι gar nicht unter τά ἐν τῇ φωνῇ aus De int. 1, 16a3 subsumiert werden können. Es wurde gerade dafür argumentiert, dass die ἀγράμματοι ψόφοι als Gegenpart der φωνή σημαντική fungieren, und dass mit τά ἐν τῇ φωνῆ nichts anderes gemeint ist als eben jene φωνή σημαντική. Im SGG haben die »unstrukturierten Geräusche« gar keinen Platz und deswegen ist auch dieser Erklärungsansatz von Pépin von vornherein unterminiert, auch wenn er auf den ersten Blick vielleicht reizvoll wirkt.
4.3. Oder doch πρῶτον? Die Lesart πρῶτον stellt eine weitere Möglichkeit der Interpretation dar, die schon von Thomas von Aquin in Betracht gezogen wurde. πρῶτον ist ein Adjektiv, das das Element D näher beschreibt; mit dieser Lesart wird auf den Ausdruck πρῶτα νοήματα Bezug genommen, der in De an. auftaucht. 126 Die Elemente A und B sind also Zeichen bzw. Symbole der πρώτα νοήματα, die den δεύτερα νοήματα, den verbundenen Gedanken, gegenübergestellt werden Mit dieser Lesart legt man sich gleichzeitig auf eine inhaltliche Bestimmung des Elements C, nämlich als νόημα, fest. Diese Position wurde von Weidemann referiert und abgelehnt. Er kommt zu dem Schluss, dass es keine textliche Grundlage für die Sichtweise gibt, dass Aristoteles »[…] unter den Äußerungen der Stimme, von denen er in der ersten Hälfte des Kapitels spricht, nur diejenigen stimmlichen Äußerungen verstanden wissen [wolle, S. L.], welche die erste der beiden Klassen bilden, zwischen denen er in der zweiten Hälfte des Kapitels unterscheidet – nämlich nur die mit der Stimme geäußerten Nenn- und Aussagewörter, die für sich allein weder wahr noch falsch sind […].« (Weidemann, 2014, S. 144–145) O’Callaghan hat diese Lesart mit explizitem Bezug zu Thomas jedoch wieder aufgenommen: »[…] he [i. e. Thomas von Aquin, S. L.] takes it to be making a distinction between the different thoughts that are signified analogously by words taken in isolation (the subject matter of the Categories) and words taken as elements of assertoric sentences (the proper subject matter of the De interpretatione). […] 126
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Vgl. De an. III, 8, 432a11–14.
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Fazit
Aquinas identifies these latter [i. e. verbundene] with the second act of intellect in which truth and falsity are attained, and so they can be taken to be »second« thoughts. Words taken in isolation (the Categories) are related to »first« thoughts, while words taken in assertoric sentences (the De interpretatione) are related to »second« thoughts.« (O’Callaghan, 2004, S. 513–514) Letztlich scheint die dritte Lesart an dem schwerwiegenden, von Weidemann dargelegten Mangel zu leiden, dass eine Betonung der einfachen Ausdrücke gegenüber den aus diesen zusammengesetzten komplexen Ausdrücken an dieser Stelle überhaupt keinen Sinn ergibt.
4.4. Fazit Auch wenn sich die Lesart-Problematik auf philologischer Ebene nicht endgültig lösen lässt, so weisen die inhaltlichen philosophischen Aspekte auf die Interpretationsvariante hin, die die Ausdrücke »Zeichen« und »Symbol« als Synonyma setzt. Aufgrund dieser inhaltlichen Aspekte liegt also die Lesart πρώτων nahe, die dann zur Annahme der folgenden Relationen führt: BxC: Die Sprache ist Symbol der mentalen Zustände. AxB: Die Schrift ist Symbol der Sprache. ByC: Die Sprache ist Zeichen der mentalen Zustände (identisch mit BxC). ByD: Die Sprache ist Zeichen der Dinge (identisch mit BxD). Es wurde zu Beginn dieses Kapitels darauf hingewiesen, dass es sehr plausibel ist, Aristoteles vor dem Hintergrund der unstrittigen Symbolrelation BxC und der ebenso unstrittigen Ähnlichkeitsrelation CzD auch die implizite Annahme der Symbolrelation BxD zuzuschreiben. Auch wenn die Bestimmung von Element C und D zu diesem Zeitpunkt noch aussteht, kann man prima facie annehmen, dass es sich bei Element C um einen mentalen Zustand handelt, der sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, der den Inhalt dieses mentalen Zustands festlegt. Diese intentionale Beziehung zwischen mentalem Zustand und intendiertem Gegenstand wird von Aristoteles mit der Ähnlichkeitsrelation z umschrieben. Wenn eine Symbolbeziehung zwischen einem sprachlichen Ausdruck und einem bestimmten mentalen Gehalt besteht, dann ist es nur konsequent, Sprache, Bedeutung, Geist
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diese Beziehung auch zwischen diesem Ausdruck und dem Gegenstand, der den mentalen Gehalt bestimmt, zu postulieren. Dass es sich dabei um eine sekundäre, durch den mentalen Zustand vermittelte Beziehung handelt, wird durch das πρώτων deutlich gemacht. Was aber macht nun diese Relation aus? Wie schon erwähnt, ist die Konventionalität eine herausragende Eigenschaft eines Symbols. Es handelt sich um eine willkürliche Festsetzung eines sprachlichen Ausdrucks als Stellvertreter für ein Ding, einen Gegenstand, einen Sachverhalt, einen Gedanken. Eine weitere wichtige Eigenschaft eines Symbols ist, dass die Relata einer Symbolrelation jeweils auf verschiedene Weise realisiert sind; die Funktion eines Symbols besteht darin, das Symbolisierte unabhängig von dessen Vorkommnis und gleichzeitig öffentlich zugänglich zu machen. Der »Vorteil« der geschriebenen gegenüber der gesprochenen Sprache ist, dass sie unabhängig von einer konkreten sprachlichen Äußerung zugänglich ist; das »Material« der gesprochenen Sprache ist ungleich vergänglicher als das der geschriebenen. Die unterschiedliche Realisierung der Relata lässt sich hier nachvollziehen, indem man auf die verschiedenen Vermögen hinweist, die benötigt werden, um die gesprochene bzw. geschriebene Sprache zu verstehen: Gesprochenes wird mittels akustischem Sinn gehört, Geschriebenes mittels visuellem Sinn gelesen. Gäbe es die geschriebene Sprache nicht, könnten wir heute nicht darüber diskutieren, was Aristoteles gelehrt und gedacht hat. Dass Aristoteles etwas geschrieben hat, ermöglicht es uns dagegen, unabhängig von seinen konkreten Äußerungen von vor zweieinhalbtausend Jahren, genau diese Diskussionen zu führen. Etwas komplizierter verhält es sich bei der Symbolbeziehung zwischen gesprochener bzw. geschriebener Sprache auf der einen und den mentalen Zuständen bzw. den Dingen auf der anderen Seite. Da mentale Zustände nicht öffentlich zugänglich sind, wird die gesprochene Sprache als erste Symbolisierungsstufe benötigt, um überhaupt einen intersubjektiven Zugang und damit eine Sprach- und Wissensgemeinschaft zu ermöglichen. 127 In dieser ersten SymbolisieZwar sagt Aristoteles im Rahmen des SGGs, dass die mentalen Zustände bei allen Menschen dieselben, also identisch sind (ταὐτά πᾶσι παϑήματα τῆς ψυχῆς, 16a6–7). Diese Behauptung birgt aber keine Probleme für die These der Subjektivität bzw. Privatheit mentaler Zustände. Diese Identitätsbehauptung bezieht sich nämlich auf den Gehalt des mentalen Zustands, der wiederum abhängig ist von außermentalen und objektiven Realitätsstrukturen. Aristoteles hat sich dem Phänomen und Problem der Subjektivität oder der Privatheit von mentalen Zuständen oder gar solipsistischen
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Fazit
rungsstufe ist dann auch die eigentlich semantische Relation zu sehen, weil hier nicht verschiedenartige Realisationen sprachlicher Ausdrücke, die immer schon bedeutsam sein müssen, in Beziehung zueinander gebracht werden, sondern die Bedeutung generierende Beziehung zwischen Sprache und Welt festgelegt wird. Es gibt bei Aristoteles keine herausragende semantische Beziehung zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Sprache. 128 Sowohl der geschriebene als auch der gesprochene Ausdruck erhalten ihre Bedeutung durch den Bezug auf die Elemente C und D. Die Symbolbeziehung, die zwischen den Elementen A und B auf der einen und den Elementen C und D auf der anderen Seite besteht, ist die in semantischer Hinsicht eigentlich interessante. Auch hier ist die oben beschriebene Charakteristik des Symbols vorzufinden, also die Konventionalität des Symbols, sowie die verschiedenartige Realisierung von Symbol und Symbolisiertem. Sprache, auch die gesprochene Sprache, ist eine Konvention. Es liegt ebenso ein Unterschied in der Realisierung vor, der sich aber in der Art und Weise von demjenigen, der zwischen Element A und B vorliegt, entscheidend abhebt. Der Realisierungsunterschied zwischen Element A und B wurde anhand der Vermögen dargestellt, die zum Verstehen des Symbols notwendig sind. Bei der gesprochenen Sprache ist dies das Gehör. Sehen wir uns nun eine Passage an, in der Aristoteles diese Funktion des Gehörs näher beschreibt: ἡ δ’ ἀκοή τάς τοῦ ψόφου διαφοράς μόνον, ὀλίγοις δέ καί τάς τῆς φωνῆς. κατά συμβεβηκός δέ πρός φρόνησιν ἡ ἀκοή πλεῖστον συμβάλλεται μέρος. ὁ γάρ λόγος αἴτιός ἐστι τῆς μαϑήσεως ἀκουστός ὤν, οὐ καϑ’ αὑτόν ἀλλά κατά συμβεβηκός: ἐξ ὀνομάτων γάρ σύγκειται, τῶν δ’ ὀνομάτων ἕκατον σύμβολόν ἐστιν. 129 Das Gehör erfasst nur die Unterschiede der Geräusche, bei wenigen auch die der Sprache. Akzidentellerweise ist das Gehör der Teil, der am meisten zur Gedanken in keiner Weise gewidmet. Das liegt aber nicht daran, dass er etwa den subjektiven Charakter von mentalen Zuständen geleugnet hätte, sondern eher daran, dass er durch seine grundsätzlich realistische Ausrichtung für subjektivistisches und solipsistisches Gedankengut relativ unempfänglich war. 128 Das gilt aber nur aus der idealsprachlichen Sichtweise. Die Sprechakttheorie weist in berechtigter Weise darauf hin, dass mit dem Äußern eines Ausdrucks auch Bedeutungen transportiert bzw. modifiziert werden. 129 Der griechische Text folgt der Loeb-Ausgabe. Sprache, Bedeutung, Geist
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Vernunft beiträgt. Denn die menschliche Sprache ist, weil hörbar, die Grundlage des Lernens, aber nicht an sich, sondern akzidentell. Denn sie setzt sich aus Subjekten [ὀνόματα] zusammen und jedes Subjekt ist ein Symbol. Sens. 1, 437a9–15
Der wichtige Punkt ist, dass in epistemischer Hinsicht die Symbole nur akzidentell in Bezug auf die erfassenden Vermögen relevant sind. Dabei sind die jeweiligen Vermögen insofern funktional, als sie Unterschiede ihrer Objekte, die jeweiligen Gegenstände der Erkenntnis, erfassen können. Die visuelle Wahrnehmung erfasst etwa die farblichen Unterschiede, die akustische Wahrnehmung die Unterschiede im Ton. Hinsichtlich des Wissens, der Vernunft oder des Lernens sind aber die Gegenstände nicht die sinnlich erfassbaren Gegenstände, wie z. B. die sprachlichen Ausdrücke. Diese transportieren lediglich den eigentlichen Gehalt des Wissens – sie sind eben bloß Symbole. Deswegen nennt Aristoteles das Gehör das Vermögen, das akzidentellerweise am meisten zur Vernunft beiträgt. Denn weder findet Verstehen durch das bloße Hören von Worten statt noch sind die sprachlichen Ausdrücke an sich Objekte der Erkenntnis. Vom Standpunkt der Erkenntnis aus gesehen, handelt es sich bei der gesprochenen und der geschriebenen Sprache nur um akzidentelle »Beiträge«, während die eigentlichen Objekte des Wissens an sich erfasst werden. Die Sprache ist lediglich ein Medium, die den eigentlich relevanten Inhalt der Erkenntnis symbolisiert und ihn damit öffentlich zugänglich macht. Demnach erscheint die Symbolrelation im SGG in zweifacher Funktion: Die primäre Symbolisierungsstufe besteht zwischen den mentalen oder realen Inhalten (Elemente C und D) und den korrespondierenden sprachlichen Ausdrücken (Elemente A und B); auf dieser Stufe findet die elementare Bindung von Sprache und Welt statt. Die sekundäre Symbolisierungsstufe besteht zwischen verschiedenen Formen des sprachlichen Ausdrucks, zwischen geschriebener und gesprochener Sprache, zwischen Element A und B. Aufgrund dieser Tatsache lässt sich der vorhandenen Differenzierung von Zeichen und Symbol womöglich ein ganz neuer Sinn abgewinnen. Wenn die hier präsentierte Charakterisierung des Symbols anhand der Eigenschaften der Konventionalität und der unterschiedlichen Realisierung der Relata zutrifft, bedeutet das, dass die eben dargestellte Differenzierung der beiden Symbolisierungsstufen nicht berücksichtigt ist. Des100
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Fazit
wegen kann man mutmaßen, dass die Zeichenrelation von Aristoteles aus dem Grund zusätzlich zur Symbolrelation eingeführt wurde, um diese beiden Symbolisierungsstufen zu unterscheiden. Der primären Symbolisierungsstufe kommt die eigentliche semantische Funktion zu, die in De intepretatione ja oft genug mit dem Verb σημαίνειν umschrieben wird; dementsprechend wäre der Ausdruck σημεῖον nicht im Sinne eines Zeichens, das mit der Konnotation der Natürlichkeit dem konventionellen Symbol gegenübersteht, sondern als Spezifikation des Symbols zu verstehen. Und diese Spezifikation bestünde darin, dass nicht die verschiedenartigen Darstellungen von Inhalten durch die Sprache in Relation gesetzt werden (AxB), sondern dass durch diese genuin semantische Symbolfunktion die Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke erst festgestellt wird (BxC, ByC, ByD). Wenn also das eigentliche Interesse der primären Symbolisierung gilt, dann lautet die Frage: Worum genau handelt es sich bei diesen Entitäten, den Elementen C und D, die durch die Sprache symbolisiert werden? Was ist es, das für die Bedeutsamkeit sprachlicher Ausdrücke »verantwortlich« ist? Diese Fragen stehen im Zentrum des nächsten Kapitels.
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5. Elemente C und D
Die bisherigen Untersuchungen hatten zwei Ergebnisse zur Folge: Erstens ist für Aristoteles die Möglichkeit zur semantischen Analyse das grundlegende Charakteristikum menschlicher Sprache, im Gegensatz zu anderen Kommunikationsformen, derer auch nichtmenschliche Lebewesen fähig sind. Das hat die Analyse des Elements B ergeben. Wir werden diesem Aspekt wiederbegegnen, wenn die These untersucht wird, inwiefern der Mensch, um überhaupt Sprache und Wissen(schaft) hervorbringen zu können, über apriorisches Wissen oder apriorische Fähigkeiten verfügen muss; und es wird sich zeigen, dass etwas in der Form von Aristoteles angenommen wird, nämlich eine Fähigkeit, die darin besteht, perzeptive Gehalte in semantische Gehalte zu überführen. Die nun folgenden Ausführungen knüpfen aber zunächst an jene Ergebnisse an, die die Untersuchungen über die Relationen x und y zu Tage gebracht haben.
5.1. Systematische Vorbemerkungen Als die für die Bedeutung relevante Relation wurde die Symbolrelation zwischen Element B und C bzw. Element B und D identifiziert. Die Tatsache, dass bei Aristoteles die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks auf seine Symbolfunktion zurückgeführt wird, bedeutet, dass er systematisch für einen semantischen Repräsentationalismus votiert: Ein sprachlicher Ausdruck erhält seine Bedeutung dadurch, dass er für etwas anderes steht. Dieser Repräsentationalismus ist bei Aristoteles von zweifacher Art, denn ein Ausdruck symbolisiert zum einen einen mentalen Zustand, zum anderen das korrespondierende »Ding«. Der Zusammenhang zwischen Element C und D, die in einer Ähnlichkeitsrelation zueinander stehen (CzD), wird noch zu untersuchen sein. Zunächst werden diese beiden Varianten des semantischen Repräsentationalismus aus systematischer Sicht beleuchtet 102
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Systematische Vorbemerkungen
und problematisiert, um danach diese Aspekte mit den relevanten aristotelischen Positionen und Äußerungen abzugleichen. Die These, dass man Aristoteles als semantischen Repräsentationalisten verstehen muss, scheint einige systematische Ansätze, die in der modernen Sprachphilosophie diskutiert werden, von vornherein auszuschließen, v. a. die sogenannten Gebrauchstheorien der Bedeutung (meaning-is-use). Allerdings ist es bemerkenswert, dass Aristoteles das Erlernen des richtigen Gebrauchs von sprachlichen Ausdrücken durchaus berücksichtigt: καί τά παιδία τό μέν πρῶτον προσαγορεύει πάντας τούς ἄνδρας πατέρας καί μητέρας τάς γυναῖκας, ὕστερον δέ διορίζει τούτων ἑκάτερον. Die Kinder bezeichnen auch zuerst alle Männer als Väter und [alle] Frauen als Mütter, erst danach unterscheiden sie jeden einzelnen [Elternteil] davon. Phys. I, 1, 184b12–14
Das Erlernen der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken ist einem trial-and-error-Verfahren ähnlich, indem ein Ausdruck nach und nach aufgrund des elterlichen (und gesellschaftlichen) Einflusses, also Lob bei richtigem bzw. Tadel bei falschem Gebrauch, in seiner Bedeutung fixiert wird. Zuerst erkennt man, dass das Wort »Vater« auf männliche Menschen angewandt wird, weswegen alle Männer Väter sind. Erst nach und nach erfasst man, auch vor dem Hintergrund eines stetig wachsenden Erfahrungswissens von der Welt, was einen Vater von anderen Männern unterscheidet. Der Beitrag, den der Gebrauch beim Erlernen der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks bei Aristoteles spielt, ist also nicht gleich Null. Die Betonung der Symbolrelation im Rahmen der Bedeutungsfrage lässt es aber in theoretischer Hinsicht unumgänglich erscheinen, Aristoteles als Vertreter eines Repräsentationalismus zu verstehen, auch wenn er das praktische Erlernen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke anhand ihres Gebrauchs erläutert. 130 Die beiden Varianten des Repräsentationalismus lassen sich einerseits als realistischen und andererseits als mentalistischen Ansatz etikettieren. Im ersten Fall repräsentieren
Dieser Unterschied soll im Folgenden noch verdeutlicht werden. Der Grundgedanke ist, dass man sich aufgrund einer konsistenten Theorie gezwungen sieht, dass jeder bedeutsame sprachliche Ausdruck einen Referenten hat; dies ist der formale Aspekt der Bedeutungsfrage. Die Tatsache aber, dass der richtige Gebrauch von sprachlichen Ausdrücken erlernt werden muss, wurde als epistemischer Aspekt eingeführt.
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sprachliche Ausdrücke die realen Dinge in der Welt und erhalten durch diese Relation ihre Bedeutung; im zweiten Fall repräsentieren sprachliche Ausdrücke nicht die außermentalen Dinge, sondern unsere jeweiligen subjektiven Vorstellungen (von realen, aber möglicherweise auch nicht-realen Dingen oder Sachverhalten). 131 Im Folgenden soll ein jeweils knapper systematischer Blick auf beide Varianten des semantischen Repräsentationalismus geworfen werden. Dabei handelt es sich ausdrücklich um naive Darstellungen, um die jeweiligen Probleme klar hervortreten zu lassen und schließlich einen Abgleich mit dem aristotelischen Ansatz vollziehen zu können. Die Darstellung zweier naiver Bedeutungstheorien soll dazu dienen, einen systematischen Rahmen für die weitere Exegese der aristotelischen Texte zu entwickeln. Dieser Rahmen orientiert sich am SGG aus De int. 1, soll aber Ansätze moderner Bedeutungstheorien mit einbeziehen. Das heißt also, es werden grundlegende Aspekte der modernen Diskussion dazu verwendet, die aristotelischen Äußerungen zur Bedeutungsthematik entsprechend einzuordnen und zu bewerten. Der erste Schritt besteht in der Formulierung einer naiv-realistischen Bedeutungstheorie. Dabei wird angenommen, dass die Bedeutung eines Ausdrucks in dem Gegenstand, den er bezeichnet, besteht. Es wird sich zeigen, dass eine einfache Beziehung zwischen Ausdruck und Ding, zwischen Sprache und Wirklichkeit nicht besteht, und zwar nicht einmal bei den sprachlichen Ausdrücken, bei denen man am ehesten von einem direkten und einfachen Bezug zwischen diesen beiden Ebenen ausgehen könnte: den Eigennamen In den Vordergrund tritt ein epistemischer Aspekt in Form der Frage, wie wir von der Wirklichkeit, den Gegenständen und Sachverhalten in der Welt, über die wir sprechen, überhaupt wissen. In einem zweiten Schritt wird eine naiv-mentalistische Bedeutungstheorie entwickelt. Die Grundannahme lautet hier, dass die Bedeutung eines Ausdrucks durch die mentale Entität – eine Idee, eine Vorstellung oder, wie man sehen wird, ein Konzept –, die dieser Ausdruck bezeichnet, festgelegt wird. Sprache bezieht sich demnach nicht
Wheeler bezeichnet diese beiden Varianten als »denotational« und »ideational theory of meaning« und kommt dahingehend zu folgenden Schluss: »Aristotle’s general theory emerges as a remarkably flexible account of the relations among linguistic signs, mental images, and real things.« (Wheeler, 1999, S. 192) Diese Einschätzung der aristotelischen Semantik wird sich auch in der vorliegenden Arbeit bestätigen.
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Systematische Vorbemerkungen
primär auf reale, sondern auf mentale Dinge. In der Problemdiskussion wird offenbar, dass es eine isoliert mentale Sphäre nicht geben kann, sondern dass mentale Zustände und Entitäten immer Repräsentationen sind, d. h. sich auf etwas Außermentales, zumindest auf etwas Objektives beziehen und dadurch ihren Gehalt, durch den sie Bedeutungsträger werden können, erhalten; schließlich sprechen wir zumeist von Dingen und Sachverhalten außer uns, und selbst wenn wir über Subjektives sprechen, muss ein objektiver Bezugsrahmen garantiert sein. Auch wenn die mentale Sphäre den Vorteil hat, über das Reale hinausgehen zu können (und es somit erklärbar wird, dass wir über Dinge sprechen können, die nicht existieren), muss dieser intentionale und objektive Bezugsrahmen mentaler Entitäten erklärt werden. Im Rahmen der Diskussion darüber, was mentale Entitäten sind und wie sie mit der außermentalen Wirklichkeit zusammenhängen, taucht also wiederum die Frage auf, wie unser epistemischer Zugang zur Welt strukturiert ist. Wie schon erwähnt ist die Darstellung dieser beiden naiven Theorien motiviert durch die doppelte Symbolfunktion der Sprache im SGG. Dort bezieht sich Sprache einerseits auf Element C (τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα), andererseits auf Element D (τά πράγματα). Begegnet man diesen beiden Elementen in einer vortheoretischen, arglosen Weise, könnte man die beiden naiven Bedeutungstheorien als mögliche aristotelische Positionen annehmen. In der systematischen Durchsicht der beiden Ansätze werden einige Probleme diskutiert und die dadurch entstehenden systematischen Mängel und notwendigen Modifikationen formuliert. Schließlich soll gezeigt werden, dass in den aristotelischen Äußerungen zum Thema Bedeutung viele dieser Probleme berücksichtigt und behoben werden.
5.1.1. Dinge als Referenten sprachlicher Ausdrücke Eine naiv-realistische Theorie der Bedeutung Ausgehend von der folgenden Überlegung könnte man eine naivrealistische Theorie der Bedeutung entwickeln: Mit der Sprache nehmen wir Bezug auf konkrete Individuen, d. h. auf Dinge, die sich uns in vortheoretischer Hinsicht als unproblematische Einheiten der sinnlichen Erfahrung darbieten. Zum einen beziehen wir uns in grundsätzlicher Weise auf diese außersprachliche Erfahrungswelt, Sprache, Bedeutung, Geist
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wenn wir mit anderen kommunizieren – wenn wir sprechen, dann sprechen wir ja über die Welt und das, was darin vorgeht. Zum anderen ist es oft genug der Fall, dass wir uns mit einem sprachlichen Ausdruck auf ein ganz bestimmtes Ding in dieser Welt beziehen. Man spricht dann von diesem Ding, dem Individuum als dem Referenten des Ausdrucks. 132 Der Ausdruck bezieht sich auf etwas, und dieses Etwas konstituiert die Bedeutung des Ausdrucks. Wenn wir also den Referenten eines Ausdrucks kennen, dann kennen wir seine Bedeutung, und insofern bezeichnet man den sprachlichen Ausdruck als Symbol eines Dings. Eine solche naive Theorie der Bedeutung, die in sprachlichen Ausdrücken Repräsentationen der Dinge oder Gegenstände sieht, wird etwa von Wittgenstein im ersten Paragraphen seiner Philosophischen Untersuchungen dargestellt: »Jedes Wort hat eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist dem Wort zugeordnet. Sie ist der Gegenstand, für welchen das Wort steht.« (Wittgenstein, 2003, S. 12) 133 Wenn man in einem weiteren Schritt auch die Relation zwischen sprachlichem Ausdruck und mentalem Zustand in diese naiv-realistische Theorie mit einbeziehen möchte, so könnte man annehmen, dass zwischen der Wahrnehmung der Welt und der Welt selbst eine nicht weiter zu problematisierende Isomorphie herrscht, die eine getreue und transparente Abbildung der Dinge garantiert: Wenn man ein konkretes Individuum sieht, besitzt man ein transparentes mentales Abbild davon. 134 Wo sollte also das Problem sein, von Element D als Die Ausdrücke »Referenz« bzw. »Referent« werden hier in einem weiten und relativ untechnischen Sinn verwendet: Als Referent kann nicht nur eine reale, also außermentale, sondern auch eine mentale Entität verstanden werden (vgl. das nächste Kapitel); auch bei allgemeinen Ausdrücken kann sinnvoll nach einem Referenten gefragt werden. Der freie Gebrauch dieser Ausdrücke fügt sich in die repräsentationalistische Grundausrichtung der aristotelischen Semantik. 133 Es ist klar, dass Wittgenstein selbst diese Position ablehnt. Er spricht etwas später, in § 5, davon, dass diese Auffassung aufzeigt, »[…] inwiefern der allgemeine Begriff der Bedeutung der Worte das Funktionieren der Sprache mit einem Dunst umgibt, der das klare Sehen unmöglich macht.« (Wittgenstein, 2003, S. 14) Es wird sich aber zeigen, dass Aristoteles eine solch naive Position nicht vertreten hat. 134 Es hilft vielleicht ein Beispiel, um die Rede von der Transparenz mentaler Repräsentation zu verdeutlichen: Jemand sieht ein Gebäude. Es wird ihm gesagt, dass es sich bei diesem Gebäude um das Schloß Neuschwanstein handelt. Es ist ihm somit möglich, den singulären Term »Schloß Neuschwanstein« in Beziehung zu dem entsprechenden konkreten Individuum zu setzen. Die Transparenz mentaler Repräsentation liegt nun darin, dass dieser Jemand im Alltag keinen Unterschied macht zwischen dem außersprachlichen und außermentalen konkreten Individuum und seiner Wahrneh132
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Systematische Vorbemerkungen
den Dingen unserer Wirklichkeit und von Element C als den mentalen Abbildern dieser Dinge zu reden und zu behaupten, unsere Sprache bezieht sich auf diese mentalen Abbilder genauso, wie sie sich auf die abgebildeten Dinge bezieht? Die Bedeutung eines Ausdrucks liegt im extramentalen Ding, das wir wahrnehmen, bzw. im mentalen Abbild in unserem Geist, das sich durch diese Wahrnehmung des Dinges ergibt. Diese Dinge bzw. ihre Abbilder können wir sprachlich symbolisieren.
Probleme der »naiv-realistischen Theorie« Dass diese Theorie einige Schwierigkeiten mit sich bringt, ist augenscheinlich. Es werden zunächst allgemeine Ausdrücke als ein erstes Problem dargestellt. Die obige Darstellung der naiv-realistischen Theorie fußt auf der Betrachtung singulärer Ausdrücke, also Ausdrücke, die sich in direkter Weise auf einzelne Dinge, auf konkrete Individuen beziehen. Zwar bezieht man sich mit allgemeinen Ausdrücken auch auf konkrete Dinge, aber nicht im Sinne einer Identifikation (»x ist Sokrates«), sondern im Sinne einer Prädikation (»x ist ein Mensch« bzw. »Sokrates ist ein Mensch«). Die Bedeutung eines allgemeinen Ausdrucks kann mithin nicht auf ein konkretes Individuum zurückgeführt werden. Die Kernfrage lautet: Auf welche »Dinge« könnten allgemeine Ausdrücke referieren, um dadurch ihre Bedeutung zu erhalten? Wenn man keine realistische Position bezüglich der Referenten allgemeiner Ausdrücke einnehmen wollte, bliebe die Möglichkeit bestehen, einen Abstraktionsprozess vom Einzelnen, also den konkreten Individuen, zum Allgemeinen anzunehmen. Jenseits der Frage nach der epistemologischen Begründung einer solchen Abstraktion, wird mung davon, also der mentalen Repräsentation von diesem konkreten Individuum. Genauso wie man sagen kann, dass ein sprachlicher Ausdruck seine Bedeutung durch die konventionell hergestellte Symbolbeziehung zum bezeichneten konkreten Individuum erhält, so kann diese Symbolbeziehung auf die mentale Repräsentation als Abbild angewandt werden. Man kann auch die Analogie der artifiziellen Bilder heranziehen, um das zu veranschaulichen: Ein Maler malt, ein Photograph »schießt« ein Bild von etwas Wirklichem. Allerdings ist diese Abbildung nicht transparent, d. h., man merkt als Betrachter sofort, dass das gemalte Bild oder die Photographie ein Abbild und nicht die präsente Realität ist. Bei mentalen Abbildern ist das nicht in derselben Weise der Fall – sie sind transparent. Sprache, Bedeutung, Geist
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sich jedoch mit Blick auf die singulären Ausdrücke zeigen, dass die konkreten Individuen als Referenten singulärer Ausdrücke womöglich gar nicht die Rolle der Ausgangspunkte einer solchen Abstraktion einnehmen können. Denn auch bei den singulären Ausdrücken ist die naiv-realistische Theorie der Bedeutung problematisch; es ist sogar der Fall, dass sich bezüglich der Identifikation konkreter Individuen, die hier ja eine Voraussetzung der Abstraktion ist, die Verwendung allgemeiner Ausdrücke als konstitutiv herausstellt. Allgemeine Ausdrücke Man kann in Form einer Arbeitshypothese zunächst davon ausgehen, dass konkrete Individuen die Referenten singulärer Ausdrücke darstellen. Diese konkreten Individuen sind die einheitlichen Dinge unserer alltäglichen Wahrnehmung: Die Pappel vor meinem Fenster, die Teetasse in meiner Hand, die Tastatur, auf der ich in diesem Moment schreibe; all das sind konkrete Individuen, die als ontologische Einheiten einen eindeutigen und spezifischen raumzeitlichen Platz einnehmen und epistemisch in unproblematischer Weise zugänglich und benennbar sind. Ein so verstandener Ding-Begriff ist aber sicherlich nicht ausreichend, wenn man sprachliche Bedeutung als unproblematische Beziehung zwischen Ausdruck und Referent verstanden wissen will. Denn nicht jeder sprachliche Ausdruck erhält seine Bedeutung in einer solchen Referenzbeziehung zu einem konkreten Individuum. Wir sprechen bspw. nicht nur über bestimmte, also konkrete Menschen, sondern über den Menschen im Allgemeinen. Es ist zumindest klar, dass die Bedeutung eines generellen Ausdrucks nicht mit dem referentiellen Bezug auf ein Individuum zu erklären ist, man scheint eher auf eine Eigenschaft oder auf eine Menge von Individuen mit einer bestimmten Eigenschaft zu referieren. Eine gängige Überlegung bezieht sich auf einen höheren Abstraktionsgrad der Bedeutung allgemeiner Ausdrücke: Während man auf der einen Seite mit den konkreten Individuen in einer unmittelbaren und direkten Weise bekannt ist, erhält man auf der anderen Seite die Bedeutung eines generellen Terms über den Umweg der Abstraktion; wir vergleichen konkrete Individuen miteinander, abstrahieren Eigenschaftsähnlichkeiten und kommen auf diesem Weg zur Bedeutung des generellen Ausdrucks. Aber selbst dann ist das Problem des Referenten genereller Ausdrücke noch nicht gelöst. Handelt es sich dabei tatsächlich um eine Menge von Individuen mit einer bestimmten Eigenschaft? Inwiefern kann eine Menge ein unproblematisches Objekt 108
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Systematische Vorbemerkungen
evidenter Wahrnehmung sein? Und meinen wir tatsächlich, wenn wir über den Menschen im Allgemeinen reden, eine Menge von Individuen oder ist es nicht vielmehr so, dass man hier auf etwas Einheitliches, auf eine Entität Bezug nimmt, auf den Menschen an sich, den man etwa durch Kennzeichnung oder Definition als etwas Einheitliches bestimmen kann? 135 Es dürfte aufgrund dieses kurzen systematischen Problemaufrisses klar geworden sein, dass eine naive Interpretation, wie sie hier aufgezeigt wurde, hinsichtlich allgemeiner Ausdrücke problematisch ist. Die Referenten von sprachlichen Ausdrücken erschöpfen sich nicht in konkreten Individuen, den Objekten unserer alltäglichen Wahrnehmung. Wenn man trotzdem eine Reduktion aller sprachlichen Ausdrücke auf singuläre Terme vorschlägt, muss man mit dem epistemischen Problem der Abstraktion umgehen können bzw. muss berücksichtigen, dass Reduktion nicht schon Elimination bedeutet, d. h. dass immer noch der Status von allgemeinen, abstrakten Dingen als Referenten ihrer korrespondierenden Ausdrücke bestimmt werden muss. Nicht angesprochen wurden Arten sprachlicher Ausdrücke, die zwar semantisch relevant, aber wohl noch schwieriger in eine naive Theorie zu integrieren sind, wie etwa synkategorematische Ausdrücke. Singuläre Ausdrücke Bei singulären Ausdrücken stellt sich das Problem des unklaren Referenten auf den ersten Blick nicht, denn schließlich werden damit ja konkrete Individuen bezeichnet, und man kennt die Bedeutung eines singulären Ausdrucks (zumindest auch) dann, wenn man das Individuum, das durch einen bestimmten singulären Ausdruck repräsentiert wird, kennt. Wenn es also gelänge, bezüglich der singulären Ausdrücke die naiv-realistische Theorie zu verteidigen und dann eine angemessene Theorie der Abstraktion für allgemeine Ausdrücke zu entwickeln, könnte man das Problem der allgemeinen Ausdrücke umgehen und die naiv-realistische Referenztheorie als grundlegende semantische Theorie verteidigen. Hierher gehört die Problamtik der externalistischen Bestimmung allgemeiner Ausdrücke als Klasse oder Menge. Was ist mit nicht synonymen Ausdrücken, die, verstanden als Menge, die gleichen Elemente beinhalten? Ein klassisches Beispiel bilden die allgemeinen Ausdrücke »Lebewesen, die ein Herz haben« und »Lebewesen, die eine Niere haben«. Dieses Problem wird herangezogen, um für eine intensionale Semantik allgemeiner Ausdrücke zu argumentieren.
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Es gibt verschiedene Arten singulärer Ausdrücke, von denen die drei wichtigsten im Folgenden behandelt werden: Eigennamen (z. B. »Angela Merkel«), eindeutige Kennzeichnungen (Russells definite descriptions, z. B. »die Bundeskanzlerin im Jahr 2014«), und Demonstrativpronomen (z. B. »dieser [Mann] da«); Demonstrativa tauchen im philosophischen Kontext oft unter dem Etikett »deiktische Ausdrücke« auf. Das Paradebeispiel eines direkten Bezugs zwischen Ausdruck und Gegenstand ist der Eigenname. Wenn klar ist, auf welche Person bzw. welchen Gegenstand mit einem Namen Bezug genommen wird, dann, so die Überlegung, kennt man auch die Bedeutung des Namens; es gilt also: Der Referent des Ausdrucks ist seine Bedeutung. Es hat sich allerdings in der modernen Diskussion zu Eigennamen herausgestellt, dass sich die Sache so einfach nicht verhält. John Stuart Mill war etwa der Meinung, dass ein Eigenname im Grunde gar keine Bedeutung besitzt, weil er keine Information über den bezeichneten Gegenstand beinhaltet, sondern ihn nur von anderen zu unterscheiden hilft. 136 Mill bezieht sich hier auf den Unterschied zwischen Konnotation und Denotation, und ist der Meinung, dass die Denotation nichts zur Bedeutung beiträgt. Man kann dagegen einwenden, dass Bedeutung nicht nur in einer inhaltlich gehaltvollen Beschreibung, sondern auch im Wissen um sinnlich erfassbare Identitätskriterien des bezeichneten Gegenstands bestehen kann. Dieser epistemische Aspekt sprachlicher Bedeutung, den Mill anscheinend leugnet, wird in der Folge eine tragende Rolle spielen. Ein Einwand, der gegen die direkte und einfache semantische Beziehung zwischen Eigennamen und konkretem Individuum gerichtet ist, geht auf Frege zurück. Ausgangspunkt sind Überlegungen zur Identität: Wenn der bezeichnete Gegenstand die Bedeutung eines Eigennamens darstellt, dann entsteht ein Problem mit informativen, nicht tautologischen Identitätsbehauptungen. Ein klassisches Beispiel Vgl. hierzu: »The only names of objects which connote nothing are proper names; and these have, strictly speaking, no signification. If, like the robber in the Arabian Nights, we make a mark with chalk on a house to enable us to know it again, the mark has a purpose, but it has not properly any meaning. The chalk does not declare anything about the house; it does not mean, This is such a person’s house, or This is a house which contains booty. The object of making the mark is merely distinction. […] A proper name is but an unmeaning mark which we connect in our minds with the idea of the object, in order that whenever the mark meets our eyes or occurs to our thoughts, we may think of that individual object.« (Mill, 1949, S. 21–22)
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Systematische Vorbemerkungen
lautet: »Mark Twain ist Samuel Langhorne Clemens«. 137 Beide Ausdrücke beziehen sich auf denselben Gegenstand, deswegen müsste, wenn die Bedeutung der Eigennamen im bezeichneten Gegenstand bestünde, dieser Satz nicht anders zu behandeln sein, als seine tautologischen Pendants »Mark Twain ist Mark Twain« und »Samuel Langhorne Clemens ist Samuel Langhorne Clemens«. Wenn die informative Identitätsbehauptung tatsächlich informativ sein soll – was sie ja tatsächlich ist, denn man kann erfolgreich über Mark Twain reden, ohne zu wissen, dass sein bürgerlicher Name Samuel Langhorn Clemens ist – dann kann die Bedeutung der Eigennamen gerade nicht im bezeichneten Gegenstand liegen. Freges Lösungsansatz besteht in der Betonung der Art des Gegebenseins des Gegenstands. Wir können vom bezeichneten Gegenstand auf verschiedene Weisen wissen, was natürlich auch heißt, dass wir von bestimmten Aspekten oder Eigenschaften, die zum Gegenstand gehören, die ihn ausmachen, auch nicht wissen können – es geht also um unseren epistemischen Zugang zum Gegenstand, und der ist in der Art des Gegebenseins (in Freges Terminologie: im Sinn), nicht im Referenten (in Freges Terminologie: in der Bedeutung) ausgedrückt. Der herausragende semantische Aspekt eines Eigennamens liegt nach Frege in der je verschiedenen epistemologischen Gegebenheit des bezeichneten Gegenstands, also in der Frage, wie wir den Gegenstand erfassen, und nicht im bezeichneten Gegenstand selbst. 138 Dieser Frege’sche Sinn lässt sich erläutern, indem man eine weitere Art singulärer Terme verwendet, nämlich Kennzeichnungen. Eines von Freges Beispielen ist der Eigenname »Aristoteles«. 139 Jemand könnte von Aristoteles nur wissen, dass er der bekannteste Schüler Platons war; jemand anderes könnte von ihm dagegen nur wissen, dass Aristoteles der Erzieher von Alexander dem Großen war. Beide beziehen sich mit diesen verschiedenen Kennzeichnungen auf dieselbe Person, die ihnen auf unterschiedliche Weise gegeben ist; sie wissen jeweils etwas anderes über Aristoteles und können deswegen mit dem, was sie mit dem Namen Das Beispiel ist von William Lycan entlehnt, vgl. Lycan, 2000, S. 37. Vgl. die folgende Äußerung Freges: »Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache oder das Ganze von Bezeichnungen hinreichend kennt, der er angehört; damit ist die Bedeutung aber, falls sie vorhanden ist, doch immer nur einseitig beleuchtet. Zu einer allseitigen Erkenntnis der Bedeutung würde gehören, daß wir von jedem gegebenen Sinne sogleich angeben könnten, ob er zu ihr gehöre. Dahin gelangen wir nie.« (Frege, 1892, S. 27) 139 Vgl. Frege, 1892, S. 27, Anm. 2. 137 138
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»Aristoteles« meinen, differieren, obwohl sie sich auf denselben Gegenstand beziehen. Im Übrigen lässt sich hier ein weiteres Problem bezüglich der These der direkten Beziehung zwischen Eigenname und Gegenstand aufzeigen: Wir können Aristoteles sicherlich nicht mehr persönlich begegnen, damit ihn uns jemand vorstellt, indem er sagt: »Das hier ist Aristoteles«. Genau dann würde eine direkte Beziehung zwischen Individuum und Eigenname hergestellt. 140 Wir können Aristoteles heutzutage nurmehr indirekt über Beschreibungen bzw. Kennzeichnungen kennenlernen. 141 Derartige Überlegungen führten Frege zu der Annahme, dass ein Gegenstand immer durch eine Kennzeichnung vermittelt wird und diese insofern grundlegender als der Eigenname ist. 142 Russell hat in einem weiterführenden Schritt die Eigennamen vollständig eliminiert, während Frege diesbezüglich noch von einer »[…] regelmäßigen Verknüpfung zwischen dem Zeichen, dessen Sinn und dessen Bedeutung […]« (Frege, 1892, S. 27) gesprochen hat. Russell sieht in Eigennamen nichts anderes als Kennzeichnungen, die unter der Oberflächenstruktur der Alltagssprache verborgen sind. Nach genauerer Betrachtung und logischer Analyse entpuppt sich ein Eigenname immer als eine Kennzeichnung. 143 Das wäre kein ProEin Vertreter der sogenannten kausalen Theorie der Eigennamen wüsste hier jedoch einiges zu entgegnen. 141 Mit Russells Worten, die sich auf Sokrates beziehen: »We are not acquainted with Socrates, and therefore cannot name him. When we use the word ›Socrates‹, we are really using a description.« (Russell, 1985, S. 62); in Bezug auf problematische Existenzaussagen wie »Romulus existierte« meint Russel: »[…] [T]he name ›Romulus‹ is not really a name but a sort of truncated description. It stands for a person who did such-and-such things, who killed Remus, and founded Rome, and so on. It is short for that description; if you like, it is short for ›the person who was called »Romulus«.‹ If it were really a name, the question of existence could not arise, because a name has got to name something or it is not a name […].« (Russell, 1985, S. 110) 142 Vgl. die Äußerung von Ursula Wolf: »Die Eigennamen sind also nach Frege nicht die grundlegenden singulären Termini, sondern sie verweisen in ihrer Verwendung auf Kennzeichnungen.« (Tugendhat; Wolf, 1983, S. 151) 143 Vgl. hierzu etwa Lycan, der diese These als »Russell’s name claim« bezeichnet: »The claim is that everyday proper names are not really names, at least not genuine Millian names. They look like names and they sound like names when we say them out loud, but they are not names at the level of logical form, where expressions’ logical properties are laid bare. But in fact, Russell maintains, they are equivalent to definite descriptions. Indeed he says they »abbreviate« descriptions, and he seems to mean that fairly litteraly.« (Lycan, 2000, S. 38) In Russells eigenen Worten: »The names we commonly use, like ›Socrates‹, are really abbrevations for descriptions […].« (Russell, 1985, S. 62) 140
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Systematische Vorbemerkungen
blem, wenn Kennzeichnungen Ausdrücke mit direkter Referenz wären – aber genau das hat Russell geleugnet. Diese Leugnung ist ein Kernelement seiner theory of definite descriptions. Diese Theorie ist unter anderem motiviert durch die problematische Bezugnahme auf Nichtexistentes in offensichtlich sinnvollen Sätzen, wie z. B. »Der jetzige König von Frankreich ist glatzköpfig« oder »Romulus existiert nicht«. Die jeweiligen Ausdrücke an Subjektstelle beziehen sich auf Nichtexistierendes, d. h., sie haben kein Referenzobjekt. Die Sätze sind aber dennoch weit davon entfernt, unsinnig und unverständlich zu sein. Wie können sie aber sinnvoll sein, wenn der Subjektsausdruck aufgrund der fehlenden Referenz keine Bedeutung hat? Russells Antwort besteht im Kern darin, als grundlegendes Strukturelement solcher Sätze nicht die Synthese von Subjekt und Prädikat, sondern die Aussagefunktion anzunehmen: »A propositional function is simply any expression containing an undetermined constituent, or several undetermined constituents, and becoming a proposition as soon as the undetermined constituents are determined. If I say ›x is a man‹ or ›n is a number‹, that is a propositional function […].« (Russell, 1985, S. 96)
Der singuläre Ausdruck an der Subjektstelle wird »weganalysiert« und es bleiben Aussagefunktionen übrig, die letztlich als allgemeine Bestimmungen zu verstehen sind, die auf eine Klasse von Entitäten anzuwenden sind – das scheint Russell zu meinen, wenn er, nachdem er Eigennamen als abgekürzte Beschreibungen definiert hat, ergänzt: »[…] not only that, but what they describe are not particulars but complicated systems of classes or series.« (Russell, 1985, S. 62) Ein Beispiel sollte die Vorgehensweise Russells deutlich machen: »Aristoteles ist der Erzieher Alexanders des Großen« wird übersetzt in: »Es gibt mindestens und höchstens ein x von dem gilt, dass es der Erzieher Alexanders des Großen ist, und wer immer der Erzieher von Alexander dem Großen ist, trägt den Namen Aristoteles.« Die Aussagefunktionen werden quantifiziert, um zu garantieren, dass es genau ein x gibt, auf die die Aussagefunktion zutrifft: »Mindestens ein x ist Erzieher Alexanders des Großen« und »Höchstens ein x ist Erzieher Alexanders des Großen«. Dazu kommt eine dritte Aussagefunktion: »Es gibt ein y, das den Namen »Aristoteles« trägt, und die entsprechende Identitätsbehauptung »x und y sind identisch«. Das bedeutet, dass der vermeintliche Nachrücker in Sachen direkter Referenz, die Kennzeichnung, Freges Sinn, in der logischen Analyse à la Sprache, Bedeutung, Geist
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Russell als Ausdruck ermittelt wird, der ebenso nicht auf ein Individuum referiert, sondern »[…] complicated systems of classes or series […]« (Russell, 1985, S. 62) in einer allgemeinen Weise beschreibt. Eine durch die grammatische Oberfläche, d. h. durch die Subjekt-Prädikat-Struktur nahegelegte direkte Referenz eines singulären Ausdrucks auf ein Individuum ist kein Thema mehr. Der direkte ontologische Bezug besteht in mit Quantoren verbundenen Variablen, die gebunden sein können, aber nicht gebunden sein müssen. Es stellt sich dann die Frage, inwiefern wir beurteilen können, ob eine Variable einer Aussagefunktion gebunden ist oder nicht. Und das ist eine epistemische Frage. Es bietet sich an dieser Stelle an, diesen epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage kurz zu rekapitulieren: Wenn man gegen Mill dem Eigennamen eine Bedeutung zugestehen will, dann wird diese zurückgeführt auf das Bekanntsein mit dem entsprechenden konkreten Individuum, auf das der Eigenname referiert; wir können also mittels eines als unproblematisch eingeschätzten epistemischen Zugangsmodus die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks erfassen. Nun hat sich mit Frege gezeigt, dass in dieser Hinsicht nicht der Gegenstand bzw. das konkrete Individuum die sprachliche Bedeutung konstituieren, sondern das, was Frege den Sinn, also die Art des Gegebenseins des betreffenden Gegenstands, genannt hat. Frege hat damit den epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage betont: Die Bedeutung eines Eigennamens ist nicht im Referenten, sondern im jeweiligen deskriptiven Wissen über den Referenten fundiert. Russell hat diese Tendenz radikalisiert. Er hat zu zeigen versucht, dass auch dem versprachlichten deskriptiven Wissen, also den Kennzeichnungen, kein direkter referentieller Bezug inhäriert, sondern dass es sich bei Kennzeichnungen um Ausdrücke handelt, die innerhalb von Aussagefunktionen auf eine bestimmte Klasse von Entitäten angewendet werden; erst durch die Verwendung von Quantoren und Variablen wird der Bezug auf ein Individuum hergestellt. Nicht die Kennzeichnung, sondern eine quantifizierte Variable sorgt für den direkten Bezug. Wenn wir einen Satz wie »Der Erzieher Alexanders war ein bekannter antiker Philosoph« verwenden, verstehen und beurteilen können, dann müssen wir, nach Russell, zu allererst den Satz »Es gibt mindestens und höchstens ein x, von dem gilt, dass es der Erzieher Alexanders war« verwenden und verstehen können. Aber inwiefern wissen wir, wann auf ein x eine entsprechende Kennzeichnung zutrifft? Diese erkenntnistheoretische Frage, wovon wir ein direktes 114
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Systematische Vorbemerkungen
Wissen haben können, läuft anscheinend ganz parallel zur semantischen Frage, worauf wir uns mit Sprache direkt beziehen: Denn wenn Frege und Russell aufgrund von semantischen Überlegungen zu der Überzeugung kommen, dass es einen direkten Bezug zwischen Eigennamen bzw. bestimmten Kennzeichnungen und den konkreten Individuen nicht gibt, dann stellt sich die Frage, wie es um den sprachlichen Zugang zur Wirklichkeit im Fundament bestellt ist. Wenn es überhaupt nicht gelingt, einen direkten Bezug herzustellen, schwindet dann nicht die notwendige objektive Basis jeglicher gelingenden Kommunikation? Russell hat sich dieser epistemischen Frage gewidmet: Bekanntlich differenziert er zwischen knowledge by description und knowledge by acquaintance. 144 Demnach wissen wir von den Dingen in der Welt auf zwei verschiedene Weisen, nämlich anhand von Beschreibung und anhand von Bekanntschaft. Die erste Variante des Wissens trifft dann zu, wenn wir etwas durch Beschreibung bzw. Kennzeichnung, also indirekt, vermittelt über Charakterisierungen, durch Angabe von Eigenschaften kennen. Die zweite Variante bezieht sich auf ein direktes Wissen, eine unvermittelte Bekanntschaft mit etwas. 145 Ein Beispiel von Russell handelt vom Reichskanzler Bismarck. Wir können Bismarck heutzutage nicht mehr persönlich kennen lernen, deswegen ist unser Wissen über Bismarck – also, dass es eine Person mit bestimmten Eigenschaften und dem Namen »Bismarck« gegeben hat – ein Fall von knowledge by description. Russell ist aber in vollkommener Übereistimmung mit seiner theory of definite descriptions zudem der Ansicht, dass auch eine Person, die Bismarck gekannt hat, ihn also gesehen, mit ihm gesprochen oder einen sonstigen direkten Bezug zu ihm gehabt hat, nur in einer indirekten Weise von Bismarck wissen konnte: »What this person was acquainted with were certain sense-data which he connected (rightly, we will suppose) with Bismarck’s body. His body, as a physical object, and still more his mind, were known as the body and the Vgl. hierzu das entsprechende Kapitel bei Russell, 1997, S. 46–59. Eine grundsätzliche Unterscheidung darin lautet: »Knowledge of things, when it is of the kind we call knowledge by acquaintance, is essentially simpler than any knowledge of truths, […]. Knowldege of things by description, on the contrary, always involves […] some knowledge of truths as its source and ground.« (Russell, 1997, S. 46) 145 »We shall say that we have acquaintance with anything of which we are directly aware, without the intermediary of any process of inference or any knowledge of truths.« (Russell, 1997, S. 46) 144
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mind connected with these sense-data. That is, they were known by description.« (Russell, 1997, S. 55)
Nach Russell gibt es kein direktes Wissen von konkreten Individuen (genauso wenig wie wir mit Sprache direkt auf Individuen Bezug nehmen, möchte man ergänzen). Direkt bekannt sind wir mit dem, was Russell sense-data nennt. Dabei handelt es sich zunächst um qualitative Eigenschaften, die sinnlich wahrnehmbar sind, z. B. die Farbe eines konkreten Individuums. Hier liegt direkte Bekanntschaft vor. Vom physischen Objekt, das durch die sense-data konstituiert wird, gibt es kein direktes, sondern nur indirektes Wissen: »My knowledge of the table as a physical object […] is not direct knowledge. Such as it is, it is obtained through acquaintance with the sense-data that make up the appearance of the table.« (Russell, 1997, S. 47) 146
Das bedeutet, dass jedes Beschreibungswissen auf Bekanntschaftswissen zurückgeführt werden kann und zurückgeführt werden muss. 147 Das ist Russells Antwort auf die epistemologische Frage, inwiefern wir von der Welt ein direktes Wissen haben können. Auf sensedata haben wir einen unmittelbaren Zugriff, und wir wissen von ihnen in einer fundamental anderen Weise, als wir von Bismarck wissen, dass er Kanzler des Deutschen Reichs war. Diese Strategie lässt sich direkt auf die semantische Frage der direkten Referenz übertragen: Die einzigen Ausdrücke referentieller Natur sind für Russell die sogenannten logischen Eigennamen, nämlich deiktische Ausdrücke, die sich auf die direkt zugänglichen sense-data beziehen: »A name, in the narrow logical sense of a word whose meaning is a particular, can only be applied to a particular with which the speaker is acquainted, because you cannot name anything you are not acquainted with. […] The only words one does use as names in the logical sense are words like ›this‹ or ›that‹.« (Russell, 1985, S. 62) Ein paar Zeilen zuvor charakterisiert Russell die spezielle Art des Wissens von sense-data: »[…] so far as concerns knowledge of the colour itself, as opposed to knowledge of truths about it, I know the colour perfectly and completely when I see it, and no further knowledge of it itself is even theoretically possible.« (ibd.) Damit umschreibt Russell das, was man in der Folge ›Qualia‹ genannnt hat. Diese werden in den folgenden Ausführungen noch genauer eingeführt und eine nicht unwichtige Rolle spielen. 147 »The fundamental principle in the analysis of propositions containing descriptions is this: Every proposition which we can understand must be composed wholly of constituents with which we are acquainted.« (Russell, 1997, S. 58) 146
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Systematische Vorbemerkungen
Damit ist die dritte Art von singulären Ausdrücken benannt, nämlich Demonstrativpronomen wie »dieses« oder »jenes«. Mit deiktischen Ausdrücken wird auf die direkt erfahrbaren sense-data Bezug genommen, insofern sind diese Ausdrücke die einzigen Eigennamen, weil sie sich direkt auf die Welt beziehen können. Russells Beispiel ist »Dies ist weiß«: »We say ›This is white‹. If you agree that ›This is white‹, meaning the ›this‹ you see, you are using ›this‹ as a proper name. But if you try to apprehend the proposition that I am expressing when I say ›This is white‹, you cannot do it. If you mean this piece of chalk as a physical object, then you are not using a proper name. It is only when you use ›this‹ quite strictly, to stand for an actual object of sense, that is really a proper name.« (Russell, 1985, S. 62)
Was allerding gleichzeitig deutlich wird, ist die Tatsache, dass isolierte deiktische Ausdrücke relativ wenig Abstraktionspotential bieten. Selbst wenn es nach Russell hier einen direkten Bezug zwischen Sprache und Welt gibt, ist eine erfolgreiche Kommunikation und die semantische Relevanz dieses Bezugs erst dann gegeben, wenn ein deiktischer mit einem allgemeinen Ausdruck, in diesem Fall mit »weiß«, kombiniert wird, um aus der wahrgenommenen Mannigfaltigkeit das mittels Deixis Herausgehobene auch sprachlich einzufangen. Wenn ich auf eine momentane Wahrnehmung von etwas Bezug nehmen will, und z. B. auf einen vorbeispringenden Ball deute und sage: »Da, dieses da meine ich!«, ist ja noch immer nicht deutlich, was genau ich meine: Die Farbe, die Gestalt oder vielleicht die Bewegung des Balls, den Ball selbst, als einheitliches Ding? D. h., unter der Annahme, dass es einen semantisch relevanten und direkten Bezug zwischen Sprache und Welt gibt, und die Bedeutung von deiktischen Ausdrücken im Kontext auch durch ostensive definitions klargemacht werden können, benötigen wir, um uns von solchen vorsprachlichen kontextuellen Situationen unabhängig zu machen, die allgemeinen Ausdrücke, deren Bedeutung, zumindest bei Russell, die jeweiligen als Einheiten wahrgenommenen sense-data sind. In diesem Sinne erscheinen allgemeine Ausdrücke ähnlich fundamental wie die deiktischen: Der deiktische Ausdruck »dieses« muss mit einem allgemeinen Ausdruck verbunden werden – in Russells Beispiel: »Dieses ist weiß«. Wenn wir »weiß« nicht semantisch sinnvoll verwenden können, dann nützt uns auch der deiktische Ausdruck »dieses« nichts. Wenn jedoch in vorsprachlicher Hinsicht klar ist, welches sense-datum mit einer deiktischen Bezugnahme gemeint ist, Sprache, Bedeutung, Geist
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dann lässt sich wohl unproblematisch davon ausgehen, dass ein sprachlicher Ausdruck, »weiß«, seinen Gehalt, seine Bedeutung durch eine solche deiktische Bezugnahme erlangt. In diesem Rahmen erscheint ein Abstraktionsprozess von ostensive definitions, hin zu abstrakteren allgemeinen Ausdrücken durchaus plausibel. An dieser Stelle ist jedoch eine Differenzierung der allgemeinen Ausdrücke vonnöten. Denn zu Beginn wurde gesagt, dass die Problematik der allgemeinen Ausdrücke im Rahmen der naiv-realistischen Bedeutungstheorie dann lösbar wäre, wenn die Theorie für singuläre Ausdrücke zutrifft und ein Abstraktionsprozess theoretisch plausibel gemacht werden kann. Wenn sich nun aber die Bedeutung allgemeiner Ausdrücke als konstitutiv für die Bedeutung von Kennzeichnungen und Eigennamen herausstellt, ergibt sich ein circulus vitiosus. Es gibt jedoch hinsichtlich allgemeiner Ausdrücke die hier relevante Unterscheidung von konkreten und abstrakten allgemeinen Ausdrücken. So ist bspw. »weiß« ein konkreter allgemeiner Ausdruck, während »die Weiße« oder »Weißheit« als abstrakter allgemeiner Ausdruck zu verstehen ist. 148 Bei Russell ist der Ausdruck »weiß« auf sense-data bezogen, daher ist er ein konkreter Ausdruck, allerdings kein singulärer, da viele Dinge weiß sind und nicht nur eines.
Fazit Letztendlich soll dieser knappe Ausflug in die Anfänge einer klassischen Debatte moderner Sprachphilosophie v. a. eines zeigen: Eine einfache semantische Beziehung zwischen einem singulären Ausdruck und dem dadurch bezeichneten konkreten Individuum gibt es nicht. Eine naiv-realistische Bedeutungstheorie ist schon im Hinblick auf singuläre Ausdrücke sehr problembeladen. Die Beziehung zwischen der Welt, unserer Bekanntschaft mit ihr und unserem Reden über sie ist eine komplexe und komplizierte Angelegenheit. Wir reden über Dinge und Personen, die nicht mehr existieren oder nie existiert haben; inwiefern kann man in diesen Fällen davon reden, dass z. B. die Bedeutung von »Aristoteles« in der Person Aristoteles liegt? Keiner von uns Heutigen ist mit ihm persönlich bekannt, dennoch verwenden wir diesen Eigennamen sinnvoll. Es ist gerade ein Charakteristikum der menschlichen Sprache, auf etwas Bezug nehmen zu 148
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Vgl. hierzu Tugendhat; Wolf, 1983, S. 142.
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Systematische Vorbemerkungen
können, das wir nie gesehen haben oder auch nie sehen werden oder nie sehen können. Hier bricht die vermeintlich einfache Relation zwischen Eigenname und Individuum auf. Im Laufe dieser Betrachtungen hat sich gezeigt, dass die Bedeutungsfrage zwei eng verbundene Aspekte beinhaltet, die es dennoch zu unterscheiden gilt: Dabei handelt es sich um den formalen und den epistemischen Aspekt. Der formale Aspekt scheint mit der von Aristoteles vertretenen These des semantischen Repräsentationalismus ausgedrückt zu sein: Jeder sprachliche Ausdruck, den andere verstehen können, hat eine Bedeutung. Die Bedeutung lässt sich aus diesem formalen Blickwinkel so verstehen, dass sich ein bedeutsamer Ausdruck auf etwas bezieht und dieses Etwas seine Bedeutung konstituiert. Wir reden ja, wenn wir über etwas sprechen, nicht von den sprachlichen Ausdrücken, die wir in unserer Sprachhandlung verwenden, sondern von den Dingen, auf die sich diese Ausdrücke beziehen. Das ist die Grundüberzeugung des semantischen Repräsentationalismus: Sprachliche Bedeutung rührt her von den Dingen, die durch die sprachlichen Ausdrücke bezeichnet werden. Diese Überzeugung bezieht sich auf alle Arten bedeutsamer Ausdrücke, auf singuläre genauso wie auf allgemeine, auf konkrete wie auf abstrakte Ausdrücke. Mit dem Ausdruck »Angela Merkel« beziehen wir uns im alltäglichen Verständnis auf die Person Angela Merkel; in dem Satz »Die Menschheit verroht zunehmend« sprechen wir über die Menschheit als einem abstrakten Gegenstand. Der formale Aspekt der Bedeutungsfrage besteht also darin, davon auszugehen, dass Sprache ein repräsentationalistisches Verständigungssystem ist, worin jeder Ausdruck für eine außersprachliche, zumindest objektive Entität steht, die in diesem formalen Sinn der Bedeutungsträger des Ausdrucks ist. Dieser formale Aspekt führt ohne Umweg zum epistemischen. Wie gesehen kann der semantische Repräsentationalismus keine einfache alltagspsychologische Theorie sein, nach dem Motto: Hier ist ein Gegenstand, den ich mit einem Ausdruck etikettiere; betrachte und merke dir diesen Gegenstand und damit ist die Bedeutung des Ausdrucks festgelegt. Die Bedeutung eines Eigennamens besteht nicht im Individuum, das durch den Namen bezeichnet wird. Man hat gesehen, wie die moderne Sprachphilosophie die komplizierte Beziehung zwischen Einzelding und singulärem Ausdruck vor dem Hintergrund der Frage nach unserem epistemischen Zugang zu der Welt analysiert hat. Frege und Russell haben diesen Punkt deutlich Sprache, Bedeutung, Geist
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gemacht. Russell ging dann so weit zu sagen, dass nur deiktische Ausdrücke, wie »dies« und »jenes«, wirkliche Eigennamen sind. Und zwar deswegen, weil nur diese Ausdrücke eine direkte Beziehung zu einem direkt erfassbaren Gegenstand haben, nämlich den irreduziblen sense-data. Die Frage nach der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke führt zur Frage, wie sich unser epistemischer Zugang zur Welt gestaltet. Wenn sich herausstellt, dass die Bedeutung von jenen Ausdrücken, die man aus alltagspsychologischer Sicht als grundlegende und direkt referierende Ausdrücke ansieht, nicht im bezeichneten Gegenstand besteht, dann stellt sich die drängende Frage, auf welcher Ebene der semantische Repräsentationalismus überhaupt in epistemischer Hinsicht angesetzt werden kann. Russell beantwortete diese Frage mit den sense-data: Mit diesen sind wir unmittelbar bekannt und auf diese beziehen sich dann auch die tatsächlichen Eigennamen. Es ist dabei wichtig zu erkennen, dass diese Bekanntschaft mit dem, worauf Russells logische Eigennamen referieren, als vorsprachlich, nämlich als sinnlich zu charakterisieren ist. Darauf lässt sich dann eine Abstraktionstheorie aufbauen, die erklärt, wieso wir uns im alltäglichen Gespräch auf konkrete Individuen in scheinbar direkter Weise beziehen. Aristoteles kennt diese verschiedenen Arten singulärer Ausdrücke. Er weist auf den Unterschied zwischen singulären und allgemeinen Ausdrücken des Öfteren hin, u. a. in Cat. mit dem sogenannten »ontologischen Viereck«: Anhand des Kriteriums »über ein Zugrundeliegendes aussagen« (καϑ’ ὑποκειμένου λέγεσϑαι, Cat. 2, 1a20) scheidet Aristoteles singuläre von allgemeinen Ausdrücken. Auch in De interpretatione taucht diese Differenzierung auf, und zwar mit den Beispielen »Mensch« für einen allgemeinen und »Kallias« – also ein Eigenname – für einen singulären Ausdruck. 149 Dass Aristoteles Kennzeichnungen im Sinne einer Definition annimmt, wird in Cat. 1, zunächst im Hinblick auf allgemeine Ausdrücke, deutlich. Dort bestimmt er Homonyma als Ausdrücke, die dem Namen (ὀνόματα) nach identisch sind, jedoch eine jeweils andere »Wesensdefinition« (λόγος τῆς οὐσίας) haben; 150 die Definition kann man ohne weiteres als eine besondere Art der Kennzeichnung ansehen. Anscheinend, und das ist das wichtigste in diesem Kontext,
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Vgl. De int. 7, 17a38-b1. Vgl. Cat. 1, 1a1–6.
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Systematische Vorbemerkungen
kennt Aristoteles auch die deiktische Bezugnahme. So formuliert er z. B. in De an. II, 6, 418a20–1 folgenden Satz: κατά συμβεβηκός δέ λέγεται αἰσϑητόν, οἷον εἰ τό λευκόν εἴη Διάρους υἱός. Hier wird im Rahmen der Wahrnehmungstheorie auf etwas Weißes 151 mit einem singulären Ausdruck, und zwar mit einer Kennzeichnung (»der Sohn des Diares«), referiert, das bei Aristoteles als akzidentelles Wahrnehmungsobjekt firmiert. Hier ist nun durchaus eine gewisse Nähe zu Russells Überlegungen festzustellen; die Wahrnehmung von fundamentalen Objekten (hier: etwas Weißes) wird in Verbindung gebracht mit einer Kennzeichnung. Die Frage, was ein akzidentelles Wahrnehmungsobjekt ist und was es mit der aristotelischen Wahrnehmungstheorie auf sich hat, wird in Kapitel 5.2 eingehender betrachtet. An dieser Stelle sei im Vorgriff darauf hingewiesen, dass Aristoteles, ähnlich wie Russell, eine epistemologische Brücke baut: von der logisch-semantischen Frage nach Verbindungsregeln der durch sprachliche Ausdrücke repräsentierten semantischen Einheiten zur epistemologisch-semantischen Frage, worin das Fundament unseres Bedeutungswissens besteht, wo der Inhalt der semantischen Einheiten herrührt. Aus dem berühmten Abstraktionskapitel aus An. post. sticht eine in diesem Kontext auffällige Formulierung hervor: στάντος γάρ τῶν ἀδιαφόρων ἑνός, πρῶτον μέν ἐν τῇ ψυχῇ καϑόλου (καί γάρ αἰσϑάνεται μέν τό καϑ’ ἕκαστον, ἡ δ’ αἴσϑησις τοῦ καϑόλου ἐστίν, οἷον ἀνϑρώπου, ἀλλ’ οὐ Καλλίου ἀνϑρώπου) πάλιν ἐν τούτοις ἵσταται, ἕως ἄν τά ἀμερῆ στῇ καί τά καϑόλου, οἷον τοιονδί ζῷον, ἕως ζῷον, καί ἐν τούτῳ ὡσαύτως. δῆλον δή ὅτι ἡμῖν τά πρῶτα ἐπαγωγῆ γνωρίζειν ἀναγκαῖον: καί γάρ ἡ αἴσϑησις οὕτω τό καϑόλου ἐμποιεῖ. Wenn nämlich eines der undifferenzierten Dinge zum Stehen kommt, so gibt es ein ursprüngliches Allgemeines in der Seele – in der Tat nämlich wird zwar das Einzelne wahrgenommen, aber die Wahrnehmung richtet sich auf das Allgemeine, wie etwa auf Mensch, jedoch nicht auf Kallias den Menschen –, und wiederum in diesen Dingen kommt es zum Stehen, bis die Dinge ohne Teile zum Stehen kommen und die allgemeinen Dinge – wie etwa ein solches Tier, bis Tier, und in diesem ebenso. Es ist also klar, daß uns die ursprünglichen Dinge notwendig durch Induktion bekannt werden;
Genaugenommen müsste es τόδε τό λεύκον heißen. Der Kontext macht aber klar, dass es um ein bestimmtes weißes Etwas geht, nicht um das Weiße im allgemeinen Sinne.
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in der Tat nämlich bringt die Wahrnehmung auf diese Weise darin das Allgemeine zustande. [Übersetzung von Detel, 1993] An. post. II, 19, 100a15–100b5
Hier geht es um den schon mehrfach erwähnten Abstraktionsprozess, also um die Frage, wie wir in eine Erkenntnisbeziehung zu allgemeinen Entitäten treten – im Rahmen des semantischen Repräsentationalismus ausgedrückt: Wie wissen wir von der Bedeutung allgemeiner Ausdrücke? Eine typisch aristotelische Formulierung für diesen Abstraktionsprozess ist στάσις, das Stehenbleiben, bzw. das dazugehörige Verb ἱστάναι. An dieser Stelle sollen nur einige zentrale Punkte, die im vorliegenden Kontext relevant sind, verdeutlicht werden, ohne allzu sehr in die tiefere und weitläufige Diskussion dieser Passage einzudringen. 152 Es geht um den Weg von der (vorsprachlichen) Wahrnehmung zu den allgemeinen Entitäten. Dieser Prozess ist deswegen von Interesse, weil Aristoteles annimmt, dass sich Wahrnehmung auf das Einzelne, die Wissenschaft auf das Allgemeine richtet. Wie aber geht der Weg vom Einzelnen zum Allgemeinen vonstatten? Aristoteles versucht das mit verschiedenen στάσις-Stufen zu erläutern. Die erste Stufe liegt vor, wenn sich durch die στάσις von einem der »undifferenzierten Dinge« (ἕν τῶν ἀδιαφόρων, An. post. II, 19, 100a16) ein »erstes Allgemeines« (πρῶτον καϑόλου, An. post. II, 19, 100a15) entwickelt. Was aber ist ein solches ἀδιάφορον, aus dem sich ein καϑόλου erklären lässt? Zunächst ist zu betonen, dass es sich bei diesen epistemischen Ausgangspunkten nicht um Individuen handelt; das macht Aristoteles selbst im folgenden Einschub klar. Dort betont er nämlich, dass zwar das Einzelne wahrgenommen wird (αἰσϑάνεται τό καϑ’ ἕκαστον, An. post. II, 19,100a17), die Wahrnehmung sich aber auf das Allgemeine richtet (ἡ αἴσϑησις τοῦ καϑόλου ἐστίν, An. post. II, 19, 100a17-b1). Man nimmt zwar immer Einzelnes wahr, dieses aber immer schon als ein bestimmtes Einzelnes, d. h. zu einer bestimmten Art bzw. Gattung zugehörig; so nimmt man nach Aristoteles nicht den Menschen Kallias wahr, sondern etwas als Menschen. Die Person Kallias wird erst dann etwas Bestimmtes, Identifizierbares, Benennbares, wenn wir diese Person als Menschen erkannt haben. 153 Die undifferenzierten Vgl. aber unten ab S. 317 im Kapitel 5.5.3. In diesem Sinne liest auch Jonathan Barnes die Stelle: »[…] the process Aristotle describes produces universals; but it starts from perception and perception is of particulars – how, then, can the gap between particulars and universals be jumped? Aris-
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Systematische Vorbemerkungen
Dinge sind jene Einheiten, die die Grundlage für sprachliche Differenzierung, mittels Kennzeichnung oder Definition, erst bieten können. Diese Einheiten bilden die epistemische Grundlage sprachlicher Bedeutung und sind als vorsprachliche Einheiten der Wahrnehmung zu verstehen. Aristoteles’ Beispiel geht aus von der allgemeinen Entität »Mensch«, die in einer weiteren στάσις-Stufe zu »Lebewesen« abstrahiert wird (vgl. An. post. II, 19, 100b1–3), bis hin zu den Entitäten ohne Teile (τά ἀμερῆ, An. post. II, 19, 100b2), unter denen die Kategorien aus Cat. zu verstehen sind. Nun ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass das Beispiel von Aristoteles deswegen unglücklich ist, weil im Rahmen seiner Wahrnehmungstheorie solche natürlichen Arten keine grundlegenden, sondern akzidentelle Wahrnehmungsobjekte darstellen. D. h., dass der Allgemeinbegriff »Mensch« selbst nicht fundamental ist, sondern auf andere Einheiten der Wahrnehmung fundiert werden muss. 154 Detel schreibt in seinem Kommentar zur An. post. bezüglich der »undifferenzierten Dinge« das Folgende: »Die Wahrnehmung kommt allen Tieren zu und wird von Aristoteles gelegentlich sogar als definierendes Kennzeichen von Tieren bezeichnet, ist also nicht notwendigerweise propositional. Ihre spezifische Leistung und Tätigkeit ist das Unterscheiden […], und zwar von allgemeinen, aber undifferenzierten Dingen (100a15, 17, b1, 5), d. h. von ›Qualia‹, etwa von diesem Weißen hier oder jenem Bewegten dort […], die gerade ihre spezifischen Gegenstände sind. Diese Qualia sind »undifferenziert« einerseits insofern, als der individuelle und allgemeine Aspekt an ihnen in der Wahrnehmung noch nicht unterschieden werden, und andererseits auch insofern, als das Allgemeine in ihnen noch nicht näher spezifiziert ist.« (Detel, 1993, S. 831) totle’s answer is that perception in fact gives us universals from the start […]. He means that we perceive things as As; and that this, so to speak, lodges the universal, A, in our minds from the start – although we shall not, of course, have an explicit or articulated understanding of A until […] [eine höhere Erkenntnisstufe erreicht ist, S. L.].« (Barnes, 1994, S. 266) 154 Auch hier gehe ich mit Barnes konform: »Man, then, is not directly implanted in our minds by the senses, as Aristotle’s words in B 19 suggest; but in that case we need an account, which Aristotle nowhere gives, of how such concepts as man are derived from the data of perception.« (Barnes, 1994, S. 266) Allerdings teile ich Barnes’ pessimistische Position nicht; es ist durchaus einsichtig zu machen, wie man im Rahmen der aristotelischen Theorie von den grundlegenden Sinneseindrücken zu abstrakteren Entitäten, zu Konzepten gelangen kann. Die Sprache bzw. die Versprachlichung von Sinneseindrücken spielt hierbei eine wichtige Rolle. Dieser Prozess wird im Rahmen der Untersuchung der psychischen Vermögen (Wahrnehmung, Vorstellung, Denken) ein Thema sein. Sprache, Bedeutung, Geist
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Die Ähnlichkeit zu den Überlegungen von Russell dürfte deutlich sein. Auch Aristoteles stellt fest, dass das grundlegende Fundament unserer Kenntnis von der Welt nicht in den konkreten Individuen besteht, die in alltagspsychologischer Hinsicht die grundlegenden Einheiten der Wahrnehmung darstellen. Es sind vielmehr die Einheiten, die Aristoteles als erste Allgemeinheiten (πρῶτον καϑόλου, An. post. II, 19, 100a15) bezeichnet. Diese wiederum beziehen sich auf die »undifferenzierten Dinge«, die Detel richtigerweise als Qualia versteht; bei Russell nehmen die sense-data diese Rolle ein. In beiden Ansätzen handelt es sich um einen erkenntnistheoretischen Nullpunkt, bei dem angesetzt werden kann, um den epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage zu beantworten und ihn schließlich mit dem formalen Aspekt in Einklang zu bringen, d. h. zu erklären, wie man von der Kenntnis der undifferenzierten Dinge bzw. der ersten Allgemeinheiten (infima species) zur Kenntnis komplexer und abstrakter Allgemeinheiten und zu den Individuen als semantischen Einheiten gelangt. Schon diese grundlegenden Betrachtungen weisen darauf hin, dass Aristoteles keine naiv-realistische Theorie der Bedeutung vertreten hat. Genau das suggerieren aber Deutungen des SGGs, die unter Element D ausschließlich actual things verstehen. Auch wenn (zumindest die sog. frühe) aristotelische Ontologie Individuen, also actual things, als grundlegende Substanzen setzt, heißt das nicht automatisch, dass Aristoteles hinsichtlich der Bedeutungsfrage in epistemischer Hinsicht eine naiv-realistische Position vertreten hat. Vielmehr zeigt sich, dass die sehr allgemeine Formulierung der Elemente im SGG darauf zurückzuführen ist, dass in diesen grundlegenden Äußerungen zur Bedeutungsfrage nicht nur der formale Aspekt, sondern auch der epistemische Aspekt mit einbezogen werden sollte. Nicht nur die Regeln für die logische Verknüpfung von semantischen Einheiten, die in De int. und anderen Organon-Schriften das zentrale Thema sind, werden berücksichtigt, sondern auch die epistemische Frage, wie wir von der Bedeutung dieser semantischen Einheiten ein Wissen haben können, wird berücksichtigt. Wenn im ersten Teil von De int. 1 hinsichtlich des Elements D von τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα die Rede ist, im zweiten Teil aber in präziserer Weise von νοήματα, dann könnte das daran liegen, dass in diesem zweiten Teil von Aristoteles schon ein großer Schritt gemacht wurde, weg von einer grundlegenden Betrachtung der Elemente und Relationen menschlicher Sprache im Allgemeinen, hin zu spezifisch formalen Fragen 124
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Systematische Vorbemerkungen
und Betrachtungen; das Thema des zweiten Teils bilden ja formal-semantische Fragen, z. B. welche Ausdrücke wahrheitsfähig sind und welche nicht. Das führt zur Unterscheidung zwischen dem Satz auf der einen und dem Subjekt und Prädikat auf der anderen Seite. Nicht zufällig trennt diese beiden Teile des ersten Kapitels jener Einschub, der darauf hinweist, dass das Thema des ersten Teils in anderen Abhandlungen zentral ist (– ἄλλης γάρ πραγματείας: –, De int. 1, 16a9). Gemeint sind damit die Abhandlungen, die die verschiedenen Vermögen (Wahrnehmung, Vorstellung, Denken), ihre jeweiligen Gegenstände und die Beziehung dieser Vermögen und ihrer Gegenstände untereinander zum Thema haben (v. a. De an. und die Parva naturalia). In diesen Schriften ist die Antwort auf den epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage zu suchen, der in De int. ansonsten keine Rolle spielt.
5.1.2. Mentale Entitäten als Referenten sprachlicher Ausdrücke Es gibt in semantischer Hinsicht keine einfache Ding-Ausdruck-Beziehung – höchstens im fundamentalen Bezug auf sinnlich wahrnehmbare, konkrete Allgemeinheiten. Und das ist keine alltagspsychologisch relevante und somit keine naive Beziehung (eine farbliche Qualität als object of sense oder sense-datum wird ja gemeinhin nicht als ein Ding verstanden). Allerdings wurde schon darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit besteht, diesen eigentlichen und einzig möglichen direkten Bezug zur Realität als Ausgangspunkt eines Abstraktionsprozesses anzunehmen, mit dem es letztlich erklärbar wird, warum man nicht nur von sinnlichen Qualitäten, sondern auch von konkreten Individuen als Träger dieser Qualitäten, von abstrakten Allgemeinheiten oder von nichtexistenten Dingen als semantischen Einheiten ausgehen kann. Dieser Prozess der Abstraktion kann nur ein mentaler Prozess, eine Leistung des perzeptiven und kognitiven Vermögens sein. Es scheint demnach ein Vorteil zu sein, wenn man die Entitäten, die durch sprachliche Ausdrücke repräsentiert werden, nicht primär in der außermentalen Wirklichkeit lokalisiert, sondern sie in die Köpfe der Menschen verlegt. Die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ist nach diesem Ansatz nicht mehr mit konkreten Individuen oder den konkreten Allgemeinheiten zu identifizieren, sondern mit mentalen Entitäten, die sich aber in bestimmter Weise auf die außermentale Realität beziehen, diese repräsentieren Sprache, Bedeutung, Geist
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(weswegen man auch von »mentalen Repräsentationen« spricht). Bei dieser Position kann man von einer naiv-mentalistischen Bedeutungstheorie sprechen: Nicht außermentale, wie in der naiv-realistischen Theorie, sondern mentale Entitäten sind die Bedeutungsträger sprachlicher Ausdrücke. Zwei Dinge müssen in der Folge problematisiert werden: Wie sind solche mentalen Entitäten zu verstehen, und worin besteht die Verbindung zwischen der außermentalen Welt und diesen mentalen Entitäten? 155
Eine naiv-mentalistische Theorie der Bedeutung Die Idee, dass die Referenten sprachlicher Ausdrücke mentale Entitäten sind, lässt sich recht gut an einigen einschlägigen Zitaten von einem der bekanntesten Proponenten dieser Theorie, nämlich John Locke, darstellen. Ein längeres Zitat aus seinem Essay concerning human understanding illustriert diese Position: »The Comfort, and Advantage of Society, not being to be had without Communication of Thoughts, it was necessary, that Man should find out some external sensible Signs, whereby those invisible Ideas, which his thoughts are made up of, might be made known to others. For this purpose, nothing was so fit, either for Plenty or Quickness, as those articulate Sounds, which with so much Ease and Variety, he found himself able to make. Thus we may conceive how Words, which were by Nature so well adapted to that purpose, come to be made use of by Men, as the Signs of their Ideas; not by any natural connexion, that there is between particular articulate Sounds and certain Ideas, for then there would be but one Language amongst all Das problematische Verhältnis zwischen Welt und Geist bleibt hier in einer bestimmten Hinsicht unberücksichtigt. Oft wird in Bezug auf sense-data und Qualia behauptet, dass sie als rein subjektiv erfahrbare mentale Einheiten verstanden werden müssen und demnach einem physikalisch verstandenen Realismus diametral entgegenstehen. Es gibt viele Argumente, die vorgetragen wurden, um zu zeigen, dass die Realität nur in unserer Vorstellung existiert, dass also hinter dem Phänomen, wie es uns erscheint, nichts mehr ist, kein Ding an sich, keine external world oder ähnliches. Nun ist aber bei Aristoteles immer schon klar, dass er im SGG eine objektive, d. h. eine für alle gültige und erfassbare Wirklichkeit annimmt (Element C und D sind für alle Menschen dieselben). Hier ist Aristoteles ganz klar Realist und hat keinerlei Sympathie mit einer strikt mentalistischen Ontologie oder Erkenntnistheorie. In der Behandlung der naiv-mentalistischen Theorie wird demnach grundlegend davon ausgegangen, dass die mentalen Entitäten in der realen Welt fundiert sind. Die relevanten Fragen sind dann, wie erwähnt, was diese mentalen Entitäten eigentlich sind und wie sie mit der Realität verbunden sind.
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Men; but by a voluntary Imposition, whereby such a Word is made arbitrarily the Mark of such an Idea. The use then of Words, is to be sensible Marks of Ideas; and the Ideas they stand for, are their proper and immediate Signification. […] Words in their primary or immediate Signification, stand for nothing, but the Ideas in the Mind of him that uses them, how imperfectly soever, or carelesly those Ideas are collected from the Things, which they are supposed to represent.« (Locke, 1975, S. 405) (III, 2, § 1)
Locke versteht mentale Entitäten als ideas. 156 Wie schon erwähnt, liegt ein wichtiger Vorteil darin, dass diese ideas zunächst nicht als real im Sinne eines außermental existierenden Gegenstands verstanden werden, gleichwohl immer auf ein solch reales Fundament zurückgeführt werden müssen: »[E]ven the most abstruse Ideas, how remote soever they may seem from Sense, or from any operation of our own Minds, are yet only such, as the Understanding frames to it self, by repeating and joining together Ideas, that it had either from Objects of Sense, or from its own operations about them.« (Locke, 1975, S. 166) (II, 12, § 8)
An dieser Stelle berühren sich Russells Überlegungen zum eigentlichen, direkt referentiellen Bezug singulärer Ausdrücke mit der mentalistischen Bedeutungstheorie Lockes. Die Grundlage für sprachliche Bedeutung liegt jeweils in den sensorischen Qualitäten. Daraus werden bei Locke mit Hilfe von Vergleichs- und Kombinationsfertigkeiten, also einem Abstraktionsvermögen, komplexere mentale Entitäten aufgebaut: »[T]he Idea of the Sun, What is it, but an aggregate of those several simple Ideas, Bright, Hot, Roundish, having a constant regular motion, at a certain distance from us, and, perhaps, some other […]« (Locke, 1975, S. 298–9) (II, 23, § 6)
Die Grundidee einer naiv-mentalistischen Theorie besteht in der Annahme, dass sich sprachliche Ausdrücke primär auf mentale Entitäten beziehen und dadurch ihre Bedeutung erhalten. Erst in zweiter Linie stellt sich dann die Frage, wie diese mentalen Entitäten mit der außermentalen Wirklichkeit verbunden sind.
Eine geläufige Übersetzung von ideas ist »Vorstellung«. Aristoteles wird nicht zuletzt deswegen in Verbindung mit solchen mentalistischen Bedeutungstheorien gebracht, weil φαντασία, also eines der aussichtsreichsten Kandidaten für Element C, ebenso gerne mit »Vorstellung« übersetzt wird.
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Probleme und Erweiterungen der naiv-mentalistischen Theorie Mit der mentalistischen Theorie begegnet man einem Problem, das schon bei der realistischen Theorie eine Rolle spielte, nämlich dem Problem der allgemeinen Ausdrücke. Der Vorwurf lautet, dass man sich Allgemeines nicht vorstellen kann, da eine Vorstellung immer eine bestimmte, und zwar bildhafte Vorstellung ist. 157 Es stellt sich allerdings die Frage, ob man unter einer mentalen Entität zwangsweise etwas bildhaft Vorgestelltes verstehen muss. Wenn dem nicht so wäre, dann könnte man diesem Argument etwas entgegensetzen. Ein weiteres Problem ist das der Objektivität. In der naiv-realistischen Theorie wurden zunächst konkrete Individuen als die Bedeutungsgrundlage der Sprache angenommen. Und auch wenn diese naive Sicht kritisiert wurde, blieben konkrete Allgemeinheiten als direkter Bezug zur Realität bestehen. Wenn man nun den sprachlichen Bezug von der realen in die mentale Sphäre verlegt, folgt ein Problem, das in der realistischen Sichtweise so nicht auftauchen kann, weil es im Vergleich zur mentalistischen Theorie einen substantiellen Unterschied gibt: Mentale Entitäten sind nämlich als interne Zustände per definitionem subjektiv. Damit scheint die mentalistische Theorie von vornherein einen schlechten Stand zu haben, denn wie sollte man die Bedeutungsfrage einer funktionierenden natürlichen Sprache, die einen gemeinsamen, gleichsam öffentlichen Bedeutungshori-
Der Aspekt wird recht deutlich von Tugendhat dargestellt, der im Rahmen des Universalienstreits in Locke einen Konzeptualisten sieht: »Da die Schwierigkeit bei den Universalien in dem Verhältnis zwischen dem Universale einerseits und den konkreten Einzeldingen andererseits bestand, ist erstens nicht ohne weiteres ersichtlich, daß diese Schwierigkeit sich schon dadurch lösen läßt, daß das Univerale sich im Denken konstituiert. Zweitens fragt sich, ob die Psychologisierung des Universale nicht sogar zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Diese Schwierigkeiten werden besonders deutlich in Lockes Behandlung der »abstract ideas« faßbar. Kann man sich etwas Allgemeines, z. B. ein Dreieck im allgemeinen vorstellen? Das ist dann, sagt Locke (Essay Concerning Human Understanding, Buch IV, Kap. 7, § 9), die Vorstellung von einem Dreieick, das weder stumpfwinklig noch rechtwinklig noch spitzwinklig ist, sondern »alles auf einmal und doch keines«. Diese Auffassung, 1690 publiziert, ist 1710 in der Einleitung von Berkeleys Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge einer vernichtenden Kritik unterzogen worden. Berkeley weist darauf hin, daß man sich immer nur etwas Bestimmtes vorstellen kann; es gebe also keine abstraken Vorstellungen, und so sieht sich Berkeley genötigt, auch gegenüber dem Konzeptualismus auf den Nominalismus zurückzugreifen.« (Tugendhat; Wolf, 1983, S. 133–134)
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zont besitzen muss, mit etwas rein Subjektivem lösen können? Zudem ist es ja auch so, dass Aristoteles diesen Objektivitätsanspruch im SGG explizit stellt. Ausgehend von der kurzen Darstellung der mentalistischen Bedeutungstheorie anhand von Zitaten Lockes und dem knappen Problemaufriss, werden nun im Folgenden zentrale Begrifflichkeiten in systematischer Weise eingehender erläutert, mit dem Ziel, den erwähnten Problemen eine Lösung zuzuführen. Was sind mentale Entitäten? Abbilder und Konzepte Zunächst wird die dargestellte naive Auffassung mentaler Entitäten kritisiert, die u. a. zum Problem der Bedeutung allgemeiner Ausdrücke führt. Diese Auffassung mündet darin, mentale Entitäten als Vorstellungen im Sinne mentaler Abbilder zu verstehen. In der naiv-realistischen Theorie wurde ja davon ausgegangen, dass das Element C als transparentes Abbild konkreter Individuen, die in der Welt vorkommen, zu verstehen ist. Entsprechend kann man in der naiv-mentalistischen Theorie diese transparenten Abbilder als die Referenten sprachlicher Ausdrücke annehmen. Der Vorteil liegt, wie erwähnt, möglicherweise darin, dass man sich zur Erklärung der Bedeutsamkeit sprachlicher Ausdrücke nicht auf die Realität beschränken muss, sondern dass man sich auch auf Phantasiegestalten, Nichtexistentes usw. beziehen kann, d. h. auf alles, was unsere Vorstellungskraft hervorbringt. Nun ist aber schon aufgrund der erbrachten Kritik an der naiv-realistischen Theorie ein solch naives Verständnis transparenter Abbilder problematisch. Denn wenn nicht die konkreten Individuen die grundlegenden semantischen Bezugspunkte sind, wie sollte man dann von deren transparenten Abbildern als Bezugspunkte ausgehen? Nach den bisherigen Überlegungen kann man nur hinsichtlich der konkreten Allgemeinheiten von mentalen Abbildern sprechen. Das wäre dann aber kein naives Verständnis von Abbild mehr, und man müsste klären, inwiefern man in diesem Fall überhaupt noch von mentalen Abbildern sprechen kann. Trotzdem hat es den Anschein, als würden mentale Entitäten nicht selten als mentale Abbilder im naiven Sinn verstanden, 158 und auch viele Interpreten der aristotelischen Semantik bleiben in diesem naiven Verständnis verfangen, wenn sie in Bezug auf Element C von Die oben erwähnte Kritik Tugendhats an der Vorstellung von Allgemeinen beruht wohl auch auf der Interpretation der ideas als mentale Abbilder.
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mental images im Sinne naiver Abbilder reden. 159 Diese naive Position mag ein bequemer Weg sein, um die doppelte Symbolrelation im aristotelischen SGG zu erklären, aber nach der erfolgten Kritik an der naiv-realistischen Sichtweise dürfte klar sein, dass auch das Verständnis mentaler Entitäten als mentale Abbilder kein erfolgsversprechender Interpretationsansatz ist. Zwar lässt sich die alltägliche Redeweise von »Bildern« auf konkrete, sowie auf Abstraktion bedingende Individuen bzw. Allgemeinheiten anwenden: So könnte man behaupten, dass man den Ausdruck »Zentaur« dann versteht, wenn man weiß, dass hier das Bild eines Menschen und eines Pferdes in bestimmter Weise kombiniert werden muss; und die beste Möglichkeit, die Bedeutung dieses Ausdrucks zu erfassen, ist dann gegeben, wenn man sich ein Bild (etwa ein Gemälde oder eine Statue) eines Zentauren ansieht und gesagt bekommt: »Das hier ist ein Zentaur«. Redeweisen wie »sich etwas bildlich vorstellen« oder »sich von etwas ein Bild machen«, drücken diese alltagspsychologische Relevanz der naiven Abbildtheorie aus. Die eigentliche Frage verschiebt sich aber nur. Denn wovon ist die Statue oder das Gemälde eines Zentauren ein Abbild? Sicherlich meint man nicht eine bestimmte Statue, wenn man über Zentauren redet. Auf wen oder auf was hat sich der Bildhauer bezogen, von was hat sich der Maler zunächst ein Bild gemacht, um daraufhin sein eigenes Bild zu verfertigen? In dieser Hinsicht sind Bilder, die zur Erläuterung der Bedeutung eines Ausdrucks herangezogen werden, nicht anders einzuschätzen als die sprachlichen Symbole selbst: Sie vermitteln und repräsentieren etwas, sind aber selbst nicht dieses Etwas. Das Bild ist hier nur eine Hilfestellung, um Vgl. die Kritik von Ackrill, 1963, 113, an Aristoteles aufgrund der von ihm unterstellten Bildtheorie. Vgl. auch Modrak, die das Folgeproblem hinsichtlich allgemeiner Ausdrücke erwähnt: »[…] it is hard to see how images of specific humans could coalesce into an image corresponding to the general concept.« (Modrak, 2001, S. 22) Siehe auch Whitaker, 1996, S. 16–17. Auch Wheeler spricht von mental images, weist aber ausdrücklich darauf hin, dass er die Wendung nicht naiv versteht: »Aristotle’s talk of mental images need not imply a naive picture theory of meaning. Aristotle’s theory of forms is anything but naive, and as forms are the substantial causal qualities of real things, it is likely that the full account of the representational nature of mental images will be in causal, as opposed to pictoral, terms.« (Wheeler, 1999, S. 206) Auf diesen kausalen Zusammenhang von mentaler und realer Sphäre wird im Laufe der Ausführungen noch eingegangen werden. Wichtig ist zunächst zu sehen, dass eine nicht naive Interpretation mentaler Entitäten möglich ist – anders als bei Wheeler wird der Ausdruck mental image bzw. mentales Abbild hier ausschließlich für die naive Sichtweise reserviert.
