Max Weber-Gesamtausgabe, Band II/2: Briefe 1887-1894 3161549279, 9783161549274

Die |ber 200 Briefe dokumentieren die Zusammenhänge, in denen Max Weber während seiner juristischen Ausbildung, der Prom

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German Pages 683 [708] Year 2017

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1887–1894
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
Briefe 1887 – 1894
Verzeichnisse und Register
Personenverzeichnis
Verwandtschaftstafeln
Register der Briefempfänger
Personenregister
Ortsregister
Seitenkonkordanzen
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung II: Briefe
Bandfolge der Abteilung I: Schriften und Reden
Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften
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Max Weber-Gesamtausgabe, Band II/2: Briefe 1887-1894
 3161549279, 9783161549274

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Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von

Horst Baier, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius †, Wolfgang J. Mommsen †, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann † Abteilung II: Briefe Band 2

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Max Weber

Briefe 1887– 1894

Herausgegeben von

Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit

Thomas Gerhards und Sybille Oßwald-Bargende

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Redaktion: Ursula Bube – Edith Hanke – Anne Munding Die Herausgeberarbeiten wurden im Rahmen des Akademienprogramms von der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern und den Ländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gefördert.

ISBN 978-3-16-154927-4 Leinen / eISBN 978-3-16-157754-3 unveränderte ebook-Ausgabe 2019 ISBN 978-3-16-154929-8 Hldr Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer-tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1887–1894 . . . . . . . IX Siglen, Zeichen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Briefe Januar 1887 – Dezember 1894 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwandtschaftstafeln der Familien Fallenstein und Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register der Briefempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seitenkonkordanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

591 647 651 653 664 668

Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung II: Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 Bandfolge der Abteilung I: Schriften und Reden . . . . . . . . . . . . 680 Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683

Vorwort

Der vorliegende Band enthält die Briefe Max Webers von 1887 bis 1894. Sie umfassen die Periode seiner juristischen Ausbildung als Referendar, zeigen ihn als ambitionierten jungen Gelehrten bei Promotion und Habilitation sowie als Privatdozenten und außerordentlichen Professor in Berlin bis zu Beginn seiner Lehrtätigkeit in Freiburg i. Br. Sie erlauben ebenso Einblicke in die Entstehung und Richtung seiner politischen Interessen wie in seine persönliche Entwicklung mit der Verlobungszeit und Eheschließung, dem Beginn seiner lebenslangen Beziehung zu Marianne Weber. Die Editionsarbeiten der wissenschaftlich-politischen Korrespondenz erfolgten an der Arbeitsstelle am Historischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die Editionsarbeiten der privaten Korrespondenz an der Arbeitsstelle am Max-Weber-Institut für Soziologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, auf der Grundlage der von Manfred Schön und Diemut Moosmann erstellten Transkriptionen. Die Herausgabe dieses Bandes wurde durch die Unterstützung, die wir von Eigentümern von Privatnachlässen und von Institutionen erfahren haben, nachhaltig gefördert. Nicht alle können hier namentlich genannt werden, obwohl wir ihnen ausnahmslos großen Dank schulden. Unser besonderer Dank gilt den Erben von Eduard Baumgarten (†) und Max Weber-Schäfer (†), die uns die in ihrem Besitz befindlichen Briefe zur Verfügung stellten. Thomas Schoeppe danken wir ausdrücklich, ebenso Isrun Engelhardt, die WeberBriefe aus ihrem Privatbesitz bereitstellten. Zahlreiche Institutionen haben uns bei unserer Arbeit unterstützt. An erster Stelle seien das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin und die Bayerische Staatsbibliothek in München genannt, die Max Webers Nachlaßbestände aufbewahren und uns zugänglich machten. Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz ermöglichte uns die Einsicht in das Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht. Unser besonderer Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs in Berlin und Koblenz, der Archive der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Freiburg i.Br. sowie dem Generallandesarchiv Karlsruhe und dem Archiv der Friedrich-Naumann-Stiftung. Besonderen Dank schulden wir Wolf-Diedrich Reinbach (Heidelberg), der uns zahlreiche hilfreiche Hinweise zu den Konventionen und Traditionen der Burschenschaften und deren Ehrenkodex gab. Die Editionsarbeiten wurden von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen der Forschungsförderung der Union der deutschen Aka-

VIII

Vorwort

demien der Wissenschaften gefördert. Federführend war hier die Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte unter Vorsitz von Knut Borchardt und seit 2013 von Friedrich Wilhelm Graf. Edith Hanke und Ursula Bube von der Arbeitsstelle der MWG der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gebührt für ihre sorgfältige Durchsicht und Betreuung des umfangreichen Manuskripts vor und während der Drucklegung großer Dank. Ursula Bube hat sich in hohem Maße verdient gemacht, indem sie über die Redaktion hinausgehende Aufgaben nach der Auflösung der Heidelberger Arbeitsstelle Ende 2015 und dem Ausscheiden von Sybille Oßwald-Bargende übernahm. Gangolf Hübinger förderte die Entstehung des Bandes über den gesamten Zeitraum mit zahlreichen, wichtigen Hinweisen. An ihn geht unser besonderer Dank ebenso wie an Manfred Schön für die Hilfe bei der Entzifferung besonders rätselhafter Stellen. Schließlich danken wir Ingrid Pichler, die in bewährter Manier die Register erstellte. Frankfurt (Oder) im Januar 2017

Rita Aldenhoff-Hübinger

Chronologisches Verzeichnis der Briefe 1887–1894 Datum

Ort

Empfänger

Seite

Charlottenburg Charlottenburg Straßburg Straßburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Emilie Benecke Ferdinand Frensdorff Helene Weber Helene Weber Emmy Baumgarten Hermann Baumgarten Emmy Baumgarten Emmy Baumgarten Ferdinand Frensdorff Hermann Baumgarten Emmy Baumgarten Lili Weber Alfred Weber Alfred Weber Emmy Baumgarten Hermann Baumgarten Emmy Baumgarten

 39  42  46  54  60  69  75  85  88  90  96 107 109 112 116 121 128

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Ferdinand Frensdorff Emmy Baumgarten Hermann Baumgarten Hermann Baumgarten Hermann Baumgarten

140 142 145 151 160

o. O. Posen Posen Posen Posen Kosten und Gnesen Charlottenburg

Hermann Baumgarten Helene Weber Alfred Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber Alfred Weber

162 163 166 169 173 175 178

Charlottenburg Charlottenburg

Ernst Eck Juristische Fakultät der  Friedrich-Wilhelms  Universität Berlin

181 184

1887 20. Januar 1887 22. Januar 1887 19. Februar 1887 16. und 18. März 1887 10. und 11. April 1887 25. und 27. April 1887 8., 11. und 12. Mai 1887 31. Mai und 3. Juni 1887 16. Juni 1887 29. Juni 1887 5. und 12. Juli 1887 24. Juli 1887 30. Juli 1887 5. August 1887 20. August 1887 30. September 1887 21. Oktober 1887

1888 11. Januar 1888 17. Februar 1888 13. März 1888 30. April 1888 25. Juni 1888 25. Juni 1888 oder danach 25. Juli 1888 2. August 1888 15. August 1888 23. August 1888 9. und 14. September 1888 17. Dezember 1888

1889 15. Februar 1889 16. Februar 1889

X Datum

Chronologisches Verzeichnis der Briefe Ort

Empfänger

Seite

Ernst Eck Ernst Eck Hermann Baumgarten Ernst Eck Emmy Baumgarten Helene Weber Clara Weber Alfred Weber Max Weber sen. Emmy Baumgarten Hermann Baumgarten

185 186 187 189 190 196 200 201 203 206 210

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Hermann Heinrich Meier Helene Weber Karl Möller Helene Weber Alfred Weber

214 216 218 220 223

3. Januar 1891 15. Februar 1891 20. Februar 1891 22. April 1891 14. Juni 1891 17. Juni 1891 6. Juli 1891 6. und 8. Juli 1891 16. Juli 1891 22. Oktober 1891

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Schrimm Schrimm Schrimm Schrimm Schrimm Charlottenburg

225 233 235 238 239 241 246 249 253 254

18. Dezember 1891

Charlottenburg

Hermann Baumgarten Hermann Baumgarten Hermann Baumgarten Alfred Weber Clara Weber Helene Weber Alfred Weber Helene Weber Clara Weber Juristische Fakultät der  Friedrich-Wilhelms  Universität Berlin Josef Kohler

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Josef Kohler Theodor Mommsen Emmy Baumgarten Hermann Baumgarten Clara Weber

258 259 260 265 270

o. O. Charlottenburg

Gustav Schmoller Gustav Schmoller

272 274

27. April 1889 Charlottenburg 9. Mai 1889 Charlottenburg 30. Mai 1889 Charlottenburg 12. Juli 1889 Charlottenburg 14. Juli 1889 Charlottenburg 17. Juli 1889 Charlottenburg 17. Juli 1889 Charlottenburg 30. Juli 1889 Charlottenburg 13. September 1889 Oerlinghausen 14. und 17. Dezember 1889 Charlottenburg 31. Dezember 1889 Charlottenburg

1890 10. Juli 1890 16. Juli 1890 21. Juli 1890 30. Juli 1890 22. August 1890

1891

257

1892 12. Januar 1892 10. Februar 1892 18. Februar 1892 28. April 1892 21. Mai 1892 vor dem 31. Mai 1892 10. Juni 1892

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

XI

Datum

Ort

Empfänger

Seite

7. September 1892 14. September 1892 21. September 1892 17. Oktober 1892 26. November 1892 30. November 1892 6. Dezember 1892 13. Dezember 1892 20. Dezember 1892 25. Dezember 1892

Elm Straßburg Straßburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Clara Weber Helene Weber Clara Weber Clara Weber Clara Weber Hermann Baumgarten Wilhelm Liebknecht Georg von Vollmar Clara Weber Theodor Mommsen

275 276 282 285 288 290 292 294 295 297

Charlottenburg Charlottenburg o. O. Charlottenburg o. O. Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Straßburg Heidelberg Frankfurt am Main Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Clara Weber Clara Weber Marianne Schnitger Clara Weber Marianne Schnitger Clara Weber Clara Weber Clara Weber Lujo Brentano Friedrich Althoff Clara Weber Marianne Schnitger Gustav Schmoller Clara Weber Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Emmy Baumgarten Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger

298 301 302 306 308 309 311 314 316 320 325 327 328 329 332 335 338 342 344 348 351 355 358 361 363 365 367 370 373 376 379 381

1893 7. Januar 1893 9. Januar 1893 16. Januar 1893 20. Januar 1893 23. Januar 1893 27. Januar 1893 31. Januar 1893 24. Februar 1893 25. Februar 1893 3. März 1893 16. März 1893 26. März 1893 27. März 1893 28. März 1893 2. April 1893 7. April 1893 10. und 11. April 1893 13. April 1893 15. April 1893 18. April 1893 22. April 1893 22. April 1893 25. April 1893 26. April 1893 29. April 1893 30. April 1893 2. Mai 1893 4. Mai 1893 5. Mai 1893 7. Mai 1893 9. Mai 1893 12. Mai 1893

XII

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

Seite

16. Mai 1893 17. Mai 1893 18. Mai 1893 30. Mai 1893 2. Juni 1893 6. Juni 1893 14. Juni 1893 14. Juni 1893 16. Juni 1893 20. Juni 1893 23. Juni 1893 25. Juni 1893 29. Juni 1893 30. Juni 1893 2. Juli 1893 6. Juli 1893 7. Juli 1893 8. Juli 1893 12. Juli 1893 14. Juli 1893 15. Juli 1893 17. Juli 1893 22. Juli 1893 25. Juli 1893 25. Juli 1893 26. Juli 1893 26. Juli 1893 27. Juli 1893 27. Juli 1893 30. Juli 1893 5. August 1893 2. September 1893 2. September 1893 5. September 1893 8. September 1893 11. September 1893 14. September 1893 27. oder 28. September 1893 28. September 1893 29. September 1893 2. Oktober 1893 zwischen dem 8. und 24. Oktober 1893

Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg Charlottenburg

Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Emilie Benecke Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Clara Weber Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Lili Weber Marianne Schnitger Helene Weber Clara Weber Marianne Schnitger Marianne Schnitger Friedrich Althoff Emmy Baumgarten Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger Marianne Schnitger

383 386 388 390 393 396 398 400 402 405 408 410 412 415 417 419 422 425 427 429 430 432 435 438 440 441 442 445 447 448 450 452 455 458 461 463 465

Paris Paris Paris Paris

Helene Weber Helene Weber Helene Weber Helene Weber

467 469 471 473

Berlin

Friedrich Althoff

475

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

XIII

Datum

Ort

Empfänger

Seite

24. Oktober 1893 25. Oktober 1893 25. Oktober 1893 8. Dezember 1893 23. Dezember 1893

Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin

Gustav Schmoller Gustav Schmoller Friedrich Althoff Gustav Schmoller Martin Rade

477 479 481 483 484

Berlin Berlin Berlin Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Posen Berlin Posen Posen Posen Posen Posen Posen Berlin Berlin Berlin Berlin

Alfred Weber Gustav Schmoller Heinrich Sohnrey Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Helene Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Friedrich Althoff Helene Weber Fritz Baumgarten Marianne Weber Emil Warburg Marianne Weber Helene Weber Marianne Weber Marianne Weber Friedrich Althoff Heinrich Rickert Emilie Benecke Ernst Schultze

486 487 488 490 492 494 496 499 501 503 506 508 511 514 516 518 521 523 524 525 527 528 530 533 536 537 538 539 541

o. O. Berlin

Emmy Baumgarten Philosophische Fakultät   der Universität Frei  burg i.Br. Ludo Moritz Hartmann Friedrich Naumann

542 543

1894 vor dem 16. Februar 1894 23. Februar 1894 25. Februar 1894 1. März 1894 2. März 1894 5. März 1894 6. März 1894 8. März 1894 8. März 1894 11. März 1894 14. März 1894 17. März 1894 19. März 1894 22. März 1894 27. März 1894 1. April 1894 3. April 1894 3. April 1894 6. April 1894 9. April 1894 12. April 1894 12. April 1894 15. April 1894 15. April 1894 19. April 1894 28. April 1894 28. April 1894 29. April 1894 6. Mai 1894 zwischen dem 13. und 23. Mai 1894 23. Mai 1894 oder davor 2. Juni 1894 16. Juni 1894

Berlin Berlin

545 546

XIV

Chronologisches Verzeichnis der Briefe

Datum

Ort

Empfänger

Seite

12. Juli 1894 15. Juli 1894 17. Juli 1894 20. Juli 1894 28. Juli 1894 31. Juli 1894

Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin Berlin

548 551 554 556 560 563

31. Juli 1894 5. August 1894

Berlin Berlin

17. August 1894 24. August 1894

Berlin Berlin

21. September 1894 4. Oktober 1894 6. Oktober 1894 16. Oktober 1894

Berlin Freiburg i.Br. Freiburg i.Br. Freiburg i.Br.

4. November 1894 19. November 1894 22. November 1894

Freiburg i.Br. Freiburg i.Br. Freiburg i.Br.

14. Dezember 1894

Freiburg i.Br.

Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Marianne Weber Verlag Vandenhoeck   & Ruprecht Marianne Weber Verlag Vandenhoeck   & Ruprecht Martin Rade Verlag Vandenhoeck   & Ruprecht Fritz Baumgarten Helene Weber Gustav Schmoller Verlag Vandenhoeck   & Ruprecht Friedrich Naumann Fritz Baumgarten Juristische Fakultät der   Universität Frei  burg i.Br. Otto Ammon

564 568 569 571 572 573 575 577 578 580 584

585

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

|: :| > 〈  〉 [  ]

Einschub Max Webers Textersetzung Max Webers Von Max Weber gestrichene Textstelle Im edierten Text: Hinzufügung des Editors Im Briefkopf: erschlossenes Datum oder erschlossener Ort Im textkritischen Apparat: unsichere oder alternative Lesung im Bereich der von Max Weber getilgten oder geänderten Textstelle [??] Ein Wort oder mehrere Wörter nicht lesbar † gestorben 1) 2) 3) , , Indices bei Anmerkungen Max Webers 1 2 3 , , Indices bei Sachanmerkungen des Editors O Original der edierten Textvorlage A1, A 2 Edierte Textvorlage bei paralleler Überlieferung a b c , , Indices für Varianten oder textkritische Anmerkungen a a b b … , … Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen → siehe … Auslassungszeichen & und § Paragraph Pfund Pfennig Taler, (preußischer) Reichstaler Abb. Abbildung Abendausg. Abendausgabe a. d. an der a. D. außer Dienst a. M., a/M am Main Ankündigung der Ankündigung der Vorlesungen, welche im Sommer-Halbjahre   Freiburger Vorlesungen, 1895 auf der Großherzoglich Badischen Albert-Ludwigs  WS 1894/95 Universität zu Freiburg im Breisgau gehalten werden. – Freiburg i. Br.: Universitätsdruckerei Chr. Lehmann 1895 a. o. außerordentlich a /O an der Oder Aufl. Auflage, Auflagen Aug. August BA Bundesarchiv BAdW Bayerische Akademie der Wissenschaften Bassi, Otto Baumgarten Bassi, Hasko von, Otto Baumgarten. Ein „moderner Theo­ loge“ im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. – Frankfurt a. M. u. a: Peter Lang 1988 Baumgarten, Baumgarten, Otto, Meine Lebensgeschichte. – Tübingen:   Lebensgeschichte J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1929

XVI

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

bearb. bearbeitet Beibl. Beiblatt betr. betreffend Bez., bez., bezügl. bezüglich bezw. beziehungsweise BGB Bürgerliches Gesetzbuch BK Briefkopf Bl. Blatt Bln Berlin BSB Bayerische Staatsbibliothek ca, ca. circa cf confer Ch., Charl, Charl., Charlottenburg  Charlottenbg conf. confer cr. currentis d. der, die, das, des, dem, den dass. dasselbe DDP Deutsche Demokratische Partei dergl. dergleichen ders. derselbe Dez. Dezember d. h. das heißt d. i. das ist dies. dieselbe d. J. des Jahres, dieses Jahres D. M. Dein Max d. M. des Monats, dieses Monats do. dito d. O. der Obige Dr, Dr. Doktor, doctor Dr. jur. doctor iuris Dr. jur. utr. doctor iuris utriusque Dr. med. doctor medicinae Dr. phil. doctor philosophiae Dr. rer. pol. doctor rerum politicarum Dr. theol. doctor theologiae dt. deutsch Dztd. Dutzend ebd. ebenda etc, etc. et cetera ev, ev., event., eventl. eventuell Ew, Ew. Euer, Eure extr. extraordinarius f., ff. folgend, fortfolgend Fak. Fakultät Fasz. Faszikel Febr. Februar

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

XVII

Fl. Flaschen frc., Frcs, frcs Francs freundl. freundlich Frl. Fräulein frz. französisch geb. geborene gefl. gefällig Geh. Geheimer G. J. R. Geheimer Justizrat GLA Generallandesarchiv GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz h. hora (Stunde, Uhr) HA Hauptabteilung Handbuch über den Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat für   Königlich Preußischen das Jahr 1886/87. – Berlin: Decker 1886   Hof und Staat 1886/87 h. c. honoris causa HdStW1 Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1. Aufl., hg. von Johannes Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis, Edgar Loenig, 6 Bände, 2 Supplementbände. – Jena: Gustav Fischer 1890–1897 Herzl. Herzlich Hg., hg. Herausgeber, herausgegeben HK Bremen, HKHB Handelskammer (der Hansestadt) Bremen hl. heilig, heiligen Hr. Herr Hzgl. Herzoglich i

/Baden i. B., i/B, i. Br. i. E., i/E IlSG

in Baden im Breisgau im Elsaß Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (Amsterdam) incl. inclusive Inf. Reg., Inf. Regt Infanterieregiment insbes. insbesondere ital. italienisch Jan. Januar Jg. Jahrgang Jh. Jahrhundert jun. junior Jur. Juristische K. K. Kaiserlich-Königlich kaiserl. kaiserlich Kgl., kgl., Königl. Königlich k.M. kommenden Monats KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion

XVIII

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

lat. lateinisch Lic. theol. licentiatus theologiae L. M. Liebe Mutter M. Mark; Monsieur MdprAH Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses MdprHH Mitglied des preußischen Herrenhauses MdR Mitglied des Reichstags m. E. meines Erachtens Mk Mark Mlle Mademoiselle Mo.Bl. Morgenblatt Mommsen, Max Weber3 Mommsen, Wolfgang J., Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, 3., verbesserte Aufl. – Tübingen: Mohr Siebeck 2004 Morgenausg. Morgenausgabe Mr. Monsieur Ms. Manuskript m. W., M. W. meines Wissens MWA Max Weber-Arbeitsstelle MWG Max Weber-Gesamtausgabe; vgl. die Übersicht zu den Einzelbänden, unten, S.  673 f., 680–683 MWS Max Weber-Studienausgabe Nachm. Nachmittags näml. nämlich NB Notabene ndl. niederländisch neubearb. neubearbeitete N. F. Neue Folge Nl. Nachlaß Nov. November Nr. Nummer NW, N.W. Nordwesten (Berliner Postbezirk) Obf, Obf. Oberförster Oct., Okt. Oktober o. ordentlich o. S. ohne Seite o. V. ohne Verlag P. Pastor, Pfarrer p. a. per annum pp, pp. perge, perge (und so fort) Probenr. Probenummer Prof. Professor Prof. extr. Professor extraordinarius P. S. Postscriptum PSt Poststempel pt, pt. parterre

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

XIX

Rang- und Quartierliste Rang- und Quartier-Liste der Königlich Preußischen Armee   der Königlich Preußi- für 1887. Nebst den Anciennetäts-Listen der Generalität und   schen Armee für der Stabs-Offiziere der Armee. – Berlin: Mittler o.J. (dass. für   1887/1888/1891 1888 und 1891) Regt, Regt, Regt., Rgt Regiment Rep. Repositur resp., respect. respective RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. von Friedrich Michael Schiele und Leopold Zscharnack, 5 Bände, 1. Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1909–1913 Roth, Familiengeschichte Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950 mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 2001 S. Seite Schulthess Europäischer Geschichtskalender, hg. von Heinrich Schulthess, Jg. 1 (1860) – Jg. 25 (1884); fortgesetzt unter dem Titel: Schulhess’ Europäischer Geschichtskalender, hg. von Hans Delbrück u.a., Jg. 26 (1885) – Jg. 59 (1918). – Nördlingen, bzw. ab 30. Jg. (1890), München: C.H. Beck 1861– 1922 Se. Seine Sekt. Sektion sen. senior Sept. September Slg. Sammlung sog. sogenannt Sp Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Sommersemester St., St Sankt, Saint Str. Straße Straßbg Straßburg s. Zt. seiner Zeit TH Tit.

Technische Hochschule titulus

u. und UA Universitätsarchiv u. a. unter anderem u. A. und Andere, unter Anderem u. Ä. und Ähnliche UB Universitätsbibliothek übers. übersetzt Ugs. Umgangssprache undat. undatiert u. s. w. und so weiter v. von V. Vetter v. a. vor allem

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Siglen, Zeichen, Abkürzungen

vergl. vergleiche verh. verheiratete Verzeichnis der Berliner Verzeichniss der Vorlesungen, welche auf der Friedrich-Wil  Vorlesungen, helms-Universität zu Berlin im Winter-Semester vom 16. Octo  WS 1886/87–SS 1894 ber 1886 bis 15. März 1887 gehalten werden. – Berlin: o. V. 1886 (dass. bis SS 1894) v. J. vorigen Jahres vlm. vielmehr Vm Vormittags Voß, Das 2. Nieder- Voß, Wilhelm von, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regi  schlesische Infanterie- ment Nr. 47. 1860 bis 1910. – Berlin: Eisenschmidt 1910   Regiment Nr. 47 Weber, Jugendbriefe Weber, Max, Jugendbriefe [hg. von Marianne Weber]. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) o. J. [1936] Weber, Marianne, Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 3. Aufl. – Tü Lebensbild3 bingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1984 (Nachdruck der 1. Aufl., ebd. 1926) W/S, WS Wintersemester z. zum z. B. zum Beispiel zw. zwischen z. T. zum Teil z. Z. zur Zeit

Max und Marianne Weber um 1893 Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Sammlung Geiges

Einleitung

1. Berufliche Laufbahn und akademischer Kontext, S.  1. – 2. Wissenschaftliche Interessen und politische Orientierungen, S.  11. – 3. Akademische Geselligkeit, S.  21. – 4. Zur privaten Lebenssphäre, S.  24. – 5. Zur Überlieferung und Edition, S.  3 3.

Der Band umfaßt die Edition der überlieferten Briefe Max Webers aus den Jahren 1887 bis 1894. Sie bieten Einblicke in seine berufliche und akademische Laufbahn, die Ausformung seiner wissenschaftlichen und politischen Interessen sowie seine persönliche Entwicklung.

1.  Berufliche Laufbahn und akademischer Kontext Die Briefe vermitteln die biographischen Zusammenhänge von Max Webers juristischer Ausbildung, der parallel dazu verfolgten Promotion und Habilitation, der Zeit als Privatdozent und außerordentlicher Professor in Berlin sowie der Berufung zum ordentlichen Professor der Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. Max Webers Laufbahn unterschied sich zunächst nicht von der eines angehenden preußischen Justizund Staatsbeamten. Nach dem Ersten Juristischen Staatsexamen im Mai 1886 begann er die vier Jahre dauernde Referendarsausbildung, die er, genauen Vorgaben folgend, in Berlin absolvierte.1 Sie mündete in die Abfassung seiner Assessorarbeit und die mündliche Prüfung am 18. Oktober 1890. Nur in wenigen Briefen berichtete Max Weber über seine Tätigkeiten während dieser Zeit, und wenn, dann zumeist mit pessimistischem und resignativem Grundton. Denn nicht nur im Nachhinein blickte er „mit Grausen […] auf einen großen Teil der Referendars-Jahre“,2 bereits seit Anbeginn hatten ihn die Aufgaben unterfordert, und er fühlte sich teilweise „als eine Art höherer (oder niedriger?) Kanzlist“, bei dem jeder Versuch, „die juristische Bedeutung der Dinge“ zu erfassen, von seinem Vorgesetzten beiseite gewischt werde.3 Erst der Wechsel von der Strafkammer zur Zivilkammer beim Berliner Landgericht 1  Zu den gesetzlichen Vorgaben und Max Webers Stationen beim Amtsgericht Rixdorf, beim Landgericht und der Staatsanwaltschaft Berlin, beim Amtsgericht Charlottenburg sowie der Kanzlei des renommierten Rechtsanwalts August von Simson vgl. Lepsius, Susanne, Editorischer Bericht, in: MWG I/1, S.  113 f. 2  Brief an Emmy Baumgarten vom 18. Febr. 1892, unten, S.  2 60 f. 3  Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, unten, S.  4 3.

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trug dazu bei, daß er sich wieder als „ein vielfach der Verbesserung zugänglicher Jurist“ und „nicht eine degenerierte Species eines Canzlisten“ fühlte.4 Dennoch: Die intellektuelle Unterforderung und das Gefühl, nur mit halber Kraft zu arbeiten, scheinen auf die lange Dauer sehr belastend gewirkt zu haben. Dazu kam die Tatsache, daß er während der ganzen Zeit unbesoldet und gezwungen war, weiterhin im Elternhaus zu wohnen. Gerade diese pekuniäre Abhängigkeit war es auch, die ihn zögern ließ, zunächst neben der Referendarzeit und danach hauptsächlich eine akademische Laufbahn anzustreben. „Ich gestehe“, schrieb er seinem Onkel, wissenschaftlichem Mentor und Gesprächspartner in politischen Fragen, dem Historiker Hermann Baumgarten nach Straßburg, „daß ich nur mit Überwindung, – so sehr mir sonst der wissenschaftliche Beruf naheliegt, – daran denke, vom abwartenden unbesoldeten Referendar und Assessor zum ebenso abwartenden und ebenso unbesoldeten Privatdozenten überzugehen.“5 Aus diesem Grunde hatte sich Max Weber bereits gegen Ende seiner Referendarzeit auf eine Syndikusstelle bei der Handelskammer in Bremen beworben.6 Daß Max Weber sich dennoch entschloß, neben der Referendarzeit auch eine Promotion anzustreben und schon vor Abschluß des Verfahrens eine Habilitationsschrift „über gewisse römische agrarische Verhältnisse“ ins Auge faßte,7 hat zweierlei Ursachen. Zum einen hatte ihm Hermann Baumgarten, mit dem er in engstem Austausch über politische und historische Fragen stand, offensichtlich Vorhaltungen gemacht, was seinen „wissenschaftlichen Lebensweg“ und die mangelnde Konzentration auf eine rein wissenschaftliche Betätigung angehe.8 Zum anderen unterforderte ihn zwar die Tätigkeit als Referendar, doch sie ließ ihm die Option für einen praktischen Beruf offen, ohne ihm die Zeit zu nehmen, auch Seminare an der Universität zu Berlin zu besuchen.9 Während er das Angebot des Göttinger Rechtshistorikers Ferdinand Frensdorff, zu einem Thema aus dem Bereich des deutschen Rechts promoviert zu werden, ausschlug,10 griff er Anregungen aus dem Seminar des Berliner Handelsrechtlers Levin Goldschmidt im Wintersemester 1887/88 gezielt auf und konzentrierte sich auf rechtshistorische und handelsrechtliche Fragen.11 Daraus entstand seine Dissertation „Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter“. Am 15. Februar 1889 beantragte Max Weber 4  Brief an Ferdinand Frensdorff vom 16. Juni 1887, unten, S.  8 8. 5  Brief an Hermann Baumgarten vom 3. Jan. 1891, unten, S.  2 28. 6  Brief an Hermann Heinrich Meier vom 10. Juli 1890, unten, S.  214 f.; zu Max Webers Vorstellungsgespräch und Besuch in Bremen vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. Juli 1890, unten, S.  216. 7  Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Mai 1889, unten, S.  187. 8  Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887, unten, S.  121. 9  Vgl. dazu in der Einleitung, unten, S.  11 f. 10  Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, unten, S.  42–45. 11  Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887, unten, S.  122 f. mit Anm.  3.

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die Einleitung des Promotionsverfahrens,12 am 28. Mai 1889 fanden die mündliche Doktorprüfung13 und am 1. August 1889 die öffentliche, das Verfahren abschließende Disputation statt. Vollständig gedruckt lag die Doktorarbeit am 7. Oktober 1889 vor.14 In der Endphase der Promotion hatte Max Weber bereits die weiteren Etappen und Ziele seiner beruflichen und akademischen Laufbahn fest im Auge: „Es ist mir lieb“, schrieb er zwei Tage vor der Disputation an seinen Bruder Alfred Weber, „daß dann endlich die unverhältnismäßige Schererei, die ich an der Sache gehabt habe, zu Ende ist, denn ich habe nicht nur an wissenschaftlichen Arbeiten einiges Andre vor, sondern muß auch[,] wenn auch allmälig, so doch ernstlich daran denken, daß in 10 Monaten bereits ein andrer sehr energischer Filter für mich bereitsteht.“15 Gemeint war das Zweite Juristische Staatsexamen. Erstaunlich ist, daß er angesichts dieser doppelten Herausforderung – Abschluß der Promotion und das immer näher rückende Staatsexamen – auch schon seine im Mai gegenüber Hermann Baumgarten angedeuteten Pläne, „über gewisse römische agrarische Verhältnisse“ zu arbeiten,16 weiter präzisiert hatte. Für seine Habilitationsschrift zur Römischen Agrargeschichte waren Grundgedanken skizziert, die er als zweite These bei seiner Doktor-Disputation am 1. August vorstellte, und gegen die der überragende Kenner der römischen Geschichte Theodor Mommsen opponierte.17 Bis gegen Ende des Jahres 1889 arbeitete Weber an seiner Habilitationsschrift zumindest zeitweise weiter, denn am 31. Dezember teilte er Hermann Baumgarten mit, daß er von seinem Berliner Lehrer, dem Nationalökonomen und Agrarhistoriker August Meitzen, zur Publikation „einer nach meiner Überzeugung noch nicht druckreifen Arbeit über römische Ackerteilung und Colonat“ gedrängt werde.18 Das Jahr 1890 ließ ihm jedoch keine Zeit, seine Studien zur Römischen Agrargeschichte weiter voranzutreiben, denn von Juni bis Mitte August mußte er seine schriftliche Assessorarbeit fertigstellen und den mündlichen Abschluß seines Assessorexamens im Oktober 1890 vorbereiten. Nach Beendigung des Examens entschloß er sich, einen Antrag auf Beschäftigung in Berlin zu stellen, um weiterhin seine wissenschaftlichen Arbeiten

12  Brief an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, unten, S.  181–183. 13  Vgl. dazu den Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Mai 1889, unten, S.  187 f. 14  Zum gesamten Ablauf vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, unten, S.  181 f.; zu Hintergrund und rechtshistorischer Verortung der Dissertation vgl. Dilcher, Gerhard, Einleitung, sowie Lepsius, Susanne, Editorischer Bericht, in: MWG I/1, S.  1–105 und S.  109–138. 15  Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1889, unten, S.  2 02. 16  Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Mai 1889, unten, S.  187. 17  Vgl. Weber, Max, Thesen, in: MWG I/1, S.  3 41–347, hier S.  3 45; dazu ausführlich Deininger, Jürgen, Editorischer Bericht, in: MWG I/2, S.  57 f. mit Anm.  14–16. 18  Brief an Hermann Baumgarten vom 31. Dez. 1889, unten, S.  211.

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betreiben zu können; als dies abgelehnt wurde, ließ er sich bis Ende 1891 vom Staatsdienst beurlauben.19 Überarbeitung, endgültige Niederschrift und Drucklegung der Habilitationsschrift fielen in das Jahr 1891. Im Juni und Juli, während einer Militärübung in Posen, saß er bereits an den Fahnenkorrekturen, wie aus den Familienkorrespondenzen hervorgeht.20 Unmittelbar nach dem Erscheinen der Römischen Agrargeschichte im Oktober stellte er den Antrag auf Habilitation bei der Juristischen Fakultät für die Fächer Handelsrecht und Römisches Staats- und Privatrecht, unter Beifügung der Druckfassung seiner Dissertation und der gedruckten Habilitationsschrift.21 Das Habilitationsverfahren endete mit der öffentlichen Antrittsvorlesung am 1. Februar 1892.22 Max Weber wurde die Venia legendi für Handelsrecht und Römisches (Staatsund Privat-) Recht verliehen. Seinen ursprünglichen Plan, darüber hinaus auch die Venia legendi für Deutsches Recht zu erwerben, gab er 1893 auf.23 Nunmehr befand er sich in dem Status, den er, so wie das unbesoldete Referendarsdasein, stets perhorresziert hatte, nämlich dem eines unbezahlten Privatdozenten. Um seine finanziell unbefriedigende Lage zu bessern, vertrat er zeitweise einen Rechtsanwalt beim Berliner Kammergericht.24 Die ersten Kollegiengeldeinnahmen des zwar sehr begabten, aber doch bei den Studenten noch unbekannten Privatdozenten dürften sich sehr in Grenzen gehalten haben.25 Seinem allerersten Privatkolleg über „Römisches Sachenrecht auf historischer und wirthschaftlicher Grundlage“ folgten drei Zuhörer, dem ebenfalls privatim (also zahlungspflichtig) angekündigten Handelsrechts­ praktikum sechzehn Hörer.26 Allerdings dauerte dieser pekuniär höchst

19  Ausweislich seines Lebenslaufs, der dem Brief und Antrag auf Habilitation an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, unten, S.  255, beigefügt war; er wird ediert als Lebenslauf 3, in: MWG I/1, S.  3 48–357, hier: S.  355. 20  Briefe an Helene Weber vom 17. Juni sowie 6. und 8. Juli 1891, unten, S.  241 und 249; Brief an Alfred Weber vom 6. Juli 1891, unten, S.  246–248. 21 Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, unten, S.  254–256. 22  Vgl. ausführlich zu den einzelnen Etappen des Verfahrens die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät vom 22. Okt. 1891, unten, S.  254, sowie die Briefe an den Dekan der Juristischen Fakultät Josef Kohler vom 18. Dez. 1891 und 12. Jan. 1892, unten, S.  257 und 258. 23  Daß ein solcher Plan bestanden hat, geht aus dem Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, unten, S.  323 f., hervor. Marianne Webers Angabe (Lebensbild 3 , S.  174), Max Weber habe auch die Venia legendi für Deutsches Recht innegehabt, ist nicht zutreffend. 24  Brief an Hermann Baumgarten vom 28. April 1892, unten, S.  2 66. 25 Die entsprechenden Akten der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin sind nicht überliefert. 26  Nach Max Webers eigenen Angaben, ebd., unten S.  2 65.

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unbefriedigende Zustand nicht lange. Denn Max Weber eröffneten sich rasch mehrere Perspektiven, die er gezielt nutzte. Zum einen übernahm er neben seinen Verpflichtungen als Privatdozent seit dem Sommersemester 1892 sukzessive auch die Lehrveranstaltungen des schwer erkrankten Levin Goldschmidt.27 Dies bedeutete zwar eine zusätzliche Belastung, aber auch eine weitere Einnahmequelle. Nachdem er im Wintersemester 1892/93 Levin Goldschmidts Vorlesung „Handelsrecht“ mit 109 Hörern zusätzlich zu seiner ebenfalls „privatim“ gehaltenen Vorlesung „Römische Rechtsgeschichte“ übernommen hatte, konnte er von 2400 Mark Kolleggeld berichten.28 Damit hatte er zu den auf Grund der hohen Hörerzahlen in Berlin üblichen Einnahmen aufgeschlossen und dürfte diesen Stand auch in den folgenden Berliner Semestern gehalten haben.29 Max Weber wies später verschiedentlich darauf hin, daß er in Berlin „bereits sehr bedeutende Kollegiengeldeinnahmen“ erzielt habe.30 Die Übernahme und faktische Ersetzung Levin Goldschmidts als Hochschullehrer für Handelsrecht war für ihn darüber hinaus ein zentrales Argument gegenüber dem preußischen Kultusministerium, für ihn eine reguläre oder etatmäßige (besoldete) außerordentliche Professur in Berlin zu schaffen. Eine weitere Perspektive eröffnete sich ihm dadurch, daß der Verein für Socialpolitik unter dem Vorsitz des renommierten Berliner Nationalökonomen Gustav Schmoller zu Beginn des Jahres 1892 an ihn herantrat, um ihn mit der Auswertung der Erhebung über die Lage der Landarbeiter in den ostelbischen Gebieten Preußens zu betrauen. Ab Februar/März 1892, also unmittelbar nach Abschluß der Habilitation, stürzte er sich mit ungebremster Arbeitskraft in das neue Arbeitsfeld, indem er die Auswertung der Landarbeiterenquete für die gesellschafts- und agrarpolitisch brisantesten Teile des Kaiserreichs, die östlichen Provinzen Preußens, übernahm. Durch die zügige 27  Eine Aufstellung der Lehrveranstaltungen Max Webers zu Römischem Sachenrecht, Römischer Rechtsgeschichte, Agrarrecht und Agrargeschichte sowie Handels-, See-, Versicherungs- und Wechselrecht von Sommersemester 1892 bis Sommersemester 1894 befindet sich im Anhang zur Einleitung, in: MWG III/1, S.  5 3 f.; zur Erkrankung Levin Goldschmidts am 5. Mai 1892 vgl. den Brief an Clara Weber vom 21. Mai 1892, unten, S.  270 mit Anm.  2. 28  Brief an Clara Weber vom 7. Jan. 1893, unten, S.  2 98; die Hörerzahl nach: MWG III/1, S.  5 3 mit Anm.  7. 29  In seinem letzten Berliner Semester folgten seinen privatim gehaltenen Lehrveranstaltungen zu Handels- und Seerecht, Agrarrecht und Agrargeschichte und Handelsrechtsprakticum insgesamt 157 Hörer (GStA PK, I. HA, Rep.  76 Va, Sekt. 2, Tit. VII, Nr.  18, Bd. 17, Bl. 131–132). Die genaue Höhe der Einnahmen läßt sich nicht beziffern, da die Quästurakten der Friedrich-Wilhelms-Universität nicht überliefert sind. 30 Zitiert nach dem Brief Eugen von Philippovichs an Unbekannt (wahrscheinlich den Dekan der Freiburger Philosophischen Fakultät Emil Warburg) vom 7. Juli 1893, UA Freiburg i. Br., B 110/409. Vgl. auch den Brief Max Webers an Eugen von Philippovich vom 26. Juni 1900, in: MWG II/3, S.  723 f. mit Anm.  4.

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Auswertung, Ausarbeitung und Publikation der Ergebnisse sowie die Originalität des Zugriffs gelang es ihm, sich in Kürze einen Namen im Bereich der Nationalökonomie zu machen. Sein Vorgehen bei der Auswertung der umfangreichen Materialien ist in den Briefen nicht dokumentiert, diese geben aber Hinweise auf den Beginn seiner Arbeiten, deren Fortgang sowie den Stand der Fahnenkorrekturen;31 sie gewähren ferner Einblicke in die Art der gesamten Organisation.32 Der Band erschien im Dezember 1892.33 Er bildete die Grundlage für Max Webers lebenslange Mitarbeit im Verein für So­­ cial­politik34 und ebnete ihm den Weg für eine akademische Karriere als Natio­ nalökonom. In welche Richtung eine Berufung an ihn ergehen würde, ob in Richtung Handelsrecht in Verbindung mit dem römischen Recht oder in Richtung Deutsches Recht oder aber Staatswissenschaften und Nationalökonomie, war 1892 nicht absehbar. Seit Ende 1892 ist ein Interesse verschiedener Fakultäten an dem im Februar 1892 habilitierten Privatdozenten dokumentiert. So war Max Weber Ende 1892 offensichtlich im Gespräch für die Nachfolge des Freiburger Germanisten Karl von Amira, „aber“, so teilte Max Weber Hermann Baumgarten am 30. November 1892 mit, „man schlägt mich von hier aus nicht vor, weil ich formell die venia für deutsches Recht noch nicht habe“.35 Etwas später scheint er für eine außerordentliche Professur der Staatswissenschaften und Statistik in Erlangen in Frage gekommen zu sein.36 Die entscheidende Weiche für seine Laufbahn wurde im preußischen Kultusministerium durch den leitenden und für die Besetzungspolitik maßgeblichen Hochschuldezernenten Friedrich Althoff gestellt. Im Februar 1893 holte dieser Gutachten über mögliche Nachfolger für den Juristen Hermann Rehm in Marburg ein. In den Stellungnahmen der drei führenden Hochschullehrer im Bereich der 31  Briefe an Hermann Baumgarten vom 28. April 1892, unten, S.  2 65 f., Clara Weber vom 7. Sept. 1892, unten, S.  275, und Helene Weber vom 14. Sept. 1892, unten, S.  280. 32  Briefe an Gustav Schmoller, vor dem 31. Mai 1892, und vom 10. Juni 1892, unten, S.  272 f. und 274. 33  Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland, MWG I/3. 34  Im März 1893 referierte Max Weber auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik die Ergebnisse der Enquete (Weber, Max, Die ländliche Arbeitsverfassung. Referat und Diskussionsbeiträge auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik am 20. und 21. März 1893, in: MWG I/4, S.  157–207; vgl. dazu auch schon den Brief an Gustav Schmoller, vor dem 31. Mai 1892, unten, S.  272 f.); ebenfalls im März 1893 erfolgte die Kooptation in den Vereinsausschuß (vgl. dazu den Brief an Gustav Schmoller vom 27. März 1893, unten, S.  328) sowie im September 1894 die erneute Kooptation (Brief an Gustav Schmoller vom 6. Okt. 1894, unten, S.  575 f.). Wann Max Weber genau Mitglied des Vereins für Socialpolitik wurde, ist nicht bekannt. In der gedruckten Mitgliederliste des Vereins von 1890 wird er noch nicht geführt (vgl. Riesebrodt, Martin, Editorischer Bericht, in: MWG I/3, S.  2 3, Anm.  28). 35  Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Nov. 1892, unten, S.  2 91. 36  Brief an Clara Weber vom 16. März 1893, unten, S.  325 f. mit Anm.  1.

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juristischen Germanistik, Heinrich Brunner und Otto Gierke in Berlin, sowie Richard Schröder in Heidelberg wurde auch Max Weber genannt und dessen hoher fachlicher Stand durchweg hervorgehoben.37 Am 2. März 1893 forderte Friedrich Althoff Max Weber zu einer Stellungnahme über seine Arbeitsgebiete und Publikationen auf.38 Zeitgleich mit Max Webers Antwortbrief und der Einsendung seiner Schriften an den Hochschuldezernenten muß auch das Gutachten eingegangen sein, das Gustav Schmoller von nationalökonomischer Seite am 3. März 1893 an Friedrich Althoff schickte, und in dem er die Landarbeiterenquete als „Leistung ersten Ranges“ hervorhob, die Weber sowohl für die Jurisprudenz als auch die Nationalökonomie qualifiziere. Hintergrund dieses Schreibens war der an Max Sering ergangene Ruf auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg als Nachfolger von Eugen von Philippovich. Sollte Max Sering, der als ordentlicher Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin lehrte, diesem Ruf folgen, dann würde, so kündigte Schmoller an, die Landwirtschaftliche Hochschule Max Weber „zu seinem Nachfolger vorschlagen“.39 Die bei Friedrich Althoff eingegangenen Beurteilungen veranlaßten ihn dazu, Max Weber noch im März 1893 mitzuteilen, daß er mit der Ernennung zum außerordentlichen Professor für Handelsrecht in Berlin rechnen könne, in Max Webers Worten, vielleicht im Mai, wahrscheinlich Ende Juli, aber sicher im Winter.40 Bei dieser schnellen Entscheidung mag auch die Einschätzung eine Rolle gespielt haben, die Gustav Schmoller von Max Weber in politischer Hinsicht in seinem Gutachten gab: „Er verbindet zugleich mit seinen Kenntnissen einen maßvollen politischen Standpunkt, einen preußischen Patriotismus, ist frei von jeder Anglomanie, wie sie die Brentano’schen Schüler charakterisiert, und von jedem sozialistischen Beigeschmack, obwohl er mit Ernst und Energie für jede gesunde soziale Reform eintritt.“ 41

37 Vgl. ausführlich dazu: Dilcher, Gerhard, Einleitung, in: MWG I/1, S.  8 5–88; vgl. auch die Briefe Max Webers an Clara Weber vom 16. und 28. März 1893, unten, S.  325 f. und 329–331. 38  Vgl. dazu die Antwort Max Webers an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, unten, S.  323 f. 39  Gustav Schmoller an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, GStA PK, VI. HA, Nl. Friedrich Theodor Althoff, Nr.  109, Bl. 133; daß tatsächlich diese Absicht bestand, wird auch durch den späteren Brief Eugen von Philippovichs an Unbekannt (Emil Warburg) vom 7. Juli 1893, UA Freiburg i. Br., B 110/409, bestätigt. Hier heißt es: „Wie ich aus ganz zuverlässiger Quelle weiß, war Dr. Weber von Seite[n] des preußischen landwirtschaftlichen Ministeriums und vom Unterrichtsministerium als Nachfolger Professor Sering’s an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin ausersehen, falls Sering den Ruf hierher angenommen hätte.“ 40  Brief an Clara Weber vom 28. März 1893, unten, S.  329 und 331. 41  Gustav Schmoller an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, GStA PK, VI. HA, Nl. Friedrich Theodor Althoff, Nr.  109, Bl. 133.

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Da Max Sering den Ruf nach Freiburg Mitte Juni 1893 ablehnte42 und stattdessen weiterhin an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin lehrte, zusätzlich versehen mit einer außerordentlichen Professur an der FriedrichWil­helms-Universität, zerschlugen sich Max Webers Aussichten auf einen Lehrstuhl an der Landwirtschaftlichen Hochschule. Auf der anderen Seite rückte er nunmehr an die Stelle Serings als möglicher Kandidat für den Freiburger Lehrstuhl. Auf der am 6. Juli 1893 beschlossenen Berufungsliste der Philosophischen Fakultät firmierte Max Weber auf Platz eins.43 Obwohl er im Vorfeld der endgültigen Entscheidung nachdrücklich seine Bereitschaft erklärte, einem Ruf nach Freiburg zu folgen, und sich die Freiburger Fakultät mit ebensoviel Nachdruck für ihn beim Karlsruher Ministerium einsetzte, blieb der für Ende Juli 1893 bereits fest erwartete Ruf aus.44 Es erforderte ein hohes Maß an diplomatischem Geschick, in den folgenden Monaten beide Optionen – die Ernennung zum Extraordinarius in Berlin und die noch schwebende Berufung nach Freiburg – offen zu halten.45 Am 25. November wurde Max Weber dank der Unterstützung seines Lehrers Levin Goldschmidt zum etatmäßigen (besoldeten) außerordentlichen Professor an der Juristischen Fakultät in Berlin ernannt. Mit der Ernennung war die Verpflichtung verbunden, neben dem römischen Recht (Römisches Sachenrecht, Römische Rechtsgeschichte) in Vertretung des erkrankten Levin Goldschmidt Handels-, Wechsel-, See- und Versicherungsrecht zu lehren. Eine jährliche Besoldung in Höhe von 2000 Mark zuzüglich 900 Mark Wohngeld wurden ihm rückwirkend ab 1. Oktober 1893 gewährt.46 Rechnet man die oben erwähnten Einnahmen aus Kollegiengeldern von mehr als 2000 Mark pro Semester hinzu,47 so kam Max Weber als Extraordinarius in Berlin somit auf über 7000 Mark Gesamteinkommen, was in Bezug auf sein späteres Einkommen als Ordinarius in Freiburg als hoch, gemessen an den Einkommen der Berliner Ordinarien dagegen als niedrig einzuschätzen ist.48

42  Mitteilung des Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts (Karlsruhe) an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. vom 17. Juni 1893, UA Freiburg i. Br., B 110/409. 43 Vgl. dazu und zum Folgenden ausführlich die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, unten, S.  320–323. 44  Vgl. dazu den Brief an Clara Weber vom 15. Juli 1893, unten, S.  4 30 f., sowie an Marianne Schnitger vom 30. Juli 1893, unten, S.  4 48. 45  Vgl. insbesondere den Brief an Friedrich Althoff vom 5. Aug. 1893, unten, S.  4 50 f. 46 „Bestallung für den bisherigen Privatdocenten Dr. Max Weber zu Berlin“ vom 25. Nov. 1893, GStA PK, I. HA, Rep.  76, Va Sekt. 2 Tit. IV, Nr.  4 5, Bd. 5, Bl. 144–146. 47  Oben, S.  5. 48  Zum Vergleich mit den Einkommen der Berliner Ordinarien, deren Grundgehalt zwischen 6000 und 9000 Mark betrug, vgl. seinen Brief an Eugen von Philippovich vom 26. Juni 1900, MWG II/3, S.  723 f., Anm.  4.

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Gegen Ende des Jahres 1893 kam auch wieder Bewegung in die Freiburger Angelegenheit, nachdem aus nicht zu klärenden Gründen das Ministerium die Berufungsvorschläge der Freiburger Philosophischen Fakultät vom Juli 1893 nicht aufgegriffen hatte. Im Januar 1894 stellte die Freiburger Fakultät erneut eine Berufungsliste auf, wiederum mit Max Weber auf Platz eins. Diesmal gab es keine Verzögerungen. Am 3. April 1894 erhielt er den Ruf,49 den er, nachdem er sich bei Friedrich Althoff rückversichert hatte, am 6. April annahm;50 dem Dekan der Philosophischen Fakultät in Freiburg teilte er am 12. April seine Entscheidung mit.51 Am 25. April 1894 wurde er daraufhin zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft ernannt und trat zum Wintersemester 1894/95 sein neues Amt in Freiburg an. Der offizielle Dienstantritt erfolgte am 5. Oktober 1894. Ihm wurde ein Grundgehalt von 4000 Mark zuzüglich 760 Mark Wohnungsgeld bewilligt.52 Damit hatten sich seine Gehaltsvorstellungen, mit denen er ursprünglich in die Verhandlungen gegangen war, erfüllt. Sie waren sogar noch überschritten worden. Max Weber hatte auf „wenigstens“ 6000 Mark Gesamteinkommen (inklusive Kollegiengeld) insistiert, was nach den Worten des Vorsitzenden der Berufungskommission Eugen von Philippovich „also etwa einen Gehalt von 3000 M. + Wohnungsgeld“ ergäbe.53 Durch die Anhebung des Grundgehalts auf 4000 Mark erreichte er in Freiburg als Ordinarius annähernd dieselben jährlichen Gesamteinnahmen in Höhe von 7000 Mark, die er in Berlin als besoldeter Extraordinarius erhalten hatte.54 Wie schlägt sich die Berufungsfrage in den Briefen nieder? Erstaunlich ist, daß Max Weber fast durchgängig sehr schnell und gut über die Abläufe und Entscheidungen der Freiburger Fakultät unterrichtet war. Dabei kam ihm zu Gute, daß er mit Max Sering, der ja zunächst berufen werden sollte, nicht nur bekannt, sondern auch befreundet war. Sering hatte die Landarbeiterenquete des Vereins für Socialpolitik koordiniert; beide unternahmen im September 1892 gemeinsam eine Wanderung in den Vogesen.55 Weber wird also über Max Serings Chancen in Freiburg informiert gewesen sein und auch Hinter49  Vgl. dazu die Briefe an Friedrich Althoff sowie an Helene Weber, beide am selben Tag, unten, S.  521–523. 50  Dies geht aus der Karte an Fritz Baumgarten vom 6. April 1894, unten, S.  524, hervor. 51  Brief an Emil Warburg vom 12. April 1894, unten, S.  527. 52  Laut Urkunde seiner Bestallung in der Personalakte, GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 6. 53  Dies geht aus dem Brief von Eugen von Philippovich an Unbekannt (Emil Warburg) vom 7. Juli 1893, UA Freiburg i. Br., B 110/409, hervor. 54  Max Webers Kollegiengelder beliefen sich im WS 1894/95 auf 1380 Mark, im SS 1895 auf 910 Mark (Abrechnung der Akademischen Quästur für das WS 1894/95, UA Freiburg i. Br., B 17/17; dasselbe für das SS 1895, UA Freiburg i. Br., B 17/18). 55  Vgl. dazu den Brief an Clara Weber vom 21. Sept. 1892, unten, S.  282–284.

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grundwissen über die Freiburger Fakultät von diesem erhalten haben. Nach Serings Absage Mitte Juni 1893 war es dann anscheinend Eugen von Philippovich, der Max Weber als seinen potentiellen Nachfolger vorschlug. Philippovich war Vorsitzender der Berufungskommission, während der Historiker Erich Marcks, ein Schüler Hermann Baumgartens und Bekannter der Familie Weber in Berlin, von Freiburger Seite aus die Verhandlungen mit Max Weber führte und ihn auf dem Laufenden hielt.56 Über die Haltung des Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe dagegen war Max Weber nicht informiert. Da die entsprechenden Akten im Generallandesarchiv Karlsruhe nicht überliefert sind, muß auch heute im Dunkeln bleiben, warum das Ministerium Max Webers Berufung um rund acht Monate verzögerte. Dies war jedoch kein ungewöhnlicher Vorgang; mitunter intervenierte sogar der badische Großherzog persönlich, wie im Falle Werner Sombarts 1899, um eine Berufung zu verhindern.57 Max Weber stand natürlich nicht unter Sozialismusverdacht wie Werner Sombart, vielleicht war es in seinem Fall die Tatsache, daß er nicht von Hause aus Nationalökonom, sondern Jurist war. Möglicherweise befürchtete das Ministerium auch eine Konkurrenzsituation mit dem kurz zuvor zum außerordentlichen Professor ernannten Nationalökonomen Gerhart von Schulze-Gaevernitz. Weber selbst vermutete Intrigen von Seiten Gustav Schmollers und Friedrich Althoffs gegen seine Berufung; Althoff „(oder was dasselbe ist, Schmoller)“ habe gegen ihn geltend gemacht, daß er, da ihm eine „‚großartige‘ juristische Carriere in Preußen bevorstehe, Fr[eiburg] doch nur als ‚Sprungbrett‘ benutzen“ werde.58 Gustav Schmoller habe sich zudem für die Berufung des Rostocker Nationalökonomen Wilhelm Stieda in Freiburg eingesetzt.59 Erst im späteren Stadium, kurz vor seiner tatsächlichen Berufung, hörte Weber über seinen Vetter Otto Baumgarten, daß die badische Regierung einen anderen Vetter von ihm, Julius Jolly, der als Staatsanwalt im badischen Staatsdienst stand, gebeten habe ihn zu „‚son-

56 Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, unten, S.  320 f., sowie den Brief von Eugen von Philippovich an Unbekannt (Emil Warburg) vom 7. Juli 1893, UA Freiburg i. Br., B 110/409. Schriftwechsel zwischen Max Weber und Eugen von Philippovich einerseits und Erich Marcks an­ dererseits sind nicht überliefert. Erich Marcks war 1892 von Berlin nach Freiburg berufen worden; zu seinen Kontakten zur Familie Weber in Berlin vgl. insbesondere die Briefe an Hermann Baumgarten vom 31. Dez. 1889, unten, S.  212, sowie an Helene Weber vom 16. Juli 1890, unten, S.  217. Daß Erich Marcks Max Weber eingehend informierte, geht auch aus dem Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 42, hervor. 57  Lenger, Friedrich, Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie. – München: C.H. Beck 1994, S.  117. 58  Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 43. 59  Vgl. dazu den Brief an Gustav Schmoller vom 25. Okt. 1893, unten, S.  479 f.

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dieren‘“: „Freiburg beginnt zu spuken. […] Ich werde mich auf solches Privatgekolke nicht einlassen.“60 Bis 1890 hatte Max Weber die Entscheidung für eine bestimmte berufliche Laufbahn – praktische Karriere als Rechtsanwalt oder Syndikus oder akademische Karriere – offengelassen. Mit der Habilitation stellte er die Weichen für eine akademische Laufbahn,61 in der Schwebe blieb indes bis zum endgültigen Ruf an die Universität Freiburg, für welches Fach er sich entscheiden würde. Warum er sich für die Nationalökonomie entschied, lag nicht nur an der Gelegenheit und dem Angebot der Freiburger Philosophischen Fakultät, sondern war maßgeblich begründet in der Entwicklung seiner wissenschaftlichen Interessen und politischen Orientierungen.

2.  Wissenschaftliche Interessen und politische Orientierungen Max Webers Interesse an der Nationalökonomie als einer aufstrebenden Disziplin, die dabei war, das Fach Geschichte als gesellschaftspolitische Leitdisziplin abzulösen, ist bereits in den 1880er Jahren dokumentiert. Während seiner Studienzeit in Heidelberg hörte er nationalökonomische Vorlesungen bei dem Altmeister der Historischen Schule Karl Knies.62 Seit seiner Referendarzeit in Berlin verkehrte er in einem Kreis, zu dem auch Nationalökonomen gehörten, was ihm, wie er meinte, gut tue, „denn ich bin als Nationalökonom noch sehr schlecht beschlagen“.63 Zudem hörte er neben Vorlesungen zum römischen und preußischen Recht (bei Heinrich Dernburg und Theodor Mommsen) Vorlesungen bei Adolph Wagner, einem der führenden Nationalökonomen; Seminare besuchte er nicht nur bei Alfred Pernice (Römisches Recht) und dem Handelsrechtler Levin Goldschmidt, sondern auch bei dem Nationalökonomen, Statistiker und Agrarhistoriker August Meitzen.64 Während aus den Übungen bei Levin Goldschmidt Max Webers Dissertation erwuchs, erhielt er am staatswissenschaftlich-statistischen Seminar von August Meitzen die entscheidenden Impulse für seine Habilitationsschrift, in 60  Brief an Marianne Weber vom 17. März 1894, unten, S.  5 09. 61  Die praktische Laufbahn ließ er sich jedoch noch weiterhin bis 1893 für den Notfall offen. „Ich werde mich jedenfalls als Anwalt eintragen lassen“, heißt es im Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 43. 62  Ausweislich seiner drei für die Promotion und Habilitation verfaßten Lebensläufe von 1889 und 1891, MWG I/1, S.  3 52 f. Vgl. auch den Brief an Max Weber sen. vom 4. und 5. Mai 1883, MWG II/1, S.  3 41 f. 63  Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887, unten, S.  125. Vgl. dazu ausführlich unten, S.  21–24. 64  Nach Ausweis seiner Lebensläufe (wie Anm.  62), MWG I/1, S.  3 54 f., S.  3 57. Zum Besuch des Kollegs von Theodor Mommsen vgl. den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, unten, S.  4 3.

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der bereits „Gesichtspunkte […] allgemein agrarhistorischer, nationalökonomischer sowie wirtschafts- und so­­zial­geschichtlicher Art eine charakteristische Rolle“ spielten.65 Im Frühjahr 1892 referierte er in der „Staatswissenschaftlichen Vereinigung“ u. a. vor Gustav Schmoller erste Ergebnisse seiner Agrarstudien.66 Es verwundert also nicht, daß Max Weber, als sich seine Berufung nach Freiburg auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft abzeichnete, eine „alte Zuneigung zu diesem Fach“ wieder in sich erwachen spürte.67 Und man liest auch die Enttäuschung aus den Zeilen an seine Mutter vier Wochen später heraus, als sich der erwartete Ruf verzögerte: „Leid täte es mir, wenn ich an die doch relativ öde Juristerei geschmiedet bliebe.“ 68 Max Webers Neigungen zum Fach Nationalökonomie waren nicht nur begründet in seinen wissenschaftlichen Präferenzen, sondern wurden entscheidend verstärkt durch Einflüsse politischer und sozialpolitischer Art. Zu einer Verdichtung dieser Impulse kam es um 1890: das Ende des Sozialistengesetzes; die sozialpolitischen Erlasse Wilhelms II. und die damit verbundene sozialpolitische Wende, die auch von der evangelischen Kirche mit vollzogen wurde; der Sturz Otto von Bismarcks und der Beginn der Regierung Leo von Caprivis. Der neue Reichskanzler verfolgte eine liberale Handelspolitik, die auch eine partielle Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für polnische Arbeiter beinhaltete. Mittelfristig gesehen waren es die problematische Entwicklung des deutschen Liberalismus, der sich als zunehmend unfähig erwies, eine Lösung für die sozialen Probleme der weit entwickelten Industriegesellschaft zu finden, sowie der Aufstieg der Sozialdemokratie, die Max Weber zu den Nationalökonomen führten. Max Weber wollte seit 1890 auch öffentlich zu den politischen und sozialen Fragen seiner Zeit Stellung beziehen. Dabei schien ihm die Nationalökonomie zur Begründung seines Standpunktes und wissenschaftlichen Durchdringung der Probleme geeignetere Voraussetzungen als die Jurisprudenz zu bieten. Max Webers politische Ansichten werden in den Briefen an seinen Onkel Hermann Baumgarten eingehend dokumentiert. Bereits während seines Militärdienstes als Einjährig-Freiwilliger in Straßburg 1883/84 war er zu einem engen Gesprächspartner des renommierten, aber politisch inzwischen marginalisierten Historikers geworden.69 Während seiner Referendarzeit in

65 Vgl. dazu Deininger, Jürgen, Einleitung, in: MWG I/2, S.  13–18, das Zitat S.  13, sowie zur Prägung in Berlin Aldenhoff-Hübinger, Rita, Einleitung, in: MWG III/5, S.  10– 14. 66  Der Vortrag ist nicht überliefert (MWG I/4, S.  9 08 f.). Zur „Staatswissenschaftlichen Vereinigung“ vgl. ausführlich unten, S.  2 2. 67  Brief an Marianne Schnitger vom 29. Juni 1893, unten, S.  413. 68  Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 42. 69  Vgl. dazu Hübinger, Gangolf, Einleitung, in: MWG II/1, S.  3 f. und 7 f.

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Berlin führte er die Diskussionen in zahlreichen Briefen zwischen 1887 und 1893 fort. Er berichtete aus dem Zentrum, der Reichshauptstadt Berlin, an die Peripherie, nach Straßburg, über wichtige Gesetzesvorhaben, politische Tendenzen und Ereignisse. Dazu gehörten, um nur einige Beispiele zu geben, der Abbau der Kulturkampfgesetze,70 die Finanzpolitik des Reichs,71 die Stimmung nach dem Tode Wilhelms I. und das Auftreten des neuen, schwer erkrankten Kaisers Friedrich III.,72 schließlich, nach dem erneuten Thronwechsel, die Art der Regierung Wilhelms II.: „Wenn nur der junge Kaiser erst Consistenz gewonnen haben wird. Diese boulangistisch-bonapartistische Art von Kundgebungen ist doch nachgerade unerwünscht.“73 Die Briefe gewähren vor allem Einblicke in Max Webers politische Entwicklung in Abgrenzung zum älteren Liberalismus, für den Hermann Baumgarten stand. Wesentlich dafür war die unterschiedliche Auffassung zur Rolle des Staates und zur So­ zialpolitik. In der Unterschätzung der „socialen Aufgaben des Staats“ sah Weber einen schweren Fehler und letztlich auch den Grund für die Krise des Liberalismus.74 Kurz vor der ersten Reichstagswahl unter Wilhelm II. im Februar 1890, die zugleich die erste war, an der er teilnahm, gab er eine erstaunlich präzise Vorhersage über deren Ausgang ab: „Von den Wahlen erwarten wir eine erhebliche Stärkung – Verdoppelung mindestens – der So­ zialdemokraten, eine wahrscheinlich sehr geringe, materiell mit einem Rückgang identische der Freisinnigen und natürlich eine beträchtliche Schwächung der Nationalliberalen.“ Seine Prognose führte er lapidar ein mit den Worten: „Der Liberalismus hat anscheinend leider seinen tiefsten Punkt noch nicht erreicht.“75 Er selbst wählte nach eigenem späteren Bekunden bei dieser Reichstagswahl konservativ.76 Je weiter sich Max Weber vom Honoratiorenliberalismus der Reichsgründungszeit, repräsentiert durch Hermann Baumgarten und seinen Vater Max 70  Briefe an Hermann Baumgarten vom 25. und 27. April 1887, unten, S.  72, sowie vom 29. Juni 1887, unten, S.  9 3. 71  Brief an Hermann Baumgarten vom 29. Juni 1887, unten, S.  91 f. 72  Brief an Hermann Baumgarten vom 13. März 1888, unten, S.  145–150. 73  Brief an Hermann Baumgarten vom 31. Dez. 1889, unten, S.  213. 74  Zentral dafür ist der Brief an Hermann Baumgarten vom 30. April 1888, unten, S.  151–159; das Zitat: S.  157; vgl. dazu auch: Mommsen, Max Weber3 , S.  16 f. 75  Brief an Hermann Baumgarten vom 31. Dez. 1889, unten, S.  213. 76 Weber, Max, Deutschland unter den europäischen Weltmächten (1916), MWG I/15, S.  161; ders., Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1918), MWG I/15, S.  4 35. Max Weber wählte die Deutschkonservative Partei. Denn bei den Hauptwahlen im Wahlkreis 46, zu dem der Stadtkreis Charlottenburg zählte, waren die Freikonservativen (Deutsche Reichspartei) gar nicht vertreten (Handbuch der Reichstagswahlen 1890–1918. Bündnisse, Ergebnisse, Kandidaten, bearbeitet von Carl-Wilhelm Reibel, 1. Halbband. – Düsseldorf: Droste Verlag 2007, S.  174–176). Marianne Webers Angabe, er habe freikonservativ gewählt (Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.  132), kann daher nicht zutreffen.

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Weber sen.,77 entfernte, desto mehr öffnete er sich neuen sozialpolitischen Strömungen. Die evangelisch-soziale Bewegung, die nach den sozialpolitischen Februarerlassen des Kaisers von 1890 entstand, bot ihm vielfältige Möglichkeiten des Engagements. Vermittelt über seine Mutter Helene Weber und seinen Vetter, den Theologen Otto Baumgarten, einen der Söhne Hermann Baumgartens, bahnte sich eine Unterstützung des 1890 begründeten Evangelisch-sozialen Kongresses an, die bis in die zweite Hälfte der 1890er Jahre hinein unvermindert anhielt.78 Der Evangelisch-soziale Kongreß wurde in seiner Gründungsphase von dem konservativen und antisemitischen Berliner Hofprediger Adolf Stoecker dominiert; Max Webers Anliegen war es von Anfang an, dazu gemeinsam mit anderen, auch sozialpolitisch offenen, aber liberaler gesonnenen Kräften ein Gegengewicht zu bilden. Wie auch später bei seinem Engagement im evangelisch-sozialen Vortrags- und Kurswesen wollte er durch die Einbeziehung nationalökonomisch Geschulter über eine rein moralisch begründete Sozialpolitik hinausgelangen und Möglichkeiten und Grenzen einer künftigen Sozialpolitik jenseits von patriarchalischer Bevormundung aufzeigen. So förderte er die Schriftenreihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“, die Otto Baumgarten ins Leben rief und mit Unterstützung des Evangelisch-sozialen Kongresses herausgab, bei deren Programmentwurf konzeptionell und bei der Suche nach nationalökonomisch geschulten oder im praktischen Berufsleben stehenden Autoren organisatorisch. Max Weber steuerte zwar keinen eigenen Beitrag bei,79 warb aber bei Adolph Wagner um Unterstützung,80 gewann zahlreiche jüngere Berliner Nationalökonomen aus dem Kreis, in dem er verkehrte, und es gelang ihm sogar, einen Beiträger aus der eigenen Familie, nämlich seinen Cousin, den Fabrikanten Karl Möller, heranzuziehen.81 Hermann Baumgarten gegenüber begründete er das „litterarische Unternehmen“ der Evangelisch-sozialen Zeitfragen auch damit, ein kirchenpolitisches Gegengewicht zu Stoecker schaffen zu wollen: „Ist nun die Stöcker’sche Richtung dauernd die einzige, welche auf diesem Gebiet [d. i. dem sozialen Gebiet] 77 Zu Max Weber sen. vgl. unten, S.  27, sowie Hübinger, Gangolf, Einleitung, in: MWG II/1, S.  2 –5. 78  Vgl. dazu Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/4, S.  2 6–30, sowie Aldenhoff, Rita, Max Weber und der Evangelisch-soziale Kongreß, in: Max Weber und seine Zeitgenossen, hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S.  285–295 (hinfort: Aldenhoff, Max Weber). 79  Ein Heft über Landarbeiter und den Großgrundbesitz im Osten, das er 1892 zusagte, kam nicht zustande. Vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 28. April 1892, unten, S.  2 66 f. mit Anm.  12. 80  Adolph Wagner. Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte, 1851–1917, hg. von Heinrich Rubner. – Berlin: Duncker & Humblot 1978, S.  2 60. 81  Vgl. dazu den Brief an Hermann Baumgarten vom 3. Jan. 1891, S.  2 26, sowie den Brief an Karl Möller vom 21. Juli 1890, unten, S.  218 f.

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Opferfähigkeit zeigt, so ist damit ihr Sieg auch auf dogmatischem Gebiet entschieden.“ 82 Einen besonders hohen Wert sah er in dem Unternehmen deshalb, weil es „eine Cooperation von Theologen und andren Kategorien“ involviere, also mit anderen Berufsgruppen und Fachrichtungen. Er selbst erklärte, er sei „im Lauf der Zeit ungefähr zu 1/3 Nationalökonom geworden“.83 Um 1890 entstanden auch seine Kontakte zu den führenden Persönlichkeiten der Evangelisch-sozialen Bewegung Paul Göhre, Friedrich Naumann und Martin Rade. Max Weber unterstützte die evangelisch-soziale Bewegung, wie seine Briefe dokumentieren, publizistisch, durch die Mitveranstaltung einer weiteren Landarbeiterenquete und durch Vorträge zur Schulung von Pastoren in nationalökonomischen Vortragsreihen.84 Er gehörte zu den allerersten Lesern des von Martin Rade seit 1886/87 herausgegebenen „Evangelisch-Lutherischen Gemeindeblatts für die gebildeten Glieder der evangelischen Kirche“.85 Daraus ging 1888 „Die christliche Welt“ hervor, in der er selbst ab 1892 publizierte. Ebenfalls ab 1892 publizierte er in den „Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses“, für die der Generalsekretär des Kongresses Paul Göhre verantwortlich zeichnete.86 Mit Paul Göhre, der zuvor Redaktionsassistent Martin Rades gewesen war, arbeitete Max Weber eng zusammen; sie konzipierten eine weitere Landarbeiterenquete für den Evangelisch-sozialen Kongreß, bei der die evangelischen Pfarrer und nicht die ländlichen Arbeitgeber über die Lage der Landarbeiter befragt wurden; Weber verteidigte Göhre gegenüber den Angriffen der Kirchenoberen, weil dieser als politisch denkender Pastor die Sozialdemokratie nicht pauschal ablehnte und als Fabrikarbeiter im Arbeitermilieu eigene Erfahrungen gesammelt hatte. Friedrich Naumann und Max Weber dürften sich erstmals auf dem dritten Evangelisch-sozialen Kongreß in Berlin 1892 begegnet sein, auf dem Naumann einen Vortrag über Christentum und Familie hielt.87 Die ersten engeren Kontakte zu dem ihn persönlich tief beeindruckenden Prediger könnten von Martin Rade, Naumanns Schwager, vermittelt worden sein. Naumann und Rade waren zu Beginn der 1890er Jahre zusammen in Frankfurt a. M. seelsorgerisch tätig; hier war auch der Kreis der „Freunde der Christlichen Welt“, zu denen Max Weber und Friedrich Naumann zählten, ansäs-

82  Brief an Hermann Baumgarten vom 3. Jan. 1891, unten, S.  2 26 f. 83  Ebd., S.  2 26 und S.  2 29. 84  Die in diesem Kontext entstandenen Beiträge Max Webers sind in MWG I/4 veröffentlicht. 85  Brief an Emmy Baumgarten vom 10. und 11. April 1887, unten, S.  61 mit Anm.  10. 86  Vgl. dazu den Brief an Hermann Baumgarten vom 28. April 1892, unten, S.  2 66 mit Anm.  9. 87  Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/4, S.  32; Max Weber nahm an allen Evangelisch-sozialen Kongressen zwischen 1890 und 1897 teil mit Ausnahme des Kongresses 1891 (ebd., S.  27 mit Anm.  75).

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sig.88 Friedrich Naumann schlug Max Weber im Juli 1893 als möglichen Autor einer allgemeinverständlichen Broschüre über die „Börse“ im Rahmen der von ihm herausgegebenen Reihe „Göttinger Arbeiterbibliothek“ vor. Die Verhandlungen darüber mit Naumann einerseits und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht andererseits sind in der Korrespondenz dokumentiert.89 Bei der Gründung der Wochenschrift „Die Hilfe“ zählte Max Weber zu Friedrich Naumanns Bürgen.90 Kirchenpolitisch engagierte er sich darüber hinaus als einer der Unterzeichner der „Eingabe an den Evangelischen Oberkirchenrat zum Entwurf einer neuen Agende“.91 Nachdem mit dem Abschluß der Habilitation im Februar 1892 Max Webers akademische Ausbildungsphase beendet war, konnte er, wonach es ihn seit 1890 gedrängt hatte, an die Öffentlichkeit treten und zu politischen und so­zia­ len Fragen Stellung beziehen. Dabei setzte er gezielt seine wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsergebnisse ein, um politischen Einfluß auszuüben. So sandte er unmittelbar nach Erscheinen der Landarbeiterenquete des Vereins für Socialpolitik Ende 1892 seine umfangreiche Auswertung an zwei der führenden Sozialdemokraten, Wilhelm Liebknecht und Georg von Vollmar, um sie auf die Bedeutung der von der Sozialdemokratie vernachlässigten Landarbeiterfrage aufmerksam zu machen.92 Es war nicht zuletzt die intensive Auseinandersetzung mit der Landarbeiterfrage in den vom Großgrundbesitz dominierten östlichen Provinzen Preußens, die ihn dazu veranlaßte, die liberale Wirtschafts- und Handelspolitik für diesen Teil des Deutschen Reiches in Frage zu stellen. Er diagnostizierte einen unauflösbaren Gegensatz zwischen dem agrarischen Kapitalismus einerseits und der nationalen Frage andererseits. In einem Brief an Lujo Brentano, den renommiertesten liberalen Nationalökonomen und Agrarpolitiker, schlägt sich diese Kritik deutlich nieder. Weber erklärte Brentano unumwunden, daß er „für die agrarischen Verhältnisse“ den „rationell geleitete[n] capitalkräftige[n] Großbetrieb“ sozial gesehen grundsätzlich und wirtschaftlich gesehen „für unsre deutschen Verhältnisse zur Zeit“ nicht geeignet halte. „Ist es“, fuhr er fort, „nationalpolitisch zulässig, auch für die landwirtschaftliche Produktion die ‚Verflechtung in die Weltwirtschaft‘ für absehbare Zeit in Aussicht zu nehmen? Ich glaube es nicht, halte es sogar für eine Culturgefahr, so lange die natürlichen Produktionsbedingungen nicht mehr ausgeglichen 88  Vgl. dazu den Brief an Martin Rade vom 23. Dez. 1893, unten, S.  4 85 mit Anm.  6. 89  Vgl. dazu den Brief an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, unten, S.  5 46 f., mit Editorischer Vorbemerkung. 90  Briefe an Martin Rade vom 17. Aug. 1894, unten, S.  5 69 f., mit Editorischer Vorbemerkung, sowie an Friedrich Naumann vom 4. Nov. 1894, unten, S.  578 f. 91  Brief an Martin Rade vom 23. Dez. 1893, unten, S.  4 85; die Eingabe ist ediert in: MWG I/4, S.  8 63–871. 92  Briefe an Wilhelm Liebknecht vom 6. Dez. 1892, sowie an Georg von Vollmar vom 13. Dez. 1892, unten, S.  2 92–294.

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sind.“93 Damit sprach er sich dezidiert gegen die Politik des „Neuen Kurses“ unter Leo von Caprivi und die damit verbundene Öffnung der östlichen Grenzen für polnische Saisonarbeiter aus. Weber befürchtete, diese würden von den Großgrundbesitzern verstärkt als billige Arbeitskräfte herangezogen und die deutschen Landarbeiter und Bauern aus den östlichen Provinzen Preußens verdrängen. In wissenschaftlichen Arbeiten und Vorträgen hat Max Weber versucht, diesen Verdrängungsprozeß als Folge der Auflösung patriarchalischer Strukturen und des Vordringens des landwirtschaftlichen Kapitalismus auch statistisch zu belegen.94 In politischen Reden forderte er deshalb vehement in Zusammenarbeit mit dem Alldeutschen Verband und dem Deutschen Ostmarkenverein den Ausschluß der polnischen Wanderarbeiter.95 Komplementär dazu setzte er sich für eine forcierte preußische Ansiedlungspolitik deutscher Bauern und Landarbeiter in Westpreußen und Posen ein. Die 1886 gegründete preußische Ansiedlungskommission mit Sitz in Posen handelte im nationalpolitischen Auftrag; sie kaufte mit staatlichen Mitteln polnischen Grundbesitz auf und siedelte darauf zu besonders günstigen Konditionen deutsche Bauern an. Max Weber besuchte die neu entstandenen Ansiedlungsgüter persönlich während seiner militärischen Übungen in Posen 1888 und 1894.96 Über die Fortschritte der Ansiedlungstätigkeit informierte er sich zudem eingehend über die Rechenschaftsberichte, die die Ansiedlungskommission dem preußischen Abgeordnetenhaus jährlich erstattete.97 Max Webers Hinwendung zu einer neuen Form des Nationalismus, der sich zum Teil in sozialdarwinistischen Tönen äußerte,98 trennte ihn vom Liberalismus älteren Zuschnitts, sie machte ihn aber nicht zum Anti-Liberalen. Weber wurde vielmehr zu einem der schärfsten bürgerlich-liberalen Kritiker der östlichen Großgrundbesitzer, gerade weil diese in Bezug auf die nationale Frage versagt hätten. In diesem Sinne spricht er im Brief an Lujo Brentano von „uns Liberalen“ und will „Ausbeutungen“ seiner Thesen „im agrarischen Interesse“ scharf entgegentreten.99

93  Brief an Lujo Brentano vom 25. Febr. 1893, unten, S.  318. 94  Vgl. dazu Aldenhoff-Hübinger, Einleitung, in: MWG III/5, S.  3 5–39. 95 Vgl. seinen Diskussionsbeitrag auf dem ersten Alldeutschen Verbandstag am 9. September 1894 in Berlin „Zur Polenfrage“, in: MWG I/4, S.  715–719. Seit 1894 war er auch Mitglied des Gesamt-Ausschusses des Deutschen Ostmarkenvereins (Momm­sen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/4, S.  62 mit Anm.  2 22). 96  Belege dazu unten, S.  2 0 f. mit Anm.  18. 97  Brief an Marianne Weber vom 12. April 1894, unten, S.  528 f. mit Anm.  7. 98  In dieser Schärfe erstmalig belegt in den Schlußpassagen von Webers Landarbeiterenquete. Hier heißt es: „Unter dem Zeichen des Kapitalismus wird dem Deutschtum der Sieg über die slavische Propaganda versagt bleiben.“ Weber, Lage der Landarbeiter, MWG I/3, S.  927. 99  Brief an Lujo Brentano vom 25. Febr. 1893, unten, S.  318.

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Max Webers Interesse an einer Förderung deutscher Bauern in den östlichen Provinzen Preußens hat sich in einer Zusammenarbeit mit dem vielgelesenen Heimatschriftsteller und Begründer des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege Heinrich Sohnrey niedergeschlagen. Weber war einer von Sohnreys prominentesten Autoren in dessen Zeitschrift „Das Land“1 und beteiligte sich auf Sohnreys Anfrage hin als Preisrichter in einem Preisausschreiben über die besten Aufsätze oder schriftstellerischen Arbeiten zum Leben auf dem Land.2 Zwei neu aufgefundene Briefe dokumentieren diese Zusammenarbeit nunmehr eingehender. Max Weber hatte um die sechzig Beiträge zu begutachten und sprach sich für den des Sozialanthropologen Otto Ammon aus.3 Otto Ammon galt als Vertreter sozialdarwinistischer Gesellschaftsmodelle. Seit Beginn der 1890er Jahre rückten Pläne zur Reform des Börsenwesens zunehmend in den Brennpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung. Auch hier bildete Max Webers nationales und bürgerlich-liberales Denken die Motive dafür, daß er sich mit seinen juristischen und nationalökonomischen Fachkenntnissen in die politische und wissenschaftliche Diskussion einblendete.4 Seit 1892 wurde auf Betreiben großagrarischer Verbände eine Reform des Börsengesetzes mit einer Begrenzung und stärkeren Reglementierung des Handels an der Börse geplant. Weber befürchtete davon eine Schwächung des deutschen Börsenplatzes und des Wirtschaftsbürgertums. Sein Interesse an Börsenfragen ist in den Briefen seit Februar 1894 dokumentiert.5 Im Sommer 1894 arbeitete er an den ersten beiden Publikationen zu Börsenfragen, die im Herbst 1894 erschienen: das erste Doppelheft „Die Börse“ zu der von Friedrich Naumann herausgegebenen „Göttinger Arbeiterbibliothek“6 sowie der erste Teil der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete“ für die von Levin Goldschmidt herausgegebene „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“.7

1 Max Weber eröffnete im Januar 1893 mit seiner Artikelreihe „Die Erhebung des Vereins für Sozialpolitik über die Lage der Landarbeiter“ (MWG I/4, S.  120–153) Heinrich Sohnreys Zeitschrift. 2  Vgl. dazu Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/4, S.  5 4 f., Anm.  2 01. 3  Briefe an Heinrich Sohnrey vom 25. Febr. 1894, unten, S.  4 88 f., sowie an Otto Ammon vom 14. Dez. 1894, unten, S.  5 85–587. 4  Die Texte dazu sind ediert in: MWG I/5. 5  Brief an Gustav Schmoller vom 23. Febr. 1894, unten, S.  4 87. 6 Ediert in: MWG I/5, S.  127–174; vgl. dazu die Briefe an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, unten, S.  5 46 f., an Marianne Weber vom 31. Juli 1894, unten, S.  5 64, sowie an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 31. Juli, 5. Aug., 24. Aug. und 16. Okt. 1894, unten, S.  5 63, 568, 571 und 577. 7  Ediert in: MWG I/5, S.  195–353; vgl. dazu den Brief an Marianne Weber vom 28. Juli 1894, unten, S.  5 61.

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Überblickt man abschließend die wissenschaftliche Spannweite nach Abschluß der eigentlichen Qualifikationsarbeiten Dissertation und Habilitation sowie die Präsentation und Aufbereitung dieser neuen zentralen Themen im Schnittpunkt von Jurisprudenz, Nationalökonomie, sozialer und nationaler Politik (Sozialpolitik, Agrarpolitik, Landarbeiterfrage, Börsenreform) für die Öffentlichkeit in Zeitschriften, auf Versammlungen des Vereins für Socialpolitik, des Evangelisch-sozialen Kongresses und des Alldeutschen Verbandes – das alles noch vor der Übernahme der Freiburger Professur –, dann wird deutlich, warum Max Weber nach dem Erhalt des Rufs nach Freiburg das Gefühl hatte, „als ob ich mit dem Weggange von Berlin mich ‚pensionieren‘ ließe.“ 8 Tatsächlich nutzte Max Weber das letzte Semester in Berlin zu einer intensiven Lehr- und Vortragstätigkeit in akademischen Vereinigungen. Statt der üblichen sechs bis sieben Stunden lehrte er im Sommersemester 1894 zehn Semesterwochenstunden und bot erstmalig neben seinen Veranstaltungen zum Handels-, See- und Versicherungsrecht eine Vorlesung zu Agrarrecht und Agrargeschichte an, die seinen neuen Interessenschwerpunkten entsprach.9 Im Sommer referierte er vor der „Sozialwissenschaftlichen Studentenvereinigung“ über „Die landwirthschaftliche Arbeiterfrage“,10 und vor der „Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre“ sprach er über die Organisation der deutschen Börsen.11 Daneben versuchte er vergebens, noch vor dem Weggang nach Freiburg mit der Unterstützung Marianne Webers die Landarbeiterenquete des Evangelisch-sozialen Kongresses und die dazugehörige Auswertung zahlreicher Fragebögen, die zuvor an Pastoren verschickt worden waren, fertigzustellen.12 Die ersten drei Monate in Freiburg dagegen waren geprägt vom fachlichen Neubeginn: der systematischen Einarbeitung in den neuen Stoff mit der Ausarbeitung der umfangreichen Vorlesungen „Allgemeine und theoretische Nationalökonomie“ und „Finanzwissenschaft“.13 Die Jahre zwischen 1887 und 1894 verbrachte Max Weber bis zu seinem Wechsel nach Freiburg fast durchgängig in Berlin. Länger unterbrochen wurde diese Phase seiner abschließenden beruflichen und akademischen Qualifikation sowie ersten Hochschullehrertätigkeit nur von seinen militärischen Übungen in Straßburg und Posen. Die erste der zwischen 1887 und 8  Brief an Marianne Weber vom 9. April 1894, unten, S.  525. 9 Übersicht der Vorlesungen, in: MWG III/1, S.  5 3 f.; die Stichwortmanuskripte der Vorlesung „Agrarrecht und Agrarpolitik“ sind ediert in: MWG III/5, S.  4 9–157. 10  Brief an Ernst Schultze vom 6. Mai 1894, unten, S.  5 41. 11  Weber, Max, Organisation der deutschen Börsen im Vergleich mit denjenigen des Auslandes. Vortrag am 3. Juli 1894 in Berlin, in: MWG I/5, S.  8 85–892. 12  Vgl. die Briefe Marianne Webers an Helene Weber, nach dem 9. März 1894, vom 24. April 1894 und vom 11. Aug. 1894, alle Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 13  Übersicht der Vorlesungen, in: MWG III/1, S.  5 5.

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1894 geleisteten vier Übungen verbrachte er in Straßburg, wo er auch als Einjährig-Freiwilliger vom 1. Oktober 1883 bis 30. September 1884 gedient hatte. Die späteren Übungen fanden in der preußischen Provinz Posen statt, wohin das Zweite Niederschlesische Infanterieregiment Nr.  47, dem er angehörte, verlegt wurde. Zwischen 1887 und 1894 diente Max Weber als Secondeleutnant; nach der letzten Übung 1894 wurde er zum Premierleutnant ernannt.14 Die militärische Übung in Straßburg vom 30. Januar bis 26. März 1887 stand im Zeichen der dramatisch verschlechterten Beziehungen zu Frankreich unter dem Kriegsminister Georges Boulanger, der von Reichskanzler Otto von Bismarck heraufbeschworenen Kriegsgefahr und der damit verbundenen Einberufung zahlreicher Reservisten in das Elsaß.15 Die beiden Briefe, die aus dieser Zeit an Helene Weber überliefert sind,16 geben neben ausführlichen Berichten über die in Straßburg lebenden verwandten Familien Hermann Baumgartens und Ernst Wilhelm Beneckes Aufschlüsse über die Erwartungen Webers im Hinblick auf die Kriegsgefahr, die er sehr ernst nahm: „Wenn man mit erlebt hat, was in militairischer Beziehung hier vorging, so kann man vernünftiger Weise die Behauptung der freisinnigen Preß-Organe, das Kriegsgeschrei sei zu Wahlzwecken insceniert worden, nur für Unsinn, resp. für niederträchtig halten. […] Ich persönlich habe jedenfalls damals [in der ersten Februar-Hälfte] in einem bestimmten Augenblick die feste Überzeugung gehabt, daß es in wenigen Tagen losgehen werde, und […] mich fast vollständig kriegsfertig gemacht, so daß meine Wohnung mit allerlei Mordinstrumenten gespickt ist.“17 Die drei folgenden militärischen Übungen fanden vom 19. Juli bis 13. September 1888, 2. Juni bis 27. Juli 1891 sowie 1. März bis 25. April 1894 in Posen statt. Die Aufenthalte gaben Max Weber Gelegenheit, dank der Vermittlung Johanna Nollaus, einer Jugendfreundin seiner Mutter, die mit dem Landrat von Gnesen Otto Nollau verheiratet war, Einblick in die Tätigkeit der 1886 gegründeten und in der Stadt Posen ansässigen preußischen Ansiedlungskommission zu nehmen. Max Webers nationalpolitisches Interesse muß schon 1888 sehr groß gewesen sein, denn er besuchte deutsche Ansiedlungsgüter am 14. und 15. September 1888, jeweils nachmittags; ein weiterer Besuch fand am 21. April 1894 statt. Auch dieser zeugt von der Bedeutung, die er der nationalen Frage beimaß, denn er plante die „Tour“ nicht nur am Tage seines

14  Laut seiner Personalakte beim Militär (GLA Karlsruhe, 456 E, Nr.  13719); zur militärischen Laufbahn vgl. auch den Brief an Max Weber sen. vom 29. und 30. Sept. 1884, MWG II/1, S.  4 52 f., Anm.  11. Zu Max Webers Laufbahn generell und deren gesellschaftlicher Bedeutung vgl. Hübinger, Gangolf, Einleitung, in: MWG II/1, S.  17–20. 15  Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, unten, S.  42 f. mit Anm.  4. 16  Briefe an Helene Weber vom 19. Febr. 1887 sowie 16. und 18. März 1887, unten, S.  46–59. 17  Brief an Helene Weber vom 16. und 18. März 1887, unten, S.  5 4 f.

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30. Geburtstags, sondern auch mit dem Präsidenten der Ansiedlungskommission, Rudolf von Wittenburg.18 Neben Schilderungen des Alltags standen während der Übungen im Juni/Juli 1891 die Arbeiten an den Fahnenkorrekturen seiner Habilitationsschrift zur Römischen Agrargeschichte im Vordergrund.19 Der letzte Aufenthalt in Posen, der durch die in dichter Folge an Marianne Weber überlieferten Briefe eingehend dokumentiert ist, stand bereits im Zeichen des Rufs nach Freiburg, den er am 3. April 1894 in Posen erhielt.20

3.  Akademische Geselligkeit Die akademische Geselligkeit als Bereich zwischen privater Sphäre und Familie einerseits, beruflicher Ausbildung und wissenschaftlicher Qualifikation andererseits, spielte zu Max Webers Berliner Zeit eine zentrale Rolle. Akademische Zirkel waren nicht nur der Ort, um fächerübergreifende gelehrte Diskussionen zu führen, sondern auch, um aktuelle politische und sozialpolitische Fragen zu erörtern und Informationen über Berufs- und Karrierechancen auszutauschen. Seit 1887 gehörte Max Weber einem solchen Kreis von etwa gleichaltrigen Nationalökonomen, Juristen, Historikern und Theologen an. Der zunächst nur gelegentlich stattfindende Kontakt wurde gegen Ende der Referendarzeit intensiver; zwischen Herbst 1890 und 1894 gehörte der „Donnerstag Abend“ für Max Weber zu einer festen Institution. Eingeführt in die „Gesellschaft junger Nationalökonomen“ wurde er 1887 durch den befreundeten Historiker Rudolf Hoeniger. Hier lernte er weitere Historiker kennen, namentlich Erich Liesegang und Ignaz Jastrow, der 1885 in Geschichte habilitiert hatte, sich aber später in Richtung Nationalökonomie und Staatswissenschaften orientierte.1 Im August 1890 müssen die Treffen bereits regelmäßig einmal wöchentlich stattgefunden haben. Seinem Bruder Alfred, der sich nach seiner Rückkehr zum weiteren Studium nach Berlin ebenfalls dem Kreis anschloß, teilte Max Weber mit, daß er „jetzt öfters Donnerstag-Abends“ Friedrich Wagner gesehen habe.2 Friedrich (Fritz) Wagner, 18  Vgl. dazu die Briefe an Helene Weber vom 15. Aug., 23. Aug. sowie vom 9. und 14. Sept. 1888, unten, S.  169–177, des weiteren die Briefe an Helene Weber und Marianne Weber, jeweils vom 15. April 1894, unten, S.  5 30–535. Das Zitat im Brief an Marianne Weber vom 15. April 1894, unten, S.  5 33. 19  Vgl. besonders den Brief an Alfred Weber vom 6. Juli 1891, unten, S.  246–248. 20  Briefe an Friedrich Althoff sowie an Helene Weber, beide vom 3. April 1894, unten, S.  521–523. 1  Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887, unten, S.  126 f.; Informationen zu den einzelnen Mitgliedern des Kreises finden sich im Personenverzeichnis, unten, S.  5 91–646. 2  Brief an Alfred Weber vom 22. Aug. 1890, unten, S.  2 24.

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der Sohn des Nationalökonomen Adolph Wagner, war angehender Theologe und seit der Schulzeit mit Alfred Weber befreundet. 1891 schließlich waren die Treffen nicht mehr aus Max Webers Alltag wegzudenken. „Mein Verkehr hier hat sich mit der Zeit recht anziehend gestaltet. Ich sehe“, schrieb er an Hermann Baumgarten, „ganz regelmäßig Altersgenossen der verschiedensten Kategorien in unsrer ‚Staatswissenschaftl[ichen] Gesellschaft‘, der Mehrzahl nach allerdings Juristen und Nationalökonomen“.3 Max Weber schrieb von „unsrer“ Staatswissenschaftlichen Gesellschaft, um sie von der gleichnamigen, 1883 von Gustav Schmoller begründeten Gesellschaft abzugrenzen, der ausnahmslos arrivierte Gelehrte und hohe Beamte angehörten.4 In den Erinnerungen eines Mitglieds des Weberschen Kreises, des Nationalökonomen Hermann Schumacher, ist zur Unterscheidung davon auch statt von „unsrer“ von der „kleinen staatswissenschaftlichen Gesellschaft“ die Rede. Schumacher bestätigte, daß sich diese „beim Glase Bier jeden Donnerstag versammelte“. Demnach setzte sich dieser Kreis aus ausgewählten Mitgliedern der Staatswissenschaftlichen Vereinigung zusammen, die ihrerseits wiederum eng verbunden war mit dem Staatswissenschaftlich-statistischen Seminar der Universität und sich unter der Leitung Gustav Schmollers und August Meitzens jeden zweiten Montag im Monat traf. Um am „Donnerstag Abend“ teilnehmen zu können, mußte man erst aufgefordert werden, wobei Max Weber eine führende und überragende Rolle gespielt haben muß.5 Mit Ausnahme des Jahres 1892 werden die „Donnerstag Abende“ oder „der Donnerstag“ in den Briefen Max Webers zwischen 1891 und 1894 regelmäßig erwähnt. Mitunter zieht er Vergleiche zur Kasino-Geselligkeit während seiner militärischen Übungen,6 spricht ironisierend von der „Centralversammlung“7 oder vom „Bierklatsch“.8 Wie wichtig ihm der „Donnerstag Abend“ war und daß ihm die anderen Mitglieder neben intellektuellen auch weitere Qualitäten zuschrieben, zeigen noch seine Briefe aus Freiburg i. Br. zu Beginn des Jahres 1895. Max Weber war es angetragen worden, seinem Freund Karl Kaerger, einem langjährigen Mitglied der Staatswissenschaftlichen Vereinigung und der „Donnerstag Abende“, einen gesellschaftlichen Rückzug ohne

3  Brief an Hermann Baumgarten vom 3. Jan. 1891, unten, S.  2 29. 4  Vgl. dazu MWG I/4, S.  9 08 f. 5  Erinnerungen von Hermann Schumacher: Ein Leben in der Wirtschaft, seinem Bruder Fritz Schumacher gewidmet (1949), Typoskript, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Historisches Archiv, Nl. Schumacher, Hermann, I, B-6a-x, S.  176–178 (hinfort: Schumacher, Erinnerungen), zitiert nach: MWG I/4, S.  915. Zur Staatswissenschaflichen Vereinigung, in der Max Weber im Frühjahr 1892 referierte, vgl. MWG I/4, S.  9 08 f. 6  Brief an Helene Weber vom 17. Juni 1891, unten, S.  241 f. 7  Brief an Clara Weber vom 28. März 1893, unten, S.  3 30. 8  Brief an Marianne Schnitger vom 7. Juli 1893, unten, S.  423.

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Gesichtsverlust nahezulegen, nachdem dieser wegen eines Sittlichkeitsdelikts angeklagt worden war.9 Die Mitglieder des Kreises wurden wie in einem britischen Club kooptiert oder auch ausgeschlossen. Von Fall zu Fall konnten von den Mitgliedern jedoch spontan Freunde, Bekannte oder Fachkollegen mitgebracht werden. Hermann Schumacher berichtet in seinen Erinnerungen, daß Max Weber manchmal Erich Marcks mitgebracht habe.10 Max Weber hob den Besuch des Porträtmalers Adolf Meyer hervor.11 Zu den mehr oder weniger regelmäßigen Mitgliedern scheinen weiterhin gehört zu haben: Georg Evert (Statistiker), Botho Graef (Archäologe, Kunsthistoriker), Karl Helfferich (Nationalökonom), Otto Hintze (Historiker, Mitarbeiter bei den „Acta Borussica“), Wilhelm Hirsch (Nationalökonom, Wirtschaftsfunktionär), Alfred Jaffé (Kaufmann, Bruder Edgar Jaffés), Heinrich Sattler (Jurist, Finanzwissenschaftler), Max Sering und Alfred Weber.12 Von den von Else Jaffé später genannten Teilnehmern13 kommt für Max Webers Berliner Zeit nur der Nationalökonom Kurt Wiedenfeld in Frage. Fraglich ist, ob Otto Baumgarten, Walther Lotz (Nationalökonom) und Karl Mommsen (Jurist), d. h. seine Freunde und Opponenten bei der öffentlichen Verteidigung seiner Dissertation 1889, auch Mitglieder waren. Sicher ist jedoch, daß letztere dem akademisch-geselligen Kreis im weiteren Sinn des Wortes, der sich um Max Weber in Berlin gebildet hatte, ebenfalls angehörten. Die Debatten, die an den „Donnerstag Abenden“ geführt wurden, sind nicht dokumentiert. Doch geben die Briefe Max Webers einige Hinweise auf die Gespräche und Kontroversen. So betonte Weber, daß die Nationalökonomen aus seinem Kreis „meist in erster Linie Manchester-feindlich“ seien und die Historiker zumeist „unbedingte Verehrer Treitschkes mit wunderlichen Unterscheidungstheorien zwischen ‚technischer‘ und ‚künstlerischer‘ Geschichtsschreibung etc. Mit Einigen habe ich mich schon gelegentlich gehörig ge­­ zankt“.14 Wenige Jahre später bekannte Weber, er sei „im Lauf der Zeit unge-

9  Brief an Alfred Weber vom 15. Jan. 1895, in: MWG II/3, S.  5 4–56, mit Editorischer Vorbemerkung. 10  Schumacher, Erinnerungen (wie oben, S.  2 2, Anm.  5). 11  Brief an Marianne Schnitger vom 7. Juli 1893, unten, S.  423. 12  Zusammengestellt nach der Nennung in den Briefen Max Webers in diesem Band und MWG II/3 sowie Schumacher, Erinnerungen (wie oben, S.  2 2, Anm.  5; weitere Informationen zu den Genannten auch im Personenverzeichnis von MWG II/3, S.  911– 990). Die Mitgliedschaft Karl Helfferichs wird nur von Marianne Weber erwähnt (vgl. Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.  148). 13 Jaffé, Else, Biographische Daten Alfred Webers (1868–1919), in: Alfred Weber zum Gedächtnis. Selbstzeugnisse und Erinnerungen von Zeitgenossen, hg. von Eberhard Demm unter Mitwirkung von Nathalie Chamba. – Frankfurt a. M.: Peter Lang 2000, S.  73, Anm.  64. 14  Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887, unten, S.  125 f.

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fähr zu 1/3 Nationalökonom geworden.“ Immer noch interessiere er sich für die „politische Anschauungsweise“ seiner „Bekannten“: „Eigentlich politische Fragen staatsrechtlicher Art spielen darin gegenüber den Verwaltungs- und sozialpolitischen Angelegenheiten naturgemäß zur Zeit eine Nebenrolle.“15 Für Max Weber waren diese Begegnungen mit jungen Nationalökonomen zentral und für die Entwicklungsrichtung seiner zukünftigen Interessen und Arbeiten weichenstellend. Tatsächlich übte das neue Fach „Nationalökonomie“ eine große Anziehungskraft aus. Max Weber gehörte sicher nicht zu jenen, die das Fach verklärten,16 aber auch für ihn wurde es zunehmend zur Leitwissenschaft, ohne die ihm eine adäquate Gesellschaftsanalyse und aktuelle Gegenwartsdiagnose nicht mehr möglich erschienen.