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das besser zu verstehen, was ein Ausdruck bedeutet – das Bild selbst ist nicht die Bedeutung. Aber, so könnte ein hartnäckiger Verteidiger der naiven Abbildtheorie beharren, man weiß doch tatsächlich, was der Ausdruck »Zentaur« bedeutet, wenn man beim Körper eines Pferds den Kopf mit dem Oberkörper eines Menschen ersetzt und sich insofern ein Bild eines Zentauren vorstellt! Das lässt sich zusätzlich auch unter Absehung einer konkreten visuellen Wahrnehmung verstehen – ein schon erwähnter und nicht geringer Vorteil mentaler Entitäten. Wir können uns selbst ein Bild eines Zentauren machen, dank der Kreativität unseres Vorstellungsvermögens. Dieser Vorgang erscheint jedoch bei genauerem Hinsehen als sehr erklärungsbedürftig. Um einen solchen Kombinationsprozess zu vollführen, um sich ein Bild selbst zu machen, ist ein gewisses Vorwissen nötig: Man muss immer schon wissen, was die Ausdrücke »Pferd«, »Mensch«, »Kopf«, »Körper« und »Oberkörper« usw. bedeuten. Es sind dies die sprachlichen Instrumente, die benötigt werden, um das Bild eines Zentauren »im Geiste malen zu können«. Die vermeintlich kreative Kraft der Vorstellung, die darin besteht, sich selbst Bilder zu machen, ist fundamental abhängig von einem Bedeutungswissen hinsichtlich der involvierten Ausdrücke. Man hat ja schon gesehen, dass es sich im Rahmen der Semantik vermeintlich einfacher Ausdrücke, wie »Pferd« oder »Mensch«, um keine einfachen Eins-zu-eins-Abbildungen von Sprache und Ding handelt. Schon hier sind Abstraktionsprozesse von fundamentalen Realitätsbezügen, Russells sense-data oder den »undifferenzierten Dingen« bei Aristoteles, notwendig – umso mehr ist dies dann bei Ausdrücken wie »Zentaur«, die sich noch weiter von der Realität entfernen, nötig. Es ist sicherlich richtig, dass man das Bild eines Zentauren malen kann, um die Bedeutung des Ausdrucks zu erläutern. Versteht aber derjenige, dem der Ausdruck »Zentaur« in dieser Weise erklärt wird, dem also das Bild eines Zentauren gezeigt wird, den Ausdruck deswegen, weil er nun eine bildhafte Vorstellung, ein transparentes Abbild besitzt oder deswegen, weil er dadurch den Umstand nachvollziehen kann, dass hier der Kopf eines Pferds mit dem Oberkörper eines Menschen ersetzt wurde? Anders ausgedrückt: Jemand muss die Bedeutung des Satzes: »Nimm vom Körper des Pferds den Kopf und ersetzte ihn durch den Oberkörper eines Menschen« verstehen, um sich ein Bild eines Zentauren machen zu können. Vielleicht kann man nicht abstreiten, dass solche Abstraktionsund Kombinationsprozesse tatsächlich von bildhaften Vorstellungen Sprache, Bedeutung, Geist
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begleitet werden. Das reicht aber nicht hin, sie als den grundlegenden semantischen Bezug der menschlichen Sprache zu setzen. Es drängt sich vielmehr die Vermutung auf, dass die bildlich verstandene Vorstellung von etwas anderem abhängig ist, und zwar von der Fähigkeit, aus den perzipierbaren Einheiten zunächst semantische Einheiten zu »machen« und diese in der Folge in logisch-semantischen Operationen zu verwenden. Um sich ein Bild machen zu können, benötigt man fundamentalere Fähigkeiten als die der bildlichen Vorstellungskraft, und diese liegen im Verstehen und Kombinieren von sprachlichen Ausdrücken, von Sätzen und einzelnen Worten. Wenn es sich so verhält, dann kann die bildliche Vorstellung nicht die semantische Grundlage von sprachlichen Ausdrücken darstellen. Und es wird zu zeigen versucht, dass Aristoteles eine entsprechende Position vertreten hat. Resümierend lässt sich sagen, dass eine naiv verstandene Abbildtheorie theoretisch unbefriedigend ist, genauso wie eine naiv-realistische Theorie, die sich auf ein solches Abbildverständnis beruft. Unbefriedigend ist dieses naive Verständnis auch deswegen, weil hier nur Abbilder von konkreten Individuen angenommen werden; es hat sich aber schon herausgestellt, dass der semantische Bezug zu Individuen kein direkter bzw. fundamentaler ist. Ein abbildähnliches Verhältnis kann höchstens hinsichtlich der fundamentalen Sinnesqualitäten als konkreten Allgemeinheiten angenommen werden. Dann ist dieses Abbild aber nicht im Sinne einer bildhaften Vorstellung zu verstehen, sondern im Sinne einer strukturellen Isomorphie. 160 Es ist ja heute auch üblich, z. B. Farbe nicht als physisch-reale Eigenschaft eines wahrgenommenen Gegenstands, sondern als qualitativen Wahrnehmungsgehalt anzunehmen. Dieser bildet sich in unserem Geist (oder Gehirn) aufgrund bestimmter physischer Prozesse und Gegebenheiten, wie etwa der atomaren Oberflächenstruktur des Gegenstands, der Reflexion der Photonen, die darauf fallen, und nicht aufgrund der Farbigkeit des Gegenstands. Anders ausgedrückt: Nicht weil ein Gegenstand tatsächlich rot ist, nehmen wir ihn als rot wahr, sondern weil er bestimmte physische Eigenschaften und Strukturen besitzt – unsere Rot-Wahrnehmung ist kein Abbild einer realen Eigenschaft des Gegenstands, sondern ist strukturell isomorph mit beZum grundlegenden Verständnis des Unterschieds von Widerspiegelungs- und Isomorphietheorie vgl. den Artikel von Kuno Lorenz in der Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie: Lorenz, 2005.
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stimmten physikalischen Eigenschaften des Gegenstands, z. B. seiner atomaren Struktur. Es stellt sich also die Frage, wie mentale Entitäten noch verstanden werden können, wenn es nur in diesem äußerst eingeschränkten Bereich Abbilder geben kann. Eine recht prominente und alternative Interpretation mentaler Entitäten sind Konzepte. Oft wird auch Locke als Vertreter einer solchen Sichtweise angesehen. Die grundsätzliche Idee hierbei ist, dass mentale Entitäten, bei Locke also die ideas, zunächst als strukturierte Einheiten verstanden werden: Das Konzept Sonne 161 ist aus anderen, fundamentaleren Konzepten, z. B. hell, gelb, rundförmig, tageslichtspendend o. ä., zusammengesetzt. Man nennt diese wortähnlichen Konzepte auch lexikale Konzepte. 162 Daneben gibt es primitive Konzepte, die basal und unstrukturiert sind, wie z. B. die schon erwähnten Sinnesqualitäten, die ihrerseits dann die lexikalen Konzepte strukturieren. Bei dieser Interpretation von mentalen Entitäten muss man sich also nicht auf Abbilder, zumindest nicht auf naive Abbilder berufen, sondern in der Hauptsache auf sprachliche Strukturiertheit, d. h. Definitionen (bzw. hinreichend genaue Kennzeichnungen, die man auch cluster definitions nennt; es gibt nämlich hinsichtlich dieser klassischen Theorie der Konzepte, die sich auf die definitorische Struktur beruft und bis auf den frühen Plato zurückgeführt wird, ein Gegenargument, das sich auf die generelle Schwierigkeit exakter Definitionen beruft; Wittgensteins Überlegungen zum Ausdruck »Spiel« in den Philosophischen Untersuchungen §§ 66 f. sind hier exemplarisch 163). Der Ausdruck »Sonne« bezieht sich nach diesem Verständnis auf das Konzept Sonne und erhält dadurch seine Bedeutung. Wie bereits erwähnt, muss auch ein Bezug zur außersprachlichen und außermentalen Welt vorliegen, denn die Sonne ist nach wie vor ein realer Gegenstand, ein konkretes Individuum. Klassischerweise besteht dieser Um klar zu machen, dass weder vom sprachlichen Ausdruck, noch vom außermentalen Gegenstand die Rede ist, verwendet man für Konzepte die Schreibweise mit Kapitälchen: Sonne; alternativ werden auch eckige Klammern verwendet: [Sonne]. 162 Vgl. Margolis und Laurence, die auch den semantischen Aspekt von Konzepten betonen: »Lexical concepts are concepts like bachelor, bird, and bite – roughly, ones that correspond to lexical items in natural languages. One reason for the interest in lexical concepts is that it’s common to think that words in natural languages inherit their meanings from the concepts they are used to express. In some discussions, concepts are taken to be just those mental representations that are expressed by words in natural languages.« (Margolis & Laurence, 1999, S. 4) 163 Vgl. Wittgenstein, 2003, S. 56 f. 161
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Bezug in einer Rückführung auf empirisch evidente Wahrnehmungen und, zumindest bei Locke, auf fundamentale Verstandesfunktionen. Das Zitat von Locke über die abstruse ideas repräsentiert seine klassisch empiristische Position, die man auch als Sensualismus bezeichnet: Alle Konzepte sind zurückzuführen auf primitive Konzepte, die v. a. als irreduzible sinnliche Qualitäten zu verstehen sind. In ein solches Verständnis von Konzepten fügen sich auch die Überlegungen Freges zur Unterscheidung von Bedeutung (Freges Sinn) und Referent (Freges Bedeutung): Ein singulärer Ausdruck erhält seine Bedeutung nicht durch den Referenten, also das konkrete Individuum, sondern durch seine Art des Gegebenseins; und diese Art des Gegebenseins ist als Konzept zu verstehen, das durch eine Kennzeichnung sprachlich expliziert werden kann. Durch Konzepte als Vermittler zwischen Welt und Sprache ist die Möglichkeit gegeben, sich auf Dinge in verschiedener Weise zu beziehen. Man kann etwa den Ausdruck »Sonne« nicht nur durch die schon erwähnten Konzepte explizieren und hinreichend in seiner Referenz festlegen, sondern auch durch andere, z. B. mit einer passenden Synthese der Konzepte Zentrum, Stern und Milchstrasse. Bei den Konzepten ist somit eine formale Strukturiertheit vorhanden, die den naiven Abbildern abgeht. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, ein lexikales Konzept wie Zentaur in fundamentalere Konzepte zu »zerlegen« (Mensch, Pferd, Kopf, usw.) und so seine Bedeutung zu erläutern. Hier steht nicht das Sich-ein-Bild-machen, sondern die Definition im Vordergrund. Die Eigenschaft der Strukturiertheit erlaubt es dann auch, Sätze in einer ähnlichen Weise zu erklären und zu analysieren. Sätze beziehen sich nicht auf lexikale Konzepte, sondern auf Gedanken bzw. Propositionen, die aus lexikalen Konzepten aufgebaut sind. Wo Konzepte anfangen, wo sie aufhören ist umstritten; Margolis und Laurence votieren am oberen Ende für ein subpropositionales Verständnis von Konzepten. 164 Als Zwischenfazit bleibt dann stehen, dass das eingangs erwähnte Problem der allgemeinen Ausdrücke sich lediglich im Rahmen des naiven Abbildverständnisses stellt. Das Problem lässt sich umgehen, wenn man als mentale Entitäten Konzepte annimmt. Die Grundlage bilden hierbei die primitiven Konzepte, die sinnlichen Qualitäten bzw. Russells sense-data, die ja immer schon Allgemeinheiten darstellen, und somit diese Problematik im Keim erstickt. 164
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Vgl. Margolis & Laurence, 1999, S. 4.
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Was sind Konzepte? Mentale und abstrakte Entitäten Bisher wurde in unproblematischer Weise von Konzepten als mentalen Entitäten geredet. Dies erfordert noch einiges an Präzisierung. Oft wird nicht von mentalen Entitäten, sondern von mentalen Repräsentationen gesprochen. Darunter sind neben Entitäten auch mentale Zustände zu verstehen. Diese sind Repräsentationen von etwas anderem. 165 Im vorliegenden Kontext ist der semantische Charakter mentaler Repräsentation, also ihre Funktion als Träger der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke von Interesse. 166 Damit ist auch der vermittelnde Charakter mentaler Zustände oder Entitäten angesprochen. Sprache bezieht sich nicht direkt auf die Welt, sondern vermittels mentaler Repräsentationen. Mentale Zustände werden oft mit der Eigenschaft der Intentionalität bzw. Gerichtetheit in Verbindung gebracht: Überzeugungen, Wünsche, Befürchtungen als mentale Zustände sind immer auf etwas gerichtet; man ist überzeugt von etwas (d. h. davon, dass ein bestimmter Sachverhalt besteht, z. B. dass die Erde um die Sonne kreist), man wünscht sich etwas (z. B. das Bestehen eines Sachverhalts oder einen bestimmten Gegenstand; ich kann mir z. B. wünschen, dass morgen die Sonne scheint oder ich kann mir eine neue Gitarre
Die sehr weit verzweigte und komplizierte Debatte über mentale Repräsentation muss an dieser Stelle nicht en detail aufgearbeitet werden. V. a. in Bezug auf die sog. representational theory of mind (RTM) oder computational theory of mind ist der Ausdruck mental representation theoretisch relevant geworden. Dabei geht es um die Klärung der Frage, inwiefern geistige Zustände v. a. hinsichtlich ihrer Intentionalität physisch realisiert sein können. Der Ausdruck »mentale Repräsentation« wird im vorliegenden Kontext, ähnlich wie beim Ausdruck »Referenz«, in einem weiten und unproblematischen Sinn verwendet. Demnach sind sowohl mentale Zustände (z. B. ein Angstzustand oder eine Wahrnehmung) als auch die zu diesen mentalen Zuständen gehörenden mentalen Entitäten (z. B. das- oder derjenige, vor dem man Angst hat, oder die wahrgenommene Farbe) unter den Oberbegriff der mentalen Repräsentationen zu subsumieren. Beide, mentale Zustände und Entitäten, repräsentieren immer etwas, und dadurch erhalten sie semantische Relevanz. Dieses Verständnis fügt sich gut in das SGG: Zwischen Element C und D besteht ein Ähnlichkeitsverhältnis – in diesem Kontext lässt sich auch sagen: ein Repräsentationsverhältnis – und beide Elemente werden gleichermaßen durch sprachliche Ausdrücke symbolisiert. 166 Vgl. Pitt in seinem SEP-Artikel über mentale Repräsentation: »[…] [O]n the assumption that a representation is an object with semantic properties (content, reference, truth-conditions, truth-value, etc.), a mental representation may be more broadly construed as a mental object with semantic properties. As such, mental representations (and the states and processes that involve them) need not be understood only in computational terms.« (Pitt, 2013) 165
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wünschen), man fürchtet sich vor oder befürchtet etwas (z. B. fürchtet man sich vor einem bestimmten Sachverhalt, etwa davor, morgen zum Zahnarzt zu gehen; man fürchtet sich vor einem Gegenstand, etwa dem Einbrecher, der gerade vor mir in meiner Küche steht). Genauso wie die mentalen Zustände intentionalen Charakter haben, kann man auch von mentalen Entitäten sagen, dass ihr Gehalt, der ihnen semantische Relevanz verleiht, von irgendwoher kommen muss. Auch mentale Entitäten haben einen (quasi-)intentionalen Gehalt, den sie durch ihre Eigenschaft als Repräsentationen erhalten. Sie repräsentieren etwas, sind darauf gerichtet und erst dadurch können sie als Bedeutungsträger fungieren. Im Rahmen einer mentalistischen Bedeutungstheorie verlagert sich die Frage nach der Semantik sprachlicher Ausdrücke also auf die Frage nach der Semantik mentaler Entitäten, auf die sich die sprachlichen Ausdrücke beziehen. 167 Die Frage lautet dann nicht mehr: »Woher stammt die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke?«, sondern: »Woher stammt die Bedeutung der entsprechenden mentalen Entitäten?« Diese beiden verwandten Aspekte, Repräsentation und Intentionalität, weisen darauf hin, dass mentale Entitäten ihren Gehalt »von außen« bekommen, indem sie sich auf etwas Außermentales beziehen, es repräsentieren. Somit stellt sich die Frage, worauf sich etwa das Konzept Zentaur, verstanden als mentale Entität, eigentlich bezieht. An dieser Stelle wird dann auch das zweite Problem mentaler Entitäten virulent, nämlich die Forderung nach Objektivität oder Teilbarkeit: Wenn verschiedene Menschen sich mit ihren je verschiedenen partikulären Vorstellungen und Äußerungen über etwas Bestimmtes unterhalten, dann muss dieses Bestimmte in gewisser Hinsicht etwas Gemeinsames, etwas Öffentliches sein, etwas, das sie teilen können. Wie gesehen ist das ein ernstes Problem, wenn man unter mentalen Entitäten subjektive mentale Abbilder versteht. Diesem Problem kann man mit einer alternativen Sichtweise von Konzepten entgegentreten:
Vgl. wieder Pitt: »Many philosophers have thought that the semantic properties of linguistic expressions are inherited from the intentional mental states they are conventionally used to express. […] On this view, the semantic properties of linguistic expressions are the semantic properties of the representations that are the mental relata of the states they are conventionally used to express.« (Pitt, 2013)
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»[…] [C]oncepts need to be distinguished from the particular ideas, images, sensations that, consciously or unconsciously, pass through people’s minds at a particular time. The concept [cat] could not be some individual experience someone has, since in that case no two people could share it and a single person probably could not have the same one twice.« (Rey, 1998, S. 506)
Da man aufgrund ihres subjektiven Charakters gegenüber der Teilbarkeit und Objektivität mentaler Entitäten skeptisch sein kann, ist behauptet worden, dass Konzepte eher als abstrakte denn als mentale Entitäten zu verstehen sind. Ein bekannter Proponent dieser Position ist Frege: »Frege argued that senses […] cannot be mental entities. Since it’s common in philosophy to hold that concepts just are Fregean senses, it would seem that Frege’s case against mental entities is especially pertinent. The problem, in his view, is that mental entities are subjective, whereas senses are supposed to be objective. Two people »are not prevented from grasping the same sense; but they cannot have the same idea […].« (Margolis & Laurence, 1999, S. 7)
Hier ist die schon bekannte Unterscheidung Freges zwischen Sinn und Bedeutung angesprochen. Freges Sinn ist nicht identisch mit dem Gegenstand, aber auch nicht mit der jeweils subjektiven Vorstellung; er ist etwas Objektives, wenngleich sinnlich nicht Wahrnehmbares. In Freges eigenen Worten: »Von der Bedeutung und dem Sinne eines Zeichens ist die mit ihm verknüpfte Vorstellung zu unterscheiden. Wenn die Bedeutung eines Zeichens ein sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand ist, so ist meine Vorstellung davon ein aus Erinnerungen von Sinneseindrücken, die ich gehabt habe, und von Tätigkeiten, inneren sowohl wie äußeren, die ich ausgeübt habe, entstandenes, inneres Bild. […] Die Vorstellung ist subjektiv: Die Vorstellung des einen ist nicht die des anderen. […] Die Vorstellung unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemeinsames Eigentum von vielen sein kann und also nicht Teil oder Modus der Einzelseele ist […]. Während es demnach keinem Bedenken unterliegt, von dem Sinne schlechtweg zu sprechen, muß man bei der Vorstellung genau genommen hinzufügen, wem sie angehört und zu welcher Zeit. […] Wenn zwei sich dasselbe vorstellen, so hat jeder doch seine eigene Vorstellung.« (Frege, 1892, S. 29–30) 168 Zwar gibt es Vorbehalte gegen diese Betonung des subjektiven Charakters mentaler Entitäten: »Notice, however, that subjectivity of this kind doesn’t preclude the sharing of a mental representation, since two people can have the same type of mental representation. What isn’t possible is for two people to have the very same token
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Elemente C und D
Konzepte, verstanden als Frege’sche Sinne, sind also keine mentalen, sondern abstrakte Entitäten. Diese sind objektiv. Es gibt, wie Frege betont, schlechthinnige Sinne, unabhängig vom jeweils subjektiven Erfassen dieses Sinnes durch verschiedene Menschen. D. h., dass die Art des Gegebenseins eines bestimmten Gegenstands nicht auf die subjektive Vorstellung von diesem Gegenstand zurückzuführen ist, sondern als ein »gemeinsames Eigentum von vielen« zu verstehen ist, etwas, das zwischen objektivem Gegenstand und subjektiver Vorstellung zu verorten ist. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks ist nach dieser Sichtweise auf eine abstrakte Entität zurückzuführen, die wiederum durch eine mentale Entität (nach Frege: eine Vorstellung) repräsentiert wird. Zwei Dinge folgen: Mentale Entitäten erhalten ihre semantische Relevanz dadurch, dass sie auf etwas anderes gerichtet sind und dieses Etwas repräsentieren. D. h., es muss zu jedem sprachlichen Ausdruck, der eine mentale Entität symbolisiert, auch eine außermentale Entität 169 geben, auf die sich der sprachliche Ausdruck in analoger Weise bezieht, und die die Objektivierung, also die Voraussetzung für Teilbarkeit bzw. das realistische Fundament der mentalen Zustände und Entitäten bildet. Es scheint nun durchaus möglich zu sein, von einem Doppelcharakter der Konzepte auszugehen, der mit der Doppelung der Symbolrelation im aristotelischen SGG parallelisiert werden kann. Als mentale Entitäten sind sie Gegenstände unseres Denkens und Vorstellens, wodurch sie für jeden einzelnen realisiert werden können; durch die Eigenschaft der Intentionalität mentaler Entitäten representation.« (Margolis & Laurence, 1999, S. 7) Was dann aber benötigt wird, ist eine Erklärung, warum zwei token zu einem bestimmten type gehören. Und das scheint eine Frage zu sein, die eben nicht im ausschließlichen Bezug auf mentale Zustände oder Entitäten beantwortet werden kann. Die Berufung auf die type/tokenUnterscheidung verschiebt das Problem lediglich. 169 Man müsste die Charakterisierung als außermental wohl etwas einschränken. Denn es wird sich herausstellen, dass die νοητά als die πράγματα des SGGs keine dem menschlichen Geist externe, sondern vielmehr interne Entitäten sind. Sie haben aber eine externe Grundlage, die αἰσϑητά, und die Fähigkeit, νοητά »zu machen« geht auf den »ewigen«, »göttlichen«, d. h. den apriorischen, aktiven Intellekt zurück. Mit »außermental« ist demnach zumindest »objektiv« gemeint, jedoch nicht die Notwendigkeit, eine externalistische Semantik anzunehmen. Trotz dieser noch zu diskutierenden Verschiebung von einem naiven Verständnis der πράγματα als außermental – eine Charakterisierung, die lediglich für die Objekte der Wahrnehmung zutrifft – hin zu den internen, aber objektiven Entitäten, den νοήτα, bleibt zu diesem Zeitpunkt die Charakterisierung der πράγματα als außermental beibehalten.
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Systematische Vorbemerkungen
und der Forderung nach Objektivität muss diese mentale Entität aber immer als Repräsentation von etwas Außermentalem verstanden werden: Jemand kann sich einen Zentauren vorstellen, daran denken, sich ein eigenes Bild von ihm machen. Um mit anderen über Zentauren reden zu können, muss man sich aber auf etwas Identisches beziehen, das dann nicht mehr subjektiv ist (was sich in Formulierungen wie »meinen wir überhaupt dasselbe?« ausdrückt); man könnte von einer Vergegenständlichung (Reifikation) sprechen, die hier notwendig ist und die eine eindeutige Identifizierung erfordert; die Konzepttheorie ermöglicht dies, indem durch Definitionen bzw. Kennzeichnungen eine so weitgehende Spezifizierung erfolgt, dass eine intersubjektiv identifizierbare Einheit ermöglicht wird – ein Konzept, verstanden als abstrakte Entität. Schon im Fazit zum Kapitel über die naiv-realistische Bedeutungstheorie wurde auf die Differenz von epistemischem und formalem Aspekt der Bedeutungsfrage hingewiesen. Der Eigenname, so wurde gezeigt, erhält seine Bedeutung nicht durch das Individuum, das er bezeichnet. Die repräsentationalistische Beziehung ist komplizierter und muss heruntergebrochen werden auf die »eigentlichen Eigennamen«, die sich als einzige direkt auf die Welt beziehen. Diese Überlegungen reflektieren den epistemischen Aspekt, also die grundsätzliche Frage, inwiefern wir überhaupt von der Welt, über die wir sprechen, wissen. Der formale Aspekt dagegen spiegelt den commonsense-Blick auf die Sprache wieder: Jeder bedeutsame sprachliche Ausdruck steht für etwas; die tiefere epistemologische Frage nach dem Ursprung von sprachlicher Bedeutung ist hier ausgeblendet und die Überzeugung ausgedrückt, dass wir uns in einer gewissen Weise immer auf etwas beziehen, wenn wir bedeutsame Ausdrücke verwenden. Diese Differenzierung zwischen epistemischem und formalem Aspekt kann an dieser Stelle wieder aufgegriffen werden, denn die Semantik von Konzepten knüpft nahtlos daran an. Der epistemische Aspekt besteht in der Fundierung aller Konzepte durch die primitiven Konzepte. Wir durchlaufen aber, wenn wir ein Konzept kennen, üblicherweise nicht mehr diesen Weg vom primitiven zum komplexen Konzept, sondern wir können uns direkt auf das Gemeinte als abstrakte Entität beziehen – darin spiegelt sich der formale Charakter von Konzepten wider, nämlich, dass einem sprachlichen Ausdruck ein als Einheit zu verstehendes Konzept gegenübersteht. Es ist der Grundgedanke des semantischen Repräsentationalismus, dass jeder bedeutsame Ausdruck für etwas steht. Dieses Etwas ist z. B. Sonne Sprache, Bedeutung, Geist
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Elemente C und D
oder Zentaur. Der epistemische Blickwinkel betont, dass die Bedeutung eines lexikalen Konzepts mittels Analyse auf primitive Konzepte zurückgeführt werden kann. Im Falle der primitiven Konzepte besteht die Besonderheit, dass sie sich auf jene unhintergehbaren, phänomenalen Einheiten der Wahrnehmung beziehen und somit die epistemische Grundlage sprachlicher Bedeutung bilden. Erst in einem weiteren Schritt kann dieses primitive auch als lexikales Konzept verstanden werden; die Fähigkeit zur sprachlichen Differenzierung ermöglicht es, die sinnliche Qualität Rot auch sprachlich zu beschreiben, und zwar auf verschiedene Weisen z. B. mit einer physikalischen Definition. Mit der sprachlichen Fähigkeit ist es dann auch möglich, von den sinnlichen Gegebenheiten abzuheben und zu abstrahieren, also lexikale Konzepte zu konstruieren, die keinem primitiven Konzept mehr entsprechen. Das Problem liegt dann darin zu erklären, wie der Zusammenhang zwischen Mentalem und Außermentalem bei lexikalen Konzepten zu verstehen ist. Denn es ist im Falle allgemeiner oder nicht existenter Dinge problematisch, diesen außermentalen Fixpunkt als ontologisch relevante Entität zu verstehen: was genau sind denn das Einhorn, der Zentaur, Robinson Crusoe und der Mensch an sich als außermentale Gegenstände? Sind Konzepte als abstrakte Entitäten zu verstehen, die den formalen Aspekt des semantischen Repräsentationalismus erfüllen? Abstrakte Entitäten sind nicht »wirklich« im Sinn von realen Entitäten. Sie sind letztlich zurückzuführen auf eine Vernunftfähigkeit, eine Abstraktionsleistung. In jedem Fall muss aber die epistemologische Reduktion abstrakter Konzepte auf primitive Konzepte möglich sein, die mit einem evidenten Objekt der Wahrnehmung endet. Im Folgenden soll ein Blick auf die Epistemologie der primitiven Konzepte geworfen werden, der wieder ein stückweit zurückführt zu den sense-data von Russell, den objects of sense von Locke und den ἕν τῶν ἀδιαφόρων von Aristoteles. Als Zwischenfazit bleibt zunächst festzuhalten, dass mentale Entitäten für sich hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit und als Grundlage einer intersubjektiv funktionierenden Sprache zu wenig hergeben; der intentionale Charakter und die Teilbarkeit mentaler Entitäten erfordern einen außermentalen Bezugspunkt. Bei Aristoteles ist diese Verankerung mentaler Entitäten ja auch immer schon mitgedacht, ausgedrückt durch die Ähnlichkeitsrelation zwischen den Elementen C und D, sowie deren explizit formulierten Objektivitätsstatus im SGG. 140
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Zur Epistemologie von primitiven Konzepten: Qualia und ihre Elimination Im Rahmen der naiv-realistischen Theorie der Bedeutung wurde zwischen Welt und Mentalem ein unproblematisches Verhältnis angenommen, indem eine naive Abbildtheorie bemüht wurde. Dementsprechend beziehen wir uns mit sprachlichen Ausdrücken gleichermaßen auf die Welt und auf ihr mentales Abbild; man muss in diesem Fall nicht gesondert zwischen den beiden Ebenen differenzieren, es besteht ein transparentes Verhältnis. In Anbetracht der Probleme der naiv-realistischen Theorie wurde dann aber klar, dass die Frage, wie wir von der Welt wissen bzw. wie wir zu ihr Zugang haben, nicht so einfach zu beantworten ist. Damit ist einerseits gemeint, dass wir auf je verschiedene Weisen mit einem Individuum, einem Sachverhalt, der Welt überhaupt in einer epistemischen Beziehung stehen, woraus dann die verschiedenen Arten des Gegebenseins resultieren; andererseits stellt sich die damit zusammenhängende Frage, wie wir prinzipiell einen direkten und möglichst unfehlbaren Zugang zur Welt haben können, der eine verlässliche Verbindung zwischen der Welt und ihrer mentalen Repräsentation garantiert. Dieses Problem hat sich in der naiv-mentalistischen Theorie verdeutlicht und soll nun etwas genauer betrachtet werden. Wenn unter lexikalen Konzepten strukturierte Einheiten zu verstehen sind, die sich mittels Kennzeichnungen sprachlich darstellen lassen, dann besteht die Bedeutung eines Ausdrucks im korrespondierendem Konzept; das ist zunächst eine recht tautologische Angelegenheit: »Sonne« bezieht sich auf Sonne. Interessant wird es erst, wenn Sonne hinsichtlich der fundamentaleren Konzepte analysiert wird. Um die Bedeutung des Ausdrucks »Sonne« zu analysieren, muss man das Konzept Sonne erfolgreich auf seine definitorische Struktur untersuchen. Nimmt man von Lockes Antwort (»Bright, Hot, Roundish, having a constant regular motion, at a certain distance from us, and, perhaps, some other«) zunächst die ersten drei: hell, heiss, rund, dann stellt sich wiederum die Frage, wie wir wissen, was diese Konzepte bedeuten, usw. Locke selbst gibt einen Hinweis darauf, wann dieser Regress ein Ende findet, indem er sagt, dass jedes noch so abstruse Konzept sich auf die Sinneswahrnehmung oder auf Verstandesoperationen zurückführen lässt. Diese letzten, nicht weiter analysierbaren Konzepte sind die primitiven Konzepte, und die ersten drei Konzepte, mit denen Locke die Sonne analysiert hat, sind Bei-
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spiele solcher primitiven Konzepte, die in diesem Fall sinnliche Qualitäten darstellen. An dieser Stelle muss dann ein neues bzw. erweitertes Verständnis von Konzepten eingeführt werden, da diese primitiven Konzepte keine Struktur besitzen. Genauer gesagt hat ein primitives Konzept durchaus eine Struktur, es muss aber mehr als das aufweisen. Bspw. lässt sich »rot« als ein grundlegender, irreduzibler und sprachlich nicht strukturierter (d. h. vorsprachlicher) Wahrnehmungsgehalt, daher als primitives Konzept verstehen. Es ist aber auch möglich, »rot« auf verschiedene Weisen hinreichend zu beschreiben, dem Ausdruck also ein lexikales Konzept gegenüberzustellen. Den Ausdruck »rot« könnte man etwa folgendermaßen definieren: »Rot ist eine Spektralfarbe mit einer Lichtwellenlänge oberhalb von 600 nm«. Das scheinen dann die interessanten »Schnittstellenfälle« zu sein, also jene Fälle, bei denen der Regress bzw. die Analyse von Konzepten stoppt. Diese »Schnittstellenfälle« sind Ausdrücke, die sich zugleich auf primitive und auf lexikale Konzepte beziehen. Hier geschieht der Brückenschlag von einem vorsprachlichen Wahrnehmungsgehalt zu sprachlicher Bedeutung, wobei nicht übersehen werden darf, dass ein primitives Konzept erst nachträglich in ein lexikales überführt werden kann. Es bleibt dann noch die Frage zu beantworten, wie und womit dieser Übertrag geschieht. Es zeigt sich aber, dass mit den primitiven Konzepten etwas gefunden ist, das als nicht-sprachliche Fundierung sprachlicher Bedeutung dienen kann; wie, so ist nun zu fragen, stellt sich der erkenntnistheoretische Zugang zu primitiven Konzepten dar? Eine bekannte, viel diskutierte und schon angedeutete Möglichkeit, diesen Ansatz der primitiven Konzepte theoretisch zu fundieren, d. h. sie als die zugrundeliegenden epistemischen Wahrnehmungseinheiten zu begründen, die den Ausgangspunkt sprachlicher Bedeutung und den Endpunkt einer jeden semantischen Analyse darstellen, besteht in der Berufung auf ihren unhintergehbaren phänomenalen Gehalt. Was damit gemeint ist, lässt sich erneut am Beispiel »rot« darstellen: Man sieht eine rote Rose; das Rot der Rose ist nun der phänomenale Gehalt der visuellen Farbwahrnehmung. Man nennt diesen phänomenalen Gehalt in der philosophischen Diskussion auch Quale. Dabei wird oft betont, dass den Qualia eine Irreduzibilität zu eigen ist. Denn damit ist nicht etwa eine höherstufige und evaluative propositionale Einstellung zu einer bestimmten Wahrnehmung gemeint (»Diese visuelle Wahrnehmung bzw. der wahrgenommene Ge142
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Systematische Vorbemerkungen
genstand ist rot«, »Dieser Geruch ist angenehm«, »Dieses Prélude klingt wunderbar«), sondern die (freilich umstrittene) Tatsache, dass es sich in einer subjektiven, unhintergehbaren und vortheoretischen Weise anfühlt, Röte wahrzunehmen. 170 Demnach können wir zwar naturwissenschaftlich (d. h. mit Hilfe der Sprache) untersuchen, wie der Prozess der Wahrnehmung vor sich geht, was in physischer Hinsicht passiert, aber wir werden mit dieser Erklärungsstrategie nie erfassen können, wie es sich anfühlt, etwas Rotes zu sehen, was es heißt, etwas Rotes wahrzunehmen. 171 Noch eindringlicher scheint dieser Umstand im Falle von Thomas Nagels Fledermaus zu sein: Wir können die Echoortung in physikalischer Hinsicht erklären, wenden sie etwa im Bereich der Seefahrt auch erfolgreich an. Aber wir können damit nicht erfassen, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein, wie es sich anfühlt, sich mittels Ultraschall zu orientieren. Der Zusammenhang zwischen einer physikalischen Erklärung, etwa eines Wahrnehmungsvorgangs, und dem phänomenalen Gehalt dieser Wahrnehmung wird in der modernen Debatte unter den Etiketten hard problem of consciousness (David Chalmers 172) und explanatory gap (Joseph Levine 173) diskutiert, wobei es im Kern darum geht, das Verhältnis zwischen physikalischer und phänomenaler Beschreibung perzeptiver und kognitiver Vorgänge und Gehalte zu bestimmen. 174 Thomas Nagel hat die wohl bekannteste Überlegung zu diesem sogenannten »Wie es ist …«-Phänomen angestellt. Vgl. seinen Aufsatz mit dem Titel What it is like to be a bat, Nagel, 1974. 171 Schon hier sei darauf hingewiesen, dass sich diese Position einer vehementen Kritik ausgesetzt sieht. Einer der Kritiker ist Quine, der weiter unten noch öfter als Gegner der Mentalisten bemüht wird. 172 Vgl. Chalmers, 1996. 173 Vgl. Levine, 1983. 174 Ein weiteres bekanntes Gedankenexperiment, das auf einen fundamentalen Unterschied zwischen physikalischem und phänomenalem Wissen besteht, ist Frank Jacksons Mary; siehe Jackson, 1986. Mary ist eine Expertin im Bereich der visuellen Wahrnehmung beim Menschen, kennt alles relevante Wissen zum Thema und ist auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand. Das Problem ist, dass Mary Zeit ihres bisherigen Lebens in einer schwarz-weißen Welt lebt. Jackson ist der Überzeugung, dass sie, wenn sie aus diesem Gefängnis entlassen würde, etwas Neues über das visuelle Wahrnehmen lernt, wenn sie das erste Mal etwas Rotes sieht. Jackson selbst bezeichnete sich (zumindest zu dieser Zeit) als »qualia freak«: »I think that there are certain features of the bodily sensations especially, but also of certain perceptual experiences, which no amount of purely physical information includes. Tell me everything physical there is to tell about what is going on in a living brain, the kind of states, their functional role, their relation to what goes on at other times and in other 170
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In der Diskussion um Qualia wird ein Aspekt immer wieder betont, der im vorliegenden Kontext hinsichtlich der Forderung nach Objektivität zum Problem wird: Es handelt sich bei Qualia um bewusstseinsinterne Einheiten, also mentale Entitäten, die mit außermentalen Vorgängen höchstens korrespondieren (bzw. auf ihnen supervenieren), aber nicht mit ihnen identisch sein können. Dieser Umstand, dass es bei den Qualia um etwas genuin Subjektives geht, das dann einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht zugänglich ist, führt oftmals dazu, dass Qualia gänzlich geleugnet, zumindest als wissenschaftlich irrelevant erklärt werden. Sie taugen nicht dazu, irgendeine Art von menschlichem Wissen zu fundieren, und manche gehen so weit zu behaupten, dass in naher oder ferner Zukunft, je nach naturwissenschaftlichem Fortschritt, die Rede von mentalen Zuständen, Qualia usw. auch im Alltag keine Relevanz mehr haben wird. 175 Die Annahme, dass die epistemische Fundierung von Bedeutungswissen in Qualia besteht, steht somit der Meinung gegenüber, dass Qualia einen in theoretischer Hinsicht vollkommen unbrauchbaren Ansatz darstellen. W. V. O. Quine ist in der Moderne wohl einer der prominentesten Vertreter einer solchen Position, die ganz explizit die Sphäre des Mentalen aufgrund von problematischen Identitätsbedingungen aus der wissenschaftlichen Sprache und somit auch aus Bedeutungstheorien tilgen will. 176 Das Schlagwort lautet: brains, and so on and so forth, and be I as clever as can be in fitting it all together, you won’t have told me about the hurtfulness of pains, the itchiness of itches, pangs of jealousy, or about the characteristic experience of tasting a lemon, smelling a rose, hearing a loud noise or seeing the sky.« (Jackson, 1982, S. 127) 175 Das Schlagwort, mit dem diese radikale Position berühmt wurde, lautet eliminativer Materialismus. Mentale Entitäten und Zustände werden nicht bloß auf physikalische Zustände reduziert, sondern vollends eliminiert. Die Sphäre des Mentalen ist demnach nicht etwas, das einer theoretischen Revision unterzogen wird (wie z. B. das Licht im Laufe der Wissenschaftsgeschichte als Welle, als Teilchen, schließlich als Welle und als Teilchen definiert wurde. Trotz verschiedener Antworten blieb und bleibt das Licht als zu erklärendes Phänomen bestehen), sondern vollkommen als explanandum gestrichen wird (wie man in früheren Zeiten an einen Äther, an das Phlogiston, an Hexen und Dämonen glaubte und man heute, wohl mit einigem Recht, davon ausgeht, dass diese vermeintlichen Dinge nicht auf alternative Weise erklärt, sondern vollständig aufgegeben werden müssen). 176 Quine stellt sich sehr oft und sehr deutlich in Kontraposition zu mentalistischen Bedeutungstheorien, etwa wie folgt: »Language, we are told, serves to convey ideas. When we learn language we learn to associate its words with the same ideas with which other speakers associate them. Now how do we know that these ideas are the same? And, so far as communication is concerned, who cares? We have all learned to
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»No entity without identity!« An dieser Stelle kehrt eine Spielart der realistischen Bedeutungstheorie wieder, der Naturalismus. Ein zentraler Punkt dieser naturalistischen Position besteht darin, alle mentalen Entitäten und Zustände zu eliminieren, indem das entsprechende mentale Vokabular erfolgreich mit dem vermeintlich soliden Wortschatz der Naturwissenschaften ersetzt wird. Am Beispiel visueller Wahrnehmung könnte ein solcher Naturalisierungsversuch wie folgt aussehen: Photonen werden von der Oberfläche des betreffenden Gegenstands ab- bzw. adsorbiert, somit auch in bestimmten Wellenlängenbereichen reflektiert. Diese Photonen treffen auf die Retina und die darin enthaltenen Zäpfchen und Stäbchen, die Photorezeptoren, und verursachen mittels biochemischer Vorgänge eine neuronale Kettenreaktion, die letztendlich im primären visuellen Kortex zur »letzten« neuronalen Reaktion führt, die dann als »neuronales Korrelat einer visuellen Wahrnehmung« dargestellt werden kann. Diese verschiedenen Ebenen physikalischer Prozesse können dann als kausale Repräsentationen des wahrgenommenen Gegenstands verstanden und vollständig in naturwissenschaftlicher Sprache formuliert werden. Wenn man aber über die Frage nachdenkt, wie ein sprachlicher Ausdruck seine Bedeutung erlangt, sind kausale Repräsentationen von nebensächlichem Interesse, da der semantisch relevante Gehalt eines Wahrnehmungsausdrucks ja nicht in den biochemischen Prozessen besteht (meint man mit dem Ausdruck »rot« im Satz »Rot ist meine Lieblingsfarbe« tatsächlich einen physischen Prozess im Wahrnehmungsapparat?). Dennoch versucht Quine, mentale Repräsentation höchstens in diesem kausalen Sinn gelten zu lassen und spricht insofern und konsequenterweise von Reizbedeutung. 177 Dass dieses Vorgehen der Naturalisierung erfolgreich sein könnte, wird durch die Qualia-Fraktion geleugnet, mit dem Hinweis, dass Qualia prinzipiell nicht mit physikalischem Vokabular erfasst werden können. 178 Das Qualia-Problem führt oft zu einer generellen DualismusDebatte. Die ontologische Trennung von Körper und Geist ist für viele apply the word ›red‹ to blood, tomatoes, ripe apples, and boiled lobsters. The associated idea, the associated sensation, is as may be. Language bypasses the idea and homes on the object. Than the idea there is little less useful to the study of language.« (Quine, 1973, S. 35) 177 Ein Kapitel in Quines Word and Object lautet Stimulation and stimulus meaning (Quine, 1960, S. 31). 178 Auf diese moderne Debatte wird im Schlusskapitel erneut Bezug genommen. Sprache, Bedeutung, Geist
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Philosophen ein inakzeptabler Vorgang, der mit einer Vielzahl von Problemen behaftet ist, wie z. B. die unklaren Identitätsbedingungen mentaler Entitäten oder die Frage der kausalen Interaktion zwischen Geist und Körper. Qualia, verstanden als irreduzible mentale Entitäten, lassen diesen Dualismus wieder aufleben, weil behauptet wird, es gäbe etwas, das sich einer physikalischen Beschreibung wiedersetze. Wenn man nun Qualia als epistemische Fundierung der Konzepttheorie annehmen will, dann muss man mit diesen Problemen und Vorwürfen umgehen können. Das Problem der Objektivität, die damit zusammenhängenden unklaren Identitätsbedingungen mentaler Entitäten und die relevanten Probleme des Dualismus müssen einer grundsätzlichen Lösung zugeführt werden, um den hier illustrierten Ansatz zu verteidigen. Anders und in Bezug auf Aristoteles formuliert: Wenn man diese These, dass für die aristotelische Semantik Qualia den zentralen Aspekt der epistemischen Fundierung sprachlicher Inhalte ausmacht, ernsthaft vertreten will – und der Ansatz dazu sollte in den vorangegangenen systematischen Betrachtungen im Fundament gelegt und soll in den folgenden Kapiteln in Bezug auf Aristoteles weiter ausgearbeitet werden –, dann gibt es zwei große Prüfsteine für diese These: Erstens muss sie die systematischen Anforderungen, die das SGG stellt, erfüllen. Zweitens muss näher geprüft werden, ob in der Wahrnehmungstheorie des Aristoteles tatsächlich Platz für Qualia ist. Hinsichtlich des ersten Prüfsteins ist Folgendes festzustellen: Bei Aristoteles gibt es immer eine Verbindung zwischen den Elementen C und D; das wird im SGG eindeutig dargelegt. Dazu kommt die Qualifizierung beider Elemente als für alle Menschen identisch, was sich auch auf die Art und Weise der Beziehung zwischen den Elementen C und D, die in der Relation z ausgedrückt ist, auswirken dürfte. In der naiv-realistischen Theorie war diese Verbindung als unproblematische transparente Abbildrelation angenommen, die sich aber als nicht haltbar herausgestellt hat. Es stellt sich daher die drängende Frage, wie Konzepte als mentale Entitäten mit der Realität in Verbindung stehen. Das Fundament bilden ja die primitiven Konzepte, verstanden als Qualia, auf die alle anderen komplexen Konzepte zurückzuführen sind. Aber wie lässt sich im Rahmen der Qualia die erforderliche Verbindung zur außermentalen Wirklichkeit konstruieren, wenn Qualia gemeinhin als irreduzible mentale Entitäten verstanden werden? Wie sollte die Gleichartigkeitsrelation von Element C und D aus dem SGG überhaupt angenommen werden können, wenn es sich bei Element C 146
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Systematische Vorbemerkungen
um eine solche theoretisch irreduzible Entität handelt? Schließlich und damit zusammenhängend: Wie sollte unter diesen Umständen die geforderte Objektivität von Element C gesichert werden, wenn es sich dabei um eine genuin subjektive Entität handelt? Das sind die Fragen, denen man sich angesichts des ersten Prüfsteins stellen muss. Der zweite Prüfstein, die Frage, ob in der aristotelischen Philosophie, genauer: in seiner Wahrnehmungstheorie überhaupt Platz für Qualia ist, drängt sich deswegen auf, weil Aristoteles oft als Empirist verstanden wird, der, ähnlich wie moderne Naturalisten, den Fokus auf eine naturwissenschaftliche Erklärung legt. Wie geht Aristoteles mit den naturalistischen Gegenargumenten der Unwissenschaftlichkeit von Qualia um? Geht er überhaupt damit um? Und: Inwiefern passen Qualia zu seiner naturwissenschaftlichen Grundausrichtung? Der Kern der Beantwortung der Fragen bezüglich des ersten Prüfsteins besteht in einer Alternative zum ontologischen Dualismus. In diesem Ansatz bestehen ja zwei voneinander unabhängige Seinsbereiche, und zwar der des Mentalen oder Geistigen und der des Körperlichen. Qualia-Vertretern wird oft vorgeworfen, diese problematische Position verteidigen zu müssen, da sie mit den Qualia eine nicht-physikalische Entität annehmen. Die angesprochene Alternative besteht nun in der Ablehnung des ontologischen und der Annahme des epistemischen Dualismus. Für Naturalisten wie Quine ist das Mentale, also Qualia oder mentale Zustände, generell ein Graus, da das einzig Relevante in der Wissenschaft die verlässlichen Methoden und die Sprache der Naturwissenschaft zu sein hat, die deswegen mit dem subjektiven Bereich nichts anfangen kann. Der epistemische Dualist behauptet nun nicht – und das im Gegensatz zum ontologischen Dualisten –, dass es zwei unabhängige Seinsbereiche gibt. Er geht »lediglich« davon aus, dass wir von ein und demselben Gegenstand oder Sachverhalt auf verschiedene Weisen wissen können – daher auch das Etikett »epistemischer Dualismus«. Nimmt man erneut das Beispiel der visuellen Wahrnehmung, dann gibt es nach dem epistemischen Dualismus auf der einen Seite den subjektiven Zugang, der in der phänomenalen Erfahrung, den Qualia besteht. Auf der anderen Seite gibt es aber auch, und das vollkommen gleichberechtigt, den physikalischen Zugang, der die biochemischen und alle anderen Arten von physischen Prozessen, die bei der visuellen Wahrnehmung vorkommen, beschreibt. Das Verhältnis der phänomenalen und der physikalischen Beschreibung erscheint hier nicht als ein ontologisches Problem, weil von vornherein davon ausgegangen wird, dass Sprache, Bedeutung, Geist
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sich beide Beschreibungen auf ein und dasselbe beziehen, dieses Identische aber auf verschiedene Weisen epistemisch zugänglich ist. Was sind, von diesem Ansatz ausgehend, die Lösungen der erwähnten Probleme? Das Problem des außermentalen Bezugs und der Objektivität von Qualia wird insofern lösbar, als jede mentale Entität, jeder mentale Zustand auch einer physikalischen Beschreibung zugänglich ist – und diese ist objektiv überprüfbar. Jedes phänomenale Erfahren, jedes Quale korrespondiert mit einem physischen Prozess, der in der verlässlich objektiven Art und Weise der Naturwissenschaften beschreibbar ist. Dadurch wird jedes Quale objektiv beurteilbar, somit naturwissenschaftlich relevant. Man schwebt nach dem epistemischen Dualismus also nicht in einem haltlosen Raum der Subjektivität, sondern die Art der subjektiven Erfahrung und ihre Beschreibung hängt fundamental mit physischen Prozessen zusammen, die auf die »gewohnte« und objektive Weise erklärbar sind. In der relevanten modernen Debatte spricht man von Supervenienz: Das Mentale superveniert auf dem Physischen. 179 Für diejenigen, die das Verhältnis zwischen Körper und Geist als ontologisches Problem ansehen, ist die Supervenienztheorie zwar nur eine Verschiebung des Problems. 180 Der epistemische Dualist würde dem aber entgegnen, Donald Davidson erläutet das generelle Verständnis der Supervenienz-Relation wie folgt (in Bezug auf seinen Ansatz des sogenannten anomalen Monismus): »Although the position I describe denies there are psychophysical laws, it is consistent with the view that mental characteristics are in some sense dependent, or supervenient, on physical characteristics. Such supervenience might be taken to mean that there cannot be two events alike in all physical respects but differing in some mental respect, or that an object cannot alter in some mental respect without altering in some physical respect. Dependence or supervenience of this kind does not entail reducibility through law or definition: if it did, we could reduce moral properties to descriptive, and this there is good reason to believe cannot be done; and we might be able to reduce truth in a formal system to syntactical properties, and this we know cannot in general be done.« (Davidson, 1980, S. 214) 180 So meint etwa Jaegwon Kim zum explanatorischen Beitrag des SupervenienzKonzepts: »When we reflect on a mere claim of mind-body supervenience and compare it with […] traditional options, we are struck by its failure to address this explanatory task. For it merely affirms a dependence relation of an unspecified sort and does nothing more to explain the nature of psychophysical covariance, but supervenience itself is not an explanatory relation. It is not a »deep« metaphysical relation; rather, it is a »surface« relation that reports a pattern of property covariation, suggesting the presence of an interesting dependency relation that might explain it. But we don’t have a mind-body theory until we have something to say about the ground of mental-physical property covariation. I think the correct way of understanding the claim of psychophysical supervenience is this: it is not in itself an explanatory account 179
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dass dieses Verhältnis von Körper und Geist einfach kein ontologisches Problem, vielmehr ein epistemisches Phänomen darstellt. Mit diesem Verständnis ist eine Einbettung von Qualia in das SGG von Grund auf möglich: Es gibt bei Wahrnehmungsprozessen zwei Aspekte, den phänomenalen und den physischen, was als epistemologische, nicht als ontologische Differenzierung zu verstehen ist. Das bedeutet, dass die Qualia, als Element C, immer mit einem physischen Prozess oder Gegenstand, dem Element D, verbunden ist, und zwar mittels der Relation z (die noch genauer zu spezifizieren ist): Die »Dinge«, τά πράγματα, stellen die Grundlage für die objektive Zugangsweise dar, nämlich die physische Realität, physikalisch beschreibbar. Die mentalen Zustände, τά ἐν τῇ ψυχῇ παϑήματα, ermöglichen die subjektiv-phänomenale Zugangsweise: Die mentale Realität. 181 Beide stehen in einer Ähnlichkeitsbeziehung, die man mit modernem Vokabular als Supervenienz verstehen mag, und die dann auch erklärt, wieso Aristoteles von den beiden Elementen C und D behauptet, dass sie für alle Menschen dieselben sind. Auf die primitiven Konzepte angewandt hieße das, dass sich eine visuelle Wahrnehmung auf eine phänomenale Einheit, ein Quale bezieht. Dieses Quale korrespondiert aber mit einem physikalisch beschreibbaren Prozess oder Gegenstand, der die Objektivitätsforderung des semantischen Bezugs auf mentale Entitäten einlöst. Bei lexikalen Konzepten muss dieser Zusammenhang neu justiert werden. Hier muss geklärt werden, womit das lexikale Konzept in einer Ähnlichkeitsbeziehung steht, was der Objektivitätsgarant bei Ausdrücken wie »Mensch«, »Haus«, »Zentaur« oder »Bockhirsch« ist. Bei Farbausdrücken wie »rot« liegt der Sonderfall vor, dass der Ausdruck sowohl ein primitiof the mind-body relation; rather, it reports the data that such an account must make sense of. It is a »phenomenological« claim, not a theoretical explanation. Mind-body supervenience, therefore, does not state a solution to the mind-body problem; rather it states the problem itself.« (Kim, 1993, S. 167–168) Anscheinend lässt sich dieser ›phänomenologische‹ Aspekt sehr gut mit dem deskriptiven Charakter der aristotelischen Metaphysik zusammenfügen, die keine Erklärung des Zusammenhangs von Körper und Geist, sondern lediglich dessen Beschreibung beinhaltet. 181 Zeitweise hat man bei Aristoteles tatsächlich das Gefühl, dass er diese beiden Sphären expliciter annimmt: […] εἴπωμεν πάλιν ὅτι ἡ ψυχή τά ὄντα πώς ἐστιν: πάντα γάρ ἢ αἰσϑητά τά ὄντα ἢ νοητά, ἔστι δ’ ἡ ἐπιστήμη μέν τά ἐπιστητά, ἡ δ’ αἴσϑησις τά αἰσϑητά. De an. III, 8, 431b21–23. Nach dem hier skizzierten Verständnis ist τά ὄντα nicht ontologisch, sondern epistemologisch zu verstehen; dieses Verständnis wird aber durch den Bezug zur ψυχή möglich (ἡ ψυχή τά ὄντα πώς ἐστι πάντα). Sprache, Bedeutung, Geist
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ves als auch ein lexikales Konzept symbolisiert. Andere Ausdrücke symbolisieren zwar ein lexikales, aber kein primitives Konzept. Der zweite Prüfstein lässt sich nun mit einer spezifischeren Frage explizieren: Kann man Aristoteles überhaupt als epistemischen Dualisten verstehen? Ist seine Theorie des Geistes, v. a. seine Wahrnehmungs- und Vorstellungstheorie, vereinbar mit diesem Ansatz? Wenn er einen Platz hat in der aristotelischen Theorie des Geistes, dann steigt die Plausibilität, die hier im Ansatz formulierte systematische Grundlegung eines semantischen Repräsentationalismus auf Aristoteles anzuwenden. Und dafür soll in der Folge argumentiert werden. Es gibt einige starke Hinweise darauf, dass Aristoteles einen epistemischen Dualismus vertreten hat, wie etwa eine zentrale Passage zu Beginn von De an. (I, 1, 403a3-b19) belegt. Bevor diese Stelle im Sinne eines Einstiegs in die Verteidigung der These des epistemischen Dualismus diskutiert wird, erfolgt zunächst ein Fazit und im Rahmen eines knappen Exkurs-Kapitels eine Einführung in wichtige Begrifflichkeiten der aristotelischen Physik. Das ist nötig, um die besagte Passage und die aristotelischen Ausführungen zu den genannten Vermögen möglichst adäquat zu interpretieren.
Fazit In der naiv-realistischen Theorie wurde der systematische Aspekt der Symbolrelation zwischen den Elementen B und D reflektiert. Ausgangspunkt war eine naive Beziehung zwischen Sprache und Einzelding in der Welt. Es hat sich anhand zeitgenössischer Diskussionen gezeigt, dass dieser Ansatz nicht haltbar, aber auch nicht aristotelisch ist. Ganz im Gegenteil konnte man systematische Berührungspunkte zwischen modernen und aristotelischen Ansätzen erkennen. Es gibt kein naives Abbildverhältnis zwischen der Sprache und den konkreten Individuen; der epistemologische Aspekt, also die Frage, wie wir von der Welt wissen, tritt in den Vordergrund. Der direkte epistemische Bezug zur Welt läuft nicht über konkrete Individuen, sondern über das konkrete Allgemeine. In der naiv-mentalistischen Theorie wurde dann die Relation zwischen Element B und C vor dem Hintergrund moderner Diskussionen betrachtet. Auch hier wurde deutlich, dass ein naives Verständnis mentaler Entitäten, im Sinne einer Abbildtheorie und bildhafter Vorstellungen, nicht weit reicht, sondern ein Verständnis von 150
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Systematische Vorbemerkungen
Element C als Konzept um einiges vielversprechender ist. Mentale Entitäten als primitive, lexikale und propositionale Konzepte zu verstehen, scheint auf die Frage nach dem semantischen Fundament eine erste plausible Antwort zu geben: Es gibt bestimmte grundlegende und unhintergehbare Einheiten perzeptiver Natur, die wir erfassen und die die Grundlage sprachlicher Bedeutung bilden können. Diese primitiven Konzepte, hier verstanden als Qualia, besitzen Gehalt, somit »semantische Kraft«, und bilden den Startpunkt für die Entwicklung komplexer und strukturierter Konzepte, die dann in erster Linie nicht mehr phänomenal, sondern definitorisch zu verstehen sind. Das geht über ein naives Verständnis von Geist und Welt (actual thing – mental image) hinaus. Wie schon angedeutet wurde und noch weiter auszuführen sein wird, hat Aristoteles einen solchen naiven Ansatz nicht verfolgt. Schon im Fazit zum Kapitel über die naiv-realistische Bedeutungstheorie wurde dargelegt, dass Aristoteles das theoretische Konzept Quale gekannt hat (wie auch Detel in seiner Übersetzung klar macht). 182 Es lässt sich von Aristoteles über Locke bis hin zu Russell eine gewisse Ähnlichkeit in der Annahme von ἕν τῶν ἀδιαφόρων, objects of sense und sense-data erkennen, die darin besteht, dass es jeweils um grundlegende, sinnlich erfassbare, gehaltvolle und vorsprachliche Einheiten, um Qualia geht, die die epistemische Basis sprachlicher Bedeutung bilden. Es wurde zuletzt darauf hingewiesen, dass Qualia als respektable theoretische Größen sehr umstritten sind, v. a. weil sie aufgrund ihres subjektiv-phänomenalen Charakters scheinbar keiner klassisch-naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethode zugänglich sind. Und in der Tat stünde man dann vor dem Problem, dass mit der Annahme von Qualia als Element C die systematischen Ansprüche, die das SGG stellt, nicht eingelöst werden können. Wie sollte eine irreduzible und subjektive Entität in einer Ähnlichkeitsrelation zu Element D stehen können? Wie sollte diese Entität die »gleiche für alle Menschen«, also etwas Objektives sein können? Die Lösung, die hier dargestellt wurde, besteht in der Annahme des epistemischen Dualismus. Die Trennung von phänomenaler und physikalischer Beschreibung ist keine ontologische, sondern eine epistemologische Differenzierung. Ein und derselbe Gegenstand, Prozess oder Zustand ist phänomenal und physikalisch beschreibbar – dadurch werden Qualia an physische Gegebenheiten gebunden. Diese Eine weitere Untermauerung dieser Annahme geschieht im Rahmen von Kapitel 5.3.1.
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Bindung wird durch die Relation z, die zwischen den Elementen C und D besteht, ausgedrückt, und dadurch wird es möglich, dem phänomenalen Gehalt eine objektive Fundierung zuzusprechen.
5.2. Grundideen der aristotelischen Physik Weil die Untersuchung der Kandidaten für Element C und D so eng mit der späten Schrift De an. und den damit zusammenhängenden Parva naturalia verbunden ist, ist es sinnvoll, ihr eine knappe Darstellung einiger Aspekte des aristotelischen Denkens über natürliche Phänomene und Prozesse, worunter die verschiedenen psychischen Vermögen schließlich fallen, voranzustellen. Diese einführende Darstellung bezieht sich auf grundlegende Begrifflichkeiten der aristotelischen Physik, die, nach moderner Terminologie, als deskriptive Metaphysik der Natur und nicht so sehr als experimentelle Naturwissenschaft zu verstehen ist. 183 Auch bei der Darstellung der genannten Vermögen wendet Aristoteles diese Erklärungsstrategie an, versucht also, alle Phänomene und Prozesse, die mit diesen Vermögen zusammenhängen, einer naturwissenschaftlichen Sichtweise und Beschreibung zugänglich zu machen. Zwar sind viele empirische Befunde nur noch von historischem Interesse, wie etwa die Identifizierung des Herzens, nicht des Gehirns als das Zentralorgan des menschlichen Organismus. Die aristotelische Beantwortung naturwissenschaftlicher Einzelfragen mag heute falsch sein, wichtig ist es aber zu sehen, dass Aristoteles mit dieser Herangehensweise versucht hat, geistige Vermögen von Lebewesen prinzipiell einer naturwissenschaftlichen Beschreibung zugänglich zu machen. Das ist gewiss nicht immer so
An dieser Stelle werden einige grundlegende Methoden der aristotelischen Physik umrissen; auf den Unterschied, der trotz des Bestehens von Verbindungslinien zwischen der modernen Naturwissenschaft und der antiken Naturphilosophie besteht, kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Wenn im Folgenden und mit Bezug auf die aristotelische Theorie von Kausalität, physischen Prozessen u. ä. die Rede ist, dann darf das nicht anachronistisch verstanden werden, als ob Aristoteles schon die heutige Naturwissenschaft gekannt und ein modernes Verständnis von Kausalität und Physik gehabt hätte. Es lässt sich aber mit einigem Recht behaupten, dass auch Aristoteles versuchte, die Natur systematisch zu erfassen, und dabei auf Fragen gestoßen ist, die noch heute diskutiert werden; und es soll gezeigt werden, dass Aristoteles’ Antworten, etwa auf das Leib-Seele-Problem, noch heute der Diskussion würdig sind.
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gewesen, denn Platon vertritt bekanntlich einen ontologischen Dualismus hinsichtlich des Verhältnisses von Körper und Geist, der über Descartes in modifizierter Form bis heute nachwirkt. Nach Platon ist sogar erst dann wirkliches Erkennen und Wissen möglich, wenn die Seele nicht mehr im körperlichen Gefängnis sitzt, weil etwa die Triebe vom Streben nach Wissen ablenken. Aristoteles hat die Probleme des ontologischen Dualismus gekannt und einen eigenen Ansatz entwickelt. Ein Teil dieses Ansatzes besteht dann auch in der Ablehnung eines ontologischen Dualismus platonischer Prägung. Dieser Aspekt der aristotelischen Herangehensweise ist auch hinsichtlich der These vom epistemischen Dualismus von Interesse. Denn zunächst ist Aristoteles als empirisch orientierter Wissenschaftler immer daran interessiert, die explananda mit Hilfe seines physikalischen Begriffsinventars einzuordnen. Wie sich im Rahmen der Darstellung einiger zentraler Begrifflichkeiten zeigen wird, ist dieses Vorgehen an der Empirie orientiert, Aristoteles will einen konzeptuellen Rahmen für die Erklärung von Naturphänomenen anbieten und kein spekulatives Ideengebilde aufbauen. Deswegen könnte es scheinen, dass Aristoteles nicht nur den ontologischen, sondern auch den epistemischen Dualismus ablehnt, analog zu modernen Naturalisten. Diese Frage soll, wie erwähnt, zum Ende des Exkurses wieder aufgenommen werden, im Rahmen der Diskussion der Passage De an. I, 1, 403a3–b19. Es muss schließlich noch erwähnt werden, dass in den Frühschriften, also auch im Organon, diese physikalischen Begrifflichkeiten noch keine herausragende Rolle spielen. Sie sind an dieser Stelle aber auch für De int. von Wichtigkeit, weil v. a. mit dem Element C ein terminus technicus aus De an. eingeführt wird. Diese Tatsache, zusammen mit dem expliziten Verweis auf De an. in De int. 1, 16a8– 9, macht es sehr wahrscheinlich, dass hier eine bewusste Verbindung dieser beiden Schriften intendiert war. Deswegen ist es legitim, die Vermögensarten und -objekte, die für Element C und D in Frage kommen, anhand der relevanten Passagen aus De an. näher zu untersuchen, um die zentrale Frage beantworten zu können, womit der Bedeutungsträger bei Aristoteles identifizert wird: Mit dem Wahrnehmungs-, dem Vorstellungs- oder dem Denkinhalt bzw. -objekt.
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5.2.1. Form und Materie Das erste Begriffspaar lautet Form – Materie. 184 Es handelt sich hierbei um eine begriffliche Differenzierung, nicht um eine ontologische. Die ontologisch unabhängigen und fundamentalen Einzeldinge werden auf deskriptiver Ebene weiterführend analysiert. Ein Individuum, also eine der Terminologie von Cat. zufolge erste Substanz (πρωτή οὐσία), setzt sich demnach aus Materie (ὕλη) und Form (εἶδος oder μορφή) zusammen. Diese Erweiterung des οὐσία-Begriffs aus Cat. lässt sich sehr gut an einer Stelle aus De an. nachvollziehen. Dort spricht Aristoteles von der οὐσία in dreifacher Hinsicht: Von der Materie, von der Form und schließlich von dem aus diesen beiden Zusammengesetzten als den verschiedenen Ausprägungen der οὐσία. 185 Dadurch kann Aristoteles erklären, dass neue Dinge entstehen, ohne dem nihil-ex-nihilo-Problem zu begegnen: Es liegt immer etwas zugrunde, woran der Wechsel zu einem Gegensatz vonstatten geht. Die Form ändert sich, die Materie ist das Zugrundeliegende, das trotz Veränderung gleich bleibt, gleichsam beharrt. 186 Zur Illustration dieser deskriptiven Unterscheidung von Form und Materie sind Beispiele hilfreich. Das Statuen-Beispiel wird gerne herangezogen, um die FormMaterie-Differenzierung zu veranschaulichen. Es handelt sich dabei um eine Bronzestatue, die zum einen aus der Materie, dem Stoff, nämlich der Bronze, zum anderen aus der Form, die man sich in diesem Kontext als Gestalt denken kann, besteht. Eine Statue entsteht dann, wenn ein Bildhauer einen Brocken Bronze in eine neue Form bringt, ihm eine neue Gestalt gibt. Obwohl die Materie schon vorher existiert hat, reden wir erst nach der Formgebung von einer Statue; hier ist also etwas Neues entstanden, indem etwas schon Existierendes eine neue Form bekommen hat. Mit dieser Differenzierung von Form und Materie ist es also möglich, das Entstehen neuer Dinge und
Der griechische Ausdruck für Materie ist ὕλη. Für Form werden zwei verschiedene Formulierungen verwendet, nämlich εἶδος und μορφή. 185 Vgl. De an. II, 1, 412a6–9. 186 Die Vielfältigkeit der Entstehung von »neuen Dingen« illustriert Aristoteles in Phys. I, 7, 190b5–9: Durch Wegnahme, Zufügen oder Umformung kann Neues entstehen. Prinzipiell gilt aber: Es gibt bei jeder Art des Entstehens oder Werdens etwas Zugrundeliegendes (ὑποκείμενον), woran die Veränderung, der Wechsel ins Gegenteilige (ἀντικείμενον), stattfindet; einschlägig hierzu auch Physica I, 7, 190b9–17. 184
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Eigenschaftsveränderung prinzipiell zu erklären, ohne dem nihil ex nihilo-Problem zu begegnen. Ein weiteres Beispiel, das den funktionalen Charakter der Form betont, ist die aristotelische Definition der Seele als Form des Körpers eines Lebewesens: Der menschliche Körper ist die Materie, die erst durch die Seele zu einem lebendigen, also auf verschiedenen Lebensfunktionen beruhenden Organismus aktualisiert wird. Ein Lebewesen besteht aus einem Körper, d. h. aus verschiedenen Organen, die aus den grundlegenden Elementen aufgebaut sind; das ist die materielle οὐσία. Ein Lebewesen ist aber nicht nur ein bloßer Körper. Lebendig wird es erst durch die Aktualisierung bestimmter körperlich fundierter Vermögen. Lebendigkeit wird von Aristoteles verstanden als Ausübung bestimmter, aufeinander aufbauender Vermögen, also Ernährungsvermögen, Bewegungsvermögen, schließlich Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Denkvermögen. Ein Körper, der zwar alle materiellen Bedingungen erfüllt, die ein Lebewesen vorweisen muss, aber eben nicht belebt ist, kann kein Lebewesen sein. Belebt ist ein Körper genau dann, wenn er die Form besitzt, d. h. bestimmte Funktionen aktualisiert. Dieses Beispiel dürfte klarer werden, wenn das zweite Begriffspaar, das hier schon angeklungen ist, in den Fokus rückt.
5.2.2. Möglichkeit und Wirklichkeit Dieses zweite Begriffspaar ist Möglichkeit – Wirklichkeit. 187 Diese Unterscheidung ist mit der oben dargestellten Unterscheidung zwischen Form und Materie verknüpft. Die Materie ist in Möglichkeit das, was durch die Form Wirklichkeit wird (insofern ist etwa die Seele die Form eines potentiell belebten Körpers), wobei die Form in zwei Ausprägungen vorliegen kann: ἔστι δ’ ἡ μέν ὕλη δύναμις, τό δ’ εἶδος ἐντελέχεια, καί τοῦτο διχῶς, τό μέν ὡς ἐπιστήμη, τό δ’ ὡς τό ϑεωρεῖν Der griechische Ausdruck für Möglichkeit ist δύναμις; eine oft gewählte, alternative Übersetzung ist »Potentialität«. Für Wirklichkeit existieren zwei griechische Ausdrücke: ἐνέργεια und ἐντελέχεια. Eventuell beziehen sie sich auf zwei aufeinander aufbauende Stufen der Verwirklichung, die umgehend thematisiert werden. Auch für »Wirklichkeit« gibt es eine entsprechende Übersetzungsalternative: »Aktualität«.
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Die Materie ist Möglichkeit, die Form Wirklichkeit, und dies wiederum ist sie auf zweierlei Weisen: Zum einen wie das Wissen, zum anderen wie das Überlegen. De an. II, 1, 412a9–11
Für eine erste Annäherung kann man wieder das Statuenbeispiel heranziehen: Der Bronzeklumpen ist nur potentiell eine Statue; er kann erst dann zu einer wirklichen Statue werden, wenn ihm eine bestimmte Gestalt, eine Form gegeben wird. Analog dazu gilt, dass ein Mensch erst dann ein wirklicher Mensch ist, wenn neben den körperlichen Voraussetzungen die Form, also die Seele, vorliegt. Die Form verwirklicht die nur potentielle bzw. mögliche Materie zu einem bestimmten Individuum. Im obigen Zitat wird zudem deutlich, dass die Wirklichkeit in zwei Stufen vorliegen kann. Diese werden hier etwas dunkel einerseits mit »wie das Wissen« (τό μέν ὡς ἐπιστήμη) und andererseits mit »wie das Überlegen« (τό δ’ ὡς τό ϑεωρεῖν) beschrieben: Der Mensch hat die Möglichkeit, sich aufgrund seiner verschiedenen Vermögen Wissen anzueignen. Diese Möglichkeit besteht zunächst in der körperlichen Verfasstheit des Menschen, die gewisse physiologische Voraussetzungen für den Wissenserwerb erfüllt. Die erste Stufe der Aktualisierung besteht dann in einem ersten Besitz von Wissen. Die bloße Möglichkeit wird ersetzt durch die Verwirklichung des Wissens, durch seinen Besitz. Die zweite Stufe der Wirklichkeit besteht dann in der Betätigung des Wissens. Das Wissen, das man erworben hat, wird angewandt, um sich weiteres Wissen anzueignen. 188
Der Abstraktionsgrad dieser begrifflichen Unterscheidung wächst also von der zweiten Wirklichkeitsstufe bis hin zur bloßen Möglichkeit. Die bloße Möglichkeit des Wissenserwerbs ist etwas, das man begrifflich konstruieren muss. Sie ist im Alltag nicht vorzufinden, entgegen den beiden Stufen der Wirklichkeit; »Ich weiß [etwas]« oder »Ich lerne [etwas]« bzw. »Ich mache [etwas, das ein bestimmtes Wissen voraussetzt]« sind im Alltag häufig vorzufindende Formulierungen. Vgl. hierzu auch die Definition der Seele als die erste Wirklichkeit eines in Möglichkeit lebendigen Körpers. Die Trennung von Seele und Körper ist bei Aristoteles nur begrifflich möglich, insofern abstrakt. Der lebendige Körper bzw. der in der zweiten Wirklichkeit mittels seiner Vermögen tätige Körper ist dagegen eine konkrete, alltagsbewährte Vorstellung.
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5.2.3. Bewirken und Erleiden Das dritte Begriffspaar ist Bewirken – Erleiden. 189 Auch hier liegt eine Verbindung zu den schon erwähnten Begriffspaaren vor. Die Form, das Wirkliche affiziert die Materie, das Mögliche, wirkt auf sie ein. Hier liegt die Betonung auf einem kausalen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Wieder kann man das Statuenbeispiel als Erklärungshilfe heranziehen: Der Bronzeklumpen erhält in einem kausalen Akt die Form, die den Klumpen zur Statue macht. Wo liegt hier aber die Ursache? Die liegt in demjenigen, der den Klumpen zur Statue verarbeitet. Der Bildhauer besitzt in seinem Geiste die Idee, d. h. die intelligible Form 190 der Statue, die den physisch-kausalen Prozess der Bearbeitung des Bronzeklumpens zumindest mitinitiiert. 191 Die Form hat also einen kausalen Charakter. Durch die formale Verursachung erhält eine Materie eine neue Form. Damit liegt die Form-Materie-Beziehung auch in kausaler Hinsicht vor.
5.2.4. Nochmals: Epistemischer Dualismus Die These des epistemischen Dualismus spielt deswegen eine wichtige Rolle, weil damit der semantisch relevante Gehalt grundlegender Wahrnehmungsobjekte angenommen werden kann. Diese semantische Relevanz ist bei den physischen Prozessen nicht in gleicher Weise gegeben, jedoch ermöglichen gerade sie die Einlösung der Objektivitätsforderung. Wenn Aristoteles als epistemischer Dualist verstanden werden kann, dann können beide Anforderungen erfüllt werden: Zum einen das Verständnis von Qualia als die irreduziblen, grundlegenden und nicht-sprachlichen Fundamente sprachlicher Bedeutung, gleichsam ihre perzeptive Wurzel; zum anderen die »Objek-
Die griechischen Ausdrücke lauten ποιεῖν für Bewirken und πάσχειν für Erleiden. 190 Diese intelligible Form muss natürlich aktual, also wirklich, sein, um als Ursache wirken zu können, also etwas nur Mögliches zu aktualisieren. Das bedeutet, dass sie in Kombination mit einer Materie vorliegen muss. Nur: kann etwas Intelligibles materiell sein? Mit dieser Frage stösst man in die Untiefen der aristotelischen Intellekttheorie vor, die unten im Kapitel 5.5 noch genauer betrachtet wird. 191 Aristoteles kennt noch drei weitere Formen der Verursachung. Neben der hier erwähnten formalen Ursache sind das die Wirk-, die Ziel- und die materielle Ursache. 189
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tivierung« von Qualia dadurch, dass sie immer mit einem physischen Prozess korrelieren, der in der Sprache der Naturwissenschaft (bzw. im Rahmen der aristotelischen Physik als Metaphysik der Natur) beschreibbar ist. Dabei liegt aber keine ontologische Differenz dieser Korrelate vor, sondern lediglich zwei in epistemischer Hinsicht differierende Beschreibungsmöglichkeiten. Wie angekündigt erfolgt nun eine grundlegende Verteidigung dieser These als aristotelisch anhand von programmatischen Äußerungen aus dem Anfangskapitel von De an.: ἀπορίαν δ’ ἔχει καί τά πάϑη τῆς ψυχῆς, πότερόν ἐστι πάντα κοινά καί τοῦ ἔχοντος ἢ ἔστι τι καί τῆς ψυχῆς ἴδιον αὐτῆς: τοῦτο γάρ λαβεῖν μέν ἀναγκαῖον, οὐ ῥᾴδιον δέ. φαίνεται δέ τῶν μέν πλείστων οὐϑέν ἄνευ τοῦ σώματος πάσχειν οὐδέ ποεῖν, οἷον ὀργίζεσϑαι, ϑαρρεῖν, ἐπιϑυμεῖν, ὅλως αἰσϑάνεσϑαι, μάλιστα δ’ ἔοικεν ἰδίῳ τό νοεῖν: εἰ δ’ ἐστί καί τοῦτο φαντασία τις ἢ μή ἄνευ φαντασίας, οὐκ ἐνδέχοιτ’ ἄν οὐδέ τοῦτ ἄνευ σώματος εἶναι. Hinsichtlich der mentalen Zustände gibt es auch die Unklarheit, ob sie alle gemeinsam mit dem [Körper], der sie hat, [vorkommen] oder ob es etwas der Seele selbst Eigentümliches gibt. Dies muss geklärt werden, ist aber nicht einfach. Es scheint so, dass die meisten [mentalen Zustände] nichts ohne den Körper erleiden oder bewirken, wie z. B. zu zürnen, mutig zu sein, zu begehren, und überhaupt wahrzunehmen. Am ehesten scheint das Denken [der Seele] eigentümlich zu sein. Wenn dieses aber eine Art Vorstellung ist oder nicht ohne Vorstellung [vorkommt], dann müsste man nicht annehmen, dass es ohne den Körper vorkommt. De an. I, 1, 403a3–10
Man merkt die Zurückhaltung, in der sich Aristoteles übt, wenn es um die Frage geht, ob es etwas der Seele Eigentümliches gibt, ob also mentale Zustände unabhängig vom Körper vorkommen können. Darin drückt sich die grundlegende Skepsis gegenüber einem ontologischen Dualismus aus, die sich auch auf das Denkvermögen erstreckt, das nach Aristoteles noch »am ehesten« als unkörperlich zu verstehen ist. Er sucht eine Alternative zum ontologischen Abtrennen des Denkens vom Körper – man möchte nach der Lektüre der einschlägigen Texte fast sagen, dass er dringend nach einer solchen Alternative sucht. 192 Diese skeptische Haltung drückt sich auch in den Anfangszeilen von De an. III, 4, 429a10–13 aus, also in dem Abschnitt, in dem die Untersuchung des Denkvermögens
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Wenig später im Text betont er noch einmal die Korrelationsthese: ἔοικε δέ καί τά τῆς ψυχῆς πάϑη πάντα εἶναι μετά σώματος, ϑυμός, πραότης, φόβος, ἔλεος, ϑάρσος, ἔτι χαρά καί τό φιλεῖν τε καί μισεῖν: ἅμα γάρ τούτοις πάσχει τι τό σῶμα. Es scheint, dass alle mentalen Zustände mit dem Körper verbunden sind, Mut, Sanftmut, Furcht, Mitleid, Kühnheit, schließlich Freude sowie das Lieben und Hassen. Denn in diesen Fällen erleidet gleichzeitig der Körper etwas. De an. I, 1, 403a16–19
Auch wenn hier das Denkvermögen nicht explizit genannt wird; es sind alle mentalen Zustände gemeint. Man sollte nicht davon ausgehen, dass Aristoteles hier nur eine ganz bestimmte Art mentaler Zustände meint, etwa charakterliche Eigenschaften (ethische Tugenden). Zwar lässt sich an solchen Beispielen der Doppelaspekt mentaler Zustände gut nachvollziehen. Die Ausführungen in diesem ersten Buch von De an. sind aber grundsätzlicher Natur und betreffen alle Arten von τά τῆς ψυχῆς πάϑη. Ein letztes Zitat führt ein paar Schritte weiter: εἰ δ’ οὕτως ἔχει, δῆλον ὅτι τά πάϑη λόγοι ἔνυλοί εἰσιν. ὥστε οἱ ὅροι τοιοῦτοι οἷον »τό ὀργίζεσϑαι κίνησίς τις τοῦ τοιουδί σώματος ἢ μέρους ἢ δυνάμεως ὑπό τοῦδε ἕνεκα τοῦδε«. καί διά ταῦτα ἤδη φυσικοῦ τό ϑεωρῆσαι περί ψυχῆς, ἢ πάσης ἢ τῆς τοιαύτης. διαφερόντως δ’ ἄν ὁρίσαιντο ὁ φυσικός τε καί ὁ διαλεκτικός ἕκαστον αὐτῶν, οἷον ὀργή τί ἐστιν: ὁ μέν γάρ ὄρεξιν ἀντιλυπήσεως ἢ τι τοιοῦτον, ὁ δέ ζέσιν τοῦ περί καρδίαν αἵματος καί ϑερμοῦ. τούτων δέ ὁ μέν τήν ὕλην ἀποδίδωσιν, ὁ δέ τό εἶδος καί τόν λόγον. ὁ μέν γάρ λόγος ὅδε τοῦ πράγματος, ἀνασσγκη δ’ εἶναι τοῦτον ἐν ὕλῃ τοιᾳδί, εἰ ἔσται: ihren Anfang nimmt. Die Frage, ob dieser Teil der Seele räumlich, also ontologisch, oder »nur« in deskriptiver Hinsicht abtrennbar ist (εἴτε χωριστοῦ ὄντος εἴτε καί μή χωριστοῦ κατά μέγεϑος ἀλλά κατά λόγον, 429a11–12), wird zurückgestellt – es geht zunächst um eine Festsetzung der spezifischen Differenz des Denkvermögens und dem, was bei dem Prozess des Denkens vorgeht (σκεπτέον τίν’ ἔχει διαφοράν, καί πῶς ποτέ γίνεται τό νοεῖν, 429a12–13). Dazu kommt, dass Aristoteles hie und da die im obigen Zitat etwas vorsichtig formulierte Abhängigkeit des Denkens von der Vorstellung offensiv behauptet, so z. B. in De an. III, 8, 432a8–9 oder in Mem. 1, 449b32–450a1. Sprache, Bedeutung, Geist
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Wenn es sich so verhält, dann ist klar, dass die mentalen Zustände materielle Proportionen [λόγοι ἔνυλοι] sind. Daher sind die Definitionen von der Art, wie bspw. bei »das Erzürnen ist eine Bewegung eines Körpers von der und der Art oder eines Teils oder Vermögens von ihm, verursacht von etwas und zu einem bestimmten Zweck«. Deswegen ist es schon an den Physikern, die Seele zu untersuchen, ob nun alle oder nur diejenigen mit einer bestimmten Beschaffenheit. Der Physiker und der Dialektiker würden aber jeden davon [i. e. jeden mentalen Zustand] auf unterschiedliche Weise definieren, wie z. B. [bei der Frage]: Was ist Zorn? Der eine [gibt] nämlich das Streben nach Vergeltung oder etwas Derartiges [an], der andere das Aufwallen des Blutes und der Hitze in der Nähe des Herzens. Der eine von ihnen gibt die Materie an, der andere die Form und die Definition [λόγος]. Denn das ist zwar die Definition eines Dinges [λόγος τοῦ πράγματος]; sie muss jedoch in einer auf bestimmte Weise beschaffenen Materie [ἐν ὕλῃ τοιᾳδί] [realisiert] sein, wenn es [i. e. das πρᾶγμα] existieren soll. De an. I, 1, 403a24-b3
Hier wird die Verschränkung der beiden Ebenen eingehender beschrieben. Zunächst sagt Aristoteles, dass, wenn die obigen Ausführungen zutreffen, die mentalen Zustände λόγοι ἔνυλοι sind. Es ist sicherlich kein geringes Rätsel, was mit dieser Formulierung gemeint sein soll. Ross bezieht sich in seinem Kommentar auf Hicks, der die Formulierung »forms or notions realised in matter« wählt, und übersetzt mit »notions containing a reference to matter« (Ross, 1961, S. 168). Hett übersetzt mit »formulae expressed in matter« und Theiler/Seidl mit »begriffliche Verhältnisse (Logoi) an der Materie.« Es ist aber schwer zu verstehen, was damit gemeint sein soll; deswegen erfolgt nun ein Interpretationsversuch, der sich als Alternative zu dem Verständnis, das die erwähnten Übersetzungsvorschläge suggerieren, verstehen lässt: Im ersten Teil des Zitats ist die physikalische Beschreibungsebene zentral. In dieser Hinsicht muss ein mentaler Zustand ein λόγος ἔνυλος sein, also etwas Materielles. Dazu passt die spätere Behauptung, dass sich der Physiker bezüglich der Form-Materie-Unterscheidung um die Materie kümmert. Damit ist zunächst nichts anderes ausgedrückt, als dass jeder mentale Zustand μετά σώματος ist. Wie der Ausdruck λόγος in dieser Hinsicht zu verstehen ist, ist aber unklar. Jedoch erscheint ein Übersetzungsvorschlag wie »begriffliches Verhältnis an der Materie« mehr als fragwürdig. Was genau soll ein »begriffliches Verhältnis«, das an der Materie vorkommt, sein? Eine Alternative könnte in der Annahme bestehen, dass λόγος hier gerade nicht als sprachlich bzw. begrifflich verstanden wird, sondern als eine 160
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körperliche Proportion, eine naturale Strukturiertheit, die überhaupt erst ein Erkennen, ein perzeptives Erfassen und Unterscheiden der Materie ermöglicht – diesem Verständnis folgt die obige Übersetzung »materielle Proportionen«. Eine »dialektische« Definition hat eine syntaktisch-semantische Struktur (i. S. eines lexikalen Konzepts); die physikalische Definition erfolgt sicherlich auch mit der Sprache, bezieht sich aber doch auf die außersprachliche materielle Struktur der körperlichen Prozesse oder Zustände (heute würde man vielleicht von einer atomaren Struktur o. ä. reden). Beide Aspekte werden aufgrund ihrer Strukturiertheit erfasst bzw. erkannt, wobei das Erkennen materieller Proportionen schon im Wahrnehmungsvermögen angelegt ist. 193 Die Definition des Dialektikers ist nicht wahrzunehmen, sondern mit der Vernunft zu erfassen. Die »Verkörperlichung« einer Definition muss – das drückt Aristoteles in den letzten vier Zeilen des obigen Zitats aus – im Rahmen der Form-Materie-Differenz verstanden werden. Der Dialektiker gibt eine formale, der Physiker eine materielle Definition. Beide beziehen sich in ontologischer Hinsicht aber auf ein und dasselbe, sie haben lediglich verschiedene epistemische Blickwinkel. D. h., wenn der definierte Gegenstand tatsächlich existieren soll (εἰ ἔσται, De an. I, 1, 403b3), dann muss es einen »sound-so beschaffenen Körper« geben, der dem, was die Definition expliziert, entspricht – und dieser Körper muss auch eine Strukturiertheit aufweisen, die es ermöglicht, ihn mit dem Wahrnehmungsvermögen zu erfassen und ihn dann auch anhand der sprachlichen Definition als einen so-und-so beschaffenen Körper zu identifizieren. Wenn jemand tatsächlich Zorn empfindet, dann muss nicht nur die lexikalische Definition zutreffen, sondern es muss immer auch eine bestimmte körperliche Verfasstheit vorliegen, die mit dieser Definition korreliert. Der Zorn ist eine materielle Proportion, ein physischer Prozess, er ist aber auch das Streben nach Vergeltung. Hier kommt das aristotelische πολλαχῶς λεγόμενον von εἶναι zum Tragen und fügt sich gut in die These des epistemischen Dualismus ein. Diese Differenzierung zwischen formaler und materieller Definition begegnet in Kürze bei der Untersuchung der spezifischen Wahrnehmungsobjekte wieder und dient dann auch zur Erhärtung der hier verteidigten These. Als ein erster Beleg dafür, dass man Aristoteles einen
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Vgl. hierzu auch die Kapitel 5.3.1 und 5.3.2.
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epistemischen Dualismus zuschreiben kann, sollten die hier erfolgten Anmerkungen vorerst genügen.
5.2.5. Zusammenfassung und Überleitung In den nun folgenden Kapiteln steht die Untersuchung der aristotelischen Sichtweisen zum Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Denkvermögen im Fokus. Dabei wird immer wieder versucht, zwischen den erfolgten systematischen Vorüberlegungen und den aristotelischen Thesen und Texten Verknüpfungen herzustellen. Ausgehend von der im SGG angelegten Vorentscheidung zugunsten eines semantischen Repräsentationalismus wurden die Positionen diskutiert, die die Dinge in der Welt respektive die Dinge in unserem Geist als das von der Sprache Repräsentierte ansehen: Sprache symbolisiert etwas im Geist (Element C; mentalistische Bedeutungstheorie) und etwas in der Welt (Element D; realistische Bedeutungstheorie). Im Laufe dieser systematischen Durchsicht wurde klar, dass eine naive Interpretation dieser Symbolrelationen mit vielen Problemen belastet ist. Ein alternativer Ansatz wurde aufgezeigt, der im Kern in der Annahme von Konzepten besteht, die sowohl für das Verständnis von Element C (das Konzept als mentale Entität: primitive Konzepte, also Qualia beim Wahrnehmungsvermögen, lexikale Konzepte beim Denkvermögen) als auch von Element D (das Konzept als abstrakte Entitäten, als Frege’sche Sinne beim Denkvermögen, als externe Objekte beim Wahrnehmungsvermögen) eine in systematischer Hinsicht vielversprechendere Interpretation des semantischen Repräsentationalismus ermöglicht. Dabei spielte auch die Differenzierung zwischen dem formalen und dem epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage eine Rolle. Man könnte nämlich dem semantischen Repräsentationalismus eine gewisse Naivität unterstellen, etwa mit der Entgegnung: »Was soll denn der sprachliche Ausdruck »Einhorn« repräsentieren, durch das er dann seine Bedeutung erhält? Denn wer hat schon jemals ein Einhorn gesehen!? Die Bedeutung von »Einhorn« kommt also sicherlich nicht von dem damit repräsentierten Ding Einhorn. Und wenn Du dich auf deine mentale Vorstellung eines Einhorns berufen willst, dann mache dich bitte vertraut mit den schwerwiegenden Vorwürfen gegen mentalistische Bedeutungstheorien«. Mit der Differenzierung wird dieser Unterstellung etwas entgegengesetzt, und zwar die Behauptung, dass die Dinge, auf die 162
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man sich mit sprachlichen Ausdrücken beziehen kann, nicht nur die konkreten und handfesten Individuen der Alltagswahrnehmung sind, sondern auch komplexere und in ihrer »epistemischen Geschichte« anspruchsvollere Dinge, wie das Einhorn eines darstellt. Die Unterscheidung zwischen der durch die Alltagspsychologie inspirierten Annahme, dass, wenn man den Ausdruck »Einhorn« in einem Satz an Subjektstelle verwendet, man auch über das Ding Einhorn spricht (der formale Aspekt), und der Frage, wie dieses Ding Einhorn erkenntnistheoretisch und ontologisch verwurzelt ist (der epistemische Aspekt), muss als Teil der These des semantischen Repräsentationalismus angenommen werden. Die Frage, die sich nun mit Blick auf die aristotelische Semantik stellt, lautet: Kann man diese systematischen Überlegungen auf Aristoteles übertragen? Anhand der grundlegenden Idee des epistemischen Dualismus wurde schon versucht, für das Gelingen dieses Übertrags zu argumentieren.
Ansprüche und Angebote Dass Aristoteles grundsätzlich einen semantischen Repräsentationalismus vertritt, wurde schon dargestellt. Sprachliche Ausdrücke bedeuten etwas (σημαίνει τι; z. B. De int. 1, 16a15–16 oder 3, 16b20). Dieses Etwas 194 ist das von der Sprache Repräsentierte, das entsprechende πάϑημα bzw. πρᾶγμα. Diese Symbolbeziehung wird von Aristoteles im SGG dargestellt, und nach der hier vertretenen Interpretation besteht sie zwischen Sprache und mentalen Zuständen (BxC bzw. ByC), sowie zwischen Sprache und Dingen (ByD). Dass zwischen dem mentalen Zustand und dem Ding eine Ähnlichkeitsrelation besteht (CzD), macht die Doppelung der Symbolrelation zusätzlich plausibel.
Die Substantivierung des griechischen τι dürfte in diesem Kontext unproblematisch sein. Aristoteles spricht in De int. häufig genung von ἕν σημαίνειν, also »eine Einheit bedeuten«. Dazu sind die Elemente des SGGs als solche Einheiten zu verstehen; insofern ist es schlüssig zu behaupten, dass eine sprachliche Einheit sich auf eine andere Einheit, also Element C oder D, als Symbol bezieht und durch diese Symbolbeziehung die Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks konstituiert wird. Eine andere Frage ist der ontologische Status dieser Einheiten. Dass man diese Frage nicht berücksichtigt, scheint ein Hauptgrund dafür zu sein, das SGG in einer naiven Weise zu interpretieren.