4.  Zur privaten Lebenssphäre Die familiären Korrespondenzen, ungefähr drei Viertel aller in diesem Band edierten Briefe, beziehen sich zunächst auf den engeren Familienkreis, die Eltern und Geschwister (52 Briefe), sodann auf die Max Weber am nächsten stehende verwandte Familie von Hermann Baumgarten (30 Briefe). Wenige weitere Briefe sind an seine Tante Emilie Benecke (3) sowie seinen Cousin Karl Möller (1) gerichtet. Den größten Teil stellen die Briefe an seine Braut und spätere Ehefrau Marianne Weber (geb. Schnitger) dar (72). Trotz einer Reihe von Lücken insbesondere in den Jahren 1889 (Jahr der Promotion), 1890 (Jahr der Zweiten Juristischen Staatsprüfung) und 1891 (Jahr der Abfassung der Habilitationsschrift) ist die Überlieferung ausreichend dicht, um vielfältige Einblicke nicht nur in seine äußere Lebenslage, sondern auch in die Entwicklung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen. Max Weber wohnte bis zu seiner Hochzeit im September 1893 im Haus seiner Eltern, und zwar in der Leibnizstraße 19 in Charlottenburg, bis 1920 eine eigenständige Stadt. Danach zog er mit Marianne Weber nach Berlin in den nahegelegenen Siegmundshof 6 im Hansa-Viertel (Tiergarten). Ab Oktober 1894 lebten beide in der Schillerstraße 22 in Freiburg i. Br. In den Briefen ist eine Reihe von zumeist kürzeren Reisen dokumentiert. Im August 1887 reiste er anläßlich der 150jährigen Jubiläumsfeier seiner ein-

15  Brief an Hermann Baumgarten vom 3. Jan. 1891, unten, S.  2 29. 16 Der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr gehörte zu dieser Gruppe. Er ging Mitte der 1880er Jahre nach Berlin, eigens um Nationalökonomie bei Adolph Wagner zu studieren (Beßlich, Barbara, Von der „Alchemie der Zukunft“ zum Glauben der Väter. Hermann Bahrs Erlösungshoffnung und Geschichtsdenken zwischen Na­ tio­ nalökonomie und Katholizismus, in: Graf, Friedrich Wilhelm, Hanke, Edith und Picht, Barbara (Hg.), Geschichte intellektuell. Theoriegeschichtliche Perspektiven. – Tübingen: Mohr Siebeck 2015, S.  373–385).

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stigen Universität nach Göttingen.17 Über Pfingsten 1889 besuchte er Hamburg, wo er dem Leiter des Rauhen Hauses, Johannes Wichern, begegnete. Am Rauhen Haus unterrichtete zu dieser Zeit Otto Baumgartens Freund Hans von Schubert, mit dem Max Weber seit Straßburger Zeiten gut bekannt war.18 Im September 1889 hielt er sich in den Niederlanden und Belgien auf; in Amsterdam besuchte er seinen Cousin Friedrich (Fritz) Fallenstein, der in der Importfirma Bunge & Co. arbeitete.19 Im September 1892 war er ca. zwei bis drei Wochen hauptsächlich bei Verwandten in Südwestdeutschland, im Elsaß und in den Vogesen unterwegs. In Stuttgart besuchte er seine Cousine Emmy Baumgarten, um sich über sein Verhältnis zu ihr, die im engeren Kreis der Familie als seine Verlobte galt, klar zu werden.20 In Heidelberg traf er seine ehemaligen akademischen Lehrer Ernst Immanuel Bekker und Bernhard Erdmannsdörffer und machte in Straßburg Georg Friedrich Knapp seine Aufwartung. An diese Besuche schloß sich seine Vogesenwanderung mit Max Sering und Albert Naudé an.21 Für 1893 plante Max Weber gemeinsam mit Paul Göhre einen Besuch der Weltausstellung in Chicago; Verlobung und Hochzeit, auch die damit verbundenen Spannungen mit Paul Göhre, brachten ihn aber davon ab.22 Eine Möglichkeit, als „Ausstellungs-Commissar“ dennoch nach Chicago zu reisen, zerschlug sich rasch, da das zuständige Ministerium, wahrscheinlich das preußische Kultusministerium, über keine entsprechenden finanziellen Mittel dafür verfügte.23 Ende März bis Mitte April 1893 führte ihn eine Reise nach Heidelberg und wiederum nach Straßburg, wo er „eine lange Unterredung“ mit Ida Baumgarten hatte.24 Ihm war wichtig, nun, da seine Verbindung mit Marianne Schnitger offiziell wurde, alle erdenklichen Spannungen und mögliche Verletzungen von deren Tochter Emmy zu vermeiden. Freilich hatte die Reise neben weiteren familiären Treffen auch den Zweck, in Frankfurt a. M. evangelisch-soziale Politik zu machen und mit Martin Rade, dem Herausgeber der „Christlichen Welt“, zusammenzukommen.25 Erst die 17  Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1887, unten, S.  109 f. 18  Brief an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1889, unten, S.  190–195 mit Anm.  8 und 13–15. 19  Brief an Max Weber sen. vom 13. Sept. 1889, unten, S.  2 03–205. 20  Zu Max Webers Beziehung zu Emmy Baumgarten vgl. weiter unten, S.  28. 21  Briefe an Helene Weber vom 14. Sept. und Clara Weber vom 21. Sept. 1892, unten, S.  276–284. 22  Zur Planung der Reise vgl. den Brief an Clara Weber vom 26. Nov. 1892, unten, S.  288. Zu den Spannungen zwischen Max Weber und Paul Göhre kam es, weil Paul Göhre im Januar 1893 bei Helene Weber um Marianne Schnitgers Hand angehalten hatte (Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, unten, S.  3 02 f. mit Anm.  1). 23  Vgl. die Briefe an Marianne Schnitger vom 2. Mai und 9. Mai 1893, unten, S.  3 68 f. mit Anm.  9, sowie S.  3 80. 24  Brief an Marianne Schnitger vom 2. April 1893, unten, S.  3 32. Vgl. auch den Brief an Clara Weber vom 28. März 1893, unten, S.  3 30. 25  Brief an Marianne Schnitger vom 10. und 11. April 1893, unten, S.  3 38 f.

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Hochzeitsreise führte ihn auf eine größere Fahrt über die deutschen Grenzen hinaus. Unmittelbar nach der Hochzeit am 20. September 1893 reisten Max und Marianne Weber über Dünkirchen zunächst nach London und anschließend über die Isle of Wight und Cherbourg nach Paris. Die letzten Tage der Reise verbrachten sie bei den verwandten Familien in Straßburg und Stuttgart, bevor sie spätestens am 10. Oktober 1893 wieder nach Berlin zurückkehrten.26 Um Pfingsten 1894 reiste Max Weber wiederum gemeinsam mit Marianne Weber zur persönlichen Vorstellung bei der Universität und zur Wohnungssuche nach Freiburg i. Br.; in diesem Zusammenhang besuchten sie am 13. Mai Emmy Baumgarten in Stuttgart, und Max Weber hielt, auf der gemeinsamen Rückreise, seinen Vortrag „Die deutschen Landarbeiter“ auf dem fünften Evangelisch-sozialen Kongreß am 16. Mai in Frankfurt a. M.27 Max Weber schrieb an Helene Weber von diesen Reisen oder aus Straßburg und Posen, wo sein Regiment stationiert war, oder er erstattete als Ältester in ihrer Abwesenheit Bericht über die häuslichen Verhältnisse.28 Die Briefe an seine Schwestern Clara und Lili Weber zeigen ihn als besorgten Bruder, der auch im Rahmen seiner Möglichkeiten mit Geld aushalf, so z. B. als Clara einige Zeit in einem Internat in der Schweiz verbrachte.29 Zu seinem nur wenige Jahre jüngeren Bruder Alfred bestand, wie die Briefe dokumentieren, ein betont sachliches Verhältnis, das sich auf Ratschläge zu Studium und Militärdienst konzentrierte. Da auch Alfred bald dieselben fachlichen Interessen wie er verfolgte, ergaben sich hier zahlreiche Berührungspunkte. So konnte ihm Alfred, der seit dem Wintersemester 1890 in Berlin Rechtswissenschaften studierte und ebenfalls ein großes Interesse für die Nationalökonomie entwickelte, im Sommer 1891 bei der Überarbeitung der Habilitations-

26 Briefe an Emmy Baumgarten vom 2. Sept. 1893, unten, S.  453, an Marianne Schnitger vom 2. Sept. 1893, unten, S.  4 55 f., an Helene Weber vom 27. oder 28. Sept., vom 28. Sept., vom 29. Sept. sowie 2. Okt. 1893, unten, S.  4 67–474. Wann genau Max und Marianne Weber zurückkehrten, ist nicht klar. Sicher ist, daß sie am 8., 9. oder spätestens 10. Oktober zurückkehrten, weil am 10. Oktober die Evangelisch-so­zia­len Kurse in Berlin begannen, an denen Max Weber beteiligt war. Sie wären dann etwas weniger als die drei Wochen unterwegs gewesen, die Max Weber seiner Braut am 2. Juni 1893, unten, S.  3 94, vorgeschlagen hatte. Unmittelbar nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise bezogen sie ihre gemeinsame Wohnung in Berlin, Siegmundshof 6 (Brief an Helene Weber vom 29. Sept. 1893, unten, S.  471 f., sowie Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.  203). 27  Karte an Fritz Baumgarten vom 6. April 1894, unten, S.  524; Brief an Emmy Baumgarten, zwischen dem 13. und 23. Mai 1894, unten, S.  5 42; Vortrag und Diskussionsbeitrag sind ediert in: MWG I/4, S.  3 08–345. 28  Vgl. z. B. die Briefe an Helene Weber vom 17. Juli 1889, 16. und 30. Juli 1890, unten, S.  196–199, 216 f. und 220–222. 29  Brief an Clara Weber vom 7. Jan. 1893, unten, S.  2 98.

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schrift helfen. Alfred übermittelte ihm Pandektenstellen, als er sich in Posen zu seiner militärischen Übung aufhielt.30 An den Vater ist nur ein Brief Max Webers überliefert. Daß und wie stark gespannt das Verhältnis war, zeigen Max Webers Reaktionen während der Verlobungszeit, als er sich jede Einmischung von Seiten seines Vaters strikt verbat.31 Bei dieser Gelegenheit nannte er auch die Ursache: „Ich habe seit langen Jahren den Umstand, daß ich finanziell abhängig war, als das weitaus Peinigendste meiner Lage empfunden, es ist bei der absolut verschiednen Sinnesart meines Vaters gegenüber derjenigen meiner Mutter und der meinigen diese Seite der Sache stets die heikelste gewesen.“32 Daneben war es die „Freidenkerei der älteren Generation“ des Liberalismus, begleitet „im allgemeinen von einer äußerst bornierten Intoleranz“ gegenüber allem Religiö­ sen und Kirchlichen, die Max Weber von seinem Vater entfremdete. „Das Graulen vor dem ‚schwarzen Mann‘ liegt unsren Liberalen nun einmal im Blut und läßt sie in jedem Pastor eigentlich einen zum Heuchler mindestens veranlagten Menschen vermuthen.“33 Der tiefgehende Unterschied zwischen seinem Vater und seiner religiös empfindenden und karitativ handelnden Mutter sowie Max Webers eindeutige Parteinahme für Helene Weber werden in den Briefen deutlich. Welche tiefen Verletzungen daraus für ihn entstanden, sollte sich 1897 zeigen, als es zu dem Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn kam. Als einen wesentlichen Grund nannte Max Weber, daß sein Vater seiner Mutter nie gegönnt habe, mit Anderen „geistige Interessen“ religiöser Art zu teilen, und verwies dabei auf Otto Baumgarten, Paul Göhre und Johannes Voigt, den Hauslehrer seines Bruders Karl.34 Die hier edierten Briefe geben zwar Auskunft über sein eigenes enges Verhältnis insbesondere zu Johannes Voigt, aber nicht über die Entrüstung, die er 1887 empfunden haben muß, als sein Vater diesen, der im Hause ein- und ausgegangen war, aus seinen Diensten entließ.35 Unter den Verwandten war es die Familie von Hermann Baumgarten, der Max Weber am nächsten stand. Auf die politischen Aspekte seiner Beziehung zu Hermann Baumgarten und dessen Sohn Otto ist bereits hingewiesen worden.36 Otto Baumgarten konstatierte 1887 darüber hinaus eine enge persön30  Briefe an Helene Weber vom 17. Juni 1891, unten, S.  244 f., sowie an Alfred Weber vom 6. Juli 1891, unten, S.  246–248. 31  Brief an Marianne Schnitger vom 12. Mai 1893, unten, S.  3 81. 32  Brief an Marianne Schnitger vom 16. Mai 1893, unten, S.  3 83. 33  Brief an Marianne Schnitger vom 2. Juni 1893, unten, S.  3 94. 34  Brief an Alfred Weber vom 19. Juni 1897, MWG II/3, S.  3 51. 35 Vgl. dazu den Brief an Emmy Baumgarten vom 10. und 11. April 1887, unten, S.  6 3–65. Einen Einblick in die religiösen und kirchenpolitischen Ansichten von Max Weber sen., Helene Weber und Max Weber ermöglicht der Brief Otto Baumgartens an seine Schwester Emmy vom 3. Okt. 1887, in: Roth, Familiengeschichte, S.  512–514. 36  Oben, S.  12–15.

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liche „Anhänglichkeit bei Max“ ihm gegenüber.37 Zum ältesten Sohn von Hermann und Ida Baumgarten, Fritz Baumgarten, bestanden distanziertere, aber gute Beziehungen. Er war Max und Marianne Weber später bei der Wohnungssuche in Freiburg i. Br., wo er selbst wohnte, behilflich.38 Ein besonderes Verhältnis entwickelte sich zu Emmy, der älteren der beiden Baumgarten-Schwestern. Max Weber war Emmy während seines Militäraufenthalts im Februar und März 1887 in Straßburg näher gekommen. Die Briefe an Emmy im Anschluß an seine Rückkehr nach Berlin zeigen ihn nicht nur von seiner charmanten und witzigen Seite,39 sondern auch als einfühlsamen Beobachter. Bei Emmy zeigte sich, ähnlich wie bei ihrer Schwester Anna, zunehmend ein Nervenleiden, das sie zwang, sich immer wieder in ärztliche Behandlung zu begeben oder sich in dem medizinisch betreuten Stuttgarter Privatsanatorium „Ottilienhaus“ aufzuhalten. Mehrfach äußerte sich Max Weber in diesem Zusammenhang zu dem Los der Frauen, die zwar familiär gesichert und hochgebildet seien, aber ohne Beruf und daher ohne äußere Anerkennung bleiben müßten.40 Die spezifische Geschlechterdifferenz war ihm dabei sehr wohl bewußt: „was ist doch ein solch armes Mädchenherz ärger dran als wir, denen der äußere Arbeitszwang Ableitung giebt.“ 41 Nachdem er sich an Marianne Schnitger gebunden hatte, legte er Wert darauf, zu Emmy weiterhin eine „offene geschwisterliche Freundschaft“ zu bewahren.42 Bürgerliches Heiratsverhalten im 19. Jahrhundert folgte bestimmten Regeln, und diesen mußte sich auch Max Weber unterwerfen. Sowohl Emmy Baumgarten als auch Marianne Schnitger kamen aus einem Milieu,43 in dem an eine Heirat erst gedacht werden konnte, wenn der Ehemann wirtschaftlich unabhängig war. Während der Referendarzeit war also eine Verlobung mit Emmy Baumgarten ausgeschlossen; Besuche waren aus zeitlichen und finanziellen Gründen auf die große Entfernung nicht möglich, solange Max Weber noch in der „Ausbildungsphase“ stand. So beklagte er, als das Verhältnis zwischen beiden bereits abgekühlt war, daß sein letzter Besuch in Süddeutschland „jetzt grade fast ein halbes Jahrzehnt“ zurückliege, und er habe 37  Brief Otto Baumgartens an Emmy Baumgarten vom 3. Okt. 1887, in: Roth, Familiengeschichte, S.  513. Zu Beginn seiner Studienzeit verbrachte Max Weber ein halbes Jahr in Heidelberg gemeinsam mit Otto Baumgarten, der am dortigen Predigerseminar tätig war (Karte an Max Weber sen. vom 23. April 1882, MWG II/1, S.  245 f.). 38  Briefe an Fritz Baumgarten vom 6. April, 21. Sept. sowie 19. Nov. 1894, unten, S.  524, 572 sowie S.  5 80–583. 39  Vgl. insbesondere die Briefe an Emmy Baumgarten vom 10. und 11. April 1887, unten, S.  6 0–68, sowie vom 20. Aug. 1887, unten, S.  116–120. 40  Brief an Emmy Baumgarten vom 18. Febr. 1892, unten, S.  2 63. 41  Brief an Marianne Schnitger vom 17. Juli 1893, unten, S.  4 33 f. 42  Ebd., S.  434. 43  Emmy Baumgarten war seine Cousine ersten, Marianne Schnitger zweiten Grades (vgl. dazu die Verwandtschaftstafeln, unten, S.  6 47 und S.  6 50).

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sich „damals wohl gesagt, daß es ein Abschied auf recht lange Zeit werden würde“.44 Max Weber sah Emmy Baumgarten dann tatsächlich erst im September 1892 nach rund fünfeinhalb Jahren wieder. Er besuchte sie, die sich mittlerweile aus gesundheitlichen Gründen im „Ottilienhaus“ in Stuttgart aufhielt, weil er zweifelte, „ob wir miteinander abgeschlossen hätten“, mußte dann aber feststellen, daß die Entfremdung unwiderruflich war: „Ich sah sie, die Erscheinung und Stimme von ehedem, – und sieh, es war, als ob eine Geisterhand ihr Bild im Hintergrund meines Herzens auslöschte, denn es war eine andre Gestalt, als in mir gelebt hatte, wie aus einer andren Welt, die mir entgegentrat. Warum? ich weiß nicht. Wir schieden, so dachte ich, für das Leben.“ 45 Endgültig loslassen konnte er jedoch erst, nachdem er Ende März 1893 von seiner Tante Ida Baumgarten die Nachricht mit der Bestätigung erhalten hatte, daß auch für Emmy alles „längst vorüber“ gewesen sei.46 Dennoch reiste er unmittelbar darauf noch einmal nach Straßburg, um sich mit Ida Baumgarten auszusprechen.47 An der Beerdigung von Hermann Baumgarten, der am 19. Juni 1893 in Straßburg verstarb, nahm er jedoch nicht teil, „und vielleicht ist es auch gut für Emmy […], daß ich sie bei dieser Gelegenheit nicht sehe“.48 Max Weber lernte seine spätere Braut Marianne Schnitger 1891 näher kennen, als sie zum ersten Mal Berlin besuchte. Max Webers Vater war der Bruder von Mariannes Großvater mütterlicherseits, des Leinenfabrikanten Carl David Weber aus Oerlinghausen bei Bielefeld. Sie entstammte mütterlicherseits einer sehr wohlhabenden Familie; ihre Kindheit und Jugend allerdings wurden überschattet durch den frühen Tod ihrer Mutter Anna Schnitger (geb. Weber) und die zunehmende psychische Erkrankung ihres Vaters, des Arztes Eduard Schnitger. Marianne wuchs daher in beengten Verhältnissen bei ihrer Großmutter Dora Schnitger und ihren Tanten, den Lehrerinnen Florentine (Flora) und Marie Schnitger in Lemgo auf; dort wurde sie mit dem Ausbruch der Geisteskrankheit zweier ihrer Onkel konfrontiert. 1887 verließ sie auf Veranlassung ihres Großvaters Carl David Weber Lemgo und wurde in dem Pensionat für höhere Töchter unter der Leitung von Marie Heidsiek in Hannover zwei Jahre lang standesgemäß erzogen. Danach lebte sie im wesentlichen in Oerlinghausen im Haus ihrer Tante Alwine (Wina) Müller, der jüngeren Schwe-

44  Brief an Emmy Baumgarten vom 18. Febr. 1892, unten, S.  2 60. 45  Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, unten, S.  3 04. Zum Besuch von Emmy Baumgarten im September 1892 vgl. auch den Brief an Helene Weber vom 14. Sept. 1892, unten, S.  278 f. 46  Brief an Marianne Schnitger vom 26. März 1893, unten, S.  327. Der 26. März galt Max und Marianne Weber fortan als ihr (inoffizieller) Verlobungstag (vgl. den Brief Max Webers an Marianne Weber vom 19. März 1894, unten, S.  511). 47  Vgl. dazu bereits oben, S.  25. 48  Brief an Marianne Schnitger vom 20. Juni 1893, unten, S.  4 05.

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ster ihrer verstorbenen Mutter.49 Im Herbst 1891 folgte sie der Einladung der Familie von Max Weber sen. nach Berlin; sie fühlte sich nach dem sechswöchigen Aufenthalt dort sehr stark vom Großstadtleben und den sich für junge Frauen auch beruflich öffnenden Perspektiven beeindruckt, sodaß sie im Frühjahr 1892 erneut, nunmehr mit dem Ziel, eine Zeichenausbildung zu absolvieren, und mit Unterstützung ihres Großvaters eine Pension in Berlin bezog. Auch während dieser Zeit verkehrte sie regelmäßig in der „Villa Helene“ in Charlottenburg und verliebte sich in Max Weber. In diesem Bereich zwischenmenschlicher Gefühle galt es für alle Beteilig­ ten, bestimmte Konventionen zu wahren. Max Weber empfand trotz seiner erkalteten Gefühle nach dem Besuch Emmy Baumgartens im September 1892 ihr gegenüber noch eine gewisse Verpflichtung. Das lag möglicherweise auch daran, daß im Hintergrund Helene Weber und ihre Schwester Ida Baumgarten weiterhin an dem Plan einer Heirat der beiden festhielten, zumal sich der gesundheitliche Zustand Emmys nach Weihnachten 1892 wieder zu bessern schien.50 Für Marianne Schnitger hatte Helene Weber eine andere Verbindung vorgesehen, zu Max Webers Freund und Weggefährten im Evangelisch-sozialen Kongreß, dem Pfarrer Paul Göhre. Bewegung kam in dieses komplizierte Geflecht von Beziehungen und Gefühlen erst, als Paul Göhre am 11. Januar 1893 bei Helene Weber um die Hand Mariannes anhielt, ohne daß letztere zuvor gefragt worden war. Als Marianne davon erfuhr, offenbarte sie Helene ihre Liebe zu Max.51 Helene Weber wiederum informierte Max, der auch wie seine Mutter von einer Zuneigung Mariannes zu seinem Freund ausgegangen war. Vor diesem Hintergrund ist der erste Brief Max Webers an Marianne Schnitger zu sehen, den er fünf Tage später, am 16. Januar 1893, an sie richtete und in dem er sich ihr erklärte.52 Die in diesem Band edierten ersten Briefe Max Webers an seine Lebensgefährtin, aus der Verlobungszeit und dem ersten Jahr ihrer Ehe, dokumentieren eindrucksvoll den Beginn der Beziehung dieses Paares. Darüber hinaus geben sie Einblicke in die Praktiken bürgerlicher Lebensführung und die vielfältigen Erwartungen an die Ehe und die jeweiligen Geschlechterrollen. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Ehe- und Erbvertrag, den Max und Marianne Weber vor dem Amtsgericht in Oerlinghausen

49 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.  181–185; Roth, Familiengeschichte, S.  539 f.; zur standesgemäßen Erziehung in Hannover mit Sprach-, Klavier- und Kunstunterricht vgl. Meurer, Bärbel, Marianne Weber. Leben und Werk. – Tübingen: Mohr Siebeck 2010, S.  31–35 (hinfort: Meurer, Marianne Weber). 50  Vgl. dazu Roth, Familiengeschichte, S.  5 40 f. 51  Vgl. Meurer, Marianne Weber (wie Anm.  4 9), S.  57 f., auf der Grundlage der Tagebücher Marianne Webers. 52  Unten, S.  3 02–305. In der Literatur wird der Brief auch als „Verlobungsbrief“ bezeichnet (vgl. Meurer, Marianne Weber, wie Anm.  4 9, S.  62).

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am 18. September 1893, zwei Tage vor ihrer Hochzeit, abschlossen.53 Der Vertrag folgte den gesetzlichen Vorgaben für die Gütergemeinschaft des Preußischen Allgemeinen Landrechts, ja ging in einigen Teilen noch darüber hinaus, so daß sich Max Weber „das absolute Maximum ehemännlicher Verfügungsgewalt“54 sicherte, obwohl er sich später engagiert für die bürgerliche Frauenbewegung einsetzte, in der Marianne Weber an führender Stelle aktiv wurde. Im zweiten Teil des Vertrags, im Erbvertrag, dagegen gab er sich seiner künftigen Frau gegenüber als vorausschauender und fürsorglicher Ehemann. Da die Gütergemeinschaft über den Tod eines Partners hinaus mit eventuellen Kindern fortgesetzt werden sollte, erhielt Marianne als Witwe gegenüber ihren Kindern eine unanfechtbar starke Stellung eingeräumt. Der Erbvertrag beinhaltete somit die „gezielte Absicherung der Witwe für die gesamte Zeit ihres Überlebens“.55 Warum, so kann man sich fragen, schlossen Max und Marianne Weber einen solchen Vertrag; warum gab sich Max Weber extrem paternalistisch zu Lebzeiten, obwohl auch die Möglichkeit bestanden hätte, einen für seine Ehefrau günstigeren Vertrag mit einer bloßen ehelichen Verwaltungsgemeinschaft, so wie sie später vom Bürgerlichen Gesetzbuch eingeführt wurde, abzuschließen? Warum kannte Marianne wenige Tage vor der Unterzeichnung noch nicht einmal dessen Inhalt und stimmte dennoch zu?56 Die Antwort dürfte in der besonderen Situation der beiden eng miteinander verwandten Familien liegen. Kurz vor der offiziellen Verlobung Pfingsten 1893 (21. Mai 1893) hatten nämlich Max Webers Vater und dessen Bruder, also Marianne Schnitgers Großvater Carl David Weber, bereits selbständig und ohne Max Weber zu informieren, mit der Aushandlung des Vertrags und der Regelung der Mitgift begonnen.57 Max Weber sen., dessen Einkünfte nach Beendigung der beruflichen Laufbahn als Stadtrat in Berlin reduziert waren, hatte trotz des beträchtlichen Vermögens von Helene Weber Interesse daran, 53 Stephan Buchholz hat den Vertrag mit einer erläuternden Einführung versehen und nach der beglaubigten Abschrift im Staatsarchiv München (NR 1920/1613) veröffentlicht (Buchholz, Stephan, Ehegüterrecht vor dem BGB: ein Ehe- und Erbvertrag von 1893, in: Ascheri, Mario, Ebel, Friedrich und Heckel, Martin u. a. (Hg.), Ins Wasser geworfen und Ozeane durchquert. Festschrift für Knut Wolfgang Nörr. – Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2003, S.  57–72 (hinfort: Buchholz, Ehegüterrecht); der Vertragstext: S.  70–72). Vgl. dazu auch Roth, Familiengeschichte, S.  5 50. 54  Buchholz, Ehegüterrecht (wie Anm.  5 3), S.  6 6. 55  Ebd., S.  67. 56  Vgl. dazu den Brief Max Webers an Marianne Schnitger vom 14. Sept. 1893, unten, S.  466. 57 Dies läßt sich aus dem Brief Max Webers an Marianne Schnitger vom 12. Mai 1893, unten, S.  3 81, schließen: „Und was ist das für eine ‚geschäftliche‘ Unterredung, die mein Vater mit Deinem Großvater haben soll? Ich habe keine Ermächtigung dazu gegeben“. Als Datum der inoffiziellen Verlobung, also der noch nicht öffentlich gemachten, gilt der 26. März 1893; vgl. dazu oben, S.  2 9, Anm.  4 6.

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seinen ältesten Sohn fest und unanfechtbar wirtschaftlich abzusichern, mußten er und seine Frau doch noch fünf weitere Kinder, darunter zwei Töchter, versorgen bzw. standesgemäß verheiraten.58 Marianne war durch eine Reihe kleinerer Erbschaften und besonderer Zuwendungen, die zu ihrer Mitgift zählten, sowie die Perspektive auf ein großes Erbe beim Tod Carl David Webers abgesichert.59 Beide Brüder, Max Weber sen. und Carl David Weber, hatten das gemeinsame Interesse, dieses Vermögen in der Familie Weber zu halten, und zwar unter Ausschluß von Mariannes geistig verwirrtem Vater Eduard Schnitger. Carl David Weber hatte seine Enkelin direkt und vollends in die Erbrechte seiner verstorbenen Tochter unter Umgehung seines Schwiegersohns eingesetzt. Nun mußte noch für das Restrisiko Sorge getragen werden, nämlich für den Fall, daß sich später erweisen sollte, daß auch bei Marianne die psychische Erkrankung ihres Vaters, die ja deutlich auch bei seinen Brüdern zutage getreten war, einmal ausbrechen könnte.60 Max Weber hat sich dieser Auffassung offensichtlich angeschlossen. Nachdem er sich über das eigenmächtige Vorgehen seines Vaters und seines Onkels Carl David Weber beschwert hatte, intervenierte er selbst: „Hast Du Dir den schönen Ehevertrag schon angesehen? mit all seinen brutalen Klauseln? Jetzt ist hoffentlich Alles in Ordnung.“ 61 Und am 14. September heißt es: „Also den Ehecontract haben sie Dir nicht gezeigt? Nun ich sage Dir dann, was darin steht. Es ist viel darin davon die Rede, was wird, wenn Einer von uns stirbt oder verrückt wird, sie dachten wohl, Du gruseltest Dich.“ 62 Trotz der ironischen Distanz, die in Bezug auf den „schönen“ Ehevertrag mit seinen „brutalen Klauseln“ mitschwingt, hat sich Max Weber letztlich der Familienlogik unterworfen. Für diese Annahme spricht auch, daß sich Eduard Schnitger in einem eigenen Zusatz zum Ehe- und Erbvertrag ausdrücklich mit den Erklärungen seiner Tochter einverstanden erklärte und mitunterzeichnete.63 Zwei Tage nach Abschluß des Ehe- und Erbvertrags traute Otto Baumgarten das Brautpaar am 20. September 1893 in Oerlinghausen.64 Mit der Heirat, 58  Vgl. dazu Roth, Familiengeschichte, S.  5 49 f. 59  Zur genauen Konstruktion der Erbregelung und Mitgift vgl. ebd., S.  5 49, sowie den Brief Carl David Webers an Max Weber vom [7.] Jan. 189[4], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 60 Helene Weber hatte im August 1892 Erkundigungen über Mariannes geistigen Zustand bei den Bielefelder und Oerlinghausener Verwandten eingezogen (Roth, Familiengeschichte, S.  5 45). Das zeigt, daß in dieser Hinsicht Besorgnis bestand, lange bevor sich eine Verbindung zwischen Max und Marianne abzeichnete. 61  Brief an Marianne Schnitger vom 11. Sept. 1893, unten, S.  4 63. 62  Brief an Marianne Schnitger vom 14. Sept. 1893, unten, S.  4 66. 63  Vertragstext, in: Buchholz, Ehegüterrecht (wie oben, S.  31, Anm.  5 3), S.  72. 64  Über die Trauung und die anschließenden Feierlichkeiten berichtete Otto Baumgarten einen Tag später ausführlich seiner Schwester Emmy (abgedruckt in: Roth, Familiengeschichte, S.  6 96–698). Baumgartens Predigt hat Friedrich Wilhelm Graf herausgegeben und in den familiären Kontext gestellt (Graf, Friedrich Wilhelm (Hg.),

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der im November 1893 folgenden Ernennung zum außerordentlichen Professor in Berlin sowie dem im April 1894 anschließenden Ruf auf den Lehrstuhl in Freiburg i. Br. begann für Max Weber eine neue Lebensperiode. Gegen Ende des ersten Ehejahres schenkte er Marianne Weber zum Geburtstag und Abschied von Berlin eine umfängliche Sammlung von Radierungen Max Klingers.65 Es scheint, als wollte er damit den lang ersehnten Neubeginn mit der Befreiung aus der materiellen Abhängigkeit und der Etablierung eines eigenen, selbstbestimmten Hausstands noch einmal deutlich markieren.

5.  Zur Überlieferung und Edition Die Grundsätze, die die Herausgeber bei der Edition des Briefwerks geleitet haben, sind in der Einleitung zu Band II/5 der Max Weber-Gesamtausgabe niedergelegt (MWG II/5, S.  10–14). Darauf sei hier verwiesen. Dort ist auch dargelegt worden, welche Konsequenzen sich aus der fragmentarischen Überlieferung des Briefwerks für die Edition ergeben, einschließlich des Verzichts auf die Mitteilung der nur im Ausnahmefall überlieferten Gegenkorrespondenzen. Voreditionen werden auch in diesem Band nicht berücksichtigt, zumal die von Marianne Weber herausgegebenen „Jugendbriefe“ teilweise Fehllesungen, falsche Datierungen, nicht nachgewiesene Kürzungen und verunklarte Namen enthalten. Da die „Jugendbriefe“ aber bislang die wichtigste Bezugsquelle bis 1893 darstellten,66 wird, wie in MWG II/1, im Anhang eine Seitenkonkordanz zu den jeweils edierten Briefen abgedruckt. Die im vorliegenden Band edierten Briefe umfassen, im Unterschied zu den „Jugendbriefen“, auch die Briefe Max Webers an Marianne Schnitger bzw. Weber. Diese zählen bis zur Hochzeit, d. h. zwischen dem 16. Januar und 14. September 1893 fünfzig Briefe; nach der Hochzeit bis Ende 1894 kommen nochmals zweiundzwanzig Briefe dazu, sodaß sie mit 72 Briefen den größten Einzelbestand der hier edierten insgesamt 206 Briefe ausmachen. Die Edition umfaßt darüber hinaus die bislang unbekannte Korrespondenz mit der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin sowie dem leitenden Hochschuldezernenten im preußischen Kultusministerium Friedrich Althoff. Die „Jugendbriefe“ enthalten

Otto Baumgartens Predigt zur Trauung von Max und Marianne Weber, in: Journal for the History of Modern Theology/Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte, 16.  Band, 2009, S.  276–291). 65  Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.  213 und 215; Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 6. Aug. 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Zur Klinger-Sammlung vgl. auch MWG II/3, S.  759 f. und 788. 66  Weber, Jugendbriefe, setzen am 21. August 1876 ein und enden am 2. September 1893, also kurz vor der Hochzeit.

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an Gelehrtenkorrespondenzen nur die Briefe an Ferdinand Frensdorff (3) und Lujo Brentano (1); die hier vorliegende Edition enthält demgegenüber auch die überlieferten Briefe an Gustav Schmoller (8) und Theodor Mommsen (2). Darüber hinaus werden Briefe an Wilhelm Liebknecht und Georg von Vollmar sowie an Heinrich Sohnrey und Otto Ammon erstmals präsentiert. Obwohl die „Jugendbriefe“ auf Grund der genannten Unzulänglichkeiten keine geeignete Editionsbasis darstellen, werden sie in einem Fall hinzugezogen, in dem das Original beschädigt ist, das Marianne Weber noch komplett vorgelegen hatte, um die Lücken im Text zu schließen.67 Die Stellen werden textkritisch entsprechend gekennzeichnet. Briefe Max Webers an Otto Baumgarten und Paul Göhre, die er an die beiden ihm nahestehenden Freunde und Weggefährten in der evangelisch-sozialen Bewegung zweifellos geschrieben hat, sind nicht überliefert.68 Während Marianne Weber alle an sie gerichteten Briefe von Max Weber gesammelt hat, sind keinerlei Gegenbriefe von ihr selbst für diese Periode überliefert.69 Zur Kommentierung konnten aber ihre zahlreichen überlieferten Briefe an Helene Weber herangezogen werden.70 Auch für diesen Band gilt, daß Herausgeberin und Bearbeiter alle denkbaren Schritte unternommen haben, die in den unterschiedlichsten Beständen verstreut überlieferten Briefe Max Webers zu ermitteln. Es darf davon ausgegangen werden, daß die erhaltenen Briefe nahezu vollständig in die Edition eingegangen sind. Die Herausgeber waren bemüht, Lücken in der Überlieferung durch eine angemessene Kommentierung und Editorische Vorbemerkungen zu schließen und dem Leser den jeweiligen Kontext zu erhellen. Die Briefe Max Webers sind einschließlich nicht abgesandter Konzepte und Fragmente vollständig aufgenommen worden. Nicht überlieferte, aber nachgewiesene Briefe werden im Apparat verzeichnet. Soweit Korrespondenda vorliegen, deren Kenntnis für das Verständnis des Briefes erforderlich ist, wird der Leser in den Editorischen Vorbemerkungen auf diese hingewiesen und gegebenenfalls der Sachverhalt paraphrasiert wiedergegeben. Ansonsten sind Korrespondenda, soweit diese überliefert sind, im Anmerkungsapparat nachgewiesen. Die Briefe werden in chronologischer Abfolge präsentiert. Im Briefkopf werden zunächst der Adressat, dann die Datierung und der Ort der Niederschrift, 67  Es handelt sich um den Brief an Alfred Weber vom 6. Juli 1891, unten, S.  246–248. 68 Bereits 1928 hatte Theodor Heuss von Luise Göhre erfahren, ihr verstorbener Mann habe seine gesamte Korrespondenz verbrannt; vgl. Heuss, Theodor, Bürger der Weimarer Republik. Briefe 1918–1933 (Stuttgarter Ausgabe, Band 3). – München: Saur 2008, S.  312 mit Anm.  1. 69  Korrespondenzen von Marianne Weber an Max Weber liegen erst ab 1897 vor. 70  Überliefert in: Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.

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die Art des Textzeugen und schließlich der Fundort mitgeteilt. Sofern die Datierung aus dem Poststempel erschlossen worden ist, wird dies mit der vorangestellten Sigle PSt kenntlich gemacht. Sollte die Datierung eines Briefes nicht oder nur unvollständig möglich sein, so wird dieser am Ende des fraglichen Zeitraums mitgeteilt. Sofern der Ort der Niederschrift nur aus dem vorgedruckten Briefkopf erschlossen ist, wird dies durch die vorangestellte Sigle BK kenntlich gemacht, sofern sich dies aus dem Poststempel ergibt, wird dem Ort der Niederschrift die Sigle PSt vorangestellt. Von den Herausgebern erschlossene Datierungen sind in eckige Klammern gesetzt und die Datierung in der Editorischen Vorbemerkung begründet. Dort werden gegebenenfalls auch weitere Angaben über die Eigenart und den Zustand des Textzeugen mitgeteilt. Dabei wird zwischen Briefen, Karten und Telegrammen sowie Abschriften und Abdrucken unterschieden: Letztere sind dem Druck nur dann zugrunde gelegt worden, wenn die Originale nicht überliefert sind. Die Datums­zeile reproduziert Max Webers eigenen Text; die vorgedruckten Teile des jeweiligen Briefkopfes – z. B. die Namen von Hotels – sind kursiv wiedergegeben, um sie von dem eigentlichen Text unterscheiden zu können. Die Textpräsentation behält die Orthographie, Interpunktion und Grammatik der Originale bei und emendiert nur dort, wo dies für das Textverständnis unabdingbar ist. Einschübe im Text sind kenntlich gemacht, Streichungen und Textersetzungen im Apparat annotiert. Mit Ausnahme der in der Datums­ zeile, in den Anrede- und Schlußformeln verwendeten Abkürzungen werden unübliche Abkürzungen im Text aufgelöst und die Ergänzungen durch eckige Klammern kenntlich gemacht; ansonsten sei auf das Abkürzungsverzeichnis verwiesen. Bei Max Weber durch Asterisken gekennzeichnete Zusätze bzw. Anmerkungen werden in arabischer Zählung unter dem Text wiedergegeben. Die Asterisken werden durch Ziffern mit runder Klammer ersetzt. Eindeutig falsche Schreibweisen, auch in Fremdsprachen, werden emendiert und im Apparat annotiert. Dies gilt ebenso für in Reisebriefen nicht korrekt wiedergegebene Namen in der Fremdsprache (inklusive Akzentsetzung). Als Richtschnur gilt die Ausgabe des zeitnächsten „Baedeker“. Eine Ausnahme bildet der auf französisch abgefaßte Brief an Clara Weber vom 28. März 1893,71 in dessen sprachlichen und humoristisch gefärbten Duktus nicht eingegriffen wird. Satzzeichen werden dann, wenn sie für das Textverständnis notwendig sind, in eckigen Klammern ergänzt, bei den Abschriften, die in aller Regel auf Marianne Weber zurückgehen, werden offensichtliche Abschreibfehler stillschweigend korrigiert, z. B. de fakto > de facto; ebenso wird hier vom Nachweis handschriftlicher Korrekturen an maschinenschriftlichen Vorlagen abgesehen. Datierungsfehler werden nur dann emendiert, wenn sich die richtige

71  Unten, S.  329 f., mit Übersetzung S.  3 31.

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Datierung zweifelsfrei nachweisen läßt. Im übrigen wird auf die Editionsregeln hingewiesen, die am Ende dieses Bandes wiedergegeben sind.72 Im Sachkommentar werden Sachverhalte, deren Kenntnis für das Verständnis der Briefe erforderlich ist, erläutert. Alle in den Briefen nur mit ihren Vornamen erwähnten Personen werden im Anmerkungsapparat unter Angabe des Nachnamens identifiziert. Von dieser Regel werden die nächsten Anverwandten Max Webers ausgenommen, und zwar seine Frau Marianne Weber, geb. Schnitger, seine Mutter Helene Weber, geb. Fallenstein, sein Vater Maximilian (Max) Weber sen., seine Geschwister Alfred, Karl, Clara, Arthur und Lili Weber. Das Personenverzeichnis gibt ergänzende biographische Hinweise auf die in den Briefen erwähnten Personen; im Sachkommentar werden daher nur solche Erläuterungen zu Personen gegeben, die für die betreffende Briefstelle aufschlußreich sein können. Um die weitverzweigten und teilweise sich kreuzenden Verwandtschaftsbeziehungen im Zusammenhang sichtbar zu machen, werden dem Personenverzeichnis Übersichten über die Nachkommen von Georg Friedrich Fallenstein, dem Großvater Max Webers, und Carl David Weber, dem Bruder von Max Webers Vater und Großvater von Marianne Weber, angefügt. Das Register der Briefempfänger sowie Personen- und Ortsregister gewähren zusätzliche Möglichkeiten der Erschließung des Briefbestandes. Die Seitenkonkordanzen im Anhang73 erleichtern das Auffinden von Briefen und Briefstellen aus den „Jugendbriefen“ in der hier vorliegenden Edition.

72  Vgl. unten, S.  673–679. 73  Unten, S.  668–672.

Briefe 1887 – 1894

20. Januar 1887

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[Emilie Benecke] 20. Januar 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Die Adressatin ergibt sich aus einer späteren Ergänzung von der Hand Marianne Webers auf diesem Brief und aus dem Briefinhalt: Die Form, in der Max Weber der „Tante“ über den Besuch seines Vetters Otto Baumgarten berichtet, macht deutlich, daß Max Weber nicht an dessen Mutter, Ida Baumgarten, schrieb, sondern an die ebenfalls mit ihrer Familie in Straßburg lebende Tante Emilie (Nixel) Benecke.

Charlottenburg den 20. Januar 87 Liebe Tante!

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Es ist, glaube ich, am besten, ich falle gleich mit der Thüre in’s Haus, da es sich doch einmal darum handelt, Dich um eine Freundlichkeit zu bitten. Ich komme Sonnabend, den 29ten Januar, mit dem Abendzuge von Heidelberg aus in Straßburg an und muß mich Sonntag früh beim Regt 471 zu einer 8wöchentlichen militärischen Übung melden, finde also am Sonnabend Abend, und vielleicht auch im Lauf des Sonntags noch keine Wohnung. Da ich nun, wenn möglich, vermeiden möchte, mich für die 1–2 Nächte in einem Eurer teuren |:Straßburger:| Hotels einzuquartieren, so möchte ich so unbescheiden sein, zu fragen, ob Ihr für adiese beiden Nächtea in der Lage wäret, mich in Eurem freund­ lichen Hause in ein Bett zu verpacken, ohne Euch dadurch Unbequem­ lichkeiten zu verursachen. Sollte dies, wie gesagt, ohne Schwierigkeit möglich sein, so würde ich Euch sehr darum bitten, wenn nicht, so wür­ de ich Heidelberg aufgeben respect. den Aufenthalt dort bis zur Rück­ reise verschieben, und schon Sonnabend Mittag nach Straßburg kom­ men, um noch eine Wohnung zu finden. Ich freue mich sehr darauf, einmal wieder für einige Zeit dem Civil­ dienst den Rücken kehren2 und die Bekanntschaft mit den Verwand­ ten in Straßburg erneuern zu dürfen, zumal es, da das Regiment am

a–a  dieselben > diese beiden Nächte   1  Das 2. Niederschlesische Infanterieregiment Nr.  47, bei dem Max Weber vom 1. Oktober 1883 bis 30. September 1884 seine Zeit als Einjährig-Freiwilliger abgeleistet hatte (vgl. Hübinger, Gangolf, Einleitung, in: MWG II/1, S.  17), war seit der Annexion des Elsaß in Straßburg stationiert. 2  Max Weber absolvierte seit Juni 1886 sein Rechtsreferendariat; vgl. den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, unten, S.  42 mit Anm.  2.

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1. April in die Provinz Posen verlegt wird, wohl das letzte Mal sein wird, daß ich auf diese Weise nach dem Süden komme. Der militäri­ sche Dienst soll mir, hoffe ich, in jeder Beziehung gut bekommen und ist, wenn man einmal über die Zeit der Gewehrgriffe hinaus ist, auch nicht mehr so ausschließlich Strapazeb, wie er mir in der ersten Zeit erschien. Nun aber, wenn auch sehr verspätet, noch besonders herzlichen Dank für Euer so freundliches Weihnachtsgeschenk; es ist wirklich sehr niedlich und eine entschieden sprechende Versinnbildlichung häuslicher Behaglichkeit, dieses glückbringende Tierchen, welches sich so behaglich mit der Hinterpfote zu kratzen die Muße findet. Fast auf allen Tischen, die mir in meinem speciellen Heim zur Verfügung ste­ hen, findet sich nun schon mindestens ein von Euch stammendes kleines Kunstwerk und gemahnt mich daran, wie liebenswürdig es von Euch ist, jedes Jahr so freundlich an mich zu denken. – Wie Du weißt, hatten wir in der letzten Woche die Freude, Otto Baum­garten hier zu sehen. Der Eindruck von Gesundheit und Frische in jeder Beziehung, den er bei uns Allen machte, fast in noch höherem Grade, als im letzten Sommer, hat uns Alle erfreut und verscheuchte auch bei meinem Vaterc das nach den vielen dazwischen liegenden Er­ eignissen der früheren Jahre ja wohl begreifliche Vorurteil, daß er ein Mensch sei, dessen Schicksal es in dieser Welt bleiben müsse, dieselbe ein für alle Mal durch eine ganz bestimmte tendenziöse Brille zu be­ trachten. Vielmehr hat der tiefe |:und gesunde:| Realismus seiner An­ schauungsweise, wie ich zu bemerken glaube, grade meinen Vater be­ sonders angesprochen. Es war meinen Eltern eine große Freude, beim Zusammensein mit ihm zu bemerken, daß sichd jetzt seine Stellung in Familie und Welt, – äußerlich und innerlich – so viel klarer und ein­ facher gestaltet und auch Andren, die nicht fortwährend mit ihm zu­ sammen gelebt haben, so viel leichter verständlich und daher geeig­ neter ist, wirkliche |:unbefangene:| Sympathie zu ermöglichen, was früher doch nicht so der Fall war, da damals immerhin Jedem, uns Alle eingeschlossen, doch manche seiner Beziehungen dunkel und mehr oder weniger rätselhaft notwendig bleiben mußten. Wir hoffen sehr – wenn es auch zu viel behaupten hieße, wollten wir sagen, daß dies sehr

b O: Strapatze  c  〈daß〉  d  Fehlt in O; sich sinngemäß ergänzt.

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wahrscheinlich sei – [,] daß es ihm gelingen wird, hierher zu kommen.3 Wenn ihm auch gewiß mancher Verdruß und erhebliche Schwierig­ keiten hier bevorstehen, so sind das danne doch Dinge, die man von hier aus übersehen und beurteilen und in welchen man, selbst wenn man im einzelnen Fall seine Ansicht nicht teilen würde, doch, eben weil man den Grund kennt, mit ihm sympathisieren kann. Ich sehe, daß ich wieder in meine alte Untugend verfallen bin, unle­ serlich klein zu schreiben, und möchte Deinen Augen nicht zu viel zu­ muthen. Wie gesagt, wenn es Euch keine Unbequemlichkeiten macht, so wiederhole ich meine Bitte, – meine Mutter meint, ich solle es dar­ aufhin riskieren. Unter allen Umständen aber auf ein frohes Wieder­ sehen und bis dahin die besten Grüße an den Onkel4 und alle andren Straßburger Verwandten. Die Eltern lassen natürlich gleichfalls be­ stens grüßen Dein Neffe Max.

e  Alternative Lesung: denn   3  Der Theologe Otto Baumgarten, Max Webers Vetter, hatte sich auf die Predigerstelle am Friedrich-Wilhelms-Hospital in Berlin beworben; vgl. die Briefe an Helene Weber vom 19. Febr. sowie 16. und 18. März 1887, unten, S.  52 mit Anm.  32 und S.  56 mit Anm.  10. 4  Ernst Wilhelm Benecke, Straßburger Ordinarius für Geologie.

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Ferdinand Frensdorff 22. Januar 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  10, Bl. 1–3

Charlottenburg den 22. Januar 1887 Hochverehrter Herr Professor! Ich bin einigermaßen beschämt wegen meines überaus langen Schwei­ gens nach Ihrer so freundlichen Neujahrskarte, besonders da Sie auch bei dieser Gelegenheit wieder mich Ihr liebenswürdiges Interesse an meinem Fortkommen erkennen ließen. Ich weiß kaum, ob ich es so verspätet noch wagen darf, Ihnen dafür meinen besten Dank auszu­ sprechen, möchte mir dies aber doch erlauben, um Gelegenheit zu ha­ ben, mich über Ihren gütigen Vorschlag einer Doktordissertation1 zu erklären. Ich muß vorausschicken, daß mein dereinstiges Doktorexamen nach meinem Dafürhalten noch ziemlich in weitem Felde zu liegen scheint. Zunächst schon deshalb, weil meine juristische Thätigkeit2 jetzt für ei­ nige Zeit ziemlich jäh unterbrochen wird durch meine Einberufung zum Militärdienst als Officier beim Regt. 47 in Straßburg i /Els., auf Sonntag den 30. Januar, wodurch ich für 8 Wochen3 – d. h. wenn der Frieden erhalten bleibt4 – das Bureau mit dem bunten Rock zu vertau­ 1  Ferdinand Frensdorff war für Max Weber in dessen Göttinger Semester 1885/86 zum väterlichen Betreuer geworden, der ihm in einer Art Privatissimum insbesondere das Deutsche Recht nähergebracht hatte. Welches Dissertationsthema er Weber anbot, läßt sich heute nicht mehr exakt nachweisen. Vgl. dazu Dilcher, Gerhard, Einleitung, in: MWG I/1, S.  1–105, hier S.  12 f. 2  Einen Teil seiner im Juni 1886 begonnenen praktischen juristischen Ausbildung absolvierte Max Weber von Dezember 1886 bis November 1887 am Landgericht II in Berlin. Zu den Stationen des Rechtsreferendariats Max Webers vgl. Lepsius, Susanne, Editorischer Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, in: MWG I/1, S.  109–138, hier 113 f. 3  Diese militärische Übung fand vom 30. Januar bis 26. März 1887 in Straßburg statt. 4  Im Winter 1886/87 befand sich das Deutsche Reich in einer außenpolitisch problematischen Situation: Im Osten drohte ein Krieg zwischen Rußland und Österreich-Ungarn, im Westen glaubte man sich mit einem erstarkten französischen Revanchismus konfrontiert, dessen Symbolfigur der populäre Kriegsminister Georges Boulanger war. Zwar zeigten diverse deutsche Gesandtschaftsberichte aus Frankreich, daß der Revanche-Gedanke keinesfalls Ausdruck einer französischen Kriegsbereitschaft war; Reichskanzler Bismarck verhinderte jedoch ihr Bekanntwerden, da er die Krise innenpolitisch nutzen wollte, um sich der oppositionellen Mehrheit des Reichstages zu entledigen. Als Hebel diente ein neues Militärbudget, welches das durch das Septennatsgesetz eigentlich noch bis 1888 festge-

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schen genötigt bin. Ich kann nicht behaupten, daß mir diese Unterbre­ chung unangenehm wäre, denn die Beschäftigung hier war in letzter Zeit weder sehr anregend noch angenehm. Ich bin seit 2 Monaten in Berlin beim Landgericht II ausschließlich in Strafkammersachen be­ schäftigt, und abgesehen davon, daß Strafsachen an sich wenig Anzie­ hendes haben, denselben vielmehr eine gewisse trübe Öde anhaftet und ich ihnen nie erhebliches wissenschaftliches Interesse abzugewin­ nen vermocht habe, bin ich überdies einem, ich darf wohl sagen, ziem­ lich pedantischen Director5 in die Hände gefallen, welcher bei der Be­ schäftigung seiner Referendare einen hervorragenden Wert auf die Exteriora, schön und symmetrisch ausgefüllte Protokollformulare pp. legt, während er Versuche, sich in die juristische Bedeutung der Dinge einzumischen, mit einem gewissen mistrauischen und misfälligen Pes­ simismus beaugenscheinigt und günstigsten Falls mit einem argwöh­ nischen Knurren sanft bei Seite schiebt, mögen dieselben sich in Fra­ gen äußern oder in sonstiger Weise zu seiner Kenntnis gelangen. Die Function als eine Art höherer (oder niedriger?) Kanzlist hat nun im­ merhin nicht sehr viel Anregendes und ich kann dabei nicht recht das Bewußtsein erlangen, etwas daran zu lernen; hauptsächlich aber ist der sehr bedeutende Zeitaufwand ärgerlich, welcher dieser qualificierte Schreibunterricht erfordert, denn meine Arbeitszeit ist dadurch so to­ tal zerrissen, daß ich nur höchst unregelmäßig |:und schwer:| dazu ge­ kommen bin, noch, so viel ich konnte, preußisches Landrecht und da­ neben römisches Recht zu treiben, außerdem ein Seminar bei Prof. Pernice6 und ein Mommsen’sches Colleg über Römisches Staatsrecht,7 |:letzteres:| regelmäßig, mitzumachen. – legte, vorzeitig ersetzen sollte. Wie erwartet, lehnte der Reichstag die Vorlage, die u. a. eine Heeresvermehrung um zehn Prozent vorsah, am 14. Januar 1887 ab, worauf Bismarck sogleich die Auflösung des Parlaments verkündete. Der Wahlkampf wurde nun durch das Heraufbeschwören einer drohenden Kriegsgefahr bestimmt; die Einberufung von über 70 000 Reservisten zu Manövern nach Elsaß-Lothringen, unter ihnen auch Max Weber als Secondeleutnant und sein Regiment, verstärkte diesen Eindruck zusätzlich. Schließlich brachten die sog. Septennatswahlen vom 21. Februar 1887 die von Bismarck gewünschte Mehrheit aus Konservativen und Nationalliberalen. Außenpolitisch beruhigte sich die Lage gleichfalls und fand ihr Ende spätestens mit der Entlassung Boulangers im Mai 1887. 5  Laut Berliner Adreßbuch für das Jahr 1887 (19. Jg., 1. Band. – Berlin: W. und S. Loewen­ thal o. J.) gab es vier Direktoren beim Landgericht II: R. Buttmann, E. Meißner, Carl Neumann und C. Veltmann. Wen Weber hier meint, ist nicht nachweisbar. 6 Das „Juristische Seminar“ der Romanistischen Abteilung von Alfred Pernice fand im Wintersemester 1886/87 jeweils mittwochs von 18–20 Uhr privatissime statt. Vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, WS 1886/87, S.  3. 7 Theodor Mommsens Vorlesung „Römisches Staatsrecht“ fand im Wintersemester

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Dies hat denn auch veranlaßt, daß ich, wie bemerkt, entfernt nicht dazu gekommen bin, so gründlich zu arbeiten, wie es zum juristischen Doktorexamen erforderlich sein wird. Es würde nun für mich bezüg­ lich des Themas, welches Sie so freundlich waren, mir vorzuschlagen, für mich doch noch besonders schwierig sein, grade jetzt, – d. h. wenn ich wieder zur ruhigen Arbeit komme –, in die betreffenden Materien mit Erfolg einzudringen. Ich glaube, richtig verfahren zu sein, wenn ich mich zunächst wieder auf möglichst gründliche Durcharbeitung des römischen Rechts, der Grundlage für die zu gewinnende juristische Bildung, gelegt habe. Es ist nun in dera That, wie Sie mir seiner Zeit vorausgesagt hatten, ungemein schwer, neben ernstlicher Beschäfti­ gung mit Pandektenrecht auch ein mehr als dilettantisches Studium des deutschen Rechts durchzuführen, und es kommt dazu, daß das preußische Landrecht eine solche Masse positiven Materials bringt, daß [,] bei meinem recht unentwickelten Gedächtnisse, ich, wie ich leider gestehen muß, dabei zuweilen in Bezug auf meinen Kopf ähn­ liche Empfindungen genieße, wie seiner Zeit in Bezug auf meinen Ma­ gen bei dem etwas misglückten Versuch, demselben im Manöver den ungeteilten Genuß einer 1/ 2 Erbswurst zu verschaffen. Sie werden mir es deshalb vielleicht nicht als Trägheit oder Interessenlosigkeit anrech­ nen, wenn ich zunächst der Versuchung, von Allem Etwas zu treiben, widerstehe und deshalb alle deutschrechtlichen Studien wenigstens vorläufig reponiere. Übrigens nimmt sich hier, außer Herrn Prof. Per­ nice, Herr Geh. Rat Goldschmidt – der übrigens gesundheitlich zu all­ gemeiner Freude so frisch ist, wie seit 10 Jahren nicht mehr – in sehr freundlicher Weise meiner Versuche, das wirkliche Arbeiten zu lernen, an. Leider geht das Arbeiten bei mir zunächst noch sehr langsam und schrittweise, möglicherweise trägt die nunmehrige 8wöchentliche Un­ terbrechung der sitzenden Lebensweise dazu bei, das dann folgende, wie ich hoffe, kräftige Arbeiten durch körperliche Anspannung des sonstb phlegmatisch werdenden äußeren Menschen zu erleichtern. – Ich bin vor Kurzem hier mit meinem Vater und Herrn Geh. Rat Rö­ sing zusammen auf einem großen Commers „alter Burschenschafter“8 a  der > der  b  〈pfl〉   1886/87 jeweils dienstags, donnerstags und freitags von 8–9 Uhr statt und wurde privatissime gehalten; vgl. ebd. 8  Gemeint ist der sechste Festkommers alter Burschenschafter zur Feier der Reichsgründung, der am 15. Januar 1887 in Berlin stattfand. In einem Bericht wird Johannes Rösings

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gewesen, und wir freuen uns schon jetzt sehr auf das Göttinger Jubi­ läum,9 zu welchem ich hoffe, wenigstens für einen Tag auch herüber­ kommen zu können. Die Heidelberger Erinnerungen10 sind zu anzie­ hend, um der Versuchung widerstehen zu können, etwas Ähnliches, wenn auch wohl in kleinem Maßstabe und dem nordischen Genius loci entsprechend, auch bei der G[eorgia] A[ugusta] mitzumachen. – Ich bin oben so frei gewesen, Ihnen in ausführlicher Weise meine gegenwärtigen Kopfschmerzen über die Art, wie ich das Arbeiten an­ fassen soll, vorzutragen, hochverehrter Herr Professor, und habe da­ durch Ihre Zeit bereits ungebührlich in Anspruch genommen, möchte daher schließlich nur noch bitten, mich der hochverehrten Frau Profes­ sor und Ihren Frl. Töchtern11 bestens empfehlen zu wollen. Der Frau Professor sage ich tiefstgefühlten Dank für die mir gewährte Absolu­ tion und gebe mich der stillen Hoffnung hin, daß der über meine Sün­ den nunmehr sich hoffentlich deckende Schleier des Beichtgeheim­ nisses dieselben allmälig in das Land der Legenden verschwimmen lassen wird.12 – Es that uns Allen leid, von Herrn Rösing zu hören, daß Sie im vori­ gen Quartal mit Ihrem körperlichen Wohlbefinden nicht immer hätten zufrieden sein können und hoffen wir, daß Sie das neue Jahr auch in dieser Beziehung in ungetrübtem Wohlsein angetreten haben werden. Meine Eltern grüßen herzlich. Mit nochmaligem besten Dank fürc Ihre zahlreichen Beweise freundlichen Interesses und den besten Wün­ schen für Ihre ganze Familie verbleibe ich, hochverehrter Herr Profes­ sor, stets Ihr sehr ergebener Max Weber, Referendar. c  〈I?〉   Teilnahme als einer der ältesten Burschenschafter vermerkt; vgl. Burschenschaftliche Blätter, 1. Jg., Nr.  3 vom 1. Februar 1887, S.  37. 9  Vom 7. bis 10. August 1887 wurde das 150. Universitätsjubiläum der Georg-August-Universität in Göttingen gefeiert. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 30. Juli 1887, unten, S.  109 f. 10  Max Weber bezieht sich hier auf das 500. Universitätsjubiläum der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg, das Anfang August 1886 mit großen Feierlichkeiten begangen worden war. 11  Anna Cäcilie Frensdorff sowie die Töchter Else und Käthe Frensdorff. 12  Hier dürfte es sich um eine humoristisch gemeinte Anspielung auf einen Sachverhalt handeln, der sich nicht mehr klären läßt.

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Helene Weber 19. Februar 1887; Straßburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber war vom 30. Januar bis 26. März 1887 zu einer Militärübung in Straßburg eingezogen (militärische Personalakte Max Webers, GLA Karlsruhe, 456 E, Nr.  13719). Dort war sein Regiment, das 2. Niederschlesische Infanterieregiment Nr.  47, dem er seit seiner Zeit als Einjährig-Freiwilliger (1883/84) angehörte und an dessen Übung er auch vom 1. März bis 25. April 1885 teilgenommen hatte, seit der Annexion des Elsaß stationiert.

Straßburg i/E 19/II 87 Liebe Mutter! Mein versprochener Brief ist in der That so lange ausgeblieben, daß er selbst als Antwort auf Deinen letzten Brief recht spät eintreffen wird. Wir sind hier in den letzten beiden Wochen außerordentlich ange­ spannt worden, da durch die Einziehung der Reservisten1 die einzel­ nen Cadres auf mehr als das Doppelte der Zahl anschwollen, welche sonst ihre Friedensstärke bildet. So hatte man danna in der That fast den ganzen Tag Dienst, von Morgens 7 Uhr angefangen, mit Unterbre­ chungen, bis Abends 1/ 2 8. Ich habe dann, wenn ich nicht sehr früh zu Bett ging, mich meist zunächst etwas aufs Ohr gelegt und bin nachher zum Abendessen ausgegangen und oft bis sehr spät mit den erfreu­ licher Weise zur überwiegenden Mehrzahl sehr angenehmen activen und Reserve-Officieren – von letzteren waren gegen 30 zum 47. Regt eingezogen – 2 zusammengewesen. Auch Sonntags war keine zum Schreiben geeignete Situation zu schaffen; ich glaube, daß ich Nach­ mittags, wenn ich nicht zu den Verwandten3 gegangen wäre, lediglich eingeschlafen wäre, und Vormittags hatte ich beide Male Dienst, das eine Mal mit officiellen Visiten bei den neu herkommandierten Vorgea  Alternative Lesung: denn   1  Angesichts der angespannten außenpolitischen Situation (vgl. den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, oben, S.  42 f. mit Anm.  4) wurden zum 7. Februar 1887 über 70 000 Reservisten „zu einer 12tägigen Übung mit dem neuen Magazingewehr einberufen“; Schulthess 1887, S.  78. 2  Zu den aktiven und Reserveoffizieren vgl. Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für 1887, S.  176 f. und 465. 3 Ida Baumgarten und Emilie (Nixel) Benecke, Max Webers Tanten mütterlicherseits, lebten mit ihren Familien in Straßburg.

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setzten, das andre Mal Kirchgang, und zwar Katholischen. Bei letzte­ rer Gelegenheit, Sonntag vor 14 Tagen, hörte ich übrigens eine sehr interessante Predigt, überhaupt einen interessanten Gottesdienst,4 in der Stephanskirche hier. Der Gottesdienst begann mit einer kurzen musikalischen Introduction und einer vom Kirchenchor gesungenen Strophe. Dann Predigt über dies bekannte Gleichnis von den Arbei­ tern im Weinberg.5 Dieselbe war ungemein volkstümlich und gemein­ verständlich gehalten, ohne jeden Anklang an frömmelnde Plattheiten, sondern direkt praktisch, und dabei in der Dialektik wohldurchdacht, so daß es eine Freude war, die geistige Arbeit darin erkennen zu kön­ nen. Logisch betrachtet, war manches, besonders für Jemand, der die protestantischen Deductionen und Gedankenzusammenhänge ge­ wohnt ist, überraschend. Der Gedankengang war z. B. folgender: Die Arbeiter, welche am wenigsten gethan haben, erhalten so viel |:Lohn:|, wie die, welche am meisten gethan haben, – also kommt es nicht darauf an, was man thut, wie auch der Gegensatz der Opfer Kain’s und Abels zeigt,6 – sondern mit welchem Sinne man es thut,b würde ein protestan­ tischer Prediger fortfahren, – es kam aber: sondern daß man die himm­ lische Gnade besitzt und vor den Augen des Herrn als ein Gerechter gilt, was bei Kain nicht der Fall. Diese Gnade aber muß erworben wer­ den, und dazu hilft nur die Liebe, conf. „Und wenn ich einen Glauben hätte, daß ich Berge versetzen könnte“7 etc., woraus hervorgeht, daß selbst der Glaube |:dazu:| nicht ausreicht. Dies wurde dann sehr ge­ schickt an praktischen Beispielen erörtert, unter stetem Hinweis einer­ seits auf die Unfruchtbarkeit des toten Glaubens, andrerseits aufc den Unsegen der noch so angestrengten Thätigkeit Desjenigen, welcher die Gnade nicht erworben hat. Die ganze, gewandt und eindringlich ge­ sprochene Predigt dauerte etwas über 20 Minuten, incl. der Verlesung des Textes (deutsch, nach einer Übersetzung der Bibel, die ich im er­ sten Moment für die lutherische hielt, da sie in der Sprechweise stark an letztere anklang). Dann folgte eine mehr als halbstündige Liturgie b  〈sollte〉  c  〈dies〉   4  Der Gottesdienst und die Predigt wurden vermutlich von dem katholischen Militäroberpfarrer Sylvester Wilhelm oder dem katholischen Divisionspfarrer Jakob Hubert Schwiertz abgehalten; vgl. Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für 1887, S.  84. 5  Vgl. Matthäus 20,1–16. 6  Vgl. 1. Mose 4,3–7. 7  Nach 1. Korinther 13,2

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mitd deutschem Gesang. Das Ganze hat mich sehr interessiert und im Allgemeinen auch angesprochen, ganz besonders, wie gesagt, die Pre­ digt, d. h. der Art nach, wie in die Verhältnisse der Einzelnen eingegan­ gen wurde und in dem Geschick, mit welchem sie der Situation und dem Vorstellungskreise |:der Soldaten:| angepaßt und angemessen war. Jedenfalls ein starker Abstand von dem protestantischen Militärpfar­ rer |:hier:|,8 der seiner Zeit über die Darstellung im Tempel sprach und dabei den alten Simeon in zwei Teile zerlegte, nämlich: 1) das Kind auf seinen Armen (!) 2) die Hoffnung in seinem Herzen,9 worauf die üb­ lichen Sentimentalitäten folgten. – Ich habe so ausführlich hierüber berichtet, weil ich dachte, daß Dich dies am Ende doch mehr interessieren würde, als Militaria. Auch ist von letzteren nichts Besondres zu sagen, außer, daß wir sehr froh sind, die Reservisten und den damit verbundenen strengen Dienst wieder los zu sein und außerdem darüber, daß die Übung so gut abgelaufen ist. Die Leute, sämmtlich Oberelsässer, waren ungemein willig, vorzüglich ausgebildete Soldaten, exercierten und schossen mit dem neuen Ge­ wehr besser als die alten Mannschaften,10 es hat bei der Gestellung auch nicht ein einziger Mann gefehlt und ist keine Bestrafung vorge­ kommen; besonders die beiden letzteren Thatsachen waren unerwar­ tet, angesichts der beispiellosen, und, wenn es nicht sich um so ernste Dinge handelte, lächerlichen Aufregung, die zur Zeit der Einberufung im Lande herrschte und der ungeheuerlichen Gerüchte, die bis vor Kurzem hier umzulaufene pflegten, wie: große Meuterei in Metz, Er­ mordung von Officieren, Verschwörung der Patriotenliga,11 Unterd  〈teilwei〉  e  〈f〉   8  Es handelt sich vermutlich um den Militäroberpfarrer Julius Steinwender oder den Divisionspfarrer Hermann; vgl. Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für 1887, S.  84. Möglicherweise spielt Max Weber auch auf deren Vorgänger an, die er als Einjährig-Freiwilliger 1883/84 oder bei seiner militärischen Übung 1885 predigen hörte. 9  Bei Simeon handelt es sich um einen Propheten, der in Jesus von Nazareth, den Maria und Joseph kurz nach seiner Geburt in den Tempel brachten, den verheißenen Messias erkannte; vgl. Lukas 2, 25–35. 10  Vgl. oben, S.  46, Anm.  1. 11  Der 1882 in Paris gegründeten Ligue des Patriotes ging es zunächst allgemein um eine Stärkung des französischen Nationalbewußtseins und seit 1883 insbesondere um eine Revanche für die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Anfang 1887 schürten Gerüchte die Angst vor Umsturzplänen im Elsaß, die sich jedoch trotz umfangreicher Untersuchungen und daraus resultierender Prozesse gegen Mitglieder der Pa­trio­ tenliga vor dem Reichsgericht als unhaltbar erwiesen; vgl. Preibusch, Sophie Charlotte,

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minierung der Metzer Forts, drakonische Maßregeln und Massenver­ haftungen in den Grenzdistricten, Desertation ganzer Compagnien zur Fremdenlegion, bevorstehende Einsetzung von Kriegsgerichten, im Hintergrunde natürlich immer der unvermeidliche Krieg. Inzwi­ schen ist es, abgesehen von den Tollheiten des hiesigen Wahlkampfes, wo es bereits so weit gekommen ist, daß die |:niedere:| Geistlichkeit öffentlich erklärt, das Septennat sei eine rein weltliche Frage, und der Coadjutor des Bischofs öffentlich per Zeitung sein Bedauern dieser Auffassung ausspricht,12 der Statthalter,13 der Bischof, die Kreisdirek­ toren14 und x andre Personen officielle Wahlmanifeste erlassen, sonst etwas ruhiger geworden. Vor jetzt etwa 14 Tagen war es am schlimm­ sten. Alle Forts wurden plötzlich, was seit 1870 nicht dagewesen, mit Officieren besetzt, Tag und Nacht, und wenn es fror, mit heißem Was­ ser, gemauert, ohne Unterlaß rasselten Wagen mit „Zuckerhüten“15 und Geschütze von ungeheurem Format aus der Stadt, das Proviant­ amt erhielt täglich Dutzende von Waarenladungen mit Conserven, den Reserveofficieren wurde befohlen, sich Kriegsausrüstung zu beschaf­ fen – ich habe in Folge dessen wenigstens einige Sachen mir zugelegt, es ist mir damit aber gegangen, wie wenn man einen Regenschirm mit­ nimmt, am nächsten Tage war schönes Wetter, es wurden die Nachtar­ beiten eingestellt u.s.w. Am besten standen sich dabei die Militairef­

Verfassungsentwicklungen im Reichsland Elsaß-Lothringen 1871–1918. Integration durch Verfassungsrecht? (Berliner juristische Universitätsschriften. Grundlagen des Rechts, Band 38). – Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2006, S.  297–304. 12  Mit Hinweis auf eine bedrohliche außenpolitische Lage hatte die Reichsregierung versucht, die Fortschreibung des Septennats vom Reichstag vorzeitig bewilligen zu lassen, war aber mit ihrer Heeresvorlage am Widerstand von Zentrum und Freisinn gescheitert. Daraufhin wurde der Reichstag aufgelöst, und es wurden für den 21. Februar 1887 Neuwahlen ausgeschrieben. Das Septennat wurde nicht zuletzt im Elsaß zentrales Wahlkampfthema. Obwohl Peter Paul Stumpf, der als Koadjutor seit 1883 de facto anstelle von Bischof Andreas Räß das Bistum Straßburg leitete, die Geistlichkeit der Diözese angewiesen hatte, sich aller Wahlagitation zu enthalten, sprach sich Abbé Jakob Ignatius Simonis aus Niederbronn mit einem Wahlmanifest gegen das Septennat aus; vgl. Schulthess 1887, S.  81. Simonis war fraktionsloser Abgeordneter für den Wahlkreis Elsaß-Lothringen 5 (Rappoltsweiler) und gehörte zu den erklärten Gegnern der Annexion von Elsaß-Lothringen durch das Deutsche Reich. 13  Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst rief dazu auf, „ruhige und versöhnliche Abgeordnete“ zu wählen, „welche den Friedensvertrag von 1871 rückhaltlos anerkennen und dem Deutschen Reiche die Mittel zur dauerhaften Erhaltung eines starken Heeres gewährleisten“; vgl. Schulthess 1887, S.  83 f. 14  Amtsbezeichnung für die Landräte des Reichslandes Elsaß-Lothringen. 15  Soldatensprache für: schwere Geschosse, Granaten.

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fectenhändler, bei dem hiesigen Vertreter des Officier-Vereins16 wur­ den an dem betreffenden, besonders düster aussehenden Tage für über 9000 Mk Mobilmachungsgegenstände bestellt. Der Hexensabbath un­ ter den eingewanderten Deutschen war crass, von einer großen Anzahl Professoren war bekannt, daß sie Wohnungen in Baden gemietet hat­ ten, andre stopften sich die Speisekammer voll Conserven pp. In Metz sollen militairischerseits ganz enorme Vorkehrungen getroffen worden sein. Wer hier die Sachen mit ansah, konnte in der That nicht auf die Idee kommen, daß hier |:die Leute:| zu Wahlzwecken greulich gemacht würden. Was die Wahlen anlangt, so wird hier vermutlich Kablé17 |:wirklich:| durchfallen, im Übrigen aber schwerlich mehr als 4–5 Au­ tonomisten gewählt werden. Wenn nur der Wahltag erst vorüber wäre, nachgerade wird dies verlogene Getriebe und diese fortwährende Be­ rufung auf päpstliche Autorität doch zu widerwärtig. Der Onkel Her­ mann18 war darüber natürlich besonders erbittert, im Übrigen aber doch eigentlich nicht so nervös erregt, wie nach früheren Erfahrungen man hätte denken können. – Sehr vergnügt und behaglich ist der Verkehr bei den Verwandten. Ich will als Selbstlob vorausschicken, daß ich bereits einmal beinahe und einmal wirklich getanzt habe und heute Abend wieder tanzen wer­ de. Vor 14 Tagen zog ich sogar als Sauvegarde mit 5 jungen Damen in das hiesige Civilcasino, was im Officierscorps Sensation erregte. Ei­ gentümlich, aber wahr ist, daß mir hier, wie ich erst vorigen Sonntag bei Beneckes |:wieder:| Gelegenheit hatte zu bemerken, Verkehr und Unterhaltung mit jungen Damen erheblich leichter fällt, als in Berlin; bis auf Weiteres schiebe ich die Schuld daran den Damen zu. Alles befindet sich hier im besten Wohlsein. Gestern, wo ich, um Emmi19 zum Wiegenfest zu gratulieren, zum Kaffee zu Baumgartens ging, war auch Laura, die vorher an Asthma gelegen hatte, wieder wohlauf. Sie spricht schon viel von ihrem amerikanischen Aufenthalt, 20 ich fand, 16  Der Name konnte nicht ermittelt werden. 17 Jacques Kablé, seit 1878 Reichstagsabgeordneter der Elsässischen Protestpartei, wurde im Wahlkreis Elsaß-Lothringen 8 (Straßburg) wiedergewählt. 18  Hermann Baumgarten. 19  Max Webers Cousine Emmy Baumgarten hatte am 18. Februar ihren 22. Geburtstag gefeiert. 20  Laura Fallenstein war die Tochter von Helene Webers Halbbruder Otto Theodor Fallenstein und dessen zweiter Ehefrau Elisabeth, geb. Beresford Campbell. Früh verwaist, wuchs Laura bei einer Pflegefamilie auf einer Farm in Australien auf, wo sie zuletzt mit ihrer Mutter gelebt hatte. 1881 kehrte sie nach Europa zurück, lebte zeitweilig bei ihrer Halb-

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daß man sich mit ihr über allerhand Dinge, die sie früher principiell und ausschließlich von der moralischen Seite nahm, recht unbefangen unterhalten konnte. Immerhin wird aber ihre Abreise doch eine große Erleichterung sein, da ihre gegenseitige Antipathie mit Anna21 doch fast eine Calamität ist und auch der Onkel doch oft ungeduldig wird, mehr eigentlich, als früher, wo ihr endgültiges Hierbleiben für ausge­ macht galt und er deshalb gewissermaßen resigniert war. Wie es in Hei­ delberg geht, hast Du wohl inzwischen von dort aus erfahren, die Tan­ te22 schien mir besser auszusehen, als oft früher, und der Onkel23 war recht heiter und, was sonst doch selten der Fall, behaglich, sprach seine große Zufriedenheit mit Hans24 aus, war dagegen sehr ungehalten über August; 25 Letzteres ist doch recht schlimm, da es leicht zu unange­ nehmen und fdas Gefühl derf Tante verletzenden Scenen führen kann. August scheint aber in der That energieloser zu sein, als man hätte denken sollen, und dabei von einer ziemlich unangenehm in die Augen fallenden Arroganz. – Hat Dir Tante Betty inzwischen geschrieben? Sie hatten große Lust, zu kommen, besonders die Cousine26 war recht vergnügt, wie mir schien. Ich habe geglaubt, Ihnen etwa den Mai emp­ fehlen zu sollen, wo es ja doch in Berlin eigentlich am schönsten ist. – Schellhaß war, wie ich glaube ich schon schrieb, 27 sehr wohl, er schickt mir soeben ein Packet Wahlreden, die für und wider Bulle in Bremen gehalten sind, 28 „offene Briefe“ und dergl. [,] jetzt moderne Expectora­ tionen. – f–f  für die > das Gefühl der   schwester Emily (verh. Baumgarten) und nach deren Tod 1883 bei verschiedenen Verwandten väterlicherseits, zuletzt bei ihrer Tante Ida Baumgarten in Straßburg. 1887 wanderte sie zu ihrem in den Vereinigten Staaten von Amerika lebenden Bruder Frank T. Fallenstein aus; vgl. Roth, Familiengeschichte, S.  357–369. 21  Anna Baumgarten. 22  Helene Webers Schwester Henriette war mit dem Historiker Adolf Hausrath verheiratet und lebte mit ihrer Familie in der großelterlichen Villa in Heidelberg. 23  Adolf Hausrath. 24  Hans Hausrath, der jüngere Sohn von Henriette und Adolf Hausrath, studierte in München Forstwirtschaft. 25  Adolf Hausrath haderte mit der Entwicklung seines in Bonn Klassische Philologie und Geschichte studierenden älteren Sohnes August; vgl. auch den Brief an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, MWG II/1, S.  486. 26  Elisabeth (Betty) Jolly und ihre gleichnamige Tochter, genannt „Lieserle“. 27 Eine vorangehende briefliche Äußerung Max Webers über Karl Schellhass ist nicht belegt. 28  Der mit Max Weber befreundete Historiker Karl Schellhass stammte aus Bremen, wo Constantin Bulle bei der Reichstagswahl für die Deutsch-freisinnige Partei kandidierte.

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Nun zur Antwort auf die Fragen Deines Briefs. Das Weitermachen der Hemdkragen (bezw. Versetzen der Knopflöcher) wäre sehr er­ wünscht. Wäsche nachzuschicken ist unnötig, ich komme ganz gut aus. Über die Grabstätte habe ich mit der Tante gesprochen, 29 sie hatte damals die Rechnungen nicht zur Hand und ich habe seither vergessen, darauf zurückzukommen, werde es aber heute Abend thun. Die Con­ firmation der Hausräther, über die zu sprechen ich allerdings vergessen hatte, findet, wie Du wohlg inzwischen gehört hast, am Sonntag vor Palmarum statt.30 – Die häuslichen Nachrichten sind ja, Gott sei Dank, alle recht gut; daß Herr Voigt31 fortgeht, erscheint mir eigentlich auch mehr und mehr als das Richtige, da Karl ja also, wie es scheint, wirklich anfängt, die Kinderschuhe auszutreten und dann eine fortgesetzte Curatel ihn nur wieder herunterdrückt. Immerhin freut es mich, daß er in Berlin bleibt und man ihn so doch öfter zu sehen bekommt, auch seine öftere Gegenwart für Karl eine Art Memento bilden wird. Daß Otto nicht gewählt ist, ist recht schade,32 der Onkel33 scheint mit gewohntem Pessimismus die Sache schon vorher für aussichtslos gehalten zu haben, war daher nicht besonders alteriert, um so mehr dagegen Prof. Nowack,34 den ich gestern sprach. Otto kommt Dienstag hierher. – Was schließlich mich betrifft, so kann ich nicht klagen; im Gegenteil. Ich habe die angenehmste Compagnie getroffen,35 gute und geistig ang  〈ursprünglich〉   29  Vermutlich bezieht sich Max Weber auf ein Gespräch mit Ida Baumgarten über das Grab der Familie Fallenstein auf dem Heidelberger Bergfriedhof; Näheres konnte nicht ermittelt werden. 30  Unter den am 27. März 1887 konfirmierten „90 Knaben und 80 Mädchen“ (vgl. [Rubrik:] Lokales, in: Heidelberger Tageblatt, Nr.  74 vom 29. März 1887, S.  2) war vermutlich Max Webers Cousine Paula Hausrath. 31  Johannes Voigt, der Hauslehrer von Max Webers Bruder Karl. 32  Otto Baumgarten war mit seiner beruflichen Situation in Waldkirch bei Freiburg i. Br. unzufrieden (vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. und 18. März 1887, unten, S.  56) und hatte sich vergeblich um die Predigerstelle am Friedrich-Wilhelms-Hospital in Berlin beworben (Brief von Max Weber sen. an Otto Baumgarten vom 11. Febr. 1887, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 33  Hermann Baumgarten, der Vater von Otto Baumgarten. 34  Der mit Otto Baumgarten befreundete Straßburger Professor für Evangelische Theologie Wilhelm Nowack. 35 Die Kompanie, bei der Max Weber die Militärübung absolvierte, ist in seiner militärischen Personalakte (GLA Karlsruhe, 456 E, Nr.  13719) nicht verzeichnet. Auch die Rang-

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geregte Kameraden und liebenswürdige Vorgesetzte. Der Dienst be­ kommt mir brillant, ist ein Vergnügen nach dem öden mechanischen Gerichtsdienst der letzten 2 Monate.36 Bei letzterem wäre ich, da ich ihn eigentlich nur als Zeitverlust betrachten konnte und mir ohnehin |:in letzter Zeit:| das Arbeiten nicht so schnell von der Hand gehen wollte, wie ich gehofft hatte, nur immer noch verdrossener geworden, als ich es zu Zeiten ohnehin war. Augenblicklich ist allerdings von gei­ stiger Arbeit, wenn man nicht das Studium des Exercier-Reglements und der Instruction über das neue Gewehr dahin rechnen will, keine Rede. Es ist dazu auch nicht die Spur von Zeit. – Ich sehe eben, daß der dienstfreie Vormittag, in welchen ich tüchtig hineingeschlafen hatte, herum und es Zeit ist, ins Casino zum Essen zu gehen, will daher, damit der Brief noch fortkommt, lieber schließen. Herzliche Grüße an den Vater und alle Geschwister sowie Herrn Voigt. Dein Sohn Max

und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für 1887 gibt darüber keinen Aufschluß. Daher konnten auch die im folgenden genannten Vorgesetzten und Kameraden nicht identifiziert werden. 36 Max Weber war im Rahmen seines juristischen Referendariats seit Dezember 1886 beim Landgericht II in Berlin; vgl. den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, oben, S.  42 f. mit Anm.  2.

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Helene Weber 16. und [18.] März 1887; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 122–128 Das Datum 18. März 1887 ergibt sich aus dem Briefinhalt: Max Weber setzte den am 16. März begonnenen Brief am „Freitag Mittag“, dem 18. März, fort.

Straßburg, 16. März 1887 Liebe Mutter! Es kommt mir wie ein halbes Jahrhundert vor, seit ich zuletzt etwas von mir habe hören lassen.1 Zwar habt Ihr mich auch lange auf Nachricht warten lassen, und es schien fast, als ob sich die Correspondenz ganz auf den indirecten Weg – via Tante Nixel2 – verflüchtigen sollte. Im­ merhin ist es eine gute Woche her, seit ich durch Deinen ausführlichen Brief erfahren habe, wie es steht, und da jetzt, nachdem heute mit der Vorstellung der Compagnien eine anstrengende – d. h. für die Officiere mehr zeitraubende, als anstrengende – Zeit zum Abschluß gelangt und damit auch der wesentliche Teil meiner Übung beendigt |:ist:|, der Rest meines Aufenthalts weniger in Folge des Dienstes, als in Folge der zahllosen Abschiedsfestivitäten strapaziös sein wird, 3 so ist es hohe Zeit, daß ich noch einmal ausführlich von mir hören lasse. – Wir befinden uns ja jetzt wieder, Gott sei Dank!, im tiefsten Frieden, und es könnte fast scheinen, als ob überhaupt die Sorgen, die man sich gerade um die Zeit, als icha hierher abreiste,b in dieser Beziehung machte, vollkommen unbegründet gewesen wären. Das Letztere indes­ sen kann ich doch entschieden nicht glauben. Wenn man mit erlebt hat, was in militairischer Beziehung hier vorging, so kann man vernünftiger Weise die Behauptung der freisinnigen Preß-Organe, das Kriegsge­ schrei sei zu Wahlzwecken insceniert worden, nur für Unsinn, resp. für niederträchtig halten. Ich glaube wenigstens nicht, daß man umsonst das Proviant-Amt einer großen Festung mit zahllosen Waarenladungen

a  〈ab〉  b  〈mac〉   1  Zuletzt nachgewiesen ist der Brief an Helene Weber vom 19. Febr. 1887, oben, S.  46–53. 2  Emilie (Nixel) Benecke lebte mit ihrer Familie in Straßburg. 3  Das 2. Niederschlesische Infanterieregiment Nr.  47, bei dem Max Weber diente, war seit der Annexion des Elsaß in Straßburg stationiert und wurde zum 1. April 1887 in die Provinz Posen verlegt; vgl. Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr.  47, S.  235 f.

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Büchsenfleisch pp. bis unter das Dach füllt undc eine so fieberhafte Thätigkeit auf den Forts entfaltet, wie das in der ersten Hälfte des Februar geschah und wie ich es, glaube ich, schon damals geschildert habe.4 Ich persönlich habe jedenfalls damals in einem bestimmten Au­ genblick die feste Überzeugung gehabt, daß es in wenigen Tagen losge­ hen werde, und – was übrigensd meine Kameraden ebenfalls gethan haben |:und zwar:| auf Anratene der betr. Compagnie-Chefs5 – mich fast vollständig kriegsfertig gemacht, so daß meine Wohnung mit aller­ lei Mordinstrumenten gespickt ist. Die sehr bedeutende Ausgabe – es ist fast alles Geld, was ich an Officier-Gehalt und sonstigen Compe­ tenzen6 bekommen habe, daraufgegangen, – hat mich nachher, als die Situation sich änderte, ziemlich geärgert, immerhin glaube ich, daß sie |:in der damaligen Lage:| schwer zu umgehen war, ich sie überdies, da es doch wohl zu meinen Lebzeiten noch Krieg geben wird, doch irgend einmal würde machen müssen. Außerdem konnte man grade damals sich einen ungefähren Begriff davon machen, in welche Situation man geraten würde, wenn man genötigt wäre, sich seine Feldausrüstung erst zu beschaffen, nachdem die Mobilmachung bereits verfügt sein würde. Als ich damals zu dem hiesigen Vertreter des Officiers-Vereins7 kam, erfuhr ich, daß nicht nur alles Vorhandene ausverkauft, sondern außer­ dem allein aus Straßburg Bestellungen auf Feldausrüstungssachen in den letzten Tagen vorher im Wert von über 8000 Mk gemacht worden seien. Ich habe dann auf die Sachen, auch auf die unbedingt nötigsten, so lange warten müssen, daß ich im Ernstfalle während der ersten Wo­ chen einfach in Friedensmäßiger Bewaffnung im Felde hätte liegen müssen. – So weit war ich gekommen, da wurde es höchste Zeit, ins Casino zum Essen zu gehen und des Nachmittags war ich zu Onkel Wilhelms Ge­ burtstag bei Beneckes.8 Ich traf dort Tante Ida,9 körperlich sehr elend,

c  〈die〉  d  〈die〉  e  〈mein〉   4  Vgl. den Brief an Helene Weber vom 19. Febr. 1887, oben, S.  46–53. 5  Vgl. die Namensliste in: Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für 1887, S.  177. 6  Die weiteren Einkünfte Max Webers konnten nicht ermittelt werden. 7  Der Name konnte nicht ermittelt werden. 8  Ernst Wilhelm Benecke hatte am 16. März seinen 49. Geburtstag gefeiert. 9  Ida Baumgarten.

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trotzdem aber auf dem Sprunge, nach Waldkirch abzureisen, um Otto10 betreffs dessen Absichten zu sprechen. Es ist Dir wahrscheinlich noch unbekannt, daß Otto, der, wie Du weißt, seine Stellung in Waldkirch gekündigt hat, und, unter Vorbehalt, eventuell in badische Staats­ dienste zurückzutreten, im April ohne Stellung nach Halle zum Zweck des Licentiaten-Examens gehen will, in Bezug hierauf leider mit dem Onkel11 in einen recht schwierigen Conflikt zu geraten in Gefahr ist. Weniger über den Plan an sich: der Onkel scheint zwar die Gründe, die Otto zum Verlassen seiner Stelle bewegen, keineswegs als zwingend anzuerkennen, – ich muß, nachdem mir Otto, der am Montag persön­ lich hier war, dieselben ausführlich auseinandergesetzt hat, allerdings gestehen, daß, wenn nicht die Beibehaltung der Stelle aus pecuniären Rücksichten unbedingt unvermeidlich ist, es mir im hohen Grade wün­ schenswert erscheint, daß Otto dieselbe je eher je lieber aufgiebt, weil in der That, besonders nach der prononcierten Stellung des Schwieger­ sohns des Prälaten Doll,12 für ihn und für die Gemeinde nur ein dau­ erndes deprimierendes Gefühl gegenseitigen Mistrauens dabei heraus­ kommt. Dagegen hat nun aber, wie gesagt, gegenwärtig der Onkel nicht mehr unbedingt etwas einzuwenden, hat aber nun die Bedingung ge­ stellt, daß Otto seinen gegenwärtigen Hausstand auflösen, d. h. also wieder als Junggeselle leben müsse.13 Darauf einzugehen hat sich nun Otto bisher nicht entschließen können. Nun hat die Sache ihre zwei Seiten. Es ist einerseits klar, daß es an sich Jedem als ein Widersinn erscheinen muß, wenn Jemand ohne Stellung zum Zweck eines Ex­ amens auf eine Universität geht und dann eine Haushälterin mit sich führt, daß dies auch schon in pecuniärer Beziehung ein durchaus unge­ wöhnlicher Anspruch an einen Vater ist. Aber andrerseits glaube ich 10  Otto Baumgarten war zum damaligen Zeitpunkt Pfarrvikar in Waldkirch, einem katholisch und industriell geprägten Ort bei Freiburg i. Br. Ein Konflikt mit dem Kirchenvorstand seiner evangelischen „Diasporagemeinde“ sowie sein seitens des badischen Oberkirchenrats nicht erfüllter Wunsch nach einer Stadtpfarrei weckten in ihm das Verlangen nach einer beruflichen Neuorientierung; vgl. Baumgarten, Lebensgeschichte, S.  77–79, sowie Bassi, Otto Baumgarten, S.  26–29. Otto Baumgarten beabsichtigte, eine akademische Laufbahn einzuschlagen und an die Universität Halle zu gehen. 11  Hermann Baumgarten. 12  Der Direktor der bei Waldkirch gelegenen Kollnauer Baumwollspinnerei und -weberei Ferdinand Groß war mit einer Tochter des badischen Prälaten Karl Wilhelm Doll verheiratet. 13 Otto Baumgarten war mit seiner Cousine Emily Fallenstein verheiratet gewesen, die 1883 zusammen mit dem gemeinsamen Sohn Eberhard im Kindbett verstorben war. Seither war Otto Baumgarten Witwer. Seine Frau hatte die junge Haushälterin Luise Ruh mit in den Haushalt gebracht, gegenüber der sich Otto Baumgarten seither verantwortlich fühlte.

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nicht, daß dieser Gesichtspunkt bei dem Onkel derf hauptsächliche ist. Es scheint mir vielmehr, daß es ihm wesentlich darauf ankommen wür­ de, den letzten Rest von Reminiscenzen an Ottos Ehestand zu beseiti­ gen und damit unter all Das, was mit dieser Partie von Ottos Ver­ gangenheit zusammenhängt, endgültig einen Strich zu machen. Wenn ich nun auch entschieden der Ansicht bin, daß, wenn dies Letztere aus­ führbar wäre, es in vielen Beziehungen ein großes Glück für alle Betei­ ligten wäre und eine schwere Last von ihnen nähme, unter der sie noch immer leiden, so glaube ich doch, daß es in Wirklichkeit nur dann mög­ lich sein würde, wenn man Geschehenes ungeschehen machen könnte. Da das nicht angeht, vielmehr die Consequenzen Dessen, was gesche­ hen ist, getragen werden müssen, so glaube ich nicht, daß eine wirk­ liche Auflösung von Ottos Hausstand thunlich ist. Schon aus äußeren Gründen; denn wo soll |:allein schon:| das sehr erhebliche Hausgerät hin? Man müßte es einfach verschleudern und um es in dem doch nicht ausgeschlossenen Fall der Begründung eines neuen Hausstands neu zu beschaffen. Wo soll ferner die gegenwärtige Haushälterin14 hin? Die­ selbe ist ein sehr eigentümliches Mädchen, deren Existenzbedingungen durchaus an die Stellung bei Otto geknüpft sind, und ich glaube kaum, daß Otto die Verantwortung |:tragen kann:|, welche damit verbunden wäre, das einzige Lebensinteresse dieses körperlich und geistig sehr difficilen Wesens, der gegenüber er doch große Verpflichtungen hat, zu unterbinden. Sehr naheliegende innere Gründe lassen überdiesg be­ fürchten, daß Otto, wie er nun einmal veranlagt ist, einen vollkom­ menen Bruch mit seiner Vergangenheit nicht ohne Schaden überwin­ den würde, ganz abgesehen davon, daß |:jedenfalls innerlich:| ein sol­ cher so wenig von ihm wie von irgend einem andren Menschen verlangt werden kann. – Freitag Mittag. Ich ging gestern noch einmal zu Baumgartens, um zu sehen, ob die Tante bei dem furchtbaren Schneewetter glücklich zu­ rückgekommen ist, und außerdem, um Emmi15 Adieu zu sagen, welcheh heute nach Waldkirch abreist. Nach dem, was die Tante mir sagt, scheint mir die Auflösung von Ottos Hausstand zur Zeit einfach un­ thun­lich, nicht Ottos wegen, der dazu |:an sich:| bereit wäre, sondern f  〈durch〉  g  〈doch〉  h  〈morgen〉   14  Luise Ruh, vgl. oben, S.  56, Anm.  13. 15  Emmy Baumgarten.

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deshalb, weil für das Mädchen die so gut wie sichere Folge vollstän­ diger Ruin, eventuell das Irrenhaus, wäre. Die letztere Verantwortung wird wahrlich Niemand auf sich laden wollen, und kann dies nicht durch Erörterungen über Dinge [,] die in der Vergangenheit liegen und durch die es so gekommen ist, geändert werden. Es müßte also um je­ den Preis versucht werden, eine Stellung zu finden, in der Otto in der Lage wäre, seine Existenz in der jetzigen Weise fortführen zu können. Nun ist aber, und das war der eigentliche Grund der Reise der Tante, die Lage der Sache noch verwickelter dadurch geworden, daß der Tan­ te und Otto in Folge verschiedener Äußerungen jetzt, und zwar jetzt zum ersten Mal, – was Ottos vollkommene Arglosigkeit in all diesen Dingen wieder schlagend beweist – [,] der Gedanke gekommen ist, daß darüber, daß Otto eine so junge Haushälterin mit sich führt, Gerede entstehen könne, welches Ottos Stellung unter seiner Gemeinde und damit indirect sein Amt schädigen würde, und daß daher Umstände eintreten könnten, welche eine Lösung dieses Verhältnisses im Interes­ se einer gesunden Wirksamkeit Ottos fast unvermeidlich machen wür­ de. Dieser Gedanke hat nun alle Beteiligten in ganz außerordentlichem Maße erregt, besonders deshalb, weil Otto nun der Ansicht ist, sich dadurch, daß er das junge Mädchen so fest an sich gekettet hat, daß eine Lösung nicht ohne Schaden für sie ablaufen würde, an derselben versündigt zu haben. Kurz, der ganze Fall liegt, besonders eben bei der Art, wie sowohl die Tante als Otto solche Fragen auffassen, recht schwer auf der ganzen Familie und sie thun mir wirklich Alle recht herzlich leid. Ich Weltmensch würde die Sache ruhiger auffassen; ei­ nerseits kann ich das Vorhandensein einer Versündigung da, wo man nach bestem Wissen gehandelt hat und unter Umständen, wo man gar nicht in der Lage war, vorauszusehen, daß dadurch unglückliche Com­ plicationen entstehen könnten, nicht anerkennen und habe darüber mit der Tante eine sehr lebhafte Auseinandersetzung gehabt, andrerseits scheint mir die Sachei, wenn man nicht, wie Baumgartens hier, wie sonst oft, thun, zu ausschließlich darnach fragt: „Wer hat hier sittlich Recht und wer hat sittlich Unrecht?“, sondern vielmehr „Wie kann ich den nun einmal vorhandenen Conflict von Pflichten mit dem gering­ sten inneren und äußeren Schaden für alle Beteiligten lösen?“ [,] nicht so verzweifelt zu liegen. Wenn, wie es meines Erachtens in der That der Fall ist, für jetzt an die dauernde Lösung des Verhältnisses |:ohnej ab­ i  Frage > Sache  j  〈überdies〉  

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solut zwingende Gründe:| nicht gedacht werden kann, weil Otto in der That für die Folgen verantwortlich wäre, und absolut zwingende Grün­ de nicht vorliegen, so muß eben um jeden Preis für Otto eine Stellung gesucht werden, in der zunächst Alles beim Alten bleiben kann. And­ rerseits aber gehört z. B. eine zeitweise Lösung, z. B. während der Zeit von Ottos Aufenthalt in Halle, |:wohl:| nicht zu den Unmöglichkeiten und es ist dann nicht ausgeschlossen, daß die spätere Stellung Ottos sich so gestaltet, daß das junge Mädchen ihre jetzige Stellung, ohne die Wirksamkeit Ottos zu gefährden, wieder einnehmen kann. Ich habe so ausführlich hierüber geschrieben, weil diese Sache für mich, der ich den dabei Beteiligten so viel verdanke und auch diesmal wieder unbe­ schreiblich liebenswürdig aufgenommen worden bin, im Vordergrund des Interesses steht. Onkel Hermann ist übrigens schon seit 11/ 2 Wo­ chen in Wertheim16 bzw. Wien. – Nun zum Schluß noch einiges Geschäftliche: Ich werde so zurückrei­ sen, daß ich Sonntag den 27ten Vormittags wieder bei Euch bin, wie ich mich des Näheren einrichte, weiß ich noch nicht. Ich brauche aber noch etwas Geld, und zwar ungefähr so viel, wie ich auf die Mobilmachungs­ ausrüstung verausgabt habe – ohne diese Ausgabe hätte ich nichts mehr gebraucht – also inclusive der Reise etwa 160–170 Mk, um damit außer der Reise die Casinorechnung incl. einiger officieller Festessen, Abschiedsessen pp, Schuster und Militärschneider zu bezahlen. Ich bin vollständig abgebrannt und möchte gern, wenn möglich, |:noch:|k zum 22ten Geld haben, um an diesem Tage nicht in Verlegenheit zu geraten. Ich will deshalb schleunigst schließen; der Brief wollte wieder gar nicht fertig werden, mir ging allerlei im Kopf herum und ich wurde wider Erwarten zum Einpacken derl Sachen commandiert und daher in der Zeit sehr beschränkt. Clara und Lili vielen Dank für ihre wirklich sehr schönen Briefe; wollen sehen ob ich noch zu einer Antwort komme [.]17 Herzlichste Grüße an Alle, Papa und Geschwister. Dein Sohn Max

k  〈zu〉  l  〈Militär〉   16  Hermann Baumgarten war in Wertheim, wo sein Sohn Fritz Gymnasiallehrer war. 17  Es ist weder ein Schreiben Max Webers an Clara noch an Lili Weber nachgewiesen.

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Emmy Baumgarten [10]. und [11. April] 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist aus den Tagesangaben „Ostersonntag“ und „Ostermontag“ erschlossen; diese Feiertage fielen 1887 auf den 10. und 11. April.

Charlottenburg, Ostersonntag 1887 Liebe Emmi! Nachdem ich mich heute zunächst allgemein christlichen Pflichten ge­ widmet, nämlich |:erst:| als Osterhase fungiert und dann aufgepaßt habe, daß meine kleinen Geschwister nicht beim Eiersuchen in edlem Zorne das ganze Haus demolierten oder sich gegenseitig halb krumm prügelten, – demnächst gesellschaftlichen Pflichten gefröhnt, nämlich Visiten gemacht habe, und endlich in häuslichen Pflichten, wie Essen, Caffee, Spazierengehen, untergegangen bin, finde ich endlich ein ru­ higes Abendstündchen zu einem Besuch bei Dir, um Dir zunächst auf Deinen lieben Brief vom 30/1 86a zu antworten. In demselben finde ich freilich Nichts, auf das ich inzwischen mündlich die Antwort schuldig geblieben wäre, und da komme ich lieber gleich auf die Gegenwart zu sprechen. Es kommt mir schon recht lang vor, seit ich vom Süden und seinen Menschen fort bin1 und noch länger, seit ich nichts gehört habe und nicht, wie ich doch gar zu gern möchte, weiß, wie es bei Euch steht. Hoffentlich ist Alles gut und im Reinen; ich will sehen, alsbald noch zu einem Briefe an Otto zu kommen, 2 will nun aber dafür jetzt nicht an­ fangen, Dir ein Längeres und Breiteres vorzuphilosophieren, sondern sehen, daß ich Dir lieber irgend etwas Ordentliches oder Unordent­ liches erzähle. Also immer der Reihe nach: Als ich, einigermaßen trübe gestimmt, vor 14 Tagen nordwärts sauste, hoffte ich in Frankfurt a/M mein Regt 47 zu treffen.3 Dies gelang weniger, denn ich blieb mit meiner Betrüb­ a  Es handelt sich vermutlich um einen Schreibfehler, lies: 87   1  Max Weber hatte seit Ende Januar an einer Militärübung in Straßburg teilgenommen, wo die Familien seiner Tanten Ida Baumgarten und Emilie (Nixel) Benecke lebten. Am 27. März 1887 war er von dort nach Charlottenburg zurückgekehrt. 2  Der angekündigte Brief an Otto Baumgarten, Emmys Bruder, ist nicht nachgewiesen. 3  Das 2. Niederschlesische Infanterieregiment Nr.  47, dem Max Weber seit seiner Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger (1883/84) angehörte, war zum 1. April 1887 von Straßburg, wo

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nis und mit meinem Freunde Schellhaß4 in lustiger Gesellschaft so lange sitzen, daß der Militairzug es vorzog, nicht auf mich zu warten, in Folge wovon ich per Courierzug nach Leipzig nachsauste, dort mei­ ne Leute einholte und mit ihnen um 9 Uhr Morgens zu Mittag aß. Da es Sonnabend war, wagte ich nicht, Herrn Simons5 aufzusuchen, fuhr vielmehr gegen Abend nach Halle und suchte Grafe6 auf; leider lag seine Frau7 – kennst Du sie? sie ist unbeschreiblich anmutig – noch zu Bett, so daß ich außer ihm nur seine 2 allerliebsten Bengels8 zu sehen bekam. Es entspann sich, wie gewöhnlich, eine lebhafte Discussion über Ottos Kommen,9 das Rade’sche Gemeindeblatt10 (Eindruck des­ selben auf mich bis jetzt = 0), Beyschlag, Evangelischer Bund,11 Pabst,12 Bismarck, Nationalliberale (Grafe rechnet sich zu meinem Verdruß zu den Letzteren), kurz die ganze Welt und noch Einiges. Schließlich wurde es, wie vorauszusehen, eine lustige Geschichte, der Herr Professor erlag der Versuchung und heulte mit dem Wolfe, d. h. er verschwand mit mir meuchlings aus dem Hause und schlug gänzlich über die Stränge. Das Ende vom Liede war, daß er, trotz aller meiner Warnungen, – denn ich war, in Folge des frühzeitigen Mittagessens, ganz schwach vor Hunger – mich zum Souper einlud, was, wie gesagt, unvorsichtig war. Ich glaube, daß er sich nachher vorkommen mußte, wie Christus nach der Speisung der 5000;13 indeß, ich hatte ihn ge­ es seit der Annexion des Elsaß stationiert gewesen war, in die Provinz Posen verlegt worden; vgl. Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr.  47, S.  235 f. 4  Der Historiker Karl Schellhass. 5  Der mit Otto Baumgarten befreundete Theologe Eduard Simons war von 1883 bis 1892 Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirche in Leipzig. 6  Der mit Otto Baumgarten befreundete Theologe Eduard Grafe. 7  Anna Grafe. 8  Erich Grafe. Der Name seines Bruders konnte nicht ermittelt werden. 9  Zu Otto Baumgartens Absicht, seine Stelle als Pfarrvikar in Waldkirch bei Freiburg i. Br. zugunsten einer akademischen Karriere aufzugeben, vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. und 18. März 1887, oben, S.  56 mit Anm.  10. 10  Es handelt sich um das von Martin Rade herausgegebene „Evangelisch-Lutherische Gemeindeblatt für die gebildeten Glieder der evangelischen Kirchen“ (1886/87), aus dem 1888 „Die christliche Welt. Protestantische Halbmonatsschrift“ hervorging. 11  Der Hallenser evangelische Theologe Willibald Beyschlag wirkte maßgeblich an der Gründung des „Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutsch-protestantischen Inter­ essen“ mit, der sich zum Ziel setzte, „der wachsenden Macht Roms“ und der Zersplitterung des Protestantismus entgegenzuwirken sowie „Parteihader“, „Materialismus“ und „Indifferentismus“ zu bekämpfen; Schulthess 1887, S.  2–4, mit dem Gründungsaufruf vom Januar 1887. 12  Papst Leo XIII. 13  Vgl. Markus 6, 30–44.

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warnt, und für ihn als Theologen mag das Gefühl ja interessant gewe­ sen sein. In später Stunde fuhr ich ab, erfuhr in Sangerhausen, daß ich, um mit dem Zuge anzukommen, den mein Vater mir geschrieben hat­ te, 6 Stunden, von Mitternacht an, dort liegen bleiben mußte und ging in ein Gasthaus, um zu schlafen, statt dessen ich aber elend maltrai­ tiert wurde, dermaßen, daß ich Dir diesen Jammer nicht ersparen kann. Mein Zimmer war das Prunkgemach – offenbar wenigstens –, in demselben standen glücklicherweise 2 Betten – „glücklicherweise“ aus bald zu erörternden Gründen –, außerdem aber hing an der Wand über dem einen Bett eine riesengroße Maria in schwerem Goldrah­ men, glänzender Ausstattung, mit einer sorgfältig ins Einzelnste ge­ henden Detailausführung, eine Maria, welche mich mit ihren Augen – und was für welchen! – permanent fixierte, so daß ich noch, als das Licht nicht mehr brannte, fortwährend nach der Seite hin sehen mußte, von welcher aus ich mich durch sie beobachtet fühlte. Dieser Maria war es im Leben so weit recht gut gegangen, denn sie war sehr gut ge­ nährt und unterschied sich von einer reichen Bäuerin nur durch ihren gut gewachsenen Heiligenschein. Nichtsdestoweniger war sie betrübt, sehr betrübt, – denn die Annahme, daß die riesigen Tropfen, welche ihr auf den Backen standen, davon herrührten, daß es ihr ins Gesicht geregnet oder gehagelt habe, wurde durch das höchst schauderöse Ge­ sicht, welches sie schnitt, ausgeschlossen. Die Veranlassung ihres Ver­ drusses, ob, weil ihr übel war, oder, was die Knallröte ihrer Backen vermuten lassen konnte, ein paarb Ohrfeigen – andre, tiefere Gründe schien ihr ganzer Habitus auszuschließen –, war nicht ersichtlich. Der Totaleindruck war ein ästhetischer Mordversuch, und nachdem ich sie betrachtet hatte, mußte ich zuerst entsetzlich lachen, so, wie wirklich noch selten, fand aber dann, daß ich Grafes Souper in der That nicht nötig gehabt hätte, denn wo diese Madonna waltete, konnte von Appe­ tit keine Rede sein. 11/ 2 Stunden verfolgten mich die verglasten Augen im Traum, denn als schließlich das Bett entrüstet unter mir zusam­ menbrach, war es 3 Uhr. Mordsspectakel, Zorn auf meiner Seite, ägyp­ tische Finsternis,14 Lärm umstürzender Wasch- etc. -Tische, als ich wütend umhertappte, Getümmel der übrigen Hausbewohner, und

b O: par   14  Anspielung auf eine von zehn Plagen, die Gott über Ägypten wegen der Weigerung, die Israeliten aus Ägypten ausziehen zu lassen, verhängte (2. Mose 10, 22 f.).

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endlich zwar, |:wie gesagt:| ein zweites Bett, aber kein Schlaf mehr, – das hatte die Maria, die mich im Traum so heftig hin- und hergeworfen hatte, glücklich fertiggebracht. Indessen kam ich wirklich mit dem ver­ abredeten Zugec hier an und traf auf dem Bahnhofe meine Mutter, Herrn Voigt und die 3 Kleinen,15 alle wohl und vergnügt, und über­ haupt das ganze Haus in gutem Stande. So ist es auch noch, d. h. meine Mutter hat sich zur Abwechslung eine Erkältung nebst Kopfschmer­ zen zugelegt und ist des Abends nicht zum Zubettgehen zu bewegen, so daß sie den Tag über müde ist. Das Letztere bildet ja leider keine Veränderung gegen früher, dagegen ist es um so mehr eine solche, und zwar eine sehr bedeutende, daß uns Herr Voigt seit Anfang April nun wirklich verlassen hat. Das ist mir in erster Linie meiner Mutter wegen recht leid, denn sie traf mit ihm in manchen uns immerhin ferner lie­ genden Interessen, besonders kirchlicher Art, so gut zusammen. In zweiter Linie ist erd doch für uns Alle ein rechter Verlust, denn er war wirklich ein so selten taktvoller, ehrlich strebender Mensch, unbefan­ gen und ohne Phrase, daß man daran einfach nur etwas lernen konnte, besonders an der Art, wie er sich in seine vielfach schwierige Situation hineinarbeitete. Für mich war es, trotzdem wir wohl sehr verschiedene Wege wandeln werden, doch oft eine Freude, mit ihm über manches zu sprechen, und ich will nicht verschweigen, vermutlich besonders des­ halb, weil mich das darin von seinere, als des Jüngeren, Seite liegende Vertrauen ehrte, eine Empfindung, die ich um so stärker hatte, als ich aus Erfahrung weiß, wie wenig man grade in dem Stadium inneren Zweifels und allmäliger Heranbildung eines eignen Standpunkts den Dingen gegenüber geneigt ist, Vertrauen entgegenzubringen,f sogar oder, ich möchte beinahe sagen: besonders, denjenigen Menschen ge­ genüber, die Einem von Natur am nächsten gestellt sind. Ich habe es um so mehr als für mich ehrend aufgefaßt, als ich dadurch ein gewisses Gefühl der Verantwortlichkeit bekam, denn jede Beobachtung zeigt, daß der menschliche Geist grade in dieser Situation, wo er mit Ernst bemüht ist, sich auf eigne Füße zu stellen, in gewisser Hinsicht eigen­ tümlich lenksam ist, eben weil er es nicht weiß, daß er gelenkt wird, und so leicht durch irgend einen Einfluß, sei es |:Seitens:| eines erfahc  〈nach〉  d  Alternative Lesung: es  e  〈Seite〉  f  〈selbst dem〉   15 Helene Weber war in Begleitung des Hauslehrers Johannes Voigt und ihrer Kinder Clara, Arthur und Lili.

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renen, oder eines unerfahrenen Menschen, in irgend eine Bahn getrie­ ben wird, auf der er dann eben gin Folgeg seines ernsten Strebens nach festem Boden weitergeht und so leicht eine für seine ganze geistige Le­ bensbahn maßgebende Entscheidung fällt, ohne die Frage ganz über­ sehen zu haben, eine Wahl trifft, ohne überhaupt zu wissen, daß er wählt. Wenn ich nun auch nicht weiß, was ein Theologe zu Dem sagen würde, was ich Herrn Voigt geantwortet habe auf seine sehr mannig­ faltigen Fragen – einige derselben waren im ersten Augenblick frap­ pant, so z. B. gleich in den ersten Wochen unserer Bekanntschaft die plötzliche Frage: „Was halten Sie von der Taufe?“ oder „Würden Sie als Prediger das Glaubensbekenntnis sprechen?“ – so meine ich doch in jedem Falle, so gut ich konnte, ihm auseinandergesetzt zu haben, von welchem verschiedenen Standpunkte aus man die Beantwortung solcher Fragen unternehmen kann. Bezüglich meiner habe ich ihm je­ denfalls stets reinen Wein eingeschenkt, dagegen, wie ich glaube mit Recht, selbst bei der ausführlichsten Discussion vermieden, ihn direkt darnach zu fragen, wie er seinerseits über diesen und jenen wichtigen Punkt denke. Dies deshalb, weil ich, ebenfalls aus Erfahrung, weiß, daß, wenn man in dem Entwicklungsstadium, in welchem Herr Voigt sich befand, zu einer Äußerung über einen Punkt, über den man noch nicht mit sich im Reinen ist, provociert wird,h und nun eine Ansicht darüber geäußert hat, man leicht – denn der Mensch fühlt sich doch natürlich gewissermaßen gebunden an das, was er einmal gesagt hat – nicht mehr unbefangen weiter nach der Wahrheit sucht, sondern, ohne es zu wissen, nur noch nach Gründen, die das, was man einmal gesagt hat, rechtfertigen, und daß man so an seiner eignen Äußerung, die man oft doch nur unter einem momentanen Eindrucke, vielleicht auch in dem unbewußten Drang, nicht zeigen zu wollen, daß man in den Grundlagen schwankt, gethan hat, festgenagelt wird. Nun, Du bist ja eine Hauptpädagogin – i ebenfalls aus Erfahrung bekannt – habe ich denn wohl recht? Das heißt, um nicht misverstanden zu werden, ich meinerseits fühlte mich nicht berechtigt, meine Beziehungen zu Herrn Voigt als pädagogische aufzufassen; ich konnte nur die Aufgabe ha­ ben, ihm, |:so viel an mir,:| seinen gesunden praktischen Blick unge­ trübt zu erhalten, dann, wie ich glaube, wird er, anders als Alfred, der zweifellos auf dem Holzwege ist und der Correctur von außen bedarf, durch den bei ihm vorhandenen Fond leicht |:von selbst:| auf einen g–g  durch > in Folge  h  〈man〉  i  〈d. h.〉  

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Weg gebracht werden, der für ihn positive Resultate ergiebt. Was Alfred betrifft, so sind seine gegenwärtigen Philosopheme meine in­ timsten Bekannten von früher her, und ich kann ihm deshalb wirklich, glaube ich, in mancher Beziehung helfen, da ich doch ungefähr weiß, wie man sich diese Gespenster, mit denen man sich da herumschlägt, verjagt. Das giebt allerdings immer stundenlange Predigten, und zwar meist des Abends, und, da Alfred sich einen mordsmäßigen Donner­ ton angewöhnt hat, auf Kosten des Schlafs des ganzen Hauses, daher mit möglichster Beschränkung. Es macht mir viel Freude, denn es ist ihm wirklich ernstlich drum zu thun, ins Klare zu kommen, und er ist gewissenhaft,j da nehme ich den kleinen Anflug von Theatralischem, der mich bei einem Andren verdrießen würde, gern in den Kauf. Er ist in einer Hinsicht glücklich beanlagt, insofern als er sich seine verschie­ denen Doktrinen leicht und gern künstlerisch und poetisch verklärt, worunter freilich gelegentlich die Klarheit des Denkens leidet, – wäh­ rend ich im gleichen Stadium mir mit einer schauderhaften Nüchtern­ heit und ohne jede schwärmerische Anwandlungk meine abstrusen Consequenzen zog. Die einzige Gefahr ist, daß er |:eben weil:| ihm die Consequenzen nie nackt und ohne Behang poetischer Floskeln entge­ gentreten, aus eigner Kraft schwerer erkennen wird, daß verklärter Unsinn trotzdem Unsinn bleibt und daß ihm eine ganze Seite des menschlichen Lebens unbekannt ist; und hier, glaube ich, ist es richtig, ihm etwas zu helfen. Mit Herrn Voigt und ihm wollte es jetzt zuletzt gar nicht mehr gehen, weil Herr Voigt für seine ästhetischen Ideale nicht so ausschließliches Interesse hatte, dieselben vielmehr schließ­ lich einfach satt bekam, und Alfred nun unliebenswürdig wurde, was in seinem Stadium leicht passiert, – d. h. ich kann nicht über ihn kla­ gen, im Gegenteil. Ostermontag Abend. Soweit war ich gestern gekommen, da ging ich ins Bett, und heute kam ich den Tag über vor Besuch etc. zu nichts Rechtem. Ich sehe nun,l wo ich wieder in den Brief gucke [,] daß ich meinem Vorsatz zuwider 3 Seiten lang fast ausschließlich von Philoso­ phiem |:und Derartigem:| gelebt habe, trotzdem ich mir doch vorge­ nommen hatte, Dich damit nicht anzuöden, sondern nur zu erzählen. Nimm’s nicht übel. Nun zurück zum Text. Ich fand also hier Alles in schönster Verfassung vor, und der Himmel schien mich mit Wohltatenn überhäufen zu wollen, denn einmal traf ich meinen sehr willkürlichen j  〈und〉  k  〈mir〉  l  〈daß〉  m  〈etc.〉  n  〈zu〉  

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und launischen Präsidenten16 so milde gestimmt, daß er mir meine ge­ sammte Straßburger Zeit als Arbeitszeit anrechnete, dadurch also mein Leben um 8 positiv gewonnene Wochen verlängerte, und dann war mein specieller Vorgesetzter, der übel berüchtigte Director,17 zu meiner unbeschreiblichen Freude mit einem steifen Halse gesegnet und der Himmel erhielt ihn in diesem für uns wohlthätigen Zustand, bis ich seiner Fürsorge enthoben und an das Untersuchungsgericht versetzt wurde.18 Da bin ich nun, mache stets, wenn ich da bin, die per­ sönliche Bekanntschaft von so und so viel Leuten, und wenn es auch trist ist, schon immer vorher zu wissen, daß der, welcher eben zur Türe hineinkommt und den man nun kennen lernen soll, vermutlich ein Ha­ lunkeo ist, so ist es doch ein menschenwürdigeres Dasein, als das bishe­ rige, und macht nicht so verdrossen. – Um übrigens doch gleich noch einmal auf die Philosophie zu kommen, so ist dieselbep bei uns auch in weiblicher Gestalt vertreten, und zwar durch eine höchst erstaunliche Freundin meiner Mutter – d. h. eigentlich die Schwester einer Mitcon­ firmandin –, ein Frl. Hesse.19 Dieselbe läßt sich in geistiger Beziehung je nach Belieben mit einer Amazone oder mit einem Luftballon ver­ gleichen. Mit einer Amazone: denn sie ist sehr streitbar, und ein Wort­ gefecht mit ihr ist für Kgl. Preuß[ische] Lieutenants eine |:eigentlich:| zu schwere Aufgabe, besonders ihrer noch zu erwähnenden SpecialLogik wegen [.] Mit einem Luftballon: denn ich habe noch nicht be­ merkt, daß sich ihre Philosophie auch nur mit einer Fußspitze auf dem Boden des realen Lebens bewegte, dieselbe zieht vielmehr luftigere Regionen vor, und zwar so luftige, daß man unter Umständen nur mit sehr scharfen Instrumenten ihren Flug verfolgen kann. Eine Verständio O: Hallunke  p  〈jetzt〉   16  Es handelt sich vermutlich um Rudolf Pannier; vgl. Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat 1886/87, S.  267. 17  Es konnte nicht ermittelt werden, welchen der vier im Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat 1886/87, ebd., verzeichneten Direktoren – R. Buttmann, E. Meißner, Carl Neumann und C. Veltmann – Max Weber meint; vgl. auch den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, oben, S.  4 3 mit Anm.  5. 18 Da Max Weber während seiner praktischen juristischen Ausbildung dem Berliner Landgericht II zugeordnet war (vgl. die Briefe an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887 und an Helene Weber vom 19. Febr. 1887, oben, S.  4 3 und 53), handelt es sich wahrscheinlich um die Staatsanwaltschaft in Alt-Moabit unter Leitung des Ersten Staatsanwalts L. Wachler; vgl. Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat 1886/87, S.  267. 19  Es handelt sich vermutlich um Clara Hesse. Mit deren Schwester Emilie Zumbusch, geb. Hesse, war Helene Weber in Heidelberg konfirmiert worden.

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gung auf diese Entfernung hin ist sehr schwierig. Sie ist eine große So­ cialdemokratin, d. h. sie will die Standes-, Vermögens- [,] etc-Unter­ schiede nebst dem Institut des Zinsnehmens und zahllosem Andren |:schleunigst:| abschaffen und ist überhaupt eine höchst radikale Per­ son. Wenn ich ihr nur erst den heillosen Spinoza, den sie zwar misver­ steht, aber sehr liebt, Letzteres offenbar nur, weil sie auch den lieben Gott, der ihr eine höchst unsympathische Figur ist, gern aus der Welt schaffen möchte und dies mit seiner Philosophie fertig zu bringen meint, wieder aus dem Kopf bringen könnte. Aber in dem letzteren sieht es erstaunlich aus; da laufen die schroffsten Gegensätze in buntem Gewimmel durcheinander, aber sie haben alle aus Lethe’s Strom ge­ trunken, 20 sie kennen einander nichtq und laufen an einander vorüber, denn sähen sie sich einmal wirklich in’s Gesicht und erkannten einan­ der, so würde es ein arges Getümmel da drinnen geben. Überdies gu­ cken aus allerlei Schachteln und Schubfächern vergilbte alte revolutio­ näre Anschauungen heraus und findet sich andrerseits ein Glasschrank mit echten neusten Lassalle’schen Ideen21 vor. Kurz [,] es ist Auswahl vorhanden. Dabei beklagte sie sich neulich bei mir, als ich sie, wie ich öfter und stets gern thue, zur Pferdebahn begleitete, darüber, daß ihr Onkel22 in Berlin behaupte, sie besäße keine Logik, was ihr durchaus unerfindlich sei, da doch jeder Mensch berechtigt sei, seine individu­ eller Logik zu haben. Ich behauptete nun zwar, daß es von Gottes und Rechts wegen an einer Logik in der Welt genug sei, bemerkte jedoch – ein Zugeständnis, welches sie nicht befriedigte, – daß von jeher das weibliche Geschlecht den Anspruch erhoben, und, da aller Wider­ spruch nichts nutze, auch siegreich durchgesetzt habe, seine specielle, von keinem nichtweiblichen Menschen zu gebrauchende Logik zu be­ sitzen. Alles dies indeß, was ich doch durch glänzende Beispiele, be­ sonders bezüglich der absolut vernichtenden Wirkung dieser Art Lo­ gik, aus meinen Straßburger unglücklichen Feldzügens gegen meine

q  〈oder〉  r  specielle > individuelle  s  〈zu Wort〉   20  Nach der griechischen Mythologie einer der das Totenreich umgebenden Ströme; der Genuß seines Wassers löschte die Erinnerung aus. 21  Vermutlich spielt Max Weber auf die zeitgenössische Rezeption von Anschauungen des 1864 bei einem Ehrenduell ums Leben gekommenen Arbeiterführers Ferdinand Lassalle an oder auf Neuauflagen seiner Werke. 22  Der Name konnte nicht ermittelt werden.

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lieben Cousinen23 belegen konnte, befriedigtet die Amazone – auch ihr Exterieur, welches geeignet ist, Bestürzung und Schrecken zu verbrei­ ten, kann ihr diesen Namen eintragen, – durchaus nicht, und ich sehe schon: Mädchen, besonders junge Mädchen – dazu kann sie gewisser­ maßen gerechnet werden – von etwas zu überzeugen, was ihnen nicht paßt, übersteigt menschliche Kräfte. Die Sache hat auch ihren sehr ein­ fachen Grund: Wenn man … baff! da ist der halbe Bogen auch schon wieder zu Ende und nun muß ich wirklich aufhören; Du bist schon ungeduldig bei dem langen Schwatz­ brief, nun – ein ander Mal besser. Den Schluß des Satzes mußt Du Dir denken, es war dummes Zeug und hätte dich doch nur geärgert. Ich sitze aber jetzt wirklich zu tief im römischen Recht, um etwas Besseres als ledernes Zeug zu schreiben, nimm’s für dies Mal nicht übel. Meine Mutter grüßt herzlichst. Otto kommt ja nun schon bald in unsre Nähe. Du mußt ihn aber unbedingt im Sommer einmal besuchen, es ist ganz besonders schön in Halle! Leb wohl, Emmerling, und vergiß nicht ganz, sondern laß doch auch bald einmal etwas von Dir erfahren [,] Deinen Vetter Max Die schönsten Grüße an Dich und die Deinigen.

t  〈indeß〉   23  Neben Emmy Baumgarten deren Schwester Anna sowie Dorothea (Dora) Benecke, die älteste Tochter von Emilie und Ernst Wilhelm Benecke.

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Hermann Baumgarten 25. und [27.] April 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl. 19–22 Max Weber begann den folgenden Brief am 25. April und schloß ihn – wie sich aus dem Inhalt ergibt – am „Mittwoch Nachmittag“, dem 27. April, ab.

Charlottenburg, 25. April 87 Lieber Onkel!

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Seit ich Dir, damals persönlich, zum Eintritt in das siebente Jahrzehnt Deines Lebens Glück wünschen durfte, sind schon wieder 3 Jahre ver­ flossen.1 Die Zeit, die seitdem an uns Allen vorübergegangen ist, er­ scheint mir in der Erinnerung verhältnismäßig lang, – Du wirst von Dir vielleicht das Gegenteil sagen, und beides hat seinen guten Grund. Von mir aus gesehen ist dieser Zeitabschnitt an äußeren Ereignissen und an inneren Wandlungen sehr reich gewesen. Du dagegen stehst nach wie vor in dem gleichen Familien- und Arbeits-Kreise, und wenn daher mein Glückwunscha dem Inhalt nach diesmal derselbe ist wie damals, nämlich: ungetrübt frohes Zusammenleben mit den Deinigen, und ein neues fruchtbares Arbeitsjahr, – so ist er doch in so fern, von meinem Standpunkt aus betrachtet, ein anderer, als ich jetzt mehr als damals weiß, was in diesen Worten beschlossen liegt, und namentlich während jener Zeit dem Verständnis dessen, was wissenschaftliche Arbeit an sich und was sie für den Menschen bedeutet, wie ich hoffe, um ein Be­ trächtliches näher gerückt bin. Wenn ich diesen Wünschen noch einen ferneren, mehr für uns, als für Dich, hinzufügen dürfte, so wäre es der auf ein frohes baldiges Wiedersehen womöglich hier in Berlin. Beifolgend bin ich so frei gewesen, weil ich sonst eine passende Ge­ legenheit nicht wußte, die gegenwärtige zu benutzen, um Dir oder viel­ mehr Euch eine alte Sammlung Gedichte von Treitschke zu schicken, 2 a  〈äußerlich〉   1  Hermann Baumgarten war am 28. April 1825 geboren worden. Daher meint Max Weber vermutlich dessen 59. Geburtstag im Jahr 1884, als er seine Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger in Straßburg, dem Wohn- und Wirkungsort des Onkels, verbrachte. 2  Max Weber schenkte ihm: Treitschke, Heinrich von, Studien. – Göttingen: Samuel Hirzel 1857. Das Geschenk war wohl nicht ohne Hintersinn, hatte Hermann Baumgarten doch mit seiner Kritik am zweiten Band von Treitschkes „Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“ (Leipzig: G. Hirzel 1882) eine Historikerdebatte um Parteilichkeit und Objektivität in der Geschichtswissenschaft ausgelöst.

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die ich schon vor längerer Zeit einmal zu diesem Zweck hier aufgetrie­ ben, bisher aber immer vergessen hatte. Du wirst sie vermutlich ken­ nen, vielleicht aber nicht besitzen, und die Andren kennen sie wohl auch nicht. Es ist vielleicht eine wunderliche Idee, Dir gerade mit Der­ gleichen zu kommen, aber unsb hier, die Treitschkes persönliches Wir­ ken dichter vor Augen haben3 und den entschieden nicht erfreulichen Effect sehen, welchen dasselbe auf die Bescheidenheit des Urteils, die Urteilsfähigkeit und den Gerechtigkeitssinn meiner Altersgenossen ausübt, hat es doch, als wir vor einiger Zeit einmal diese alten Sachen in die Hände bekamen, eine gewisse Freude gemacht, in vielen derc Gedichte den wirklich idealen Grundzug zu finden, der dem so vielfach unglücklichen Mann selbst bei seinen gröbsten Fehlern und Ungerech­ tigkeiten nie ganz abhanden kommt, und uns dann zu vergegenwär­ tigen, daß, wenn gerade seine so übel berufene Wirksamkeit auf dem Katheder wesentlich deshalb so unheilvoll ist,d dies in erster Linie auf Rechnung der Zuhörer, die er hat, zu schreiben ist. Es ist dieselbe Sa­ che wie mit Bismarck: wüßte die Nation den letzteren richtig zu behan­ deln und zu verwerten, im richtigen Augenblick ihm gegenüber fest zu bleiben und ihm da Vertrauen zu schenken, wo er es verdient, – resp. hätte sie dies von jeher verstanden, denn jetzt ist es zu spät, – so hätten die vielfach verwüstenden Wirkungen seiner persönlichen Politik nicht diese Dimensionen annehmen können. Und wenn bei meinen Alters­ genossen nicht an sich schon die Anbetung der militaristischen und sonstigen Rücksichtslosigkeit, die Cultur des sog. Realismus, und die banausische Misachtung aller derjenigen Bestrebungen, welche ihr Ziel ohne Appell an die schlechten Seiten der Menschen, insbesondre die Roheit, zu erreichen hoffen, zeitgemäß wärene, so würdenf die zahl­ losen oft schroffen Einseitigkeiten, die Leidenschaftlichkeit des Kampfs gegen andre Meinungen und die durch den mächtigen Ein­ druck des Erfolgs hervorgerufene Vorliebe für das, was man heute Re­ alpolitik nennt, ihnen nicht das Einzige sein, was sie aus den Treitsch­ ke’schen Collegien mitnehmen, sie würden diesen Dingen gegenüber mit ihrer Meinung zurückhalten resp. sie als unerfreuliche Auswüchse betrachten, darunter aber und zum Teil grade in diesen Extravaganzen b  wir > uns  c  〈Sachen〉  d  〈weil〉  e Fehlt in O; wären sinngemäß ergänzt.   f  〈sie〉   3  Der Historiker Heinrich von Treitschke wirkte lange als Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin sowie als einflußreicher Publizist und nationalliberaler Politiker.

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der politischen Tagesleidenschaft und Einseitigkeit das große und lei­ denschaftliche Streben des Mannes nach idealer Grundlage erkennen und Manches davon mit nach Hause nehmen. So freilich, wie jetzt, ist der Erfolg nur, daß ernste, gewissenhafte, um das Resultat unbeküm­ merte Arbeit, nur im Interesse der Wahrheit, im Curse sinkt und eine flegelhafte Süffisance, die hier oft schon in der Unterhaltung unerträg­ lich wird, und eine ungemeine Roheit des Urteils gegenüber allen nicht „opportunistischen“ Anschauungen sich breit macht. – Manche der Gedichte sind übrigens auch von wirklich poetischer Schönheit, und |:z. B.:| dasg auf seine Taubheit bezügliche „Kranken­ träume“4 betitelt, wirklich ergreifend. – Kurz und gut, ich glaubte, Ihr würdet ein und das andre davon vielleicht gelegentlich einmal nicht ungern kennen gelernt haben, falls Ihr sie noch nicht kennt. – Alle hier grüßen bestens und wünschen mit mir Glück zum neuen Lebensjahr. Ich statte bei dieser Gelegenheit noch meinen Dank ab für Deine und der Andren freundliche Glückwünsche, 5 die mir durch Em­ mi’s6 liebenswürdigen Brief übermittelt wurden. Daß ich augenblick­ lich nicht in Straßburg bin, ist übrigens doch kein Grund zum Gratu­ lieren, wir erleben hier in politischer Beziehung zur Zeit ebenso wenig Schönes wie Ihr in Straßburg. – Es ist leider keine Frage, daß der trüb­ selige Ausgang der Verhandlungen über Elsaß-Lothringen7 fast aus­ schließlich den Rücksichten auf mannigfache Personalia zuzuschrei­ ben ist, der Statthalter8 selbst, der gelegentlich auf einer nationallibe­ ralen Kneipe war, hat dies bestätigt. Obenan steht zweifellos der Wunsch des Kaisers,9 denh vielfach verdienten Mann, der ja auch an g  〈persönlichen〉  h  〈vielf〉   4  Vgl. Treitschke, Studien (wie oben, S.  69, Anm.  2), S.  9 6–103. 5  Es handelt sich vermutlich um Glückwünsche zu Max Webers Geburtstag am 21. April. 6  Emmy Baumgarten. 7 Das aus Sicht der Berliner Regierung negative Ergebnis der Reichstagswahl vom 21. Februar 1887 in Elsaß-Lothringen – es waren durchweg Gegner des Septennats gewählt worden – führte zu einem politischen Tauziehen um den Fortbestand der Statthalterschaft für das Reichsland; vgl. Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu HohenloheSchillingsfürst, hg. von Friedrich Curtius, Band 2. – Stuttgart, Leipzig: Deutsche VerlagsAnstalt 1906, S.  410–419. Alternativ brachte der Staatssekretär im Reichsministerium des Innern, Staatsminister Karl Heinrich von Bötticher, die Rückkehr zu einem dem Reichskanzler unterstellten Oberpräsidium ins Gespräch; vgl. Schulthess 1887, S.  105 f. Unterstützt von Bismarck, hielt sich der Statthalter Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst letztlich im Amt. 8  Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst. 9  Kaiser Wilhelm I.

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der augenblicklichen Situation doch keine Schuld trägt, nicht mit einer Art von scheinbarem Fiasco seine politische Laufbahn beschließen zu lassen. Unsrer Ansicht nach müßte Hohenlohe aber so viel Selbstver­ leugnung besitzen, seinerseits durch Rücktritt dies Hindernis, welches der Beseitigung der Kleinstaaterei bei Euch entgegensteht, zu beseiti­ gen. – Die kirchenpolitische Vorlage ist ja nun auch angenommen;10 manches in den Reden Bismarcks bei dieser Gelegenheit hatte ja in der That noch einmal einen großen weltgeschichtlichen Anstrich und stach, da nun einmal der Sache ein Ende gemacht werden soll, vorteil­ haft gegen das ab, was von den meisten andren Seiten gesagt worden ist, aber traurig ist dieser sang- und klanglose „Frieden“ doch, und je­ denfalls liegt ein Eingeständnis des Unrechts, und zwar schweren Un­ rechts darin, wenn man heute sagt, der Kampf habe nur „politische“ Gründe von unsrer Seite aus gehabt; wenn er für uns in der That keine Sache des Gewissens, sondern nur eine solche der Opportunität war, so haben wir freilich, wie die Katholiken behaupten, das Gewissen des katholischen Volks vergewaltigt aus Gründen, die äußerer Natur wa­ ren, – denn für die Masse der Katholiken war es doch Gewissenssache – und es hat dann freilich nicht, wie wir ihnen |:doch immer:| ent­ gegengehalten haben, Gewissen gegen Gewissen gestanden, wir haben also gewissenlos gehandelt, und sind |:auch:| moralisch die Geschla­ genen, und das ist das Schwerste an der Niederlage, denn es verhindert uns daran, jemals den Kampf so wieder aufzunehmen, wie er aufge­ nommen werden muß, wenn er zum Siege führen soll. Indessen man ist hier sehr kühl z. Z. in dieser Hinsicht, angeblich aus Resigna­tion, weil doch nichts mehr zu machen sei und mani endlich Frieden wolle, – in der That nur, weil der Gedanke an das, was uns in dieser Frage künftig bevorsteht, sehr unbequem und nicht verlockend ist und man gar zu gern ungetrübt gute Zuversicht und eine möglichst quietistische Freu­ de an Dem, „was wir haben“,j sich erhalten [,] bzw. in sich hineinpum­ pen möchte. Der Schreck über die praeter propter 330 Millionen Hee­ resausgaben |:mehr:| ist doch nicht klein; nach allgemeiner Ansicht wäre es Sünde und Schande, wenn die Regierung nicht sofort ihre

i  〈do〉  j  〈bes〉   10  Gemeint ist der Abbau der Kulturkampfgesetze; vgl. Mommsen, Max Weber3, S.  13 f. Zur Beratung der Gesetzesvorlage im preußischen Herrenhaus und zu ihrer Annahme am 24. März 1883 vgl. Schulthess 1887, S.  99–104.

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Steuerprojecte bez. Zucker und Schnaps mitvorlegte,11 schon um das Mistrauen gegen ihre Absichten nicht auf das Äußerste zu steigern. Bez. des Zuckers verhandelt Bennigsen12 z.Z. mit Bismarck, wie es scheint, mit leidlichem Erfolg. Der Schnaps liegt wohl noch im Argen; ohne daß irgendwie eine nicht unerhebliche Entschädigung der großen Brenner dabei herauskommt, wird es nach allgemeiner Ansicht nicht abgehen. – In unsrem Landtag war neulich, auf Anregung des einen Adjutanten des Kronprinzen und offenbar auf Wunsch der Kron­ prinzessin, das Project unter der Hand besprochen, dem Prinzen Hein­ rich zur Verlobung 1 Million zu schenken. Fortschritt und Centrum waren dafür gewonnen [,] beide, weil ihnen diese den preußischen Tra­ ditionen widersprechende Einführung englischer parlamentarischer Gebräuche behagte. Herr v. Benda hatte auf eigne Hand auch unter­ schrieben für seinek Partei; indeß mein Vater und Andre schlugen Lärm und er mußte seine Unterschrift zurücknehmen.13 Damit war die Sache tot. Der Fortschritt hatte bei dem albernen Plan auch noch bez. des Kronprinzen seine observanzmäßigen Hintergedanken. Diese Art von taktlosem Servilismus, den diel Herren in dieser Richtung jetzt treiben, ist doch widerwärtig. Nebenbei teuschen sie sich wahr­ scheinlich in ihm. – Ich habe eine Art Schreibkrampf in den Fingern, kann deshalb nicht besser und will daher, um Deine Augen nicht zu übermäßig in An­ spruch zu nehmen, nicht länger schreiben. Ohnehin ist es inzwischen, k O: seiner  l  diese > die   11 Zur Reform der Branntwein- und Zuckersteuer vgl. Schulthess 1887, insbes. S.  135, 139–142, 149 f. bzw. S.  145 f. und 151. 12  Der nationalliberale Politiker Rudolf von Bennigsen setzte sich in der Debatte um die Zuckersteuer für die Belange der Zuckerindustrie ein; die Zuckersteuer wurde dennoch 1888 leicht erhöht bei gleichzeitiger Reduktion der Steuerrückvergütungen bei der Ausfuhr; vgl. Paasche, Hermann, Zuckerindustrie und Zuckersteuer, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. von Johannes Conrad u. a., Band 8, 3. Auflage. – Jena: Gustav Fischer 1911, S.  1076 f. 13  Näheres zu dem geplanten Geldgeschenk an Heinrich von Preußen, der zweitälteste Sohn von Kronprinz Friedrich Wilhelm (ab dem 9. März 1888: Kaiser Friedrich III.) und der Kronprinzessin Victoria, anläßlich seiner Verlobung mit Prinzessin Irène von Hessen am 22. März 1887 konnte nicht ermittelt werden. Ebensowenig bekannt ist, welchen Adjutanten Friedrich Wilhelms Max Weber damit in Zusammenhang brachte (das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat 1886/87, S.  31, verzeichnet drei persönliche Adjutanten: Gustav von Sommerfeld, Gustav von Kessel und Hermann Freiherr von Vietinghoff) und welche Rolle dabei Robert von Benda, ein führender Vertreter der nationalliberalen Partei, spielte.

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da Lisabeth Jolly14 hier ist,m schon Mittwoch Nachmittag geworden und der Brief kommt so wie so zu spät. Ich wollte gleichzeitig einen Brief an die Tante abschicken, fürchte aber, daß derselbe erst Sonn­ abend fortkommt,15 da morgen und übermorgen den Tag über alles Denkbare hier los ist. Der Emmi werde ich für ihren lieben Brief aus­ führlichst selbst danken.16 Alle hier, auch Lisabeth, grüßen herzlichst, wie es auch thut Dein Neffe Max. Da mein Brief an die Tante nicht rechtzeitig mehr kommen wird,17 schicke ich ihr vorläufig schon jetzt die herzlichsten Glückwünsche mit.

m  〈und〉   14  Max Webers Cousine Elisabeth (Lieserle) Jolly. 15  Der angekündigte Brief an Ida Baumgarten ist nicht nachgewiesen. 16  Vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 8., 11. und 12. Mai 1887, unten, S.  75–84. 17  Ida Baumgarten feierte am 29. April ihren 50. Geburtstag.

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Emmy Baumgarten 8., [11. und 12.] Mai 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Den folgenden Brief hat Max Weber am 8. Mai begonnen und – wie sich aus dem Brief­ inhalt ergibt – am Mittwoch, 11. Mai 1887, fortgesetzt („Der letzte Satz […] ist schon nicht mehr am Sonntag, sondern am Mittwoch Abend geschrieben.“). Am Donnerstag, dem 12. Mai 1887 („es ist Donnerstag“), wurde er abgeschlossen.

Charlottenburg 8/5 87 Lieber Emmerling!

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– denn ich muß Dich diesmal mit Deinem männlichen Vornamen nen­ nen, weil ich mich nachher mit Dir zu zanken gedenke und mir sonst der Respekt einen Klecks aufs Papier macht, wie er mir bei münd­ licher Beschäftigung mit jungen Mädchen in der Regel einen Klecks auf die Zunge zu machen pflegt –, also: erstens den allerschönsten Dank für Deinen Brief, über den ich mich abscheulich gefreut habe. Zwar, wenn man einem Referendar dazu gratuliert, daß er leider wie­ der ein Jahr älter geworden ist, so kann das eigentlich doch nur Scha­ denfreude sein, indessen einmala lasse ich mir eine solche Schaden­ freude, wenn sie die Veranlassung eines so lieben langen Briefs wird, ganz gern von Dir gefallen, und außerdem kann ich ja den Glück­ wunsch auf das beträchtliche Quantum Weisheit und Verstand bezie­ hen, um welches ich vermutlich nach Deiner Ansicht zunehmen muß und hoffentlich zunehmen werde. Jedenfalls ist es eigentlich arg, daß ich noch nicht früher geantwortet habe, aber jede Besserung tritt all­ mählich ein, und so habe ich meine schlechten Angewohnheitenb in der Correspondenz auch nicht mit einem Male los werden können und außerdem ist jetzt hier sehr viel los. Nicht als ob ich mich grade bei meiner Thätigkeit am Gericht überanstrengte.1 Dieses weniger, denn, sei es aus Freude über das endlich angebrochene schöne Frühjahr, oder vielleicht, weil sich – eine naheliegende Vermutung – die Folgen meiner segensreichen Thätigkeit in der Justiz bereits fühlbar machen, a  〈läßt man〉  b  〈die〉   1  Max Weber war während seiner praktischen juristischen Ausbildung dem Berliner Landgericht II zugeordnet; vgl. die Briefe an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, an Helene Weber vom 19. Febr. 1887, oben, S.  4 3 und 53, und an Ferdinand Frensdorff vom 16. Juni 1887, unten, S.  88.

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genug, die Menschen begehen fast nichts und der Untersuchungsrich­ ter2 und wir, seine Henkersknechte, haben gute Tage. Sondern, ich bin durch zweierlei sehr in Anspruch genommen. Erstens bin ich jetzt wie­ der ein sehr fleißiger Student geworden und höre mehr Collegien, 3 als oft während meiner Universitätszeit, muß in Folge dessen schon Mor­ gens um 7 und zu ähnlichen, kurz nach Mitternacht liegenden, Stun­ den aufstehen, was mir würdigem kgl. preuß[ischen] Beamten sauer fällt. Und zweitens ist, wie Du weißt, jetzt Lieserle Jolly4 hier und ich versuche wieder, mit der Grazie eines Bären, auf der Strippe der Lie­ benswürdigkeit Seil zu tanzen. Aber davon nachher, jetzt will ich zu­ erst einmal zu Deinem Brief kommen. Du hattest ja eigentlich nur Er­ freuliches zu erzählen, besonders der Erfolg von Lauras Nasenkur war ja wirklich überraschend, – wenn er dauert. Wie wird das nun mit ihrer Abreise, ich weiß den Termin noch immer nicht fest, feiert sie ihren Geburtstag noch hier?5 Das ist freilich wahr, daß man nicht ohne Be­ sorgnisc dem Erfolg dieses ungewöhnlichen Schrittes entgegensehen kann, obgleich ich mir denken könnte, daß manche der vorauszuse­ hen­den inneren Schwierigkeiten von ihr nicht so schwer empfunden werden, jedenfalls nicht das Gefühl von Bitterkeit hervorrufen wer­ den, wie hier doch oft, weil sie mit einem großen, günstigen Vorurteil für amerikanische Freiheit hinüberkommt und dann vielleicht von vorne herein vor dem Factum, daß die andren Menschen dort auch ih­ ren eignen, von dem ihrigen abweichenden Kopf haben, mehr Respect hat, als hier. Abgesehen von den Befürchtungen für ihre Zukunft in äußerer Beziehung, d. h.d pecuniär, würde ich eigentlich mehr als vor Andrem davor Besorgnisse hegen, daß ihr bezüglich ihrer america­ nischen Verwandten6 erhebliche Enttäuschungen hinsichtlich der

c  〈die〉  d  〈pecuniär〉   2  Hier handelt es sich wahrscheinlich um die Staatsanwaltschaft in Alt-Moabit unter Leitung des Ersten Staatsanwalts Wachler; vgl. Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat 1886/87, S.  267. 3  Vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  11 f. 4  Max Webers Cousine Elisabeth (Lieserle) Jolly. 5  Die gemeinsame Cousine Laura Fallenstein, die unter Asthma litt, wollte in die Vereinig­ ten Staaten von Amerika auswandern; vgl. den Brief an Helene Weber vom 19. Febr. 1887, oben, S.  50 f. mit Anm.  20. 6  Außer Laura Fallensteins Bruder Frank T. zählten dazu ihr Onkel Friedrich (Fritz) Fallenstein, der sich seit der Emigration Francis Miller nannte, mit einer weitläufigen Familie sowie der Cousin Emil Fallenstein.

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Höhe des geistigen Standpunkts derselben bevorstehen. Aber auch da­ für wird sie vielleicht eine geeignete Brille mitnehmen. Auch daß Euch der Abschied von Otto7 nicht so leicht wurde, glau­ be ich gern, in mancher Hinsicht wird sich ein Plätzchen wie Wald­ kirch, welches mit manchem speciell für Otto Unzuträglichem doch für Andre, z. B. Dich, dene Reiz eines stillen Verstecks verband, nicht so leicht wiederfinden. Indeß ist ja Halle z. B. für Dich doch nicht uner­ reichbar, wie ich immer wiederholen möchte, in der Hoffnung, Dich bald einmal in den Norden zu locken. Und für die erste Zeit wird der Tausch auch mehr für Andre, z. B. Luise,8 als für ihn, ein unange­ nehmer sein, denn die Anregungen, welche man, soviel ich weiß, als Theologe jetzt dort haben kann, müssen wohl recht vielseitige sein, und wie sehr Otto das Bedürfnis darnach hatte, habe ich besonders lebhaft schon bei dem ungemeinen Vergnügen, welches ihm der kurze Aufenthalt in Berlin machte, empfunden. Der Verkehr mit Dr. Grafe9 bringt jedenfalls immer „Leben in die Bude“, er ist ein sehr lebenslu­ stiger Mann, – ungefähr in allen Dingen, außer etwa in |:den:| theore­ tischen Anschauungen, ziemlich genau das Gegenteil von Otto, und ich glaube, daß wenn Grafe nicht außer wirklich seltner persönlicher Liebenswürdigkeit ein erhebliches Teil Phlegma besäße, es zwischenf beiden oft zu erheblichen Krachs kommen würde. Wir haben hier bis­ her noch keine Nachrichten über sein Ergehen in Halle, hoffen aber, daß sich zu Pfingsten irgendwie ein persönliches Wiedersehen einrich­ ten lassen wird. – Recht gefreut habe ich mich, daß Ihr an der sicher vorzüglichen Auf­ führung der Jungfrau von Orleans durch die Meininger10 solche Freu­ de gehabt habt. Dies deshalb, weil es nicht Jedermanns Sache heutzu­ tage ist, an Schiller’schen Sachen sich zu erfreuen. Die übertriebene e  〈Vorzug eines〉  f  für > zwischen   7  Otto Baumgarten hatte den badischen Kirchendienst verlassen und war nach Halle gezogen, um an der dortigen Universität das Lizentiat zu erwerben; vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. und 18. März 1887, oben, S.  56 mit Anm.  10. 8  Luise Ruh, Otto Baumgartens Haushälterin. 9  Der Theologe Eduard Grafe hatte eine außerordentliche Professur in Halle inne. 10 Das Herzoglich Meiningische Hoftheater, das federführend an der Entwicklung des Regietheaters beteiligt war, führte während eines Gastspiels am Stadttheater von Straßburg das Schauspiel „Die Jungfrau von Orleans“ von Friedrich Schiller erstmals am 10. April und letztmals am 17. April 1887 auf; vgl. [Rubrik:] Theater, in: Straßburger Post, Nr.  98 vom 9. April 1887, 1. Bl., o. S., und Nr.  105 vom 17. April 1887, o. S.

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ausschließliche Anbetung Goethes verdirbt grade den Leuten, die sich viel mit Litteratur befassen, den Geschmack für Schiller und macht sie überhaupt gegen alles Andre als Goethe so ungerecht, daß ich mich oft, z. B. bei Alfred und seinen Altersgenossen, darüber geärgert habe. Denn was kann mir das Alles helfen, wenn die Leute uns heute erzäh­ len, wie Alles umfassend die Goethe’sche gdichterische Auffassungg sei und wie man darin den ganzen Inhalt des menschlichen Lebens von A bis Z beschlossen finde, wenn ich nachher eine Seite, und die wich­ tigste, kaum berührt finde. Denn die Menschen pflegen im Allgemei­ nen doch ihr Leben nicht so aufzufassen, als ob es für sie nur darauf ankäme, sich in ihrer Haut wohl zu fühlen und dem Leben eine Seite abzugewinnen, von welcher sie es genießen können und sie werden auch keineswegs nur vor die Frage gestellt, auf welchem Wege sie zum Glück und innerer Befriedigung gelangen resp. nicht gelangen, – diese Frage ist aber die tiefste, deren man in Goethes Werken – z. B. auch im Faust –, wenn man die Sache nüchtern und genau nimmt, überhaupt habhaft wird, und Alles, auch die schwierigsten ethischen Probleme, wirdh von diesem Standpunkt aus beleuchtet. Denn sieh, es ist doch eigentümlich, daß der Goethe das Nichtswürdige nur als solches emp­ fand, wenn es zugleich das Häßlichei und Kleine war, dagegen keine deutliche Empfindung davon hatte, wenn es unter der Form gewisser schöner Gefühle – cf. die „Wahlverwandtschaften“ – oder in gigan­ tischer Größe – cf. seine Begegnung mit Napoleon11 – entgegentrat. Bei ihm war eben doch die Form Alles, und so auch an seinen Dichtungen, d. h. ich jverstehe hier unter „Form“j nicht etwa die Schönheit der Verse, sondern die Form, unter der die Dinge gedacht werden. Und deshalb war er ein großer Künstler, denn er beherrschte die Form wie wenige, und mittelst der Form macht der Künstler aus einem Gegenstand Das, was er will, aber als Dichter und Schriftsteller stellen sich ihm, denke ich, doch noch Andre zur Seite. Ich könnte mir denken, daß Deine Mutter12 hiermit einverstanden sein würde. – g–g  Kunst > dichterische Auffassung  h O: werden  i  〈war〉  j–j  meine damit > verstehe hier unter „Form“   11  In der Skizze „Unterredung mit Napoleon“ schildert Johann Wolfgang von Goethe 1824 die persönliche Audienz, die ihm der französische Kaiser am 2. Oktober 1808 in Erfurt gewährt hatte; vgl. Goethe, Johann Wolfgang von, Tag- und Jahreshefte als Ergänzung meiner sonstigen Bekenntnisse, von 1807 bis 1822 (Goethes Werke, Band 36). – Weimar: Böhlau 1893, S.  269–276. 12  Ida Baumgarten.

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Der letzte Satz, lieber E[mmerling], ist schon nicht mehr am Sonn­ tag, sondern am Mittwoch Abend geschrieben. In der Zwischenzeit bin ich nicht zum Schreiben gekommen, weil ich etwas mehr zu thun hatte, die beiden Abende in Berlin war und die Tage über, soweit sie arbeits­ frei waren, mit Lieserle umhergeströmt bin, heute z. B. im Reichstage und Abgeordnetenhaus, sei nur nicht zu böse darüber, daß ich sok un­ gezogen lange mit der Beantwortung Deiner Briefe im Rückstand blei­ be. Wie gesagt, ich bin jetzt viel mit L[ieserle] unterwegs und kann nur sagen, daß es ein rechtes Plaisir ist, denn Du hattest ganz recht, sie ist wirklich ein bei aller Feinheit der Gewohnheiten sehr liebenswürdig natürliches und anspruchsloses Mädchen, hat auch das nicht bei Jedem, aber bei Vielen, z. B. bei ihr, sehr angenehme Talent, sich zu explicie­ ren, und es ist eine ganz lustige Wirtschaft hier. Ich wenigstens finde meine Rechnung dabei, und die Cousine ist, scheint mir, genügsam. – Aber halt! ehe ich etwas von hier erzähle, muß ich noch einmal zu Deinem Briefe. Also Du findest, Du könntest die Rückseite des Dr. Wolfram13 leichter bewundern, als die vordere, und hegst die christliche Hoffnung, dies werde mich ärgern? Ei, ei! worüber denn da der Ärger? Doch wohl nicht darüber, daß ein so kluges Mädchen nicht weiß, daß, wie die Geschichtel von dem „Einen dem’s zu Herzen ging, daß ihm der Zopf so hinten hing“,14 beweist, Niemand etwas daran ändern kann, wenn der l[iebe] Gott ihm die Schönheit nicht vorn, son­ dern aus Versehen hinten hin gesetzt hat? Darüber könnte ich doch nur sagen „Emmerling, ich hätte Dir vor verständiger taxiert,“ wie Onkel Bräsig.15 Es muß doch wohl was Andres sein, und ich glaube fast, Du möchtest mich ärgern, indem Du ein wenig über die moralischen Prü­ gel triumphierst, die Du mir im Verein mit den Andren in Straßburg appliciert hast, wenn wir auf das Thema vom „feinfühligen Menschen“ zu sprechen kamen. Aber warte! m da kommst Du mir recht, denn von hier aus brauche ich mich nicht gegen 3 auf einmal zu wehren, sondern k  〈bummelig im Be〉  l  〈von〉  m  〈das〉   13  Es handelt sich vermutlich um Georg Wolfram, einen Schüler von Hermann Baumgarten. 14  Zitat aus dem Gedicht „Tragische Geschichte“ von Adelbert von Chamisso (1822); vgl. die populäre Liedadaption in: Allgemeines deutsches Kommersbuch. Unter musikalischer Redaktion von Fr[iedrich] Silcher und Fr[iedrich] Erk, 26.  Aufl. – Lahr: Schauenburg 1886, S.  678. 15  Max Weber zitiert die Romanfigur „Onkel Bräsig“; vgl. Reuter, Fritz, Ut mine Stromtid, Dritter Theil (Olle Kamellen, Band 3). – Wismar: Hinstorff 1888, S.  234.

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habe es mit Dir allein zu thun, und gehe zum Angriff über. Denn, liebe Pharisäerin, auch die Art der Geselligkeit und der dabei üblichen Un­ terhaltung ist ein Zopf, der dem Einzelnen und der Gesammtheit hin­ ten hängt, und wer, wie Ihr, in der glücklichen Lage ist, einen ange­ nehmen und wertvollen geselligen Verkehr, wie sie schon die kleineren und weniger officiellen Kreise und dann auch das süddeutsche Naturell mit sich bringt, zu haben, darf doch nicht, wenn ein junger Mann seine durch unsre hiesige Art corrumpierten Begriffe über die Aufgabe der Geselligkeit mitbringt, nun sich damit begnügen, dem Himmel zu dan­ ken, daß er „nicht ist, wie jener Zöllner.“16 Denn nicht Mangel an Fein­ heit, sondern verkehrte Begriffe von Zweck und Wesen der geselligen Unterhaltung sindn es, welche Verstöße, wie ihr sie dem armen Wolfram17 vorwerft, hervorruften. Es ist ganz einfach; man faßt bei uns zum Schaden aller Beteiligten die Geselligkeit wesentlich nur noch als Pflicht auf, die man sich versüßt, so weit möglich. Dies zeigt sich schon in der Zusammensetzung der Gesellschaften. Es heißt doch sonst: „nach der Arbeit ist gut ruhen“,18 und es ist kein Grund, dies nur auf die einzelne Tagesarbeit zu beziehen. Ebensogut paßt es auf die Lebensarbeit. Man sollte also meinen, das wesentliche Element in Ge­ sellschaften müßten diejenigen bilden, welche schon ein Stück Tagwerk hinter sich haben und auf Leistungen im Leben zurückblicken. Um sie müßte sich die Geselligkeit drehen, sie ihr Mittelpunkt, das Übrige nur Anhängsel sein. Aber nein! hier ist es anders: im Mittelpunkt grade der größten und umfangreichsten Arten der Geselligkeit steht das In­ teresse der jungen Welt, um sie dreht sich die Sache, ihr Interesse, sich zu amüsieren, giebt das Maß sowohl für den Umfang, wie für die Art dero Vereinigung. Da nun die Geselligkeit für sie nicht die Bedeutung des Ausruhens nach des Tages bezw. Lebens Last und Hitze haben kann, muß sie für sie Selbstzweck sein, eine Institution, welche um ih­ rer selbst willen da ist und der man nun die besten Seiten abgewinnen muß, wohl oder übel. So auch die Unterhaltung, das kann mir Niemand n  ist > sind  o  〈Vereini〉   16 Zitiert nach Lukas, 18,11: „Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst also: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.“ 17  Georg Wolfram, vgl. oben, S.  79, Anm.  13. 18 Das Sprichwort „Nach getaner Arbeit ist gut ruhen“ wird zurückgeführt auf Ciceros Sentenz „Jucundi acti labores“ („Angenehm sind die getanen Arbeiten“).

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abstreiten. Interesse für den Menschen als Menschen treibt Niemand aus dem Kreise seiner Familie, wo er Gelegenheit genug zu unerschöpf­ lichem Menschenstudium findet, auf dem Ball, wo er hie und da ein paarp oberflächliche Worte wechselt, fast stets dieselben, jedenfalls keine Erweiterung der Menschen- sondern höchstens der Toiletten­ kenntnis findet. Consequenz dieses Zwecks der Unterhaltung ist das Streben nach einer gewissen Routine darin, was einfach Erfüllung ei­ ner Verpflichtung ist, denn die sociale Rücksicht erfordert, daß eine Unterhaltung stattfinde. Mit andren Worten, die Schnoddrigkeit wird großgezüchtet, und hier in Berlin sind damit glänzende Resultate er­ zielt, und zwar wesentlich auch bei den Damen, d. h. grade denjenigen, welche man als Edelsteine jeder geselligen Vereinigung vorfindet. Das aber ändert leicht die ganze Stellung der Geschlechter. Einem solchen kritisch angehauchten Mädchen mit dem fabelhaften Sprechanismus gegenüber kann Jemand wie z. B. ich wohl Verlegenheit empfinden, – wer geriete nicht, wenn er sich nicht auf das Schleusenbauen versteht, einem Wasserfall gegenüber in solche, – aber nie „Befangenheit“, wie man sie im ersten Augenblicke stets einem nicht über die Schranken ihres Geschlechts hinausgehenden Mädchen gegenüber empfindet und welche, wie ich glaube, ein sicheres Kennzeichen dafür ist, daß dies nicht geschehen. Denn ich halte diese „Befangenheit [“] keineswegs für ein Zeichen sei es des Mangels an Selbstvertrauen, sei es der Unge­ schicklichkeit, sondern für das Bewußtsein der Grenzen, innerhalb de­ ren sich der gesellige Verkehr der Geschlechter zu bewegen hat, ein Bewußtsein, welches durch fortgesetzte Erfahrung zu größerer Klar­ heit ausgebildet werden und dadurch des unangenehmen Beige­ schmacks von Ängstlichkeit, welche der Befangenheit, so lange sie un­ klar ist, anhaftet, entkleidet werden kann. Die ganze richtige Ausbil­ dung eines Menschen in dieser Beziehung ist also nicht Frage eines angeborenen „feineren Gefühls“, sondern der fortgesetzten richtigen Erfahrung. Bei corrupten geselligen Zuständen ist solche Erfahrung nicht möglich, der Betreffende kann nicht zu Klarheit über den Grund der Befangenheit kommen und schlägt, um die unangenehme, damit verbundene Ängstlichkeit loszuwerden,q mit der letzteren auch das mit darin liegende Richtige, tot. So kann man es bei uns in zahllosen Fällen beobachten. Wenn nun Jemand, der in unsren geselligen Zuständen im Norden aufgewachsen ist, jene Grenze nicht kennt, wer ist dafür ver­ p O: par  q  〈|:mit:| auch alles〉  

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antwortlich? Lediglich die geselligen Zustände bezw. die Qualität der jungen Damen, mit denen zu verkehren er Gelegenheit hatte, denn die­ ser sind daran schuld, daß er nicht in der Lage war, die richtigen Erfah­ rungen zu machen. Denn es ist eine alte Sache, daß, wenn auch bei Unterhaltungen der Regel nach das männliche Geschlecht die Initiati­ ve übernimmt, das weibliche Geschlecht die Grenzen bestimmt, und es hängt daher lediglich von dem weiblichen Geschlecht ab, ob ein junger Mann daran gewöhnt wird, ein für alle Mal, auch wenn ausnahmsweise ein junges Mädchen (z. B. Frl. Fittigs)19 ihrerseits nicht für die richtige Grenzziehung sorgt, seinerseits dieselben inne zu halten. Das ist Sache der Erfahrung, nicht principiell zu bestimmen. Also: im vorliegenden Fall liegt die Schuld, wie in allen ähnlichen Fällen, beim weiblichen Geschlecht. Wir sind derber construiert, die Grenzen des Unterhaltungsstoffs sind für unser Geschlecht nach einer durch die Jahrtausende bestehenden Anschauung – die nicht von heut auf morgen durch Principienaufstellung zu beseitigen ist – erheblich weiter gezogen, als für Euch. Wenn daher Ihr wollt, daß wir unsrerseits bei Unterhaltungen die Euch gezogenen engeren Grenzen innehalten, so müßt Ihr selbst dieselben nicht überschreiten, sonst könnt Ihr es wenigstens Jemandem, der noch nicht Gelegenheit hatte, durch die richtigen Erfahrungen auch seinerseits die Eurem Geschlecht gezo­ genen Grenzen zu erkennen, nicht zum Vorwurf machen, wenn er die für ihn gegebenen für die allgemein maßgebenden hält. Ich glaube nicht, daß z. B. Dir oder Einer von Euch seitens eines jungen Mannes das widerfahren würde, was Frl. Fittigt sich allein durch Ihre Schuld zuzog. Also – schließe ich meine Strafpredigt – Du thustu dem armen Wolfram Unrecht und bist in dieser Beziehung ein Pharisäer, oder viel­ mehr, was schlimmer ist, eine Pharisäerin. Das wirst Du ja nicht zuge­ ben, versteht sich, Du würdest, wenn wir jetzt mündlich verhandelten,v wieder auf Deine Theorie zurückkommen, daß ein junger Mann von „feinem Gefühl“ darin doch anders verfahren würde, genau wieder dasselbe sagen, wogegen ich 3 Seiten gepredigt habe, aber dagegen ist eben nichts zu machen, das ist jene unüberwindliche weibliche Logik,w r  〈hab〉  s O: Fittich  t O: Fittich  u  Unsichere Lesung: 〈Herrn〉  v  〈genau〉   w  〈welch〉   19  Möglicherweise handelt es sich um Georgine Anna Fittig (ab August 1887 verh. Rasch) oder ihre Schwester Emma Adele, die Töchter von Rudolph Fittig, ordentlicher Professor für Chemie in Straßburg.

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deren Hauptmanöver darin besteht, daß sie, wenn man glücklich eine Position erobert hat und weiter vorgeht, sie einem hinterm Rücken wie­ der besetzt, so daß man den ganzen Angriff wiederholen muß und so immer wieder, bis man vorzieht, sich für den Besiegten zu bekennen. Außerdem ist bekanntlich auch das in der neueren Kriegsgeschichte hinlänglich bekannte „sprungweise Vorgehen“ eine Specialkunst die­ ser |:Art:| Logik. Das war der Schluß, für den ich in meinem vorigen Brief keinen Platz mehr hatte, 20 nun wäre ich aber noch auf den begie­ rig, den Du, wie Du sagst, Dir denken könntest und der mich ärgern sollte. – Siehst Du, das kommt davon, anstatt Dir etwas Vernünftiges zu erzählen, habe ich Dir eine Strafpredigt von 4 Seiten gehalten, und muß nun sehen, wie viel Platz noch auf dem Bogen für etwas Andres ist. Ich erfahre von Alfred, der Deinen Brief inzwischen bekommen hat, daß Laura schon übermorgen abreist, 21 das thut mir leid, ich hätte ihr gern noch brieflich Adieu gesagt, dazu ist es nun – es ist Donnerstag – zu spät, denn ich kann des Tags kaum wenige Augenblicke zum Schrei­ ben kommen und bin sehr in Eile dabei. Hier geht es gut, Alles ist so­ weit wohl, Lili in der Schule. Letzteres ist natürlich eine recht amü­ sante Geschichte, Lili benimmt sich bei der ganzen Affaire mit echt Berliner Unbefangenheit. Denk Dir, daß doch so eine ganze Klasse in ihrer Schule aus 5 Kindern besteht. Das hat ja seine Vorteile und geht namentlich bei Mädchen ganz gut; bei Jungen würde es ganz verfehlt sein, denn einer der Hauptabschnitte seines Lebens, wo er zuerst hin­ auskommen soll in das Getriebe von Menschen, diex zu ihm keine Be­ ziehungen haben und unbekümmert um ihn ihren Wegen nachgehen, und unter denen er sich nun zurechtfinden, eine Stellung unter ihnen gewinnen und Anschluß suchen muß, wie das sonst unter dem Gewim­ mel von Schulkameraden der Fall ist, kommt ihm, wenn er so mit 3–4 Andren wie zu einem permanenten Kaffeeklatsch zusammenkommt, nicht zum Bewußtsein. Für mich hat diese ganze Schulgeschichte viel Amüsantes, auch hatte ich immer viel Interesse für Töchterschulen und wie es darin zugehen möchte, und meine Frl. Schwestern sind die x  〈sich〉   20  Vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 10. und 11. April 1887, oben, S.  6 6–68, hier insbes. S.  68, in dem Max Weber seine Überlegungen zur vermeintlich weiblichen Logik mit den Worten beschließt: „Wenn man … baff! da ist der halbe Bogen auch schon wieder zu Ende“. 21  Vgl. oben, S.  76 mit Anm.  5.

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ersten Damen, die ich darnach zu fragen wage. – Ich sehe, daß mir über all dem Schwatzen gar kein Raum mehr zum Erzählen bleibt, nimm’s nicht übel, das nächste Mal bessere ich mich. Diesmal ging es immer etwas in der Eile, da wird man dann breit. Leb wohl, laß Dir’s gut ge­ hen und auch mal was hören. Bezüglich des Antwortensy vergilt nicht Böses mit Bösem. Lieserle und Alle hier grüßen, so auch Dein V. Max Sollte, was ich nicht glaube [,] der Brief noch vor Lauras Abreise an­ kommen, so grüße sie bitte noch recht schön von mir. Und auch die Deinigen.

y  Wartenlassens > Antwortens  

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Emmy Baumgarten 31. Mai und [3. Juni] 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber beendete den folgenden, am 31. Mai begonnenen Brief – wie aus dem Briefinhalt hervorgeht („gestern, Donnerstag […] [haben wir] Logierbesuch bekommen“) – am 3. Juni 1887.

Charlottenburg 31. V. 87 Liebe Emmy!

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– Erschrick nicht, daß ich schon wieder schreibe, es ist durchaus nichts passiert. – Bis zum Ausrufungszeichen war dieser Brief schon vor einigen Ta­ gen gediehen, und ich bin nur nicht zum Weiterschreiben gekommen, weil wir gestern, Donnerstag, nach Lieserles Abreise1 gleich wieder Logierbesuch bekommen haben und vorher, weil Lieserle in den Tagen vorher nicht recht auf dem Damm war und ich alle mir zu Gebote ste­ hende Sophistik aufbieten mußte, um sie am früheren Reisen zu ver­ hindern. Ich wollte zweierlei. Das Eine ist durch Deinen lieben Brief erledigt, nämlich, daß ich gern mit ein paara Worten Nachricht über Euer Befin­ den haben wollte, da Ihr eine Weile geschwiegen hattet und neulich, ich weiß nicht wer, behauptete, es gehe bei Euch nicht besonders. Zwei­ tens, und deshalb schreibe ich doch: wir haben von hier zwei Mal, mei­ ne Mutter vor 3 Wochen, ich kürzlich, an Otto2 geschrieben und die Briefe an Grafe3 zur Beförderung geschickt; er hat jetzt geantwortet, aber seine Adresse verschwiegen. Letztere wüßten wir gern, da wir nicht gern noch öfter Grafe als Transportmittel benutzen möchten, und doch, da Otto zu Pfingsten nicht konnte, möglichst bald ein Zusam­ mentreffen mit ihm verabreden möchten, da im Juli meine Mutter fort ist und er erst für dann seinen Besuch in Aussicht gestellt hat. Nimm doch, bitte, eine Postkarte, und schreib mir seine Adresse drauf, wenn Dich Deine mütterlichen Pflichten dazu kommen lassen. Übrigens a O: par   1  Zum Besuch der gemeinsamen Cousine Elisabeth (Lieserle) Jolly in Charlottenburg vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 8., 11. und 12. Mai 1887, oben, S.  76 und 79. 2  Der Brief an Otto Baumgarten ist nicht nachgewiesen. 3  Der Hallenser Theologe Eduard Grafe.

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trifft Otto wegen seines langen Schweigens kein Vorwurf, er war ver­ reist und antwortete gleich nach der Rückkehr, allerdings im Lapidar­ styl, aber er hat viel zu thun. Deine mütterlichen Pflichten übrigens und die Erzählung davon flößten mir, so weit dies noch möglich, noch mehr Respect ein und ich bedaure nur, daß ich keine Gelegenheit habe, denselben an den Tag zu legen, da ich leider nicht, wie ich wohl möchte, zu Deinen augenblicklichen Unterthanen in der Goethestraße gehöre.4 – Lieserle ist jetzt abgereist, wie gesagt. Du hattest, wie vorauszusehen, Recht, sie ist wirklich ein sehr liebes Mädchen und hat sich mit mir bis zum Prügeln (inclusive) gezankt, fast wie in Straßburg. Auf Deinen sehr lieben Brief antworte ich bald. Für jetzt schicke ich nur meine Verwunderung darüber voraus, daß Du mich, der sonst zu den Dickhäutern zählt, doch offenbar für ein sehr empfindsamesb We­ sen hältst, wenigstens taxierst Du meine schöne Strafpredigt von neu­ lich5 für den Ausdruck sittlicher Entrüstung oder eines beleidigten Gemüts und packst in Deinem Brief sorgsam Watte auf die, wie Du meinst, verwundete Stelle meiner Seele. Da bist Du aber doch schief gewickelt, Emmerling; ich versichere Dich, es sitzt sich sehr behaglich auf hohen Pferden und ich war bei dieser Gelegenheit aus purem Plai­ sir Prediger in der Wüste. Jetzt wo ich sehe, daß ich Dich mit all der dummen Weisheit, die ich, um mich für Deine Neckerei zu rächen, Dir vorgepredigt habe, doch etwas geärgert habe, komme ich lieber doch als reuiger Sünder und verspreche, es nicht wieder zu thun. Diese Buße bin ich Deiner mir gegenüber wirklich zu großen Gutmüthigkeit schul­ dig, die es für nötig hält, mich darüber zu beruhigen, daß Du nicht auf mich habest anspielen wollen. Auf die Idee bin ich gar nicht verfallen, und wenn es der Fall gewesen wäre, so hätte ich mich eben tüchtig re­ vanchiertc, hoffentlich aber nicht geärgert, denn dasd wird mir leider nicht leicht. Aber, wie gesagt, ich antworte erst nächstens, da ich jetzt doch nicht dazu kommen kann, so lange unser Logierbesuch hier ist. – b  〈Natur〉  c O: revangiert  d  〈halte ich für ungesund und thun thue ich〉   4  Das einzige bebaute Grundstück Goethestraße 1 in Straßburg gehörte der mit Emmy Baumgarten und Max Weber verwandten Familie Benecke; vgl. Adreßbuch der Stadt Straßburg, 2. Theil. – Straßburg i. E.: Wilhelm Heinrich 1888, S.  49. Emmy Baumgarten half offensichtlich bei der Beaufsichtigung der jüngsten Kinder ihrer Verwandten. 5  Max Weber meint seine Ausführungen über die vermeintlich weibliche Logik im Brief an Emmy Baumgarten vom 8., 11. und 12. Mai 1887, oben, S.  79–83.

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Für diesmal sei nur schönstens für Deinen Brief bedankt, laß Dir’s gut gehen und grüße Alle schönstens, auch „Deine Kinder“ und deren rechtmäßige Eltern.6 Ob meine Mutter im Sommer nach Heidelberg geht, steht noch nicht fest; wahrscheinlich aber. Ich werde ganz hierbleiben. Schönsten Gruß und bitte, |:schick mir:| eine Postkarte Dein Vetter Max

6  Emilie (Nixel) Benecke und Ernst Wilhelm Benecke.

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Ferdinand Frensdorff 16. Juni 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  10, Bl.  4 –5

Charlottenburg 16. VI. 87 Hochverehrter Herr Professor! Gestatten Sie mir, auch meinerseits zu Ihrem Wiegenfeste1 meine herz­ lichsten Glückwünsche für Ihr neues Lebensjahr zu senden, verbunden mit dem Wunsche, daß es mir während desselben vergönnt sein möge, Ihrer so freundlichen Einladung entsprechend Sie im Kreise der Ihri­ gen in Göttingen wiederzusehen. Das Göttinger Semester2 ist nach wie vor eine der angenehmsten Erinnerungen aus meiner Studentenzeit, wesentlich der Combination von ruhiger Arbeitszeit mit angenehmem und einfachema Verkehr wegen, was leider in großen Städten und be­ sonders hier so gut wie ganz fehlt bezw., was den Verkehr anbetrifft, auf ein Niveau heraufgeschraubt ist, wo er zum Selbstzweck wird. Ich bin deshalb so frei, nochmals, wie ich es bereits hier mündlich gethan habe, Ihre freundliche Einladung mit bestem Dank anzunehmen unter der Voraussetzung, daß es mir möglich sein wird, hier abzukommen. Letzteres hoffe ich mit Bestimmtheit, da ich inzwischen meine Vorge­ setzten gewechseltb und dabei, wie ich glaube, einen sehr guten Tausch gemacht habe, und zwar auch, was die Art der Beschäftigung anlangt. 3 Wenigstens merkt man bei der gegenwärtigen Thätigkeit, bei den Ci­ vilkammern, doch wieder, was längst nicht mehr der Fall gewesen ist, daß man nicht eine degenerierte Species eines Canzlisten, sondern ein vielfach der Verbesserung zugänglicher Jurist ist, und bei einer juristi­ schen Behörde, nicht in einer schlechten Schreibschule gedrillt wird. – Meine Eltern waren in den letzten Tagen kurze Zeit in Frankfurt a /M. in Familienangelegenheiten und haben dort auch Herrn Dr a O: einfachen  b  〈habe〉   1  Ferdinand Frensdorff war am Tag zuvor 54 Jahre alt geworden. 2  Max Weber hatte im Wintersemester 1885/86 in Göttingen studiert. 3 Einen Teil seiner praktischen juristischen Ausbildung absolvierte Max Weber von Dezember 1886 bis November 1887 am Landgericht Berlin. Im Laufe des ersten Halbjahres war er von der Straf- an die Zivilkammer des Landgerichts II gewechselt; im Brief vom 22. Januar 1887 an Ferdinand Frensdorff, oben, S.  4 3, hatte er sich noch über einen „pedantischen Director“ an der Strafkammer beklagt.

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Schellhaß, und zwar in bestem Wohlsein, angetroffen, der auch seiner­ seits bestimmt vorhat, nach Göttingen zu kommen,4 ein Wiedersehen, auf welches ich mich gleichfalls sehr freue. Übrigens hörte ich, daß der Frankfurter Stadtarchivar, Dr. Grotefend, seine Stelle aufgeben wird, aus einer Äußerung des Dr. Höniger entnahm ich, daß auch der Letz­ tere wohl daran zu denken scheint, sich eventuell um die Stelle zu be­ werben; feste Absichten scheint er indeß noch nicht zu haben. – Wir Alle hoffen, daß Sie das neue Jahr im besten Wohlsein im Kreise der Ihrigen angetreten haben werden, insbesondre meine Mutter sen­ det Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin5 die herzlichsten Grüße, wie es, mit der Bitte, mich auch Ihren Frl. Töchtern6 bestens zu empfehlen, gleichfalls thut Ihr dankbarer Max Weber, Referendar

4  Vom 7. bis 10. August 1887 wurde das 150. Universitätsjubiläum der Georg-August-Universität in Göttingen gefeiert. Aus diesem Anlaß reiste Max Weber am 7. August 1887 nach Göttingen; vgl. den Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1887, unten, S.  109 f. 5  Anna Cäcilie Frensdorff. 6  Else und Käthe Frensdorff.

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Hermann Baumgarten 29. Juni 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  23–25

Charlottenburg d. 29. VI. 87 Lieber Onkel! Noch länger auf Deinen freundlichen Brief schweigen, hieße in den al­ ten Fehler zurückverfallen, drum will ich den freien Abend benutzen, Dir für denselben herzlich zu danken. Wir stehen hier jetzt schon in dem Stadium, daß der größere Teil der Familie an den Aufbruch nach Süden denkt und man sich überlegt, wie es mit Einrichtung des Haus­ halts sowohl für die, welche gehen, als für die, welche bleiben, gehalten werden soll. Leider bleibe ich nämlich nicht allein hier zurück, – „leider“ einmal deshalb, weil ich es wie eine Reise in fremde Luft emp­ finde, wenn ich einmal eine Zeit lang allein hier sitze und ruhig arbei­ ten kann, dann aber auch, weil die Veranlassung, welche mir Gesell­ schaft schafft, keine erfreuliche ist. Es hat sich die Notwendigkeit herausgestellt, Karl, welcher seine Schulpflichten nach wie vor in ganz unerhörter Weise vernachlässigt, seitdem sein früherer Mentor, Herr Voigt,1 fort ist, die Ferien über hier zurück- und durch Herrn Voigt, der für die Zeit wieder herzieht, gründlich häuslich unterrichten zu lassen, da sonst bei dem sehr geringen Ernst und Ehrgefühl des Jungen und der erfahrungsmäßigen Unmöglichkeit ordentlichen Arbeitens in Hei­ delberg zu besorgena wäre, daß ein Aufenthalt dort ihm Veranlassung geben würde, endgültig zu verbummeln. Es thut mir dies weniger des Jungen wegen, der nur ausbadet, was er sich selbst eingebrockt hat, als meiner Mutter wegen wirklich recht leid – ich schreibe darüber noch an Emmy, der ich einen Brief sehr schulde und heute oder morgen dazu zu kommen hoffe.2 – Dein Brief klang in politischer Beziehung recht trübe und wirklich, wer sollte sich darüber wundern. Bezüglich Elsaß-Lothringen scheint mir eine stets wachsende Interesselosigkeit Platz zu greifen, unter meia  〈werde〉   1  Johannes Voigt. 2  Max Weber schrieb erst später; vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 5. und 12. Juli 1887, unten, S.  9 6–106.

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nen Altersgenossen wird überhaupt wenig von Politik, nie aber vom Elsaß gesprochen, keiner ist darüber informiert. Undb von Intensität der cBeschäftigung mit E[lsaß]-L[othringen]c in den Kreisen der Be­ rufspolitiker zeugt es wahrlich doch auch nicht, daß mir neulich ein Landtags-Abgeordneter, der bekannte Bimetallist Arendtd 3 (frei­ cons[ervativ]) sagte, die Annexion sei deshalb unthunlich, weil das Stimmenverhältnis im Bundesrat alteriert würde, wenn Preußen die e[lsaß]-l[othringischen] Stimmen (!) miterhielte.4 Ich muß unhöfli­ cherweise meinen Schreck über diese Ignoranz eines Abgeordneten nicht auf dem Gesicht haben verbergen können, denn seither straft er mich mit einer Art gereizter Verachtung. Mir scheint, daß man bei uns ein großes Bedürfnis nach Optimismus hat. Denn offenbar sieht man absichtlich weg von Allem, was keine wenigstens äußerlich glänzende Seite hat. – Hier sehen die Leute teils mit Freude, teils mit Abscheu zurück auf die finanzpolitischen Ergebnisse der letzten Session. Beides wohl mit gleich wenig Recht. Das Zuckersteuergesetz5 wird für wenig geschickt gehalten, und das Branntweinsteuergesetz6 ist sicher herzlich schlecht. Aber immerhin wäre es doch möglich, und scheint wahrscheinlich, daß unsre allgemeinen politischen Zustände sich besserungsfähiger erwei­ sen werden, nachdem die Regierung aus ihren Hauptängsten bez. der Reichsfinanzen heraus ist und das ewige Zerren an dem Geldbeutel der Steuerzahler, welches den ganzen Inhalt des letzten Jahrzehnts zu 9/ 10 bildete, endlich voraussichtlich zu einem solchen Erfolg geführt hat, daße für längere Zeit dieses widerwärtige Markten aufhören kann, und die Möglichkeit geschaffen ist, an andre Dinge zu denken. Es kann

b  〈daß〉    c–c  Interesses > Beschäftigung mit E[lsaß]-L[othringen]    d O: Ahrendt   e  〈|:die Regierung:|〉   3  Otto Arendt, Abgeordneter der Freikonservativen im preußischen Abgeordnetenhaus, setzte sich für eine Doppelwährung mit Gold- und Silbermünzen (Bimetallismus) ein. 4  Das Reichsland Elsaß-Lothringen verfügte bis zu einer Gesetzesänderung 1911 über keine Stimme im Bundesrat (Deutsches Reichsgesetzblatt, Band 1911, Nr.  29, S.  225). 5  Das „Gesetz, die Besteuerung des Zuckers betreffend“ vom 9. Juli 1887 (vgl. Deutsches Reichsgesetzblatt, Band 1887, Nr.   26, S.   308–328) wurde im Reichstag vom 16. bis 18. Juni in zweiter und dritter Lesung beraten und gegen die Stimmen der Sozialdemokratie und der Freisinnigen durch die Abgeordneten der Konservativen, der Reichspartei und der Nationalliberalen sowie des Zentrums angenommen; vgl. Schulthess 1887, S.  151. 6 Das „Gesetz, betreffend die Besteuerung des Branntweins“ vom 24. Juni 1887 (vgl. Deutsches Reichsgesetzblatt, Band 1887, Nr.  21, S.  253–272).

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deshalb doch wohl, den immerhin recht schwierigen hiesigen Verhält­ nissen nach, diese Gesetzgebung im Interesse des Reichs als ein großer Fortschritt zu besseren allgemeinen politischen Zuständen bezeichnet werden. Was übrigens die Verhandlungen über die Gesetze anlangt, so war es wieder sehr niederschlagend, zu sehen, in welch unglaublicher Weise die freisinnige Fraction den Liberalismus compromittiert. Denn was soll man zu einer Partei sagen, welche seit Jahren, so oft an das Reich eine Ausgabe-Anforderung herantrat, diese ablehnete, da die Mittel dazu nicht nachgewiesen seien, und jetzt, wo Mittel geschafft werden sollen, diese mit der ausdrücklichen Motivierung abweist, daß kein Bedürfnis dazu nachgewiesen sei, – Eine heitre Zwickmühle! – welche ferner erklärt dem Reiche das Geld eventuell gern zu bewilli­ gen, nur nicht den Brennern, und dann für einen Antrag (Lieber – Spahn) stimmt, welcher die Steuersätze zwar um je 20   herabsetzt,7 die Differenz aber, also den Profit der Brenner, in gleicher Höhe beste­ hen läßt, so daß letzterer relativ sogar enorm viel größer gewesen wäre, und |:also:| nur, um ja der Regierung so wenig Geld wie möglich zu bewilligen, den Brennern ihren Vorteil lassen will, wenn nur das Reich geschädigt wird. Wo bleibt da Treu und Glauben? Aber sie speculieren nur pessimistisch: je toller es jetzt hergeht, desto besser für unsre Frac­ tion, – es giebt ein gutes Agitationsmaterial. Sie speculieren schon jetzt nur auf die nächsten Wahlen und – traurig aber wahr – auf den Thron­ wechself; der Servilismus, der in ihren Kreisen mit dem Kronprinzen getrieben wird, ist lächerlich. – In Letzterem werden sie sich vermutlich gewaltig teuschen. Es bestätigt sich, daß |:nur:| Bismarcks persönliches Eingreifen es verhindertg hat, – daß der Chirurg Bergmann hier dem Kronprinzen |:fast:| den ganzen Kehlkopf herausoperierte8 u. damit eine ernste Lebensgefahr und jedenfalls Verlust der Sprache herbei-

f O: Tronwechsel  g  gehindert > verhindert   7 Es handelt sich um den Antrag der Zentrums-Abgeordneten Ernst Lieber und Peter Spahn vom 12. Juni 1887; vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, Band 4,2. – Berlin: Sittenfeld 1887, Nr.  194/III, S.  1425. 8  Der Professor für Chirurgie Ernst von Bergmann hatte gemeinsam mit seinen Kollegen eine Kehlkopferkrankung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm (ab dem 9. März 1888: Kaiser Friedrich III.) als Karzinom diagnostiziert und zur Operation geraten. Der hinzugezogene englische Spezialist Morell Mackenzie und eine mikroskopische Untersuchung durch Rudolf Virchow bestätigten den Verdacht jedoch zunächst nicht; vgl. Schulthess 1887, S.  152 f.

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führte. Man glaubt hier, daß unter Umständen dieser Umstand eine ganz enorme Umwälzung in dem persönlichen Verhältnis der Kron­ prinzessin zu B[ismarck] herbeigeführt haben könne,9 und dem Letz­ teren der kronprinzlichen Familie gegenüber eine völlig andre Stellung zu geben geeignet sei, ein Umstand, der bei der zweideutigen Natur des Kronprinzen nicht bedeutungslos sein kann. – Sehr merkwürdig ist das Schauspiel, welches sich hinsichtlich des Verhältnisses der katholischen Kirche zum Staat bei uns vollzieht.10 In der Provinz Posen sind einigen der tollsten Schreier der Centrumspres­ se die Mäuler gestopft, über ein Dutzend Einsprüche gegen Pfarran­ stellungen im Sinne des Staates erledigt, verschiedene Priester von kirchlichen Vorgesetzten im Sinne des Staates mit Rügen, Verbot der publicist[ischen] Thätigkeit etc. gemaßregelt, deutsche Geistliche hin­ berufen und Ähnliches, direct gegen alle Tradition des dortigen Cle­ rus. Man begreift kaum, wie das möglich ist, und es ist schon die An­ sicht wiederholt ausgesprochen worden, daß es Bismarck gelungen sei, der Curie nahezulegen, daß die Interessen des Staats und der ka­ thol[ischen] Kirche in dieser Gegend zusammen, nämlich gegen Ruß­ land, laufen, daß wir aber die katholischen Polen Rußlands nicht gegen Letzteres ausspielen können, so lange bei uns selbst die Germanisie­ rung nicht fortschreitet, und daß demnach wirklich die Stellung Roms zu den preußischen Polen eine andre geworden sei. Wie dem sei, diese entente cordiale ist auffällig. Wir hoffen, daß es Euch Allen gut geht, und meine Mutter denkt, glaube ich, daran, während ihres Heidelberger Aufenthalts noch ein­ mal persönlich in Straßburg vorzusprechen und sich nach Eurem Wohlsein umzusehen. Hoffentlich ist auch die Tante, über die Emmy’s Bericht nicht glänzend lautete wieder ganz wohl, es läßt sich leicht den-

9  Anspielung auf die politischen Differenzen zwischen der liberal gesinnten Kronprinzessin Viktoria von Preußen und dem Reichskanzler Otto von Bismarck. 10  Max Weber bezieht sich im Folgenden auf Vorgänge im Zusammenhang mit der Beilegung des Kulturkampfs und der Wiederannäherung von Staat und Kirche nach der Verabschiedung des zweiten preußischen Friedensgesetzes vom 29. April 1887; vgl. Born, Karl Erich, Preußen im deutschen Kaiserreich 1871–1918. Führungsmacht des Reiches und Aufgehen im Reich, in: Neugebauer, Wolfgang (Hg.), Handbuch der preußischen Geschichte, Band 3. – Berlin, New York: W. de Gruyter 2001, S.  15–148, hier S.  105.

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ken, was Lauras Abreise11 in körperlicher undh innerlicher Beziehung für alle Beteiligten bedeutete. Wie es Laura in Amerika geht, schreibt mir soeben Lieserle Jolly,12 ich weiß nicht, von wem sie es gehört hatte. Eine recht traurige Genugthuung, daß nun das eintritt, was Jeder au­ ßer ihr befürchtet hatte! Was soll aber daraus, auch nur rein äußerlich und pecuniär betrachtet, werden? Onkel Fritz13 wird sie doch schwer­ lich bei sich behalten können, und der Gedanke, daß sie ganz auf eig­ nen Füßen eine Stelle in Texas, die Emil Fallenstein14 ihr verschaffeni will, annehmen sollte, ist doch sehr unheimlich. Es ist traurig zu den­ ken, daß ihr erst jetzt das Verständnis für den Wert dessen aufgehen wird, was sie in Deutschland zurückläßt. – Doch es ist spät geworden, lieber Onkel, und meine Handschrift hat sich in Folge des heillosen Protokoll-Schreibens und verwandter Be­ schäftigungen wieder so sehr verschlechtert, daß ich beim besten Wil­ len nur so kritzeln kann, wie es hier geschieht, und soj nur das reine Augenpulver zu stande bringe. Ich möchte deshalb für diesmal Deine Augen nicht länger in Anspruch nehmen und Dich nur noch bitten, Alle Straßburger Verwandten herzlichst zu grüßen von Deinem treuen Neffen Max Goldschmidt hat ein Buch über das juristische Studium publiciert,15 über 400 Seitenk. Etwas lang für dies Thema. Die Frage der Monumen-

h  〈geistiger〉  i  〈wollte〉  j  〈mir〉  k  〈über dies Thema〉   11 Max Webers Cousine Laura Fallenstein hatte bei der Familie ihrer Tante Ida Baum­ garten in Straßburg gelebt, bevor sie am 13. Mai 1887 zu Verwandten in die USA ausgewandert war; vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 8., 11. und 12. Mai 1887, oben, S.  76 mit Anm.  5. 12  Max Webers Cousine Elisabeth (Lieserle) Jolly. 13  Helene Webers Halbbruder Friedrich (Fritz) Fallenstein lebte als Farmer in Mount Airy, North Carolina. – Zur amerikanischen Verwandtschaft Max Webers und Laura Fallensteins vgl. auch: Zu den Kindern und Enkeln von Georg Friedrich Fallenstein aus der ersten Ehe, MWG II/4, S.  711–716. 14  Emil Fallenstein, ein Sohn von Helene Webers Halbbruder Roderich, betrieb in Austin, Texas, eine Kurzwarenhandlung. 15 Es handelt sich um: Goldschmidt, Levin, Rechtsstudium und Prüfungsordnung. Ein Beitrag zur Preußischen und Deutschen Rechtsgeschichte. – Stuttgart: Enke 1887.

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ta Germaniae ist noch unerledigt. Man spricht davon, ein Verwaltungs­ beamter solle die Leitung erhalten, da die Professoren sich nicht ver­ tragen könnten, oderl Rudolf Grimm.16

l  Unsichere Lesung: 〈der Althistoriker〉   16  Durch den Tod von Georg Waitz am 24. Mai 1886 war das Amt des Präsidenten der Monumenta Germaniae Historica (MGH) vakant geworden. Ein kaiserlicher Erlaß kündigte im November 1887 an, der Präsident der MGH solle „künftig Rechte und Pflichten eines Reichsbeamten“ haben. Zwei Jahre lang leitete Wilhelm Wattenbach, Professor für Historische Hilfswissenschaften an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, die MGH kommissarisch, bis überraschend dessen Schüler Ernst Dümmler, Professor für Geschichte und Historische Hilfswissenschaften der Universität Halle, zum Präsidenten ernannt wurde; vgl. Fuhrmann, Horst, „Sind eben alles Menschen gewesen“. Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert. Dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter. – München: Beck 1996, S.  52 ff., sowie Bresslau, Harry, Geschichte der Monumenta Germaniae historica (Neues Archiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde zur Beförderung einer Gesamtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters, Band 42). – Hannover: Hahn 1921, S.  619–637. Über die Rolle, die der preußische Regierungsrat (Georg) Rudolf Grimm, ein Sohn von Wilhelm Grimm, dabei spielte, ist nichts bekannt.

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Emmy Baumgarten 5. und [12.] Juli 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber beendete den folgenden Brief – wie sich aus dem Briefinhalt ergibt („Ich fing grade vor einer Woche an zu schreiben, der Brief blieb aber die ganze Zeit über liegen […]“) – nach einer Schreibpause am 12. Juli 1887.

Charlottenburg den 5. Juli 1887 Liebe Emmy! Soll ich nun wieder, wie leider oft, meinen Brief mit einer Entschuldi­ gungsrede anfangen? Ich denke, nein, es ist nichts besonders Interes­ santes, hilft auch doch nichts mehr, und ich verlasse mich am liebsten wieder auf Deine Nachsicht und denke, wenn Du weißt, daß ich nach­ her hier fast ganz verlassen hause, so rührt das am Ende Dein hartes Herz und Du besuchst mich doch bald mit einigen Zeilen wieder, – die feurigen Kohlen will ich dann schon auf meinem harten Kopf zu ertra­ gen suchen. Aber Zeit ist es freilich, daß ich Dir für Deinen so langen und lieben Brief danke, sonst verliert sich bei mir ganz das Gefühl eines reuigen Sünders, welches ich abei demselbena zuerst empfand. Aber davon will ich nachher sprechen. – Es ist hier schon eine gewisse Hast in die Leute gefahren, d. h. Diejenigen, die fort wollen, und das sind die Meisten. Alles kommt und verabschiedet sich und spricht von Reiseplänen, und ich für meine Person wünschte, sie wären erst einmal Alle über die Berge, dann habe ich – kann mir nicht helfen – das Ge­ fühl, daß Ferien sind, Ruhe und Frieden im Lande, und man still für sich arbeiten kann – vielleicht deshalb, weil ich dann nicht immer im Stillen den Gedanken habe, Andre fänden, man könnte liebenswürdig sein und sich etwas mehr der Gesellschaft widmen und um Andre kümmern. Wer weiß, woran es liegt, man bringt eben doch, wenn man zu Hause lebt, höchstens 1/ 2 so viel fertig, als anderswo und oft ist es mir leid, zu sehen, daß meine Mutter wohl den Eindruck hat, ich hätte für nichts andres mehr Sinn, als für, was weiß ich, was für ehrgeizige Pläne und hielte mich abseits von den Meinigen, aber es ist nicht an­ ders, ich arbeite langsam, mag auch wohl früher viel versäumt haben,

a–a  dabei > bei demselben  

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und habe während der 2 Monate in Straßburg1 meine ohnehin nicht schwere Last von Weisheit auf’s Schönste abgeschüttelt; und da fragt es sich einfach, welche Verpflichtung kommt zuerst, und ich meine, für mich doch wohl die, nach Kräften etwas zu lernen, um so mehr, wenn ich bedenke, wie wenige Menschen in meinem Alter in andren Ständen in der Lage sind, für andre Dinge Gedanken zu haben, als die tägliche Mühe und Arbeit, die bei mir im Verhältnis doch wirklich nicht groß ist und nicht, wie bei Andren, um’s tägliche Brot geht. – Nun bleibe ich ja diesmal nicht ganz allein, wie Du wohl weißt, wenn wenigstens der Onkel meinen neulichen Brief2 hat lesen können – (ich hatte damals von dem ewigen Schmieren in den Akten einen abscheulichen Schreib­ krampf). Es ist eine ganz schlimme Sache mit dem Karl, ich kenne leider das ganze Wesen von dem Jungen, namentlich die Art der Wind­ beutelei, wie man da hinein geräth und immer wieder darin versinkt, aus Erfahrung ganz genau und, wie ich fürchte, besser als meine Mut­ ter, welche stets der Ansicht ist, mit dem Reichtum von Liebe, den sie diesem Sorgenkind entgegenbringt, ihn auf der Höhe festhalten und vor einer Verarmung und Verödung seines Inneren schützen zu können und zu sollen. Ich bin fest überzeugt von der großen Macht, die das über den Menschen ausübt, und glaube es an mir selbst, seitdem ich zum Bewußtsein gekommen war, erfahren zu haben, ohne, selbst wenn ich wollte, sagen zu können, in welcher speciellen Beziehung; aber es ist, je nach dem Boden, auf welchen dieser Anker fällt, nicht ohne Ge­ fahr. So viel ich sehe, lebt Karl in innerlicher Beziehung noch ganz von der Hand in den Mund. Ist er zu Hause und sieht die fortgesetzte Sorge und das liebevolle Entgegenkommen meiner Mutter für ihn, so genießt er das eben, wie ich glaube, mit wirklicher, momentaner Dankbarkeit und läßt letztere unter Umständen in recht ansprechender Weise in sei­ nem Verhalten, Gefälligkeit etc., hervortreten; – kommt er dann am andren Tag in die Schule, so trifft er dort dieselbe Gesellschaft leicht­ fertiger, blasierter und – aus purem Leichtsinn – zu Allem, das Schlech­ teste eingeschlossen, fähiger Jungen, die ihn nun einmal zu den Ihrigen zählen; nun würde schon ein gut Teil moralischen Muthes dazu gehö­ ren, nicht Alles mitzumachen, was sie thun, aber auch abgesehen davon macht er sich dann das einfache Raisonnement zurecht, daß das, was 1  Max Weber hatte sich von Ende Januar bis Ende März 1887 zu einer Militärübung in Straßburg aufgehalten. 2  Vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 29. Juni 1887, oben, S.  9 0–95, hier: S.  9 0.

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so viel Andre thun, ja doch auch für ihn nichts Schlechtes sein könne, wenn die Andren dumme und häßliche Streiche machen, und doch auch durch die Welt kommen wollen und durchkommen werden, war­ um nicht er? Er macht also mit, und nicht nur mit, sondern um der Gunst der Andren willen thut er es ihnen noch zuvor. Nachdem er zu Hause, wie ich glaube oft, die besten Vorsätze gefaßt und sich schon dadurch – so geht es ja – das angenehme Gefühl verschafft hat, einen ungeheuren Fortschritt zumb besseren Menschen gemacht zu haben, verschafft er sich in der Schule das Gefühl einer Art von Heldentum, einer ganz besondren Emancipiertheit, und so nützt er zu Hause und dort die augenblickliche Situationc zum Zweck augenblicklichen Wohl­ befindens aus und hütet sich ängstlich vor weiteren Hintergedanken, die ihm den Genuß des Moments verderben könnten. Das ist die ganz triviale Lage der Sache, wer weiß wie oft vorkommend bei Menschen in halberwachsenem Alter. Da ist es nun eben die Frage, was man mit dem Menschen in diesem Stadium erreicht, wenn man ihn beim Her­ zen zu fassen sucht. Ich glaube, es ist ohne Erfolg und man baut auf den Sand. Bei Karl wenigstens ist das Resultat nur, daß er das Bewußtseind erlangt, thun und lassen zu können, was er will, ohne die Consequenzen zu tragen, und das ist bei solchen Augenblicksmenschen recht bedenk­ lich. Ich glaube, man darf nicht weiter gehen, als daß er das Gefühl des Vertrauens nicht völlig einbüßt und das Bewußtsein behält, daß Andre für ihn sorgen und ihn zu sich rechnen |:und ihm helfen möchten:|, im Übrigen aber muß es consequent durchgeführt werden, daß man ihm auf jede Nichtsnutzigkeit hin sein Misfallen, eventuell in harter Form, documentiert und ihm die Empfindung wach erhält, daß er so eine Aussicht auf Achtung seitens Anderer nicht erwirbt. Denn für eine wirkliche Schätzung der Sorge eund Liebee seiner Mutterf ist er noch für Jahre |:hinaus:| zu unreif, und so kommt er dazu, sich zwar die An­ nehmlichkeiten gdieser Liebeg zu Nutze zu machen, im Übrigen aber sie als etwas für ihn Unbequemes bei Seite zu schieben und gelangt so zu einer unzweifelhaften Roheit, |:einer Art von Abhärtung, in der Auffassung dieser Dinge:|, die ihn unfähig macht, das ihm jetzt noch fehlende Verständnis dafür später zu gewinnen. Es ist dieselbe Sache wie mit der Wahrheitsliebe und ihrer Behandlung in der Erziehung; so wenig ich dafür bin, Jemand durch permanentes Mistrauenh zum Lüg­ b  〈Bess〉    c  〈im Intr〉    d  〈gela〉    e–e  und alles Dessen, was > und Liebe   f  〈|:für ihn thut:|〉  g–g  derselben > dieser Liebe  h  〈die Wahr〉  

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ner zu machen, so wenig ist es doch richtig, durch entgegengebrachtes ungerechtfertigtes Vertrauen ihn dazu zu verführen, dies Vertrauen zur Teuschung auszunutzen und so iihn indirect dazu zu bringeni , an Stelle des Lügens, – eines Produkts des Leichtsinns unter Umständen, – den Vertrauensbruch, der stets etwas Gemeines in sich trägt, sich anzugewöhnen. Meiner Mutter wird es nun recht schwer, zu denken, daß der Junge ihr für jetzt innerlich nicht zugänglich ist und sie hat das Gefühl, als füllte sie ihre Stelle nicht aus und leidet besonders unter dem letzteren Gedanken schon lange, wie ich weiß, sehr; wie ich glau­ be, mit Unrecht, denn die Bedeutung ihres Einflusses ist nicht abzu­ schätzen und wirkt langsam, aber dauernd, nach, – aber das ist das Schwere an der Stellung der Mutter bei unsrer Erziehung und Lebens­ art, daß der Umfang dieses Einflusses so wenig äußerlich sichtbar ist und sein kann, und deshalb ist dies Gefühl so schwer zu bekämpfen. – Kurz und gut, Karl bleibt also hier und Herr Voigt 3 kommt die Zeit über wieder ins Haus, um ihn gründlich in die Kur zu nehmen, denn seine Leistungen sind, soviel ich sehen konnte – ich habe allerdings mein Griechisch pp. bereits gründlich vergessen – unglaublich schlech­ te. Dadurch kommt sowohl er als ich um unsre Ferien, aber es ist doch nicht anders zu machen. Hoffentlich wird der Aufenthalt in Heidelberg für meine Mutter recht erfrischend wirken, und vielleicht machst Du auch einmal für ein paarj Tage einen Sprung herüber, das wäre ein net­ ter Gedanke. – Nun, lieber Emmerling, habe ich von uns gesprochen, jetzt komme ich zu Euch. Vor einiger Zeit schrieb mir Lieserle aus Heidelberg und erzählte, daß es Laura in Amerika so ganz anders gehe, als sie erwartet habe; sie sei von Franks Familie so sehr entteuscht worden und ihres Bleibens sei nicht dort.4 Ich weiß nicht, woher sie das wußte, aber es klingt so wahrscheinlich, daß ich es zunächst glauben muß, – es ent­ spricht eben dem, was man, wenn auch nicht so schnell, erwartet hatte. Ich weiß nicht einmal, ob an sich es als ein Unglück zu betrachten ist, daß die Entteuschung so schnell und ohne, daß eine lange Zeit der i–i  daran zu gewöhnen, > ihn indirect dazu zu bringen  j O: par   3  Johannes Voigt war bis vor kurzem Hauslehrer bei Familie Weber gewesen. 4  Laura Fallenstein hatte bei der Familie ihrer Tante Ida Baumgarten in Straßburg gelebt, bevor sie im Frühjahr 1887 zu ihrem Bruder Frank T. Fallenstein in die USA ausgewandert war; vgl. den Brief an Helene Weber vom 19. Febr. 1887, oben, S.  50 f. mit Anm.  20. Elisabeth (Lieserle) Jolly hatte Max Weber über das Ergehen der gemeinsamen Cousine informiert; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 29. Juni 1887, oben, S.  94.