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Es steht daher die Aufgabe an, die sehr vagen Begriffe, die Aristoteles für Element C und D verwendet, zu untersuchen, um den Abgleich mit den systematischen Überlegungen vornehmen zu können. Die Frage lautet: Was genau meint Aristoteles im Kontext des SGGs mit den Ausdrücken παϑήματα τῆς ψυχῆς und πρᾶγμα? Diese Frage muss von zwei Seiten angegangen werden. Zum einen von der Anspruchsseite aus, also von der Faktizität der Bedeutsamkeit unserer Sprache, den sog. meaning facts. Die Vielfältigkeit der bedeutsamen Sprache, die vielen verschiedenen grammatischen Kategorien, die bedeutungsrelevant sind, müssen durch die Bestimmung von Element C und D erklärbar werden. Singuläre und allgemeine, abstrakte und konkrete Ausdrücke müssen abgedeckt sein, Sätze und Satzverbände, auch die Funktion synkategorematischer Ausdrücke sollten berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite stehen die Kandidaten, die durch den technischen Überbegriff παϑήματα τῆς ψυχῆς bzw. πρᾶγμα, überhaupt in Frage kommen. Das ist die Angebotsseite, von der aus ja auch die systematischen Überlegungen ihren Ausgang genommen haben. In der Forschung stehen bis heute zwei Möglichkeiten zur Debatte, das Element C inhaltlich zu präzisieren. Das ist zum einen die Vorstellung (φαντασία), zum anderen das Denken (νοῦς bzw. νόησις). Damit sind zunächst die Vermögen benannt, die zur Erfassung bestimmter Objekte dienen. Aristoteles macht diese Trennung von Vermögen und Objekt auch begrifflich klar. Objekte des Denkvermögens werden von ihm als νοητά bezeichnet (sing. νοητόν), analog zu den Objekten des Wahrnehmungsvermögens (αἰσϑητά/sing. αἰσϑητόν). 195 Diese Objekte sind die Kandidaten für Element D. Für die mentalen Korrelate dieser Objekte der jeweiligen Vermögen besitzt Aristoteles auch ein spezielles Vokabular: αἴσϑημα, φάντασμα bzw. νόημα. Dies wären die entsprechenden Kandidaten für Element C. Zur Übersicht und zum Vergleich des aristotelischen Angebots mit den systematischen Vorüberlegungen dient folgendes Schema:
Mir ist nur eine Stelle (Mem. I, 450a2a4) bekannt, an der Aristoteles die entsprechende Formulierung für das Vorstellungsobjekt (φανταστόν) verwendet; Bonitz führt den Ausdruck erst gar nicht auf. Das ist jedoch insofern konsequent, als Aristoteles die φαντασία nicht als eigenständiges Vermögen ansieht, sondern als elementar von der Wahrnehmung und deren Objekten abhängig.
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Naive Theorie
Konzepttheorie
Systematische Vorbemerkungen: Element C Relation z Element D Mentales Abbild Transparente Konkretes (mental image) Abbildung Individuum (actual thing) primitives Konzept Strukturelle Wahrnehmungs(Qualia, senseIsomorphie objekt (object of data) sense; sense-data)
lexikales Konzept Strukturelle Isomorphie Aristotelische Angebote: Element C Relation z Wahrnehmungs- αἴσϑημα, »Aufnahme der vermögen φάντασμα Form ohne die Materie« Denkvermögen νόημα »Aufnahme der Form ohne die Materie« (?)
abstraktes Objekt
Element D αἰσϑητόν
νόητον
Vermögen und Objekt Kurz soll noch auf die erwähnte Trennung von Vermögen und Objekt eingegangen werden. Ihre Berücksichtigung ist deswegen wichtig, weil Aristoteles an verschiedenen Stellen ein Abhängigkeitsverhältnis formuliert. Demnach basiert die Vorstellung auf der Wahrnehmung, das Denken auf der Vorstellung. 196 Diese Formulierung mag zur Behauptung verleiten, dass Wahrnehmungs- bzw. Vorstellungsinhalte die wahrscheinlichsten Kandidaten für das Element C sind, gerade weil sie das Fundament für das Denkvermögen und dessen Objekte bilden. Ohne Wahrnehmung keine Vorstellung, ohne Vorstellung kein Denken. Da somit alles, was im Denken möglich ist, schon in der Vorstellung angelegt sein muss, ist sprachliche Bedeutung schon im perzeptiven Vermögen zu begründen. Jedoch ist dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht auf diese Weise zu verstehen. Es handelt sich dabei vielmehr um eine genetische Abhängigkeit der Vermögen: Ein Lebewesen, das sich etwas vorstellen kann, muss auch 196
Vgl. De an. III, 3, 427b14–16.
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ein Wahrnehmungsvermögen besitzen. Und nur wenn diese beiden Vermögen vorhanden sind, ist es auch möglich, dass das Denkvermögen vorliegt. Das höhere Vermögen bedingt das Vorhandensein des niederen. Dem liegt die auch heute noch richtige Überlegung zugrunde, dass geistige Vermögen kontinuierlich entwickelt sind und insofern aufeinander aufbauen. Wenn man aber den Blick auf die Objekte der verschiedenen Vermögen wirft, dann stellt sich dieses Verhältnis nicht in derselben Form als Abhängigkeitsverhältnis dar. Aristoteles selbst sagt, dass man alles denken kann. 197 Hier kann es also nicht die oben skizzierte Form der Abhängigkeit geben, d. h. dass alles, was als Objekt gedacht werden kann, schon in den perzeptiven Vermögen erfassbar sein muss. Auch aus diesem Grund ist das Denkvermögen bzw. seine Objekte eher als das Wahrnehmungsvermögen dazu qualifiziert, die Rolle des Bedeutungsträgers zu übernehmen – unter die Denkobjekte lassen sich verdächtige und seltsame Gegenstände wie das Einhorn oder der Bockhirsch subsumieren, die ja keine Objekte der Wahrnehmung sein können. Die Objekte der Wahrnehmung sind konkret, sie sind in der externen Welt – ob darunter Individuen oder Allgemeinheiten zu verstehen sind, das spielt zunächst keine Rolle. Die Wahrnehmung und auch die Vorstellung sind von diesen Objekten abhängig. Hier bewegt man sich in einer rein perzeptiven Sphäre, die von theoretischen Betrachtungen oder durch Sprache bedingte Kategorisierungen noch nicht durchdrungen ist. Erst mit dem Denkvermögen ist das begrifflich-theoretische Erfassen dessen, was uns umgibt, ermöglicht (und somit auch die Entwicklung von wissenschaftlichen Theorien über die Natur, wie etwa über die verschiedenen menschlichen Vermögen). Diese theoretischen Konstruktionen und begrifflichen Kategorisierungen spielen im Alltag immer schon eine tragende und strukturierende Rolle, weswegen es schwer ist, sich vorzustellen, wie wir wahrnehmen würden, wenn wir das, was wir wahrnehmen, unabhängig von unserem sprachlichen Inventar erfassen würden. Das ist auch deswegen schwierig, weil man von frühester Kindheit an anfängt, dieses Inventar auszubilden und anzuwenden. Nach seiner AusbilVgl. De an. III, 4, 429a18: ὥσπερ τό αἰσϑητικόν πρός τά αἰσϑητά, οὕτω τόν νοῦν πρός τά νοητά. ἀνάγκη ἄρα, ἐπεί πάντα νοεῖ, ἀμιγῆ εἶναι. Der Analogie bzgl. der Funktionalität von Wahrnehmung und Denken hinsichtlich ihrer Objekte folgt der Hinweis, dass das Denkvermögen (und die Denkobjekte) »unvermischt« (also nicht materiell) sein dürfen, weil man ja alles denken kann. Vgl. hierzu Kapitel 5.5.1.
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dung und der routinierten Anwendung wird im Alltagsgeschehen dieses »Einsickern« des sprachlichen Inventars in die Wahrnehmung in der Regel nicht tiefgehend reflektiert. Wahrnehmung und Denken haben aber verschiedene Objekte, und es ist anzuzweifeln, dass die Objekte des Denkens von den Objekten der Wahrnehmung bzw. der Vorstellung in der Weise abhängig sind, wie das Denkvermögen vom Vorstellungs- und Wahrnehmungsvermögen abhängig ist.
Sprachliche und vorsprachliche Wahrnehmung Wir nehmen Dinge wahr und stellen uns Dinge vor, die dann auch im Denken ihren Platz haben. Man kann ja annehmen, jemand sieht eine Person und wird dadurch, wegen der Wahrnehmung der ihm bekannten und geliebten oder verhassten Person in eine bestimmte Stimmung versetzt. Nun kann man sich auch unabhängig von der Anwesenheit dieser Person an sie erinnern, was dann einen ähnlichen, wenn auch abgeschwächten Effekt auf die Stimmungslage haben kann. Man kann diese Person auch sprachlich erfassen, etwa wenn sie im Gespräch mit anderen durch Beschreibung bzw. Kennzeichnung als Gegenstand der Rede eingeführt wird. Ist es nun dasselbe, von der wahrgenommenen bzw. bildlich vorgestellten Person und von der mittels Sprache beschriebenen Person zu sprechen? Handelt es sich um ein identisches Objekt? Auf der einen Seite gilt, dass, mit Bezug auf die Vermögen, ein Lebewesen ohne Wahrnehmung keine Vorstellung von der Person und ohne Vorstellung auch keine sprachliche Beschreibung der Person entwickeln kann. Auf der anderen Seite gilt aber auch, dass es bei Lebewesen, die alle diese Vermögen besitzen, also bei den Menschen, möglich ist, durch die Konzeptualisierung einer Person (oder eines Objekts), d. h. durch hinreichend genaue Beschreibung bzw. Kennzeichnung, sie jemanden, der keine Wahrnehmung von dieser Person (oder diesem Objekt) hat, zu beschreiben, was nichts anderes ist, als ein einheitliches Konzept dieser Person (oder des Objekts) zu vermitteln. Damit erreicht man zweierlei: Zum einen wird es möglich, etwas, das einem Gesprächspartner nicht durch Wahrnehmung bekannt ist, durch Beschreibung epistemisch zugänglich zu machen. Zum anderen kann durch ein so vermitteltes Konzept eine gelingende Identifikation mit der Person, die eventuell zu einem späteren Zeitpunkt wahrgenommen wird, erfolgen. Dies weist darauf hin, dass neben der genetischen Abhängigkeit Sprache, Bedeutung, Geist
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der Vermögen Wahrnehmung–Vorstellung–Denken, eine umgekehrte Abhängigkeit der Objekte besteht. Denn es ist nicht nur so, dass man durch das Denkvermögen die Möglichkeit hat, etwas jenseits der Wahrnehmung zu erfassen, sondern man muss zusätzlich davon ausgehen, dass es erst mit dem Konzept möglich ist, ein Wahrnehmungsobjekt als ein Etwas, d. h. als etwas zu einer bestimmten Art Zugehöriges zu identifizieren; erst dann nimmt man eine bestimmte Person oder einen bestimmten Gegenstand sinnlich wahr (erst dann ist also der Zustand erreicht, der vorhin als alltagsbewährtes Einsickern des Denk- ins Wahrnehmungsvermögen beschrieben wurde). Ein Satz wie »Dort drüben fliegt ein Storch« ist erst dann zu verstehen, wenn die beteiligten Personen das Konzept Storch besitzen, und nicht schon dann, wenn man auf bloß perzeptiver Ebene etwas Weißes sich bewegen sieht. Dass für das Besitzen bzw. Erlernen dieses Konzepts prinzipiell das Wahrnehmungs- und Vorstellungvermögen vonnöten ist, ist richtig. Und genau diese Art der Abhängigkeit wird von Aristoteles mit solchen Äußerungen wie in De an. III, 3, 427b14– 16 angesprochen. Auf der anderen Seite, auf der Seite der Objekte, heißt das aber nicht, dass das sprachlich Erfasste auch immer schon wahrgenommen oder vorgestellt werden musste. 198 Man kann also sinnvoll zwischen einer vorsprachlichen und einer sprachlich beeinflussten Wahrnehmung und Vorstellung unterscheiden. Wenn man sagt: »Ich sehe dort vorne ein Haus« handelt es sich schon um ein sprachlich strukturiertes Wahrnehmen: Man interpretiert das Gesehene in Echtzeit als zugehörig zu einer bestimmten Kategorie, zu einer bestimmten Art von Gegenstand. Was man aber vorsprachlich sieht, sind zunächst Farben (es handelt sich hier nicht Verschiedene Formulierungen aus De an. scheinen das Gegenteil zu suggerieren. Vgl. II, 8, 420b31–33: ἀλλά δεῖ ἔμψυχόν τε εῖναι τό τύπτον καί μετά φαντασίας τινός: σημαντικός γάρ δή τις ψόφος ἐστίν ἡ φωνή: und III, 8, 432a7–14: ὅταν τε ϑεωρῇ, ἀνάγκη ἅμα φαντάσματι ϑεωρεῖν: τά φαντάσματα ὥσπερ αἰσϑήματά ἐστι, πλήν ἄνευ ὕλης. Beide Zitate stellen die φαντασία in einen Bezug zur bedeutsamen Sprache bzw. zum Denken/Überlegen, den man als hinreichende Bedingung für bedeutsame Sprache bzw. Denken verstehen könnte. Beide Textstellen sind schon oder werden noch behandelt. Zum ersten Zitat vgl. Kapitel 3.3, zum zweiten vgl. Kapitel 5.5.3 unter dem Stichwort »Vorstellungs- und Denkgehalt« ab Seite 319. Im Kern ist die Verbindung der Denk- mit den Vorstellungsobjekten so zu verstehen, dass ein Denkobjekt zwar immer von einer anschaulichen Vorstellung begleitet wird, aber die »Kombinationsregeln der Anschauungen« hier vom Denken diktiert werden; vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Verhältnis von Vorstellungsbild und Sprache in Kapitel 5.1.2, S. 129 ff.
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um eine analoge Kategorisierung des Gesehenen; Farbe wird hier nicht als Begriff gehandhabt, sondern als phänomenales Grunderlebnis, als Quale). Das Sehen von Farbe ist wie das Hören von Tönen eine (auch) vorsprachliche Wahrnehmung. Dabei handelt es sich dann um die ursprünglichen Objekte der jeweiligen Wahrnehmungen. Die Dinge, von denen wir alltäglich sagen, dass wir sie sehen, Menschen, Häuser, Tiere, Artefakte, sind keine ursprünglichen Objekte der Wahrnehmung, sondern, wie Aristoteles es ausdrücken würde, akzidentelle Objekte, d. h. Objekte, die erst im Nachhinein, nachdem die Sprache ins perzeptive Vermögen »eingesickert« ist, als Objekte der Wahrnehmung firmieren. Die hier illustrierte Unterscheidung zwischen vorsprachlicher und sprachlich strukturierter Wahrnehmung und Vorstellung ist, wie zu zeigen sein wird, auch bei Aristoteles vorzufinden. Dies hat deswegen einen hohen Stellenwert, weil genaue jene Schwelle von der vorsprachlichen zur sprachlichen Wahrnehmung für die Bedeutungstheorie interessant ist. Wenn nachgewiesen werden kann, dass Aristoteles ein solches Verständnis von vorsprachlicher Wahrnehmung gehabt hat, dann stellt sich die Frage, wo und womit diese Schwelle zur sprachlichen Wahrnehmung überschritten werden kann. Die perzeptiven Vermögen und deren Differenzierungsleistungen sind jedenfalls keine aussichtsreichen Kandidaten, diesen Schwellenübertritt zu ermöglichen, denn wenn Sprache und sprachliche Bedeutung schon im vollen Umfang in der Wahrnehmung angelegt wäre, würde die explizite Unterscheidung zwischen vorsprachlicher und sprachlicher Wahrnehmung gar keinen Sinn ergeben. Im Hinblick auf die Objekte der Vermögen trifft folgende Überlegung also nicht zu: Das, was gedacht oder sprachlich ausgedrückt werden kann, muss zuerst wahrgenommen oder vorgestellt worden sein. Das oben zitierte Abhängigkeitsverhältnis der Vermögen – ohne Wahrnehmen kein Vorstellen, ohne Vorstellen kein Denken – ist nicht auf die Objekte der Vermögen zu übertragen. Ein Denkobjekt muss und kann auch gar nicht zuerst als perzipierbares Objekt vorliegen. Wenn man diese Differenzierung von Vermögen- und Objektabhängigkeit benennen wollte, dann könnte man von einer »epistemologischen Reduktion« (das spiegelt dann den epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage wider), bei einer gleichzeitig bestehenden »semantischen Irreduzibilität« (hier spiegelt sich der formale Aspekt der Bedeutungsfrage) sprechen: Das, worauf sich ein sprachlicher Ausdruck bezieht, ist in epistemologischer Hinsicht reduzierbar auf Sprache, Bedeutung, Geist
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die physikalische Welt und die darin enthaltenen messbaren Größen, die Objekte der Wahrnehmung. In formal-semantischer Hinsicht ist diese Reduktion aber nicht möglich: Der Ausdruck »Bockhirsch« ist ein zusammengesetzter Ausdruck, dessen Teile sich auf epistemologisch unproblematische Entitäten reduzieren lassen mögen (wir können die Bedeutung der Ausdrücke »Bock« und »Hirsch« mittels visueller Wahrnehmung zurückverfolgen). Die Bestimmtheit des Ausdrucks »Bockhirsch«, der sich ja nicht deckt mit »Bock« und/oder »Hirsch«, spricht jedoch gegen einen simplen semantischen Reduktionismus. Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang von bestimmten Einheiten, die die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke tragen. 199 Es ist die Aufgabe genauerer Analyse, dieses Abhängigkeitsverhältnis der Vermögen und ihrer Objekte detaillierter zu bestimmen. In De an. verhandelt Aristoteles die angesprochenen Vermögen ausführlich. Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Denkvermögen hängen eng miteinander zusammen, trotzdem hat jedes eine spezifische Ausprägung und Funktion. Das Vorstellungsvermögen, das oftmals als unabhängiges Vermögen dargestellt wird, erscheint bei Aristoteles nicht als ein eigenständiges, sondern als ein substantiell von der Wahrnehmung abhängiges Vermögen, das aber eine wichtige spezifische Funktion erfüllt. Es wird im Folgenden auch dieses Vermögen in einem separaten Kapitel dargestellt – nicht zuletzt deswegen, weil einige Interpreten, wie z. B. Deborah Modrak, die φαντασία bzw. deren Objekte als den geeignetsten Kandidaten für Element C ansehen. Es steht also nun die Frage im Fokus, inwiefern diese Vermögen bzw. ihre Objekte als Kandidaten für Element C bzw. D geeignet sind. Aus offensichtlichen Gründen, die schon dargelegt wurden, ist das Wahrnehmungsvermögen allein kein aussichtsreicher Kandidat, da der Objektbereich einfach zu schmal ist. Trotzdem ist es wichtig, zuerst die aristotelische Theorie der Wahrnehmung eingehend zu untersuchen, weil sie Aristoteles als Grundlage für seine Theorie der
Auf die wiederkehrende Rede von sprachlichen Ausdrücken, die etwas bedeuten (σημαίνει τι) wurde schon hingewiesen. V. a. in Bezug auf Sätze spricht Aristoteles in einer technisch anmutenden Weise von Einheitlichkeit, die durch Verbindung von Sätzen entstehen kann, aber ursprünglich darauf zurückgeführt wird, dass Eines oder etwas Einheitliches bedeutet wird (De int. 5, 17a15–6: ἔστι δέ εἷς λόγος ἀποφαντικός ἢ ὁ ἓν δηλῶν ἢ ὁ συνδέσμῳ εἷς […]).
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Vorstellung dient und des Weiteren als Analogon zur Erläuterung des Denkvermögens Verwendung findet.
5.3. Wahrnehmung Die aristotelische Untersuchung des Wahrnehmungsvermögens ist elaboriert. Dies zeigt sich schon an der begrifflichen Differenzierung der verschiedenen Aspekte eines Wahrnehmungsvorgangs (τό αἰσϑάνεσϑαι). Aristoteles spricht vom Wahrnehmungsvermögen (αἴσϑησις), vom Wahrnehmungsobjekt bzw. dem Wahrnehmbaren (αἰσϑητόν), vom Wahrnehmungsfähigen (αἰσϑητικόν), vom Wahrnehmungsorgan (αἰσϑητήριον), von dem, was man den mentalen Gehalt oder das mentale Korrelat des Wahrnehmungsobjekts nennen könnte (αἴσϑημα), sowie vom wahrnehmenden Subjekt (αἰσϑανόμενον). Im vorliegenden Kontext ist v. a. das Objekt der Wahrnehmung (αἰσϑητόν) und sein mentales Korrelat (αἴσϑημα) von Interesse. Übertragen auf den Kontext des SGGs würde das Objekt als πρᾶγμα fungieren, das unsere Sinne affiziert, wodurch ein αἴσϑημα entsteht, das entsprechend die Rolle des πάϑημα übernehmen würde. In der folgenden Darstellung wird deswegen der Fokus auf diesen Aspekten der aristotelischen Wahrnehmungstheorie liegen.
5.3.1. Spezifische Objekte Aristoteles unterscheidet drei Arten der Wahrnehmung: Die spezifische, die akzidentelle und die gemeinsame Wahrnehmung. Er führt diese Differenzierung propädeutisch in De an. II, 6 ein, unmittelbar vor den detaillierten Untersuchungen zu den einzelnen Sinnen. Man muss hier berücksichtigen, dass bei dieser Einführung zunächst von den Objekten der Wahrnehmung die Rede ist. Aristoteles vertritt hier, wie auch an anderen Stellen, die These, dass man zuerst die Objekte untersuchen muss, bevor man das Vermögen und seine Funktionsweise adäquat darstellen kann. Dementsprechend gibt es spezifische (αἰσϑητά ἴδια), gemeinsame (αἰσϑητά κοινά) und akzidentelle Wahrnehmungsobjekte (αἰσϑητά κατά συμβεβηκός). Bei der Einteilung der Wahrnehmungsobjekte verwendet Aristoteles zudem ein klassisches Instrument seines Philosophierens: Objekte können an sich (καϑ’ αὑτό) und akzidentell (κατά συμβεβηκός) wahrSprache, Bedeutung, Geist
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genommen werden. Die spezifischen und die gemeinsamen Objekte der Wahrnehmung werden an sich, die akzidentellen Objekte werden, klarerweise, akzidentell wahrgenommen. Diese Einteilungen bedürfen der Erläuterung. Jedem unserer fünf Sinne ist ein spezifisches Objekt (αἰσϑητόν ἴδιον) zugeordnet. Das bedeutet, dass nur durch einen jeweils bestimmten und durch keinen anderen Sinn das entsprechende bestimmte Objekt wahrgenommen werden kann. Beim visuellen Sinn ist das die Farbe (De an. II, 7), beim akustischen Sinn der Ton (II, 8), beim olfaktorischen Sinn der Geruch (II, 9), beim gustatorischen Sinn das Schmeckbare 200 (II, 10) und beim taktilen Sinn das Tastbare 201 (II, 11). Bei allen Wahrnehmungen spielt das jeweilige Medium eine wichtige Rolle, denn das Objekt wird nicht direkt wahrgenommen, d. h., es gibt keinen direkten materiellen Kontakt von Organ und Objekt, sondern die Wahrnehmung wird durch das jeweilige Medium physisch initiiert. 202 Beim visuellen Sinn ist das Medium das Durchsichtige, z. B. Luft oder Wasser. Das Medium ist aktual farblos, weswegen es potentiell jede Farbe aufnehmen kann. 203 Dasselbe gilt für das Wahrnehmungsorgan: Es ist aktual farblos. Das Medium wird affiziert vom spezifischen Objekt und das dadurch in Bewegung gebrachte Medium affiziert schließlich das Sinnesorgan. 204 Wichtig ist die Konzeption der spezifischen Wahrnehmungsobjekte, weil sie die kausale und phänomenale Grundlage der Wahrnehmung bilden. Schon jetzt ist klar, dass diese spezifischen Objekte nicht mit den konkreten Individuen, die die Grundlage für die alltagspsychologische Interpretation der Wahrnehmung bilden, gleichgesetzt werden können. Vielmehr handelt es sich um Qualitäten, um Farbe, Geschmack, Geruch. In einem Abschnitt über allgemeingültige Aspekte der spezifischen Wahrnehmung bestimmt Aristoteles die τό γευστόν. Das ist freilich eine etwas redundante Bestimmung. Zur näheren Beschreibung von τό γευστόν vgl. De an. II, 10, 422a8–422b16. 201 τό ἁπτόν. Hier gilt dasselbe wie beim Geschmackssinn. 202 Zwar geht bspw. auch Demokrit davon aus, dass das Medium eine Mittlerfunktion zwischen Objekt und Organ einnimmt. Trotzdem besteht er auf den ἀππορόη, also materiellen »Ausströmungen«, vgl. DK 68A135. Es scheint, dass Aristoteles mit der Formel »Aufnahme der Form ohne Materie« zu diesem kruden Materialismus eine Alternative anbieten wollte. Zu dieser Formel siehe Seite 177. 203 De an. II, 7, 418a31–418b2: πᾶν δέ χρῶμα κινητικόν ἐστι τοῦ κατ’ ἐνέργειαν διαφανοῦς, καί τοῦτ’ ἔστιν αὐτοῦ ἡ φύσις. Zu beachten ist die explizit physikalische Sprache: Es ist die Natur der Farbe, das aktual Unsichtbare zu bewegen. 204 Vgl. De an. II, 7, 419a13–15. 200
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Wahrnehmung
Wahrnehmung als Proportion (ἡ δ’ αἴσϑησις ὁ λόγος, De an. III, 2, 426b7). Hier erlangt der griechische Begriff λόγος eine sehr spezielle Bedeutung, die nur entfernt mit der des sprachlichen λόγος zusammenhängt. 205 Die Proportion, die durch den jeweiligen spezifischen Sinn wahrgenommen wird, ist, strukturell gesprochen, ein vor- und außersprachlicher Punkt auf einer Skala, deren Pole je nach Wahrnehmungssinn definiert sind: Beim visuellen Sinn sind das die Pole hell-dunkel, beim gustatorischen Sinn süß-sauer. Diese Proportion ist etwas, das in der Natur vorkommt und die Wahrnehmung durch das Medium affiziert. Der Wahrnehmende ist durch die materielle Zusammensetzung der jeweiligen Organe fähig, diese Proportionen aufzunehmen und zu unterscheiden. Diese proportionale Grundlage der Wahrnehmung wird von Aristoteles in dem folgenden Zitat konzise zusammengefasst: ἑκάστη μέν οὖν αἴσϑησις τοῦ ὑποκειμένου αἰσϑητοῦ ἐστίν, ὑπάρχουσα ἐν τῷ αἰσϑητηρίῳ ᾗ αἰσϑητήριον, καί κρίνει τάς τοῦ ὑποκειμένου αἰσϑητοῦ διαφοράς, οἷον λευκόν μέν καί μέλαν ὄψις, γλυκύ καί πικρόν γεῦσις. Anderer Meinung scheint Modrak zu sein: »Every exercise of either the perceptual or noetic faculty of the soul is the realization of an object that Aristotle calls a logos. The role of the logos is the same in both cases; it affords an analysis of the object. An object-as-perceived is not simply red, for instance, but a particular ratio of light and dark. A term-as-thought is not simply a word, ›cat‹, for instance, but a particular notion of a small, domesticated feline.« (Modrak, 2001, S. 260) Ich werde dafür argumentieren, dass die λόγος-Struktur der spezifischen Objekte die Grundlage für den physischen Vorgang bei der Wahrnehmung darstellt; demgegenüber steht jedoch die bewusste und phänomenale Wahrnehmung der spezifischen Objekte – und in diesem Sinne ist ein »object-as-perceived« ganz einfach rot, fundamental und unstrukturiert. Diese Sichtweise baut auf dem epistemischen Dualismus auf, den ich Aristoteles hinsichtlich mentaler Zustände zuschreibe. Im nächsten Unterkapitel über den Vorgang der Wahrnehmung steht diese Sichtweise im Fokus. Es bleibt aber nichtsdestotrotz die Möglichkeit bestehen, in dieser λόγος-Struktur eine fundamentale Ähnlichkeit von Sprach- und Weltstruktur anzunehmen, die den aristotelischen Realismus möglich macht: Die fundamentalen Objekte unseres Erkennens sind im Sinne einer konträren Proportionalität strukturiert, d. h. hell–dunkel, süß–sauer, usw. Dass die Objekte einen definiten Punkt auf dieser Skala einnehmen müssen (ein Gegenstand kann hinsichtlich seiner Farbe an einer bestimmten Stelle nicht gleichzeitig hell und nicht-hell sein), spiegelt sich in fundamentalen sprachlichen Prinzipien, wie z. B. dem Widerspruchsprinzip, wider. Aufgrund dieser fundamentalen Isonomie gelingt die Erfassung der Realität über die Sprache auch jenseits der infalliblen Wahrnehmung spezifischer Objekte. Die Realität ist aus diesen Objekten aufgebaut, und diesen Aufbau können wir mit unserer Sprache und unseren darauf beruhenden Wissenschaften rekonstruieren und repräsentieren.
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Elemente C und D
Jede Wahrnehmung bezieht sich also auf das zugrundeliegende Wahrnehmungsobjekt, ist verankert im Wahrnehmungsorgan als Organ und registriert 206 die Unterschiede des zugrundeliegenden Wahrnehmungsobjekts, wie z. B. hell und dunkel beim Gesichtssinn, süß und sauer beim Geschmackssinn. De an. III, 2, 426b8–11
Jede Wahrnehmung ist abhängig vom Objekt und vom Organ. Diese beiden Aspekte sind in physischer Weise beschreibbar und die Verbindung beider besteht in der λόγος-Struktur. Und auch wenn diese physikalische Beschreibung, die Aristoteles geliefert hat, aus heutiger naturwissenschaftlicher Sicht scheinbar irrelevant ist, heißt das nicht, dass wir die zugrundeliegenden theoretischen und methodischen Aspekte dieser Wahrnehmungstheorie zurückweisen müssen. Auch wenn unsere Physik der visuellen Wahrnehmung ganz anderes ausbuchstabiert wird als die aristotelische, so bleibt die fundamentale Idee dieselbe: Wahrnehmung ist abhängig von den wahrgenommenen Objekten und dem Wahrnehmungsorgan; wie sich die Struktur bzw. die Funktionsweise von Objekt und Organ en detail darstellen, ist eine andere Geschichte. (Wobei hinsichtlich der visuellen Wahrnehmung die aristotelische Grundidee wiederum richtig erscheint; denn das Farbspektrum ist schließlich auch heute noch ein grundlegendes Konzept der Farbwahrnehmung, auch wenn bei Aristoteles nicht ultraviolett und infrarot an den Enden des Spektrums stehen, sondern hell und dunkel). Bei aller Betonung der physischen Aspekte der Wahrnehmung erscheint bei Aristoteles auch das, was man – in großzügiger Weise freilich – eine phänomenologische Reduktion der Sinneswahrnehmung nennen könnte. Dies wird schon deswegen deutlich, weil er unter den Objekten der Wahrnehmung nicht die konkreten Individuen versteht, die wir in alltagspsychologischer Hinsicht als fundamental ansehen und die bei Aristoteles auch in ontologischer Hinsicht grundlegend sind, sondern je nach Wahrnehmungssinn einen bestimmten Typus einer phänomenalen Qualität (Farbe, Geruch, Geschmack, u. a.); die eigentlichen Gegenstände der αἴσϑησις werden Das κρίνει wird hier ganz bewusst nicht mit »unterscheiden« übersetzt. Es geht nämlich um eine passiv zu verstehende Differenzierungsleistung, die von den physischen Eigenschaften des Objekts und des Organs abhängt. Unterscheiden mag eher als eine aktive und kognitive Leistung des vernunftfähigen Lebewesens verstanden werden; genau diese Konnotation von »unterscheiden« liegt hier nicht vor.
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erst durch eine Reduktion offengelegt. Zur weiteren Verdeutlichung des phänomenalen Charakters der spezifischen Objekte dient folgender Abschnitt: ὁμοίως δέ καί ἡ αἴσϑησις ἑκάστου ὑπό τοῦ ἔχοντος χρῶμα ἢ χυμόν ἢ ψόφον πάσχει, ἀλλ’ οὐχ ᾗ ἕκαστον ἐκείνων λέγεται, ἀλλ’ ᾗ τοιονδί, καί κατά τόν λόγον. Gleichermaßen erleidet die Wahrnehmung von jedem [Ding] [etwas], das Farbe, Geschmack oder Ton hat, aber nicht insofern diese [Eigenschaften] ein einzelnes [Ding] darstellen, sondern als eine so beschaffene [Eigenschaft] und gemäß der Proportion. De an. II, 12, 424a21–24
Neben der erneuten Betonung des physischen Vorgangs (πάσχει), wird hier deutlich, dass nicht konkrete Individuen, sondern qualitative Eigenschaften dieser Individuen die spezifischen Objekte darstellen. Die Gegenüberstellung des ᾗ τοιονδί (so beschaffen) mit dem ᾗ ἕκαστον ἐκείνων hebt die phänomenale Beschaffenheit der jeweiligen Eigenschaft gegenüber dem in ontologischer Hinsicht zugrundeliegenden Individuum hervor. Und die Formulierung καί κατά τόν λόγον weist auf den komplementären physischen Aspekt des Wahrnehmungsprozesses hin, der das kausale Bindeglied zwischen Objekt und Organ darstellt: Das Objekt besitzt eine bestimmte proportionale Struktur, die das Medium affiziert, das wiederum auf das Wahrnehmungsorgan einwirkt. Damit wird explizit klar gemacht, dass es um eine in bestimmter Weise physisch strukturierte (κατά τόν λόγον), aber auch qualitativ bestimmte (ᾗ τοιονδί) Wahrnehmung geht. 207 Die spezifischen Objekte sind nicht ontologisch unabhängig, sondern sie sind, um eine technische Bezeichnung einzuführen, perzipierbare Entitäten. Die αἰστητά ἴδια sind das Ergebnis einer phänomenologischen Reduktion. Aristoteles filtert in seiner Wahrnehmungstheorie die grundlegenden Dinge bzw. Eigenschaften heraus, die an sich wahrgenommen werden und baut darauf die weiteren Arten der Wahrnehmung auf. Dazu koppelt er diese phänomenalen AsAuch diese Formulierungen können als Beleg für die oben dargestellte These dienen, dass Aristoteles einen phänomenologischen Bezug zur Wahrnehmung hat. Was hier aber angezweifelt wird ist, dass Aristoteles die Trennung von phänomenologischer und physikalischer Beschreibung zu einem Problem macht, wie es in der cartesischen Tradition üblich ist. Dieses Problem wird im folgenden Teilkapitel wieder aufgenommen.
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Elemente C und D
pekte an die physikalische Beschreibung des Wahrnehmungsvorgangs. Indem er die verschiedenen Farben als spektrale Proportionen (λόγοι) begreift, die am Objekt, aber auch am Organ der Wahrnehmung vorkommen, gelingt ihm die Verbindung zwischen phänomenalen Inhalt und physikalischer Beschreibung. 208 Die spezifischen Wahrnehmungsobjekte sind also nicht als ontologische Entitäten zu verstehen (wie z.B auch sense-data gerne als ontologisch fundamental angesehen werden). Ontologische Entitäten sind bei Aristoteles die ersten Substanzen aus Cat. 209 Das bedeutet, dass es sich bei den perzipierbaren Entitäten um eine begriffliche Differenzierung handelt. (Die αἰσϑητά werden von Aristoteles oft als εἴδη bezeichnet. Die Materie-Form-Differenzierung wird in diesem Kontext also herangezogen, um die Reduktion der perzipierbaren Entitäten vorzunehmen). Diese perzipierbaren Entitäten können nun sicherlich nicht, darauf wurde schon hingewiesen, die Rolle der πράγματα im SGG ausfüllen. Man kann das Element D, in Ergänzung zu den gerade eingeführten perzipierbaren und ontologischen Entitäten, als semantische Entität bezeichnen. Sie stellen diejenigen »Dinge« dar, auf die sich bedeutsame Sprache systematisch beziehen können muss; sie sind die »Dinge«, auf die sich die sprachlichen Ausdrücke im Rahmen des semantischen Repräsentationalismus beziehen. Die perzipierbaren Entitäten können bis jetzt, also hinsichtlich der spezifischen Objekte der Wahrnehmung, nicht als semantische Entitäten verstanden werden. Zwar ist der Gehalt von Farbprädikaten, also bspw. die semantische Entität, die mit dem Ausdruck »rot« bezeichnet wird, durchaus mit einer perzipierbaren Entität zu identifizieren. Insgesamt sind sie aber eindeutig explanatorisch zu schmal; d. h., dass zwar einige, aber bei weitem nicht alle semantischen Entitäten mit ihnen identifiziert Es ist also anzunehmen, dass Aristoteles Frank Jackson bezüglich des Mary-Gedankenexperiments zugestimmt hätte; allerdings würde sich Aristoteles über die weitschweifigen Diskussionen hinsichtlich der Relevanz und »Existenz« von Qualia wohl gleichzeitig sehr wundern. 209 Die »ontologischen Dinge« sind die materiellen und konkreten Individuen. Vgl. etwa Sens. 3, 439b11–12: ὥστε χρῶμα ἄν εἲη τό τοῦ διαφανοῦς ἐν σώματι ὡρισμένῳ πέρας. Hier wird Farbe explizit als körpergebunden (»die Grenze des Durchsichtigen in einem begrenzten Körper«) definiert. Vgl. dazu auch Everson: »The proper objects of sight are not just colours but coloured surfaces. In the De Caelo […] Aristotle says that ›everything that is perceptible subsists, as we know, in matter‹ (278a11): the perceived colour will be a property possessed by some material substance.« (Everson, 1997, S. 32) 208
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werden können. Dennoch liegt es nahe, in den perzipierbaren Entitäten die epistemische Grundlage sprachlicher Bedeutung zu sehen. Die Wahrnehmungsobjekte sind in bestimmter Hinsicht infallibel; 210 durch die spezifischen Objekte bekommen wir einen transparenten, direkten und unfehlbaren Zugang zur Realität. Und deswegen kann Aristoteles davon sprechen, dass beide Elemente C und D im Rahmen des SGGs für alle Menschen identisch sind. Die spezifischen Wahrnehmungsobjekte stellen die epistemische Verwurzelung der semantischen Entitäten dar, und dadurch ist ein realistisches Fundament der aristotelischen Semantik gegeben. Es muss im Folgenden auch darauf ankommen, diesen epistemologischen Weg von den perzipierbaren zu den semantischen Entitäten nachzuzeichnen. Es dürfte zudem nicht verborgen geblieben sein, dass die hier eingeführte Rede von perzipierbaren und semantischen Entitäten in Beziehung zur im systematischen Teil angeführten Konzepttheorie gesetzt werden kann. Ein primitives Konzept ist immer auch eine perzipierbare Entität, und daraus kann ein lexikales Konzept, d. h. eine semantische Entität, hervorgehen. Demgegenüber ist nicht jedes lexikale Konzept auch eine perzipierbare Entität, aber immer als semantische Entität zu verstehen.
5.3.2. Der Vorgang der Wahrnehmung Die These, dass das spezifische Objekt nach aristotelischem Verständnis zwei Aspekte aufweist, den physischen und den phänomenalen, kann durch eine Untersuchung des grundlegenden Vorgangs der Wahrnehmung untermauert werden. Denn auch hier wird deutlich, dass Aristoteles als epistemischer Dualist zu verstehen ist. Man muss im Zuge dieser Betrachtungen den Blick auf eine verzwickte Diskussion richten, die ohne weiteres zu den größeren Interpretationsschlachten in Bezug auf aristotelische Texte gezählt werden kann. Zunächst zur relevanten Stelle aus dem zwölften Kapitel des zweiten Buches von De an.: Καϑόλου δέ περί πάσης αἰσϑήσεως δεῖ λαβεῖν ὅτι ἡ μέν αἴσϑησίς ἐστι τό δεκτικόν τῶν αἰσϑητῶν εἰδῶν ἄνευ τῆς ὕλης, οἷον ὁ κηρός τοῦ δακτυλίου ἄνευ τοῦ σιδήρου καί τοῦ χρυσοῦ δέχεται τό σημεῖον, λαμβάνει δέ τό χρουσοῦν ἢ τό χαλκοῦν σημεῖον, ἀλλ’ οὐχ ᾗ χρυσός ἢ χαλκός: 210
Vgl. hierzu De an. II, 6, 418a15–16 oder De an. III, 3, 428a11–18.
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Elemente C und D
Als allgemein bei allen Wahrnehmungen muss man festhalten, dass die Wahrnehmung das Aufnahmefähige der wahrnehmbaren Formen ohne Materie ist, wie z. B. das Bienenwachs den Siegelring als Zeichen ohne das Eisen und Gold annimmt; es erfasst das goldene oder kupferne Zeichen, aber nicht qua Gold oder Kupfer. De an. II, 12, 424a17–21
Wahrnehmung ist prinzipiell eine Aufnahme der Form des Objekts ohne dessen Materie. An dieser Formulierung entbrannte die eben erwähnte Schlacht. Sie dreht sich um die Kernfrage der aristotelischen Wahrnehmungstheorie: Was ist mit der »Aufnahme der Form ohne die Materie« genau gemeint? Einige verstehen diese Formulierung als Hinweis auf eine Deutung der Wahrnehmung als dezidiert nicht-physischen Vorgang und als Betonung des phänomenalen Charakters der Wahrnehmung, dass also eine Wahrnehmung von jemand bewusst gehabt wird. 211 Diese Interpretationslinie, die darauf abstellt, dass Aristoteles die Wahrnehmung gerade in Abgrenzung zu seinen üblichen physikalischen Konzepten und Begrifflichkeiten erklären wollte, nennt man »spiritualistisch«. Das Argument für diese Sichtweise lautet: Wirkliche Veränderung, so wie sie unter naturwissenschaftlichen Blick möglich und erklärbar ist, findet nach Aristoteles beim perzeptiven Vorgang gerade nicht statt. Bei einer physischen Veränderung muss neben der Formaufnahme auch immer ein materieller Austausch stattfinden. Burnyeat, der wohl prominenteste Vertreter der spiritualistischen Sichtweise, bezieht sich auf ein Beispiel von Thomas von Aquin, um diesen Gedanken zu verdeutlichen: »[…] when a kettle or a plant gets warmed by the fire, its matter comes to be disposed in a certain way, the same way as the fire already is. That is what makes this a case of real change; the matter of the thing is assimilated to – becomes like – the matter of the agent, and that is how it acquires the same form and that is the sense in which it is affected by the agent’s matter as well. It follows that receiving the warmth of a warm thing without its matter means becoming warm without really becoming warm; it means registering, noticing, or perceiving the warmth without actually becoming warm.« (Burnyeat, 1992, S. 24)
Vgl. dazu Herzberg »[…] Aristoteles [modifiziert, S. L.] das allgemeine Modell der Veränderung, wie er es in der Physik entfaltet, für die Wahrnehmung […] und [trägt, S. L.] damit ihrem Spezifikum – Bewußtwerdung einer externen Qualität – auch auf einer explanatorischen Ebene Rechnung […].« (Herzberg, 2011, S. 64)
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Dass dieser Vorgang der Bewusstwerdung gerade nicht mit einem physischen Prozess korreliert wird, so Burnyeat, sei unser, nicht Aristoteles’ Problem. 212 Deswegen sei Aristoteles für die generelle Frage nach dem Zusammenhang von mentalen und physischen Vorgängen für uns kein relevanter Ansprechpartner, seine Philosophie des Geistes hätte keine Kredibilität mehr. Dem entgegen steht die sogenannte »literale« Interpretation, die keinen Unterschied macht zwischen der »normalen« physikalischen Erklärungsstrategie natürlicher Vorgänge und derjenigen, die die Wahrnehmung betrifft. Während die »Spiritualisten« davon ausgehen, dass die Formulierung »Aufnahme der Form ohne die Materie« darauf hinweist, dass hier gerade keine physische Veränderung stattfindet, wollen die »Literalisten« auch den Vorgang der Wahrnehmung im Rahmen der physikalischen Erklärungsansätze von Veränderung eingeordnet wissen, wobei mit der Formulierung »Aufnahmen der Form ohne die Materie« auf die Besonderheiten der Veränderung im perzeptiven und kognitiven Bereich hingewiesen werden soll. 213 Richard Sorabji, der maßgebliche Vertreter der »Literalisten«, fasst die literale Interpretation der »Aufnahme der Form ohne die Materie« folgendermaßen zusammen: »[…] [There, S. L.] is good reason to interpret the reception of form without matter physiologically. It means that e. g. the organ of sight (i. e. the jelly Burnyeat hierzu: »If we find this a baffling way to describe what it is to perceive warmth, that, I suspect, is because we find it difficult to think as a reality apart from its material basis – that is, we find it difficult to think of warmth as anything other than a secondary, supervenient, phenomenal quality and hence we find it difficult to think of becoming warm as anything other than becoming warm in a material way. But that is our difficulty, not Aristotle’s. In his world, it is taken for granted that warmth and red can bring about ›effects‹ which are not effects of the material basis of these qualities.« (Burnyeat, 1992, S. 24) 213 Manchmal wird versucht, am Beispiel des Streichens einer Wand diese Besonderheit darzustellen. Herzberg formuliert die »spiritualistische« Version: »Wenn eine Wand die Form des Roten aufnimmt, wird diese im literalen Sinn rot; der Mensch dagegen kann diese Form in einer Weise aufnehmen, ohne literal rot zu werden: Er wird mit dem jeweiligen Gegenstand kognitiv identisch und diese kognitive Identität wird hergestellt durch die Form, wenn sie »ohne die Materie« aufgenommen wird.« (Herzberg, 2011, S. 66) Everson illustriert die »literale« Position: »The eye must take on the colour of the object and this change is describable without reference to the material constitution of either the eye or the object. Such description is at the level of the form. The organ is receptive of the form of the proper sensible (the sensible form of the object) and not its matter; it is receptive of the form without the matter.« (Everson, 1997, S. 101) 212
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inside the eye, […]) takes on the colour of the object seen, without taking on any material particles from the object, such as Empedocles and Democritus had postulated. In that case, in talking of the organ’s reception of form without matter, Aristotle is so far talking only of the physiological process.« (Sorabji, 1974, S. 74)
Diese Diskussion ist recht detailreich und weit verzweigt. 214 Es spiegelt sich in ihr auch die grundlegende Schwierigkeit wider, Aristoteles im Sinne der neuzeitlichen cartesianischen Unterscheidung von Materie (als Bereich des Physischen) und Geist (als Bereich des Mentalen und Phänomenalen) zu verorten. 215 Aristoteles ist sich der Besonderheit mentaler Zustände durchaus bewusst, wie man schon hinsichtlich der begrifflichen Differenzierung phänomenaler Wahrnehmungsinhalte gesehen hat. Trotzdem sieht er keine Veranlassung, eine ontologische Eigenständigkeit dieser mentalen Zustände, die dadurch außerhalb der physischen Welt und Erklärungsansätze zu positionieren wären, anzuerkennen. Die Bemühung, den Wahrnehmungsvorgang im Rahmen seiner physikalischen Theorie zu erklären, ist offensichtlich; 216 die Hinweise auf den bewusst-phänomenalen Aspekt der Wahrnehmung sind zwar vorhanden, aber deswegen spärlicher gesät und theoretisch nicht weiter problematisiert, weil Aristoteles eben keinen substantiellen Unterschied zwischen der phäVgl. allgemein hierzu Everson, 1997, S. 56 ff., der die Bezeichnungen spiritualism und literalism eingeführt hat. Vgl. auch Herzberg, 2011, S. 57–79. 215 Sorabji hat entsprechend seiner literalen Deutung des Perzeptionsprozesses den grundsätzlichen Unterschied zwischen Aristoteles und Descartes betont: »In a very un-Cartesian way, Aristotle insists that in some sense of ›is‹ every mental act is a physiological process.« (Sorabji, 1974, S. 68) Dagegen hat Burnyeat aufgrund der seiner Meinung nach fehlenden Kredibilität der aristotelischen Philosophie des Geistes (»junk it!«) die Rechtmäßigkeit des cartesianischen Dualismus betont: »Having junked it, we are stuck with the mind-body problem as Descartes created it, inevitably and rightly so.« (Burnyeat, 1992, S. 26) 216 Hierfür spricht die Verwendung des physikalischen Vokabulars (δύναμις, ἐντελέχεια, κίνησις, πάσχειν, usw.) bei generellen Charakterisierungen des Wahrnehmungsvorgangs, etwa in De an. II, 5, 418a3–4: τό δ’ αἰσϑητικόν δυνάμει ἐστίν οἷον τό αἰσϑητόν ἢδη ἐντελεχείᾳ, καϑάπερ εἴρηται, sowie II, 5 416b33–34: ἡ δ’ αἴσϑησις ἐν τῷ κινεῖσταί τε καί πάσχειν συμβαίνει, καϑάπερ εἴρηται. Im Kapitel 5.5.1 wird unter dem Stichwort Die Leidensunfähigkeit (ab Seite 205) eine Eigenschaft des Denk- und Wahrnehmungsvermögens besprochen werden, die in diesem Kapitel De an. II, 5 im Zentrum steht, nämlich die Intentionalität. Auch an dieser Stelle wird deutlich werden, dass Aristoteles mit einer »semantischen Erweiterung« des physikalischen Vokabulars diese phänomenale Eigenschaft der psychischen Vermögen mit der Physik harmonisieren will. 214
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nomenalen und physischen Ebene der Wahrnehmung macht – das ist der Grundgedanke des epistemischen Dualismus. 217 Wenn man den grundsätzlichen Unterschied zwischen der aristotelischen und der cartesianischen Sichtweise berücksichtigt, dann kann man die mögliche Unzulässigkeit dieser Diskussion erahnen. Während nämlich in den gängigen cartesianischen Modellen der substantielle Unterschied von materiellen und mentalen Vorgängen und Zuständen betont wird und deswegen das drängende Problem auftaucht, wie beide Sphären miteinander in Beziehung stehen, kann man davon ausgehen, dass diese Unterscheidung im aristotelischen Ansatz keine substantielle, sondern lediglich eine deskriptive Grundlage hat. So heißt es etwa im Rahmen der grundlegenden Definition der Seele bei Aristoteles, dass nicht sinnvoll gefragt werden kann, ob die Seele als Form und der Körper als Materie eines Lebewesens eine Einheit darstellen oder nicht. 218 Der ontologische Ausgangspunkt ist immer das aus Form und Materie Zusammengesetzte, jede weitere Differenzierung ist diskursiver und begrifflicher Art. 219 Die Scheidung von Körper (Materie) und Geist (Form) ist konzeptueller und nicht ontologischer Natur, in grundlegender Weise existieren nur aus Materie und Form zusammengesetzte Einheiten. Das bedeutet aber nicht, dass Aristoteles eine Differenzierung dieser beiden SphäVgl. hierzu Sorabji: »But Aristotle’s remarks on self-awareness are brief, sporadic, and by no means centrally placed. The topic did not have the same interest for him. His most Cartesian remark is perhaps the one in the Physics, when he says that a change of quality in the sense organs of a living thing differs from a change of quality in a lifeless thing, in that it does not go unnoticed (Phys. 244b15–245a2).« (Sorabji, 1974, 71) Vgl. auch Everson: »Although he certainly does not ignore the fact that perception involves awareness, he shows no interest in the subjective experience enjoyed in perception in his discussion of the senses and their objects in DA. What interests him are the conditions which are necessary for perception to occur: what the sense organs must be like if they are to be affected by certain kinds of material object. What unifies the proper object of any sense is not any phenomenological similarity, but a common causal power.« (Everson, 1997, S. 35) 218 Vgl. De an. II, 1, 412b4–9. 219 Vgl. die Differenzierung des οὐσία-Begriffs in De an. II, 1, 412a6–9. Auch deswegen scheint es sehr richtig, wenn Strawson von Aristoteles als einem Vertreter der diskursiven Metaphysik spricht – auch in Kontraposition zu Descartes: »Descartes, Leibniz, Berkeley are revisionary, Aristotle and Kant descriptive.« (Strawson, 1971, S. 9) Den Unterschied zwischen revisionärer und deskriptiver Metaphysik beschreibt Strawson in Kürze wie folgt: »Descriptive metaphysics is content to describe the actual structure of our thought about the world, revisionary metaphyiscs is concerned to produce a better structure.« (Strawson, 1971, S. 9) 217
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ren nicht kennt bzw. sie geleugnet hat, etwa im Sinne eines materialistischen bzw. phänomenologischen Eliminativismus. Dies wurde ja schon in der Diskussion über den Charakter mentaler Zustände deutlich gemacht. 220 Es fällt auf, dass über die Zorn-Stelle in De an. I, 1, 403a30-b3, die als generelle Äußerung zu den πάϑη τῆς ψυχῆς und somit auch bezüglich der Perzeption zu verstehen ist, von Burnyeat, dem Proponenten der spiritualistischen Interpretation, kein Kommentar zu lesen ist, während Sorabji, Proponent der literalen Interpretation, sie als zentral ansieht. Es wäre deswegen interessant zu wissen, was Burnyeat dazu zu sagen hätte, weil seine Position zur »Aufnahme der Form ohne Materie« ja darin besteht, dass der Wahrnehmungsvorgang überhaupt keine physische Veränderung beinhaltet, sondern ein prinzipiell nicht-physischer Bewusstwerdungsprozess ist. Durch die Frage, an welcher systematischen Stelle Aristoteles das Bewusstsein als reflexives Wahrnehmen untersucht, 221 bietet sich eine weitere Angriffsfläche gegen die »spiritualistische« Deutung. Burnyeat behauptet ja, dass durch die »Aufnahme der Form ohne die Materie« das Bewusst- oder Bekanntwerden mit einem Inhalt gemeint ist. Es müsste in der Folge in De an. II, 12, 424a17–21 die reflexive Wahrnehmung inkludiert sein. Vom Aufbau der Schrift ausgehend, erscheint es aber als auffällig, dass diese allgemeine Bestimmung der Wahrnehmung zu Beginn von II, 12 als abschließend zu den Untersuchungen der spezifischen Sinne erfolgt. Was, wenn diese Bestimmung nur für jene spezifischen Sinne im Allgemeinen gilt und nicht für die anderen Arten der Wahrnehmung? Und was, wenn die reflexive Wahrnehmung, also das Bewusstwerden, bei Aristoteles explizit nicht im Rahmen der spezifischen Wahrnehmung stattfindet? Die Antworten auf diese beiden Fragen, die das Thema des nächsten Unterkapitels vorwegnehmen, gehen in folgende Richtung: Die gemeinsame und die akzidentelle Wahrnehmung wird nicht mit dieser in II, 12 erfolgten Bestimmung erfasst. Dafür spricht, dass die κοινά erst im dritten Buch von De an. bzw. in den Parva naturalia Thema sind, d. h. nachdem die Untersuchung der spezifischen Sinne mit dem zwölften Kapitel des zweiten Buchs De an. abgeschlossen sind; es ist zumindest möglich, dass die allgemeine Bestimmung aus Vgl. Abschnitt 5.2.4. In aristotelischen Worten: »Wir nehmen wahr, dass wir sehen und hören« (αἰσϑανόμεϑα ὅτι ὁρῶμεν καί ἀκούομεν, De an. III, 2, 425b12–13).
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II, 12 nur für die spezifischen Sinne gilt. Unterstützt wird diese These durch folgenden Umstand: Auf die Siegelringanalogie in 424a17–21 folgt unmittelbar die Passage über den phänomenalen und spektralen Charakter der Wahrnehmungsobjekte, wo Aristoteles auch ausdrücklich von Farbe, Geschmack und Ton spricht; dass eine vermeintliche τοιονδί- und λόγος-Struktur der gemeinsamen Wahrnehmungsobjekte nirgends erklärt wird und es auch schwerlich zu fassen wäre – ein Objekt der gemeinsamen Wahrnehmung ist bspw. die Einheit, und wie sollte diese nun proportional oder qualitativ strukturiert sein? – ist ein sehr starkes Indiz dafür, dass die Erläuterungen in II, 12 nur die spezifische Wahrnehmung betreffen. Des Weiteren wird die reflexive Wahrnehmung von Aristoteles in der gemeinsamen Wahrnehmung verortet. 222 Das würde bedeuten, dass Burnyeat gar nicht die Möglichkeit hätte, in die Bestimmung der Wahrnehmung in II, 12 die Frage des Bewusstseins mit einzubeziehen. Man kann bei Aristoteles aus ontologischer Sicht nicht sinnvoll unterscheiden zwischen physischen und phänomenalen Aspekten und Prozessen der jeweiligen Vermögen, sehr wohl aber aus epistemischer bzw. deskriptiver Sicht. 223 Insgesamt ist also die »literale« InVgl. Somn. 2, 455a12–22. Diese Stelle wird im nächsten Kapitel behandelt. Man sollte an dieser Stelle nochmals auf das hier vertretene Verständnis der aristotelischen Ontologie und Metaphysik eingehen; denn die Behauptung, eine ontologische Trennung von Phänomen und Physis kommt bei Aristoteles nicht vor, ist v. a. mit Blick auf Met. erläuterungsbedürftig: Die Beurteilung der aristotelischen Ontologie geschieht im vorliegenden Kontext vor dem Hintergrund einer modernen Debatte, in der oft auch radikale Positionen, zumeist naturalistischer Provenienz, vertreten werden: Alles Mentale – mentales Vokabular, mentale Zustände – wären demnach rückstandslos zu streichen. Zwar macht auch Aristoteles sehr wohl einen weitgehenden und grundsätzlichen Unterschied zwischen Form und Materie, wobei sich im Falle mentaler Zustände der Dialektiker um die formale, der Physiker um die materielle Definition kümmert (vgl. hierzu auch Kapitel 5.2.4). Diese Unterscheidung wird hier aber vornehmlich als Instrumentarium einer deskriptiven Metaphysik verstanden, also als eine Beschreibungsweise, die auf alle Phänomene und Prozesse in der Welt angewandt werden kann, um sie möglichst umfassend und allgemein zu durchdringen. Darunter fallen »normale« natürliche und kultürliche Prozesse, aber auch »besondere« mentale Prozesse. Wenn hier behauptet wird, dass Form und Materie keine ontologischen Kategorien sind, kommt es letztlich auch darauf an, was man unter Ontologie und Metaphysik versteht. Die Ontologie kümmert sich – nach der hier zugrundegelegten systematischen Annahme – um die Klassifizierung der irreduziblen Entitäten, die in der Welt existieren; die (deskriptive) Metaphysik kümmert sich um umfassende Beschreibungsformen der Natur, des Menschen, des Alls und den Prozessen, die darin ablaufen und die zu erklären sind. In diesem Sinne ist die konzeptionell wichtige Stelle De an. II, 1,
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terpretation plausibler, was jedoch nicht heißt, dass die phänomenale Seite der perzeptiven Vermögen eliminiert wird. Sie wird vielmehr eingebunden in die physikalische Erklärung. Die Tatsache, dass die grundlegenden Objekte der Wahrnehmung phänomenale Qualitäten sind, lässt sich vielleicht aus heutigem Verständnis nur aufgrund einer oft als fragwürdig empfundenen introspektiven Untersuchung unseres phänomenalen Bewusstseins feststellen. Bei Aristoteles jedoch läuft parallel zu diesen phänomenologischen Betrachtungen immer die komplementäre Untersuchung der physischen Grundlage dieser Wahrnehmungsart ab, indem angenommen wird, dass diese phänomenalen Qualitäten kausal mit externen Qualitäten in einer isomorphen Verbindung stehen: Wir sehen etwas Rotes, weil ein rotes Etwas die externe und reale Eigenschaft hat, rot zu sein, d. h. bei Aristoteles: ein bestimmtes Spektrum zu besitzen. Die Frage, ob mentale Zustände besonderer Art sind, also jenseits der üblichen physikalischen Erklärungsmuster erfasst werden müssen, hat sich für Aristoteles nicht gestellt. Deswegen ergibt es auch keinen Sinn, für cartesianisch strukturierte Fragen Aristoteles als Antwortenden zu betrachten. Die weitere Debatte um die »spiritualistische« und »literale« Interpretation kann man für die vorliegenden Belange jedoch auf sich beruhen lassen, indem als Fazit stehen bleibt, dass, erstens, der Vorgang der Wahrnehmung grundlegend im Einklang mit den üblichen physikalischen Erklärungsstrategien steht, die Aristoteles v. a. in Phys. entwickelt, und deswegen eine Objektivierung von Wahrnehmungsgehalten ermöglicht ist, und dass, zweitens, dem phänomenalen Charakter perzeptiver Vorgänge trotzdem Genüge geleistet wird, diese ja sogar innerhalb der physikalischen Erklärungsstrategie ihren Platz finden. Für die Bedeutungsfrage heißt das: Die perzipierbaren Entitäten können als epistemische Grundlage für menschliche Sprache angesehen werden. Durch sie erhält der Mensch einen infalliblen, direkten und transparenten Zugang zur außer-
412a6–9 zu verstehen, in der Aristoteles die Differenzierung des οὐσία-Begriffs vornimmt: Es gibt den »alten« Substanzbegriff aus Cat., der von den konkreten Individuen als ontologischem Fundament ausgeht (die »zusammengesetzte« οὐσία) und es gibt die »neuen« οὐσίαι, Form und Materie, als metaphysische Differenzierungen. Die Form-Materie-Unterscheidung geht tiefer, ist somit »metaphysischer«; allerdings wird sie – in diesem Kontext – nicht eingesetzt, um »neue« ontologische Kategorien aufzumachen, sondern um natürliche und lebensweltliche Phänomene adäquat metaphysisch zu beschreiben zu können.
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sprachlichen Wirklichkeit. Die Infallibilität ist gesichert durch die Einordnung des Wahrnehmungsvorgangs in den Bereich der mit physikalischen Konzepten erklärbaren Geschehnisse der natürlichen und außersprachlichen Welt. Dass Aristoteles diesen physischen Vorgang mit phänomenalen Aspekten ergänzt, eröffnet die Möglichkeit, in unproblematischer Weise von einer semantisch relevanten und nicht nur von einer kausalen Repräsentation zu reden. Anders formuliert: Auch wenn die perzipierbaren Entitäten explanatorisch zu schmal sind, um den Ansprüchen der semantischen Entitäten zu genügen, so lässt sich in ihnen eine epistemische Fundierung sehen. Da die Gehalte, die durch die Wahrnehmung der spezifischen Objekte bereitgestellt werden, wirkliche Gehalte sind, weil sie auch phänomenal bestimmt werden, ist diese Fundierung durch die Wahrnehmungsobjekte nicht nur eine kausale, sondern auch eine »symbolische« Repräsentation. Ein Einwand gegen diese Sichtweise könnte sich auf die fehlende Struktur dieser phänomenalen Gehalte beziehen: Die Wahrnehmung dieser unstrukturierten und phänomenalen Qualitäten, so könnte der Vorwurf lauten, bietet nicht die epistemische Grundlage für die Bedeutung menschlicher Sprache, weil hier die für die sprachliche Symbolisierung notwendige Strukturierung der wahrgenommenen Mannigfaltigkeit gerade fehlt. Es wird sich jedoch zeigen, dass diese Strukturierung durch die, ebenfalls an sich wahrnehmbaren, gemeinsamen Wahrnehmungsobjekte gebunden ist.
5.3.3. Gemeinsame Objekte Die gemeinsamen Objekte (αἰσϑητά κοινά) werden, ebenso wie die spezifischen Objekte, an sich wahrgenommen. 224 Allerdings gibt es für diese Objekte keinen spezifischen Sinn, sondern ihre Wahrnehmung beruht auf einer der schon erwähnten fünf Sinne gemein-
Vgl. De an. II, 6, 418a7–10. Etwas verwirrend kann die Beschreibung der Wahrnehmung der gemeinsamen Objekte in De an. III, 1, 425a15 als akzidentell (αἰσϑανόμεϑα κατά συμβεβηκός) erscheinen. Man sieht jedoch leicht, dass Aristoteles im dritten Buch diese These der akzidentellen Wahrnehmung aufwirft, um sie kurz darauf zu widerlegen. Diese These folgt auf den Nachweis, dass es nur fünf Sinne geben kann, und soll, darauf aufbauend, zeigen, dass es trotz des Bestehens der allgemeinen Objekte keinen weiteren spezifischen Sinn gibt.
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samen Fähigkeit, diese Objekte wahrzunehmen. 225 Das darf aber nicht missverstanden werden als eine derivative Fähigkeit der spezifischen Sinne. Nicht die Summe der einzelnen Wahrnehmungsprozesse spezifischer Sinne ergibt diese gemeinsame Fähigkeit, sie ist vielmehr eine ebenso grundlegende Wahrnehmungsart. Es muss ausdrücklich betont werden, dass der Gemeinsinn und seine Objekte nicht bloße Derivate der spezifischen Sinne und deren Objekte sind. 226 Die gemeinsamen Objekte sind im Einzelnen: Bewegung (κίνησις), Ruhe (ἠρεμία), Zahl (ἀριϑμός), Gestalt (σχῆμα), Größe (μέγεϑος) und Einheit (ἕνος). 227 Dabei ist die Bewegung, aber auch die Einheit grundlegend: 228 Größe wird durch Bewegung wahrgenommen, deswegen auch die Gestalt, weil sie eine Art Größe ist. Ruhe wird erfasst durch die Abwesenheit von Bewegung. Des Weiteren ist die Zahl die Negation des Kontinuierlichen, wobei man annehmen kann, dass das Erfassen von Diskontinuierlichem auch durch die Bewegung erleichtert wird. Zusätzlich sieht Aristoteles auch die Wahrnehmung der spezifischen Objekte selbst als Korrelat der Zahlwahrnehmung, denn jede spezifische Wahrnehmung ist einheitlich. Die Einheit ist somit Grundlage für die Zahl. Die gemeinsamen Objekte bestimmen nicht den Inhalt bzw. die phänomenale Qualität der Wahrnehmung, sondern deren allgemeine Struktur. Aristoteles spricht am Ende von De an. III, 1 davon, dass die gemeinsamen Objekte in den spezifischen vorkommen (ἐν ἑτέρῳ αἰσϑητῷ τά κοινά ὑπάρχει, De an. III, 1, 425b9–10). Die gemeinsamen Vgl. z. B. De an. II, 6, 418a18–19. Dieser Meinung scheint Modrak zu sein: »Aristotle labels the special senses’ capacity for joint activity the common sense.« (Modrak, 2009, S. 313) Es wird im Folgenden klar werden, dass der Gemeinsinn eine gleichberechtigte Wahrnehmungsart ist, ohne die die akzidentelle Wahrnehmung der jeweils nicht-spezifischen Objekte nicht möglich wäre: Aristoteles sagt, dass die Unterscheidung der spezifischen Objekte, also etwa bitter von gelb, keine Aufgabe der spezifischen Sinne sein kann, da sie ja nur innerhalb ihres jeweiligen Spektrums differenzieren könnnen. Auch diese Aufgabe, die verschiedenen spezifischen Objekte untereinander zu unterscheiden, kommt dem Gemeinsinn zu. Bevor man also von einer »joint activity« reden kann, muss die Unterscheidung der beteiligten spezifischen Sinne schon erbracht sein, was wiederum bedeutet, dass der Gemeinsinn selbst nicht durch diese »joint activity« erklärt werden kann. 227 Die Auflistung erfolgt in De an. II, 6, 418a17–18 und in III, 1, 425a16. Die Einheit findet sich nur in der letztgenannten Liste. Vgl. auch Hamlyn, 1993, S. 106, der auf diese Uneinheitlichkeit der Listen auch hinsichtlich anderer aristotelischer Schriften hinweist. 228 Vgl. De an. III, 1, 425a16–20. 225 226
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Objekte sind also keine schlechthinnigen, keine unabhängigen Objekte, sondern ruhen in den spezifischen Objekten (da schon festgestellt wurde, dass die spezifischen Objekte keine ontologisch unabhängigen Entitäten, sondern »perzipierbare Entitäten« sind, ist dieses In-Sein ebenso in perzeptiver Hinsicht zu verstehen). Man könnte davon sprechen, dass wir Farbe als phänomenalen Inhalt visuell wahrnehmen, aber immer schon in einer bestimmten Struktur, d. h. in Bewegung, mit einer bestimmten Gestalt oder als Einheit. Der phänomenale Inhalt ist demnach immer schon strukturiert, und diese Strukturiertheit wird garantiert durch die Wahrnehmung der gemeinsamen Objekte. Aristoteles stellt die interessante Überlegung an, dass die Tatsache, dass wir mehr als einen Sinn haben, auch darin begründet sein könnte, dass durch diesen Umstand die gemeinsamen Objekte besser wahrgenommen werden können: Wenn wir nur den visuellen Sinn hätten und dieser auf das spezifische Objekt »weiß« gerichtet wäre, dann würden wir die gemeinsamen Objekte nicht wahrnehmen, weil sie mit dem spezifischen in Eins fallen würden (εἰ γάρ ἦν ἡ ὄψις μόνη, καί αὐτή λευκοῦ, ἐλάνϑανεν ἂν μᾶλλον κἂν ἐδόκει ταὐτά εἶναι πάντα διά τό ἀκολουϑεῖν ἀλλήλοις ἅμα χρῶμα καί μέγεϑος, De an. III, 1, 425b6–9). 229 Würden wir nur visuell wahrnehmen, dann hätten wir keine Möglichkeit, Einheit, Bewegung oder Gestalt als eigenständige und strukturierende Aspekte der Wahrnehmung aufzufassen, denn sie würden sich nicht vom phänomenalen Gehalt abheben. Nur weil wir verschiedene Sinne haben, stellen sich die konkreten Individuen, die ontologischen Träger der Qualitäten, als etwas Einheitliches dar. Wir können diese Individuen sehen, riechen und anfassen, und obwohl diese sinnlichen Informationen auf separaten Weisen von uns verarbeitet werden, schält sich dennoch eine einheitliche Wahrnehmung heraus. Aristoteles hat auch darauf hingewiesen, dass die spezifischen Sinne untereinander nicht durch diese selbst differenziert werden können, sondern nur durch den gemeinsamen Sinn. Auch bei den gemeinsamen Objekten scheint Aristoteles von einer zu erklärenden Faktenlage auszugehen: Hätten wir nur die spezifischen Sinne, dann fehlte uns die diese separaten und divergenten Informationen vereinheitlichende Instanz. Da Darin bestünde auch die »perzpetive Abhängigkeit« der gemeinsamen von den spezifischen Objekten. Nach diesem Gedankenexperiment ist es nämlich möglich anzunehmen, dass es nur einen Sinn mit einem Objekt gibt. Es ist aber nicht möglich, sich in ähnlicher Weise ein gemeinsames Objekt vorzustellen.
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es aber einfach der Fall ist, dass der Mensch und andere Lebewesen einheitliche Dinge wahrnehmen, benötigen wir hierfür eine Erklärung, die Aristoteles mit seiner Theorie der gemeinsamen Wahrnehmung auch anbietet. 230 Es scheint also, dass die Aufgabe der gemeinsamen Objekte strukturierender Art ist. Bei einem freilich sehr gewagten Vergleich mit dem Ansatz von Kant, der die Strukturierung der sinnlichen Inhalte in der Vernunft lokalisiert, fällt auf, dass nach aristotelischer Interpretation die Struktur in den außersprachlichen Dingen selbst fundiert ist. Die Unabdingbarkeit der Strukturiertheit der phänomenalen Inhalte scheint dann auch der Grund dafür zu sein, dass die gemeinsamen Objekte grundlegend sind, also an sich wahrgenommen werden, und keine bloßen Derivate der spezifischen Objekte darstellen. Wenn die gemeinsamen Wahrnehmungsobjekte an sich wahrgenommen werden sollen, so stellt sich die Frage nach dem Organ, mit dem diese Objekte erfasst werden und mit dem die Forderung nach Objektivität garantiert wird. Aristoteles spricht explizit davon, dass der Gemeinsinn kein spezifisches Organ hat, gleichzeitig nimmt er aber an, dass es sich dabei um eine Wahrnehmung an sich handelt. 231 Das bedeutet zunächst, dass wir die gemeinsamen Objekte nicht etwa akzidentell mit den spezifischen Organen wahrnehmen. Das wird von Aristoteles ausdrücklich verneint. Die verschiedenen spezifischen Sinne nehmen die Objekte der anderen spezifischen Sinne jeweils akzidentell wahr, weil sie zuvor als einheitlich wahrgenommen wurden. Aristoteles’ Beispiel ist die Galle, die mit dem gustatorischen Sinn als bitter, mit dem visuellen Sinn als gelb wahrgenommen wird. Wenn wir nun in der Folge etwas Gelbes sehen, kann es der Fall sein, dass wir es, ohne es zu schmecken, also aufgrund der vorangegangenen einheitlichen Wahrnehmung und der ErinneDer Aspekt der Einheit der Wahrnehmung wurde schon von Platon im Theaitetos diskutiert und diente dort als Argument dafür, dass Wissen nicht Wahrnehmen sein kann. Mit der Metapher vom Trojanischen Pferd hat Platon versucht zu illustrieren, wie es sich darstellt, wenn der empirische Befund der Einheitlichkeit der Wahrnehmung theoretisch nicht eingeholt werden kann, vgl. Theaitetos 184d1–5. Platon sah im rationalen bzw. kognitiven Seelenteil die vereinheitlichende Funktion, Aristoteles verlagert diese mit dem Gemeinsinn in den perzeptiven Teil. Vgl. Gregoric, 2007, S. 2–8, für eine knappe Erläuterung zum Gegensatz von Platon und Aristoteles in dieser Frage. 231 Vgl. De an. III, 1, 425a14, sowie De an. III, 1, 425a27–28. 230
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rung daran, als bitter interpretieren bzw. assoziieren. 232 Diese Interpretation setzt voraus, dass die ursprüngliche Wahrnehmung der Galle, als bitter und als gelb, einheitlich war, dass die beiden differenten spezifischen Wahrnehmungen vereinheitlicht wurden. Das bedeutet, dass gerade die Wahrnehmung des gemeinsamen Objekts »Einheit« die Voraussetzung dafür ist, mit einem spezifischen Sinn das Objekt eines anderen spezifischen Sinns akzidentell wahrzunehmen. Deswegen kann es sich bei der Wahrnehmung der gemeinsamen Objekte nicht um eine akzidentelle Wahrnehmung durch die spezifischen Wahrnehmungsorgane handeln, sondern sie ist vielmehr so fundamental, dass sie, ebenso wie die Wahrnehmung des spezifischen Objekts, an sich, also ohne Interpretationsleistung und direkt stattfinden muss. Wenn also die gemeinsamen Objekte nicht akzidentell durch die Organe der spezifischen Objekte wahrgenommen werden, wie sieht es dann mit dem Organ der gemeinsamen Wahrnehmung aus? Aristoteles argumentiert ausführlich, um zu zeigen, dass jedes Lebewesen nur fünf Sinne haben kann. 233 Wie verhält es sich aber dann mit dem Gemeinsinn? Es gibt ja offensichtlich diese gemeinsamen Objekte, die auch an sich wahrgenommen werden, aber es soll kein Organ dieser Wahrnehmung geben? Das würde einem grundlegenden Aspekt der aristotelischen Seelenlehre, dass eine Vermögensaktivität immer verkörpert sein muss, entgegenstehen. 234 Ebenso würde das der oben angedeuteten Interpretation der Wahrnehmung an sich Schwierigkeit bereiten, denn dafür sollte ein Organ, das kausal mit dem Objekt in Beziehung steht, vorhanden sein. Es ist aber nun der Fall, dass Aristoteles seinem Grundsatz der Verkörperung psychischer Vermögen treu bleibt und den Gemeinsinn an ein Organ bindet, und zwar an das Zentralorgan. Die einschlägige Textstelle ist in Somn. zu finden: ἐπεί δ’ ὑπάρχει καϑ’ ἑκάστην αἴσϑησιν τό μέν τι ἴδιον τό δέ τι κοινόν, ἴδιον μέν οἷον τῇ ὄψει τό ὁρᾶν, τῇ δ’ ἀκοῇ τό ἀκούειν, Vgl. De an. III, 1, 425b3–4. Vgl. De an. III, 1, 424b22–425a13. 234 Der νοῦς stellt hinsichtlich der Verkörperung einen Spezialfall dar. Es wurde jedoch schon darauf hingewiesen, dass Aristoteles da, wo es um die Abtrennbarkeit des Geistes vom Körper geht, sehr zurückhaltend und vorsichtig ist. Es scheint eher, dass der Versuch, auch dieses Vermögen mittels der φαντασία zu »verkörpern«, die eigentliche aristotelische Position offenbart. Vgl. De an. I, 1, 403a7–10 und die Diskussion der Passage in Kapitel 5.2.4. 232 233
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καί ταῖς δ’ ἄλλαις ἑκαστῃ κατά τόν αὐτόν τρόπον: ἔστι δέ τις καί κοινή δύναμις ἀκολουϑοῦσα πάσαις, ᾗ καί ὅτι ὁρᾷ καί ἀκούει αἰσϑάνεται (οὐ γάρ δή τῇ γε ὄψει ὁρᾷ ὅτι ὁρᾷ, καί κρίνει δή καί δύναται κρίνειν ὅτι ἕτερα τά γλυκέα τῶν λευκῶν οὔτε γεύσει οὔτε ὄψει οὔτε ἀμφοῖν, ἀλλά τινι κοινῷ μορίῳ τῶν αἰσϑητηρίων ἁπάντων: ἔστι μέν γάρ μία αἴσϑησις, καί τό κύριον αἰσϑητήριον ἕν, τό δ’ εἶναι αἰσϑήσει τοῦ γένους ἑκάστου ἕτερον, οἷον ψόφου καί χρώματος) […]. 235 Jede Wahrnehmung hat nun einen spezifischen und einen gemeinsamen [Aspekt], wobei der spezifische [Aspekt] z. B. beim visuellen Sinn im Sehen, beim akustischen Sinn im Hören und bei den anderen Sinnen in derselben Weise besteht; es gibt aber auch eine gemeinsame Fähigkeit, die all [diesen spezifischen Wahrnehmungen] folgt, mit der man wahrnimmt, dass man sieht und hört (denn wir sehen nicht mit dem Sehsinn, dass wir sehen, und wir unterscheiden bzw. sind fähig zu unterscheiden, dass das Süße etwas anderes als das Helle ist, weder mit dem gustatorischen noch mit dem visuellen Sinn, noch mit beiden [gemeinsam], sondern mit einem allen Wahrnehmungsorganen gemeinsamen Teil. Die Wahrnehmung ist nämlich einheitlich und das höchste Wahrnehmungsorgan ist eines/einheitlich, obwohl die Wahrnehmungsfunktion bei den verschiedenen [spezifischen Objekt-] Arten unterschiedlich ist, wie z.B beim Geräusch und der Farbe. Somn. 2, 455a12–22
Neben der listenmäßigen Aufzählung der gemeinsamen Objekte erfolgt in diesem Zitat ein etwas anderer Blick auf die αἴσϑησις κοινή: Der gemeinsame Aspekt, der mit jeder spezifischen Wahrnehmung in Zusammenhang steht, bezieht sich auf die Wahrnehmung, dass wir sehen oder hören (ᾗ καί ὅτι ὁρᾷ καί ἀκούει αἰσϑάνεται, Somn. 2, 455a16–17) und dass wir die spezifischen Objekte untereinander differenzieren. Es wurde in Bezug auf Burnyeats »spiritualistische« Interpretation des Wahrnehmungsvorgangs schon darauf hingewiesen, dass Aristoteles hier dem Gemeinsinn die Funktion der Bewusstwerdung zuschreibt, die Burnyeat in der allgemeinen Charakterisierung des spezifischen Wahrnehmungsprozesses in De an. II, 12 entdeckt haben will; es wurde jedoch als problematisch angesehen, die λόγοςund τοιόνδι-Struktur, die in dieser allgemeinen Charakterisierung von De an. II, 12 steckt, auch auf die gemeinsamen Objekte zu übertragen. Es soll dieser Stelle anhand einer Debatte zwischen L. A. Kosman und Catherine Osborne kurz aufgezeigt werden, dass ihre jewei235
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Text und Umbruch folgt der Parva naturalia-Ausgabe von Ross.
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ligen Interpretationsversuche hinsichtlich der oben zitierten Somn.Stelle und der dazugehörigen Passage 425b12–25 aus De an. III, 2, wo das Problem der Bewusstwerdung dilemmatisch angegangen wird, in Grundzügen die These bestätigt, die schon im Rahmen der spezifischen Wahrnehmungsobjekte verteidigt wurde, nämlich, dass das moderne Problem des phänomenalen Bewusstseins für Aristoteles eigentlich gar nicht bestand, sondern dass die Analysen der Perzeption eine Art phänomenologische Reduktion darstellen. Kosman hat zu zeigen versucht, dass die Bewusstwerdung an kein separates Organ gebunden ist, sondern immer schon im jeweils spezifischen Organ zugrundeliegt; die Idee ist, dass das Zentralorgan kein selbstständiges Organ der Wahrnehmung ist, sondern das Zentrum eines lebenden Organismus inklusive seiner Vermögen und Funktionen. 236 Mit Bezug zu Somn. 455a20–22 meint Kosman: »This is not to make the claim that there is only one heart, but that the body, the ultimate organ of percipient sensibility, is one whole and connected organism. This passage does not, then, suggest the existence of a common sense which performs a reflective and superapperceptive function which explains awareness; it says, on the contrary, that the living body is a common, single sensitive organism, with, to be sure, a center in the heart, but a center which is not separate from but one with the various senses, which are at once special in their indvidual activities and common as modes of a single organic sensibility. To see then is, as Aristotle says in our text (425b18), τό τῇ ὄψει αἰσϑάνεσϑαι, to be aware, we might say, sightfully.« (Kosman, 1975, S. 518)
Die Einheit, die im letzten Satz der zitierten Somn.-Stelle angesprochen wird, bezieht sich nach Kosman also nicht auf ein separates Organ der Wahrnehmung, sondern auf die prinzipielle Einheit der Wahrnehmung. 237 Osborne, obwohl sie gegen Kosmans Sichtweise Kosman liest dementsprechend in Zeile 21 nicht τό κύριον αἰσϑητήριον ἕν, sondern τό κυρίως αἰσϑητήριον ἕν. Damit sei dann nicht das vermeintlich höchste Wahrnehmungsorgan angesprochen, sondern das Wahrnehmungsorgan im eigentlichen Sinne, d. h. als körperliche oder organische Einheit, im Gegensatz zur theoretischen Zergliederung der Wahrnehmung in verschiedene Organe. 237 Kosman bezieht sich bei seiner Deutung auch auf »[…] a familiar Aristotelian theme. A and B may be one and the same thing but what it is to be A different from what it is to be B. […] The technical expression which Aristotle normally employs for this phenomenon is to say that A and B are the same, αὐτή καί μία, or ἕν or ταὐτόν ἀριϑμῷ τό δ’ εἶναι ἕτερον; their being, however, is different.« (Kosman, 1975, S. 513) Deswegen gilt: »We cannot locate awareness outside the perception as an awareness of the perception different from an awareness of what is immediately percei236
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opponiert, 238 argumentiert mit ihrer Interpretation grundsätzlich auch für die These, dass Aristoteles das Problem des Bewusstseins nicht in der Form kennt, wie es heute häufig diskutiert wird, sondern dass er von einer prinzipiellen Einheitlichkeit der Wahrnehmung ausgeht. Das vermeintliche Phänomen des Bewusstseins als reflexive Wahrnehmung ist nach Osborne in der zitierten Passage gar nicht angesprochen. Das, was mit der Formulierung ᾗ καί ὅτι ὁρᾷ καί ἀκούει αἰσϑάνεται ausgedrückt werden soll, steht in direkter Verbindung mit der Differenzierung der spezifischen Wahrnehmungsobjekte untereinander; 239 mit der vermeintlichen Bewusstwerdung ist nicht viel mehr als die grundlegende Differenzierungsleistung zwischen den spezifischen Objekten angesprochen. Diese beiden Aspekte der gemeinsamen Wahrnehmung, das Wahrnehmen, dass wir sehen oder hören, und die Unterscheidung der spezifischen Objekte untereinander, werden in der Somn.-Passage schließlich unmittelbar hintereinander aufgezählt. Beide, Kosman und Osborne, lesen die Somn.-Stelle als nichtdualistisch; es gibt bei Aristoteles kein spezielles Problem des Bewusstseins. Grundlegend ist vielmehr die Einheitlichkeit der Wahrnehmung, die auch im direkten und infalliblen Bezug zu den wahrgenommenen Dingen liegt. Dass sich das bewusste Erleben von den wahrgenommenen Dingen nicht als Problem darstellt, fügt sich in die Doppelaspekt-Sichtweise der spezifischen Objekte: Phänomenaler ved.« (Kosman, 1975, S. 514) Zum Ende seines Artikels weist Kosman auch auf den prinzipiellen Unterschied zu Descartes, allerdings in Descartes’schem Vokabular, hin: »[…] Aristotle is a »materialist« or, as we might now say (using »mind« as Descartes did), a mind-body identity theorist. Just as form, though not nothing, is not something in addition to the elements of an entity, and just as soul, though not nothing, is not something in addition to the alive body, so awareness, though not nothing, is not something in addition to active, embodied perceptual faculty at work in a unified sensitive organims.« (Kosman, 1975, S. 518–519) 238 »Kosman interprets it [die Passage De an. III, 2, 425b12–25; S. L.] as opting for a conclusion that the perception in question is by sight itself and not by another sense, but this is not stated as the conclusion, nor is it decided which of the two alternative modes of perception by sight would be acceptable. Moreover the conlusion that it is by sight would be in direct conflict with the parallel passage in Somn. 2, 455a12.« (Osborne, 1983, S. 405) 239 »The question is not how we perceive that we perceive – how we are self conscious – but rather how we are aware that we are seeing (as opposed to hearing, for example) or hearing (as opposed to tasting, for example). […] when we see we are seeing colour, and when we taste we are tasting sweetness and we do not confuse the two.« (Osborne, 1983, S. 406)
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Gehalt und kausaler Prozess sind einheitlich und keine substantiell verschiedenen Vorgänge des Wahrnehmungsvorgangs. Dadurch ist es möglich, wie schon erwähnt wurde, in den Wahrnehmungsgehalten an sich, die epistemische Grundlage der Bedeutung zu erkennen, weil sie direkt und infallibel wahrgenommen werden, somit objektiv sind. Die Funktion der gemeinsamen Wahrnehmung kann zusammenfassend als Strukturierung der phänomenalen Qualitäten verstanden werden. Diese Funktion sieht Aristoteles als grundsätzlich an und verortet sie deswegen auch in der Wahrnehmung an sich, bei der keine Täuschung möglich ist. Zwar ist immer ein spezifisches Objekt die Grundlage einer Wahrnehmung (ἑκάστη μέν οὖν αἴσϑησις τοῦ ὑποκειμένου αἰσϑητοῦ ἐστίν, De an. III, 2, 426b8–9), aber es ist nötig, um die Möglichkeit einer strukturierten Wahrnehmung, die wir faktisch haben, zu erklären, weitere perzipierbare Entitäten anzunehmen – nämlich die gemeinsamen Wahrnehmungsobjekte. Diese sind zwar abhängig von, aber nicht zu reduzieren auf die spezifischen Objekte. Des Weiteren hat sich erneut gezeigt, dass Aristoteles nicht in cartesianischer Weise nach dem Zusammenhang von materieller und geistiger Welt fragt. So wurde klar, dass Aristoteles das reflexive Bewusstsein nicht in der Form als Problem ansieht, wie es in der cartesianischen Tradition üblich geworden ist. Das Bewusstwerden der phänomenalen Qualitäten, also der spezifischen Objekte, ist immer schon eingebettet in die kausale Beschreibung des Perzeptionsvorgangs. Die Strukturierung der phänomenalen Qualitäten ist ebenso kausal verankert: Die Einheitlichkeit oder die Bewegung der verschiedenen Qualitäten ist gesichert durch die gemeinsamen Objekte, die in den spezifischen inhärieren. Prinzipiell können spezifische Objekte akzidentell mit nicht-spezifischen Organen wahrgenommen werden, d. h., ein Wahrnehmungsprozess geschieht nie isoliert als Wahrnehmen eines einzelnen spezifischen Objekts mittels des entsprechenden Organs, sondern ist ein Zusammenspiel des Wahrnehmens mehrerer Qualitäten mit mehreren Organen. Und das ist möglich aufgrund der Einheitlichkeit der Wahrnehmung, d. h. aufgrund des Vorliegens eines gemeinsamen Wahrnehmungsobjekts. Dadurch ließe sich dann auch die Brücke zur aristotelischen Ontologie bauen: Fundamental sind konkrete Individuen, die ersten Substanzen, die die Träger dieser Qualitäten sind, welche wiederum in perzeptiver Hinsicht fundamental sind. Das Bewusstwerden der phänomenalen Qualitäten ist, wie gerade gesehen, für Aristoteles kein eigentliches Problem. Die WahrSprache, Bedeutung, Geist
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nehmung, dass wir sehen oder hören, ist gekoppelt an den Gemeinsinn, der auch die damit verbundene Funktion erfüllt, die spezifischen Objekte untereinander zu unterscheiden; und auch diese Funktionen sind an ein Organ gebunden (ob die Rede vom Zentralorgan nun als separates Organ des Gemeinsinns oder als Chiffre für die Vereinheitlichung der einzelnen spezifischen Sinne zu verstehen ist, spielt für die vorliegenden Belange keine weitere Rolle). Phänomenales und reflexives Bewusstsein stellen sich für Aristoteles demnach nicht als Problem dar, sondern sind als Grundtatsachen immer schon integriert in die naturwissenschaftliche Erklärungsstrategie des an physische Organe gebundenen Wahrnehmungsprozesses, der sich auf physische Objekte richtet. Auch hier stellt sich abschließend die Frage, wie es um die Möglichkeit bestellt ist, dass die gemeinsamen Objekte als πράγματα im Sinne des SGGs gelten könnten. Es dürfte deutlich geworden sein, dass auch hier nicht im alltagspsychologischen Sinne von Objekten geredet wird. Im Gegenteil handelt es sich um einen noch komplizierteren Sachverhalt als bei den spezifischen Objekten. Die gemeinsamen Objekte sind nicht qualitativer, sondern struktureller Art. Die spezifischen Objekte sorgen für den Inhalt, die gemeinsamen Objekte für eine Ordnung in dieser »Mannigfaltigkeit der Inhalte«. Die Einheit als gemeinsames Objekt ist demnach auch nicht misszuverstehen als begriffliches Konzept »Einheit«, als ob wir so etwas wie eine konzeptuelle Wahrnehmung von »Einheit« hätten, sondern es handelt sich hierbei um eine epistemologische Erklärung der Möglichkeit strukturierter Wahrnehmung, die auf höherer Ebene Identifikation und Reidentifikation ermöglicht. Wir befinden uns mit dieser Konzeption der Wahrnehmung an sich aber dezidiert in einem vorsprachlichen Bereich. 240 Aristoteles zeigt auf, wie der Wahrnehmungsvorgang als physischer Vorgang beschrieben werden kann, indem er die Vgl. z. B. auch Herzberg: »Der demonstrative Bezug auf eine bestimmte perzeptuelle Qualität (todi to leukon) setzt implizit einen Bezug auf eine sinnliche Mannigfaltigkeit voraus. Diese bewußte Unterscheidungsleistung kann ohne Begriffe vollzogen werden, sie basiert lediglich auf der angeborenen aisthetischen Disposition; es handelt sich um eine vor-sprachliche Leistung: Tier und Mensch können beide zwischen zwei Farbtönen unterscheiden und dieser Unterschied ist ihnen bewußt (De an. III 2, 425b12 f.). Der Mensch kann zusätzlich, indem er sich Farbprädikate bedient (z. B. De int. 16a5), das Wahrnehmungsurteil fällen, daß das Rote vom Grünen verschieden ist. Mit diesen Begriffen wird ein vorsprachlich zugänglicher Unterschied nur nachträglich konzeptualisiert.« (Herzberg, 2011, S. 136)
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verschiedenen Stufen der Wahrnehmung unterscheidet und gesondert untersucht. Auch hier müssen wir die Objekte als perzipierbare Einheiten verstehen. Einheit und Bewegung kommt mit oder an den spezifischen Objekten vor, wird aber auf andere Weise wahrgenommen als diese. Die perzipierbaren Entitäten ermöglichen eine epistemische Fundierung sprachlichen Gehalts. Die phänomenalen Qualitäten und ihre Strukturiertheit sind kausal erklärt, bieten somit eine realistische Grundlage; sie werden an sich wahrgenommen und sind im Grundsatz infallibel. Dadurch ist ein unanzweifelbarer und epistemisch sicherer Zugang zur außersprachlichen Welt ermöglicht, der Aristoteles den Weg eröffnet, im SGG davon zu sprechen, dass die πράγματα und παϑήματα für alle Menschen identisch sind, im Gegensatz zu den verschiedentlichen Ausprägungen der geschriebenen und gesprochenen Sprache. 241 Man muss aber bedenken, dass es sich bloß um das eng eingekreiste infallible Fundament sprachlicher Bedeutung handelt; diese kann jedoch nicht auf die Wahrnehmung und ihre Objekte reduziert werden. Die Wahrnehmung an sich bildet zwar das epistemische Fundament sprachlicher Bedeutung, es bedarf aber anderer Vermögen, um dieses grundlegende und vorsprachliche Wissen von der Welt in sprachliches Wissen zu überführen. Bis hierhin zeigt die aristotelische Wahrnehmungstheorie Folgendes: Die Objekte der Wahrnehmung können als perzipierbare Entitäten verstanden werden, die von ontologischen und semantischen Entitäten zu unterscheiden sind, aber mit ihnen in einer engen Verbindung stehen. Es handelt sich um eine Rekonstruktion des Wahrnehmungsvorgangs, d. h. um eine phänomenologische Reduktion der alltäglichen Wahrnehmung. Man sollte die Idee von »Aristoteles als Phänomenologe« sicherlich nicht überstrapazieren, zumal immer eine physikalische Beschreibung der Wahrnehmungsprozesse vorherrscht, aber im Rahmen seiner Wahrnehmungstheorie fällt eine gewisse methodische Ähnlichkeit zur epochê von Husserl auf, die auf die Theorielastigkeit unserer alltäglichen Wahrnehmung hinweist, und zum Ziel hat, die Fundamente unserer Wahrnehmung vor jeder kognitiven Veränderung zu rekonstruieren. Was die beiden an sich wahrgenommenen Objektarten angeht, dürfte hinreichend klar geworden sein, dass sie keine relevanten Kandidaten für die πράγματα aus De int. sind. Das wurde ja schon deutlich in der systema241
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tischen Annäherung an das Thema. Man könnte sich deswegen fragen: Wieso all die Mühe nachzuweisen, dass die Objekte der Wahrnehmung keine adäquaten Kandidaten für Element D sind? Die Mühe lohnt auch deswegen, weil sie propädeutischen Charakter hat. Das wird sich zeigen, wenn im Folgenden die akzidentellen Objekte der Wahrnehmung und die Vorstellung (φαντασία) betrachtet werden. Denn scheinbar ist es der Fall, dass bei diesen Vermögen ein semantisches Wissen vorausgesetzt wird, dass also innerhalb der Wahrnehmung bzw. der Vorstellung die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke verortet werden muss. Es wird nachzuweisen sein, dass genau dies nicht der Fall ist, d. h. dass weder in der akzidentellen Wahrnehmung noch in der Vorstellung eine semantische Struktur vorhanden bzw. sprachliche Bedeutung präsupponiert ist; und ein gewisser Teil dieses Nachweises hängt an der bis jetzt dargestellten Konzeption der aristotelischen Wahrnehmung an sich als vorsprachliches Vermögen.
5.3.4. Akzidentelle Objekte Die dritte Art der Wahrnehmungsobjekte sind die akzidentellen Objekte, die Aristoteles wie folgt beschreibt: κατά συμβεβηκός δέ λέγεται αἰσϑητόν, οἷον εἰ τό λευκόν εἴη Διάρους υἱός: κατά συμβεβηκός γάρ τούτου αἰσϑάνεται, ὅτι τῷ λευκῷ συμβέβηκε τοῦτο, 242 οὗ αἰσϑάνεται. διό καί οὐδέν πάσχει ᾗ τοιοῦτον ὑπό τοῦ αἰσϑητοῦ.
Das Komma ist umstritten. Eine andere Lesart dieses Satzes ohne Komma wäre: »Denn akzidentell wird dies wahrgenommen, weil dem Weißen akzidentell dies zukommt, was wahrgenommen wird.« (Herzberg, 2011, S. 138) Graeser meint dazu: »Does αἰσϑάνεται in 418a23 go with τῷ λευκῷ or with ›Diares’ son‹ and thus with the preceding τοῦτό. On syntactical grounds the first option should be discarded. It has the disadvantage of producing awkward Greek.« (Graeser, 1978, S. 72) Dagegen steht u. a. die Meinung von Ross, der darauf hinweist, dass der Satz mit Komma viel mehr Sinn ergibt; vgl. Ross, 1961, S. 239. Ich schließe mich dieser Meinung in meiner Übersetzung an, u. a. auch deswegen, weil man sich schwer vorstellen kann, wie einem vermeintlichen Objekt der Wahrnehmung, das keine kausale Kraft hat, ein anderes, an sich wahrnehmbares Objekt, das sehr wohl kausale Kraft hat, akzidentell zukommen soll. Ein wirklicher Sinn erschließt sich nur dann, wenn man das Verhältnis umdreht: Es gibt ein an sich wahrnehmbares Objekt, hier das Helle, dem akzidentell etwas zukommt, das dann ein akzidentelles Wahrnehmungsobjekt darstellt.
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Ein Wahrnehmungsobjekt wird akzidentiell genannt, wenn etwa das Helle als der Sohn des Diares wahrgenommen/identifiziert wird. Dies wird insofern akzidentiell wahrgenommen, als dieses dem Weißen, das man [eigentlich] wahrnimmt, [nur] akzidentell zugehört. Deswegen erleidet man auf diese Weise auch nichts vom Wahrnehmungsobjekt. De an. II, 6, 418a20–24
Etwas erstaunlich ist hier die scheinbar widersprüchliche Art, in der Aristoteles von der akzidentellen Wahrnehmung spricht. Auf der einen Seite gibt es nämlich ein akzidentelles Wahrnehmungsobjekt (»der Sohn des Diares«); auch aufgrund der einführenden Bemerkung in De an. II, 6, dass es genau drei Arten von Wahrnehmungsobjekten gibt, erscheint es als Faktum, dass Aristoteles akzidentelle Objekte als eigenständige perzipierbare Entitäten annimmt. Auf der anderen Seite ist die akzidentelle Wahrnehmung kausal zu reduzieren auf ein spezifisches Objekt (»das Helle«), denn das akzidentelle Objekt ist nicht die kausale Ursache, wie der letzte Satz des Zitats deutlich macht. Die kausale Kraft liegt einzig und allein beim spezifischen Objekt. Was, so kann man dann mit Recht fragen, passiert bei der akzidentellen Wahrnehmung eigentlich? Und warum spricht Aristoteles hier überhaupt von einem Wahrnehmungsobjekt, wenn es aufgrund des Fehlens jeglicher kausaler Kraft gar nicht in das bisher explizierte Verständnis der aristotelischen Wahrnehmungstheorie passt? Durch die Annahme der akzidentellen Wahrnehmung scheint es zudem möglich, dass Aristoteles eine propositional strukturierte Wahrnehmung annimmt, dass also die Wahrnehmung durch die Form »x ist P«, »das Helle ist der Sohn Diares’«, strukturiert sein kann. Das wäre hinsichtlich des vorliegenden Kontexts deswegen von Belang, weil diese Möglichkeit propositionaler Wahrnehmung Sprache voraussetzt (gerade bei Aristoteles ist offenbar, dass das Zuund Absprechen ein sprachlicher Vorgang ist). Die Grundlage der vermeintlichen propositionalen Struktur der akzidentellen Wahrnehmung besteht in diesem Beispiel ja in einer Identifikation (a = b), und diese ist nur dann möglich, wenn man weiß, was »a« und »b« jeweils bedeuten. Gerade die Verwendung des singulären Ausdrucks »Sohn des Diares« erscheint als ein Hinweis auf einen strikten semantischen Empirismus, bei dem sprachliches Verstehen schon im phänomenalen Erleben, im bloßen Wahrnehmen beinhaltet ist. Die These, die hier im Folgenden entwickelt wird und einem strikten semantischen Empirismus entgegensteht, lautet: Mit der akSprache, Bedeutung, Geist
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zidentellen Wahrnehmung wird zwar eine Leistung des perzeptiven Vermögens beschrieben. Diese besteht aber »nur« darin, dass auf vorsprachlicher Ebene Assoziationen möglich sind. Die dabei involvierten perzeptiven Vermögensaspekte sind Vorstellung (φαντασία) und Gedächtnis (μνήμη). 243 Das Beispiel vom »Sohn des Diares« ist gerade nicht so zu verstehen, dass im Rahmen der akzidentellen Wahrnehmung Sprachverstehen, also semantisches Wissen, vorausgesetzt wird und somit Sprache und die Lösung der Bedeutungsfrage im Rahmen der perzeptiven Vermögen möglich sein muss, sondern dass hier lediglich auf eine vorsprachliche Assoziationsleistung hingewiesen wird, die auch nicht-menschlichen Lebewesen zukommt. 244 Worin besteht nun diese Assoziationsleistung? Nicht von Ungefähr fällt in den Bereich von De an. III auch die aristotelische Theorie des Strebevermögens (ὄρεξις). In De an. I, 3 stellt Aristoteles im Großen einen Kontext zwischen den verschiedenen grundlegenden Vermögen her: Pflanzen besitzen das Nähr- und Wachstumsvermögen. Die anderen Lebewesen besitzen dazu das Wahrnehmungsvermögen. Und wenn dieses vorliegt, so Aristoteles, dann sowohl Vorstellungs- als auch Strebevermögen. 245 Es geht um die Beschreibung des Strebens als dem »Prinzip der Ortsbewegung«, denn »nichts bewegt sich, ohne zu streben und zu meiden, außer durch Gewalt« (οὐϑέν γάρ μή ὀρεγόμενον ἢ φεῦγον κινεῖται ἀλλ’ ἢ βίᾳ. De an. III, 9, 432b16–17). Das Streben wird von Aristoteles sowohl als irrational als auch als rational verstanden; es kann als irrationale Begierde (ἐπιϑυμία), Affekt (ϑυμός) oder Wille (βούλησις) manifestiert sein, 246 aber auch durch Vernunft (νοῦς) 247 oder Überlegung (τό βουλευτικόν) 248 beeinflusst werden, und dann wird das Streben zur verDie fundamentale Abhängigkeit des Gedächtnisses von der Vorstellung wird in Mem. 1, 450a22–25 formuliert. Deswegen wird im Folgenden nurmehr von der Vorstellung die Rede sein. 244 In den folgenden Ausführungen wird dieser vorsprachlichen Assoziationsleistung eine Sprache bedingende Identifikationsleistung gegenübergestellt; wobei anzumerken ist, dass die Identifikation letztlich ein Spezialfall der Prädikation ist. Da Aristoteles aber ein Beispiel verwendet, in dem ein Objekt der Wahrnehmung als bestimmte Person identifiziert wird, ist in der Folge von der Identifikationsleistung die Rede. 245 Vgl. De an. II, 2, 413b21–23 und De an. II, 3, 414b1–2. 246 Vgl. De an. I, 3, 414b2–3. Hier betont Aristoteles gleichzeitig den Zusammenhang zwischen Strebe- und Wahrnehmungsvermögen. 247 Vgl. De an. III, 9, 433a7–8. Die Beherrschten (οἱ ἐγκρατεῖς) folgen demnach der Vernunft (ἀκολουϑοῦσι τῷ νῷ). 248 Vgl. De an. III, 11, 434a12. 243
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nünftigen Handlung. Weiterhin wird das Streben und Meiden in der Lust- und Schmerzempfindung fundiert, die wiederum von der Wahrnehmung abhängt: Wer das Wahrnehmungsvermögen hat, der empfindet auch Lust und Schmerz und wer diese Empfindungen hat, der begehrt, was nichts anderes als das Streben nach dem Lustvollen bedeutet. 249 Die grundlegende Idee der hier vertretenen These ist nun, dass die Strebung, also die Möglichkeit der Ortsbewegung, auf der akzidentellen Wahrnehmung beruht. Kein Lebewesen setzt sich in Bewegung, bloß weil es etwas Einheitliches, etwas sich Bewegendes mit bestimmten qualitativen Eigenschaften wahrnimmt – dazu muss immer eine Bewertung erfolgen, die Einschätzung des Wahrgenommenen als lust- oder schmerzvoll, als gut oder schlecht. 250 Daraus erst entsteht die Bewegung, das Meiden oder Streben, das Tun oder Unterlassen. Diese Einschätzung basiert auf einer Assoziationsleistung von einer schon erlebten lustvollen Erfahrung mit einem präsenten Wahrnehmungsobjekt. Strebung muss nach diesem Muster durch Wahrnehmung erklärt werden können. Und genau das soll die Konzeption der akzidentellen Wahrnehmung leisten. Zur weiteren Klärung dieser These kann man zunächst einen propädeutischen Einwand diskutieren: Wieso gibt es diese distinkte dritte Art der Wahrnehmung überhaupt, wenn Assoziation schon innerhalb der Wahrnehmung an sich möglich ist? Es hat sich ja herausgestellt, dass das insofern möglich ist, als ein Lebewesen etwas als so und so beschaffen assoziiert, weil es zuvor aufgrund der Einheitlichkeit der Wahrnehmung zwei oder mehr spezifische Objekte als zusammengehörig wahrgenommen hat. Beim neuerlichen Wahrnehmen nur eines dieser vorher als einheitlich wahrgenommenen Objekte, erfolgt nun die Assoziation des tatsächlich wahrgenommenen Objekts mit dem zuvor in Einheit wahrgenommenen anderen spezifischen Objekt. Hier ist die Grundlage des Täuschens gegeben (ἀπατᾶται); zwar sind die einzelnen Wahrnehmungen spezifischer Objekte infallibel, in der Assoziation sind Fehlinterpretationen der Realität aber sehr wohl möglich. 251 Damit ist aber eine den spezifischen Sinnen interne akzidentelle
Vgl. De an. II, 3, 414b4–6. »Bewertung« ist hier in einem weiten Sinn zu verstehen, also sowohl als Bewertung hinsichtlich der irrationalen Lustempfindung als auch hinsichtlich rationaler Überlegung im Sinne des normativ Richtigen oder Guten. 251 Vgl. De an. III, 1, 425a30-b4. 249 250
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Wahrnehmung angesprochen. Die spezifischen Sinne können den spezifischen Gegenstand, der nicht ihr eigener ist, jeweils akzidentell wahrnehmen, weil sie zuvor durch den Gemeinsinn als einheitlich wahrgenommen wurden. Ein einheitlich wahrgenommenes Objekt besitzt mehrere spezifische Eigenschaften, die dann auch durch die jeweiligen nicht-spezifischen Sinne akzidentell wahrgenommen werden können. Auch hier kann man also berechtigterweise von Assoziation sprechen. Wieso führt Aristoteles nun die akzidentelle Wahrnehmung als eigenständige Art der Wahrnehmung ein? Die Antwort lautet: Das, was im Rahmen der spezifischen Wahrnehmung akzidentell wahrgenommen wird, ist immer selbst ein spezifisches Objekt. Wir bleiben hier im Rahmen der an sich wahrgenommenen Objekte. Die akzidentelle Wahrnehmung, die Aristoteles in De an. II, 6 als eigenständige Wahrnehmungsart vorstellt, bezieht sich aber auf kausal wirkungslose, also nicht an sich wahrnehmbare Objekte. Was sind nun diese in diesem Sinne akzidentellen Wahrnehmungsobjekte? Es scheint, dass Aristoteles, gemäß den Beispielen, die er anführt, singuläre Terme bzw. das mit ihnen Bedeutete (»Sohn des Kleon«, »Sohn des Diares«) darunter zählt. Diese Annahme der akzidentellen Wahrnehmung ergibt insofern Sinn, als der Mensch im Alltag ein spezifisches Objekt zumeist nicht interesselos oder assoziationsfrei wahrnimmt, sondern es immer als etwas Bestimmtes identifiziert und es bewertet. Dies kann wiederum zu einer Bewegung, zu einer Handlung führen, wenn das akzidentell wahrgenommene Objekt, also das, mit dem das spezifische Objekt in Verbindung gebracht wird, gleichzeitig ein erstrebtes Objekt (ὀρεκτόν) ist. Wenn jemand den hellen Fleck als eine bestimmte Person identifiziert, man gleichzeitig etwas von dieser Person will, dann folgen auf diese Identifikation weitere Handlungen. Zwei Fragen sind diesbezüglich zu stellen: Ist diese sprachliche Identifikation die einzige Art von Verbindung eines spezifischen mit einem akzidentellen Wahrnehmungsobjekt? Und: Ist sprachliche Identifikation, so wie es nach den aristotelischen Beispielen prima facie scheinen mag, tatsächlich im Wahrnehmungsvermögen als akzidentelle Wahrnehmung vollständig angelegt? Beide Fragen werden hier mit einem »Nein« beantwortet: Zum einen ist sprachliche Identifikation nicht die einzige Art von Verbindung eines spezifischen mit einem akzidentellen Wahrnehmungsobjekt: Die schon erwähnte vorsprachliche Assoziation stellt eine weitere und fundamentalere Art einer solchen Verbindung dar. Zum anderen ist das Wahrnehmungs200
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vermögen als Erklärung für sprachliche Identifikation nicht hinreichend; andere Vermögen oder Fähigkeiten sind vonnöten. Es gilt nun die negative Antwort auf die erste Frage genauer zu explizieren. Dadurch wird wiederum die These in den Blick genommen, dass durch akzidentelle Wahrnehmung örtliche Bewegung erklärt werden können muss. Wäre die Identifikation die einzige Art der akzidentellen Wahrnehmung, könnte man das Streben und SichBewegen der nicht-menschlichen Lebewesen nicht erklären. Nach Aristoteles ergibt es aber keinen Sinn, das Strebungsprinzip zu »zerreißen« (ἄτοπον δή τό τοῦτο διασπᾶν, De an. III, 9, 432b4–5), also nur einem bestimmten psychischen Vermögen bzw. Seelenteil zuzuordnen, denn es kommt, in der einen oder anderen Form (als Überlegung, Begierde oder Wille) in jedem Seelenteil vor. 252 Deutlich wird das, wenn Aristoteles über sich widerstreitende Strebungen schreibt, die bei rationalen Lebewesen, also beim Menschen vorkommen. Der Widerstreit besteht im gegenwärtigen Begehren von etwas Lustvollem bzw. im gegenwärtigen Meiden von etwas Schmerzvollem und der prospektiv ausgerichteten, rationalen Überlegung. Diese rationale Überlegung hat (idealerweise) immer das Gute zum Ziel, nicht-rationale Lebewesen handeln aufgrund von Strebung und Vorstellung nach dem bloß scheinbar Guten, nämlich dem Lustvollen. Das irrationale Streben ist freilich auch bei rationalen Lebewesen vorhanden, weswegen es zu dem erwähnten Widerstreit kommen kann. 253 Das bedeutet, dass das Erstrebte auch vorrational erfasst werden können muss. 254 Und genau das ist durch die Assoziationsfähigkeit garantiert. Das, was Aristoteles nun als irrationales Strebungsprinzip ansieht, beruht fundamental auf der Vorstellung (φαντασία) bzw. dem Gedächtnis (μνήμη). Man kann das sehr gut am elften Kapitel von De an. nachvollziehen; dort fragt Aristoteles, was das Bewegungsprinzip bei jenen Lebewesen ist, die nur den Tastsinn besitzen, und ob diese Lebewesen Vorstellung und Begierde haben können. 255 Interessant ist der Weg dieser Betrachtung: Niederen Lebewesen scheint faktisch »Schmerz und Lust innezuwohnen« (φαίνεται γάρ λύπη καί ἡδονή ἐνοῦσα, De an. III, 11, 434a2–3), deswegen auch Begierde und daher Vgl. De an. III, 9, 432b3–7. Vgl. De an. III, 10, 433a25–29. 254 Entsprechend meint Aristoteles auch, dass Bewegung nicht von theoretischer Überlegung ausgeht, sondern immer vom Zu-Meidenden oder Zu-Erstrebenden. Vgl. De an. III, 9, 432b26–29. 255 Vgl. De an. III, 11, 433b31–434a5. 252 253
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stellt sich wiederum die grundsätzliche Frage, wie sie Vorstellung haben können. Die Tatsache, dass sich diese Lebewesen bewegen – was nichts anderes bedeutet, als dass ihnen Schmerz und Lust innewohnt – führt zur Feststellung, dass sie ein Vorstellungsvermögen haben müssen. Die Vorstellung ist bei Aristoteles nun grundsätzlich innerhalb des perzeptiven Vermögens verortet, und zwar als Bewegung (κίνησις), die kausal von der Wahrnehmung abhängt (ἡ φαντασία ἂν εἴη κίνησις ὑπό τῆς αἰσϑήσεως τῆς κατ’ ἐνέργειαν γιγνομένη, De an. III, 3, 429a1–2). 256 Der wichtige Unterschied zur Wahrnehmung besteht darin, dass die Vorstellung unabhängig vom Wahrnehmungsobjekt vorliegen und unter bestimmten Umständen aktiv hervorgerufen werden kann. 257 Deswegen scheint auch die Begierde, als grundlegendes irrationales Strebevermögen, vom Vorstellungsvermögen abzuhängen, denn Wahrnehmung an sich bezieht sich immer auf Präsentes. Das Lustvolle, das, was Begehrung hervorruft, ist aber schlichtweg kein spezifisches oder gemeinsames Wahrnehmungsobjekt. Erst durch die Vorstellung, d. h. durch die Reaktivierung von etwas, das schon wahrgenommen und als lustvoll erlebt wurde, kann Begierde möglich sein. Dieses Vorgestellte wird erinnert als etwas Lustvolles, ist also nichts an sich Wahrnehmbares. Aristoteles geht bei dieser Strebungsart davon aus, dass die prospektive Sichtweise fehlt, also nur die Gegenwärtigkeit zählt. Der Grund, dass etwas überhaupt erstrebt wird, ist die Assoziation des wahrgenommenen Objekts mit etwas Lustvollem: Aristoteles spricht explizit davon, dass das Objekt als etwas Lustvolles erscheint (φαίνεται). 258 Es ist elementar, dass das erstrebte Objekt als lustbringendes Objekt vorgestellt wird und das ist nur dann möglich, wenn ein gegenwärtiges Wahrnehmungsobjekt mit einer schon als lustvoll erlebten und durch die φαντασία gespeicherten Erfahrung eines gleichartigen Objekts assoziiert wird. Das bedeutet letztlich, dass Lebewesen, die mittels Vorstellung und nicht mittels Vernunft das erstrebte Objekt erfassen, eine solche vorrationale Assoziationsfähigkeit besitzen müssen. Und diese perzeptive Fähigkeit wird durch die akzidentelle Wahrnehmung abgedeckt. Zwei Einwände gegen diese Interpretation drängen sich auf. Die Vorstellung wird im Abschnitt 5.4 noch detaillierter dargestellt. Vgl. De an. III, 3, 427b14–20. Demnach liegt die Vorstellung »bei uns, sofern wir wollen« (ἐφ’ ἡμῖν ἐστίν, ὅταν βουλώμεϑα). 258 Vgl. De an. III, 10, 433b8–12. 256 257
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Zum einen kann man fragen, wieso Aristoteles dieses Assoziationsvermögen nicht im Rahmen der Vorstellung und des Gedächtnisses abgehandelt hat, sondern im Rahmen der grundlegenden Wahrnehmungsarten in De anima. Zum zweiten sind die Beispiele, die Aristoteles zur Illustration der akzidentellen Wahrnehmung anbietet, eher als Identifikations- denn als Assoziationsleistungen anzusehen. Wie soll ein nicht-rationales Lebewesen einen wahrgenommenen Gegenstand mit dem »Sohn des Diares« assoziieren können? Diese Beispiele zeigen ja gerade nicht, dass es um etwas Lust- oder Schmerzvolles, also etwas Vorsprachliches geht, sondern dass es um eine sprachlich fundierte Beschreibung eines wahrgenommenen Gegenstands, in diesem um Identifikation, einem Fall von Prädikation geht. Zum ersten Einwand: Vorstellung und Gedächtnis sind perzeptive Vermögen. Sie haben keine eigenen Objekte, sondern sind abhängig von der Wahrnehmung und deren Objekten. Deswegen ist es nachvollziehbar, die Assoziationsfunktion innerhalb der Analyse der Wahrnehmung darzustellen. Die Passagen, die sich explizit der Vorstellung (De an. III, 3) bzw. dem Gedächtnis (Mem. I) widmen, beinhalten zu einem großen Teil Auseinandersetzungen mit den Meinungen anderer Philosophen (in diesem Fall v. a. mit Platon). Eine solch abgeschlossene Darstellung mag eine funktionale Unabhängigkeit des dargestellten Vermögens suggerieren. Dem ist aber nicht so: Die Vorstellung ist substantiell abhängig von der Wahrnehmung; die Objekte der Wahrnehmung sind die Objekte der Vorstellung, sie selbst hat keinen eigenen Gegenstandsbereich. Auch was die Funktionen des perzeptiven Vermögens angeht, sind ihre verschiedenen Aspekte miteinander verwoben. Eigentlich ist schon in der Wahrnehmung an sich das Vorstellungsvermögen involviert, nämlich genau in dem Fall, in dem ein spezifischer Sinn ein nicht-spezifisches Objekt akzidentell wahrnimmt. Wenn es hier keine »Speicherung« einer früheren einheitlichen Wahrnehmung gegeben hätte, wäre eine solche akzidentelle Wahrnehmung gar nicht möglich; man würde immer nur das Präsente als einheitlich wahrnehmen und nicht in Beziehung zu schon erfolgten Wahrnehmungen setzen. Auch wenn sich Aristoteles immer bemüht, die verschiedenen Aspekte des perzeptiven Vermögens in ihrer systematischen Unabhängigkeit voneinander darzustellen, sind sie in ihrer Funktionsweise elementar voneinander abhängig, wobei die Wahrnehmung immer der kausale Ausgangspunkt ist. Zum zweiten Einwand: Diese Beispiele sind, wie De an. im GeSprache, Bedeutung, Geist
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nerellen, ausgerichtet auf den Menschen als Lebewesen mit perzeptiven und kognitiven Vermögen, d. h., in ihnen ist meistens ein gewisser Vernunftaspekt implizit. Nicht-menschliche Lebewesen sind von eher nachrangigem Interesse (erst in De an. III, 11). Die Analyse der Wahrnehmung ist bei Aristoteles eine Art Reduktion. Es wird das herausgearbeitet, was bloß perzeptiver, d. h. nicht-kognitiver Natur ist. In vortheoretischer, alltäglicher Hinsicht erscheinen diese Aspekte aber als vermischt. Wenn wir im Alltag etwas sehen, wird es in Echtzeit interpretiert, was sich auch sprachlich niederschlägt, wie bei: »Da vorne sehe ich Diares’ Sohn!« In theoretischer Hinsicht sieht man eigentlich nicht Diares’ Sohn, sondern etwas Helles, also ein spezifisches und gemeinsames Wahrnehmungsobjekt. Mit der akzidentellen Wahrnehmung wird die Möglichkeit dieser »Echtzeitidentifikation« zwar theoretisch fundiert, sie allein ermöglicht aber keine Identifikation, sondern lediglich deren Bedingung, die Assoziation. Letztere ist schon im Bereich der perzeptiven Vermögen möglich, erstere noch nicht. Besitzt aber ein Lebewesen die kognitiven Vermögen, dann »sickern« diese Fähigkeiten, auch wenn theoretisch zu trennen, in die perzeptiven Vermögen hinein. 259 So ließe sich erklären, warum Aristoteles genau diese Beispiele gewählt hat. Wenn diese Interpretation der akzidentellen Wahrnehmung zutrifft, zeigt sich, dass die Annahme einer propositionalen Struktur innerhalb der Wahrnehmung grundlos ist. Die Aufgabe dieser Wahrnehmungsart besteht darin, die Fähigkeit zur Assoziation im Rahmen der perzeptiven Vermögen zu ermöglichen. Dies ist nötig, um das Strebeverhalten nicht nur des Menschen, sondern auch der nichtmenschlichen Lebewesen zu erklären.
5.4. Vorstellung Mit den Untersuchungen zur Wahrnehmung wurde Folgendes klar: Die αἰσϑητά sind zwar allesamt keine Kandidaten für das Element D aus dem SGG. Allerdings hat sich gezeigt, dass die an sich wahrnehmbaren Objekte die perzeptive Fundierung sprachlicher BedeuVgl. hierzu allgemein Gregoric: »In the case of lower animals perception belongs to the non-rational part of the soul, whereas in the case of humans it seems to belong to the rational part of the soul, since our perceptions can be and usually are informed by our thoughts and concepts.« (Gregoric, 2007, S. 23)
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tung ermöglichen. Die spezifischen Objekte liefern den phänomenalen Inhalt, die gemeinsamen Objekte die Struktur dieses Inhalts. Damit lässt sich erklären, dass sich einige sprachliche Ausdrücke (nämlich jene, die auch primitive Konzepte repräsentieren) auf solche perzipierbaren Entitäten beziehen können: Schon in der Wahrnehmung werden einheitliche, distinkte und gehaltvolle Entitäten erfasst. Es bleibt dann die Frage zu klären, wie sich aus diesem perzeptiven Fundament die Vielfalt sprachlicher Bedeutung entwickeln kann, wie der Brückenschlag von primitiven zu lexikalen Konzepten vor sich geht. Ferner wurde dafür argumentiert, dass die akzidentellen Wahrnehmungsobjekte vorsprachlich sind. Die aristotelischen Beispiele, die eine propositionale Struktur der akzidentellen Wahrnehmung suggerieren und singuläre Ausdrücke wie z. B. »Sohn des Kleon« beinhalten, könnten zwar die gegenteilige Annahme nahelegen, sie erklärt aber »nur« die Fähigkeit zur Assoziation, die auch bei nichtmenschlichen Lebewesen vorkommen muss, da mit ihr das Meiden oder Streben, also die Bewegung von Lebewesen erst ermöglicht wird. Es wurde schon angedeutet, dass für diese Assoziationsfähigkeit das Vorstellungsvermögen vonnöten ist, weil erst damit das Abheben von präsenten Wahrnehmungsobjekten möglich wird. Genau um dieses Vorstellungsvermögen geht es im Folgenden. Es ist für den hier vorliegenden Kontext deswegen von speziellem Interesse, weil unter den Interpreten der aristotelischen Sprachphilosophie die Ansicht vertreten wird, dass mit Element C die Vorstellungsinhalte, die φαντάσματα zu identifizieren sind. 260
Das ist z. B. die Position von Deborah Modrak: »All things considered, that the pathemata mentioned at De Interpretatione 1, 16a6, are phantasmata seems a likely surmise.« (Modrak, 2001, S. 222–223) Modrak nimmt auch die »Breite« des perzeptiven Vermögens als Argument: »Aristotle’s broad conception of perceptual activity […] holds some promise of providing support for an explanation of meaning that invokes phantasia.« (Modrak, 2001, S. 226) Auch in der hier ausgearbeiteten Interpretation der Bedeutungsfrage spielen die perzeptiven Vermögen eine wichtige Rolle. Zu betonen bleibt allerdings, dass die Vermögensstruktur bei Lebewesen, die zwar das Vorstellungs-, nicht aber das Denkvermögen besitzen, nicht hinreicht, sprachliche Bedeutung zu erklären. Erst wenn die Vernunft, das Denken ins Vorstellungsvermögen »sickert«, kann vom semantischen Aspekt der φαντασία gesprochen werden. Sie ist zwar in Verbindung mit dem Wahrnehmungsvermögen das epistemische Fundament sprachlicher Bedeutung, aber für sich ist das perzeptive Vermögen vorsprachlich, somit kann die Bedeutungsfrage nicht hinreichend mit ihm beantwortet werden.
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Gemeinhin wird angenommen, dass das dritte Kapitel des dritten Buchs von De an. die zentrale Darstellung der Vorstellung (φαντασία) bei Aristoteles ist. Man muss aber berücksichtigen, dass das eigentliche Problem dieses Kapitels die Möglichkeit des Irrtums ist und nicht so sehr eine distinkte Darstellung des Vorstellungsvermögens. Zur Darstellung der φαντασία ist natürlich auch dieses, aber nicht nur dieses Kapitel heranzuziehen. Vielmehr ergeben sich etwa aus den relevanten Abhandlungen der Parva naturalia weitere wichtige Einsichten. Im vorliegenden Kapitel wird nun zunächst die physikalische Definition der Vorstellung dargestellt, mit der auch ihr Spezifikum, die Konservierung von Wahrnehmung, erklärbar wird. Eine weitere Eigentümlichkeit, die der Vorstellung oft zugeschrieben wird, scheint dann aber über dieses Verständnis hinauszuweisen: Das ist die notorische Berufung auf die Vorstellung als ein Vermögen ἐφ’ ἡμῖν, d. h. dass die Aktualisierung der Vorstellung bei uns liegt und nicht von den außersprachlichen Objekten der Wahrnehmung abhängt. Es stellt sich daher die folgende Frage: Könnte mit dieser »kreativen Freiheit«, die sich womöglich auch auf die Konstruktion und Kombination von Inhalten der Vorstellung bezieht, nicht die Möglichkeit gegeben sein, die semantische Vielfältigkeit menschlicher Sprache, die meaning facts zu erklären? Diese Frage wird auch im Rahmen der wichtigen Unterscheidung von aisthetischer und logischer Vorstellung, sowie in der Diskussion um das Verständnis vom Gehalt der Vorstellung behandelt.
5.4.1. Die Definition Die Definition der Vorstellung erfolgt erst am Ende von De an. III, 3, nachdem einige alternative Ansätze diskutiert und verworfen wurden. Sie lautet folgendermaßen: εἰ οὖν μηϑέν μέν ἄλλο ἔχοι ἢ τά εἰρημένα ἡ φαντασία, 261 τοῦτο δ’ ἔστι τό λεχϑέν, ἡ φαντασία ἂν εἴη κίνησις ὑπό τῆς αἰσϑήσεως τῆς κατ’ ἐνέργειαν γιγνομένη.
Diese These wird in der folgenden Behandlung des Vorstellungs- und des Denkvermögens sukzessive spezifiziert, verteidigt und untermauert. 261 Hier folge ich Hett und Hicks. Die vorliegende grammatische Konstruktion des problematischen Halbsatzes ist am plausibelsten.
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Vorstellung
Wenn nun die Vorstellung nichts anderes beinhaltet als das Gesagte und so ist, wie dargelegt, dann ist sie eine Bewegung, die von der aktualisierten Wahrnehmung herrührt. De an., III, 3, 428b30–429a2
Diese Definition schließt inhaltlich an die kausale Erklärung der Wahrnehmung an: Die Vorstellung wird, gemäß der physikalischen Erklärungsstrategie, als Bewegung (κίνησις) verstanden, die aufgrund einer aktualisierten Wahrnehmung entsteht. Man kann deswegen auch vom »kausalen Echo« der Wahrnehmung sprechen. Das wichtigste Spezifikum der Vorstellung gegenüber der Wahrnehmung ist dann auch das »Bleiben« (ἐμμένειν), also das Speichern der Wahrnehmung: καί διά τό ἐμμένειν καί ὁμοίας εἶναι ταῖς αἰσϑήσεσι, πολλά κατ’ αὐτάς πράττει τά ζῷα, τά μέν διά τό μή ἔχειν νοῦν, οἷον τά ϑηρία, τά δέ διά τό ἐπικαλύπτεσϑαι τόν νοῦν ἐνίοτε πάϑει ἢ νόσοις ἢ ὕπνῳ, οἷον οἱ ἄνϑρωποι. Sowohl wegen des Bleibens als auch wegen der Ähnlichkeit mit den Wahrnehmungen, können die Lebewesen viele Handlungen anhand von ihnen [i. e. den Vorstellungen] ausführen. Die einen, weil sie kein Denkvermögen haben, wie die Tiere, die anderen, weil das Denkvermögen manchmal durch Leidenschaft, Krankheit oder Schlaf verschleiert wird, wie bei den Menschen. De an., III, 3, 429a4–8
Die Vorstellung ist eine physische Konservierung der Wahrnehmung. Mit Hilfe dieser Konservierungsleistung lässt sich auch das zielgerichtete Handeln nicht-menschlicher Lebewesen erklären. Das wird in dieser Passage explizit; sie unterstützt somit die oben geleistete Interpretation der akzidentellen Wahrnehmungsarten, nach der das Vorstellungsvermögen bei der Assoziation involviert und vorausgesetzt ist. Dieser Aspekt, kausales Echo und Konservierung einer Wahrnehmung zu sein, lässt die Vorstellung als eine derivative Funktion des Wahrnehmungsapparats erscheinen, womit man die Assoziationsleistung von sich bewegenden Lebewesen erklären kann. Sie dient nur der Speicherung schon gehabter Wahrnehmungen, die mit zukünftigen Objekten der Wahrnehmung assoziiert werden können. Der nun zu erläuternde Aspekt der Vorstellung, der oft zu ihrer generellen Charakterisierung aufgerufen wird, erweitert scheinbar ihre Sprache, Bedeutung, Geist
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Elemente C und D
Funktion um einiges. Es handelt sich dabei um den »freien« und »kreativen« Aspekt des Hervorrufens von Vorstellungen: 262 τοῦτο μέν γάρ τό πάϑος ἐφ’ ἡμῖν ἐστίν, ὅταν βουλώμεϑα (πρό ὀμμάτων γάρ ἔστι τι ποιήσασϑαι, ὥσπερ οἱ ἐν τοῖς μνημονικοῖς τιϑέμενοι καί εἰδωλοποιοῦντες), δοξάζειν δ’ οὐκ ἐφ’ ἡμῖν. ἀνασσγκη γάρ ἢ ψεύδεσϑαι ἢ ἀληϑεύειν. Denn dieser Zustand/Affekt liegt bei uns, sooft wir wollen (denn es ist ein Vor-Augen-Stellen, wie bei den Gedächtniskünstlern und Bildermachern), das Meinen jedoch liegt nicht bei uns. Denn notwendigerweise ist dieses wahr oder falsch. De an. III, 3, 427b17–21
Die Vorstellung ist demnach ein eigenständig initiierter Vorgang, weil er unabhängig von äußeren Faktoren (re-)aktiviert werden kann. Die »Freiheit« der Vorstellung liegt in der produktiven und kreativen Kraft einer memoria technica und des »Bildermachens« (εἰδωλοποίειν), wohl im Sinne einer phantasievollen und kombinierenden Vorstellungskraft. Wenn es sich hierbei um eine zutreffende Eigenschaft der Vorstellung handeln würde, dann wäre es sicherlich gut nachzuvollziehen, wieso man die Inhalte der Vorstellung als die Bedeutungsträger sprachlicher Ausdrücke verstehen will. Mit Ausdrücken wie »Vor-Augen-Stellen« und »Bildermachen« wird scheinbar das piktorale Verständnis der φαντασία untermauert, das gleichzeitig ein naives Verständnis des SGGs nahelegt. Im Folgenden geht es darum, gegen dieses Verständnis der Textstelle und für die restriktive These zu argumentieren, dass das Eigentümliche der Vorstellung lediglich in den zuerst beschriebenen Eigenschaften besteht, nämlich kausales Echo und Speicherung des Wahrnehmungsgehalts zu sein, und nicht in einer zusätzlichen kreativen Funktion. Zunächst erfolgt eine detailliertere Untersuchung der zitierten Passage. Die Bedeutung des ἐφ’ ἡμῖν ist besser zu verstehen, wenn man die Gegenüberstellung zum δοξάζειν genauer betrachtet, das von Aristoteles als οὐκ ἐφ’ ἡμῖν charakterisiert wird. Mit einer Meinung, so Aristoteles in seiner Begründung, sagt man notwendigerweise etwas Wahres oder Falsches aus (ἀνάγκη γάρ ἢ ψεύδεσϑαι ἢ ἀληϑεύειν, 427b20–21). Die Meinung ist wahrheitsfähig, deswegen Vgl. z. B. Ross in seinem Kommentar: »The meaning of the present passage is that we can voluntarily direct the course of our imagination, as people in fact do by the use of mnemonics.« (Ross, 1961, S. 285)
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Vorstellung
liegt sie nicht bei uns. Nun wird zwar auch die Vorstellung von Aristoteles wahrheitstheoretisch eingeordnet, 263 weswegen man annehmen könnte, dass die spezifische Charakterisierung der Meinung als wahr oder falsch und aufgrunddessen als ein Vermögen, das nicht »bei uns« liegt, verfehlt ist, eben weil die Vorstellung auch entweder wahr oder falsch ist. Was aber sinnvollerweise gemeint sein könnte, ist, dass die Meinung sich an einer Tatsache als truthmaker orientiert und es genau deswegen nicht an uns liegt, sondern eben an den Tatsachen, ob sie wahr oder falsch ist – es ist schließlich auch das Ziel des Meinens oder Glaubens, die Wahrheit zu treffen. Es liegt in keiner Weise bei jemandem selbst, sich eine Meinung nach Belieben zu bilden: Man kann vernünftigerweise nicht an etwas glauben, von dem man weiß, dass es falsch ist (Aristoteles spricht vom Vertrauen (πίστις) und dem Überzeugtsein (τό πεπεῖσϑαι), das dem Meinen folgt, vgl. De an. III, 3, 428a22–24). Insofern liegt das Meinen nicht bei uns. Das Ziel und die Funktion der Vorstellung liegen dagegen nicht in diesem Treffen der Wahrheit; zwar kann auch eine Vorstellung dahingehend qualifiziert werden, aber nur vor dem Hintergrund einer rationalen Beurteilung der Vorstellung, d. h. mit dem Denkvermögen (etwa dem Meinen). Die Wahrheitsfähigkeit beim perzeptiven Vermögen ist also anders zu bewerten. Bei der Wahrnehmung eines spezifischen Objekts gibt es keine Täuschung, keine Fallibilität (οὐκ ἀπατᾶται, De an. II, 6, 418a15; vgl. auch De an. III, 3, 428b18–25 264). Die Vorstellung daVgl. etwa De an. III, 3, 428a18, wo Aristoteles meint, dass die Vorstellung auch falsch sein kann (ἔστι γάρ φαντασία καί ψευδής). 264 In dieser Passage 428b18–25 scheint Aristoteles etwas zu schwanken hinsichtlich der Infallibilität der spezifischen Wahrnehmung: ἡ αἴσϑησις τῶν μέν ἰδίων ἀληϑής ἐστιν ἢ ὅτι ὀλίγιστον ἔχουσα τό ψεῦδος. Ein bisschen Irrtum sollte doch möglich sein? Das Schwanken lässt sich aber damit erklären, dass es sicherlich Bedingungen gibt, in denen man sich auch hinsichtlich der spezifischen Objekte täuschen kann, etwa wenn im Falle einer visuellen Wahrnehmung die Lichtverhältnisse schlecht sind oder das Auge als Organ geschädigt ist. Dabei handelt es sich aber um etwas anderes als beim Irrtum innerhalb der Assoziation. Aristoteles vernachlässigt diese »konstruierten Bedingungen« ein paar Zeilen weiter, in 428b21–22, wo er sehr eindeutig wird: ὅτι μέν γάρ λευκόν, οὐ ψεύδεται, εἰ δέ τοῦτο τό λευκόν ἢ ἄλλο τι, ψεύδεται. In der Wahrnehmung, dass etwas weiß bzw. hell ist, gibt es keinen Irrtum; wenn aber dieses Weiße mit etwas anderem assoziiert wird, dann täuschen wir uns. Aristoteles scheint also von den bestmöglichen Bedingungen für die Wahrnehmung an sich auszugehen und dann ceteris paribus die Assoziationsfähigkeit als Quelle des Irrtums darzustellen. Vgl. zu dieser Thematik auch das Kapitel Perception and error in Charles, 2000, S. 118–124. 263
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gegen kann auch falsch sein (αἱ δέ φαντασίαι γίνονται αἱ πλείους ψευδεῖς, De an. III, 3, 428a12; hier meint Aristoteles, dass die meisten Vorstellungen falsch sind, an anderen Stellen lediglich, dass die Vorstellung gegenüber der Wahrnehmung an sich auch falsch sein kann, vgl. De an. III, 3, 428a18, b2, b17). Dass die Vorstellung nicht »notwendig wahr oder falsch« sein muss, dass sie »bei uns« liegt, wie es Aristoteles im obigen Zitat formuliert, soll nun ausdrücken, dass ihre Funktion nicht im »Treffen« der Realität besteht, sondern gerade im Abheben von ihr, weswegen sie dann auch zumeist falsch ist, und zwar auch deswegen, weil sie ohne Wahrnehmungsobjekt reaktiviert werden kann und somit keinem perzipierbaren Objekt als truthmaker korreliert. Zudem ist die Vorstellung, genauso wie die akzidentelle Wahrnehmung, nicht propositional strukturiert, wie etwa die Meinung. Deswegen sagt man mit der Meinung etwas aus, das notwendigerweise wahr oder falsch sein muss (ἀνάγκη γάρ ἢ ψεύδεσϑαι ἢ ἀληϑεύειν, De an. III, 3, 427b20–21). Mit der Vorstellung sagt man nichts aus, von ihr wird lediglich gesagt, dass sie wahr oder falsch, zumeist aber falsch ist. Sie ist kein ψεύδεσϑαι, sondern ist schlicht ψευδής. Das ἐφ’ ἡμῖν betont in diesem Kontext also diese Funktionsweise, die gerade nicht – entgegen des Meinens und Wissens – im Treffen der Realität, sondern im Abheben von ihr besteht. Allerdings bliebe bestehen, dass, unabhängig von der Frage, was die Funktion des angesprochenen Vermögens ist, es sich um eine Funktion ἐφ’ ἡμῖν handelt; insofern genügen diese Anmerkungen noch nicht, um die restriktive Interpretation des Vorstellungsvermögens zu verteidigen. Im Folgenden wird allerdings gezeigt werden, dass das ἐφ’ ἡμῖν prinzipiell vom Denkvermögen abhängt. Das die Vorstellung betreffende Wahrheitsverständnis ist analog zu demjenigen der Wahrnehmung zu verstehen, d. h., es handelt sich nicht um Wahrheit im sprachlich-logischen Sinne, sondern um eine »epistemische Wahrheit«, um eine isomorphe Abbildung der Realität, die wir als transparent und phänomenal erleben. Eine erhellende Bemerkung von Aristoteles ist das Sonnen-Beispiel. Um den Unterschied von Meinen und Vorstellen zu verdeutlichen, sagt Aristoteles hier, dass einem etwas in der Vorstellung erscheinen kann, das falsch ist, man aber darüber gleichzeitig eine wahre Meinung haben kann: φαίνεται δέ γε καί ψευδῆ, περί ὧν ἅμα ὑπόληψιν ἀληϑῆ ἔχει, οἷον φαίνεται μέν ὁ ἥλιος ποδιαῖος, πιστεύεται δ’ εἶναι μείζων τῆς οἰκουμένης:
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Vorstellung
Etwas kann als falsch erscheinen, über das man gleichzeitig eine richtige Annahme haben kann, z. B. erscheint die Sonne als fußbreit, man ist aber überzeugt, dass sie größer als die Erde ist. De an. III, 3, 428b2–4
Hier erscheint jemandem etwas, die Sonne. Das ist zunächst ein perzipierbarer Gegenstand mit bestimmten phänomenalen Eigenschaften, d. h. spezifischen Objekten; und diese sind, in Hinblick auf Gestalt, Größe, Bewegung strukturiert durch die gemeinsamen Wahrnehmungsobjekte. Nun sagt Aristoteles, dass ein Täuschen in Bezug auf die spezifischen Objekte nicht möglich ist. Erst durch die Assoziation kommt der Irrtum auf, d. h. indem etwas mit anderen Eigenschaften bzw. Qualitäten assoziiert wird (ὅτι μέν γάρ λευκόν, οὐ ψεύδεται, εἰ δέ τοῦτο τό λευκόν ἢ ἄλλο τι, ψεύδεται. De an. III, 3, 428b21–22). Aber auch bezüglich der gemeinsamen Wahrnehmungsobjekte täuscht man sich, sogar am meisten (λέγω δ’ οἷον κίνησις καί μέγεϑος, [ἃ συμβέβηκε τοῖς αἰσϑητοῖς,] περί ἃ μάλιστα ἢδη ἔστιν ἀπατηϑῆναι κατά τήν αἴσϑησιν. De an. III, 3, 428b23–25); das liegt daran, dass sich gerade in Gestalt, Bewegung und Größe die meisten Fälle von Sinnestäuschungen ergeben. Von weit her sieht ein eckiger Turm rund aus, und ist vielleicht nur ein paar Zentimeter groß. Das Täuschen wird möglich durch das Assoziieren verschiedener Wahrnehmungsobjekte miteinander, z. B. bei der spezifischen Wahrnehmung (das Gelbe ist bitter), bei der akzidentellen Wahrnehmung (das Weiße ist Diares’ Sohn) oder aber bei der gemeinsamen Wahrnehmung (das runde Gelbe ist fußbreit). Bewertbar wird die propositionale Falschheit einer Assoziation aber immer erst vor dem Hintergrund rationaler Betrachtung, durch Versprachlichung der phänomenalen Inhalte. Das wird deutlich im Sonnenbeispiel: Zwar nehmen wir die Sonne in phänomenaler Hinsicht als fußbreit wahr, das ist die Sonne als perzipierbare Entität, zusammengesetzt aus spezifischen und gemeinsamen Wahrnehmungsobjekten. Dass da etwas Rundes ist, das eine bestimmte Größe und Bewegung besitzt, eine bestimmte Farbe hat – darüber lässt sich nicht streiten. Das ist der unfehlbare Inhalt der Wahrnehmung an sich. Wenn es aber darum geht über diesen phänomenalen Gehalt hinauszugehen, indem man feststellt: Das runde, gelbe Ding ist die Sonne; sie hat diese oder jene Größe, dann ist Raum für Irrtum gegeben, weil hier von der bloß phänomenalen zur behauptenden Sichtweise übergegangen wird. Eine dieser Sichtweisen ist nun das Meinen, das nur
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dem Menschen gegeben ist. Die vorsprachliche Assoziationsfunktion wird hier mit dem Vernunft- bzw. Denkvermögen »durchtränkt« (Man muss ja auch beachten, dass es hier schon um Beispiele geht, die sich auf lexikale Konzepte, wie z. B. Sonne, beziehen; die Assoziationsfunktion, die auch den nicht-menschlichen Lebewesen möglich ist, bezieht sich nur und ausschließlich auf vorsprachliche Wahrnehmungsobjekte, d. h. primitive Konzepte, und deren Epiphänomene, wie Lust oder Schmerz. Ein nicht-menschliches Lebewesen mag die Sonne in phänomenaler Hinsicht genauso wahrnehmen wie wir es tun, es wird sich aber keine Meinung darüber bilden, ob sie tatsächlich nur einen Fuß breit ist). Eine Vorstellung wird erst dann als falsch erkannt, wenn man sie vor dem Hintergrund einer rationalen Beurteilung der Wahrnehmungssituation, z. B. dem Meinen bewertet. Das bedeutet nun für die vermeintlichen Eigenschaften der »Freiheit« und »Kreativität« Vorstellung Folgendes: Die Passage 427b17–21, die diese Eigenschaft des ἐφ’ ἡμῖν illustriert, ist im Kontext des »eingesickerten« Denkvermögens, also aus rationalem Blickwinkel zu lesen. Und das stellt zur Debatte, ob bei nicht-rationalen Lebewesen dieses »aktiv-kreative« Moment der Vorstellung ebenso gegeben ist. Könnte es nicht sein, dass dieses Moment sich vollständig dem »Durchsickern« des Denk- ins Vorstellungsvermögen verdankt und deswegen eine eigentümliche Leistung des Denk- und nicht des Vorstellungsvermögens darstellt? Auffällig ist in diesem Kontext, dass in den beiden oben angeführten Zitaten die Vorstellung im Zusammenhang mit einem Aspekt des Denkvermögens diskutiert wird (das Meinen, δοξάζειν, bzw. die Annahme, ὑπόληψις). Folgende Bemerkung, die eine auffallende Parallelität zum ἐφ’ ἡμῖν-Zitat aufweist, erhärtet diese Vermutung: διό νοῆσαι μέν ἐπ’ αὐτῷ, ὁπόταν βούληται, αἰσϑάνεσϑαι δ’ οὐκ ἐπ’ αὐτῷ: ἀναγκαῖον γάρ ὑπάρχειν τό αἰσϑητόν. Deswegen ist das Denken bei einem selbst, wann immer man will; das Wahrnehmen dagegen ist nicht bei einem selbst. Denn notwendigerweise muss hier ein Wahrnehmungsobjekt vorliegen. De an. II, 5, 417b24–26
Die Parallelen zum ἐφ’ ἡμῖν-Zitat sind offensichtlich. Statt τό πάϑος ἐφ’ ἡμῖν ἐστίν, ὅταν βουλώμεϑα steht hier νοῆσαι μέν ἐπ’ αὐτῷ, ὁπόταν βούληται, statt δοξάζειν δ’ οὐκ ἐφ’ ἡμῖν steht αἰσϑάνεσϑαι δ’ οὐκ ἐπ’ αὐτῷ und statt dem ἀνάγκη γάρ ἢ ψεύδεσϑαι ἢ 212
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ἀληϑεύειν das ἀναγκαῖον γάρ ὑπάρχειν τό αἰσϑητόν. Diese Parallelität mag auf den ersten Blick etwas verwirrend erscheinen, denn einerseits wird das Vorstellen bzw. das Denken als ἐφ’ ἡμῖν bzw. ἐπ’ αὐτῷ bezeichnet, jeweils in Verbindung mit dem βούλομαι; andererseits wird das Meinen, und insofern ja das Denken, bzw. das Wahrnehmen als οὐκ ἐφ’ ἡμῖν bzw. οὐκ ἐπ’ αὐτῷ bezeichnet. Man kann sich zu Recht fragen: Wie kann das Denken einmal als »bei uns«, ein anderesmal gerade als »nicht bei uns« bestimmt werden? Der hier vorgestellte Lösungsansatz besteht darin, dass in den beiden Zitaten zwei verschiedene Aspekte angesprochen sind: Auf der einen Seite ist das die Selbständigkeit bzw. Selbstinitiative des Vermögens (Denken contra Wahrnehmung und Vorstellung) und auf der anderen Seite die funktionale Unabhängigkeit von der Realität, also das, was schon weiter oben als Funktion, die nicht im Treffen der Realität besteht beschrieben wurde (Vorstellung contra Denken und Wahrnehmung). Im zuletzt genannten ἐπ’ αὐτῷ-Zitat wird der Aspekt der Selbständigkeit beleuchtet: Die Wahrnehmung ist abhängig vom Wahrnehmungsobjekt, das eine gibt es ohne das andere schlichtweg nicht, kein Lebewesen kann eine Wahrnehmung unabhängig von einem Wahrnehmungsobjekt haben. Dagegen ist das Denken vom Vorhandensein perzipierbarer Entitäten unabhängig, es kann sich seine Denkobjekte quasi selbständig setzen – der Mensch kann alles denken. Das Vorstellungsvermögen stellt zwar die funktionale Voraussetzung für das Denken insofern dar, als durch ihre Speicherung überhaupt von den αἰσϑητά abgehoben werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass allein durch die Vorstellung die wahrgenommenen Objekte selbständig wieder vor Augen gestellt werden können. Eine Assoziation, also das, was durch das Vorstellungsvermögen auch bei nicht-menschlichen Lebewesen ermöglicht wird, erfordert immer zusätzlich ein präsentes Wahrnehmungsobjekt; noch dazu ist eine Assoziation nicht willentlich. Der Aspekt der Selbständigkeit, der gegenüber den perzeptiven Vermögen beim Denken besteht, drückt sich in der Parallelität der Formulierungen ὁπόταν βούληται und ὅταν βουλώμεϑα aus. Sowohl das Denken eines Inhalts als auch das Sich-vor-Augen-Stellen einer Vorstellung geschieht willentlich. 265 Das bedeutet auch, dass die Charakterisierung der VorstelZum Verständnis der Selbständigkeit oder Willentlichkeit des Denkvermögens im Unterschied zu den perzeptiven Vermögen ist Folgendes anzumerken: Man könnte einwenden, dass wir auch unsere Wahrnehmung und die entsprechenden Prozesse
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lung im ἐφ’ ἡμῖν-Zitat als willentlich zusätzlich darauf hinweist, dass das Denkvermögen involviert ist. 266 Die funktionale Unabhängigkeit von der Realität, die sich im ἐφ’ ἡμῖν-Zitat findet, weist darauf hin, dass mit dem Vorstellungsvermögen nichts anderes erklärt und erreicht werden soll, als das Abheben von der Realität, während das Denkvermögen, und darin ähnelt es der Wahrnehmung, die Realität treffen soll (wobei diese Realität nicht mehr nur als vorsprachlich und phänomenal wahrgenommen verstanden werden darf, sondern als das, was man als »wissenschaftliche Realität« bezeichnen kann; das würde der aristotelischen Unterscheidung zwischen αἰσϑητά und νοητά entsprechen): Wir wissen etwas, wenn wir mit einer Meinung, die wir haben, die Tatsachen treffen. Die Überlegung geht nun dahin, dass, wollte man die Vorstellung möglichst isoliert, also für sich und unabhängig vom Wahrnehmungs- und Denkvermögen beurteilen, man genau diesen Aspekt der funktionalen Unabhängigkeit und nicht den Aspekt der Selbständigkeit betonen muss. Das, was die Vorstellung auszeichnet, ist die physisch fundierte Möglichkeit, einen Wahrnehmungsgehalt zu speichern und insofern vom Präsenten abzuheben und damit die Assoziationsfunktion zu ermöglichen. Das, was im ἐφ’ ἡμῖν-Zitat willentlich steuern können. Wir können unsere Augen willentlich schließen, unsere Ohren willentlich zuhalten; schließlich können wir auch unsere Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte, willentlich ausgesuchte Objekte richten. Die Unwillentlichkeit, die Aristoteles bezüglich der Wahrnehmung behauptet, bezieht sich aber auf die Abhängigkeit von einem äußeren Objekt der Wahrnehmung. Wir sind nicht frei darin, wahrzunehmen, was wir wollen, sondern wir können nur das wahrnehmen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt als präsentes Objekt der Wahrnehmung vorliegt. Dass wir unsere Augen willentlich schließen, unsere Ohren willentlich zuhalten können, wird durch eine so verstandene Abhängigkeit nicht tangiert. Denn hier können wir die Funktionsweise unserer Wahrnehmungsorgane insofern beeinflussen, als eine Wahrnehmung überhaupt verunmöglicht wird – wir können uns aber nicht von den für die Wahrnehmung notwendigen präsenten Objekten unabhängig machen. Und auch wenn wir aus dem Repertoire an vorliegenden Wahrnehmungsobjekten »auswählen« können, indem wir unsere Aufmerksamkeit steuern, bleibt die grundlegende Abhängigkeit von den äußeren Objekten der Wahrnehmung bestehen – anders beim Denken und Sprechen: Hier können wir sehr wohl, unabhängig von der Außenwelt, unsere Aufmerksamkeit auf ein beliebiges Denkobjekt richten. Deswegen nimmt Aristoteles interne Objekte des Denkens an, die durch den aktiven Intellekt erst »gemacht« werden. Diese Thematik wird im Kapitel 5.5 wieder aufgegriffen. 266 Es hat sich schon in den Bemerkungen zum Strebevermögen in Kapitel 5.3.4 ergeben, dass das βούλομαι dem Menschen überlassen bleibt; auch deswegen muss davon ausgegangen werden, dass im ἐφ’ ἡμῖν-Zitat das Denkvermögen ins Vorstellungsvermögen eingesickert ist.
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weiterhin als vermeintlich charakteristisch für das Vorstellungsvermögen dargestellt wird, nämlich das Vor-Augen-Stellen und Bildermachen, ist dagegen nur in Verbindung mit dem Denkvermögen zu verstehen. Auch wenn hier die Vorstellung dem Meinen gegenübergestellt wird, ist das, was über die Vorstellung gesagt wird, erst möglich, wenn das Denkvermögen involviert ist. Und wenn das »Bildermachen«, das »Sich-vor-Augen-Stellen« erst in Verbindung mit dem Denkvermögen möglich ist, stellen diese Fähigkeiten keine Spezifika des isoliert verstandenen Vorstellungsvermögens dar. Die Vorstellung für sich erfüllt also nicht den Zweck des »freien« und »kreativen« Kombinierens von Inhalten. Ihre Aufgabe ist ebensowenig das wahrheitsgetreue Erfassen der Wirklichkeit, sondern sie hat, neben der grundlegenden Eigenschaft der Konservierung von Wahrnehmungsgehalten, eine Assoziations- und Kombinationsfunktion, die das Abheben vom sinnlich Gegebenen erst ermöglicht. Auf diesen Funktionen baut das Meinen, das Urteilen, das gesamte Denkvermögen auf. Um überhaupt etwas (auch irrtümlich) meinen zu können, muss in irgendeiner Weise vom direkten und kausal bedingten Bezug der Wahrnehmung zur Wirklichkeit abgehoben werden, und das wird durch die Vorstellung ermöglicht. Ein phantasievolles Bildermachen oder Sich-vor-Augen-Stellen ist aber erst mit dem Denkvermögen möglich. Nach diesem Verständnis gibt es also eine Vorstellungsfunktion, die ohne Verbindung zum Denkvermögen zu verstehen ist, und eine, die mit dem Denkvermögen verwoben ist. Zur Untermauerung dieser These kann eine wichtige begriffliche Unterscheidung, die Aristoteles in diesem Kontext macht, herangezogen werden.
5.4.2. Aisthetische und logische Vorstellung An einigen Stellen redet Aristoteles von der φαντασία αἰσϑητική, die er der φαντασία λογιστική gegenüberstellt. Die Unterscheidung wird im Kontext des Strebevermögens getroffen: ὅλως μέν οὖν, ὥσπερ εἴρηται, ᾗ ὀρεκτικόν τό ζῷον, ταύτῃ αὑτοῦ κινητικόν: ὀρεκτικόν δέ οὐκ ἄνευ φαντασίας. φαντασία δέ πᾶςα λογιστική ἢ αἰσϑητική. ταύτης μέν οὖν καί τά ἄλλα ζῷα μετέχει.
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Allgemein gilt, wie gesagt, dass wenn ein Lebewesen das Strebevermögen hat, es sich auf diese Weise selbst bewegt. Das Strebevermögen kommt aber nicht ohne Vorstellungsvermögen vor. Alle Vorstellungen sind entweder logischer oder aisthetischer Art. An letzter haben auch die anderen Lebewesen teil. De an. III, 10, 433b27–30
Die Vorstellung ist entweder »aisthetisch« oder »logisch«. Nur an der ersten Art haben »die anderen Lebewesen«, d. h. die nicht-menschlichen Lebewesen teil. Inhaltlich schließt das folgende Zitat an: ἡ μέν οὖν αἰσϑητική φαντασία, ὥσπερ εἴρηται, καί ἐν τοῖς ἄλλοις ζῴοις ὑπάρχει, ἡ δέ βουλευτική ἐν τοῖς λογιστικοῖς (πότερον γάρ πράξει τόδε ἢ τόδε, λογισμοῦ ἢδη ἐστίν ἔργον: καί ἀνάγκη ἑνί μετρεῖν: τό μεῖζον γάρ διώκει. ὥστε δύναται ἕν ἐκ πλειόνων φαντασμάτων ποιεῖν.) Das aisthetische Vorstellungsvermögen kommt nun, wie gesagt, auch bei den anderen Lebewesen vor, das deliberative Vorstellungsvermögen [φαντασία βουλευτική] nur bei den vernünftigen Lebewesen [ἐν τοῖς λογιστικοῖς]. (Denn ob man dieses oder jenes tut, das ist schon Aufgabe der Vernunft. Und notwendigerweise misst [man] mit einheitlichem [Maßstab], da man nach dem Besseren strebt. Daher können [diese Lebewesen] aus vielen Vorstellungen eine einheitliche machen.) De an. III, 11, 434a5–10
Hier verwendet Aristoteles eine alternative Bezeichnung für die »logische Vorstellung«, nämlich: φαντασία βουλευτική (man beachte in diesem Kontext erneut die gerade diskutierten Formulierungen ὁπόταν βούληται und ὅταν βουλώμεϑα): Durch die »deliberative Vorstellung«, die bei den »logischen Lebewesen« vorkommt, wird das Abwägen von Handlungsalternativen anhand eines »einheitlichen Maßstabs«, ermöglicht (ἑνί μετρεῖν). Damit, so Aristoteles, sind diese Lebewesen fähig, aus »vielen Vorstellungen eine Vorstellung bzw. etwas Einheitliches zu machen«. Hier scheint ein Punkt formuliert, der vorsprachliche Assoziation von sprachlich bedingter Identifikation trennt. Lebewesen ohne »Logik« können nicht wollen, sondern sind immer den kausal bedingten und durch externe Objekte verursachten aisthetischen Vorstellungen verhaftet. Wenn etwas, aufgrund einer Assoziation, als lustvoll erscheint, dann gibt es keine weitere Instanz, die abwägen und abmessen (μετρεῖν) kann, ob die entsprechende Handlung auch ausgeführt werden soll, ob das Lustvolle gewollt wird. Das Verhalten eines Tieres kann zwar erklärt wer216
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den, es kann jedoch nicht als verantwortbare Handlung, als Ergebnis einer bewussten Deliberation verstanden werden. Hier erscheint ein Fixpunkt des großen Zusammenhangs von Sprachfähigkeit, Entscheidungsfreiheit und moralischer Verantwortbarkeit in Gestalt der Gegenüberstellung von φαντασία λογιστική und φαντασία βουλευτική. Aber auch diese Differenzierung der φαντασία mag Interpreten dazu verleiten, die Frage nach der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in den φαντάσματα zu lokalisieren, wie Modrak es tut, denn schließlich ist ja von φαντάσματα und von der φαντασία λογιστική die Rede und gerade nicht von νοήματα. 267 Diese Sichtweise würde klarerweise ein Problem für die vorliegende Interpretation darstellen: In Hinsicht auf die Wahrnehmungsarten wurde versucht zu zeigen, dass sie alle vorsprachlich sind. Wenn nun die Vorstellung als sprachlich oder propositional charakterisiert werden muss, dann muss man annehmen, dass dieser Versuch hinfällig ist. Als perzeptives Vermögen, das auf die Objekte der Wahrnehmung gerichtet ist, darf die Vorstellung nach der hier vertretenen Deutung nicht sprachlich verstanden werden. Für die φαντασία λογιστική gilt jedoch, genauso wie für die Charakterisierung der φαντασία als »Bildermachen« und »Sich-vorAugen-Stellen«, dass sie nur in Verbindung mit dem Denkvermögen Es gibt dabei keine Differenzen hinsichtlich der Involviertheit des Denkvermögens bei der »logischen Vorstellung«, vgl. Modrak, 2001, S. 258. Das Problem liegt in einer möglichst scharfen Trennung der Vermögensfunktionen, um die Frage beantworten zu können, wo sprachliche Bedeutung zu verorten ist. Die Ansicht, die hier vertreten wird, besteht darin, dass die Vorstellung zwar für die epistemische Fundierung sprachlicher Bedeutung sorgt, aber für sich nicht als Bedeutungsträger menschlicher Sprache hinreicht, weil sie für sich nur vorsprachlich sein kann – es ist klar, dass die Fundierungsfrage auf Außersprachliches rekurrieren muss, um überhaupt Weltbezug herzustellen; wenn es aber darum geht, im Rahmen der formalen Bestimmungen aus De int. 1, die Bedeutungsfrage zu klären, muss berücksichtigt werden, dass, um sprachfähig zu sein, etwas (eine Fähigkeit, ein Vermögen) hinzukommen muss, das zur semantischen Analyse, zum Erfassen semantischer und nicht nur perzipierbarer Einheiten befähigt. Diese Fähigkeit bringt ausschließlich der νοῦς mit sich; entsprechend sind die semantischen Einheiten mit den Objekten des Denkvermögens in Verbindung zu bringen, nicht mit denen des Vorstellungsvermögens. Insofern kann im SGG, das deutlich den formalen Aspekt der Bedeutungsfrage illustriert, Element C nicht mit φαντάσματα identifiziert werden. Schon in der Einführung (S. 32 f.) wurde darauf hingewiesen, dass Modrak den Vorstellungsgehalt (φάντασμα) und nicht den Gedanken (νόημα) als aussichtsreichsten Kandidaten für sprachliche Bedeutung ansieht. Die Untersuchungen zum Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Denkvermögen sind dieser Kernfrage gewidmet.
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möglich ist. Die Verknüpfung der Vermögen untereinander ist so tiefgreifend, dass eine ganz saubere Trennung nur sehr schwer möglich ist – und das zeigt sich auch durch die Verwendung der Bezeichnung »logische Vorstellung«. Bevor die φαντασία λογιστική und ihr Zusammenhang mit dem Denkvermögen näher in den Fokus rückt, soll – auch im Sinne einer Propädeutik, denn schließlich ist die aisthetische Vorstellung fundamentaler als die logische – die φαντασία αἰσϑητική genauer betrachtet werden, v. a. hinsichtlich der Frage: Wie ist der Gehalt dieser Art der Vorstellung zu verstehen und was für eine Rolle kann er im Rahmen der Bedeutungsfrage spielen? Aristoteles scheint hinsichtlich der Definition des Vorstellungsvermögens die physikalische Erklärungsstrategie hervorzuheben, aber andere Äußerungen weisen darauf hin, dass er unter dem Inhalt einer Vorstellung etwas Bildhaftes versteht (das »Vor-Augen-Stellen« und »Bildmachen«), das eine Abbildtheorie perzipierbarer Entitäten nahelegt. Es muss geprüft werden, inwiefern sich dieses Verständnis vom Vorstellungsgehalt zu einem Problem für die zuvor dargestellte Kritik an einer naiven Abbildtheorie entwickeln kann.
5.4.3. Wahrnehmungs- und Vorstellungsgehalt Da der Vorstellungsgehalt vom Wahrnehmungsgehalt abhängt, bietet sich an dieser Stelle an, den Blick nicht nur auf das φάντασμα, sondern auch auf das αἴσϑημα zu werfen und zu fragen: Was genau versteht Aristoteles unter diesem mentalen Korrelat eines Wahrnehmungsobjekts? Zwar sind schon einige Ausführungen zum phänomenalen Wahrnehmungsinhalt erfolgt: So wurde er als epistemisches Fundament sprachlicher Bedeutung anerkannt, weil er als Quale und in diesem Sinne als gehaltvoll zu verstehen ist. Der Abgleich mit dem aristotelischen Fachausdruck αἴσϑημα steht jedoch noch aus. Wie zu Beginn der Darstellung der Wahrnehmungstheorie festgestellt wurde, differenziert Aristoteles zwischen Wahrnehmungsobjekt (αἰσϑητόν) und seinem mentalen Korrelat (αἴσϑημα). Die Wahrnehmungsobjekte wurden als »perzipierbare Entitäten« bezeichnet, die außermental und kausal wirksam sind (spezifische Spektren bzw. deren kontinuierliche Gegebenheit). Farbe etwa wird von Aristoteles insofern als perzipierbare Entität verstanden, als jede Farbe durch eine Proportion, die dann die »formale Angleichung« des 218
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visuellen Organs verursacht, festgelegt wird. Die Farbe und ihre Wahrnehmung werden also in physikalischer Sprache formuliert. Heute würde diese Formulierung zwar mit anderen Begriffen erfolgen (Photonen, atomare Oberflächenstruktur, etc.), im Grunde ist der methodische Ansatz aber derselbe, nämlich eine naturwissenschaftliche Erklärungsstrategie. Dies kann die Vermutung nahelegen, dass Aristoteles, im Stile eines Naturalisten, nur eine kausal verstandene Repräsentation gelten lassen will. Im Rahmen der These des epistemischen Dualismus wurde allerdings versucht, für die These zu argumentieren, dass Aristoteles mentale Ereignisse zwar im Rahmen seines naturwissenschaftlichen Begriffsapparats beschreiben und erklären will, jedoch den phänomenalen Aspekt nicht eliminiert, sondern ihn mit der physikalischen Beschreibung verbindet. Diese Überlegungen lassen sich auch auf die φαντασία übertragen und entsprechend belegen. Denn auch wenn Aristoteles die Vorstellung als κίνησις zunächst physikalisch definiert, gibt es einige Hinweise darauf, dass Aristoteles in De an. das φάντασμα als phänomenalen Gehalt versteht: So spricht er im Rahmen der Unterscheidung von Wahrnehmung und Vorstellung davon, dass bei letzterer auch bei geschlossenen Augen etwas erscheinen kann (φαίνεται καί μύουσιν ὁράματα, De an. III, 3, 428a16). Diese Umschreibung weist auf etwas Anschauliches hin und eben nicht auf eine κίνησις – klarerweise, könnte man meinen, denn wenn man sich etwas vorstellt, dann ist das nicht der involvierte physische Prozess, sondern ein intentionaler Gegenstand. Auch das Sonnen-Beispiel weist auf ein Abbildverständnis der Vorstellung hin, denn es geht um das transparente Abbild der Sonne, das wir »in unserem Kopf« haben; auch Formulierungen wie »Bildermacher« (εἰδωλοποιοῦντες, De an. III, 3, 427b18–19) und das »Vor-Augen-Stellen« (πρό ὀμμάτων ποιήσασϑαι, De an. III, 3, 427b20) weisen stark in diese Richtung. Nun wurde im Rahmen der systematischen Vorbemerkungen darauf hingewiesen, dass eine Abbildtheorie als Bestandteil einer naiv-mentalistischen Bedeutungstheorie nicht weit reicht. Wenn man unter einer Vorstellung als mentalen Zustand ein Abbild verstehen will, dann muss man, wie im entsprechenden Kapitel aufgezeigt wurde, mit schwerwiegenden Problemen umgehen. Lediglich in einem nicht-naiven Verständnis wurde das Abbildverhältnis als in semantischer Hinsicht respektabel angesehen, und zwar im Hinblick auf die grundlegenden phänomenalen und strukturierten Wahrnehmungsinhalte (verstanden als konkrete Allgemeinheiten), wobei dann aber Sprache, Bedeutung, Geist
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von Isomorphie gesprochen wurde. Hier bildet der mentale Zustand die Realität tatsächlich direkt und infallibel ab (auch wenn die phänomenale und die physikalische Beschreibungsweise differieren mögen). Nun scheinen aber die obigen Bemerkungen zur Vorstellung eine naiv-piktorale Abbildtheorie nahezulegen; wie anders sollte man sich das Bildermachen oder das Vor-Augen-Stellen denken, wenn nicht im Rahmen einer naiven Abbildtheorie? Aufgrund dieser Fragen wird nun nochmals der Blick auf den phänomenalen Charakter des Wahrnehmungs- und v. a. des Vorstellungsgehaltes geworfen, wobei nun auch die begriffliche Differenzierung zwischen αἰσϑητόν und αἴσϑημα bzw. φάντασμα mit einbezogen werden soll. Zunächst geht es um die Bedeutung und das Verhältnis von αἴσϑημα und φάντασμα. αἴσϑημα Etwas fällt auf, wenn man sich ansieht, wie oft und in welchem Kontext Aristoteles überhaupt von αἴσϑημα spricht: An nur zwei Stellen in De an. verwendet er diesen Ausdruck und dann jeweils in direktem Zusammenhang mit φάντασμα. Im Rahmen der Abhandlungen zur Wahrnehmungstheorie taucht der Ausdruck überhaupt nicht auf. Das weist zunächst darauf hin, dass es plausibel ist, Aristoteles eine unproblematische Einheitlichkeit von physikalischer und phänomenaler Beschreibung zuzuschreiben. Denn die αἰσϑήματα tauchen innerhalb der Wahrnehmungstheorie deswegen nicht auf, weil sie hinreichend durch die αἰσϑητά und deren kausale Kraft erklärt und bestimmt werden. Erst im siebten Kapitel des dritten Buchs, das der Behandlung des Denkvermögens zuzurechnen ist, ist die Rede von ihnen. Was könnte es bedeuten, dass die beiden Erwähnungen so spät und jeweils in Verbindung mit den φαντάσματα erfolgen? Ein Blick auf den jeweiligen Kontext der beiden Stellen soll diese Frage klären helfen: τῇ δέ διανοητικῇ ψυχῇ τά φαντάσματα οἷον αἰσϑήματα ὑπάρχει. Für die kombinierende Vernunft dienen die Vorstellungsgehalte als Wahrnehmungsgehalte. De an. III, 7, 431a14–15
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Der Kontext, in dem dieser Satz steht, ist wiederum eine Erläuterung des Strebevermögens. Das ist nun nicht mehr überraschend, da sich bei Aristoteles schon des Öfteren ein enger inhaltlicher Zusammenhang zwischen den perzeptiven und kognitiven Vermögen und dem Strebevermögen hinsichtlich der »Beurteilung« des Erstrebten erwiesen hat. Unmittelbar vor dem obigen Zitat wird ein Bezug hergestellt zwischen Wahrnehmung und Bewegung: Die Wahrnehmung wird in Analogie zum Aussagen bzw. Urteilen gesetzt. 268 Aufgrund dieses »Urteils« geschieht das Fliehen oder Meiden eines Objekts. Daraufhin wird das Lust- und Schmerzvolle in Beziehung zur Wahrnehmung gebracht, insofern sie eine Aktivierung der »Wahrnehmungsmitte« darstellen (καί ἔστι τό ἥδεσϑαι καί λυπεῖσϑαι τό ἐνεργεῖν τῇ αἰσϑητκῇ μεσότητι πρός τό ἀγαϑόν ἢ κακόν, ᾗ τοιαῦτα. De an. III, 7, 431a10–12). An diese Betrachtung schließt dann, prima facie vielleicht etwas unvermittelt, der obige Satz an. Aber er scheint doch voll und ganz Sinn zu ergeben: Zunächst ist zu betonen, dass die Wahrnehmung nur scheinbar eine Aussage bzw. ein Urteil darstellt, was gut mit der schon geleisteten Interpretation harmoniert, dass innerhalb des perzeptiven Vermögens nur vorsprachliche Assoziation möglich ist – hier ist nicht mehr als eine Analogie, ein Vergleich (ὁμοίος) behauptet. Aristoteles vertritt nicht wirklich die Meinung, dass der Wahrnehmung eine »Urteilskraft« innewohnt. Da das vorrationale Streben dennoch erklärt werden muss, bedient sich Aristoteles dieser Urteilsanalogie. Wenn es zu einer rationalen und deliberativen Bewertung des Erstreb- oder Vermeidbaren kommt, deren Charakteristikum v. a. die Prospektivität ist, 269 hebt man sich von den präsenten Wahrnehmungsgehalten ab, d. h., man stellt Überlegungen an, die sich auf überhaupt nichts Vorhandenes beziehen (können). Während sich die Wahrnehmung und die Assoziation auf Präsentes beziehen und nur dieses bewerten können, ist es mit der Vernunft möglich, sich auch auf Nicht-Vorhandenes, z. B. auf die Zukunft zu beziehen. Es ist zwar das Spezifikum der Vorstellung, dass sie unabhängig vom Vorhandensein des Objekts aktiviert werden kann. Dabei handelt es sich aber zunächst um eine »aisthetische« Vorstellung, die, auch wenn sie selbst unabhängig vom wahrgenommenen Objekt ist, immer nur mit einem aktualen Wahrnehmungsgehalt assoziiert werden kann. Die im obigen Zitat angesprochene 268 269
Vgl. De an. III, 7, 431a8–10. Vgl. De an. III, 10, 433b5–10.
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kombinatorische Leistung des Denkvermögens kann ihre Objekte vollkommen unabhängig vom Gegenwärtigen intendieren. Deswegen ist es auch notwendig, in diesem Kontext nicht etwa auf die Wahrnehmungsobjekte abzustellen, sondern auf deren konservierte mentale Korrelate, d. h. auf die φαντάσματα. Während in einer Assoziationsleistung immer auch ein präsentes Wahrnehmungsobjekt eine Rolle spielt, das dann mittels akzidenteller Wahrnehmung mit einem φάντασμα assoziiert wird, fehlt das präsentische Moment in einer noetischen Kombinationsleistung (zumindest kann es fehlen). Und genau deswegen spielen die φαντάσματα in diesem Fall die Rolle der αἰσϑήματα, wie im obigen Zitat behauptet wird. Gerade weil hier vollkommene Unabhängigkeit von einem Wahrnehmungsobjekt (αἰσϑητόν) besteht, bezieht sich Aristoteles auf die gespeicherten mentalen Korrelate und nicht auf ihre ursächlichen Objekte, die αἰσϑητά, die ja als Objekte immer präsent sein müssten. Auch die zweite Nennung von αἴσϑημα steht im Kontext des Denkvermögens und der φαντάσματα: ὅταν τε ϑεωρῇ, ἀνάγκη ἅμα φαντάσμά τι ϑεωρεῖν: τά γάρ φαντάσματα ὥσπερ αἰσϑήματά ἐστι, πλήν ἄνευ ὕλης. Wenn man denkt [im Sinne von: über etwas urteilen, etwas theoretisch betrachten; ϑεωρεῖν], dann ist es notwendig, dass man mit einem Vorstellungsgehalt denkt. Denn die Vorstellungsgehalte sind wie die Wahrnehmungsgehalte, lediglich ohne Materie. De an. III, 8, 432a8–10
Das Denken geschieht nie ohne φαντάσματα. Was das genau bedeutet, wird noch zu untersuchen sein. 270 Wichtig ist hier zunächst die Charakterisierung der φαντάσματα: Diese sind wie (ὥσπερ) die αἰσϑήματα, nur ohne Materie (ἄνευ ὕλῆς). Was genau soll das heißen? Dass die φαντάσματα im Gegensatz zu den αἰσϑήματα in irgendeiner Weise als reine Formen zu verstehen sind, kann nicht gemeint sein. Oft genug betont Aristoteles ja, dass die φαντάσματα fundamental von den αἰσϑήματα abhängen, dass die einen das »kausale Echo« der anderen sind; 271 schließlich ist die Definition der VorstelVgl. Kapitel 5.5.3, Abschnitt Vorstellungs- und Denkgehalt ab S. 319. In De an. III, 2, 425b24–5 spricht Aristoteles sogar davon, dass die Objekte der Wahrnehmung, nachdem sie wahrgenommen wurde und dann abwesend sind, als Wahrnehmung und Vorstellung in den Organen verbleiben: διό καί ἀπελϑόντων τῶν αἰλϑητῶν ἔνεισιν αἱ αἰσϑήσεις καί φαντασίαι ἐν τοῖς αἰσϑητηρίοις.
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lung auch physikalischer Prägung. Die vernünftigste Erklärung scheint zu sein, dass mit dem ἄνευ ὕλης auf das Objekt der Wahrnehmung bzw. der Vorstellung abgestellt ist, genauer gesagt auf seine Abwesenheit. Bei der Wahrnehmung ist das Objekt immer präsent, und seine Form wird ohne die Materie durch den Wahrnehmungsvorgang übertragen. Wenn die entsprechende Vorstellung reaktiviert wird, ist das Objekt, also die materielle Ursache der Wahrnehmung, nicht mehr vorhanden, sondern nur noch die Form des Objekts, das nun einen differenten materiellen Träger, das »kausale Echo« als κίνησις, erhalten hat. Mit der Formulierung ἄνευ ὕλης ist die Abwesenheit des vorgestellten Objekts angesprochen. 272 Und genau deswegen spielt das mentale Korrelat des Wahrnehmungsobjekts bei Aristoteles eigentlich keine Rolle jenseits der Charakterisierung als φαντάσματα. Weil bei einer Wahrnehmung das Objekt immer präsent ist und damit auch der phänomenale Gehalt der Wahrnehmung bestimmt ist, gibt es keinen Grund, in besonderer Weise auf die αἰσϑήματα einzugehen. Erst wenn das Problem der Abwesenheit des intendierten Objekts auftaucht, wird eine nähere Betrachtung der αἰσϑήματα bzw. φαντάσματα notwendig. φάντασμα Es scheint also so zu sein, dass Aristoteles dem mentalen Korrelat der Wahrnehmung aus folgenden Gründen keine theoretische Wichtigkeit beimisst: Es ist vollkommen bestimmt durch das Wahrnehmungsobjekt. Die Unterscheidung zwischen phänomenaler und physikalischer Ebene ist Aristoteles zwar bewusst, aber sie ist für ihn unproblematisch. Die mentalen Korrelate der Wahrnehmung spielen erst dann eine Rolle, wenn es um die Reaktivierung des »kausalen Als Kritik könnte man anführen, dass ja der Wahrnehmungsvorgang auch als ἄνευ ὕλης charakterisiert wird und insofern im vorliegenden Kontext gerade nicht als Abwesenheit des Objekts verstanden werden kann. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass im betreffenden Zitat nicht mehr von der Wahrnehmung als einem Prozess die Rede ist (αἴσϑησις), sondern nur vom mentalen Korrelat (αἴσϑημα), dem das Attribut ἄνευ ὕλης beigestellt wird. In einem normalen Wahrnehmungsvorgang kommt es nur dann zu einem αἴσϑημα, wenn es auch ein αἰσϑητόν gibt. Im vorliegenden Kontext soll genau jene Charakteristik des Vorstellungsvermögens betont werden, die weiter oben als Unabhängigkeit von der Realität bezeichnet wurde. Deswegen ist ein φάντασμα wie ein αἴσϑημα ἄνευ ὕλης.
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Echos« geht. Das zuständige Vermögen ist die Vorstellung, weswegen es sich strenggenommen dann schon um φαντάσματα, nicht mehr um αἰσϑήματα handelt. Nur um klar zu machen, dass die Besonderheit der φαντάσματα darin liegt, dass das intendierte Objekt nicht vorliegen muss, führt Aristoteles einen Vergleich zu den αἰσϑήματα an. In De an. herrscht zumeist die physikalische Erklärungsstrategie vor, weswegen das φαντασία-Kapitel auch in der zu Beginn dargestellten Definition mündet. Es gibt aber, wie gesehen, auch Hinweise, die eine phänomenale Deutung der Vorstellung plausibel machen. Wenn man sich dann der Schrift Mem. zuwendet, merkt man, wie der physikalische Aspekt noch mehr in den Hintergrund rückt: Nachdem er die Gedächtnisleistung in Abhängigkeit zur Vorstellung gesetzt hat, 273 fragt Aristoteles, wie genau Erinnerung überhaupt möglich sein soll. Denn der erinnerte Gegenstand, das Wahrnehmungsobjekt, ist ja per definitionem abwesend, und wie sollte man das Anwesende, nämlich die physische Bewegung (κίνησις), als die die φαντασία ja definiert wurde, und die das Fundament für die μνήμη bildet, als Objekt der Erinnerung verstehen? Dieses Problem lautet in Aristoteles’ eigenen Worten wie folgt: ἀπορήσειε δ’ ἄν τις πῶς ποτέ τοῦ μέν πάϑους παρόντος τοῦ δέ πράγματος ἀπόντος μνημονεύεται τό μή παρόν. δῆλον γάρ ὅτι δεῖ νοῆσαι τοιοῦτον τό γιγνόμενον διά τῆς αἰσϑήσεως ἐν τῇ ψυχῇ καί τῷ μορίῳ τοῦ σώματος τῷ ἔχοντι αὐτήν – οἷον ζωγράφημά τι [τό παϑος] οὗ φαμέν τήν ἕξιν μνήμην εἶναι: ἡ γάρ γιγνομένη κίνησις ἐνσημαίνεται οἷον τύπον τινά τοῦ αἰσϑήματος, καϑάπερ οἱ σφραγιζόμενοι τοῖς δακτυλίοις. Es stellt sich die Frage, wie man sich an etwas, das nicht vorhanden ist, erinnern kann, während zwar der Affekt [πάϑος] vorhanden, der Gegenstand [πρᾶγμα] aber abwesend ist. Es ist allerdings klar, dass man sich das, was durch eine Wahrnehmung in der Seele und in dem Teil des Körpers, der sie hat, entsteht, als ein Bild [ζωγράφημά τι] denken muss; dessen [dauerhaften] Besitz [ἕξις] nennen wir Gedächtnis. Denn die entstandene Bewegung prägt gleichsam einen Abdruck des Wahrnehmungsgehaltes ein, genauso wie diejenigen, die mit den Ringen siegeln. Mem. 1, 450a25–32
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Vgl. Mem. 1, 450a23.
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Da das erinnerte Objekt abwesend ist, stellt sich Aristoteles die Frage, inwiefern man sich überhaupt an dieses Objekt erinnern kann, da ja lediglich das πάϑος vorhanden ist. Es ergibt sich deswegen die Notwendigkeit, sich dieses πάϑος als Bild (ζωγράφημα) zu denken (δεῖ νοῆσαι). Hier ist der epistemische Dualismus nun explizit gemacht; auch im letzten Satz wird er angedeutet, denn hier ist die Rede von der Bewegung (κίνησις), die einen Abdruck (τύπος) einprägt (»hineinbedeutet«, ἐνσημαινεῖν). Der Zusammenhang zwischen einer gehaltvollen, intentional strukturierten Erinnerung mit den physischen Prozessen wird hier so gründlich wie an wenigen anderen Stellen reflektiert. Und die Lösung dieses Problems lautet, dass man sich das πάϑος eben (auch) als ζωγράφημα denken muss. Auffällig ist die Siegelringanalogie, die Aristoteles ja auch zur Illustration des Wahrnehmungsprozesses heranzieht. Genauso wie hier im Falle der Erinnerung der phänomenale mit dem physischen Charakter verbunden und harmonisiert wird, indem von der κίνησις gesagt wird, sie »bedeutet etwas hinein« (ἐνσημαίνειν), so ist der grundlegende Wahrnehmungsvorgang der spezifischen Objekte zwar als ein physischer Prozess zu verstehen, der aber gleichzeitig semantische Relevanz, nämlich einen phänomenalen Gehalt hat. Aristoteles variiert diese Frage und ihre Antwort wenig später, indem er fragt, ob wir uns an das Objekt oder an die Affektion erinnern (πότερον τοῦτο μνημονεύει τό πάϑος, ἢ ἐκεῖνο ἀφ’ οὗ ἐγένετο; Mem. 1, 450b12–13). Das Objekt selbst kann es nicht sein, weil es dann anwesend sein müsste, und vom Anwesenden ist keine Erinnerung möglich. Wenn es aber die Affektion ist, an die wir uns erinnern, dann stellt sich die Frage, wie wir uns überhaupt eines erinnerten Objekts gewahr werden können, wenn wir es ja nicht wahrnehmen (πῶς αἰσϑανόμενοι τούτου μνημονεύομεν, οὗ μή αἰσϑανόμεϑα, τό ἀπόν; Mem. 1, 450b15–16). Es stellt sich für Aristoteles als ein gravierendes Problem dar, wenn das Objekt, an das sich erinnert wird, nicht anwesend ist, um unser Erinnerungs- bzw. Vorstellungsvermögen zu affizieren. Die nun folgende Passage schließt direkt an diese Fragestellung an und beinhaltet wiederum die Annahme, dass wir uns das πάϑος, d. h. den Affekt als physischen Prozess, auch als etwas Intentionales vorstellen müssen; die Passage geht aber insofern über diese Feststellung hinaus, als eine neue und wichtige Differenzierung eingeführt wird, und zwar die zwischen eigenständigem Bild und abhängigem Abbild:
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πῶς οὖν τό μή παρόν μνημονεύει; εἴη γάρ ἂν καί ὁρᾶν τό μή παρόν καί ἀκούειν. ἢ ἔστιν ὡς ἐνδέχεται καί συμβαίνει τοῦτο; οἷον γάρ τό ἐν τῷ πίνακι γεγραμμένον ζῷον καί ζῷόν ἐστι καί εἰκών, καί τό αὐτό καί ἕν τοῦτ’ ἐστίν ἄμφω, τό μέντοι εἶναι οὐ ταὐτόν ἀμφοῖν, καί ἔστι ϑεωρεῖν καί ὡς ζῷον καί ὡς εἰκόνα, οὕτω καί τό ἐν ἡμῖν φάντασμα δεῖ ὑπολαβεῖν καί αὐτό τι καϑ’ αὑτό εἶναι καί ἄλλου [φάντασμα]. ᾗ μέν οὖν καϑ’ αὑτό, ϑεώρημα ἢ φάντασμά ἐστιν, ᾗ δ’ ἄλλου, οἷον εἰκών καί μνημόνευμα. Wie aber erinnert man sich an etwas nicht Vorhandenes? Man müsste es dann ja auch sehen und hören. Oder ist es auf gewisse Weise anzunehmen und kommt so vor? Wie etwa das auf eine Tafel gemalte Bild sowohl ein Bild [ζῷον] als auch ein Abbild [εἰκών] ist, und beides dasselbe und eine Einheit ist, jedoch der Definition nach [τό εἶναι] nicht dasselbe; und es ist sowohl als Bild als auch als Abbild zu erfassen; so muss auch der Vorstellungsgehalt in uns sowohl als etwas für sich selbst, als auch als etwas von anderem [Abhängiges] angenommen werden. Als Gedanke [ϑεώρημα] oder Vorstellungsgehalt [φάντασμα] ist es etwas für sich selbst [καϑ’ αὑτο], als Abbild [οἷον εἰκών] und Erinnertes [μνημόνευμα] ist es etwas von anderem [Abhängiges]. Mem. 1, 450b18–27
Den Ausgangspunkt bildet erneut die Frage, wie wir uns an etwas Abwesendes erinnern können. Denn wenn sich unsere Erinnerung auf das Objekt, nicht auf den durch das Objekt initiierten physischen Prozess, der durch die Vorstellung konserviert wird, bezieht, dann müssten wir das Objekt gleichzeitig hören und sehen können, wenn wir uns daran erinnern. Auch hier besteht die Lösung in der Annahme des Doppelcharakters des φάντασμα. Das Vorgestellte oder Erinnerte darf nicht nur als physischer Prozess oder dessen Ergebnis verstanden werden, sondern auch analog zu einem auf eine Tafel gemalten Bild (τό ἐν τῷ πίνακι γεγραμμένον ζῷον, Mem. 1, 450b21). Aristoteles bleibt aber nicht bei dieser Beobachtung stehen – was auch etwas redundant wäre, denn diese Betonung des Doppelcharakters erfolgte ja schon in Mem. 1, 450a25–32. Hier geht Aristoteles nun tiefer, indem er behauptet, dass dieses Bild auf zwei Weisen verstanden werden kann (καί ἔστι ϑεωρεῖν καί ὡς ζῷον καί ὡς εἰκόνα, Mem. 1, 450b23–24): Zum einen als Bild/Gemälde (ζῷον), zum anderen als Abbild (εἰκών). Diese Unterscheidung hat eine gewisse Plausibilität, denn man kann sich in der Tat ein Bild zum einen als eigenständiges Gemälde vorstellen, über das man in seinem eigenen Recht reden und 226
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urteilen kann. Zum anderen kann man es sich als ein Bild von etwas anderem vorstellen, über das dann nicht in seinem eigenen Recht, sondern eben als Abbild von diesem Anderem geredet und geurteilt wird. So interessiert die wirkliche Sonnenblume, die für van Gogh als Modell gedient haben mag, heute wohl keinen mehr; d. h., man betrachtet van Goghs Sonnenblume heute als Gemälde in seinem eigenen Recht, als etwas Selbständiges. Das Gemälde ist zwar ein Abbild, aber eines, das sich verselbständigt hat. Der Gegenstand, der als Vorlage gedient hat, interessiert nicht mehr. Anders verhält es sich etwa bei einem Urlaubsschnappschuss, der etwa eine bestimmte Situation oder ein Gebäude zum Inhalt hat. Er ist nicht als ein selbständiges Bild von Interesse, sondern nur als Abbild der jeweiligen Situation oder des jeweiligen Gebäudes. Man spricht, wenn man sich das Bild ansieht, nicht über das Foto in seinem eigenen Recht, sondern über die Situation, über das Gebäude, das abgebildet ist; das Foto wird nur als Abbild verstanden. Das schließt freilich nicht aus, dass auch eine Urlaubsfotografie einen Wert für sich haben kann, wenn es etwa um ästhetische oder technische Aspekte geht, die der Fotograf verwirklicht hat; darin würde die Fotografie der Sonnenblume von van Gogh ähneln und hier ist dann der Übergang vom abhängigen Abbild zum eigenständigen Bild bzw. der Doppelcharakter am deutlichsten. Diese Überlegung überträgt Aristoteles auf das vorliegende Thema. Demnach müssen wir den Vorstellungsgehalt sowohl als etwas Eigenoder Selbständiges annehmen als auch als etwas von anderem Abhängiges (οὕτω καί τό ἐν ἡμῖν φάντασμα δεῖ ὑπολαβεῖν καί αὐτό τι καϑ’ αὑτό εἶναι καί ἄλλου, Mem. 1, 450b24–25). Mit dieser Unterscheidung ist es Aristoteles zunächst möglich, das Problem der Abwesenheit zu lösen: Nicht das ursprüngliche Objekt wird erinnert, sondern sein Abbild, das als φάντασμα abgespeichert wird. Da das πάϑος auch als phänomenales Abbild verstanden werden kann, ist es möglich anzunehmen, dass man sich an etwas erinnert, ohne dass das erinnerte Objekt anwesend sein muss, weil das φάντασμα in diesem Fall eine Stellvertreterfunktion einnimmt, ähnlich wie wir beim Schnappschuss bspw. über den Schiefen Turm von Pisa reden können und uns an ihn erinnern, ohne dass der Turm in irgendeiner Hinsicht selbst wahrnehmbar, also anwesend wäre. Die Anwesenheit des Objekts ist nicht vonnöten, um sich daran zu erinnern. 274 Aristoteles geht jedoch mit der Passage 450b18–27 über 274
Diese Interpretation der Passage 450b18–27 macht im Übrigen auch deutlich, dass
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dieses Problem der Abwesenheit hinaus. Die Unterscheidung zwischen ζῷον und εἰκών hinsichtlich der φαντάσματα wird in den letzten Zeilen dahingehend präzisiert, dass als selbständige Gehalte das ϑεώρημα und das φάντασμα zu verstehen sind, während das μνημόνευμα und das εἰκών unselbständige Gehalte darstellen. Die Verwendung der Begrifflichkeiten ist hier etwas verwirrend. Wenn als Beispiel für ein φάντασμα καϑ’ αὑτο wiederum φάντασμα aufgeführt wird, und als Beispiel für ein φάντασμα κατ’ ἄλλου das εἰκών, das ja zuvor zusammen mit ζῷον zur Illustration des eigentlichen Unterschieds von selbständigen Bildern und abhängigen Abbildern gedient hat, dann sind das sicherlich keine glücklichen Beispiele. 275 Die jeweils anderen Beispiele machen jedoch deutlich, worum es Aristoteles geht. Ein ϑεώρημα wird um seiner selbst willen betrachtet, es wird als eigenständiges Gemälde, nicht als Abbild, also nicht derivativ verstanden. Für ein φάντασμα kann das auch gelten, weswegen es von Aristoteles durchaus mit Recht als Beispiel aufgeführt wird 276 – es ζῷον hier mit »Bild/Gemälde«, nicht mit »Lebewesen«, was ζῷον auch bedeuten kann, übersetzt werden muss; die Homonymie war Aristoteles durchaus bewusst, dient ihm sogar als Beispiel, dieses Phänomen darzustellen vgl. Cat. 1, 1a1–3. Wenn, wie es z. B. Dönt, 1997, in seiner Übersetzung annimmt, hier tatsächlich der Unterschied zwischen dem Lebewesen und seinem Abbild gemeint sein sollte, dann würde die aristotelische Lösung des Problems der Abwesenheit nicht deutlich, ja sogar verunmöglicht werden. Wenn man sich an ein Objekt erinnert, dann ist es das Abbild und eben nicht der Gegenstand, das Objekt selbst, das einem gewahr wird. Genau diese Lösung ist aber verstellt, wenn man annimmt, dass das gemalte Lebewesen einerseits als Lebewesen (also als Objekt der Wahrnehmung), andererseits als Abbild zu verstehen wäre. Es sollte klar sein, dass beide Sichtweisen auf das τό ἐν τῷ πίνακι γεγραμμένον ζῷον oder das φάντασμα (Ab)Bilder sind, die aber verschiedene Status haben. Vgl. zu dieser Stelle auch Sedley, 2004, S. 84. 275 Wobei Aristoteles vor das εἰκών ein οἷον setzt, also klarmacht, dass es hier nicht als konkretes Beispiel, sondern als Vergleich gedacht ist. Vgl. hierzu auch King, 2004, S. 104–105. 276 Hier wird erneut die enge Verbindung zwischen Vorstellungs- und Denkgehalt deutlich, die Aristoteles an vielen Stellen behauptet. Allerdings dürfte klar sein, dass ein selbständiger Vorstellungsgehalt nur ein Gehalt der φαντασία λογιστική sein kann. Die enge Verbindung zwischen ϑεώρημα und φάντασμα machen das an dieser Stelle klar. Demgegenüber ist es sehr plausibel anzunehmen, dass ein abhängiger Vorstellungsgehalt, immer ein Gehalt der φαντασία αἰσϑητική ist. Der Unterschied der beiden Vorstellungsarten besteht in der Involviertheit des Denkvermögens, denn ein selbständiger Gehalt ist nur mit dem Denkvermögen möglich. Freilich kann sich ein solcher Gehalt bei einem rationalen Lebewesen auch als φάντασμα darstellen – ein nicht-rationales Lebewesen hat dagegen in keiner Weise die Möglichkeit, sich auf selbständige Gehalte seiner Vorstellung zu beziehen.