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allmäligen Verbitterung vorausgegangen ist, ohne daß sie sich auch erst innerlich näher attachiert hätte, erfolgt ist, aber daß es für jetzt eine sehr harte Erfahrung ist, wird Niemand bezweifeln, und für manche Andre wäre es zu viel. Aber in ihrer Beschränkung ist sie wohl eine hervorragend harte Natur, gegenüber ihrem starren Gefühl von Recht und Unrecht verschwinden die zarteren Empfindungen und mir scheint, daß für sie die Befriedigung, für Andre etwas zu leisten und mit ihnen innerlich verbunden zu sein, eine geringe ist im Vergleich zu der, die Vertreterin des – vermeintlich – Rechten gegenüber dem Un­ recht zu sein, und letzteres glaubt sie doch auch in diesem Fall sicher und deshalb ist ein solcher Schlag für sie weniger hart als für Andre. Aber was wird nun? habt Ihr darüber schon Nachrichten? – Nun will ich aber zu Deinem Brief kommen. Ich schrieb Dir schon, daß ich wegen meiner ungezogenen Predigt wirklich etwas Reue emp­ fand, 5 als ich sah, daß Du sie für Ernst genommen hast und mir wohl gar allerlei übelnehmerische Hintergedanken zutrautest. – Nein, so war es doch nicht gemeint. Ich habe nur geglaubt, einmal: meinen Kar­ tellbruder6 da, wo er, wie ich glaube, verhältnismäßig unschuldig ist, vertreten zu sollen – sonst habe ich durchaus nicht etwa etwas Beson­ dres für ihn Übrig, und dann glaube ich zu wissen, daß allerdings viele von den Eigenschaftenk, auf die grade Ihr großen Wert legt, größeren, als ich sonst gefunden habe, keineswegs zu den dem Menschen als er­ strebenswert von der Natur unter allen Umständen vorgezeichneten gehörenl, worüber wir ja oft gestritten haben, – und schließlich, nun, war es eben Zanksucht von mir. Auf die Idee indessen, Dir Sympathie für irgend Jemand von Außen her andemonstrieren zu wollen, bin ich nicht gekommen, dagegen protestierst Du mit Recht; das was der Ver­ stand über die Motive der Menschen bei ihren Handlungen sagt, und die Empfindung |:der Zu- oder Abneigung:|, die man ihnen gegenüber hat, stehen unzweifelhaft auf verschiedenen Blättern und dem ersteren geht der Einfluß über die letztere ab, wenn nicht ganz, so doch im

k  Dingen > Eigenschaften  l  sind > gehören   5 Brief an Emmy Baumgarten vom 31. Mai und 3. Juni 1887, oben, S.  86. Max Weber bezieht sich auf seine „Strafpredigt“ (ebd.), die er seiner Cousine im Brief vom 8., 11. und 12. Mai 1887, oben, S.  79–83, gehalten hatte. 6  Georg Wolfram (vgl. ebd., oben, S.  79). Wolfram war offenbar Mitglied einer Vereinigung pflichtschlagender Burschenschaften; welcher ist nicht bekannt. Max Weber gehörte als Mitglied der Heidelberger Allemannia dem Süddeutschen Kartell an.

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Ganzen. Darin hast Du gewiß Recht, und nur in einer Hinsicht möchte ich Dir widersprechen. Wenn ich Dich nämlich recht verstanden habe, so findest Du es aus dem Grunde Unrecht, Jemanden zu „verdammen“, weil man sich im gegebenen Fall doch stets sagt, daß, den Verhältnissen des betreffenden Menschen nach es nur natürlich ist, daß, er so handel­ te, wie er that. Was kann er dafür? Gewiß, argumentiere ich dann wei­ ter, so steht es überhaupt. Denn z. B., wer ist es denn, der dem Verbre­ cher den Gedanken, welcher zur That führt, in die Seele pflanzt? Er selbst doch nicht, er ist dazu durch die Umstände, durch Vorausset­ zungen, die in ihm lagen und die er sich nicht gegeben hat, geführt worden, es konnte gar nicht anders kommen, er ist, mit einem Wort, nicht verantwortlich zu machen für das, was er that, denn er ist nicht frei, sein inneres Wesen steht ebenso unter einer naturnotwendigen Entwicklung, wie irgend ein Product der Natur. Es ist mit mensch­ lichem Verstande gar nicht einzusehen wie das, was er thut und was wir „schlecht“ nennen nicht ebenso |:natürlich und also:| berechtigt sein soll, wie das, was ein Andrer thut und „gut“ nennt und sich ein Ver­ dienst daraus macht, daß er es thut. Das Eine ist natürlich, das Andre auch, und nur unser subjectives Gefühl unterscheidet hier, wo an sich nichts zu unterscheiden ist, ähnlich wie unsre Zunge unterscheidet zwi­ schen Dem, was ihr schmeckt und was nicht, obwohl der Unterschied doch nur in der Einbildung liegt. – Ein sehr plausibles Raisonnement, nicht wahr? Und mit dem Verstande betrachtet, auch durchaus richtig, denn ich behaupte, bei klarem, nicht um die Consequenzen ängst­ lichem Denken gelangt jeder menschliche Verstand eines schönen Ta­ ges zu diesem simplen Resultat. – Aber ich behaupte, wenn er sich die Sache noch näher besieht, so kommt er auch darüber hinaus und findet, daß die ganze Schlußkette nur ein wertloses Spiel mit Verstandesbe­ griffen ist. Denn nun müssen wir den Verstand doch erst einmal darauf examinieren, ob er denn überhaupt berechtigt ist, diese Fragen zu be­ urteilen, ob er überhaupt die Möglichkeit hat, mit seinen Begriffen in sie einzudringen und ob er sich nicht dabei eine Sache angemaßt hat, die zu leisten er nicht im Stande ist, weil ihm die Begriffe dafür fehlen. Das Letztere scheint mir der Fall zu sein. Denn es ist leicht einzusehen, daß wir mit unsrem lieben Verstande überhaupt durchaus nicht dahinter kommen können, was eigentlich „gut“ und „böse“ für eine Bedeutung haben; sonst müßten ja die klüg­ sten Menschen darüber am besten informiert sein (und Jeder weiß, daß das leider nicht immer der Fall), außerdem aber müßte die Welt auch

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fortgesetzt mindestens ebenso große neue Entdeckungen und Erfin­ dungen, wie sie auf andren Gebieten mit Hülfe des Verstandes gemacht hat, mit demselben Hülfsmittel auch auf moralischem Gebiet machen, hier so schnell wie dort, was auch nicht der Fall ist. Und endlich: es wird Niemandem gelingen, mit Hilfe von Verstandesbegriffen und De­ finitionen mir klar zu machen, worin der Unterschied von „gut“ und „böse“ besteht. Also dem Verstand fehlen die Begriffe dafür. So gut aber, wie man |:bei:| einem Menschen es ungereimt finden wird, wenn er etwas zu beurteilen unternimmt, wofür er keinen Begriff hat, so liegt es hier mit dem Verstande; und es geht auch hier so, wie bei dem bewußten Menschen, denn so wie dieser dann, wenn man ihm sagt: „das |:und Jenes:| kannst Du nicht verstehen, dafür hast Du keinen Begriff,“ im Stillen denkt: „nun, es wird |:eben:| auch wohl nichts dar­ an sein“, so möchte es hier der Verstand auch machen, und sagen: „wenn ich keinen Begriff dafür habe, so wird es wohl auch Nichts da­ mit sein, so wird wohl die ganze Sache auf Einbildung beruhen.“ Man wird dies von dem Verstand ebenso anmaßend finden, wie von dem besagtenm Menschen. Denn dieser Unterschied und ndas Bewußtseinn von der Verantwortlichkeit des Einzelnen für seine Handlungen ruht nicht auf Verstandesbegriffen und kann vom Verstande weder constru­ iert noch widerlegt werden. Deshalb ist es auch nicht richtig, wenn man meint, es sei wohl ein altes Vorurteil, was uns dann in der Jugend aner­ zogen wurde. Ich behaupte, anerziehen kann man etwas Derartiges nicht, wenn nicht die Fähigkeit vorhanden ist, zu wissen |:und zu erfas­ sen:|, worum es sich handelt; Begriffe lassen sich nicht anerziehen, wenn nicht schon vorher die Fähigkeit, sie zu handhaben, die logische Fähigkeit, |:der Verstand,:| da ist, sittliche Urteile lassen sich nicht an­ erziehen, wenn nicht die Fähigkeit,o solche zu erfassen, das sittliche Unterscheidungsvermögen, vorhanden ist, und das basiert eben auf den Gegensätzen von gut und böse. Also, diese Gegensätze |:sind, um eine Erziehung möglich zu machen, vorauszusetzen:| und liegen im Menschen schon darin und die Erziehung kann sie zwar entwickeln, schärfen, ihnen praktischen Inhalt geben, aber nicht sie schaffen. – Da könnte nun der Verstand wieder kommen und sagen: „Gewiß, das ist alles ganz schön, das Urteil über das, was ‚gut‘ und ‚böse‘ ist, beruht freilich nicht auf meinen Begriffen, aber so geht es ja eben mit dem, m  bewußten > besagten  n–n  der Begriff > das Bewußtsein  o  〈zu unterscheiden zwischen sittlichen Gedanken〉  

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was der Zunge gut und schlecht schmeckt, auch; auch das beruht nicht auf Begriffen, sondern eben auf der Beschaffenheit der Zunge, d. h., auf der Einbildung, und ebenso, wie es Product der Einbildung ist, daß Wein besser schmeckt als Tinte, angebrannte Suppe schlechter als nicht angebrannte, so ist es auch damit, daß uns die eine Handlung ‚gut‘ erscheint im Gegensatz zu einer andren. [“] – Auch wieder sehr plausibel, nicht? Es ist aber darauf zu antworten, daß hieran erstens das richtig ist, daß der Verstand auf den Geschmack der Zunge ebenso wenig Einfluß hat, wie auf das sittliche Urteil; er kann der Zunge so wenig vorschrei­ ben, daß ihr Tinte, ein nützlicher Saft, gut schmecken müsse, wie er dem sittlichen Urteilp vorschreiben kann, daß ihm der Betrug, unter Umständen eine profitliche Handlung, |:sittlich:| gut scheinen solle. Und zweitens ist richtig, daß beides, Geschmack und sittliches Urteil, |:ursprüngliche:| Fähigkeiten der menschlichen Natur und unabhängig sind (– denn auch der Geschmack ist wieder von dem sittl[ichen] Urteil unabhängig, letzteres kann der Zunge nicht vorschreiben, es sei ein Unrecht, daß ihr eine andre Gottesgabe, z. B. Seife, nicht ebensogut mundet, wie Marzipan). Aber nun besteht doch ein ganz gewaltiger Unterschied zwischen beiden; der Geschmack und alle mit ihm ver­ wandten Gefühle inclusive des Kunstsinns wissen uns nur zu berichten, was nach den Gesetzen unsrer Natur uns angenehm und begehrens­ wert ist, das sittliche Bewußtsein stellt ein Gesetz auf, welches qum Dasq , was uns angenehm und begehrenswert scheint, sich nicht im Mindesten kümmert, oft damit in Gegensatz tritt, immer aber uns gebietet, was in Zukunft von uns gethan werden solle. Der Gedanke des Guten und rdie Anschauungr des Schönen beruhen beide auf Gesetzen, die der menschlichen Natur gesetzt sind, das haben sie gemeinsam, – aber diese Gesetze sind schon ihrer Art |:und ihrem Grundcharakter:| nach verschieden, ungefähr so verschieden, wie das Gesetz des Staates, daß der Mörder mit dem Tode bestraft swerden solls , und das Gesetz der Natur, daß alle Körper sich gegenseitig anziehen. Sie haben mit ganz verschiedenen Seiten des menschlichen Geistes zu thun. Deshalb kann hier von Einbildung keine Rede sein, es ist ganz gewiß wahr, daß meiner Zunge das Gesetz gegeben ist, daß ihr das Eine mundet, das Andre nicht – das ist keine Einbildung, sondern Wahrheit, – und eben­ p  Gefühl > Urteil  q–q  von Dem > um Das  r–r  der Begriff > die Anschauung   s–s  wird > werden soll  

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so wahr, daß meinemt Willen das Gesetz gegeben ist, daß er das Eine thun soll, das Andre lassen. Der Verstand kann weder über das Eine noch über das Andre mitsprechen. Daher ist auch damit, daß man von einem Menschen sagt, er ist durch die Verhältnisse da und dazu ge­ kommen, noch nichts gethan, das giebt nur dem Verstande den An­ haltspunkt, mittels Dessen er sich die Entwicklung des sittlichen Zu­ standes des Betreffenden plausibel macht (– denn das will er immer, auch da, wo er eigentlich nichts zu erklären findet, resp. nichts finden sollte, weil es nicht in seine Regeln paßt, –) aber damit ist ein |:mora­ lisches:| Urteil noch nicht gewonnen; er kann uns freilich verhindern, den Menschen zu „verdammen“, darin gebe ich Dir recht (aber nur, weil ich überhaupt gegen das „Verdammen“ bin), aber das Urteil dar­ über, ob es gut oder schlecht ist, was er gethan hat, und |:unser Urteil über:| seine Verantwortlichkeit dafür wird dadurch nicht berührt, denn in dieser Beziehung kann ich den Verstand nicht um Rath fragen, der steht in dieser Beziehung vor einem Rätsel. Und noch dazu vor einem für ihn unlösbaren, denn er wird nicht nur nieu sagen können, warum Jemand für seine Handlungen moralisch verantwortlich ist, sondern nicht einmal erklären können, was „verantwortlich sein“ bedeutet. Und doch weiß Jeder von uns |:ohne seine Hülfe:|, was es bedeutet, kann es also offenbar nicht vom Verstande aus wissen. Wir stehen hier eben an den Grenzen des menschlichen Begriffsvermögens, und treten in eine ganz andre Welt, wo eine ganz andre Seite unsres Geistes die Beurtei­ lung der Dinge unternimmt, und Jeder weiß, daß ihre Urteile, obwohl sie nicht auf Verstandesbegriffen beruhen, ebenso sicher und klar sind, wie irgend eine logische Schlußkette, die der Verstand aufstellt. Und deshalb glaube ich, daß Du Deinem Herzen sowohl wie Deinem sitt­ lichen Gefühl Unrecht thust, wenn Du demv Ersteren wegen seiner Antipathie und dem Letzteren wegen seines ungünstigen |:mora­ lischen:| Urteils wbezüglich Jemandesw deshalb Vorwürfe machst, weil Dein Verstandx Dir sagt, daß die Entwicklung dieses Menschen ein Produkt der Verhältnisse gewesen ist. Beides, das Herz und das sitt­ liche Urteil, lassen sich nicht commandieren, und dürfen es auch nicht. Sie stehen jedes unter seinen Gesetzen, wie der Verstand unter den seinigen (– und sehr eng begrenzten! –) steht. – Was Übrigens die Ver­ hältnisse und ihren Einfluß auf den Menschen anlangt, so bin ich im­ t  〈Geist〉  u  nicht > nie  v  das > dem  w–w  über Jemanden > bezüglich Je­ mandes  x  〈die Neigung verspürt〉  

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mer erstaunt gewesen, wie verhältnismäßig gering derselbe ist. Dem ungeheuren Abstand unsrer Verhältnisse von denen eines Teils der niederen Klassen – in den äußeren Lebensverhältnissen fast so groß wie der zwischen Mensch und Tier, denn ein Teil der Tiere führt ein fast menschenwürdigeres Dasein, – entspricht im Verhältnis – natürlich nur im Verhältnis! – entfernt kein so großer Abstand des sittlichen Be­ wußtseins. Verstandesentwicklung, Schönheitssinn etc. leiden stärker darunter als das sittliche Urteil, dessen Reinheit unter den einzelnen Mitgliedern dieser Klasseny im Verhältnis nicht mehr verschieden ist, als unter den einzelnen Mitgliedern unserer Stände, – natürlich auch nur: im Verhältnis, zu dem ungeheuren Abstand in andrer Beziehung |:nämlich:|. Was geschwächt ist, ist wesentlich die Widerstandskraft ge­ gen die dem sittlichen Urteil widerstrebenden Einflüsse, nicht die Ur­ teilskraft selbst. – Hier danke ich Dir, lieber Emmerling, daß Du dieses entsetzliche Gekritzel bis hierher durchgelesen hast – wenn Du es nämlich gethan haben solltest. Ich sehe auf den drei letzten Seiten nichts als eitel Pre­ digt resp. philosophische Vorlesung, Du wirst nun wohl die langathmi­ gen Reden bald tüchtig satt haben, aber es läuft mir immer wieder in die Feder; vor Jahren habe ich mich mit all dem Begriffsunwesen red­ lich abgeplagt, wenig kommt dabei heraus, das weiß ich jetzt genau, aber von Zeit zu Zeit geht es doch wieder mit Einem durch. Der Brief muß endlich weg. Ich fing grade vor einer Woche an zu schreiben, der Brief blieb aber die ganze Zeit über liegen, weil ich et­ was mehr als vorher zu Hause zu arbeiten hatte und dann die Abreise der Andren herankam und ich einige Tage gar nicht daran dachte ihn fertig zu machen. Nun sind die Kleinen mit meiner Mutter fort, jetzt wohl schon in Heidelberg. Mein Vater und Alfred gehen nächster Tage. – Übrigens hatten wir einen Brief von Laura aus Amerika hier, den Tante Laura7 – an sie war er gerichtet – her schickte, darnach scheine ich mir nach Lieserles Schilderungen doch einen zu schwarzen Begriff von Dem gemacht zu haben, was sie bisher dort erlebt hatte. Allerdings war sie damals erst 1 Tag bei Frank8 gewesen. Was wißt Ihr denn?

y  〈kann〉   7  Laura Bunge war eine Halbschwester von Helene Weber und Tante von Laura Fallenstein. 8  Frank T. Fallenstein, vgl. oben, S.  99, Anm.  4.

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Mit Ottos9 Herkommen ist nun bisher doch noch nichts geworden, es hätte auch für uns vielleicht nicht gepaßt. Ob er wohl jetzt bald einmal Zeit zu einem Besuch hier findet? Schade wäre es, daß er meine Mutter nicht träfe, aber dann käme er vielleicht ein ander Mal wieder, wenn sie hier ist, und freuen würde ich mich jetzt auch, ihn wieder so lustig, wie voriges Jahr, hier zu sehen. Ich hatte wirklich fast speculiert, Du kämst einmal nach Halle, aber es ist freilich wohl etwas weit ab von Euch. Du siehst, ich kann noch immer nicht anständig schreiben, das böse Aktenschreiben hat meine Handschrift wieder vom Wege der Besse­ rung abgebracht. Hoffentlich geht es Euch gut. Der Tante muß ich se­ hen, nächstens einmal wieder schreiben zu können.10 Grüße einstwei­ len Alle Deinigen, und habe noch Dank für Deine Postkarte.11 Ich will machen, daß der Brief fortkommt, es ist mir wirklich arg, daß ich wie­ der so lange geschwiegen habe. Schönsten Gruß Dein Vetter Max

9  Otto Baumgarten hatte vor kurzem den badischen Kirchendienst quittiert und war nach Halle gezogen, um an der dortigen Universität das Lizentiat zu erwerben. 10  Der angekündigte Brief an Ida Baumgarten ist nicht nachgewiesen. 11  Max Weber hatte im Brief an Emmy Baumgarten vom 31. Mai und 3. Juni 1887, oben, S.  85, darum gebeten, ihm eine Postkarte mit der neuen Adresse von Otto Baumgarten in Halle zu schicken.

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Lili Weber 24. Juli 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg, den 24sten Juli 1887. Liebe Lili!

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Nun will ich einmal sehen, ob ich so schön schreiben kann, daß Du es wirst lesen können. Ob Du das gekonnt hast, das mußt Du mir dann aber auch in einem Brief erzählen, sonst glaube ich es nicht; denn denke Dir nur, eine ganze Menge Menschen sagen immer, sie könnten das nicht lesen, was ich geschrieben hätte; da wollen wir doch einmal sehen, ob Du am Ende schon besser lesen kannst, als sie. Nun willst Du also schon wieder ein ganzes Jahr älter werden und wenn Du wieder hierher kommst, schon 7 Jahre alt sein?1 Ich würde, wenn ich Du wäre, doch lieber noch ein bischen warten, denn wenn man 7 Jahre alt sein will, muß man ja so furchtbar gescheut und ver­ nünftig und alles Mögliche sein, daß es ordentlich schwierig ist und man sich schrecklich zusammennehmen muß, viel mehr, als wenn man noch so ein kleiner Stöpsel von 6 Jahren ist. Aber wenn Du durchaus so ein großes gescheutes und vernünftiges Mädchen von 7 Jahren werden willst, dann wollen wir Dir auch wünschen, daß Dir das recht schön gelingt, damit im neuen Jahr Papa und Mama und wir Alle uns recht über Dich freuen und Du selbst auch, nicht wahr? Nun sage aber ein­ mal, willst Du denn nicht bald wieder hierher zu uns kommen? Denke Dir, weil Du nicht hier warst und ich dir nicht aus dem Studentenbuche vorlesen und Geschichten erzählen konnte, habe ich angefangen, mit Herrn Voigt2 zusammen aus einem noch dickeren Buche zu lesen und mir des Abends mit ihm Geschichten von Adam und Eva oder von so etwas Ähnlichem zu erzählen. Wenn Du nun jetzt wieder kommst, dann hast Du aber so viel gesehen, daß Du mir am Ende viel mehr er­ zählen kannst, als ich Dir, da bin ich schon sehr begierig darauf. Dann mußt Du mir aber auch noch viel mehr davon erzählen, was Ihr bei

1  Lili Weber war an ihrem Geburtstag am 26. Juli in Heidelberg, wo sie mit ihren Eltern und Geschwistern Alfred, Clara und Arthur die Ferien verbrachte. 2  Johannes Voigt, der ehemalige Hauslehrer der Familie Weber, erteilte Karl Weber in den Sommerferien Nachhilfeunterricht.

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Fräulein Simon3 habt, denn da bin ich sehr, sehr neugierig drauf, weil ich immer bloß in die Jungensschule und niemals in die Mädchenschu­ le gegangen bin, und da glaube ich immer, die kleinen Mädchen gehen nur zum Spaß in die Schule und lernen gar nichts, denn Ihr habt ja noch nicht einmal Alles von Noah gehabt, nicht einmal das schöne Lied, wie es aus dem Kasten kam.4 Aber wer weiß, am Ende kannst Du doch noch besser schreiben als ich. Denn noch schöner als so kann ich’s wirklich nicht; da bin ich wahrscheinlich zu dumm dazu; das darfst Du aber Keinem weitersagen. Nun sage dem Alfred, ich dankte schön für seinen Brief, grüße auch Papa, Mama, Clara und Artur und Emmi5 schön von mir und schreib auch einmal an Deinen ellenlangen Bruder Max

3  Marie Simon leitete die „Simon’sche Höhere Töchterschule“ in Charlottenburg, die Lili besuchte. 4 Anspielung auf das von Karl Gottlieb Reißiger vertonte und von August Kopisch getextete Studentenlied „Historie von Noah“; vgl. Allgemeines deutsches Kommersbuch. Unter musikalischer Redaktion von Fr[iedrich] Silcher und Fr[iedrich] Erk, 26.  Aufl. – Lahr: Schauenburg 1886, S.  4 49 f. 5  Emmy Baumgarten.

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Alfred Weber 30. Juli 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl. 13–14

Charlottenburg 30. VII. 87 Lieber Alfred!

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Selbst wenn ich von meiner Auffassung, daß Du nicht am 30ten, son­ dern am 31ten Juli Deinen Geburtstag feierst,1 ausgehe, kommt dieser Brief vielleicht nicht mehr zur rechten Zeit an sein Ziel, ich will aber doch in aller Eile noch ein paara Zeilen fortschicken, um Dir Glück zu wünschen – worin das letztere im vorliegenden Falle bestehen soll, ist ja durch die Verhältnisse klar genug gegeben: hoffen wir, daß Du das Ziel, was Dir in diesem Jahre bevorsteht, ohne Schwierigkeiten errei­ chen wirst.2 In Eile bin ich deshalb, weil uns auf heute Nachmittag der Besuch von Frau Gerichtsrätin X – den Namen habe ich vergessen –, einer Freundin von Mama, angekündigt ist, den wir nun erwarten. Den gestrigen Tag war ich von früh bis spät beschäftigt, teils auf der Biblio­ thek, teils in einer eingelegten Seminarstunde, 3 die aber, da sich eine Schlußkneipe daran knüpfte, bis in die Nacht dauerte. – Für Deinen Brief habe schönen Dank, ich hätte nur gern noch etwas mehr von Fritz gehört. Hoffentlich kommt die Mama doch noch nach Wertheim4 und höre ich so noch Näheres. Was ist denn aus Lieserles5 Kommen nach Heidelberg geworden? Aus einem Brief an Mama von Ottilie6 ersehe ich, daß Ihr dort erst am 14ten zurückzukommen denkt, was mich, be­ sonders angesichts der Hitze, die jetzt hier herrscht, entschieden freut. Ich werde am 7ten (Sonnabend) |:gegen:| Abend in Göttingen sein. Prof. Frensdorff schickte mir das Programm des Festes7 und ich werdeb ihm a O: par  b  habe > werde   1 Der Geburtstag von Alfred Weber ist der 30. Juli, den er 1887 mit seinen Eltern und Geschwistern Clara, Arthur und Lili in Heidelberg verbrachte. 2  Max Weber spielt hier vermutlich auf die Abiturprüfung an, die sein Bruder im Frühjahr 1888 erfolgreich bestand. 3  Es ist nicht zu klären, welche Lehrveranstaltung an der Universität hier gemeint ist. 4  Max Webers Vetter Fritz Baumgarten war zu dieser Zeit Gymnasiallehrer in Wertheim. 5  Elisabeth (Lieserle) Jolly. 6  Ottilie Weber, die Zwillingsschwester von Max Weber sen. 7 Max Weber bezieht sich hier auf die Feierlichkeiten zum 150jährigen Jubiläum der Georg-August-Universität in Göttingen, die vom 7. bis 10. August 1887 stattfanden: Fest-

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mich für diese Zeit ankündigenc[.] Mittwoch früh zur Sitzung,8 wo ich vorzutragen habe, muß ich zurück sein, reise also Dienstag Nacht mit dem Mitternachtszuge wieder ab. Sei bitte so gut, dies dem Papa zu sagen. Hier sind wir recht vergnügt, arbeiten leidlich, manchmal etwas müde von der Hitze. Herr Voigt9 und Karl kamen am Dienstag Abend sehr angethan von einer zweitägigen Tour nach Freienwalde zusam­ men mit dem kleinen Werner Hinck, auf welchen sich jetzt das Residu­ um von Karls, wie es scheint, erloschenerd Liebe zu seinen Schwe­ stern10 verpflanzt hat, zurück. – Im Übrigen machen sich die Leute hier allmälig Alle auf die Strümpfe. Dr Hoeniger, Mommsen,11 unsre Sonn­ tagsfreunde u.s.w. Ich habe mit Letzteren und Mommsen noch einen Skat zum Abschied arrangiert. – Besuch haben wir nicht zu empfangen gehabt – bisher –, auch nicht, fast gegen meine Erwartung, Fräulein Betz. Wenn Herrn Voigts Collegia jetzt entfallene und er mehr als bis­ her des Vormittags zu Hause ist, werde ich mich wahrscheinlich öfter als bisher des Vormittags auf die Bibliothek setzen, von 9–12 Uhr etwa und italienische Städtestatuten etc. treiben.12 – Das wäre eigentlich so ziemlich alles erzählenswerte, es passiert eben nicht viel, besonders für uns nicht, denn außer zum Colleg pp. bewege ich mich nicht aus dem Haus, Zeitungen (excl. Nathan)13 blei­ ben uns auch hier und statt Cartesius’ „Cogito ergo sum“14 könnten wir jetzt sagen: „Ich bin, denn ich lese“. – Damit dieser Gruß nur halbwegs noch zu Deinem Geburtstag – nach meiner Zeitrechnung – eintrifft, will ich machen, daß er fortkommt, auch könnte ich, mit Herrn Dr. Lüttge zu reden, bald „übel gestört“ c  anzu > ankündigen  d  Unsichere Lesung.   e  Unsichere Lesung.   programm für die 150jährige Jubelfeier der Georgia-Augusta am 7., 8., 9. und 10. August 1887. – Göttingen: Louis Hofer 1887. 8  Hier ist vermutlich eine Sitzung am Landgericht II in Berlin gemeint, an dem Max Weber zwischen Dezember 1886 und November 1887 einen Teil seiner praktischen juristischen Ausbildung absolvierte. 9  Johannes Voigt, der ehemalige Hauslehrer der Familie Weber. 10  Lili und Clara Weber. 11  Karl Mommsen. 12  Vermutlich handelt es sich um Vorarbeiten zu dem Seminar von Levin Goldschmidt, das Max Weber im Wintersemester 1887/88 besuchte. Vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887, unten, S.  122 f. mit Anm.  3. 13  Max Weber dürfte hier auf Paul Nathan anspielen, der seit 1885 Mitherausgeber der nationalliberalen Wochenzeitung „Die Nation“ war. 14  Der berühmte rationalistische Grundsatz von Cartesius (René Descartes) stammt aus seinen 1641 erstmals publizierten „Meditationes de prima philosophia“.

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werden, d. h. ich will nicht so unhöflich sein und diese Äußerung zu der meinigen machen. Indessen, zu einem vernünftigen Brief hatte ich momentan doch keine Zeit. Grüße Alle schön, auch Lieserle, wenn sie da ist. Dein Bruder Max.

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Alfred Weber 5. August [1887]; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl. 16–17 Das Jahr wurde zum einen aus dem Inhalt des Briefes erschlossen, zum anderen aus den Daten des Briefes von Alfred Weber an Max Weber vom 2. August 1887, auf den letzterer sich hier bezieht. Alfred Weber hatte sich über das seines Erachtens verschlechterte brüderliche Verhältnis beklagt und zudem seinen verzweifelten Gemütszustand eingestanden; Alfred Weber wünschte sich Rat vom Älteren, den dieser ihm im hier abgedruckten Brief auch gab. Auf die Nachweise konkreter Bezüge der Briefe untereinander wird verzichtet; der Brief Alfred Webers ist abgedruckt in: Weber, Alfred, Ausgewählter Briefwechsel, 1. Halbband, hg. von Eberhard Demm und Hartmut Soell (Alfred Weber-Gesamtausgabe, Bd. 10). – Marburg: Metropolis Verlag 2003, S.  4 5–47.

Ch. 5. VIII. Lieber Alfred! Auf Deinen Brief kann ich leider wieder nur höchst flüchtig antworten, da Fritz B[aumgarten] heute abreiste, ich dann noch in Berlin herum­ zulaufen und nun mich reisefertig1 zu machen hatte. Ich möchte Dir aber doch noch einige Worte als Antwort schicken, denn, wenn ich auch im Allgemeinen nicht sehr für große principielle Auseinanderset­ zungen eingenommen bin, so hat mich Dein Brief in mehr als einer Richtung doch recht gefreut, obwohla mir manches darin verwunder­ lich vorkommt. Um mit Letzterem anzufangen, so kann ich denn doch nicht recht verstehen, wie Du Dir selbst fortwährend die Ansicht bei­ zubringen bemüht sein magst, es sei, wie Du Dich ausdrückst, mit Dir zu Ende oder Du müßest an Dir verzweifeln. Da frage ich doch ein­ fach, warum? und wenn ich dann keinen andren Grund ersehe – und mir wird kein andrer deutlich – als Schwierigkeiten in gewissen allge­ meinen theoretischen Auffassungen, so kann ich darin nur eine ganz enorme Überschätzung der Bedeutung der Theorie in der Welt und für den Einzelnen finden. Daß Jemand, der nicht von der Ewigkeit der Höllenstrafen oder dergl. ausgeht, um theoretischer Anschauungen willen sich ernstlich der Meinung hingeben sollte, er könne nicht exi­ stieren oder das Leben sei ihm eine Last, ist entschieden absurd, wenn man die Sache genau ansieht. Daß Jemand sich recht damit plagen a  〈ich〉   1  Max Weber reiste zum 150. Universitätsjubiläum nach Göttingen. Vgl. den Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1887, oben, S.  109 f. mit Anm.  7.

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kann, weiß ich recht wohl, aber wer nur halbwegs den – absolut be­ trachtet – minimalen Wert und die Schwächlichkeit unsrer Erkenntnis­ werkzeuge zu schätzen weiß und sich vergegenwärtigt, der wird nie auf die Idee verfallen, vor die Möglichkeit eines Irrtums in Theorien über Dinge, die unsrer Erfahrung niemals unterliegen werden, gestellt, nun auf das Streben nach Erkenntnis selbst verzichten zu wollen; – dieser Art Gedanken würde ich doch einmal recht fest ins Gesicht sehen, ob nicht ein gut Teil Selbstteuschung dabei ist und auch wohl der Reiz, den der Pessimismus nun einmal an sich hat und dem fast Jeder zeitweilig einmal nachgiebt, dabei mitspielt. Die ungemeine Stärke der Herr­ schaft derartiger Gedanken bei Dir, das ist allerdings der Holzweg, auf dem ich Dich wohl zu Zeiten fand, und ein Holzweg ist’s, denn es kommt nichts dabei heraus. Im Übrigen dagegen kann ich gar nicht sagen, daß ich so unbedingt meinte, Du befändest dich so sehr weit abseits des Wegs, der mir richtig scheinen würde. Ich glaube, daß ge­ wisse Einseitigkeiten sich wohl, sobald sie als solche Dir zum Bewußt­ sein kommen, noch beseitigt werden, aber dies sind alles theoretische Fragen, und mithin, das ist doch wohl eine ernste Wahrheit, die unsre Zeit entdeckt und praktisch durchgeführt zu haben sich rühmen kann, zum Heil des Menschen nicht wesentlich. Daß sie Dir jetzt erheblich wichtiger erscheinen, ist mir andrerseits durchaus verständlich; aber abgesehen von jenem ersten Irrtum, der, wie ich glaube, zu hohen Tari­ fierung des begriffsmäßigen Erkennens überhaupt, halte ich etwaige andre, in der Theorie liegende, für nicht wesentlich. Deshalb ist es auch nicht richtig, daß Du nun in Allem, von meiner Seite die Sucht, Dich zu irgend etwas hinzustoßen, erblicken und diese Absicht jedesmal ver­ muten willst, wenn ich etwa hier und da gegen eine Äußerung heftig aufgetreten bin. Das ist durchaus nicht richtig, ich habe in vielen Fällen lediglich meinem momentanen Misbehagen über das, was Du sagtest oder auch, wie Du es sagtest,b lebhaften und vielleicht oft zu scharfen Ausdruck gegeben. Nun meinst Du zwar, das sei dem Tonfall nach verschieden gewesen, je nachdem wir allein ausführlich über eine Sache gesprochen oder un­ ter Beisein Andrer – doch wohl nur Jemanden von uns – darauf die Rede gekommen sei. Abgesehen davon, daß zu wirklich eingehender Erörterung die möglichst geringe Anzahl an Augen die geeignetste ist, – glaube ich, daß das doch wohl eher daran liegt, daß |:– wie das so b  〈Aus〉  

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geht –:| Dein Ohr akustisch anders disponiert war, je nachdem noch Jemand dabei war, oder nicht. Von „Auslachen“ u. dergl. würdest Du bei genauer Betrachtung wohl schwerlich viel gefunden haben; ich halte das aber für eine Deiner Prämissen, die ich doch einmal bei Seite lassen würde, ich glaube, Du würdest dann schwerlich dazu genötigt werden, sie zu machen. Als ich sah, wie fest dieselbe bei Dir saß, habe ich allerdings in letzter Zeit mir gesagt, daß diese unerfreuliche Vor­ aussetzung Dir vorerst durch 1–2 Semester Studium und Verkehr mit Andren benommen sein müsse, ehe darauf zurückzukommen sei und deshalbc mich schweigsam verhalten. Darauf bezieht sich doch wohl eigentlich auch, was Du von peinlichem Verhältnis und Notwendigkeit, „Klarheit zu schaffen“, 2 schreibst, und nicht auf theoretische Holzwe­ ge. Ich glaube kaum, daß irgend welche Klarheit erst zu schaffen war, ich meinerseits wenigstens glaube noch nie Jemandem gegenüber mit der Äußerung über das, was mir ge- oder mißfiel, hinter dem Berge gehalten zu haben, im Gegenteil die Form macht sogar auf Andre oft einen schärferen Eindruck, als beabsichtigt war. Daß das Jemand event. verstimmt, verstehe ich, und ist natürlich, es ist mir selbst so ge­ gangen, indessen blieb es aber bei der d|:oft momentan sehr heftigen:|d Verstimmung, nicht aber habe ich dann, bei irgend einem momentanen Krakehl, nach was weiß ich welchen generellen Grundlagen, auf wel­ chen ich aus der Verstimmung einen Conflikte in Gedanken entstehen lassen könnte, geforscht. Indessen kann ich auf dies, schon früher gele­ gentlich berührte Thema nicht wohl weit eingehen, das hättef ich eben eventuell der Zeit überlassen müssen. Aber wie gesagt, mit Manchemg in Deinem Brief scheint es mir doch nicht seine Richtigkeit zu haben, aber ich habe mich, wie gesagt, doch darüber gefreut, weil jede Offenheit, auch wo, wie, glaube ich, hier, Irrtümer mit unterlaufen, nur nützen kann und an sich etwas Erfreu­ liches ist; und was die bezeichneten falschen Anschauungen bezw. übertriebenen Verstimmungen anbelangt, so war mir deren Vorhan­ densein nichth unbekannt und nicht erfreulich, aber derartige, vom Temperament abhängige und hier auf den verkehrten, aber nun einmal c  Unsichere Lesung: 〈vermindern〉  d–d  |:oft etwas heftigen:| > |:oft momentan sehr heftigen:|  e  〈machen〉  f  muß > hätte  g  〈bin ich nicht〉  h  〈sonderbar〉   2  Im Brief von Alfred Weber an Max Weber vom 2. August 1887 (vgl. die Editorische Vorbemerkung oben, S.  112) heißt es, er wolle „gern einmal Klarheit zwischen uns schaffen und Deinen guten Rat, wenn möglich, in Anspruch nehmen […].“

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vorhandenen Prämissen beruhende Gedanken haben auf meine Wert­ schätzung keinen Einfluß, wenn sie auch mich vielleicht zeitweisei ver­ anlassen, mich passiver zu verhalten. Wie gesagt aber, dem gegenüber, was Du von theoretischen Schwie­ rigkeiten schreibst, muß ich immer wieder betonen, daß ich Niemanden für berechtigt halte, zu sagen, er verzweifelt an sich, weil er in irgend einer Hinsicht mit seinem Denken nicht im Reinen ist. Darüber kann auch nur die Praxis hinweghelfen, sie aber leicht. Wenn nun Dein Recept auf „tüchtige Arbeit“ lautet, so kann ich da nur sagen, daß Ar­ beit etwas sehr gutes ist, aber erst ein frisches studentisches Leben viel und oft mehr leistet; und das wollen wir Dir wünschen. Es ist mir nicht möglich, mehr zu schreiben; ich bin zu müde, um Deinen Brief zusammenhängend beantworten zu können, habe nur |:auf:| Einiges eingehen wollen; Du wirst daraus vielleicht entnehmen können, was ich sonst noch zu sagen hätte. Was ich Dir etwa in Bezug auf das, was Du zu bedürfen glaubst, helfen kann, werde ich natürlich stets gern thun. – Schönen Gruß an alle, ich will zu Bett, denn mir fal­ len seit einer Weile die Augen zu, fast als wäre ich die Mama. Ich bin mehrere Nächte nur kurz zum Schlafen gekommen. Auf Wiedersehen Dein Bruder Max

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Emmy Baumgarten 20. August 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 20. VIII. 87 Lieber Emmerling! Ein Briefchen möchte ich heute doch noch an Dich richten, wenn auch nur ein ganz kurzes, denn es ist Bettgehens-Zeit für mich und der Sandmann wird sich wohl nächstens bei mir einstellen. Aber ich will Dir doch schnell recht vielen Dank für Deinen lieben Brief schicken, besonders weil Du sagsta, daß Du bald wieder schreiben wolltest – da würde ich ja in starken Rückstand kommen und das lasse ich mir doch nicht mehr so wie früher gefallen. Übrigens bekam ich Deinen Brief erst ein ganz Teil später, als Du wahrscheinlich gedacht hast; das Da­ tum war vom 31ten Juli, der Poststempel aber – Eure Mädchen1 haben den Brief wohl vergessen gehabt – vom 7ten August, und außerdem war ich in der Zeit in Göttingen, 2 worüber Du ja schon – und ich bekenne mich schuldig – die Nase gerümpft hast. Du behandelst mich ja aber überhaupt wieder als einen recht argen Sünder; und diesmal mit Recht, denn ich habe hier während meiner „Einsamkeit“ keineswegs ein klö­ sterliches, vielmehr ein ganz besonders lustiges Dasein geführt. Meine Mutter hat bei ihrer Rückkunft über meine Thätigkeit als Hausfrau ihr blaues Wunder gehört und gesehen. Das Erste war schon folgendes: eines Abends waren zwei gute Bekannte von uns bei mir des Abends beim Glase Bier zu langeb sitzen geblieben und da die Herrn mangels jeglicher Vehikel einen ergreifenden Jammergesang über die Notwen­ digkeit, zu Fuß nach Berlin zu gehen, anstimmten, packte mich der Ehrgeiz, mit meiner Mutter als Hausfrau in Concurrenz zu treten, und ich erklärte, daß in 10 Minuten 2 Betten für sie bezogen und Alles zum Nachtquartier eingerichtet sein würde (die Mädchen3 |:und Alle And­ ren:| waren längst in den Federn). Richtig! zu meinem ewigen Ruhme a  schreibst > sagst  b  〈bei mir〉   1  Gemeint sind die Dienstmädchen der Familie Baumgarten. 2  Max Weber war zum 150jährigen Jubiläum der Georg-August-Universität nach Göttingen gereist; vgl. den Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1887, oben, S.  109 f. mit Anm.  7. 3  Gemeint sind die Dienstmädchen der Familie Weber.

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sei es gesagt: – in 10 Minuten waren die unbezogenen Betten bezogen und Alles |:– Waschwasser, Handtücher etc.:| – fertig. Bitte gefälligst zu erstaunen. – Am andren Tage hörte ich, daß unsre Dienstmädchen beim Anblick meiner That ein homerisches Göttinnen-Gelächter erho­ ben und auf meine Frage, was denn los? wurde mir die Aufklärung, daß ich unsre großen Gesellschaftstischtücher zum Beziehen der Ma­ tratzen und unsre Servietten als Handtücher zu spendieren die Groß­ artigkeit gehabt hatte. Obwohl mir nun, logisch betrachtet, die strenge |:doctrinäre:| Scheidung zwischen Betttüchern und Tischtüchern, da sie ja doch beide lediglich ausgedehnte Leinwandflächen darstellen, absurd erscheint und ich glaube, in dieser Beziehung consequent ge­ handelt zu haben, indem ich diese nur in der Einbildung liegende Dif­ ferenz ignorierte, schien meine Mutter doch von dem Gesichtspunkt einer gewissen Ästhetik, oder wie ich sagen soll, aus [,] darüber ihre speciellen abweichenden Ansichten zu haben. Da nun noch einige ähn­ liche Schwappen4 untergelaufen waren, so ist meine Befähigung in die­ ser Beziehung wieder mehr in Miscredit geraten als sie verdient. Jeden­ falls hattest Du aber Recht, wenn Du meine Petition um Mitgefühl wegen meiner „Verlassenheit“ mit Hohn und Spott verschmähtest, denn es war wenig Grund dazu vorhanden; wir lebten wie die Pa­ schah’s; und in Göttingen wurde es auch grade nicht melancholischer – d. h. da war ich mit meinem Vater zusammen und Du bist hof­ fentlich mit mir darüber einverstanden, daß er dann die Verantwort­ lichkeit trägt, – confer Heidelberg vor 1 Jahr. 5 – Ich will aber lieber nicht weiter erzählen, sondern um nicht gar zu sehr aus Deiner Gnade zu fallen, lieber von etwas Andrem berichten. Am liebsten von Fritz.6 Es war ganz besonders nett, die kurze Zeit welche er hier war. Er war wirklich, wie er auch sagte, etwas abgespannt und angegriffen, seinem Aussehen nach, aber sonst gegen früher so wenig verändert, wie das überhaupt sein Talent ist. Er kam grade von Halle und konnte viel von Ottos dortigem Leben, großen Bekanntenkreis und Fortgang seiner Arbeit erzählen.7 Ich hatte ihn lange Zeit, eigentlich seit der Periode, 4  Berliner Ugs. für: Ohrfeige. 5  Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden (vgl. dazu aber den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Jan. 1887, oben, S.  4 5 mit Anm.  10). 6  Fritz Baumgarten, ein Bruder von Emmy Baumgarten. 7  Otto Baumgarten hatte im Frühjahr 1887 den badischen Kirchendienst quittiert und war nach Halle gezogen, um an der dortigen Universität das Lizentiat zu erwerben; vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. und 18. März 1887, oben, S.  56 mit Anm.  10.

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wo ich ihn mit meinen Briefen geärgert habe,8 niemals so ausführlich gesprochen und freute mich, einmal wieder dazu zu kommen. Merk­ würdig einfach und, wie mir schien, absichtlich einfach ist er doch in seiner ganzen Redeweise und in seinem Wesen; er tadelte an Otto, daß er Dinge, die man einfach sagen könne und die einfach aufgefaßt wer­ den könnten, in ein compliciertes Gewand kleidete und gewisserma­ ßen bewußt sich dadurch die Möglichkeit einfacher und unbefangener Auffassung verschlösse – nun ja, ich möchte wohl auch manchmal den­ ken, daß Otto zuweilen wohl, weil er immer die tieferen Beziehungen in den Dingen zu finden bestrebt ist, ganz einfache, offen sichtliche durch eine stark philosophische gefärbte Brille, oder gar nicht, sieht, – das kann man, glaube ich, behaupten – aber umgekehrt fiel mir doch auch auf, wie der Fritz fast ängstlich auch im Ausdruck Alles vermei­ det, was auch nur scheinen könnte den Anspruch zu machen, „abstract“ gedacht zu sein. Man denkt, er wollte sich absichtlich selbst die Idee beibringen, er sei für das Speculieren verdorben. Nun braucht ja doch kein Mensch zu speculieren, es ist sicher gar keine in erster Linie ste­ hende Qualität des Menschen, aberc davor zu fürchten braucht man sich doch auch nicht. Er capriciert sich aber, so kommt es Einem vor, darauf, nur ja nichtd sich selbst eund Andren so vorzukommene , als wäre er etwas Andres, als ein ganz gewöhnlicher Schulmeister.f – Das Letztere ist ja ganz gewiß nichts Niedriges oder einer menschlichen Kraft Unwertes, aber |:so:| als Kunstproduct? |:Herr:| Fabricius9 mein­ te |:wohl:| Dasselbe, als er behauptete, er „verbauerte“ – (was danng doch ca [.] 10x zu viel behauptet ist). Mit Herrn F[abricius] waren wir fast ständig zusammen. Ich hatte, wie sonst schon, meinen Ärger, muß ich gestehen, über sein Wesen Fritz gegenüber (– so etwas Gönner-mä­ ßig –), aber Fritz in seiner Anspruchslosigkeit merkte nichts davon. – Nun also, und auf dem Abendberg10 ist es Dir zuerst wieder nicht ordentlich gegangen, erzählt meine Mutter? Aber nachher scheint es ja c  〈daf〉  d  〈vor〉  e–e  den Schein zu erwecken > und Andren so vorzukommen   f  〈Warum nur?〉  g  Alternative Lesung: denn   8  Vgl. Max Webers Briefe an seinen Vetter Fritz Baumgarten in MWG II/1. 9  Der Althistoriker Ernst Fabricius. 10  In der nahe Interlaken in der Schweiz gelegenen Molken- und Luftkuranstalt verbrachte Familie Baumgarten die Sommerfrische. Dort hatte sie Max Weber sen. (Brief Hermann Baumgartens an Max Weber sen. vom 29. Juli 1887; BA Berlin, Nl. Hermann Baumgarten, N2013/25, Bl. 45–46) und dessen Freund, der Göttinger Professor für Jurisprudenz Ferdinand Frensdorff, besucht; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887, unten, S.  123 f.

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sehr nett gewesen zu sein. Es freut mich auch, wenn Ihr Prof. Frens­ dorff kennen gelernt habt, er ist einer der liebenswürdigsten Menschen, die ich noch gesehen habe, ich bin ihm auch sehr vielfach verpflichtet. – Der Onkel hat mir einen sehr freundlichen Brief, nun auch schon vor ein paarh Wochen, geschrieben, ich muß an einem der nächsten Abende, wenn es einmal nicht so spät ist, wie jetzt, ordentlich antwor­ ten,11 heute würden wohl die Augenlider zu purzeln anfangen. Bald schreibe ich Dir dann auch einen vernünftigen Brief,12 heute wollte ich nur noch Dir ein wenig vorplaudern, als Revanche. – Über Laura13 habe ich von Fritz ausführlich gehört; es ist trauriger, als ich gedacht hatte, das ist wirklich wahr; – aber ich will jetzt nicht noch davon an­ fangen. – Von Eurem Zusammensein in Heidelberg habe ich tüchtig erzählt bekommen, auch vorher schon von Heidelberg aus durch Alfred, – der mir einmal einen ganz wunderlichen Brief von dort aus schrieb.14 Er ist doch Empfindungsmensch, auch mit der sich daraus ergebenden Ab­ hängigkeit von irgend einem momentanen Verdruß oder sonstiger Stimmung, wo sich dann Eindrücke bei ihm zu einem ganz tollen Ex­ trem steigern. Aber es sind Stimmungen und merkwürdig leicht unter andren, objectiv betrachtet, ganz unbedeutenden, andren Eindrücken wieder verfliegend, wenn auch ein gewisser weltschmerzlicher Grund­ ton, – möchte ich sagen, – bleibt. Ich glaube eigentlich doch nicht, daß es mit körperlichem Unwohlsein zusammenhängt. Insofern wohl, als er im Allgemeinen nervös und in einer Art Examensangst jetzt ist, – ganz unnötiger Weise –, aber sonst ist, nach meinen Erinnerungen, der Zustand kein so abnormer. Man überschätzt in seiner Situation oft die Bedeutung von theoretischen Ansichten und gerät dann in eine Art Pessimismus, mit dem man dann spielt, weil es Einem eine eigentüm­ liche Art von Genuß ist, die Welt in diesem trüben Dämmerlicht anzu­ schauen. Nachher auf der Universität curiert man sich leichter aus, dazu helfen schon die praktischen Aufgaben, die Einem dort gestellt h O: par   11  Der angekündigte Brief an Hermann Baumgarten ist nicht nachgewiesen. 12  Der nächste Brief an Emmy Baumgarten datiert vom 21. Oktober 1887, unten, S.  128– 139. 13  Laura Fallenstein, die im Frühjahr 1887 in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert war. 14  Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Alfred Weber vom 5. Aug. 1887, oben, S.  112.

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werden, so einfach sie zunächst sind. Es ist gar kein angenehmer Zu­ stand, das ist wahr, aber es ist mir gar nicht zweifelhaft, daß er darüber ziemlich leicht hinauskommen wird. Es ist mehr das wohl begreifliche Unbehagen, noch Schüler zu sein. Ich habe aus Veranlassung seines Briefs, obwohl ich sonsti nicht viel Neigung zu Auseinandersetzungen habe, – aber die Menschen sind darin verschiedenj – ausführlich mit ihm darüber gesprochen und merkte wohl, daß Du das Gleiche gethan haben mußtest. – Aber ich darf auch darüber nicht zu ausführlich wer­ den, sonst verschlafe ich morgen den Kaffee. Wenn Du wirklich bald schreibst, so freue ich mich von Herzen. Laß Dir’s gut gehen, gut be­ kommen, namentlich; – halt! noch etwas: ich habe noch gar nicht Dir gesagt, was ich mich gefreut habe, daß Du, wie Du damals schriebst, als Dornröschen „die Bretter, die die Welt bedeuten“, betreten hast. Ich hätte jetzt nicht dran gedacht, wenn ich nicht kürzlich im Stillen mein Vergnügen daran gehabt hätte, als ein Herr aus Straßburg, der hier war, als zufällig der Name Deines Vaters genannt wurde, von diesem Ereignis und wie nett Du das gemacht hättest, erzählt hätte. Siehst Du wohl! – Viele Grüße an den Onkel und Anna;15 ich würde auch Dich schön­ stens grüßen, aber vor Künstlerinnen neigt man sich in |:ehrfürchtiger:| Demut, und daher erstirbt in solcher Dein unterthänigster Vetter Max Gute Nacht!

i  〈dazu〉  j  〈in ihren Bedürfnissen〉   15  Emmys Schwester Anna Baumgarten.

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Hermann Baumgarten 30. September 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  26–28

Charlottenburg 30. IX. 87 Lieber Onkel!

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Ich habe mich Euch gegenüber recht lange ausgeschwiegen und hätte doch in mehr als einer Hinsicht Veranlassung gehabt, auf Deinen freundlich eingehenden Brief bald zu antworten, zumal er Manches ent­hielt, was mich persönlich sehr speciell angeht. Wenn Du erlaubst, komme ich darauf zuerst zu sprechen, – ich meine nämlich auf Das, was Du mir über meinen wissenschaftlichen Lebensweg vorhältst. Es ist wohl wahr, ich hatte |:mir:| selbst denselben etwas anders vorgestellt und namentlich gedacht, ich würde etwas schneller dazu kommen, micha entschieden |:der rein wissenschaftlichen Thätigkeit:| zuzuwen­ den; und ich will offen gestehen, daß mir im Stillen der Vergleich zwi­ schen der Vorstellung, die ich mir über diesen Zeitraum |:gemacht hat­ te:|, binnen dessen ich an das Doctorexamen treten könnte, und der Entfernung, in welcher ich mich thatsächlich noch von demselben be­ finde, wenig Freude bereitet. Verschiedenerlei Gründe spielen dabei mit. Einmal schon, daß ich eben doch in Folgeb des militärischen In­ termezzos meiner Studienzeit1 nicht viel über ein Jahr wirklich gear­ beitet hatte, als ich in das erste Staatsexamen2 ging, und deshalb zwar vielerlei Wissen, aber keine umfassende Anschauung des Gesammt­ stoffs meiner Wissenschaft besaß, so daß mir in der ersten Zeit der praktischen Beschäftigung rasch sehr Vieles wieder verloren ging, dann ein mir selbst überraschend schlechtes Gedächtnis, welches mich zwingt, erheblich mehr Zeit auf reine Einprägungsarbeit zu verwen­ den, als die meisten Andren – ich hatte Gelegenheit, Vergleichungen a  〈[??]〉  b  〈dessen, daß ich〉   1  Max Weber hatte 1883/84 seine Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger abgeleistet und dafür das 1882 begonnene Studium der Jurisprudenz unterbrochen. Im März und April 1885 hatte er an der ersten von zwei militärischen Übungen teilgenommen, die für die Beförderung zum Reserveoffizier Voraussetzung waren. 2  Das Erste Juristische Staatsexamen hatte Max Weber im Mai 1886 abgelegt und im Juni 1886 das Rechtsreferendariat begonnen, das nach vier Jahren mit dem Assessorexamen endete.

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anzustellen – und mich enorm viel Zeit gekostet hat, denn was Masse des Materials betrifft, stellt grade unser |:hier:| geltendes Recht seiner Natur nach ziemliche Anforderungen und dazu kam, daß ich eben dies Recht noch gar nicht kannte, sondern ganz neu an dasselbe herankam, – und ich konnte es nicht nur so nebenbei betreiben, denn das Asses­ sorexamen unter allen Umständen zu machen bin ich fest entschlossen. Zeitweise hattec auch, wie ich ebenfalls einräume, eine rein wissen­ schaftliche Thätigkeit für mich ihren Reiz fast ganz eingebüßt gegen­ über dem Eindruck, daß die praktischen Interessen, deren Regulie­ rung die Elementaraufgabe der Rechtsentwicklung ist, vielfachd Com­ binationen darboten, welche, wie mir schien, mit den Mitteln unsrer Wissenschaft nicht ezu erfassene waren, so daß für mich der Trieb zur Beschäftigung mit der Wissenschaft um ihrer selbst willen erheblich abnahm. Kurz und gut, es waren allerlei Eindrücke, die das rein Juri­ stische aus dem Mittelpunkt meines Interesses verdrängten und damit mir auch ein erfolgreiches Arbeiten in dieser Richtung erschwerten, so daß ich bisher der Möglichkeit, selbständig wissenschaftlich zu arbei­ ten, nur wenig näher gerückt bin. Indessen ist es mir nie zweifelhaft gewesen, daß ich jedenfalls versuchen müßte, in dieser Richtung etwas zu leisten, und wenn |:mir zeitweise:| etwas mangelte, so war es mehr die Lust und Liebe zur Sache, als der Wille dazu. Ich glaube nun jetzt wenigstens auf dem Wege zu sein, allmälig auch der Aufgabe selbst näher zu kommen und willf in diesem Winter versuchen, nachdem ich jetzt wenigstens einigermaßen mich im Preußischen Landrecht zu Hause fühle oder doch in absehbarer Zeit mich hoffentlich zu Hause fühlen werde, wieder ernstlich theoretisch zu arbeiten. Vorläufig bin ich dabei, für Goldschmidts Seminar etwas rechtshistorisch zu arbei­ ten und lerne dabei immerhin mancherlei Material kennen – italie­ nische Statuten handelsrechtl[ichen] Inhalts besonders – was sich viel­ leicht gelegentlich verwerthen läßt.3 Wie gesagt, den Weg zu betreten c  〈ich〉  d  〈gen〉  e–e  zu lösen > zu erfassen  f  〈versuchen〉   3 Levin Goldschmidt hielt im Wintersemester 1887/88 zwei Lehrveranstaltungen über Handelsrecht ab: „Handelsrecht, mit Einschluss des Seerechts“ (täglich von 12 bis 1 Uhr) sowie „Historische und praktische Übungen aus dem Gebiet des Handelsrechts“ (montags zwischen 6 und 8 Uhr abends); vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, WS 1887/88, S.  4. Bereits in seinem Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1887, oben, S.  110, hatte Max Weber die Beschäftigung mit italienischen Städtestatuten erwähnt. Seine Notizen mit Quellenauszügen und Definitionen sammelte er in einer Kladde mit dem Vermerk „1887. Italienische und spanische Statuten, Handelsrecht und gemeines Privatrecht“ (Be-

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bin ich entschlossen, ob ich darin etwas zu leisten im stande bin, muß sich ja zeigen. Die Hoffnung darauf möchte ich nicht aufgeben. – Herz­ lichen Dank also für Deine freundliche Interessenahme und sei unbe­ sorgt, soviel an mir liegt, werde ich zu thun bestrebt sein. – Daß wir durch Ottos4 Anwesenheit wiederg besonders lebhaft in alle Euch angehenden Dinge und Interessen hineingezogen worden sind, werdet Ihr ja erfahren haben. Otto war im Allgemeinen recht frisch und guten Muthes, jedenfalls erheblich besser im Stande als Fritz5 diesen Sommer. Seine Beziehungen in Halle müssen ja enorm umfas­ sende sein, es hat uns recht interessiert, über zahlreiche nicht unbedeu­ tende Menschen, mit denen er dort im Verkehr steht, von ihm Näheres zu erfahren. Hier war das Zusammensein mit ihm sehr behaglich, wesentlich auch deshalb, weil er nicht so viel Besuche abzutraben hatte, wie frü­ her. Mit seinem Aufsatz über Goethe und Herder6 konnten wir hier nicht so unbedingt mit, d. h. ich erheblich besser als mein Vater, wel­ cher der ganzen Betrachtungsweise fremd gegenüberstand und ihre Berechtigung nur sehr relativ gelten lassen will, währendh mir die 3 ersten Nummern, wenige Wendungen ausgenommen,i vollständig zu­ treffend erschienen – vorausgesetzt, daß das ästhetische Urteil dadurch nicht alteriert werden soll – und die Letzte, deren spezieller |:religiö­ ser:| Standpunkt uns ja etwas fern steht, mir jedenfalls durchaus sym­ pathisch war. Hoffentlich kommt er, wie er hofft, bald zu größeren Ab­ schlüssen. Mein Vater spricht noch immer mit Vergnügen von Eurem Zusam­ mensein auf dem Abendberge und wir haben uns besonders gefreut, daß Ihr Prof. Frensdorff dort kennengelernt habt.7 Ich erinnere mich g  〈mehr in〉  h  〈ich〉  i  〈sehr sympathisch einleuchteten〉   stand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Sie gingen später in seine Dissertation ein; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  129 f. 4  Otto Baumgarten war aus Halle zu Besuch, wohin er im Frühjahr 1887 gezogen war, um das Lizentiat zu erwerben; vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. und 18. März 1887, oben, S.  56 mit Anm.  10. 5  Max Webers Vetter Fritz Baumgarten. 6 Baumgarten, Otto, Herders Bruch mit Goethe. Eine Abrechnung zwischen klassischästhetischer und christlich-moralischer Weltanschauung, in: Evangelisch-Lutherisches Gemeindeblatt für die gebildeten Glieder der evangelischen Kirche (später: Die christliche Welt), Jg. 1, 1887, S.  353 f., 363–365, 373–375 und S.  383–385. 7  In der nahe Interlaken in der Schweiz gelegenen Molken- und Luftkuranstalt verbrachte

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auch meinerseits stets mit Vergnügen der Zeit, welche ich in Göttingen zugebracht und während derer ich speciell seine große Liebenswürdig­ keit genossen habe. Seine Publikationen werden, wie ich noch neulich wieder zu meiner Freude bestätigen hörte, durchweg als classisch aner­ kannt, seine Fruchtbarkeit auf speciell juristischem Gebiet ist ja aller­ dings leider keine sehr große. Sein Lehrvortrag – ich habe Verwal­ tungsrecht bei ihm gehört, – war den Meisten meiner Commilitonen zu streng sachlich und objectiv, deshalb langweilig; ich meinerseits habe das Colleg mit großem Vergnügen gehört.8 In einem eigentümlichen Contrast steht er zu seinen übrigen Famili­ enmitgliedern. Trotzdem ich von seiner Frau9 oft sehr |:viel:| Liebens­ würdigkeit erfahren habe, sie jedenfalls die Absicht hatte, liebenswür­ dig zu sein, muß ich doch, wenn ich der Wahrheit die Ehre geben soll, bekennen, daß sie mir ebenso wie den meisten andren Menschen |:leider:| einigermaßen fürchterlich ist, man hat immer den Eindruck, daß es für ihn schwierig sein müsse, den geistigen Status quo des Hauses ihren Anstrengungen, denselben auf das Niveau der bloßen Klatschbasenhaftigkeit herabzuziehen, gegenüber auf der Höhe zu hal­ ten. Von den Töchtern ist die ältere10 etwas verwachsen, einj oberfläch­ liches, aber gutherziges und anspruchsloses, und aus diesen Gründen liebenswürdiges Mädchen, die jüngere,11 leidlich hübsch, erheblich an­ spruchsvoller mit einem Anflug von Koketterie und einer starken Do­ sis Schnoddrigkeit, mir weniger angenehm. Im Allgemeinen gönnt man ihn seiner Familie, besonders seiner Frau, nicht. Mir that er zu­ weilen leid. – Hier ist Alles beim Alten. Gestern kam Alles mit Zeugnissen nach Hause, Alfred mit einem sehr guten, Karl mit einem ziemlich mangel­ haften, Arthur mit einem sehr schlechten. Mit Karl ist noch immer j  〈gut〉   Familie Baumgarten die Sommerfrische. Dort hatte sie Max Weber sen. (Hermann Baumgartens Brief an Max Weber sen. vom 29. Juli 1887; BA Berlin, Nl. Hermann Baumgarten, N2013/25, Bl. 45–46) und dessen Freund, der Göttinger Professor für Jurisprudenz Ferdinand Frensdorff, besucht. 8  Max Weber hatte im Wintersemester 1885/86 Ferdinand Frensdorffs Veranstaltung über „Deutsches Verwaltungsrecht“ besucht; vgl. Verzeichniss der Vorlesungen auf der GeorgAugust-Universität zu Göttingen während des Winterhalbjahrs 1885/86. – Göttingen: Dieterichsche Verlags-Buchhandlung 1885, S.  3. 9  Anna Cäcilie Frensdorff. 10  Die 1868 geborene Else Frensdorff. 11  Die 1871 geborene Käthe Frensdorff.

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nicht sehr viel los, seine Leistungen bessern sich, aber sein sonstiges Verhalten steht noch auf einem für seine Jahre übermäßig tiefen Ni­ veau, es will keine rechte Haltung hineinkommen. Mein Vater und wir zerbrechen uns oft den Kopf darüber, was man aus ihm machen könnte, es ist aber schwer etwas auszudenken. Zunächst entscheidend ist, daß man für jetzt nicht daran denken kann, ihn fortzuthun unter andre Leute oder etwa in ein Geschäft. Er ist nicht zuverlässig und man wäre vor absolut keinem Abwege sicher, daß er nicht darauf geriethe. Dar­ aus folgt, daß er bis auf Weiteres noch auf der Schule bleiben muß; ein gewiß an sich, da sein Weiterkommen |:darauf:| mindestens zweifelhaft |:ist:|, nicht erfreuliches Resultat. – Ich meinerseits denke mich ordent­ lich an die Arbeit zu geben und die ewige Geselligkeit, die der leidige Winter immer mit sich bringt, sehr stark zu reducieren. Ich werde in einem Seminar bei Goldschmidt arbeiten, denke dabei Manches zu profitieren. Vorläufig arbeite ich für das Seminar an einer kleinen Ar­ beit über Handelsgesellschaften, wesentlich auf Grund der italie­ nischen Statuten des 12 [.] –16. Jahrhunderts. Außerdem muß römisches Recht getrieben werden. Die Referendar-Thätigkeit zeigt ein freundli­ cheres Gesicht, es ist jetzt wirklich viel dabei zu lernen und nicht Alles Formelkram und Schreiberei.12 – Erheblichen Verkehr habe ich hier nicht. Durch Dr. Hoeniger, dessen Du Dich wohl erinnerst – er hat sich jetzt vergeblich um die Frankfurter Archivarstelle beworben13 –, komme ich gelegentlich in eine Gesellschaft junger Nationalöko­ nomen,14 natürlich meist in erster Linie Manchester-feindlich, was mir, glaube ich, ganz gut thut, denn ich bin als Nationalökonom noch sehr schlecht beschlagen. Eine Anzahl junger Historiker habe ich dort ebenfalls kennengelernt; Dr. Jastrow,15 Dr. Liesegangk 16 u. A., die Meisten unbedingte Verehrer Treitschkes17 mit wunderlichen Unterk  〈etc〉   12 Von Dezember 1886 bis Ende November 1887 absolvierte Max Weber im Rahmen seines Rechtsreferendariats die Station am Landgericht II in Berlin und war dort im Frühjahr 1887 von der Straf- zur Zivilkammer gewechselt; vgl. den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 16. Juni 1887, oben, S.  88. 13  Vgl. den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 16. Juni 1887, oben, S.  89. 14  Robert Hoeniger war Privatdozent für Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Zu dem Kreis junger Nationalökonomen, in den Robert Hoeniger Max Weber einführte, vgl. die Einleitung, oben, S.  21–24. 15  Ignaz Jastrow. 16  Erich Liesegang. 17  Der Historiker Heinrich von Treitschke.

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scheidungstheorien zwischen „technischer“ und „künstlerischer“ Ge­ schichtsschreibung etc. Mit Einigen habe ich mich schon gelegentlich gehörig gezankt. – Die Politik hier schläft ja im Übrigen noch, am mei­ sten Staub hat noch das Spiritus-Aktien-Project18 aufgewirbelt. Ver­ schiedene |:Sprit-brennende:| Regierungsräthe pp., die ich auf den Al­ ten-Herren-Abenden meiner Couleur sehe,19 erzählten viel von Dem, was dabei hinter den Coulissen zugegangen sei; es scheinen sehr viele halbwahre, |:auch:| direct schwindelhafte Behauptungen |:und Mittel:| benutzt worden zu sein, überhaupt die ganze Sache der Sauberkeit stark entbehrt zu haben. Schon das bloße Project und die Reclame pp [.] hat enorme Summen zu Gunsten der Jobber20 verschlungen. Ihr in El­ saß-Lothringen seid jetzt natürlich auch wieder Gegenstand starken Mitleids, wegen derl Unsicherheit und Gefahr, tot geschossen zu wer­ den, die bei Euch zu Lande |:an der Grenze:| herrscht.21 So arg wird es wohl auch jetzt nicht sein, aber daß wirklich gar nichts weiter gesche­ hen soll, als nur die Einführung der Gewerbeordnung, 22 ist wirklich zu schmählich. – Ich höre unten im Hause so etwas, als ob Besuch gekommen wäre, muß deshalb einmal hinuntergehen und sehen was ist, und willm des­ halb, damit der Brief fortkommt, nicht noch den politischen Berichter­ statter zu spielen versuchen. Ohnehin giebt es in dieser Beziehung |:jetzt:| nicht viel zu erzählen. Wenn Du aber erlaubst, erzähle ich Dir nächstens einmal wieder, was die Leute hier über Manches denken. l  〈vermeintlichen〉  m  〈mir〉   18 Zu dem im August 1887 gescheiterten Versuch der Gründung einer Spiritusverwertungsgesellschaft vgl. Schulthess 1887, S.  165 f. 19  Max Weber war seit 1886 „Philister“ der Heidelberger Burschenschaft Allemannia. Unterlagen zur Geselligkeit der Berliner Ortsgruppe der Heidelberger Allemannia sind im Archiv der Burschenschaft nicht überliefert. Auch ist anhand der dort erhaltenen Personenunterlagen mit Wahrscheinlichkeit lediglich Reinhold Hoffmann als einer der von Max Weber erwähnten Regierungsräte zu identifizieren. Hoffmann war seit 1887 ständiges Mitglied des Reichsversicherungsamtes Berlin und Geheimer Regierungsrat (schriftliche Auskunft von Dr. Wolf-Diedrich Reinbach (Heidelberg) vom 18. und 20. Juli 2015). 20  Hier im Sinne von: Börsenspekulanten. 21  Am 24. September 1887 war es bei Raon-sur-Plaine zu einem tödlichen Zwischenfall gekommen. Jäger, die von der deutschen Forstverwaltung aushilfsweise zur Bekämpfung der Wilderei eingesetzt worden waren, hatten zwei Teilnehmer einer französischen Jagdgesellschaft erschossen. Es war umstritten, auf welcher Seite der Grenze sich das Geschehen zugetragen hatte; vgl. Schulthess 1887, S.  169 f. 22  Das Gesetz, betreffend die Einführung der Gewerbeordnung in Elsaß-Lothringen, wurde am 27. Februar 1888 erlassen; vgl. Deutsches Reichsgesetzblatt, Band 1888, Nr.  7, S.  57 f.

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Für diesmal wollte ich nur Dir, wenn auch spät, für Deinen so freund­ lichen Brief danken. Meine Eltern tragen mir viele Grüße auf und ich bitte, Tante und Cousinen23 schönstens zu grüßen. An Emmi komme ich vielleicht heute Abend zum Schreiben.24 Mit herzlichem Gruß Dein Neffe Max.

23  Ida, Anna und Emmy Baumgarten. 24  Der angekündigte Brief an Emmy Baumgarten ist nicht nachgewiesen.

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Emmy Baumgarten 21. Oktober 1887; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 21. X. 87. Liebe Emmy! Nun habe ich richtig wieder mindestens 6 Wochen auf Deinen lieben Brief geschwiegen und wer weiß [,] ob Du nicht schon gedacht hast, ich hätte ihn wirklich „weggeworfen“. Dazu hattest Du mich nämlich –, denn Du warst ordentlich kurz angebunden, – freundlichst aufgefor­ dert für den Fall, daß er mich „ärgern“ sollte. Das hättest Du doch aber vorne an die Spitze des Briefs schreiben müssen, denn was hülft mir das Wegwerfen nach dem Ärger? Überhaupt aber würde ich dann doch meine Rache lieber an Dir selbst als an dem Brief üben und wenn Du mich wirklich „geärgert“ hättest, hätte ich Dir wahrscheinlich schon sehr bald einen Brief geschrieben, worin ich mich zu revanchierena ge­ sucht hätte. So aber erscheine ich wieder im Büßergewand vor Dir; ich habe aber wirklich seit einem Monat fast täglich die Feder in der Hand gehabt und immer auf die Sonntag-Nachmittage gehofft, bekam an diesen aber meist Besuch, – und in der Woche war gar nichts zu ma­ chen, denn ich habe die letzte Zeit recht ordentlich gearbeitet, so ziem­ lich den Tag über auf der Bibliothek, weil ich Material zu einer Arbeit für Prof. Goldschmidts Seminar sammelte. Dazu mußte ich Hunderte von italienischen und spanischen Statutensammlungen durchsuchen,1 und erst noch mir die beiden Sprachen so weit aneignen, daß ich Bü­ cher darin einigermaßen verstehen konnte, was bezügl. des Spanischen etwas zeitraubend war, und dann ist das Zeug meist in uralten schänd­ lichen Dialekten geschrieben, so daß man sich wundert, daß die Men­ schen |:selbst:| das Kauderwelsch verstanden haben, |:u.s.w.:| – nun also, ich hatte tüchtig zu thun und wenn dabei nicht viel, sondern nur wenig herausgekommen ist, so kann ich weniger dafür, als die italie­ nischen und spanischen Stadträthe, die grade das nicht in die Statuten a O: revangieren   1  Zu Max Webers Teilnahme an einer Lehrveranstaltung von Levin Goldschmidt im Wintersemester 1887/88 und seiner Beschäftigung mit italienischen und spanischen Statuten vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887, oben, S.  122 f. mit Anm.  3, und S.  125.

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gesetzt haben, was ich darin suchte. So bin ich, wie gesagt, zu wenig Anderem gekommen, und auch nicht zum Schreiben an Dich, liebe Emmy, Du kannst mir aber glauben, daß ich oft genug in Gedanken dabei war, denn auf Einiges, was Du mir schriebst, wollteb ich Dir gern mit ein paarc Worten antworten. Da will ich es nun mit Deinem Brief so anfangen, wie Ihr Mädchen mit den Büchernd[,] nämlich das Letzte vorwegnehmen. – Ich kann Dich versichern, daß mir der Gedanke, daß ich hier im Hause |:meiner Mutter:| nichte Das biete, was man eigentlich erwarten sollte – denn darin gebe ich Dir, wie Du weißt, von vorn herein Recht, daß dem wohl so seinf mag – [,] daß mir dieser Gedanke kein ange­ nehmer ist und mir das Arbeiten nicht erleichtert, ganz gewiß nicht. Du sagst mir nun, wie und was ich anders machen sollte. Wahrscheinlich wirst Du auch Recht haben, |:wie schon oft,:| und ich wieder Unrecht,g (denn in dieser Beziehung mistraue ich meiner Einsicht stark) – aber ich kann es doch nicht so leicht anders machenh. Willst Du mir wirklich nicht glauben, daß ich noch sehr stark zu thun habe, um etwas vor mich zu bringen? Damit ist doch noch nicht gesagt, daß ich mich für mit Dummheit geschlagen hielte, wie Du vermuthest, liebe Emmy. Aber ich habe wirklich von meiner unterbrochenen, unregelmäßigen Uni­ versitätszeit2 her nicht ganz wenig nachzuholen und es geht nicht so schnell, wie man sich zuweilen vorher denkt. Nun sagst Du mir, ich hätte ja doch keine Eile. Ich habe mich aber auch noch nicht beeilt. – Und diesen Sommer ging es mir |:doch:| höchst wunderlich: es war, als wenn meine Familie nur nach Heidelberg sich begeben hätte, um dann, aus Artillerieschußweite, mich mit schwerem Geschütz zu bombardie­ ren: mein Vater durch Fritz,3 meine Mutter selbst brieflich und durch Deinen Vater 4 (irre ich nicht), wann ich denn das Doctorexamen ma­ chen würde? Meinem Vater ist es, das weiß ich wohl, im Stillen eine kleine Entteuschung, daß ich das noch nicht schneller fertig gebracht b  möchte > wollte  c O: par  d  Briefen > Büchern  e  〈grade〉  f  〈kann〉   g  〈aber〉  h  durchführen > machen   2  Max Weber hatte 1883/84 seine Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger abgeleistet und dafür das 1882 begonnene Studium der Jurisprudenz unterbrochen. Im März und April 1885 hatte er an der ersten von zwei militärischen Übungen teilgenommen, die für die Beförderung zum Reserveoffizier Voraussetzung waren. 3  Max Webers Vetter Fritz Baumgarten. 4  Zu Hermann Baumgartens Interesse an Max Webers Zukunftsplänen vgl. den Brief an denselben vom 30. Sept. 1887, oben, S.  121–123.

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habe. Da will ich es doch an mir nicht fehlen lassen, nicht wahr?i Und da ist es dann oft doch schwierig, mit seiner Zeit zurechtzukommen und hier besonders schwierig für mich, mit meiner Mutter öfter etwas zusammen zu treiben, weil wir Beide das kaum zu andren Zeiten als des Abends könnten, und dann |:– das ist die Hauptschwierigkeit –:| ist sie, wie Du Dich wohl erinnerst, fast regelmäßig so totmüde, daß es mir dann meist vorkommt, als hörte sie, wenn ich ihr etwas vorlese, nur mit Anstrengung zu und nur, weil sie es mir zu Gefallen thun möchte. Und zuweilen kann ich auch des Abends nicht.j Denn es ist mir doch einmal eine Art Dogma, daß gewisse Dinge, die man sich fest vorgenommen hat fertigzumachen, nicht liegen bleiben dürfen [,] und ich kann mir nicht denken, daß meine Mutter das Unrecht finden könnte. Freilich würde ich noch Zeit sparen können, wenn ich selbst meine persönliche Geselligkeit noch mehr einschränkte. Aber sie ist nicht sehr ausge­ dehnt: es vergehen gelegentlich Monate, in denen ich nicht öfter als je ein Mal |:im Monat:| des Abends auswärts bin. Mehr Zeit nimmt schon die Geselligkeit in Anspruch, die damit zusammenhängt, daß ich eben in der Familie wohne. Aber daß ich sie, wie ich gern thäte, ganz miede, widerspricht dem Wunsch meiner Mutter.k Möglich wäre es, daß ich es anders machen könnte, nur sehe ich nicht recht, wie. Von dem Lesen des Abends hat meine Mutter nicht sehr viel, wie schon gesagt, und das Sprechen ist mir nicht grade sehr von der Natur mitgegeben, d. h. nicht so, wie ich es hier brauchte. – Wenn nur meine Mutter nicht durch den Haushalt hier Tag für Tag so abgespannt würde, daß sie vom Leben etwas zu haben so sehr wenig im stande ist. Dann, glaube ich, würde Alles leichter sein. Aber so ist es fast immer, als läge ihr eine Art Druck auf dem Kopf, und sie kann es dann nicht recht durchführen, den Mit­ telpunkt zu bilden. Und ich bin dazu nicht berufen noch im stande. Genug davon, – es ist schwierig,l hier Das richtig auszudrücken, was ich sagen wollte; aber es geht mich nah an und Du mußt nicht denken, daß der Gedanke daran und darüber mich nichtm kümmerte. – Den Ein­ druck hast freilich nicht Du allein. – Es wäre das Alles, wie ich immer wieder sagen kann von nicht so großem Belang, wenn nicht offenbar meine Mutter im Lauf der Jahre Manches sehr viel schwerer nähme. Z. B., um eins zu erwähnen, mein Vater war von jehern sanguinisch und seine Stimmung oft, aus äußerlich geringer Veranlassung, jähem Wech­ i  〈Siehst Du, nun habe ich beinahe〉  j  〈Wenn〉  k  〈Aber〉  l  Unsichere Lesung: 〈D〉  m  〈besch〉  n  〈von〉  

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sel ausgesetzt; im Gegensatz zu früheren Jahren macht ein solcher Wechsel jetzt auf meine Mutter oft einen wirklich tiefgehenden schmerzlichen Eindruck, den sie gar nicht so schnell verwindet, auch wenn der Verdruß, der ihn hervorrief, nur ein ganz momentaner war. Ich bin Sohn im Hause und Du wirst mir |:vielleicht doch:| zugeben – man kann ja verschiedener Ansicht sein – daß es dieser Stellung nicht entsprechen und das Familienleben nicht fördern würde, wenn ich an­ ders als indirect mich einmischte. Und ähnlich in Manchem. Dies übri­ gens nuro für Dich, liebe Emmy; – die tägliche Arbeit der Menschen ist verschieden gestaltet, und man kann es an sich selbst empfinden, daß die Büreauthätigkeit und die mehr oder weniger angespannte Beschäf­ tigung mit zahlreichen |:unendlich wechselnden:| menschlichen Ver­ hältnissen, die auf dem Papier und in den Akten eine eigentümliche Art von |:gespensterhaftem:| Leben gewinnen, |:ein Bild,:| wie wenn man |:auf:|p einem Vorhang die Schattenumrisse wirklich lebender Menschen einen Tanz aufführen sähe, – man merkt, daß es sich um die Existenz Derjenigen handelt, die hinter dem Vorhang den täglichen Kampf um Mein und Dein führen, aber nur die farblosen Umrisse fal­ len auf den Vorhang, oft wunderlich verzerrt, – daß also die Beschäfti­ gung mit diesen Schattenbildern und überhaupt mit den teils kleinen, teils großen Interessen des äußeren Lebens |:wie sie uns beschieden ist:|, das Verständnis dafür |:erschwert:|, daß Andere, deren Beruf mehr auf der inneren Seite liegt, leicht eine nur auf Grund einer äußer­ lichen, augenblicklichen Stimmung gethane Äußerung etc. innerlicher nehmen und deshalb dauernder unter ihrem Eindrucke stehen, alsq ein solcher momentaner Impuls verdiente.r Ich sage dies nur, weil ich un­ gern den Anschein erwecke, als fühlte ich mich zu Vorwürfen nach ir­ gend einer Seite berechtigt. – |:Die Naturen der Menschen sind eben verschieden, und nicht Jeder ahnt etwas davon, wo das Gefühl des And­ren verwundbar ist. –:| Soviel hierüber. Warum hältst Du es eigentlich für nötig, Dich wegen „Predigens“ zu entschuldigen resp. zu versichern, daß dies nicht Deine Absicht sei? Wenn Du Unrecht hast, sage ich es schon, und wenn Du, wie hier zum großen Teil, Recht hast, auch. Aber was soll denn darin Kränkendes für mich liegen, wenn mir meine Cousine den Kopf zu­ recht setzt? Das verlange ich sogar von ihr. – Übrigens sind wir hier jetzt ganz gut im stande, Karl macht einen leidlichen Eindruck und die o  〈unter uns:〉  p  〈hinten durch〉  q  〈ein selbst〉  r  〈Di〉  

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Andren befinden sichs je nach den Umständen wohl. Auch zum ge­ meinsamen Lesen kommen wirt wieder häufiger. – Nun sind ja im Lauf dieses Sommers Deine beiden Brüder5 hierge­ wesen und es hat mich interessiert zu sehen, wie so eigenartig verschie­ den ihre ganze Weise ist. Aber ganz und gar nicht einleuchten wollte mir, was Du über sie schreibst. Namentlich daß der Gegensatz darin liegen soll, daß |:während:| Ottos Naturu ihn unvermeidlich so reden und handeln lasse, wie er thut, Fritz mit Gewalt etwas zu sein suche, was er nicht ist. So fest wie von irgend etwas bin ich, nach ausführ­ lichem Gespräch mit Fritz, davon überzeugt, daß der Gegensatz sov nicht liegt. Im Gegenteil: der compliciertere und künstlichere von Bei­ den ist unzweifelhaft Otto. Ich glaube, fast Jeder wird finden, daß er es ist, dem es schwer fällt, die Dinge, da wo sie einfach sind, einfach zu sehen, und daß er das Bedürfnis hat, auch äußere Fragen zu verinner­ lichen und dadurch oft ziemlich gewaltsam für sich und Andre in ein der natürlichen Auffassung entgegengesetztes Licht zu stellen. Und muß man nicht auch sagen, daß er sich doch mit Absicht und oft ge­ waltsam |:obwohl sicherlich einem großen inneren Trieb folgend:| in den seiner ursprünglichen Beanlagung nicht entsprechenden prak­ tischen Berufw hineingeworfen hat? Grade Das ist es, xworüber sich Fritzx beklagte, daß Otto Dinge, für die es einfache Namen gäbe, künstlich und compliciert aufzufassen sich bemühe. Und ich glaube, er hat wohl nicht so Unrecht, denn wahr ist es doch, grade bei der Art, wie er die Fragen in sich herumwälzt und von seinem besonderen Stand­ punkt aus |:und sicherlich mit Ernst und Gewissenhaftigkeit, das wis­ sen wir Alle:| ihnen beizukommen bestrebt ist, sieht er oft, wie ich we­ nigstens ganz sicher glaube, ganz einfache Seiten derselben nicht. Fritz hat eher das entgegengesetzte Bestreben, und durch seine Ängstlich­ keit, nur ja nicht künstlich zu sein, hemmt er manche Seiten seiner Fä­ higkeiten in der Entwicklung, wenigstens hat man den Eindruck. Daß er aber Ottos Art nicht verstünde, ist glaube ich nicht richtig, mir scheint, er versteht sie wohl, hält sie aber für verkehrt, und einseitig, und daß er dies thut, ist mir |:gar:| nicht unverständlich. Daß Du zu Otto nähere Beziehungen hast, ist gewißy natürlich, |:liebe Emmy, er:| s  〈in gutem〉  t  〈gelegen〉  u  〈die〉  v  hier > so  w Unsichere Lesung: 〈ged〉   x–x  was Fritz so > worüber sich Fritz  y  〈ver〉   5  Fritz und Otto Baumgarten.

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hat Schwereres durchgemacht,6 als viele Andre, und stand allein und vereinsamt, und Du gehörst zu Deinem Geschlecht; aber daß Duz bei Fritz soviel Künstliches und nur eine Art Geist des Widerspruchs fin­ dest, wundert mich eigentlich, denn sonst ist doch das Gefühl bei ihm unmittelbarer. Verzeih, daß ich hierauf eingegangen bin, aber was Du mir schriebst versetzte mich in Widerspruch,a das habe ich Dir doch sagen wollen, denn es kommt mir zuweilen vor, als würdet Ihr der Auf­ fassung von Fritz nicht ganz gerecht, eben weil sie einfacher ist und die Fragen weniger compliciert und deshalb, wie ich glaube nur scheinbar, weniger tief stellt. – – Inzwischen bekam ich einen sehr freundlichen Brief Deines Vaters, für den ich |:ihm:| vorläufig vielmals zu danken bitte; wie schnell ich seinen freundlichen Ermunterungen durch die That werde nachkom­ men können, muß ich sehen, – aber ein Hypochonder bin ich nicht! Recht betrübt war mir zu hören, daß Du noch immer nicht ganz wie­ der in die Reihe gekommen bist (Sollen wir Dich nicht einmal hier bei uns tüchtig herausfüttern?) – Mein Vater freute sich sehr über Eure Photographie; was machst Du nur für ein sonderbares Gesicht darauf? Ich war Anfangs so unbescheiden, zu glauben, ich sollte sie haben. |:Wodurch kann ich mir eine verdienen?:| Bitte, bestelle doch Anna noch nachträglich schönsten Glückwunsch zu vorigem Dienstag,7 sie wird mich freilich wohl auslachen wegen der Verspätung. Was ist sie aber für ein specielles Menschenkind! Otto hat uns nämlich – aber Du darfst ihr das keinesfalls verrathen – Stellen aus einem Brief von ihr vorgelesen, die sich auf Laura8 bezogen, weil es meine Mutter und mich sehr interessierte. Das kommt Einem ja aber wirklich vor, als ob zwei Ritter in eiserner Rüstung gegeneinanderb im Turnier anrennen – d. h. das Tollste ist, sie rennen gar nicht los, sondern stehen stumm und Jeder |:von Beiden:| überlegt sich, wer von beiden wohl den festeren Dickkopf hat. Aber von einer wirklich enormen Consequenz! Wenn Ihr Mädchen Alle so wäret, könnten wir nur ruhig z  〈|:bei Fritz:| findest, daß bei Fritz〉  a  〈und〉  b  〈gegeneinander〉   6  Otto Baumgartens Frau Emily und der gemeinsame Sohn Eberhard waren 1883 im Kindbett gestorben. 7  Emmy Baumgartens Schwester Anna hatte am 18. Oktober Geburtstag gehabt. 8  Laura Fallenstein hatte bei der Familie ihrer Tante Ida Baumgarten in Straßburg gelebt, bevor sie 1887 zu ihrem Bruder Frank T. Fallenstein in die Vereinigten Staaten von Amerika (vgl. unten, S.  134, Anm.  9 und 11) ausgewandert war. Zwischen ihr und Anna Baumgarten hatte es Reibereien gegeben.

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einpacken, denn dagegen anzukommen brächte glaube ich Keiner von uns fertig. – Da wären wir nun wieder bei Laura. In Bezug auf sie hat uns kürz­ lich ein Brief von Otto9 einen kleinen |:oder auch großen:| Schreck ein­ gejagt; meine Mutter hat an ihn und so viel ich weiß auch an die Dei­ nige10 geschrieben. Es war nämlich davon die Rede, daß man Laura unterstützen solle, ihren Bruder aus seiner jetzigen Position zu befrei­ en;11 – und da tauchten mir wenigstens sofort allerlei |:keineswegs freundliche:| Bilder auf über die Consequenzen eines solchen Schrit­ tes: Ein Mann, der gewiß höchst bedauernswerth ist, aber hauptsäch­ lich doch deshalb, weil es ihm offenbar an allerhand Eigenschaften mangelt, die zum Fortkommen in der Welt unentbehrlich sind, den will Jemand, der doch selbst nur mit einem Fuß in der wirklichen Welt steht, wie Laura, veranlassen, das Wenige, was er aus eigner Kraft hat, zu versilbern und mit fremdem Geld auf fremden Boden verpflanzen, man weiß nicht einmal auf welchen? Er hat noch nie ein consequentes Streben nach einem Ziel zu verfolgen die Energie gehabt, und nun soll man ihn noch absichtlich aus der Bahn werfen. Und namentlich von hier aus, wo man zwar sieht, dass es ihm jetzt nach unsren und Lauras Begriffen schlecht geht, aber gar nicht sehen kann, am wenigsten doch aus Lauras Berichten, daß es ihm irgend wo anders nicht noch zehn Mal schlechter gehen |:wird:| und er einfach als Abenteurer verkommt. Und wo man doch den unglückseligen Unstern kennt, der über Lauras „helfender Hand“ stets gewaltet hat. Das kommt mir doch vorläufig durchaus undenkbar vor. Otto hat es ja auch nur als einen Plan hinge­ stellt, der zu besprechen wäre. Wir fürchten aber nichts mehr, als daß Laura, sobaldc von hier aus man sich darauf einläßt, mit ihr Pläne zu schmieden,d alle andren Gedanken hinter den einen zurücksetzt, ihres Bruders Verhältnisse zu reformieren, bei ihm bleibt und Unheil anc  sowie > sobald  d  〈d〉   9  Otto Baumgarten, der mit Laura Fallenstein korrespondierte, berichtet in einem Brief an seine Tante Helene Weber vom 6. Oktober 1887 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) über Lauras Kulturschock angesichts der ärmlichen Lebensumstände ihres Bruders: Frank T. Fallenstein lebte als verschuldeter Farmer in den Vereinigten Staaten in Mount Airy (North Carolina); vgl. MWG II/4, S.  713. 10  Ida Baumgarten. 11  Laura Fallenstein erhoffte sich von ihren europäischen Verwandten eine finanzielle Unterstützung für ihren Bruder Frank (vgl. dazu oben, Anm.  9); vgl. auch Roth, Familiengeschichte, S.  366–368.

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richtet, anstatt – die einzige Möglichkeit, auch ihm zu helfen, – sich selbst erst festen Grund unter die Füße zu bringen und dann vielleicht an die Überlegung zu gehen, was für ihn zu thun. Sobald jetzt mit ihr darüber verhandelt wird, wie Andren zu helfen sei, verliert sie den Ge­ danken, daß sie sich selbst noch helfen müsse, es kommt |:dann:| Alles nur auf eine neue Pflege ihrere Weltverbesserungsgedanken heraus, mit denen ihr Mangel an Bewußtsein davon, daß sie an sich noch zu thun habe, |:schon hier:| so seltsam contrastierte |:und ihr eigentliches Unglück war:|. Deshalb war uns Ottos Andeutung ängstlich, weil wir befürchten müssen, daß, wenn wir hier selbst uns jetzt damit befassen, um die halbe Erdkugel herum in Franks Verhältnisse einzugreifen, es versäumt wird, bei ihr darauf zu dringen, daß sie Alles thut, um aus sich etwas zu machen. – Ich habe mich etwas heftig ausgedrückt, ja – ich bin mirf darüber klar, daß wir uns sehr irren können, |:daß wir:| Otto misverstanden haben |:können:| oder Laura wirklich Recht hat, aber die allgemeine Erfahrung und die Vergangenheit spricht gegen Letzteres und der Gedanke an die schweren Consequenzen für beide Geschwister, die daraus folgen können, ist zu nahe liegend. Ich will Otto auch noch schreiben.12 Wirklich, ich kann die Befürchtung nicht unterdrücken, sein großherziger Drang, Andren zu helfen, möchte ihn diesmal große Faktoren in der Rechnung übersehen lassen. Etwas An­ deres wäre es, wenn Onkel Fritz,13 aber ganz ohne daß Laura auch nur eine Sylbe davon erfährt, und ohne daß das auf ihre Versuche, sich selbständig zu machen, Einfluß hätte, darüber gefragt und ihm eventu­ ell möglichste Unterstützungg versprochen würde, falls er meinte, ein Mittel zu finden. Viel wird, außer einem Nothpfennig, mit Geld von hier überhaupt nicht zu machen sein, man muß immer an den von dem unsrigen so enorm verschiedenen amerikanischen Geldwerth denken. Was in unsrem Gelde ein leidliches Einkommen ist, ist dort ein Trop­ fen auf den heißen Stein. Es ist eine sehr traurige Sache, und daß Lau­ ra nun auch die Entteuschung überh ihr Verhältnis bei Euch nicht er­ spart geblieben ist, sehr hart für sie, aber es hilft |:ihri :| vielleicht in andrer Weise. –

e  〈Weltb〉  f  〈ja〉  g  [??] > Unterstützung  h  〈ihre hier〉  i O: Ihr   12  Der angekündigte Brief an Otto Baumgarten ist nicht nachgewiesen. 13  Helene Webers Halbbruder Friedrich (Fritz) Fallenstein, der sich nach der Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika Francis Miller nannte.

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Nun aber, liebe Emmy, wie geht es Dir denn eigentlich. Ich habe in Folge meines langen Schweigens natürlich auch von Dir ebenso lange nichts mehr gehört, seit Du vom Abendberg abreistest, außer hin und wieder durch Dritte. Schreibst Du wohl bald einmal? Was Du damals vom Abendberg erzähltest, zeigte, wie ungemein behaglich es dort ge­ wesen sein muß, und daß Euch Prof. Frensdorff so gut gefiel, freute mich auch sehr.14 Seine Frau und Töchter,15 von denen Ihr wissen wolltet, kommen dagegen nicht auf, – im Gegenteil, es besteht eine ei­ gentümliche Art Gegensatz zwischen den Naturen, und wir fanden es immer schade, wenn wir ihn nicht ohne „Beilage“ aus seiner Familie genießen konnten. Es ist ganz schauderhaft, was das Berlinerhafte un­ ter den Mädchen um sich greift, besonders in Norddeutschland, (aber auch in Straßburg, wenn auch nur in einigen Exemplaren). Es ist etwas Schmähliches um diese Schnoddrigkeit. Diesen Winterj gedenke ich mich |:soweit möglich:| von Allem zu drücken, was Gesellschaft heißt, ich sehe gar nicht ein, warum meine jüngeren Herrn Brüder nicht all­ mälig diese Last auf sich nehmen können, |:besonders da es ihnen Ver­ gnügen macht:|. Ich denke ziemlich arbeiten zu können. Du warnst mich in Deiner Freundlichkeit, ich würde mich noch kaput arbeiten – darüber habe ich, nimm’s nicht übel, lachen müssen. Du sagst nun auch, ich hätte keine Eile – ich komme hier noch einmal auf kdas The­ ma vomk Anfang des Briefs zurück; – nun, ich sprach schon davon, was das Doctor-Examen betrifft; im Übrigen habe ich immerhin schon Zeit verloren und viell Zeit; und weißt Du, es ist ein eignes Gefühl, wenn man allmälig aus den Studentenschuhen herauswächst, noch Jahre zu warten, bis man sein eigner Herr ist, wenigstens mir, und den Gedan­ ken muß ich eben doch fast tagtäglich herunterschlucken. Ich kann mich auch nicht überzeugen, daß mdas Gefühlm unberechtigt wäre, denn eignes Brot ist für den Mann das Fundament des Glücks, für die große Mehrzahl der Menschen der Inhalt des Strebens das ganze Le­ ben lang, und |:war:| Jahrhunderte lang der Punkt, um den die Weltgej  〈geden〉  k–k  den > das Thema vom  l O: viele  m–m  der Gedanke > das Gefühl   14  In der nahe Interlaken in der Schweiz gelegenen Molken- und Luftkuranstalt hatte Familie Baumgarten die Sommerfrische verbracht. Dort hatte sie Max Weber sen. (Hermann Baumgartens Brief an Max Weber sen. vom 29. Juli 1887; BA Berlin, Nl. Hermann Baumgarten, N2013/25, Bl. 45–46) und dessen Freund, der Göttinger Professor für Jurisprudenz Ferdinand Frensdorff, besucht. 15  Anna Cäcilie Frensdorff und ihre Töchter Else und Käthe.

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schichte sich gedreht hat. Das liegt nun noch fern von mir und daran ist heutzutage nichts zu ändern, aber ich entbehre es sehr, nmehr als And­ ren , und verliere eben deswegeno sehr ungern noch mehr Zeit. Ich bin mir klar, daß ich niemals die Praxis verlassen würde, seitdem ich sicher weiß, darin etwas leisten zu können, (was bei der akademischen Lauf­ bahn nicht sicher ist) p wenn ich nicht bei den jetzigen Verhältnissen dann diesem Ziel noch ferner bliebe undq nicht wenigstens die Aus­ sicht da wäre, auf dem andren Wege schneller auch in dieser Beziehung weiter zu kommen, so daß ich es wenigstens versuchen zu müssen glau­ be. Das ist nunr anscheinend sein gar nichts idealistischer Gesichts­ punkt, aber ich halte ihn für berechtigt. Wahr aber bleibt, daß ich dabei vielleicht oft andre Pflichten nicht richtig zu erkennen und zu erfüllen verstanden habe, die mir im Hause obliegen, und denen ich versuchen muß zu genügen, selbst wenn ich mich dazu nur sehr wenig im stande fühle. Denn das ist nun einmal der Fall, meine Sprechwerkzeuge sind unvollkommen und ich verstehe sie nicht zu gebrauchen und in geselliger Beziehung beschränkt sich meine Leistungsfähigkeit auch wesentlich auf das Zusammensein mit guten Gesellen bei einemt guten Trunk (oder auch ohne solchen, füge ich zu Deiner Besänftigung hinzu), und das ist auch, gestehe ich offen, die Form des Zusammenseins außerhalb der Familie |:zu welcher ich aller­ dings z. B. Häuser wie das Eurige ohne weiteres mitrechne:|, die mich am meistenu anspricht. Daß mir ein so behagliches Zusammensitzen am Abend, wie ich es bei Euch fand und hier zuweilen, vauch außerhalb unsres Hauses, findev, darüber geht, brauche ich ja nicht zu sagen. Siehst Du, nun habe ichw wieder allerlei alltägliche kleine Sorgen und Gedanken vor Dir ausgeschüttet und ungebührlich viel von mir selbst gesprochen. Aber Du hattest mir in so sehr lieber Art gesagt, was Dir verkehrt schien, und ich mußte Dir wesentlich Recht geben, daß ich Dir doch gern auseinandersetzen mochte, wie es so kommen kann. Wir wollen sehen, es zu bessern, wenn es an mir liegt. Und mit der Zeit wird Alles anders, wenn nur erst die Sorgen wegen Karl etc. von meiner Mutter genommen sind, und sie nicht mehr unter dem, auch geistigen, Druckex der Arbeitslast in diesem Umfang steht, wenn die Kinder an­ fangen, Leute zu werden, dann sieht sich Manches anders an und wenn n–n  das weiß ich > mehr als Andre  o  〈k〉  p  〈ein〉  q  〈vielleicht bei der and­ ren〉    r  〈kein〉    s–s  kein > ein gar nicht    t  〈Glas [??]〉    u  〈Anspr〉    v–v  mit guten Bekannten > auch außerhalb unsres Hauses, finde  w  〈Dir〉  x  〈,〉  

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es für meine Mutter erst einmal ruhige Stunden ohne Übermüdung giebt, – die es jetzt nicht giebt – so ist es möglich, daß ich ihr dann viel­ leicht werde mehr bieten können als jetzt bisher. – Wie wird es wohl mit Dora’s16 Herkommen werden? Warum will sie nicht früher kommen? doch nicht etwa der italienischen Stunden we­ gen? Wenn ich dächte, daß es solche Schrullen – denn das wäre das doch – wären, schriebe ich ihr einen groben Brief. Es wäre ja ganz un­ glaublich, – oder will sie per Extrapost als Gouvernante nach Italien? Sage Ihr |:doch:|, ich würde ihr italienische Stunden geben, daß ihr Angst und Bange würde, wenn sie wollte, denn ich sei ein ganz gefähr­ licher Italiener geworden. Es sähe ihr wirklich ähnlich,y Schwierig­ keiten aus diesem Grunde zu machen. – Solltet Ihr durch Zufall in Straßburg eine Frau Dr. Keibel17 – jung verheirathet – kennen lernen, so sage mir doch, ob sie Dir gefällt; ich kannte sie früher gut. Sie kommt aus sehr traurigen Verhältnissen. Ihr Vater ist der Geh. Rath Wehrenpfennig, ein Mann, dessen absolute Charakterlosigkeit, in seinerz ersten Ehe durch seine ausgezeichnete Frau – die Mutter der Frau Dr. K[eibel], auf dem rechten Wege gehal­ ten, sich nach deren Tode bei Eingehung seiner zweiten Ehe, welche sich wie eine völlige Farce abspielte, ganz gezeigt hat. Einen etwas ver­ bummelten Sohn in meinem Alter hat er seiner zweiten Frau – wo de­ ren Herz sitzt, weiß ich nicht – zu Liebe nach Brasiliena geschickt, wo derselbe elend zu Grunde gegangen ist, den zweiten, schwer glieder­ kranken vonb Kindheit auf, packte er in das Krankenhaus und reiste ins Bad, während der Junge auf’s Leben operiert wurde, die Tochter, eben Frau Dr. K[eibel], welche sich für die jüngsten Kinder gradezu aufopferte, hat unglaublich Widerwärtiges erlebt.18 Es ist ein großes Glück, ihre Verheirathung, – und siec war ein ganz vortreffliches Mäd­ chen, wie gesagt, wenn Du sie siehst, grüße sie, ich wüßte gern, ob es y  〈solche〉  z  〈Er〉  a  〈verb〉  b  〈Ju〉  c  〈ist〉   16  Dorothea (Dora) Benecke, die gemeinsame Cousine von Emmy Baumgarten und Max Weber. 17  Susanna Wehrenpfennig hatte am 25. September 1887 den Anatomen Franz Keibel geheiratet. Sie war die Tochter des Berliner Publizisten und nationalliberalen Politikers Wilhelm Wehrenpfennig. 18  Wilhelm Wehrenpfennig war in erster Ehe mit Anna und in zweiter Ehe mit Emilie verheiratet. Der 1861 geborene Sohn Max Wehrenpfennig ging nach Brasilien, der 1869 geborene Sohn Johannes erkrankte schwer. Die beiden jüngsten Kinder, die Töchter Else und Henriette, wurden 1871 und 1873 geboren.