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kann aber auch in der Kategorie der Abbilder zu finden sein, weswegen das Beispiel nicht sehr glücklich ist. Ein φάντασμα ist zwar zunächst immer ein Echo, ein Abbild eines Wahrnehmungsobjekts. An dieser Stelle macht Aristoteles aber deutlich, dass es eine Verselbständigung der Vorstellungsgehalte geben kann, die letztlich in die ϑεωρήματα mündet. Dass damit Gedanken, also νοήματα gemeint sind, wird im unmittelbar anschließenden Satz klar. Aristoteles spricht hier von der Bewegung, also der physikalischen Grundlage, eines solchen Erinnerungszustands, die dann, sofern es sich um ein selbständiges Bild handelt, als Gedanke (νόημα) oder Vorstellungsgehalt erscheint (ὥστε καί ὅταν ἐνεργῇ ἡ κίνησις αὐτοῦ, ἂν μέν ᾗ καϑ’ αὑτό ἐστι, ταύτῃ αἰσϑάνηται ἡ ψυχή αὐτοῦ, οἷον νόημά τι ἢ φάντασμα φαίνεται ἐπελϑεῖν, Mem. 1, 450b27–29). Es stellt sich die Frage, wodurch die Selbständigkeit eines Vorstellungsgehaltes erreicht werden kann. Denn die Vermutung liegt nahe, dass damit genau dasjenige angesprochen ist, was durch sprachliche Ausdrücke repräsentiert wird. Dieser Aspekt der Selbständigkeit erfüllt in Gemeinschaft mit dem kreativ-aktiven Aspekt der Vorstellung die Voraussetzungen für die gesuchten semantischen Entitäten, also diejenigen Dinge, die die meaning facts der Sprache – zumindest einer Sprache der Behauptungssätze – erklären können. Der τραγέλαφος bspw. besteht nicht als ein Objekt der Wahrnehmung, dennoch bedeutet der sprachliche Ausdruck etwas. Dieses Etwas, das hier als semantische Entität konzipiert wird, lässt sich als ein solcher selbständiger Vorstellungs- oder Denkgehalt verstehen. Es ist ja auch eine vortheoretische Intuition, dass ein Bockhirsch zwar nicht existiert, wir aber dennoch, aufgrund unserer Vorstellungs- und/oder Vernunftfähigkeit, die Bedeutung eines entsprechenden Ausdrucks festlegen und erfassen können. Dabei handelt es sich dann nicht um einen direkten Ding-Sprache-Bedeutungsbezug im Sinne einer naivrealistischen Theorie, sondern um einen zwar in der Wahrnehmung verankerten, aber dennoch komplexeren Abstraktionsvorgang, der »Ergebnisse«, also semantische Entitäten, liefern kann, die jenseits der wahrgenommenen Objekte, also der perzipierbaren Entitäten, liegen. Da die selbständigen Gehalte hier nur als Gehalte der φαντασία λογιστική verstanden werden können, die selbst vom Denkvermögen bzw. seinem Durchsickern abhängt, ist anzunehmen, dass als die eigentlichen semantischen Entitäten die νοήματα, ϑεωρήματα und jene φαντάσματα, die vom Denkvermögen abhängen, darstellen. Sprache, Bedeutung, Geist
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Die φαντασία bzw. die φαντάσματα für sich sind nur insofern semantisch relevant, als sie das vorsprachliche Fundament sprachlicher Bedeutung darstellen – darin gehen sie jedoch um kein Stück über das Potential der Wahrnehmung und deren Objekte hinaus. All die Aspekte, die darauf hinweisen mögen, dass es sich mit der Vorstellung um ein die Wahrnehmung substantiell übertreffendes Vermögen handelt, das einen aktiv-kreativen Aspekt hat, das selbständige, also von der Wahrnehmung unabhängige »Bilder« erzeugt, all diese Aspekte sind nur durch das Dazutun des Denkvermögens erklärbar. Und die Tatsache, dass in der Darstellung dieser Aspekte nicht von νόησις bzw. νοήματα, sondern von φαντασία bzw. φαντάσματα die Rede ist, ist zu erklären mit einer vielleicht etwas kryptischen Formulierung, die schon begegnet ist, nämlich, dass es kein Denken ohne Vorstellungsgehalte gibt (ὅταν τε ϑεωρῇ, ἀνάγκη ἅμα φαντάσμά τι ϑεωρεῖν, De an. III, 8, 432a8–9). Das bedeutet, dass ein Denkprozess immer von Vorstellungsgehalten begleitet ist, dass unser Denken zu einem gewissen Grad immer anschaulich, bildhaft ist. Es muss aber sinnvollerweise angenommen werden, dass diese bildlichen Gehalte vom Denken abhängen; ohne Denkvermögen sind die aktiv-kreativen Phantasieprodukte als selbständige Gehalte nicht möglich. Ohne Denkvermögen befähigt das in der Vorstellung angelegte Abheben von der Realität zu nichts mehr als zu vorsprachlichen Assoziationen. Erst mit dem Denkvermögen ist es möglich, diese im perzeptiven Vermögen angelegte Fähigkeit zu einer veritablen Abstraktionsfähigkeit »auszubauen«, die es dann ermöglicht, sich auf diese selbständigen und von der Realität der Wahrnehmungsobjekte unabhängigen Gehalte des Denkens und der Vorstellung zu beziehen.
5.4.4. Fazit Aus den Betrachtungen zur φαντασία ergibt sich Folgendes: Die spezifische Funktion dieses Vermögens ist beschränkt auf das Speichern der Wahrnehmung. Die der Vorstellung oft zugesprochene Eigenschaft der aktiv-kreativen Selbstinitiierung ist erst im Zusammenspiel mit dem Denkvermögen gegeben. Das »Speichern der Bewegung (κίνησις) einer aktualisierten Wahrnehmung« ist zunächst eine physikalische Definition, die schon in De an., aber v. a. durch die Behandlung des intentionalen Aspekts der Erinnerung in Mem., mit einem phänomenalen Verständnis erweitert wird. Aristoteles be230
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handelt in Mem. ganz explizit die Frage, wie wir uns an etwas Bestimmtes erinnern können, wenn das Objekt, an das wir uns erinnern, in diesem Fall gerade nicht anwesend sein darf, und das einzige, was, sofern man nur die physikalische Definition der Vorstellung aus De an. zugrundelegt, vorhanden ist, das πάϑος bzw. die κίνησις ist. Die Lösung, die Aristoteles entwickelt, greift das auf, was schon in seiner Wahrnehmungstheorie angedeutet wurde: Man darf sich eine Vorstellung nicht nur als physischen Prozess, sondern auch als gehaltvolle und phänomenale Entität, als »Bild« vorstellen, das Gegenstand intentionaler Zustände sein kann. Die Idee des epistemologischen Dualismus wird also bezüglich der Vorstellung weiter ausgeführt. In De an. III, 3 steht zunächst das physikalische Verständnis im Vordergrund, der Blick auf den phänomenalen Gehalt der Vorstellung (φάντασμα) spielt hier noch keine Rolle. 277 Was für die φαντάσματα gilt, gilt auch für die αἰσϑήματα. Letztere finden überhaupt keine Erwähnung in den Kapiteln, die der Wahrnehmung gewidmet sind (De an. II, 6 – III, 2). Das αἴσϑημα als mentaler Gehalt der Wahrnehmung wird von Aristoteles deswegen theoretisch vernachlässigt, weil sich der Gehalt der Wahrnehmung fundamental am Objekt der Wahrnehmung orientiert. Bei Aristoteles gibt es kein problematisches Verhältnis von Physik und Phänomenalität der Wahrnehmung; in der naturwissenschaftlichen Beschreibung ist immer schon diese Phänomenalität der Wahrnehmung eingebettet. Das bedeutet, dass der Gehalt der Wahrnehmung über die an sich wahrnehmbaren Objekte fixiert wird, was wiederum heißt, dass der Gehalt als strukturierte Einheiten phänomenaler Qualitäten zu verstehen ist, oder anders formuliert: als distinkte Vorkommnisse von Farbe, Geruch, Geschmack, etc. Diese phänomenalen Einheiten werden durch die φαντάσματα »verselbständigt« und dadurch erst genuin mentale Gegenstände. Gerade im Rahmen der Gedächtnisleistung muss Aristoteles neben der naturwissenschaftlichen Beschreibung die Abbildtheorie berücksichtigen, die den phänomenalen Aspekt bzw. das »Bild-vor-Augen-Stellen« berücksichtigt. Hier wird nochmal klar, dass der Gehalt der Perzeption fundamental abhängig ist vom außermentalen Objekt. Wie Bezeichnend ist, dass das einzige Vorkommnis von φάντασμα in diesem Kapitel in der Bemerkung besteht, dass die Vorstellung dasjenige Vermögen ist, mit dem Vorstellungsgehalte »in uns« entstehen: εἰ δή ἐστιν ἡ φαντασία καϑ’ ἣν λέγομεν φάντασμά τι ἡμῖν γίγνεσϑαι […], De an. III, 3, 428a1–2.
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gesehen, ist es für Aristoteles ein ernstzunehmendes Problem, einen mentalen Gehalt ohne außermentales Objekt zu postulieren. Seine Lösung besteht darin, neben der naturwissenschaftlichen Beschreibung der Vorstellung oder Erinnerung, auch die symbolische Repräsentation im Sinne einer Abbildtheorie anzunehmen. Freilich darf man diese nicht in einem bloß piktoralen Sinn verstehen; 278 was abgebildet wird, sind die entsprechenden wahrgenommenen phänomenalen Einheiten. Genau das scheint es zu sein, was Aristoteles dann unter der φαντασία αἰσϑητική versteht. Wichtig ist festzuhalten, dass diese Gehalte zwar strukturiert sind, aber nicht sprachlich, sondern aufgrund der gemeinsamen Objekte der Wahrnehmung, die es ermöglichen, die phänomenalen Qualitäten, also die spezifischen Objekte, als Einheiten, als bewegt, als in bestimmter Hinsicht gestaltet usw. wahrzunehmen, vorzustellen und zu erinnern. Bis hierhin bewegt man sich also in einem vorsprachlichen Verständnis der Wahrnehmungs- und Vorstellungsgehalte. Diese können zwar das epistemische Fundament sprachlicher Bedeutung bilden, aber auch hier gilt, dass die Vorstellung zu wenig erklären würde. Die Vorstellung ist an die Objekte der Wahrnehmung gebunden, d. h., auch hier kann die Bedeutung nur jener Ausdrücke vollständig erfasst werden, die ein primitives Konzept repräsentieren – und das ist explanatorisch einfach zu wenig. Klar wurde aber auch, dass die Vorstellung bei Aristoteles sehr oft in Verbindung mit dem Denkvermögen untersucht wird. Deswegen ist es an der Zeit, die φαντασία λογιστική bzw. βουλευτική eingehender zu betrachten, denn hier scheint ein Fall von φαντάσματα vorzuliegen, der eben sprachlich strukturiert ist, und das muss erklärt werden: Wie kann ein Vermögen, das grundsätzlich als vorsprachlich verstanden wird, mit dem Adjektiv λογιστική näher bestimmt werden? Die These, die hier vertreten wird, erkennt die Objekte der φαντασία λογιστική als abhängig von denen der νόησις an: Ohne νόησις keine φαντασία λογιστική. Man muss dann sofort dem Einwand begegnen, dass Aristoteles die Abhängigkeit ja genau andersherum formuliert, also: Ohne Vorstellungs-, kein Denkvermögen. Wie aber schon vorher geschehen, muss man auch hier folgende Differenzierung betonen: Es gibt zwar tatsächlich kein Lebewesen, das denken kann, aber kein Vorstellungsvermögen besitzt. Hierbei handelt es sich Vgl. Scheiter, 2012, S. 252. Hier wird das piktorale Abbildverständnis, das etwa Nussbaum vertritt, zu Recht kritisiert.
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jedoch um eine Abhängigkeitsbeziehung innerhalb der Vermögensstruktur. Anders verhält es sich mit den Objekten der Vermögen. Die Objekte der φαντασία λογιστική sind abhängig von denen der νόησις. Es ist die nun folgende Aufgabe, diese Art der Abhängigkeit detaillierter darzustellen. Und das erfordert einen genauen Blick auf das Denkvermögen, auf den νοῦς und die νόησις.
5.5. Denken Die aristotelische Konzeption des νοῦς, oft mit »Denkvermögen« oder »Intellekt« übersetzt, ist in der Literatur unter anderem hinsichtlich der Problematik der Fundierung von Wissen im Rahmen der aristotelischen Erkenntnistheorie präsent. Aristoteles ist Empiriker und wird hinsichtlich der Fundierungsfrage gerne auch als Empirist verstanden, der als Grundlage für Wissen die Wahrnehmung ansieht. Allerdings erkennt Aristoteles selbst ein Problem angesichts seines strengen Wissensbegriffs an: Wissen in diesem Sinne darf nur das genannt werden, was im Rahmen eines demonstrativen Syllogismus als Ursache für ein Phänomen nachvollzogen werden kann. Es stellt sich die Frage, worauf die Wahrheit der Prämissen eines demonstrativen Syllogismus ihrerseits beruht. Um einen infiniten Regress zu vermeiden, setzt Aristoteles als Startpunkte für demonstratives Wissen die Prinzipien (ἀρχαί), die auf andere Weise gewusst werden als demonstriertes Wissen. 279 Aristoteles bringt an dieser systematischen Stelle den νοῦς ins Spiel, 280 und das hat viele Interpreten dazu veranlasst, dieses Vermögen als spezifische Fähigkeit zum intuitiven Erfassen dieser Prinzipien zu identifizieren. Auf der anderen Seite gibt es viele Stellen im aristotelischen Oeuvre, die auf eine klar empiristische Ausrichtung hinweisen. 281 Dieses epistemologische Problem wird auch hier insoweit berücksichtigt, als es für das BedeuIn den ersten Sätzen von An. post. erklärt Aristoteles, dass jedes Lehren und Lernen im Vernunftbereich von einem »vorgehabten Wissen« (ἐκ προϋπαρχούσης γνώσεως) ausgeht (Πᾶσα διδασκαλία καί πᾶσα μάϑησις διανοτική ἐκ προϋπαρχούσης γίνεται γνώσεως, An. post. I, 1, 71a1–2). Vgl. auch Phys. I, 1, 184a10–16. 280 In An. post. I, 33, wird der νοῦς als Ursprung des Wissens (ἀρχή ἐπιστήμης) erklärt (λέγω γάρ νοῦν ἀρχήν ἐπιστήμης, An. post. I, 33, 88b36). 281 Vgl. An. post. II, 19, 100a3–9. Für einen Überblick dieses epistemologischen Problems siehe die Einleitung von Herzberg, 2011 oder Aydede, 1998, S. 15–22. Diese wichtige Passage wird auch in dieser Arbeit ab Seite 314 interpretiert. 279
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tungsproblem von Interesse ist. Die hier vertretene These lautet, dass Aristoteles kein reiner Empirist ist, sondern dass ein bestimmtes Sprachwissen die apriorische Bedingung für die semantische und propositionale Verarbeitung der empirischen Daten darstellt. Nach diesem Verständnis ist Aristoteles in erkenntnistheoretischer Hinsicht ein Vertreter von erfahrungsunabhängigen Rationalitätsstrukturen, 282 die allerdings ohne empirischen Input wirkungslos oder, um dann doch mit Kant zu sprechen, blind bleiben. 283 Ein anderes vieldiskutiertes Problem hinsichtlich des νοῦς ist die Einführung des sogenannten aktiven Intellekts in De an. III, 5. Hier werden die Eigenschaften der Unvermischtheit, der Abgetrenntheit, der Leidensunfähigkeit und der Unvergänglichkeit, die zunächst auf das Denkvermögen im Gesamten bezogen werden, auf den aktiven Intellekt, der alles bewirkt (ὁ [νοῦς] δέ τῷ πάντα ποιεῖν, De an. III, 5, 430a15), konzentriert; das scheint die Annahme zu bestärken, dass Aristoteles nach seiner eingehenden Untersuchung des allgemeinen Denkvermögens anhand des Kausalmodells tatsächlich einen Teil des Geistes als abgetrennt vom Körper versteht und diesen als aktiven Intellekt auch begrifflich fixiert. Im Laufe der Untersuchung zum νοῦς wird auch dieses Problem in seiner allgemeinen Struktur dargestellt und diskutiert. Dabei wird für die These argumentiert, dass unter dem aktiven Aspekt des νοῦς jenes oben genannte formale Sprachwissen zu verstehen ist, also jene erfahrungsunabhängigen Kenntnisse und Fähigkeiten, die es erst ermöglichen, Wissenschaft im Sinne der Demonstration zu vollführen. Die folgenden Ausführungen widmen sich zunächst einer allgemeinen Darstellung des νοῦς (Kapitel 5.5.1), der bei Aristoteles in Die philosophisch nicht unbelasteten Adjektive »apriorisch« oder »erfahrungsunabhängig« sollten hier in einem sehr allgemeinen Sinn verstanden werden. Es geht bei Aristoteles um Vermögensstrukturen; und diese Begrifflichkeiten sollen darauf hinweisen, dass während beim Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen die physische und empirische Grundlage ganz offenbar ist, das beim Denkvermögen nicht der Fall ist. Die Kompetenz zur visuellen Wahrnehmung geht mit der organischen Struktur des Lebewesens und der physischen Interaktion mit der Außenwelt einher; die Denk- bzw. Sprachkompetenz lässt sich bei Aristoteles nicht in dieser Weise erklären, weswegen er letztlich den aktiven Intellekt als eine unkörperliche ἕξις einführt, der genau diese Funktion erfüllen soll. Die Rede von »apriorisch« und »vorempirisch« ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. 283 Im Kapitel 5.5.3, unter dem Stichwort Die Metapher des Stehenbleibens ab Seite 305, wird dieses erkenntnistheoretische Fundierungsproblem wieder aufgegriffen, und zwar im Rahmen der Diskussion des berühmten Kapitels 19 von An. post. II. 282
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strenger Analogie zur Wahrnehmung konzipiert wird. Aufgrund dieser methodischen Herangehensweise ergeben sich jene Eigenschaften, die dem aktiven Intellekt zugesprochen werden, und die in der Kommentartradition für so viel Gesprächsstoff gesorgt haben und bis heute sorgen. V. a. zwei dieser Charakteristika werden in Augenschein genommen: Zum einen die Unvermischtheit, zum anderen die Leidensunfähigkeit. Da die letztgenannte Eigenschaft auch der Wahrnehmung zugesprochen wird, schließt sich eine Darstellung der noetischen Besonderheit hinsichtlich der Leidensunfähigkeit an. Neben einem grundsätzlichen Verständnis der aristotelischen Intellektkonzeption, das seinerseits zum Verständnis der Denkobjekte und -gehalte unabdingbar ist, dienen diese Erörterungen des Denkvermögens auch dazu, die These des epistemischen Dualismus weiter zu unterstützen. Denn die Deutung der Leidensunfähigkeit besteht im dadurch berücksichtigten intentionalen Charakter der perzeptiven und kognitiven Vermögen bei Aristoteles. Es wird sich auch hier herausstellen, dass Aristoteles die intentionale mit der physikalischen Beschreibung der entsprechenden Prozesse zusammenbringen will. In einem nächsten Schritt wird die Unterscheidung von aktivem und passivem Intellekt erörtert und interpretiert (Kapitel 5.5.2), und schließlich stehen danach die Objekte des Denkens (νοητά) und ihre mentalen Korrelate (νοήματα) im Vordergrund, um sie hinsichtlich ihres Status als Kandidaten für Element C respektive D aus De int. 1 zu prüfen (Kapitel 5.5.3).
5.5.1. Die Definition Eine erste allgemeine Charakterisierung des Denkvermögens bei Aristoteles lautet wie folgt: εἰ δή ἐστι τό νοεῖν ὥσπερ τό αἰσϑάνεσϑαι, ἢ πάσχειν τι ἂν εἴη ὑπό τοῦ νοητοῦ ἤ τι τοιοῦτον ἕτερον. ἀπαϑές ἄρα δεῖ εἶναι, δεκτικόν δέ τοῦ εἴδους καί δυνασσμει τοιοῦτον ἀλλά μή τοῦτο, καί ὁμοίως ἔχειν, ὥσπερ τό αἰσϑητικόν πρός τά αἰσϑητά, οὕτω τόν νοῦν πρός τά νοητά. ἀνασσγκη ἄρα, ἐπεί πάντα νοεῖ, ἀμιγῆ εἶναι, ὥσπερ φησίν »Ἁναξαγόρας, ἵνα κρατῇ, τοῦτο δ’ ἐστίν ἵνα γνωρίζῃ:
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Wenn nun das Denken [τό νοεῖν] wie das Wahrnehmen ist, dann ist es entweder ein Erleiden vom Denkobjekt oder etwas anderes in dieser Art. Folglich muss es [i. e. das Denken] leidensunfähig sein, aufnahmefähig hinsichtlich der Form und eine solche in Möglichkeit sein, aber nicht identisch mit ihr; und auf ähnliche Weise gilt: So wie sich das Wahrnehmungsfähige zum Wahrnehmungsobjekt verhält, so verhält sich das Denkvermögen zum Denkobjekt. Deswegen ist [das Denken], da man alles denken kann, notwendigerweise unvermischt, so wie Anaxagoras sagt, damit es herrscht, d. h. damit es erkennt. De an. III, 4, 429a13–20
Die Definition des Denkvermögens orientiert sich hier explizit an der kausalen Erklärung des Wahrnehmungsvermögens. Die Beschreibung des Vorgangs als »Wirken eines Denkobjekts« (πάσχειν τι ὑπό τοῦ νοητοῦ, De an. III, 4, 429a14) verdeutlicht das, allerdings gibt es einige spezifische Ausprägungen, was in der relativierenden Formulierung ἤ τι τοιοῦτον ἕτερον aus den Zeilen 14–15 durchscheint. Auch wenn es diese Abweichungen gegenüber der Wahrnehmungstheorie gibt, die notwendig sind, um den besonderen Phänomenen des Denkens gerecht zu werden, bleibt bei den anschließenden Betrachtungen immer die grundlegende kausale Erklärungsstrategie und damit auch die Analogie zur Wahrnehmung beibehalten. Die eigentümliche Theorie des Denkens bei Aristoteles ist gerade der Anwendung des Kausalmodells auf das Denkvermögen zu verdanken. 284 Es gilt nun diese von Aristoteles im obigen Zitat angedeuteten AbweichunPace Ross, der aus diesem Einleitungssatz eine Ablehnung der Anwendung des kausalen Modells zur Erklärung des Denkvermögens herauslesen will: »A.[ristotle] rejects the first of the two alternatives he has just named (πάσχειν τι ὑπό τοῦ νοητοῦ), and accepts the second (τι τοιοῦτον ἕτερον). The resemblance between reason and perception consists simply in the fact that reason is related to its object somewhat as perception is related to its objects (II. 17–18), both being forms of apprehension.« (Ross, 1961, S. 291–292) Auch Caston will diese Analogie nicht überbewerten: »Much of the tradition has become mired in difficulties because it has tended to concentrate on the analogies with which the chapter begins, rather than the logical structure of Aristotle’s argument and the attributes he prosaically lists in the second half of the chapter.« (Caston, 1999, S. 199) Dagegen bin ich u. a. mit Sisko der Meinung, dass die Probleme, die die Interpreten der aristotelischen Intellekttheorie seit zweieinhalbtausend Jahren beschäftigen, »echte« Probleme sind, die einerseits aus den besonderen Phänomenen des Denkens, andererseits aus dem Versuch, diese in physikalischer Sprache, also mittels Kausalmodell, zu beschreiben, entstanden sind: »[…] he [Aristoteles] saves the appearances by separating the intellect from the body. So, it is his standard scientific methodology which, together with the empirical facts, draws Aristotle towards a special-case theory for intellect: a theory that is in opposition to his
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gen vom Modell der Wahrnehmung darzustellen, und zwar hinsichtlich der Eigenschaften der Unvermischtheit und der spezifisch noetischen Leidensunfähigkeit.
Die Unvermischtheit Zunächst wird angenommen, dass es auch beim Denken ein Objekt gibt, das das Vermögen affiziert. Diese Affektion besteht auch hier in der Aufnahme der Form, die eine Angleichung von Objekt und own general theory for explaining psychological capacities (hylomorphism).« (Sisko, 1999, S. 264) Zusätzlich wird hier aber die These vertreten, dass die Ergebnisse der Untersuchungen zum Denkvermögen nicht in der Form at face value zu nehmen sind, wie es bei der Wahrnehmung der Fall war: Das wird sich hinsichtlich der erwähnten Besonderheiten, die Aristoteles mit dem τι τοιοῦτον ἕτερον in 429a15 anspricht, zeigen. Die Struktur des Denkvermögens ist eine komplett andere als die des Wahrnehmungsvermögens, das Denkobjekt ist im Gegensatz zum Wahrnehmungsobjekt als vermögensinterne Entität zu verstehen. Auch wenn also der methodische Ausgangspunkt bei beiden Vermögen derselbe ist, sind die Ergebnisse beim Denkvermögen in noch größerem Maße als deskriptive Annäherungen, denn als naturwissenschaftliche Fakten in einem modernen Sinn zu verstehen. Diese Lesart würde auch Charles widersprechen, der sowohl beim perzeptiven als auch beim kognitiven Vermögen einen Externalismus vertritt, und meint, dass eine »[…] less precise comparison […]« deswegen abzulehnen ist, weil »[…] it would not be clear that perception and thinking are sufficiently alike for the inference to be valid.« (Charles, 2000, S. 111, Anm. 1) Gerade weil Charles auch hinsichtlich des Denkvermögens einen Externalismus vertritt, ist es nachvollziehbar, dass er die Formulierung als eine präzise Analogie verstanden wissen will, die die Externalität der Denkobjekte quasi schon voraussetzt. Es wird sich aber zeigen, dass es zahlreiche Hinweise gibt, die die hier vertretene These der Internalität der Denkobjekte untermauern. Charles sieht nicht die Möglichkeit, die Analogie als methodische Notwendigkeit zu verstehen. Letztlich hat sich das Kausalmodell – in erweiterter Form – für Aristoteles auch hinsichtlich der Wahrnehmung bewährt. Beim Denkvermögen ist zwar schon von vorneherein klar, dass große Unterschiede zur Perzeption bestehen, aber aus Mangel an alternativen Erklärungsmodellen greift Aristoteles auch hier auf das Kausalmodell zurück, aber eben mit dem Hinweis, dass hier – schon wegen den augenscheinlichen empirischen Differenzen zur Wahrnehmung – Änderungen oder Einschränkungen bei der Anwendung des Kausalmodells vollzogen werden müssen. Letztlich mündet die hier vorgetragene Interpretation in einer mit dem epistemischen Dualismus zu vereinbarenden Version der »Abtrennung des Intellekts vom Körper«, nämlich als apriorische Fähigkeit, als vorempirisches Sprachwissen, das zwar in seiner Ausübung immer auch körperlich instanziiert ist (und zwar durch das Vorstellungsvermögen), aber als Fähigkeit nicht auf diese Verkörperung (durch Vorstellungsgehalte) zu reduzieren ist. Sprache, Bedeutung, Geist
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Subjekt beinhaltet. 285 Auch das Denken ist in Möglichkeit das, was das Objekt des Denkens aktual ist. Das Objekt wird weiter unten (Kapitel 5.5.3) im Fokus stehen, hier wird die erste, freilich mit der Annahme von eigenständigen Denkobjekten zusammenhängende Besonderheit des Denk- gegenüber dem Wahrnehmungsvermögen untersucht: Diese besteht, wie Aristoteles darlegt, in der notwendigen Unvermischtheit, die deswegen angenommen werden muss, weil man alles denken kann (ἀνάγκη ἄρα, ἐπεί πάντα νοεῖ, ἀμιγῆ εἶναι, De an. III, 4, 429a18). Das Denken ist in seinen Möglichkeiten nicht in der Weise eingeschränkt, wie es die Wahrnehmungssinne sind. 286 Des Weiteren wurde festgestellt, dass immer nur ein präsentes Objekt wahrgenommen werden kann, gedacht werden kann aber alles, auch Abwesendes und Nichtexistentes – deswegen scheint es schwer möglich, im Rahmen des Denkens ein der Wahrnehmung analoges spezifisches und externes Objekt anzunehmen. Die Universalität des Denkens führt in der Konsequenz auch zu der Annahme, dass das Denken keinem Organ zugeordnet werden kann, da ein solches immer den Gegenstandsbereich durch seine materielle Beschaffenheit einschränkt. Daher ist das Denkvermögen »reine Potentialität«. 287 Bevor das Denkvermögen nicht als Tätigkeit ausgeführt, d. h. aktualisiert wird, ist es »nichts aktual Seiendes« (οὐϑέν ἐστιν ἐνεργείᾳ τῶν ὄντων πρίν νοεῖν, De an. III, 4, 429a24). Auch dadurch wird ausgedrückt, dass dieses Vermögen nicht mit einem körperlichen Organ verbunden ist, denn wäre es das, dann hätte es jenseits seiner Aktualisierung als Tätigkeit eine solche »körperliche Existenz«; deswegen Aristoteles spricht vom αἰσϑητικόν und vom νοῦς. Dass hier nicht das Organ (αἰσϑητήριον) genannt wird, an dem sich die physische Veränderung vollzieht, weist womöglich schon auf die problematische »Organlosigkeit« des Denkens hin. 286 Sisko, 1999, S. 258–264, hat die verschiedenen Arten von Einschränkungen beim perzeptiven Vermögen herausgearbeitet. Die erste Einschränkung bezieht sich nur auf die proximalen Sinne, die einen blind spot haben, und in dieser Hinsicht eingeschränkt sind. Dies gilt nicht für die distalen Sinne, weswegen Sisko die beiden anderen Arten von Einschränkungen als wichtiger ansieht. Das ist zum einen die Einschränkung durch die jeweilige materiale Zusammensetzung des Organs, wodurch die Funktion eines spezifischen Sinnes bestimmt ist. Kein spezifischer Sinn kann ein ihm fremdes spezifisches Objekt wahrnehmen, außer in akzidenteller Weise. Zum anderen ist jene Einschränkung zu nennen, die die Sinne sogar hinsichtlich ihrer spezifischen Objekte für Fallibilität anfällig macht: Wenn die äußeren Umstände so sind, dass das Objekt zu weit entfernt, zu schwach oder aber zu intensiv ist (vgl. De an. III, 4, 429a31-b4), dann kommt es zu einer »falschen Wahrnehmung«. 287 Vgl. De an. III, 4, 429a21–22. 285
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wäre es nicht stimmig, den νοῦς mit dem Körper »zu vermischen« (διό οὐδέ μεμῖχϑαι εὔλογον αὐτόν τῷ σώματι, De an. III, 4, 429a24–25). Wie erwähnt führt dieses Verständnis vom Denkvermögen als unkörperlich bzw. unvermischt zu großen Spannungen, da Aristoteles einer ontologischen Unabhängigkeit des Geistes prinzipiell ablehnend gegenübersteht. 288 Einen ersten Ansatz zur Lösung dieser Spannung bietet eine seiner allgemeinen Erläuterungen zu Beginn von De an., die schon im Kapitel 5.2.4 erwähnt wurden. In diesen einführenden Bemerkungen redet Aristoteles über die mentalen Zustände (τά τῆς ψυχῆς πάϑη, De an. I, 1, 403a16) und die Tatsache, dass die meisten von ihnen körperlich fundiert sind. 289 Aristoteles meint, dass der Seele am ehesten das Denken (τό νοεῖν) eigentümlich zu sein scheint (μάλιστα δ’ ἔοικεν ἴδιον τό νοεῖν, De an. I, 1, 403a8). Um aber diesem Diktum der Unkörperlichkeit des Denkens die Schärfe zu nehmen, stellt er an dieser Stelle das Denken in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Vorstellungsvermögen, das ja als kausales Echo der Wahrnehmung immer auch körperlich realisiert ist. 290 Aristoteles variiert diese Bindung des Denkens an die Vorstellung, indem er zwei Möglichkeiten formuliert: Denken als eine Art von Vorstellung oder Vorstellung als notwendige Bedingung für das Denken (ἐστί καί τοῦτο φαντασία τις ἢ μή ἄνευ φαντασίας, De an. I, 1, 403a8–9). Es ist wohl eine der interessantesten Fragen der aristotelischen Philosophie, wie dieser Zusammenhang genau zu verstehen ist, was letztendlich die eigentliche aristotelische Position ist; in dieser Frage spiegelt sich auch das oben erwähnte Problem des epistemologischen Fundaments wider: Wie verhält sich unsere Rationalität, unsere Sprachfähigkeit, unser Denkvermögen zur Wahrnehmung? Worin besteht die Abhängigkeit bzw. die Unabhängigkeit der Denkobjekte von den »perzipierbaren Einheiten«? Auf welches Vermögen lässt sich die Kenntnis der Prinzipien zurückführen? Aristoteles diskutiert einerseits Aspekte, die für eine Unabhängigkeit, eine Abgetrenntheit und Superiorität des Denkens sprechen, bringt aber andeZu Beginn von De an. meint Aristoteles, dass es so scheint (ἔοικε), dass alle mentalen Zustände mit dem Körper »vermischt« sind (μετά σώματος εἶναι). Er führt u. a. Furcht und Liebe als Beispiele an, und stellt fest, dass in diesen Fällen immer auch der Körper etwas erleidet (πάσχει τι τό σῶμα) (ἔοικε δέ καί τά τῆς ψυχῆς πάϑη πάντα εἶναι μετά σώματος, ϑυμός, πραότης, φόβος, ἔλεος, ϑάρσος, ἔτι χαρά καί τό φιλεῖν τε καί μισεῖν. ἅμα γάρ τούτοις πάσχει τι τό σῶμα. De an. I, 1, 403a16–19). 289 Vgl. De an. I, 1, 403a5–7. 290 Vgl. De an. I, 1, 403a8–10. 288
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rerseits sofort Erklärungsansätze ins Spiel, die klar für eine empiristische Lösung sprechen, nämlich die Subsumierung des Denk- unter das Vorstellungsvermögen, wofür auch An. post. II, 19 zu tendieren scheint. Es wird – im Rahmen der Diskussion der Denkobjekte in Kapitel 5.5.3 – dafür argumentiert, dass Aristoteles kein reiner Empirist ist, sondern apriorische Formen des Wissens annimmt, und dass die Denkobjekte dementsprechend zwar mit den Objekten der Wahrnehmung zusammenhängen, aber in bestimmter Weise auch von ihnen unabhängig und selbständig sind. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Bedeutungsfrage. Wenn dem Denkvermögen und seinen Objekten eine entsprechende Unabhängigkeit vom perzeptiven Vermögen und seinen Objekten zuzusprechen ist, dann ist zu fragen, worin diese Unabhängigkeit besteht und es ist zu konstatieren, dass sich Sprache und Bedeutung nicht ohne weiteres kontinuierlich aus den perzeptiven Vermögen entwickeln, sondern dass eine Kenntnis bzw. Fähigkeit, die als vorempirisch, als apriorisch verstanden wird, notwendig ist. Zunächst soll aber das Denkvermögen in allgemeiner Weise weiter untersucht werden, im Folgenden hinsichtlich seiner Charakterisierung als leidensunfähig. Bezüglich der Unvermischtheit bleibt als erstes Fazit stehen, dass Aristoteles aufgrund der »Faktenlage«, nämlich der Universalität und Produktivität des Denkens, bei gleichzeitiger Anwendung des Kausalmodells eine Unvermischtheit, d. h. Organlosigkeit des Denkvermögens annehmen muss. Zugleich aber deutet er Lösungen an, die in einer engen Verbindung und Abhängigkeit von perzeptiven und kognitiven Vermögen bestehen, was die für Aristoteles (und die hier vertretene Interpretation) problematische Abgetrenntheit des Denkvermögens vom Körper um einiges abschwächt, sodass die Abgetrenntheit nicht zwingend in einer ontologischen, sondern in einer epistemologischen Lesart verstanden werden kann.
Die Leidensunfähigkeit Ein weiterer Unterschied zur Wahrnehmung besteht in einer spezifischen Form der ἀπάϑεια. Zwar wird im obigen Zitat aufgrund der Analogie zur Wahrnehmung gefolgert, dass das Denkvermögen leidensunfähig sein muss, weil die Wahrnehmung eben auch leidensunfähig ist. Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass, 240
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in Zusammenhang mit der Unkörperlichkeit, beim Denken eine andere Art der Leidensunfähigkeit vorherrscht als beim Wahrnehmen. 291 Bevor dieser die beiden Vermögen unterscheidende Aspekt betrachtet wird, muss man sich zunächst dem Rätsel stellen, das mit der allgemeinen Charakterisierung von Wahrnehmung und Denken als ἀπαϑές einhergeht. Es erscheint nämlich paradox, dass ein Vermögen einerseits mittels Kausalmodell erklärt wird, und damit auch die ποιεῖν/πάσχεινUnterscheidung anwendbar ist, andererseits das Vermögen insgesamt als ἀπαϑές charakterisiert wird. 292 Die Lösung dieses Rätsels liegt in der Unterscheidung zweier Bedeutungen von Erleiden (πάσχειν) bzw. Veränderung (ἀλλοίωσις), die Aristoteles in dem vieldiskutierten Kapitel De an. II, 5 erläutert. Hier trifft Aristoteles einige wichtige begriffliche Differenzierungen hinsichtlich der Funktionsweisen von psychischen Vermögen vor dem Hintergrund seiner physikalischen Theorie. 293 Dass es sich hier um sehr allgemeine und funAristoteles spricht davon, dass der Unterschied zwischen Wahrnehmen und Denken bezüglich der Leidensunfähigkeit mit Blick auf das Organ der Wahrnehmung und auf die Wahrnehmung selbst offenbar ist (ὅτι δ’ οὐχ ὁμοία ἡ ἀπάϑεια τοῦ αἰσϑητικοῦ καί τοῦ νοητικοῦ, φανερόν ἐπί τῶν αἰσϑητηρίων καί τῆς αἰσϑήσεως, De an. III, 4, 429a29–30). 292 Vgl. z. B. Hicks: »To apply the term πάσχειν to anything ἀπαϑές is inconsistent, as A. himself fully admits when he afterwards discusses the difficulty herein involved, 429b22 sqq.« (Hicks, 1965, S. 476) 293 Burnyeat hat zu diesem Kapitel von De an. einen umfangreichen Artikel verfasst, der seine spiritualistische Interpretation der aristotelischen Wahrnehmung untermauern soll: »[…] De Anima II 5 is the chapter in which Aristotle expressly denies that perceiving is the sort of alteration or change of quality which a cold thing undergoes when it is warmed or a green thing when it is coloured red. The negative message of II 5 is of some significance for current controversies about Aristotle’s theory of perception. Richard Sorabji has defended, and continues to defend, an interpretation whereby the alteration Aristotle has in view, when he speaks of perceiving as alteration, is an ordinary qualitative alteration that would be observable by scientists who, unlike Aristotle, had instruments giving access to the inside of the relevant organ.« (Burnyeat, 2002, S. 29) Es handelt sich auch deswegen beim hier verhandelten »Rätsel der apathia« um längere Ausführungen, weil es wichtig ist, auch in Bezug auf De an. II, 5 den epistemischen Dualismus zu verteidigen, der ja durch die Lesart Burnyeats wiederum angegriffen wird. Die Grundüberlegung, die hier entwickelt wird, lautet: Mit der Bedeutungsdifferenzierung, die Aristoteles in diesem Kapitel bezüglich zentraler physikalischer Begrifflichkeiten einführt, ist nicht gesagt, dass etwa die Wahrnehmung ausschließlich, sondern zusätzlich in einer Bewegung bzw. Veränderung in diesem neuen, nicht-physikalischen Sinne besteht. Der physische Prozess am Organ, der in II, 6 als »Aufnahme der Form ohne Materie« und auch in der weiter oben zitierten Definition des Denkvermögens angesprochen ist, bleibt in gleichberechtigter 291
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damentale Erläuterungen handelt, die die speziellen Probleme der Bewegung und Veränderung, wie sie etwa in Phys. und De generatione et corruptione diskutiert werden, außer Acht lassen, offenbart sich dadurch, dass Aristoteles explizit auf die semantische Ungenauigkeit hinweist, die in diesem Abschnitt vorherrscht: 294 Die Begriffe πάσχειν, κινεῖσϑαι, ἐνεργεῖν und ἀλλοιοῦσϑαι werden vorerst als Synonyma verwendet. Es geht um das generelle Problem des Zusammenhangs von materieller Veränderung und intentionalen Zuständen und nicht um spezifische Probleme hinsichtlich der Möglichkeit und der Differenzierung von Veränderung und Bewegung, usw. Der Kerngedanke, der im Folgenden entwickelt wird, besteht darin, dass Aristoteles mit der Wendung ἀπαϑές, die er im Rahmen von De an. III, 4 zur Charakterisierung von Wahrnehmungs- und Denkvermögen gebraucht, auf diese differente Bedeutung des ursprünglich physikalisch verstandenen Vokabulars hinweisen wollte – das ist freilich eine starke, weil scheinbar paradoxe These: Auf der einen Seite eine semantische Erweiterung des Ausdrucks πάσχειν, der dann sowohl als physikalischer als auch als intentionaler Ausdruck zu verstehen ist, auf der anderen Seite das vermeintliche Hervorheben des intentionalen Gebrauchs von πάσχειν durch den Ausdruck ἀπαϑές. Das bedeutet, man müsste eine enge, d. h. eine ausschließlich physikalische, und eine weite Verwendung von πάσχειν annehmen und davon ausgehen, dass der Ausdruck ἀπαϑές hier im engen Sinn verwendet wird und Aristoteles damit darauf hinweisen will, dass bei beiden Vermögen eben der intentionale zusätzlich zum physikalischen Aspekt besteht und erklärt werden muss. Letztendlich kann man auf den Vorwurf der Widersprüchlichkeit, die diese Sichtweise zugegebenermaßen offenbart, erwidern, dass auch heute noch wissenschaftliche und auch sprachliche Ungenauigkeiten und Probleme Weise bestehen (Man könnte vielleicht davon ausgehen, dass die Aufzählung in De an. III, 4, 429a15–16: ἀπαϑές ἄρα δεῖ εἶναι, δεκτικόν δέ τοῦ εἴδους darauf hinweist, dass auch das Denkvermögen den epistemischen Doppelaspekt aufweist, der schon für die perzeptiven Vermögen nachgewiesen wurde). Das, was mit dieser Differenzierung des zentralen Bewegungs-Vokabulars in De an. II, 5 angesprochen ist, ist die Besonderheit der Intentionalität von perzeptiven und kognitiven Prozessen. Sie ergänzt, ersetzt aber nicht das übliche physikalische Erklärungsmuster. Diese These, die die Annahme des epistemischen Dualismus gerade bestärken würde, soll im Folgenden untermauert werden. 294 Vgl. De an. II, 5, 417a14–18. Vgl. etwa auch 417b14–5, wo Aristoteles problemlos zwischen πάσχειν und ἀλλοίωσις changiert, oder den Verweis auf weitergehende Überlegungen zum πάσχειν in 417a1–2.
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bestehen, wenn versucht wird, die Phänomene und Funktionsweisen der Wahrnehmung und des Denkens adäquat zu erfassen (so streitet man ja noch heute darüber, ob »mentales Vokabular« irgendwann vollständig aus dem wissenschaftlichen Gebrauch herausgekürzt werden muss – das wäre die Position des eliminativen Materialismus – oder ob es eine irreduzible phänomenale Beschreibungsebene gibt, auf die mit solchem Vokabular Bezug genommen wird – das wäre die Position der qualia-freaks –, und die dann in eine Beziehung zu den physikalischen Prozessen gesetzt werden muss). Zu Beginn des Kapitels II, 5 stehen allgemeine Überlegungen zur Wahrnehmung. Sie ist ein Prozess, der in den Rahmen der Bewegung und des Erleidens fällt. Eine Begründung scheint für Aristoteles zu sein, dass die Wahrnehmung eine Art von Veränderung (ἀλλοίωσις) ist (ἡ δ’ αἴσϑησις ἐν τῷ κινεῖσϑαί τε καί πάσχειν συμβαίνει, καϑάπερ εἴρηται: δοκεῖ γάρ ἀλλοίωσίς τις εἶναι, De an. II, 5, 416b33–35). Die Frage, die sich Aristoteles im Anschluss stellt, lautet: Wieso gibt es keine Wahrnehmung der Wahrnehmung (ἔχει δ’ ἀπορίαν διά τί καί τῶν αἰσϑήσεων αὐτῶν οὐ γίνεται αἴσϑησις, De an. II, 5, 417a2–3), wenn doch gilt, dass sie durch die Veränderung am Organ definiert wurde? 295 Die Frage ist motiviert durch den Umstand, dass das Organ der Wahrnehmung ja aus denselben materiellen Elementen (στοιχείαι) zusammengesetzt ist, aus denen auch die von Aristoteles angenommenen Wahrnehmungsobjekte bestehen (auch das Auge kann ja angefasst oder – sicherlich ein etwas abwegiger Gedanke – geschmeckt werden, jedoch kann es nicht direkt gesehen werden). Wenn das Sehen in einer materiellen Veränderung am Auge besteht (die »Aufnahme der Form ohne Materie« wurde hier ja als eine physische Veränderung gemäß dem λόγος am materialen Organ verstanden), hervorgerufen durch die Objekte der Wahrnehmung, wieso ist überhaupt die Wahrnehmung von äußeren Dingen abhängig und kann sich nicht selbst generieren, wenn das Organ selbst doch alles mitbringt, um als Objekt fungieren zu können? Wieso können wir unser Auge nicht direkt sehen, wenn es doch selbst, ähnlich den anderen perzipierbaren Objekten, aus wahrnehmbarer Materie besteht und die Veränderung sich am Organ vollzieht? 296 Vgl. De an. II, 5, 417a2–6. Vgl. auch hier wieder Hicks: »If sense is a faculty of apprehending sensibles, and the sense-organs themselves are sensibles, how is it that sense does not have perception of its own organs quite apart from the presence of any external objects, especially
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Die Antwort, die Aristoteles gibt, lautet: Die Wahrnehmung (genauer: das Wahrnehmungsfähige, τό αἰσϑητικόν) besteht in bloß potentieller Weise (δυνάμει μόνον) (δῆλον οὖν ὅτι τό αἰσϑητικόν οὐκ ἔστιν ἐνεργείᾳ, ἀλλά δυνάμει μόνον, De an. II, 5, 417a6–7). Diese Antwort wird meistens so gedeutet, dass externe Objekte vonnöten sind, um das Organ zu affizieren und damit zu aktualisieren. 297 Diese Erklärung, dass die reine Potentialität der Wahrnehmung in diesem Sinne zu verstehen ist, ist aber problematisch. 298 Zunächst ist Folgendes zu beachten: Jede physische Veränderung muss von außen initiiert werden, jede Veränderung an etwas geschieht von seinem ursprünglich potentiellen in den aktualen Status. Diese Veränderung wird durch etwas Aktuales verursacht, das verschieden von diesem potentiellen Etwas, mithin extern ist. Auch der Bronzeklumpen ist zunächst bloß potentiell eine Statue. Erst nach der Bearbeitung durch den Bildhauer, der u. a. die formale Veränderung initiiert, ist der Klumpen eine aktuale Statue. Dennoch ist der Bronzeklumpen in bestimmter Hinsicht aktual; er hat ja eine aktuale Existenz in Zeit und Raum, als ontologische Einheit, bestehend aus Form und Materie. Er verändert sich, indem er durch äußere Einwirkung zur Statue gehauen wird. Analog dazu hat die Wahrnehmung als Organ schon vor jeder Wahrnehmung in Form und Materie existiert, d. h. also, die Wahrnehmung ist in dieser organischen Hinsicht gerade nicht reine Potentialität, sondern immer schon aktual hinsichtlich der physischen Existenz. 299 Das bedeutet, dass jede Veränderung in einem as these sense-organs consist of the elements, which are objects of sense?« (Hicks, 1965, S. 350) 297 Vgl. z. B. Hamlyn und seine Deutung der aristotelischen Antwort: »Since the faculty is something which belongs essentially to an organ […], the actualization can take place only because of something ›external‹ ; thus the perception of the senseorgan itself by its own faculty does not occur […].« (Hamlyn, 1993, S. 99) 298 Hamlyn selbst weist auf ein Problem hin, das in dieser Antwort liegt: »The solution presupposes Aristotle’s scheme of things according to which the actualization of a potentiality must always be due to something else which is in some sense actual. But even if this is accepted, Aristotle has given no reason for the assumption that if something must have what is in effect an external cause it must also have an external object (leaving out of consideration the shift in the sense of ›external‹ that it involves).« (Hamlyn, 1993, S. 99–100) Deswegen lautet Hamlyns Urteil zu dieser Lösung: »It can surely only be a conceptual point that if we were in some way aware of our sense-organs in using them this would not count as perception […].« (Hamlyn, 1993, S. 100) Ich werde im Folgenden eine andere Deutung der aristotelischen Antwort versuchen. 299 Man vergleiche die Betonung der Körperlosigkeit des Denkvermögens aufgrund
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äußeren Einwirken besteht; jede Veränderung ist ein Übergang von einem potentiellen in einen aktualen Status, und dieser kann nur durch etwas herbeigeführt werden, das diese Aktualität besitzt. Was Aristoteles hier anspricht, ist, dass Wahrnehmung eben nicht bloß in der physischen Veränderung am Organ besteht. Durch diese Annahme entsteht erst das Faktum der Unmöglichkeit der Selbstwahrnehmung des Organs. Wenn der Prozess der Wahrnehmung nur im physikalischen Sinn zu verstehen wäre, dann dürfte dieser Selbstwahrnehmung nichts entgegenstehen. 300 Die Lösung der reinen Potentialität weist dagegen auf die intentionale Struktur der Wahrnehmung hin, d. h. dass Wahrnehmung immer auf etwas
seiner Universalität bzw. des Fehlens spezifischer Objekte. Das führt Aristoteles ja zu der Behauptung, dass das Denkvermögen körperlos und somit reine Potentialität sein muss, weil ein Organ schon für eine aktuale Existenz stehen würde; vgl. De an. III, 4, 429a24–27. Das Denken ist in keiner Weise etwas aktual Existierendes bevor gedacht wird, auch nicht in organischer Hinsicht; die Wahrnehmung dementgegen schon, weil sie ja immer schon durch ein Organ aktualisiert sein muss, um überhaupt stattfinden zu können. Die Wahrnehmung als einheitliches Vermögen beinhaltet bei Aristoteles immer auch diesen organischen Aspekt, was zu Beginn von De an. II, 5 offensichtlich wird. Hier ist eindeutig von der αἴσϑησις im Sinne des Organs, das aus den Elementen (στοιχείαι) besteht, die Rede; vgl. hierzu auch Ross, 1961, S. 235. Jedoch könnte die Verwendung von αἰσϑητικόν statt αἴσϑησις bezüglich der Charakterisierung der Wahrnehmung als δυνάμει μόνον schon darauf hinweisen, dass Aristoteles hier gerade nicht den physischen bzw. organischen Aspekt der Wahrnehmung meint, sondern jenen Aspekt angesprochen wissen will, der durch den physischen Prozess nicht erfasst wird, nämlich die Intentionalität. 300 Vielleicht ist in dieser Hinsicht der (pädagogische, weil lückenhafte) Hinweis auf das Brennbare (τό καυστόν) zu verstehen (καϑάπερ τό καυστόν οὐ καίεται αὐτό καϑ’ αὑτό ἄνευ τοῦ καυστικοῦ, De an. II, 5, 417a7–8). Zwar gilt sowohl für das Wahrnehmungsfähige als auch für das Brennbare, dass sie eine äußere Ursache benötigen, d. h. sich nicht selbst aktualisieren können (ἔκαιε γάρ ἂν ἑαυτό, καί οὐϑέν ἐδεῖτο τοῦ ἐντελεχείᾳ πυρός ὄντος, De an. II, 5, 417a8–9). Aristoteles spricht in diesem Sinne auch von der Wahrnehmung in zweifacher Hinsicht, nämlich als Potentialität und als Aktualität. Pädagogisch ist der Vergleich aber insofern, als der relevante Unterschied zwischen dem Brennbaren und dem Wahrnehmungsfähigen fehlt (und womöglich von den Studenten des Lykeion selbständig erarbeitet werden musste): Wenn das Brennbare durch eine äußere Ursache aktualisiert wurde, dann brennt es selbst. Wenn das Wahrnehmungsfähige durch eine äußere Ursache, ein Wahrnehmungsobjekt, aktualisiert wurde, dann nimmt es als Lebewesen zwar selbst wahr, aber eben auch immer etwas als intentionales Objekt. Wenn ein Gegenstand brennt, dann brennt er einfach, und zwar aufgrund seiner materialen Beschaffenheit (weswegen es zuvor etwas Brennfähiges ist). Wenn ein Lebewesen wahrnimmt, dann nimmt es aufgrund seiner organischen Beschaffenheit wahr, aber nicht einfach so, sondern immer auch etwas. Sprache, Bedeutung, Geist
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bezogen ist. Es geht in diesem Problem um den Gehalt der Wahrnehmung, den intentionalen Gegenstand, und nicht um die zugrundeliegenden physischen Prozesse, die am Organ stattfinden. Es ist dies das Eigentümliche der perzeptiven und kognitiven Vermögen, dass sie immer auf etwas gerichtet sind. Sie haben die Besonderheit der Intentionalität gegenüber der bloßen Eigenschaftsänderung von nur-physischen Prozessen. Alle Veränderungen kann man aus physikalischer Perspektive beschreiben und untersuchen, sowohl die natürlichen Geschehnisse als auch die psychischen Zustände von Lebewesen sind in dieser Hinsicht erklärbar. Auch von uns initiierte Veränderungen in der Natur (z. B. das kunstfertige Herstellen von Artefakten) stellen hinsichtlich ihrer physikalischen Beschreibung kein Problem dar. Eine weitreichende Besonderheit ergibt sich aber: Aristoteles erklärt natürliche Phänomene mittels seines Kausalmodells. Unter diese natürlichen Phänomene fallen auch die psychischen Vermögen und Fähigkeiten der Lebewesen. Nun ist aber v. a. der Mensch aufgrund dieser psychischen Fähigkeiten selbst in der Lage, Veränderungen in der Natur herbeizuführen, d. h., aufgrund seiner technischen Fähigkeiten ist er bspw. in der Lage, eine Statue herzustellen: Die Bronze ist die materiale Ursache, der Mensch als Bildhauer, der die Form in sich trägt, die Formursache. Der Clou ist nun, dass hier die Formursache ein autonom handelnder Mensch ist, der aufgrund bestimmter psychischer Vermögen und Fähigkeiten diese Tätigkeiten ausführen kann (er kann sich die Form, die die Statue haben soll, vorstellen; er hat die Fähigkeit, Bronze adäquat zu bearbeiten; er hat die Möglichkeit, sich dementsprechend willentlich zu bewegen). Wenn es nun darum geht, die diesen Vermögen zugrundeliegenden Prozesse, also die psychischen Vermögen von Lebewesen selbst zu untersuchen, dann betritt man eine höhere Erklärungsebene. Derjenige, der bestimmte Erklärungsmuster und Wissensformen anwendet, um die Welt zu verstehen und zu erklären, wird nun selbst zum Objekt des Interesses, wendet somit seine Erklärungsmuster, seine Untersuchungsmethoden auf sich selbst an; das Fundament des Erklärungsmodells, der menschliche Geist, soll nun wiederum selbst mit diesem Erklärungsmodell erklärt werden. 301 Diese epistemologische EbenenüberDie Problematik scheint sich in unseren Zeiten zu wiederholen. Man sehe sich etwa die Negierung der Willensfreiheit durch einige Vertreter der Hirnforschung (z. B. Singer, 2003; Roth, 2009; Eagleman, 2012) an. Weil unser Gehirn, das die physische Grundlage unserer mentalen Zustände ist, d. h. auch die Grundlage unserer
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schreitung hängt eng mit dem besonderen Charakter der psychischen Fähigkeiten des Menschen zusammen. Denn erst durch sie ist er befähigt, die Natur mittels Wissenschaft zu erklären. Vielleicht hat Aristoteles noch keine große systematische Klarheit in dieser Hinsicht erlangt, d. h. mentale Zustände und Prozesse eingehend zu charakterisieren (z. B. durch ein distinktes Konzept der Intentionalität), aber die generelle Idee der »Aufnahme der Form ohne die Materie« und das eben dargestellte Problem der direkten Wahrnehmung des Wahrnehmungsorgans sprechen dafür, dass er mentale Zustände zwar in physikalischer Sprache hat erklären und mit ihrer Hilfe einordnen und fundieren wollen. Gleichzeitig hat er aber erkannt, dass hier eine systematische Besonderheit, eine Ebenenüberschreitung vorliegt. Die Fragen hinsichtlich der Wahrnehmung, also warum sie sich selbst nicht wahrnimmt, wieso sie vielmehr auf intentionale Objekte angewiesen ist, sind in diesem Sinne zu verstehen. Etwas ist besonders und grundlegend verschieden an der Wahrnehmung gegenüber anderen physischen Prozessen, und diese Besonderheit muss bei den am Kausalmodell orientierten Erklärungsversuchen berücksichtigt werden. Um kurz zusammenzufassen: Aristoteles scheint in De an. II, 5 das Problem der physikalischen Erklärung psychischer Prozesse zum Thema zu machen. Die Frage nach der Unmöglichkeit der direkten Wahrnehmung des Organs spielt auf den besonderen Status mentaler vermeintlich freien und selbstgeleiteten Entscheidungsfindung, in den Rahmen der naturwissenschaftlichen Erklärungsstrategie fällt, gibt es keinen Platz für irgendeine Art von Freiheit, schon gar nicht eine eigene Freiheit. Denn analog zur Freiheitsdebatte läuft die Entzauberung dieses eigenen Ichs: Das vermeintlich frei entscheidende Ich ist nichts anderes als eine Illusion, hervorgerufen durch ein Organ, nämlich das Gehirn. Wir können das einsehen, so wird behauptet, indem wir verschiedene Experimente durchführen, die aufzeigen, dass unsere Handlungen beeinflusst oder gar gesteuert werden von unbewusst ablaufenden Prozessen im Gehirn (z. B. subliminale Stimulation oder Blindsehen). Es ist das Gehirn, das für uns entscheidet, nicht wir selbst. Abgesehen von den berechtigten sprachkritischen Einwänden (Janich, 2009; Beckermann, 2008; Bennett, et.al., 2007), die sich auf die Frage beziehen, ob man überhaupt sinnvoll von einem Organ, das Entscheidungen trifft, sprechen kann, wird hier oft die oben beschriebene Überschreitung der Erklärungsebene übersehen. In bestimmter Hinsicht ist ein frei entscheidendes Subjekt die Voraussetzung dafür, wissenschaftliche Untersuchungen überhaupt erst durchzuführen. Wenn nun dieses frei entscheidende Ich selbst Objekt der wissenschaftlichen Untersuchung wird, muss dieser spezielle Status berücksichtigt werden. Worin dieser besteht, muss hier nicht geklärt werden; klar ist aber, dass eine systematische Besonderheit besteht, und es scheint, dass auch Aristoteles diese Besonderheit erkannt hat. Sprache, Bedeutung, Geist
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Zustände an: Wir nehmen unser Organ nicht selbst wahr, zumindest nicht direkt, weil die Wahrnehmung auch einen nicht-physischen, nämlich einen intentionalen Aspekt aufweist – es reicht nicht aus, die physikalischen Vorgänge am Organ heranzuziehen, um Wahrnehmung hinreichend zu erklären: Ohne intentionale Gegenstände keine Wahrnehmung; und genau in dieser Hinsicht ist die Wahrnehmung reine Potentialität. Zwar ist die Wahrnehmung in organischer Hinsicht immer schon aktual, deswegen kann sich diese Charakterisierung als reine Potentialität nicht auf den physischen Prozess am Organ beziehen. Sie bezieht sich auf die intentionale Struktur dieser perzeptiven (und später auch kognitiven) Prozesse. Die Wahrnehmung hat einen Inhalt, der nie sie selbst im Sinne des Organs und der damit verbundenen physikalischen Prozesse sein kann. Die Rede davon, dass die Wahrnehmung bloß Potentialität (δυνάμει μόνον, De an., II, 5, 417a7) ist, spielt auf diese Abhängigkeit von perzipierbaren Dingen als den intentionalen Gehalten der Wahrnehmung an, nicht auf die Wahrnehmung im Gesamten, die ja immer schon als Organ körperlich aktualisiert ist. Die weitere Berücksichtigung dieser intentionalen Besonderheit von perzeptiven und in der Folge auch kognitiven Vermögen geschieht in De an. II, 5 durch insgesamt vier Unterscheidungen. Diese beziehen sich – wie schon erwähnt – auf eine semantische Erweiterung zentraler Begriffe des physikalischen Kausalmodells, und zwar bezüglich πάσχειν und ἀλλοίωσις sowie auf die beiden Stufen der Potentialität (δύναμις); dieser letzte Begriff wird von Aristoteles zweimal berücksichtigt, d. h., drei Begriffen stehen vier Differenzierungen gegenüber. Alle diese Unterscheidungen hängen inhaltlich eng zusammen; 302 sie beziehen sich auf die erwähnte Modifikation des Kausalmodells, das durch die von Aristoteles erkannte Besonderheit der perzeptiven und kognitiven Vermögen notwendig wurde. Die erste Unterscheidung, die dargestellt wird, besteht in der Einführung von zwei verschiedenen Bedeutungen von πάσχειν: Aristoteles spricht hier einerseits vom Untergang einer Eigenschaft durch den entsprechenden Gegensatz, andererseits von einem Bewahren.
Die vier Unterscheidungen werden im Folgenden anhand von Buchstaben (A–D) dargestellt. Innerhalb der jeweiligen Erläuterungen werden den beiden Bedeutungsnuancen Zahlen zugeordnet, also z. B. A1 und A2.
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A-Unterscheidung (πάσχειν, Erleiden; 417b2–5): οὐκ ἔστι δ’ ἁπλοῦν οὐδέ τό πάσχειν, ἀλλά A1: τό μέν φϑορά τις ὑπό τοῦ ἐναντίου, A2: τό δέ σωτηρία μᾶλλον τοῦ δυνάμει ὄντος ὑπό τοῦ ἐντελεχείᾳ ὄντος καί ὁμοίου οὕτως ὡς δύναμις ἔχει πρός ἐντελέχειαν. Das Erleiden [τό πάσχειν] ist nicht in einfacher Weise [zu verstehen], sondern [es ist] A1: einerseits eine Zerstörung durch den Gegensatz, A2: andererseits eher ein Bewahren des in Möglichkeit Seienden durch das in Aktualität Seiende und [ein Bewahren] des Ähnlichen auf die Weise wie das, was in Möglichkeit ist, sich zum Aktualen [verhält].
Die erste Form des Erleidens besteht in der schlichten Eigenschaftsänderung von Dingen. Hier gilt das Prinzip der Kontradiktion: Wenn ein Gegenstand weiß war und durch eine von außen initiierte Veränderung nun etwa rot ist, dann ist die Eigenschaft »weiß« durch seinen kontradiktorischen Gegensatz »nicht-weiß« zugrundegegangen. Die zweite Form des Erleidens wird von Aristoteles, ganz im Gegensatz zur ersten Art, als σωτηρία, also als Rettung, als Bewahrung umschrieben. Hicks schreibt in seinem Kommentar zum Verständnis dieser Umschreibung: »σωτηρία, i. e. not a deterioration or reversal, but an enhancing of the present condition, which is raised from potentiality to actuality.« (Hicks, 1965, S. 356) Auch hier wird der Gegensatz zur destruktiven ersten Art der Veränderung hervorgehoben. Nach Hicks besteht die Bewahrung in einem enhancement, nämlich vom potentiellen in den aktualen Status, womit genau das gemeint sein dürfte, was weiter oben hinsichtlich der reinen Potentialität als Intentionalität gesagt wurde. Auch Burnyeat geht in diese Richtung: »Rather than a destruction, the second type of alteration is better called a preservation (sôtêria, 417b3) of the state it starts from.« (Burnyeat, 2002, S. 55) Man kann davon ausgehen, dass sich Aristoteles mit der »Bewahrung des in Möglichkeit Seienden durch das in Aktualität Seiende« auf die nur potentielle Intelligibilität materieller Gegenstände bezieht, also dass materielle Gegenstände immer nur potentielle νοητά sind, die durch das Denken, durch das kognitive Erfassen als solch intelligible und intentionale Gehalte »gerettet« und bewahrt werden. 303 Das würde allerdings darauf hinweisen, dass mit dieser Unter303
Vgl. De an. III, 4, 430a6–7 wo Aristoteles meint, dass in den materiellen Gegen-
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scheidung v. a. der Denkvorgang gemeint ist, denn für die Wahrnehmung gilt eigentlich das umgekehrte Verhältnis, also dass das Wahrnehmungsobjekt das Aktuale, die Wahrnehmung das bloß Potentielle ist. 304 Das bedeutet, dass hier die »Bewahrung des in Möglichkeit Seienden durch das in Aktualität Seiende« nicht zutreffen würde. In der obigen Übersetzung von A2 wird aber davon ausgegangen, dass die Konjunktion (καί) stärker zu interpretieren ist als sonst üblich: 305 Auf der einen Seite die »Bewahrung des in Möglichkeit Seienden durch das in Aktualität Seiende« und auf der anderen Seite ein »Bewahren des Ähnlichen auf die Weise wie das, was in Möglichkeit ist, sich zum Aktualen verhält«. Mit dieser zweiten Wendung wäre dann die Wahrnehmung angesprochen, die das ihr Ähnliche, nämlich das aktuale Wahrnehmungsobjekt, bewahrt. Es ist ja auch so, dass die φαντασία genau diese Funktion des Speicherns, des Bewahrens erfüllt. Der Satz, der unmittelbar auf die A-Unterscheidung folgt und aufgrund des γάρ in grammatischer Hinsicht als eine Begründung für sie gilt, sich dann aber um die ἀλλοίωσις dreht, drückt aus, dass das Lebewesen, das Wissen besitzt, und zu einem Nachdenkenden wird (ϑεωροῦν γάρ γίγνεται τό ἔχον τήν ἐπιστήμην, De an. II, 5, 417b5–6), entweder keine Veränderung oder durch eine andere Art der Veränderung in diesen Zustand kommt (ὅπερ ἢ οὐκ ἔστιν ἀλλοιοῦσϑαι (εἰς αὐτό γάρ ἡ ἐπίδοσις καί εἰς ἐντελέχειαν) ἢ ἕτερον γένος ἀλλοιώσεως, De an. II, 5, 417b6–7). Die Begründung dafür, dass in diesem Fall keine ausschließliche Veränderung im Sinne von A1 vorliegt, besteht darin, dass es hier um eine selbstbezügliche »Steigerung« (ἐπίδοσις) und Vollendung (εἰς αὐτό γάρ ἡ ἐπίδοσις καί εἰς ἐντελέχειαν, De an. II, 5, 417b6–7) bestimmter Fähigkeiten geht und nicht um ein Untergehen, eine Zerstörung von Eigenschaften. Aristoteles entscheidet sich bekanntlich für die zweite Möglichständen jedes (entsprechende) νόητον nur potentiell vorliegt (ἐν δέ τοῖς ἔχουσιν ὕλην δυνάμει ἕκαστόν ἐστι τῶν νοητῶν). 304 Vgl. De an. II, 5, 418a3–6. 305 Theiler/Seidel übersetzt mit: »[…] die Bewahrung des in Möglichkeit Seienden durch das, was in der Vollendung ist und sich ebenso verhält, wie die Möglichkeit (Vermögen) zur Vollendung […]«, Hett mit: »[…] a preservation of that which is potential by something actual which is like it, in accordance with the relation of potentiality to actuality […]«, und Hicks mit: »[…] a preservation of what is potentially existent by what is actually existent and like it, so far as likeness holds of potentiality when compared with actuality.«
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keit; er behält die naturphilosophische Terminologie bei, erweitert sie aber um den intentionalen Bedeutungsaspekt. Mit dieser Unterscheidung wird klar, dass Aristoteles die beiden verschiedenen Aspekte der psychischen Vermögen, den physischen und den phänomenalen Aspekt, berücksichtigen und gleichzeitig konzeptuell, d. h. mit der Verwendung des identischen Vokabulars, zusammenhalten will. Dass die verschiedenen Unterscheidungen eng zusammenhängen, sieht man auch daran, dass Aristoteles in der Begründung für die A-Unterscheidung (πάσχειν) schon den Begriff der B-Unterscheidung (ἀλλοίωσις) diskutiert. Das ist möglich, weil er im Rahmen von II, 5 diese Ausdrücke als synonym annimmt. Diese Verwendungsweise der zentralen Begriffe zeigt sich auch unmittelbar vor der B-Unterscheidung, die erfolgt, nachdem er festgestellt hat, dass das Lernen als kognitive Fähigkeit nicht in der engen Bedeutung von πάσχειν beschrieben werden kann. 306 B-Unterscheidung (ἀλλοίωσις, Veränderung; 417b14–16): ἢ δύο τρόπους εἶναι ἀλλοιώσεως, B1: τήν τε ἐπί τάς στερητικάς διαϑέσεις μεταβολήν καί B2: τήν ἐπί τάς ἕξεις καί τήν φύσιν. Oder Veränderung [ἀλλοίωσις] ist auf zwei Weisen [zu verstehen], B1: im Sinne der Veränderung [μεταβολή] hin zu den privativen Zuständen und B2: im Sinne [der Veränderung] hin zu den Fähigkeiten und der Natur.
Die A- und die B-Unterscheidung überlappen sich, sie sind koreferentiell, betonen aber hinsichtlich der zweiten Art des Erleidens bzw. der Veränderung (A2 und B2) jeweils einen anderen Punkt: Das Erleiden ist bezüglich der A-Unterscheidung nicht (nur) als Vernichten, Aboder Untergehen einer Eigenschaft oder eines Zustands zu verstehen, durch diesen Prozess wird vielmehr etwas bewahrt oder gerettet, und zwar ist das, was bewahrt wird, das Objekt des jeweiligen Vermögens als intentionaler Gegenstand. Als Veränderung ist ein Wahrnehmungs- oder Denkvorgang ein Prozess, der nicht (nur) in einer bloßen Eigenschaftsänderung besteht, sondern, wie in der B-Unterscheidung deutlich wird, in der Aktualisierung einer Fähigkeit (ἕξις). 307 Vgl. De an. II, 5, 417b12–14. Vgl. zu dieser Passage auch weiter unten S. 256. Der griechische Ausdruck ἕξις wird bei Aristoteles meistens mit »Haltung« (vgl. Theiler/Seidl zu dieser Stelle), »Zustand« oder »Disposition« übersetzt. Das ist in
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Mit dieser Fähigkeit ist hier ein intentionaler und manchmal willentlich herbeigeführter Zustand zu verstehen, der der Natur (φύσις) des jeweiligen Lebewesens entspricht; es geht Aristoteles in der B2-Bedeutung um das teleologische Element bestimmter intentionaler Fähigkeiten, z. B. beim Strebevermögen, im Gegensatz zu kausalen Veränderungen im Sinne der Eigenschaftsänderung. Wie erwähnt ist für Aristoteles die Begründung für die A-Unterscheidung, dass bestimmte Prozesse, v. a. das Denken, »zu einem selbst und zur Vollendung« (εἰς αὐτό γάρ ἡ ἐπίδοσις καί εἰς ἐντελέχειαν, De an. II, 5, 417b6–7) gerichtet ist. Indem man Wissen (schaft) besitzt, besitzt man eine Fähigkeit, die selbstbezüglich ist. Das scheint etwas Verschiedenes von den »normalen« physischen Veränderungen (in B1: μεταβολή) zu sein. Wenn man das Kausalmodell, mit seinen zentralen Begriffen der Bewegung, Veränderung und des Erleidens als Erklärungsmodell auch für die psychischen Vermögen anwenden will, dann muss man an dieser Stelle entweder eine neue und ergänzende Bedeutung von Veränderung ansetzten oder aber feststellen, dass es sich hier überhaupt nicht um eine Veränderung und somit um natürliches und verstehbares Geschehen handelt; wie gesehen, wählt Aristoteles die erste Variante. Ein Problem, das aufgrund dieser Erweiterung entsteht, ist, dass man zwischen einer engen und einer weiten Bedeutung von πάσχειν, ἀλλοίωσις usw. unterscheiden muss. Das Problem wird durch den Umstand verstärkt, dass Aristoteles nicht immer vor dem Hintergrund der weiten Bedeutung arbeitet, sondern, wie im Rahmen der Beschreibung des Wahrnehmungs- und Denkvermögens als ἀπαϑές, oftmals mit der engen Bedeutung. Und in genau diesem Sinne kann Aristoteles beide Vermögen als ἀπαϑής charakterisieren, weil sie nicht auf die enge Bedeutung von πάσχειν zu reduzieren sind. Den koreferentiellen Unterscheidungen A und B wird eine dritte, die in 417a26–28 auftaucht, beigestellt:
vielen Fällen auch richtig; allerdings wird in diesem Kontext die ἕξις als (intentionale) Fähigkeit verstanden, was prinzipiell möglich ist. Inhaltlich gibt es dann auch eine Verbindung, denn um eine bestimmte Disposition zu besitzen bzw. sich in einem Zustand zu befinden, setzt eine entsprechende Fähigkeit dazu voraus. Vgl. hierzu auch S. 277, Anmerkung 341.
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C-Unterscheidung (δύναμις, Potentialität; 417a26–28): ἑκάτερος δέ τούτων οὐ τόν αὐτόν τρόπον δυνατός ἐστιν, ἀλλ’ C1: ὁ μέν ὅτι τό γένος τοιοῦτον καί ἡ ὕλη, C2: ὁ δ’ ὅτι βουληϑείς δυνατός ϑεωρεῖν, ἂν μή τι κωλύσῃ τῶν ἔξωϑεν. Die beiden [Wissenden in Potentialität] sind aber nicht auf dieselbe Weise in Möglichkeit, sondern C1: der eine, weil die Gattung von bestimmter Art ist und wegen der Materie, C2: der andere, weil er, wenn er will, fähig zum Betrachten ist, sofern [ihn] nichts von außen daran hindert.
Diese Passage steht in einem größeren Kontext: In diesem Kapitel II, 5 erwähnt Aristoteles in Bezug auf die Wahrnehmung die Unterscheidung von Potentialität und Aktualität. 308 Etwas später fügt er bezüglich des Grammatikwissens eine weitergehende Differenzierung der »potentiell Wissenden« (κατά δύναμιν ἐπιστήμονες, De an. II, 5, 417a30) ein. Diesen gegenüber steht zunächst der »aktual Wissende«, der, indem er seine Vernunftfähigkeit instantan ausführt, sein Vermögen voll aktualisiert (ὁ δ’ ἤδη ϑεωρῶν, ἐντελεχείᾳ ὢν καί κυρίως ἐπιστάμενος τόδε τό Α, De an. II, 5, 417a28–29). Es gibt nun nach Aristoteles zwei Arten von potentiell Wissenden, die in der CUnterscheidung angesprochen sind. In dieser Unterscheidung wird die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art (die »genetische« Ausstattung, γένος), die sich in der Materie (ὕλη) niederschlägt, als Bedingung für die erste Art der Potentialität angeführt und der Fähigkeit zur willentlichen Ausführung (βούλομαι) einer Tätigkeit als zweite Art der Potentialität gegenübergestellt. Durch die Artzugehörigkeit sind Menschen prinzipiell aufgrund ihrer organischen Ausstattung zum Aneignen bestimmter Fähigkeiten ausgestattet; dies kann man auch als die erste Stufe der Potentialität bezeichnen. Die zweite Stufe besteht darin, aufgrund von erworbenen Kenntnissen, zwar fähig zu sein, instantan und vielleicht auch willentlich eine Tätigkeit auszuführen, dies aber im Moment nicht zu tun. 309 Die beiden Arten der Potentialität sind also als aufeinander aufbauende Stufen der Potentialität zu verstehen, die Vgl. De an. II, 5, 417a9–13. Es fällt auf, dass Aristoteles in C2 die Freiwilligkeit der zweiten Art der Potentialität betont. Das kann allerdings nur für das Denkvermögen gelten, denn die Wahrnehmung liegt gerade nicht in unserem Willen.
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Aristoteles wenige Zeilen später auch mit einer weiteren, der D-Unterscheidung umschreibt: D-Unterscheidung (δύναμις, Potentialität; 417a30-b2): ἀμφότεροι μέν οὖν οἱ πρῶτοι κατά δύναμιν ἐπιστήμονες, ἀλλ’ D1: ὁ μέν διά μαϑήσεως ἀλλοιωϑείς καί πολλάκις ἐξ ἐναντίας μεταβαλών ἕξεως, D2: ὁ δ’ ἐκ τοῦ ἔχειν τήν αἴσϑησιν ἢ τήν γραμματικήν, μή ἐνεργεῖν δε, εἰς τό ἐνεργεῖν, ἄλλον τρόπον. 310 Die beiden ersten sind also Wissende in Potentialität, aber, D1: der eine, indem er durch Lernen verändert wird und sich oftmals von einem gegensätzlichen Zustand aus verändert, D2: der andere, [indem er] vom nicht aktualisierten Zustand des Habens der Wahrnehmung und des Grammatikwissens auf andere Weise zum aktualisierten Zustand [übergeht].
Es muss sich auch bei C und D um koreferentielle Unterscheidungen handeln, denn es sind jeweils explizit die beiden verschiedenen Potentialitätsstufen angesprochen. Die D-Unterscheidung ist aber etwas komplexer als die C-Unterscheidung. Es geht hier nicht so sehr um die Charakterisierung des potentiellen Status als solchen, also warum wir »potentielle Wissende« genannt werden können (nämlich einerseits aufgrund körperlicher Voraussetzungen, andererseits aufgrund unserer Fähigkeit, (willentlich) eine Tätigkeit auszuführen), sondern es geht um den Übergang, die Aktualisierung vom einen in den nächsthöheren Status. 311 Das würde bedeuten, dass man von der ersten, materiell bedingten Potentialitätsstufe in die zweite Potentialitätstufe, dem Haben eines Wissens, das zur willentlichen Ausführung des Vermögens befähigt, durch die in D1 beschriebene, passive »Veränderung durch Lernen« (διά μαϑήσεως ἀλλοιωϑείς) und die damit einhergehende Veränderung im Sinne des oftmaligen Wechsels vom Zustand des Unwissens zu dem des Wissens in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand. 312 V. a. in der zweiten Beschreibung wird ofOCT-Lesart; abweichend: μή ἐνεργεῖν δ’ εἰς τό ἐνεργεῖν ἄλλον τρόπον. Man achte auf die Häufung von Präpositionen in der D-Unterscheidung (διά, ἐκ, ἐξ, εἰς), die darauf hindeuten, dass es sich um einen Prozess handelt; auch die Verwendung des Aorist ist ein entsprechender Hinweis. 312 Seidl übersetzt die Wendung in D1 mit »[…] [der] durch Lernen sich verändert hat und vielmals in eine entgegengesetzte Haltung übergewechselt ist […]«, Hett mit »[…] through a qualitative alteration by means of learning, and after frequent 310 311
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fenbar, dass es um die in A1 und B1 umschriebene erste, d. h. physikalische Form der Veränderung geht, denn es tauchen hier die Ausdrücke »Gegensatz« (ἐναντία) aus A1, sowie die »Veränderung« (μεταβολή/μεταβάλλω) aus B1 auf. Das ist insofern konsequent, als es ja hier um die Entwicklung vom rein materiellen Zustand hin zu einer autonomen intentionalen Fähigkeit geht, von der ὕλη hin zur βουλή. 313 Man könnte es jedoch als Problem ansehen, dass im zweiten Teil von D1 die ἕξις auftaucht, denn die ist ja nach B2 gerade nicht im Sinne der ersten Art der Veränderung zu verstehen. Und wenn eine Koreferentialität besteht zwischen der C- und der D-Unterscheidung, dann sollte man doch erwarten, dass die ἕξις gerade nicht in D1, sondern erst in D2 auftaucht. Dieses Problem kann gelöst werden, indem man zwei verschiedene Bedeutungen von ἕξις unterstellt. In B2 wäre damit ein intentionales Vermögen (vgl. A2), das willentlich aktualisiert wird (vgl. C2), z. B. das Grammatikwissen (vgl. D2), gemeint. In D1 wäre mit ἕξις in allgemeinerer Weise ein Zustand gemeint, der sich durch Gegensätzliches definiert, und somit rückstandslos mit einer physikalischen Deutung vereinbar wäre. Dieser Lösungsansatz ist möglich, und in diesem Fall auch zu wählen, selbst wenn wir Aristoteles die Nachlässigkeit unterstellen müssen, die Bedeutung zentraler mehrdeutiger Begriffe (ἀλλοίωσις und δύναμις) wiederum mit einem mehrdeutigen Begriff (ἕξις) auszudifferenzieren – die Bedeutungsdivergenz ist in diesem Fall allerdings recht offensichtlich. changes from a contrary state […]«, Ross mit »[…] he can become a knower by undergoing a course of learning and by frequent changes from ignorance to knowledge […]«. Ross hat damit die geläufige Interpretation des πολλάκις ἐξ ἐναντίας μεταβαλών ἕξεως angedeutet, die Hamlyn in seinem Kommentar weiter expliziert: »Physical things have potentialities (dunameis) for natural movements in a given direction; but, as noted on 412a6, things which have a soul and, in particular, reason have a potentiality for opposites, the disposition to one of which is eliminated and the other reinforced in the process of training or education. (Thus according to Nicomachean Ethics 1103a34 ff. a man becomes just by doing just things.) This idea is invoked here in speaking of ›frequent changes from an opposite disposition‹.« (Hamlyn, 1993, S. 101) Das weist darauf hin, dass man zunächst eher passiv in den Prozess des Lernens eingebunden ist (man wird »an die Hand genommen«), um sich später zu verselbständigen, d. h. aktiv den Prozess des Lernens zu initiieren und zu steuern. 313 Genau hier liegt der entscheidende Punkt. In der Unterscheidung D ist m. E. der Versuch von Aristoteles zu beobachten, den Zusammenhang zwischen dem physischen Blinkwinkel auf der einen und dem intentionalen (und phänomenalen) Blinkwinkel auf der anderen Seite offenzulegen. Die beiden Blickwinkel werden miteinander verwoben, aber epistemologisch nicht aufeinander reduziert. Sprache, Bedeutung, Geist
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Ein weiteres Problem mit der D-Unterscheidung bleibt aber auch jenseits der Verständnisfrage von ἕξις bestehen. Denn vor der Einführung der B-Unterscheidung 314 stellt Aristoteles hinsichtlich der μάϑησις Folgendes fest: τό δ’ ἐκ δυνάμει ὄντος μανϑάνον καί λαμβάνον ἐπιστήμην ὑπό τοῦ ἐντελεχείᾳ ὄντος καί διδασκαλικοῦ ἤτοι οὐδέ πάσχειν φατέον, ὥσπερ εἴρηται, ἢ δύο τρόπους εἶναι αλλοιώσεως, […]. Man muss sagen, dass derjenige, der aus einem potentiellen Zustand heraus lernt und Wissen aufnimmt von einem, der sich in Aktualität befindet und im Unterrichten geübt ist, entweder nicht erleidet [οὐδέ πάσχειν], wie erläutert wurde, oder [man muss] die Veränderung [ἀλλοίωσις] auf zwei Weisen verstehen […]. De an. II, 5, 417b12–15
Das bedeutet, dass die B-Unterscheidung deswegen eingeführt wird, weil das Lernen von einem Lehrer gerade nicht im Sinne der engen Bedeutung von πάσχειν bzw. ἀλλοίωσις zu verstehen ist. 315 Das Lernen wird aber in D1 genannt und nicht in D2, wo es diesem Zitat zufolge eigentlich hingehörte. Die Aktualisierung des Denkvermögens, durch das der Mensch ein Wissender wird, ist gerade nicht mit der normalen, also der engen Bedeutung von Veränderung/Erleiden zu beschreiben, sondern mit der in A2 und B2 dargelegten. Wieso kommt Aristoteles dann dazu, in der D1-Bedeutung, also im rein materiell bestimmten Bereich der Potentialität, wie er in C1 dargestellt ist, das Lernen zu erwähnen? Die Lösung dieses vermeintlichen Widerspruchs liegt meiner Ansicht nach in der schon angesprochenen Betonung des Übergangs in der D-Unterscheidung. Während in der C-Unterscheidung der jeweilige (Ausgangs-)Status der potentiellen Zustände betrachtet wird, wovon der eine materiell, der andere voluntaristisch definiert ist, geht es in der D-Unterscheidung um den Übergang von der Potentialität erster zur Potentialität zweiter Stufe Vgl. zur B-Unterscheidung weiter oben S. 251. Hier zeigt sich auch, dass alle vier Differenzierungen parallel laufen, dass sie koreferentiell sind. Bei C und D ist das deswegen offenbar, weil explizit die zwei verschiedenen Weisen der Potentialität genannt werden, die hier unterschieden werden sollen. Durch das obige Zitat wird klar, dass wegen dem Lernen als Aktualisierung die Unterscheidung B eingeführt wird. Und dass diese koreferentiell mit A ist, wird klar durch den Hinweis auf die »semantische Ungenauigkeit« und den problemlosen Wechsel zwischen πάσχειν und ἀλλοιώσις an einigen Stellen.
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und schließlich hin zur Aktualität, zur Vollendung. D. h., die Verbindung von beiden Arten der Veränderung wird in der D-Unterscheidung zum Thema; irgendwie muss erklärt werden, wie sich aus den materiellen Grundlagen eines psychischen Vermögens eine spezifische Fähigkeit entwickelt, nämlich etwas wahrzunehmen oder etwas willentlich zu denken oder zu tun, ein Vorgang, der nicht mehr nur mit dem strikt physikalischen Vokabular beschrieben werden kann. Genau diese Erklärung wird in der D-Unterscheidung angedeutet. Wichtig hierbei ist die Interpretation von D1. Durch das Lernen wird jemand von der Potentialität erster zur Potentialität zweiter Stufe gebracht. Jemand bringt die materiellen bzw. organischen Voraussetzungen mit, und unter den entsprechenden äußeren Umständen (v. a. bezüglich des Lehrers) entsteht aus den rein materiellen Voraussetzungen ein psychisches Vermögen, das dann auch selbstbezüglich aktualisiert und ausgebaut werden kann. D1 beschreibt den Weg, der gegangen werden muss, um Wissen zu erlangen. Durch einen Lehrer werden materielle Veränderungen hervorgerufen (διά μαϑήσεως αλλοιωϑείς). 316 Das Aneignen von Wissen muss durch einen Lehrer initiiert werden, aber das Lernen schreitet aufgrund der so erworbenen Kenntnisse immer weiter voran, und zwar auch durch eigenständiges und selbstbezügliches Anwenden des schon erworbenen Wissens. Zur vollen Aktualisierung (ἐντελέχεια) kommt das Vermögen aber erst dann, wenn etwas per demonstrativem Wissen im strengen Sinn gewusst wird, wenn man einen Sachverhalt wissenschaftlich erfasst (in aristotelischen Worten: ἐπίσϑασϑαι τόδε τό Α, De an. II, 5, 417a29). Beide Varianten des ersten Übergangs, das zunächst uneigenständige sowie das darauf aufbauende eigenständige Lernen, sind hier mit physischer Veränderung (μεταβολή) in Verbindung gebracht. Erhellend ist diesbezüglich auch ein Hinweis auf die »erste Veränderung« (πρώτη μεταβολή, De an. II, 5, 417b17) hinsichtlich der Wahrnehmung in 417b16–18. Denn die kommt vom Erzeuger her (ὑπό τοῦ γεννῶντος, De an. II, 5, 417b17). Hier nimmt Aristoteles Man beachte den passiven Charakter der Formulierung: Durch Lernen wird jemand verändert, er verändert sich nicht selbst. Dies ist die Voraussetzung dafür, um überhaupt selbstgerichtet (εἰς αὐτό, wie es in 417b6 heißt) zu denken, zu lernen und zu forschen, sich also autonom in der Wissenschaft zu bewegen. Niemand kann ein »Wissender« werden, wenn nicht ein Lehrer die Rolle der (Formal-)Ursache für die materiellen Grundvoraussetzungen gespielt hat. Genau hierin ähnelt sich die Idee vom tugendhaften Menschen, der nur durch richtige praktische Anleitung tugendhaft werden kann.
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klarerweise auf die materiellen Aspekte der Wahrnehmung Bezug, also auf das Organ. Und in unserer körperlichen Ausstattung sind wir von unseren Erzeugern (im Sinne ihrer Artzugehörigkeit) abhängig. Zweierlei wird hier deutlich: Zum einen und erneut, dass im Rahmen der diskutierten Unterscheidungen die μεταβολή den rein physischen Aspekt aufgreift, denn im intentionalen Sinne sind – bezüglich der D-Unterscheidung – nicht unsere Erzeuger für die (Aktualisierung der) Wahrnehmung verantwortlich, sondern die perzipierbaren Objekte (die Ausnahme ist sicherlich, wenn man etwa seinen Vater als perzipierbares Objekt wahrnimmt). Zum anderen kommt Aristoteles im selben Abschnitt implizit auf die Organlosigkeit des Denkvermögens zu sprechen, indem er sagt, dass wenn jemand geboren ist, er die Wahrnehmung dann schon hat, genauso wie er die Wissenschaft hat (ὅταν δέ γεννηϑῇ, ἔχει ἤδη, ὥσπερ ἐπιστήμην, καί τό αἰσϑάνεσϑαι, De an. II, 5, 417b18). Gemeint ist hier die erste, materiell bedingte Potentialitätsstufe; wir kommen in dieser Hinsicht nicht als »reine Potentialitäten« auf die Welt, sondern die genetische, materiale bzw. organische »Austattung« ist uns mit der Geburt, dank der Artzugehörigkeit der Eltern, schon mitgegeben, und wir sind fähig, ohne weiteres Lernen, nur unter der Bedingung des Vorhandenseins von Wahrnehmungsobjekten, die Welt wahrzunehmen. 317 Hamlyn betont diesen Umstand wie folgt: »In the case of perception the hexis is born with us. The first change, i. e. the transition from dunamis to hexis, does not have to be acquired; it takes place on conception. We do not have to learn to perceive; we can perceive already
In einem gewissen Sinn muss ein Kleinkind auch das Sehen erst erlernen; es hat nicht vom ersten Öffnen der Augen an ein schon voll ausgereiftes Wahrnehmungsvermögen. Aber diese Art des Lernens ist von der Hauptbedeutung von »lernen« zu unterscheiden: Wir lernen das Fahrradfahren oder eine Fremdsprache, indem wir unseren Körper oder unseren Geist anstrengen und trainieren – und zwar aus eigenem Antrieb. Das Sehen-Lernen ist wohl eher als ein physikalischer Prozess im Sinne der Entwicklung neuronaler Verbindungen innerhalb des zuständigen Gehirnareals und dessen Verbindung zum Organ zu verstehen. Dieser Prozess wird nicht durch uns willentlich initiiert, sondern durch äußere Reize. Diese äußeren Reize sind die externen Objekte der Wahrnehmung. Die Fähigkeit, diese wahrzunehmen, fundiert im Besitz der entsprechenden organischen Ausstattung; und diese ist uns mit der Geburt schon mitgegeben, ohne weiteres Zutun und Handeln der jeweiligen Person selbst. Aristoteles scheint eine solche Grundausstattung für das Denkvermögen auch anzunehmen – das Problem ist, dass diese nicht körperlich, nicht organisch verstanden werden darf.
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when born and our capacity is then, qua capacity, like knowledge.« (Hamlyn, 1993, S. 102)
Doch inwiefern gilt das für das Denkvermögen? Was kann es heißen, dass wir schon mit der Geburt die Wissenschaft besitzen? Auch hier ist eine ἕξις im Sinne einer Fähigkeit angesprochen, die aber nicht organisch bestimmt ist, sondern auf eine andere Art, nämlich im Sinne einer apriorischen Verstandesfähigkeit, die die Voraussetzung für den Erwerb von Wissenschaft ist – diese apriorische und »unkörperliche« Fähigkeit wird unten im Rahmen der Unterscheidung von passivem und aktivem Intellekt noch weiter ausbuchstabiert; aber schon in diesem Zitat wird klar, dass für das Denkvermögen analog zur Wahrnehmung gilt, dass eine grundlegende ἕξις allein durch die Geburt und ohne weiteren Lernprozess des jeweiligen Lebewesens gegeben ist – damit ist klarerweise auch die epistemische Fundierungsfrage angesprochen, in diesem Kontext aber nicht im Sinne eines propositionalen Wissens vom Inhalt der wissenschaftlichen Prinzipien, sondern im Sinne einer epistemischen Fähigkeit: Wir können wahrnehmen, weil wir ein Wahrnehmungsorgan haben, wir können denken und sprechen, weil wir eine nicht-organisch bestimmte Fähigkeit haben, weil wir ein apriorisches Sprachwissen, besser: eine Sprachfähigkeit im Sinne einer ἕξις haben – wie wir von diesen Fähigkeiten des Wahrnehmens und Denkens wissen können, ist eine andere erkenntnistheoretische bzw. wissenschaftstheoretische Frage, die Aristoteles unter anderem in De an. (Wie funktionieren die perzeptiven und kognitiven Vermögen?) und in An. post. (Wie funktioniert Prinzipienerkenntnis?) behandelt. Bezüglich der D-Unterscheidung scheint für Aristoteles auch der Prozess des Wissenserwerbs, nach der hier versuchten Deutung, physisch fundiert zu sein: Der Lernprozess, das Aneignen von Wissen geht, wie in der D-Unterscheidung beschrieben, mit physischen Veränderungen einher, ist aber nicht auf diese zu reduzieren, eine vorempirische Fähigkeit zur Sprache ist vonnöten. Hier ergibt sich wiederum ein vielversprechender Ansatz, das Problem der Unkörperlichkeit des Denkvermögens zu entschärfen – parallel zum schon dargestellten Bedingungsverhältnis von Vorstellung (φαντασία) und Denken (νοῦς) im ersten Buch von De an. Wenn Aristoteles im obigen Zitat De an. II, 5, 417b12–15 behauptet, dass wir für das Lernen einen anderen Begriff von Veränderung brauchen, dann stellt das keinen Widerspruch zu D1 dar. VielSprache, Bedeutung, Geist
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mehr liegt hier die Betonung auf der Eigenständigkeit intentionaler Vermögen gegenüber physischen Prozessen, d. h. ihrer theoretischen Irreduzibilität. Psychische Vorgänge sind nicht zu reduzieren auf physische – das wird in 417b12–15 deutlich gemacht. Das bedeutet aber nicht, dass psychische Vorgänge die physischen nicht voraussetzten. Die Abhängigkeit von organischen und materiellen Kriterien spricht nicht gegen die Eigenständigkeit der intentionalen Prozesse – das wird in der D-Unterscheidung 417a30-b2 angedeutet. In moderner Terminologie spricht man etwa von Supervenienz. Zurück zur ἀπάϑεια Was sagen uns diese Erkenntnisse hinsichtlich des eingangs dargestellten Rätsels der ἀπάϑεια? Es gilt zunächst eine Lesart der ἀπάϑεια auszuschließen, die Hicks darstellt, aber umgehend verwirft, nämlich im Sinne von: »[…] not having yet suffered, i. e. devoid of the objects of thought which it is to receive […].« (Hicks, 1965, S. 476) Dies wäre ein entwicklungspychologischer Blickwinkel, der nur den allerersten Ausgangspunkt, eine hypothetische tabula rasa-Situation, berücksichtigen würde. Es ist aber so, dass Aristoteles sowohl der Wahrnehmung als auch dem Denken in systematischer Hinsicht die ἀπάϑεια zuschreibt. Die Charakterisierung der perzeptiven und kognitiven Vermögen als ἀπαϑές lässt sich – dafür wurde in den zurückliegenden Ausführungen argumentiert – zurückführen auf die Differenzierung von physischen und intentionalen Aspekten psychischer Vermögen. In einem strengen Sinne von πάσχειν sind diese Vermögen ἀπαϑές, weil die physikalische Erklärung schlichtweg nicht ausreicht, um der intentionalen Struktur dieser Vermögen gerecht zu werden, zumal die streng physikalisch verstandene Veränderung ein Zerstören von Eigenschaften beschreibt, der intentionale Aspekt aber im Bewahren des intentionalen Objekts besteht. Mit der ἀπάϑεια betont Aristoteles nach De an. II, 5, 417b2–9 besondere Prozesse intentionaler Natur, die zwar auch durch eine physikalische Beschreibung erfasst werden können, weil auch sie auf den physischen Prozessen supervenieren, aber aufgrund ihrer besonderen selbstbezüglichen und intentionalen Struktur auch auf einer anderen als der physikalischen Ebene beschrieben werden können und beschrieben werden müssen. Deswegen sind sowohl Wahrnehmung als auch Denken »apathisch«; es liegt hinsichtlich der Erklärung ihrer intentionalen Struktur keine »normale« Eigenschaftsänderung vor, die ja in einem Zugrundegehen be260
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steht – im Gegenteil: Kern eines intentionalen Zustands ist das Bewahren des jeweiligen Objekts als intentionalen Gehalt. Es liegt zwar immer auch eine Eigenschaftsänderung vor, denn wo immer ein intentionaler Zustand vorliegt, verändert sich auch etwas physisch, kommt eine Eigenschaftsänderung im Schema der Kontradiktion vor. Doch ist bei intentionalen Zuständen eben nicht diese physikalische Beschreibungsebene von primärem Interesse. Wenn man jemanden fragt, was er gegenüber an der Straßenecke sieht, erwartet man nicht, dass er den physikalischen Prozess, der der Wahrnehmung zugrunde liegt, erläutert (»Nunja, aufgrund des Lichteinfalls auf meine Netzhaut und des Zustands meines Sehnervs und der Neuronen im primären visuellen Kortex ergibt sich Folgendes neurophysiologisches Muster«), sondern man erwartet die Erwähnung des Inhalts der entsprechenden Wahrnehmung (»Ich sehe eine alte Frau mit Hund«). Nun muss aber noch auf einen wichtigen Unterschied eingegangen werden: Aristoteles differenziert ja weiter zwischen der perzeptiven und der kognitiven ἀπάϑεια. Schon in den oben behandelten Passagen zu den verschiedenen Unterscheidungen des ursprünglich physikalischen Vokabulars wurde deutlich, dass beide Vermögen, Perzeption und Kognition, Berücksichtigung finden – klarerweise, denn beide sind intentional struktuiert. Aber schon zu Beginn der Ausführungen über die Leidensunfähigkeit des Denkvermögens wurde darauf hingewiesen, dass sie von derjenigen des Wahrnehmungsvermögens zu unterscheiden ist. Worin besteht nun dieser Unterschied? Ausdrücklich diskutiert Aristoteles diesen Unterschied in der folgenden Passage, die zum einen die gerade entwickelte Deutung festigt und zum anderen die Differenzierung zwischen aisthetischer und noetischer ἀπάϑεια erhellt: ὅτι δ’ οὐχ ὁμοία ἡ ἀπάϑεια τοῦ αἰσϑητικοῦ καί τοῦ νοητικοῦ, φανερόν ἐπί τῶν αἰσϑητηρίων καί τῆς αἰσϑήσεως. ἡ μέν γάρ αἴσϑησις οὐ δύναται αἰσϑάνεσϑαι ἐκ τοῦ σφόδρα αἰσϑητοῦ, οἷον ψόφου ἐκ τῶν μεγάλων ψόφων, οὐδ’ ἐκ τῶν ἰσχυρῶν χρωμάτων καί ὀσμῶν οὔτε ὁρᾶν οὔτε ὀσμᾶσϑαι: ἀλλ’ ὁ νοῦς ὅταν τι νοήσῃ σφόδρα νοητόν, οὐχ ἧττον νοεῖ τά ὑποδεέστερα, ἀλλά καί μᾶλλον: τό μέν γάρ αἰσϑητικόν οὐκ ἄνευ σώματος, ὁ δέ χωριστός. Dass aber die Leidensunfähigkeit des Wahrnehmungsfähigen nicht dieselbe ist, wie die des Denkfähigen, wird offensichtlich bezüglich des Wahrnehmungsorgans und der Wahrnehmung [selbst]. Denn die Wahrnehmung ist nicht fähig, nach einem starken Objekt [etwas anderes] wahrzunehmen, Sprache, Bedeutung, Geist
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z. B. einen Ton nach lauten Tönen; auch nach kräftigen Farben und Gerüchen ist [die Wahrnehmung] weder [fähig] zu sehen noch zu riechen. Wenn aber die Vernunft ein starkes Denkobjekt denkt, dann denkt sie das Schwächere nicht schwächer, sondern sogar besser. Denn das Wahrnehmungsfähige besteht nicht ohne den Körper, die [Vernunft] ist [davon aber] abgetrennt. De an. III, 4, 429a29-b5
Hier bezieht sich Aristoteles hinsichtlich der ἀπάϑεια der Wahrnehmung ausdrücklich auch auf das Organ der Wahrnehmung, das nach starken sensorischen Eindrücken normale oder schwächere Objekte nicht wahrnehmen kann. 318 Das zeigt nochmals die große Spannung, die entsteht, wenn Aristoteles das Wahrnehmungsfähige einerseits als ἀπαϑές bezeichnet, sich dann aber auf das physische Organ bezieht, das mit dem gängigen Schema der aristotelischen Physik zugänglich ist, um die perzeptive im Unterschied zur noetischen ἀπάϑεια zu erläutern. Der intentionale Gehalt der Wahrnehmung (im Sinne der so verstandenen ἀπάϑεια) hängt unmittelbar mit dem physischen Zustand des Organs zusammen: Wenn das Organ durch einen Wahrnehmungsprozess oder auf andere Weise Schaden nimmt, dann kann auch kein Gehalt erfasst werden. Nach einer lauten Explosion, »schafft« es das leisere Vogelgezwitscher nicht mehr, Inhalt der Wahrnehmung zu sein, weil das Organ entsprechend beeinträchtigt ist. Beim Denken passiert das aber nicht; dort gilt: Je »stärker« das Objekt, desto besser lassen sich auch die darauf folgenden schwächeren Objekte denken bzw. erfassen. Dass das Denkvermögen nun nicht durch »starke Objekte« physisch zerstört werden kann, wird erklärt durch das Spezifikum der Unvermischtheit, der Organlosigkeit. Dass sich nach »starken Denkobjekten« auch die schwächeren besser erfassen lassen, ist als ein zu erklärendes Phänomen des Denkens, als explanandum zu verstehen: Wenn man die Grundlagen und Prinzipien einer bestimmten Wissenschaft erfasst hat, dann lassen sich alle Zusammenhänge, d. h. auch die untergeordneten und spezifischen Aspekte eines Wissensgebiets, besser verstehen – es fügt sich alles zu einem stimmigen Ganzen, zu einer systematischen Einheit. Bekanntlich unterscheidet Aristoteles
Vgl. De an. III, 4, 429a29-b4. Vgl. auch De an. II, 12, 424a28–30, wo Aristoteles von der Zerstörung des Organs bei zu »starken« Objekten spricht: φανερόν δ’ ἐκ τούτων καί διά τί ποτε τῶν αἰσϑητῶν αἱ ὑπερβολαί φϑείρουσι καί αἰσϑητήρια.
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ja zwischen »dem uns Bekannteren« und »dem an sich Bekannteren«. 319 Letzteres beinhaltet diese Prinzipien und Grundlagen der Wissenschaften, ersteres sind die Wahrnehmungen. Es liegt uns zunächst das sinnlich Wahrnehmbare als das uns Bekannte näher; aber wir verstehen das, was wir wahrnehmen – das wären dann schwächere, nicht allzu abstrakte Objekte des Denkens –, erst dann richtig und besser, wenn wir gewisse theoretische Grundlagen erfasst haben. In einem gewissen Sinne müssen wir zunächst bestimmte Prinzipien verstehen und kennen, um damit die uns erscheinende Welt erklären zu können. Auch hier spiegelt sich in gewisser Hinsicht das zu Beginn erwähnte epistemologische Begründungsproblem wider. Einen weiteren Hinweis zum Verständnis der noetischen ἀπάϑεια findet sich im letzten Abschnitt (429b22–430a9) von De an. III, 4. Dort stellt Aristoteles die folgende Frage: ἀπορήσειε δ’ ἄν τις, εἰ ὁ νοῦς ἁπλοῦν ἐστί καί ἀπαϑές καί μηϑενί μηϑέν ἔχει κοινόν, ὥσπερ φησίν Ἁναξαγόρας, πῶς νοήσει, εἰ τό νοεῖν πάσχειν τί ἐστιν (ᾗ γάρ τι κοινόν ἀμφοῖν ὑπάρχει, τό μέν ποιεῖν δοκεῖ τό δέ πάσχειν) […] Jemand könnte fragen: Wenn das Denken [ὁ νοῦς] etwas Einheitliches und Leidensunfähiges ist und nichts mit irgendetwas anderem gemeinsam hat, so wie Anaxagoras sagt, wie denkt man, wenn das Denken [τό νοεῖν] ein Erleiden ist (denn insofern [bei zwei Dingen] etwas Gemeinsames vorliegt, da scheint das eine zu wirken, das andere zu erleiden)? De an. III, 4, 429b22–26
Aristoteles stellt sich hier dem Problem, wie es zu verstehen ist, dass etwas als systematische Einheit leidensunfähig ist und keine Gemeinsamkeit mit anderem hat, wenn gleichzeitig gesetzt wurde, dass das Denken ein Erleiden ist und insofern auch eine Gemeinsamkeit zwischen dem Wirkenden und dem Erleidenden vorliegen muss. Zunächst muss man sehen, dass hier ausschließlich die ἀπάϑεια des Denkvermögens angesprochen ist; denn bei der Wahrnehmung gibt es ja diese Gemeinsamkeit zwischen Wirkendem und Erleidendem, die in der isomorphen Struktur, in der Angleichung des λόγος liegt. Das Wahrnehmungsobjekt wird aufgrund der »Aufnahme der Form der Materie«, d. h. mittels eines physischen Prozesses, als intentiona-
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Vgl. z. B. An. post. I, 2, 71b33–72a4.
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les Objekt, als αἴσϑημα, erfasst. Zwischen Objekt und Organ kommt es zu einer Angleichung hinsichtlich des λόγος. Das angesprochene Problem liegt demnach nicht in der allgemeinen, auch die Wahrnehmung betreffende Frage, wie überhaupt etwas ἀπαϑές sein kein, wenn es mit dem physikalischen ποεῖν/πάσχεινMuster erfasst wurde. Denn auch die Wahrnehmung weist ja diesen Doppelaspekt auf, und mit den obigen Ausführungen wurde versucht darzulegen, wie dieser Doppelaspekt psychischer Vermögen zu verstehen ist. Das eigentliche Problem liegt darin, dass es für das Denken keine externen Objekte gibt, die als aktualisierte Objekte der Ursprung einer physischen Affektion im Sinne des Bewirkens und Erleidens sein können. Die in der Folge von Aristoteles genannten Ansätze zur Beantwortung der gestellten Frage bestätigen das. Er erwähnt dort zwei Lösungsmöglichkeiten. Zum einen, dass den Objekten des Denkens der νοῦς beigemischt ist (ἢ γάρ τοῖς ἄλλοις νοῦς ὑπάρξει, De an. III, 4, 429b27), d. h. dass hier ebenso wie bei der Wahrnehmung der Fall vorliegt, dass mit Objekt und Organ ein isomorphes Verhältnis bestehen kann, weil eine gemeinsame »Materialgrundlage« vorliegt. 320 Zum anderen, dass dem Denken (hier als ἕξις) etwas beigemischt ist, was dafür sorgt, dass das Denken selbst, genauso wie die anderen νοητά, »denkbar« wird (ἢ μεμιγμένον τι ἕξει, ὅ ποιεῖ νοητόν αὐτόν ὥσπερ τἆλλα, De an. III, 4, 429b28–29). Das sind allerdings für Aristoteles keine Lösungsmöglichkeiten, weil er ja, aufgrund bestimmter Phänomene des Denkens, nämlich der Universalität und der Nichtminderung der Leistungsfähigkeit durch starke Denkobjekte, darauf besteht, dass es unvermischt ist. Die Antwort, die Aristoteles gibt, lautet: Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass der νοῦς die νοητά in Möglichkeit ist, aber weder Objekt noch Organ in Wirklichkeit, bevor überhaupt gedacht wird ([…] ὅτι δυνάμει πώς ἐστι τά νοητά ὁ νοῦς, ἀλλ’ ἐντλεχείᾳ οὐδέν, πρίν ἂν νοῇ, De an. III, 4, 429b30–31); hier würde – im Gegensatz zur Wahrnehmung – die Bezeichnung »reine Potentialität« in absoluter Weise zutreffen, denn es gibt kein Organ des Denkens, und auch die Objekte des Denkens sind erst dann »existent«, wenn das Vermögen aktualisiert wird. Die Analogie, die Aristoteles erwähnt, ist berühmt: Es verWeil zwischen der Wahrnehmung im Sinne des Organs und den Objekten diese Gemeinsamkeit vorliegt – beide bestehen aus den materiellen στοιχείαι –, kam es zum Problem der Selbstwahrnehmung des Organs, dessen Lösung im besonderen intentionalen Charakter der Wahrnehmung bestand.
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hält sich so wie bei einer Schreibtafel, auf der noch nichts geschrieben steht (δεῖ δ’ οὕτως ὥσπερ ἐν γραμματείῳ ᾧ μηϑέν ὑπάρχει ἐντελεχείᾳ γεγραμμένον, De an. III, 4, 429b32–430a2). Wie trägt diese Analogie zum besseren Verständnis der noetischen ἀπάϑεια bei? Man könnte zunächst skeptisch sein, da ja eine Schreibtafel gerade keine reine Potentialität ist, sondern ein handfester materieller Gegenstand, der, bei entsprechender Wirkursache, Objekt einer materiellen Veränderung sein kann. Es scheint Aristoteles aber um die Idee zu gehen, dass auf der Tafel potentiell alle möglichen Buchstaben, Wörter oder Sätze stehen könnten, d. h. dass die Schreibtafel zwar nichts aktual an Buchstaben enthält, potentiell aber alle; eben genauso wie der νοῦς alle Gedanken, alle Objekte des Denkens, einfache wie zusammengesetzte, starke wie schwache, enthalten kann, aber bevor sie gedacht werden, nichts Aktuales (im Sinne eines Organs) darstellt. Man könnte diese Interpretation der Analogie noch weiter treiben, indem man eine Brücke zur Wahrnehmung schlägt, die dann gleichzeitig die physische Gebundenheit des Denkvermögens illustriert: Genauso wie bei der Wahrnehmung das Organ schon aktual existent sein muss, damit jemand überhaupt ein externes Objekt wahrnehmen kann, so ist auch die Tafel schon aktual existent, was notwendig ist, um überhaupt darauf schreiben zu können. Die Beschaffenheit der Tafel ist auf dieser materiellen Ebene jedoch nur von der Art, dass sie die Farbe der Kreide aufnehmen kann (so wie wir mit dem visuellen Organ Farbe wahrnehmen können). Was die verschiedenen Einheiten, die Buchstaben, Sätze etc., aber bedeuten, kann nicht auf dieser Ebene erfasst werden (genauso wie wir auf bloß perzeptiver Ebene die Bedeutung des Ausdrucks »rot« im Sinne des lexikalen Konzepts noch nicht erfassen können). Die Tafel qua Materie, analog zum Wahrnehmungsvermögen qua Organ, ist zwar eine notwendige Bedingung für das organisch bedingte Aufnehmen von sprachlichen Lauten, aber etwas anderes ist hinreichend, um die Bedeutung dieser Laute zu verstehen – und das ist das Denkvermögen, der νοῦς, im Sinne einer Fähigkeit, einer reinen Potentialität. Damit wäre noch einmal klar gemacht, dass Denken ohne gewisse materielle Voraussetzungen nicht möglich, seine Funktionsweise aber unabhängig von einem Organ zu verstehen ist. Es dürfte schließlich auch kein Zufall sein, dass Aristoteles in dieser Schreibtafel-Analogie Sprachzeichen (γράμματα) verwendet; die Grundlage des Denkvermögens besteht in der nicht organisch bestimmten Fähigkeit, sprachliche Bedeutung zu erfassen. Sprache, Bedeutung, Geist
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Der Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Denkvermögen hinsichtlich der Objekte und somit auch der intentionalen Gehalte wird in folgender Passage nochmals deutlich: τό κατ’ ἐνέργειαν δέ ὁμοίως λέγεται τῷ ϑεωρεῖν: διαφέρει δέ, ὅτι τοῦ μέν τά ποιητικά τῆς ἐνεργείας ἔξωϑεν, τό ὁρατόν καί τό ἀκουστόν, ὁμοίως δέ καί τά λοιπά τῶν αἰσϑητῶν. αἴτιον δ’ ὅτι τῶν καϑ’ ἕκαστον ἡ κατ’ ἐνέργειαν αἴσϑησις, ἡ δ’ ἐπιστήμη τῶν καϑόλου: ταῦτα δ’ ἐν αὐτῇ πώς ἐστι τῇ ψυχῇ. διό νοῆσαι μέν ἐπ’ αὐτῷ, ὁπόταν βούληται, αἰσϑάνεσϑαι δ’ οὐκ ἐπ’ αὐτῷ: ἀναγκαῖον γάρ ὑπάρχειν τό αισϑητόν. Hinsichtlich der Aktualisierung reden wir vom Denken in ähnlicher Weise [wie von der Wahrnehmung]. Dennoch unterscheiden sie sich, da für das eine die Bewegungsursache der Aktualisierung [τά ποιητικά τῆς ἐνεργείας] außerhalb liegt, das visuelle und das akustische Objekt, ebenso die übrigen Wahrnehmungsobjekte. Der Grund dafür ist, dass die aktualisierte Wahrnehmung vom Einzelnen ausgeht, das Wissen jedoch vom Allgemeinen. Dies ist auf bestimmte Weise in der Seele selbst. Deswegen liegt das Denken bei einem selbst, wann immer man will, das Wahrnehmen liegt nicht bei einem selbst. Denn notwendigerweise muss ein Wahrnehmungsobjekt vorliegen. De an. II, 5, 417b19–26
Die Analogie zwischen Wahrnehmen und Denken wird auch hier betont, aber die Aktualisierung der Vermögen geschieht auf jeweils andere Weise, und zwar deswegen, weil die Wahrnehmungsobjekte – wie schon oben angesprochen wurde – extern sind, die Objekte des Denkens hier aber als intern verstanden werden. Der Grund, den Aristoteles in diesem Kontext erwähnt, besteht in der Allgemeinheit (καϑόλου) der Denkobjekte bezüglich der Wissenschaften, und diese Allgemeinheiten sind »in irgendeiner Weise« in der Seele selbst (ταῦτα δ’ ἐν αὐτῇ πώς ἐστι τῇ ψυχῇ, De an. II, 5, 417b23–24). Das bedeutet, dass sich die ἀπάϑεια, also die Intentionalität des perzeptiven und des kognitiven Vermögens, auch darin unterscheidet, dass die Objekte auf verschiedene Weisen zu verstehen sind: Wahrnehmungsobjekte sind vermögensextern, Denkobjekte vermögensintern. Daran knüpft Aristoteles die Erklärung an, dass das Denkvermögen genau deswegen voluntaristisch bestimmt ist, dass es in unserer Macht liegt; wären die Objekte extern, wäre unser Denken davon ab-
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hängig, welche Objekte gerade vorliegen, und wir könnten nicht selbständig und eigenverantwortlich denken und handeln. 321 Die Internalität der Denkobjekte, die im Zusammenhang mit der spezifisch noetischen ἀπάϑεια von Aristoteles behauptet wird, ist eine Besonderheit des Denkvermögens, die Aristoteles in den einführenden Bemerkungen mit der variierenden Wendung (ἤ τι τοιοῦτον ἕτερον, De an. III, 4, 429a14–15) gemeint hat. Diese Besonderheit trägt noch weiter, und zwar bis hin zu der notorischen Unterteilung des Denkvermögens in einen aktiven und einen passiven Intellekt. Diese Unterscheidung, die ein altehrwürdiges Betätigungsfeld der aristotelischen Kommentartradition darstellt, wird in den nun folgenden Ausführungen diskutiert. Und auch dabei wird es darum gehen, dieses Problem im Lichte der hier behandelten Thematik zu verstehen. Es wurde schon öfter darauf hingewiesen, dass hier davon ausgegangen wird, dass Aristoteles eine Fähigkeit, eine bestimmte Art von Wissen annimmt, die einen apriorischen Charakter hat und die uns dazu befähigt, die abhängige phänomenale Wahrnehmung der Welt in ein flexibles Repräsentationssystem, d. h. menschliche Sprache, zu überführen; diese Fähigkeit, so wird im Folgenden argumentiert werden, umschreibt Aristoteles mit dem aktiven Intellekt. Zuerst erfolgt aber ein kurzes Fazit zu den Untersuchungen über die Spezifika des Denkvermögens, der Unvermischtheit und der Leidensunfähigkeit. Fazit In der allgemeinen Definition des Denkvermögens wurden zwei zentrale Aspekte diskutiert: Die Unkörperlichkeit und die spezifisch noetische Leidensunfähigkeit. Beide Aspekte sind zurückzuführen auf zu erklärende Phänomene des Denkens, die es notwendig machen, vom Kausalmodell, wie es bei der Erklärung der Wahrnehmung angewandt wurde, abzuweichen. Die erste Abweichung besteht in der Organlosigkeit. Das zentrale Argument lautet, dass ein materiell bestimmtes Organ immer schon den Objektbereich des entsprechenden Vermögens einschränkt – und das ist gerade beim Denken nicht der Vgl. Michael Frede hierzu: »[…] dans le cas du percevoir, les agents de l’acte, par exemple les visibles, sont extérieurs, tandis que dans le cas du penser, les objets de la pensée se trouvent en quelque manière dans l’âme elle-même. Autrement dit: pour voir une chose rouge, il faut qu’il y ait une chose rouge à l’exterieur que l’on puisse voir; mais on peut penser une chose rouge, il suffit de disposer du concept d’une chose rouge.« (Frede M., 1996, S. 382; Hervorhebung S. L.)
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Fall. Es ist ein Phänomen des Denkens, dass man »alles denken kann«, und dessen Erklärung würde durch die Annahme eines der Wahrnehmung analogen Organs verunmöglicht. Der zweite Aspekt, der ausgiebiger diskutiert wurde, war die Leidensunfähigkeit. Es wurde dafür argumentiert, darunter die Betonung des intentionalen Charakters der perzeptiven und kognitiven Vermögen zu verstehen. Aristoteles versucht die physische und die intentionale Beschreibungsebene in ontologischer Hinsicht zu vereinen – die ganze Argumentation für ein solches Verständnis kann deswegen auch als Untermauerung der These des epistemischen Dualismus gelesen werden, die ja für die Bedeutungsfrage als zentral erkannt wurde. Die spezifisch noetische Form der Leidensunfähigkeit besteht, so wurde weiter ausgeführt, in der mit der Organlosigkeit zusammenhängenden Tatsache, dass starke Denkobjekte das Erfassen schwächerer Objekte gerade nicht verunmöglichen – etwa durch physische Beeinträchtigung oder gar Zerstörung des Organs –, sondern im Gegenteil sogar verbessern. Die Internalität der Objekte wurde als weiteres Spezifikum der noetischen Leidensunfähigkeit erkannt. Es sind nicht äußere Objekte, die für den intentionalen Gehalt verantwortlich sind, sondern die Objekte des Denkens sind intern – auch hierin ist eine Abweichung vom Kausalmodell, das bei der Wahrnehmung angewandt wurde, zu sehen. In De an. II, 5 unterscheidet Aristoteles zwischen der physikalischen und der intentionalen Beschreibung des Wahrnehmungs- und Denkvermögens. Eine Frage, die in diesem Kontext zunächst ausgespart bleibt, ist, wie sich das Verhältnis der beiden Vermögen darstellt. Wie hängen Wahrnehmungs- und Denkvermögen voneinander ab, inwiefern bauen sie aufeinander auf? Mit dem »Rätsel der ἀπάϑεια« ist zunächst eine gemeinsame Eigenschaft der Vermögen, nämlich die Intentionalität angesprochen. Spezifisch noetisch sind, im Zusammenhang mit der Universalität und nichtverminderten Leistungsfähigkeit des Denkens, die Organlosigkeit des Vermögens und die Internalität der Denkobjekte. Wie ist aber die Funktionsweise des Denkvermögens zu verstehen, wenn es kein Organ gibt, und wie ist das Verhältnis der Denkobjekte zu den Wahrnehmungsobjekten zu verstehen, wenn die einen extern, die anderen intern sind? Das sind wichtige Fragen, weil hier der systematische Übergang von (nicht-sprachlicher) Perzeption zu (Sprache bedingender) Kognition angesprochen ist, der hinsichtlich der Bedeutungsfrage geklärt werden muss. Was ist es, das die erste Potentialitätsstufe des Denkver268
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mögens ausmacht, die Aristoteles in der D-Unterscheidung in De an. II, 5 anspricht und die mit der These der Organlosigkeit einhergeht? Wir sind grundlegend fähig zur Wahrnehmung, weil wir eine bestimmte organische Ausstattung durch Geburt mitbekommen. Wenn wir aber das Denkvermögen nicht organisch bestimmen können, worin besteht die erste und grundlegende Potentialitätsstufe dieses Vermögens? Diese Frage und ihre Beantwortung liegen in den nun folgenden Betrachtungen im Zentrum, die mit der notorischen Differenzierung zwischen aktiven und passiven Intellekt anheben.
5.5.2. Aktiver und passiver Aspekt des Denkvermögens Es hat sich gezeigt, dass sich aufgrund der Herangehensweise, auch das Denkvermögen in kausaler Sprache zu erklären, eine große Spannung aufbaut, weil sich gerade daraus die problematische Idee eines organlosen und apathischen Vermögens ergibt, das Objekte hat, die als intern zu charakterisieren sind. Für noch mehr Diskussion in der Aristoteles-Exegese hat die mit dieser Erklärungsstrategie einhergehende Einführung der Unterteilung in ein aktives und ein passives Denkvermögen in De an. III, 5 gesorgt. 322 Das Problem der Deutung v. a. des aktiven Intellekts ist altehrwürdig und vieldiskutiert. Es kann hier sicherlich nicht das Ziel sein, eine umfassende Darstellung dieser sehr spezifischen und weitverzweigten Diskussion und damit einen vollständigen doxographischen Bericht abzuliefern; hier wird ein allgemeiner Interpretationsrahmen dieses Problems abgesteckt, der vom Lösungsversuch der in dieser Arbeit zur Debatte stehenden semantischen Frage motiviert ist. Das bedeutet, dass es einerseits um die Objekte und Gehalte des Denkens geht, und zwar hinsichtlich der Frage, ob sie als Kandidaten für Element C und D taugen. Andererseits ist aber auch das Vermögen als Ganzes und bezüglich seiner Funktionsweise von Interesse. Genauso wie bei den perzeptiven Vermögen, läuft auch hier das Verständnis der Objekte über die Funktionsweise des Vermögens, weswegen die aristotelische Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Intellekt berücksichtigt werden muss. Im Kontext dieser Trennung wird zumeist vom Intellekt gesprochen. Die Bezeichnung wird im Folgenden übernommen, ist aber als Synonym zu den auch weiterhin verwendeten Ausdrücken »Denken« oder »Denkvermögen« zu verstehen.
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Eigenschaften und Einführung der beiden Aspekte des Denkvermögens Zunächst erfolgt ein erster Blick auf die aristotelische Charakterisierung dieser beiden Arten des Intellekts: Dem aktiven Intellekt werden die Eigenschaften der Abtrennbarkeit, der Leidensunfähigkeit, der Unvermischtheit und der wesentlichen Aktualität zugesprochen (καί οὗτος ὁ νοῦς χωριστός καί ἀπαϑής καί ἀμιγής, τῇ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια, De an. III, 5, 430a17–18). 323 Während Aristoteles in III, 4 noch das Denkvermögen als Ganzes mit den Adjektiven ἀπαϑές und ἀμιγῆ bedacht hat, sind sie in III, 5 dem aktiven Intellekt vorbehalten. Zum Schluss des Kapitels erklärt Aristoteles, dass der aktive Intellekt in seiner Eigentlichkeit, nämlich als unsterblich und ewig, nur im abgetrennten Sinne vorliegt (χωρισϑείς δ’ ἐστί μόνον τοῦϑ’ ὅπερ ἐστί, καί τοῦτο μόνον αϑάνατον καί ἀΐδιον, De an. III, 5, 430a23– 25). 324 Dementgegen ist der passive Intellekt vergänglich (ὁ δέ παϑητικός νοῦς φϑαρτός, De an. III, 5, 430a24–25). Es besteht also ein An diesem Punkt sollte man sich bewusst sein, dass das Verständnis, das Aristoteles von der Abtrennbarkeit in diesem Kontext hat, ausdrücklich nicht auf eine reale Trennung verengt ist, sondern auch die Möglichkeit einer bloß begrifflichen, deskriptiven Abtrennung beinhaltet, vgl. De an. III, 4, 429a11–12, wo Aristoteles es bezüglich der Abtrennbarkeit des Denkvermögens offen lässt, ob sie räumlich, »der Größe nach« (κατά μέγεϑος), oder begrifflich (κατά λόγον) zu verstehen ist (εἴτε χωριστοῦ ὄντος εἴτε μή χωριστοῦ κατά μέγεϑος ἀλλά κατά λόγον). Die ἀπάϑεια ist wiederum im Kontext der Bewahrung des Denkobjekts, d. h. der Intentionalität zu verstehen, die Unvermischtheit ist dem Faktum geschuldet, alles denken zu können, nicht durch eine ganz bestimmte Art von Denkobjekt und Organ materiell eingeschränkt zu sein. In der Trennung von aktivem und passivem Intellekt wird Aristoteles wohl seiner epistemischen Grundüberzeugung gerecht, dass alle psychischen Vermögen auch körperlich realisiert, aber nicht auf die entsprechenden physischen Zustände zu reduzieren sind. Wurde in III, 4 noch das gesamte Vermögen als organlos und apathisch bezeichnet, so beschränken sich diese Charakterisierungen nun auf den aktiven Intellekt, der passive Intellekt spielt dann die Rolle der physikalischen Grundlage, die wohl in einer engen Verbindung mit dem Vorstellungsvermögen als κίνησις und den φαντάσματα, die mit dem Denkakt einhergehen, zu sehen ist. 324 Vgl. hierzu Hicks, der gewichtige Argumente vorträgt, dass χωρισϑείς auf eine nur begriffliche, deskriptive Trennung hinweist: »To begin with, he [Hicks beruft sich hier auf Zabarella, S. L.] contends, the participle must mean a seperation which took place in past time. Hence χωρισϑείς [sic!] is not applicable to God or the whole genus of abstract substances, the intelligences which move the stars: such substances have always been without matter, as they now are. Thus χωριστός, which can, and often does, mean »both separable and actually separate« is the appropriate term for them […]. Again, if we mean by χωρισϑείς a real separation from matter, the term does not suit the active intellect, for it would imply that the latter was first implicate in matter and that afterwards it was separated from matter. […] If, then, it is not a real 323
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recht deutlicher Unterschied zwischen den beiden Intellekten (unsterblich – vergänglich), der sich auch in der Gegenüberstellung der gerade erwähnten Eigenschaft der wesentlichen Aktualität in III, 5 und der Beschreibung des Denkens als reine Potentialität bezüglich der Denkobjekte in III, 4 zeigt. 325 Wie passt das zusammen? Wie kann ein Vermögen zugleich unsterblich und vergänglich sein? Wie kann es zugleich reine Aktualität und reine Potentialität sein? Der vorliegende Interpretationsansatz basiert auf der Annahme, dass die gegensätzliche Charakterisierung der beiden Intellekte keine ontologischen, sondern epistemologische Implikationen mit sich bringen. Vielleicht sollte man aber zuallererst diese Frage stellen: Wie kommt Aristoteles überhaupt auf die Idee, das Denkvermögen zu zerteilen? Die Antwort auf diese Frage lautet: Genauso wie in der allgemeinen Definition des Denkvermögens die Analogie zur Wahrnehmung bemüht wurde, weil Aristoteles keine alternative methodische Herangehensweise gesehen hat, gründet die Differenzierung zwischen aktivem und passivem Intellekt in der Verwendung des physikalischen Erklärungsmusters, hier der sogenannten »Vier-UrsachenLehre«. Aristoteles besteht bezüglich der Untersuchungsmethode darauf, dass auch für die Seele sowohl die materielle Ursache als auch die Wirk- und Formursache als Prinzipien der Erklärung gelten müssen. 326 Aristoteles’ allgemeines Beispiel zur weiteren Erläuterung ist das Verhältnis der Kunstfertigkeit (τέχνη) zur Materie (ὕλη). Genauso, wie es Materie erfordert, etwa um eine Statue zu verfertigen, ist eine Wirkursache vonnöten, die die Materie bearbeitet und ihr auch eine Form verleiht, d. h. gleichzeitig Formursache ist; im Fall der Statue ist das der Bildhauer. Diese Grundidee lässt sich auch auf das Wahrnehmungsvermögen übertragen: Die materiale Ursache ist das Organ, das durch die Aufnahme der Form des Wahrnehmungsobjekts, das das Organ als Wirkursache affiziert, entsprechend verändert wird. Diese methodische Forderung bringt Aristoteles dazu, auch beim Denkvorgang eine causa materialis und eine causa formaseparation which is intended, it must be merely a mental separation.« (Hicks, 1965, S. 506) 325 Vgl. De an. III, 4, 429a21–22 und 429b29–31. Auch bezüglich der causa formalis äußert sich Aristoteles dahingehend, dass die Denkseele (ψυχή νοητική) der »Ort der Formen (τόπον εἰδῶν)« ist, aber eben nur in Potentialität (καί εὖ δή οἱ λέγοντες τήν ψυχήν εἶναι τόπον εἰδῶν, πλήν ὅτι οὔτε ὅλη ἀλλ’ ἡ νοητική, οὔτε ἐντελεχείᾳ ἀλλά δυνάμει τά εἴδη, De an. III, 4, 429a27–29). 326 Vgl. De an. III, 5, 430a10–14. Sprache, Bedeutung, Geist
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lis bzw. efficiens zu unterstellen und deswegen kommt es zur Einführung des aktiven und des passiven Denkvermögens: Es gibt etwas, das beim Denkprozess die entsprechende Veränderung hervorruft, das Denkobjekt als Wirk- und Formursache, und es gibt etwas, woran diese Veränderung vonstattengeht, die materiale Ursache. 327 Folgefragen dieses Verständnisses sind, wie die formale, wirkende und materiale Ursache des Denkvermögens zu verstehen sind, wenn sie nicht at face value zu nehmen sind. Bei der Wahrnehmung übernehmen die externen Wahrnehmungsobjekte die Aufgabe der Formalursache: Durch sie wird die »Aufnahme der Form ohne die Materie« via Medium initiiert, somit sind die Objekte die jeweilige Ursache des Wahrnehmungsgehalts. Es wäre also plausibel, beim Denkvermögen die Denkobjekte (νοητά) als formale und als Wirkursache zu identifizieren. Und da der aktive Intellekt als dasjenige beschrieben wird, das alles verursacht, liegt es zunächst nahe, ihn mit den Denkobjekten zu identifizieren. Man hat gesehen, dass AristoteEs scheint nicht jedem einsichtig zu sein, dass die Differenzierung zwischen aktivem und passivem Intellekt dieser methodischen Vorentscheidung von Aristoteles zu verdanken ist und dass diese Differenzierung keine ontologische, sondern nur eine methodisch motivierte Trennung zur Folge hat. So sieht Caston die Trennung von aktivem und passivem Intellekt als reale Trennung an: »[…] these intellects differ in an essential property: while the first is perishable (φϑαρτός, 430a25), the second is immortal and eternal (ἀϑάνατον καί ἀΐδιον, 430a23.) They cannot, therefore, be a single intellect – one can exist in the absence of the other. They must genuinely be two.« (Caston, 1999, S. 203) Für Caston kommt es gar nicht in Frage, diese Beschreibungen als deskriptive Annäherungen zu verstehen, als Ergebnisse der Anwendung des üblichen naturwissenschaftlichen Ansatzes auf den Fall Denken, bei dem schon aufgrund der faktischen Phänomene klar ist, dass es sich um etwas Besonderes handelt: Kein Organ, eine besondere Art der Intentionalität, die mit der Annahme interner Objekte einhergeht. Die Annahme von internen Denkobjekten macht es aufgrund der methodischen Herangehensweise notwendig, dass die Wirk- und Formalursache nun ebenso als intern zu setzen sind, eben als aktiver Intellekt. Dass wir uns trotz der Anwendung des naturwissenschaftlichen Methodenansatzes außerhalb des »normalen« Naturgeschehens befinden (Intentionalität, Organlosigkeit), dürfte aber klar sein; deswegen sollte es auch möglich sein, die Trennung von aktivem und passivem Intellekt als (zunächst) deskriptiven Ansatz zu verstehen. Es ist freilich konsequent, dass Caston im aktiven Intellekt dann auch den göttlichen Intellekt, der immer denkt und die Ursache für die intellektuellen Tätigkeiten des Menschen darstellt, sieht: »[…] he [i. e. Gott, S. L.] constitutes the complete actualization towards which all of our intellectual striving is directed, in emulation of his perfect state. Aristotle regards such final causation as an efficient cause, but not in a way that would make it part of what we would call the causal processes or mechanisms of human psychology.« (Caston, 1999, S. 200) Diese Sichtweise ist allerdings schwerlich mit dem Charakter der internen und einheitlichen Struktur des νοῦς zusammenzubringen.
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les die Denkobjekte explizit als vermögensinterne Objekte ansieht. Im schon zitierten Abschnitt De an. II, 5, 417b19–28 macht Aristoteles diesen Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Denkobjekten klar: Beim Wahrnehmen liegen die Objekte außerhalb (ἔξωϑεν, 417b20), d. h. in der von uns unabhängigen Natur vor, beim Denken aber nicht. 328 Ein paar Zeilen später drückt Aristoteles die Internalität der Denkobjekte auch positiv aus: Der Grund für die Verschiedenheit von Wahrnehmungs- und Denkobjekt liegt nach Aristoteles nämlich auch darin, dass die Objekte des Denkens nicht die Einzeldinge der sinnlichen Wahrnehmung sind (τό καϑ’ ἕκαστον, De an. II, 5, 417b22), sondern das Allgemeine (τό καϑόλου, De an. II, 5, 417b23). Und das Allgemeine ist in bestimmter Hinsicht in der Seele selbst (ταῦτα δ’ ἐν αὐτῇ πώς ἐστι τῇ ψυχῇ, De an. II, 5, 417b23–24), also nicht in der von uns unabhängigen Natur. Anschließend erfolgt der Hinweis, dass dies der Grund ist, wieso das Denken unserem Willen (ὁπόταν βούληται, De an. II, 5, 417b24) unterliegt, ganz im Gegensatz zum Wahrnehmen. 329 Wenn aber die Objekte des Denkens vermögensintern sind, dann ergibt sich die paradoxe Konsequenz, dass wir die formale und die Wirkursache des Denkvermögens immer schon in uns tragen, und zwar in aktualisierter Weise, 330 was letztlich bedeuten würde, dass Denken nicht episodisch vonstattengeht, sondern ein kontinuierlicher, immerwährender Zustand ist. 331 Wie genau ist der aktive Intellekt also zu verstehen? Ist er tatsächlich mit den aktualen Denkobjekten zu identifizieren? Die andere Folgefrage lautet, wie es sich mit dem passiven Intellekt verhält, wenn er als materiale Ursache analog zum Wahrnehmungsorgan verstanden wird, es aber bei Aristoteles ganz deutlich ist, dass das Denkvermögen unabhängig von einem Organ konzipiert White bezeichnet diesen Gedanken als »epistemic nonnaturalism thesis« (White, 2004, S. 725). Für seine weitere Untermauerung der These, vgl. White, 2004, S. 729– 730. 329 Vgl dazu Sisko: »[…] while the efficient cause of perception is always outside of the perceiver, that of intellection can be internal; for, once we have acquired concepts, we are able to think on our own whenever we wish (417b19–28).« (Sisko, 1999, S. 256) 330 White formuliert dieses Paradoxon folgendermaßen: »[…] that the knowledge (in the dispositional sense) […] somehow already preexists in full actuality in that knowing subject.« (White, 2004, S. 726) 331 Aristoteles anerkennt dieses Problem auch: Der Grund dafür, dass man nicht immer denkt, sei zu untersuchen (τοῦ δέ μή ἀεί νοεῖν τό αἴτιον ἐπισκεπτέον, De an. III, 4, 430a5). 328
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wird; und zwar deswegen, weil es die faktischen Phänomene des Denkens so erfordern: Wir können alles denken, deswegen darf das entsprechende Vermögen nicht durch eine materielle Ausstattung in seinen Möglichkeiten begrenzt werden. Was sollte also das Material sein, aus dem der passive Intellekt besteht? Ist vielleicht mit dem passiven Intellekt eine Verbindung zum Vorstellungsvermögen angesprochen, das die entsprechenden »Anschauungen« zu den Konzepten liefert? Es wurden schon einige generelle Interpretationslinien zum aktiven Intellekt angedeutet, die nun noch kurz und prägnant zusammengefasst werden sollen. Oft wird ein Dreigestirn antiker bzw. mittelalterlicher Interpreten herangezogen, um diese Interpretationslinien darzustellen: 332 Alexander von Aphrodisias hat Gott mit dem aktiven Intellekt identifiziert. 333 Thomas von Aquin hat die Gegenposition dazu eingenommen, also angenommen, dass der aktive Intellekt der unsterbliche Teil der menschlichen Seele ist. 334 Averroës verFür einen knappen Überblick siehe z. B. die Arbeiten von Caston, 1999, S. 199– 202, oder White, 2004, S. 734–739. 333 Für eine prägnante Zusammenfassung dieser Sichtweise vgl. White: »[…] in other words, it is an attempt to distance nous poiêtikos (as identified with fully actualized, occurrent knowing) from the individual human organism, the knowing subject, in such a way that that knower is not already in full possession of the knowledge the acquisition of which Aristotle sets out to explain. Thus, nous poiêtikos is not »in the (individual, human) soul« as an essential part or aspect of that soul. Nous poiêtikos becomes nous thurathen (nous from without), which comes to reside in or act upon the individual human soul in its episodes or acts of actual, occurrent knowing.« (White, 2004, S. 734) Wie gesehen, vertritt Caston eine ähnliche Position, allerdings versteht er seine Argumentation von einer komplett anderen bottom line ausgehend: »The tradition of commentary has been unified in taking the second intellect [i. e. der aktive Intellekt, S. L.] to be a part of the causal mechanisms of thought: that is, it has generally been assumed that in the production of thought, there is some transition which is brought about by the second intellect, whether extrinsically or as a part of the human mind. And it is precisely this assumption that I think we should reject. The result is thus more radical: it suggests that in an important respect the second intellect does not belong to human psychology at all, but rather theology.« (Caston, 1999, S. 201–2) 334 Vgl. Caston: »Many interpreters have insisted, with Thomas Aquinas, that a distinct agent intellect belongs to each human being, severing at death to exist on its own immortally.« (Caston, 1999, S. 207) Ebenso White: »St. Thomas thinks that Aristotle’s De anima makes it quite clear that there is an intellectus agens that is a part or aspect of each individual human anima.« (White, 2004, S. 737) Problematisch ist in dieser Hinsicht, dass der aktive Intellekt von Aristoteles als wesentlich aktual beschrieben wird. Hierzu wiederum White: »[…] Aquinas recognizes that if the intellectus agens, as part of the individual human soul, were itself fully actual in the sense 332
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tritt die Position, dass der aktive Intellekt zwar nicht göttlich, aber auch nicht menschlich ist, sondern dass es sich um eine andere Art externer Substanz handelt. 335 Diese Diskrepanzen in der Interpretation des aktiven Intellekts sind in den widersprüchlichen Charakterisierungen, die Aristoteles bezüglich des Denkvermögens vornimmt, begründet. Deswegen hat jede der genannten Interpretationslinien ihre hermeneutischen Vorteile, aber auch Schwierigkeiten. Die ontologische Trennung, die Alexander vornimmt, ist zumindest problematisch vor dem Hintergrund der Bestimmung des Denkvermögens als einheitliches, 336 der Hinweise auf eine bloß diskursive Abtrennung des aktiven Intellekts, 337 der Identifikation der menschlichen Seele mit dem »Ort der Formen«, also dem Ort der causa formalis und efficiens, und schließlich der schon diskutierten Internalität der Objekte. Die Interpretationslinie von Thomas birgt aber ebenso Probleme: Der aktive Intellekt wird von Aristoteles als wesentlich aktual (τῇ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια, De an. III, 5, 430a18) bezeichnet, als ewig und unsterblich (ἀϑάνατον καί ἀΐδιον, De an. III, 5, 430a23); das Denkvermögen als Ganzes wird im ersten Buch von De an. als eine Substanz beschrieben, die in den Menschen eintritt und nicht vergeht (ὁ δέ νοῦς ἔοικεν ἐγγίνεσϑαι οὐσία τις οὖσα, καί οὐ φϑείρεσϑαι, De an. I, 4, 408b18–19); das sind keine geringen Probleme, denn gerade of being actual, occurrent knowing, the other features of Aristotle’s mechanism of human cognition would be otiose.« (White, 2004, S. 738) 335 Caston erläutert diese Position, »[…] according to which there is also only one second intellect [i. e. aktiver Intellekt, S. L.], distinct from all human souls, but which is a separate substance and distinct from God himself. This much of the position can also be found in thinkers earlier than Averroes: not only in Avicenna, but still earlier in the Neoplatonist Marinus […] and even before that, arguably, in Albinus […].« (Caston, 1999, S. 201) 336 Vgl. die Formulierung εἰ ὁ νοῦς ἀπλοῦν ἐστί in De an. III, 4, 429b23, wo das Problem diskutiert wird, wie etwas als einheitliches Vermögen unvermischt und leidensunfähig sein kann; auch die Hinweise in De an. I, 3 bezüglich der eigenständigen Fähigkeit zur Bewegung deuten auf eine prinzipielle Autarkie der menschlichen Seele hin; vgl. De an. I, 3, 406a16–22. Vgl. dazu auch die späteren Ausführungen zum Strebevermögen, z. B. De an. III, 10, 433b27–28. 337 Das ist freilich kein Argument gegen die ontologische Lesart; allerdings wird in dieser Arbeit, wie an mehreren Stellen schon deutlich wurde, dafür argumentiert, dass Aristoteles prinzipiell keinen ontologischen, sondern einen epistemischen Dualismus vertritt. Und da er auch hinsichtlich der Trennung der Intellekte die Möglichkeit, diese nur diskursiv zu verstehen, zumindest offenlässt, würde genau dieses Verständnis vor dem Hintergrund dieser generellen Ausrichtung an Plausibilität gewinnen. Sprache, Bedeutung, Geist
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hier ist der Bezug zu etwas Göttlichem doch sehr naheliegend. Sowohl die widersprüchlichen Charakterisierungen durch Aristoteles als auch die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten der traditionellen Interpretationslinien scheinen das Problem des aktiven Intellekts unlösbar zu machen. Auch in der modernen Interpretationsgeschichte scheint die Unlösbarkeit bestehen zu bleiben. Gewichtige Stimmen votieren für eine vollständige Ablösung des aktiven Intellekts von der menschlichen Psyche. 338 Genauso wird aber gegen diese theologische Interpretation die Einheitlichkeit des menschlichen Intellekts behauptet, somit der aktive Intellekt als menschlich verstanden. 339 David Charles hat meiner Ansicht nach etwas sehr Wichtiges angesichts dieses Interpretationswirrwarrs betont, das sich für die hier vorgestellte Deutung als bedeutsam herausstellen wird: Der aktive Intellekt bei Aristoteles übernimmt mehrere Funktionen: Als causa formalis und efficiens spielt er in irgendeiner Form die Rolle des Objekts, das das Vermögen affiziert. In einer zentralen Passage zum aktiven Intellekt, die gleich noch genauer zu besprechen sein wird, spricht Aristoteles aber auch davon, dass der aktive Intellekt eine Aufgabe übernimmt, die der des Lichts bei der Wahrnehmung analog ist. 340
So, wie erwähnt, Caston, 1999, aber auch Frede, 1996. So z. B. Gerson, 2004. 340 Charles schreibt: »The active intellect, as introduced in Γ.5, has two separable roles. (1) It is the efficient cause of passive thoughts, which (like skill) makes passive thoughts what they are. Here, the active intellect takes over the role of the objects of thought as efficient causes of thought. (2) It is regarded as an analogue of light, the medium in the case of perception.« (Charles, 2000, S. 130) Caston hat die Ausrichtung der Interpreten an dieser Licht-Analogie und an der das fünfte Kapitel einleitenden naturphilosophischen Betrachtung, die das Prinzip des Wirkens und Erleidens auch in der Seele ansetzen will, zwar kritisiert: »The only clues such interpretations have to work with are the metaphors at the beginning of 3.5 – the comparison to technê and matter and the comparison to light and colors – and these have proven notoriously elastic through the centuries of commentary. The phrases are so underdetermined in context that any attempt to settle which interpretation best suits them seems hopeless.« (Caston, 1999, S. 204) Aber auch wenn Caston insofern nicht zu widersprechen ist, als diese Aspekte tatsächlich vielfältig zu interpretieren sind, so sind sie doch so wichtig und zentral, dass man sie nicht einfach übergehen kann, so wie Caston es vorschlägt: »I suggest we avoid this morass altogether.« (ibd.) 338 339
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Die Licht-Analogie In der vorliegenden Arbeit nimmt diese Licht-Analogie eine zentrale Rolle ein. In wichtigen Punkten unterscheidet sich die hier entwickelte Deutung aber von Charles’ Betrachtungen. Ausgangspunkt ist der folgende Passus: καί ἔστιν ὁ μέν τοιοῦτος νοῦς τῷ πάντα γίνεσϑαι, ὁ δέ τῷ πάντα ποιεῖν, ὡς ἕξις τις, οἷον τό φῶς: τρόπον γάρ τινα καί τό φῶς ποιεῖ τά δυνασσμει ὄντα χρώματα ἐνεργείᾳ χρώματα Und auf der einen Seite ist das Denkvermögen von der Art, dass es alles wird, auf der anderen von der Art, dass es alles wirkt, so wie eine Fähigkeit [ἕξις], wie bspw. das Licht: Auf bestimmte Weise bewirkt nämlich auch das Licht, dass Farben, die potentiell sind, zu aktualen Farben werden. De an. III, 5, 430a14–17
Es gibt den νοῦς, der alles wirkt, und den, der alles wird – das ist die Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Intellekt. Der νοῦς, der alles wirkt (νοῦς τῷ πάντα ποιεῖν, De an. III, 5, 430a15), wird von Aristoteles im obigen Zitat umschrieben als Fähigkeit (ἕξις), ähnlich dem Licht (φῶς). 341 Dieser Hinweis sollte näher betrachtet werden, denn es ist wohl zunächst unklar, was mit dieser Licht-Analogie gemeint ist. Auch hier handelt es sich um eine Orientierung an der Wahrnehmungstheorie: Das Licht wird von Aristoteles im Rahmen der Diskussion des Mediums beim visuellen Sinn in II, 7 folgendermaßen definiert: φῶς δέ ἐστιν ἡ τούτου ἐνέργεια, τοῦ διαφανοῦς ᾗ διαφανές. Licht ist die Aktualisierung des Durchsichtigen als durchsichtig. De an. II, 7, 418b9–10 Prinzipiell kann ἕξις auch mit »Zustand«, »Haltung«, o. ä. übersetzt werden, vgl. Charles: »Light itself is not a quality change (alloiōsis), but a state (hexis).« (Charles, 2000, S. 131, Anm. 38) Hier soll aber dafür argumentiert werden, dass ἕξις als Fähigkeit zu verstehen ist; das Licht hat die natürliche »Fähigkeit«, die Wahrnehmungsobjekte sichtbar zu machen, insofern es das Medium aktualisiert. Genauso hat der Mensch qua aktiven Intellekt die Fähigkeit, die externen Objekte der Wahrnehmung auch als interne Denkobjekte erfassbar zu machen. Diese Fähigkeit besteht darin, die Wahrnehmungsobjekte als zunächst primitive Konzepte auch als lexikale Konzepte zu erfassen, d. h. über den bloß perzeptiven Status hinauszugehen und die phänomenalen Gehalte als Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken zu verstehen. Diese These soll im Folgenden detaillierter ausgearbeitet werden.
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Charles liest diese Passage etwas anders: »For Aristotle, light is the activity of the transparent as such […].« (Charles, 2000, S. 131) Er meint wohl damit, dass Licht nichts anderes ist als der aktualisierte Zustand des Mediums, des Durchsichtigen. Für Charles scheint »Licht« lediglich ein Synonym für das aktualisierte Medium zu sein, weswegen er auch sagen kann: »It [der aktive Intellekt, S. L.] is regarded as an analogue of light, the medium in the case of perception.« (Charles, 2000, S. 130, Hervorhebung S. L.) Dieses Verständnis vom Licht als vermeintlichem Medium hat Folgen für die Interpretation der Licht-Analogie bei Charles; er schreibt: »Light makes potential colours such as green actual by itself (as the positive state of the transparent) being active in a given way (a way distinct from that in which it is active when black or red, etc.). When light is active in this way and impacts on S’s perceptual faculty, which is functioning as it should, S perceives green.« (Charles, 2000, S. 131)
Das Licht aktualisiert nach Charles die Farben und wirkt auch auf das Wahrnehmungsvermögen ein; deswegen kann Charles auch sagen: »The active intellect is presented as the analogue of light, which, when active in given ways, is the efficient cause of the perceiver’s perception of red.« (Charles, 2000, S. 133) Aristoteles sagt aber oft genug – das wurde in Kapitel 5.3 über die Wahrnehmung deutlich –, dass das Wahrnehmungsobjekt und nicht das Licht die causa efficiens und causa formalis einer Wahrnehmung ist. Das Objekt affiziert das Wahrnehmungsorgan via Medium, beim visuellen Sinn ist dies das Durchsichtige. Es stellen sich einige Fragen hinsichtlich Charles’ Interpretation der Licht-Analogie: Kann man vom Licht als causa efficiens der Wahrnehmung sprechen? Kann man davon reden, dass das Licht die Farben aktualisiert? Hat sich nicht vielmehr herausgestellt, dass die Farben als externe perzipierbare Entitäten zu verstehen sind, die als Objekte eine unabhängige, d. h. aktuale Existenz an sich haben? Die Farben bewegen das Medium, weswegen es wohl nicht richtig ist, mit Charles zu behaupten, dass das Medium als causa efficiens fungiert; das wird auch in der folgenden Äußerung von Aristoteles deutlich: πᾶν δέ χρῶμα κινητικόν ἐστι τοῦ κατ’ ἐνέργειαν διαφανοῦς, καί τοῦτ’ ἐστίν αὐτοῦ ἡ φύσις.
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Denken
Jede Farbe ist bewegende [Ursache] des aktualisierten Durchsichtigen, und das ist ihre Natur. De an. II, 7, 418a31-b2
Die Farbe ist das Bewegende, nicht das Medium. Die Wirkursache für eine Wahrnehmung ist das Objekt der Wahrnehmung. Es stimmt zwar, dass das Medium vorhanden und aktualisiert sein muss, denn ohne Medium gibt es keine Wahrnehmung, aber nicht, weil das Medium die Wirkursache wäre, sondern weil die »Aufnahme der Form ohne die Materie« nur mit einem Medium vonstattengehen kann; es ist notwendige Bedingung einer gelingenden Wahrnehmung, aber nicht ihre Wirkursache. Hier soll ein differenzierteres Verständnis der Licht-Analogie vertreten werden, das im Licht die externe Aktualisierung des Mediums, nicht der Farben sieht. Durch das Licht ist das Medium erst fähig, die »farbige Form« eines externen Gegenstandes bis hin zum Wahrnehmungsorgan zu transportieren. Das Licht ist insofern eine Bedingung der Möglichkeit von Wahrnehmung, die dem physischen Prozess der Wahrnehmung systematisch vorgeschaltet ist, und die als notwendige Bedingung zu verstehen ist. Der spezifizierende Zusatz »als durchsichtig« im obigen Zitat von De an. II, 7, 418b9–10 weist nach dem hier zu verteidigenden Verständnis darauf hin, dass das Medium von der Farbe als perzipierbarem Objekt aktualisiert bzw. bewegt wird, da ja gerade die Aufgabe des Mediums darin besteht, die Form ohne die Materie zu transportieren. Aristoteles spricht davon, dass das Durchsichtige sichtbar ist, aber nicht an sich, sondern durch die (Aufnahme der) Farbe von etwas anderem (διαφανές δέ λέγω ὃ ἔστι μέν ὁρατόν, οὐ καϑ’ αὑτό δέ ὁρατόν ὡς ἁπλῶς εἰπεῖν, ἀλλά δι’ ἀλλότριον χρῶμα, De an. II, 7, 418b4–6). Es handelt sich hier also um einen zweistufigen Aktualisierungsprozess, wie er schon in Kapitel 5.5.1 im Rahmen der Bedeutungserweiterung des Potentialitätsbegriffs zur Sprache kam; im vorliegenden Kontext geht es um einen zweiteiligen Aktualisierungsvorgang, der der Aufnahme der Form durch das Wahrnehmungsorgan vorgeschaltet ist: Der zweite, nachgeordnete Vorgang ist die Aktualisierung und Bewegung des bereits als durchsichtig aktualisierten Mediums durch ein perzipierbares Objekt, wodurch dann letztlich das Organ im eigentlichen Wahrnehmungsprozess affiziert wird. Voraussetzung für diesen zweiten Aktualisierungvorgang ist aber jener erste Vorgang, nämlich die Aktualisierung des Mediums, also des Durchsichtigen, damit es Sprache, Bedeutung, Geist
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überhaupt erst aufnahmefähig für die Farbe ist – diese erste, alles andere bedingende Aktualisierung des Durchsichtigen als durchsichtig geschieht durch das Licht. 342 Licht und Medium werden von Aristoteles also explizit unterschieden. 343 Charles’ Gleichsetzung von Licht und aktualisiertem Medium ist falsch. Genauso, wie ein Wissenschaftler zwar durch den Besitz von Wissen in dieser Hinsicht schon aktualisiert ist, ist er im Sinne der Betätigung nur potentiell, wenn er sein Wissen gerade nicht anwendet und in diesem zweiten Sinne aktualisiert. Analog gilt: Dafür, dass Farbe als perzipierbares Objekt überhaupt durch ein Medium transportiert werden kann, muss das Medium qua durchsichtig schon mittels Licht aktualisiert sein, ansonsten herrscht Dunkelheit, das Gegenteil von Licht (δοκεῖ τε τό φῶς ἐναντίον εἶναι τῷ σκότει, De an. II, 7, 418b18), und dadurch wird dem Durchsichtigen seine grundlegende Fähigkeit (ἕξις) geraubt (ἔστι δέ τό σκότος στέρησις τῆς τοιαύτης ἕξεως ἐκ διαφανοῦς, De an. II, 7, 418b18–19). 344 Man kann also resümieren, dass hinsichtlich des Durchsichtigen als Medium das Licht die notwendige Aktualisierung erster Stufe und die Aufnahme der Farbe eines sichtbaren Objekts die Aktualisierung zweiter Stufe darstellt. Und erst wenn diese beiden Vorbedingungen erfüllt sind, kann das Organ von einem perzipierbaren Objekt via Medium affiziert werden. Im Rahmen der Theorie der visuellen Wahrnehmung heißt das, dass bevor wir überhaupt ein spezifisches Objekt wahrnehmen könDas wird schon im obigen Zitat von De an. II, 7, 418a31-b2 deutlich, wo Aristoteles meint, dass die Farbe das schon aktualisierte Medium (τοῦ κατ’ ἐνέργειαν διαφανοῦς) bewegt; das legt nahe, dass das bloß potentielle Medium nicht durch die Farbe bewegt werden kann. Und um das Medium zu aktualisieren benötigt man klarerweise etwas, dass diese Aktualisierung hervorruft – und das ist das Licht. Einmal nennt Aristoteles, im Rahmen einer Analogie (οἷον), das Licht die Farbe des Durchsichtigen, De an. II, 7, 418b11: τό δέ φῶς οἷον χρῶμά ἐστι τοῦ διαφανοῦς. Der Grund dafür, dass Charles das Licht mit dem Medium identifiziert, könnte darin liegen, dass es durch das Aktualisierungsverhältnis eine sehr enge Verbindung zwischen dem Aktualen und dem zunächst bloß Potentiellen, das durch das Aktuale aktualisiert wird, besteht; aber diese Angleichungsformel ist schließlich eine Grundidee der aristotelischen Physik, vgl. De an. II, 5, 417a20: πάσχει μέν γάρ τό ἀνόμοιον, πεπονϑός δ’ ὅμοιόν ἐστιν. 343 Vgl. De an. II, 7, 418b13–14. 344 Auch hier ist es wichtig zu sehen: Es ist nicht dunkel, weil das Medium nicht aktualisiert ist, sondern weil Dunkelheit herrscht, ist das Medium nicht aktualisiert. Licht und Dunkelheit sind die Ursache für ein aktualisiertes bzw. bloß potentielles Medium. 342
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nen, das Medium selbst aktualisiert sein muss, und das geschieht durch das Licht. Es ist hier eine externe Vorbedingung. Übertragen auf das Denkvermögen bedeutet das nun, dass diese Vorbedingung in irgendeiner Weise durch das Vermögen selbst 345 erfüllt werden muss, und der aktive Intellekt wird als genau diese Fähigkeit (ἕξις), »wie das Licht« bei der Wahrnehmung, beschrieben. Unter dem aktiven Intellekt sind also an dieser Stelle (zunächst) nicht die aktualisierten Objekte des Denkens zu verstehen, sondern jene Vorbedingung, die diese Objekte erst »sichtbar« macht (in diesem Fall müsste man sogar sagen, dass diese Vorbedingung im Denkprozess die Objekte gleichsam selbst hervorbringt, nicht bloß erfassbar macht – sie, die Objekte, existieren ja nur in potentieller Weise im Intellekt und werden erst durch das Denken aktualisiert). In diesem Sinne würde auch verständlich werden, inwiefern der νοῦς keine aktualen Objekte beinhaltet, sondern in dieser Hinsicht reine Potentialität ist. Der aktive νοῦς besteht zunächst in einer bestimmten Fähigkeit (ἕξις), die die Vorbedingung für das Erfassen der bloß potentiellen Denkobjekte darstellt. Wenn man diese Passage als zentral für die Einführung des aktiven Intellekts betrachtet, dann sollte man die Licht-Analogie ernst nehmen. Was aktual ist, das sind zunächst nicht die Objekte, sondern – in Analogie zur Wahrnehmung – das Licht, das das Medium aktualisiert, das dann wiederum die Form der Objekte transportiert. Es ist wichtig, dass man diesen Unterschied zwischen der so verstandenen Aktualität des Mediums und den aktualen Objekten berücksichtigt. Auch die perzipierbaren Dinge sind erst dann fähig, die entsprechenden Sinne bzw. Organe zu affizieren, wenn das Medium aktualisiert ist, und dies geschieht durch das Licht. Zwar sind die perzipierbaren Dinge auch ohne aktualisiertes Medium aktual, wir können sie aber Die Interpretationen des aktiven Intellekts als ontologisch abgetrennt basieren v. a. darauf, dass die immer aktualisierte Ursache des Denkens gerade nicht menschlich sein kann. Hier wird aber die Einheitlichkeit des Intellekts, die Formulierung des dianoetischen Seelenteils als Ort der (potentiellen) Formen und die Internalität der Denkobjekte als grundsätzlich angenommen, als sehr starke Indizien dafür, dass Aristoteles auch den aktiven Intellekt als menschlichen Teil des Denkvermögens angesehen hat. Allerdings wird hier, im Unterschied etwa zu Thomas von Aquin, dafür argumentiert, dass das, was Aristoteles als unsterblich und ewig bezeichnet, bestimmte native sprachliche Fähigkeiten sind, mithilfe derer wir die phänomenalen Wahrnehmungsgehalte in semantische Gehalte überführen können. Mit dieser Fähigkeit hängen die grundlegenden logisch-semantischen Prinzipien zusammen, die man aber erst in »höheren« epistemischen Zuständen als Prinzipien erkennt.
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nicht erkennen, sie können unsere Sinne nicht affizieren. 346 Anders verhält es sich mit den Denkobjekten. Von ihnen sagt Aristoteles ausdrücklich, dass sie nicht aktual sind, bevor überhaupt gedacht wird. Erst durch den Vorgang des Denkens »entstehen« die Denkobjekte, werden sie aktualisiert – damit ist zugleich der Unterschied zwischen Externalität und Internalität angesprochen. Das Material bieten die Sinne, deren perzipierbare Objekte ja potentielle Denkobjekte sind. Die These lautet: Die Überführung in denkbare Einheiten wird durch den aktiven Intellekt im Sinne einer sprachlichen ἕξις ermöglicht: Die perzipierbaren Einheiten werden in denkbare, d. h. semantische Einheiten überführt oder, um eine Formulierung aus den systematischen Betrachtungen zu verwenden, primitive Konzepte werden in lexikale Konzepte überführt. Die hier vorgeschlagene Interpretation geht davon aus, dass es sich bei der Trennung von aktivem und passivem Intellekt um eine deskriptive Trennung handelt. Es gibt keinen real abgetrennten Intellekt, was die Theorie vom aktiven Intellekt als göttlichen Intellekt in Misskredit bringen würde; der Intellekt ist ἁπλόος. Die Differenzierung von passivem und aktivem Intellekt ist nach dieser Sichtweise deskriptiv und epistemisch, nicht ontologisch zu verstehen. 347 Auch die Wahrnehmung als Vermögen ist einheitlich, aber abhängig von externen Objekten und deswegen auch nicht voluntaristisch steuerbar. Das Denken wird ausgehend vom physikalischen Erklärungsmuster untersucht, und es kommt in Kombination mit den zu berücksichtigenden Phänomenen des Denkens zu den erörterten Abweichungen Auch hier ist Charles zu widersprechen, der ja davon ausgeht, dass das Licht die Farben, nicht das Medium aktualisiert, vgl. den Auszug aus dem obigen Zitat: »Light makes potential colours such as green actual by itself […].« (Charles, 2000, S. 131) 347 Einige wichtige Interpreten des aktiven Intellekts würden dieser Deutung wohl widersprechen. Heute wird oft die theologische Beschreibung des aktiven Intellekts betont und in Verbindung mit Met. XII gebracht (vgl. etwa Caston, 1999 und Frede, 1996; für einen knappen Überblick vgl. Rapp, 2007, S. 187–189). Es muss wohl konstatiert werden, dass eine abschließende Lösung des Problems einfach nicht möglich ist. Aristoteles erweist sich in seinen theoretischen Ansätzen sehr oft als »elastisch«. Man kann hier etwa an die Kategorienschrift und die ebenso traditionsreiche Debatte darüber, was er mit den zehn Kategorien eigentlich hat klassifizieren wollen, denken. In diesen Fällen ist es die Aufgabe der Interpreten aristotelischer Texte, eine möglichst konzise und kohärente Deutung vorzulegen. Nicht mehr soll auch hier erfolgen. Die Möglichkeit einer ontologischen Lesart der Trennung des aktiven vom passiven Intellekt wird also nicht kategorisch ausgeschlossen, es wird aber versucht, die deskriptive Lesart so stark wie möglich zu machen. 346
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im Vergleich zur Wahrnehmungstheorie: die Organlosigkeit, die internen Objekte und damit zusammenhängend eine andere Art der Intentionalität, die man mit der intentionalen Inexistenz Brentanos vergleichen könnte, sowie die Trennung des Vermögens in einen aktiven und einen passiven Teil, von denen der erste als abgetrennt, leidensunfähig, unvermischt und wesentlich aktual beschrieben wird (καί οὗτος ὁ νοῦς χωριστός καί ἀπαϑής καί ἀμιγής, τῇ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια, De an. III, 5, 430a17–18). 348 Das, was damit gemeint ist, ist ein apriorisches Wissen, eine Fähigkeit (ἕξις), mit deren Hilfe man die vorsprachlichen Gehalte der perzipierbaren Vermögen in sprachliche Gehalte überführen, d. h. als solche aktualisieren kann. 349 Es ist ein großes Problem dieser Interpretation des aktiven Intellekts, dass Aristoteles ein solches Verständnis nicht explizit dargelegt hat. Es wird oft betont, dass Aristoteles im Kontext des aktiven Intellekts nirgends etwas über einen Abstraktionsprozess schreibt, der vom Einzelnen in der Wahrnehmung zum Abstrakten und Allgemeinen im Denken führt. 350 In den folgenden Betrachtungen soll dieser Man kann an dieser Stelle anmerken, dass auch heute keine andere Strategie verfolgt wird, dass es auch heute ein Ziel ist, den Bereich des Mentalen ausschließlich mit der Sprache der erprobten und verlässlichen Naturwissenschaften zu erklären; man denke an die vielfältigen Naturalisierungsversuche wie z. B. an Francis Cricks astonishing hypothesis (vgl. Crick, 1995, S. 3–12) oder an den von den Churchlands vertretenen eliminativen Materialismus (vgl. Churchland, 1981). 349 Ross hat die Meinung vertreten, dass die Charakterisierung des aktiven Intellekts in 430a15 als ἕξις und kurz darauf in 430a18 als ἐνέργεια nicht gut vereinbar ist: »The chapter is somewhat carelessly written; the most conspicuous instance of this is the description of the νοῦς ποιητικός first as a ἕξις (l. 15) and then as an ἐνέργεια (l. 18).« (Ross, 1961, S. 296) Dem kann man entgegnen, dass Aristoteles das Licht ebenso sowohl als ἕξις als auch als ἐνέργεια versteht. Das Licht umschreibt die Fähigkeit, das Medium zu aktualisieren, weswegen es klarerweise als Aktualität verstanden werden muss. Genauso ist der aktive Aspekt des Denkvermögens eine Fähigkeit, eine notwendige Vorbedingung für das Erfassen von Denkobjekten; weil diese Fähigkeit etwas bewirkt, nämlich Objekte der Wahrnehmung als Denkobjekte erfassen zu können, muss es sich bei diesem Aspekt auch um etwas Wirkliches, etwas Aktuales handeln: Eine Form von apriorischem Wissen, das als apriorisch auch unabhängig ist von den einzelnen geistigen Zuständen der individuellen Menschen. 350 So einführend und paradigmatisch Rapp: »Nach einer bis in die Antike zurückreichenden und noch heute vorherrschenden Kommentierungstradition versteht man unter dem bewirkenden Intellekt ein Vermögen der menschlichen Seele, das die Aufgabe hat, aus den sinnlichen Eindrücken die allgemeinen Wesensformen zu abstrahieren. Diese Erklärung betont zwar zu Recht, dass der Übergang von der Erfahrung zum Erfassen allgemeiner Begriffe keineswegs trivial ist, sondern eine besondere Leistung des Intellekts erfordert; dass es aber gerade diese Leistung ist, die mit dem Attribut 348
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Skepsis etwas entgegengesetzt werden. Sie beziehen sich v. a. auf jene Kapitel, die auf De an. III, 5 folgen, und die deswegen auch eine inhaltliche Verbindung zum bisher Diskutierten nahelegen. Es geht hier um den Prozess des Denkens (νόησις), um das Denkobjekt (νοητόν) und sein mentales Korrelat (νόημα).
5.5.3. Funktion, Objekt und Gehalt des Denkvermögens νοῦς und νόησις Aristoteles unterscheidet terminologisch zwischen νοῦς und νόησις, und der statistische Wert differiert eklatant. Während in De an. III, 4–8 der νοῦς vierzehnmal erwähnt wird, taucht νόησις nur ein einziges Mal auf. Die νόησις ist in ihrer phonetischen Konstruktion bzgl. der Endung der αἴσϑησις ähnlich, und man kann deswegen fragen: Gibt es einen inhaltlichen Zusammenhang von νόησις und αἴσϑησις und einen entsprechenden Unterschied von αἴσϑησις und νοῦς? Es scheint so zu sein, denn während die αἴσϑησις ausgehend von ihren Objekten in ihrer Funktion untersucht wird, also wie diese Objekte »verarbeitet« werden, so steht auch bei der νόησις die Frage im Vordergrund, wie sich das Erfassen der Denkobjekte darstellt. Der νοῦς dagegen dient, wie im vorigen Kapitel 5.5.2 gesehen, als Kernbegriff für die besonderen und generellen Untersuchungen zur strukturellen Gegebenheit des Denkvermögens. Dieses wird zwar aus»bewirkend« beschrieben werden soll, steht bei Aristoteles nirgendwo.« (Rapp, 2007, S. 185) Diesem Einwand kann man entgegnen, dass der aktive bzw. bewirkende Intellekt im Sinn der Licht-Analogie eben eine Bedingung der Funktion des Denkvermögens darstellt, genauso wie das Licht durch seine Aktualisierung des Mediums eine Vorbedingung eines jeden Wahrnehmungsprozesses ist. Man muss deswegen fragen: Worin besteht diese Vorbedingung? Bei der Wahrnehmung besteht die Vorbedingung in der »Sichtbarmachung der Objekte«, d. h., das Medium, mittels dessen die perzeptive Form eines Objekts übertragen wird, muss aktualisiert sein. Man kann nun davon ausgehen, dass die Vorbedingung beim Denkvermögen ganz analog darin besteht, die Objekte als Denkobjekte erfassbar zu machen – wie gesagt, betont Aristoteles, dass materielle Objekte potentiell denkbare Objekte sind; und der aktive Intellekt ist genau diese alles weitere bedingende Fähigkeit, die in der »Denkbarmachung der Objekte« besteht. In der Folge kann man mit dem Denkvermögen die spezifischen und willentlichen Funktionen ausführen. Diese Funktionen werden im Folgenden dargestellt, wobei klar werden wird, dass sie an jenen sprachlogischen Operationen ausgerichtet sind, die in den Organon-Schriften ausgearbeitet werden.
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gehend vom Kausalmodell und der Wahrnehmungstheorie konstruiert, weist aber auch einige gravierende Besonderheiten auf, die in eine internalistische Struktur münden, d. h., dass die Objekte des Denkens und die dem eigentlichen Prozess vorgeschaltete »Aktualisierung des Mediums« innerhalb des Vermögens selbst verortet sind und nicht außerhalb wie bei den perzeptiven Vermögen. Anders als bei diesen Vermögen, ist es beim Denkvermögen also zusätzlich notwendig, die (quasi-)kausale Struktur von Objekt, Organ und Medium neu, und man könnte sagen: selbstgenügsam, zu justieren, und genau das wurde bei der oben dargestellten νοῦς-Diskussion zu leisten versucht. Der Ausdruck νόησις begegnet dem Leser erst zu Beginn von De an. III, 6. Und während in De an. III, 4 und 5 unter terminologischen Gesichtspunkten der νοῦς und die νοητά diskutiert werden, taucht im sechsten Kapitel zusammen mit der νόησις auch zum ersten Mal der Ausdruck νόημα auf. Man darf es mit der begrifflichen Strenge bei Aristoteles nicht zu weit treiben, aber die Tatsache, dass er im Rahmen der perzeptiven Vermögen die analogen terminologischen Unterscheidungen mit sachlicher Begründung einführt 351 und das bei der Wahrnehmung angewandte Kausalmodell auch auf das kognitive Vermögen überträgt, lässt es als gerechtfertigt erscheinen, auch hier die terminologischen Zusammenhänge etwas eingehender zu betrachten: Der Zusammenhang von νοῦς und νοητά scheint klar zu sein. Da Aristoteles in methodischer Hinsicht schon beim perzeptiven Vermögen von den entsprechenden Objekten ausgeht und beim kognitiven Vermögen dasselbe Kausalmodell unterstellt, erscheint es als nachvollziehbar, die grundsätzliche Struktur des Denkvermögens (νοῦς) anhand der (zunächst nicht weiter problematisierten) Denkobjekte (νοητά) auszurichten. In De an. III, 4 und 5 geht es dann ja auch hauptsächlich darum, den νοῦς hinsichtlich seiner internen Struktur zu untersuchen, was zu der oben diskutierten Betonung des aktiven Aspekts führt. Nachdem in III, 5 auch der passive Aspekt eingeführt wurde, geht es folgerichtig in III, 6 um die Funktionsweise des νοῦς, und die wird als νόησις bezeichnet. In der Konsequenz stellt sich dann die Frage, was es mit den νοήματα, also den mentalen Korrelaten der νοητά, auf sich hat. In der Beantwortung dieser Frage lässt sich schließlich auch der Bezug zur ursprünglichen Leitfrage herstel-
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Vgl. den einführenden Absatz von Kapitel 5.3.
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len, ob die νοητά respektive νοήματα als Kandidaten für Element D respektive C aus De int. 1 taugen. De an. III, 6 ist ebenso wie die vorhergehenden Kapitel ein nicht einfach zu interpretierender Text. Oftmals ist der inhaltliche Zusammenhang nicht klar. 352 Das Kapitel ist aber eingerahmt von zwei inhaltlich zusammenhängenden Passagen: Der Beginn 430a26–b6 und das Ende 430b26–30 handeln vom Erfassen von einfachen und zusammengesetzten Denkobjekten; es ist v. a. der Text dazwischen, der oftmals unsicher und schwer zu interpretieren ist. Deswegen besteht der erste Blick auf das Kapitel in einer Darstellung und Diskussion dieser beiden inhaltlich zusammenhängenden Passagen. Die Funktion des Denkvermögens: νόησις De an. III, 6 beginnt folgendermaßen: Ἡ μέν οὖν τῶν ἀδιαιρέτων νόησις ἐν τούτοις περί ἃ οὐκ ἔστι τό ψεῦδος, ἐν οἷς δέ καί τό ψεῦδος καί τό ἀληϑές, σύνϑεσίς τις ἢδη νοημάτων ὥσπερ ἓν ὄντων. Das [kognitive] Erfassen von Einheiten [ἀδιαιρέτων νόησις] gehört zu den [Vermögensleistungen], bei denen keine Falschheit vorkommt, bei jenen, wo Falschheit und Wahrheit vorkommt, ist immer schon eine Synthese von Konzepten [σύνϑεσις νοημάτων] zu einer Einheit vorhanden. De an. III, 6, 430a26–28
Auch hier klingt indirekt die Analogie zur Wahrnehmungstheorie an. Genauso wie die spezifischen Sinne in der Erfassung ihrer jeweils spezifischen Objekte infallibel sind, so ist das Denkvermögen hinsichtlich der einfachen Denkobjekte (ἀδιαίρετα [νοητά]) 353 infallibel. Erst wenn diese einfachen Objekte miteinander verbunden werden, ergibt sich die Möglichkeit des Irrtums – im Bereich der perzeptiven Vermögen bestand diese Verbindung ja in der vorsprachlichen AssoRoss geht von einem wenig ausgearbeiteten Entwurf aus: »The chapter appears to be a first sketch, which A. would undoubtedly have much improved if he had revised it.« (Ross, 1961, S. 300) 353 Dass hier mit νοήτα ergänzt werden muss, ist klar. Es geht um die infallible Erfassung der spezifischen Objekte des Denkens. Infallibilität setzt eine Objektivität voraus, eine Unabhängigkeit vom Erfassenden. Wie genau die Ontologie der νοητά zu verstehen ist, bleibt zu beantworten, u. a. hinsichtlich der Aussage, dass der νοῦς nichts ist, bevor er denkt. 352
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ziation. Im obigen Zitat sind die grundlegenden Funktionen des Denkvermögens angesprochen. Während in den vorigen Kapiteln die Struktur des Denkvermögens im Zentrum stand, geht es hier um die Frage, wie es funktioniert. Deswegen ist es folgerichtig, dass Aristoteles an dieser Stelle von νόησις, nicht vom νοῦς spricht. Diese Funktionen bestehen einerseits im infalliblen Erfassen von ἀδιαίρετα und andererseits in einer Synthesisleistung, die Aristoteles mit den Worten σύνϑεσις νοημάτων umschreibt. Zunächst erfolgt ein Blick auf die Synthesisleistung, nicht zuletzt deswegen, weil das infallible Erfassen der ἀδιαίρετα wohl schwieriger nachzuvollziehen ist. Synthese von Konzepten: σύνϑεσις νοημάτων Aristoteles fährt, nachdem er ein kurzes Empedokles-Zitat eingeschoben hat, wie folgt fort: οὕτω καί ταῦτα κεχωρισμένα συντίϑεται, οἷον τό ἀσύμμετρον καί ἡ διάμετρος: ἂν δέ γενομένων ἢ ἐσομένων, τόν χρόνον προσεννοῶν καί συντιϑείς. τό γάρ ψεῦδος ἐν συνϑέσει ἀεί: καί γάρ ἂν τό λευκόν μή λευκόν {φῇ, τό λευκόν καί} τό μή λευκόν συνέϑηκεν. ἐνδέχεται δέ καί διαίρεσιν φάναι πάντα. ἀλλ’ οὖν ἔστι γε οὐ μόνον τό ψεῦδος ἢ ἀληϑές ὅτι λευκός Κλέων ἐστίν, ἀλλά καί ὅτι ἦν ἢ ἔσται. τό δέ ἓν ποιοῦν, τοῦτο ὁ νοῦς ἕκαστον. So werden auch die abgetrennten [Konzepte] zusammengesetzt, wie z. B. das Irrationale und die Diagonale. Bezüglich des Vergangenen oder Zukünftigen, wird die Zeit beim Zusammensetzen mit hinzugedacht. Denn das Falsche findet sich immer in der Zusammensetzung. Und auch wenn das Weiße nicht-weiß genannt wird, werden das Weiße und das Nicht-Weiße zusammengesetzt. Bei allen [Zusammensetzungen] kann auch die Trennung (aus)gesagt werden. Allerdings ist nicht nur wahr oder falsch, dass das Weiße der Kleon ist, sondern auch, dass er es war oder sein wird. Dasjenige, was bei jedem [dieser Fälle] die Einheit bewirkt, ist das Denkvermögen [νοῦς]. De an. III, 6, 430a30–b6
Hier wird die Synthesisleistung im Sinne der Prädikation, der Affirmation und Negation diskutiert. Aristoteles’ erstes Beispiel ist »Irrationalität« und »Diagonale« (bzw. Irrationalität und Diagonale). 354 Schon hier soll deutlich gemacht werden, dass unter den νοήματα Konzepte als mentale Entitäten verstanden werden. Im Abschnitt »νοητά und νόημα als Konzepte?« ab Seite 297 wird diese Sichtweise weiter untermauert.