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ihr gut geht. Aber wahrscheinlich ist es wohl nicht, daß Ihr sie trefft, der Mann ist medicinischer Privatdocent. – – Es ist ein mordslanger und doch nicht sehr inhaltreicher Brief ge­ worden, liebe Emmy, aber jetzt, wo ich endlich die Zeit fand,d habe ich alter Gewohnheit gemäß Dir allerlei vorgeplaudert unde mich dabei, wie es mir bei Dir oft geht, ganz verschwatzt. Wenn Du nur die Hälfte einigermaßen lesen kannst. Das nächste Mal versuche ich es mit deut­ schen Lettern, es war dumm, daß ich es nicht schon diesmal that. Nun möchte ich Dich nur noch recht schön bitten, auch bald einmal mich wieder etwas von Dir hören zu lassen, es würde mich recht freuen. Viele Grüße an Alle Deinen. Sowohl Onkel als Tante19 schreibe ich baldigst, die Hiesigen grüßen Alle. Laß Dir es recht gut gehen und Dich auch schönstens grüßen von Deinem Vetter Max

d  〈wollte ich〉  e  In O folgt: und   19  Die angekündigten Briefe an Hermann und Ida Baumgarten sind nicht nachgewiesen.

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Ferdinand Frensdorff 11. Januar 1888; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  10, Bl.  6 –7

Charlottenburg 11/I 88 Hochverehrter Herr Professor! Auch diesmal kommt mein Glückwunsch nicht zum Anbruch des neu­ en Jahres, sondern erheblich später;1 es ist mir aber diesmal möglich, „echte Not“ als Entschuldigungsgrund anzuführen, nämlich diejenige, welche ich hatte, eine kleine Arbeit für das Goldschmidt’sche Seminar, aus welcher vielleicht bei gründlicher Durcharbeitung sich eine Disser­ tation entwickeln könnte, fertig zu stellen, 2 wobei die leserliche Ab­ schrift zahlreiche Tage allein in Anspruch nahm. Deshalb kann ich erst jetzt meiner dankbaren Erinnerung an Ihr Haus schriftlichen Aus­ druck geben und sende Ihnen, Ihrer Frau Gemahlin und Ihren Frl. Töchtern3 nun noch nachträglich die besten Wünsche für das kommen­ de |:oder vielmehr schon angefangene:| Jahr. Ganz ohne Beziehung zu Ihnen bin ich ja auch, nachdem ich Ihre Gastlichkeit in diesem Sommer so ausgiebig genossen hatte,4 nicht geblieben, in Folge der Erzählungen meines Vaters und wiederholter ausführlicher Schilderungen meiner Straßburger Cousinen über Ihren gemeinsamen Aufenthalt auf dem Abendberg.5 Mir persönlich wird es in diesem Jahr leider nicht mög­ lich sein, mich in Göttingen Ihnen vorzustellen, da mein etwaiger Ur­ laub auch diesmal militärisch (8 Wochen in Posen) 6 in Anspruch ge­ 1  Max Weber bezieht sich hier auf seinen Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Januar 1887 (oben, S.  42), in dem er auch schon die verspäteten Neujahrsgrüße bedauerte. 2  Es handelt sich hier um die Grundlage von Max Webers späterer Dissertation: Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief vom 15. Febr. 1889 an Ernst Eck, unten, S.  181 f. Weber hatte sich aus italienischen und spanischen Statuten Notizen angefertigt, die er in einer Kladde sammelte. Vgl. dazu auch den Brief vom 30. Sept. 1887 an Hermann Baumgarten, oben, S.  122 f. mit Anm.  3, und S.  125. 3  Anna Cäcilie Frensdorff und ihre Töchter Else und Käthe. 4  Max Weber spielt auf seinen Besuch in Göttingen zum 150jährigen Universitätsjubiläum der Georg-August-Universität vom 7. bis 10. August 1887 an. Vgl. dazu den Brief an Ferdinand Frensdorff vom 16. Juni 1887, oben, S.  88 f. 5  Gemeint sind die Cousinen Emmy und Anna Baumgarten (vgl. den Brief von Max Weber an Emmy Baumgarten vom 20. Aug. 1887, oben, S.  118 f.). Ob auch Familie Benecke ihren Urlaub in Abendberg nahe Interlaken verbrachte, ist nicht bekannt. 6 Vom 19. Juli bis 13. September 1888 befand Max Weber sich bei einer militärischen

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nommen ist. Gegenwärtig habe ich eine ziemlich starke Arbeitszeit hinter mir, da ich, wie gesagt, eine specielle Arbeit zu erledigen hatte. Das Object war die Entwicklung der vermögensrechtlichen Stellung der offenen Handelsgesellschaft, bes. der solidarischen Haftung und der sog. Sondervermögen |:bei derselben:|, zunächst wesentlich auf Grund italienischer und spanischer statutarischer Rechtsquellen. Ha­ ben sich dabei auch, wie natürlich, objectiv neue Resultate nur in be­ scheidenem Maße ergeben, so war doch subjectiv für mich außeror­ dentlich viel neues Material dabei kennen zu lernen und möchte ich glauben, dabei nicht ganz wenig gelernt zu haben. Ich hoffe noch dazu zu kommen, auch die deutschen städtischen Statuten daraufhin durch­ zugehen, und so doch mit dem deutschen Recht in Berührung zu blei­ ben, obgleich ich im Übrigen in erster Linie römische Rechtsgeschichte zu arbeiten mir vorgenommen und bisher auch ausgeführt habe. Leider ist meine Arbeitszeit augenblicklich wieder sehr stark eingeschränkt dadurch, daß ich täglich den Vormittag bis nach 3 Uhr bei der Staats­ anwaltschaft7 zu thun habe – abgesehen von den häuslich zu erledi­ genden Akten – und ich mir einmal nicht abstreiten lasse, daß diese Thätigkeit, wobei man das Bewußtsein nicht los wird, daß ein tüchtiger Polizeicommissar sie besser versehen würde, wissenschaftlicher Er­ kenntnis des Rechts nicht förderlich ist und im Verhältnis zu der Förde­ rung im praktischen Beamtendienst, welche sie gewährt, zu zeitrau­ bend ist. – Ihrem ganzen Hause sende ich besten Dank für die auch im ver­ gangenen Jahre so vielfach genossene Freundlichkeit und die besten Wünsche für die Zukunft. In dankbarer Erinnerung Ihr Max Weber Referendar.

Übung in Posen. Diese Übung ist in seiner militärischen Personalakte (GLA Karlsruhe, 456 E, Nr.  13719) nicht nachgewiesen; sie ergibt sich jedoch aus Max Webers Briefen. Die Daten sind aus seinen Briefen an Helene Weber vom 23. August sowie 9. und 14. September 1888, unten, S.  174 und 176, erschlossen 7  Einen Teil seiner praktischen juristischen Ausbildung absolvierte Max Weber von Dezember 1887 bis März 1888 bei der Staatsanwaltschaft Berlin. Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  113 f.

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Emmy Baumgarten 17. Februar 1888; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg, 17. Februar 1888 Liebe Emmy! Vorgestern fing ich einena auf die Länge angelegten Brief an Dich an, so, wie ich ihn schon, ich weiß nicht seit wie lange, Dir schreiben wollte, aber ich legte ihn weg, denn es ist nicht die Rede davon, daß ich ihn jetzt fertig brächte, denn ich bin wieder einmal in die Verbrecher-Ge­ gend der Jurisprudenz verschlagen und komme nicht einmal dazu, für mich arbeiten zu können. Deshalb schicke ich für jetzt nur diese paarb Zeilen, um Dir die herzlichsten Glückwünsche und Grüße zum neuen Lebensjahr zu bringen.1 Es ist ja gewöhnlich nicht leicht, wenn man sagen soll, was man Andren wünscht, das Richtige zu treffen, – |:die:| Verhältnisse machen das Glück des Menschen nicht, das ist sicher, son­ dern die Art, wie er sie auffaßt und sich zu ihnen zu stellen weiß, und deshalb kann man Jedem nur Das als wirklich werthvolles Geschenk des Himmels wünschen, daß ihm die Kraft erhalten bleiben möge, den Schwierigkeiten, die die Natur speciell für ihn ausgesucht und geschaf­ fen hat, – und bekanntlich ist sie in nichts soc erfindungsreich und schöpferisch, wie nach dieser Seite hin, – erfolgreich |:und dauernd:| die richtige Seite abzugewinnen, um sie innerlich zu überwinden. Das wünsche ich Dir von Herzen. Ich weiß recht gut, daß es eine sehr arge Prüfung sein muß, vor wel­ che Du gestellt worden bist, 2 und weiß auch, ohne es besonders gesagt zu bekommen, wie tapfer Du Dich hältst. Leider sind wir außerdem so sehr wenig in die Möglichkeit versetzt, Dir beistehen zu können, und specielld uns Männern, denen die Natur, wie man sagt, den Wahr­ spruch gegeben hat, sich selbst zu helfen, scheint sie mir oft es um so mehr versagt zu haben, Andren helfen zu können, und so auch hier, – deshalb kann ich nur Dich auch hier meiner herzlichen Sympathie vera  〈la〉  b O: par  c  〈erfahren〉  d  〈wi〉   1  Emmy Baumgarten feierte am 18. Februar ihren 23. Geburtstag. 2  Max Webers Cousine litt an Schwermut und Erschöpfungszuständen; sie wurde zunehmend nervenleidend.

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sichern. Ganz ohne eine egoistische Seite giebt es aber keinen wahren,e aufrichtigen Wunsch, und deshalb muß ich hinzufügen, daß ich uns wünsche, daß Du uns und den Deinigen das bleiben mögst, was Du bisher gewesen bist, – Dir, wie ich hoffe, zur inneren Befriedigung, – Andren, wie ich weiß, zur Freude. Und mir speciell erlaubst Du wohl schließlich, zu hoffen, daß wir uns auch ferner so gut miteinander ver­ tragen, wie es bisher, denke ich, Dank Deiner freundlichen Nachsicht, gewesen ist. Das war es hauptsächlich, was ich Dir heute gern sagen wollte, – denn Dein letzter lieber Brief erfordert ausführlichen Dank und Beantwortung, und dazu kann ich für heute nicht kommen. Nur eins nähme ich noch gern vorweg – nämlich: Du hast mir damals, magst Du Dich wehren, wie Du willst, wirklich |:doch:|, und zwar gehörig, gepredigt, und ich glaube, grade diesmal ist es Dir auch gegangen, wie Du zu fürchten erklärtest: Du hast grade über ein Thema gepredigt, welches man Dir auch gern vorexercierte, Mangel an Selbstvertrauen meine ich. Das ist bei mir, darauf kannst Du die schwersten Gifte neh­ men, nicht vorhanden. Aber wie ist es mit Dir darin, lieber Emmer­ ling? „Jeder Tag hat seine eigene Plage“, heißt es,3 und ich denke doch, das trifft für Dich wohl auch zu, – und trotzdem, machst Du Dir nicht noch daneben innerlich allerhand plagende Gedanken? Ich finde we­ nigstens, und das hat mir manchmal Gedanken gemacht, daß in Dei­ nen Briefen oft eine Art von Resignation durchgeht, als ob Du für die Deinigen nicht leistetest, was Du möchtest oder könntest, oder Deine Pflichten nicht richtig zu nehmen wüßtest, oder was weiß ich? Es erin­ nerte mich fast an manche Gedanken, die zuweilen meiner Mutter kommen. Ich erkenne eben daran immer wieder, daß das eigentlich Schwere der Pflichten, welche die Weltordnung Euch Frauen gesetzt hat, eben darin liegt, daß |:grade:| sie so viel weniger in einzelnen, spe­ ciellen, äußerlich großen Fragen |:welche durch bewußten Entschluß zu lösen sind:| gipfeln, sondern viel wesentlicher auf |:dem Wege:| dau­ ernder Selbstüberwindung erfüllt sein wollen, und daß der Erfolg der Pflichterfüllung weit seltener concret und greifbar zu sehen ist, son­ dern daß ihre Früchte in dem scheinbar selbstverständlichen Gang des alltäglichen Lebens zur allmählichen Reife kommen,f scheinbar selbste  〈aufrichte〉  f  〈unbewußt〉   3  Anspielung auf Matthäus 6, 34: „Darum sorget nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“

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verständlich, wie die Gesundheit, dauern, und deshalb so wenig wie diese zum klaren Bewußtsein ihres Daseins gelangen. Dies nur nach­ träglich liebe Emmy, es scheint mir, daß auch Du oft glaubst, die Erfül­ lung Deiner Pflichten müsse sich in einem bestimmten, greifbaren Er­ folge erkennen lassen. – Was mich anlangt, so meinst Du, ich schiene mich für weniger begabt zu halten, als ich sei. – Dieses weniger! sagt Bräsig4 und ich auch. Aber so aus dem Ärmel, wie Du meinst, geht es doch auch nicht. Es wäre mir unlieb, wenn man mich für sehr viel dum­ mer hielte, als ich bin, aber wenn ich die Wahl habe, ob man mich lieber für zu dumm halten soll, oder lieber für zu klug, so zieht das Erstere vor Dein Dich herzlich grüßender Vetter Max. Bald also ausführlich, 5 vor der Hand muß ich aber zuerst dem Onkel ordentlich schreiben.6 Es hört nachgerade Alles dabei auf, daß ich ihm noch nicht geantwortet habe [.]

4  Max Weber zitiert die Romanfigur „Onkel Bräsig“; vgl. Reuter, Fritz, Ut mine Stromtid, Dritter Theil (Olle Kamellen, Band 3). – Wismar: Hinstorff 1888, S.  254. 5  Der angekündigte Brief ist nicht nachgewiesen. 6 Es handelt sich vermutlich um den folgenden Brief an Hermann Baumgarten vom 13. März 1888, unten, S.  145–150.

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Hermann Baumgarten 13. März 1888; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  31–35

Charlottenburg 13. III. 88 Lieber Onkel!

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Leider habe ich in der That mein Versprechen so schlecht wie möglich gehalten und das Schreiben von Tag zu Tag aufgeschoben, bis ich schließlich zu meiner Beschämung Deinea Mahnung erhalten mußte, ehe ich von mir aus etwas gethan hatte, die lange Versäumnis nachzu­ holen. Es ist mir das recht arg und ich werde versuchen, das wieder gut zu machen, jetzt aber gleich zur Sache kommen. – Der Tod des Kaisers1 hat hier eigentümlich gewirkt. Den Regie­ rungskreisen sieht man, nach dem Einverständnis unbefangener Beob­ achter, eine gewisse Verlegenheit an, hervorgerufen durch den ganz unerwarteten Erfolg, daß der bisherige Kronprinz2 seinen Vater über­ lebte, ein Ereignis, welches nur wenig in Berechnung gezogen zu sein scheint, weil es nicht wahrscheinlich schien. Sehr auffallend war auch, daß Puttkamerb in derc Landtagssitzung vom 9ten bei Verkündigung der Todesnachricht des neuen Königs nicht gedachte, 3 wie das doch durchaus üblich, so daß dies erst am Sonnabend Abend nachgeholt werden mußte. Ob dies in der Aufregung des Augenblicks geschah, oder man im Ministerium an die Möglichkeit eines Thronverzichtes gedacht hatte, ist nicht festgestellt, ganz ausgeschlossen ist Letzteres nicht. Auch andere Kreise, namentlich unter meinen Altersgenossen, von welchen mir noch am 8ten Abends Einer vordocierte, daß der (da­ malige) Kronprinz zwar menschlich tief zu beklagen, politisch aber es ein Glück sei, daß er nicht regieren werde, finden sich in der Situation a  〈Warnung〉  b O: Puttkammer  c  〈[??]〉   1  Kaiser Wilhelm I. war, beinahe 91jährig, am 9. März 1888 im Alten Palais unter den Linden, seinem Berliner Wohnsitz, gestorben. Nachdem er sich seit dem 4. März unwohl gefühlt hatte, galt sein Gesundheitszustand am 7. März als ernst und am 8. März als kritisch. Zum Verlauf der letzten Lebensstunden vgl. Schulthess 1888, S.  54 f. 2  Kronprinz Friedrich Wilhelm, durch den Tod Wilhelms I. nunmehr Kaiser Friedrich III., litt an Kehlkopfkrebs und war todkrank; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 29. Juni 1887, oben, S.  92 mit Anm.  8. 3 Zum Wortlaut der Mitteilung des preußischen Innenministers Robert Viktor von Putt­ kamer über den Tod Kaiser Wilhelms I. vgl. Schulthess 1888, S.  57 f.

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keineswegs zurecht, – doch davon nachher, denn es muß auch und be­ sonders davon gesprochen werden, wie sich die Massen des Volks ver­ halten. Am Abend des 8ten, in strömendem Regen, war es ein eigen­ tümliches Schauspiel, vor dem Palais, während fast absolute Stille herrschte, die Straße für Wagen gesperrt war, den Platz dichtgedrängt von unzähligen Regenschirmen besetzt zu finden, Menschen, welche zum Teil viele Stunden lang dortstanden, unverwandt nach den heller­ leuchteten Fenstern des Palais blickend, zuweilen mit eigentümlich ge­ dämpfter Stimme miteinander redend. Nachdem die Extrablätter, wel­ che um 51/ 2 den Tod des Kaisers verkündet hatten, confisciert waren, war die Spannung aufs höchste gestiegen; – ein sehr erheblicher Teil des Publikums glaubte nicht, daß der Kaiser noch lebe und man debat­ tierte darüber, daß und warum sein Tod verheimlicht werde. Erst spät in der Nacht, als mehrere Castellane des Palais freudestrahlend erzählt hatten, er habe Nahrung zu sich genommen, schlug die Stimmung bei einem Teil um; wir erhielten die Nachricht durch einen Bekannten, der zu uns in das Lokal kam, in dem wir des Verlaufs der Dinge harrten, und ein Teil gab sich unmittelbar der Hoffnung hin, die Gefahr sei vor­ über. Des Nachts um 1 Uhr, als ich nach Hause fuhr, war die Stimmung |:eigentümlich:| geteilt. Auf dem Pferdebahnwagen stritten sich die Leute, Extrablätter in der Hand. Die Einen, dhöchst animierter Stimmung,d meinten, „der werde noch 10 Jahre leben“ etc. – andre [,] „er sei längst tot“, „es sei doch als sterbe Einem ein alter Freund“, – ein eigentümliches Gemisch vone Eindrücken, besonders da die optimi­ stische Partei es an derben Berlinern Späßen nicht fehlen ließ, – mei­ nerseits wußte ich leider von meinem Vater,4 daß die Ärzte schon seit Morgen des 8ten denf Ausgang für entschieden und eventuelle Besse­ rungen nur als momentane ansahen. Immerhin war man doch fast zweifelhaft geworden und glaubte namentlich, es werde noch einige Tage dauern. Am andren Morgen um 1/ 210–10 kam ich wieder in die Stadt und sah |:zuerst:| an den auf Halbmast gezogenen Fahnen unter den Linden, was geschehen war. Es hatte aufgehört zu regnen, vor dem Palais standen, im weiten Bogen abgesperrt, gdichte Gruppeng ; und unter den Linden und in der Friedrichstraße gingen die Menschen eilig d–d  behaupteten, der Tod d > höchst animierter Stimmung,  e  〈Stimmungen〉   f  〈F[??]〉  g–g  in dichten Gruppen die Menschen > dichte Gruppen   4  Max Weber sen. war Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und Stadtrat von Berlin.

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und still, Bekannte mit stummem Gruße, an einander vorüber, kauften sich wie mechanisch das Extrablatt und steckten es gefaltet in die Ta­ sche. Es herrschte wieder diese außerordentliche Ruhe, teilweise ka­ men die Leute fast unwillkürlich in’s Flüstern. Von Aufläufen, Ge­ dränge oder äußeren Zeichen der Erregung war nichts zu sehen. So ruhig war die Stadt, daß ich zahlreiche Bekannte gesprochen habe, die, obwohl sie über die Straße an ihre Geschäfte gegangen waren, nichts gemerkt hatten; in Folge der guten Nachrichten vom Abend vorher hat­ ten sie nicht nachgefragt, und hörten so erst um 1 oder 2 Uhr, was ge­ schehen war. Ich habe Leute gesprochen, welche sehr entrüstet waren über die Gleichgültigkeit der Berliner, man habe vielfach lachende, nirgends weinende Gesichter gesehen etc. Ich habe dem lebhaft wider­ sprochenh. Man darf keine idealistischen Anforderungen stellen: der Mensch in Masse ist ein eigenartiges Ding; und wenn schon iin demi Einzelnen selbst durch die schwersten Erlebnisse, nie jeder Rest von Lebenslust ausgerottet ist, auch nicht auf Augenblicke,j undk es dem Einzelnen nicht immer gegeben ist; |:auch in:| wirklicher Trauer nach Außen Haltung und Takt zu bewahren, so um so wenigerl der Masse. Ich kann |:aber:| nur Das sagen, daß, als ich am 9ten früh am Palais vor­ über ging, ich mdie Empfindungm hatte, als befinde ich mich in einem erweiterten Sterbezimmer, und glaube, daß dies mehr ist, als man ir­ gend erwarten konnte. Es war ein sehr würdiger Eindruck, besonders der tiefen Stille wegen. Später, als Bewegung in die Menge kam, wurde das natürlich anders, – ein schreiender Extrablattverkäufer kann einen solchen Eindruck stören, aber auch dann noch und bis jetzt ist die Hal­ tung der Bevölkerung nach meiner Ansicht musterhaft; thatsächlich haben die Schutzleute nie leichteres Spiel gehabt, als jetzt, und man braucht die Berliner Bevölkerung in ihren |:sonstigen:| Usancen der Polizei gegenüber nur einigermaßen zu kennen, um zu sagen, daß ihr diesmaliges Verhalten die Wirkung einer bedeutenden psychologischen Ursache sein muß. Die Schwierigkeiten begannen erst heute, als der Zuzug zum Dom von auswärts zu dem hiesigen dazu kam. Die Men­ schenmassen, die jetzt von allen vier Windrichtungen aus nach dem Lustgarten drängen, sind freilich unglaubliche. Unser |:eines:| Mäd­ chen hat ca. 7 Stunden im Gedränge gestanden und ist schließlich froh gewesen, mit gesunden Gliedern, ohne etwas gesehen zu haben, nach h O: wiedersprochen  i–i  im > in dem  j  〈so umso weniger bei den Massen,〉   k  〈[??]〉  l  〈so um so mehr〉  m–m  den Eindruck > die Empfindung  

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Hause zu kommen. Von uns ist jeder Gedanke, hineinzukommen, auf­ gegeben. Hoffentlich giebt das Begräbnis, 5 zu welchem wir, denke ich, Otto6 hier sehen werden, wieder einen einheitlichen Eindruck. – Über unser menschliches Empfinden diesem längst erwarteten und doch als geschehen nur mühsam vorzustellenden Ereignis gegenüber sind wir, wie Dun schreibst,o Alle einig und, was das Bedeutendste ist, einig mit Menschen auch absolut andrer geistiger Sphären, es ist in der That et­ was Großes, dies zu wissen. Anders die politische Seite, denn hier giebt es entweder gar keine, oder zahllose Meinungen. Das Erstere dürfte der richtigere Ausdruck sein. Wie es mit dem Kaiser Friedrich steht? das wollt Ihr vor Allem wis­ sen. Gesehen hat ihn von uns Niemand. Dagegen hat er heute eine De­ putation der Stadt empfangen und mein Vater die Schilderungen der betreffenden Herren gehört. Sein Aussehen betreffend, so gingen die Meinungen auseinander, Einige meinten, er sähe schlecht aus, Andre, er sei wenig verändert. Sehr auffallend schlecht kann er darnach im­ merhin wohl nicht aussehen. Die Antwort auf die Ansprache gab er schriftlich und reichte dann allen Mitgliedern der Deputation die Hand, ein Versuch, zup Einem derselben zu sprechen, war erfolglos; er blieb dem Betreffenden unverständlich, sein Sprechen bestand mehr aus Zischlauten, als daß man Worte verstanden hätte. Die anwesende Kaiserin7 konnte die Thränen nicht unterdrücken, – es soll |:doch we­ sentlich:| ein peinlich-trauriger Moment gewesen sein. – Kein Mensch hatte sicher dies feste Auftreten von ihm erwartet, er scheint sich mit enormer Wucht in die Arbeit gestürzt zu haben. Daß er über seine Lage informiert ist, bezweifeln wir eigentlich nicht, es klingt wohl auch aus seinem heutigen Erlaß8 hervor; über die |:voraussichtliche:| Dauer giebt er sich vielleicht oder wahrscheinlich Illusionen hin. Angeblich soll bereits in wenigen Wochen eine neue Krisis bevorstehen. An das Wunder der Wiederherstellung durch die Aufregung jetzt zu glauben ist uns leider auch nicht möglich. Die ganze, näher durchdacht, einfach n  Unsichere Lesung: 〈noch〉  o  〈ja〉  p  〈sprechen〉   5  Kaiser Wilhelm I. wurde am 16. März 1888 im Mausoleum des Schloßparks von Charlottenburg beigesetzt. 6  Otto Baumgarten lebte in Halle. 7  Die mit Friedrich III. verheiratete Victoria von Großbritannien und Irland. 8  Gemeint ist vermutlich der auf den 12. März 1888 datierte Erlaß Kaiser Friedrichs III. „An mein Volk!“; vgl. Briefe, Reden und Erlasse des Kaisers und Königs Friedrich III., gesammelt und erläutert von G. Schuster, 2.  Aufl. – Berlin: Vossische Buchhandlung 1907, S.  339 f.

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fürchterliche Lage wird nur dadurch in gewisser Weise gemildert, daßq ihn offenbarr die Aufgabe, vor die er gestellt ist oder zu sein glaubt, innerlich ganz gewaltig gehoben hat. Was nun werden soll, weiß vorläu­ fig eigentlich Niemand. Erst nach der Beerdigung wird ja wohl die po­ litische Arbeit wieder angehen. Die Möglichkeit, daß wir in Preußen Herrn v. Puttkamers loswerden,9 scheint sich fester zu gestalten. Er selbst sprach zu Abgeordneten davon, daß er sich zurückziehen werde. Man räth auf Bennigsen u. Miquèl als Nachfolger10 und wir hoffen dringend eventuell auf Ersteren, wenn nicht beide ins Ministerium kommen sollten. Aber das ist ja vorläufig noch wesentlich Phantasie. Nur scheint das richtig zu sein, daß einer Verwirklichung dieser Phan­ tasie Bismarck nicht entgegenstehen würde, man nimmt vielmehr an, daß grade er den eventuellen Wechsel unter Benutzung dieser Gele­ genheit herbeiführen werde. Nur würde Bennigsen angeblich dem Kai­ ser wenig genehm sein. Wie er sich mit dem künftigen Kaiser11 stellen wird, ist wohl nicht zu sagen. Geklärt scheint sich aber Das zu haben, daß das stärkste Gegengewicht gegen seine nach durchaus allgemeiner Ansicht vorhandenen feudalen Neigungen Bismarck ist und sein wird (das ist z. B. auch Lucius’12 Eindruck und man braucht nur die Nord­ d[eutsche] Allgemeine13 anzusehen, um dies bestätigt zu finden). Bis­ marck scheint mit Hochdruck dagegen zu arbeiten, und es beruht des­ halb im Wesentlichen doch Alles darauf, wie lange zu leben ihm noch beschieden ist. (Er soll wieder sehr ernstlich unwohl sein). – Denn ohne ihn könnte Stöcker, welcher die |:Kron-:|Princessin Wilhelm14 wiederholt seine „liebe Freundin“ genannt hat, doch noch bedenklich q  〈man〉  r  〈der〉  s O: Puttkammer   9  Der preußische Innenminister und Vizepräsident des Staatsministeriums Robert Viktor von Puttkamer war wegen der rigiden Umsetzung des „Sozialistengesetzes“ sowie seiner Personalpolitik – er ersetzte liberal gesinnte Beamte durch Konservative – umstritten und wurde von Kaiser Friedrich III. am 8. Juni 1888 entlassen. 10  Die nationalliberalen Politiker Rudolf von Bennigsen und Johannes Miquel. 11  Kronprinz Wilhelm wurde bereits am 15. August 1888 Kaiser (Wilhelm II.). 12  Der freikonservative Politiker Robert Lucius war mit Max Weber sen. seit dessen Erfurter Zeit bekannt und darüber hinaus mit einer Cousine von Helene Weber verheiratet. Er stand in enger Verbindung mit Otto von Bismarck. 13 Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung galt als „Bismarcks Hauspostille“; vgl. Craig, Gordon Alexander, Deutsche Geschichte 1866–1945. Vom Norddeutschen Bund bis zum Ende des Dritten Reiches, aus dem Englischen übers. von Karl Heinz Siber, 2.  Aufl. – München: C. H. Beck 1999, S.  87. 14  Auguste Victoria, Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, Gemahlin von Kronprinz Wilhelm, später Kaiser Wilhelm II.

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werden. Das Heine-Pamphlet15 steht dem leider nicht entgegen.t |:Das­ selbe:| wird hier in entsprechenden Kreisen (z. B. auch |:von:| Altersge­ nossen von mir gelegentlich) „recht geschickt abgefaßt, wenn auch ma­ teriell vielleicht nicht zu rechtfertigen“ gefunden, der Weg bis zum voll­ ständigen Freie-Hand-Lassen scheint mir da nicht mehr weit. – Ich will aber darüber und über manches Andre hier lieber bald einmal, sobald etwas passiert ist, Bericht erstatten, vorläufig steht die Weltgeschichte fast still. – Meine Mutter schickt anliegend Alfreds sehr hübsch gelungenes Ge­ dicht an die Kaiserin, er hat eine recht hübsche politische Ader. – Lieber Onkel, viel konnte ich Dir nicht berichten, und namentlich schwerlich etwas Erhebliches Neues, ich habe nur einige Momente zu­ sammenzufassen versucht, um zu schildern, wie im Allgemeinen die Dinge hier betrachtet wurden und werden, und habe mich dabei mög­ lichst |:trocken und:| objectiv zu halten gesucht, was für mich wohl­ thuend war, denn es hebt über die Schwere der Empfindung gegenüber dem Trauerspiel auf dem Thron, welches wir jetzt sehen, und dessen eigentlich schwerste Akte erst im Anzuge sind, in gewisser Weise hin­ weg, und, Alles in Allem, kann man schon jetzt sagen, daß es an ver­ söhnenden Momenten in diesem schneidend |:schmerzlichen:| Unglück nicht fehlt. Bald mehr, für jetzt die besten Grüße von Allen Dein Neffe Max Alfred geht nach Bonn.16

t  〈Es〉   15  Der Hof- und Domprediger Adolf Stoecker hatte sich zuletzt am 13. Februar 1888 im preußischen Abgeordnetenhaus über „die jüdische Frage“ ausgelassen und in seinem Redebeitrag aus aktuellem Anlaß gegen ein geplantes Denkmal für den Dichter Heinrich Heine in dessen Heimatstadt Düsseldorf polemisiert. Über dieses Denkmalprojekt hielt er wenig später in der Berliner Tonhalle eine Rede, die am 28. Februar 1888 zuerst in der Zeitung „Der Reichsbote“ abgedruckt wurde und in der Folge auszugsweise in weiteren Presseorganen erschien; vgl. Goltschnigg, Dietmar und Hartmut Steinecke (Hg.), Heine und die Nachwelt. Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern. Texte und Kontexte, Analysen und Kommentare, 1.  Band. – Berlin: Erich Schmidt 2006, S.  50; eine gekürzte Wiedergabe von Stoeckers Rede ebd., S.  267–269. 16 Alfred Weber hatte sich entschieden, zunächst Archäologie und Kunstgeschichte in Bonn zu studieren. Dort hörte er auch schon Vorlesungen in Jura, Nationalökonomie und Geschichte. Ein Jahr später wechselte er nach Tübingen, danach nach Berlin, wo er sich ganz auf die Rechtswissenschaften und zunehmend auch die Nationalökonomie konzentrierte.

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Der Geburtstag der Tante und der Deinige sind zwar schon vorbei [,]1 aber Ihr erlaubt mir gewiß, noch nachträglich mich am Geburtstags­ tisch einzufinden mit den herzlichsten Glückwünschen für Euch Alle im kommenden Lebensjahr, an dessen Schluß wir hoffentlich Alle kla­ rer in die Zukunft des Landes sehen, als jetzt. Denn unwillkürlich drängt sich auch zwischen die persönlichen Wünsche, die Einer dem Andren im engen Familienkreise darbringt, als eines der lebhaftesten uns Allen gemeinsamen Interessen die Hoffnung, daß Manches, was wir in den letzten Wochen erlebten, so nicht wiederkehren möge. Du schriebst zwar kürzlich, Du wollest von Politik überhaupt nichts mehr hören, aber grade jetzt würde es von mir die reine Heuchelei sein, wollte ich unbefangen von andren Dingen reden, während man im Grunde, wie Du ja auch schreibst, unausgesetzt an die öffentlichen Dinge denken muß. Deshalb schreibe ich doch an Dich und behalte mir vor, die freundlichen Briefe der Tante und Emmy’s bald zu beant­ worten, 2 vorläufig sage ich ihnen herzlichen Dank dafür. Vielen Dank aber vor allen Dingen auch für Deinen, nach meinem langen Schwei­ gen mich gradezu beschämenden Brief. Auch Das, was Du schreibst aber zwingt mich, das Gebiet der Politik zu betreten. Aus Deinem frü­ heren Briefe nach K[aiser] Wilhelms Tod glaubte ich zu entnehmen, daß Ihr in Straßburg vielleicht etwas zu sanguinische Vorstellungen über die Möglichkeit einer schnellen Umkehra der ganzen Politik und ein Wiedereinlenken in die Bahnen von 67–77 hattet, 3 wenigstens

a  〈auf vielen〉   1  Ida und Hermann Baumgarten hatten am 29. bzw. 28. April Geburtstag gefeiert. 2  Die angekündigten Briefe an Ida und Emmy Baumgarten sind nicht nachgewiesen. 3  Gemeint ist die Zusammenarbeit von Otto von Bismarck und der Nationalliberalen Partei, die eigentlich erst 1878/79 geendet hatte, als Teile der Partei die konservative Wende und die Schutzzollpolitik Bismarcks nicht mittragen wollten und sich in der Liberalen Vereinigung (Sezession) abspalteten.

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scheint Ihr anzunehmen, der Kaiser 4 werde in dieser Richtung ent­ scheidend zu wirken berufen sein. Dies schien mir entschieden nicht zutreffend, einerseits allgemein, weil ein Blick auf unsre Parteiverhält­ nisse zeigt, daß die Voraussetzungen der früheren Politik in jeder Be­ ziehung mangeln, ferner, weil nach den ganzen Umständen mir die Hoffnung auf ein Eingreifen des Kaisers nicht gerechtfertigt erschien, nach Allem, was hier bekannt geworden war, es vielmehr ausschließ­ lich darauf ankam, obb Bismarck die Gelegenheit zu einem energischen Umschwung benutzen würde. Ob er dies jetzt schon thun würde, war |:auch im Bejahungsfall:| keineswegs sicher. Deshalb glaubte ich, daß Du vielleicht für den Moment zu weitgehende Hoffnungen hegtest. In Deinem zweiten Briefe aber bist Du demgegenüber so pessimistisch, wie, glaube ich, Niemand hier auch nur annähernd gerechtfertigt fin­ den wird. Daß der künftige Kaiser5 früher sich wesentlich in Gesell­ schaft teils hoher Militairs, teils feudaler und hochkirchlicher Kreise befand, und daß seine Anschauungen wesentlich von dem Ideenkreise dieser Leute beherrscht werden, ist unbezweifelt. Besonders auch seine Frau6 soll auf religiösem Gebiet stark pietistischen, zum Teil Stö­ cker’schen Auffassungen,7 huldigen. Ebenso sicher aber ist, daß ge­ wisse Erfahrungen, mit in erster Linie die bekannte Stadtmissionsan­ gelegenheit,8 nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben sind. Es wird hier durchweg angenommen, daß in dieser Sache sogar eine heftige persönliche Auseinandersetzung zwischen ihm und Bismarck stattgefunden hat, in welcher er im Wesentlichen nachgegeben hat.9 Jedenfalls ist er seitdem bestrebt, auf diesem, ihn anscheinend wirklich sehr interessieb  was > ob   4  Der an Kehlkopfkrebs erkrankte Friedrich III. war seit dem Tod seines Vaters Wilhelm I. am 9. März 1888 deutscher Kaiser. 5  Gemeint ist Kronprinz Wilhelm, der am 15. August 1888 Kaiser wurde (Wilhelm II.). 6  Auguste Victoria, Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. 7  Der umstrittene Hof- und Domprediger Adolf Stoecker stand für eine paternalistische und die Sozialdemokratie bekämpfende Sozialpolitik. 1877 hatte er die Berliner Stadtmission gegründet. Mit ihrem karitativen Engagement wandte sich die Stadtmission zugleich gegen die zunehmenden Erfolge der Sozialdemokratie. 8  Am 31. Januar 1888 war in der Presse mit Zustimmung von Kronprinz Wilhelm und dessen Frau Auguste Victoria ein Aufruf zur finanziellen Unterstützung der Stadtmission erschienen. Zu den weiteren Förderern zählte u. a. auch Rudolf von Bennigsen, einer der führenden nationalliberalen Politiker; vgl. Schulthess 1888, S.  20. 9  Zu Bismarcks Differenzen mit Kronprinz Wilhelm über die Berliner Stadtmission vgl. Bismarck, Otto von, Gedanken und Erinnerungen (Gesammelte Werke. Neue Friedrichsruher Ausgabe, Abt. IV). – Paderborn [u. a.]: Schöningh 2012, S.  532–534.

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renden Gebiet Urteile auch von andren Seiten kennen zu lernen. Au­ genblicklich z. B. fahndet er, wie wir zufällig wissen, auf eine Nummer der Rade’schen „Christlichen Welt“, den Schluß eines Aufsatzes über die Stadtmission enthaltend, vom vorigen Januar.10 Wir haben dieselbe den betr. Verwandten |:von uns:|,11 an welche sich Hr. Hinzpeterc 12 – mit welchem sämmtliche Prinzen viel nähere Beziehungen unterhal­ ten, als behauptet wird – wendete, verschaffen müssen. Auch andre Indizien sprechen dafür, daß Bismarcks Einfluß auf ihnd mehr und mehr ein so ausschließlicher geworden ist, daß es eben wesentlich dar­ auf ankommt, wie lange derselbe noch zu leben haben wird, um die wirklich reactionären Tendenzen, die der Kronprinze 13 wohl in sich aufgenommen hat, zu paralysieren, denn daß diese Tendenzen Bis­ marck umf ihrer selbst willen nicht begünstigt, ist wohl zweifellos; ihre Gefährlichkeit entgeht ihm nicht, das Bedenkliche seiner Politik war nur, daß er versuchte, sie für seine Zwecke zu benutzen und daß dies nicht ganz, ohne auch von ihnen benutzt zu werden, abging. Also wenn auch nach dieser Richtung schwere Bedenken vorliegen, so schwarz wie Du können wir hier die Lage nicht ansehen, wenigstens nicht in dieser Beziehung. Das Bedenklichste ist vielmehr die allgemeine Decadence unsrer Parteiverhältnisse, wie sie in dem lediglich scheuß­ lichen Preßkrieg14 der letzten Zeit zum Ausdruck kam [.] Selten ist durch die gegenseitige und allseitige Entrüstung über die Roheiten der gegnerischen Presse, neben der meist – nicht immer, hier c O: Hintzpeter  d  〈weit〉  e  〈[??]〉  f  nur > um   10  N[aumann], F[riedrich], Die Berliner Stadtmission, in: Die christliche Welt, Jg. 2, Heft 4, 1888, S.  28–31. 11  Max Weber meint vermutlich die über Helene Weber verwandte Familie Lucius; vgl. unten, S.  158, Anm.  21. 12  Georg Ernst Hinzpeter, Erzieher und Vertrauter des Prinzen Wilhelm. 13  Kronprinz Wilhelm; vgl. oben, S.  152, Anm.  5. 14  Max Weber bezieht sich auf die Presseberichterstattung über die umstrittene Verbindung von Prinzessin Viktoria von Preußen und Prinz Alexander von Battenberg, die sich 1883 verlobt hatten. Aus Gründen der Staatsraison hatten Viktorias Großvater, Kaiser Wilhelm I., und Reichskanzler Otto von Bismarck ihr Einverständnis zur Heirat verweigert: Der einer Nebenlinie des Hauses Hessen-Darmstadt entstammende Alexander von Battenberg war 1879 zum Fürsten von Bulgarien gewählt worden, mußte aber, wegen des Konflikts um die Vereinigung der osmanischen Provinz Ostrumelien mit Bulgarien und weil er den anfänglichen Rückhalt Rußlands verloren hatte, 1886 abdanken; allerdings wurden ihm Rückkehrabsichten nachgesagt. Unterstützt von ihren Eltern, Kaiser Friedrich III. und Kaiserin Victoria, blieb Prinzessin Viktoria bei ihrer Heiratsabsicht. – Die Auseinandersetzung um eine mögliche Eheschließung gipfelte im April 1888 in der sog. „Kanzlerkrisis“ (dazu unten, S.  158 f. mit Anm.  23) und endete mit der Auflösung der Verlobung.

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in den mir bekannten Kreisen der verschiedensten Parteirichtung meist nicht – Blindheit gegen die gleich crassen Leistungen der eigenen herging, der materielle Thatbestand und ein sachliches Urteil darüber so verdunkelt worden. Die Vermischung des politischen und des menschlichen Gesichtspunkts war unglaublich und namentlich für letz­ teren verderblich. Besonders in den Urteilen über die Kaiserin15 – von der wir doch ehrlich gesagt, blutwenig wissen! – trat dies zu Tage. In der Ereiferung,g beweisen zu wollen, daß dem Wohle des Landes zu liebe das Fürstenhaus sich dem schweren ihm zugemutheten persön­ lichen Opfer unterziehen müsse, sobald feststeht oder von einer Seite, deren Autorität in dieser Beziehung wir anzuzweifeln nicht in der Lage sind, erklärt wird, daß dies Opfer notwendig sei, – was die Beteiligten selbst vermuthlich nie bezweifelt haben, – vergaß man, daß es eben doch ein Opfer war, was verlangt wurde, und zwar ein großes,h ver­ mischte ferner den menschlichen Gesichtspunkt mit der rein poli­ tischen Frage und machte einen persönlichen Vorwurf daraus, daß die Kaiserin, wie man – ohne Beweis – glaubte, nicht ohne Weiteres nach­ gegeben habe, als ob es nicht nach den Antecedenzien der Beziehungen Bismarcks zur Kaiserin menschlich nur zu erklärlich gewesen wäre, wenn sein Wort ihr nichti Dasselbe galt, wie andren, namentlich sie nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß er die Schwere des Opfers genügend erwogen und dementsprechend die Notwendigkeit desselben hinreichend geprüft habe, daß aber die Differenz politisch tief bedau­ erlich |:war:|, menschlich aber nicht etwa allein zu Lasten der Kaiserin stand. Vor Allem aber hatte man jede Empfindung dafür verloren, daß weit bedauerlicher als die Differenz an sichj die Art war, wie resp. daß überhaupt sie in der Presse zur Erörterung gelangte. Von der andren Seite dagegen überwog die Entrüstung über das Verhalten der Regie­ rungspresse sok alles Andre, daß man nichtl dazu gelangte, anzuerken­ nen, daß die Differenz an sich überhaupt bedauerlich war, im Gegen­ teil sich eher darüber freute und sie zu benutzen suchte. Leider war nur ein wesentlicher Unterschied der, daß, während auf der rechten Seite die Presse das Schlimmste leistete, die Parteiführer und alle ernsteren politischen Persönlichkeiten dem Treiben mit – leider meist nur stillem! – Misfallen zusahen – daß dem so war, kann ich persönlich g  〈darüber, daß〉    h  〈vergaß ferner beachte〉    i  〈ohne〉    j  〈es war, daß〉    k  〈Al­ les〉  l  〈zu〉   15  Die mit Friedrich III. verheiratete Victoria von Großbritannien und Irland.

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constatieren, da ich |:wesentlich:| mit Altersgenossen mehr oder weni­ ger conservativer Richtung verkehre, mit denselben stets in heftigem Gegensatz der Ansichten stehe, aber aus guten Quellen die Ansichten der maßgebenden Personen reproduciert erhalte – auf der Linken die Parteipolitiker selbst inm eine Bahn gekommen waren, welche teilweise über das, was in die Presse gelangt ist, weit hinausging. Es ist ein wah­ rer Segen, daß die Illusionen, die in den Köpfen von Einigen von ihnen spukten und welche mit dem fest erwarteten Rücktritt Bismarcks im Zusammenhang standen,n hinter den Coulissen geblieben sind. Die dar­aus auf die politische Zurechnungsfähigkeit dieser Persönlichkeiten zu stellende Diagnose ist jedenfalls sehr niederschlagend. Und das ist tief bedauerlich, denn einerseits ist höchstwahrscheinlich, daß bei den Wahlen diese Richtung wieder an Terrain gewinnt, andrerseits muß der Gedanke an eine dereinstige positive Politik gemeinsam mit diesen Leuten |:völlig:| aufgegeben werden und damit ist die Spaltung des Li­ beralismus und daso Schauspiel, daß derselbe von schablonenhaften fanatisierten Demagogen einerseits und von blinden Bismarckianern andrerseits compromittert wird [,] verewigt, während man hoffen mußte, daß mit der Zeit ein Teil der früher vereinigten Elemente von hinter her den Rückweg zu einer positiven Mitarbeit finden würden. Dies Bedenken ist meiner Ansicht nach für die Zukunft das schwer­ ste von allem. Denn es läßt befürchten, daß die Parteiverhältnisse schließlich sich so gestalten werden, daß radicale Parteien von rechts und links, abwechselnd im Bunde mit dem Centrum, die deutsche Po­ litik in die Hand bekommen. Schon jetzt ist das Verhältnis eben das, daß jede der radicalen Richtungen ein Emporkommen der sog. „Mit­ telparteien“ für bedenklicher hält, als einen Sieg des Centrums oder sogar der andren radicalen Partei. Beide speculieren pessimistisch: „je toller es der Gegner treibtp, um so besser für unsre Fraction.“16 Es rei­ ßen auf diese Weise schließlich die französischen parlamentarischen Zustände bei uns ein. Daß solche Zustände bei uns dauern würden, glaube ich aber doch nicht, – nur würdenq eventuell die ganzen Erfah­ rungen aus dem Ende der fünfzigerr und den sechziger Jahren für uns verloren sein und wir eine analoge Parteientwicklung in andrer Weise wahrscheinlich noch einmal durchzukosten haben. Eine häßliche Ausm  〈einer Wei〉  n  〈nicht〉  o  〈dauernde〉  p  macht > treibt  q  〈sie〉  r O: funfziger 16  Als Zitat nicht nachgewiesen.

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sicht, gewiß, aber auf die Dauer an einen Rückgang unserer staatlichen Zustände zu glauben [,] sind wir hier nicht im stande. Dies im Unter­ schiede zu Dir auch deshalb nicht, weil wir über die jüngere Generati­ on wesentlich von Dir abweichende Ansichten haben. Ich habe jetzt vielfach Gelegenheit gehabt, die unter meinen Altersgenossen resp. den um einige Jahre Älteren herrschenden Auffassungen näher ken­ nen zu lernen. Gewiß giebt es unter ihnen zahlreiche blasierte Gesel­ len, die des Anstandes wegen Antisemiten sind, sonst eigentlich nichts, viele Idealisten, welche durch Treitschke17 in eine Art mystischen na­ tio­nalen Fanatismus gerathen sind, Andre, welche nur das vermeintlich Cavalier-mäßige Schwadronieren und den vermeintlichen Realismus der neusten Schule sich angeeignet haben. Diese Menschenklassen, de­ ren politisches Interesse stets die Eigenschaft hat, sehr jungen Datums zu sein und auch |:ihre historisch-politische Kenntnis:| nach rückwärts kaum über die berühmte Verweigerung der 20 000 Mk für den Direc­ torposten im Auswärtigen Amt zurückgeht,18 sind ja recht zahlreich und sind namentlich diejenigen, welche den meisten Lärm machen. Aber es giebt doch andre Elemente unter ihnen –, und ich habe allmä­ lig die Überzeugung gewonnen, daß dies die einzigen über sich selbst klaren und energischen, und deshalb für die Zukunft die herrschenden sind, – welche den Antisemitismus und die verwandten Auswüchse der letzten Jahre abgeschüttelt haben, auf einem wesentlich andren Boden stehen, als der Nationalliberalismus der 70er Jahre, aber auf einem ebensowenig wie dieser von Standesgelüsten, hochkirchlichen Ten­ denzen durchtränkten, und welche von dem Verdacht des Strebertums oder sonstiger nicht sachlicher Rücksichten völlig frei sind, kurz, denen ich nicht in der Lage bin geistige Freiheits abzusprechen. Auch sie er­ blicken die Zeit von 1867–1877 in wesentlich andrem Lichte als man früher gewohnt war. Sie sind meist in erster Linie Nationalökonomen s  〈und〉   17  Zur Begeisterung für den Historiker Heinrich von Treitschke unter Max Webers Altersgenossen vgl. auch die Briefe an Hermann Baumgarten vom 25. und 27. April 1887 sowie vom 30. Sept. 1887, oben, S.  70 f. und 125. 18  Am 15. Dezember 1884 hatte der Reichstag in erster Lesung den für die Einrichtung einer zweiten Direktorenstelle im Auswärtigen Amt beantragten Etat in Höhe von 20 000 Mark abgelehnt. Daraufhin kam es zu privaten Sammel- und Spendenaktionen, aber Reichskanzler Bismarck lehnte die Verwendung dieser Spendengelder zur Bezahlung eines Staatsbeamten ab; vgl. Schulthess 1884, S.  135 f.; ferner den Brief an Max Weber sen. vom 15. und 16. März 1885, MWG II/1, S.  493 f., Anm.  57.

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und Sozialpolitiker und es ist sonach nicht wunderbar, daß ihnen das Einschreiten des Staats in der |:sogenannten:| socialen Frage mehr aus­ schließlich wesentlich erscheint, als Andren nach der gegenwärtigen Lage der Dinge gerechtfertigt erscheinen wird. Die unleugbare Thatsa­ che nun, daß dem Liberalismus in den 70 er Jahren die socialen Aufga­ ben des Staats mehr, als sich rechtfertigen läßt,t oder als wir wenigstens jetzt für normal halten, hinter andren zurücktraten, daß |:man:| bei den Liberalen die sociale Gesetzgebung |:auch jetzt:| mitu einem, oft sicher an sich berechtigten, aber fast nur passiven Mistrauen über sich erge­ hen läßt, statt einzugreifen und an seinem Teil die wirklich erheblichen Bedenken durch Umgestaltung abzustellen, daß überhaupt, – und dies nach unsrer Ansicht ja wohl mit Recht –, das Interesse an den legisla­ tiven Projecten bei ihnen kein so ausschließliches ist, – dies veranlaßt diese Politiker, die nationalliberale Ära lediglich als einen Übergang zu größeren Aufgaben des Staates zu betrachten und die gesetzgebe­ rische Arbeit jener Jahre zu unterschätzen, auch für jetzt die Verfas­ sungs- und Verwaltungs-Fragen, so weit sie nicht rein technisch oder socialpolitisch interessierend sind, für im Allgemeinen irrelevant zu halten. Man wird dies für eine sehr starke Unterschätzung der Bedeu­ tung jener Gegenstände erachten, immerhin handelt es sich hier we­ sentlich um sachliche Differenzen im Werthurteil und um eine ver­ schiedene Grenzziehung, ein Einverständnis in vielen Dingen ist un­ schwer zu erreichen. Die stark büreaukratische Ader, welche dieser „Schule“, wenn man sie so nennen soll, eigen ist, wird sich, glaube ich, mildern. Bei großen Meinungsverschiedenheiten auf fast allen Gebie­ ten glaube ich doch, daß dieser Nachwuchs im Beamtentum und denv maßgebenden Kreisen kein schlechter ist, und da ich, wie gesagt, an­ nehme, daß seine Auffassung, als die klarste, zur Herrschaft gelangen wird, früher oder später, und sich bis dahin vielleicht auch die social­ politischen Meinungen mehr abgeschliffen haben, so kann ich nicht glauben, daß auf die Dauer – für die nächste Zukunft kannw das caesa­ rische Regiment19 nicht ohne alle Nachwirkung bleiben – x ein Nieder­ gang unsres Beamtentums und des Geistes unserer politischen Auf­ fassung eintreten wird, wenn wir auch vorerst noch manche harte Er­ fahrung vor uns haben sollten. Es geht jedenfalls zu weit, wenn Du t  〈hinter〉  u  〈eien〉  v  Unsichere Lesung: 〈für〉  w  muß > kann  x  〈eine〉   19  Bezeichnung für das Regierungssystem Otto von Bismarcks.

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sagst, – wenigstens als generelle Ansicht – daß unsre Jugend von Treitsch­ke zu Stöcker20 gekommen sei. Die Abwendung von Stöcker ist in den Kreisen der politisch Zurechnungsfähigen immer größer gewor­ den. – Entscheidend ist, ob Bismarck in nächster Zeit – sobald normale Verhältnisse eintreten, – es an der Zeit hält, an seine Nachfolge zu den­ ken und mit den wirklich staatsmännischen Elementen wieder in Be­ ziehung tritt, geschieht das nicht, so kann durch radicale Gegenströ­ mungen, und, wenn durch die preußischen Junker im Verein mit den Ultramontanen das Panier des Reichs getragen werden soll, durch den Rückgang der nationalen Elemente yin Mitteldeutschlandy und im Sü­ den eine ernste Gefahr erwachsen, das wird Niemand leugnen. – Die gegenwärtige Lage hier ist unbestimmt und unerfreulich. Der Kaiser hat zwar, wie die Kaiserin der Frau Lucius21 erzählte, |:schon:| seit ei­ niger Zeit keine Schmerzen, anders als man glauben sollte, – aber wir Alle wünschen ihm doch ein baldiges Ende, der Zustand muß über alle Beschreibung sein. Der widerwärtige Krieg gegen die Kaiserin ist hier nur von einigen Kreisen ebenso mitgemacht worden, wie zum Teil in den Provinzen. Die unglückliche Frau hat, das muß zugestanden wer­ den, zum Teil wirklich große Unvorsichtigkeiten begangen – z. B. zu Gunsten von Candidaten zfür ein Amt, welche englische Frauen hat­ tenz[,] direct, aber ohne Erfolg, eingegriffen; zum Glück wird davon nichts allgemeines bekannt, mehrere Fälle sind uns aber persönlich bekannt, – es fehlen ihr in manchen Dingen gewisse Begriffe, wohl auch, weil sie hier bei Hofe nie heimisch war und stets bei Seite gestan­ den hat. Ich kann sie nur tief bedauern. Über das Schicksal des Kaisers befindet sie sich nach dem, was sie Frau Lucius sagte, in voller Klarheit, ebenso wie sicher er selbst. An Sonntagen ist das Drängen der Men­ schen überaus gewaltig, es ist buchstäblich eine ununterbrochene viel­ fache Wagenreihe und eine |:fast:| Kopf an Kopf drängende Processi­ on, die 3 /4 Meile vom Brandenburger Thor bis zum hiesigen Schloß.22 – Interessieren wird Dich vielleicht noch, daß von freiconservativer Seite während der sog. „Kanzlerkrisis“23 als ein für den Fall des Rücky–y  im Westen > in Mitteldeutschland  z–z  mit englischen Frauen > für ein Amt, welche englische Frauen hatten   20  Zu Adolf Stoecker vgl. oben, S.  152, Anm.  7. 21  Juliet Maria Lucius war eine Cousine von Helene Weber. 22  Das Charlottenburger Schloß, der Wohnort Kaiser Friedrichs III. 23  Die sog. „Kanzlerkrisis“ begann am 5. April 1888 mit einer Meldung in der Kölnischen Zeitung über einen bevorstehenden Rücktritt des Reichskanzlers Otto von Bismarck we-

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tritts |:Bismarcks:| oder auch für später als ein nicht nur möglicher, sondern höchst erwünschter Candidat zur Nachfolge Herr v. Roggen­ bach24 nicht nur gelegentlich, sondern ernstlich u. oft genannt wurde. Bei aller Sympathie für ihn als Menschen hatten wir doch starke Zwei­ fel an seiner Geeignetheit. Daß die Aussichten für eine Änderung des politischen Systems für künftig – für jetzt ist seit dem Dazwischenkom­ men der Ereignisse der letzten Wochen alles in Stillstand gerathen – ungünstiger geworden seien, können wir nicht finden. Die Beziehungen Bismarcks zu Herrn v. Bennigsen dauern fort. Die Unterschrift Ben­ nigsens unter dem Stadtmissionsaufruf, 25 wesentlich doch eine Gefäl­ ligkeit gegen den Kronprinzen Wilhelm, wird fortgesetzt mit den be­ züglichen Gerüchten in Verbindung gebracht. Zum jetzigen Kaiser hat Bennigsen keine oder mäßig gute Beziehungen [.] Was schließlich wird, weiß man ja nicht. – Es ist ein ausschließlich politisches Geplauder geworden, lieber On­ kel, die Feder geht Einem jetzt immer in dieser Richtung durch. And­ res erzähle ich bald der Tante und Emmy.26 Alfred ist in Bonn in der philosophischen Facultät immatriculiert, hat über seine Studien noch nicht berichtet, nur, daß es ihm sonst gut geht. – Herzlichste Glück­ wünsche und Grüße von Allen. Es war für uns eine sehr große Entteu­ schung, daß Du nicht kamst. Wann soll das nun etwas werden? Viel­ leicht zu Pfingsten in Lüneburg? Viele Glückwünsche auch der lieben Tante und Grüße an Emmy, Anna27 ist wohl noch immera abwesend? Dein Neffe Max

a  〈fort〉   gen Differenzen mit dem Kaiserpaar über die mögliche Eheschließung ihrer Tochter Viktoria mit Alexander von Battenberg (vgl. oben, S.  153, Anm.  14). Sie endete Mitte des Monats mit Presseberichten über eine dilatorische Handhabung des Konfliktes; vgl. Schulthess 1888, S.  73–81. 24  Vgl. zu entsprechenden Spekulationen über die politische Zukunft des badischen Politikers Franz von Roggenbach die bei Schulthess 1888, S.  81, zitierte Meldung der „Hamburger Nachrichten“. 25  Vgl. dazu oben, S.  152, Anm.  8. 26  Die angekündigten Korrespondenzen mit Ida und Emmy Baumgarten sind nicht nachgewiesen. 27  Anna Baumgarten.

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Hermann Baumgarten 25. Juni 1888; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  42

Charlottenburg 25. VI. 88. Lieber Onkel! Über die Rede A[nton] v. Werners ist mir ein näherer Bericht nicht zu Augen gekommen. Von Prof. Frensdorff, der hierher gekommen ist, hören wir aber, daßa im „Schwäbischen Merkur“ in einer der am |:letz­ ten:| Donnerstag oder Freitag erschienenen Nummern ein ausführ­ licher Bericht gestanden habe.1 Ich habe hier das Blatt nicht käuflich erhalten können, vielleicht sind die Nummern im Lesezimmer bei Euch zu sehen. Falls ich sie noch auftreiben kann, schicke ich sie, werde auch noch sonst recherchieren. Über die Rede von 1862 war bisher nichts zu erfahren, ich werde einmal bei unserem Buchhändler die Mo­ nographien über K[aiser] Friedrich |:(Nekrologe pp.) b :|, darnach durchsehen.2 Hier war in diesen Tagen ein gewaltiger Trubel [,] wir haben Logier­ besuch einer Jugendfreundin meiner Mutter – Frau Nollau, geb. Huth – [; ] Frensdorffs sind hier, 3 Sonnabend eine große Zahl von Freunden u. Bekannten. Das Heidelberger Bild4 ist ganz einzig schön, es

a  〈ein〉  b  Schließende Klammer fehlt in O.   1  Anton von Werner würdigte den am 15. Juni 1888 verstorbenen Kaiser Friedrich III. auf einer Trauerfeier im Verein Berliner Künstler: Der bekannte Historienmaler erinnerte an die „Siegfriedsgestalt“ des damaligen Kronprinzen (Friedrich Wilhelm) bei der Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871. Allerdings irrte sich Ferdinand Frensdorff, denn der Bericht über von Werners Rede findet sich nicht im Schwäbischen Merkur, sondern im Hannoverschen Courier vom 21. Juni 1888; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten am oder nach dem 25. Juni 1888, unten, S.  162 mit Anm.  1. 2  Es handelt sich um die Rede, die der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm bei Übernahme des Rektorats der Königsberger Universität hielt, sowie um seinen Toast beim anschließenden Universitätsdiner; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten am oder nach dem 25. Juni 1888, unten, S.  162. 3  Helene und Max Weber sen. hatten am 23. Juni 1888 u. a. mit den Jugendfreunden Johanna Nollau und Ferdinand Frensdorff und vermutlich mit seiner Frau Anna Cäcilie ihre silberne Hochzeit gefeiert. 4  Helene Webers Geschwister hatten ihr und Max Weber sen. zur silbernen Hochzeit eine Kopie des 1851 von Georg Eduard Otto Saal angefertigten Gemäldes „Mondscheinansicht von Heidelberg vom Ziegelhäuser Ufer – Dr. Gervinius zu Gast beim Ehepaar Fallenstein“

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hängt jetzt über dem Schreibtisch meiner Mutter. Alfred überraschte uns von Bonn aus, 5 er reist heute wieder ab. Erlaube, daß ich Dir nächster Tage näher berichte, es ist jetzt nicht möglich.6 – Wenn überhaupt die gen[annten] Reden mir zugänglich werden, schicke ich sie sofort ab,7 eventuell aber noch heute Abend oder morgen Vormittag. Bis auf Weiteres grüßt herzlich Dein Neffe Max

(Helene Webers Eltern) geschenkt (Original heute im Kurpfälzischen Museum Heidelberg); vgl. Roth, Familiengeschichte, S.  202–204. 5  Alfred Weber studierte seit kurzem in Bonn Archäologie und Kunstgeschichte. 6  Ein näherer Bericht an Hermann Baumgarten über die Familienfeier ist nicht nachgewiesen. 7  Zu Max Webers Recherche für Hermann Baumgarten vgl. den Brief an Hermann Baumgarten am oder nach dem 25. Juni 1888, unten, S.  162.

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Hermann Baumgarten [am oder nach dem 25. Juni 1888]; o.O. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl. 1–2 Max Weber hatte im Brief an Hermann Baumgarten vom 25. Juni 1888, oben, S.  160, versprochen, nach einer Rede des damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm aus dem Jahr 1862 zu suchen. Dem folgenden Brief stellt er zwei eigenhändige Zeitungsexzerpte voran. Das erste ist überschrieben „Rede des Kronprinzen bei Übernahme des Rek­ torats [der Universität Königsberg]“ und stammt nach Max Webers Angabe aus der Nationalzeitung vom 23. Juli 1862. Dort ist sie jedoch nicht nachgewiesen (ein Abdruck nach dem Originalmanuskript der Rede in: Poschinger, Margaretha von, Kaiser Friedrich. In neuer quellenmäßiger Darstellung, Band 1: 1831–1862. – Berlin: Richard Schröder 1899, S.  403 f.). Das zweite Exzerpt mit dem Wortlaut von Kronprinz Friedrich Wilhelms Toast beim Universitätsdiner stammt nicht wie angegeben aus der Hartungschen Zeitung vom 21., sondern vom 22. Juli 1862; vgl. Universitätsfeier, in: Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr.  168 vom 22. Juli 1862, S.  1294.

Lieber Onkel! Endlich gefunden! Hoffentlich noch rechtzeitig. Frensdorff versprach, Dir die Nummern des „Hannover’schen Courier“ |:v. Donnerstag oder Freitag:| zu senden; in diesem, nicht, wie wir zuerst verstanden, im „Schwäb[ischen] Merkur“, steht das Referat.1 Näheres ist nicht zu er­ mitteln. Bester Gruß. Max.

1  Hermann Baumgarten hatte außerdem nach dem Nachruf Anton von Werners auf Kaiser Friedrich III. (vgl. [Rubrik:] Deutsches Reich. (Nachrufe für Kaiser Friedrich), in: Hannoverscher Courier, Jg. 35, Nr.  15261 vom 21. Juni 1888, Morgen-Ausg., o. S.) gefragt; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 25. Juni 1888, oben, S.  160.

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Helene Weber 25. Juli 1888; Posen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 129–131 Max Weber nahm vom 19. Juli bis 13. September 1888 an einer Militärübung des 2. Niederschlesischen Infanterieregiments Nr.  47 in Posen teil. Diese Übung wird in seiner militärischen Personalakte (GLA Karlsruhe, 456 E, Nr.  13719) nicht erwähnt. Die Daten ergeben sich aus den Briefen an Helene Weber vom 23. August 1888, unten, S.  174, sowie vom 9. und 14. September 1888, unten, S.  176.

Posen. Hôtel de France 25. VII. 88. Liebe Mutter! 5

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Viel ist hier nicht los und folglich auch nicht viel zu erzählen, aber ich muß doch einmal ein Zeichen von mir geben, daß ich noch lebe und wie. So schlecht, wie es gemacht wird, erscheint das Nest hier auf den ersten Blick entschieden nicht, im Gegenteil, es sind große Plätze mit vielem Grün, einige breite Straßen, Abends mit Laternenbeleuchtung, ein interessantes altes Rathaus, ein stattliches Schauspielhaus u. Bi­ blio­theksgebäude hier und folglich kommt man sich wie in einer gro­ ßen Stadt vor. Aber allerdings nimmt das Wohlgefallen von Tag zu Tag mehr ab, wenn man erst angefangen hat, sich häuslich einzurich­ ten. Zunächst schon, wenn man auf die Wohnungssuche geht und be­ merkt, daß es so gut wie unmöglich ist, eine einigermaßen acceptable Wohnung zu finden. Ich bin im Hotel wohnen geblieben, wie mir vo­ rausgesagt worden war, weil der Wirt mich nebst Burschen zu billigem Preise unterbrachte und es hier sauber ist. Letzteres ist hier offenbar nur in den seltensten Fällen anzutreffen, Deutsche und Polen legen darauf scheinbar geringen Wert, ebenso wie z. B. auch der Mangel an Sinn für eine auch nur einigermaßen anständige Ausstattung der Flure, Verkleidung der rohen Holzlatten an Wänden u. Treppen darin, auch in stattlichen Häusern auffällt. Noch unangenehmer ist aber die Bemerkung, daß es in den meisten Teilen der Stadt nicht nur vorüber­ gehend, sondern chronisch ziemlich übel riecht, – „die ganze Luft ist voll Asmusfere“, wie Bräsig sagt,1 was Einem je länger je mehr zum Bewußtsein kommt. Auch macht sich ein permanenter Staub, wer 1  Max Weber zitiert die Romanfigur „Onkel Bräsig“; vgl. Reuter, Fritz, Ut mine Stromtid, Dritter Theil (Olle Kamellen, Band 3). – Wismar: Hinstorff 1888, S.  395.

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weiß woher kommend, unangenehm bemerklich. Zu essen bekommt man hier – a die Sauberkeit vorausgesetzt, – gut, die Getränke dagegen exclusive Ungarwein, der sehr teuer ist, sind im Allgemeinen selbst bei starkem Durst nur unter Anfällen von Übelkeit zu verschlucken, die Lokale meist höchst minderwertig. Ausflüge giebt es von hier aus nicht. Die aktiven Kameraden sind selten außerhalb ihres Casinos, man sieht ihnen die Langeweile von fern an. Kurz und gut, für einige Tage läßt sich hier, und ganz nett sogar, leben, dann aber beginnt die Sache offenbar täglich unerfreulicher zu werden. Der Dienst war bis­ her wenig erheblich, nächste Woche kommt eine sehr anstrengende Periode. Montag nach Mitternacht machte ich einen ganz netten Spa­ ziergang über Land, um ein eine Meile entfernt liegendes Fort als Ronde zu revidieren; 2 im Mondschein sieht die ödeste Gegend wie verwandelt aus, die Warthe und Cybina fast wie stattliche Ströme und die erbärmlichen Banditen in Zegrzeb 3 und anderen nicht auszuspre­ chenden Nestern grau wie alle Katzen, meine Begleitmannschaft be­ stand aus Rheinländern und erzählte von zu Hause. Aber bei Tage fällt allerdings das Auge auf so gut wie nichts Erfreuliches, in der Stadt durch alle Straßen derselbe angeräucherte Putz und draußen schlechtes sandiges Roggen- und Kartoffelland. – Schmöle,4 der Refe­ rendar in Frankfurt a/M ist, habe ich hier getroffen als Vicefeldwebel, er hat sich nicht verändert u. läßt sich empfehlen, reist heute wieder zurück. Von den mir bekannten aktiven Officieren sind einige der net­ testen jetzt nicht hier, die meisten sind erheblich commißmäßiger5 ge­ worden, als früher. – Sonntag denke ich nach Gnesen zu fahren, ich werde heute an Nollaus einen Trompetenstoß vorausschicken,6 ich glaube, Frau Nollau schwebt wohl schon in Angst, ich möchte ihnen unangemeldet in ihre Töpfe rasseln. Ihr werdet jetzt ja wohl, außer

a  〈[??]〉  b O: Zegreze   2  Militärjargon für: einen Rund- oder Kontrollgang machen. 3  Zegrze liegt in einem Dreieck zwischen den Flüssen Warthe im Westen und Cybina im Norden. 4 Christoph Schmöle; vgl. Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr.  47, S.  415, Nr.  177. 5  Gemeint ist: militärischer. 6  Eine postalische Ankündigung des Besuchs von Max Weber bei der Familie des Landrats von Gnesen, Otto Nollau und dessen Frau Johanna, einer Jugendfreundin von Helene Weber, ist nicht nachgewiesen.

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Alfred,7 schon Alle in Rothenfelde mit der Tante Marie8 ganz behag­ lich zusammensein, Karl hat wohl teilweise recht schlechtes Wetter im Harz gehabt, und auch bei Euch regnet es wohl noch. Wenigstens kommen von Westen hierher Massen halbausgeregneter Wolken gezo­ gen, der Himmel scheint hier selten ganz hell oder ganz dunkel zu sein, meist hat er ein langweiliges Graublau an sich. Die Hitze wird wohl erst kommen, wenn die Manöver anfangen. – In einen Teil mei­ ner Sachen waren die Motten gekommen, so daß ich mich teilweise neu equipieren mußte. Stiefel habe ich mir erst ein Paar bei Schulze in Charlottenburg9 zum Nachschicken bestellt. – Zum Arbeiten komme ich hier zwar etwas, aber nicht viel, man ist eigentümlich stumpfsinnig und arbeitsunlustig in der freien Zeit. Mein Compagniechef10 ist ein etwas pomadiger, übrigens aber liebenswürdiger Herr, Doctor der Philosophie (er trat im Kriege [18]70 über) und ein fast noch enragier­ terer Skatspieler als Mommsen.11 Es wird mit ihm wohl auszukommen sein. – Alles in Allem ist es zwar ein sehr bedeutender Abstand gegen Straßburg12 und sehr langweilig, aber, da man doch weiß, daß man nicht für immer hier ist, doch nicht unerträglich. – Eben kommt Schmöle, mich zu besuchen, und nachher muß ich die Schießinstruction studieren. Deshalb lebt wohl für heute, viele Grüße an Tante Marie und Euch Alle, – falls Tante Ida13 auch noch hinkom­ men sollte, auch an sie, – und Euch Alle. Schmöle grüßt auch. Bald mehr. Dein Sohn Max 7  Alfred Weber studierte in Bonn Archäologie und Kunstgeschichte. 8  Helene Weber verbrachte mit ihrer Familie die Ferien im Solebad Rothenfelde (seit 1905 Bad Rothenfelde) südlich von Osnabrück; bei „Tante Marie“ handelt es sich entweder um Marie Baumgarten, eine Schwester von Hermann Baumgarten, oder um Marie Wendt, eine entfernte Verwandte aus Hamburg; zu letzterer vgl. Hamburgisches Geschlechterbuch, 10.  Band, bearb. von Hildegard von Marchtaler (Deutsches Geschlechterbuch, Band 128). – Limburg an der Lahn: C. A. Starke 1962, S.  420. 9  Vermutlich ein Schuhmachermeister in der Potsdamerstraße 26. 10  Der Name konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war. 11  Max Webers Freund Karl Mommsen. 12  Das 2. Niederschlesische Infanterieregiment Nr.  47 war seit der Annexion des Elsaß bis 1. April 1887 in Straßburg stationiert gewesen. Max Weber hatte dort vom 1. Oktober 1883 bis 30. September 1884 seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger abgeleistet und vom 1. März bis 25. April 1885 und vom 30. Januar bis 26. März 1887 an Militärübungen teilgenommen. 13  Ida Baumgarten.

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Alfred Weber 2. August 1888; Posen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl. 19–20

Posen 2. VIII. 88 Lieber Alfred! Da ich mich Deiner Adresse in Bonn1 nicht mehr erinnerte, dagegen höre, daß Du in diesen Tagen nach Rothenfelde2 kommen wirst, schicke ich dorthin nachträglich meine Glückwünsche zum begin­ nenden 3ten Lebens-Jahrzehnt.3 Hoffentlich findest Du im Laufe des­ selben bald einen Deinen Neigungen entsprechenden Beruf und ge­ winnst dann auch wohl die Überzeugung, daß man einen Beruf am besten nicht im Voraus daraufhin untersucht, welche mehr oder min­ der wichtige Rollen er für die Errichtung des alten gemeinsamen Zieles, der Förderunga der Gesammtheit, zu spielen scheint, sondern mehr darnach, ob das Object, anb welchem er arbeitet, ein solches ist, daß man glaubt, sich dauernd mit Freude damit beschäftigen zu kön­ nen, – mir schien [,] daß Du in letzter Zeit oft geneigt warst, bei der Berufswahl zu großes Gewicht darauf zu legen, ob man in der betref­ fenden Thätigkeit unmittelbar praktische Ergebnisse seines Handelns erkennen könne. Das stellt sich in praxi nachher oft anders darc, als man vorher sich gedacht hat. Ich höre von Mama, daß Du den Wunsch hast, nach München zu gehen.4 An sich ist es gewiß schade, schon nach

a  Wohlbef > Förderung  b  nach > an  c  Fehlt in O; dar sinngemäß ergänzt.   1 Alfred Weber hatte zum Sommersemester 1888 das Studium der Archäologie und Kunstgeschichte in Bonn begonnen. 2  Rothenfelde ist ein Heilbad südlich von Osnabrück, in dem sich Alfred Weber Anfang August 1888 mit dem aus Berlin angereisten Teil der Familie Weber traf. Vgl. den Brief an Helene Weber vom 25. Juli 1888, oben, S.  164 mit Anm.  8, sowie den Brief Alfred Webers an Max Weber sen. vom 24./25. Juli 1888, in: Weber, Alfred, Ausgewählter Briefwechsel, 1. Halbband, hg. von Eberhard Demm und Hartmut Soell (Alfred Weber-Gesamtausgabe, Bd. 10). – Marburg: Metropolis Verlag 2003 (hinfort: Weber, Alfred, Ausgewählter Briefwechsel), S.  64–67. 3  Am 30. Juli 1888 hatte Alfred Weber seinen 20. Geburtstag gefeiert. 4  Alfred Weber hat in Bonn, Tübingen und Heidelberg studiert. In seinem Brief vom 24./25. Juli 1888 an seinen Vater spielte er mit dem Gedanken, an die Universität München zu wechseln; er setzte ihn dann aber nicht in die Tat um; vgl. Weber, Alfred, Ausgewählter Briefwechsel (wie oben, Anm.  2), S.  65 f.

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1 Semester die Universität zu wechseln. Wenn Du aber, wie Mama schreibt, dem philolog[ischen] Kreis5 nicht länger angehören kannst (warum denn eigentlich?), so ist zweifellos München im Winter eine der nettesten Universitäten. Übrigens könnte ich Dir dort auch durch Mommsen6 Beziehungen verschaffen, welche nicht einen so immerhin fachwissenschaftlichen Charakter haben, und von denen ich glaube, daß wenigstens das Ansehen, selbst wenn Du nicht darauf eingehen willst, sich lohnt. Auch mit Wagner7 solltest Du, wenn er dorthin mit Dir zusammen geht, meiner Ansicht nach, grade weil er sich dagegen sträuben wird, den Versuch machen, ihn in einen Kreis unbefangener und anspruchsloser Leute zud bringen. – Indessen für jetzt weiß ich ja noch nicht, was Du Dir über Deine Absichten des Näheren denkst, hoffe entweder schriftlich oder später mündlich darüber etwas zu hö­ ren. Jetzt bringt mir mein Bursche die hohen Stiefel, ich muß zum Exercieren,8 also für jetzt genug, laß es Dir recht gut gehen im neuen Lebensjahr, grüße die Eltern u. Geschwister, sage auch bitte Mama vielen Dank für ihrene Brief, – es ist hier nach wie vor übelriechend, aber sonst erträglich. Ich werde erst nächsten Sonntag nach Gnesen fahren, hatte auf meinen Brief eine freundl. Karte des Herrn Land­ rath [.] 9 Die Manöver werden in schlechter Gegend sein, folglich werde ich ein Stück Culturgeschichte dabei profitieren.10 Wenn Du mit Papa eine Reise in südlichere Gegenden machst, die ich kenne, so schreibe mir doch öfter eine Karte, ich werde dann die Empfindung Desjenigen

d  Fehlt in O; zu sinngemäß ergänzt.   e O: Ihren   5  In Bonn hatte Alfred Weber sich einem Bund von Studenten der klassischen Philologie (dem „Philologischen Kreis“) anstelle einer Burschenschaft angeschlossen, in deren Gesellschaft er sich aber alsbald nicht mehr wohl fühlte. Im folgenden Wintersemester, das er weiterhin in Bonn verbrachte, hatten sich die Vorbehalte jedoch schon wieder gelegt. Vgl. die Briefe Alfred Webers an seinen Vater Max Weber sen. vom 2./3. Mai und vom 24./25. Juli 1888 sowie an die Mutter Helene Weber vom 12./13. Nov. 1888, in: Weber, Alfred, Ausgewählter Briefwechsel (wie oben, S.  166, Anm.  2), S.  51–57 und 64–71. 6  Der gemeinsame Jugendfreund Karl Mommsen hatte in München studiert. 7  Friedrich (Fritz) Wagner. 8  Zwischen dem 19. Juli und 13. September 1888 befand sich Max Weber bei einer militärischen Übung in der Provinz Posen. 9  Der Brief Max Webers an Otto Nollau ist nicht nachgewiesen. 10  Max Weber gewann hier bereits einen ersten persönlichen Eindruck von der Arbeit der preußischen Ansiedlungskommission, die ihn spätestens ab 1892 intensiv im Rahmen seiner Studien zur Landarbeiterfrage und Agrarpolitik beschäftigen sollte; vgl. Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3).

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haben, welcher sich an der Speisekarte beim Durchlesen sättigte.11 Höchste Zeit. Herzl. Gruß Max

11 Offensichtlich hatten Alfred und Max Weber sen. eine gemeinsame Urlaubsreise im August 1888 geplant, wie aus dem Brief Alfred Webers an seinen Vater vom 24./25. Juli 1888 hervorgeht; vgl. Weber, Alfred, Ausgewählter Briefwechsel (wie oben, S.  166, Anm.  2), S.  64–67. Vgl. auch den Brief Max Webers an Helene Weber vom 15. Aug. 1888, unten, S.  172. Das Ziel der Reise ist nicht bekannt. – Max Weber hatte im Sommer 1885 mit seinem Vater eine Reise über Augsburg nach Verona und Venedig unternommen; vgl. die Briefe von Alfred Weber an Emmy Baumgarten vom 11. Aug. 1885 und 26. Sept. 1885, Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe.

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Helene Weber 15. August 1888; Posen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 132–136 Besonderheit: ‚mm‘ kürzt Max Weber in diesem Brief stets mit einem überstrichenen m ab.

Posen 15. VIII. 88 Liebe Mutter!

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Ihr werdet nun schon eine Weile wieder in Charlottenburg sein und ich will nun meinen Bericht über den Besuch in Gnesen nachholen.1 Man hat mich ganz ungemein freundlich aufgenommen, ich habe die nicht sehr umfangreichen Sehenswürdigkeiten, das dortige Offiziercorps und, da ein Garten-Volks-Fest stattfand, bei welchem die Honoratio­ rinnen dem staunenden Volk in Bretterbuden zu irgend einem Benefiz Kuchen und Bowle verkauften, auch den größten Teil der dortigen Ge­ sellschaft kennen gelernt. Außerordentlich eng und klein ist das Nest, aber die Deutschen halten sehr, und wie es scheint, exclusiv, zusam­ men, der Verkehr auf den großen Gütern der Umgegend wird als – be­ sonders im Winter – reizvoll gerühmt, die Offiziere laufen offenbar auch nicht so auseinander, wie das hier in der immerhin größeren Stadt der Fall ist. Nach Allem, was ich gesehen und namentlich gehört habe, würde ich eine dauernde Existenz in Gnesen derjenigen in Posen weit vorziehen, denn wenn man zuerst hierher kommt, glaubt man gar nicht, wie bodenlos öde es hier ist, trotz des sehr starken geschäftlichen Ver­ kehrs. Letzterer fällt in Gnesen mehr weg, dagegen sieht man Sonntags aus adem Doma dichte Schaaren von Bauern sich drängen, welche zu Fuß und auf Leiterwagen zum Grabe des hl. Adalbert2 kommen, Men­ schen mit den tollsten strohdachartigenb Frisuren und durch Genera­ tio­nen fortgeerbten, deshalb absolut nicht auf einen speziellen Körper zugeschnittenen endlos langen Gehröcken, teilweise Schafspelzen und a–a  der Kirche > dem Dom  b O: Strohdachartigen   1  Es handelt sich um den im Brief an Helene Weber vom 25. Juli 1888, oben, S.  164, angekündigten Besuch bei Johanna und Otto Nollau. 2  Bischof Adalbert von Prag war auf einer Missionsreise von Pruzzen erschlagen und zunächst im Vorgängerbau des Doms von Gnesen beigesetzt worden. Die Gebeine des 999 heiliggesprochenen Bischofs wurden 1039 nach Prag überführt. In Gnesen verblieben in einem Schrein verwahrte Reliquienreste.

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Gesichtern, daß man unter Tartaren zu sein glaubt. Die Frauen-Trach­ ten sind bunt, nach unseren Begriffen aber nicht malerisch und ungra­ ziös. Das Offizierscorps lernte ich durch den Schwiegersohn des Land­ raths3 kennen, einen Premier-Lieutenant Fließc, welcher die älteste und weniger hübsche Tochter zur Frau hat.4 Die zweite Tochter5 ist die hübscheste, aber auch offenbar etwas anspruchsvoll, sie singt u.s.w. und ich hörte, eigentlich mit Schrecken, daß sie im Winter in Berlin in die Hochschule eintritt. Die Frau Landrath machte denselben, etwas prae­ occupierten Eindruck, wie in Charlottenburg; 6 sie ist offenbar sehr nervös, – wußtest Du, daß sie einmal in einer Anstalt gewesen ist? Das erzählte mir der Schwiegersohn, welcher überhaupt sehr offenherzig war – übrigens ein harmloserd und netter Mensch –; er sagte mir auch – natürlich ohne daß ich |:ihn:| nach diesen Dingen ausgefragt hätte, daß die Familie sich zwar nicht sehr einschränken müsse, aber doch die sehr großen gesellschaftlichen Pflichten, viel Besuch von großen Thie­ ren – am Sonntag, als ich da war, kam der Oberpräsident von West­ preußen, v. Ernsthausen7 – sie pecuniär stark belasteten, ein erheb­ liches mütterliches Vermögen sei in Papieren angelegt, dessen Rentabi­ lität erst allmälig stiege etc. Übrigens haben sie ein sehr hübsches Haus und ein erhebliches Gartengrundstück. Er, der Landrath, scheint nach übereinstimmender Aussage Aller, die ich sprach, ein ganz besonders tüchtiger und braver Mann zu sein, – ich freue mich sehr darauf, nach Schluß der Übung noch auf 2 Tage hinzufahren, um, seiner wirklich ganz außerordentlich liebenswürdigen Aufforderung zufolge, mit ihm auf einige der Ansiedelungen der preußischen Staats-Commission8 zu fahren. – Es war jedenfalls ein sehr angenehmer Sonntag, schon das Gefühl der Abwesenheit von Posen war erhebend, denn hier ist es wirklich sträflich öde, namentlich Sonntags – der Begriff des „Ausc O: Flies  d  Unsichere Lesung; erster Buchstabe in O verderbt.   3  Otto Nollau, Landrat von Gnesen. 4  Paul Fließ war mit Johanna (Hanna) Fließ, geb. Nollau, verheiratet. 5  Klara Helene Nollau. 6  Anspielung auf den Besuch von Johanna Nollau, der Jugendfreundin Helene Webers und Frau von Otto Nollau, bei Familie Weber; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 25. Juni 1888, oben, S.  160. 7  Adolf Ernst von Ernsthausen. 8  Die Königlich Preußische Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen war auf Grundlage des Ansiedlungsgesetzes vom 26. April 1886 damit betraut, aus öffentlichen Mitteln polnischen Besitz aufzukaufen, zu parzellieren und an siedlungswillige deutsche Bauern und Arbeiter gegen eine Rentenabgabe zu vergeben.

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flugs“ ist hier thatsächlich total unbekannt. Aber noch Eins aus Gne­ sen. Bei Tisch wurde von dem dortigen jungen Garnisonspfarrer ge­ sprochen, die jungen Mädchen traten für ihn ein, während das männ­ liche Geschlecht behauptete er sei ein Streber und albern. In der Pre­ digt hatte er in schauervollen Farben und aus eigner Phantasie die Zerstörung Jerusalems ausgemalt, von einer Mutter behauptet, sie habe ihr eignes Kind geschlachtet und verspeist und ähnliche schöne Mordsepisoden beigebracht, was ebenfalls den jungen Damen schein­ bar einen angenehmen Schauder erweckt, die Herrn aber zur Heiter­ keit angeregt hatte, etc. Als wire nun Nachmittags im Volksgarten sa­ ßen, kam dieser Herr dazu, und wer war es? Mein Mitabiturient Strauß,9 in Art und Weisef noch derselbe, d. h. mir ebenso wenig sym­ pathisch, wie früher; nur schien er noch mehr in die moderne ortho­ doxe Richtung eingeschlagen zu sein, als früher schon vorauszusehen war; doch hörte ich, daß man jetzt die Ansicht habe, sein frömmelndes Wesen sei wirklich ohne künstliche Beigabe, was früher wohl nicht ganz der Fall war. – Hier ist jetzt eine sehr dienstreiche Zeit losgegangen, die mich übri­ gens bis jetzt erheblich weniger angreift, als mir von aktiven Kame­ raden prophezeit worden war. Magerer bin ich auch noch nicht gewor­ den. – Ich glaube, daß man, wenn man erst die Art der Existenz hier kennt und sich mit der Zeit einzurichten gelernt hat, so daß man viel zum Leseng etc. kommt, sich hier ganz wohl fühlen kann, aber zuerst ist das völlig unmöglich, der Abstand gegen Straßburg10 ist – Andere empfindenh das sogar noch lebhafter – in jeder denkbaren Beziehung ein zu enormer, es empfindet Jeder, auch die aktiven Officiere, welche neu hierher nachkommen, daß |:auch:| das Regiment und die aktiven Kameraden selbst sich schon in dieser kurzen Zeit fast bis zur Un­ kenntlichkeit verändert haben. Auch die mir von früher näher be­ kannten Officiere, zum Teil ganz besonders nette Leute, sind nicht e  ich > wir  f  〈[??]〉  g  〈[??]〉  h  〈daß〉   9 Otto Strauß hatte wie Max Weber zu Ostern 1882 am Kaiserin-Augusta-Gymnasium das Abitur abgelegt; vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium zu Charlottenburg, XIII. Jahresbericht. – Berlin: Götsch & Mann 1882, S.  14. 10  Das 2. Niederschlesische Infanterieregiment Nr.  47 war seit der Annexion des Elsaß bis 1. April 1887 in Straßburg stationiert gewesen. Max Weber hatte dort vom 1. Oktober 1883 bis 30. September 1884 seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger abgeleistet und vom 1. März bis 25. April 1885 und vom 30. Januar bis 26. März 1887 an Militärübungen teilgenommen.

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mehr die Alten, ihr Interessenkreis hat sich verengt, und die alte Lu­ stigkeit ist auch nicht mehr zu finden. Übrigens ist es hier, was ich nicht recht begreife, bei besserer Verpflegung in Bezug auf das Essen, selbst gegen Straßburg unerhört teuer. – Alles in Allem, es ist nicht viel los hier. Das Manöver wird am 28ten in sehr schlechter Gegend, südöstlich von hier, nach Samter11 und Byk12 zu, beginnen, wir empfinden keine Vorfreude. Von Hedwigs Verlobung13 hörte ich zuerst durch die Einladung, die ich natürlich dankend ablehnen mußte.14 Wer ist denn der Mann? Wann kommt Onkel Hermann?15 Kommt Tante Ottilie16 vorher? Ich werde wohl grade am 15ten IX. wieder zu Hause sein. Morgen sind, Gott sei Dank, 4 Wochen um. Wo ist wohl jetzt Papa und Alfred? Lili’s Geburtstag17 hatte ich leider allerdings vergessen. Von Karls Erlebnis­ sen hätte ich noch gern gehört. Mein tägliches Dasein ist sehr uhren­ artig und bietet keinen Stoff zum Erzählen. Mein unmittelbarer Vor­ gesetzter, der Hauptmann,18 ist nicht unangenehm, kümmert sich aber wenig um uns. Die herzlichsten Grüße nach dem cultivierten Westen; wenn etwas passiert, was des Erzählens werth ist, schreibe ich wieder. Dein Sohn Max

11 Der damalige Kreis Samter mit der gleichnamigen Kreisstadt lag nordöstlich von Posen. 12  Eine Ortschaft dieses Namens konnte in der Provinz Posen nicht ermittelt werden. Vermutlich meint Max Weber die südwestlich von Posen gelegene Stadt Buk. 13  Max Webers Cousine Hedwig Weber, die Tochter seines Onkels Otto Weber, heiratete am 1. September 1888 den Kaufmann Friedrich Wilhelm Lohmann. 14  Ein entsprechender Brief Max Webers an Hedwig Weber ist nicht nachgewiesen. 15  Hermann Baumgarten. 16  Ottilie Weber, die Zwillingsschwester von Max Weber sen. 17  Max Webers jüngste Schwester Lili hatte am 26. Juli ihren achten Geburtstag gefeiert. 18  Der Name konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war.

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Helene Weber 23. August 1888; Posen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 137–138

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Vielen Dank für Deinen ausführlichen Brief, den ich heute Morgen erhielt und der meinen Wissensdurst nur in einer Beziehung nicht ge­ stillt hat: nämlich, mit wem sich eigentlich Hedwig Weber verlobt hat.1 Ist also nun Voigt entschlossen, nach Kiel zu gehen?2 Nach Deinem Briefe schienen noch Zweifel zu sein. Mich wundert, daß ihn Otto nicht in Halle festhält.3 Woran ist denn der alte Weber gestorben?4 schwach und gebrechlich war er ja freilich schon, ich las seinen Tod in den Zeitungen. – Von hier ist nach wie vor nichts zu berichten, ich schreibe heute nur, weil ich womöglich noch vor dem Manöver etwas Geld haben möchte. Ich weiß nicht, wie hoch sich die Kosten des Ma­ növers für mich belaufen werden, da ich noch nicht als Officier mit war; meine Equipierungs- und sonstigen Gelder sind ziemlich auf Neube­ schaffungen draufgegangen. Zwar brauche ich das Geld jetzt nicht not­ wendig, sondern nur, um, wie ich möchte, schon vor dem Manöver hier in Posen Alles abbezahlt zu haben. Wenn Du mir 100 Mk schicken könntest, wäre es mir deshalb sehr angenehm. Dienstag rücken wir aus.a Orte, wohin ich im Manöver eventuell Briefe bekommen kann, a  〈[??]〉   1  Max Webers Cousine Hedwig Weber hatte sich mit dem Kaufmann Friedrich Wilhelm Lohmann verlobt; vgl. den Brief an Helene Weber vom 15. Aug. 1888, oben, S.  172 mit Anm.  13. 2  Der ehemalige Hauslehrer von Karl Weber, Johannes Voigt, hatte zum Sommersemester 1888 ein Theologiestudium in Halle begonnen und wechselte von dort zum Wintersemester 1888/89 an die Universität Kiel; vgl. Banach, Sarah, Der Ricklinger Fürsorgeprozess 1930. Evangelische Heimerziehung auf dem Prüfstand (Frauen- und Genderforschung in der Erziehungswissenschaft, Band 5). – Opladen: Barbara Budrich 2007, S.  92. 3  Johannes Voigt hatte den Theologen Otto Baumgarten bei der Familie Weber kennengelernt, war ihm nach Halle gefolgt, wo Baumgarten promoviert wurde, und lernte über ihn den Hallenser Theologieprofessor Eduard Grafe kennen, mit dem er nach Kiel wechselte (ebd.). Otto Baumgarten ging im Herbst 1888 als Prediger nach Rummelsburg bei Berlin, was Max Weber offensichtlich noch nicht bekannt war. 4 Gemeint ist vermutlich der am 10. August 1888 verstorbene Heidelberger Historiker ­Georg Weber. Dessen Frau Ida war eine Cousine und Freundin von Max Webers Großmutter Emilie Fallenstein.

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schreibe ich noch, bis jetzt ist das Nähere noch nicht bekannt. Daß ich Tante Ottilie5 diesmal verpasse, ist mir sehr leid; wahrscheinlich wird sie grade wieder fortgehen, wenn ich zurückkomme, oder doch bald nachher. Ist vom Onkel Hermann6 schon eine definitive Zusage da? – Du schriebst nichts davon. Die Gegend, wohin ich mit dem Landrath Nollau fahrenb werde und die Du nicht lesen konntest, sind die Güter der preußischen Ansiede­ lungs-Commission, wo man bemüht ist, auf |:mit Staatsmitteln:| ange­ kauften Rittergütern deutsche Bauerndörfer zu gründen.7 Herr Nollau hat speciell viel damit zu thun. Heute muß ich noch zu allem andern Jammer ein Tanzvergnügen beim Obersten mitmachen! 8 Winterlich genug ist ja das Wetter. Für die Biwaks im Manöver – 3 oder 4 Nächte, – ist es auch sehr kalt, bei Tage ist es nicht so unangenehm. Heute läuft die 5te Woche ab. Mit herzlichen Grüßen Dein Sohn Max

b  reisen > fahren   5  Ottilie Weber, die Zwillingsschwester von Max Weber sen. 6  Hermann Baumgarten, dessen Besuch die Familie Weber erwartete. 7  Vgl. den Brief an Helene Weber vom 15. Aug. 1888, oben, S.  170. Als Landrat von Gnesen hatte Otto Nollau mit einem großangelegten Kolonisationsprojekt der preußischen Regierung zu tun. Gemäß dem Ansiedlungsgesetz vom 26. April 1886 wurden auf ehemals polnischen Gütern deutsche Zuwanderer angesiedelt. 8  Es handelt sich vermutlich um den Regimentskommandeur Albrecht von Carlowitz, da nur er beim 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47 den Dienstrang eines Obersten einnahm; vgl. Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für 1888, S.  170; Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr.  47, S.  355, Nr.  225.

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Helene Weber 9. und 14. September 1888; Kosten und Gnesen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 139–142

Kosten 9. IX. 88 Liebe Mutter!

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Vielen Dank für Deinen mir soeben zugegangenen Brief, mit welchem gleichzeitig ein sehr niedliches Tabakspfeifchen nebst einem Gedicht von Alfred eintraf, für welche sehr nette Idee ich ihm mündlich danken werde. Zu Claras Geburtstag1 konnte ich nicht schreiben, da ich von Montag an in Quartieren lag, welche von Postanbindung keine Ah­ nung haben, in welchen nur alle 2 Tage ein Bote Briefe nach der näch­ sten Poststation, Konarzewo [,] a mitnimmt, von wo sie über Land an die Bahn geschafft werden. Am Donnerstag und Freitag dagegen lagen wir in Be˛dlewo, ebenfalls viele Meilen von jeder Bahnverbindung, aber auf einem Schloß des Grafen Potocki, 2 welcher uns gradezu fürstlich und mit halbasiatischer Pracht buchstäblich aufb silbernen und goldenen Schüsseln bewirthete und dabei einen in seiner Massenhaftigkeit bei­ nahe barbarischen Luxus entfaltete. Freitag war der bisher anstren­ gendste Tag. In aller Frühe war der Kaiser3 in Da˛brówkac, einer etwa 4–5 Meilen entfernten Bahnstation, eingetroffen und allarmierte tele­ graphisch sämmtliche Quartiere der Division. Wir hatten mehrere Meilen bis an den Punkt zu marschieren, wo die Manöver stattfanden und nachher Parade vor ihm, dann Rückmarsch. Er muß in einem ganz unglaublichen Tempo hin- und zurückgeritten sein, sah übrigens gut und fast stattlich aus. Unsren Quartierwirth, der mit vielen Tausenden sich auf dem Manöverfeld eingefunden hatte, begrüßte er persönlich, wir glaubten schon, er würde in unsrem Quartier frühstücken.d Ge­ stern auf dem Marsch hierher regnete es uns wieder Stunden lang auf den Pelz, so daß wir in einem unbeschreiblichen Zustande hier anka-

a  Unsichere Lesung: 〈geht〉  b  [??] > auf  c O: Da˛browka  d  〈Gestern〉   1  Max Webers Schwester Clara war am 5. September 13 Jahre alt geworden. 2  Es handelt sich um das 1866 im neogotischen Stil erbaute Schloß des Grafen Bolesław Potocki. 3  Kaiser Wilhelm II. überraschte die Truppe mit einem Manöverbesuch am 7. September 1888; vgl. Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr.  47, S.  240.

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men. Da morgen und übermorgen biwakiert werden soll, stehen uns, falls es so weiter geht, einige wenig einladende Tage bevor. Gnesen 14. IX. Das Manöver ging am Mittwoch4 Mittag bei Polnisch Lissa in glü­ hender Hitze zu Ende, seit gestern bin ich mit meiner Übung fertig und jetzt hier bei Nollaus, 5 einer – wiederholten – sehr freundlichen Auf­ forderung entsprechend, in einem behaglichen kleinen Zimmer mit Aussicht über ihren sehr ausgedehnten Garten. Heute und morgen Nachmittag will der Landrath mit mir auf Ansiedlungen fahren,6 Sonnabend Abend reise ich ab und komme also Sonntag |:Morgen:| mit einem Zuge, der um 6 Uhr etwa – ich habe keinen Fahrplan hier, es giebt aber nur den einen Zug um diese Zeit – im Zoologischen Garten ankommt, zurück. Könnte wohl der Gärtner an der Bahn sein? Ich habe nur den kleinen Officierskoffer und ein Mantelpaquet, das Andre ist per Fracht unterwegs. Hier bin ich wieder sehr liebenswürdig aufgenommen worden, es ist nur schade, daß Frau Nollau untere dieser Ängstlichkeit so sehr zu lei­ den hat, es ist peinlich, so permanent versichern zu müssen, man fühle sich durchaus nicht unbehaglich oder vernachlässigt. Tochter und Enkel7 sind ja inzwischen bei Euch gewesen, der Schwie­ gersohn8 kommt in einiger Zeit auch durch Berlin, die zweite Tochter9 kommt fin einigen Wochenf dorthin. – Ich habe in Posen und hier wie eine Bombe geschlafen, nachdem wir drei Tage lang nicht aus Rock und Stiefeln gekommen waren. Glücklicherweise war das Wetter gut, auch die Gegend sehr hübsch, etwa wie die „Märkische Schweiz“;10 e  Unsichere Lesung: 〈einer〉    f–f  auf einige Zeit > in einiger Zeit > in einigen Wo­ chen   4  D. h. am 12. September 1888. 5  Die Familie von Otto Nollau, des Landrats von Gnesen. Dessen Frau Johanna war eine Jugendfreundin von Helene Weber. 6  Als Landrat von Gnesen hatte Otto Nollau mit einem großangelegten Kolonisationsprojekt der preußischen Regierung zu tun. Gemäß dem Ansiedlungsgesetz vom 26. April 1886 wurden auf ehemals polnischen Gütern deutsche Zuwanderer angesiedelt. Seine Absicht, die Ansiedlungen zu besichtigen, hatte Max Weber bereits in den Briefen an Helene Weber vom 15. und vom 23. August 1888, oben, S.  170 und 174, angekündigt. 7  Johanna (Hanna) Fließ, geb. Nollau, und ihr Sohn Otto. 8  Premierleutnant Paul Fließ. 9  Klara Helene Nollau. 10  Der Vergleich zielt auf eine Hügellandschaft östlich von Berlin.