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Die Diagonale lässt sich nicht mit natürlichen Zahlen darstellen, deswegen kann man von ihr aussagen, dass sie irrational ist: »Die Diagonale ist irrational«. 355 Aristoteles führt bezüglich der Synthesisleistung auch die verschiedenen Zeitstufen ein, und so fällt es nicht schwer, einen inhaltlichen Bezug zu De int. herzustellen. Ohne diesen Bezug genauer erläutert zu haben, 356 gibt er einen ersten Hinweis darauf, dass ein enger funktionaler Zusammenhang zwischen der νόησις und den logisch-semantischen Betrachtungen in De int. besteht. Aufschlussreich ist ein weiteres Beispiel für eine Synthese, nämlich die Identifikationleistung des Weißen als etwas Nicht-Weißes (καί γάρ ἂν τό λευκόν μή λευκόν {φῇ, τό λευκόν καί} τό μή λευκόν συνέϑηκεν, De an. III, 6, 430b2–3). Hier geht es um eine (misslungene) Identifikationsleistung, also genau um das, was durch das perzeptive Vermögen nicht möglich ist; es wurde ja in den Kapiteln 5.3 und 5.4 festgestellt, dass im perzeptiven Vermögen lediglich die Assoziation möglich ist, d. h. eine Verbindung von einem wahrgenommenen Objekt mit einem anderen spezifischen Objekt bzw. einer damit verbundenen Empfindung (Lust oder Schmerz). Hier wird durch das Denkvermögen eine solche perzipierbare Entität, das Weiße (τό λευκόν), mit einer anderen Entität, die man nun nicht als perzipierbares Objekt verstehen kann, nämlich mit dem Nicht-Weißen (τό μή λευκόν) verbunden (συντίϑηναι). Klar ist aber auch, dass selbst die perzipierbare Entität »Weiß« zuerst in eine noetische Einheit überführt werden muss, damit eine solche Synthese vorgenommen werden kann, denn es handelt sich ja um eine σύνϑεσις νοημάτων und nicht um eine σύνϑεσις αἰσϑημάτων oder φαντασμάτων. Neben der Synthesisleistung ist damit, wenn auch eher implizit, jene schon des Öfteren angesprochene Überführungsleistung vorausgesetzt, die darin besteht, aus perzipierbaren Entitäten, wie z. B. Weiß, eine noetische, d. h. semantische Entität zu »machen«; anders gesagt: Dem phänomenalen Gehalt einer Perzeption wird ein sprachlicher Ausdruck als dessen Symbol gegenübergestellt, das dann auch mittels Definition fixiert und vereinheitlicht werden kann. Die Farbe Weiß ist in Vgl. z. B. Ethica Nicomachea III, 5, 1112a21–23: περί δέ τῶν ἀΐδίων οὐδείς βουλεύεται, οἷον περί τοῦ κόσμου ἢ τῆς διαμέτρου καί τῆς πλευρᾶς, ὅτι ἀσύμμετροι. Damit ist gemeint, dass die Diagonale sich nicht mit ganzen, sondern nur mit irrationalen Zahlen mathematisch darstellen lässt; im Kontext der Ethica Nicomachea heißt das, dass man sich über solche Dinge nicht beraten, sie nicht abwägen kann. 356 Vgl. aber v. a. τόν χρόνον προσεννοῶν in De an. III, 6, 430a32 und προσσημαίνειν χρόνον in De int. 3, 16b8. 355
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diesem Beispiel nicht mehr (nur) ein spezifisches Wahrnehmungsobjekt, sondern (auch) ein ἀδιαίρετον νοητόν, das dann als νόημα »logisch weiterverarbeitet« werden kann. Noch dazu scheint eine Leistung des Denkvermögens in der Negation dieser νοητά zu liegen: μή λευκόν ist sicherlich kein spezifisches Objekt der Wahrnehmung, sondern Ergebnis einer formal-semantischen Operation, die sich zwar auf eine ursprünglich perzipierbare Einheit bezieht, sich aber nicht durch das Wahrnehmungsvermögen erklären lässt. Es ist schon hier deutlich, dass sich diese Betrachtungen mit der im systematischen Teil eingeführten Rede von primitiven und lexikalen Konzepten übersetzen lassen: Die Farbe Weiß ist ein primitives Konzept, somit ein fundamentaler und phänomenaler Wahrnehmungsgehalt. Das ist das vorsprachliche Fundament jeglicher sprachlichen Bedeutung, die durch bestimmte (sprachliche) Fähigkeiten in dezidiert sprachliche Gehalte (lexikale Konzepte) überführt werden kann. Dieser Übertrag ist eine Bedingung für die νόησις; die Fähigkeit dazu wird von Aristoteles im aktiven Intellekt, im νοῦς ποιητικός fixiert. Zum Ende dieses Abschnitts verwendet Aristoteles als weiteres Beispiel den »Sohn des Kleon«, den er schon zur Erläuterung der akzidentellen Wahrnehmung in De an. III, 1, 425a22–30 eingeführt hat. Das weist zwar auf eine enge Verschränkung dieser Vermögen hin, entbindet aber nicht von der Pflicht zu einer klaren systematischen Trennung. Dabei wird nochmal deutlich, dass eine akzidentelle Wahrnehmung deswegen nur scheinbar eine propositionale Struktur hat, weil die Überführung von perzipierbaren in denkbare Entitäten ein transparenter Vorgang ist, d. h., dass wir das Wahrgenommene im Alltag immer schon mit kognitiven Operationen bearbeiten und vortheoretisch nicht unterscheiden zwischen den verschiedenen Gegebenheiten der einheitlichen Objekte als perzipierbare und denkbare Entitäten. Der letzte und vielleicht etwas unscheinbare und unvermittelte, aber durchaus wichtige Satz knüpft an diese Überlegungen an: τό δέ ἓν ποιοῦν, τοῦτο ὁ νοῦς ἕκαστον. Diese denkbaren Einheiten, ob als ἀδιαίρετα oder als σύνϑησις νοημάτων, sind nicht einfach so da, als etwas, das extern vorliegt und nur erfasst zu werden braucht, ganz im Sinne einer intuitiven Erkenntnisfähigkeit, sondern sie werden erst zu Einheiten gemacht (ποιοῦν) und zwar durch den νοῦς; dass es hier nicht νόησις heißt, ist insofern einleuchtend, als an dieser Stelle offensichtlich der aktive Intellekt angesprochen ist, der – wie das Licht bei der Wahrnehmung – erst dafür sorgt, dass man die Objekte des Denkens als solche Einheiten überhaupt erfassen kann. Sprache, Bedeutung, Geist
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Wenn auch nicht explizit, so wird an dieser Stelle doch sehr deutlich, dass die Einheitlichkeit der Denkobjekte, ja die Existenz der νοητά überhaupt, auf diese Fähigkeiten des aktiven Intellekts zurückzuführen ist. Und diese enge Verbindung zwischen den Funktionen der νόησις, dem Erfassen der ἀδιαίρετα und ihrer Synthese, und der Diskussion des aktiven Intellekts, die sich nicht zuletzt in der Ordnung und Aufeinanderfolge der entsprechenden Kapitel nachvollziehen lässt, legt die Überlegung nahe, dass mit dem aktiven Intellekt eine Fähigkeit (ἕξις) angesprochen ist, die diesen sprachlichen Funktionen, d. h. die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke zu erfassen und sie voneinander auszusagen, vorlaufen muss, und insofern selbst ein Sprachwissen darstellt. Nicht von ungefähr lässt sich hier auch eine inhaltliche Verbindung zum Beginn von An. post. herstellen, genauer zu der Passage, die in der Einführung zitiert wurde, und die sich auf das zweifache προγιγνώσκειν bezieht: Um überhaupt Wissen von der Welt haben zu können, braucht der Mensch ein Vorwissen, ein Sprachwissen, das einerseits in der Kenntnis formal-semantischer Regeln und andererseits im Erfassen von Bedeutung im Sinne von Beschreibungen oder Kennzeichnungen, kurz: in der Konzeptualisierung besteht. Und dieses Wissen ist durch den aktiven Intellekt ermöglicht: Durch ihn sind wir befähigt, Wahrnehmungsobjekte zu konzeptualisieren. Erfassen von grundlegenden Denkobjekten: ἀδιαιρέτων νόησις Das Ende von De an. III, 6 beinhaltet weitere Bemerkungen über das, was infallibel erfasst wird: ἔστι δ’ ἡ μέν φάσις τι κατά τινος, ὥσπερ καί ἡ ἀπόφασις, καί ἀληϑής ἢ ψευδής πᾶσα: ὁ δέ νοῦς οὐ πᾶς, ἀλλ’ ὁ τοῦ τί ἐστι κατά τό τί ἦν εἶναι ἀληϑής, καί οὐ τί κατά τινος: ἀλλ’ ὥσπερ τό ὁρᾶν τοῦ ἰδίου ἀληϑές, εἰ δ’ ἄνϑρωπος τό λευκόν ἢ μή, οὐκ ἀληϑές ἀεί, οὕτως ἔχει ὅσα ἄνευ ὕλης. Die Aussage sagt etwas über etwas [anderes] aus, wie z. B. die Negation, und jede ist wahr oder falsch. Das trifft aber nicht auf alles zu, was das Denkvermögen vermag, sondern das [Erfassen] der Definition [τί ἐστι] gemäß dem Wesen [τό τί ἦν εἶναι] ist wahr und keine [Aussage von] etwas über etwas [anderes], sondern genauso wahr wie das Sehen des spezifischen [Objekts]; wenn jedoch dem [Ausdruck] Mensch das Weiße hinzugefügt wird oder nicht, ist es nicht immer wahr; so verhält es sich bei den Objekten ohne Materie. De an. III, 6, 430b26–30
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Neben der Synthesisleistung, die sich in logischer Hinsicht als Negation und Affirmation darstellt, besteht die Funktion der νόησις auch in jenem Erfassen der ἀδιαίρετα. Obwohl im obigen Zitat nicht ausdrücklich von ἀδιαίρετα die Rede ist, dürfte aufgrund der Bezugnahme auf die Infallibilität klar sein, dass es sich um jene schon zu Beginn von De an. III, 6 erwähnte unfehlbare Funktion des Denkvermögens handelt. Die alternative Wendung, die Aristoteles hier für diesen Vorgang benutzt, lautet: ὁ τοῦ τί ἐστι κατά τό τί ἦν εἶναι, De an. III, 6, 430b28. Ein Erfassen der Definition (τί ἐστιν) gemäß den wesentlichen Eigenschaften (τό τί ἦν εἶναι). Hier ist eine sprachliche Form, nämlich die Definition angesprochen; und diese ist immer wahr, da sie sich auf wesentliche Eigenschaften des Erfassten bezieht. Die Definition ist die sprachliche Explikation des νοητόν; die Definition repräsentiert in sprachlicher Hinsicht eine Einheit, ein νοητόν, also das, worauf sich ein semantisches Atom als sprachliches Symbol bezieht. Mit einem semantischen Atom ist das gemeint, was Aristoteles in De int. umschreibt als einen sprachlichen Ausdruck, dessen Teile selbständig nichts bedeuten, und der insofern unteilbar ist. In Bezug auf den Subjektausdruck (ὄνομα) heißt es: φωνή σημαντική κατά συνϑήκην ἄνευ χρόνου, ἧς μηδέν μέρος ἐστί σημαντικόν κεχωρισμένον (De int. 2, 16a20–21); bezüglich des Prädikatausdrucks (ῥῆμα) heißt es: ἐστι τό προσσημαῖον χρόνον, οὗ μέρος οὐδέν σημαίνει χωρίς (De int. 3, 16b6–7). Die Selbständigkeit bzw. Unteilbarkeit bemisst sich hier am bezeichneten νοητόν. So sagt Aristoteles: οὐδέ γάρ ἐν τῷ μῦς τό υς σημαντικόν, ἀλλά φωνή ἐστι νῦν μόνον. (De int. 4, 16b31–32): Wenn in einem Wort wie μῦς (altgr. für Maus) zufälligerweise ein anderes, für sich durchaus bedeutsames Wort steckt, hier ὗς (altgr. für Schwein), dann ist dieses eigentlich für sich bedeutsame Wort hinsichtlich des relevanten νοητόν, d. h. des Konzepts Maus, das der Ausdruck μῦς symbolisiert, ohne irgendeine eigenständige Bedeutung. Selbst bei zusammengesetzten Subjektausdrücken gilt, dass hinsichtlich des bezeichneten νοητόν die Teile keine eigenständige Bedeutung besitzen. Aristoteles’ Beispiel ist der Ausdruck »Piratenboot« (ἐπακτροκέλης): ἐν ἐκείνοις μέν γάρ οὐδαμῶς τό μέρος σημαντικόν, ἐν δέ τούτοις βούλεται μέν, ἀλλ’ οὐδενός κεχωρισμένον, οἷον ἐν τῷ ἐπακτροκέλης τό κελης. (De int. 2, 16a24–24). Im Falle des Piratenboots liegt keine Synthese von »Pirat« und »Boot« etwa im Sinne der σύνϑεσις νοημάτων vor, sondern damit wird ein selbständiges und einheitliches ἀδιαιρετόν νοητόν bezeichnet. Semantische Atome sind deswegen unteilbar, weil sie sich Sprache, Bedeutung, Geist
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auf ein solches ἀδιαιρετόν νοητόν beziehen; sie sind in dieser semantischen Hinsicht nicht weiter teilbar, auch wenn wir, vornehmlich mittels Beschreibung, Kennzeichnung oder Definition, das bezeichnete Konzept sprachlich explizieren und analysieren können. Hier greift wieder die Unterscheidung von formalem und epistemischem Aspekt der Bedeutungsfrage: In formaler Hinsicht ist ein Ausdruck wie »Piratenboot« unteilbar, weil er sich auf ein distinktes νοητόν bezieht und daher seine Bedeutung erhält; das hindert aber nicht, dass es in epistemischer und pragmatischer Hinsicht möglich ist, sich die Bedeutung des Ausdrucks »Piratenboot« über die jeweiligen Bedeutungen der Ausdrücke »Pirat« und »Boot« zu erschließen; genau dieser Umstand ist von Aristoteles angesprochen, wenn er sagt, dass die Teile des zusammengesetzten Ausdrucks »Piratenboot« zwar etwas bedeuten wollen (βούλεται), es jedoch in dieser formalen Hinsicht nicht tun. Aristoteles hebt die Differenzierung der sprachlichen und der noetischen Ebene, die in einem symbolischen Verhältnis zueinander stehen, auch an weiteren Stellen hervor. In De int. 5, wo er die Affirmation als erste Form der sprachlichen Formulierung einer σύνϑεσις νοημάτων diskutiert, stellt er die Frage, warum eine Definition, Aristoteles’ Beispiel ist die Definition des Menschen als zweibeiniges Lebewesen (ζῷον πεζόν δίπουν), eine Einheit und keine Vielheit im Sinn der Synthese darstellt (διότι δέ ἕν τί ἐστιν ἀλλ’ οὐ πολλά τό ζῷον πεζόν δίπουν, De int. 5, 17a13). Er beantwortet sie dort mittels Verweis auf eine andere Untersuchung, womit wohl auch die hier zitierte De an.-Stelle gemeint sein dürfte. 357 Dadurch wird offensichtlich, dass sprachliche Vielheit nicht Vielheit in noetischer Sicht bedeutet. Es besteht ein Unterschied zwischen den sprachlichen Ausdrücken und dem, was damit symbolisiert wird; auf ein distinktes νοητόν kann in vielerlei Hinsicht sprachlich Bezug genommen werden. Dem Konzept Mensch kann man sich mit verschiedenen sprachlichen Ansätzen annähern: Nicht nur mit ζῷον πεζόν δίπουν, sondern z. B. auch mit ζῷον λόγον ἔχον. Und was Aristoteles in De int. damit meint, dass Definitionen keine Vielheiten (πολλά) sind, obwohl ihre sprachliche Form genau das nahelegt, ist, dass mit Hilfe dieser sprachlichen Ausdrücke das Erfassen der ἀδιαίρετα νοητά vor sich geht und sie keine Prädikationen als sprachliche Symbole einer σύνϑεσις νοημάτων darstellen. Klar wird die Differenzierung 357
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Vgl. De int. 5, 17a13–15.
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zwischen der sprachlichen und der noetischen oder konzeptuellen Sphäre der Definition auch, wenn man sich den Beginn von Cat. ansieht. Dort geht es um die Homonymität, die Aristoteles folgendermaßen definiert: Wenn etwas den gleichen Namen (ὄνομα) bei unterschiedlicher Definition (λόγος τῆς οὐσίας κατά τοὔνομα) hat, dann handelt es sich um ein Homonymon. 358 Hier wird auf verschiedene Konzepte mit demselben sprachlichen Ausdruck Bezug genommen; 359 über die Definition (λόγος τῆς οὐσίας) wird diese verschiedentliche Bezugnahme homonymer Ausdrücke aufgedeckt. Dasselbe gilt für die Synonymie: Wenn sich zwei verschiedene sprachliche Ausdrücke auf dasselbe Konzept beziehen, was wiederum durch Vergleich der jeweiligen Definitionen der sprachlichen Ausdrücke aufgedeckt werden kann, dann spricht man von synonymen Ausdrücken. Der λόγος τῆς οὐσίας κατά τοὔνομα aus Cat. ist aus diesem Blickwinkel als genau das zu verstehen, was in der oben zitierten De an.-Passage mit dem Ausdruck ὁ τοῦ τί ἐστι κατά τό τί ἦν εἶναι bezeichnet wird. Diese sprachphilosophischen Überlegungen, die sich in De int. und Cat. finden, hier aber nur gestreift wurden, weisen darauf hin, dass das, was durch einen sprachlichen Ausdruck symbolisiert wird, ein νοητόν (und ein νόημα) ist. Die Charakterisierung dieses Erfassens von ἀδιαίρετα als infallibel ist aber zunächst problematisch. Wie geht denn das Erfassen des τό τί ἦν εἶναι etwa des Menschen vor sich? Und was soll es heißen, dass es in einer infalliblen Weise möglich ist, die Definition etwa von »Mensch« zu erkennen? Sieht man denn einfach ein menschliches Individuum und erfasst gleichsam intuitiv die Definition des allgemeinen Ausdrucks »Mensch« als ζῷον πεζόν δίπουν? Zwei Punkte, auf die schon hingewiesen wurde, sprechen gegen eine solche unmittelbare Intuition. Der erwähnte Übungscharakter beim Spracherwerb, den Aristoteles u. a. zu Beginn von Phys. betont 360 und der den epistemischen Charakter der Bedeutungsfrage hervorhebt, widerspricht dieser unplausiblen Auffassung und Lesart der νόησις ἀδιαιρέτων. Man erfasst die Bedeutung eines Ausdrucks nicht ohne Lehrer Vgl. Cat. 1, 1a1–3. Das Beispiel aus Cat. ist der Ausdruck ζῷον. Dieser kann sich auf ἄνϑρωπος (Mensch) und auf γεγραμμένον (Zeichnung/Bild) beziehen. Das bedeutet, dass man sich auf das Konzept Mensch und Bild mit demselben sprachlichen Ausdruck beziehen kann; solche Fälle von Homonymie lassen sich auflösen, indem man die Definition des Ausdrucks angibt. 360 Vgl. Phys. I, 1, 184b12–14 und oben S. 103. 358 359
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und ohne Übung – was z. B. πατήρ bedeutet, wird nicht intuitiv, sondern schrittweise in einem Lernprozess erkannt. Je mehr man die Dinge der Wahrnehmung unterscheiden (διορίζειν) lernt, desto besser ist man in der Lage, die menschliche Sprache und ihre semantischen Einheiten, d. h. die νοητά, zu erfassen. Aristoteles erwähnt ja auch in An. post. II, 19 – und das ist der zweite Punkt – den Menschen als Beispiel für ein »erstes Allgemeines« (πρῶτον καϑόλου, 100a16). 361 Barnes hat diese Konzeption vom Menschen als πρῶτον καϑόλου ja kritisiert; an dieser Stelle wird seine Kritik wiederholt, da sie zum Verständnis der νόησις ἀδιαιρέτων beitragen kann: »Man, then, is not directly implanted in our minds by the senses, as Aristotle’s words in B 19 suggest; but in that case we need an account, which Aristotle nowhere gives, of how such concepts as man are derived from the data of perception.« (Barnes, 1994, S. 266)
Es ist richtig zu sagen, dass wir die Bedeutung des Ausdrucks »Mensch« nicht mit der Wahrnehmung erfassen. So wurde im Kapitel 5.3 dafür argumentiert, dass im rein perzeptiven Bereich kein semantisches Wissen vorkommt, das es ermöglicht, schon hier die Bedeutung des Ausdrucks »Mensch« zu erfassen. Was mit der Wahrnehmung direkt erfasst werden kann, sind perzipierbare Einheiten mit bestimmten qualitativen Eigenschaften, in Bewegung, mit einer bestimmten Gestalt – also spezifische und gemeinsame Wahrnehmungsobjekte. Und in bestimmter Hinsicht fällt ein individueller Mensch auch unter diese Kategorie perzipierbarer Entitäten: Da sind zunächst Objekte mit bestimmten qualitativen Eigenschaften, die sich bewegen, die eine bestimmte Gestalt haben, usw. Irgendwann kommt man dazu, ein solches Individuum als Lebewesen (ζῷον), das auf dem Land lebt (πεζόν) und sich dort auf zwei Beinen fortbewegt (δίπουν) zu erfassen – und das mag eine hinreichend genaue Kennzeichnung von »Mensch« sein. Wichtig ist zu erkennen, dass die Ausdrücke im explanans hier in lerngeschichtlicher Hinsicht grundlegender sind als das explanandum 362 – genauso wie »Vater« u. a. mit »Mann« definiert wird. Und nur durch Anleitung lernt das Kind, den Vater von anderen Männern zu unterscheiden, nur durch Anleitung lernt es, den Menschen von anderen Lebewesen zu unterscheiden. Dieser Prozess darf
Vgl. An. post. II, 19, 100a15–b5 und oben S. 121. Das ist freilich die Funktion einer Definition, mit schon Bekanntem das Nochnicht-Bekannte zu beschreiben.
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natürlich kein infiniter Prozess sein, d. h., irgendwo muss ein Punkt sein, wo das Kind die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken ohne beschreibende Erklärung und Spezifizierung durch einen Lehrer kennt und den betreffenden konventionellen Ausdruck lediglich mittels Deixis mit diesem semantischen Gehalt verbinden muss; dieser Punkt ist nun nicht im Falle von »Mensch« gegeben, sondern im Falle jener semantischen Gehalte, die gleichzeitig perzipierbare Entitäten darstellen, anders gesagt: Im Falle von primitiven Konzepten. Barnes hat mit seiner Kritik also insofern recht, als wir mit dem Konzept Mensch nicht in der Weise bekannt sind, wie wir es mit dem Konzept Weiß sind. Allerdings handelt sich bei dem Beispiel »Mensch« um eine natürliche Art, und ein Individuum, das wir ja schon mittels Wahrnehmung als eine Einheit erfassen, fällt immer unter eine natürliche (oder artifizielle) Art. Zwar sind die Wahrnehmungsobjekte, die man an sich wahrnehmen kann, die systematischen Nullpunkte semantisch relevanten Gehalts (der formale Aspekt), in pragmatischer Hinsicht orientiert sich die Lerngeschichte aber wohl an genau solchen natürlichen Arten, die wir schon mittels Perzeption z. B. als sich bewegende und mit bestimmten Eigenschaften ausgestattete Einheiten erfassen (der epistemische Aspekt). Das erklärt vielleicht, wieso Aristoteles »Vater« bzw. »Mensch« als Beispiele für die νόησις ἀδιαιρέτων anführt und nicht die – aufgrund einer theoretischen Reduktion entwickelten – Wahrnehmungsobjekte an sich. Auch wenn für diese Sichtweise sehr viel hermeneutische Gutmütigkeit aufgebracht werden muss, so gibt es durchaus Anzeichen dafür, dass in pragmatischer Hinsicht natürliche Arten, in systematischer Hinsicht aber Wahrnehmungsobjekte an sich das Fundament der νόησις ἀδιαιρέτων bilden. Aristoteles stellt diesen Prozess im obigen Zitat in Analogie zur infalliblen Wahrnehmung (ἀλλ’ ὥσπερ τό ὁρᾶν τοῦ ἰδίου ἀληϑές, De an. III, 6, 430b29). Die Infallibilität der νόησις ist analog zu derjenigen der Wahrnehmung zu verstehen. Wie aber in den Ausführungen zur aristotelischen Wahrnehmungstheorie offenbar wurde, ist nicht das gesamte Wahrnehmungsvermögen zur unfehlbaren Wahrnehmung fähig. Nur im Erfassen der phänomenalen Gehalte ist das perzeptive Vermögen deswegen unfehlbar, weil es sich aufgrund seiner organisch-materiellen Ausstattung in einer direkten kausalen Beziehung mit den spezifischen Objekten der Wahrnehmung befindet. Es ist aber durchaus möglich, dass schon bei dieser Art der Wahrnehmung Umstände herrschen, die einen geringen Teil Sprache, Bedeutung, Geist
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an Irrtum zulassen (ἡ αἴσϑησις […] ὀλίγιστον ἔχουσα τό ψεῦδος, De an. III, 3, 428b18–19). 363 Aristoteles geht von einem Idealzustand der strukturellen Isomorphie zwischen Objekt und Organ der Wahrnehmung aus, der in der Realität aber nicht unbedingt vorliegen muss. Aber worin besteht nun die analoge Unfehlbarkeit beim Erfassen der Objekte des Denkens? Eine plausible Vermutung könnte darin bestehen, dass genauso, wie die spezifischen Objekte der Wahrnehmung infallibel durch das Wahrnehmungsvermögen erfasst werden können, dieselben Gehalte auch als Denkobjekte unfehlbar erfasst werden können, und zwar indem diesen Einheiten ein konventioneller sprachlicher Ausdruck zur Seite gestellt wird (in diesem strengen Sinne, d. h. mit Bezug auf denselben Gehalt, wäre dann auch diese Passage ὥσπερ τό ὁρᾶν τοῦ ἰδίου ἀληϑές, 430b29 zu lesen). Auf was nimmt man mit den Ausdrücken »rot«, »rouge« oder »red« Bezug? Sowohl auf einen phänomenalen Wahrnehmungsgehalt im Sinne eines primitiven Konzepts als auch auf ein lexikales Konzept; und zwar indem diese Rotwahrnehmung und die anderen visuellen Qualitäten zunächst (und mit Hilfe des aktiven Intellekts als einer Fähigkeit, aus den perzipierbaren Einheiten semantische Einheiten zu machen) unter den Gattungsbegriff »Farbe« subsumiert werden, später dann mit spezifischeren Definitionen wie z. B. »Lichtwellen im Bereich über 600nm« bestimmt werden. Wenn diese Vermutung zutrifft, dann wäre genau an dieser systematischen Stelle der Übergang vom perzeptiven zum semantischen Gehalt angesprochen; es ist aber nicht mehr als eine plausible Vermutung – diese systematische Lücke zwischen dem infalliblen perzeptiven Erfassen von spezifischen Wahrnehmungsobjekten und dem infalliblen kognitiven Erfassen von ἀδιαίρετα bleibt bei Aristoteles leider bestehen. Zum möglichst überzeugenden Schließen dieser vielleicht auch bewusst gesetzten pädagogischen Lücken sind die Interpreten und Kommentatoren der aristotelischen Schriften aber schließlich aufgefordert.
Mit dieser Art der Fallibilität sind Störungen im eigentlichen Wahrnehmungsprozess (wenn etwa der Wahrnehmende in irgendeiner Weise »von Sinnen ist«, etwa durch Trunkenheit) oder in der vorgeschalteten »Sichtbarmachung« (wenn bspw. die Lichtverhältnisse schlecht sind) angesprochen.
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νοητά und νόημα als Konzepte? Dass die ἀδιαίρετα [νοητά] als lexikale Konzepte verstanden werden können, wurde im Sprachgebrauch dieses Kapitels bis jetzt ohne weitere Begründung unterstellt. Diese Annahme soll im Folgenden untermauert werden. Es handelt sich dabei nicht um eine neue oder ungewöhnliche These: Viele Kommentatoren weisen darauf hin, dass man kein wörtliches Verständnis der ἀδιαίρετα im Sinne von »unteilbaren Dinge« unterstellen, sondern eher von »Einheiten« sprechen sollte. 364 Die νοητά sind demnach zwar Einheiten, als Konzepte aber trotzdem mittels νόησις logisch-semantisch analysierbar. Hicks hat diesen Umstand prägnant zusammengefasst: »What, then, are the ἀδιαίρετα of our text? They are νοητά [sic!] and immaterial, without ὕλη, 430b31. They are simple, for they take their place as elements of more complex νοητά in the judgment and in other σύνϑετα. They are not, however, absolutely unanalyzable, if quiddities are included (430b28), for the definition which has the quiddity for its content, like every λόγος (Metaph. 1016a34 sq., 1034b20), consists of parts, and the discursive intellect can separate these parts, e. g. ζῷον from δίπουν when it analyses the definition of man.« (Hicks, 1965, S. 511)
Hicks greift zudem einen Aspekt auf, der bisher vernachlässigt wurde. Im letzten Satz vom oben zitierten Abschnitt De an. III, 6, 430b26–30 spricht Aristoteles davon, dass es sich auf diese Weise bei den Dingen ohne Materie verhält (οὕτως ἔχει ὅσα ἄνευ ὕλης, De an. III, 6, 430b30). Das οὕτως ἔχει bezieht sich auf die verschiedenen Funktionen der νόησις, und mit der Formulierung ὅσα ἄνευ ὕλης ist das wieder aufgegriffen, was schon im Kapitel 5.4.3, Seite 222, in den Äußerungen des Aristoteles zum Wahrnehmungs- und Vorstellungsgehalt diskutiert wurde. Aristoteles sagt dort, dass die Vorstellungsgehalte so wie die Wahrnehmungsgehalte sind, nur ohne Materie (ἄνευ ὕλης): τά γάρ φαντάσματα ὥσπερ αἰσϑήματά ἐστι, πλήν ἄνευ ὕλης, De an. III, 8, 432a9–10. Es wurde an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das ἄνευ ὕλης die Unabhängigkeit von den exterVgl. hierzu etwa Ross: »The main subject of this chapter is the apprehension of ἀδιαίρετα. In dealing with this chapter in English, we must not use either the word ›undivided‹ or the word ›indivisible‹, but rather some ambiguous word like ›unitary‹.« (Ross, 1961, S. 300) Vgl. auch Hicks: »He is dealing throughout with units or unities, ἀδιαίρετον being simply a more precise term for the vague and ambiguous ἕν […].« (Hicks, 1965, S. 510)
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nen Objekten der Wahrnehmung meint. Genau diese Unabhängigkeit ist auch hier angesprochen, geht allerdings einen Schritt weiter, weil es sich hier nicht nur um die νοήματα handelt, sondern auch und gerade um die νοητά: Das Erfassen von grundlegenden Einheiten als νόησις ἀδιαιρέτων und die Prädikation als σύνϑεσις νοημάτων erfolgen unabhängig von dem, was unsere Sinne aktual affiziert. Zwar ist dieses Abheben von den perzipierbaren Entitäten schon im Vorstellungsvermögen gegeben, es gibt aber zwischen Vorstellungs- und Denkgehalt gewichtige Unterschiede, auf die weiter unten noch näher einzugehen ist. Klar dürfte aber sein: Wenn schon für die φαντάσματα gilt, dass sie unabhängig vom dazugehörigen Wahrnehmungsobjekt zu verstehen sind, so gilt das umso mehr für die νοητά und die νοήματα. Denn hier ist die Möglichkeit gegeben, mit den Funktionen der νόησις, d. h. mit logisch-semantischen Operationen, semantische Einheiten wie z. B. den Bockhirsch zu entwickeln. Insofern fügen sich diese Überlegungen nahtlos in das Verständnis der νοητά als der menschlichen Seele interne Entitäten. Dass mit den νοητά Konzepte gemeint sind, wird auch in De an. III, 4 klar, wo Aristoteles den Unterschied zwischen einem wahrnehmbaren Gegenstand (z. B. Wasser, ὕδωρ) und seiner entsprechenden Wesensdefinition (das »Wasser-Sein«, ὕδατι εἶναι) betont (ἐπεί δ’ ἄλλο ἐστί τό μέγεϑος καί τό μεγέϑει εἶναι καί ὕδωρ καί ὕδατι εἶναι, De an. III, 4, 429b10–11). 365 Diese Unterscheidung dient in diesem Kontext zum Nachweis der notwendigen Etablierung des Denkvermögens, denn mit dem perzeptiven Vermögen können wir zwar z. B. das Fleisch qua Materie, also hinsichtlich seiner spektralen und naturalen λόγος-Struktur unterscheiden, aber eben nicht das Fleisch qua Materie von seiner Definition. 366 Damit weist Aristoteles schon an dieser Stelle darauf hin, dass die Objekte des Denkens eng mit den Definitionen materieller Gegenstände zusammenhängen und dass es eine Funktion des νοῦς ist, die materielle von der definitorischen Sphäre zu scheiden; wobei er auch sagt, dass manchmal beide Sphären in eins fallen – nämlich bei den abstrakten Dingen. 367 Schließlich ist auch in jenem Text, der zwischen den schon disDie Größe (τό μέγεϑος) als gemeinsames Wahrnehmungsobjekt und Wasser (ὕδωρ) als natürliche Art sind einheitliche Objekte der Perzeption, die im Rahmen dieses Vermögens zwar erfasst, aber noch nicht definiert, d. h. als semantische Einheiten verstanden werden können. 366 Vgl. De an. III, 4, 429b12–18. 367 Vgl. De an. III, 4, 429b11–12. 365
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kutierten Passagen zu Beginn und zum Ende von De an. III, 6 liegt, noch einiges über das aristotelische Verständnis der ἀδιαίρετα zu erfahren – und zwar gibt es dort Hinweise dafür, dass Aristoteles, obwohl er oft von natürlichen Arten als Beispielen der ἀδιαίρετα spricht, trotzdem in grundlegender Hinsicht von Einheiten ausgeht, die sich an die Wahrnehmung an sich anlehnen; das würde die These stärken, dass mit der νόησις ἀδιαιρέτων in dieser Hinsicht der Übergang von primitiven zu lexikalen Konzepten angesprochen ist. In besagtem Zwischentext diskutiert Aristoteles Beispiele des Erfassens von ἀδιαίρετα. Die beiden ersten Beispiele, die er unter der Bezeichnung τό κατά ποσόν ἀδιαίρετον (quantitative Konzepte, vgl. De an. III, 6, 430b14) bespricht, sind Größe oder Ausdehnung (τό μῆκος) und Zeit (ὁ χρόνος). Hier liegt eine Verbindung zu den gemeinsamen Wahrnehmungsobjekten vor, denn wenn auch mit anderer Terminologie (nämlich: τό μέγεϑος), so ist die Größe oder Ausdehnung Teil der beiden Auflistungen der gemeinsamen Wahrnehmungsobjekte in De an. II, 6, 418a17–18 und in III, 1, 425a16. Die Zeit taucht zwar in diesen beiden Listen nicht auf, wird dafür aber in Mem. 368 mit explizitem Bezug zur gemeinsamen Wahrnehmung und ihren Objekten genannt: μέγεϑος δ’ ἀναγκαῖον γνωρίζειν καί κίνησιν ᾧ καί χρόνον, καί τό φάντασμα τῆς κοινῆς αἰσϑήσεως πάϑος ἐστίν. Größe [μέγεϑος] und Bewegung [κίνησις] werden notwendig mit demselben [Vermögen] erfasst, mit dem auch die Zeit erfasst wird, und der [entsprechende] Vorstellungsgehalt ist eine Affektion der gemeinsamen Wahrnehmung. Mem. 1, 450a9–11
Es wird deutlich, dass sich die Beispiele, die Aristoteles für eine νόησις ἀδιαιρέτων von quantitativen Einheiten anführt, auf an sich wahrnehmbare Objekte rückbeziehen, weswegen er auch davon sprechen kann, dass diese Objekte nur akzidentell mit dem Denkvermögen erfasst werden. 369 Neben dem τό κατά ποσόν ἀδιαίρετον führt Aristoteles auch jene Klassen von ἀδιαίρετα an, die als Qualitäten Einheiten sind (τῷ εἴδει, De an. III, 6, 430b14–15). Die meisIn diesem Abschnitt von Mem. geht es Aristoteles um den Nachweis, dass Erinnerung (μνήμη) nicht nur beim Menschen, sondern auch bei anderen Lebewesen vorkommt. Vgl. auch Hamlyn, 1993, S. 106. 369 Vgl. Mem. 1, 450a13–15. 368
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ten Übersetzer verwenden an dieser Stelle zwar den Art- bzw. Speziesbegriff, 370 und in gewisser Hinsicht ist es plausibel, von infimae species auszugehen, weil es hier um etwas »Unteilbares« im Sinne einer epistemischen Grundlage geht. 371 Wie diese genau verstanden werden müssen, bleibt in De an. letztlich unklar. Da Aristoteles Beispiele wie das Wasser 372 oder den Menschen als ein »erstes Allgemeines« 373 anführt, mag es prima facie korrekt sein, unter dieser Art von ἀδιαίρετα die natürlichen Arten zu verstehen. In Met. macht Aristoteles aber deutlich, dass das, was am ehesten eine Einheit darstellt, etwas Quantitatives (τό ποσόν) oder eben etwas Qualitatives (τό ποιόν) ist. 374 Und wenn man berücksichtigt, dass Aristoteles in Cat. unter den ποιότητα zwar Verschiedenes, unter anderem aber genau jene »Affektionen der Seele« versteht, die Aristoteles mit der speziDie Passage 430b14–15: τό δέ μή κατά τό ποσόν ἀδιαίρετον ἀλλά τῷ εἴδει übersetzt Theiler/Seidl mit: »Was nicht der Quantität (Ausdehnung), sondern der Art nach unteilbar ist, […]«, Ross mit: »[…] that which is indivisible not in size, but in species […]«, Hicks mit: »Again, that which is not quantitatively but specifically an indivisible whole […]«. Hamlyn wählt das unproblematische, aber wenig klare »undivided in form«, nur Hett bezieht sich auf die Qualität: »But when the object of thought is not quantitatively but qualitatively indivisible […]«. 371 Vgl. hierzu auch Hicks, 1965, S. 518–519. 372 Vgl. oben, Seite 298, Anmerkung 365. 373 Vgl. oben, Seite 294 f. und Anmerkung 361. 374 Das zehnte Buch von Met. ist dem Begriff der Einheit gewidmet. Hier erfolgen nur ein paar Hinweise auf die Relevanz dieser Überlegungen für den vorliegenden Kontext: Aristoteles macht eine generelle Unterscheidung zwischen Einheiten, die aufgrund ihrer materiellen Einheit und Unabhängigkeit eines sind, und Einheiten, die man als noetische Einheiten bezeichnen kann, und die aufgrund des λόγος Einheiten sind: τά μέν δή οὕτως ἓν ᾗ συνεχές ἢ ὅλον, τά δέ ὧν ἂν ὁ λόγος εἷς ᾖ, τοιαῦτα δέ ὧν νόησις μία, τοιαῦτα δέ ὦν ἀδιαίρετος, ἀδιαίρετος δέ τοῦ ἀδιαιρέτου ἔδει ἢ ἀριϑμῷ. Met. X, 1, 1052a29–31. Der Bezug zur vorliegenden Thematik dürfte klar sein: Es gibt materielle Einheiten, Zusammenhängendes (συνέχες) und es gibt jene Einheiten, die mit der νόησις als Einheiten erfasst werden. Etwas später betont Aristoteles das Maß (μέτρον), mit dem das Quantitative erfasst wird: μέτρον γάρ ἐστιν ᾧ τό ποσόν γιγνώσκεται, 1052b20. Allerdings führt Aristoteles gleich darauf aus, dass diese Erkenntnis immer auf die Einheit zurückzuführen ist: γιγνώσκεται δέ ἢ ἑνί ἢ ἀριϑμῷ τό ποσόν ᾗ ποσόν, ὁ δέ ἀριϑμός ἅπας ἑνί, ὥστε πᾶν τό ποσόν γιγνώσκεται ᾗ ποσόν τῷ ἑνί, καί ᾧ πρώτῳ ποσά γιγνώσκεται, τοῦτο αὐτό ἕν, 1052b20–23. Man sucht also immer nach dem Maß als etwas Einheitlichem bzw. nach dem Unteilbaren – und diese Einheit bzw. Unteilbarkeit ergibt sich letztlich entweder über das Quantitative oder das Qualitative: πανταχοῦ γάρ τό μέτρον ἕν τι ζητοῦσι καί ἀδιαίρετον: τοῦτο δέ τό ἁπλοῦν ἢ τῷ ποιῷ ἢ τῷ ποσῷ, 1052b34–35. Vgl. hierzu auch die zusammenfassende und abschließende Bemerkung zu diesem Kapitel X, 1, 1053b4–8 von Met. 370
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fischen Wahrnehmung beschrieben hat, 375 dann kann man der These, dass Aristoteles in De an. mit diesen ἀδιαίρετα τῷ εἴδει genau jene spezifischen Wahrnehmungsobjekte gemeint hat, eine hohe Plausibilität zuschreiben. Die klassischen infimae species, die natürlichen Arten wie z. B. der Mensch, das Pferd oder das Wasser, sind in Cat. keine Qualitäten, sondern eben zweite Substanzen. Auch das legt die Vermutung nahe, dass mit den ἀδιαίρετα τῷ εἴδει in erster Linie die spezifischen Wahrnehmungsobjekte angesprochen sind, jene grundlegenden phänomenalen Gehalte des Wahrnehmungsvermögens und nicht die natürlichen Arten. Wie schon in der Kritik an der An. post.Passage, in der Aristoteles den Menschen als ein erstes Allgemeines bezeichnet, gilt auch hier, dass man sinnvoll unterscheiden kann zwischen der pragmatischen Lerngeschichte, die sich an den ontologischen Einheiten, den ersten und zweiten Substanzen aus Cat., orientiert, und dem epistemologischen Problem der Fundierung, das sich an den grundlegenden perzipierbaren Einheiten orientiert, die das Ergebnis einer theoretischen Reduktion darstellen. Es gibt also gewichtige Hinweise darauf, dass Aristoteles mit der νόησις ἀδιαιρέτων eine Art des Erfassens beschrieben hat, die eng mit der Wahrnehmung an sich zusammenhängt. Mit den entsprechenden Objekten sind wir in einer unmittelbaren und direkten Weise über die Perzeption bekannt, und darauf baut dann auch die νόησις auf, hierauf bezieht sich ihre fundamentale Infallibilität. Systematisch gewendet, befinden wir uns mit der νόησις ἀδιαιρέτων an jenem Ort, an dem der Übertrag von primitiven zu lexikalen Konzepten stattfindet. Hier liegt die systematische Verbindungsstelle zwischen den αἰσϑητά und den νοητά vor. Aristoteles sagt, dass die materiellen Dinge nur in potentieller Weise νοητά sind. 376 Wenn durch den Wahrnehmungsprozess die Form eines solchen Dinges ohne Materie erfasst wird, dann kann in der Folge diese Form durch jenes »Licht des νοῦς« auch als νοητόν erfasst werden. Es fällt auf, dass Aristoteles bei den beiden Funktionen der νόησις zwischen νοητά und νοήματα differenziert: Das Erfassen der ἀδιαίρετα bezieht sich auf νοητά, zumal es hier auch um ein infallibles Erfassen geht, was methodisch gesehen etwas Objektives als (quasi-)kausale Grundlage benötigt, wobei zwar immer noch gilt, dass die νοητά vermögensintern sind, es aber eine infallible Verbin375 376
Vgl. Cat. 8, 9a28–31. Vgl. De an. III, 4, 430a6–7.
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dungslinie zu den an sich wahrnehmbaren Wahrnehmungsobjekten gibt und somit die Objektivität dieser grundlegenden νοητά gewahrt bleibt. Bei der Synthesisfunktion der νόησις spricht Aristoteles allerdings von νοήματα. Bei den angesprochenen logisch-semantischen Operationen werden also nicht νοητά, sondern νοήματα »verarbeitet«. Was ist nun der Unterschied zwischen νοητά und νοήματα, und wieso kann sich die νόησις auf beides beziehen? In den Kapiteln über die Wahrnehmung hat sich gezeigt, dass Aristoteles das αἴσϑημα gegenüber dem αἰσϑητόν systematisch vernachlässigt; das wurde damit erklärt, dass durch das externe Objekt der Wahrnehmung auch der Gehalt der Wahrnehmung festgelegt wird, indem durch den physikalischen Prozess der Aufnahme der Form ohne die Materie der phänomenale Inhalt dieser Wahrnehmung individuiert wird. Man kann ohne explanatorischen Verlust diesen Gehalt mit dem zugrundeliegenden Wahrnehmungsprozess bestimmen – was der These des epistemischen Dualismus aber nicht entgegensteht, denn selbst wenn alles, was passiert, physikalisch erklärbar ist, so gibt es bei bestimmten Prozessen, wie z. B. der Wahrnehmung, einen weiteren epistemischen Zugang, der lerngeschichtlich der physikalischen Erklärungsstrategie vorgelagert ist, und deswegen als semantisches Fundament fungieren kann. Beim Denkvermögen kommt dem νόημα eine größere Rolle zu als dem αἴσϑημα beim Wahrnehmungsvermögen. Das νόημα ist das, was, entgegen dem νοητόν, durch logisch-semantische Operationen weiterbearbeitet werden kann – das νόημα ist ja laut SGG das mentale Korrelat eines νοητόν. Letzteres ist und bleibt eine semantische Einheit, es ist dasjenige, was für alle Menschen identisch ist, was durch einen sprachlichen Ausdruck im Sinne eines semantischen Atoms symbolisiert wird und mit logisch-semantischen Operationen weiterverarbeitet werden kann. Es handelt sich dabei also um etwas Objektives, das zwar nicht materiell, aber dennoch jenseits des bloß Subjektiven zu verstehen ist – an dieser Stelle lässt sich auf die Ausführungen im systematischen Teil, auf das Kapitel 5.1.2 (v. a. S. 135 ff.) zurückgreifen: Dort wurde auf den Doppelcharakter von Konzepten hingewiesen, die man einerseits als mentale Entitäten verstehen kann, im Sinne eines Gegenentwurfs der naiven Abbildtheorie, nämlich als sprachliches Erfassen von etwas mittels Definitionen. Und dieses Etwas bildet dann den anderen Aspekt von Konzepten, nämlich das, was Frege den Sinn bzw. den Gedanken genannt hat, etwas, was man erfassen und worauf man sich intentional beziehen 302
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kann, etwas, das teilbar und somit objektiv ist. Die νοητά erfüllen genau diese Aufgabe von abstrakten Konzepten; es sind Einheiten, die erfasst werden, aber semantisch analysierbar sind. Es sind auch Einheiten, die nicht materiell sind, die nicht mit den Sinnen wahrnehmbar, aber trotzdem objektiv und teilbar sind. Die Objektivität ist mit der Infallibilität angesprochen; bestimmte νοητά, nämlich die ἀδιαίρετα, werden unfehlbar erfasst, genauso wie die an sich wahrnehmbaren Objekte. Wenn man die Farbe Rot als Beispiel heranzieht, dann beginnt alles mit dem externen Wahrnehmungsobjekt, hier als spezifisches, d. h. qualitatives Objekt, das durch die gemeinsamen Wahrnehmungsobjekte als Einheit strukturiert ist. Diese spezifischen Objekte werden von Aristoteles als Spektren verstanden, als Punkte auf einer Skala hell – dunkel (oder z. B. beim gustatorischen Sinn süß – sauer). Das ist das physikalisch gewendete αἰσϑητόν. In erster Linie nehmen wir Farben aber als phänomenale Gehalte, als Qualia wahr. Die Grundlage für das Erlernen von sprachlichen Ausdrücken ist nicht die wissenschaftliche Durchdringung der externen Objekte (also das Verständnis der spezifischen Objekte als λόγοι ἔνυλοι), sondern deren subjektives Erleben als αἰσϑήματα. Wie erläutert stellt die Subjektivität hier kein Problem dar, weil im Rahmen des epistemischen Dualismus die subjektiv-phänomenale Ebene immer schon mit der physischen Ebene verbunden ist, die für Objektivität sorgt. Auf dieser perzeptiven Ebene lassen sich also ontologische Einheiten erfassen, wiedererkennen und miteinander assoziieren – ein sprachliches Erfassen dieser Einheiten ist hier allerdings noch nicht möglich. Erst mit der νόησις ist es möglich, diese phänomenalen und strukturierten Gehalte auch sprachlich zu repräsentieren. Wie gesehen bezieht sich das Erfassen der ἀδιαίρετα zunächst auf diese fundamentale perzeptive Ebene: Was als νοητόν infallibel erfasst wird, ist das, was schon im Wahrnehmungsbereich in dieser infalliblen Weise erfasst wurde. Hier liegt der grundlegendste Übertrag von perzipierbaren in semantische Einheiten vor, in systematischer Hinsicht der Schwellenübertritt vom primitiven zum lexikalen Konzept. Als phänomenaler Gehalt ist Rot eine perzeptive Einheit. Mit der νόησις ist es nun möglich, diesen Einheiten einen konventionellen sprachlichen Ausdruck (»rot«, »rouge«, »red«, »rosso«) als Symbol gegenüberzustellen und sie somit zu einer semantischen Einheit zu »machen«. An dieser Stelle geht der Übertrag von einer perzeptiven zu einer semantischen Einheit unmittelbar vor sich, weil es sich um die grundSprache, Bedeutung, Geist
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legendsten Objekte des gesamten Erkenntnisapparats handelt – die Möglichkeit dieses »Heraushebens« der semantischen aus den perzeptiven Einheiten wurde als Vorbedingung der eigentlichen Funktionen der νόησις, d. h. dem Erfassen und der Synthese dieser Einheiten, angesehen, das mit dem aktiven Intellekt erklärt wird. Ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Lerngeschichte ist es möglich, alle Objekte eines spezifischen Sinnes, die man mittels gemeinsamer Wahrnehmung von den Objekten der anderen spezifischen Sinne unterscheiden kann, auch sprachlich unter ein genus zu subsumieren, im Falle von Rot unter Farbe. In diesem Sinne lassen sich die νοητά als Einheiten mittels Definition analysieren (wie Aristoteles selbst es beim ἄνϑρωπος mit ζῷον πέζον διποῦν vorführt). Der Zusammenhang von qualitativen und quantitativen Aspekten von ontologischen Einheiten, der schon mit der Perzeption erfassbar ist, lässt sich mit der νόησις nun auch sprachlich erfassen. Allerdings kann man dann auch über die perzeptive Ebene hinausschreiten, wie das aristotelische Beispiel des Bockhirschs (τραγέλαφος) klarmacht. Hier besteht der Fall, dass nicht nur aus den perzeptiven Einheiten semantische Einheiten »gemacht« werden, sondern dass auch Einheiten entwickelt werden können, die insofern von der Perzeption unabhängig sind, als sie nicht unmittelbar aus ihr hervorgehen – deswegen betont Aristoteles auch immer wieder, dass Ausdrücke wie »Bockhirsch« zwar etwas bedeuten (καί γάρ ὁ τραγέλαφος σημαίνει μέν τι, De int. 1, 16a16–17), sich also auf ein νοητόν beziehen, dass damit aber überhaupt noch nichts über die Existenz eines (externen) Objekts Bockhirsch gesagt ist (ἐάν μή τό εἶναι ἢ μή εἶναι προστεϑῆ, De int. 1, 16a17–18). 377 Ein Hauptaspekt der νόησις besteht also darin, eben jene fundamentalen Wahrnehmungsgehalte definieren und semantisch analysieren zu können; man bleibt hier nicht beim Faktisch-Phänomenalen und dem Assoziieren stehen. Des Weiteren lassen sich aus diesen ἀδιαίρετα auch neue Einheiten mittels Prädikation »machen«. Darauf weisen auch Äußerungen hin, dass die ἀδιαίρετα mittels σύνϑεσις wiederum zu Einheiten gebracht werden können (σύνϑεσίς τις ἢδη νοημάτων ὥσπερ ἓν ὄντων, De an. III, 6, 430a27–28). Diese EiDiese Entkopplung von Bedeutung und Existenz ist generell zu verstehen, d. h., sie bezieht sich auch auf die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken, die auf etwas in der Welt, d. h. etwas Materielles referieren, vgl. De int. 4, 16b28–30: λέγω δέ, οἷον ἄνϑρωπος σημαίνει τι, ἀλλ’ οὐχ ὅτι ἔστιν ἢ οὐκ ἔστιν (ἀλλ’ ἔσται κατάφασις, ἢ ἀπόφασις ἐάν τι προστεϑῇ).
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genschaft des aktiven Hervorbringens von in diesem Fall »prädikativen Einheiten« (Propositionen) trifft aber nicht nur auf die Syntheseleistung zu, sondern auf die gesamte νόησις, also auch auf das infallible Erfassen der ἀδιαίρετα. Kein νοητόν ist als externes Objekt draußen in der Welt vorhanden, sondern jedes ist als interner Gegenstand sprachlicher Symbole erst »zu machen«. Das, was im Sinne einer Vorbedingung verantwortlich für diese Fähigkeit ist, ist der aktive Intellekt als ἕξις, der, so wie das Licht, die in den externen Einheiten der Perzeption nur potentiell vorhandenen noetischen Einheiten »sichtbar« macht. Hinter dieser Fähigkeit versteckt sich letztlich ein formales Sprachwissen, das zum einen im Übertragen von fundamentalen Wahrnehmungsobjekten in semantische Einheiten besteht, zum anderen und in der Folge im Wissen um formal-semantische Prinzipien (z. B. Negation, Prädikation), im Rückgriff auf welche diese Gehalte weiterverarbeitet werden können. Dieses Verständnis der νόησις fügt sich schließlich sehr gut in die aristotelische Rede vom νοῦς, der überhaupt nichts in Wirklichkeit ist, bevor überhaupt gedacht wird, 378 bevor, so könnte man sagen, das »noetische Licht scheint«; am Anfang steht eine Fähigkeit, nämlich etwas rational bzw. sprachlich zu erfassen, und dadurch entstehen die Denkobjekte, die als semantische Einheiten die Bedeutungsträger sprachlicher Ausdrücke sind. In der Untersuchung der νόησις und ihrer Funktionen spricht Aristoteles davon, dass der νοῦς für die Einheiten, z. B. einer Prädikation, verantwortlich ist, dass er es ist, der die Einheiten hervorbringt (ποιοῦν) (τό δέ ἓν ποιοῦν, τοῦτο ὁ νοῦς ἕκαστον, De an. III, 6, 430b5–6). Die Metapher des Stehenbleibens Es gibt noch weitere, werkübergreifende Anmerkungen zur νόησις, die Licht auf ihre Funktionsweise und Stellung werfen, wie z. B. die metaphorische Rede vom Stehenbleiben (στάσις; ἱστάναι) und vom Zur-Ruhe-Kommen (ἠρέμησις; ἠρεμεῖν). In einer einführenden Bemerkung aus dem ersten Buch von De an. wird im Kontext dieser Metapher erneut der Bezug zum νοῦς als ἀπαϑές deutlich und lässt sich deswegen gut zur Abrundung der νοῦς/νόησις-Diskussion heranziehen. Dort heißt es: 378
Vgl. De an. III, 4, 429a21–24 oder 429b29–31.
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ἔτι δ’ ἡ νόησις ἔοικεν ἠρεμήσει τινί καί ἐπιστάσει μᾶλλον ἢ κινήσει. Zudem scheint das Denken eher wie ein Stehenbleiben und ein Wissen zu sein als eine Bewegung. De an. I, 3, 407a32–33
Im ersten Buch von De an. geht es größtenteils um eine Durchsicht der überlieferten Ansichten der Philosophen zur Seele. Im dritten Kapitel erfolgt die Definition der Seele als Bewegung und das obige Zitat beinhaltet einen Zweifel an dieser Position, den man als aristotelisch anerkennen kann, der also kein Referat einer nicht-aristotelischen Position darstellt. 379 Es wurde in der Diskussion des fünften Kapitels des zweiten Buches von De an. (Kapitel 5.5.1) deutlich, dass Aristoteles aufgrund genau dieses Zweifels eine »semantische Erweiterung« des naturphilosophischen Vokabulars vornimmt, um auch die Eigentümlichkeiten der mentalen Zustände, der psychischen Vorgänge in die naturphilosophische Beschreibung der Welt einzugliedern. Der intentionale Charakter dieser Zustände, das Erfassen, das Verstehen und Begreifen von etwas, wird nun hier mit dem Stehenbleiben umschrieben. Man kann sicherlich darüber streiten, ob es Aristoteles mit seinen Ausführungen in De an. II, 5 gelungen ist, diese Erweiterung des naturphilosophischen Vokabulars und somit die Eingliederung des Phänomens der Intentionalität in die Metaphysik der Natur vorzunehmen; wichtig ist, dass Aristoteles mit dieser Metapher die νόησις als intentionales Vermögen darstellt, das ein Bezugsobjekt, nämlich die νοητά, benötigt. Es gibt eine systematische Verbindung zwischen der Metapher des Stehenbleibens und der Annahme eines Objekts, bei dem das Vermögen »stehenbleibt«. Mit dieser Metapher nimmt Aristoteles also Bezug auf die Intentionalität bzw. auf die νοητά als intentionale Objekte, und er verwendet die Metapher auch an anderen, für die aristotelische Semantik einschlägigen Stellen, von denen nun in der Folge zwei zentrale und inhaltlich zusammenhängende dargestellt werden: Zunächst zur entsprechenden Stelle in De int.: Es wurde schon darauf hingewiesen, dass für Aristoteles der Subjekt- und der Prädikatausdruck semantische Atome insofern sind, als ihre Teile selbst Zumal im folgenden Satz in 407a33–34 dieses Stehenbleiben auch dem Syllogismus, einer aristotelischen »Erfindung«, zugesprochen wird: τόν αὐτόν δέ τρόπον καί ὁ συλλογισμός.
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keine Bedeutung haben. Im dritten Kapitel wird der Prädikatausdruck (ῥῆμα) definiert als ein semantisches Atom, das als Teil einer Proposition die Zeit »hinzubedeutet« (τό προσσημαῖνον χρόνον), und ein Zeichen bzw. ein Symbol für dasjenige ist, was von etwas anderem ausgesagt wird (Ῥῆμα δέ ἐστι τό προσσημαῖνον χρόνον, οὗ μέρος οὐδέν σημαίνει χωρίς: ἔστι δέ τῶν καϑ’ ἑτέρου λεγομένων σημεῖον, De int. 3, 16b6–7). Die Definition des Prädikats ergibt sich also zunächst aus dem Satzverbund heraus, Aristoteles betont aber auch die Möglichkeit zur Isolation des Prädikats, und in diesem Kontext fällt die Metapher des Stehenbleibens: αὐτά μέν οὖν καϑ’ αὑτά λεγόμενα τά ῥήματα ὀνόματα ἐστι καί σημαίνει τι, -ἵστησι γάρ ὁ λέγων τήν διάνοιαν, καί ὁ ἀκούσας ἠρέμησεν,- ἀλλ’ εἰ ἔστιν ἢ μή οὔπω σημαίνει. Für sich selbst isoliert ausgesprochen sind die Prädikate wie Subjekte und bedeuten etwas – denn der Redner bringt sein Denken zum Stehen und der Hörer kommt zum Stillstand – ob aber [das, von dem die Rede ist] existiert oder nicht, wird [mit dem Prädikat] nicht bedeutet. De int. 3, 16b19–22
Hier wird deutlich, dass die Bedeutung eines Ausdrucks durch das Stehenbleiben des Denkens (ἵσταναι τήν διάνοιαν) erfasst wird. Das Erfassen der Bedeutung eines Ausdrucks läuft über die νόησις ab und ist ein intentionaler Prozess, der ein νοητόν, eine semantische Einheit als Gegenstand und Zielpunkt hat. Durch das Hören des sprachlichen Ausdrucks ist es auch jenen, die den sprachlichen Ausdruck als Symbol akustisch wahrnehmen, möglich, diesen noetischen Prozess zu durchlaufen, an dessen Ende das Verstehen, das Erfassen des entsprechenden νοητόν liegt. Dabei macht Aristoteles erneut deutlich, dass sich dieses Erfassen nicht direkt auf die außersprachliche Wirklichkeit bezieht, indem er feststellt, dass mit (dem Erfassen) der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks noch nichts über die Existenz des bezeichneten Gegenstands entschieden ist. Auch dies ist mehr als ein Indiz dafür, dass die νοητά als interne Objekte zu verstehen sind. Dieser knappe Einschub zum Erfassen der Bedeutung eines isolierten Prädikats kann ohne Probleme auf Subjektausdrücke übertragen werden. D. h., die Bedeutung der semantischen Atome steckt in den νοητά, die mittels νόησις erfasst werden. Auch hier wird demnach deutlich, dass sprachliche Bedeutung erst mit diesem Vermögen Sprache, Bedeutung, Geist
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zu erfassen ist, dass sie nur in der Symbolisierung der νοητά, nicht der φαντάσματα besteht. Erst durch das kognitive Vermögen, das als Vorbedingung jene apriorische, interne und »unvermischte« Fähigkeit, als die der aktive Intellekt interpretiert wurde, voraussetzt, ist es möglich, der Sprache und der Erfassung sprachlicher Bedeutung fähig zu sein. Dieser eher apriorische Deutungsansatz der aristotelischen Sprach- und Erkenntnistheorie muss der Herausforderung entgegentreten, die sich durch das berühmte Abstraktionskapitel An. post. II, 19 ergibt. Dieses Kapitel hat in der aristotelischen Interpretationsgeschichte eine eigene exponierte Stellung. 380 Die Kernfrage besteht darin, inwiefern der Mensch Kenntnis von den Prinzipien des Wissens haben kann, was letztlich zur Debatte darüber führt, ob Aristoteles eine empiristische oder eine rationalistische Position in der Epistemologie vertritt. Dieses Problem ist hier insofern von Relevanz, als im aktiven Intellekt aus De an. eine epistemische Fähigkeit (ἕξις) erkannt wurde, die in einer apriorischen, erfahrungsunabhängigen Weise die Grundlage für Wissen und Wissenschaften darstellt. Eine gewichtige Interpretationstendenz von An. post. II, 19 betont jedoch – und zwar mit guten Argumenten – den empiristischen Charakter der aristotelischen Ausführungen. Es wird im Folgenden darum gehen, diese Diskrepanz genauer zu betrachten und entsprechende Lösungen zu entwickeln. Dabei stellt sich zunächst die folgende Frage: Was meint Aristoteles mit den Prinzipien des Wissens? Es handelt sich dabei um verschiedene Formen von wissenschaftlichen Grundlagen; und zwar als Theoreme der verschiedenen Einzelwissenschaften, aber auch als bereichsübergreifende Grundlagen der Wissenschaft im Generellen. Aristoteles unterscheidet dementsprechend verschiedene Arten von Prinzipien: 381 Definitionen (ὁρισμοί) und Hypothesen (ὑποϑέσεις) sind Prinzipien, die auf die verschiedenen Gegenstandsbereiche der Einzelwissenschaften bezogen sind. So stellt z. B. der Mathematiker mittels einer Definition fest, was im Rahmen der Mathematik eine Einheit (μονάς) ist. Mit einer Hypothese wird zudem die Existenz dessen, was definiert wird, behauptet. 382 Eine dritte Art von PrinziFür einen ersten Einstieg vgl. den sehr guten Überblick inklusive Forschungsbericht von Detel, 1993, S. 829–854. 381 Vgl. An. post. I, 2, 72a15–24; vgl. auch An. post. I, 1, 71a11–17. 382 Vgl. An. post. I, 2, 72a21–24; es dürfte kein Zufall sein, dass Aristoteles als Beispiel die Einheit anführt. Hierüber kann der Mathematiker nicht nur eine wissenschaftliche Definition bilden, sondern auch die Existenz behaupten – und zwar deswegen, 380
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pien sind die Axiome oder Postulate (ἀξιώματα). Bei den Axiomen handelt es sich nicht um spezifische Prinzipien der Einzelwissenschaften, sondern um generelle formal-logische Prinzipien, die für jede Wissenschaft gelten. Dazu gehören z. B. der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, das Widerspruchsprinzip, die evidenten und »vollkommenen« Syllogismen Barbara und Celarent. 383 Damit sind logisch-semantische Grundprinzipien angesprochen, die in ihrer Generalität unhintergehbar sind und auf denen letztlich auch die Definitionen und Hypothesen als weitere Arten von Prinzipien basieren. All diese Axiome setzen wiederum die Fähigkeit zur Prädikation, also eine der beiden Grundfunktionen der νόησις, voraus. 384 Während in De an. in grundlegender Weise festgestellt wird, dass eine Aufgabe der νόησις die σύνϑεσις νοημάτων ist, werden in den logischen Schriften diese Funktionen und Gesetzmäßigkeiten der νόησις detaillierter ausbuchstabiert. Aristoteles geht es in An. post. II, 19 um die Frage, wie wir von diesen Prinzipien Kenntnis haben können, wenn nicht durch Demonstration. Das Problem verschärft sich, weil es sich um Grundlegendes handelt, das einen höheren Grad an »epistemischer Würde« besitzt. Nach einer gängigen Interpretationslinie dieses Kapitels erlangen wir eine Kenntnis von Prinzipien, also auch
weil die Einheit als gemeinsames Wahrnehmungsobjekt an sich wahrgenommen wird, somit außersprachliche und außermentale Realität ist. Auffällig ist dahingehend auch die Formulierung, die eng an der νόησις ἀδιαιρέτων der quantitativen Konzepte angelehnt ist: τίϑεται γάρ ὁ ἀριϑμητικός μονάδα τό ἀδιαίρετον εἶναι κατά τό ποσόν, An. post. I, 2, 72a21–23. Schon hier zeigt sich, dass die Prinzipien im Sinne eines Vorwissens (προγινώσκειν, An. post. I, 1, 71a11) zwar auf der Wahrnehmung beruhen, aber gleichzeitig mit der νόησις verbunden sind. 383 Vgl. hierzu etwa Detel: »Demonstrationen, also wissenschaftliche Erklärungen, sind nach Aristoteles, wie wir gesehen haben, Deduktionen, also logisch gültige Argumente. Daher beruhen sie unter anderem auch auf den Grundlagen der Syllogistik, zum Beispiel auf dem Satz von ausgeschlossenen Dritten, auf dem Prinzip des indirekten Beweises, und auf den logisch gültigen syllogistischen Deduktionen. Somit gehören auch sie zu den wissenschaftlichen Prinzipien.« (Detel, 2011, S. xxxvii) 384 Dass diese Axiome auf der Prädikation beruhen, wird auch dadurch klar, dass Aristoteles zu Beginn von An. pr., also der Schrift, die die logische Grundlage – im Sinne der Syllogistik – seiner Wissenschaftstheorie bildet, die Behauptung oder Aussage (πρότασις) definiert: Πρότασις μέν οὖν ἐστί λόγος καταφατικός ἢ ἀποφατικός τινος κατά τινος, I, 1, 24a16–17. Nach der Bestimmung der Qualität (affirmativ oder negativ) wird in einem weiteren Schritt die Quantität (allgemein, partikulär oder unbestimmt) der Aussage bestimmt: οὗτος δέ ἢ καϑόλου ἢ ἐν μέρει ἢ ἀδιόριστος, I, 1, 24a17. Darauf beruhen dann ausdrücklich die etwas später diskutierten »vollkommenen« Deduktionen. Für Barbara vgl. An. pr., I, 4, 25b37–40. Sprache, Bedeutung, Geist
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von Axiomen als den logisch-semantischen Grundlagen, durch die Wahrnehmung und die Empirie. Das würde mit der hier vertretenen Position, dass Sprache, sprachliche Bedeutung und ihre logisch-semantischen Gesetzmäßigkeiten erst mit der νόησις bzw. dem νοῦς gegeben sind, kollidieren. Denn wenn auch die Axiome durch empirische Kanäle, also mittels Wahrnehmung, erfasst und verstanden werden, wäre es dann nicht konsequent, die Sprachfähigkeit schon im perzeptiven Bereich zu verorten? Die Lösung dieser interpretatorischen Spannung besteht im Kern darin, dass in An. post. II, 19 der epistemische Werdegang dargestellt wird, der notwendig ist, um in bestimmte epistemische Zustände zu gelangen 385 – wir wissen von den Prinzipien nicht in einer intuitiven Weise, sondern erhalten Einblick in diese Prinzipien, indem wir von der Wahrnehmung ausgehend, eine epistemische Leiter erklimmen. Allerdings wird sich zeigen, dass in den Betrachtungen, die Aristoteles in An. post. II, 19 anstellt, die hier diskutierte und zentrale epistemische Fähigkeit, aus den perzeptiven Gehalten semantische »herauszuheben«, als die der aktive Intellekt ja interpretiert wurde, als unproblematisch vorausgesetzt wird. Das würde bedeuten, dass Aristoteles hier nicht so sehr die Frage, woher Sprache und sprachliche Bedeutung überhaupt kommen, sondern die spezifischere Frage nach dem epistemischen Werdegang zur Kenntnis der Prinzipien des Wissens beantworten will. Alle Prinzipien, auch die Axiomata werden als propositionale Inhalte formuliert und erfasst; der Satz vom Widerspruch ist ja ein Satz, sein Inhalt ist propositional strukturiert, setzt somit die Fähigkeit, Sätze (anders gesagt: Prädikationen oder συνϑέσεις νοημάτων) bilden und verstehen zu können, schon voraus. Der in An. post. II, 19 dargestellte epistemische Werdegang zeigt zwar, dass jede Form von Kenntnis von der Wahrnehmung ausBisher wurde für den Ausdruck ἕξις die Übersetzung »Fähigkeit« gewählt (siehe v. a. die Diskussion zum aktiven Intellekt). Detel votiert im Rahmen von II, 19 für die Übersetzung »Zustand«: »Der Ausdruck »Zustand«, im Sinne von »epistemischer Zustand«, bezeichnet dabei nicht eine bloße Fähigkeit oder Disposition der Seele, sondern den Status eines Verfügens über, oder Beherrschens von, gewissen Kenntnissen oder gewissen Fähigkeiten, Kenntnisse zu erwerben.« (Detel, 1993, S. 831) Man könnte zwar betonen, dass eine bestimmte Fähigkeit notwendig ist, um überhaupt in einen Zustand zu gelangen – es scheint lediglich eine Frage der Perspektive, welchen Aspekt, Zustand oder Fähigkeit, man als gewichtiger ansieht. Detel ist aber schon Recht zu geben: Wie angedeutet, geht es in diesem Kapitel eher um die epistemischen Zustände, nicht so sehr um die Frage nach den diese Zustände voraussetzenden Vermögen oder Fähigkeiten.
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geht; dabei wird aber die in diesem Rahmen nicht problematisierte Fähigkeit, überhaupt erst propositionales Wissen erfassen und formulieren zu können, vorausgesetzt. Dieser Umstand wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass – wie noch zu zeigen sein wird – auch im Kontext dieser epistemischen Fundierungsproblematik in An. post. II, 19 die Metaphorik des Stehenbleibens an einer ganz bestimmten systematischen Stelle auftaucht. Um diesen kurz illustrierten Lösungsansatz detaillierter darzustellen und zu belegen, erfolgt nun eine zusammenfassende Darstellung der Ausgangslage und der jeweiligen Schritte des Kapitels An. post. II, 19: Die Grundlagen des Wissens bzw. der Wissenschaften (ἐπιστήμη) können nicht mehr mit den Instrumenten der Wissenschaft selbst, dem demonstrativen Syllogismus, bewiesen werden; es stellt sich deswegen die Frage, wie wir eine Kenntnis (γνῶσις) von diesen Grundlagen haben, im Sinne eines epistemischen Zustands, die entsprechenden Prinzipien zu kennen. Die Fragen, die Aristoteles dahingehend stellt, lauten: Handelt es sich bei dieser Kenntnis um Wissen (ἐπιστήμη) oder nicht? Gibt es von jedem dieser Prinzipien (ἄρχαι) ein Wissen oder nicht, bzw. werden einige davon mit dem Wissen, andere mit einer anderen Kenntnisart erfasst? Und schließlich die wichtigste Frage: 386 Entstehen diese Zustände erst nachträglich in uns, ohne dass wir sie vorher gehabt hätten, oder befinden sich diese Zustände in uns, ohne dass wir wissen, dass wir sie haben? (καί πότερον οὐκ ἐνοῦσαι αἱ ἕξεις ἐγγίνονται ἢ ἐνοῦσαι λελήϑασιν, An. post. II, 19, 99b25–26). Aristoteles unterzieht diese beiden Alternativen einer unmittelbaren Kritik, die in ihrer Ablehnung resultiert: Die letzte der beiden Möglichkeiten ist deswegen abwegig (ἄτοπον), weil der Mensch in diesem Fall eine genauere und sicherere Kenntnis als demonstratives Wissen hätte, die ihm aber dennoch verborgen bliebe – wenn man etwas weiß, und zwar sicherer weiß als im Falle demonstrativen Wissens, dann wäre doch anzunehmen, dass diese Kenntnis gerade nicht verborgen ist. Die erste der beiden Möglichkeiten wird von Aristoteles abgelehnt, weil es dann nicht möglich wäre, überhaupt zu demonstrativem Wissen zu gelangen – es ist ja das Credo, Vgl. hierzu auch Detel: »[…] [W]enn das dritte der genannten Probleme gelöst ist, werden sich auch die anderen beiden Probleme lösen lassen, und daher steht im weiteren Verlauf von II 19 das dritte Problem im Vordergrund der Überlegungen.« (Detel, 1993, S. 830)
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dass es etwas Ursprünglicheres, Unmittelbareres als demonstratives Wissen geben muss, und dieses Ursprüngliche muss in irgendeiner Weise schon vorhanden sein, um überhaupt erst in die Lage zu kommen, demonstratives Wissen zu erlangen. Aus dieser epistemologischen Aporie, dass der Mensch die Kenntnis dieser Prinzipien als Wissen oder ἕξις weder immer schon hat (ἔχειν), noch, dass sie in irgendeiner Weise erst (nachträglich) entstehen (ἐγγίγνεσϑαι), sucht Aristoteles in der berühmten Passage 100a3–b5 einen Ausweg. In einem ersten Schritt zur Lösung dieser Aporie (99b32–100a3) konstatiert Aristoteles, dass es ein Vermögen (δύναμις) als »genetisch-epistemischen Ausgangspunkt« 387 geben muss, das aber hinsichtlich der epistemischen Genauigkeit gerade niedriger einzustufen ist als das demonstrative Wissen (ἀνάγκη ἄρα ἔχειν μέν τινα δύναμιν, μή τοιαύτην δ’ ἔχειν ἣ ἔσται τούτων τιμιωτέρα κατ’ ἀκρίβειαν, An. post. II, 19, 99b33–34). Damit wird dem ersten Horn des obigen Dilemmas beigekommen: Nicht in einem unvermittelten Haben des epistemisch höherwertigen Zustands gelangen wir zur Kenntnis der Prinzipien, sondern auf einem erkenntnistheoretischen Weg dorthin, der bei einem »geringeren« Vermögen anfängt – das fügt sich in die aristotelische Lehre der kontinuierlich aufeinander aufbauenden Vermögen. Das inhaltliche Wissen des Menschen ist nichts, das ohne Voraussetzung und intuitiv gewusst wird; vielmehr ist der erste epistemische Bezug des Menschen zur Welt identisch mit dem der nicht-menschlichen Lebewesen. Das Vermögen, das Aristoteles meint, ist natürlich die Wahrnehmung, die als unterscheidungsfähiges Vermögen bei allen Tieren 388 vorkommt. Einigen der wahrnehmungsfähigen Tiere kommt dann auch das »Bleiben« der Wahrnehmungsgehalte zu und einigen nicht (ἐνούσης δ’ αἰσϑήσεως τοῖς μέν τῶν ζῴων ἐγγίγνεται μονή τοῦ αἰσϑήματος, τοῖς δ’ οὐκ ἐγγίγνεται, An. post. II, 19, 99b36–37). Bei den Lebewesen ohne dem »Bleiben des Wahrnehmungsgehalts« gibt es keine Kenntnis über das Wahrnehmen hinaus (οὐκ ἔστι τούτοις γνῶσις ἔξω τοῦ αἰσϑάνεσϑαι, An. post. II, 19, 99b38–39). Bei den Lebewesen, denen das Bleiben zukommt, ist es zusätzlich möglich, eine perzeptive Einheit in der
Hamlyn, 1976, S. 182, hat den Begriff genetic epistemology geprägt. Vgl. auch Detel, 1993, S. 831–836. 388 Zwar spricht Aristoteles vom ζῷον, also eigentlich vom Lebewesen; es ist aber klar, dass es bei Aristoteles keine nicht-tierischen Lebewesen gibt. 387
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Seele zu behalten (ἐν οἷς δ’ ἔνεστιν αἰσϑανομένοις 389 ἔχειν ἕν τι 390 ἐν τῇ ψυχῇ, An. post. II, 19, 99b39–100a1). Aus diesen perzipierbaren Einheiten bzw. der Möglichkeit, diese zu speichern und mit aktuellen Wahrnehmungsobjekten zu assoziieren, ergibt sich, wenn viele Objekte wahrgenommen werden, die Möglichkeit zur Unterschiedsbestimmung (πολλῶν δέ τοιούτων γινομένων ἤδη διαφορά τις γίνεται, An. post. II, 19, 100a1–2). Das, was mit dieser Fähigkeit angesprochen ist, dürfte genau das sein, was innerhalb der Diskussion der Wahrnehmungstheorie als vorsprachliche Assoziation bezeichnet wurde; eine Fähigkeit, die auch angenommen werden muss, um das Streben der tierischen Lebewesen zu erklären. Wichtig ist nun, dass Aristoteles eine weitere Differenzierung einführt, die sich an der λόγος-Fähigkeit orientiert: Einigen Lebewesen, denen das »Bleiben der Wahrnehmungsgehalte« zukommt, ist es möglich, einen λόγος, d. h. eine sprachliche Bestimmung der »gebliebenen« und untereinander differenzierten Wahrnehmungsgehalte zu bilden (ὥστε τοῖς μέν γίνεσϑαι λόγον ἐκ τῆς τῶν τοιούτων μονῆς, τοῖς δέ μή, An. post. II, 19, 100b2–3). Diesen Lebewesen ist also mehr als die vorsprachliche Assoziationsleistung gegeben, nämlich die sprachliche Identifikation mittels λόγος-Bestimmung. Aristoteles versucht also bezüglich der Prinzipienfrage den Fokus auf den epistemischen Werdegang zu legen. Alles Wissen von der Welt, auch das Prinzipienwissen, beginnt mit der Wahrnehmung. Es ist aber auffällig, dass die Betrachtungen in diesem ersten Abschnitt auf die Begriffsbildung, also die Konzeptualisierung, abstellen und nicht auf die Frage, wie die propositionalen Inhalte, die die Prinzipien ja sind, als Wissen erfasst werden können, wenn nicht durch Demonstration: Wahrnehmungsgehalte können mit dem Vorstellungsvermögen gespeichert werden, womit vorsprachliche Assoziation möglich ist. Die λόγος-fähigen Tiere, die Menschen, sind zusätzlich zur sprachlichen Identifikation imstande. Dieser Umstand wurde in der Forschung durchaus als Problem angesehen. Detel bezieht sich auf Ross, der in seinem Kommentar auf diese Ungereimtheit hinGegen Ross’ (und Ueberwegs) Konjektur αἰσϑομένοις und mit Detel, 2011, der sich auf die Kodizes beruft. 390 Gegen die Lesart ἔτι, die Ross aufgrund der Kodizes A und E annimmt, und mit Detel, 2011, der sich auf die Kodizes d und n berufen kann. Die hier vertretene Lesart erscheint im vorliegenden thematischen Kontext überaus sinnvoll, da es darauf ankommen wird, etwas Einheitliches in der Wahrnehmung (eine perzeptive Einheit) aufgrund der Speichermöglichkeit mit weiteren Einheiten abzugleichen. 389
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weist, »[…] daß nämlich demonstrative Prinzipien im vollen Sinne durch Sätze beschrieben werden, während Aristoteles in II 19 kaum mehr zu repräsentieren scheint als eine Darstellung der Konstitution allgemeiner Begriffe.« (Detel, 1993, S. 837) Aristoteles spricht im Rahmen der Fundierungsfrage also genau das an, was im Zentrum der Bedeutungsfrage steht, nämlich: Was ist die Grundlage sprachlicher Bedeutung? Mit der Antwort, die Aristoteles hier gibt, werden die bisherigen Ergebnisse untermauert. Denn es zeigt sich, dass diese Grundlage in den phänomenalen Einheiten der Wahrnehmung besteht. Bestimmte perzeptive Fähigkeiten sind notwendig, nämlich die Wahrnehmung, um diese Gehalte zuallererst aufzunehmen. Des Weiteren ist das Vorstellungsvermögen vonnöten, um diese Gehalte zu speichern. Ganz nebenbei fällt dann auch noch die λόγος-Fähigkeit einiger Tiere, die die erwähnte Begriffsbestimmung der Wahrnehmungsgehalte ermöglicht. Die Frage, woher genau diese Fähigkeit zum λόγος kommt, welches Vermögen dazu nötig ist, wird in An. post. II, 19 schlichtweg nicht gestellt. Es geht letztlich darum zu zeigen, dass jedes inhaltliche Wissen (auch Bedeutungswissen) in der Wahrnehmung ihre Wurzel hat. Die Frage, die in den vorangegangenen Kapiteln dieser Arbeit im Zentrum stand, nämlich woher die Fähigkeit zur λόγος-Bildung, zur Konzeptualisierung der perzeptiven Objekte überhaupt herkommt, wie sie erklärt wird – diese Frage bleibt hier erkennbar ausgespart. 391 Aristoteles beleuchtet in An. post. II, 19 den epistemischen Aspekt der Bedeutungs- und der Erkenntnisfrage, und dieser Aspekt geht mit der Betonung der Wahrnehmung einher. Der formale Aspekt, der ja auf der Überzeugung beruht, dass jeder bedeutsame sprachliche Ausdruck etwas symbolisiert, der somit auf »Gegenstände« wie etwa den Bockhirsch verweist und deswegen der Erklärung bedarf – eine Erklärung, die prinzipiell in der Annahme von νοητά und νοήματα besteht, die durch die νόησις bzw. den νοῦς erfasst werden. Dieser formale Aspekt bleibt im Kontext der Fundierungsfrage in An. post. II, 19 vollständig im Hintergrund. Diese Auffassung wird sich im Folgenden bestätigen. In einem zweiten Schritt (100a3–100b5) erläutert Aristoteles die Dass Aristoteles diese Frage gestellt hat, das sollte in den Ausführungen zum νοῦς und zur νόησις deutlich geworden sein. Vgl. hierzu auch prinzipiell Detel: »Daß wir als Lebewesen, die in der Welt für eine Weile überleben können, immer schon eine gewisse (auch allgemeine) Erkenntnis mitbringen, die es dann für Menschen zu erklären und zu erweitern gilt, ist eine der fundamentalen aristotelischen Überzeugungen.« (Detel, 1993, S. 15)
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verschiedenen psychischen Funktionen und Zustände genauer, die im oben beschriebenen Vorgang involviert sind, nämlich Erinnerung (μνήμη) und Erfahrung (ἐμπειρία). Aufgrund der Wahrnehmung und der Vorstellung, die für das Bleiben eines Wahrnehmungsgehalts verantwortlich ist, haben Lebewesen die Möglichkeit, sich an das Wahrgenommene zu erinnern und es mit aktuellen Wahrnehmungen zu assoziieren. Aus der vielmaligen Erinnerung desselben Objekts entsteht dann Erfahrung (ἐκ δέ μνήμης πολλάκις τοῦ αὐτοῦ γινομένης ἐμπειρία, An. post. II, 19, 100a4–5). Aristoteles begründet und erklärt diesen Vorgang damit, dass viele Erinnerungen der Zahl nach eine Erfahrung darstellen (αἱ γάρ πολλαί μνῆμαι τῷ ἀριϑμῷ ἐμπειρία μία ἐστίν, An. post. II, 19, 100a4–5). Es hat nun den Anschein, dass bei Aristoteles die Erfahrung etwas dem Menschen Eigentümliches ist. Einschlägig sind hier thematisch parallele Stellen in Met. I, 1, wo Aristoteles zunächst ebenso den Unterschied zwischen den Tieren, die der Erinnerung nicht fähig sind, und jenen, die dazu fähig sind, anführt und daran die Bemerkung anschließt, dass die erinnerungsfähigen Tiere nur einen geringen Anteil an der Erfahrung haben – diesen geringen Teil machen die Menschen aus, die deswegen vernunft- und kunstfertig sind (τά μέν οὖν ἄλλα ταῖς φαντασίαις ζῇ καί ταῖς μνήμαις, ἐμπειρίας δέ μετέχει μικρόν: τό δέ τῶν ἀνϑρώπων γένος καί τέχνῃ καί λογισμοῖς, Met. I, 1, 980b25–28). Was ist nun mit Erfahrung gemeint? Es ist die Fähigkeit, die einzelnen Erinnerungen in bestimmter Weise zu vereinheitlichen. 392 Bezeichnend ist die Ergänzung, die Aristoteles hinsichtlich der Erfahrung im weiteren Text von An. post. II, 19 anführt: ἐκ δ’ ἐμπειρίας ἢ ἐκ παντός ἠρεμήσαντος τοῦ καϑόλου ἐν τῇ ψυχῇ, τοῦ ἑνός παρά τά πολλά, ὃ ἃν ἐν ἅπασιν ἓν ἐνῇ ἐκείνοις τό αὐτό, τέχνης ἀρχή καί ἐπιστήμης, ἐάν μέν περί γένεσιν, τέχνης, ἐάν δέ περί τό ὄν, ἐπιστεήμης. Aus der Erfahrung beziehungsweise aus jedem Allgemeinen, das in der Seele zum Stillstand gekommen ist [ἐκ παντος ἠρεμήσαντος τοῦ καϑόλου
Diese Fähigkeit zur Vereinheitlichung ist auch in De an. III, 11, 434a6–10 angesprochen, wo Aristoteles den Unterschied zwischen der φαντασία αἰσϑητική und der φαντασία λογιστική bezüglich des Strebevermögens erwähnt und anmerkt, dass die rationalen Lebewesen hinsichtlich ihrer Handlungsentscheidungen mit einem Maßstab messen und fähig sind, mehrere Vorstellungsgehalte zu verheinheitlichen: πότερον γάρ πράξει τόδε ἢ τόδε, λογισμοῦ ἤδη ἐστίν ἔργον: καί ἀνάγκη ἑνί μετρεῖν: τό μεῖζον γάρ διώκει. ὥστε δύναται ἓν ἐκ πλειόνων φαντασμάτων ποιεῖν.
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ἐν τῇ ψυχη], [d. h.] aus dem Einen neben den Vielen, das in allen einzelnen [Objekten] als eines dasselbe ist, entsteht das Prinzip [ἀρχή] der Kunst und des Wissens; [das Prinzip] der Kunst, sofern es um das Werden geht, [das Prinzip] des Wissens, sofern es um das Seiende geht. An. post. II, 19, 100a6–9
Hier ist der Erfahrung nun die Metapher des Stehenbleibens beigefügt, 393 die genauer andeutet, was gemeint ist, nämlich die Vereinheitlichung durch sprachliches Erfassen. Man nimmt an ontologischen Entitäten verschiedene perzipierbare Entitäten durch die spezifischen Sinne und aufgrund der gemeinsamen Wahrnehmung als zu einer Einheit gehörend wahr. Etwas wird einheitlich als gelb und als bitter wahrgenommen, und wenn man in einer späteren Situation erneut etwas Gelbes wahrnimmt, kann man diese Wahrnehmung mit der Eigenschaft »bitter« assoziieren. Mit der hier angesprochenen Erfahrung (ἐμπειρία) ist es darüber hinaus möglich, in beiden Fällen die Eigenschaft »gelb« als etwas Identisches zu erkennen. Mit dem »Einen neben den Vielen, das bei den einzelnen Objekten als eine Einheit dasselbe ist«, ist gemeint, dass man bei unterschiedlichen konkreten Individuen eine bestimmte Eigenschaft als identisch erkennen kann. Aus vielen Wahrnehmungen, Vorstellungen, Erinnerungen von »gelb« entsteht die eine »Erfahrung« Gelb. Ein weiteres Beispiel: Man nimmt einen roten Ball wahr, etwas später einen roten Kasten. Es gibt viele Eigenschaften, in denen sich diese beiden Dinge unterscheiden, aber das Eine neben dem Vielen ist die Farbqualität Rot, die bei beiden Dingen dieselbe ist, aber nicht aufgrund einer Idee des Roten, sondern eben aufgrund der Fähigkeit, sich die entsprechenden Wahrnehmungsgehalte zu merken und sich, darauf aufbauend, einen Begriff, ein lexikales Konzept dieses phänomenalen Gehalts zu bilden. Diese Erläuterungen, die Aristoteles in diesem zweiten Schritt anstellt, weisen – ganz analog zum ersten Schritt – auf den epistemischen Weg hin, der von einem niedrigen Zustand, der Wahrnehmung, bis hin zum höchstmöglichen Zustand, der Prinzipienkenntnis, gegangen werden muss. Zentral auf diesem Weg ist die Erfahrung (ἐμπειρία), die in An. post. II, 19 (τέχνης ἀρχή καί ἐπιστήμης, 100a8) und auch in Met. I, 1, (τό δέ τῶν ἀνϑρώπων γένος καί τέχνῃ καί λογισμοῖς, 980b27–28) als Ursprung der WissenMan muss das ἢ in 100a6 dann freilich adjunktiv, nicht disjunktiv lesen; in der Übersetzung ist das mit dem »beziehungsweise« ausgedrückt.
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schaften und Künste dargestellt wird. Das Interessante ist dabei, dass der epistemische Weg zur Kenntnis der Prinzipien mit etwas erklärt wird – nämlich der Erfahrung bzw. dem Allgemeinen, das in der Seele zum Stehen gekommen ist –, das selbst unproblematisiert bleibt. Genauso wenig, wie in diesem Rahmen die Wahrnehmung oder die Vorstellung in ihrer Funktionsweise detailliert dargelegt werden, so wird auch die Erfahrungsfähigkeit und die Fähigkeit, etwas zum Stehen zu bringen nicht genauer erläutert. Das festigt die These, dass in An. post. II, 19 lediglich der sukzessive und pragmatische Weg von den niederen hin zu den höheren Kenntniszuständen illustriert werden soll. Womit dieser Weg ermöglicht wird, wird dabei nicht erläutert; die Frage, wodurch die Lebewesen zu den verschiedenen Kenntnisstufen befähigt sind, wird nicht problematisiert. Es wird lediglich konstatiert, dass einige Lebewesen nicht über die Wahrnehmung herauskommen, andere nicht über die Vorstellung, und dass wieder andere der Erfahrung und des λόγος fähig sind. Aristoteles zieht hinsichtlich der Eingangsfrage in diesem Sinne dann auch das Fazit, dass der Zustand der Prinzipienerkenntnis weder immer schon in uns vorkommt (οὔτε δή ἐνυπάρχουσιν ἀφωρισμέναι αἱ ἕξεις, An. post. II, 100a10) noch von genaueren, epistemisch höherwertigen Zuständen abhängt, sondern von der Wahrnehmung ihren Ausgangspunkt nimmt (οὔτ’ ἀπ’ ἄλλων ἕξεων γίνονται γνωστικωτέρων, ἀλλ’ ἀπό αἰσϑήσεως, An. post. II, 19, An. post. II, 100a10–11). 394 In einem dritten Schritt setzt Aristoteles erneut an, um das seiner Meinung nach bisher unzulänglich Erläuterte wiederum zu explizieren (ὃ δ’ ἐλέχϑη μέν πάλαι, οὐ σαφῶς δέ ἐλέχϑη, πάλιν εἴπωμεν, An. post. II, 19, 100a14–15). Diese Passage 100a15–b5 wurde schon auf Seite 121 f. zitiert und diskutiert, deswegen erfolgen an dieser Stelle lediglich einige Hinweise auf die wichtigsten Aspekte. Aristoteles redet von unbestimmten oder undifferenzierten Einheiten, die zum Stehen kommen und als erste Allgemeinheiten in der Seele sind (στάντος γάρ τῶν ἀδιαφόρων ἑνός, πρῶτον μέν ἐν τῇ ψυχῇ καϑόλου, An. post. II, 19, 100a15–16) – auch hier wendet Aristoteles also Auf diese Ausführungen folgt in 100a12–13 die berühmte Analogie zur Wende in der Schlacht: οἷον ἔν μάχῃ τροπῆς γενομένης ἑνός στάντος ἕτερος ἔστη, εἶϑ’ ἕτερος, ἕως ἐπί ἀρχήν ἦλϑεν. Vgl. hierzu Detel: »Die traditionelle Standardinterpretation vergleicht die einzelnen Soldaten mit den einzelnen Wahrnehmungen, ihr Stehenbleiben mit ihrer Subsumption unter das Allgemeine, die Ordnung des gesamten Heeres mit dem Allgemeinen selbst, und die stabile Heeresordnung mit der gefestigten Kenntnis des Allgemeinen in der Seele.« (Detel, 1993, S. 849)
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die Metapher des Stehenbleibens an. Das, was hier angeprochen ist, sind jene phänomenalen Einheiten, die mit der Erfahrung als identisch in einzelnen Wahrnehmungen erfasst werden können und daher auch die ersten Allgemeinheiten sind. Aus diesen ersten Allgemeinheiten kann dann weiter abstrahiert werden, bis man bei einem Allgemeinbegriff »ohne Teile« (τά ἀμερῆ) stehenbleibt; Aristoteles’ Beispiel lautet: Von einem bestimmten Lebewesen, z. B. Mensch, bis hin zu Lebewesen (πάλιν ἐν τούτοις ἵσταται, ἕως ἂν τά ἀμερῆ στῇ καί τά καϑόλου, οἷον τοιονδί ζῷον, ἕως ζῷον, καί ἐν τούτῳ ὡσαύτως, An. post. II, 19, 100b1–3). Aristoteles beschließt diesen Absatz mit dem Fazit, dass wir von diesen ersten Allgemeinheiten (τά πρῶτα) aufgrund von Induktion (ἐπαγωγή) Kenntnis haben, weil es die Wahrnehmung ermöglicht, auf diese Weise das Allgemeine hervorzubringen (δῆλον δή ὅτι ἡμῖν τά πρῶτα ἐπαγωγῇ γνωρίζειν ἀναγκαῖον: καί γάρ ἡ αἴσϑησις οὕτω τό καϑόλου ἐμποιεῖ, An. post. II, 19, 100b3–5). Als Fazit zu An. post. II, 19 bleibt festzuhalten, dass »nicht mehr« als der epistemische Weg zu den Prinzipien als propositionalem Wissen angesprochen ist; was uns Aristoteles hier mitteilt ist, dass wir nicht mittels eines besonderen kognitiven Vermögens intuitiv, also ohne vorlaufenden epistemischen Weg wissen, dass etwa der Satz vom Widerspruch wahr ist oder dass bestimmte Prinzipien der Einzelwissenschaften gelten – diese Einsicht steht erst am Ende einer langen epistemischen Karriere, die beim »uns Bekannteren«, den Wahrnehmungsobjekten, beginnt und beim »an sich Bekannteren«, den Prinzipien, endet. Wenn man diese Überlegungen auf die hier ursprüngliche Frage nach der aristotelischen Semantik übertragen will, so muss man feststellen, dass sie gar nicht so aussagekräftig sind. Denn was in An. post. II, 19 zwar angesprochen, nicht aber problematisiert wird, ist, dass bestimmte Vermögensfunktionen, bestimmte Fähigkeiten notwendig sind, um Wissenschaft mit dem Instrument des demonstrativen Syllogismus zu betreiben. Dass auch diese Fähigkeiten erst mit der Perzeption zum Vollzug kommen, das wird hier deutlich – die Frage aber, worin die Fähigkeit zur ἐμπειρία, zur λόγος-Bildung, zum »Stehenbleiben« besteht, woher sie kommt, das bleibt hier durchaus offen, wird eigentlich gar nicht diskutiert. Diese Fähigkeiten sind in An. post. II, 19 mit der Erfahrung und der Begriffsbestimmung angesprochen; sie sind eingewoben in die Erläuterung der genetic epistemology, insofern Voraussetzung für diese Genese, aber an dieser Stelle nicht weiter problematisiert. Die empi318
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ristische Tendenz, die Aristoteles aufweist, widerspricht also nicht der hier vertretenen These, dass Aristoteles die grundlegenden und Sprache voraussetzenden Fähigkeiten, die in der genetic epistemology mit der Erfahrung und der Begriffsbestimmung bzw. Konzeptualisierung angesprochen sind, als rationalistische oder apriorische Fähigkeiten versteht, die mit den komplizierten Ausführungen zum aktiven Intellekt erklärt werden sollen. Die systematische Trennung von Wahrnehmungsgehalt und noetischem Gehalt, die sich durch die Ausführungen in An. post. II, 19 eventuell als verwässert darstellen könnte, soll zu guter Letzt erneut betont werden, indem ein abschließender Blick auf relevante Stellen aus De an. geworfen wird, die den Zusammenhang von aisthetischem und noetischem Gehalt zum Thema haben.