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indesseng ist der poëtische Gehalt selbst der besten Biwaks ein ganz erheblich geringerer, als sich Derjenige vorstellt, welcher noch keins mitgemacht hat. Alles in Allem bin ich froh, daß die Geschichte vorbei ist. Sehr teuer war übrigens das Manöver; ich will lieber jetzt schon ankündigen, daß ich doch mit dem Geld bei Weitem nicht ausgekom­ men bin. – Der Brief wurde in Kosten nicht fertig, weil ich inh Abwesenheit des Hauptmanns11 als einziger Officier der Compagnie – alle Andren wa­ ren im Manöver krank geworden – dieselbe führte und Dienst abhalten mußte. Seitdem war noch kein Augenblick Zeit frei. So kommt der Brief doch noch zurecht, um mich anzukündigen. Ich habe ihn hier nur in aller Eile während Frau Nollau im Hause zu thun hat, fertig gemacht. Allesi erzählenswerthe Einzelne will ich mir bis zum Wiedersehen, auf welches ich mich sehr freue, versparen. Herzlichste Grüße an Tante Ottilie12 und Euch Alle. Dein Sohn Max. Frau Nollau fragte mich gleich, warum Du ihr denn gar nicht schriebst – Dein Brief an sie kam kurz nachher an –; ich habe ihr dann etwas geschildert, wie Deine Tageseinteilung sei, auch so, daß sie gleich se­ hen konnte, daß auch ihre Tochter nicht gar zu große Erwartungen in Bezug auf die Zeit, die Du Dich ihr widmen könntest, hegen kann. Ich soll von Allen herzliche Grüße bestellen.

g  〈war〉  h  〈Abwesenheit〉  i  〈Erzä〉   11  Der Name konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war. 12  Ottilie Weber, die Zwillingsschwester von Max Weber sen., war in Charlottenburg zu Besuch.

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Alfred Weber 17. Dezember 1888; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  22–23

Charlottenburg 17. XII. 88 Lieber Alfred! Ich will nur, damit Du wenigstens den guten Willen siehst, mit ein Paar Zeilen auf Deinen Brief,a welcher mich sehr erfreute, antworten, denke ja, bald mündlich darauf zurückkommen zu können. Naturgemäß war mir am interessantesten, was Du über die dortigen Rechtslehrer1 und Deine Beziehungen zu ihnenb schreibst; – das Bild war, von Lamprecht abgesehen, ja allerdings kein sehr erfreuliches, bez. der Pandektisten ungefähr so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Hr. Rümelin scheint nicht sehr klar von Ausdrucksweise zu sein, mir schien nach dem, was Du schreibst, daß er zwar Dir gegenüber im Wesentlichen wohl recht hatte, aber das Richtige seiner Anschauung nicht zur Geltung zu bringen ver­ standen hatte. Das Gewohnheitsrechtc zu reducieren auf einen vom Staat |:nur:| geduldeten Geschäftsgebrauch2 oder es aufzufassen als eine nur durch die Autorisation des Gesetzgebersd wirkende Rechts­ quelle, geht auch nach meiner Ansicht im Princip – die einzelne |:posi­ tive:| Gesetzgebung kann sich ja dazu anders stellen – nicht an, schon deshalb nicht, weil das Gewohnheitsrecht auch da ist, wo sogar der Be­ griff eines Gesetzgebers fehlt, wie das historisch in der deutschen Vor­ zeit vor der Aufzeichnung der leges barbarorum3 und grundsätzlich

a  〈[??]〉  b  I > ihnen  c  〈[??]〉  d  Staates > Gesetzgebers   1  Alfred Weber, der in Bonn Archäologie und Kunstgeschichte studierte, hörte in der juri­ stischen Fakultät regelmäßig nur Ernst Zitelmann. 2  Der Brief von Alfred an Max Weber ist nicht nachgewiesen. Ein Brief von Alfred Weber an den Vater Max Weber sen. vom 14. Dez. 1888 (BA Koblenz, N 1197/46, Nl. Alfred Weber) ist jedoch erhalten; auch darin schildert er kurz sein fehlendes Einverständnis mit Rümelins Rechtspositivismus: „der Grund der Geltung d. Rechts ist unser sittliches Gefühl; vom Staate nehmen wir an daß er das mit unsrem sittlichen Gefühl übereinstimmende o[der] aus ihm hervorgegangene Recht vertritt; folglich gilt für uns nur Recht das vom Staate anerkannt wird u[.] folglich auch Gewohnheitsrecht nur auf Grund d. Zulassung durch d. Staat; – so kann ich das zwingende dieser Schlußweise gar absolut nicht einsehen; oder ich verstehe nicht was damit gemeint ist […].“ 3  „Leges barbarorum“ dient als Sammelbegriff für die Rechtskodifizierungen der Nachfolgereiche des Imperium Romanum zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert.

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auch später noch der Fall war, zum Teil sogar noch im Sachsenspiegel,4 – und wie es heutzutage noch |:z. B.:| im Völkerrecht der Fall iste. Die staatliche Gesetzgebung ist Rechtsquelle, daran ist kein Zweifel, aber der Staat selbst ist außerdem auch ein Rechtssubject, welches mit and­ ren Rechtssubjecten: Staaten, Kirchengemeinschaften – in Rechtsbe­ ziehungen tritt, und für solche Beziehungen kann er principiell nicht zugleich Rechtssubject und Rechtsquelle, wenigstens nicht ausschließ­ liche Rechtsquelle, sein. Mag die Heranziehung des Culturkampfs |:als Beispiel:| vonf unsrem Standpunkt aus – wie ich auch der Ansicht bin – in soweit zu verwerfen sein, als von der Gegenseite eine vermeint­ liche überirdische Instanzg als die zur Grenzregulierung zwischen Staat u. Kirche competente und deren durch menschliche, „geeignete“ Interpreten zu eruierende Urteilssprüche als |:hierfür:| maßgebende Rechtsquelle hingestellt werden, so ist doch etwas Richtiges an dem Beispiel: es ist in der That discutabel, ob nicht der Staat sich im Kampf |:gelegentlich:| von dem Gebiet der seiner Regelung nach der bishe­ rigen menschlichen Culturentwicklung, die |:hier das Gewohnheits­ recht vertritt:| [,] unterliegenden Sphäre auf eine andre begeben hat, auf welcher seine Rechtsnormen versagten. Die Ansicht, daß am Scheitern des Kulturkampfs es vielfach mit Schuld ist, daß der Staat nicht nur das ihm, wie allen Rechtssubjecten, zustehende Recht der Abwehr und Notwehr, gegen Eingriffe in seine Rechte seinen Unterthanen gegen­ über, beschränkt hat, sondern seinen Gegner zu einem |:gewissen:| positiven Verhalten auf einem Gebiet zu zwingen versuchte, welches an sich |:nach dem gegenwärtigen Culturzustand:| kein staatliches hsein kannh , ist oft angesprochen worden. Die Frage ist interessanti, aber al­ lerdings |:für ein Seminar:| schlüpfrig; ich an Stelle des Herrn Rümelin hätte vielleicht auch nicht grade die Ansicht der betr. Ultramontanen |:als falsch:| bestritten oder zur Discussion gestellt, weil man unbedingt dabei das juristische Gebiet verlassen mußj ; aber ich würde gesucht ha­ ben, klarzustellen, wie weit die rein juristische Betrachtungsweise da­ bei möglich istk, an welchem Problem sie ihre Grenze findet |:und war­um?:| und welche Vorfragen |:hiernach:| entschieden sein müssen, damit diel juristischem |:Erörterung der Frage:| beginnen kann. Was e  ist, übrigens > ist  f  〈[??]〉  g  Rechtsquelle > Instanz  h–h  ist > sein kann   i  〈und〉  j  〈[??]〉  k  〈und〉  l  〈|:rein:|〉  m  〈Betrachtung〉   4  Das bedeutendste deutsche Rechtsbuch des Mittelalters seit dem frühen 13. Jahrhundert.

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Pandektenlehrbücher angeht, so meine ich, daß Dernburg5 wie das neuste, so auch – soviel ich bisher gesehen habe und anderweit höre – das brauchbarste Buch zum Studium ist. Windscheid6 habe ich hier, er giebt einerseits die historischen Zusammenhänge gar nicht, andrerseits die Rechtsdogmatik in einem für Deine Zwecke zunächst überflüssi­ genn Umfang. – Von hier nichts Neues, als etwa, wenn es Dich interes­ siert, daß mein alter Freund Wilhelm Dieterici sich verlobt hat. Alles Andre mündlich. Es ist nach 2 Uhr Nachts, deshalb diesen rapiden Schluß. Mit vielen Grüßen Dein Bruder Max

n  〈B〉   5  Dernburg, Heinrich, Pandekten, 3 Bände. – Berlin: Müller 1884–1887. Das Werk erlebte in kurzer zeitlicher Folge zahlreiche Neuauflagen. 6  Windscheid, Bernhard, Lehrbuch des Pandektenrechts, 3 Bände. – Düsseldorf: Julius Buddeus 1862–1870. Auch dieses Lehrbuch verzeichnete in rascher Folge zahlreiche Neuauflagen. Max Weber hat vermutlich die 5. Auflage (Frankfurt/Main: Ruetten 1882) benutzt; vgl. Deininger, Jürgen, Einleitung, in: MWG I/2, S.  6, Anm.  25.

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Ernst Eck 15. Februar 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 253, Bl. 29 Mit dem folgenden Brief leitete Max Weber den formalen Akt des Promotionsverfahrens beim Dekan der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Ernst Eck, ein. In diesen Zusammenhang gehören auch die weiteren Briefe an diesen vom 27. April, 9. Mai und 12. Juli 1889, unten, S.  185, 186 und 189, sowie die Briefe an Hermann Baumgarten vom 30. Mai 1889, unten, S.  187 f., an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 16. Februar 1889, unten, S.  184, und an Alfred Weber vom 30. Juli 1889, unten, S.  201 f. – Nach dem Abschluß seines Studiums in Göttingen hatte Max Weber am 15. Mai 1886 sein Erstes Juristisches Staatsexamen in Celle abgelegt. Gemäß den Statuten zur preußischen „Referendarien“-Ausbildung folgte nun ein vierjähriges Rechtsreferendariat an preußischen Gerichten, an dessen Ende die Zweite Juristische Staatsprüfung stand, die den Zugang zu allen Rechtsberufen eröffnete. Max Weber absolvierte die Stationen seines Referendariats in und um Berlin zwischen Juni 1886 und Juni 1890, was ihm zusätzlich die Möglichkeit eröffnete, neben seinen Dienstverpflichtungen Seminare an der Berliner Universität zu belegen. So hatte er im Wintersemester 1887/88 eine Seminararbeit bei Levin Goldschmidt angefertigt, die er zur Dissertation ausarbeiten wollte. Diesen Plan hatte Max Weber offensichtlich schon im Januar 1888 gefaßt, als er Ferdinand Frensdorff in Göttingen davon unterrichtete (vgl. den Brief vom 11. Januar 1888, oben, S.  140; dieser hatte ihm seinerseits ein heute nicht mehr bekanntes Dissertationsthema vorgeschlagen). Im Sommer und Herbst 1888 hatte Max Weber die Seminararbeit bei Goldschmidt erweitert, bis sie schließlich Anfang 1889 fertig vorlag. Am 15. Februar 1889 leitete Max Weber den Verwaltungsakt mit dem untenstehenden Antrag ein; eingereicht hat er hierbei eine handschriftliche Fassung der gesamten Dissertation, die heute nicht mehr erhalten ist. Schon zwei Tage später forderte Ernst Eck seine Kollegen Otto Gierke und Bernhard Hübler zur Nennung einer germanistischen (Gierke) bzw. kanonistischen (Hübler) Quellenstelle auf, die Weber im Rahmen des juristischen Promotionsverfahrens als Exegesenausarbeitung vorzulegen hatte; Eck selbst übernahm die romanistische Exegese. Am 21. Februar wurden Max Weber die Stellen in den Quellen mitgeteilt; die Bearbeitung zog sich jedoch länger als erwartet hin, da Weber im Rahmen seines Referendariats zu dieser Zeit bei einem Rechtsanwalt verpflichtet war und nur in seiner Freizeit zur wissenschaftlichen Arbeit kam. Weber konnte daher die schriftlichen Ausarbeitungen seiner Exegesen erst am 9. Mai 1889 einreichen, die in den nächsten Tagen auch zügig von den zuständigen Prüfern positiv bewertet wurden (ediert in: MWG I/1, S.  358–439). Ein zustimmendes Gutachten zur Dissertation hatte Levin Goldschmidt bereits am 23. Februar vorgelegt (abgedruckt in: MWG I/1, S.  98–101), ein zweites war nicht nötig. Am 28. Mai 1889 konnte Weber daher schon die mündliche Prüfung vor allen Mitgliedern der Fakultät ablegen, die mit „magna cum laude“ bewertet wurde. Im Anschluß daran mußte Max Weber die Druckfassung seiner Dissertation einreichen; Weber ließ Kapitel III. der Arbeit unter dem Titel: Entwickelung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten. – Stuttgart: Gebrüder Kröner 1889, drucken (ediert als Fassung A, in: MWG I/1, S.  139 und 190–253). Im Juli war er noch mit den Korrekturen beschäftigt. Am 1. August 1889 fand die das Verfahren abschließende öffentliche Disputation statt; in den Wochen zuvor hatte er mit seinen „Opponenten“, die er selbst benennen durfte (Otto Baumgarten, Walther Lotz und Karl Mommsen), immer wieder geübt. Max Webers Dissertationsurkunde trägt das Datum dieses Tages (Abb. in: MWG I/1, S.  89 f.). Das

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vollständige Werk erschien am 7. Oktober 1889 unter dem Titel: Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach südeuropäischen Quellen. – Stuttgart: Ferdinand Enke 1889 (Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  139–340). Vgl. für die ausführlichen Nachweise zum Promotionsverfahren den Editorischen Bericht, in: MWG I/1, S.  109–138, hier S.  115–121. Im Anhang zu diesem Brief findet sich ein Lebenslauf Max Webers (UA der HumboldtUni­versität zu Berlin, Jur. Fak. 253, Bl. 30–31), der in MWG I/1, S.  348–357 als „Lebenslauf 1“ ediert ist.

Antrag des Referendars Max Weber betr. Meldung zur juristischen Doctorprüfung. Ew Hochwohlgeboren beehre ich mich anliegend gehorsamst zu überreichen: 1. Eine Dissertation über das Thema: Zur Geschichte der Handels­ gesellschaften im südeuropäischen Mittelalter1 2. Einen Lebenslauf2 3. Ein Gesuch um Zulassung zur Promotion zur juristischen Doktor­ würde, gerichtet an die Juristische Fakultät der Kgl. Friedrich-Wil­ helms-Universität in Berlin.3 Ich überreiche ferner zur Glaubhaftmachung des Umstandes, daß ich hierselbst als Referendar beschäftigt bin, das anliegende Schreiben des Herrn Kammergerichtspräsidenten4 mit der gehorsamen Bitte, Ew. Hochwohlgeboren wollen geneigtest daraus vorläufig entnehmen, daß ich die Reife zur Universitäta seinerzeit erlangt und das akademische Triennium5 hinter mir habe, da ich diese Umstände vor Zulassung zur a  〈und〉   1  Max Weber hat ein nicht überliefertes Manuskript mit diesem Titel eingereicht, das mit der später gedruckten Langfassung (vgl. die Editorische Vorbemerkung, oben, S.  181) weitgehend identisch ist. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  126 f. Max Weber hat dieses Manuskript nach bestandener Prüfung zurückerhalten, wie Ernst Eck in einer kurzen Notiz auf dem Dissertationsgutachten von Levin Goldschmidt vermerkte (UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 253, Bl. 36). 2  Weber, Lebenslauf 1, MWG I/1, S.  348–357. 3  Vgl. den Brief Max Webers an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 16. Febr. 1889, unten, S.  184. 4  Otto von Oehlschläger. 5  Gemäß den Statuten der Juristischen Fakultät der Universität Berlin mußte ein Jurastudent während dreier Jahre nach dem Abitur ein Rechtsstudium an einer in- oder auslän-

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Staatsprüfung nachgewiesen haben mußte. Behufs Beschaffung des Reifezeugnisses und der Universitäts-Abgangs-Zeugnisse, welche sich noch bei den Prüfungsakten des Kgl. Oberlandesgerichts zu Celle be­ finden, habe ich mich an dieses Gericht gewendet6 und werde die ge­ dachten Papiere, so bald dieselben in meine Hände gelangen, nach­ reichen.7 Da dies jedoch für den Fall, daß beglaubigte Abschriften zu­ rückbehalten werden würden, eventuell mehrere Wochen Zeit in Anspruch nehmen kann, bitte ich ganz gehorsamst, „dem in der Eingabe an die Juristische Fakultät enthaltenen Antra­ ge, unter dem Vorbehalt des Nachbringens der noch fehlenden Zeug­ nisse schon jetzt statt zu geben.“ Charlottenburg 15. Februar 1889

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Gehorsamst Max Weber Kammergerichtsreferendar Charlottenburg, Leibnizstraße 19 An den Herrn Dekan der Hohen Juristischen Fakultät der Kgl. FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin Hochwohlgeboren

dischen Universität absolviert haben. Vgl. die Nachweise im Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  115, Anm.  29. 6  Ein Brief Max Webers an das Kgl. Oberlandesgericht zu Celle, wo er sein Erstes Juristisches Staatsexamen abgelegt hatte, ist nicht nachgewiesen; die in Frage kommenden Prüfungsakten sind nicht zu ermitteln. 7 Max Weber reichte sein Reifezeugnis und die Abgangszeugnisse der von ihm besuchten Universitäten am 9. Mai 1889 nach (Brief an Ernst Eck vom 9. Mai 1889, unten, S.  186).

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Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin 16. Februar 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 253, Bl. 32 Zum Promotionsverfahren Max Webers vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Februar 1889, oben, S.  181 f.

Gesuch des Referendars Max Weber um Zulassung zur Promotion zur juristischen Doktorwürde. Der Hohen Juristischen Fakultät der Königl. Friedrich-Wilhelms-Uni­ versität zu Berlin beehre ich mich hierdurch ganz gehorsamst das Gesuch zu unterbreiten, „mich zur Promotion zur juristischen Doctorwürde bei derselben hochgeneigtest zuzulasssen,“ mit dem ferneren Antrage, mir schon jetzt vor Prüfung der anbei gehorsamst eingereichten Dissertation1 die von mir zu interpretie­ renden Textstellen zur Bearbeitung2 bestimmen zu wollen.

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Charlottenburg, den 16. Februar 1889 Gehorsamst Max Weber Kammergerichtsreferendar An die Hohe Juristische Fakultät der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.

1  Seine Dissertation hatte Brief Max Weber mit seinem „Antrag […] betr. Meldung zur juristischen Doctorprüfung“ (Brief an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  182 mit Anm.  1), eingereicht. 2 Damit sind die drei Exegesen gemeint, die im Rahmen des juristischen Promotions­ verfahrens anzufertigen waren. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  181.

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27. April 1889

Ernst Eck 27. April 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 253, Bl. 38 Zum Promotionsverfahren Max Webers vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Februar 1889, oben, S.  181 f.

Charlottenburg 27. IV. 89. Hochgeehrter Herr Professor!

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In Beantwortung Ihres freundlichen Briefes vom gestrigen Tage habe ich lebhaft bedauert, daß sich die Bearbeitung der mir gestellten The­ men1 in Folge einer durch außergewöhnliche dienstliche Beschäfti­ gung2 veranlaßten zeitweisen Unterbrechung so überaus verzögert hat. Ich nehme bestimmt an, in 11/ 2 Wochen, etwa bis zum Donnerstag übernächster Woche, dieselben einreichen zu können.3 Auf einen Ter­ min zum mündlichen Examen hatte ich |:ungefähr:| für die letzten Mai- oder ersten Juni-Tage geglaubt rechnen zu können.4 Eine, wenn auch nicht besonders lange, Vorbereitungszeit wäre mir an sich er­ wünscht gewesen, da ich wesentlichen Partien verschiedener Fächer, im Bezug auf positive Kenntnisse, nach mehreren Jahren praktischer Beschäftigung ziemlich fremd gegenüberstehe, – mit Rücksicht auf den gütigen Schlußsatz Ihres Schreibens stelle ich jedoch Alles gehorsamst anheim und verbleibe Ihr ganz ergebener Weber Referendar.

1  Weber bezieht sich auf die drei Exegesen, die im Rahmen des juristischen Promotionsverfahrens anzufertigen waren. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  181. 2  Seit Juni 1886 leistete Max Weber das Rechtsreferendariat ab; von Oktober 1888 bis September 1889 war er auf seiner letzten Station, dem Amtsgericht in Charlottenburg, tätig. Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  113. 3  Weber reichte seine Bearbeitungen am 9. Mai ein. Vgl. den Brief an Ernst Eck vom 9. Mai 1889, unten, S.  186. 4  Die mündliche Prüfung fand am 28. Mai 1889 statt.

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Ernst Eck 9. Mai 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 253, Bl. 39 Zum Promotionsverfahren Max Webers vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Februar 1889, oben, S.  181 f. Die in diesem Brief erwähnten „Abgangszeugnisse“ sowie das „Reifezeugnis“ erhielt Weber am 17. Juni 1889 zurück und quittierte den Empfang (ebd., Bl. 37). Die Dokumente sind nicht nachgewiesen.

Ew Hochwohlgeboren beehre ich mich anliegend ganz gehorsamst zu überreichen: 1: mein Reifezeugnis 2 bis 5: Abgangszeugnisse der Universitäten zu Heidelberg, Straß­ burg, Berlin und Göttingen 6 bis 8: drei Bearbeitungen der von der Hohen Fakultät mir gestell­ ten Textstellen,1 mit dem ebenmäßigen Antrage, hochgeneigtest die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Prüfung in Antrag bringen zu wollen.2

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Charlottenburg, Leibnizstraße 19 den 9. Mai 1889 Gehorsamst Max Weber Referendar

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An den Herrn Dekan der Hohen Juristischen Fakultät der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin Herr Professor Dr. Eck Hochwohlgeboren

1  Weber reicht die drei Exegesen, die im Rahmen des juristischen Promotionsverfahrens anzufertigen waren, mit diesem Brief ein (vgl. MWG I/1, S.  358–439). Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  181. 2  Die mündliche Prüfung fand am 28. Mai 1889 statt.

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Hermann Baumgarten 30. Mai 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  43–44

Ch. 30/V 89 Lieber Onkel!

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Von den vielen zeitraubenden Vergnügungen, denen man sich hier in Berlin hingeben kann, ist, wie ich nunmehr constatieren kann, das Doctor-Machen eine der aller-zeitraubendsten und der damit verbun­ dene Genuß verhältnismäßig ein sehr geringer. Ich habe jetzt die Sache glücklich hinter mir und bin ja noch mit einem blauen Auge (magna cum laude) davon gekommen. Die Facultät war (namentlich Gold­ schmidt, der meine Dissertation censierte)1 äußerst liebenswürdig, beim mündlichen Examen hatte ich etwas den Eindruck, daß es sich zu sehr auf dem Niveau der Prüfung eines 6-semestrigen Studenten be­ wegte; – wenn man längere Zeit von der Universität ist, hat man eine große Anzahl der in Collegheften pp. üblichen Schuldistinctionen und Daten vergessen, mana hat aber oder glaubt wenigstens nach andrer Richtung hin sein Wissen bedeutend erweitert und anders fundiert zu haben, und das kommt vielleicht bei der Art von Prüfung, wie sie Gneist und Dernburg mit mir veranstalteten, nicht recht zur Geltung. Dagegen hob sich die Art, wie die beiden andern Examinatoren, Hin­ schius und Brunner, fragten, bedeutend ab; ich hätte mich von ihnen recht gern noch eine Weile weiterb ausquetschen lassen, denn es war wirklich etwas dabei zu lernen. – Jetzt werde ich mich hinter zweierlei machen, einmal hinter eine Habilitationsschrift (über |:gewisse:| rö­ mische agrarische Verhältnisse) und hinter die Fortsetzung meines als Doctordissertation fungierenden Buches.2 Wird die römische Sache zu a  〈weiß〉  b  〈ausku〉   1 Zum Gutachten Levin Goldschmidts vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  181. – Die mündliche Doktorprüfung Max Webers hatte am 28. Mai 1889 stattgefunden. Nach den Statuten waren alle Fakultätsmitglieder prüfungsberechtigt. Wahrgenommen haben dieses Recht jedoch nur die im folgenden genannten Professoren Rudolf von Gneist, Heinrich Dernburg, Paul Hinschius und Heinrich Brunner, nicht jedoch Max Webers Doktorvater Levin Goldschmidt; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  118. 2  Zur Umsetzung von Max Webers Vorhaben, sich sowohl mit einer Arbeit über römische Agrarfragen für Römisches Recht als auch an seine Dissertation über Handelsgesellschaf-

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weitaussehend, so werde ich sie liegen lassen und die letztere Arbeit als Inauguraldissertation benutzen. Dieselbe braucht, um als solche be­ nutzt werden zu können, wie mir Goldschmidt sagte, nicht einmal druckreif zu sein. Ich hätte Dir gern gleich, um mein langes Schweigen wett zu machen, ausführlich geschrieben, und auch an Emmy,3 – aber ich möchte mich heute nicht gern von einer Partie, die die Meinigen unternehmen, aus­ schließen und komme deshalb erst nächster Tage dazu. Vorläufig herz­ lichsten Gruß an Euch Alle. Heute Abend bin ich bei Otto,4 – wir fan­ den ihn, als er kürzlich hier war, zu unsrer Freude sehr wohlauf. In alter Anhänglichkeit Dein Neffe Max Weber, Dr jur.

ten anknüpfend für Handelsrecht zu habilitieren, vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, unten, S.  254. 3  Überliefert ist der Brief an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1889, unten, S.  190–195. 4  Otto Baumgarten war Prediger des Friedrichs-Waisenhauses in Rummelsburg bei Berlin.

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[Ernst Eck] 12. Juli 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 253, Bl. 43 Der Adressat dieses Briefes ist nicht völlig zweifelsfrei zu klären, Max Webers Doktorvater Levin Goldschmidt wäre auch ein möglicher Empfänger (vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  120, Anm.  4 5). Für Ernst Eck, den Dekan der Juristischen Fakultät, spricht jedoch, daß sich der Brief im Konvolut der dort aufbewahrten Promotionsakten befindet. Zu den Aufgaben des De­ kans gehörte auch die Festlegung von Terminen und die Annahme von Prüfungsunterlagen, wie sie Weber hier ankündigt. Zum Promotionsverfahren Max Webers vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Februar 1889, oben, S.  181 f.

Charlottenburg 12. VII. 89 Hochgeehrter Herr Geheimrath!

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Antwortlich Ihres freundlichen Schreibens vom 10. cr. möchte ich die Anberaumung des Promotions-Termins auf den 1. VIII. in der Aula gehorsamst anheimstellen.1 Ich hoffe jedenfalls bis dahin fertig zu sein und werde nächster Tage die Thesen2 zur gefl. Prüfung vorzulegen mir gestatten [.] Gehorsamst Max Weber Referendar

1  Mit der öffentlichen Disputation am 1. August 1889 fand Max Webers Promotionsverfahren seinen Abschluß. 2  Vgl. zu den Disputationsthesen (ediert in: MWG I/1, S.  345–347) die Editorische Vorbemerkung ebd., S.  341–344.

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Emmy Baumgarten 14. Juli 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 14. VII. 89 Liebe Emmy! Es ist schon eine sehr, sehr lange Zeit her, daß wir nichts mehr direkt von einander gehört haben und ich bin recht froh, daß ich endlich, nachdem alle Examenswirtschaft1 und nun auch das greuliche Corri­ gieren der Druckbogen, 2 von denen in letzter Zeit alle halbe Tage einer kam, vorüber ist, einmal dazu komme,a Dich und andre, mit denen ich allmälig fast außer Verbindung gerathen war, zu bitten, mein Gedächt­ nis nicht nach meiner Feder zu messen. Ich bin augenblicklich |:wieder:| einmal ganz allein, mein Vater hält voraussichtlich vergebliche Wahlre­ den in Halberstadt und Umgegend3 und meine Mutter wird ja wohl im Lauf dieser Woche noch einmal bei Euch vorsprechen. Da ist es dannb cein großer Genußc |:für mich:|, daß zu andren Freunden, die mich Sonntags aufsuchen, die beiden letzten Male sich auch Otto4 hier ein­ stellte, den ich überhaupt jetzt, wo die Tageseinteilung mehr von mir abhängt, öfter zu sehen bekommen kann. Wie Du Dir denken kannst, drehte sich unser Gespräch in erster Linie um das erstaunliche Ereig­ nis, welches sich in Amerika vollzogen hat. So sehr ich mich selbstver­ ständlich für Laura5 darüber freue, kann ich doch nicht leugnen, daß a  〈an〉  b  〈gestern〉  c–c  ein großes Vergnügen > ein großer Genuß   1  Max Weber hatte am 28. Mai 1889 die mündliche Doktorprüfung abgelegt; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Mai 1889, oben, S.  187 f. – Zum Promotionsverlauf vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  181 f. 2  Es handelt sich um Korrekturen zu Weber, Entwickelung des Solidarhaftprinzips, MWG I/1, S.  139 und 190–253 (A). Für das Promotionsverfahren legte Max Weber in Absprache mit der Fakultät nur das dritte Kapitel seines Manuskriptes als separaten Dissertationsdruck vor. 3  Max Weber sen. bewarb sich für die Nationalliberale Partei um das Reichstagsmandat des verstorbenen Abgeordneten August Moritz Ludwig von Bernuth im Wahlkreis Magdeburg (Halberstadt, Oschersleben, Wernigerode), scheiterte aber knapp; vgl. Roth, Fami­ liengeschichte, S.  427–429. 4  Otto Baumgarten. 5  Laura Fallenstein, die 1887 in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierte gemeinsame Cousine von Max Weber und Emmy Baumgarten, hatte ihre Heirat mit Max Otto von Klock, einem deutschstämmigen Buchhändler aus Boston, angekündigt.

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mein erstes Gefühl eine unermeßliche Neugierde war, mich durch den Augenschein davond überzeugen |:zu können:|, was das für eine Art Mann sein mag, den Laura zu heiraten |:sich:| im stande fühlt. Hier in Deutschland gab es, glaube ich, dergleichen nicht. Andrerseits, wenn ich mich in die Situation ihres Bräutigams denke, könnte mir doch et­ wase angst und bange werden, vorausgesetzt nämlich, sie hätte sich ge­ gen früher nicht ganz erheblich verändert. Es würde gewiß eine an und für sich lohnende Aufgabe sein, den Versuch zu machen, auf dem Um­ weg über die persönliche Zuneigung ihre ganz radikale Natur zu der |:ihr mangelnden:| Empfindung von Gerechtigkeit gegen entgegenste­ hende Auffassungen zu nötigen und ihr so die Möglichkeit zu schaffen, über die engen Schranken ihres schroffen Rechtsbewußtseins hinweg sich innerlich zu bereichern, – aber ich fürchte, so wie sie früher war, wird sie einer wirklichen rein menschlichen Hingabe, welcher das Be­ wußtsein ihrer Grenze innewohnt, nicht fähig sein, sondern in |:ihrer:| leidenschaftlichen Weise von einem Extrem ins andre fallen. Indessen – sie hat ja inzwischen Manches durchgemacht und hat vielleicht doch Einiges gelernt, und außerdem erleichtert ihr die äußere Form der Stel­ lung der Frauen in Amerika vielleicht Vieles, denn ich weiß nicht, ob sie scharfblickend genug ist, um diese äußere Position als etwas |:im Grunde doch:| Andres als Das zu empfinden, was ihr, und zum Teil berechtigter Weise, als Ideal galt. Jedenfalls werde ich ihr aber doch ein paarf Worte schreiben,6 denn wenn ich sie auch nie gemocht habe, so hat sie mir doch oft leid gethan und mich immer interessiert. Da habe ich nun schon drei Seiten lang über ein wenigstens räum­ lich weit abliegendes Thema philosophiert und dabei noch das Nächst­ liegende versäumt: ich habe auf die allerliebste Karte des Nähvereins,7 die ich, als ich nach Pfingsten von Hamburg zurückkam,8 hier fand, zuerst versuchen wollen ebenfalls in gebundener Rede zu antworten. d  〈zu〉  e  〈bange werden〉  f O: par   6  Ein entsprechendes Schreiben von Max Weber an Laura Fallenstein ist nicht nachgewiesen. 7 Ein geselliger Kreis um Emmy Baumgarten, der Näharbeiten zu karitativen Zwecken herstellte und den Max Weber aus seiner Zeit in Straßburg kannte. 8  Max Weber hatte sich, wie aus dem Folgenden hervorgeht, über Pfingsten (30./31. Mai 1887) in Hamburg aufgehalten, wo er auch das von Johann Hinrich Wichern gegründete Rauhe Haus besuchte. Der Kontakt kam über Otto Baumgarten und den am Rauhen Haus lehrenden Hans von Schubert zu Stande. Hans von Schubert und Otto Baumgarten waren seit Straßburger Zeiten befreundet (vgl. Bassi, Otto Baumgarten, S.  32), und Max Weber kannte von Schubert ebenfalls von seinen Straßburger Aufenthalten.

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Vergeblicher Versuch! man muß nicht aus Kalbsbraten Gänseleberpa­ stete machen wollen. Dann wollte ich, um wenigstens etwas besondres zu leisten, mich in italienischer Sprache dem Nähverein zu Füßen le­ gen. Auch das haperte gewaltig, und so bin ich glücklich wieder, so tief in die Schuldenlast gerathen, daß ich mich persönlich lieber gar nicht mehr melde, sondern Dich zum Advokaten nehme und bitte, dem Nähverein zu versichern, daß ich oft, und zwar nicht nur, als ich im vorigen Jahr in Seiner Majestät Provinz Posen als Lieutenant umher­ lief, an die schöneren, dort verlebten Zeiten zurückgedacht habe.9 Nun noch eins: alle Mitglieder sind mir klar, wer aber ist |:hinter der Chiffre:| K. No. |:zu suchen?:| Frau Prof. Nowack10 vielleicht? Auf je­ den Fall den allerherzlichsten Dank. – Dasjenige Mitglied des Nähver­ eins, welches ich zuletzt gesehen habe, ist Dora;11 welches wird denn nun das nächste sein? es läßt sich hier auch nähen, und das einzig Be­ denkliche ist nur, daß Otto mit seiner prachtvollen Aussicht uns im Sommer eine gefährliche Concurrenz im Bezug auf alle Gäste machen würde.12 Ich glaube, er selbst hat von seiner Wohnung freilich am al­ lerwenigsten, denn er ist doch ein unglaublich beweglicher Mensch. Jetzt ist er nun wieder in Hamburg und Kiel gewesen, nur weil diesen törichten Leuten, welche man als Krankenpfleger, d. h. wohl nur, um selbst das Fieber zu bekommen, nach Ost-Afrika schickt, das Geld un­ terwegs ausgegangen war und sie sich genierten, sich selbst an Herrn Wichern zu wenden.13 Wir hier wünschten ihm vor allen andren Din­ gen einmal eine Zeit der Ruhe, er wird es sonst auch körperlich auf Dauer nicht durchführen und namentlich nicht zu dem Ziel kommen, welches er sich vorgesteckt hatte. 9 In Straßburg hatte Max Weber vom 1. Oktober 1883 bis 30. September 1884 seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger abgeleistet sowie vom 1. März bis 25. April 1885 und vom 30. Januar bis 26. März 1887 an Militärübungen teilgenommen. Zu einer weiteren Übung war er vom 19. Juli bis 13. September 1888 nach Posen eingezogen worden, wohin das 2. Niederschlesische Infanterieregiment Nr.  47, bei dem er diente, zum 1. April 1887 verlegt worden war. 10  Katharina (Käthe) Nowack war mit dem Straßburger Professor für Theologie Wilhelm Nowack verheiratet. 11  Max Webers Cousine Dorothea (Dora) Benecke. 12 Otto Baumgarten war seit 1888 Anstaltsprediger des Friedrichs-Waisenhauses in Rummelsburg bei Berlin. Die Anstalt lag in einer Parkanlage am Nordostufer des Rummelsburger Sees. 13  Johannes Wichern leitete das von seinem Vater Johann Hinrich Wichern gegründete Rauhe Haus in Hamburg. 1886 hatte er die „Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im Kriege“ gegründet, die in Ostafrika während des sog. Araberaufstandes 1888/89 tätig war.

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Herrn Wichern habe ich übrigens zu Pfingsten in Hamburg auch ge­ sehen, freilich nur sehr kurz, dagegen ausführlicher Herrn von Schu­ bert14 und dessen äußerst sympathische, aber wohl zarte Frau. Sie scheint unter Umständen ihm an Lebhaftigkeit noch über zu sein, wenn nämlich das richtige Thema auf’s Tapet kommt, und das geschah, – sie ist Tochter oderg Schwester eines Bergwerkbesitzers oder -Direc­ tors aus dem großen westfälischen Kohlenrevier15 und nun wurde von dem letzten großen Streike dort16 gesprochen, und ich habe mich über sie gewundert. Nicht darüber, daß ihr das Unrecht fast allein auf Sei­ ten der Arbeiter zu liegen schien und daß sie darüber empört war, aber darüber, daß sie sich so consequent, wie sie es that, auf den Standpunkt des formellen Rechtsh stellte und daß ihr die Arbeitseinstellung nicht in erster Reihe des schweren Elends, welches sie über die verheirateten Arbeiter bringt, sondern des Unrechts wegen, welches die Arbeiter durch Bruch des Contrakts gegen ihren Arbeitsherren begehen, ver­ werflich erschien. Das war mir grade bei einer jungen Frau überra­ schend und gab mir wieder zu denken, wie abhängig wir doch auchi hinsichtlich der Richtung, welche das moralische Urteil einschlägt und woran es anknüpft, von den Lebenskreisen sind, aus denen wir hervor­ gegangen sind. Übrigens steckte er – Dr. v. Schubert – tief in der Ar­ beit für das zweite preußische theologische Staatsexamen, welches er nächstens machen will. Sein kleines Mädchenj,17 welches ich, seiner kräftigen Entwicklung nach, für einen Jungen gehalten habe, sieht ihm ähnlicher, als es für ein Mitglied des schönen Geschlechts wünschens­ werth wäre. – Nun wird also meine Mutter, wenn dieser Brief zu Dir kommt, ent­ weder auch schon dort sein oder doch bald darnach eintreffen, und Clara kann dann meine Stelle im Nähverein vertreten. Hier im Hause herrscht eine ganz außerordentliche Stille, man pflegt mich wieder, wie immer in solchen Fällen, fast übermäßig und ich denke jetzt, nachdem g  und > oder  h O: Recht  i  〈nach der〉  j  〈sieht i〉   14 Hans von Schubert, den Max Weber aus Straßburg kannte, war Lehrer am Rauhen Haus in Hamburg. 15  Bertha von Schuberts Vater Wilhelm Köppern war ein Bergwerksdirektor aus Hagen/ Westfalen. 16  Im Mai 1889 war es zum bislang größten Bergarbeiterstreik gekommen, bei dem im Kohlenrevier an der Ruhr annähernd 100  0 00 Arbeiter in den Ausstand getreten waren; vgl. Schulthess 1889, S.  6 3–75. 17  Die wenige Monate alte Gertrud von Schubert.

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alle zeitraubenden Doktor-Schmerzen erledigt sind, zu ruhigem Arbei­ ten zu kommen, was ich nötig habe, da ich verschiedene neue Sachen anfangen will. Denn diese wunderliche Eigenschaft, daß eine kurze Zeit vollständiger Einsamkeit mir, um mich im Arbeiten etwas auf den Trab zu bringen und wenn es auf ein schnelleres Tempo dabei ankommt, fast unentbehrlich ist und mir auch für die Folgezeit in der Nachwir­ kung hilft, habe ich immer noch. Es ist doch wohl deshalb, weil man alle die vielen kleinen Tageserlebnisse im Hause, wenn man auch, wie das bei mir leider der Fall, als Hülfe wenig brauchbar ist, mehr oder weniger mitempfindet, auch wohl öfter das dunkle Gefühl hat, sich irgendwie nützlich machen zu mögen, und es nicht zu verstehen. Jedenfalls freue ich mich auf diesen Hochsommer ohne militärisches Intermezzo – denn die sind jetztk aller anziehenden Seiten entkleidet – schon an und für sich. – Ob Aussicht vorhanden ist, daß ich einmal wieder nach dem Sü­ den kommen kann, ist zweifelhaft. Den August über werde ich meinen Urlaub hier zubringen und arbeiten: ein moderner Menschl hört nicht auf examiniert zu werden, so lange er lebt, und ich muß nun schon wie­ der anfangen, an die beiden Freuden, die mir im nächsten Jahr bevor­ stehen, Assessorexamen und Habilitation,18 zu denken. Vielleicht gebe ich mir in der ersten September-Hälfte noch einen Stoß. – Es würde mich ganz außerordentlich freuen, einmal wieder zu hö­ ren,m einmal, wie es Dir persönlich geht, denn darüber haben ich nur indirekt und mit herzlichem Mitgefühl gehört, wie hart Dein Muth auf die Probe gestellt worden ist und fortwährend noch wird. Daß wir die Abhängigkeit von unsrem Körper, die uns doch täglich in allem [,] was wir thun und thun möchten, so enge Schranken setzt, nur danno emp­ finden, wenn der Körper angegriffen ist, ist für denp Gesunden eine Wohlthat nach manchen Beziehungen, nach andren auch wieder nicht, denn es läßt ihn die Unzulänglichkeit des Einzelnen nicht so erkennen, wie es oft nötig wäre, für den Leidenden ist es aber jedenfalls eine Er­ schwerung, denn er sieht nicht, wie wenig auch der Gesunde im Grunk  〈aller ihrer〉  l  Urlaub > Mensch  m  〈wie〉  n  weiß > habe  o  〈so schmerz­ lich〉  p  〈Krank〉    18  Am Ende der vierjährigen Referendariatszeit, die Max Weber im Juni 1886 begonnen hatte, stand die Zweite Juristische Staatsprüfung. Max Weber bestand sie am 18. Oktober 1890; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  120 f. – Zu Max Webers Habilitation in Römischem und Handelsrecht vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-WilhelmsUniversität Berlin vom 22. Okt. 1891, unten, S.  254.

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de über sich gebieten kann und der Abstandq erscheint ihm deshalb notwendig größer, als er im Grunde genommen ist. Hoffentlich kom­ men bald bessere Zeiten für Dich, meine liebe Emmy, die herzlichsten Wünsche dazu! und muthe Dir nur nicht zu viel zu, – das thatst Du früher, denn ich weiß noch recht gut, daß Du immer glaubtest, Andren nicht das zu sein, was Du wolltest, und doch war das Zusammensein mit Dir uns allenr so wohlthuend. Es geht Dir darin |:in andrer Weise ebenso:| wie meiner Mutter, die auchs nie erkannte, wie viel ihre aufop­ fernde Liebe indirect für uns bedeutete, in Momenten, wo man gegen Manches einen innerlichen Schutz bedurfte, und wo dieser Schutz in dem Gedanken an sie lag. Ich bin Dir für Deine Freundschaft stets herzlich dankbar gewesen und weiß genau, daß Du Deinen Platz aus­ füllst in der Weise, die Dir gegeben ist. – Von hier habe ich Dir sonst nicht viel zu erzählen. Die Braut von Herrn Dr. Marcks habe ich immer noch nicht zu sehen bekommen, er wird ja, soviel ich weiß, in den nächsten Wochen heirathen.19 Habt Ihr sie in Straßburg kennen gelernt? Leider höre ich, daß der junge Keibelt nebst Frau von Straßburg fort geht, 20 hoffentlich finden sie in Freiburg angenehmen Verkehr, sie braucht solchen und er ist ihr zu gönnen. Grüße sie doch bitte, falls Du sie noch sehen solltest. Dem Onkel vie­ len Dank für seinen freundlichen Brief, den ich bald beantworten wer­ de.21 Auch vom Fritz22 hatte ich eine sehr freundliche Karte. – Nun lebe recht wohl, laß Dir es recht gut gehen und grüße die Deinigen vielmals [.] Daß Du mir bald auf diesen Brief antwortest, habe ich nicht verdient und erwarte es auch nicht, wenn Du mir aber nicht grollst, so würdest Du gelegentlich durch ein paaru Zeilen sehr erfreuen Deinen Vetter Max

q  Unsichere Lesung: 〈erschei〉  r  〈[??]〉  s  Unsichere Lesung: 〈wie v〉  t O: Kai­ bel  u O: par   19  Friederike von Sellin und Erich Marcks heirateten am 12. August 1889. 20 Der Anatom Franz Keibel wurde Prosektor am Anatomischen Institut der Universität Freiburg i. Br., wohin er mit seiner Frau Susanna zog. 21  Als nächster ist der Brief an Hermann Baumgarten vom 31. Dez. 1889, unten, S.  210– 213, nachgewiesen. 22  Max Webers Vetter Fritz Baumgarten.

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Helene Weber 17. Juli 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 143–145 Zum Kontext: Helene Weber verbrachte den Sommer in Heidelberg. Mit ihrer Tochter Clara Weber besuchte sie von dort aus die Familien ihrer in Straßburg lebenden Schwestern Ida Baumgarten und Emilie (Nixel) Benecke.

Charlottenburg 17. VII. 89 Liebe Mutter! In den Correcturen der Druckbogen,1 welches zeitweise viel Zeit in Anspruch nahm, ist eine Pause eingetreten, da will ich nachholen, was bisher versäumt worden, nämlich zu erzählen, was hier während der Zeit vorgefallen, wo ich alleine das Haus auszufüllen versuchen mußte. An beiden Sonntagen war es hier sehr lebhaft. Am ersten aß ich mit Otto2 ganz allein zu Mittag, und ich glaube, Sophie3 hat heilsame Ge­ wissensbisse bekommen wegen ihres leidigen Nichtinnehaltens der Zeit, da diesmal ihr verehrter Herr Pastor eine halbe Stunde länger, als programmäßig, aufs Essen warten mußte, denn ich ging alle 5 Minuten hinunter und machte sie darauf aufmerksam, daß der Herr Pfarrer noch immer vor lauter Hunger Klavier spiele. Es war dann sehr behag­ lich und wurden einige vernünftige Worte geredet. In den Nachmit­ tagsstunden erschien dann zunächst Herr Lotz, wie immer, mit einer Masse volkswirtschaftlicher Litteratur für mich beladen, und später Hagen4 und Karl Mommsen. Es wurde eine angemessene Verteilung zwischen Billard und Skat vorgenommen und so der Nachmittag rich­ tig vor den Kopf geschlagen. Nach Tisch entwickelte sich jedoch, zu Mommsens Schmerz, statt dessen eine sehr animierte politische Unterhaltung über Streike, So­ cialistengesetz, Stöcker5 u. A., wobei ein bedenkliches Überwiegen der 1  Die Korrekturfahnen zu Weber, Entwickelung des Solidarhaftprinzips, MWG I/1, S.  139 und 190–253. – Zum Promotionsverlauf vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  181 f. 2  Otto Baumgarten, seit 1888 Prediger am Friedrichs-Waisenhaus in Rummelsburg bei Berlin. 3  Köchin oder Dienstmädchen der Familie Weber. 4  Der zu Max Webers Berliner Freundeskreis gehörende Jurist Werner Hagen. 5 Der u. a. wegen antisemitischer Positionen umstrittene evangelische Theologe Adolf Stoecker betrieb eine paternalistische und die Sozialdemokratie bekämpfende Sozialpolitik.

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Reichsfeinde stattfand, und welche so lange dauerte, daß Otto mühsam mit dem letzten Zuge, die Andren mit der letzten Pferdebahn davon kamen. Der zweite Sonntag entwickelte sich programmäßiger, indem zu Mittag und Nachmittag Nasse6 und Lotz vorhanden waren, wobei, da das Gespräch von Nasse geschickt auf Bank- und Münzfragen abge­ lenkt wurde, die ihn nichts angehen, dagegen die Special-Domäne von Lotz sind, er – Nasse – das seinem Geschmack entsprechende Vergnü­ gen genoß, sich in den Faulenzera 7 in der Veranda vertiefen und zuhö­ ren zu können. Ein sonderbarer Kerl ist er, obwohl ihm nur die Hälfte klar war, machte es ihm doch Spaß [.] Gegen Abend kamen dann, zu dem durch Nasse, der sich mir zu die­ sem Behuf angesagt hatte, unvermeidlichen Skat, Graeberb,8 Homeyer9 und natürlich Karl Mommsen, sowie außerdem Otto. Er war die zweite Hälfte der Woche in Hamburg und Kiel gewesen. Von Un­ ter­italien aus hatte ihm nämlich dieses Kannibalenfutter, die 6 un­ glückseligen ostafrikanischen |:Krankenpfleger:| [,] die kläglichsten Briefe geschrieben, daß es mit ihrem Geld rein aus sei, und er, da sie sich genierten (!), doch bei Herrn Wichern für sie sich um Das, wonach die Welt schreit, verwenden möge.10 Das kommt davon, wenn man ein­ mal sich darauf eingelassen hat, ohne Noth Jemandem sein Bier zu be­ zahlen. Mir ist, da ich ihn nur wenige Minuten über die ganze Sache gesprochen habe, die ganze Sachlage keineswegs klar, es scheint eine haarsträubende Confusion undc, bei den jungen Leuten, eine entsetz­ liche Unbeholfenheit, zu herrschen. Wenn die sich |:in Afrika:| so wei­ ter benehmen, werden sie allerdings wohl bald, wie in jenem schönen Bilde in den flieg[enden] Blätt[ern] als „kalter Missionar“ in der Spei-

a O: Faullenzer  b O: Gräber  c  〈eine〉   6  Dietrich (Dirk) Nasse war Assistent an der chirurgischen Universitätsklinik und arbeitete an seiner Habilitation. 7  Ugs. für: Liegestuhl, bequemer Sessel. 8  Den Juristen Georg Graeber kannte Max Weber vermutlich schon aus seiner Heidelberger Studentenzeit. Beide waren Mitglieder der Burschenschaft Allemannia; vgl. Reinbach, Wolf-Diedrich, Max Weber und die Burschenschaft Allemannia Heidelberg, 4.  Aufl. – Heidelberg: Manuskript masch. 2014, S.  55. 9  Näheres zu Max Webers Studienfreund Homeyer konnte nicht ermittelt werden. 10  Es handelt sich um Krankenpfleger der von Johannes Wichern gegründeten „Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im Kriege“, die während des sog. Araberaufstandes 1888/89 in Ostafrika tätig war; vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1889, oben, S.  192 mit Anm.  13.

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sekammer eines schwarzen Häuptlings stehen,11 jedenfalls aber noch weniger helfen als ohnehin schon wahrscheinlich ist. Von Hamburg aus war er dann in Kiel, ich habe aber in der kurzen Zeit auch nur gehört, daß dort alles gut geht bis auf Frau Grafe,12 von der er sich nun doch auch überzeugt hat, daß sie offenbar recht leidend ist – sehr ausge­ prägte Blutleere, – und daß es ihm sehr gut dort gefallen hat. Grafe will wirklich bauend. Von Sonntag auf Montag logierte der dortige Prof. Kawerau13 bei ihm in Rummelsburg, – was der jetzt hier wollte, weiß ich nicht mehr. Ich will in diesen Tagen einmal zu ihm hinaus, um ausführlicher zu sprechen, auch wegen der These. Er brachte mir einen auf dieselbe bezüglichen Brief von Beyschlag an ihn mit. Ich werde am 1. August promovieren und zwar werden mir außer Otto Herr Lotz und Mommsen opponieren.14 – Karl wird ja nun wohl glücklich in Hei­ delberg angelangt sein; – der Brief von Frau Dreyer15 schildert seinen Eindruck ganz so, wie ich mir denke, daß ere für freundliche, an ein­ fache und natürliche Wahrhaftigkeit gewöhnte, auf Menschenkenntnis nicht zu stark begabte Leute überhaupt sich darstellen muß, denn er ist wirklich, und wie ich glaube, auch nicht nur äußerlich, ein im Grunde liebenswürdiger Mensch. Auch scheint mir, daß er unzweifelhaft einen gewissen Idealismus nach der ästhetischen und humanen Seite besitzt, auch für manches eine ansprechende Auffassungsgabe hat, – was nur Alles sehr vereinbar ist mit großer Entwöhnung von wirklicher Ener­ gie sich selbst gegenüber und einer großen Überschätzung schöner Worte gegenüber wirklichem ernsten Streben. Auchf sein Bedürfnis d  Alternative Lesung: lernen  e  〈auf〉  f  〈seine〉    11  Eine entsprechende Zeichnung oder Karikatur konnte in der humoristischen Wochenschrift „Fliegende Blätter“ nicht ermittelt werden. 12  Die mit dem Theologen Eduard Grafe verheiratete Anna Grafe. 13  Gustav Kawerau war Professor für praktische Theologie an der Universität Kiel. 14  Max Weber hatte für die am 1. August 1889 stattfindende öffentliche Disputation, die letzte Stufe des Promotionsverfahrens, als die nach der Prüfungsordnung geforderten drei Opponenten seinen Vetter, den Theologen Otto Baumgarten, sowie zwei Freunde, den Nationalökonomen Walther Lotz und den Juristen Karl Mommsen, benannt; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Thesen, MWG I/1, S.  341–344, hier S.  342. Der Jenenser Theologe Willibald Beyschlag könnte sich gegenüber Otto Baumgarten brieflich zu Max Webers dritter Disputationsthese, die das Kirchenrecht berührte, geäußert haben; vgl. ebd., S.  345. 15  Es handelt sich vermutlich um Selma Marie Friedericke Caroline Dreyer, die Frau des Gothaer Superintendenten; Karl Weber hatte von einer Familie Dreyer in Gotha eine Einladung erhalten und diese offensichtlich besucht (Brief Helene Webers an Alfred Weber vom 19. Juli 1889, BA Koblenz, N 1197, Nl. Alfred Weber, Nr.  21).

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nach Renommageg tritt, da er sich in recht cavaliermäßigen Formen bewegt, für Dritte als solches nicht hervor, wenn sie ihn nicht genau kennen. Es ist ja ein Unglückh für ihn, daß er dies seinem Alter an sich angemessene Bedürfnis nicht in der unschädlichen, seinen Jahren ent­ sprechenden Art eines Studenten in den ersten Semestern austoben kann. – Ich schicke diesen Brief nach Straßburg, wo du ja nun schon sein wirst und bitte, Alle dort bei Beneckes, namentlich auch Dora,16 viel­ mals zu grüßen. Hast Du wohl Wilhelm17 für Berlin geworben? Clara ist wohl mit, – sie ist ja riesig großartig in ihrem Briefe an den Papa, giebt mir nur seitwärts einen Rippenstoß und meint, ich könnte ihr doch einen 4 Seiten langen Brief schreiben. Einen schönen Gruß und ich hätte |:hier:| noch keine vier Seiten voll erlebt, dächte aber, sie müßte doch nun |:in Heidelberg und Straßburg:| mindestens acht Sei­ ten voll gesehen haben. Sie könnte mir doch etwas vom Nähverein18 und den Cousinen erzählen, – d. h. ich werde ihr das dort auf dem letz­ ten Blatt dieses Bogens selbst noch auseinandersetzen,19 vielleicht ent­ schließt sie sich dann eher dazu. – Deine Anfragen sind durch Papas Briefe, wie er mir sagt [,] erledigt. Ich denke auch, daß der kl[eine] Kyllmann20 einmal kommt, sonst wer­ de ich ihn mir, wenn ich wieder allein bin, einmal zu Tisch bitten. An Purgold habe ich geschrieben, bin begierig, wie er sich über seinen Zu­ stand äußern wird.21 Die Karte, die mir Lotz zeigte, war der Stimmung nach so, wie er hier war. Es dunkelt, ich möchte den Brief vor 81/4 in den Kasten haben. Herzlichen Gruß Dein Sohn Max.

g O: Rennomage  h  〈auch〉   16  Max Webers Cousine Dorothea (Dora) Benecke. 17  Max Webers Vetter Wilhelm Benecke. 18 Der gesellige Kreis um Emmy Baumgarten traf sich, um Näharbeiten zu karitativen Zwecken anzufertigen; vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1889, oben, S.  191. 19  Vgl. den Brief an Clara Weber vom 17. Juli 1889, unten, S.  200. 20  Es handelt sich möglicherweise um Adolf Kyllmann, ein Sohn des Berliner Architekten und Stadtverordneten Walter Kyllmann, der Jura studierte. 21  Der Brief an den befreundeten Wilhelm Purgold, auf dessen Nervenkrankheit Max Weber vermutlich anspielt, ist nicht nachgewiesen.

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Clara Weber [17. Juli 1889; Charlottenburg] Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 1–2 Datum und Ort sind aus dem Zusammenhang mit dem Brief an Helene Weber vom 17. Juli 1889, oben, S.  199, erschlossen. Darin kündigte Max Weber an, „auf dem letzten Blatt dieses Bogens“ (Briefpapier) seiner Schwester Clara auf deren Forderung nach einem langen Brief zu antworten.

Liebes Klärchen! Du meinst also, ich könnte Dir einen vier Seiten langen Brief schreiben und Dir darin alle möglichen schönen Geschichten erzählen? Das „könnte“ ich wohl, ich will es aber nicht, wenn Du mir nicht in einem sehr schönen und höflichen Brief, auch auf vier Seiten schreibst, was Du denn alles gern wissen möchtest, denn ich kann Dir doch nicht vier Seiten lang bloß auf Deine Frage antworten, ob ich schon viele 20-Pfen­ nigstückchen für Dich bekommen habe. Die giebt es jetzt hier gar nicht, es hat mir Jemand im Vertrauen gesagt, Bismarck hätte sie alle für den Kaiser einsammeln lassen, weil die Prinzessin Victoria ein enormes Bettelhalsband1 sich zu ihrem Geburtstage, der nächstens ist, gewünscht hätte.2 Da wird also wohl nichts zu machen sein. Grüße nur einstweilen die vielen Cousinen schön und sieh zu, ob sie im Nähver­ ein3 ohne mich fertig werden und die Ärmel an den Hemden für arme Kinder nicht verkehrt herum annähen. Hoffentlich wirst Du nächstens einen sehr langen Brief schreiben Deinem Onkel4 und Doktor Max?

1  Gemeint ist eine Kette, an der sich viele, zu unterschiedlichen Anlässen erworbene oder geschenkte Anhänger befestigen lassen. Der Begriff erinnert an die an Ketten angebrachten Münzen oder Plaketten als Nachweis der obrigkeitlichen Erlaubnis zum Betteln. 2 Offensichtlich eine Verwechslung: Kaiser Wilhelms II. Schwester Viktoria war am 12. April 1866 geboren; am 24. Juli hatte dessen ältere, 1860 geborene Schwester Charlotte Geburtstag. 3 Der gesellige Kreis um Emmy Baumgarten traf sich, um Näharbeiten zu karitativen Zwecken anzufertigen. Vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1889, oben, S.  191. 4  Hier Bezeichnung für einen gemütlichen Menschen.

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Alfred Weber 30. Juli 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  25–26 Zum Promotionsverfahren Max Webers vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Februar 1889, oben, S.  181 f.

Charlottenburg 30. VII. 89 Lieber Alfred!

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Da ich heute noch meine Opponenten1 zusammentrommeln muß, um den übermorgigen Promotionsactus2 vorzubereiten, kann ich Dir zu Deinem Geburtstage morgen3 nur einen kurzen Gruß und die besten Wünsche für den Verlauf des nächsten Lebensjahrs, dessen überwie­ gender Teil ja nun wohl im bunten Rock4 verlaufen wird, schicken. Ob dieser Zettel Dich in Tübingen antrifft, ist ja wohl zweifelhaft, ich nehme an, mit Rücksicht darauf, daß so viel ich weiß Donnerstag in Tübingen Dies Academicus ist, 5 bist Du unter Umständen nach Hei­ delberg hinübergefahren. Jedenfalls wünsche ich Dir ein recht frohes Wiegenfest. Nicht etwa als Geburtstagspräsent, sondern weil ich eben ina seinen Besitz gekommen bin, schicke ich gleichzeitig das beifol­ gende Schmerzenskind,6 von dem ich im Übrigen weder annehme noch beanspruche, daß sein Inhalt Dich interessiert. Dazu trägt es zu sehr den Charakter eines rein gelehrten Fabrikats an sich, das übrigens mit dem Stoff mehr oder weniger untrennbar verknüpft istb und schwer zu vermeiden sein würde. a  〈[??]〉  b  ist > ist   1  Otto Baumgarten, Walther Lotz und Karl Mommsen. 2  Als Abschluß des Promotionsverfahrens fand am 1. August 1889 die öffentliche Disputation statt. 3  Alfred Weber feierte am 30. Juli 1889 seinen 21. Geburtstag. Max Weber äußerte jedoch schon zwei Jahre zuvor die Ansicht, daß sein Bruder erst einen Tag später Geburtstag habe; vgl. den Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1887, oben, S.  109. 4  Am 1. Oktober 1889 trat Alfred Weber seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger an. 5  Bis ins 20. Jahrhundert hinein war jeder Donnerstag an der Tübinger Eberhard-Karls-Universität, an der Alfred Weber zu dieser Zeit studierte, ein Dies Academicus, an dem der Lehrbetrieb ruhte. 6  Weber, Entwickelung des Solidarhaftprinzips, MWG I/1, S.  139 und 190–253. Es handelte sich dabei um ein Exemplar des dritten Kapitels, das inklusive Disputationsthesen gedruckt und mit einem Lebenslauf in 150 Exemplaren der Fakultät und dem Ministerium eingereicht werden mußte. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  126–129.

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Es ist mir lieb, daß dann endlich die unverhältnismäßige Schererei, die ich an der Sache gehabt habe, zu Ende ist, denn ich habe nicht nur an wissenschaftlichen Arbeiten einiges Andre vor, sondern muß auch [,] wenn auch allmälig, so doch ernstlich daran denken, daß in 10 Mona­ ten bereits ein andrer sehr energischer Filter für mich bereitsteht.7 – Ich höre mit Staunen, daß man in Tübingen bis in die 2te Augustwo­ che hinein liest und Du also wahrscheinlich erst Mitte des Monats Dich südwärts wirst auf die Strümpfe machen können und wirst dann wohl erst hierher kommen, wenn ich meinerseits – was ich für die beiden ersten Septemberwochen vorhabe – etwas verspritztc bin, so daß ich Dich wohl vor Mitte September schwerlich zu sehen bekomme. Bis da­ hin also auf Wiedersehen, empfiehl mich bitte Herrn Prof. Meyer8 be­ stens. Prof. Jolly, über den Du so viel ich weiß noch nie geschrieben hast, habe ich im Winter 1883 auf der Germanenkneipe9 gesehen, mich aber nur als Couleurbruder, nicht als Verwandter, vorgestellt, so daß er sich meiner nicht erinnern kann. Über die nähere Natur der „Igel“10 hast Du übrigens auch wenig geschrieben. Daß Du wieder nur 1 Seme­ ster bei ihnen bleiben würdest, wäre doch wohl ein nicht unwesent­ licher, aber auch wohl der einzige Gesichtspunkt, der gegen München spräche? Karl Mommsen empfiehlt das Dienen dort sehr. Mit den besten Grüßen Dein Bruder Max

c  Unsichere Lesung.   7  Ende Juni 1890 endete der praktische Teil des Rechtsreferendariats, an den sich die Ausarbeitung einer schriftlichen Assessorarbeit sowie eine mündliche Prüfung anschlossen. Weber reichte vermutlich Ende August 1890 die schriftliche Ausarbeitung ein. Mit Ablegung der mündlichen Prüfung am 18. Oktober 1890 bestand er die Zweite Juristische Staatsprüfung und wurde zum Gerichtsassessor ernannt. Vgl. dazu ebd., S.  120 f. 8  Der Jurist Hugo Meyer. 9  Max Weber war wie der hier genannte Ludwig von Jolly Mitglied der Allemannia Heidelberg, die u. a. mit der Tübinger Germania zum Süddeutschen Kartell gehörte, einer Vereinigung pflichtschlagender Burschenschaften. Zur Mitgliedschaft Ludwig von Jollys in der Allemannia vgl. Reinbach, Wolf-Diedrich (Hg.), Goldenes Buch der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg. Neubearbeitung zum 150. Stiftungsfest 2006. – Heidelberg: Burschenschaft Allemannia 2006, S.  74. 10 Der „Igel“ ist eine nicht-schlagende und nicht-farbentragende studentische Verbindung, der sich Alfred Weber in Tübingen angeschlossen hatte.

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Max Weber sen. 13. September 1889; PSt Oerlinghausen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  2, Bl. 101–102 Der Ort ist erschlossen aus dem beiliegenden Briefumschlag (ebd., Bl. 100).

13. IX. 89 Lieber Vater!

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In Brackwede kam ich nicht zum Schreiben, da wir fast fortwährend in Bewegung waren, hierher bin ich heute Mittag übersiedelt und habe jetzt nach Tisch wenigstens einen Augenblick Zeit. Ich habe hier Alle recht wohl und vergnügt angetroffen, auch der Onkel,1 den ich erst nachher sehen werde, soll sich jetzt wieder wohl befinden, der Tod von Onkel Otto2 hatte ihn sehr mitgenommen und überdies stellen sich bei ihm gelegentlich Symptome von Überarbeitung ein. Von Brügge aus, der nächst Utrecht und Rotterdam in der Physiogno­ mie charakteristischsten niederländischen Stadt, die ich gesehen habe, bin ich ohne Aufenthalt, – außer 3 Stunden in Köln – nach Bielefeld durchgefahren. Der Kunstschätze waren es mir schließlich fast zu viel und ich habe die Gallerien teilweise etwas abgeschlachtet und mehr den allgemeinen Eindruck des Landes mitgenommen. Alles im Allem habe ich doch in der kurzen Zeit recht viel gesehen: Utrecht, Amster­ dam inclusive der neuen Hafenanlagen und einer Unzahl einzelner charakteristischer Spezialitäten, auf die mich Fritz Fallenstein3 lie­ benswürdig aufmerksam machte, ferner die großen Canalanlagen am Y4 und die Schleusen am Zuider-Zee, Rotterdam, wo ich mir einige größere Frachtschiffe nach Indien und Südamerika näher betrachtet habe, dann die Be- und Entwässerungsverhältnisse der Provinzen Südund Nordhollands, wo ich per Canaldampfer – der moderne Ersatz der früheren Treckschuiter5 – einige Umfahrten gemacht habe, den Haag

1  Carl David Weber. 2  Otto Weber, der Bruder von Max Weber sen. und Carl David Weber, war am 23. August 1889 gestorben. 3  Max Webers in Amsterdam für Bunge & Co. arbeitender Vetter. 4  Eigentlich: IJ; ursprünglich ein Meeresarm der Zuidersee, der Mitte des 19. Jahrhunderts eingepoldert und durch einen Damm vom Meer abgetrennt worden war. 5  Die Treckschute – ndl. Trekschuit – ist ein kleines, vom Ufer aus mit Zugtieren oder durch Menschenkraft getreideltes Boot.

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mit Scheveningen, Leidena mit den Rheinmündungsschleusen bei Kat­ wijk und Haarlem, wo ich sowohl an der See |:war:| als einige Stunden, von Halfweg aus, im Haarlemer Meer6 umhergelaufen bin, – Letzteres ein nach der wirtschaftlichen Seite höchst erfreulicher Eindruck, die Vegetation auf dem schwarzen, federnden Boden ist kaum zu bändi­ gen; es ist ein höchst merkwürdiger Eindruck, wenn man nachdem man mehrere Meter hoch aus dem Polder auf den Deich gestiegen ist und nun an dessen andren Seite das Wasser des Canals kaum 3 Fuß unter sich hat, ebenso eigenartig, wie wenn man auf den neuerdings trocken gelegten Wiesen des Ij7 westlich bei Amsterdam steht und, fast über sich, die gewaltigen Schiffe der Red Star Line zwischen den Deichen auf dem Land, mit dem Kiel ungefähr in der Höhe des umlie­ genden Landes, vorbeiziehen sieht. In Antwerpen, welches sich seit der Zeit Deines Baedekersb fast ver­ dreifacht hat, wies mir Herr Huffmann,8 übrigens ein sehr behaglicher Kumpan, freilich ohne besondere geistige Ansprüche, aber nicht ohne erheblich Kenntnisse und politische Interessen, in sehr liebenswür­ diger Weise die Wege, so daß ich auch dort einen wohl im Wesentlichen vollständigen Eindruck mitnehmen konnte. Trübselig ist nur der Ein­ druck der politischen Parteiverhältnisse aus Anlaß der Katastrophe.9 Um die Thatsache, daß unmittelbar am Petroleumhafen eine derartig gefährliche Manipulation mit Patronen betrieben wurde, scheint sich die – liberale – Stadtverwaltung erst gekümmert zu haben, als sie dar­ auf speziell mit dem Bemerken aufmerksam gemacht wurde, daß derc Unternehmer ein Klerikaler sei und als sie es nun verbot, hat der Pro­ vinzialausschuß (Députation permanente), nach allgemeiner Ansicht auch im Parteiinteresse, auf erhobene Beschwerde es wieder gestattet. – In Brüssel sind die an Stelle der alten Enceinte10 getretenen Anlagen

a O: Leijden  b O: Baedeckers  c  〈Fab〉   6  Ein südöstlich von Haarlem gelegener, zwischen 1848 und 1852 trockengelegter See. 7  Ein trockengelegter Meeresarm der Zuidersee, vgl. oben, S.  203, Anm.  4. 8  Vermutlich der mit Max Webers Cousine Marie Bunge verheiratete Moritz Huffmann. 9  Am 6. September 1889 war es in der Munitionsfabrik von Joseph Corvilain zu einer Explosion gekommen, durch welche die benachbarten Öllager am America Dock Feuer fingen. Bei dem Unglück kamen 84 Menschen ums Leben; vgl. Isacker, Karel van und Uytven, Raymond van, Antwerp. Twelve Centuries of History and Culture. – Antwerp: Fonds Mercator 1986, S.  3 08. 10  Frz. für: Stadtmauer, Befestigung.

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teilweise von hoher Schönheit,11 das Justizpalais scheint mir, die Di­ mensionen des Landes in Betracht gezogen, in seinen Größenverhält­ nissen doch stark übertrieben zu sein.12 In Gent habe ich auch einen kurzen allgemeinen Eindruck mitgenommen. – Hier in Oerlinghausen habe ich Müllers,13 Marianne und Nora14 angetroffen, Carl jun. und Frau15 sind noch abwesend. Ich dachte eigentlich Sonntag Abend wie­ der zu Hause zu sein, sie scheinen hier zu wünschen, daß ich Sonntag, wo Alle am meisten freie Zeit haben, noch bleibe, dann würde ich, da ich Montag auf dem Gericht sein muß,16 die Nacht durch fahren und Morgens dort ankommen, was jedenfalls das Späteste wäre. Was bei sämmtlichen westfälischen und niederländischen Verwandten an Es­ sen und Trinken geleistet wird, ist staunenswerth, es ist aber doch ein spezielles Vergnügen, einmal einige Zeit nicht mit Beamten, sondern mit Geschäftsleuten zu thun zu haben. Besonders in Antwerpen waren reichlich gründliche Information auch auf weiteren Gebieten und Fähig­keit sachlich präcisen Urteilens zu constatieren und besonders Eduard Bunge17 ist eine recht angenehme Persönlichkeit. Tante Henriette18 werde ich ja nun noch sehen. Mama besten Dank für ihre Karte und an Alle herzlichen Gruß Dein Sohn Max. Alles hier grüßt herzlichst. Eben brach ich mit Alwines Stuhl, auf den sie mich leichtsinniger Wei­ se gesetzt hatte, zusammen, der Stuhl ist dahin, aber ich lebe!

11  Max Weber meint vermutlich den Parc du Cinquantenaire, der auf einem ehemaligen Militärübungsgelände 1880 für den 50. Jahrestag der belgischen Unabhängigkeit angelegt worden war; vgl. Gaigl, Hartmut, Brüssel von den Anfängen zur Gegenwart. Skizze einer Stadtentwicklung, 2.  Aufl. – Leonberg: [Selbstverlag] 1993, S.  186. 12  Der in den Jahren 1863 bis 1883 nach Plänen des Architekten Joseph Poelaert erbaute Justizpalast nimmt eine Fläche von 25 000 m2 ein; vgl. ebd., S.  178 f. 13  Alwine und Bruno Müller. 14 Marianne Schnitger und Eleonore (Nora) Möller, Enkelinnen von Max Webers Onkel Carl David Weber. 15  Carl (Carlo) und Emilie (Emily) Weber. 16  Max Weber absolvierte im Rahmen seines Rechtsreferendariats von Oktober 1888 bis September 1889 die Station beim Amtsgericht Charlottenburg; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  113 f. 17  Eduard Bunge war ein Sohn von Max Webers Tante Laura Bunge und leitete das in Antwerpen beheimatete Familienunternehmen Bunge & Co. 18  Henriette Hausrath.

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Emmy Baumgarten 14. und 17. Dezember 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 14. XII. 89 Liebe Emmy! Wie ich höre, kommst Du am Montag nach längerer Unterbrechung nun wieder in das elterliche Haus zurück und da möchte ich doch gern mit ein paara Zeilen – zu mehr komme ich heute nicht, denn wir erwar­ ten Gäste, – Dir herzlich eine recht gute Nachwirkung Deiner Kur wünschen. Hoffentlich spürst Du davon später mehr, als vielleicht im Moment und zuerst beim Wiedereintritt in eine fast ungewohnt gewor­ dene Lebensweise, der Fall sein wird. Daß es Dir im Diakonissenhaus1 im Ganzen recht gut gefallen und Du angenehme Menschen um Dich gehabt hast, haben wir hier mit Freude gehört. Gern hätte ich Dir auch dorthin einmal geschrieben, aber für mich war eine recht arbeitsreiche Zeit angegangen, denn ich mußte anfangen an das hoffentlich endlich letzte Examen meines Lebens ernstlich zu denken.2 Hätte ich freilich mir überlegt, daß das Vaterland mich im nächsten Jahre wieder für 8 Wochen nach Posen rufen würde und ich mich deshalb erst im Spätherbst nächsten Jahres würde melden können, so hätte ich es nicht so eilig gehabt [.] 3 Es wird wieder ein geringes Vergnügen werden, und doch hauptsächlich auch der schönen Straßburger Erinnerungen we­ gen.4 Ich erlebe jetzt die mit Mitleid gemischte Genugthuung, daß es

a O: par   1  In welchem Diakonissenhaus Emmy Baumgarten, die an einem Nervenleiden litt, zur Kur gewesen war, konnte nicht ermittelt werden. 2  Am Ende des Rechtsreferendariats stand die Zweite Juristische Staatsprüfung, die Max Weber am 18. Oktober 1890 mit einer mündlichen Prüfung erfolgreich abschloß; vgl. den Brief an Alfred Weber vom 30. Juli 1889, oben, S.  202 mit Anm.  7. 3  Die nächste Militärübung Max Webers folgte erst vom 2. Juni bis 27. Juli 1891; vgl. Max Webers militärische Personalakte (GLA Karlsruhe, 456 E, Nr.  13719) sowie die Briefe unten, S.  239–253. 4 Max Weber hatte seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger beim 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47 vom 1. Oktober 1883 bis 30. September 1884 in Straßburg verbracht. Auch die darauf folgenden Militärübungen vom 1. März bis 25. April 1885 und vom 30. Januar bis 26. März 1887 hatten in Straßburg stattgefunden; vgl. Max Webers militärische Personalakte (wie oben, Anm.  3).

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Alfred bei den Soldaten auch nicht besser gefällt als mir5 und sogar noch die weitere, daß er auch nicht öfter sich zu Briefen nach Hause aufschwingt, als ich es von Straßburg aus gethan und deshalb in dieser Beziehung bei den Meinigen meinen Ruf ein für allemal untergraben habe. Wir werden ihn doch wohl zu Weihnachten hier sehen. Ein regelmäßiger Gast ist Wilhelm Benecke bei uns und ein sehr gern gesehener. Es ist hier Niemand, der sich nicht freute, wie ange­ nehm er sich entwickelt hat, der Verkehr mit Menschen macht ihm ganz offenbar ungleich weniger Schwierigkeiten und |:auch:| ungleich mehr Freude, als früher, er kam aus eigner Initiative und sehr regelmä­ ßig zu einem Abend, den ich mit einigen Bekannten von mir habe und war recht lebhaft und namentlich in Dem, was ihn interessierte, weit vielseitiger, als er früher äußerlich zeigte [.] Auch sein Urteil über Men­ schen ist im Allgemeinen recht treffend, jedenfalls soweit es sich um Altersgenossen von ihm handelt – Dienstag 17. XII. Wie Du siehst, wurde dieser Brief hier unterbrochen und kam ich bis­ her zu keiner Fortsetzung: am Sonnabend nicht, weil wir Gäste hatten, am Sonntag nicht, weil ebenfalls einige Freunde, auch Otto,6 da waren, und gestern nicht, weil Arbeiten drängten. Überdies ist hier die Pferde­ krankheit – Influenza – an der Mode – und jeder Mensch ist nur halb zu rechnen, es ist wirklich ganz arg: am Sonnabend blieb uns die Hälfte unserer Gesellschaft aus, gestern lagen hier im Hause drei auf der Nase – die heute übrigens wieder munter sind – und heute scheiterte die Sit­ zung eines Senats des Kammergerichts,7 weil die Hälfte der Richter nicht erschien. Auch ich fühlte mich etwas als Pferd. – Und besonders auch für Otto, dem das hiesige Klima doch weit weniger gut bekommt, als man denken konnte, war es wieder eine böse Zeit. Er sitzt in Folge dessen jetzt mehr zu Hause, als gewöhnlich, dies auch schon deshalb, weil ihn seine Habilitationsarbeit8 jetzt ganz voll in Anspruch nimmt. 5  Alfred Weber leistete seit dem 1. Oktober 1889 seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger beim 125. Infanterieregiment in der Nähe von Tübingen ab. 6  Max Webers Vetter Otto Baumgarten. 7  Max Weber war im Rahmen seines Rechtsreferendariats seit Oktober 1889 am Kammergericht Berlin; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  113 f. 8  Otto Baumgarten setzte seine Dissertation über Johann Gottfried Herder in seiner Habilitationsschrift fort, die er 1890 unter dem Titel „Herder’s Stellung zum Rationalismus“ vorlegte; vgl. dazu Bassi, Otto Baumgarten, S.  4 4.

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Glücklicherweise ist dabei jetzt auch ein Ende abzusehen und wäre so­ gar wahrscheinlich schon jetzt erreicht, wenn nicht die Veröffentli­ chung von Herders Predigten,9 die er unbedingt berücksichtigen muß, wieder im letzten Augenblick dazwischengefallen wäre. – Herrn Dr. v. Schubert10 hatten wir neulich die Freude, einen Augenblick hier draußen zu sehen, er wird sich tüchtig erholen müssen, denn er war recht schmal und farblos. Du weißt, ich habe ihn zu Pfingsten im Rau­ hen Hause aufgesucht und seine sehr anziehende aber zarte Frau ken­ nen gelernt.11 – Doch auf diesem Wege komme ich ganz von dem Punkt ab, an dem ich Sonnabendb abgebrochen hatte. Ich hatte nämlich nicht ohne den geheimen Hintergedanken angefangen, Dir von Wilhelm Benecke zu erzählen, daß vielleicht bei Gelegenheit etwas davon zu seiner gestren­ gen älteren Schwester12 durchsickern könnte: als sie im Frühjahr hier war, hatte ich den Eindruck, daß sie ihn immer leicht noch etwas sehr bevormundet oder bevormunden lassen möchte; das geht durchaus nicht, denn er ist innerlich recht selbständig und – das war es, was ich in dem nicht-vollendeten Satzc sagen wollte – in seinem Urteil über Menschen oft recht treffend. Nur Ältere beurteilt er gelegentlich etwas zu schnell. Sehr lebhaft angeregt ist bei ihm, und zwar grade seiner Bedürfnisse nach Selbständigkeit wegen, der Widerspruchsgeist nach manchen Richtungen: z. B. wird er gewiß über Berlin und Alles [,] was ihn hier anging [,] hauptsächlich raisonnieren, grade weil er weiß, daß man von ihm das Gegenteil erwartet. Mit Otto versteht er sich offenbar recht gut, wenigstens ging er immer sehr gern von Zeit zu Zeit zu ihm hinaus. – Sehr betrübt sind wir, daß aus Annas13 Herkommen in diesem Herbst nichts geworden ist, nun, vielleicht im Frühjahr. Dem Onkel b  gestern > Sonnabend  c  〈gestern〉   9  Gemeint ist vermutlich: Herder, Johann Gottfried, Predigten. Schriften aus dem geistlichen Amt. Amtliche Schriftstücke (Herders sämmtliche Werke, Band 31). – Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1889. 10  Hans von Schubert war seit 1887 Lehrer am Rauhen Haus in Hamburg, einer von Johann Hinrich Wichern gegründeten Einrichtung für verwaiste und verwahrloste Kinder und Jugendliche. Er gehörte zu Otto Baumgartens Freundeskreis. 11  Zum Zusammentreffen Max Webers mit Hans und Bertha von Schubert im Juni 1889 in Hamburg vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1889, oben, S.  193. 12  Dorothea (Dora) Benecke. 13  Anna Baumgarten.

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schulde ich schon wieder wer weiß wie lange einen Brief, er wird in den Festtagen geschrieben werden.14 – Ich muß auch diesen Plauderbrief schon schließen, der nichts sollte als Dir einen Gruß und den Wunsch, daß es weiter gut und vorwärts gehen möge [,] bringend, und dem ich in nicht zu langer Zeit einen inhaltreicheren nachzuschicken hoffe. Sei herzlich gegrüßt von Allen hier und von Deinem Vetter Max

d  〈sollte〉   14  Vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 31. Dez. 1889, unten, S.  210–213.

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Hermann Baumgarten 31. Dezember 1889; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl. 45–48

Charlottenburg 31. XII. 89 Lieber Onkel! Ehe das alte Jahr scheidet, möchte ich doch gern meine bereits wieder seit geraumer Zeit anstehende Schuld an Dich wenigstens vorläufig be­ gleichen und Dir für Deine freundlichen Zeilen bei Gelegenheit mei­ ner Promotion noch nachträglich danken. Ich bin so unbescheiden, ein mir noch zur Verfügung stehendes Exemplar meiner im October er­ schienen Schrift, von welcher die Dissertation einen Teil bildete, beizu­ legen,1 selbstverständlich nicht sowohl in dem Gedanken, daß Du die­ selbe lesen würdest – das ist wirklich ausgeschlossen, da sie nach Lage der Litteratur über die rein technisch-juristische Frage den Charakter der Einzeluntersuchung streng wahren mußte –, als weil ich unter dem Eindruck stehe, daß es sich eben so gehört nach Allem, was ich in Straßburg von Euch erfahren habe, und auch denke, daß Dein freund­ liches Interesse sich vielleicht auf das Quantitative meiner bisherigen Production erstreckt, aauf welche Seite derselbena , da ich mir unnöti­ ger Breite nicht bewußt bin, ich mir vermutlich eher als auf die Qualität etwas einbilden könnte. Mit Beginn des neuen Jahres heißt es nun ganz ernstlich an das zweite Staats- und – Gott sei Dank – letzte Examen2 meines Lebens denken, das Militär hat den staunenswerthen Anstand – dem jetztigen Luftzuge nach – besessen, mich von der Übung zu dis­ pensieren, und ich kann mich also noch im Sommer melden, so daß im Lauf des Herbstes und der ersten Winterhälfte die Sache in Fluß a–a  auf welcher > auf welche Seite derselben   1  Es handelt sich um die laut Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel am 7. Oktober 1889 erschienene Schrift Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  109–340. Für das eigentliche Promotionsverfahren hatte Max Weber von dem umfangreichen Manuskript lediglich das dritte Kapitel als separaten Dissertationsdruck vorgelegt; vgl. Weber, Entwickelung des Solidarhaftprinzips, MWG I/1, S.  139 und 190–253; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  181 f. 2 Am Ende des von Max Weber im Juni 1886 begonnenen vierjährigen Referendariats stand die Zweite Juristische Staatsprüfung (Assessorexamen). Max Weber bestand sie am 18. Oktober 1890; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  120 f.

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kommt. Dann bin ich endlich Herr meiner Entschlüsse, eine Empfin­ dung, wonach ich mich, ich weiß nicht seit wie lange schon, sehne. Vor­ erst werden also, abgesehen von einigen Rezensionen für Goldschmidts Zeitschrift für Handelsrecht, 3 andre Arbeiten zurückstehen müssen, was ja in Manchem unbequem ist. Man wird hier immer leicht auf’s Publicieren gepreßt; so sitzt mir einer meiner geschätztesten und per­ sönlich liebenswürdigsten Lehrer, der bekannte Agrarhistoriker Meit­ zen4 hier stark wegen einer nach meiner Überzeugung noch nicht druckreifen Arbeit über römische Ackerteilung und Colonat5 auf den Hacken. An concret umrissenen Arbeitstoffen, welche unmittelbar nach erledigtem Assessorexamenb der näheren Bearbeitung harren, fehlt es mir keineswegs. Eine große Freude war es mir, von Otto zu hören, wie weit er – und unter Deinem Beifall – mit seiner Arbeit6 gediehen ist, man glaubt or­ dentlich zu sehen, wie das auch physisch ihn erfrischt hat. Ich war ge­ stern mit Alfred und einem gemeinsamen Bekannten bei ihm draußen und wir hatten einen ungemein lebhaften Abend. – Daß Alfred hier ist, wißt Ihr wohl schon, es gefällt ihm bei den Sol­ daten zu meiner Genugthuung nicht besser als mir, – allerdings kann man auch unmöglich so gern in Tübingen sein wie ich in Straßburg war7 und das wirkt vielleicht auch mit; – aber ich sehe doch auch, daß b  〈meiner besser〉   3  Offensichtlich handelt es sich um die beiden in der von Levin Goldschmidt herausgegebenen Zeitschrift für Handelsrecht erschienenen Besprechungen: Weber, [Rezension von:] Friedrich Conze, Kauf nach hanseatischen Quellen, MWG I/1, S.  4 40–452, sowie Weber, [Rezension von:] A[nton] von Kostanecki, Der öffentliche Kredit im Mittelalter, ebd., S.  4 53–467. 4  Zur Bedeutung von August Meitzen für Max Webers Habilitationsschrift vgl. insbes. Deininger, Jürgen, Einleitung, in: MWG I/2, S.  1–54, hier S.  14–19. 5  Max Weber dürfte sich auf seine Habilitationsschrift beziehen, die 1891 unter dem Titel „Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht“ erschien; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Römische Agrargeschichte, MWG I/2, S.  55–89, hier S.  58 f. 6  Otto Baumgarten setzte seine Dissertation über Johann Gottfried Herder in seiner Habilitationsschrift fort, die er 1890 unter dem Titel „Herder’s Stellung zum Rationalismus“ vorlegte; vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 14. und 17. Dez. 1889, oben, S.  207 f. mit Anm.  8. 7  Alfred Weber hatte am 1. Oktober 1889 seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger bei der 10. Kompanie des Königlich-württembergischen Infanterieregiments „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ Nr.  125 in der Nähe von Tübingen angetreten. Max Weber hatte seine Zeit als Einjährig-Freiwilliger 1883/84 beim 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47 in Straßburg abgeleistet.

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ich mir damals nicht unnötig nachgegeben habe, denn Alfred ist gewiß kräftig und älter als ich damals war und doch nach seiner Erzählung nach ganz ungleich zerschlagener und leistungsunfähiger nach getha­ nem Dienst als ich es mich von meinem Dienstjahr erinnern kann [.] Im Übrigen geht es ihm recht gut und auch gesundheitlich ist der Dienst für ihn ohne unangenehme Folgen geblieben, trotz seiner kör­ perlichen Fehlerc. Auch Herrn Dr Marcks habe ich dieser Tage besucht, leider aber sei­ ne Frau nicht getroffen.8 Er wohnt sehr schön eingerichtet in einem Mietshause recht weit außerhalb der eigentlichen Verkehrspunkte – 3 / Stunden Weg zur Universität – und mit daher kommt es auch wohl, 4 daß er eine weitere Einschränkung der eigentlichen Lehrtätigkeit – er will im Sommer nur 1 Stunde publice lesen – beabsichtigt. Falls ich wirklich zur Habilitation schreite9 – und zur Zeit besteht für mich kein Zweifel daran – so werd ich doch das Bedürfnis haben, die pädago­ gische Seite, grade als junger Docent, stärker zu betonen, – aber das liegt ja in den einzelnen Fächern recht verschieden. – Noch über so Manches ließe sich schreiben. Gern wüßte ich, wie Ihr die Freytag’sched Schrift und die ihrem Maß und ihrer Tendenz nach mir meist unbe­ greiflichen Angriffe auf dieselbe aufgenommen habt,10 ebenso Sybel,11 den mein Vater jetzt in Händen hat und in welchen ich daher nur hin­ einsehen konnte. Für Treitschke ist die Position dem Buch gegenüber subjektiv eine recht schwierige und er ist nicht so vorsichtig geartet, drastische Äußerungen einer Miszufriedenheit zu vermeiden; bei dem Ton seines neusten Bandes – so weit ich denselben gelesen habe, – ha-

c O: Fehlern  d O: Freitag’sche   8  Der Historiker Erich Marcks, ein Schüler von Hermann Baumgarten, und seine Frau Friederike. 9  Zu Max Webers Habilitation vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, unten, S.  254. 10  Gustav Freytag veröffentlichte im Oktober 1889, nach dem Tod Kaiser Friedrichs III. nach nur 99 Tagen Regierungszeit am 15. Juni 1888, die Schrift „Der Kronprinz und die Kaiserkrone“. Sie wurde stark kritisiert und überwiegend abgelehnt; vgl. Dove, Alfred, [Artikel:] Freytag, Gustav, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 48. – Leipzig: Duncker & Humblot 1904, S.  749–767, hier S.  765. 11  Sybel, Heinrich von, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Vornehmlich nach den preußischen Staatsacten, Band 1, 2.  Aufl. – München [u. a.]: Oldenbourg 1889.

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ben wir uns lediglich über diese präventive Occupation des Terrains |:durch das Sybel’sche Buch:| gefreut.12 Über Politik ist ja zur Zeit nicht viel zu sagen, außer daß Ihr draußen die Dinge vermutlich ungünstiger anseht als wir hier. Der Liberalismus hat anscheinend leider seinen tiefsten Punkt noch nicht erreicht. Von den Wahlen erwarten wir eine erhebliche Stärkung – Verdoppelung mindestens – der Sozialdemokraten, eine wahrscheinlich sehr geringe, materiell mit einem Rückgang identische der Freisinnigen und natür­ lich eine beträchtliche Schwächung der Nationalliberalen. Was das für die Zukunft bedeutet, kann ja kein Mensch wissen, Bismarcks Tod muß ja alle Stärke-Verhältnisse dereinst verschieben. Wenn nur der junge Kaiser13 erst Consistenz gewonnen haben wird. Diese boulan­ gistisch-bonapartistische Art von Kundgebungen iste doch nachgerade unerwünscht. Man hat den Eindruck, als säße man in einem Eisen­ bahnzuge mit großer Fahrgeschwindigkeit, wäre aber im Zweifel, ob demnächst auch die nächste Weiche richtig gestellt werden würde. Bei alledem ist hier eine zunehmende Verbesserung des Urteils über ihn zu constatieren. Das Papier ist zu Ende. Herzlichste Neujahrsgrüße an Dich und alle Deinen. Dein Neffe Max

e O: sind   12  Max Weber bezieht sich hier vermutlich auf eine sich abzeichnende thematische Konkurrenz zwischen Heinrich von Treitschke und Heinrich von Sybel, die sich an und für sich wissenschaftlich und politisch sehr nahestanden. Der 4. Teil von Treitschkes „Deutscher Geschichte“ (ders., Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Teil 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (Staatengeschichte der neuesten Zeit, Band 27). – Leipzig: Samuel Hirzel 1889) deckte die Zeit bis 1840 ab und näherte sich zeitlich Sybels erstem, mit dem Jahr 1848 beginnenden Band der „Begründung des Reiches“ (wie oben, S.  212, Anm.  11). Mit dem 1894 erschienenen fünften Band schloß Treitschke die zeitliche Lücke zu Sybels Werk, und ohne seinen Tod 1896 hätte er im Folgeband die von Sybel behandelte Zeit erreicht. 13  Kaiser Wilhelm II. hatte am 15. Juni 1888 den Thron bestiegen.

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Hermann Heinrich Meier 10. Juli 1890; Charlottenburg Brief; eigenhändig Archiv der HK Bremen, HKHB MA H III 2 Bd. 4 Bei dem hier edierten Schreiben handelt es sich um Max Webers Bewerbung zum Syndikus bei der Handelskammer in Bremen. Die Stelle war zum 1. Oktober 1890 neu zu besetzen, da ihr bisheriger Inhaber, Werner Sombart, einen Ruf an die Universität Breslau angenommen hatte. Max Weber war einer von 15 Bewerbern; er erhielt die Stelle nicht. Vgl. dazu Tennstedt, Florian und Leibfried, Stephan, Max Weber und Bremen, in: Wirtschaft in Bremen. Magazin der Handelskammer, Heft 2, 1987, S.  13–16.

Charlottenburg, Leibnizstraße 19 d. 10. VII. 1890 Ew. Hochwohlgeboren beehre mich, unter Wiederholung meiner mündlich angemeldeten Be­ werbung um die Stelle eines Syndikus bei der dortigen Handelskam­ mer,1 anliegend zwei Exemplare meiner Schrift „Zur Geschichte der Handelsgesellschaften“2 mit dem ergebensten Bemerken zu überrei­ chen, daß Besprechungen derselben erschienen sind: von volkswirt­ schaftlicher Seite (Prof. Schmoller – Berlin) im „Jahrbuch für Gesetz­ gebung, Verwaltung und Volkswirtschaft“ 1890 Heft 2, S.  389 f.,3 von juristischer Seite in der „Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht“ 1890, Heft 2,4 und von historischer Seite im „Litterarischen Central­ blatt“ im Januar d.  J.5 – Im Übrigen gestatte ich mir betreffs meiner persönlichen Verhält­ nisse wiederholend zu bemerken, daß ich 26 Jahre alt, evangelischer Confession und ledigen Standes bin, meine Vorbildung auf den Uni­ versitäten Heidelberg, Straßburg, Göttingen und Berlin genossen und den juristischen Doktorgrad in Berlin („magna cum laude“) erworben habe, seit 4 Jahren in und bei Berlin als Referendar thätig sowie mit

1  Erstmals annonciert wurde die Stelle am 15. Juni 1890 in der Weser-Zeitung. Kurz darauf muß Max Weber persönlich in Bremen vorstellig geworden sein. 2  Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  109–340. 3  Schmoller, Gustav, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, N. F., 14. Jg., 2. Heft, 1890, S.  389 f. 4  Pappenheim, Max, in: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, Bd. 37, 1890, S.  255– 259. 5  Schäfer, Karl, in: Literarisches Centralblatt, Nr.  4, 1890, S.  111.

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rechtshistorischen und volkswirtschaftlichen Studien beschäftigt war und zur Zeit im Assessor-Examen stehe.6 – Wie ich ebenfalls schon mündlich vorzutragen mir erlaubte, werde ich voraussichtlich nicht erreichen können, früher als zum November d. J. zur mündlichen Prüfung citiert zu werden.7 Sollte eventuell ent­ scheidendes Gewicht auf Übernahme der Geschäfte schon zum 1. Ok­ tober gelegt werden, so würde ich provisorisch zu diesem Termin hier­ zu bereit und in der Lage sein; – ein remuneriertes Amt definitiv zu übernehmen gestatten mir meine Dienstvorschriften vor Ausscheiden aus dem Staatsdienst, also vor bestandenem Examen, nicht. – Dr. jur. Max Weber jun. Referendar. An den Präses der Handelskammer Herrn Dr. H. H. Meier Hochwohlgeboren

6  Mitte Juni 1890 war der praktische Teil des Rechtsreferendariats beendet, an den sich die Ausarbeitung einer schriftlichen Assessorarbeit sowie eine mündliche Prüfung anschlossen. Weber reichte vermutlich Ende August 1890 die schriftliche Ausarbeitung (nicht überliefert) ein, von der er hier spricht. 7  Die mündliche Prüfung legte Max Weber am 18. Oktober 1890 ab. Damit war die Zweite Juristische Staatsprüfung abgeschlossen. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  120 f.

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Helene Weber 16. Juli 1890; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 16. VII. 90. Liebe Mutter! Ich wollte eigentlich von Bremen aus schreiben,1 kam aber nicht dazu, da ich ungeheuer viel umherzulaufen und in ca 2 Dutzend teilweise wie eine Schuster-Werkstatt aussehenden, 3 Treppen hoch gelegenen Kon­ tors umherzukriechen hatte. Dazu diese ominösen Fragen, z. B.: „Sie sind doch Freihändler“ oder „wie stehen Sie politisch“, gelegentlich auch, ob ich nicht schon verheiratet oder doch „wenigstens“ schon ver­ lobt sei, – letzteres schien mehrfach geargwöhnt zu werden und meine kategorische Ableugnung ließ mich immerhin im Course etwas stei­ gen, als wertvollen Importartikel. Ich fürchtete schon, man würde mich noch Frauen und Töchtern vorführen und ich müßte dann den – wie sagt doch Mila?2 – „anmutigen Koloß“ spielen. Dieser Kelch ging aber vorüber, denn die übrigens großartige Ausstellung3 nahm aller Gedan­ ken in Anspruch und außerdem hat meine Bewerbung wenig Aus­ sichten. Es ist nur möglich, daß die Leute, wie das vorige Mal, sich dar­über, wer von den verschiedenen Neffen und Schwiegersöhnen die Stelle erhalten soll, so in die Haare gerathen, daß sie aus Wuth einen Auswärtigen wählen, und ich würde mich eventuell trotz dieses edlen Motivs vor der Stellung nicht ekeln. Tante Marie4 war sehr behaglich

1  Max Weber hatte sich um die Stelle eines Syndikus bei der Handelskammer in Bremen beworben; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Hermann Heinrich Meier vom 10. Juli 1890, oben, S.  214 f. 2  Max Webers Cousine Emilie (Mila) Hausrath. 3  Es handelt sich vermutlich um die „Nordwestdeutsche Gewerbe-, Industrie-, Handels-, Marine-, Hochseefischerei und Kunstausstellung“, die zwischen dem 31. Mai 1890 und 15. Oktober 1890 in Bremen gezeigt wurde. Diese Leistungsschau war von der Freien Hansestadt Bremen, dem Großherzogtum Oldenburg und der preußischen Provinz Hannover nach dem Vorbild der Weltausstellungen organisiert worden. 4  Vermutlich handelt es sich um die in Hamburg lebende Marie Wendt. Diese war eine Tochter von David Friedrich Weber, seinerseits ein Bruder von Max Webers Großvater Carl August. Über ihre Mutter Henriette war Marie Wendt außerdem mit der Familie Möller verwandt, in die Max Webers Cousine Hertha eingeheiratet hatte; vgl. Hamburgisches Geschlechterbuch, 10.  Band (Deutsches Geschlechterbuch, Band 128), bearb. von Hildegard von Marchtaler. – Limburg an der Lahn: C. A. Starke 1962, S.  420.

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und kommt mir immer jünger vor. Sie erzählte, daß es Hertha Möller weit besser gehe, die Krankheit soll ihren Grund in einem |:in ihrem Innern entstandenen:| Conflikt zwischen Backpflaumena, Salat und einem Mineralwasser gehabt haben. Ohne Nervenüberreizung wäre sie doch aber wohl nicht so akut geworden. Karl Mommsen hat ein gutes Assesorexamen gemacht, ich bin heut Abend bei ihnen. Daß Höniger Vater ist, 5 hat Papa wohl geschrieben.1) Otto hat Sonntag bei Marcks getauft.6 – Herrn Rösing7 habe ich in Bremen in letzter Stunde noch gegen Mitternacht im Rathskeller auf­ gefunden. Auf der Hinfahrt traf ich Frau und Fräulein Hagen.8 Letzte­ re ist ein nettes |:um nicht zu sagen ein reizendes:| Mädchen, schade daß es eine Berlinoise ist, selbst der graziöseste Sprechanismus9 wirkt, wenn er als Selbstzweck cultiviert wird, wie Petroleum im Salat. Ich sitze tief in der Assessorarbeit,10 deshalb nur dies Lebenszei­ chen. Herzlichen Gruß an Alle [.] Papa grüßt schön, Dein Sohn Max

  1) Jaffé11 suchte mich Sonntag auf, u. A. um mich zu fragen, ob dies eine Veranlassung sei, Höniger zu gratulieren, er wisse nicht, ob man im Allgemeinen ein solches Ereignis als ein erfreuliches auffasse.

a  Unsichere Lesung.   5  Robert Hoenigers Sohn Walter war am 9. Juli 1890 zur Welt gekommen. 6 Der Theologe und Pfarrer Otto Baumgarten taufte Albert Marcks, den ältesten, am 21. Mai 1890 geborenen Sohn von Erich und Friederike Marcks. 7  Der mit Max Weber sen. befreundete Johannes Rösing. 8  Anna Christina Hagen, die Mutter von Max Webers Freund Werner Hagen und Ehefrau des ehemaligen Berliner Stadtrats Adolf Hagen, sowie ihre Tochter Johanna. 9  Berliner Ugs. für: Mundwerk. 10  Am Ende des von Max Weber im Juni 1886 begonnenen vierjährigen Rechtsreferendariats stand die Zweite Juristische Staatsprüfung, für die Max Weber eine schriftliche Assessorarbeit anfertigen mußte. Die vermutlich Ende August 1890 eingereichte Arbeit ist nicht überliefert; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  121. 11  Alfred Jaffé.

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[Karl Möller] 21. Juli 1890; Charlottenburg Brief; eigenhändig Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446 Der Adressat ist aus dem Briefinhalt (den Grüßen an „Hertha und Dich“) erschlossen: Max Webers Cousine Hertha, eine Tochter von Carl David Weber, war mit Karl Möller verheiratet. Dieser betrieb seit 1863 gemeinsam mit seinem Bruder Theodor die „Maschinen- u. Dampfkesselfabrik K. & Th. Moeller” und seit 1878 die väterliche Gerberei und Lederfabrik in Kupferhammer bei Brackwede. Karl Möller sollte als Beiträger für die von Otto Baumgarten herausgegebenen „Evangelisch-sozialen Zeitfragen“ gewonnen werden, „eines“ – wie sich Otto Baumgarten erinnert – „halboffiziösen Unternehmens des Evangelisch-sozialen Kongresses, dessen Programm ich mit Max Weber zusammen entworfen hatte“; vgl. Baumgarten, Lebensgeschichte, S.  215 f. Der angefragte Beitrag erschien unter dem Titel „Die zweckentsprechende Gestaltung der neuen Gewerbegerichte“, in: Möller, Karl und Hirsch, Wilhelm, Gewerbegerichte und Einigungsämter in Deutschland und England. Zwei Aufsätze über deren zweckentsprechende Gestaltung und sozialpolitische Bedeutung (Evangelisch-soziale Zeitfragen, Reihe 2, Band 4/5). – Leipzig: Grunow 1892, S.  3 –18. Die dem folgenden Brief vorausgegangene Korrespondenz von Max Weber mit Karl Möller ist nicht überliefert.

Charlottenburg 21. VII. 90 Verehrter Vetter! Erlaube, daß ich nur dem – vermutlich durch meine schwer leserliche Handschrift verschuldeten – Misverständnis entgegentrete, daß es sich um eine Zeitschrift handelte. Das ist nicht der Fall, sondern es sollen zwanglos erscheinende Hefte, Einzelabhandlungen in voller Selbst­ ständigkeit von einander enthaltend, werden. Deshalb kann auch von einer „Haltung“ des Ganzen nur sehr im Allgemeinen die Rede sein. Dieselbe hängt allein davon ab, wie stark sich die einzelnen Meinungs­ gruppen durch Beiträge beteiligen. Mein Vetter Baumgarten1 bietet, wie ich glaube, als Herausgeber alle Garantie dafür, daß der speziell christlich-sozialen Richtung nicht mehr Raum gewährt wird, als ihrer Bedeutung entspricht und notwendig ist, um nicht den Vorwurf, man habe sie nicht zu Worte kommen lassen, zu rechtfertigen. Es ist aber gerade aus dem Grunde, um nicht einen zu großen Pro­ zentsatz der Beiträge von dieser Richtung zu erhalten – und davon kann man haben, so viel man will, denn sie sind schließlich doch am rührigsten – dringend erwünscht, so viel Beiträge als möglich von an­ 1  Otto Baumgarten war ein Vetter von Max Weber mütterlicherseits.

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derer Seite aufnehmen zu können. Einige solche aus dem Kreise mei­ ner Freunde2 – die ganz gewiß nicht Stöcker’sch3 gesinnt sind – habe ich zu meiner Freude fest zugesagt erhalten, auf andere hoffen wir. – Wesentlicher Grund des Unternehmens ist wie gesagt, daß es that­ sächlich, man mag sich darüber freuen oder es beklagen, nicht mehr zweifelhaft ist, daß sehr viel weitere kirchliche Kreise als bisher in so­ zialer Beziehung in Aktion treten wollen, nicht |:recht:| wissen wie und in welcher Richtung, und unfehlbar gänzlich der Leitung einseitiger Parteirichtungen verfallen, wenn nicht auch Andersdenkendea ihr In­ teresse an der Sache bethätigen. Denn daß bdiese Kreiseb auf die An­ sichten Derjenigen Werth legen, welche es nicht für der Mühe werth halten, mit ihnen überhaupt in Discussion zu treten, ist denn doch zu viel verlangt. – Ich werde Dir seinerzeit den Prospekt, welcher dem Aktionscomité4 vorgelegt wird, zusenden. – Die Meinigen – außer meinem Vater – sind wieder hier und meine Mutter grüßt herzlichst. Mit den besten Grüßen an Hertha5 und Dich Dein Vetter Max Weber Mein Vetter und ich danken im Übrigen aufs Herzlichste für Deinen Brief und die wenigstens eventuelle Zusage.

a  andere Kreise > Andersdenkende  b–b  sie > diese Kreise   2 Es handelt sich um die Beiträge von Karl Oldenberg, Walther Lotz, Georg Evert und Wilhelm Hirsch zu der Reihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“. Inwiefern Max Weber diese tatsächlich anregte, konnte nicht ermittelt werden. 3  Der umstrittene evangelische Theologe Adolf Stoecker hatte am 28. Mai 1890 den Evangelisch-sozialen Kongreß gegründet. Für seine paternalistische und die Sozialdemokratie bekämpfende Position fand er in diesem Zusammenschluß von Theologen, Volkswirtschaftlern, Politikern und Juristen, die sich für Sozialpolitik und soziale Fragen interessierten, allerdings keine Mehrheit und zog daraus mit seinem Austritt 1896 die Konsequenz; vgl. Aldenhoff, Max Weber (wie oben, S.  14, Anm.  78). 4  Gemeint ist das Aktionskomitee des Evangelisch-sozialen Kongresses. 5  Hertha Möller.

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Helene Weber 30. Juli 1890; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 146–147

Charlottenburg 30. VII. 90 Liebe Mutter! Ich erhielt eben Deinen Brief und schicke daraufhin die sämmtlichen zurückbehaltenen Beiblätter – ein Sonntagsblatt habe ich nicht hierbe­ halten – nebst der Christl[ichen] Welt nach. Die Matratzen sind – um mit dem Wirtschaftlichen anzufangen – in Ordnung, ebenso Karls Bettstelle, die Decke in der Küche soll geweißt, auch die Schränke ge­ strichen werden, jetzt ist der Maler in meinem Schlafzimmer und auf der Treppe beschäftigt. Die Mädchen machen, so viel ich sehen kann, ihre Sache recht gut, auch das Ruhebedürfnis macht sich nicht allzu­ sehr fühlbar, ich wachte |:bisher stets:| morgens vor 7 Uhr darüber auf, daß sie die Läden hochziehen, um 1/ 2 8 wecken sie mich. Um 2 Uhr habe ich gewöhnlich gegessen. Abends sind sie nur einmal fortgewe­ sen, |:(bei Agnes’ Onkel1 in Berlin):| kamen da allerdings ziemlich spät zurück, worauf ich ihnen eine eindringliche Ansprache hielt, sie ent­ schuldigten sich damit, daß Bertha, 2 die allerdings den folgenden Vor­ mittag teilweise zu Bett lag, unwohl geworden sei. Das einzige Pech war, daß grade an dem Abend spät Otto,3 der vielerlei Wissenschaft­ liches und Persönliches zu erzählen und zu besprechen hatte, heraus­ kam und die Nacht dablieb, er schlief dann bei mir und Agnes machte so gut es ging in der Nacht für mich das Fremdenzimmerbett zurecht. Sonntag hatte Otto Besuch und Wilhelm4 war bei mir draußen. Am Sonnabend hatten wir zur Feier d. Schlusses von Ottos Colleg5 einen gemeinsamen Frühschoppen gemacht, und morgen Abend wollen wir 1  Ein Dienstmädchen der Familie Weber; auch der Name ihres Onkels konnte nicht ermittelt werden. 2  Ein Dienstmädchen der Familie Weber. Ob es sich um Bertha Schandau, die spätere, langjährige Haushaltshilfe von Max und Marianne Weber, handelt, konnte nicht ermittelt werden. 3  Otto Baumgarten. 4  Wilhelm Benecke. 5  Es handelt sich um die öffentliche Vorlesung „Luther als Prediger und Liturg“ (Baumgarten, Lebensgeschichte, S.  9 0). Diese ist allerdings im Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1890, nicht aufgeführt.

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Wilhelm bei Habel6 (resp. dessen Nachfolger, denn sie sind im Sommer auswärts) wegfeiern, wozu auch Otto erscheinen wird. Otto ist mit sei­ ner Jenenser Wohnung sehr zufrieden, Elise geht nicht mit hin,7 son­ dern in ihre Heimath, wozu das Nötige schon eingeleitet ist. Der Junge geht mit Luise mit,8 es ist |:scheint mir:| nicht unerwünscht, daß letzte­ re an ihm für den Fall einer Trennung einen anderweiten Mittelpunkt ihres Interesses hat, ich hatte neulich Gelegenheit mit ihr über den Jun­ gen zu sprechen und sie hat mir dabei doch eigentlich wieder einen sehr angenehmen Eindruck gemacht. Der jetzige Moment wäre, wie Otto mit Recht hervorhebt, kein sehr geeigneter, um einen ganzen Haushalt aufzulösen und seine Lebensgewohnheiten zu ändern, eine reine Jung­ gesellen-Existenz wäre für ihn ohne erhebliche Beeinträchtigung sei­ ner Leistungsfähigkeit schwer denkbar, wie ich glaube, und er hob fer­ ner hervor, daß man nicht von ihm beanspruchen könne, daß er sich absichtlich und bewußt künstlich in eine Situation versetze, welche ihn zu einer zweiten Ehe binnen kurzer Zeit einfach zwingena solle. – Für Deinen Brief dankte Otto sehr, ob er schon bald Urlaub nimmt und nach dem Süden geht, oder erst im October, wußte er, scheint es, noch nicht recht. Wilhelm will schon am 1. August abfahren, ich werde ihm noch per Postkarte anbieten,9 wenn er nur wegen Wohnungsnot abzöge,b das Fremdenzimmer zu beziehen. –

a  〈werde〉  b  〈daß er〉   6  Vermutlich das beliebte, 1779 von den Gebrüder Habel gegründete Weinlokal „Unter den Linden“. 7  Otto Baumgarten, der seit 1888 als Prediger am Waisenhaus in Rummelsburg und seit 1890 zugleich als Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin gewirkt hatte, ging als Extraordinarius für Praktische Theologie an die Universität Jena. Ob es sich bei Elise, die nicht mit ihm umzog, sondern in ihre Heimat zurückkehrte, um das „verwachsene […] Mädchen“ handelt, das Otto Baumgarten bereits während seiner Zeit als Pfarrvikar in Waldkirch zu sich genommen hatte und das ihm später Gustav Werner, der Gründer des Reutlinger Bruderhauses, abnahm (vgl. Baumgarten, Lebensgeschichte, S.  188), ist nicht zu ermitteln (schriftliche Auskunft von Susanne Zolling, Stiftungsmanagement und Kommunikation/Archiv der BruderhausDiakonie Reutlingen vom 20. Okt. 2015). 8 Zu Otto Baumgartens Rummelsburger Haushalt gehörten außerdem der Pflegesohn Hermann Lehner (vgl. Baumgarten, Lebensgeschichte, S.  83) und die Haushälterin Luise Ruh. Emily Fallenstein, Otto Baumgartens bereits 1883 im Kindbett verstorbene Frau und Cousine, hatte die junge Haushälterin mit in den Haushalt gebracht. Sie hatte Otto Baumgarten, der sich für sie verantwortlich fühlte, nach Halle, Rummelsburg und nun Jena begleitet; vgl. auch den Brief an Helene Weber vom 16. und 18. März 1887, oben, S.  56. 9  Eine Postkarte an Wilhelm Benecke konnte nicht ermittelt werden.

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Meine Arbeit ist so gut wie fertig,10 nur das Schwierigste – leserliches Abschreiben – steht noch aus und wird eine gewaltige Zeit in Anspruch nehmen. Ich habe aber auch noch 21/ 2 Wochen Frist. – Sonst passiert hier nichts Besondres. Die Zeitungsgeschichten bez. unsres Nachbars war blinder Lärm.11 – Meine u. Wilhelms Sendung an Lili verzögerte sich,12 da ich erst Sonnabend Nachmittag in die Stadt konnte, u. ihr gern die von ihr ge­ wünschte Schulpuppe besorgen wollte. Ich fand nur die überschickte verschönerte Auflage. Sie hätte mir aber auch vorher schon einmal ei­ nen schönen Brief schreiben können. Daß die Sendung übrigens Mon­ tag Abend noch nicht da war, verstehe ich nicht, die Mädchen haben sie offenbar verbummelt, wie es einmal vorige Woche auch mit den Zei­ tungen war, die ich sonst Morgens stets vor 9 Uhr zum Fortbringen gebe. Alfreds habe ich in Gestalt eines kleinen Präsents geschickt.13 Viele Grüße an Papa und alle Geschwister Dein Sohn Max

10  Gemeint ist die schriftliche Assessorarbeit; vgl. den Brief an Helene Weber vom 16. Juli 1890, oben, S.  217 mit Anm.  10. 11  Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden. 12  Die gemeinsame Sendung von Max Weber und Wilhelm Benecke an Lili Weber ist nicht nachgewiesen. 13  Alfred Weber hatte am 30. Juli Geburtstag. Um welche Art von Geschenk es sich handelt, konnte nicht ermittelt werden.

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Alfred Weber 22. August 1890; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  27–28

Charlottenburg 22. VIII. 90. Lieber Alfred!

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Ich konnte, da ich in meiner schriftlichen Assessor-Arbeit1 sitze, nicht sogleich zur Beantwortung Deines Briefs kommen. Daß Du Friederike Kempner versucht hast ernst zu nehmen, amü­ siert mich, hier ist sie eine Berühmtheit, mich wundert es, daß man sie bei Euch nicht kennt. Wir sind neulich über das „scheintote Kind“ und die „Drei Schlagworte“, 2 mit der nötigen Betonung vorgelesen, fast ge­ borsten. – Was die Frage der Übersiedlung zu dem 47ten anlangt, so glaube ich dazu nicht rathen zu können.3 Gegenwärtig ist es überhaupt nicht ange­ nehm in dem Regiment, des verdrehten Obersten4 wegen. Aber auch für künftig könnte meine Zugehörigkeit zum Rgt Dir doch nicht von irgend erheblichem Nutzen sein, und sonst ist es in Posen scheußlich und mit dem Süden jedenfalls nicht zu vergleichen. Etwas anderes wäre es, wenn Du nach einer preußischen Universitätsstadt (Göttingen z. B.) kommen könntest. Aber nach dessen Musterna, wie an Wilhelm Beneckesb praktisch bekannt gewordener Marter hast Du das glaube ich nicht in der Hand.5

a O: mustern  b O: Benecke   1  Nach Beendigung des praktischen Teils des Rechtsreferendariats im Juni 1890 arbeitete Weber seine schriftliche Assessorarbeit aus. Er reichte sie vermutlich Mitte August 1890 ein. Mit Ablegung der mündlichen Prüfung am 18. Oktober 1890 bestand er die Große (zweite) juristische Staatsprüfung und wurde zum Gerichtsassessor ernannt. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  120 f. 2  Beide Gedichte finden sich in der mehrfach aufgelegten Sammlung: Kempner, Friederike, Gedichte. Siebente vermehrte Auflage. – Berlin: Karl Siegismund 1895, S.  22 f. („Drei Schlagworte“) und S.  4 4 f. („Das scheintote Kind. Nocturno“). 3  Max Weber selbst hatte seinen Militärdienst im 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47 in Straßburg abgeleistet. Am 1. Oktober 1889 hatte Alfred Weber seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger in der 10. Kompanie des 125. Infanterie-Regiments in der Nähe von Tübingen angetreten. 4  Bruno Rößel. 5  Der Sachverhalt ist nicht bekannt.

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Ich sollte fast meinen, Du müßtest ohne Schwierigkeit zu dem Straßburger Württembergischenc Regt. (No 126) kommen können, das wäre doch an sich recht nett, ich weiß freilich nicht, wie das Rgt sonst ist. Früher galt es nicht für liebenswürdig. – Ich kann jetzt nicht viel schreiben, – daßd Papa auf ärztliches Geheiß – horribile dictu wie er schrieb – in Karlsbad ist, weißt Du. Die Andren sind hier und wohl. Eben erhalte ich Karl Mommsen’s Verlobungsanzeige.6 Wie lange wird es noch dauern, bis ich meine eigne lese?7 Es scheint ja, daß es kühleres Wetter giebt, das ist für diee Manöver nicht unangenehm. Herzl. Gruß von Allen Dein eiliger Bruder Max Wagner8 habe ich jetzt öfters Donnerstag-Abends9 gesehen. Er muß aber nach der Schweiz oder Tyrol abgefahren sein. Eigentlich wollte ich ihm noch sagen, wo er Dich eventl. treffen könnte, was er ja wissen möchte, er ist dann aber nicht hier gewesen, u. ich wußte es vor 8 Tagen nicht mehr aus dem Kopfe, wie das Nest hieß, wo ihr im Regiment exer­ ciertet.

c O: Würtembergischen  d O: das  e  Alternative Lesung: das   6  Die Hochzeit von Karl Mommsen und seiner Verlobten Marie Wohlers fand am 11. Mai 1891 statt. 7  Max Weber und Marianne Schnitger verlobten sich offiziell am 21. Mai 1893. Ob Max Weber hier auf die zu diesem Zeitpunkt noch recht enge Bindung zu Emmy Baumgarten anspielt, ist nicht zu klären. 8  Friedrich (Fritz) Wagner. 9 Es handelt sich um eine Runde um Max und Alfred Weber, die sich wöchentlich am Donnerstag traf; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  21–24.

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Hermann Baumgarten 3. Januar 1891; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  49–54

Charlottenburg 3. 1. 91 Lieber Onkel!

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Es ist schon übermäßig lange her, daß ich Dir nichts von meinem Erge­ hen berichtet habe und ich möchte das neue Jahra nicht noch älter wer­ den lassen, ohne endlich, wie ich schon längst sollte und wünschte, die­ se Schuld wenigstens zu verringern. Das Assessor-Examen mit Allem [,] was drum und dran hing [,] und dann die Notwendigkeit, wieder ab ovo sich wissenschaftlich au fait zu setzen,1 hatte mich für längere Zeit fast ganz weltfremd gemacht und zahlreiche alte Beziehungen unterbro­ chen. Um so herzlichere Glückwünsche nun jetzt zum neuen Jahr, wir Alle wünschen und hoffen sehnlichst, daß es endlich den schweren Sor­ gen, welche die letztvergangenen Euch gebracht haben, ein Ende ma­ chen und Euren traulichen Familienkreis wieder so glücklich zusam­ menschließen möge, wie ich ihn in einer Zeit, die immer zu den ange­ nehmsten Erinnerungen meines Lebens gehören wird, kennen lernte. Die Nachricht, daß es Anna2 schlecht gehe, traf uns, als ob es sich um Einen von uns selbst handle, denn es war namentlich mir eine große Freude gewesen, ihr ernstes, nach allen Seiten ausschauendes Interesse an Dingen und noch mehr an Menschen zu beobachten und ihre Freu­ de an Allem, was ihr an Gesichtspunkten neu entgegentrat, mitzuge­ nießen. Hoffentlich geht es ihr recht bald ebenso entschieden besser wie offenbar Emmy,3 es wird aber noch eine recht schwere |:und über­ windungsreiche:| Zeit für sie sein, wenn die bisherige Depression sie verläßt und sie sich dann genußfähig und genußbedürftig fühlt und a  〈wenigstens〉   1 Das im Juni 1886 begonnene vierjährige Rechtsreferendariat hatte Max Weber am 18. Oktober 1890 mit der Zweiten Juristischen Staatsprüfung beendet. Dazu hatte er wie vorgeschrieben eine schriftliche Assessorarbeit angefertigt sowie eine mündliche Prüfung abgelegt; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  121. – Eine anschließende Habilitation hatte Max Weber erstmals im Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Mai 1889, oben, S.  187 f., in Betracht gezogen; vgl. auch unten, S.  228 mit Anm.  10–12. 2  Anna Baumgarten. 3  Emmy Baumgarten.

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doch nicht genießen darf, – ich kenne den Zustand bis ins Detail von einem mir sehr nahestehenden Freund,4 welcher daran litt, bei wel­ chem er aber, da er lange Jahre nicht richtig erkannt worden war, ganz andere Dimensionen angenommen hatte und nur mit Mühe und Zeit­ aufwand zu beseitigen war. Da dies bei Anna glücklicherweise so an­ ders liegt, bin ich, trotzdem ich natürlich mit ihr und Euch das herz­ lichste Mitgefühl habe, über den Ausgang vollkommen beruhigt, – Zeit ist allerdings immer erforderlich. Und Allen war es ein froher Gedan­ ke, daß in dieser sorgenvollen Zeit Fritz mit seiner Frau und seinen frohen Kleinen5 Euch so nah war. – Von Otto bekam ich heute einen dicken Brief, der keine Nachrichten über Euch, sondern nur ein für sein litterarisches Unternehmen be­ stimmtes Manuscript enthielt.6 Otto hat Dir wohl seinerzeit erzählt, daß ich mich an diesem Unternehmen auch beteiligten will bzw. betei­ ligt habe, insofern ich ihm, – leider in viel geringerem Grade, als ich es zu thun wünschte, – einen Teil der zu führenden Correspondenzen etc. abgenommen und meine hiesigen |:und auswärtigen:| Freunde dafür interessiert habe. Ich halte dasb Unternehmen für ein immerhin recht nützliches, gleichgültig was dabei herauskommt, schon deswegen, weil es eine Cooperation von Theologen und andren Kategorienc involviert. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß gerade die thatkräf­ tigeren und idealistischeren jüngeren Geistlichen dem Zuge der Zeit, auf sozialem Gebiet auch in andrer Weise als durch Belehrung und spezifische Seelsorge zu wirken, definitiv anheimgefallen sind. Ist nun die Stöcker’sche Richtung7 |:dauernd:| die einzige, welche auf diesem b  dasselbe > das  c  〈enthält〉   4  Max Weber meint möglicherweise den befreundeten Wilhelm Purgold, der 1897 in der Heilanstalt für Nerven- und Gemütskranke Dr. Scholinus in Pankow verstarb. 5  Fritz und Elisabeth (Else) Baumgarten mit ihren Kindern Elisabeth, Theodor Max und Hermann. 6  Otto Baumgarten gab die Reihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“ heraus; vgl., auch zum Folgenden, die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Karl Möller vom 21. Juli 1890, oben, S.  218. 7  Adolf Stoecker, einer der umstrittensten evangelischen Theologen des Wilhelminischen Kaiserreichs, hatte 1890 den Evangelisch-sozialen Kongreß als Forum des sozialengagierten Protestantismus gegründet. Mit seiner vorrangig auf Agitation gegen die Sozialdemokratie und Mission unter der Arbeiterschaft gerichteten Zielsetzung geriet er in Konflikt mit dem eine vorurteilslose Untersuchung wirtschaftlicher und sozialer Probleme verfechtenden progressiven Flügel, zu dem Otto Baumgarten und Max Weber gehörten; vgl. Aldenhoff, Max Weber (wie oben, S.  14, Anm.  78).

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Gebiet Opferfähigkeit zeigt, so ist damit ihr Sieg auch auf dogma­ tischem Gebiet entschieden. Zweifellos aber würde sie das Terrain al­ lein occupieren, wenn man sie nicht durch Cooperation in allen den Richtungen, welche man selbst mitzumachen bereit ist, bindet, und dazu ist der gegenwärtige Moment unwiederbringlich günstig. Ferner: den Theologen ist es sicher heilsam und der Achtung vor ihrem Stande förderlich, wenn sie, wie hier, genötigt werden, relativ nüchtern die Sprache anderer Sterblicher zu sprechen. Umgekehrt sind die Laien­ kreise, besonders jüngere Beamten, in einem sehr bedenklichen Grade gewöhnt – und gerade die, welche sozialpolitisch lebhaft interessiert sind – den Respekt vor dem Kirchentum äußerlich und conventionell zu behandeln und damit, abgesehen von totalem Indifferentismus, ent­ schiedene Zweifel an der praktischen Fähigkeit der Geistlichen zu ver­ binden. Es scheint mir nützlich – auch mit Rücksicht auf das unter den jungen Sozialpolitikern vorhandene Urteil über das |:soziale:| Wertver­ hältnis und die Leistungsfähigkeit der katholischen Kirche gegenüber der evangelischen – wenn diese Kreise an den Gedanken, sich in ge­ meinsamer Thätigkeit mit den von ihnen ad acta gelegten Schwarz­ röcken zusammenzufinden, gewöhnt werden. Während Otto hier Pfar­ rer war, habe ich meine Freunde thunlichst in persönliche Berührung mit ihm gebracht und ich kann nur mit Genugthuung berichten, daß der Eindruck seiner eben doch ungemein vielseitig anregenden Per­ sönlichkeit durchweg den gewünschten Erfolg hatte. Es ist mir sehr oft nachher gesagt worden: „ja wenn unsre Geistlichen in größerer Zahl so beschaffen wären, so stände es anders mit unsrem Verhältnis zur Kir­ che.“ Ich gestehe, dann der Wahrheit gelegentlich etwas Zwang ange­ than zu haben, indem ich bestritt, daß es sich um eine nicht generelle Erscheinung handle. – Es that mir leid, daß durch Ottos Weggang nach Jena diese Berührungen nicht noch breitere Dimensionen annehmen konnten. Sonst aber wird ihm die Lehrthätigkeit in Jena hoffentlich den nötigen Ruhepunkt in sein fast übermäßig bewegtes Dasein brin­ gen. Wir fanden, daß er schon jetzt ungleich kräftigerd aussah, als bei seinem Weggang von hier. – Von meinen persönlichen Schicksalen und Schwierigkeiten hat Dir Otto wohl erzählt. Er sagte, daß Du meine Bewerbung um die Bremer Syndikus-Stelle8 nicht richtig gefunden habest. Ich bin aber noch imd  〈Aus〉   8  Zu Max Webers Bewerbung um die Stelle eines Syndikus bei der Handelskammer Bre-

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mer der Ansicht, daß es für mich von großem Werth gewesen wäre, einige Jahre gründlich in die Praxis des Großhandels zu kommen, na­ mentlich in dieser Stelle, welche eine fortwährende publizistische Thä­ tigkeit wissenschaftlichen Charakters mit sich gebracht hätte. Ich habe eine ganz außerordentliche Sehnsucht nach einer praktischen Stellung und diese würdee hier vielleicht befriedigt und damit erledigt worden sein. Ich gestehe, daß ich nur mit Überwindung, – so sehr mir sonst der wissenschaftliche Beruf naheliegt, – daran denke, vom abwartenden unbesoldeten Referendar und Assessor zum ebenso abwartenden und ebenso unbesoldeten Privatdozenten überzugehen. Ich glaube, daß ich in einer mich pekuniär selbständig stellenden Position zwar weniger äußere, dagegen unvergleichlich mehr innere Ruhe zu wissenschaft­ licher Arbeit fände. Nun macht mir die Fakultät hier Schwierigkeiten mit der Habilitation, wie mir Goldschmidt9 sagt, weil grade Handels­ recht hier bereits übermäßig stark vertreten ist.10 Es ist mir empfohlen worden, mich über die Leipziger Verhältnisse zu orientieren, was ich demnächst thun werde, ebenso schrieb mir Frensdorff über Göttin­ gen,11 doch wünschen sie dort nur Privatdozenten, die sich auf Repeti­ torien beschränken. Es liegt also noch sehr im Dunklen, was ich schließlich thun werde. Vorläufig habe ich mich hinter eine – allerdings mehr historische – Arbeit über Agrarverhältnisse der römischen Kai­ serzeit gemacht,12 deren Erledigung mir am nächsten liegt und die weie  〈sich〉   men vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Hermann Heinrich Meier vom 10. Juli 1890, oben, S.  214. 9  Der an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Handelsrecht lehrende Levin Goldschmidt war Max Webers Doktorvater. 10  Max Weber beabsichtigte, sich sowohl in Römischem als auch in Handelsrecht zu habilitieren; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, unten, S.  254. Otto Gierke opponierte gegen eine handelsrechtliche Habilitation Max Webers; vgl. Honigsheim, Paul, Erinnerungen an Max Weber, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 7, 1963, S.  161–271, hier S.  212. 11 Der mit Max Weber sen. befreundete Ferdinand Frensdorff war Professor für Deutsches Recht und während Max Webers Semester an der Universität Göttingen im Winterhalbjahr 1885/86 sein akademischer Lehrer gewesen. 12  Mit den Agrarverhältnissen der römischen Kaiserzeit hatte Max Weber das Thema seiner Habilitationsschrift „Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staatsund Privatrecht“ (MWG I/2) gefunden; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, unten, S.  254.

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teren Sorgen noch für einen Monat zurückgelegt. Mir wäre z. Z. die pädagogische Seite der Lehrthätigkeit bei weitem die interessantere und ich habe eigentlich wenig Trieb, |:grade:| jetzt noch erst viele dicke Bücher zu schreiben. Es wird aber ohnedem nicht gehen. – Mein Verkehr hier hat sich mit der Zeit recht anziehend gestaltet. Ich sehe ganz regelmäßig Altersgenossen der verschiedensten Kategorien in unsrer „Staatswissenschaftl[ichen] Gesellschaft“, der Mehrzahl nach allerdings Juristen und Nationalökonomen,13 ich meinerseits bin im Lauf der Zeit ungefähr zu 1/ 3 Nationalökonom geworden. Nicht un­ interessant ist mir immer noch die politische Anschauungsweisef mei­ ner Bekannten. Eigentlich politische Fragen staatsrechtlicher Art spie­ len darin gegenüber den Verwaltungs- und sozialpolitischen Angele­ genheiten naturgemäß zur Zeit eine Nebenrolle. Im Übrigen glaube ich, daß es von den allerbedeutendsten und im Wesentlichen segens­ reichen Nachwirkungen nach Seite der politischen Urteilsbildung der jungen Generation ist, daß sie es erlebt hat, daß Bismarck nicht im Be­ sitz der Macht gestorben, sondern anderweitig von der Bildfläche ver­ schwunden ist.14 Man konnte zur Zeit |:unmittelbar:| nach dem Ereig­ nis die interessantesten Beobachtungen machen bei seinen bisherigen Verehrern, von Strebernaturen an, welche nach Kurzem herausgefun­ den hatten, er habe im Grunde doch „seine Zeit nicht erkannt“, bis zu einigen eifrigen Schülern Treitschkes, jungen Historikern, welche er­ klärten, vor dem Kaiser nur mit Widerstreben den Hut zu ziehen, nach­ dem er den Hohenzollernstamm mit der „Schmach der Undankbarkeit und kleinlichen Ehrgeizes“ bedeckt habe, wie Keiner vor ihm.15 Die f  〈unsr〉   13  Es handelt sich um den „Donnerstag-Abend“, der im Unterschied zu Gustav Schmol­ lers offiziöser Staatswissenschaftlicher Gesellschaft auch „unsre“ oder „kleine“ Staatswissenschaftliche Gesellschaft genannt wurde; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  21–24. 14 Kaiser Wilhelm II. hatte am 20. März dem am 18. März 1890 eingereichten Entlassungsgesuch Otto von Bismarcks entsprochen. Dieser war seit 1862 preußischer Ministerpräsident und seit der Reichsgründung 1871 außerdem Reichskanzler gewesen. 15  Der als Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin wirkende Historiker Heinrich von Treitschke war Historiograph des preußischen Staates und Verfechter von Otto von Bismarcks preußischer Staatsidee. Nach dessen Entlassung im März 1890 (vgl. oben, Anm.  14) finden sich in Treitschkes Korrespondenz erste kritische Töne an der Regierung Kaiser Wilhelms II. (vgl. Treitschke, Heinrich von, Briefe, Band 3: 1866–1896. – Leipzig: Hirzel 1920, S.  617, 623, 625 und 627), seine Äußerung von der „Undankbarkeit der Hohenzollern“ findet sich allerdings erst im 5.  Band seiner „Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert“ (erschienen 1894); vgl. Gerhards, Thomas, Heinrich von Treitschke. Wir-

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letzteren vermochten nicht zug widersprechen, als wir ihnen entgeg­ neten, daß nunmehr sich zeige, daß, wie wir immer behauptet, ihre |:vermeintliche monarchische:| Loyalität nichts als versteckter Cäsaris­ mus gewesen sei. Das Heilsame in der Situation ist nun |:eben:|, daß nicht einfach der eine Caesar – der Kaiser – dem anderen – Bismarck – friedlich suczediert ist, sondern daß beide im Conflikt miteinander lie­ gen und daß hierdurch der Einzelne verhindert wird, auf ein eigenes Urteil zu verzichten. Denn von einem solchen Verzicht ist dem Kaiser gegenüber in der That geradezu bei Niemandem die Rede. Auch dieje­ nigen, welche am günstigsten über ihn urteilen, lassen durchaus mit sich reden und bisher nirgends findet man jene fanatische Vertretung seiner Person |:wie eines Dogmas:|, welche den Anhängern Bismarcks stets eigen war. Es ist unter diesem Gesichtspunkt eigentlich ein Vor­ zug des Kaisers, daß er es Niemandem, keiner Richtung, ganz recht macht und bisher eine nach der andren gelegentlich vor den Kopf ge­ stoßen hat. Als ich 1888 übte,16 war in Posen bei meinem Regt helle Entrüstung über die Tonart und auch den Inhalt der in der That teil­ weise sonderbaren und haufenweise erscheinenden kaiserlichen Mei­ nungsäußerungen (Civilfragen, Duelle etc. etc.), inzwischen haben nacheinander die Colonialfreunde, die |:Industrie-:|Schutzzöllner und die Agrarier Nüsse zu knacken bekommen. Namentlich die Verschär­ fung des Confliktes mit den letzteren würde günstige Folgen haben; – scheitert die Landgemeindeordnung17 oder tritt ein |:noch:| lebhafterer Conflikt ihrethalben ein, so scheidet sich bei einer großen Anzahl jün­ gerer Politiker der büreaukratische aufgeklärte Conservatismus, mit dem sich reden läßt, von der Vertretung der landwirtschaftlichen Inter­ essen des Großgrundbesitzes, mit welcher erh – und |:bei meinen Al­ tersgenossen:| in 7 von 10 Fällen unbewußt – jetzt verquickt ist. Im g  〈widerstehen〉  h  sie > er   kung und Wahrnehmung eines Historikers im 19. und 20. Jahrhundert. – Paderborn [u. a.]: Schöningh 2013, S.  71 f. 16  Max Weber hatte kurze Zeit nach der Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II. vom 19. Juli bis 13. September 1888 eine Reserveoffiziersübung beim 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47 absolviert; vgl. die Briefe oben, S.  163–177. 17  Die in der Thronrede Wilhelms II. vom 12. November 1890 angekündigte Landgemeindeordnung passierte am 13. Juni 1891 schließlich das preußische Herrenhaus (vgl. Schulthess 1891, S.  98) und trat am 3. Juli 1891 in Kraft. Die der Vorlage des preußischen Ministers des Innern, Ernst Ludwig Herrfurth, zugrundeliegende Idee, starke Landgemeinden mit Einschluß der Gutsbezirke zu bilden, scheiterte allerdings am konservativen Widerstand.

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Ganzen kann ich nicht anders sagen, als daß unter uns Jüngeren zwar nur sehr vereinzelt sich wirkliche Liberale finden, dagegen |:eine:| ge­ gen früher sehr viel größere Mäßigung; ich möchte glauben, daß ent­ schieden reaktionäre Strömungen nur recht kleine Kreise um sich sam­ meln würden. Solange aber wirtschaftliche und sozialei Fragen soj aus­ schließend wie bisher im Vordergrund stehen, eine Situation, in welcher schließlich die Gruppierung nach Interessentenkategorien stets be­ herrschendk bleiben muß, findet sich für den Liberalismus ohnehin nur ein beschränktes Wirksamkeitsgebiet, zumal solange er selbst in Inter­ essentengruppen auseinanderstrebt. Es hat sich gezeigt, daß das erste Auftauchen wesentlich politischer Fragen (Landgemeindeordnung, Volksschule),18 zu seiner Stärkung geführt hat. Deshalb sehen wir auch nicht allzu finster in die Zukunft des Liberalismus, sofern er nicht in der Reichspolitik Thorheiten begeht, und dazu würde es gehören, wenn er nicht die gegenwärtige sozialpolitische Strömung, die, soweit sie Be­ denken bietet, ihren Höhepunkt ohnehin ziemlich erreicht hat, ehrlich mitmachen würde. Die Hauptsorge für die Zukunft ist ja naturgemäß die, welche weitere |:persönliche:| Entwicklung der Kaiser nehmen wird, und ob ihm endlich Mitarbeiter erwachsen werden, die ihm im­ ponieren, ob namentlich Miquèl19 ein solcher bleiben wird. Niemand kann leugnen, daß es bisher noch über Erwarten günstig geht, auch die Schulreform20 wird ja nicht so heiß gegessen und es war doch eigentlich mehr der erste ungünstige moralische Eindruck der ungeheuren Schwadronage, mit der die Sache anfing, als sachliche Bedenken gegen die relativ zahmen Ergebnisse, welche uns verstimmte. – Allerdings hat man aber doch die Empfindung, als ob man auf einem mit großer Schnelligkeit dahinsausenden Zuge säße auf einer Bahnstrecke, die neu angestellte Weichensteller hat. Wenn er nur seine geistigen Kräftel nicht ruiniert oder schon ruiniert hat. Aus |:hohen:| Beamtenkreisen i  〈Interessenfragen〉  j  〈sehr〉  k  im Vordergrund > beherrschend  l  〈intakt er­ hält〉   18  Zur ersten Debatte des vom preußischen Kultusminister Gustav von Goßler erarbeiteten Volksschulgesetzes im preußischen Abgeordnetenhaus am 5. Dezember 1890 vgl. Schulthess 1890, S.  179 f. 19  Der preußische Finanzminister Johannes Miquel führte seit Anfang der 1890er Jahre eine umfassende Finanzreform durch. 20  Zur Debatte um eine von Kaiser Wilhelm II. angestoßene preußische Schulreform vgl. Schulthess 1890, S.  326 f., sowie über die vom 4. bis 17. Dezember 1890 tagende „Konferenz zur Beratung des höheren Schulwesens“ ebd., S.  170–179 und 181–184.

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kommen von Zeit zu Zeit Unkenrufe, welche eine pathologische Ent­ wicklung nicht für absolut ausgeschlossen erscheinen lassen. Davor be­ wahre uns Gott! – Der Brief ist, wie ich sehe, fast endlos lang gerathen und ich fürchte, Du wirst, trotzdem ich der Deutlichkeit halber mit den mir unge­ wohnten deutschen Buchstaben geschrieben habe, das Gekritzel schwer entziffern können. Ich bin aber unwillkürlich wie früher dazu gekom­ men, mich über allerlei mir naheliegende Interessen zu expektorieren und so ein Inventar der mich zur Zeit bewegendenm Fragen aufzuneh­ men. Du hattest früher hierfür stets ein so freundlich-nachsichtiges In­ teresse, für welches ich Dir nicht dankbar genug sein kann. – Mit den herzlichsten Grüßen an die Tante21 – möge das neue Jahr nun endlich ihr die schwere Last auf dem Herzen erleichtern – und Anna, wenn sie auch bei Euch ist, Dein treuer Neffe Max

m  〈Interessen〉   21  Ida Baumgarten.

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Hermann Baumgarten 15. Februar 1891; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  55–56 Im folgenden Brief geht es wie im Brief an Hermann Baumgarten vom 20. Februar 1891, unten, S.  235 f., um die Erbschaft der am 8. Dezember 1890 verstorbenen Marie Baumgarten. Sie hatte ihren Bruder Hermann Baumgarten testamentarisch als Erben eingesetzt. Dieser ließ sich bei der Regelung seiner Ansprüche von Max Weber juristisch beraten.

Charlottenburg 15. 2. 91 Lieber Onkel!

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Zur Umschreibung der gen[annten] Hypotheken auf Dich bedarf es: 1. der Vorlegung des Hypothekenbriefes 2. des Testaments in Ausfertigung, nicht nur in beglaubigter Ab­ schrift. (Ist das Testament sehr umfangreich, so genügt die Ausferti­ gung eines Auszuges mit der Bescheinigung des Nachlaßgerichtes (in Braunschweig), daß in der Urkunde eine weitere auf die Hypotheken bezügliche Bestimmung nicht enthalten ist). Dem Testament muß die |:Testaments-Niederlegungs- und:| Eröffnungsverhandlung beigelegt werden, aber eine Anfertigung des betref­ fenden Protokolls seitens des Nachlaßgerichts in Braunschweig. 3. wenn Du die Hypotheken als |:alleiniger:| Erbe |:der Tante:|1 er­ worben hast, so bedarf es dann nur noch eines von Dir zu unterschrei­ benden (unbeglaubigten) Antrages Deinerseits an das Kgl. Amtsge­ richt I zu Berlin, die (genau |:nach dem Grundbuch:| zu bezeichnenden) Hypotheken auf Dich im Grundbuche umzuschreiben. – Hast Du dagegen diea Hypotheken als besondres Vermächtnis er­ worben |:(bist aber nicht zum Erben des |:ganzen:| Vermögens einge­ setzt:| oder sind außer Dir noch andre Personen in dem Testament zu Erben eingesetzt, so muß deren Einwilligung in die Umschreibung der Hypotheken auf Dich in Form einer vom Gericht, oder einem Notar zu beglaubigenden schriftlichen Erklärung beigelegt werden. – Habt Ihr etwa vor dem Braunschweiger Gericht einen besonderen Rezeß über die Teilung der Erbschaft abgeschlossen und sind dabei die Hypothea  〈Forderun〉   1  Gemeint ist Marie Baumgarten.

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ken an Dich übereignet worden, so kann statt der gedachten Einwilli­ gung eineb Bescheinigung des Braunschweiger Gerichts über diese Übereignung beigelegt werden. Der Antrag ist zu richten an das Kgl. Amtsgericht I Berlin, um die Zuteilung an die richtige Abteilung zu erleichtern, empfiehlt es sich, auf dem Antrag |:oben links:| die Be­ zeichnung des Grundbuchblattes, wie sie sich aus den Hypothekenbrie­ fen ergiebt, zu setzen. Sendest Du den Antrag nebst Anlagen an das genannte Gericht ein, so erfolgt die Umschreibung oder, wenn noch |:an den:| Formalitäten etwas mangelt, wirst Du darauf aufmerksam gemacht. Ist es Dir aber lieber, so will ich sehr gern, wenn Du die Sa­ chen an mich schickst, sie an ihrec Adresse befördern, wenngleich eine Beschleunigung dadurch nicht weiter erzielt wird, denn ich kann sie auch nur dem Grundbuchführer überreichen. Die Erledigung dauert erfahrungsmäßig hier bei dem colossalen Geschäftsumfang und den unzureichenden Arbeitskräften namentlich in den Kanzleien sehr lan­ ge, u[nter] Umständen Monate, was ich nur, damit Du Dich nicht wun­ derst, schon jetzt bemerken will. – Ich erhalte eben einen langen Brief von Otto2 nebst zahlreichen Bei­ lagen, Manuscripten etc., da er dumgehend umd Antwort bittet, des­ halb bitte ich Dich zu entschuldigen, wenn ich heute noch nicht auf Deinen letzten Brief und den jetzigen, für die ich herzlich danke, aus­ führlich antworte. Es geschieht nächster Tage.3 Die beigelegte Karte der Tante4 habe ich meiner Mutter gegeben. Es geht Alles gut hier und Alle grüßen Euch aufs herzlichste, so auch Dein treuer Neffe Max

b  Dir die > eine  c O: Ihre  d O: umgehend,   2  Otto Baumgarten. 3  Die angekündigte ausführliche Antwort ist nicht nachgewiesen. 4  Ida Baumgarten.

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Hermann Baumgarten 20. Februar 1891; Charlottenburg Brief; eigenhändig, mit einer Anlage von dritter Hand GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl. 57 und 58 Der folgende Brief bezieht sich wie der vorausgegangene Brief an Hermann Baumgarten vom 15. Februar 1891, oben, S.  233 f., auf Hermann Baumgartens Erbanspruch auf den Nachlaß seiner Schwester Marie Baumgarten. Dem Brief liegt der unten angekündigte und von Max Weber „aufgesetzte“ Entwurf eines Schreibens an das Herzogliche Amtsgericht in Braunschweig bei (Bl. 58). Dieser Entwurf wurde bis auf die Datierung „23/2 91“ von dritter Hand niedergeschrieben. Die im Entwurf, unten, S.  237, verwendeten unüblichen Abkürzungen werden stillschweigend aufgelöst.

Charlottenburg Leibnizstraße 19 den 20. 2. 91 Lieber Onkel! 5

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Die Sache ist ganz in Ordnung und beide Hypothekendocumente sind da. Daß Du sie nicht als zwei erkannt hast, kommt daher, daß das eine eine Zweigurkunde des anderen darstellt und dieser letztere in Folge dessena in dem erstern zuerst wörtlich wiederholt ist (das ursprüng­ liche Document lautete über 32000   , davon sind nach und nach Teil­ forderungen abgetreten, so daß es nur noch über 6000    lautet, eine der abgetretenen Teilforderungen von ebenfalls 6000    wird durch das zweite Document repräsentiert) b. Ich habe anliegend einen Antrag1 aufgesetzt, welcher, wie ich an­ nehme, den gesetzlichen Erfordernissen entspricht. Wenn Du denselben unterschreibst und der Sicherheit halber Deine Unterschrift von einem dortigen Notar beglaubigen läßt – was schwerlichc mehr als 1,50 Mk ko­ stet –, und ihn mir dann zuschickst,d und ferner veranlaßt, daß Dir zu meinen Händen eine Ausfertigung – die beglaubigte Abschrift genügt

a  〈über〉  b  Schließende Klammer fehlt in O.   c  Unsichere Lesung.   d  〈so ist Al­ les in Ordnung und ich werde die Schriftstücke einreichen〉   1 Unten, S.  237. Hermann Baumgarten verfaßte auf dieser Grundlage umgehend am 23. Februar 1891 einen Antrag an das Amtsgericht (Nachlaßakte Marie Baumgarten, Niedersächsisches Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel, 40 Neu 2, Nr.  5155).

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nicht – des Testaments Deiner Schwester2 erteilt wird, so kann ich dann die Sachen hier einreichen und das Weitere geht dann von selbst. Herzlicher Gruß Dein treuer Neffe Max Die beglaubigte Abschrift des Testaments habe ich wieder beigelegt.3 Du brauchst nur an das Braunschw[eiger] Gericht den Antrag zu stel­ len, die Ausfertigung zu erteilen, dieselbe an mich zu senden und die Kosten – welche nicht bedeutend sein können – von Dir einzuziehen.

2  Marie Baumgarten war am 8. Dezember 1890 verstorben. 3  Die erwähnte Testamentsabschrift ist nicht überliefert.

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Anlage: Entwurf eAn

d. Hzgl. Amtsgericht Braunschweig

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Z. Zwecke d. Übertragung d. mir von meiner |:8/12 |:v. J.:| in Braunschweig †:| Schwester Marie Baumgarten hinterlassenen Hypothek habe ich an d. Kgl. Amtsgericht Berlin des Betreffs Hypoth. Briefen die mir s. Zt. vom Hzgl. Amtsgericht zugestellte beglaubigte Abschrift d. Testaments meiner genannten Schwester vom 11/6 1880 nebst Eröff­ nung dieses Testaments vom 16/12 1890 eingeschickt. Darauf wird mir erwidertf, diese beglaubigte Abschrift genüge 0, ich müsse vlm. d. „Ausfertigung“ d. genannten Testaments |:u.d. Testamentseröffnung:| vorlegen. Demgemäß erlaube ich mir an Hzgl. Amtsgericht die erge­ benste Bitte, eine solche „Ausfertigung“ auf meine Kosten herstellen und an meinen Neffen, Assessor Dr. Max Weber in Charlottenburg Leibnitz Str. senden lassen zu wollen, die Kosten |:aber:| durch Post­ nachnahme von mir erheben lassen zu wollen.e 23/2 91

e–e  Von dritter Hand.   f O: erwied.  

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Alfred Weber PSt 22. April 1891; PSt Charlottenburg Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl. 29

Lieber Alfred! Da ich meinem Verleger1 das Manuscript meines Buchs2 für Mitte nächsten Monats in Aussicht gestellt habe, so sitze ich tief in der Arbeit und kann Dir deshalb für Deinen Brief nebst Heiligen-WindthorstBild3 nur in dieser Form danken. Die ganze Familie nebst Tante und Cousinen ist am heutigen Buß- und Bettage,4 wo endlich einmal Früh­ lingswärme eingetreten ist, mit sehr geringer Neigung zu weniger Ein­ kehr in sich nach Treptow ausgeflogen. Ich habe in letzter Zeit wieder den Bärenführer, fast möchte ich in Anbetracht des unglaublichen Un­ fugs, den die Mädels5 aufstellten, sagen: den Gänsehirten gemacht. – Es wird Dich interessieren zu hören, daß Jaffé6 die Publikation sei­ nes Werkes ernstlich für den Herbst in Aussicht stellt. Ich würde dies für ein entscheidendes Zeichen von Gesundung bei ihm halten. – Mit herzlichem Dank für Deinen Gruß und in Erwiderunga desselben Dein Bruder Max

a O: Erwiederung   1  Alfred Enke. 2  Gemeint ist Max Webers Habilitationsschrift: Weber, Max, Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht. – Stuttgart: Ferdinand Enke 1891 (MWG I/2). 3  Der Zentrumspolitiker und Bismarck-Gegner Ludwig Windthorst war am 14. März 1891 verstorben. Vermutlich hatte Alfred Weber seinem Bruder aus diesem Anlaß eine Karikatur geschickt, die heute nicht mehr nachweisbar ist. 4  Max Weber bezieht sich hier nicht auf den evangelischen Feiertag, der im Jahre 1891 auf den 18. November fiel. Vermutlich handelt es sich um eine ironisierende Anspielung auf den Tag nach seinem 27. Geburtstag am 21. April. 5  Lili und Clara Weber. 6  Gemeint ist Alfred Jaffé. Um welches Werk es sich handelt, ist nicht geklärt.

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Clara Weber 14. Juni [1891]; Schrimm Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA., Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 55 Das Jahr ist aus der Ortsangabe „Schrimm“ erschlossen. Es handelt sich um den südlich von Posen gelegenen Standort des zweiten Bataillons des 2. Niederschlesischen Infanterieregiments Nr.  47, an dessen Militärübung Max Weber vom 2. Juni bis 27. Juli 1891 teilnahm.

Liebes Clärchen!

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Es duftet hier – hm! hm! ja ja Nicht gerade nacha Ambrosia Gar viel Äux-Bäux und wenig Rosen Giebt es im schönen Lande Posen. Im Wirtshausgarten an der Straße Sitzt man mit Grätzer Bier1 im Glase. Auch futtert man zu diesem Gesöff Ein talgbeträuftes œil-de-bœufb 2 Rings spielen die lieben Kinderchen, Karnickel, Schweine, Rinderchen, Und Bengels, stolz, in poln’scher Mütze Um eine Rheinwein-farb’gec Pfütze. Oha! jetzt kommt – ich glaube gar! – Der hies’gen höheren Töchter Schaar. Nicht ganz gewaschen, halb gekämmt, Durch manche Nahtd glotzt hell das Hemd, Zerknüllter Rock, zerriss’ne Stiefel Sonst wär’ das Kroppzeug gar nicht übel – Hu! Hu! schon wieder in die Nase Ziehn mir die wohlbekannten Gase! Drum höre ich für diesmal auf, – Betrübend ist der Lebenslauf: e Tagtäglich muß in stiller Kammer Man Buße thun im Katzenjammer, a  〈Ab〉  b O: Oeuil-de-boeuf  c  Unsichere Lesung: Rheinweincher > Rheinweinfarb’ge  d O: Nath  e  〈Teils plagt man sich in stiller Kammer〉   1  Eine Spezialität aus der in der Provinz Posen gelegenen Stadt Grätz. 2  Frz. für: Ochsenauge; gemeint ist hier: Spiegelei.

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So daß von dieser Mordgeschicht Man schon die Dichteritis kriegt Drum freute mich Dein Briefgen sehr, Jetzt lebe wohl, schreib bald noch mehr, – Spricht man von Deinem ältsten Bruder, So sage nur: „Das arme L…!“

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Schrimm 14/VI Max

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Helene Weber 17. Juni 1891; Schrimm Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 148–150 Max Weber nahm vom 2. Juni bis 27. Juli 1891 an einer Militärübung des 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47 teil. Dessen zweites Bataillon war in dem südlich von Posen gelegenen Schrimm stationiert.

Schrimm No 287 17. VI. 91 Liebe Mutter! 5

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Endlich ist einmal der Dienst so früh zu Ende und sind außerdem die Correkturen1 soweit abgearbeitet, daß ich zu einem Briefe an Dich kommen kann. Die hervorstehendste Änderung, welche in den allge­ meinen militärischen |:Dienst-:|Verhältnissen eingetreten ist, seit ich das letzte Mal eingezogen war, 2 ist nämlich eine sehr bedeutende Ver­ mehrung des Dienstes, namentlich für die Offiziere. Die einzige große Entfernung, welche hier für uns existiert, ist die nach den Schießstän­ den, – ca 3 /4 Meilen – und diese muß ich jetzt fast jeden Tag hin und zurück per pedes durchmachen, was die Dienstzeit um 2 Stunden ver­ längert und die Neigung zum Spazierengehen wieder einmal für 10 Jahre im Voraus befriedigt. Sonst kann ich, wie ich schon zuerst schrieb,3 über die dienstlichen Verhältnisse nicht klagen, ich habe ei­ nen sehr angenehmen, vor allen Dingen nicht nervösen, Compa­ gnie-Chef4 getroffen, und da ich der älteste Offizier der Compagnie bin, so hält es der Hauptmann5 offenbar nicht für angemessen, mich wie es sonst wohl geschieht, mit unangenehmem und weniger selbstän­ digem Dienst zu bedenken als die aktiven Kameraden. Diese letzteren selbst sind in der That recht gut zu haben, wenngleich ich nicht leugnen

1  Es handelt sich um die Korrekturen für die Druckfassung seiner Habilitationsschrift; vgl. Weber, Römische Agrargeschichte (MWG I/2). 2  Max Weber hatte zuletzt vom 19. Juli bis 13. September 1888 an einer Militärübung in Posen teilgenommen. 3  Ein früherer Brief von der Militärübung in Schrimm an Helene Weber ist nicht nachgewiesen. 4  Der Name konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war. 5  Wie Anmerkung 4.

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kann, daß ich unsren „Donnerstag Abend“6 ihrer Gesellschaft doch vorziehe. Natürlich sind es überhaupt sehr wenige, wir essen zu 10 im Casino, was aber entschieden behaglicher ist, als diea große, den Ein­ druck einer Festtafel erweckende, und doch aber nur zu alltägliche Tischgesellschaft in Posen. Abends bin ich doch häufiger zu Hause, als ich geglaubt hatte, – freilich hat dies nicht selten zur Folge, daß einem der Eine oder Andre oder auch gleich Mehrere auf die Bude steigen, was weder pekuniär vorteilhafter noch zeitsparender ist als das Wirts­ haus-Abendessen. Die Tageseinteilung ist ja hier allerdings eine sehr andre als in Berlin,b ich stehe so ziemlich um die Zeit auf, zu welcher ich zu Hause in den letzten Wochen zu Bett zu gehen pflegte. Daß ich im Allgemeinen mehr schliefe als im Civilverhältnis, kann ich nicht behaupten, der Dienst strengt mich in keiner Weise an, auch große Felddienstübungen und Märsche nicht, so wenig Werth ich auch vom Standpunkt des Vergnügens auf die „Sand-Latscherei“ lege. Daß ich dabei magrer geworden wäre, kann ich bis jetzt nicht behaupten, dage­ gen hat sich mein Appetit etwa vervierfacht, so daß das Casino mit mir sehr schlechte Geschäfte macht und ich wohl nächstens für 2 Personen gerechnet werde. Man sucht sich schadlos zu halten durch möglichst drakonische Anwendung des Geldstrafensystems, welches auf dem un­ geschriebenenc, höchst verzwickten und für Uneingeweihte, selbst Ju­ risten, nicht durchsichtigen Recht beruht, das von der Tischgesellschaft als Sittengericht gehandelt wird, – da der Ertrag zu gemeinsamen Bowlen-Zweckend verwendet wird, ist diese Geschworenenbank aller­ dings ziemlich fiskalisch und ist diese Seite der hiesigen Existenz so ziemlich die kostspieligste. Sonst ist es in der That auffällig billiger als in Straßburg und Posen und die Verpflegung dabei für den billigen Preis nicht schlechter und besonders nicht weniger reichlich. – Im Ganzen also ist die Existenz hier durchaus erträglich und im Grunde genommen äußerst bequem, namentlich der Bursche7 ist eine große Verwöhnung, man verlernt, sich allein an- und auszuziehen und über­ haupt sich ohne zwingendsten Grund von der Stelle zu rühren, zumal der meinige, ein äußerst geweckter Berliner „Bildhauer“ (wie er sich nennt) |:für:| alle Lebensbedürfnisse ohne mein Zuthun in vorzüg­ licher Weise sorgt, sogar Manuscript, Correkturen und Papiere in Orda  〈übliche〉  b  Unsichere Lesung: 〈ichs〉  c  〈und〉  d  〈gehandhabt〉   6  Zu dieser Runde um Max und Alfred Weber vgl. die Einleitung, oben, S.  21–24. 7  Der Name konnte nicht ermittelt werden.

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nung hält, was ich zu Hause nie fertig bringe, und innerhalb des von mir umschriebenen Rahmens mir Wurst |:und andre häusliche Genüs­ se:| in phantasievoller Abwechslung besorgt. – So könnte ich also an und für sich, von aller Sorge um des Lebens Notdurft befreit, mich in der dienstfreien Zeit der wissenschaftlichen Thätigkeit widmen, und in einigem Umfang ist dies auch geschehen, aber bei weitem nicht in so großem, als ich mir vorgenommen hatte, denn diese Zwischenräume sind stets durch Dienst unterbrochen; so ist z. B. mit der dienstfreien Zeit heute: 11–1, 1–3, 5–61/ 2 und von 71/ 2 an nicht allzuviel anzufangen, zumal es morgens um 51/ 2 Uhr wieder losgeht. Die Correkturen habe ich stets umgehend erledigt, sie machen aber bei der schnellen Fertig­ stellung des Manuscripts sehr viel Arbeit, da ich in dem wissenschaft­ lichen Apparat umfassende Änderungen vornehme. So, wie ich wohl möchte, kann ich in der Fassung die Schrift nicht mehr gestalten.8 – Sonst bin ich zwar noch zu einigen handelsrechtshistorischen Studien,9 aber zu keinem Anfang einer wirklichen Arbeit für die Erlangung der venia docendi auch für Handelsrecht gekommen,10 welche mehr als eine Kritik der Ausführungen Goldschmidt’s11 gegen mich enthalten würde. – Nicht ungern hätte ich eine Besprechung der Oldenberg’schen Schrift12 irgendwo losgelassen, das wäre keine zeitraubende Arbeit, sondern es kommt dabei nure darauf an, daß Einem |:gerade:| ein pas­ sender Gesichtspunkt kommt, dann ist die Sache in wenigen Stunden fertig. Ich fand |:deshalb:| immer, daß Rezensionen sich am besten als e  Unsichere Lesung: 〈au〉   8  Zu den vertraglichen Vereinbarungen mit dem Verlag Ferdinand Enke über Lieferungsumfang und Änderungskosten der Habilitationsschrift Max Webers vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Römische Agrargeschichte, MWG I/2, S.  55–89, hier S.  6 0 f. 9  Max Weber meint vermutlich Lektüre zu diesem Thema. 10 Die Absicht, sich außer für Römisches Recht auch für Handelsrecht zu habilitieren, erwähnt Max Weber erstmals im Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Mai 1889, oben, S.  187 f.; zur Umsetzung des Plans vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, unten, S.  254. 11  Max Weber bezieht sich hier auf: Goldschmidt, Levin, Universalgeschichte des Handelsrechts, 1. Lieferung. – Stuttgart: Enke 1891, bes. S.  273, Anm.  136, S.  280 f., Anm.  154, und S.  284, Anm.  159. 12  Oldenberg, Karl, Studien zur Rheinisch-Westfälischen Bergarbeiterbewegung. – Leipzig: Duncker & Humblot 1890. Oldenberg thematisiert hier den Wandel in der patriarchalischen Arbeitsverfassung am Beispiel der Industrie, eine These, die Max Weber in seinen Landarbeiterenqueten aufgreifen wird; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Römische Agrargeschichte, MWG I/2, S.  62 mit Anm.  37.

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Ausnutzung völliger Muße, auf dem Canapee liegend, ausarbeiten las­ sen, – aber jetzt würde ich, wollte ich mich auf mein hiesiges Canapee legen, unweigerlich einschlafen. Vielleicht komme ich aber doch noch dazu. – Carl Großkreutz kann ich aus dem Kopf lohnende Litteratur nicht angeben, er muß die Registerbände der Zeitschrift für Handelsrecht und eventuell die Reichsoberhandelsgerichts-Entscheidungen |:unter der betreffenden Rubrik:| durchsehen, was er wahrscheinlich schon ge­ than hat, – wenn dies nicht der Fall, aber noch thun soll, im Übrigen den Commentar zum Handelsgesetzbuch von von Hahn13 nachsehen, der durchweg gute theoretische Erörterungen enthält, daneben ginge noch der Commentar von Keyßner14 zu den betreffenden §§. Die mir |:jetzt:| bekannte Litteratur behandelt das Commissionsgeschäft, und zwar hi­ storisch, und hat für ihn keinen Werth, da er zu umfassenden histo­ rischen Studien nicht die Zeit hat. Übrigens ist das Thema leicht. – Jaffé15 hat, anstatt mir, wie er versprochen hatte, zu schreiben, eine Verlobungsanzeige geschickt, worauf ich ihm mit zwei mit „p.f.“16 be­ schriebenen Visitenkarten geantwortet habe. Er empfindet seinen Be­ kannten gegenüber offenbar eine Verlegenheit derart, als ob er irgend etwas an und für sich Komisches ausgefressen hätte. Die verschiedenen Charakteristiken seiner Braut von Papa, Dir und Alfred stimmen im Wesentlichen mit dem flüchtigen Eindruck, den ich s. Z. von ihr hatte. Was das künftige Verhältnis anlangt, so hat er mir vor Kurzem in ab­ stracto als |:sein:| theoretisches Programm entwickelt, daß er sich vor­ kommenden Falls nur wie eine Art „guter Kamerad“ seiner etwaigen Braut gerieren würde und daran ist, bei seiner nach jeder Richtung noblen Natur, nicht zu zweifeln, – ich hoffe, daß sie anspruchsvoll ge­ nug sein wird, ihn zu Weiterem zu zwingen. – Sehr bitte ich Dich Alfred für seinen ausführlichen Brief zu danken, auf den ich hoffentlich näch­ sten Sonntag, sollte es dann aber nicht gelingen, im Lauf der nächsten Woche antworten werde, und besonders auch für die Übermittlung der 13  Es handelt sich um: Das erste, zweite und dritte Buch des Handelsgesetzbuchs, in: Hahn, Friedrich von (Hg.), Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, Band 1. – Braunschweig: Vieweg 1863, und: Das vierte Buch des Handelsgesetzbuchs, in: dass., Band 2., ebd., 1867. 14  Vgl. Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch. Nach Rechtsprechung und Wissenschaft erläutert und hg. von Hugo Keyßner. – Stuttgart: Enke 1878. 15  Laut einer handschriftlichen Ergänzung zur Briefstelle von Marianne Weber handelt es sich um Alfred Jaffé. Dieser heiratete am 19. Juli 1891 Helen Przedecka. 16  Abkürzung für frz. „pour féliciter“, „um Glück zu wünschen“.

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für mich wichtigen Pandekten-Stellen.17 Ich schicke ihm demnächst die gesammten, Cap. II meiner Schrift enthaltenden Revisions-Bogen, da er sagte, Papa beabsichtige sie zu lesen. Der definitive Abzug der er­ sten Bogen hat bereits begonnen. Wenn er weiter fortgeschritten ist, schicke ich ein Exemplar der Abzüge. – Vorläufig bitte ich Alfred, den Donnerstag Abend18 zu grüßen. – Mit Simson habe ich noch corre­ spondiert,19 ich werde bestimmt Dienstag den 28ten in Berlin sein und die Vertretung übernehmen können. – Es ist nur noch eine Viertelstunde, bis ich zu einem „Kegelabend“ ab­ geholt werde, wo die Civil- und Militär-Familien, bei denen ich Visiten zu machen durch den Usus gezwungen wurde, sich einfinden. Ich möchte aber, daß der lange verzögerte Brief noch heute fortkäme und will daher für diesmal schließen. Übrigens wäre es doch nicht so übel und ich eigentlich recht dankbar, wenn Du mir eine Wurst zu den Strümpfen oder was es sonst ist legtest. Die hiesigen schmecken etwas stark nach Artillerie-Gäulen. Herzliche Grüße an Papa, die Geschwi­ ster und Dich selbst von Deinem Sohn Max.

17  Vgl. den Brief an Alfred Weber vom 6. Juli 1891, unten, S.  246–248. 18  Vgl. zu diesem geselligen Kreis die Einleitung, oben, S.  21–24. 19  Es handelt sich vermutlich um den prominenten Rechtsanwalt August von Simson, in dessen Kanzlei Max Weber einen Teil seines Rechtsreferendariats absolviert hatte; vgl. Weber, Lebenslauf 1, MWG I/1, S.  354, Zeile 9, und Lebenslauf 2, ebd., Zeile 22. Die Korrespondenz ist nicht nachgewiesen.

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Alfred Weber [6. Juli 1891]; Schrimm Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  31–32 Die Datierung ist erschlossen aus dem Inhalt („will ich der Mama nach Heidelberg erzählen“) und den Bezügen zum Brief an Helene Weber vom 6. und 8. Juli 1891, unten, S.  249–252. In beiden Briefen erwähnt Weber, der vom 2. Juni bis 27. Juli 1891 an einer Militär­übung im südlich von Posen gelegenen Schrimm teilnahm, die „Partie“ der Garnison nach Santomischel vom 5. Juli. Am 7. Juli 1891 (so die irrtümliche Datierung nach: Weber, Jugendbriefe, S.  335) war Weber wegen einer „gewaltige[n] Felddienstübung“, wie er seiner Mutter mitteilte (unten, S.  251), das Schreiben gar nicht möglich. Der Brief ist durch Ausriß eines Blattstückes beschädigt. Die fehlenden Stellen werden im folgenden nach Weber, Jugendbriefe, ergänzt und textkritisch gekennzeichnet.

Schrimm No 287. Lieber Alfred! Ihr habt Euch sicher gewundert, so lange nichts von mir zu hören, und, wie ich aus Mama’s letzter Karte schloß, dies der Hitze und einer da­ durch herbeigeführten Überanstrengung zugeschrieben. Dies ist nun allerdings der Grund nicht, denn ich vertrage Hitze sehr gut und die Anstrengungen des Dienstes haben mich bisher sehr kalt gelassen. Wohl aber ist es ganz außerordentlich viel zeitraubender als früher, der ganze Tag wird zerrissen und verzettelt, wie z. B. aus folgendem „Menü“ für heute und morgen hervorgehen dürfte: Heute 545 –6 45 In­ struction, 715 a –745 Zielen, 815 Abmarsch zur Felddienstübung, zurück 1145, 1240 Wache-Aufziehen (dazu ich als Offizier du jour) 1–2 Mittag­ essen, 230 –3 Zielen, 315 –5 Turnen [,] 6–7 Aufsicht beim Baden, – nach Mitternacht: Runde, – morgen: 6 Abmarsch der Ersatzreserven zur Felddienstübung unter mir, anschließend Instruction durch mich, vor­ aussichtlich zurück 12 bU[hr, 1–2] b Essen, 3 Abmarsch zum Compa­ gnie-Exercieren, 6–7 Instruction in der Compagnie. Dazu stand ich heute früh vor der ergötzlichen Aufgabe, über „Vaterländische Ge­ schichte“ (1 Stunde) zu instruieren und stehe morgen Abend vor der schon mehr tragischen, über „das kaiserl. u. kgl. Haus“1 (ebenfalls 1 Stunde!) zu instruieren. – Jedenfalls lassen mir die Dienststunden (dazu gehört auch, daß Sonntag Vormittag Kirchgang, Nachmittag a  〈Abmarsch〉  b–b  Blattstück abgerissen; der Text folgt Weber, Jugendbriefe, S.  336.   1  Gemeint ist das in Preußen und im Deutschen Reich regierende Haus Hohenzollern.

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officielle Bataillons-Partie mit Damen nach Santomischel stattfand) unerhört wenig Zeit und ich habe in den freien Stunden ganz außeror­ dentlich stark zu thun gehabt, um mit den Correkturen2 voranzukom­ men, da ich in den jetzt corrigierten Partien sehr stark geändert habe. Letzteres ist auch der Grund, weshalb ich Meitzen – dem ich schreiben werde3 – und Dir erst den zweiten Abzug schicken werde, ich hätte sonst die ganzen spaltenlangen Änderungen hineinschreiben müssen, und dazu fehlte mir unbedingt die Zeit. Einige Bogen blieben so schon 5 Tage [liegen,] c ehe sie wieder abgingen. Aus dem gleichen Grunde kam ich auch zu keinem Brief. Diese Arbeiterei war eine wirkliche Strapazed und dabei kam |:allerdings:| auch die Hitze in Betracht, na­ mentlich die Nachthitze, die hier so groß war, daß ich sehr gegen meine Gewohnheit jede Stunde erwachte und Tags also nicht sehr arbeitsfreu­ dig war. Die Correctur ist trotzdem höchstense – für die definitive Fer­ tigstellung – um 2–3 Tage verzögert worden. Für Deinen letzten Brief danke ich nochmals sehr, die Pandekten­ stellen sind mir von sehr hoher Bedeutung,4 Dein Bedauern, daß die Darstellung nicht historisch fortschreitend gestaltet ist, teile ich durch­ aus, aber dann hätte das Buch ganz außerordentlich viel dicker werden müssen und manche Argumentation hätte ich doch nicht anbringen können.5 Gerade für die wichtigsten Punkte wäre die rückschließende und deshalb auch retrograde Methode doch unentbehrlich geblieben. Das letzte Capitel wird in dieser Beziehung vielleicht mehr Deinem Geschmack entsprechen. – Von hier habe f [ich Dinge] f von besondrem Interesse nicht zu berichten, über meine Lebensweise will ich der Mama nach Heidelbergg erzählen, Dir ist sie ja aus Erfahrung bekannt,

c  Blattstück abgerissen; der Text folgt Weber, Jugendbriefe, S.  336.   d O: Strapatze   e  〈nur〉  f–f Blattstück abgerissen; der Text folgt Weber, Jugendbriefe, S.   337.   g  〈berichten〉   2  Es handelt sich um die Korrekturen für die Druckfassung seiner Habilitationsschrift; vgl. Weber, Römische Agrargeschichte (MWG I/2). 3  Ein Brief Max Webers an den Agrarhistoriker August Meitzen ist nicht nachgewiesen. 4  Max Weber hatte seinen Bruder Alfred um Hilfe bei der Überarbeitung seiner Habilitationsschrift gebeten; vgl. den Brief an Helene Weber vom 17. Juni 1891, oben, S.  244 f. Um welche Pandektenstellen es sich handelt, ist nicht zu ermitteln. 5  Ähnlich äußert sich Max Weber dann in der Einleitung zur „Römischen Agrargeschichte“. Dort heißt es: „Nicht möglich war es, den Stoff der nachfolgenden Abhandlung in historischer Aufeinanderfolge zur Darstellung zu bringen.“ MWG I/2, S.  101.

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auch an Papa schreibe ich nächste Woche.6 Ich bin hier in den Offi­ ciersfamilien sehr freundlich aufgenommen, der Major7 ist ein wohlha­ bender und sehr gebildeter, für Egidy8 interessierter, politisch zur Na­ tionalzeitung haltender Mann. Dienstlich stand ich mich unter meinem ersten sehr tüchtigen Hauptmann9 vortrefflich, leider ist er beurlaubt und der,h zu welchem ich versetzt werde, geht demnächst um die Ma­ jorsecke10 und hat in Folge dessen keine Ruhe im Leibe. Die sonstigen Verhältnisse hier sind, sozial und wirtschaftlich, man kann auch sagen, gesellschaftlich betrachtet, weit interessanter als in ähnlich großen Or­ ten des Westens. Das Hineinspielen des Großgrundbesitzer-Elements führt zu ganz eigenartigen Gruppierungen der Gesellschaftsklassen. Dazu der nationale und confessionelle Gegensatz und [die] i Schwierig­ keit des Verhältnisses kleiner Garnisonen j [zum Zivil,] j z. B. zu den we­ sentlich das Deutschtum [vertretenden] k Gymnasiallehrern etc. Doch davon mündlich l [mehr. Ich habe viele Stunden lang korrigiert und fühle die Müdigkeit] l in den Augen. Es ist sehr heiß und um zu schla­ fen, muß ich mir wenigstens eine halbe „Bett-Schwere“11 kaufen. Herz­ lichste Grüße an Papa und Dich. Ich werde am 27ten voraussichtlich zurück sein. Correkturbogen also nächsten Tags. Dank im Voraus Dein Bruder Max

h  〈j〉  i  Blattstück abgerissen; der Text folgt Weber, Jugendbriefe, S.  337.   j–j Blattstück abgerissen; der Text folgt Weber, ebd.   k  Blattstück abgerissen; der Text folgt Weber, ebd.   l–l  Blattstück abgerissen; der Text folgt Weber, ebd.   6  Vgl. den folgenden Brief an Helene Weber vom 6. und 8. Juli 1891, unten, S.  249–252; ein Brief an Max Weber sen. ist aus dieser Zeit nicht nachgewiesen. 7  Der Name des Majors konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war. 8  Der Offizier Moritz von Egidy war wegen der kirchenkritischen Broschüre „Ernste Gedanken“ (Leipzig: Wigand 1890) aus dem Militärdienst entlassen worden und wurde geheimdienstlich observiert. 9  Vgl. oben, S.  241, Anm.  4. 10  Bezeichnung für die Phase der Offizierslaufbahn, die vor der Beförderung vom Hauptmann zum Major lag und oft nur von Adeligen gemeistert werden konnte. 11  Anspielung auf einen der Nachtruhe vorhergehenden Alkoholgenuß.

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Helene Weber 6. und 8. Juli 1891; Schrimm Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 151–153 Max Weber nahm vom 2. Juni bis 27. Juli 1891 an einer Militärübung des 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47 in Schrimm bei Posen teil. Helene Weber mit Familie war unterdessen nach Heidelberg gereist.

Schrimm No 287 d. 6. VII. 91. Liebe Mutter! 5

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Ich hatte gehofft, noch ehe Du nach Heidelberg abfährst, von mir hö­ ren lassen zu können, spätestens aber gestern zu einem Briefe zu kom­ men. Indessen gestern war erst Kirchgang, der greulichste Militär­ dienst, den es giebt, dann mußte ich eine Partie der Garnison nach Santomischel, mit Damen, mitmachen –, ebenfalls Dienst. Dadurch war der Sonntag verloren. An Wochentagen aber ist jetzt der Tag von früh bis spät so vollständig besetzt, daß es mich sehr große Mühe ko­ stete, meine Correcturen1 nicht gänzlich liegen zu lassen. Über Über­ anstrengung kann ich nicht klagen, auch während der Hitze nicht; ich leide nicht besonders darunter und der Dienst greift mich nicht sehr an. Aber die freie Zeit wurde in lauter kleine Fetzena zerstückelt durch den ewigen dazwischenliegenden Dienst, und in den Freistunden habe ich mich dann allerdings gründlich strapaziert mit Corrigieren, zumal ich sehr vieles zu ändern hatte. Letzteres ist auch der Grund, weshalb ich Meitzen und Alfred keine Bogen schickte, 2 ich konnte die vielen Correkturen nicht noch zweimal abschreiben. Deshalb kam ich auch nicht zum Briefschreiben und muß Dir nun meine Grüße gleich nach Heidelberg schicken, wo Ihr nun hoffentlich wohlbehalten angelangt sein werdet. – Mir geht es gut, der Dienst ist ja nichts Angenehmes, aber er bekommt mir nicht schlecht und die sonstigen Verhältnisse hier a  〈zu〉   1  Es handelt sich um die Korrekturen für die Druckfassung seiner Habilitationsschrift; vgl. Weber, Römische Agrargeschichte (MWG I/2). 2  Der Agrarhistoriker August Meitzen hatte Max Weber zum Thema seiner Habilitationsschrift angeregt und die Arbeit mit betreut; vgl. den Brief an Hermann Baumgarten vom 31. Dez. 1889, oben, S.  211. – Eine Sendung mit Korrekturbögen für seinen Bruder Alfred kündigt Max Weber bereits im Brief an Helene Weber vom 17. Juni 1891, oben, S.  245, an.

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sind recht befriedigende. Ich war in einigen sehr netten Offiziersfami­ lien hier eingeladen, so kürzlich bei dem Stabsarzt,3 der eine sehr lie­ benswürdige Thüringerin zur Frau hat [,] und bei dem Major, der so­ wohl selbst wie seine Frau sehr einfache und feingebildete Leute sind.4 Die Rede kam auf mancherlei, so auch auf Egidy5 und man konnte wieder sehen, welch eigentümliche Sympathien die Denkweise dieses Mannes in Militärkreisen findet, – nicht zu deren Schande, scheint mir. Daß nichts daraus werden würde, darüber war man einig, schrieb dies aber Dem zu, daß der Kaiser6 die Sache nicht unterstützte. Würde er dies thun, oder würde auch nur sonst das nötige Geld für die ersten äußeren Einrichtungen zusammengebracht, so, meinte man, könnte et­ was daraus werden. Allerdings sei es ja für „das Volk“ schwierig, wenn die Religion sich so in eine „Morallehre“ verwandele, aber mit der Zeit werde sich das schon finden etc. Der Abend war nach dieser und ande­ ren Richtungen nicht uninteressant, – wir waren nur zu 4 Offizieren eingeladen, – und behaglicher, als man sich gemeinhin den Verkehr in Offiziersfamilien vorstellt. Mein erster, jetzt leider beurlaubter Haupt­ mann7 war der |:mir:| sympathischste der hiesigen Offiziere, ein sehr tüchtiger, derber, aber feinfühliger Mann, mit dem ich mich ausge­ zeichnet vertragen habe. Wir haben ein Rendez-vous in Berlin für Ende des Monats verabredet. Mein jetziger Chef ist ein sehr wohlwol­ lender, nur etwas ängstlicher Mann,8 der den ganzen Tag von früh bis spät mit der Compagnie herummurkst und die Leute dadurch zur Ver­ zweiflung bringt. – Ich werde an einem der nächsten Sonntage einmal nach Brunow fah­ ren, einer Einladung von Purgold’s Eltern folgend.9 An Nollau’s werde ich auch schreiben,10 ob es bei den erbärmlichen Verbindungen 3  Es könnte sich um den Regimentsarzt Dr. Carl Uhl handeln, der den Rang eines Oberstabsarztes hatte; vgl. Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr.  47, S.  392, Nr.  34. Der Name seiner im folgenden genannten Frau konnte nicht ermittelt werden. 4  Der Name des Majors (und damit auch der seiner Frau) konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war. 5  Der Offizier Moritz von Egidy war wegen der kirchenkritischen Broschüre „Ernste Gedanken“ (Leipzig: Wigand 1890) aus dem Militärdienst entlassen worden und wurde geheimdienstlich observiert. 6  Kaiser Wilhelm II. 7  Der Name konnte nicht ermittelt werden, vgl. oben, Anm.  4. 8  Wie Anm.  7. 9  Wilhelm Purgolds Vater Eduard, verheiratet mit Ida Purgold, besaß das Rittergut Brunow im damaligen Kreis Pleschen. 10  Im Haus von Otto Nollau, des Landrats von Gnesen, hatte Max Weber während seines

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dorthin mir möglich sein wird sie aufzusuchen, weiß ich nicht. Auf 27ten habe ich mich bei Simson11 angesagt und muß also direkt zurück­ reisen. – Von Höniger12 aus Posen habe ich jetzt gute Nachrichten, zu­ erst schrieb er, daß ihn derb Dienst stark anstrenge und er sich die Füße entzweigelaufen habe. den 8. VII. Vorgestern blieb der Brief doch wieder liegen, weil mir die Augen vom vielen Corrigieren müde wurden. Gestern hatte ich eine gewaltige Felddienstübung in ca 11/ 2 Meilen Entfernung von hier und ebenso den ganzen Nachmittag besetzt. Unter den Gegenständen meiner Thätig­ keit befanden sich in den letzten beiden Tagen u. a.: 1 Stunde (!) Unter­ richt in „vaterländischer Geschichte“ und 1 Stunde (!) Unterricht über das K. K. Haus.13 Es ist ein Elend, daß die 6 Prinzen14 noch nicht ver­ heirathet sind, dann würde die Durchnahme ihrer 6 Frauen dochc so viel Stoff bieten, daß man damit 1 Stunde annähernd so gut wie mit „vaterländischer Geschichte“ ausfüllen könnte. – Nun werdet Ihr in Heidelberg schon behaglich eingerichtet sein und hoffentlich alles wohlauf gefunden haben. Die Idee mit der Feier im dortigen Haus scheint mir auch außerordentlich ansprechend. Bitte schreib mir doch den genauen Tag, damit ich telegraphieren kann.15 Wann hat denn Gussyd16 Berlin verlassen? Mit Euch zusammen? Gehst Du nach Straßburg und wann? – Ich will nun machen, daß der Brief fortkommt, sonst wird die Pause in meinem Lebenszeichen noch län­ ger. b  〈Dienst〉  c  〈ungefä〉  d  〈[??]〉   vorausgegangenen Militärdienstes im Sommer 1888 verkehrt. Dessen Frau Johanna war eine Freundin von Helene Weber. Der angekündigte Brief ist nicht nachgewiesen. 11  Max Weber wollte für August von Simson, in dessen Rechtsanwaltskanzlei er einen Teil seines Referendariats absolviert hatte, eine Vertretung übernehmen; vgl. den Brief an Helene Weber vom 17. Juni 1891, oben, S.  245. 12  Robert Hoeniger war ebenfalls Reserveoffizier beim 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47; vgl. Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr.  47, S.  411, sowie Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für 1891, S.  528. 13  Gemeint ist das in Preußen und im Deutschen Reich regierende Haus Hohenzollern. 14 Die zwischen 1882 und 1890 geborenen Söhne Kaiser Wilhelms II.: Wilhelm, Eitel Friedrich, Adalbert, August Wilhelm, Oskar und Joachim. 15  Ein Telegramm an Emilie (Nixel) und Ernst Wilhelm Benecke zu deren silberner Hochzeit am 25. Juli 1891 (vgl. auch den Brief an Clara Weber vom 16. Juli 1891, unten, S.  253 mit Anm.  1) ist nicht nachgewiesen. 16  Max Webers Cousine Auguste (Gussy) Benecke.

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Herzlichste Grüße an alle Geschwister, Tante17 und die ganze Ver­ wandtschaft und Dich selbst von Deinem Sohn Max

17  Henriette Hausrath, Helene Webers Schwester.

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Clara Weber 16. Juli 1891; Schrimm Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  3 Der Brief ist in Form eines Lückentextes verfaßt: Striche in unterschiedlicher Anzahl markieren die Stellen, die Clara Weber ergänzen sollte. Zu diesem Brief gehört vermutlich eine eigenhändige Zeichnung Max Webers (ebd., Bl. 56), die ihn selbst in Militäruniform zeigt, mit dem eigenhändigen Nachsatz:

Befinden und Beschäftigung Schrimm 16. VII 6 Uhr Vm – 7 Uhr Nachm. Schrimm No 287 d. 16. VII. 91

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Liebe Clara!

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Schon längst wollte ich _ _ _ _ ____ bist übrigens doch _ _ _ _ _ _ Faultier. _ _ _ _ _ einen Brief von Dir _ _ _ sonst _ _ _ _ _ gar nichts mehr von Dir wissen _ _ _ _ Jetzt muß ich aber wirklich schließen _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Mit _ _ _ _ Grüßen Dein Bruder Max Wann ist die silberne Hochzeit? damit ich telegraphieren kann!1

1 Ein Telegramm an Emilie (Nixel) und Ernst Wilhelm Benecke, die am 25. Juli 1891 in Heidelberg ihre silberne Hochzeit feierten, ist nicht nachgewiesen.

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Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin 22. Oktober 1891; Charlottenburg Brief; eigenhändig UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 144, Bl. 187–187a Mit diesem Brief an die Juristische Fakultät leitete Max Weber den formalen Akt der Habilitation an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin ein, der auch im Zentrum der beiden Briefe an den Dekan der Juristischen Fakultät, Josef Kohler, vom 18. Dezember 1891 und 12. Januar 1892 steht, unten, S.  257 und 258. Am 30. Mai 1889 hatte Max Weber gegenüber seinem Onkel Hermann Baumgarten (oben, S.  187 f.) erstmals von der Absicht gesprochen, sich u. a. mit einer Arbeit über die römische Agrargeschichte habilitieren zu wollen. Nachdem die Habilitationsschrift (Weber, Max, Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht. – Stuttgart: Ferdinand Enke 1891; MWG I/2) gedruckt vorlag, konnte Max Weber die anstehenden Formalitäten einleiten, um sich für Handelsrecht sowie Römisches Recht zu habilitieren. Nachdem er die notwendigen Urkunden und Unterlagen bei der Juristischen Fakultät eingereicht hatte, wurde in der Fakultätssitzung am 10. November 1891 über seinen Antrag beraten. Max Weber hatte als Habilitationsschriften die gedruckte Langfassung der „Geschichte der Handelsgesellschaften“ und die „Römische Agrargeschichte“ ein­ gereicht sowie das als Dissertation anerkannte 3. Kapitel der „Geschichte der Handelsgesellschaften“ (Weber, Entwickelung des Solidarhaftprinzips). Strittig war das Verhältnis der Langfassung der „Geschichte der Handelsgesellschaften“, deren Manuskript Weber bereits als Dissertation eingereicht hatte, zu der im engeren Sinn anerkannten Doktordissertation des Teildrucks (vgl. hierzu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Februar 1889, oben, S.  181 f.). Die Majorität entschied in der Sitzung, die Langfassung als Habilitationsschrift zuzulassen. Für die eingereichte „Römische Agrargeschichte“ wurden Ernst Eck und Alfred Pernice als Gutachter bestimmt, für die „Handelsgesellschaften“ fertigten Otto Gierke und Levin Goldschmidt Gutachten an (abgedruckt in: MWG I/1, S.  101–105); bis zum 18. Dezember lagen die vier Expertisen vor. Unmittelbar im Anschluß daran reichte Max Weber am 18. Dezember fünf Vorschläge für seine Probevorlesung ein, von denen ihm am 24. Dezember der letzte zugewiesen wurde: „Die Gewerbe-Gesellschaft ohne Firma in jetzigem Recht“. Den Vortrag hielt Weber am 19. Januar 1892 in der Wohnung des Dekans Josef Kohler. Als letzter Teil des Verfahrens stand die öffentliche Antrittsvorlesung an, für die Weber am 12. Januar 1892 zwei römischrechtliche Themen vorschlug (neben den bereits für die Probevorlesung genannten Themen, die er als Alternativen anbot). Die Fakultät entschied sich für „Die Wandlung des ländlichen Arbeitsmarkts in der römischen Kaiserzeit“ und setzte den 1. Februar als Termin fest; öffentlich angekündigt wurde die Vorlesung unter dem Titel „Die Wandlung in der Rechtslage der ländlichen Arbeiter in der römischen Kaiserzeit“. Mit Abhaltung dieser Vorlesung war das Habilitationsverfahren abgeschlossen, worüber Max Weber am 5. Februar amtlich in Kenntnis gesetzt wurde. Vgl. für die ausführlichen Nachweise zum Habilitationsverfahren den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  109–138, hier S.  122–126, sowie MWS I/2, S.  194–196 (die Universitätsakten waren bei Publikation von MWG I/2 noch nicht zugänglich). Am Rande des Gesuchs finden sich Marginalien von dritter Hand, die hier nicht nachgewiesen werden.

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Gesuch des Gerichtsassessors Dr jur. Max Weber um Zulassung zur Habilitation

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Der Hohen Juristischen Fakultät der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin beehre ich mich anliegend zu überreichen: 1. mein Reifezeugnis 2. Zeugnisse der Universitäten Heidelberg, Straßburg, Berlin und Göttingen 3. mein Doktordiplom in Ausfertigung 4. mein Patent als Reserveoffizier 5. meine Bestallung als Gerichts-Assessor zum Nachweise, daß ich auf Grund des Reifezeugnisses eines deut­ schen Gymnasiums drei Jahre auf deutschen Universitäten Jurispru­ denz studirt und diese Zeit angemessen verwendet habe, sowie daß seit Ablauf des akademischen Trienniums1 über drei Jahre vergangen sind, daß ich ferner meiner Militärpflicht genügt habe2 und von der Univer­ sität Berlin zum Doctor juris promoviert bin.3 – Ich beantrage nunmehr meine Zulassung zur Habilitation als Privat­ dozent bei der hohen Fakultät für die Fächer 1) des Handelsrechtes 2) des Römischen (Staats- und Privat-) Rechtes, – und überreiche demgemäß ferner: ein Curriculum vitae,4 während ich gleichzeitig je 10 Exemplare folgender Schriften 1. Zur Geschichte der Handels-Gesellschaften. Nach südeuro­ päischen Quellen. (Stuttgart bei Enke 1889), 5

1  Gemäß den Statuten der Juristischen Fakultät der Universität Berlin mußte ein Jurastudent während dreier Jahre nach dem Abitur ein Rechtsstudium an einer in- oder ausländischen Universität absolviert haben. Vgl. die Nachweise im Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  115, Anm.  29. 2 Max Weber hatte seinen Dienst als Einjährig-Freiwilliger vom 1. Oktober 1883 bis 30. September 1884 abgeleistet. 3  Zu Max Webers Promotion vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Ernst Eck vom 15. Febr. 1889, oben, S.  181 f. Die Dissertationsurkunde trägt das Datum 1. August 1889 (Abb. in: MWG I/1, S.  98 f.). 4  Weber, Lebenslauf 3, MWG I/1, S.  348–357. 5  Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  127–340.

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2. Die Römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staatsund Privatrecht (Stuttgart bei Enke 1891) 6 überreiche. – Von erstgenannter Schrift ist das 3te Kapitel als Doctor-Dissertation benutzt und gedruckt worden.7 Ich überreiche zum Nachweise dessen ein Exemplar meiner gedruckten Doctordissertation. – Ich beantrage demgemäß ehrerbietigst, die Hohe Fakultät wolle in die Prüfung der überreichten Schriften geneigtest eintreten und demnächst das Weitere behufs meiner Zulas­ sung zur Habilitation, sofern die vorgelegten Arbeiten als genügend befunden werden, veranlassen.

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Charlottenburg, Leibnizstraße 19 den 22 [.] October 1891 Ehrerbietigst Dr Max Weber Gerichtsassessor An die Juristische Fakultät der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin

6  Weber, Römische Agrargeschichte (MWG I/2). 7  Weber, Entwickelung des Solidarhaftprinzips, MWG I/1, S.  139 und 190–253 (A).

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18. Dezember 1891

Josef Kohler 18. Dezember 1891; Charlottenburg Brief; eigenhändig UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 144, Bl. 188a Zur Habilitation Max Webers vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Oktober 1891, oben, S.  254.

Charlottenburg 18. XII. 91 Hochgeehrter Herr Professor!

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Ich gestatte mir Ihrer gütigen Aufforderung nachkommend folgende Themata vorzuschlagen: 1) Praepositio institoria und Hausgemeinschaft in der Geschichte der offenen Handelsgesellschaft (Besprechung von Goldschmidt, Han­ delsrecht I S.  271ff)1 2) Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen possessio und Vindi­ cationsproceß und die Geschichte des römischen Grundeigentumsbe­ griffs. 3) Privat- und Verwaltungsrecht im römischen Societätsrecht. 4) Der Gesetzentwurf betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftpflicht. 5) Die Gewerbe-Gesellschaft ohne Firma in jetzigem Recht. Es ist mir für jetzt nicht geglückt, geeignetere Vorschläge zu finden, bei welchen in höherem Grade gleichzeitig Handelsrecht und Rö­ misches Recht vereinigt erörtert werden müßten und würde ich even­ tuell über ein anderweites von der Fakultät gestelltes Thema zu spre­ chena bereit sein. Ich erlaube mir, mich zu empfehlen als Ihr hochachtungsvoll ganz ergebenster Dr. Max Weber a O: Sprechen  

1  Goldschmidt, Levin, Handbuch des Handelsrechts, 1.  Band, 1. Abtheilung, enthaltend die geschichtlich-literärische Einleitung und die Grundlehren. – Erlangen: Ferdinand Enke 1864. Eine aktualisierte Auflage erschien unter dem Titel: Universalgeschichte des Handelsrechts, 1. Lieferung (Handbuch des Handelsrechts, 3. völlig neu umgearbeitete Aufl., 1.  Band: Geschichtlich-literärische Einleitung und die Grundlehren, 1. Abtheilung: Universalgeschichte des Handelsrechts, 1. Lieferung). – Stuttgart: Ferdinand Enke 1891. Weber bezieht sich auf diese umgearbeitete Auflage; die angeführten Seiten 271–290 befassen sich mit der „offenen (Collectiv-)Gesellschaft“ und gehen intensiv auf Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  109–340, ein.

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12. Januar 1892

Josef Kohler 12. Januar 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 144, Bl.  206 Zur Habilitation Max Webers vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Oktober 1891, oben, S.  254.

Charlottenburg 12. 1. 92 Hochgeehrter Herr Professor! Ich werde mich zum Termin am 19ten cr. (Dienstag) h. 6 pünktlich ein­ finden. – Für die öffentliche Vorlesung möchte ich mir erlauben vorzuschla­ gen: 1. Die Rechtsformen der gewerblichen Unternehmungen im rö­ mischen Altertum, – 2. Die Wandlung des ländlichen Arbeitsmarkts in der römischen Kaiserzeit, – ferner, falls dies zulässig sein sollte, die zur Probe-Vorlesung von mir vorgeschlagenen Themata.1 Sollten noch weitere Vorschläge erforder­ lich sein, so würde ich mir gestatten, solche noch nachzubringen. Hochachtungsvoll und ganz ergebenst Dr Max Weber

1  Vgl. dazu den Brief Max Webers an Josef Kohler vom 18. Dez. 1891, oben, S.  257.

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Theodor Mommsen 10. Februar 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. Theodor Mommsen, Kasten 126

Charlottenburg 10. 2. 92 Hochverehrter Herr Professor!

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Ich erhielt gestern die freundliche Zusendung Ihrer Abhandlung über das römische Bodenrecht im Hermes.1 Da ich sie zwar natürlich sofort gelesen, aber noch nicht so eingehend studirt habe, um den ganzen Umfang der reichen Belehrung, welchen ich daraus schöpfen werde und namentlich der voraussichtlich sehr wesentlichen Correkturen, welche meine eignen Meinungen über die erörterten Dinge |:dadurch erfahren,:| vollständig übersehen zu können und kann deshalb für jetzt nur für die so freundliche Form Ihrer Kritik, in welcher ich ein erneu­ tes Zeichen Ihres freundlichen und mich ehrenden Wohlwollens er­ blicken darf, aufrichtigsten Danka sagen. – In sachlicher Beziehung würde es mir ja allerdings eine gewisse Enttäuschung sein, wenn ich mich überführt sehen müßte, „Herrn Commerzienrath Meyer“2 für eine wichtige Staatsperson angesehen zu haben. – Mit den besten Empfehlungen, auch seitens meiner Eltern, verbleibe ich in hochachtungsvoller Ergebenheit Ihr r D Max Weber a  In O folgt: zu   1  Mommsen, Theodor, Zum römischen Bodenrecht, in: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie, Band 27, Heft 1, 1892, S.  79–117. 2  Weber greift hier eine ironische Kritik Mommsens an der von diesem intensiv rezipierten „Römischen Agrargeschichte“ auf. Hier geht es um einen Dissens über die Frage, ob es neben einer formalen Differenz zwischen Kolonie und Municipium auch eine praktische gegeben habe. Mommsen zitiert zunächst eine Passage von Weber, die sich auf Aulus Gellius bezieht: „[…] das Vorhandensein einer praktischen Bedeutung für die Zeit Hadrians [ergibt sich] aus Gellius […], und endlich wissen wir, daß Praeneste unter Tiberius um Rücküberführung aus der Kolonialqualität in die munizipale bat, was gleichfalls einen praktischen Grund gehabt haben muß.“ (MWG I/2, S.  156). Dazu heißt es dann von Mommsen: „Muß? hat Herr Meyer, wenn er Herr Commerzienrath Meyer zu werden wünscht, auch praktische Gründe?“ Vgl. Mommsen, Bodenrecht (wie oben, Anm.  1), S.  110.

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Emmy Baumgarten 18. Februar 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 18. 2. 92 Liebe Emmy! Es ist wieder einmal eine recht lange Zeit verflossen, seit ich Dich nichts von mir habe hören lassen und dadurch auch, zu meiner ge­ rechten Strafe, nichts von Dir – wenigstens direct – gehört habe. Heut aber möchte ich Dir doch einen recht herzlichen Geburtstagsgruß schicken,1 zwar auch schon zu spät, um rechtzeitig zu Deinem Wiegen­ fest einzutreffen, aber ich möchte Dir doch unsre und speciell meine herzlichsten Wünsche für dies neue Lebensjahr, deren Inhalt Du ja kennst, nicht nur in Gedanken senden. Es hat uns recht betrübt zu hö­ ren, daß die abscheuliche moderne Krankheit, deren höchst lästigen Druck auf die Gesammtstimmung ich bei einem kürzlichen wenngleich ganz vorübergehenden Anfall gleichfalls unangenehm zu kosten hatte, Dich auch nicht verschont hat und unser sehnlichstes Wünschen und Hof­fena geht dahin, Dich recht bald wieder ganz hergestellt zu sehen und zu wissen, daß Du mit uns freien und frohen Auges in die vielge­ staltige Welt um uns schaust. Freilich – wann es mir endlich einmal wieder vergönnt sein wird, unter Euch zu weilen – es ist jetzt grade fast ein halbes Jahrzehnt her, daßb es zum letzten Male geschah [,] 2 und ich habe mir damals wohl gesagt, daß es ein Abschied auf recht lange Zeit werden würde –, das kann ich noch immer nicht absehen. Vielleicht mache ich es im Spätherbst, ehe das Wintersemester anfängt, einmal möglich. Du weißt ja, daß ich nun endlich nach fast unerträglich lang­ wierigen Vorstadien insofern zu einem gewissen Abschluß gelangt bin, als ich im nächsten Semester hier Vorlesungen halten darf und die Si­ cherheit habe, nun endlich mein voraussichtlich letztes Examen auf dieser Erde absolviert zu haben. 3 Nur mit Grausen kann ich auf einen a O: Hoffen,  b  〈ich〉   1  Emmy Baumgarten feierte am 18. Februar ihren 27. Geburtstag. 2  Max Weber war zuletzt Anfang 1887 in Straßburg gewesen und hatte dort an einer Militärübung teilgenommen. 3 Max Webers Habilitationsverfahren war mit einer öffentlichen Antrittsvorlesung am

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großen Teil der Referendars-Jahre zurückblicken, es giebt kaum etwas peinlicheres, als Jahre lang nur mit der halben Arbeitskraft oder mit noch weniger in Anspruch genommen zu sein und dabei doch immer­ hin der Zeit nach so, daß man eine anhaltende eingehende anderweite Beschäftigung daneben nicht ergreifen kann, – und daran nichts än­ dern, namentlich diese vierjährige Wüstenpilgerfahrt durch energi­ schere Thätigkeit um keine Minute abkürzen zu können. Man hat da­ bei selbst das Gefühl, wie mit Bleigewichten heruntergezogen zu wer­ den auf das Ruhebett geistiger Bedürfnislosigkeit und Bequemlichkeit; wenn ich mich recht erinnere, habe ich auch Dir wiederholt in der ei­ nen oder andren Weise geklagt, ich habe damals wirklich jeden Hand­ arbeiter um sein ehrlich erworbenes Brot beneidet, so sehr mir mein Verstand sagte, daß ich den Millionen |:gegenüber:|, welche den Begriff des „Berufs“ gar nicht kennen, unendlich bevorzugt sei. Jetzt ist wenig­ stens dieser widerwärtige Übergangszustand überwunden, wennschon es noch recht lange dauern kann, bis ich irgendwo in den Sattel gelange. Ein eigentlicher Gelehrter – das habe ich Deinem Vater auf seine so unendlich freundlichen und häufigen Ratschläge immer entgegenge­ halten, – bin ich nun einmal nicht; wissenschaftliche Thätigkeit ist für mich zu fest mit dem Begriff einer Ausfüllung der Mußestunden ver­ knüpft, so sehr ich einsehe, daß die Teilung der Arbeit es mit sich bringt, daß man sie erfolgreich nur bei Hingabe der ganzen Persönlich­ keit betreiben kann. – Ich hoffe, daß mir die pädagogische Seite des Docenten-Berufs das mir unentbehrliche Gefühl, praktisch thätig zu sein, geben wird, kann aber noch nicht übersehen, ob ich grade für diese Seite der Sache irgend veranlagt bin und bin in dieser Beziehung auch vorläufig doch erst ein Anfänger, der beginnen muß Erfahrungen zu machen. – Nun habe ich fast vier Seiten nur von mir gesprochen, indessen Du hast mich früher so oft mit Deinem freundschaftlichen Interesse an diesen im Grunde wirklich eigentlich unberechtigten Schmerzen er­ freut und in der langen Zeit, die ich Euch nicht gesehen habe, ist es mir doch oft ein wohlthuender Gedanke gewesen, Eurer und speciell Dei­ ner Freundschaft, auch aus der Ferne, sicher sein zu können.