Vorstellungs- und Denkgehalt Dass ein systematischer Unterschied besteht zwischen den Gehalten der perzeptiven Vermögen und jenen des Denkvermögens, wird deutlich im achten Kapitel von De an. III: ὅταν τε ϑεωρῇ, ἀνάγκη ἅμα φαντάσμά τι ϑεωρεῖν: τά γάρ φαντάσματα ὥσπερ αἰσϑήματά ἐστι, πλήν ἄνευ ὕλης. ἔστι δ’ ἡ φαντασία ἕτερον φάσεως καί ἀποφάσεως: συμπλοκή γάρ νοημάτων ἐστί τό ἀληϑές ἢ ψεῦδος. τά δέ πρῶτα νοήματα τίνι διοίσει τοῦ μή φαντάσματα εἶναι; ἢ οὐδέ τἆλλα φαντάσματα, ἀλλ’ οὐκ ἄνευ φαντασμάτων. Wenn man denkt/betrachtet, ist es notwendig, dass man mit einer Vorstellung denkt. Die Vorstellungsgehalte sind nämlich wie die Wahrnehmungsgehalte, nur ohne Materie. Die Vorstellung ist aber etwas anderes als Aboder Zusprechen/Affirmation oder Negation. Das Wahre oder Falsche ist nämlich eine Synthese von Denkinhalten [νοήματα]. Worin werden sich die ersten Denkgehalte [πρῶτα νοήματα] von den Vorstellungsgehalten [überhaupt] unterscheiden? Oder [diese und] die übrigen [Denkgehalte] sind [zwar] keine Vorstellungsgehalte, kommen aber nie ohne Vorstellungsgehalte vor. De an. III, 8, 432a8–14
Die wahrheitsfunktionale Verbindung von intentionalen Gehalten kann das perzeptive Vermögen nicht leisten. Bei dieser sprachlogischen Operation sind keine φαντάσματα, sondern νοήματα involSprache, Bedeutung, Geist
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viert. Dass die Frage des Unterschieds zwischen diesen beiden mentalen Gehalten Aristoteles selbst bedrängt hat, zeigt sich in der von ihm gestellten Frage, worin sich die πρῶτα νοήματα von den φαντάσματα – man könnte vor dem Hintergrund von An. post. II, 19 auch fragen: vom πρῶτον καϑόλου – denn überhaupt unterscheidet. Seine Antwort folgt auf dem Fuße: Die Grundfunktion der νοήσις besteht gerade in den logisch-semantischen Operationen wie z. B. der Affirmation oder der Negation, überhaupt dem Erfassen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke; das ist die differentia specifica, die Aristoteles im obigen Zitat anführt. Aber genau deswegen stellt sich auch die Frage, worin sich die πρῶτα νοήματα von den phänomenalen Einheiten überhaupt unterscheiden, denn auf dieser grundlegenden Ebene, d. h. vor jeder Affirmation oder Negation, ist hinsichtlich des Gehalts ein Unterschied zwischen Perzeption und Noesis nur schwer nachzuvollziehen. Ich sehe rot und das ist dann auch jener phänomenale Gehalt, an den ich denke, wenn der Ausdruck »rot« fällt. Doch ist hier genau die Schnittstelle zwischen primitiven und lexikalen Konzepten angesprochen. Die πρῶτα νοήματα sind jene Konzepte, die als erste Allgemeinheiten phänomenal, d. h. als primitive Konzepte, wahrgenommen werden können, aber auch – mit der entsprechenden Fähigkeit, mit dem »Licht des aktiven Intellekts« – als erste lexikale Konzepte erfasst werden können. Es gibt dennoch eine sehr enge Verbindung zwischen aisthetischen und noetischen Gehalten. Diese formuliert Aristoteles immer wieder im Sinne der Abhängigkeit des Denkens von den aisthetischen Gehalten – die Denkgehalte kommen nie ohne Vorstellungsgehalte vor; wenn man denkt, sind immer Vorstellungsgehalte im Spiel. Diese Abhängigkeit darf aber nicht so verstanden werden, wie sie z. B. Deborah Modrak versteht, nämlich auf eine Weise, die im perzeptiven Bereich alle relevanten Aspekte gegeben sieht, um auch die kognitiven Funktionen, z. B. sprachliche Bedeutung, zu erklären und das Denkvermögen lediglich als eine nahtlos daran anknüpfende Zugabe. Die Abhängigkeit ist vielmehr im Blick auf das »Material« zu verstehen; genauso, wie die Wahrnehmungsgehalte das Material für das perzeptive Vermögen liefert, so sind die Vorstellungsgehalte das Material (aber »ohne Materie« im Sinne eines externen Objekts) für das Denken. Was dabei aber nicht übersehen werden darf ist, dass ohne die formal-semantischen Operationen, wie die im obigen Zitat angesprochene Prädikation, explanatorisch überhaupt nichts gewonnen ist. Die phänomenalen Gehalte sind zwar das Material dieser Opera320
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tionen, wieso und wodurch diese Operationen aber möglich sind, das ist mit der Perzeption nicht zu erklären; das sind Fähigkeiten die anderweitig erläutert werden müssen. Der aktive Intellekt als eine den eigentlichen Funktionen des Denkvermögens (der νόησις), bspw. der Prädikation, vorausgehende Fähigkeit, nämlich aus einem phänomenalen einen sprachlichen, definitorischen, noetischen Gehalt, ein Konzept zu »machen«, bietet einen Erklärungsansatz für diese Frage.
5.5.4. Fazit Das Thema des Kapitels 5.5 war das Denkvermögen, seine Objekte und Funktionsweisen. Den Ausgangspunkt bildete eine Untersuchung des Vermögens. Dabei wurde klar, dass Aristoteles dieselben methodischen Ansätze verwendet wie beim perzeptiven Vermögen. Aufgrund dieser methodischen Herangehensweise, bei der das naturphilosophische Vokabular und das Konzept »Aufnahme der Form ohne Materie« im Zentrum stehen, wurde deutlich, dass es im Verbund mit den faktischen Besonderheiten des Denkvermögens (v. a. die Universalität) zu einigen »Auffälligkeiten« kommt: Die erste davon ist, dass das Vermögen organlos ist, weil ein Organ den Objektbereich einschränken würde, und die Universalität nicht erklären könnte. Schon hier wurde die große Spannung offenbar, die aufgrund der gängigen physikalischen Erklärungsweise und den dadurch erfolgenden un-physikalischen Eigenschaften entsteht. Zwei Punkte sind diesbezüglich wichtig: Erstens, dass Aristoteles stets bemüht ist, dieser Körperlosigkeit die Brisanz zu nehmen, indem eine enge systematische Verbindung zur Vorstellung (φαντασία) hergestellt wird, die bei Aristoteles (auch) physikalisch erklärt wird; zweitens, dass sich die Beschreibung v. a. des Denkvermögens, aber auch des Wahrnehmungsvermögens, bei Aristoteles nicht nur physikalisch, sondern auch phänomenologisch-intentional darstellt, dass aber diese verschiedenen deskriptiven Annäherungen nicht in einen ontologischen Dualismus münden. Ein weiterer zentraler Aspekt ist eben jene Intentionalität. Sie gilt schon für das Wahrnehmungsvermögen, denn auch hier liegt die Gerichtetheit auf ein Objekt vor. Mit der Intentionalität hängt auch die These des epistemischen Dualismus eng zusammen, weil hier zwar ein Aspekt benannt ist, der über die physikalische Betrachtungsweise hinausgeht, Aristoteles aber dennoch den Versuch unterSprache, Bedeutung, Geist
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nimmt, diese intentionale Ebene in das »normale« physikalische Beschreibungsprozedere einzufügen, und zwar durch die Erweiterung der zentralen naturphilosophischen Begriffe in De an. II, 5. Die Intentionalität ist bei Aristoteles als ἀπάϑεια gekennzeichnet, und es hat sich herausgestellt, dass es eine spezifisch noetische Intentionalität gibt, die sich durch Internalität auszeichnet. Das bedeutet, dass sich das Denkvermögen nicht auf externe Objekte richtet, so wie es bei der Wahrnehmung der Fall ist, sondern auf interne Objekte. Die berühmte Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Intellekt wurde ebenso auf die Methodenentscheidung zurückgeführt. Genauso wie die Objekte des Denkens als interne Objekte identifiziert wurden, so ist auch der aktive Intellekt als Aktualität ein Teil des menschlichen Intellekts. Das Denkvermögen im Gesamten hat eine interne Struktur; während es beim Wahrnehmungsvermögen externe Objekte, ein externes Medium und ein materielles Organ gibt, ist es notwendig, dass all diese Aspekte beim Denkvermögen intern strukturiert sind, gerade weil schon zu Beginn klar wurde, dass es hier kein Organ gibt und dass die Objekte als intern zu charakterisieren sind. Es stellte sich demnach die Frage, was genau unter dem aktiven Intellekt zu verstehen ist. Dabei wurde dessen Verständnis als aktuale Objekte des Denkens abgelehnt, vielmehr wurde der Schwerpunkt auf die Licht-Analogie gelegt. Und aus der Interpretation dieser Analogie ging hervor, dass der aktive Intellekt eine Aufgabe erfüllt, die als Vorbedingung der Funktionen des Denkvermögens zu verstehen ist. Genauso wie bei der Wahrnehmung bestimmte Umstände, nämlich die Aktualisierung des Mediums, vorherrschen müssen, um den eigentlichen Vorgang der Wahrnehmung zu ermöglichen, so muss auch beim Denkvermögen eine entsprechende Vorbedingung erfüllt sein. Genauso wie bei der Wahrnehmung durch das Licht die entsprechenden Objekte erst »sichtbar« und dann als Form ohne Materie durch das Medium transportiert werden, so muss beim Denkvermögen durch den aktiven Intellekt als ἕξις in den Wahrnehmungsobjekten die nur potentiell vorhandenen νοητά erst sicht- bzw. denkbar gemacht werden. Diese ἕξις als Fähigkeit ist es, was Aristoteles als unkörperlich, ewig und unsterblich bezeichnet hat 395 – nach der hier vorliegenden Interpretation sind diese CharakUnd in der Folge kann man auch die dazugehörigen logischen Prinzipien als Axiomata in dieser Form charakterisieren, auch wenn man kein intuitives und vor-empirisches Wissen davon hat.
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Denken
terisierungen als Hinweise auf einen Apriorismus zu verstehen. Diese Fähigkeit, die zugrundeliegenden Objekte der Wahrnehmung auch als semantische Einheiten zu erfassen, ist nicht durch die gängige physikalische Beschreibung zu erfassen, sondern erfordert die Annahme einer vor-empirischen Fähigkeit. Wie gesagt, ist Aristoteles bemüht, dem Diktum der Unkörperlichkeit die ontologische Schärfe zu nehmen, indem er der Vorstellung die Rolle einer notwendigen Bedingung für das Denken zuspricht: Ohne die konkreten Vorstellungen können sich die Funktionen des Denkvermögens nicht entfalten. Nichtsdestotrotz bleibt ein »apriorischer Rest« übrig. In der Untersuchung dieser Funktionen wurde dann eine enge Verbindung zu den Organon-Schriften offenbar. Das, was dort als logisch-semantische Regeln untersucht wird, setzt die Funktionen des Erfassens von semantischen Atomen (die νόησις ἀδιαίρετων), die sich im Fundament an den an sich und unfehlbar wahrgenommenen Objekten der Perzeption ausrichtet, und der Prädikation (die σύνϑησις νοημάτων) voraus – auch deswegen, weil die Funktionen der νόησις grundlegende sprachliche Funktionen sind, ist eine sprachpragmatisch gewendete Interpretation des aktiven Intellekts als eine diese Funktionen bedingende Fähigkeit nicht abwegig. Die zentrale Frage war aber, inwiefern sich dieses Vermögen bzw. seine Objekte als Kandidaten für Element C und D des SGGs eignen. Und in der Betrachtung der Struktur der νοητά und νοήματα wurde klar, dass sie sich sehr gut als Konzepte verstehen lassen, so wie sie im systematischen Kapitel 5.1 ausgearbeitet wurden. Wenn also im Verlauf dieser Arbeit immer wieder deutlich wurde, dass für Element C und D am ehesten die νοητά und νοήματα in Frage kommen, so dürfte nach den Erkenntnissen dieses Kapitels kaum mehr Zweifel daran bestehen, dass nicht schon die φαντάσματα, sondern eben erst die Objekte des Denkvermögens und ihre mentalen Korrelate als semantische Einheiten in Frage kommen. Zur Abrundung wurde zum Schluss des Kapitels die Metapher des Stehenbleibens diskutiert. Diese Metapher illustriert in De an. den intentionalen Charakter der νόησις, das Erfassen von νοητά. Auch in De int. verwendet Aristoteles diese Umschreibung: Durch diesen intentionalen Prozess erfasst man die Bedeutung eines isolierten Sprachausdrucks, das entsprechende νοητόν. Hier wird die Verbindung der Intentionalität der νόησις mit der sprachlichen Bedeutung offenbar. Auch in dem berühmten Kapitel An. post. II, 19 taucht die Metapher auf. Das war deswegen interessant, weil Aristoteles in Sprache, Bedeutung, Geist
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diesen Äußerungen eine empiristische Lesart seiner Erkenntnistheorie nahelegt, was schlecht mit der apriorischen Interpretation des Denk- und Sprachvermögens zusammengehen würde. Es hat sich aber gezeigt, dass Aristoteles in An. post. II, 19 eine genetic epistemology beschreibt, d. h. den ganz pragmatisch ausgerichteten Erkenntnisweg von der Wahrnehmung zum Prinzipienwissen. Die Frage, wodurch ein Lebewesen befähigt ist, diesen Weg bis hin zu den Prinzipien zu gehen, spielt in diesem Kontext keine Rolle. Man sieht das auch daran, dass die Metapher des Stehenbleibens an der systematischen Stelle der Begriffsbildung zwar eingebettet, aber nicht weiter problematisiert ist. Es ist also prinzipiell möglich, den empirischen Charakter des epistemischen Werdegangs hin zum propositional strukturierten Wissen mit dem apriorischen Verständnis des aktiven Intellekts als sprachlicher Fähigkeit zu harmonisieren. Klar ist aber auch, dass der Interpretationsrahmen, der in diesem Kapitel hinsichtlich des Denkvermögens lediglich abgesteckt wurde, der weiteren Argumentation und Untermauerung bedarf.
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Was sagt uns Aristoteles zu dem Problem, wie sprachliche Ausdrücke ihre Bedeutung erhalten und was genau unter sprachlicher Bedeutung zu verstehen ist? Das war die zentrale Frage dieser Arbeit. Die Architektur des hier vorgelegten Versuchs einer Antwort orientierte sich am Semantischen Grundgerüst (SGG), das Aristoteles in De int. 1 entwickelt hat. Ziel war es, die inhaltlich vagen Begriffe, die Aristoteles für die Elemente und Relationen des SGGs verwendet hat, detailliert zu untersuchen, um nicht in eine naive und oberflächliche Betrachtung der aristotelischen Semantik zu verfallen. Die Untersuchung des aristotelischen Sprachbegriffs (Elemente A und B) hat gezeigt, dass die spezifische Differenz der menschlichen Sprache nicht einfach an einer physiologischen Eigenschaft festgemacht werden kann, sondern anderweitig erklärt werden muss. Aristoteles weist in diesem Kontext lediglich auf die Eigentümlichkeit der semantischen Analyse hin; damit ist noch nicht erklärt, wodurch der Mensch zu dieser Analyse überhaupt befähigt ist. Dass keine organische Differenz besteht, kann jedoch als Hinweis auf die Organlosigkeit des aktiven Intellekts gelesen werden, der in der vorliegenden Arbeit entsprechend interpretiert wurde – und zwar als eine Fähigkeit, aus den perzipierbaren Einheiten semantische Einheiten »zu machen«, was dann auch die Möglichkeit der semantischen Analyse, d. h. das Wissen um grundlegende Sprachregeln impliziert. Ein weiterer Baustein war die philologisch und philosophisch umkämpfte Stelle De int. 1, 16a6 in der SGG-Passage (Relationen x und y). 396 Die verschiedenen Lesarten haben jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf den Aufbau des Semantischen Grundgerüsts. Hierbei handelte es sich um die Wendung »in erster Linie«. Die Frage war, ob Sprache in erster Linie Symbol/Zeichen mentaler Zustände und in zweiter Linie Symbol/Zeichen der Dinge ist oder ob Sprache in erster Linie ein Zeichen, in zweiter Linie ein Symbol der mentalen Zustände ist.
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Hier wurde ausgiebig für jene Lesart argumentiert, die einer inhaltlichen Differenzierung von Zeichen und Symbol entgegensteht und die die implizite Symbolrelation von Sprache und Ding (jetzt lässt sich auch sagen: Sprache und νοητόν) annimmt. Diese Diskussion ist deshalb wichtig, weil ohne diese implizite Relation Sprache–Welt die Möglichkeit besteht, den Skopus des SGGs so eng zu setzen, dass es unmöglich wird, daraus eine umfassende Theorie sprachlicher Bedeutung zu extrahieren. Bei einer Ablehnung dieser impliziten Relation läge das Hauptaugenmerk auf der inhaltlichen Ausdifferenzierung der nun anzunehmenden unterschiedlichen Relationsarten zwischen Sprache und den mentalen Zuständen: Sprache sowohl als natürliches Zeichen als auch als konventionelles Symbol eines mentalen Zustands. Nur nebenbei, der Vollständigkeit halber würde die Ähnlichkeitsrelation zwischen den mentalen Zuständen und den Dingen erwähnt – das ist die Position, die z. B. Norman Kretzmann vertritt. 397 Kernstück der Arbeit bildete dann die Aufgabe, die termini technici für die Elemente C und D inhaltlich genauer zu bestimmten. Weil es sich hier um das mit der Sprache Bedeutete handelt, also das semantisch Relevante, wurde eine systematische Betrachtung vorausgeschickt, die sich an modernen und neuzeitlichen Klassikern zum Thema Sprachphilosophie ausrichtete. Diese Betrachtungen sollten dazu dienen, eine naive Bedeutungstheorie aus systematischer und aus exegetischer Sicht, d. h. mit Blick auf die Interpretation des SGGs, zurückzuweisen. Anders gesagt: Es sollte nachgewiesen werden, dass aus inhaltlichen Gründen eine naive Lesart des SGGs unmöglich ist, aber auch nicht von Aristoteles vertreten wurde. Die Verbindung des systematischen mit dem exegetischen Teil bestand dann darin, textliche Anhaltspunkte dafür zu finden, dass Aristoteles dem im systematischen Teil entwickelten Theorieansatz hätte zustimmen können. In diesen systematischen Betrachtungen wurde also versucht zu zeigen, dass ein naives Verständnis semantischer Beziehungen nicht haltbar ist. Vor dem Hintergrund einer Alltags-Ontologie könnte man etwa annehmen, dass es eine einfache Beziehung zwischen konkreten Individuen und den diese Individuen bezeichnenden sprachlichen Ausdrücken, allen voran den Eigennamen, gibt. Mit den Überlegungen von Frege und Russell wurde aber klar, dass es immer auch auf einen erkenntnistheoretischen Faktor ankommt, nämlich wie wir überhaupt von diesen Individuen wissen können. Es kommt, mit Fre397
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Vgl. Kretzmann, 1974.
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ge zu sprechen, auf die »Art des Gegebenseins« der Gegenstände an – und diese wird mit Kennzeichnungen, mit Beschreibungen angegeben, nicht mit Eigennamen. Die einzigen direkt referierenden sprachlichen Ausdrücke, Russells logische Eigennamen, sind deiktische Ausdrücke in Kombination mit generellen Ausdrücken, die sich auf konkrete Allgemeinheiten beziehen, also auf grundlegende qualitative Inhalte der Wahrnehmung, Russells sense-data. In der Beziehung zwischen Sprache und Welt gibt es keine »einfachen« Relationen, und eine naiv-realistische Bedeutungstheorie ist folgerichtig abzulehnen. Mit Blick auf die mentalistischen Theorieansätze wurde gezeigt, dass etwa eine Abbildtheorie, die ein transparentes Verhältnis zwischen den konkreten Individuen in der Welt und den vermeintlichen Bildern, die wir nach einer Wahrnehmung im Kopf haben und auf die wir uns mit Sprache beziehen, höchst problematisch ist. Es wurde der theoretische Ansatz von Konzepten eingeführt, um eine Alternative zu den naiv-realistischen und naiv-mentalistischen Theorien der Bedeutung anzubieten. Dieser Ansatz vereinigt die wichtigen Grundgedanken der realistischen und mentalistischen Theorien, versucht aber gleichzeitig, ihre Probleme zu vermeiden. Dabei werden primitive Konzepte als die fundamentalen sinnlichen Qualitäten, also sense-data oder Qualia, verstanden, die das Fundament sprachlicher Bedeutung darstellen können, weil hier ein Gehalt vorliegt, der als Bedeutungsträger eines sprachlichen Ausdrucks fungieren kann. Die eigentlichen Referenten und Bedeutungsträger sprachlicher Ausdrücke sind dann aber zunächst die lexikalen Konzepte, die jedoch immer auf die primitiven Konzepte zurückgeführt werden können. Zudem sind Konzepte zum einen als abstrakte Entitäten, d. h. als objektive Bezugspunkte von Sprache zu verstehen. Dieses Verständnis steht in der Tradition von Freges Sinn (ein Vorteil dieses Ansatzes ist, dass man nicht nur konkrete Individuen, z. B. Aristoteles oder die Venus, integrieren kann, sondern auch Sätze; bei Frege ist ja der Gedanke der Sinn eines Satzes). Als mentale Entitäten ähneln die Konzepte der Sprachstruktur, implizieren somit grammatische, logische und semantische Grundregeln. Das Verhältnis zwischen Sprache und mentalem Zustand ist also kein Verhältnis zwischen einer Buchstabenreihe und einem Bild, es liegt vielmehr ein isomorphes Strukturverhältnis vor. Ein bedeutsamer sprachlicher Ausdruck repräsentiert ein entsprechend strukturiertes Konzept als mentale Entität: »Bockhirsch« bezieht sich auf das lexikale Konzept Bockhirsch, der Satz »Die Erde ist eine Scheibe« auf das entsprechende propositionale Sprache, Bedeutung, Geist
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Konzept Erde|Scheibe. 398 Die Frage der sprachlichen Bedeutung verschiebt sich dann klarerweise: Woher erhalten Konzepte als mentale Entitäten ihre Bedeutung? Das ist nun eine erkenntnistheoretische Frage, deren Beantwortung auf der Annahme von primitiven Konzepten fußt. Hier hat der Mensch einen direkten und infalliblen Zugang zur Welt, es gibt eine direkte Verbindung zwischen Wahrnehmungsobjekt und -gehalt. Des Weiteren stellt sich aber die Frage nach der Fähigkeit zur Sprache bzw. nach dem Wissen um die entsprechenden logisch-semantischen und grammatischen Regeln und Prinzipien. Die erste Frage wird bei Aristoteles mit seiner Theorie der Perzeption, die zweite Frage im Rahmen seiner Theorie des Intellekts beantwortet. In den entsprechenden Untersuchungen der aristotelischen Texte hat sich herausgestellt, dass in der aristotelischen Wahrnehmungstheorie die spezifischen und gemeinsamen Objekte den epistemischen Anker bilden können und dass damit die Frage nach der Grundlage des menschlichen Wissens von den außersprachlichen Entitäten beantwortet werden kann; hier liegt ein systematischer Nullpunkt vor, d. h. eine direkte und infallible Verbindung des Menschen zur außersprachlichen Realität. Dieses epistemische und semantische Fundament sind diese an sich, d. h. direkt perzipierbaren Einheiten als phänomenale Gehalte des Wahrnehmungsvermögens. Allerdings geht sprachliche Bedeutung klarerweise über diese perzipierbaren Einheiten hinaus, weswegen die αἰσϑητά bzw. αἰσϑήματα sicher nicht mit den πράγματα bzw. den παϑήματα des SGGs zu identifizieren sind, aber hinsichtlich des epistemischen Aspekts der Bedeutungsfrage dennoch eine herausragende Rolle spielen. Die Untersuchungen zur akzidentellen Wahrnehmung und zur Vorstellung (φαντασία) haben entsprechend ergeben, dass auch sie als vorsprachliche Vermögensleistungen anzusehen und somit vom Sprache ermöglichenden Denkvermögen systematisch klar zu trennen sind. Auch wenn die Äußerungen von Aristoteles zur akzidentellen Wahrnehmung den Eindruck erwecken könnten, dass dort schon propositionaler Gehalt vorkommt, so wurde doch deutlich, dass damit ledigDie Frage nach der Fähigkeit, lexikale Konzepte zu propositionalen Konzepten zu verbinden, analog zur Fähigkeit zur sprachlichen Prädikation, wurde mit dem aktiven Intellekt beantwortet. Hiermit erhalten wir grundlegende sprachliche Fähigkeiten, z. B. aus Einheiten der Wahrnehmung semantische Einheiten zu machen, diese Einheiten voneinander auszusagen, neue Einheiten zu »machen«, die sich immer weiter von den Objekten der Wahrnehmung entfernen.
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lich die auch hinsichtlich des Strebungsvermögens notwendige Fähigkeit zur vorsprachlichen Assoziation angesprochen ist, jedoch noch nicht die Fähigkeit zur sprachlichen Prädikation, die Begriffsbildung bzw. Konzeptualisierung voraussetzt. Auch das Vorstellungsvermögen bewegt sich – isoliert betrachtet – im vorsprachlichen Rahmen. Die Darstellung der akzidentellen Wahrnehmung und die »logische Vorstellung« (φαντασία λογιστική) weisen zwar darauf hin, dass das Denkvermögen in die perzeptiven Vermögen »einsickert« – klar ist aber, dass diese angesprochenen Funktionen des perzeptiven Vermögens nur in Verbindung mit dem Denkvermögen möglich, weil von ihm abhängig sind. Hier wird deutlich, dass Aristoteles eine durchaus moderne Sichtweise auf die Vermögensstruktur offenbart: Auch wenn theoretisch zu trennen, sind die Vermögen in praxi eng miteinander verwoben und »sickern ineinander ein« (hier gibt es durchaus eine Verbindungslinie zur modernen Kognitionswissenschaft, die im sog. coupling-Modell eine in pragmatischer Hinsicht enge Verbindung von Perzeption und Handeln behauptet; Aristoteles erwähnt ja sehr häufig das Strebevermögen in Bezug auf die Diskussion von Wahrnehmungs- und Denkvermögen). Das Perzeptionsvermögen ermöglicht den grundlegenden epistemischen Zugang zur Welt und bietet somit die »ersten Inhalte« der Sprache, die primitiven Konzepte. Eine Frage, die im Rahmen der Perzeption nicht beantwortet werden kann, ist, wie der Mensch fähig ist, über diese grundlegenden Wahrnehmungsgehalte hinauszugehen und wie er von den Strukturen und Regeln der Sprache weiß; woher die Fähigkeit kommt, nicht nur wahrzunehmen und Wahrgenommenes zu assoziieren, sondern über das Wahrgenommene zu sprechen, von ihm etwas auszusagen, sich schließlich von den präsenten Objekten der Wahrnehmung abzuheben. In den Untersuchungen zum Denkvermögen hat sich ergeben, dass die Objekte bzw. die mentalen Korrelate dieses Vermögens die formalen Ansprüche des SGGs erfüllen können – auch der Ausdruck »Bockhirsch« hat einen bestimmten Gegenstand, auf den sich jeder bezieht, der diesen Ausdruck verwendet; dieser Gegenstand, dieses »Ding« ist das abstrakte Konzept, das νοητόν, die semantische Einheit Bockhirsch. Die νοήματα wurden dagegen verstanden als Konzepte im Sinne von mentalen Entitäten, die in ihrer logischen und semantischen Struktur der Sprache analog sind. Diese Strukturiertheit ist der Vorteil von Konzepten gegenüber naiven Ansätzen des Mentalen wie z. B. Abbildtheorien. Aristoteles selbst betont, dass die Antwort Sprache, Bedeutung, Geist
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auf die schwierige Frage nach dem Unterschied zwischen νοήματα und φαντάσματα in dieser logisch-semantischen Struktur besteht – hier ist dann auch ein Anknüpfungspunkt an die spezifische Eigenschaft der menschlichen Sprache, die in den Untersuchungen zu Element A bzw. B festgestellt wurde. Diese Eigenschaft der logisch-semantischen Strukturiertheit ist ja nicht physisch erklärt, und wenn man der Interpretation des aktiven Intellekts, die in dieser Arbeit geleistet wurde, folgt, dann schließt sich ein systematischer Kreis, denn der aktive Intellekt wurde als die Voraussetzung für Denk- bzw. Sprachoperationen verstanden. Diese Voraussetzung besteht in der Fähigkeit, aus den perzipierbaren Einheiten semantische Einheiten, also νοητά zu »machen«. Diese Fähigkeit wird von Aristoteles ausdrücklich als nicht-organisch verstanden. Und zwar deswegen, weil bestimmte Fakten des Denkens und Sprechens die Unkörperlichkeit schlichtweg erfordern. Diese zu erklärenden Fakten sind die Universalität (d. h., dass man, wie Aristoteles sagt, alles denken kann) und die Produktivität des Denkens und Sprachverstehens (d. h., dass man mit einem endlichen Grundstock an grammatischen, logischen und semantischen Regeln unendlich viele Sätze instantan äußern und verstehen kann). Es ist es also möglich, mit den Objekten und Gehalten des Denkvermögens die formalen Ansprüche des SGGs zu erfüllen. Da es sich bei den παϑήματα nicht um Wahrnehmungs- bzw. Vorstellungsbilder, sondern um Konzepte, um νοήματα, handelt, ist es möglich, der Forderung nachzukommen, dass jeder bedeutsame sprachliche Ausdruck sich auf eine einheitliche Klasse von Entitäten bezieht. Eine naive Abbildtheorie kann das nicht leisten, denn wie könnte es Abbilder vom Bockhirsch oder von der Menschheit geben, wenn es sich dabei um nichts Wahrnehmbares handelt? Wie sollte ein Abbild eines Behauptungssatzes verstanden werden, wie ist das entsprechende Bild zum Satz »Kein Schwan ist schwarz« zu verstehen? Die Konzepttheorie leistet hier bessere Dienste. Es gibt lexikale und propositionale Konzepte, je nach Art des sprachlichen Ausdrucks; die abstrakten Konzepte als νοητά sorgen für Einheitlichkeit und Bestimmtheit, die mentalen Konzepte als νοήματα sorgen für Strukturiertheit. Aber auch hier wird im Grunde eine Abbildtheorie beibehalten, denn auf fundamentale Weise muss sich sprachliche Bedeutung auf die außersprachliche Welt beziehen, und dieser Bezug wird durch die primitiven Konzepte hergestellt. Dabei handelt es sich aber nicht um ein naives Abbildverständnis, sondern hier liegt ein isomorphes Struk330
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turverhältnis vor, das Aristoteles mit seinem Ansatz der »Aufnahme der Form ohne Materie« erklärt. Wahrnehmung geht aus vom Wahrnehmungsobjekt, das eine bestimmte Struktur besitzt (bei visuell perzipierbaren Objekten war das der spektrale λόγος zwischen dunkel und hell) und das auf das entsprechende Organ via Medium übertragen werden kann – das Auge übernimmt die Struktur des Objekts; deswegen ist das Auge und das Medium per se farblos. Durch diesen außersprachlichen Bezug wird Objektivität ermöglicht – alle Menschen können sich trotz verschiedener Sprachen auf dasselbe beziehen, so wie Aristoteles es im SGG fordert. Nun könnte man die Befürchtung äußern, inwiefern man von diesen νοητά sagen kann, dass sie objektiv sind. Einerseits sind sie als die Referenten sprachlicher Ausdrücke identifiziert worden, gleichzeitig wurde aber festgestellt, dass es sich um interne Entitäten handelt – also um etwas Subjektives. Aber genauso wie der menschliche Wahrnehmungsapparat einheitlich ist, also bei allen (gesunden) Menschen auf dieselbe Weise funktioniert und somit eine wichtige Rolle bezüglich der Objektivität der an-sich wahrnehmbaren Objekte spielt, so ist auch der »Denkapparat« einheitlich. Weil er aber kein organisches Fundament besitzt, erklärt ihn Aristoteles für »ewig«, für »abgetrennt«, um diese Objektivität jenseits organischer Bestimmung zu garantieren – insofern wurde diese Disposition zum Denken und zur Sprache als apriorisch, als nativ verstanden: Auch wenn es keine organische Grundlage gibt, muss dennoch von einer angeborenen Disposition ausgegangen werden, die sich alle Menschen teilen. Der aktive Intellekt ist somit erkenntnistheoretisch zu interpretieren, er steht für die nicht (in der gleichen Form wie die perzeptiven Vermögen) physisch gebundenen, grundlegenden Kenntnisse und Fähigkeiten, die benötigt werden, um das Sprechen und das Denken zu erlernen. Auch hier ließe sich ein Anknüpfungspunkt an die moderne Sprachphilosophie herstellen, etwa an Noam Chomskys Idee der »Generativen Grammatik«. Zwei Dinge bezüglich des Denkvermögens sollen resümierend betont werden: Aristoteles nimmt einen Gehalt, einen Inhalt der Wahrnehmung und im Anschluss daran auch einen Inhalt des Denkens an. Es hat sich gezeigt, dass Aristoteles diesen beiden Vermögen die Eigenschaft der Intentionalität, der Gerichtetheit zuschreibt, und er versucht diesen Aspekt mit seinem physikalischen bzw. naturphilosophischen Erklärungsansatz zu verbinden. Die Betonung und Behauptung eines phänomenalen Gehalts der Wahrnehmung ermöglicht die Annahme der erkenntnistheoretischen Fundierung der Sprache, Bedeutung, Geist
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Semantik in der Perzeption. Phänomenaler Gehalt ist semantisch relevanter Gehalt – während eine bloß physikalische Beschreibung eines Wahrnehmungsprozesses keinen »wertvollen Inhalt«, sondern höchstens einen »behaviouralen Gehalt« hätte, ganz im Verständnis von Quines Reizbedeutung. Der phänomenale Gehalt wurde in dieser Arbeit jedoch als grundlegend verstanden, als epistemische Basis und erste Form von Weltbezug – freilich hängt dieser phänomenale Gehalt mit physischen Prozessen zusammen, es wurde aber davon ausgegangen, dass mit einer ausschließlich physikalischen Beschreibung, etwa in Form von Reiz-Reaktions-Verhältnissen, die Bedeutungsfrage nicht hinreichend beantwortet werden kann. Die Konzepte sind zwar strenggenommen auch nicht phänomenal, sondern syntaktisch und semantisch strukturiert, sie werden aber immer von phänomenalen Gehalten (in Form von Vorstellungen) begleitet – deswegen sagt Aristoteles auch, dass man nie ohne φαντάσματα denkt. Jedoch gibt es eine klare Rangordnung: Man kann nur deswegen das Bild eines Bockhirschs im Kopf haben, weil man die Fähigkeit hat, Konzepte, νοητά zu »machen«. Zweitens ist hervorzuheben, dass Aristoteles auch das Problem der Objektivität berücksichtigt. Der aktive Intellekt wurde als jene Fähigkeit identifiziert, mit der aus den phänomenalen Gehalten, deren Grundlage die perzipierbaren Objekte sind, semantische Einheiten zu machen sind. Der Weg geht hier vom αἰσϑητόν zum αἴσϑημα zum νόημα und schließlich zum νοητόν. Der aktive Intellekt wird als die Fähigkeit verstanden, dem phänomenalen Gehalt einen sprachlichen Ausdruck zuzuordnen, ihn somit zu »noematisieren«, d. h. ihn als semantische Einheit, als νοητόν, zu kategorisieren. Es handelt sich hierbei um eine Fähigkeit, die Aristoteles als nicht-organisch gebunden versteht. Diese Organlosigkeit wurde in dieser Arbeit aber nicht als ontologische Separierung des Geistes verstanden, sondern als ein deskriptiv zu erfassender Umstand, der auf die zu erklärenden Besonderheiten des Denkens zurückgeht. Der aktive Intellekt ist als angeborene Disposition zur Sprache zu verstehen, die Universalität und Produktivität des Sprechens und Denkens erfordern jedoch eine andere Erklärungsstrategie als etwa die Wahrnehmung, die insofern eine andere Art einer angeborenen Disposition ist, als ein Lebewesen eine bestimmte organische Ausstattung, einen Wahrnehmungsapparat per Geburt erhält, der in einem Lernprozess ausdifferenziert wird. Heutzutage begegnet man dem Problem auf ähnliche Weise: Zwar erkennt man das Gehirn als relevantes Organ auch des Sprechens 332
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und Denkens an, insofern ist die Organlosigkeit nicht in einem strikten Sinn zu verstehen – dennoch ist man auch heute noch von einem grundlegenden Verständnis davon, wie das Denken, Sprechen und das Erfassen von Bedeutung auf Basis neuronaler Aktivitäten funktionieren, mehr als weit entfernt; zwar entwickelt man durchaus Theorien, die man dann »neuronale Netze« oder »neurokybernetische Modelle« nennt, im Grunde weiß man aber auch heute nur, dass, in Bezug auf das Denken; unser Gehirn anders funktioniert und weitaus komplexer ist als andere Organe, z. B. das Organ der visuellen Wahrnehmung. Wenn man unter der Organlosigkeit des aktiven Intellekts bei Aristoteles genau diesen Umstand zu verstehen bereit ist, dann kann man Aristoteles auch hier einen gewissen aktuellen Wert zusprechen. Dass Aristoteles den aktiven Intellekt auch als ewig und abgetrennt charakterisiert, wird ebenso nicht im ontologischen, sondern im epistemologischen Sinn interpretiert. Die Fähigkeit zur Sprache ist bei allen Menschen dieselbe – genauso wie alle (gesunden) Menschen dieselbe Fähigkeit zur visuellen Wahrnehmung haben, und zwar aufgrund einer identischen organischen Ausstattung. Weil bei der Sprachfähigkeit nicht auf die organische Ausstattung rekurriert werden kann, geht Aristoteles von einer apriorischen Fähigkeit aus, einer Fähigkeit, die also nicht (primär) materiell bestimmt ist und auf dieser Grundlage durch einen Lernprozess ausdifferenziert wird, sondern die als eine native Fähigkeit verstanden wird, die z. B. darin besteht, aus Wahrnehmungsgehalten semantische Einheiten zu machen, sowie sprachliche Grundregeln anwenden zu können. Ein paar grundsätzliche Überlegungen und Begrifflichkeiten wurden schon im Rahmen der systematischen Betrachtungen eingeführt, die sich auch hinsichtlich der Exegese der aristotelischen Texte als wichtig erwiesen haben, und die zum Abschluß nochmal betont werden sollen, nicht zuletzt um die Aktualität aristotelischer Überlegungen zu belegen. Zum Ersten war da die Unterscheidung zwischen dem formalen und dem epistemischen Aspekt der Bedeutungsfrage: Formal ist das SGG insofern, als es jedem sprachlichen Ausdruck eine semantische Einheit gegenüberstellt (darin folgt Aristoteles gleichzeitig der alltagspsychologischen Intuition, dass jeder bedeutsame sprachliche Ausdruck auf etwas referiert, etwas bedeutet); der epistemische Aspekt bezieht sich daran anknüpfend auf die Frage, welchen erkenntnistheoretischen Status diese semantischen Einheiten haben, wie wir von ihnen wissen können. Dabei wurde unterschieden zwischen perzipierbaren, ontologischen und semantiSprache, Bedeutung, Geist
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schen Einheiten, die in einer Beziehung zueinander stehen, aber jeweils nicht aufeinander reduziert werden können. Die These lautet: Die große semantische Bandbreite, die die termini technici des SGGs mit sich bringen, weisen auf ein theoretisches Einbinden beider Aspekte hin. Aristoteles wollte im SGG eine formale Semantik entwickeln, die im weiteren Verlauf von De int. auch im Vordergrund steht. Mit dem Verweis auf De an. ist dann v. a. der epistemische Aspekt der Bedeutungsfrage angesprochen. Mit den unpräzisen Fachbegriffen παϑήματα τῆς ψυχῆς und πράγματα scheint Aristoteles beide Aspekte, den formalen und den epistemischen, abdecken zu wollen: Er kann die formalen Bedingungen des semantischen Repräsentationalismus erfüllen und die logisch-semantischen Strukturen der Sprache untersuchen, ohne den epistemischen Status von Element C und D diskutieren zu müssen, sondern sich im Rahmen der Untersuchungen von De int. vielmehr mit einem Verweis auf De an. begnügen. Ob es sich bei einem νοητόν ursprünglich um einen spektralen λόγος im Sinne eines spezifischen Wahrnehmungsobjekts (also eine semantische Einheit, die auch als perzipierbare Einheit verstanden werden kann), um ein konkretes Individuum (also eine semantische Einheit, die auch als ontologische Einheit verstanden werden kann), um den Bockhirsch oder um einen Sachverhalt (die jeweils ausschließlich als semantische Einheiten verstanden werden können) handelt – unter πράγμα kann all dies fallen. Nichtsdestotrotz wurde in den Untersuchungen zur aristotelischen Vermögenslehre klar, dass letztendlich nur das Denkvermögen und seine Objekte die theoretische Bürde der semantischen Einheiten auf sich nehmen können – aber freilich nur unter der »epistemischen Mithilfe« der perzipierbaren Objekte, der αἰσϑητά. Mit dem Verständnis der Denkobjekte und -gehalte als Konzepte wurde versucht, den formalen und den epistemischen Aspekt gleichermaßen einzubeziehen und in systematischer Hinsicht zu vereinheitlichen: Mit den primitiven Konzepten ist v. a. der epistemische Aspekt angesprochen und die Frage, wie es erkenntnistheoretisch um diese Art der Gehalte (Qualia bzw. sense-data) bestellt ist. Mit den lexikalen (und auch propositionalen) Konzepten ist dann v. a. die Strukturisomorphie zwischen Sprache und den entsprechenden mentalen Zuständen angesprochen, die den semantischen Repräsentationalismus ermöglicht, d. h., dass jeder bedeutsame sprachliche Ausdruck ein νόημα (und in der Folge eine semantische Einheit, ein νοητόν) repräsentiert. 334
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Neben der Unterscheidung zwischen formalem und epistemischem Aspekt gibt es einen weiteren grundlegenden Punkt, der sowohl in systematischer als auch in exegetischer Hinsicht eine zentrale Rolle spielt. Dieser Punkt deutete sich schon innerhalb der Wahrnehmungstheorie an: Aristoteles beschreibt dieses Vermögen bzw. seine Objekte und Gehalte sowohl aus physikalischer als auch aus phänomenaler Sicht. Es geht einerseits um den physikalischen Prozess der Wahrnehmung, im Sinne der »Aufnahme der Form ohne die Materie«, andererseits um die qualitative und phänomenale Erfahrung einer Wahrnehmung, um das Quale. In der Diskussion des Vorstellungsvermögens bestätigte sich diese Deutung. Einerseits erklärt Aristoteles die zentrale Funktion dieses Vermögens in physikalischer Hinsicht, nämlich als Speichern einer aktualisierten Wahrnehmung als Bewegung (κίνησις). Aber in der Diskussion bezüglich der Möglichkeit des Erinnerns erkennt man sehr deutlich, dass Aristoteles die Notwendigkeit sieht, diese physikalische Beschreibungsweise um eine phänomenale zu erweitern, um überhaupt sinnvoll von einer Erinnerung an etwas, das ja per definitionem abwesend sein muss, zu sprechen: Man muss sich die Vorstellung auch als ein Bild bzw. als ein Abbild denken. Dieser schon in den perzeptiven Vermögen angelegte »Doppelaspekt« wurde in der Arbeit mit dem Titel epistemischer Dualismus versehen. Diese Theorie hat zunächst einen instrumentell-exegetischen Wert: Denn es wurde davon ausgegangen, dass die phänomenalen Gehalte des Wahrnehmungsvermögens die epistemische Grundlage sprachlicher Bedeutung bilden können. An dieser systematischen Stelle hat der Mensch einen direkten und infalliblen Zugang zur Welt, ein epistemisches Fundament. Ein Problem, das dahingehend formuliert wurde, besteht darin, dass solche phänomenalen Gehalte zumeist als subjektive Erlebnisse interpretiert werden, nämlich wie sich etwas anfühlt – und Subjektives scheint ein denkbar schlechter Kandidat für die Fundierung eines intersubjektiven Instrumentariums, das schließlich funktioniert und insofern als explanandum eine Forderung darstellt. Beim epistemischen Dualismus wird davon ausgegangen, dass der subjektive und phänomenale Charakter von Wahrnehmungen nicht ontologisch zu trennen ist von den korrespondierenden physischen Prozessen, sondern dass es sich dabei um zwei differente epistemische Zugänge zu ein und demselben Phänomen, Zustand oder Prozess handelt. Und da die Physik die objektive Dritte-Person-Perspektive erlaubt bzw. gar erfordert, gelingt es, dem phänomenalen Aspekt neben dem subjektiven auch einen obSprache, Bedeutung, Geist
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jektiven Anstrich zu geben, eben weil sich die phänomenale und die physikalische Beschreibung auf ein und dieselbe Entität beziehen. Der epistemische Dualismus ist aber nicht nur aus dieser exegetischen Sicht von Interesse, sondern auch prinzipiell hinsichtlich des Leib-Seele-Problems und der auch heute noch relevanten Grundsatzdiskussionen in der Philosophie des Geistes. Es scheint heutzutage ein Patt zu geben zwischen einem physikalischen Naturalismus, der alles, was es gibt und überhaupt erklärt werden kann, auf die Entitäten der Naturwissenschaften, allen voran auf jene der Physik reduzieren will. Auf der anderen Seite gibt es kritische Äußerungen, die die prinzipielle Unmöglichkeit dieser radikal-naturalistischen Position unterstellen. So diagnostiziert Thomas Nagel in einer seiner jüngsten Veröffentlichungen als Ausgangspunkt seiner weiteren Argumentation deutlich das Scheitern dieser Position als »[…] failure of psychophysical reductionism, a position in the philosophy of mind that is largely motivated by the hope of showing how the physical sciences could in principle provide a theory of everything.« (Nagel, 2012, S. 4) Dem steht aber weiterhin und hartnäckig die naturalistische Position gegenüber, in deren Rahmen diese Reduktion prinzipiell für möglich erachtet wird. So ist etwa Thomas Metzinger der Meinung, dass Qualia als phänomenale Gehalte der Wahrnehmung schlichtweg nicht existieren; 399 er ist der Überzeugung, dass es keine Identitätskriterien für Qualia gibt, dass man sie nicht reidentifizieren kann. Empirische Untersuchungen von Diana Raffman, auf die sich Metzinger stützt, zeigen, dass man Farbtöne viel besser unterscheiden als identifizieren kann. Werden einer Versuchsperson zwei Schattierungen der Farbe Rot gezeigt, dann kann sie diese Schattierungen, sofern sie über der Wahrnehmungsschwelle liegen, 400 voneinander unterscheiden – die Vgl. den programmatischen Aufsatz Präsentationaler Gehalt: »[…] Qualia im Sinne einer analytisch strikten Definition – nämlich als einfachste Form phänomenalen Gehalts im Sinne phänomenaler Eigenschaften erster Ordnung – […] existieren [nicht, S. L.]. Relativ einfache empirische Überlegungen zeigen nämlich bereits, daß wir keine introspektiven Identitätskriterien für viele Formen von sensorischen Bewußtseinsinhalten besitzen: Wir können sie nicht wiedererkennen und deshalb auch weder kognitiv noch sprachlich erfassen. Wenn diese empirische Prämisse richtig ist, dann liefert die subjektive Erfahrung selbst uns in solchen Fällen also keine transtemporalen Identitätskriterien für die einfachsten Formen phänomenalen Gehalts. Auf dem Weg zu einer auch empirisch verankterten Theorie des phänomenalen Bewußtseins ist ein begrifflich klares Verständnis dieser einfachsten Formen phänomenalen Gehalts jedoch absolut unabdingbar.« (Metzinger, 1998, S. 377) 400 »The technical term sometimes used by experts in psychophysics is JND, or »just 399
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Versuchsperson ist aber nicht fähig, sie als eine bestimmte Farbschattierung (Raffman spricht von Rot31 und Rot32) zu reidentifizieren, wenn ein einzelnes Farbmuster vorgezeigt wird. Ein Defizit an dieser Argumentation scheint darin zu liegen, dass es erstens eine Frage des Expertenwissens ist, Farben in ihren Schattierungen zu reidentifizieren. Jemand, der sich professionell etwa mit der RAL-Farbtabelle auseinandersetzen muss, ist sicherlich besser in der Lage ein Rot als Feuer- oder Karmesinrot zu identifizieren als ein Laie auf diesem Gebiet, der hier vielleicht nur sagen kann: »Das ist rot und nicht grün.« Was aber der Experte und der Laie gemeinsam haben, ist, dass sie auf einer ganz fundamentalen Ebene gelernt haben müssen, die sprachlichen Ausdrücke »rot« und »grün« überhaupt erst richtig anzuwenden und insofern auch zu unterscheiden – das ist ja auch notwendig, um überhaupt solche Versuche durchzuführen oder sich als Experte auszubilden. Wenn es jemanden aufgrund einer Rot-Grün-Sehschwäche nicht möglich ist, zwischen Rot und Grün zu unterscheiden, dann kann diese Person auch nicht an einem entsprechenden Versuch teilnehmen (wobei es in vielen Fällen auch bei einer Rot-Grün-Sehschwäche möglich ist, Rot und Grün zu unterscheiden, was dann wieder ein Fall von Expertise wäre, nämlich verschiedene Schattierungen innerhalb einer Farbe zu unterscheiden). Dieses grundsätzliche Lernen und Wissen hängt nicht ab von der naturwissenschaftlichen Durchdringung des Farbsehens und der exakten Definition von Feuerrot als zu einem bestimmten Lichtwellenbereich zugehörig, sondern vom phänomenalen Wahrnehmen der Farbe Rot – auch als unterschiedlich von der Farbe Grün. Es erscheint nicht nur als kontraintuitiv, diesen erprobten und verlässlichen Alltagsgebrauch der Sprache, der sich immer schon auf die phänomenale Wahrnehmung bezieht, einfach deswegen zu eliminieren, weil der Mensch im Unterscheiden von zwei gezeigten Farbschattierungen besser ist, als im Erinnern und Reidentifizieren einer einzeln gezeigten Farbschattierung, sondern es muss auch einen Bereich geben, in dem der Mensch fähig ist, aufgrund der phänomenalen Erfahrung grundlegende Identifikationskriterien zu erlernen: z. B. rot – grün oder, um das aristotelisches Beispiel zu nehmen, hell – dunkel. Wie anders sollte man eine Sprache erlernen? Nochmal: Dass man etwa zwei Töne im Vergleich zueinander als noticeable difference.« The JND is a statistical distinction, not an exact quantity.« (Metzinger, 2009, S. 48) Sprache, Bedeutung, Geist
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höher oder tiefer erkennen kann, aber nicht fähig ist, einen dieser Töne, den man isoliert präsentiert bekommt, in eine vorher exakt festgelegte, physikalisch definierte Kategorie einzuordnen – zeigt das tatsächlich, dass es den phänomenalen Gehalten an grundlegenden Identifikationskriterien mangelt? Es sind doch verschiedene Dinge, dass man in einem Versuch zeigen kann, dass Versuchspersonen Töne bis zu einem bestimmten Frequenzbereich hinsichtlich ihrer Höhe voneinander unterscheiden können und dass man immer schon ein Grundverständnis, ein Konzept der Ausdrücke »hoher Ton« und »tiefer Ton« als Grundlage dieser Unterscheidung mitbringen muss, Konzepte, die man nur aufgrund der phänomenalen Wahrnehmung, nicht aufgrund der Physik des Hörens erlernt. 401 Wenn in einem solchen Versuch dann feinkörnigere Kategorien von Tonhöhen eingeführt werden, um zu zeigen, dass man die Höhenunterschiede, die man bei zwei Tönen erkannt hat, nicht eindeutig als Höhenwert reidentifzieren kann, was folgt aus dieser Erkenntnis eigentlich? Zum einen ist das eine Sache der Expertise. Ähnlich wie bei den Farben, kann ein professioneller Musiker – und hier geht es nicht um das absolute Gehör – eher und besser entscheiden, zu welchem Oktavraum ein Ton gehört als ein Laie. Dass diese Fähigkeit irgendwann an ihre Grenzen kommt, ist offensichtlich – das ist dann, zum anderen, eine Sache der Unterschwelligkeit. Diese gilt aber für beide Fähigkeiten, sowohl für das Unterscheiden zweier aufeinanderfolgender Tonproben als auch für das Identifizieren einer einzigen Tonprobe. Es gibt mit Sicherheit zwei hinsichtlich ihres Frequenzbereichs unterschiedliche Töne, die eine Versuchsperson aber nicht mehr als unterschiedlich wahrnehmen kann, weil eine bestimmte organisch determinierte Schwelle nicht überschritten wird. Es gibt Töne, die au-
An dieser Stelle kann man nochmals an Frank Jacksons Mary erinnern. Freilich kann man einem Tauben die Physik des Hörens beibringen und ihm in dieser Hinsicht ein physikalisches Konzept von »hoher Ton« und »tiefer Ton« vermitteln, das auf bestimmten naturwissenschaftlichen Konventionen und Festsetzungen beruht. Aber er kann sicherlich nicht an einem solchen Experiment zur Unterscheidung und Identifizierung von Frequenzbereichen teilnehmen – ganz einfach, weil er nicht hören kann. Der phänomenale und der physikalische Aspekt beziehen sich, so die Grundthese des epistemischen Dualismus, auf ein und denselben Gegenstand oder Prozess, aber sie lassen sich nicht aufeinander reduzieren, sie stellen voneinander zu unterscheidende und selbständige, aber sicherlich miteinander verbunden epistemische Zugänge dar. Nicht nur hinsichtlich der Fundierung sprachlicher Bedeutung und des Erlernens von Sprache ist der phänomenale Zugang jedoch fundamentaler.
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ßerhalb jenes Frequenzbereichs liegen, der für den Menschen hörbar ist. Wenn zwei Hundepfeifen verschiedene Tonhöhen haben, kann man das zwar mit den entsprechenden Apparaturen feststellen, aber eine Versuchsperson, die sich im Versuchsaufbau auf ihre phänomenale akustische Wahrnehmung beschränken muss, kann in diesem Fall nur mit den Schultern zucken und sagen: »Ich höre gar nichts!« Die physikalische Differenzierung von Tonhöhen oder Farbschattierungen ist zwar feinkörniger, und es mag sein, dass man im Experiment nachweisen kann, dass die Unterscheidung von paarweisen (Hör- oder Seh-)Proben feinkörniger möglich ist als die Reidentifizierung von einzelnen Proben – aber was beweist das? Irgendwann kommt auch diese feinkörnigere Unterscheidungsfähigkeit an ihre Grenzen – und zwar ist das genau jene Schwelle des phänomenal Wahrnehmbaren. Der wichtige Punkt ist, dass es sich um zwei verschiedene Vorgänge handelt, und zwar den des Unterscheidens von zwei phänomenal wahrgenommenen Tönen und den des (Re-)Identifizierens eines phänomenal wahrgenommenen Tons. Beide beziehen sich (auch im Versuchsaufbau) auf eine Person, die etwas phänomenal wahrnimmt. Die Ergebnisse von Raffmans Experiment haben aber keine Auswirkung auf die These, dass vor der Möglichkeit, eine feinkörnige physikalische Differenzierung von Farbschattierungen vorzunehmen, immer schon eine Bedeutung von »rot« im Unterschied zu »grün« gelernt sein muss, und dass deswegen auch entsprechende Kriterien der Reidentifikation vorhanden sein müssen. Qualia als Grundlage sprachlicher Identifikation scheiden aus, weil sie flüchtig, unklar und deswegen unaussprechlich (»ineffable«), weil nicht zu identifizieren seien. Deswegen sollten wir uns besser an die klar definierten Identifikationskriterien der Physik halten. Und weil die Qualia auch keine Möglichkeit zur Reduktion bieten, weil sie gar nicht zu identifizieren sind – deswegen müssen sie eliminiert werden. Aber wenn man das Hören von Tönen, die Wahrnehmung von Farben als phänomenales Erleben eliminieren will, was bleibt dann übrig? Doch nur die naturwissenschaftlichen Theorien und Begriffe des Sehens und Hörens. Muss man sich dann aber nicht fragen, wie die Versuchspersonen die verschiedenen Töne als höher oder tiefer unterschieden haben, wie man überhaupt feststellen konnte, dass sie Farbschattierungen besser unterscheiden als erinnern und reidentifizieren können? Konnten sie dies tun, indem sie auf ein Oszilloskop oder auf ein Spektrometer geschaut haben? Wohl eher, weil sie die Töne und Farben wahrgenommen, und zwar phänomenal wahrSprache, Bedeutung, Geist
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genommen und aufgrund dessen unterschieden haben. 402 Dass die phänomenale Ebene vager und unspezifischer in ihren Identifikationskriterien ist als die physikalische Ebene, das ist ein unbestrittenes Faktum. Wir können schließlich auch keine Atome sehen, glauben aber dennoch, dass sie aus physikalischer Sicht grundlegender sind als die Dinge, die wir phänomenal als Einheiten wahrnehmen. Man kann aber trotzdem einen Tisch als Tisch identifizieren, einfach indem man ihn sieht; man braucht die atomare Struktur eines Tisches nicht zu kennen, was man benötigt, ist eine hinreichend genaue Definition von »Tisch« – und das ist, auch und gerade nach der Ansicht von Aristoteles, nicht die Aufgabe des Physikers, sondern die des Dialektikers, der sich auf die phänomenale Wahrnehmung und die begriffliche Kategorisierung des Wahrgenommenen bezieht. Ich kann rot von grün unterscheiden, wenn ich rote und grüne Dinge sehe, und zwar weil ich hier keine Schattierung innerhalb der Farbe Rot identifizieren muss, nicht außerhalb eines paarweisen Vergleichs entscheiden muss, ob ein Gegenstand hinsichtlich seiner Farbe als »Rot31« oder »Rot32« bezeichnet werden muss. Das Festhalten an Qualia, inklusive der Behauptung, dass es in einem groben Bereich sehr wohl Identifikationskriterien gibt, muss aber nicht in einen ontologischen Dualismus münden – und genau das scheint unter Naturalisten eine große Befürchtung zu sein. 403 Es Solche Versuche dienen eher dazu, das Verhältnis von phänomenalem und physikalischem Aspekt besser nachzuvollziehen und detaillierter zu beschreiben. Jeder dieser Versuche, die phänomenales Erleben untersuchen, setzt aber doch voraus, dass da jemand ist, der phänomenal erlebt. Wie können dann solche Versuche herangezogen werden, um das phänomenale Erleben zu eliminieren? Ähnliches könnte man über die berühmten Libet-Experimente zum freien Willen sagen. 403 Man könnte im Falle Metzingers vielleicht vom Mythos der Introspektion sprechen. Metzinger geht davon aus, dass Qualia nur introspektive Größen sein können, die den physikalischen extrospektiven Größen unversöhnlich gegenüberstehen – eine Trennung ganz im Sinne des ontologischen Dualismus. Dass aber aus phänomenologischer (und auch aus aristotelischer) Warte aus diese Sichtweise nicht notwendig, vielleicht sogar falsch ist, betonen mit Shaun Gallagher und Dan Zahavi auch zwei zeitgemäße Phänomenologen: »Although phenomenology is interested in the phenomena (how things are experienced; or as phenomenologists like to say, how they are ›given‹ or presented to the subject in experience) and in their conditions of possibility, phenomenologists would typically argue that it is a metaphysical fallacy to locate the phenomenal realm within the mind, and to suggest that the way to access and describe it is by turning the gaze inwards (introspicio). As Husserl already pointed out in Logical Investigations, the entire facile divide between inside and outside has its origin in a naßitremaßve commonsensical metaphysics and is phenomenologically 402
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ist prinzipiell möglich, einen ontologischen Monismus zu vertreten – also keine vermeintlich geisterhaften Einheiten der Introspektion, platonische Ideen oder ähnliches annehmen zu müssen –, diesen aber durch einen epistemischen Dualismus zu ergänzen. Die vageren Identifikationskriterien von Qualia lassen sich dann auch physikalisch, z. B. als statistischen Wert ausdrücken, gerade weil sich beide Zugänge auf denselben Gegenstand, denselben Prozess beziehen. Dass wir für den physikalischen Aspekt aufgrund der entsprechenden Messvorrichtungen einen detaillierten und sichereren, weil objektiven Zugang haben, darf nicht davon absehen lassen, dass wir, um diese Messvorrichtungen zu entwickeln, zu bauen und richtig anzuwenden, zuallererst ein Konzept von Rot im Unterschied zu Grün haben müssen; wir brauchen ja ein Ausgangskriterium, um einen gemessenen Lichtwellenbereich zuallererst einer Farbe zuzuordnen. Und diese Konzepte basieren auf der Wahrnehmung der – in aristotelischer Terminologie – spezifischen Objekte (αἰσϑητά) als phänomenale Gehalte (αἰσϑήματα). Zwar sorgt das Objekt für Identifikation und Objektivität des Gehalts, aber dennoch ist unser erster Kontakt zur Welt der phänomenale; erst mit ihm lernen wir die Objekte zu unterscheiden und zu klassifizieren. Philosophen wie Metzinger würden auf diese Überlegungen vielleicht antworten, dass Reduktion ein rein theoretisches Unterfangen ist, dass Theorien und ihre Begriffe aufeinander (rück-)bezogen werden, um einen möglichst hohen Grad an wissenschaftlicher Sparsamkeit und Einheitlichkeit zu erlangen. Dass wir Musik hören und genießen können, dass wir weiterhin die Welt selbst wahrnehmen und die Natur als schön und erhaben empfinden – all das würde ja nicht geleugnet. Dann, so müsste man entgegnen, handelt es sich aber nicht mehr um eine »theory of everything«, die ja gerade aus jenen Gründen der methodischen Einheitlichkeit und Sparsamkeit fordert, alles miteinzubeziehen, alles zu erfassen. Man könnte sich freilich suspect and inappropriate when it comes to understanding the nature of consciousness […]. But this divide is precisely something that the term ›introspection‹ buys into and accepts. To speak of introspection is to (tacitly) endorse the idea that consciousness is inside the head and the world outside.« (Gallagher & Zahavi, 2008, S. 21) Wenn in dieser Arbeit Aristoteles als epistemischer Dualist interpretiert wurde, dann ist das auch in diesem Sinne zu verstehen: Es geht nicht um eine ontologische Trennung von phänomenalem und physikalischem Seinsbereich als eine innere und eine äußere Welt, sondern es geht um eine deskriptive Abgrenzung zweier verschiedener epistemischer Zugangsweisen zu ein und demselben Gegenstand bzw. Prozess. Sprache, Bedeutung, Geist
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darauf einigen, das mentale und phänomenale Erleben aus den Naturwissenschaften zu exkludieren (und genau das war für eine lange Zeit in der Wissenschaftsgeschichte der Fall) – dann wäre das aber keine »theory of everything« mehr, und man müsste eine »Realität« jenseits der physikalischen bzw. naturwissenschaftlichen Realität anerkennen. 404 Der Naturalismus als »theory of everything« ist eine überempirische Theorie über das, was es in der Welt gibt. Solche Theorien haben immer einen dogmatischen Charakter, weil sie etwas behaupten, was empirisch nicht fassbar oder überprüfbar ist. Insofern ist der Naturalismus eine metaphysische Theorie, die nur durch eine argumentative Kohärenz und common-sense-Plausibilität Bestand haben kann. Wenn nun ein Naturalist irgendeinen Begriff in seinem wissenschaftlichen Reden übrig lässt, der nicht vollständig auf die Sprache bzw. die Entitäten der Physik reduziert werden kann, dann ist er kein Naturalist mehr, weil in seinem Sprachgebrauch etwas Nichtreduzierbares vorkommt und er insofern nicht kohärent argumentieren würde. 405 Der Naturalismus ist – nach P. F. Strawson – eine reviDieses Lavieren naturalistisch ausgerichteter Denker zwischen den kontraintuitiven Konsequenzen ihrer metaphysischen Annahmen und dem dadurch verunmöglichten Festhalten an Grundkonstanten menschlichen Lebens kann man auch gut in der modernen Diskussion zur Willensfreiheit beobachten. Wolf Singer äußert sich zu diesem Thema z. B. so: »Er [der freie Wille] wird von uns als Realität erlebt und wir handeln und urteilen so, als gäbe es ihn. Der freie Wille, oder besser, die Erfahrung, einen solchen zu haben, ist somit etwas Reales, extrem Folgenreiches. Insofern als sich die Mehrheit der gesunden Menschen zu dieser Erfahrung bekennt, ist sie also keine Illusion, wie etwa eine Halluzination. Aber aus Sicht der Naturwissenschaft ergibt sich die mit der Selbstwahrnehmung unvereinbare Schlussfolgerung, dass der »Wille« nicht frei sein kann.« (Singer, 2003, S. 58–59) Nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Positionierungen in der metaphysischen Ausgangslage, stellt sich Aristoteles diese Frage nach der Freiheit des Willens gar nicht. Seine Behandlung des Themas in der Nikomachischen Ethik besteht in einer detaillierten dialektischen Untersuchung dessen, was man als freiwillige bzw. unfreiwillige Handlung bezeichnen kann. Dabei ist die Freiheit des Willens immer schon vorausgesetzt – und zwar, weil es eine (phänomenal erlebte) Grundkonstante menschlichen Lebens ist. 405 Ein weiteres Beispiel: Holm Tetens versteht sich als »neurokybernetischer Naturalist«, der die phänomenale Ebene als wissenschaftlich irrelevant versteht und an dieser Stelle den Philosophen einen Maulkorb verpassen will. Alles was man über mentale Zustände und bewusstes Erleben sagen kann, lässt sich mit der Neurokybernetik sagen, und Tetens bietet folgende Vorgehensweise an, falls noch jemand hartnäckig nachfragt, selbst wenn alle Fragen neurokybernetisch beantwortet sind: »Ja, aber warum erlebe ich überhaupt etwas, wenn sich das alles physisch abspielt? Kann das Erleben deshalb etwas Physisches …Stop! Hör auf, so zu fragen! Vergiß es! Aber 404
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sionäre Metaphysik, weil sie sich nicht damit begnügt, die Welt zu beschreiben, wie sie uns immer schon gegeben ist, und die Strukturen dieser Beschreibung bzw. dessen, was beschrieben wird, offenzulegen, sondern eine bessere Struktur anbietet, hier in Form der These, dass es nichts in der Welt gibt, das nicht vollständig und hinreichend durch das, was uns die Physik und die anderen Naturwissenschaften an Begriffen anbieten, beschrieben werden kann. Wenn der Naturalismus im Kern also darin besteht, ein Reduktionismus zu sein, dann ist die einzig kohärente Variante des Naturalismus der eliminative Materialismus, eine Position, die auch Metzinger vertritt – konsequenterweise, muss man zugestehen. Der Naturalismus ist also nicht nur die These, dass alles, was es in der Welt gibt, auch durch die Naturwissenschaften erfasst, beschrieben und erklärt werden können muss, sondern der Naturalismus als metaphysische Theorie besteht in der zusätzlichen Annahme, dass es darüber hinaus nichts gibt – was nicht hinreichend und vollständig in physikalischer Sprache erfasst, erklärt und beschrieben werden kann, das gibt es nicht. Deswegen ist die Elimination phänomenalen Erlebens die einzig konsequente Form des Naturalismus. Wenn ein »gemäßigter« Naturalist davon reden würde, dass man bei allen Dingen, die es in der Welt zu erklären gibt, lediglich möglichst umfassend befürchte nicht, dir könnte irgend etwas Interessantes über uns Menschen entgehen, wenn du dich mit diesen Fragen nicht mehr beschäftigst!« (Tetens, 1994, S. 76) Sprachphilosophisch gewendet würde das heißen, dass Erleben und Qualia für die Bedeutungsfrage irrelevant sind, weil es so etwas einfach nicht gibt. Wenn Tetens dann aber über den »eigentümlichen doppelten Bezug mentaler Prädikate« sinniert, kommt durch die Hintertür das zurück, was eigentlich ausgesperrt werden sollte: »Wenn wir menschliches Verhalten durch mentale Zustände erklären, beziehen wir uns einerseits auf Gehirnzustände anhand ihrer Wirkungen für das Verhalten, andererseits auf die kausale Wirksamkeit von Zuschreibungen und Selbstzuschreibungen mentaler Zustände im Kontext symbolischer Interaktionen.« (Tetens, 1994, S. 45) Jener »Kontext symbolischer Interaktionen«, d. h. das Sprechen miteinander, ist hier zwar angemerkt, spielt dann aber keine Rolle mehr. Fragen wie »Wie können wir überhaupt miteinander sprechen?«, »Worauf beruhen unsere sprachlichen Fähigkeiten?«, »Wie können wir überhaupt wissenschaftliche Theorien aufstellen?« werden letztlich beiseitegeschoben. Wenn aber das Erleben der Welt die Grundlage für das Sprechenlernen darstellt, dann erscheint dieses Aussperren des phänomenalen Bereichs (und bei Tetens als ›neurokybernetischen Naturalisten‹ ist das schließlich eine metaphysische Position) nicht nur als dogmatisch und unplausibel, sondern auch als inkohärent, weil einerseits am »doppelten Bezug mentaler Prädikate« festgehalten wird, andererseits die symbolische Seite des Bezugs bei der späteren Erklärung geistigen Erlebens einfach negiert wird. Sprache, Bedeutung, Geist
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empirisch und naturwissenschaftlich vorgehen will, gleichzeitig die Eigenständigkeit von z. B. Fühlen, Musikhören oder der phänomenalen Erfahrung der Willensfreiheit beibehalten will – dann ist er im strengen Sinn kein Naturalist, weil er mit diesem Beibehalten oder Beiordnen von phänomenalen Aspekten gegenüber den physikalischen Aspekten seinem Reduktionsauftrag nicht nachkommt. Wenn dieser »gemäßigte« Naturalist dann aber sagt, dass er das phänomenale Erleben ja gar nicht reduzieren will, sondern nur bestmöglich naturwissenschaftlich durchdringen will – dann ist er zwar Naturwissenschaftler, aber kein Naturalist in diesem metaphysischen Sinn. Auch hier bietet Aristoteles mit seiner Version des epistemischen Dualismus eine noch heute interessante Alternative.
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7. Literaturverzeichnis
7.1. Primärliteratur 7.1.1.Aristoteles Die folgenden Angaben beanspruchen keine Vollständigkeit. Es handelt sich um die Textausgaben und Übersetzungen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit verwendet wurden. Die Auflistung der aristotelischen Werke erfolgt in alphabetischer, die verschiedenen Textausgaben in chronologischer Reihenfolge. Analytica posteriora (Textgrundlage: Ross, 1964) Aristotle: Prior and posterior analytics, a revised text with introduction and commentary by W. D. Ross. Oxford: Clarendon Press, 1949. Aristotelis: Analytica priora et posteriora. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. D. Ross. Oxford: Clarendon Press, 1964. Aristoteles: Analytica posteriora. Übersetzt und erläutert von Wolfgang Detel. Zwei Halbbände. Berlin: Akademie Verlag, 1993. Aristotle: Posterior Analytics. Translated with a commentary by Jonathan Barnes. Oxford: Clarendon Press, 1994. Aristoteles: Erste Analytik. Zweite Analytik. Herausgegeben, übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Hans-Günter Zekl. Hamburg: Felix Meiner, 1997. Aristotle: Posterior Analytics. Edited and translated by Hugh Tredennick. Cambridge/London: Harvard University Press, 2004 [11960]. Aristoteles: Zweite Analytik. Analytica posteriora. Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Wolfgang Detel. Hamburg: Felix Meiner, 2011. Analytica priora (Textgrundlage: Ross, 1964) Aristotelis: Analytica priora et posteriora. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. D. Ross. Oxford: Clarendon Press, 1964. Aristotle: Prior Analytics. Translated, with introduction, notes and commentary by Robin Smith. Indianapolis: Hackett, 1989. Aristotle: Prior Analytics. Edited and translated by Hugh Tredennick. Cambridge/London: Harvard University Press, 2002 [11938].
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Literaturverzeichnis Aristoteles: Analytica priora. Buch I. Übersetzt und erläutert von Theodor Ebert und Ulrich Nortmann. Berlin: Akademie Verlag, 2008. Aristotle: Prior Analytics. Book I. Translated with an introduction and commentary by Gisela Striker. Oxford: Clarendon Press, 2009. Aristoteles: Analytica priora. Buch II. Übersetzt und erläutert von Niko Strobach und Marko Malink. Berlin: De Gruyter, 2015. Categoriae und De interpretatione (Textgrundlage: Minio-Paluello, 1949) Aristotelis: Categoriae et liber de interpretatione. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit L. Minio-Paluello. Oxford: Clarendon Press, 1949. Aristoteles: Kategorien. Übersetzt und erläutert von Klaus Oehler. Berlin: Akademie Verlag, 1984. Aristoteles: Die Kategorien. Übersetzt und herausgegeben von Ingo W. Rath. Stuttgart: Reclam, 1998. Aristoteles: Kategorien. Hermeneutik oder über den sprachlichen Ausdruck. Herausgegeben, übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Hans-Günter Zekl. Hamburg: Felix Meiner, 1998. Aristotle: Categories and De interpretatione. Translated with notes by John L. Ackrill. Oxford: Clarendon Press, 2002 [1963]. Aristotle: The Categories/On interpretation. Edited and translated by Harold P. Cooke. Cambridge/London: Harvard University Press, 2002 [1938]. Aristoteles: Peri hermeneias. Übersetzt und erläutert von Hermann Weidemann. Berlin: Akademie Verlag, 2014 [1994]. Aristoteles: Hermeneutik. Griechisch-Deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Hermann Weidemann. Berlin/Boston: De Gruyter, 2015. De anima (Textgrundlage: Ross, 1956) Aristotelis: De anima. Recognovit brevique adnotatione instruxit W. D. Ross. Oxford: Clarendon Press, 1956. Aristotle: De anima. Edited, with introduction and commentary by Sir David Ross. Oxford: Clarendon Press, 1961. Aristotle’s De anima. Books II and III (with certain passages from book I). Translated with introduction and notes by D. W. Hamlyn. Oxford: Clarendon Press, 1974 [1968]. Aristoteles: Über die Seele. Übersetzt von Willy Theiler. Berlin: Akademie Verlag, 1994 [1959]. Aristoteles: Über die Seele. Mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Hamburg: Felix Meiner, 1995. Aristotle: On the soul. Parva naturalia. On breath. With an english translation by W. S. Hett. Cambridge/London: Harvard University Press, 2000 [1936]. Aristotle: De anima. Translated with an introduction and commentary by Christopher Shields. Oxford: Clarendon Press, 2016.
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Primärliteratur De generatione animalium (Textgrundlage: Drossaart Lulofs, 1965) Aristotelis: De generatione animalium. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit H. J. Drossaart Lulofs. Oxford: Clarendon Press, 1965. De memoria et reminiscentia (in: Parva naturalia; Textgrundlage Ross, 1955) Aristotle: Parva Naturalia. A revised text with introduction and commentary by Sir David Ross. Oxford: Clarendon Press, 1955. Aristoteles: Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia). Übersetzt und herausgegeben von Eugen Dönt. Stuttgart: Reclam, 1997. Aristotle: On the soul. Parva naturalia. On breath. With an english translation by W. S. Hett. Cambridge/London: Harvard University Press, 2000 [1936]. Aristoteles: Parva naturalia 2. De memoria et reminiscentia. Übersetzt und erläutert von Richard A. H. King. Berlin: Akademie Verlag, 2004. Aristotle: On Memory. Edited with translation and commentary by Richard Sorabji. London: Duckworth, 2004 [1972]. De partibus animalium (Textgrundlage: Peck, 1968) Aristotle: Parts of animals. Movement of animals. Progression of animals. Edited and translated by A. L. Peck and E. S. Foster. Cambridge/London: Harvard University Press, 1968 [1937]. Aristoteles: Zoologische Schriften II: Über die Teile der Lebewesen. Übersetzt und erläutert von Wolfgang Kullmann. Berlin: Akademie Verlag, 2007. De sensu et sensibilia (in: Parva naturalia; Textgrundlage Ross, 1955) Aristotle: Parva Naturalia. A revised text with introduction and commentary by Sir David Ross. Oxford: Clarendon Press, 1955. Aristoteles: Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia). Übersetzt und herausgegeben von Eugen Dönt. Stuttgart: Reclam, 1997. Aristotle: On the soul. Parva naturalia. On breath. With an english translation by W. S. Hett. Cambridge/London: Harvard University Press, 2000 [1936]. Historia animalium (Textgrundlage: Peck, 1965 und 1970) Aristotle: History of animals. Vol. 1: Books 1–3. Edited and translated by A. L. Peck. Cambridge/London: Havard University Press, 1965. Aristotle: History of animals. Vol. 2: Books 4–6. Edited and translated by A. L. Peck. Cambridge/London: Havard University Press, 1970. Aristotle: Historia animalium. Volume 1. Books I-X: Text. Edited by D. M. Balme. Cambridge: Cambridge University Press, 2011 [2002]. Aristoteles: Zoologische Schriften I. Historia animalium. Buch I und II. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Stephan Zierlein. Berlin: Akademie Verlag, 2013.
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Literaturverzeichnis Metaphysica (Textgrundlage: Jaeger, 1957) Aristotle: Metaphysics. Books I-IX. With an english translation by Hugh Tredennick. Cambridge/London: Harvard University Press, 1933. Aristotelis: Metaphysica. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. Jaeger. Oxford: Clarendon Press, 1957. Aristoteles: Metaphysik. Schriften zur ersten Philosophie. Übersetzt und herausgegeben von Franz F. Schwarz. Stuttgart: Reclam, 1974. Aristoteles: Metaphysik. Erster Halbband (Bücher I-VI). Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Hamburg: Felix Meiner, 1989 [1978]. Aristoteles: Metaphysik. Übersetzt und eingeleitet von Thomas Alexander Szlezák. Berlin: Akademie Verlag, 2003. Aristoteles: Metaphysik. Zweiter Halbband (Bücher VII-XIV). Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Hamburg: Felix Meiner, 2009 [1980]. Physica (Textgrundlage: Ross, 1956) Aristotelis: Physica. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. D. Ross. Oxford: Clarendon Press, 1956. Aristoteles: Physikvorlesung. Übersetzt und erläutert von Hans Wagner. Berlin: Akademie Verlag, 1995 [1967]. Aristoteles: Physik. Vorlesung über Natur. Zweiter Halbband (Bücher V-VIII). Übersetzt und herausgegeben von Hans Günter Zekl. Hamburg: Felix Meiner, 1988. Aristoteles: Physik. Vorlesung über Natur. Erster Halbband (Bücher I-IV). Übersetzt und herausgegeben von Hans Günter Zekl. Hamburg: Felix Meiner, 2011 [1987]. Poetica (Textgrundlage: Kassel, 1965) Aristotelis: De arte poetica. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit Rudolfos Kassel. Oxford: Clarendon Press, 1965. Aristoteles: Poetik. Herausgegeben und übersetzt von Manfred Fuhrmann. Stuttgart: Reclam, 1994 [1976]. Aristoteles: Poetik. Übersetzt und erläutert von Arbogast Schmitt. Berlin: Akademie Verlag, 2008. Politica (Textgrundlage: Ross, 1965) Aristotelis: Politica. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. D. Ross. Oxford: Clarendon Press, 1965. Aristoteles: Politik. Buch 1. Übersetzt und erläutert von Eckhart Schütrumpf. Berlin: Akademie Verlag, 1991.
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8. Indices
8.1. Sachindex Der Sachindex listet sowohl systematische als auch aristotelische Begriffe und Themenkomplexe, die in der Arbeit eine Rolle spielen, deren Ort der Diskussion aber nicht deutlich aus dem Inhaltsverzeichnis hervorgeht. Kursiv gesetzte Seitenangaben verweisen auf den Fußnotentext der entsprechenden Seite. Abstraktion 107–109, 117–122, 127, 131, 140, 229, 230, 283, 308 Apriorismus 52, 102, 138, 234, 236, 240, 267, 283, 308, 319, 322–324, 331, 333 Assoziation, vorsprachliche 197–205, 207, 211–217, 221, 230, 286–287, 288, 313, 329 Aufnahme der Form ohne die Materie 51, 172, 178–182, 237, 241, 243, 247, 272, 279, 302, 321, 331, 335 Bekannteres für uns/an sich 263, 318 Bewusstsein 182–184, 190–194 Dualismus, epistemischer 30–31, 147– 153, 173, 219, 235, 236 Erkenntnis, intuitive 233, 289, 293– 294, 310, 312, 318, 322 Formaler und epistemischer Aspekt sprachlicher Bedeutung 44, 119, 124, 139–140 Gedächtnis 198, 201–203, 208, 224, 231 Identifikation, sprachliche 194, 197, 198, 200–204, 216, 313 Infallibilität 24, 173, 177, 185, 209, 286, 301–305, 328, 335
Intentionalität 51, 135–139, 245–249, 306, 321–324 Konzepte, lexikale 29–30, 133–134, 139–142, 149–150, 177, 205, 212, 265, 289, 297, 316, 320, 327 Konzepte, primitive 29–30, 133–135, 139–142, 149–152, 205, 289, 296, 301, 303, 320, 329, 334 Literalismus-Spiritualismus-Debatte 178–185 Lust/Schmerz 60, 199, 201–203, 212, 216, 221, 288 Materialismus, eliminativer 144, 243, 343 Qualia 29–31, 116, 123–124, 126, 141– 152, 157, 162, 176, 303, 327, 334–344 Repräsentationalismus, semantischer 27–29, 102–104, 119–122, 150, 162– 163, 176, 334 sense-data 115–120, 124, 131, 134, 140, 151, 176, 327 Stehenbleiben (stasis) 122, 305–307, 311, 316–319, 323–324 Strebung 32, 83, 199, 201–202, 329 Supervenienz 148–149, 260 Syllogistik 86–95
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Indices 8.2. Personenindex Der Personenindex beinhaltet klassische und moderne Autoren und Kommentatoren, deren Positionen in der Arbeit behandelt werden. Ackrill, John L. 50, 77, 130 Ax, Wolfram 57, 61 Barnes, Jonathan 122, 123, 294 Burnyeat, Myles 178–183, 190, 241, 249 Caston, Victor 51, 236, 272, 274, 276, 282 Charles, David 19, 23, 37–44, 276 Churchland, Patricia und Paul 283 Crick, Francis 283 Davidson, Donald 148 Detel, Wolfgang 123, 151, 308–317 Everson, Stephen 83, 176, 179, 180 Frede, Michael 267, 282 Frege, Gottlob 110–115, 119, 134, 137– 138, 302, 326–327 Hamlyn, David 84, 186, 244, 254, 258, 300, 312 Hicks, Robert D. 62, 160, 241, 244, 249, 260, 270, 297, 300 Jackson, Frank 143, 176, 338 Kim, Jaegwon 148 Kosman, L.A. 190–193 Kretzmann, Norman 26, 45, 48, 50, 73, 76, 77–81, 84, 92, 95 Locke, John 126–129, 133, 141–142, 151 Metzinger, Thomas 336, 340, 341, 343 Mill, John Stuart 110, 114 Modrak, Deborah 19, 32–37, 170, 205, 320
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Nagel, Thomas 143, 336 Oehler, Klaus 73 Osborne, Catherine 190–193 Peirce, Charles S. 73 Pépin, Jean 95–96 Platon 23, 153, 188 Quine, Willard V.O. 143, 144–145, 147, 332 Rapp, Christoph 282, 283 Ross, William D. 62, 82, 160, 208, 236, 254, 283, 286, 300, 313 Russell, Bertrand 110, 112–121, 124, 127, 131, 134, 140, 151, 326 Sedley, David 45, 228 Singer, Wolf 246, 342 Sisko, John E. 236, 238, 273 Smith, Robin 88, 90 Sorabji, Richard 51, 179–182 Strawson, Peter F. 181, 342 Tetens, Holm 342 Thomas von Aquin 96, 178, 274 Tugendhat, Ernst 112, 118, 128, 129 Weidemann, Hermann 46, 48–58, 59, 88, 95, Wheeler, Mark R. 41, 50, 73, 78, 85– 86, 88, 93, 104, 130 Whitaker, C.W.A. 45, 59, 76 White, M.J. 273, 274 Wittgenstein, Ludwig 106, 133
ALBER THESEN
Stefan Lobenhofer https://doi.org/10.5771/9783495813799 .
Indices 8.3. Stellenindex Der Stellenindex beinhaltet die in der Arbeit vorkommenden Aristoteles-Zitate und ist alphabetisch nach Werktiteln geordnet. Wie üblich sind die Bücher der aristotelischen Werke in römischen, die Kapitel in arabischen Zahlen angegeben, danach folgt die Bekker-Paginierung. Die Seitenzahlen zentraler Zitate, die im laufenden Text petit gesetzt und mit Übersetzung versehen sind, sind fettgedruckt. Bei Textstellen, die in Fußnoten vorkommen, sind die Seitenzahlen kursiviert. Analytica posteriora I, 1, 71a1–2 22, 233 I, 1, 71a11 22, 309 I, 1, 71a11–17 308 I, 1, 71a12 22 I, 1, 71a13–14 22 I, 1, 71a14–15 23 I, 1, 71a19–21 23 I, 2, 71b33–72a4 263 I, 2, 72a15–24 308 I, 2, 72a21–23 309 I, 2, 72a21–24 308 I, 33, 88b36 233 II, 19, 99b25–26 311 II, 19, 99b33–34 312 II, 19, 99b36–37 312 II, 19, 99b38–39 312 II, 19, 100a1–2 313 II, 19, 100a3–9 233 II, 19, 100a4–5 315 II, 19, 100a6–9 315–316 II, 19, 100a8 316 II, 19, 100a10–11 317 II, 19, 100a12–13 317 II, 19, 100a14–15 317 II, 19, 100a15 122, 124 II, 19, 100a15–16 317 II, 19, 100a15–b5 121–122, 294, 317 II, 19, 100a16 122, 294 II, 19, 100a17 122 II, 19, 100a17–b1 122 II, 19, 100b1–3 123, 318 II, 19, 100b2 123 II, 19, 100b2–3 313 II, 19, 100b3–5 318 Analytica priora I, 1, 24a16–17 309
I, 4, 25b37–40 309 II, 27, 70a14 88 II, 27, 70a4 87 II, 27, 70a7–8 87 II, 27, 70a8–10 85 II, 27, 70a18 89 II, 27, 70a21 89 II, 27, 70a24–26 90 II, 27, 70a29–39 91 II, 27, 70a33–34 89 II, 27, 70a3–4 87 II, 27, 70a34–36 89 II, 27, 70a37–38 92 II, 27, 70b1–7 90 II, 27, 70b29–31 92 Categoriae 1, 1a1–3 228 1, 1a1–6 120 2, 1a20 120 4, 1b25–27 21 5, 2a9–14 21 5, 4a34–4b1 43 5, 4a36 50 8, 9a28–31 301 De interpretatione 1, 16a1–8 46, 71 1, 16a3 96 1, 16a6 26, 71 1, 16a6–7 20, 94 1, 16a8–9 153 1, 16a9 125 1, 16a15–16 163 1, 16a16–17 304 1, 16a17–18 304 2, 16a19–16b5 95 2, 16a20–21 43, 291 2, 16a24–24 291
Sprache, Bedeutung, Geist
A https://doi.org/10.5771/9783495813799 .
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Indices 2, 16a25 43 2, 16a25–26 43 2, 16a26–28 77 2, 16a27–29 59 2, 16a29 96 3, 16b6–7 291, 307 3, 16b8 288 3, 16b19–22 307 3, 16b20 163 4, 16b28–30 304 4, 16b31–32 291 5, 17a13 292 5, 17a15–6 170 De anima I, 1, 403a3–10 158 I, 1, 403a3–b19 150, 153 I, 1, 403a5–7 239 I, 1, 403a7–10 189 I, 1, 403a7–8 49 I, 1, 403a8 239 I, 1, 403a8–10 56, 239 I, 1, 403a8–9 239 I, 1, 403a16 239 I, 1, 403a16–17 56 I, 1, 403a16–19 159, 239 I, 1, 403a24–b3 159–160 I, 1, 403a30–b3 182 I, 1, 403b3 161 I, 1, 403b17–18 56 I, 3, 406a16–22 275 I, 3, 407a32–33 306 I, 3, 414b2–3 198 I, 4, 408b18–19 275 II, 1, 412a6–9 154, 181, 184 II, 1, 412a9–11 155–156 II, 1, 412b4–9 181 II, 2, 413b21–23 198 II, 3, 414b1–2 198 II, 3, 414b18–19 56 II, 3, 414b4–6 199 II, 5, 416b33–34 180 II, 5, 416b33–35 243 II, 5, 417a2–3 243 II, 5, 417a2–6 243 II, 5, 417a6–7 244 II, 5, 417a7 248
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II, 5, 417a7–8 245 II, 5, 417a8–9 245 II, 5, 417a9–13 253 II, 5, 417a14–18 242 II, 5, 417a20 280 II, 5, 417a26–28 253 II, 5, 417a28–29 253 II, 5, 417a29 257 II, 5, 417a30 253 II, 5, 417a30–b2 254 II, 5, 417b2–5 249 II, 5, 417b2–9 260 II, 5, 417b5–6 250 II, 5, 417b6–7 250, 252 II, 5, 417b12–14 251 II, 5, 417b12–15 256 II, 5, 417b14–16 251 II, 5, 417b17 257 II, 5, 417b18 258 II, 5, 417b19–26 266 II, 5, 417b22 273 II, 5, 417b23 273 II, 5, 417b23–24 266, 273 II, 5, 417b24 273 II, 5, 417b24–26 212 II, 5, 418a3–4 180 II, 5, 418a3–6 250 II, 6, 418a7–10 185 II, 6, 418a15 209 II, 6, 418a15–16 177 II, 6, 418a17–18 186 II, 6, 418a18–19 186 II, 6, 418a20–1 121 II, 6, 418a20–24 196–197 II, 7, 418a31–418b2 172 II, 7, 418a31–b2 278–279, 280 II, 7, 418b4–6 179 II, 7, 418b9–10 277 II, 7, 418b11 280 II, 7, 418b13–14 280 II, 7, 418b18 280 II, 7, 418b18–19 280 II, 7, 419a13–15 172 II, 8, 419b5 82 II, 8, 419b18, 23 82 II, 8, 420b5 82 II, 8, 420b6–7 62
ALBER THESEN
Stefan Lobenhofer https://doi.org/10.5771/9783495813799 .
Indices II, 8, 420b27–29 82 II, 8, 420b29–33 62, 69 II, 8, 420b31ff. 81 II, 8, 420b32 84 II, 8, 420b32–421a1 82 II, 10, 422a8–422b16 172 II, 12, 424a17–21 51, 177–178, 182 II, 12, 424a21–24 175 II, 12, 424a28–30 262 III, 1, 424b22–425a13 189 III, 1, 425a14 188 III, 1, 425a15 185 III, 1, 425a16 186 III, 1, 425a16–20 186 III, 1, 425a27–28 188 III, 1, 425a30–b4 199 III, 1, 425b3–4 189 III, 1, 425b6–9 187 III, 1, 425b9–10 186 III, 2, 425b12–13 182 III, 2, 425b12–25 192 III, 2, 425b24–5 222 III, 2, 426b7 173 III, 2, 426b8–9 193 III, 2, 426b8–11 173–174 III, 3, 427b14–16 165, 168 III, 3, 427b14–20 202 III, 3, 427b17–21 208 III, 3, 427b18–19 219 III, 3, 427b20 219 III, 3, 427b20–21 210 III, 3, 428a1–2 231 III, 3, 428a11–18 177 III, 3, 428a12 210 III, 3, 428a16 219 III, 3, 428a18 209 III, 3, 428a18, b2, b17 210 III, 3, 428a22–24 209 III, 3, 428b2–4 210–211 III, 3, 428b18–19 296 III, 3, 428b18–25 209 III, 3, 428b21–22 211 III, 3, 428b23–25 211 III, 3, 428b30–429a2 206–207 III, 3, 429a1–2 202 III, 3, 429a4–8 207 III, 4, 429a10–13 56, 158
III, 4, 429a11–12 270 III, 4, 429a13–20 235–236 III, 4, 429a14 236 III, 4, 429a14–15 267 III, 4, 429a15–16 242 III, 4, 429a18 166, 238 III, 4, 429a21–22 238, 271 III, 4, 429a21–24 305 III, 4, 429a24 238 III, 4, 429a24–25 239 III, 4, 429a24–27 245 III, 4, 429a27–29 271 III, 4, 429a29–30 241 III, 4, 429a29–b4 262 III, 4, 429a29–b5 261–262 III, 4, 429a31–b4 238 III, 4, 429b10–11 298 III, 4, 429b11–12 298 III, 4, 429b12–18 298 III, 4, 429b22–26 263 III, 4, 429b23 275 III, 4, 429b27 264 III, 4, 429b28–29 264 III, 4, 429b29–31 271 III, 4, 429b30–31 264 III, 4, 429b32–430a2 265 III, 4, 430a5 273 III, 4, 430a6–7 249, 301 III, 5, 430a10–14 271 III, 5, 430a14–17 277 III, 5, 430a15 234, 277 III, 5, 430a17–18 270, 283 III, 5, 430a18 275 III, 5, 430a23 275 III, 5, 430a23–25 270 III, 5, 430a24–25 270 III, 6, 430a26–28 286 III, 6, 430a27–28 304 III, 6, 430a30–b6 287 III, 6, 430a32 288 III, 6, 430b5–6 305 III, 6, 430b14 299 III, 6, 430b14–15 299 III, 6, 430b26–30 290 III, 6, 430b28 291 III, 6, 430b29 295 III, 6, 430b30 297
Sprache, Bedeutung, Geist
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Indices III, 7, 431a8–10 221 III, 7, 431a10–12 221 III, 7, 431a14–15 220 III, 7, 431a16–17 34 III, 8, 431b21–23 149 III, 8, 432a7–14 70, 168 III, 8, 432a8–9 159, 230 III, 8, 432a8–10 222 III, 8, 432a8–14 319 III, 8, 432a9–10 297 III, 8, 432a11–14 96 III, 9, 432b3–7 201 III, 9, 432b4–5 201 III, 9, 432b16–17 198 III, 9, 432b26–29 201 III, 9, 433a7–8 198 III, 10, 433a25–29 201 III, 10, 433b5–10 221 III, 10, 433b8–12 202 III, 10, 433b27–28 275 III, 10, 433b27–30 215–216 III, 11, 433b31–434a5 201 III, 11, 434a2–3 201 III, 11, 434a5–10 216 III, 11, 434a6–10 315 III, 11, 434a12 198 De generatione animalium V, 7, 786b23–26 57 De memoria 1, 449b32–450a1 159 1, 450a13–15 299 1, 450a22–25 198 1, 450a23 224 1, 450a25–32 224, 226 1, 450b12–13 225 1, 450b15–16 225 1, 450b18–27 226 1, 450b21 226 1, 450b23–24 226 1, 450b24–25 227 1, 450b27–29 229
De somno 2, 455a12–22 183, 189–190 2, 455a16–17 190 2, 455a20–22 191 Historia animalium I, 1, 488a31–33 61 IV, 9, 535a27–28 64 IV, 9, 535a30–b1 64 IV, 9, 536a2–4 64 Metaphysica I, 1, 980a22–23 93 I, 1, 980b25–28 315 I, 1, 980b27–28 316 IV, 3, 1005b17–20 22 IX, 5, 1048a10–11 83 X, 1, 1052a29–31 300 X, 1, 1052b20 300 X, 1, 1052b20–23 300 X, 1, 1052b34–35 300 X, 1, 1053b4–8 300 Physica I, 1, 184a10–16 233 I, 1, 184a26–b14 74 I, 1, 184b12–14 54, 103, 293 I, 7, 190b5–9 154 I, 7, 190b9–17 154 Poetica 20, 1456b22–24 65–6 20, 1456b25–26 66 20, 1456b34–35 67 Politica I, 2, 1253a10–18 55, 60
De partibus animalium II, 17, 660a22–23 64 II, 17, 660a29ff 65
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De sensu 1, 437a9–15 54, 99–100 3, 439b11–12 176
Rhetorica I, 2, 1357b1–21 90 I, 2, 1357b12–13 91 I, 2, 1357b13–14 89 I, 2, 1357b14–15 92 I, 2, 1357b18–19 91
ALBER THESEN
Stefan Lobenhofer https://doi.org/10.5771/9783495813799 .