1. Februar 1892 abgeschlossen worden; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, oben, S.  254.

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Meine Mutter hat Dir wohl von hier erzählt. Alfred steht nun ziem­ lich unmittelbar vor dem Examen,4 er nimmt es, seiner Natur gemäß, sehr, fast glaube ich zu schwer und gewissenhaft damit. Karl wird hof­ fentlich im Herbst endlich die Schule absolvieren und bei seiner Natur halte ich es für möglich, daß er, vor neue Aufgaben gestellt, die vielen Gaben, die in ihm an und für sich liegen, endlich voll zur Entfaltung bringt. Mein ältestes Schwesterchen steht nun vor dem wichtigsten Mo­ ment, die Schule zu verlassen und soll zunächst einmal bei einer uns empfohlenen Försters-Familie im Hessischen die Hauswirtschaft ler­ nen.5 Sie geht mit vollen Segeln ins Leben hinaus, glücklicherweise un­ befangen wennschon mit mancherlei Ecken, die noch abgestoßen wer­ den müssen. Sie mag wohl deshalb mein Liebling sein, weil ich an ihr mancherlei Züge – nicht immer angenehme – wiedererkenne, die ich, soweit die ja stets besonders unvollkommene Selbsterkenntnis reicht, in der Erinnerung auch bei mir im gleichen Alter ausgeprägt finde. Un­ ser Kleinstes6 richtete neulich die inhaltschwere Frage an mich, „mit wie viel Jahren man ein Backfisch würde?“ Bei ihr hat es damit noch gute Weile. Sie hat noch immer ihren unbezähmbaren Wissensdrang, ich bin wirklich in Verlegenheit, woher ich jetzt Material für die all­ abendlichen Erzählungen an ihrem Bett nehmen soll, denn in der Weltgeschichte ist wahrhaftig gar zu wenig passiert. Mit Otto7 habe ich nun schon einige Wochen nicht correspondiert, d. h. diesmal bin ich in seiner Schuld und muß ihm schreiben. Er hat wieder das Dankbarste und Undankbarste an Arbeit auf sich liegen, unser gemeinschaftliches litterarisches Unternehmen8 geht, dank der Indolenz des Verlegers9 und weil es nicht als Parteisache auftritt, nicht vorwärts und er hat viel Ärger damit, ich habe ihm von hier aus schon seit einer ganzen Weile nicht mehr nützlich sein können, was mir auf­ richtig schmerzlich ist. In nächster Zeit werde ich kaum dazu kommen, einmal wieder einen Ferienausflug nach Jena zu machen, vielleicht aber im Lauf des Sommers. Ich denke nächstens auch einmal etwas für 4  Alfred Weber bestand das Erste Juristische Staatsexamen im August 1882. 5  Clara Weber hielt sich dazu von Mai bis Oktober 1892 bei der Familie von Clara und Ernst Rohnert im nordhessischen Altmorschen auf. 6  Die elfjährige Lili Weber. 7  Otto Baumgarten war Extraordinarius für Praktische Theologie in Jena. 8  Zu der von Otto Baumgarten herausgegebenen Reihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“ vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Karl Möller vom 21. Juli 1890, oben, S.  218. 9  Johannes Grunow hatte 1877 den Verlag seines Vaters Friedrich Wilhelm Grunow übernommen.

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seine „blauen Hefte“10 zu leisten. Seine bald nach dieser bald nach je­ ner Richtung hin geübten Samariterpflichten reißen auch nicht ab; jetzt ist er in Jena mit einem der begabtesten, – vielmehr dem begabtesten, – aber auch der Gemüts- und Geistes-Anlage nach unglücklichsten meiner Freunde,11 den übrigens Deine Mutter12 damals bei uns sah, zusammen [,] und wie ich glaube, der einzige lichte Punkt in dessen we­ nig trostreicher Existenz. – Wir haben jetzt auch wieder regelmäßigen Verkehr junger Mädchen bei uns, nicht nur Claras Freundinnen, sondern auch ein junges Mäd­ chen aus Schwerin, die sich hierc im Gesang ausbildet.13 Da giebts mancherlei Schwierigkeiten, wie Du Dir denken kannst; die Großstadt wirkt zersetzend auf die altgewohnten Vorstellungskreise und da fragt ein solches junges Ding sehr bald und oft zum ersten Mal sich selbst, was denn eigentlich ihr Beruf sei? und ob sie einen habe? und wozu sie eigentlich lebe? etc. Ich sehe dabei wieder recht, wie unendlich viel leichter die Natur uns Männern das Leben gestaltet hat. Selbst in dem unbefriedigendsten Beruf sehen wir doch den äußeren Erfolg unsresd Thuns und Lebens. Eine Frau aber, sei es als Mutter, Tochter oder Schwester, sieht nichts von Dem, was ihr Dasein thatsächlich für andre bedeutet, ja, es muß ihr oft erscheinen, als bedeute sie andren nichts als eine Last und Sorge mehr, denn es läßt sich eben nicht äußerlich zur Darstellung bringen, welch gewaltige innere Bereicherung es allein schon gewährt, Jemanden zu haben, der unsre Fürsorge unbefangen entgegennimmt |:als etwas Selbstverständliches:| und dadurch zeigt, daß er zu uns zu gehören das Gefühl hat. – Aber wir haben nun einmal das Bedürfnis, auch äußerlich Zeichen dafür zu finden und grade in diesen äußerlichen Beziehungen sind wir Männer von der Natur unge­ recht bevorzugt; freilich ist der Vorzug durch größere innere Armuth erkauft. – Du erinnerst Dich, daße wir in Waldkirch einmal von Ähn­ lichem sprachen? c  〈als〉  d  des > unsres  e O: das   10  Zu einem Beitrag von Max Weber in den „Evangelisch-sozialen Zeitfragen“ (eingestellt 1894) ist es nicht gekommen. 11  Möglicherweise handelt es sich um Wilhelm Purgold, der 1897 in der Privatanstalt für Nerven- und Gemütskranke Dr. Scholinus in Pankow verstarb. Ob er sich zu dem Zeitpunkt in Jena aufhielt, ist wegen des Totalverlustes der Meldekartei der Stadt Jena nicht überprüfbar. 12  Ida Baumgarten. 13  Käthe Schmidt.

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18. Februar 1892

Das Papier ist zu Ende, der Brief soll fort [.] Ich schreibe dem On­ kel,14 dem ich herzlich für seinen lieben Brief danke, in wenigen Tagen. Sei herzlich gegrüßt und laß Dir es im neuen Jahr recht wohl gehen. Dein Vetter Max

14  Es handelt sich vermutlich um den Brief an Hermann Baumgarten vom 28. April 1892, unten, S.  265–269, in dem Max Weber sich für die Glückwünsche zu seiner am 1. Februar 1892 abgeschlossenen Habilitation (vgl. oben, S.  260 f., Anm.  3) bedankt.

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Hermann Baumgarten 28. April 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  59–62

Charlottenburg 28. IV. 92 Lieber Onkel!

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Auch diesmal wieder hat es ungebührlich lange gedauert, bis ich auf Deine freundlichen Glückwünsche zur Habilitation1 ein Lebenszei­ chen von mir gebe, und leider kommt dieser Brief auch zu spät zu Dei­ nem Geburtstage, zu welchem ich der Tante und Dir die herzlichsten Glückwünsche senden wollte.2 Hoffentlich bringt das neue Lebensjahr Euch ein weiteres entschiedenes Aufwärtsgehen in all den Verhältnis­ sen, die jetzt den Gegenstand Eurer Sorge bilden. Was Otto3 erzählte, klang ja, was namentlich Emmy’s4 Befinden angeht, für die Gegenwart noch ziemlich trübe, aber doch für die weitere Entwicklung recht hoff­ nungsvoll, und namentlich freute uns auch, zu hören, was Du ja auch schon schriebst, daß Du selbst den Winter so wohl und in unbeeinträch­ tigter Arbeitskraft hingebracht hast. Der Grund meines langen Schwei­ gens war, daß ich für die letztvergangene Zeit unter den Nachwirkungen einer Überschätzung meiner Arbeitsfähigkeit zu leiden hatte. Ich habe ein Privatcolleg, ein Publicum und |:(aucha privatim):| Übungen ange­ kündigt und inzwischen zu halten begonnen (in bden Übungenb 16, im Privatcolleg 3! Zuhörer) [.] 5 Daneben habe ich eine Beteiligung an einer a  Alternative Lesung: noch  b–b  Letzteren > den Übungen   1  Max Weber hatte seine Habilitation in Handelsrecht und Römischem Recht am 1. Februar 1892 mit der öffentlichen Antrittsvorlesung formal abgeschlossen; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Okt. 1891, oben, S.  254. 2  Hermann Baumgarten und seine Frau Ida feierten am 28. April bzw. 29. April Geburtstag. 3  Otto Baumgarten. 4  Emmy Baumgarten. 5 Max Weber hielt im Sommersemester 1892 zunächst drei Lehrveranstaltungen: das zweistündige Privatkolleg „Römisches Sachenrecht auf historischer und wirthschaftlicher Grundlage“, ein einstündiges öffentliches „Exegeticum zur Einführung in die römischen Rechtsquellen“ sowie ein zweistündiges „Handelsrechtsprakticum“ (wiederum privatim). Im Mai übernahm er in Vertretung des schwer erkrankten Levin Goldschmidt zusätzlich dessen vermutlich einstündige öffentliche Vorlesung über „Versicherungsrecht“; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1892, S.  3 –5, ferner die Übersicht über Max Webers

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28. April 1892

Enquête des Vereins für Sozialpolitik übernommen: die Verhältnisse der Landarbeiter im Osten.6 Endlich war ich in Vertretung eines Rechtsanwalts beim Kammergericht täglich von 9 Uhr bis Abends ge­ gen 7 teils auf dem Gericht, teils im Büreau [,] thätig.7 Alles zusammen gab mir das an sich sehr wohltuende Gefühl, in der That „bis über die Ohren“ zu thun zu haben. Daneben liefen noch einige Rezensionsver­ pflichtungen8 und mit gleicher Post sende ich Dir einen in usum pasto­ rum verfaßten Artikel für das Blatt meines Freundes Göhre,9 der viel­ leicht Euer Interesse erweckt. Jetzt mache ich nun meine ersten Erfah­ rungen als Dozent und muß doch sagen, daß die laufende Arbeit der Vorbereitung von einer Stunde bis zur andren doch eine viel erheb­ lichere ist als ich mir vorgestellt hatte. Ich glaube, daß namentlich die Übungen mir mit der Zeit viel Befriedigung und Freude gewähren wer­ den, das Colleg, welches ich nur angezeigt hatte, weil ich die Materie im Sommer ohnehin durcharbeiten muß, werde ich wohl in ein Conversa­ torium10 verwandeln. Daneben muß ich mich nun auf einen Feldzug gegen meine schon erstandenen und noch erstehenden Kritiker rüsten, voran Mommsen, dessen sachlich sehr ablehnende, persönlich recht freundliche Auseinandersetzung mit meinem Buch im „Hermes“11 Veranlassung zu eingehender Opposition bietet. Der Sommer wird sich also, denke ich, ziemlich arbeitsreich gestalten, zumal ich auch Otto ein

Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53 mit Anm.  6, sowie den Brief an Clara Weber vom 21. Mai 1892, unten, S.  270 mit Anm.  2. 6  Vgl. Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3). 7 Wahrscheinlich handelt es sich wie schon im Sommer 1891 um die Vertretung des Rechtsanwalts August von Simson; vgl. die Briefe an Helene Weber vom 17. Juni sowie vom 6. und 8. Juli 1891, oben, S.  245 und 251. 8  Aus dieser Zeit sind keine Rezensionen von Max Weber nachgewiesen. 9  Mit der dreiteiligen Artikelserie Weber, „Privatenquêten“ über die Lage der Landarbeiter, MWG I/4, S.  71–105, deren erste Folge am 1. April 1892 in den „Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses“ erschienen war, wollte Max Weber – einen Vorschlag Paul Göhres, des Generalsekretärs des Evangelisch-sozialen Kongresses, aufgreifend und weiterentwickelnd – Geistliche zu entsprechenden Studien („Privatenquêten“) in ihren Gemeinden anregen. Er hoffte damit, der Einseitigkeit der Erhebung des Vereins für Socialpolitik (wie oben, Anm.  6) entgegenzuwirken. 10  Max Weber beabsichtigte, wegen der großen Arbeitsbelastung im Sommersemester 1892 (vgl. oben, S.  265 f., Anm.  5) die Vorlesung „Römisches Sachenrecht auf historischer und wirthschaftlicher Grundlage“ als eine Lehrveranstaltung mit Gesprächscharakter zu halten. 11 Mommsen, Theodor, Zum Römischen Bodenrecht, in: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie, Band 27, Heft 1, 1892, S.  79–117.

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„blaues Heft“ über die Landarbeiter und den Großgrundbesitz im Osten12 zugesagt habe. Seit Du schriebst, hat sich ja in der Welt mancherlei verändert. Der frühere Cultusminister13 war bei allem doch in sofern eine erfreuliche Erscheinung innerhalb des Ministeriums, als er, wie sein Rücktritt zeigt, im Gegensatz zu der Mehrzahl seiner Collegen Rückgrat besaß. Es ist eine Schande und ein Jammer, daß ein so hervorragender Mann in dieser Weise in einer absolut für ihn nicht passenden und von ihm nicht gewünschten Stellung verbraucht worden ist. Als landwirtschaft­ licher Minister hätte er möglicherweise eine Colonisationsepoche her­ aufführen können und jedenfalls seine Stelle anders ausgefüllt als die Null, welche jetzt dort steht.14 Nun muß man noch immer befürchten, daß als Äquivalent für die Rechte Herrfurth geopfert werden wird und damit die Energie in der Durchführung der Landgemeindeordnung er­ lahmt. Wenn allerdings, was für möglich gehalten wird, Eulenburg an seine Stelle träte, so würde dies nicht notwendig die Folge sein.15 Er und Thielen16 sind im Wesentlichen verläßliche Leute, allein es kommt doch Alles darauf an, was man von Miquèl und dessen Einfluß zu hal­ ten hat, und darüber ist sich wohl Niemand recht im Klaren. Sein Ver­ halten in der Volksschulgesetz-Angelegenheit17 war nach allgemeiner Ansicht seiner Parteigenossen ein unerhörtes. Da er irgend welches

12 Zu dem geplanten Beitrag in der von Otto Baumgarten herausgegebenen Reihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“ ist es nicht gekommen. 13  Robert Graf von Zedlitz-Trützschler hatte am 17. März 1892 mangels Unterstützung für den Entwurf eines neuen Schulgesetzes durch Kaiser Wilhelm II. seine Entlassung als preußischer Kultusminister eingereicht; vgl. Schulthess 1893, S.  75. Er war damit nach Gustav von Goßler (vgl. unten, S.  268, Anm.  18) bereits der zweite Kultusminister, der an der Schulreform scheiterte. 14  Wilhelm von Heyden-Cadow war 1890 bis 1894 preußischer Staatsminister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. 15  Ernst Ludwig Herrfurth zeichnete als Innenminister verantwortlich für die Durchführung der am 3. Juli 1891 erlassenen preußischen Landgemeindeordnung für die sechs östlichen Provinzen (vgl. Schulthess 1891, S.  73, 90–93). Am 9. August 1892 wurde er entlassen. An seiner Stelle wurde der preußische Ministerpräsident Botho Graf zu Eulenburg zugleich zum Minister des Innern ernannt; vgl. Schulthess 1891, S.  130. 16  Karl Thielen, preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten. 17  Der preußische Finanzminister Johannes Miquel stellte sich auch gegen die Schulreformvorlage des auf von Goßler folgenden Kultusministers Zedlitz-Trützschler, die eine Konfessionalisierung der Schulen vorsah. Miquel hatte am 21. Januar 1892 wegen der Ablehnung des Volksschulgesetz-Entwurfs sein Entlassungsgesuch eingereicht, war aber von Wilhelm II. zum Verbleib im Amt überzeugt worden; vgl. Schulthess 1891, S.  20 und 335.

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Herz für die Sache nicht hat und jedenfalls in diesen Dingen einer ent­ schiedenen Überzeugung sicherlich gänzlich bar ist, so beurteilte manc sein Benehmen nur vom Standpunkt der Klugheit aus und staunte über die unglaubliche Verkennung der Stimmung im Lande, – denn er scheint in der That eine wirklich tiefgehende Bewegung gegen das Ge­ setz nicht erwartet zu haben. Unter allen Umständen aber hat er ge­ zeigt, daß auf ihn kein Verlaß ist. Sein anfängliches Intriguenspiel ge­ gen Goßler18 und Herrfurth19 hat ihm wohl nicht die erwarteten Früch­ te eingebracht, er wird gesehen haben, daß an Stelle der selbständigen Persönlichkeiten, deren Beseitigung aus dem Ministerium er im eignen Interesse anstrebte, oft recht unbequemer Ersatz treten kann und daß namentlich die Herren von der äußersten Rechten unter allen Umstän­ den am längeren Hebelarm sitzen, wenn sie in das Ministerium gelan­ gen. Aber was soll mand überhaupt versuchen von unsrer Lage und unsren Aussichten zu sprechen, wo beide von einem absolut unbere­ chenbaren Faktor abhängen: der Person des Kaisers.20 In Bezug auf ihn aber gewinnen immer mehr die ungünstigsten Meinungen an Ter­ rain. Er behandelt offenbar die Politik lediglich unter den Gesichts­ punkten eines originellen Lieutenants. Energische Pflichterfüllung im Sinne des „Dienstes“ wird ihm im Allgemeinen Niemand bestreiten, aber die dazwischen einlaufenden Querköpfigkeiten und das unheim­ liche Machtgefühl, welches ihn beseelt, bringt eine solche unerhörte Desorganisation in die höchsten Instanzen, daß deren Rückwirkung auf die Verwaltung als Ganzes wohl nicht ausbleiben kann. So hat er den als Mensch so hochachtbaren Caprivi21 doch nachgerade zur Car­ ricatur erniedrigt und von einer Autorität der Reichsregierung kann c  〈die〉  d  Unsichere Lesung: 〈doch〉   18  Der damalige preußische Kultusminister Gustav von Goßler war am 13. März 1891 zurückgetreten. 19 Max Weber bezieht sich vermutlich auf den seit 1890 schwelenden Streit zwischen Ernst Ludwig Herrfurth und Johannes Miquel. Die von Miquel geplante Steuerreform, die eine unmittelbare Zuweisung der Grund- und Gebäudesteuer an die Gemeinden vorsah, kollidierte mit Herrfurths Plänen einer Reform der Landgemeindeordnung. Daraus entwickelte sich ein grundlegender Konflikt über die Aufgaben von Staat und Kommunen; vgl. Thier, Andreas, Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie. Staatssteuerreformen in Preußen 1871–1893 (Ius Commune. Sonderhefte; Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Band 119). – Frankfurt a. M.: Klostermann 1999, insbes. S.   4 36–445. 20  Kaiser Wilhelm II. 21  Der Reichskanzler Leo von Caprivi.

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kaum noch die Rede sein. Wie durch ein Wunder entgehen wir bis jetzt noch diplomatisch wirklich ernsten Situationen, aber daß die Politik Europas nicht mehr in Berlin gemacht wird, steht wohl außer Zweifel. Die Existenz der Sozialdemokratie und die trotz allem bei allen Par­ teien vorhandene Angst vor ihr ist wirklich ein Glück, denn ohne sie wären uns die wüstesten Parteikämpfe wohl sicher. Auch der gradezu kindische Bismarck-Haß – bei Männern wie Mommsen22 z. B. in wirk­ lich deprimierend häßlichen Formen sich äußernd und steigernd – wirkt bei der Linken mit. Die furchtbare Vernichtung selbständiger Überzeugungen, welche Bismarck bei uns angerichtet hat, ist natürlich der oder einer der Hauptgründe aller Schäden unsrer jetzigen Zustän­ de, aber tragen wir daran nicht mindestens die gleiche Schuld wie B[is­ marck] selbst? Es ist über die öffentliche Meinung hier wirklich jetzt wenig zu berichten, denn sie setzt sich eigentlich nur aus allerlei im Flüsterton verbreiteten üblen Gerüchten zusammen und wohl nie ist der Klatsch so sehr an die Stelle ernster politischer Diskussion getre­ ten. Man steht den Ereignissen mit der Empfindung des Abwartens, daß irgend etwas Bedeutendes geschehen solle und werde, gegenüber und doch steht ziemlich fest, daß wenn nicht unberechenbare Ereig­ nisse eintreten, eben nichts geschehen wird. Über diese Situation kön­ nen auch zahlreiche bedeutende Fortschritte im inneren Ausbau un­ serer Gesetzgebung und Verwaltung nicht hinweghelfen, geholfen könnte nur durch große Umgestaltungen in unserem Parteiwesen und durch Neubildungen auf diesem Gebiet werden, und dazu fehlt für jetzt die politische Energie. – Hoffentlich geht es der nun schon seit Jahrene fast über Menschen­ kraft mit Sorge belasteten Tante gut und ich bitte Dich, sie, Emmy und Anna, 23 recht herzlich von mir zu grüßen. So bald ich irgend kann, berichte ich Dir wieder und eingehender. Bis dahin aber bleibe ich mit den herzlichsten Glückwünschen Dein Neffe Max e  〈[??]〉   22  Vgl. Demandt, Alexander, Mommsen gegen Bismarck, in: Demandt, Alexander, Goltz, Andreas und Schlange-Schöningen, Heinrich (Hg.), Theodor Mommsen. Wissenschaft und Politik im 19. Jahrhundert. – Berlin, New York: Walter de Gruyter 2005, S.  89–102, insbes. S.  95 f., mit zahlreichen Beispielen von Theodor Mommsens Abneigung gegen Otto von Bismarck. 23  Anna Baumgarten.

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21. Mai 1892

Clara Weber 21. Mai 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 4 Clara Weber hielt sich von Mai bis Oktober 1892 im nordhessischen Altmorschen auf, um bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung zu lernen.

Charlottenbg 21. V. 1892 Liebes Clärchen, – also weiter hast Du mir wirklich nichts zu erzählen, als daß Du Hunger hast? Nun, einstweilen folgen anbei einige Fleischtöpfe Ägyptens, die Dir hoffentlich gut schmecken und Dein Heimweh, von dem Du der Tante Tiede1 geschrieben hast, nicht allzusehr vergrößern werden. Sie wären Deinem Befehl gemäß schon früher abgegangen, wenn ich nicht jetzt, wo Herr Professor Goldschmidt schwer krank ist und ich noch ein Colleg mehr lesen muß, 2 an sehr vieles denken müßte und Du nicht in Deinem meilenlangen Brief so vieles geschrieben hättest, daß ich nicht Alles behalten konnte. 20 Fragen zu stellen |:wie Du schreibst:| ist mir übrigens doch zu langweilig, und ich möchte deshalb nur wissen, ob es Dir denn dort gut gefällt, und was Herr Oberförster den Tag über mit Euch anfängt, wenn er da ist und ob Du Dich mit Frl. Käthe3 schon ordentlich verzankt hast und was da drum und dran baumelt, und wei­ ter nichts. Und recht bald schwinge Dich zu einem Brief auf, sag auch, ob den Andren Dein Schmuck gefallen hat und ob Du ihn oft trägst, kurzum, laß Dirs gut gehen, liebe Kleine, und vergiß nicht so abscheu­ lich, sondern schreibe bald Deinem Max

1  Helene Tiede war eine Freundin der Familie Weber und Alfred Webers Patentante. 2  Levin Goldschmidt hatte am 5. Mai 1892 einen Schlaganfall mit linksseitigen Lähmungserscheinungen erlitten; vgl. Goldschmidt, Levin, Ein Lebensbild in Briefen. – Berlin: Emil Goldschmidt 1898, S.  469. Max Weber hat die von Levin Goldschmidt angekündigte Vorlesung „Versicherungsrecht“ (vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1892, S.  4) übernommen. In den Nachweisungen von Max Webers Lehrveranstaltungen findet sich ein entsprechend betiteltes, unter seinem Namen jedoch nicht angekündigtes Kolleg; vgl. die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53 mit Anm.  6. 3 Vermutlich die im Brief an Clara Weber vom 21. Sept. 1892, unten, S.  284, erwähnte Katharina (Käthe) Börner.

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der heute unmöglich mehr schreiben kann, Dir aber auf Deinen langen Brief auch lang antworten wird.4

4  Der angekündigte Brief ist nicht nachgewiesen.

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Gustav Schmoller [vor dem 31. Mai 1892]; o.O. Brief; eigenhändig GStA PK, I. HA, Rep.  196, Verein für Sozialpolitik, Nr.  67, Bl. 170 f. Das Datum ist aus dem Inhalt des Briefes erschlossen. Am 31. Mai 1892 wandte sich Gustav Schmoller in einem Brief an Carl Johannes Fuchs und nannte Max Weber als Referenten über die Ergebnisse der Landarbeiterenquete für die anstehende Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik (vgl. MWG I/4, S.  9 08). Zu diesem Zeitpunkt hatte Schmoller also bereits Webers hier abgedruckte Zusage erhalten.

Hochgeehrter Herr Professor! Es kann mir nur eine hohe Ehre sein, wenn Herr Geheimrath Thiel und Sie mich für geeignet erachten, die Ergebnisse der Enquête in Posen zu vertreten und bin ich durchaus und sehr gern bereit, das Re­ ferat zu übernehmen.1 – Nur ein persönliches Bedenken möchte ich mir gestatten geltend zu machen. Ich möchte nicht gern die Veranlas­ sung dafür sein, daß mein Freund Dr Kaerger, von welchem ich bisher geglaubt hatte, daß er als Referent für das Thema in Betracht kommen würde, 2 eventuell ein Übergehen seiner Person unangenehm empfän­ de. Ich kann ja nicht übersehen, ob die bisherigen Erörterungen ihm Grund zu der Annahme gegeben haben, daß ihm die Vertretung der Enquête zufallen würde. Falls dies nicht der Fall ist oder falls sonst keine Gefahr besteht, daß in der Übernahme des Referats durch mich für ihn eine Kränkung liegen könnte, bin ich mit großer Freude bereit, Ihren ehrenvollen Auftrag nach besten Kräften auszuführen. Ich werde mir mit Ihrer Erlaubnis gestatten in nächster Zeit in Ihrer Sprechstunde Ihnen meine Aufwartung zu machen, um eventuell auch noch über die Natur des Referats – ob bloße Zusammenfassung der

1  Die für September 1892 in Posen geplante Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik mußte wegen einer Choleraepidemie auf das Frühjahr 1893 verschoben werden. Auf der Berliner Generalversammlung vom 20./21. März 1893 konnte Max Weber dann am ersten Tag sein Referat „Die ländliche Arbeitsverfassung“, MWG I/4, S.  157–207, halten. 2  Karl Kaerger war Spezialist auf dem Gebiet der ländlichen Arbeiterfrage und der Arbeiterpacht. Für die Enquete des Vereins für Socialpolitik bearbeitete er die ländlichen Arbeiterverhältnisse in Nordwestdeutschland (Kaerger, Karl, Die ländlichen Arbeiterverhältnisse in Nordwestdeutschland, in: Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland, 1.  Band (Schriften des Vereins für Socialpolitik 53). – Leipzig: Duncker & Humblot 1892, S.  1–239).

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Ergebnisse oder praktische Würdigung – eine freundliche Auskunft zu erbitten, und verbleibe Ihr hochachtungsvoll ganz ergebenster Dr Max Weber

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Gustav Schmoller 10. Juni 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, I. HA, Rep.  196, Verein für Sozialpolitik, Nr.  67, Bl. 172

Charlottenburg 10. VI. 92 Hochgeehrter Herr Professor! Anschließend an die gestrige Erörterung der mehr oder minder gro­ ßen Bedürftigkeit der Mitarbeiter an der Enquête gestatte ich mir noch mitzuteilen, daß wie ich inzwischen hörte, Herr Auhagen1 sich um Stundung der Collegiengelder bei der landwirtschaftl[ichen] Hoch­ schule bewirbt, also wohl in erster Linie als bedürftig anzusehen sein dürfte. Hochachtungsvoll und ganz ergebenst Dr Max Weber

1  Otto Auhagen bearbeitete im Rahmen der Landarbeiterenquete des Vereins für Socialpolitik die Rheinprovinz (Auhagen, Otto, Die ländlichen Arbeiterverhältnisse in der Rheinprovinz und im oldenburgischen Fürstentum Birkenfeld, in: Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland, 2.  Band (Schriften des Vereins für Socialpolitik 54). – Leipzig: Duncker & Humblot 1892, S.  651–765).

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Clara Weber PSt 7. September 1892; PSt Elm Karte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 5 Clara Weber hielt sich von Mai bis Oktober 1892 im nordhessischen Altmorschen auf, um bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung zu lernen. Max Weber hatte sie dort auf dem Weg nach Straßburg besucht; vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. September 1892, unten, S.  276 f. Auf der Weiterreise gab er die folgende Karte in Elm – an der Strecke Bebra–Frankfurt am Main gelegen – auf.

Liebes Clärchen

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Bitte schicke mir meine Correcturbogen,1 aber bitte gleich an Tante Nixels2 Adresse, ich habe sie im Trennungsschmerz im Wohnzimmer liegen lassen. Empfiehl mich den Dortigen nochmals herzlichst und schreibe bald Deinem Max (NB im Fahren geschrieben)

1  Es handelt sich um die Korrekturbogen (nicht überliefert) zu Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3). Der Satz war Anfang September abgeschlossen, wie Max Weber unter „Berichtigungen“ anmerkte; vgl. ebd., S.  56. 2  Emilie (Nixel) Benecke.

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14. September 1892

Helene Weber 14. September 1892; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 155–158 Max Weber war in Etappen nach Straßburg gereist. Zunächst hatte er im nordhessischen Altmorschen seine Schwester Clara besucht, die dort bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung lernte. Eine weitere Station seiner Reise war vom 7. bis 11. September 1892 Heidelberg. Von Heidelberg aus unternahm er am Freitag, den 9. September 1892, eine Tagesreise nach Stuttgart, um im „Ottilienhaus“, einem von den Geschwistern Adelheid und Hermann Wildermuth geleiteten Sanatorium, seine an einem Nervenleiden erkrankte Cousine Emmy Baumgarten wiederzusehen. Mit Emmy Baumgarten verband Max Weber seit Anfang 1887 eine innige Beziehung; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, unten, S.  3 03 f. Am 12. September 1892 fuhr er schließlich über Karlsruhe, wo er nachmittags die verwandte Familie Jolly besuchte, weiter nach Straßburg.

Straßbg, 14. IX. 92 Liebe Mutter! Endlich komme ich zu dem längst vorgehabten Lebenszeichen, ich war bisher so in Bewegung, daß ich eigentlich niemals den Eindruck hatte, eine halbe Stunde auf demselben Platz zu sitzen. Nun aber der Reihe nach. Bei Klara kam ich des Morgens unangemeldet in ein allerliebstes Geburtstagszimmer.1 Die bei ihrem Naturell fremdartige Rührung bei ihr bei der Begrüßung läßt mich doch auf eine kleine Anwandlung von Heimweh schließen, obwohl sie als Augenblickskind ganz in den Inter­ essen ihrer nächsten Umgebung aufgeht. Diese Umgebung ist nun frei­ lich auch anziehend genug. Ganz besonders erfreulich schien mir die sehr originelle und keineswegs auf den ersten Blick einnehmende Per­ sönlichkeit der Gesellschafterin, Frl. Cosela, die nach einem recht schweren Schicksal – Verlust der Eltern und aller Geschwister kurz nacheinander – dort Anschluß gefunden hat. Der Einfluß, den sie in Gemeinschaft mit der wirklich recht ernsten und angenehmen Käthe Börner auf Clara ausübt, ist in einer sehr erfreulichen Milderung des leicht beweglichen Temperaments bei dieser deutlich fühlbar. Der Oberförster selbst, zu welchem Clara das offenbar beste Verhältnis von den dreien gewonnen hat, soll nach Meinung der Andren etwas heftig, a O: Kosel   1  Clara Weber hatte am 5. September ihren 17. Geburtstag gefeiert.

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rechthaberisch und nicht ganz leicht zu behandeln sein, bei aller graden und offenherzigen Natürlichkeit. Für die Frau dagegen besteht allsei­ tige Schwärmerei. Die Kinder2 sind allerliebst. Ich war, nach einer schlaflosen Fahrt mit einem Genossen, der sich mit Moschus desinficiert hatte,3 allerdings recht müde und schlafe auch bis jetzt noch colossal wie ein Todter. Was wir getrieben haben, erzähl­ ten doch wohl die Mädchen in ihren Briefen. Ich fuhr, da ich von Stuttgart keine Nachricht hatte, Mittwoch nach Heidelberg und logierte zunächst im Waldhorn in meiner alten Stube.4 Bei Beneckes5 fand ich die übliche rührend herzliche Aufnahme, und Onkel Adolf,6 bei dem ich Donnerstag Mittag aß, war von einer ganz außerordentlichen Liebenswürdigkeit, ich hatte zum erstenmal das Gefühl, ihn nicht wie früher wie ein rohes Ei behandeln zu müssen. Die Tante macht trotz Allem einen weniger präoccupierten Eindruck als früher oft. Auch August war dort und hat sich sehr nach der ange­ nehmen Seite entwickelt, er ist mit wirklich ernstem Interesse Schul­ lehrer, wenngleich er die Habilitation nicht aufgegeben hat.7 Etwas zappelig ist er freilich noch und in den Augen des Onkels steht Hans8 wohl entschieden höher. Laura9 ist bis zur Unkenntlichkeit verwandelt, beweglich und wirklich heiter, die andren ausnahmsweise schon seit einiger Zeit Alle wohl. Manches will ich noch mündlich berichten; je­ denfalls habe ich dies Haus noch selten so wohl im Stande gefunden. Ich ging dann Freitag früh nach Stuttgart. Otto ist in Jena geblieben und hat dort mit Lipsius’ Nachlaß viel zu thun,10 dessen Tod ein wirk­ 2  Von den Kindern konnte nur die erst 1893 geborene Dorothea Rohnert ermittelt werden. 3  Es handelte sich um eine Maßnahme zum Schutz vor der grassierenden Cholera; vgl. den Brief an Clara Weber vom 21. Sept. 1892, unten, S.  282. 4  Zu Beginn seines Studiums in Heidelberg hatte Max Weber in der Pension „Waldhorn“, Ziegelhäuser Landstraße 21, gewohnt; vgl. die Karte an Max Weber sen. vom 23. April 1882, MWG II/1, S.  245 f., sowie den Brief an denselben vom 24. April 1882, MWG II/1, S.  247. 5  Max Webers Onkel Ernst Wilhelm Benecke besaß das Haus Ziegelhäuser Landstraße 56 (später Nr.  1) in Heidelberg, ganz in der Nähe von Max Webers großelterlichem Haus. Hier hielt sich der Straßburger Professor mit seiner Familie häufig während der Sommermonate auf. 6  Adolf Hausrath war mit Helene Webers Schwester Henriette verheiratet. 7  Max Webers Vetter August Hausrath hatte 1888 das badische Staatsexamen für das Lehramt abgelegt, erhielt aber erst 1896 eine Anstellung in Karlsruhe. Bis dahin war er zeitweilig als Hauslehrer in Florenz tätig und recherchierte in italienischen Bibliotheken zur Überlieferungsgeschichte von Äsops Fabeln. 8  Hans Hausrath. 9  Max Webers Cousine Laura Hausrath. 10  Otto Baumgarten war Extraordinarius für Praktische Theologie in Jena und gab nach

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liches Unglück für ihn ist, da er der Einzige ihm näher stehende Col­ lege war. Es scheinen sich ihm Aussichten in Eisenach (dort wird ein Seminar gegründet) zu eröffnen, – hier nicht. Tante Ida11 fand ich körperlich wohl, geistig von der früheren Starr­ heit und Angespanntheit befreit, ruhig und resigniert. Ihre inneren In­ teressen sind alle in der Sorge um die beiden armen Kinder12 aufgegan­ gen, Alles Andre, so auch Otto,b ist ihr in weite Ferne gerückt. Nach­ dem sie nach einem für ihre Individualität, wie sie einmal ist, so schweren Leben noch der Schlag treffen mußte, daß siec den Kindern ihrer Sorge nicht die Stütze bieten konnte, an welche sie sich hielten, und dies verwunden ist, hat sie wohl mit Vielem für immer abgeschlos­ sen. Bedenklich ist die Resignation nur, weil sie die Existenz unter Kranken für selbstverständlich zu erachten Gefahr läuft. Was das Ver­ hältnis zu den Kindern anlangt, so ist der entscheidende Punkt ganz offenbar: Emmi und Anna bedürfen wie alle Nervenkranken einer Persönlichkeit, an die sie sich anlehnen können und die also in ihren Augen selbst einen festen ruhigen Punkt darstellt. Das ist die Tante nicht, es ist unmöglich, daß nicht die Mädchen bei jedem Wort [,] was sie sagt, durchfühlen, daß sie sich mit all ihren Gedanken ohne Aus­ nahme um sie bewegt. Sie bedürfen aber einer Stütze, die ein selbständiges geistiges Interessen-Centrum, einen eignen Schwerpunkt gewis­ sermaßen, hat, und deshalb kann die Tante, je mehr sie in der Sorge für die Mädchen aufgeht, ihnen immer weniger diesen Ruhepunkt bieten. Das kann vielmehr eine beliebige andere Persönlichkeit, welche ruhig in ihrer Thätigkeit steht und an die sie sich anschließen können. So z. B. Frl. Wildermuth, die ich gesehen habe, welche nichts weniger als geistig bedeutend, aber gemütlich reich veranlagt, nüchtern, energisch und in einem beschäftigungsreichen Beruf in Anspruch genommen ist. Der Bruder, der bekannte Psychiater, macht einen äußerst angenehmen Eindruck, er erinnert frappant an Jolly,13 nur ist seine Erscheinung b  Unsichere Lesung: 〈wird〉  c  〈ihren〉   dem Tod von Richard Adelbert Lipsius die dritte Auflage von dessen „Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik“ (Braunschweig: Schwetschke 1893) heraus; vgl. auch Baumgarten, Lebensgeschichte, S.  9 0. 11  Ida Baumgarten. 12  Anna Baumgarten, Emmys Schwester, war ebenfalls nervenkrank und im „Ottilienhaus“ untergebracht. 13 Vermutlich meint Max Weber hier den mit seiner Tante Elisabeth (vgl. unten, S.  279, Anm.  15) verheirateten badischen Politiker Julius Jolly.

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glänzender, fast imposant. – Was nun den Eindruck der Mädchen an­ langt, so ist Anna merkwürdig entwickelt, weit ungezwungener, unbe­ fangener und selbstständig angeregter, als sie in Berlin je war und doch ohne irgend erkennbaren krankhaften Zug. Das einzig Krankhafte ist, daß dieser Zustand das Produkt der Möglichkeit ist, sich an Frl. Wil­ dermuth anzuschließen, die für sie ein unfehlbares Orakel ist. Emmy, die sich wesentlich besser befindet und wieder mehr geht, macht äußer­ lich gegen vor 5 Jahren14 einen kaum merklich veränderten Eindruck: etwas schmaler, sonst aber mit blühenden Farben wie damals und in ihren Bewegungen schnell und gewandt. Schmerzlich war der Ein­ druck doch in sofern, als es ist, wie wenn einem Jemand aus einer an­ deren Welt entgegenträte. Resigniert concentrieren sich ihre Interes­ sen auf die gemeinsame Krankenstube, lesen kann sie nur viertelstun­ denweise, gehen nicht viel mehr, ihre einzige Beschäftigung ist Unterricht, den sie einem idiotischen Knaben giebt. So viel ich sehen konnte, sind weder die Körperkräfte wirklich stark geschwächt, noch fehlt der Wille; es versagt nur irgend ein Mittelglied im Gehirn, was erst wieder in Funktion treten muß. Beweis ist, daß, wie sie mir sagte, körperliche Anstrengungen nicht nur Ermüdung, sondern auch Beäng­ stigungszustände nach sich zieht. Sie nehmen Jahre für eine endgültige Besserung in Aussicht. Anna kommt jetzt in eine Kochlehre nach Stuttgart hinunter. Ich denke, man wird dann so verfahren, daß man die Rückkehr ins Elternhaus stets als eine zeitweise behandelt, sie kann Frl. Wildermuth für absehbare Zeit nicht dauernd missen. – Sonntag war ich sehr behaglich in Heidelberg, Montag Nachmittag in Karlsruhe. Die Tante15 ist gefaßt und ruhig, Lieserle16 sehr mitgenom­ men aber sonst ebenfalls ruhig; Philipp der jetzt dort ist, und Marie Fallenstein bringen Leben ins Haus.17 Ph[ilipp] ist wirklich sehr ange­ nehm, dabei fröhlich und sehr liebenswürdig gegen die Schwester. Leider geht es bei Julius sehr schlecht, das allerliebste Kind hat den 3ten Hirnkrampf gehabt,18 es besteht Gefahr epileptischer Bildungen im 14  Max Weber hatte Emmy Baumgarten zuletzt Anfang 1887 gesehen, als er in Straßburg an einer Militärübung teilnahm. 15  Elisabeth (Betty) Jolly. 16  Deren Tochter Elisabeth (Lieserle) Heil, geb. Jolly. 17  Deren Geschwister Philipp Jolly und Marie, verheiratete Fallenstein. 18  Max Webers Vetter Julius Jolly war ein Sohn des gleichnamigen badischen Politikers und Helene Webers Halbschwester Elisabeth (vgl. oben, S.  278, Anm.  13). Von seinen beiden Kindern aus der 1886 geschlossenen Ehe mit Julie Nicolai konnte lediglich die 1889 geborene Tochter Johanna Julie Elisabeth Anna Maria Frieda Jolly ermittelt werden.

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Gehirn. August Hausrath ist offenbar für Jollys, die ihn sehr gern mö­ gen, ein sehr anregendes Moment und viel bei ihnen. Hier bin ich zunächst mit dem Onkel19 allein, der so behaglich ist, wie ich ihn überhaupt noch nicht gesehen habe, wir haben gestern un­ gezählte Stunden geplaudert. Heute Abend kommt die Tante. Ich will jetzt gleich mit Herrn v. Schubert zum Fritz20 nach Offenburg fahren. Sering sprachd ich, wir wollen bei dem herrlichen Wetter uns morgen oder übermorgen auf den Weg machen.21 Ich habe sehr viel Menschen gesehen, Erdmannsdörffer und Bekker in Heidelberg, 22 Schulte (Marcks’23 ultramontanen Concurrenten für Freiburg) in Karlsruhe, 24 Knapp25 hier etc. Otto treffe ich auf der Rückfahrt hoffentlich in Jena. An Göhre schreibe ich nachher noch26 und schicke die Sachen. Mich hat eine maßlose Arbeitsunlust befallen, die Correctur geht langsam vor sich, 27 hat aber jetzt auch Zeit. Vielen Dank für alle Sendungen und Briefe, ich bin entsetzlich schreibfaul, da ich physisch Mühe habe, von der gräßlichen Schreiberei habe ich den Schreibtatterich in der Hand.

d  Unsichere Lesung.   19  Vermutlich meint Max Weber mit „Onkel“ und der im folgenden erwähnten „Tante“ Hermann und Ida Baumgarten, da Ernst Wilhelm und Emilie (Nixel) Benecke noch nicht aus Heidelberg zurückgekehrt waren; vgl. oben, S.  277, Anm.  5, und unten, S.  281, Anm.  29. 20  Max Weber wollte mit Hans von Schubert zu Fritz Baumgarten, seinem Vetter, fahren. 21 Max Weber hatte sich mit dem befreundeten Nationalökonomen Max Sering, der in Straßburg aufgewachsen war und dort seine Hochschulkarriere begonnen hatte, zu einer Vogesenwanderung verabredet; vgl. den Brief an Clara Weber vom 21. Sept. 1892, unten, S.  283 f. 22  Bernhard Erdmannsdörffer, Hofrat und Professor für Geschichte, und Ernst Immanuel Bekker, Geheimer Rat und Professor für Römisches sowie Deutsches Bürgerliches Recht. 23  Erich Marcks wurde 1892 nach Freiburg i. Br. berufen. 24  Der Historiker Aloys Schulte war, bevor er wegen seiner katholischen Konfession gegen den Widerstand der mehrheitlich protestantischen Fakultät 1893 nach Freiburg i. Br. berufen wurde, Großherzoglich Badischer Archivrat am Generallandesarchiv in Karlsruhe. 25  Vermutlich der Straßburger Nationalökonom Georg Friedrich Knapp. 26  Das Schreiben an Paul Göhre muß als verloren gelten. Zu der zerstörten Überlieferung vgl. die Einleitung, oben, S.  34, Anm.  68. 27 Es handelt sich um die Korrekturen zu Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3). Diese Publikation sollte ursprünglich Ende September 1892, rechtzeitig zur Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik, erscheinen; vgl. den Brief an Gustav Schmoller, vor dem 31. Mai 1892, oben, S.  272 f. Die Versammlung wurde jedoch wegen der Choleraepidemie auf das Frühjahr 1893 verschoben.

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Ganz außerordentlich freute mich Karls Examen, 28 – man athmet endlich auf, ich habe es offen gestanden nicht geglaubt. Wenn er frei­ lich nicht gleich dient, sind die ersten Semester auch verlorene Zeit. Onkel grüßt herzlichst; ebenso die andren Verwandten mit herz­ lichem Gruß an Papa und Geschwister. Dein Sohn Max Haus und Garten hier sind prachtvoll veränderte. Beneckes kommen heute, der Onkel am Sonnabend.29 Es ist Sommerhitze.

e  Unsichere Lesung. 28  Max Webers Bruder Karl hatte am 10. September 1892 die Abiturprüfung erfolgreich bestanden; vgl. Kaiserin-Augusta-Gymnasium zu Charlottenburg, XXIV. Jahresbericht. – Berlin: Unger 1893, S.  19 f. 29  Vermutlich sind Ernst Wilhelm Benecke und seine Familie gemeint; vgl. oben, S.  277, Anm.  5.

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Clara Weber 21. September 1892; Straßburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  6 –8 Max Weber hatte auf dem Weg nach Straßburg seine Schwester Clara im nordhessi­ schen Altmorschen besucht, wo sie bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung lernte; vgl. – auch zum Reiseverlauf – die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Helene Weber vom 14. September 1892, oben, S.  276.

Straßburg 21. IX. 92 Liebes Clärchen! Ich danke Dir schön für Deinen Brief, der allerdings fast soviel Frage­ zeichen wie Zeilen hatte, so daß ich jetzt unmöglich schon auf Alles antworten kann. Einiges will ich Dir aber gern erzählen. Von Berlin aus war ich mit einem Menschen zusammengefahren, der sich offenbar gegen die Cholera mit Moschus desinficiert hatte und mir durch seinen holden Duft den Schlaf raubte. Auf der Weiterfahrt von Bebra aus da­ gegen machte ich auf der nächsten Station die Beobachtung, daß ein Mann,a der dort in das Coupé stieg – ich war allein darin – nach mir hin schnüffelte und dann mit allen Zeichen des Entsetzens wieder aus- und anderwärts einstieg. Bei näherer Besichtigung fand ich, daß meine Fla­ sche mit Cholera-Tropfen1 in die Hosentasche ausgelaufen war[,] und ich muß in Folge dessen nach Opium gestunken haben wie ein chine­ sischer Erzpriester. Ich gerieth infolgedessen in Cholera-Verdacht und auf dem Heidelberger Bahnhofe erkundigte sich, als ich ausstieg, ein von 2 Schutzleuten flankierter höflicher Herr in freundlicher Weise nach allerlei Verhältnissen meines „geheimnisvollen Inneren“, wie Bräsig sagen würde, 2 und ob ich etwa aus Hamburg3 oder woher sonst ich käme. Ich wies durch mein Billet nach, daß ich von Altmorschen a  Unsichere Lesung: 〈zu〉   1  Ein aus Anteilen von Baldrian- und Opiumtinktur sowie Ipecacuanhawein und Krauseminzeöl bestehendes Hausmittel gegen Cholera; vgl. Choleratropfen, in: Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, Band 4, 4.  Aufl. – Altenburg: Verlagsbuchhandlung Pierer 1857, S.  77. 2  Max Weber zitiert die Romanfigur „Onkel Bräsig“, die vom „geheimnißreiche[n] Inwendige[n]“ spricht; vgl. Reuter, Fritz, Ut mine Stromtid, Erster Theil (Olle Kamellen, Band 3). – Wismar: Hinstorff 1888, S.  128. 3  Mitte August 1892 war in Hamburg eine Choleraepidemie ausgebrochen, in deren Verlauf dort bis Mitte September über 17 000 Erkrankungen und mehr als 7000 Todesopfer

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käme, log, daß ich dort |:zu Hause sei und:| die Försterei gelernt hätte, kehrte meine Opium-gebräunte Tasche um und entging so der dro­ henden polizeilichen Abwaschung mit grüner Seife, da Altmorschen nicht als „verseucht“ galt. – Sonst merkte man in Heidelberg nichts von Magenverstimmungen, aß Gurkensalat und Dutzende herrlicher fri­ scherb Feigen aus Tante Nixels’ Garten4 und trank Bier dazu. Auch nach Stuttgart fuhr ich; beide Cousinen5 lassen Dich schönstens grü­ ßen, Anna geht es sehr gut, aber mein armer Liebling Emmy ist noch halb wie in einer anderen Welt. Dann bin ich noch in Karlsruhe bei Lieserle6 und nachher hier gewesen und habe mich in letzter Woche mit zwei Berliner Freunden, den Professoren Sering und Naudé,7 in die Vogesen aufgemacht, um, wie ich glaubte, eine Weinreise zu machen. Das wurde aber „Essig“: die beiden Andern waren auf das Laufen ver­ sessen und wir krabbelten nach der Schwierigkeit in den Bergen her­ um, bis wir an allen Knochen geschunden waren. Am letzten Tage Abends überfiel uns, in Folge des vielen Einkneipens bei schmierigen Sennern, die nur halbgaren Käse, halbgebutterte Milch und barba­ rischen „Wein“ hatten, schließlich amc Gipfel des Gebweiler Belchen der Abendnebel und Stockfinsternis. Wir waren zwar erst 10 Minuten von einer Sennerei entfernt, konnten aber im Nebel weder sie noch ir­ gend einen Weg finden und richteten uns schon auf ein Übernachten auf der quatschnassen Wiese eind, bis endlich auf unser dreistimmig angestimmtes Gebrülle die Stimme eines Ochsen, der sich uns wohl geistesverwandt fühlte [,] antwortete und auf die richtige Spur half. Dann krochen wir mit einer Laterne 2 Stunden lang den Berg hinan durch Wald und Steine bis zum Belchenhaus. Dieses war der letzte Streich von mehreren ähnlichen, und mit zerrissenen Stiefeln, Hosen, Röcken, verlorenen Manschetten, Kneifern, die beiden Professoren b O: Frischer  c  〈großen〉  d  〈als〉  e  〈[??]〉   gezählt wurden; vgl. Amtliche Denkschrift über die Choleraepidemie 1892. – Berlin: Julius Springer 1892, S.  80 f. Um der reichsweiten Ausbreitung entgegenzuwirken, war die Polizei angewiesen, den Reiseverkehr zu beobachten; vgl. ebd., S.  6. 4  Emilie (Nixel) Beneckes Garten gehörte zu dem Heidelberger Anwesen Ziegelhäuser Landstraße 56 (später Nr.  1), in dem sie mit ihrer Familie die Sommermonate verbrachte. 5 Anna und die als zukünftige Verlobte von Max Weber geltende Emmy Baumgarten lebten im „Ottilienhaus“, einem Stuttgarter Sanatorium für Nervenkranke. 6  Max Webers Cousine Elisabeth (Lieserle) Heil, geb. Jolly. 7  Max Sering war seit 1889 Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin und Albert Naudé seit 1890 außerordentlicher Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.

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von dem vielen Käse mit Anwandlungen von Cholera nostras,8 alle mit einer Erkältung, Sering mit halbeingeranntem Schädel, Naudé mit wundem Fuß, während ich mit etwas ausgerenktem Arm und geschun­ dener Schulter, begab sich der Trümmerhaufen befriedigt aus der „Sommerfrische“ in die wohlverdienten Ferien. Heute ziehe ich von Baumgartens zu Beneckes um und mache mich dann auf den Rückweg, um Otto9 noch in Jena zu besuchen. – Du meintest nun, ich sollte auf dem Rückweg nochmal bei Euch vor­ sprechen. Das ist ja sehr nett von Dir, liebe Kleine, daß Du mir noch­ mals Gelegenheit geben willst, meine Talente für Damen-Caffees-Un­ terhaltung zu stärkenf, und ich würde besonders gern Gelegenheit neh­ men, Herrn und Frau Oberförster persönlich für die mehr oder weniger unfreiwillige oder doch unwissentliche Gastfreundschaft, die ich die Dreistigkeit hatte bei ihnen in Anspruch zu nehmen, zu danken, aber die Zeit ist gar knapp und es wird auch grade jetzt, wo Frau Oberför­ ster nach der Rückkehr tüchtig zu thun haben wird, zu viel. Ich fahre von Bebra aus nach Altmorschen herüber, den Zug schrei­ be ich noch, und schlage Dir vor, daß wenn das Wetter schlecht ist, ich Dir nur aus dem Coupé einen Kuß verabfolge, höchstens einen Zug überschlage, und dann zurückfahre, – ist es aber so schön wie hier, – und hat – selbstverständlich – Frau Oberförster nichts dagegen und Du Lust dazu, so schleppe ich Dich auf einen Tag nach Eisenach oder sonstwohin mit zu einer Partie und bringe Dich dann zurück, minde­ stens bis Bebra. Ich käme dann Sonnabend etwa dort durch. Schreib mir bitte, möglichst gleich, eine Karte postlagernd Hauptpostamt Frankfurt a /Main, ob Dir das so recht ist, empfiehl mich Deinen ver­ ehrten Pflegeeltern und Frl. Cosel10 und grüße Frl. Käthe11 und ebenso die Kleinen bestens. Wo soll ich denn jetzt „Gutsel“12 auftreiben? Nun, nächstens peutêtre. Mit schönstem Gruß Dein Max f  [??] > stärken  

8  Eine durch Salmonellen verursachte Erkrankung des Verdauungstraktes. 9  Otto Baumgarten war Extraordinarius für Praktische Theologie in Jena. 10  Anna Cosel war Gesellschafterin bei Familie Rohnert. 11  Katharina (Käthe) Börner. 12  „Naschwerk“, „Zuckerwerk“; vgl. Martin, Ernst, Wörterbuch der elsässischen Mundarten, Band 1. – Straßburg: Trübner 1899, S.  249.

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Clara Weber 17. Oktober 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  9 –10 Clara Weber hielt sich von Mai bis Oktober 1892 im nordhessischen Altmorschen auf, um bei Clara Rohnert, der Frau des dortigen Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung zu lernen. Im Anschluß besuchte sie bis März 1893 ein Mädchenpensionat in Vevey am Genfer See.

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Ich muß mit einem ganz abscheulichen Schnupfen das Zimmer hüten und da ich mir ohnehin schon Vorwürfe gemacht habe Deinen lieben Brief nicht früher beantwortet zu haben, so will ich diese Gelegenheit dazu benutzen. Der klang ja recht betrübt, teils wegen Käthe Börner’s Weggehen, teils wegen der nun bevorstehenden Übersiedlung in die Schweiz. Was die letztere anlangt, so war neulich eine Frau Buchhänd­ ler Springer hier, deren Tochter auch in Deiner Pension ist und, wenn sie der Mutter ähnlich sieht, wahrscheinlich ein sehr hübsches und leb­ haftes, schwarzes und gewandtes [,] etwas schwäbelndes Mädchen sein wird.1 Außerdem ist noch ein, ich glaube, Stuttgarter Mädchen2 dort, dem neben andren Vorzügen eine ganz bedeutende Lustigkeit nachge­ sagt wird. Im Ganzen scheint Ihr da nur 4–5 zu werden, man läuft Schlittschuh und amüsiert sich wahrscheinlich ungemein, und da Du mit Deinen Pensionsfreundinnen die Lästerecke nicht einmal in fran­ zösischer Sprache zu etablieren brauchst, so wette ich, daß Du nach 8 Tagen tout comme chez nous findest. – Aber das glaube ich Dir doch gern, daß Du ungern aus dem reizenden Familienkreis, dem Du jetzt angehörst, scheiden wirst, und was wird gar Dein unglücklicher und so früh schon verwitweter kleiner „Mann“ sagen? Frl. Cosel3 – seit wann sagst Du denn „Annchen“ zu ihr? – wird 1  Der Berliner Buchhändler und Verleger Ferdinand Springer war in zweiter Ehe mit Emilie Springer verheiratet. Marie, seine Tochter aus erster Ehe, besuchte zur selben Zeit wie Max Webers Schwester Clara das Schweizer Mädchenpensionat von Julie Davida Fournier; vgl. Archives communales Vevey, 52.11.10 Registre du contrôle des habitants – permis de séjour confédérés/étrangers 1891–1893. 2  Es handelt sich vermutlich um die aus Ulm stammende Anna Bertha Herbert; vgl. Archives communales Vevey (wie oben, Anm.  1). 3  Die Gesellschafterin bei Familie Rohnert, Anna Cosel.

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es dann auch zuerst recht einsam vorkommen. Da bist Du doch von allen immer noch am besten dran, denn Du findest gleich neue, wahr­ scheinlich auch sehr liebenswerthe, obwohl wahrscheinlich ganz an­ ders geartete Menschen, bei denen Du versuchen kannst [,] Ersatz zu finden. Und dann die großartige Natura in dem farbenreichen Süden und die lebendigen und btemperamentvollen südlichenb Menschen, was Alles so sehr viel besser zu Deinem frohen und beweglichen Herzen und Sinn paßt, mein kleiner Liebling, als unsere schweigsame Art im kahlen Norden. Kurz und gut, ich glaube trotz Allem, daß Frau Ober­ förster einige Concurrenz finden wird. – Frau Börner mit Frl. Käthe waren kürzlich noch hier,c letztere schien mir etwas geniert, – Du hast sie doch nicht, Deiner abscheulichen Gewohnheit gemäß, geneckt? – Also Frl. Yse – oder wie schreibt sie sich – hat sich verlobt? „Und mit Erstaunen und mit Grauen hören’s die Männer und Edelfrauen.“4 Ich möchte mit dieser Schwiegermutter nur auf Kanonenschußweite zu thun haben. Was wird denn nun aus der nebelhaften Miß? – Herrn Pestalozzi’s „freies Wort“, 5 fällt mir dabei ein, hatte Otto6 er­ halten, er wollte Dir auch darauf brieflich oder durch einen Besuch antworten, aber er ist ein unsicherer Cantonist und wenn er bis jetzt nicht dazu gekommen ist, wird wohl, da jetzt das Semester wieder an­ fängt, nichts mehr daraus werden. – Hier ist nicht so sehr viel los, ich habe recht viel zu arbeiten, die an­ dern auch, Lili hat Halsentzündung, Marianne7 zeichnet, Frl. Schmidt8 singt noch immer und beide machen den Sonntag unsicher, Artur dres­ siert nach wie vor seine Hosen mit dem Patent-Hosenstrecker und ob a  〈und〉  b–b Unsichere Lesung des ersten ersetzten Wortes: dergleichen süddeut­ schen > temperamentvollen südlichen  c  〈letzten〉   4  Zitatanklang an Friedrich Schillers Ballade „Der Handschuh“, in: Ders. (Hg.), Musen-Almanach für das Jahr 1798. – Tübingen: Cotta 1798, S.  4 4. 5  Johann(es) Pestalozzi, ein mit der Familie Rohnert befreundeter Domänenpächter und Großneffe des Schweizer Pädagogen und Sozialreformers Johann Heinrich Pestalozzi, betätigte sich publizistisch: Von 1888 bis 1893 gab er die Monatsschrift „Eine Wächterstimme, Zeugniß im Geiste wahren Christentums“ heraus und verfaßte eine Schrift, die sich kritisch mit dem Wirken von Adolf Stoecker auseinandersetzte; vgl. Pestalozzi, Johann, Der Antisemitismus, ein Krebsschaden, der am Marke unseres Volkes frißt. – Leipzig: Akademische Buchhandlung (W. Faber) 1891. 6  Otto Baumgarten. 7  Marianne Schnitger war Ende April 1892 nach Berlin gekommen, um Malunterricht zu nehmen. 8 Käthe Schmidt, die eine Gesangsausbildung absolvierte und im Hause Weber verkehrte.

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Papa Stadtrath bleiben wird, wissen wir noch immer nicht.9 Schlechtes Wetter ist ebenfalls. Inzwischen hat sich ferner Käthe Frensdorff10 ver­ heirathet und der dicke Marggraff11 verlobt, aber nicht mit „ihr“, son­ dern mit einer andren. Das ist aber so ziemlich alles, was die jetzige Zeit, die hier so ziemlich die ödeste des Jahres ist, von hier zu melden weiß. Du siehst, Du brauchst Dich nicht nach hier zu grämen. V. d. Leyen’s haben ein sehr schönesd Examen gemacht, wie ihr Vater am Sonntag erzählte,12 das hatte ich noch vergessen. Nun erzähle mir aber, ehe Du von dort fortgehst, recht bald noch einmal ausführlich von dort. Hat Herr Oberförster den Hirsch noch gefaßt? Wohl kaum, da das Wetter nicht feucht genug war. Möglicherweise interessiert ihn die Ar­ tikel-Serie, die ich Dir hier gleichzeitig schicke,13 sie kam mir eben ein­ mal wieder unter die Augen. Herr Göhre wird nun wohl nächstens Pa­ stor hier in der Nähe werden.14 – Ich habe einen entsetzlich dicken Kopf und höre deshalb lieber auf, laß bald etwas hören, empfiehl mich Herrn und Frau Oberförster und Frl. Cosel, Frau Justizrath,15 falls sie noch dort ist [,] und den Kindern und sei schön gegrüßt – einen Kuß schicke ich Dir, um Dich nicht an­ zustecken, nicht, – von Deinem Max

d  〈[??]〉   9  Max Weber sen. war seit 1869 besoldeter Stadtrat von Berlin. Seine zweite zwölfjährige Amtszeit lief Ende Januar 1893 aus. Bei der Wahl am 1. Dezember 1892 unterlag er deutlich dem Magistratsassessor Mugdan; vgl. Roth, Familiengeschichte, S.  387–398. 10  Mit wem sich Käthe Frensdorff, die jüngste Tochter von Anna und Ferdinand Frensdorff, verheiratet hatte, konnte nicht ermittelt werden. 11  Es handelt sich vermutlich um die Verlobung von Eberhard Salomo Johannes Marggraff mit Anna Ida Henriette Goedecke. 12  Es konnte nicht ermittelt werden, von wessen Examen Alfred von der Leyen berichtet hatte. 13  Die Beilage ist nicht überliefert. Es handelt sich vermutlich um die im April, Juni und Juli 1892 erschienene dreiteilige Artikelserie Weber, „Privatenquêten“ über die Lage der Landarbeiter, MWG I/4, S.  71–105. 14  Paul Göhre erhielt im Februar 1894 die zweite Pfarrstelle an St. Gertraud in Frankfurt/ Oder; vgl. Brenning, Joachim, Christentum und Sozialdemokratie. Paul Göhre: Fabrikarbeiter – Pfarrer – Sozialdemokrat. Eine sozialethisch-historische Untersuchung [Diss. Marburg]. – Augsburg: Blasaditsch 1980, S.  77. 15  Es konnte nicht ermittelt werden, wen Max Weber genau meint.

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Clara Weber 26. November 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 11–12 Clara Weber besuchte bis März 1893 das Mädchenpensionat von Julie Davida Fournier in Vevey am Genfer See.

Charl. 26. XI. 92 Liebe Clara! Eben kommt Dein Brief und erinnert mich, daß ich schon seit einigen Tagen eine 20 frcs-Note für Dich herumtrage, die ich neulich in der Eile bei einem Bankier besorgte, der aber keine Schweizer hatte. Du mußt sie also wechseln, denn man wird sie dort sonst nicht nehmen und ist der Abzug zu groß oder brauchst Du mehr, so schicke sie zu­ rück und ich werde sehen Schweizer Geld zu bekommen.1 Süßigkeiten würde ich Dir gern schicken, aber sie werden ja verzollt und da würde Frl. Fournier dahinter kommen, deshalb thue ich es nicht. Kannst Du sie denn nicht dort besorgen? Sonst schreibe, was Du gern haben möchtest. Warum soll ich mich denn über Deinen Brief geärgert haben? Im Gegenteil, ich mag keine feierlichen Tugendepisteln von Dir hören, an die glaube ich doch nicht. Aber ich habe Herrn Goldschmidts Colleg über Handelsrecht übernommen und wenn ich auch mit meinen 100 Zuhörern ein reicher Mann grade bin2 und nächstes Jahr mit Herrn Göhre nach Chicago reisen werde, 3 so habe ich doch jetzt bis über die Ohren zu thun. Da habe ich es zuerst gänzlich vergessen, auch deshalb, weil Du mir ja doch nicht regelmäßig schreibst und für alle andren Menschen, nur nicht für mich Zeit zum Briefeschreiben hast, fast gar nicht mehr an Dich gedacht! – Lili zu photographieren werde ich 1  Die Schweiz bildete mit Frankreich, Belgien, Italien und anderen Staaten seit 1865 die Lateinische Münzunion, in deren Rahmen Kurantmünzen der Vertragsstaaten akzeptiert wurden. Die Annahme von Papiergeld lag jedoch weiterhin im Ermessen jeder einzelnen Regierung. 2  Nachweislich besuchten 109 Hörer die Vorlesung, die Max Weber im Wintersemester 1892/93 für den erkrankten Levin Goldschmidt übernommen hatte; vgl. die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53 mit Anm.  7. 3  Max Weber plante, 1893 gemeinsam mit dem befreundeten Theologen Paul Göhre zur „World’s Columbian Exposition“, der vom 1. Mai bis 30. Oktober 1893 in Chicago stattfindenden Weltausstellung, zu reisen.

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Mama vorschlagen, ich denke, das kann so wie so geschehen. Ob ich die Photographien von Papa und Mama besorgen kann, will ich einmal versuchen. Du brauchst mir aber wirklich nichts zu Weihnachten zu schenken, ich weiß ja, daß Du für Handarbeiten nicht schwärmst und Ölgemälde oder Nippes-Sachen kann ich hier unmöglich unterbringen [.] Dora4 ist noch hier und ich werde sie nächstens ins Theater bringen, aber in ein möglichst wenig nerven-aufregendes Stück, keinesfalls in ein Trauerspiel, sonst explodiert sie in alle Lüfte. Vielleicht kommt Mariechen5 von Leipzig aus auf einen Tag und holt sie von hier ab. Herrn Prof. Lenz, den Bruder von Frau Oberförster,6 habe ich jetzt einige Male im Sprechzimmer und in der Pferdebahn gesprochen, er ist fast ebenso hübsch wie sie und weithin kenntlich an seiner einen wei­ ßen Stirnlocke [.] Nun lebwohl, da Du doch nicht zu Briefen an mich kommst, so über­ lasse ich das Erzählen von hier auch lieber der Mama. Von Heidelberg kommen jetzt nur Trompetenstöße. Im Frühjahr ist Doppelhochzeit.7 Leb wohl und es ist nicht nötig [,] daß Du gänzlich vergißt Deinen Bruder Max

4  Max Webers Cousine Dorothea (Dora) Benecke. 5  Marie Benecke. 6  Max Lenz war Professor für Neuere Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Seine Schwester Clara war mit dem Oberförster Rohnert im nordhessischen Altmorschen verheiratet und hatte Clara Weber zuletzt Kochen und Haushaltsführung beigebracht. 7 Max Webers Cousinen Emilie (Mila) und Paula Hausrath heirateten am 8. April 1893 Philipp Jolly bzw. Georg Benno Schmidt.

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Hermann Baumgarten 30. November 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  63–64

Charlottenbg 30. XI. 92 Lieber Onkel! Justizrath Ernst1 ist einer unserer ersten und bekanntesten hiesigen Anwälte und es ist m. E. gänzlich unbedenklich Dich ihm anzuvertrau­ en. Ist es Dir lieber, so bin ich natürlich auch meinerseits zur Empfang­ nahme der Zahlung bereit, ich müßte dann eine notariell beglaubigte Vollmacht haben.2 Aber, wie gesagt, bedenklich ist es keinesfalls, zu Ernst zu gehen, denn er ist notorisch ein besonders anständiger und tüchtiger Notar. Meine Mutter erzählte mir von der Dich jetzt beschäftigenden Ange­ legenheit und daß Du mich gern deswegen befragt hättest. Ich traue mir keinerlei Geschäftskenntnis in diesen Dingen zu; handelt es sich aber um Umgründung des Geschäfts Deines Bruders3 in eine Aktien­ gesellschaft, so bin ich überzeugt, daß Du Dich gefaßt machen mußt, Alles was Du giebst, à fonds perdu zu geben. Diea Zeiten waren für Gründungen nie ungünstiger. – Wie gesagt, kann ich Dir Vermittlerdienste leisten, so stehe ich mit Vergnügen zur Verfügung. Zu Weihnachten wird meine Arbeitslast wohl etwas abnehmen. Jetzt ist sie durch Übernahme von Gold­ schmidts Handelsrecht auf der Höhe.4 Das sind allerdings 120 Zuhö­ rer, die bei mir belegt haben, aber ich habe schwere Mühe in der Ge­ schwindigkeit ein Heft auszuarbeiten. Mit meinem eignen Colleg5 bin ich recht zufrieden. a  〈Zeitungen〉   1  Friedrich Ernst. 2 Ob es sich um eine Auszahlung aus dem Nachlaß von Marie Baumgarten, Hermann Baumgartens 1890 verstorbener Schwester, handelt (vgl. die Briefe an Hermann Baumgarten vom 15. und 20. Febr. 1891, oben, S.  233 f. und 235 f.), war nicht zu ermitteln. 3  Adolf Baumgarten besaß eine Porzellanfabrik in Weingarten (Baden). 4  Max Weber hatte für den erkrankten Levin Goldschmidt dessen Vorlesung „Handelsrecht“, die nachweislich 109 Hörer besuchten, übernommen; vgl. die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53 mit Anm.  7. 5  Es handelt sich um die vierstündige Vorlesung „Römische Rechtsgeschichte“; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, WS 1892/93, S.  3, ferner MWG III/1, S.  53.

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Fast wäre ich nach Freiburg gekommen, aber man schlägt mich von hier aus nicht vor, weil ich formell die venia für deutsches Recht noch nicht habe.6 So wird es nichts. Herzlichsten Gruß, ich schicke Dir bald mein Buch. Marcks ist aus­ gezeichnet.7 Dein Neffe Max

6  Max Weber besaß die Venia legendi für Handelsrecht und Römisches (Staats- und Privat-)Recht. Zu dem nicht realisierten Plan, seine Lehrbefugnis durch eine Arbeit „Germanistische Studien auf dem Gebiete des Concurs- und Handelsrechts“ auszuweiten, vgl. den Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, unten, S.  323 f. Aus dem Hinweis auf die fehlende Lehrbefugnis für Deutsches Recht ist zu schließen, daß sich Max Weber auf die Nachfolge für Karl von Amira auf den Freiburger Lehrstuhl für Deutsches Recht, Kirchenrecht und juristische Enzyklopädie bezieht; vgl. Zeiler, Frank, Statik und Wandel. Die Freiburger Rechtsfakultät im universitären Expansionsprozess des Deutschen Kaiserreichs (Freiburger Beiträge zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Neue Folge, Band 5). – Freiburg: Alber 2009, S.  213–215. 7  Es handelt sich wahrscheinlich um: Marcks, Erich, Gaspard von Coligny. Sein Leben und das Frankreich seiner Zeit. – Stuttgart: Cotta 1892.

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Wilhelm Liebknecht 6. [Dezember] 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig Russisches Zentrum für die Archivierung und Erforschung von Dokumenten zur Neuesten Geschichte (früher: Zentrales Parteiarchiv der KPdSU), fond 200, op.  4, d. 3523 Max Weber hat diesen Brief auf den 6. November datiert. Dabei handelt es sich offensichtlich um ein Versehen: Die Schrift Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3), die er mit dem Brief verschickte, lag erst nach dem 21. November gedruckt vor. Der Brief wurde entsprechend umdatiert.

Charlottenburg Leibnizstraße [19] a 6. XII.b 92 Sehr geehrter Herr! Ich erlaube mir Ihnen die anliegende Schrift zu überreichen nicht als Ausdruck der Sympathie mit Ihrer politischen Parteistellung, die ich nach meinen Überzeugungen nicht zu teilen vermag, sondern als Inter­ essenvertreter des deutschen Proletariats [.] Eine in jeder Richtung rücksichtslose öffentliche Kritik1 wird mir lediglich willkommen sein, auch insoweit sie versuchen sollte mir nachzuweisen, daß ich von Klas­ sen-Vorurteilen ausgehe. Aus welchem Grunde ich eine sozialistische Organisation des landwirtschaftlichen Betriebes für ausgeschlossen erachte auch bei Zugeständnis aller theoretischen Prämissen und Sup­ position der praktischen Durchführbarkeit für den gewerblichen Be­ trieb, habe ich bei dieser Gelegenheit nicht auszuführen vermocht. Vielleicht hat für Sie die Schrift das Interesse, daß sie die sehr wün­ schenswerthe eingehendere Beschäftigung mit der Agrarfrage vom so­ zialistischen Standpunkt aus fördert. Bisher liegt, wie Ihnen nicht ent­ gangen sein kann, hier Alles im Argen und werden, namentlich [,] was das Verhältnis von Groß- und Kleinbetrieb anlangt, unzutreffende in­ dustrielle Schablonen verwendet. – Wir unsererseits bedürfen im Intera Lochung.   b O: XI.   1  Wilhelm Liebknecht verfaßte keine Rezension. Die Landarbeiterenquete war bereits im Laufe des Jahres 1892 von sozialdemokratischer Seite kritisiert worden, vor allem, weil nur die ländlichen Arbeitgeber befragt worden waren; vgl. dazu die Angaben im Editorischen Bericht zu Weber, Die Erhebung des Vereins für Socialpolitik über die Lage der Landarbeiter, MWG I/4, S.  120 f. Zur weiteren Auseinandersetzung der Sozialdemokratie mit den Forschungsergebnissen Max Webers zur ländlichen Arbeiterfrage vgl. Riesebrodt, Martin, Einleitung, in: MWG I/3, S.  1–17, hier S.  15–17.

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esse der wissenschaftlichen Discussion sachkundigerer Gegner, als sie uns – bisher wenigstens – grade auf diesem Gebiet der Sozialismus zu stellen vermochte. Hochachtungsvoll ergebenst Dr Max Weber Privatdocent.

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Georg von Vollmar 13. Dezember 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig IISG Amsterdam, Nl. Georg von Vollmar, Fasz. 2221

Charlottenburg Leibnizstr. 19 13. XII. 92 Sehr geehrter Herr! Ich erlaube mir, Ihnen die beifolgende Schrift1 zu überreichen mit dem Wunsch, daß durch eine möglichst |:in jeder Hinsicht:| rücksichtslose Kritik von Seiten Ihrer Gesinnungsgenossen die wissenschaftliche Er­ örterung des immerhin wichtigen Gegenstandes, den Sie betrifft, ge­ fördert werden möge.2 Daß ich die sozialistische Auffassungsweise unsrer Entwicklung, obwohl ich mich mit ihr in zahlreichen Punkten begegne, doch in der Hauptsache grade für die landwirtschaftlichen Verhältnisse nicht zu teilen vermag, werden Sie ersehen, falls Ihre Zeit Ihnen einen Blick in die Ausführungen gestattet. Es wird Ihnen and­ rerseits nicht entgangen sein, daß die bisherige Erörterung der Land­ frage vom sozialistischen Standpunkte aus, einschließlich der nicht sehr glücklichen Ausführungen von Marx, meist unzulänglich, na­ mentlich [,] was die Sachkunde über die thatsächlich bestehenden Zu­ stände |:anlangt:|, gewesen ist. Es wäre mir angenehm glauben zu kön­ nen, daß ich, soweit das mir vorliegende Material dies gestattete, dazu beigetragen habe, daß die bestehenden Meinungsgegensätze correcter formuliert werden. Wir halten zur Zeit grade eine Auseinandersetzung mit derjenigen m. E. zukunftsreichsten Strömung des Sozialismus, wel­ che von Ihnen mit so erheblichem Erfolge vertreten wird,3 über prak­ tische und theoretische Grundfragen für besonders wünschenswerth. Hochachtungsvoll ergebenst Dr Max Weber

1  Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3). 2  Zur sozialdemokratischen Kritik vgl. den Brief Max Webers an Wilhelm Liebknecht vom 6. Dez. 1892, oben, S.  292, Anm.  1. 3  Georg von Vollmar hatte sich seit Mitte der 1880er Jahre zum pragmatischen Revisionisten innerhalb der SPD entwickelt und war einer ihrer wenigen Agrarexperten.

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Clara Weber 20. Dezember 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 13–14

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Gleichzeitig hiermit schicke ich Dir ein ganz gefährlich großes Packet, gegen naschhafte Postbeamte versichert, dessen Inhalt Du, wie ich fürchte schon aus der unausstehlichen „Déclaration de Douane“ erse­ hen haben wirst, – oder bist Du nicht mehr so neugierig wie in Deiner Jugend? Alfred legt der Einfachheit halber gleich bei. Einige Neu­ jahrskarten – es waren im Allgemeinen noch keine zu kriegen – lege ich, da ich sie vergessen habe, hier bei. – Die Photographien sind noch nicht fertig,1 Du bekommst nach Weih­ nachten davon. Lili ist recht niedlich geworden. – Von Dir ist ja ein ganzes Gebäude, mit der Aufschrift „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!“ hier angekommen. Ich nehme an, daß für mich mindestens ein Waschbecken darunter ist und danke Dir im Voraus dafür, denn wenn ich Dir später schreibe, so weiß ich doch, daß ich 4 Wochen auf Antwort warten kann, deshalb thu ichs nicht, son­ dern schicke Dir lieber schon jetzt einen schönen Gruß zum neuen Jahr und bis wir uns im Frühjahr wiedersehen. Vielleicht fühlst Du doch ein wenig Heimweh, wenn die Weihnachtslichter angezündet sind? Nun um so schöner wirds im nächsten Jahr hier sein, – d. h. wenn ich dann noch hier bin – und einstweilen wünsche ich Dir, daß Du nicht in derselben Weise heimatliche Gefühle bekommst wie ich seinerzeit in Straßburg: 2 dadurch nämlich, daß ich mir dort ebenso, wie meist hier, den Magen verdarb. – Da Du mir lange nichts gestickt hast, so habe ich es diesmal gethan, hoffentlich hat das Tuch Deinen Beifall und kommt nicht zu zerknüllt

1  Clara Weber, die ein Mädchenpensionat im schweizerischen Vevey besuchte, hatte sich Photographien ihrer Eltern und ihrer Schwester Lili gewünscht; vgl. den Brief an Clara Weber vom 26. Nov. 1892, oben, S.  288 f. 2  Max Weber hatte Weihnachten 1883 in Straßburg, wo er seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger ableistete, bei den verwandten Familien Benecke und Baumgarten verbracht.

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an. Versäume auch nicht, den einen, langen Bonbon auszuwickeln, er ist leicht verderblich. Jetzt lebe wohl und laß Dir zum ersten Mal beim fremden Weih­ nachtsbaum nicht kalt ums Herz werden, die Gedanken finden ja auch in dera Ferne zu einander und Du kommst jab nun bald in die Heimath zurück, während ich bei jedem Weihnachtsbaum in diesen Jahren nicht weiß, ob es nicht der letzte ist, den ich auf dieser Erde im Elternhause sehen werde. Laß Dirs gut gehen und sei schön gegrüßt von Deinem Max

a O: die  b  〈noch〉  

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Theodor Mommsen 25. Dezember 1892; Charlottenburg Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. Theodor Mommsen, Kasten 126

Charlottenburg Leibnizstr. 19 25. XII. 92 Hochverehrter Herr Professor! 5

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Der freundlichen Einladung zum 3. k. M. kann ich leider nicht Folge leisten, da ich bisher für diesen Winter zufolge starker Arbeitsbela­ stung allen größeren Gesellschaften, namentlich Abendgesellschaften mit der Erklärung aus dem Wege gegangen bin, ich würde an der größ­ ten Geselligkeit überhaupt nicht teilnehmen. Ihnen und den verehrten Ihrigen ist bekannt, wie besonders gern ich stets, trotz meiner mangel­ haften orchestrischen Begabung, zu Ihnen gekommen bin, allein ich glaube doch, um mich keinen Recriminationen auszusetzen, es mir für diesmal versagen zu sollen.1 Mit dem verbindlichsten Dank für Ihre Freundlichkeit und der Bitte um angelegentlichste Empfehlung an Ihre werthe Familie verbleibe ich Ihr stets hochachtungsvoll ergebenster Dr Max Weber

1 Im Haus von Theodor Mommsen fanden regelmäßig gesellige und gelehrte Gesellschaften statt. Zu Hausmusik oder ähnlichem hatte Mommsen selbst jedoch kein intensives Verhältnis, weshalb Max Webers Aussage hier rein metaphorisch zu verstehen sein dürfte.

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Clara Weber 7. Januar 1893; BK Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 15–16 Die Ortsangabe ist aus dem Briefkopf erschlossen. Max Weber benutzte Briefpapier mit einem Bildmotiv seines Elternhauses, Leibnizstraße 19, in Charlottenburg. An dessen Gartentor ist der Schriftzug „Villa Helene“ zu erkennen.

Villa Helene, den 7. 1. 93 Mein liebes Kätzchen! Dein allerliebstes Ebenbild steht vor mir auf dem Tisch und ich geniere mich ordentlich meine Cigarrenasche auf das Fell des kleinen Unge­ tüms abzustreichen, denn ich fürchte immer die Malerei leidet darun­ ter oder ist das nicht der Fall? Daßa ich Dir noch immer nicht geschrie­ ben habe, hat seinen Grund nur und allein darin, daß ich erst einmal fürchterlich viel zu schreiben hatte, – nicht Briefe, aber ungefähr 1 Pfund Weisheit habe ich neulich wieder an Herrn Prof. Goldschmidt geschickt,1 – und dann fingen die Collegien2 wieder an und wenn auch die Zuhörer noch dünn sind, so mußte ich deshalb doch auf dem Platz sein. Sonst hätte ich Dir schon lange für Dein niedliches Geschenk gedankt, ich hätte der kleinen weißen Katze gern einen Kuß gegeben, fürchtete ich nicht sie zu verschrecken; so spare ich ihn für das Original auf, wenn ich es wieder hier habe. Also in Geldnöten bist Du wieder? Nun schön, ich schicke Dir nächster Tage – es kann freilich bis Don­ nerstag dauern – wieder eine von den „Knoter[“]b, 3 die man nichtc vor die Thür wirft. Ich bin jetzt allerdings ziemlich reich, denn neulich hat man mir über 2400 Mark Colleggelder ausbezahlt,4 aber ich muß sehr a  〈Du〉  b  Alternative Lesung: „Knoten [ “ ]  c  Unsichere Lesung: 〈aus der Lu〉   1 Vermutlich ist gemeint: Weber, Max, [Rezension von: Wilhelm Kaufmann,] Das inter­ nationale Recht der ägyptischen Staatsschuld, MWG I/5, S.  115–120. Die Rezension erschien in der von Levin Goldschmidt herausgegebenen „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“. 2 Es handelt sich um die Vorlesungen „Römische Rechtsgeschichte“ sowie „Handelsrecht“. Letztere hatte Max Weber für den erkrankten Levin Goldschmidt übernommen, wie vermutlich auch dessen einstündiges Spezialkolleg „Wechselrecht“; vgl. dessen Vorlesungsankündigung in: Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, WS 1892/93, S.  4. Dafür entfiel vermutlich Max Webers angekündigtes „Handelsrechtsprakticum“; vgl. die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53 mit Anm.  9. 3  Gemeint ist vermutlich eine gerollte und mit einem Bändchen umwickelte Banknote. 4 Die Einnahmen stammen aus den Vorlesungen „Römische Rechtsgeschichte“ und

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Brief an Clara Weber vom 7. Januar 1893 mit Briefkopf „Villa Helene“ (S.  298) Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Blatt 15

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sparen, sonst wird aus meiner Reise nach Chicago mit Herrn Göhre,5 der Dich grüßen läßt, nichts, die kostet etwa 3–4000. Du möchtest, schien mir beinah, gerne mit? Ja? was wird aber der Papa dazu sagen, ich fürchte [,] das wird nichts. Ein Geschenk für Dich habe ich noch ganz vergessen, oder vielmehr ich wollte Dich erst vorher noch einmal fragen, wie es sein sollte. Du hast Dir von mir einen Photographie-Rahmen gewünscht und schreibst mir soeben, Du wolltest noch Photographien haben. Von wem denn? Von mir doch nicht? Ich habe jetzt nur noch eine (in 2 Exemplaren) [,] die ein Mann gemacht hat, der mich unter den Professoren im Laden­ fenster ausstellen wollte, damit die begeisterten Zuhörer sie sich kau­ fen und in ihr Collegheft kleben. Die habe ich umsonst gekriegt. Aber die ist Cabinet6 und außerdem bin ich als berühmter Mann frisiert und schaue äußerst patzig in die Welt. Wie soll denn der Rahmen sein? Für wieviel Bilder? Cabinet oder Visit? Schreibs mir doch bitte gleich, da­ mit ich’s besorge. Und die Marzipantorte ist alle – d. h. also Dud möch­ test gern etwas als Ersatz dafür. Aber geht denn das zollfrei ein und kommt es uneröffnet zu Euch? Denn sonst würden sie dort den unter­ würfigen Bruder doch gar zu sehr auslachen. Jetzt geht hier die Wirtschaft mit den Gesellschaften wieder an, aber ich habe alle Tanzereien wegen „Überbürdung“ abgesagt,7 das thue ich erst im nächsten Winter wieder als Ballvater meines häßlichen Lieb­ lings, – aber ei ei! – „was hör’ ich hier, was hör’ ich da, wer bläst die Zieh-Harmonika?“8 – „Sprößlinge“ des männlichen Geschlechts wün­ schen mit Euch „Pensions-Pfannekuchen“ zu laufen? – komm mir nur nicht mit einem künftigen Schwager hier angerückt, sonst glaube ich würde ich eifersüchtig und schlüge ihn mausetot. Welch ein Leichtsinn von Frl. Fournier,9 Euch aus ihrer Obhut zu lassen, ich dachte da liefe d  Unsichere Lesung: 〈möchtest〉   „Handelsrecht“, die Max Weber „privatim“ gab, also mit Honorarentrichtung der Hörer; vgl. dazu ausführlicher die Einleitung, oben, S.  5. 5 Max Weber verzichtete später wegen der Verlobung mit Marianne Schnitger auf die 1893 mit Paul Göhre geplante Reise zur Weltausstellung nach Chicago. 6  Bezeichnung für ein Photographieformat. 7 Vgl. den Brief an Theodor Mommsen vom 25. Dez. 1892, oben, S.  297, in dem Max Weber eine Einladung wegen „starker Arbeitsbelastung“ ausgeschlagen hatte. 8  Als Zitat nicht nachgewiesen. 9 Julie Davida Fournier war die Leiterin des Mädchenpensionats, das Clara Weber bis März 1893 im schweizerischen Vevey besuchte.

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immer so eine X beinige Französin mit und paßte auf, daß nicht deutsch gesprochen wird. – Hier giebts mancherlei zu erzählen; neulich hatte Se. Exzellenz Herr Minister Miquèl10 sogar die Gnade mich einzuladen und ich wurde da­ durch ausgezeichnet, daß ich neben seine rotblonde Tochter11 gepflanzt wurde, sie hat aber ein fatales Zucken im Gesicht, so, daß [,] als sie zum erstenmal mitten im Sprechen die Augen zukniff und eine Grimasse schnitt [,] ich so unhöflich war, mich vor Schreck mit Suppe zu bekle­ ckern. Ich erzähle Dir gern noch mehr, aber schreibst Du mir denn auch recht oft? wenns auch nur immer ein bischen Unsinn ist, aber sehr oft! Aber ich kenne Dich schon: bei Dir ist doch nur „e ganz Bissele Lieb und e ganz Bissele Treu“ und „e großes Bissele Falschheit“,12 Du ver­ gißt es nachher doch oder schreibst nur so im Rausch mit, wenn Du Anderen schreibst. Nun gut Nacht, Lili ruft mich zum Erzählen, mit herzlichem Gruß und Kuß Dein Max

10  Diese Einladung des preußischen Finanzministers Johannes Miquel sei aus Anerkennung der Landarbeiterenquete erfolgt (vgl. Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland, MWG I/3), erinnerte sich Max Weber später in einem Brief an Gustav Schmoller vom 2. März 1899, MWG II/3, S.  646 mit Anm.  7. 11  Elisabeth Miquel. 12 Anklang an das Volkslied „E bissele Lieb und e bissele Treu“ von Friedrich Silcher (1831).

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Clara Weber 9. Januar 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 17

Ch. 9. 1. 93 Liebes Clärchen!

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Anbei wieder einen Belgier, andere Noten scheint man hier nicht be­ kommen zu können.1 Nun laß Dir’s gut gehen und schreib baldigst, ich erzähle Dir dann auch was: es giebt Manches Neue dazu und es scheint, daß sich hier große Dinge vorbereiten, über die Du Dich sehr wundern wirst, – nicht mit mir oder einem von uns, aber Du kennst ihn sowohl als sie beide sehr gut, 2 – aber pst! pßt! pßßßßßt!!!!! – sonst erzähle ich Dir nie wie­ der ein Geheimnis. Nächstens schreibe ich es Dir vielleicht. Mit schönstem Gruß Dein Max

1 Max Weber schickte seiner Schwester Clara, die bis März 1893 ein Schweizer Mädchenpensionat besuchte, einen belgischen Geldschein. Sowohl die Schweiz als auch Belgien gehörten der seit 1865 bestehenden Lateinischen Münzunion an, in der die Landeswährungen aller Mitgliedsstaaten als Zahlungsmittel akzeptiert wurden. Vgl. auch den Brief an Clara Weber vom 26. Nov. 1892, oben, S.  288 mit Anm.  1. 2  Max Weber spielt auf die Bemühung seines Freundes Paul Göhre um Marianne Schnitger an, die sich seit dem 21. April 1892 in Berlin aufhielt, um Malunterricht zu nehmen.

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Marianne Schnitger [16. Januar 1893]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus Marianne Webers späterer handschriftlicher Datierung „Januar 1893“ auf dem Brief und aus ihrer Tagebuchnotiz (Weber, Marianne, Tagebuch Nr. IV, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, S.  56) sowie Max Webers Tagesangabe „Montag Nacht“. Demzufolge verfaßte Max Weber den folgenden Brief, den Marianne Weber am 17. Januar 1893, „diesem wunderbarsten Tage in meinem Leben“, von Helene Weber ausgehändigt erhielt (Tagebuchnotiz), am Montag, den 16. Januar 1893, bei Nacht.

Montag Nacht. Lies diesen Brief, Marianne, wenn Du fest und ruhig bist, denn ich habe Dir Dinge zu sagen,a welche zu hören Du vielleicht nicht vorbe­ reitet bist. Du glaubst, – denke ich – wir seien mit einander am Ende und ich würde Dich auf den stillen und kühlen Hafen der Resignation verweisen, in welchem ich selbst seit Jahren vor Anker gelegen habe. Aber Dem ist nicht so. – Zunächst eines: verstehen wir uns irgend, so brauche ich Dir nicht zu sagen, daß ich niemals einem Mädchen meine Hand zu bieten wagen werde wie ein freies Geschenk, – nur wenn ich selbst unter dem gött­ lichen Zwange der vollen bedingungslosen Hingabe stehe, darf ich sie |:auch meinerseits:| fordern und annehmen. Dies damit Du mich im Folgenden nicht misverstehst. – Und nun höre. – Ich kenne Dich, Du wirst es Dir |:selbst:| sagen, seit wenigen Tagen, denn Du warst mir ein Rätsel in Vielem, was ich jetzt begreife. Du aber kennst mich nicht, es kann nicht sein. Dub siehst nicht, wie ich mühsam und mit wechselndem Erfolge die elementaren Leidenschaften zu zü­ geln suche, welche die Natur in mich gelegt hat; |:aber:| frage meine Mutter; ich weiß es wohl, daß ihre Liebe zu mir, die mir den Mund schließt, weil ich sie nicht entgelten kann, darin wurzelt, daß ichc in moralischer Beziehung ihr Sorgenkind war. – Seit Jahren hat mich nie­ mals der Gedanke berührt, daß das reiche Herz eines Mädchens meinem nüchternen Wesen nahe kommen könnte, deshalb war ich blind und auch bei Dir meiner Meinung sicher. Als ich nun die Neigung

a  〈auf〉  b  〈kennst nicht〉  c  〈ihr〉  

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meines Freundes1 zu Dir wachsen sah und zu erkennen glaubte, daß Du sie erwidertestd, vermochte ich mir nicht zu erklären, warum, – ein­ mal und wieder – ein schweres dumpfes Gefühl wie von Trauer mir kam, wenn ich Dich ansah und dachte, daß ich Dich an seiner oder an der Seite eines Andren durchs Leben würde gehen sehen. Ich hielt es für e die selbstische Empfindung Dessen, der resigniert hat,f beim An­ blick fremden Glückes, und unterdrückte es. Aber es war etwas Andres. Du weißt was. Über meine Lippen darf das Wort nicht, denn ich habe eine doppelte Schuld an die Vergangen­ heit zu zahlen und weiß nicht ob ich es kann. Du weißt von beiden, aber trotzdem muß ich davon sprechen. Zuerst die Ereignisse der letzten schweren Tage. Schwerer, als Du jetzt irgend zu ermessen vermagst, haben wir beide, |:aber:| durch mei­ ne Schuld allein, das Lebensglück meines Freundes getroffen. Seine reine Gestalt steht zwischen uns. Er weiß, was ich Dir hier schreibe und er ist männlich und klar. Aber ich weiß nicht, ob und wann die Stunde kommen kann, wo er unbefangen und ohne das Gefühl des Verzichtes, sondern lebendig mitempfindend Dir ins Auge sehen könnte, wenn Du an der Hand eines Andren vor ihn trätest. So lange das nicht ist, kann ichg nimmermehr auf dem Grunde seiner Resignation mir ein eignes Lebensglück bauen. Denn es fiele ein Schatten aus der Vergangenheit auf das Gefühl, welches ich dem Weibe an meiner Seite zu bieten ver­ möchte. Aber von noch Schwererem habe ich zu sprechen. Durch meine Mutter weißt Du, daß ich |:– wie ich jetzt glaube –:| dem reinen Herzen eines Mädchens nahe kam, vor jetzt 6 Jahren, 2 Dir ähnlich in Manchem, anders in Andrem. Aber hDu kennst nichth die ganze Schwere der Verantwortung, die ich, damals im Verkehr mit Mädchen noch ein halber Knabe, auf mich geladen habe; ich selbst er-

d O: erwiedertest  e  〈das〉  f  〈und〉  g  〈niemals〉  h–h  kaum kennst Du > Du kennst nicht   1  Paul Göhre hatte am 11. Januar 1893 Marianne Schnitger mit Wissen von Helene Weber einen Heiratsantrag machen wollen. Bevor es dazu kam, hatte Marianne Schnitger jedoch Helene Weber ihre Liebe zu Max Weber gestanden (Weber, Marianne, Tagebuch Nr. IV, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446, S.  47–49). 2  Max Weber datiert die Intensivierung der Beziehung zu seiner Cousine Emmy Baumgarten auf die Zeit, als er von Ende Januar bis Ende März 1887 in Straßburg eine Militärübung ableistete.

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kannte sie erst spät und sie ist eine Mitgabe fürs Leben. Sie hat, das sah ich erst später, besser als ich gefühlt, wie es um mich stand. – Lange zweifelte ich, ob wir miteinander abgeschlossen hätten. Um Gewißheit zu erlangen, fuhr ich im Herbst nach Stuttgart. 3 Ich sah sie, die Erscheinung und Stimme von ehedem, – und sieh, es war, als ob eine Geisterhand ihr Bild im Hintergrund meines Herzens auslöschte, denn es war eine andre Gestalt, als in mir gelebt hatte, wie aus einer andren Welt, die mir entgegentrat. Warum? ich weiß nicht. Wir schie­ den, so dachte ich, für das Leben. – Da hörte ich Weihnachten, daß die Ärzte den Grund ihres fortdau­ ernden Leidens nicht zu finden vermochten und auf eine noch dau­ ernde geheime Neigung schlossen. Und ich forsche vergebens in mir nach endgültiger Antwort auf die Frage: ist es möglich, daß ich, der ich glaubte ihr zum Abschluß mit jener Neigung zu helfen (wenn sie vor­ handen war), in ihr die Hoffnung weckte? – Jetzt kommt die Nachricht, daß sie zu gesunden beginne und selbst glaube, und doppelt schwer la­ stet der Zweifel auf mir: ist es Hoffnung oder Verzicht, was ihre Nerven erstarken läßt? Wie Dem aber auch sei, auch von ihr könnte ich einen kühlen Ver­ zicht, Resignation, nicht nehmen; ich darf nicht tot für sie sein, wenn ich für eine Andre leben soll, und deshalb muß ich ihr ins Auge sehen und erkennen, ob ihr Herz lebendig mitschlägt, wenn ich dasi Lebens­ glück, welches sie mir gebracht hätte, hätten nicht Vorurteile, meine |:äußere:| Aussichtslosigkeit in der öden Referendarszeit4 und |:auch:| meine Schwachheit dazwischen gestanden, von einer Andren empfan­ ge. |:Aber wann wird das sein? Ich weiß es nicht. –:| Und nun frage ich Dich: hast Du Dich innerlich losgesagt von mir in diesen Tagen? oder den Entschluß dazu gefaßt? oder thust Du es jetzt? Wenn nicht, dann ist es zu spät, wir sind |:dann:| aneinander gebunden, und ich werde hart gegen Dich sein und Dich nicht schonen. Ich sage Dir: ich gehe den Weg [,] welchen ich muß und den Du jetzt kennst. – Und Du wirst ihn mit mir gehen. – Wohin er führen wird, wie weit er ist, ob er uns zusammenführt auf dieser Erde, das weiß ich nicht. Und i  mein > das   3 Zu Max Webers Besuch bei Emmy Baumgarten am 9. September 1892 im „Ottilienhaus“, einem Stuttgarter Sanatorium für Nervenkranke, vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. Sept. 1892, oben, S.  278 f. 4  Von 1886 bis 1890 hatte Max Weber das Rechtsreferendariat absolviert; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  113 f.

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wenn ich auch jetzt weiß, wie groß und stark Du bist, stolzes Mädchen, so kannst Du dennoch erliegen, denn gehst Du mit mir, so trägst Du nicht Deine Last allein, sondern die meine mit, und Du bist es nicht gewohnt, solche Wege zu gehen. Darum prüfe uns beide. – Aber ich glaube ich weiß, wie Du entscheidest. Hoch geht die Sturmfluth der Leidenschaften und es ist dunkel um juns, – kommj mit mir, mein hochherziger Kamerad, aus demk stillen Hafen der Resigna­ tion, hinaus auf die hohe See, wo iml Ringen der Seelen die Menschen wachsen und das Vergängliche von ihnen fällt. Aber bedenke: im Kopf und Busen des Seemannes muß es klar sein, wenn es unter ihm bran­ det. Keine phantasievolle Hingabe an unklare und mystische Seelen­ stimmungen dürfen wir in uns dulden. Und wenn die Empfindung Dir hoch geht, mußt Du sie bändigen, um mit nüchternem Sinn Dich steu­ ern zu können. Gehst Du mit mir, so antworte mir nicht. Dann werde ich Dir, wenn ich Dich jetzt wiedersehe, still die Hand drücken und die Augen nicht vor Dir niederschlagen, und Du sollst es auch nicht thun. Lebewohl, schwer legt sich das Leben auf Dich, Du misverstandnes Kind, – ich sage Dir jetzt nur: ich danke Dir für den Reichtum, den Du meinem Leben gegeben hast und meine Gedanken sind bei Dir. Und nun noch einmal: komm mit mir, ich weiß, Du kommst. Max Noch Eines, eine Äußerlichkeit. Du hast Licht und Leben in unser Haus gebracht, und ich war ein Einsiedler in meiner Stube. Nicht um Deinet-, um unsretwillen darfst Du es nicht meiden. Deshalb, glaube ich, ist es richtig, daß ich es verlasse. Ich ziehe nach Berlin, und sehe Dich Sonntags, kürzer als bisher, und innerlich anders, aber äußerlich ebenso. – Nun überlege Du noch einmal mit meiner Mutter, ob es so richtig ist. Denn ich schulde Dir jetzt Rechenschaft. Sage mir, was Du für richtig hältst. Es ist, wie die Dinge liegen, jetzt keinerlei Opfer, we­ der das eine noch das andre. Ich habe jetzt vom Hause nicht viel und das Haus gar nichts von mir. Meine Mutter wird es Dir bestätigen. – Ich darf nicht zu oft in Deine Augen sehen, aber ich muß es zuweilen, da­ mit wir uns kennen lernen. Denn ich vermag nicht zu glauben, daß Du mich kennst.

j–j  uns. – Und nun komm > uns, – komm  k  〈ruhi〉  l  in dem großen > im  

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Clara Weber 20. Januar 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 18–19 Clara Weber besuchte bis März 1893 das Mädchenpensionat von Julie Davida Fournier in Vevey am Genfer See.

Charl. 20. 1. 93 Liebstes Clärchen! Vielen Dank für Dein Briefchen. Ich habe Mama gesagt, daß Du die Photographien haben willst und Du wirst sie bekommen. Nun habe ich nach Rahmen gesucht. Es ist sonderbar, wie wenig hübsche Sachen man jetzt nach Weihnachten sieht. Ich schicke Dir morgen oder über­ morgen einen, der für kleine (Visit-) a Bilder ist [,] und will sehen, ob ich noch etwas zum Stellen von Cabinetbildern finde. Wenn nicht, so gehe ich, wenn Du wieder kommst, mit Dir auf die Suche. Dann sollst Du überhaupt Alles haben, was Du gern möchtest. Ich kann Dir jetzt nicht lang schreiben, denn ich muß gleich an das Collegheft.1 Schreib Du mir doch bald. Die 20 frc. hast Du doch be­ kommen?b – Das mit dem „pst, pßt“ war natürlich aufgeschnitten, 2 ich dachte nur, Du würdest mir dadurch früher schreiben, weil Du neugie­ rig würdest. Die Ohrfeige, die ich jetzt |:dafür:| bekäme, wenn Du hier wärst, will ich gern nehmen, wenn wir uns wiedersehen, – aber siehst Du, zu solchen Mitteln greift man, wenn man mit Briefen so kurz ge­ halten wird. Nun hast Du mir doch noch nicht wieder geschrieben! Ich gehe jetzt fast jeden Tag in eine Gesellschaft, es ist fürchterlich, wie man sich den Magen verdirbt. Tanzen habe ich abgesagt „wegen zu großer Arbeitslast.“3 a  (Cabinet-) > (Visit-)  b  〈Daß〉   1  Es handelt sich vermutlich um das Kollegheft zu einer von Levin Goldschmidt übernommenen Vorlesung; vgl. den Brief an Clara Weber vom 7. Jan. 1893, oben, S.  298 mit Anm.  2. 2  Max Weber hatte im Brief an Clara Weber vom 9. Januar 1893, oben, S.  3 01, angedeutet, daß sich Marianne Schnitger und Paul Göhre verloben wollten. Zu Paul Göhres Werbung um Marianne Schnitger vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, oben, S.  3 02 f. mit Anm.  1. 3 Vgl. den Brief an Theodor Mommsen vom 25. Dez. 1892, oben, S.  297, in dem Max Weber eine Einladung wegen „starker Arbeitsbelastung“ ausgeschlagen hatte.

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Übrigens ziehe ich jetzt vielleicht nach Berlin,4 so daß wir uns wenig sehen werden, wenn Du wiederkommst. Oder willst Du mir etwa den Haushalt führen? Mit Deinen Altmorschener Kenntnissen?5 Lebwohl, nächster Tage mehr, es küßt Dich herzlichst Dein Max

4  Max Weber erwog, bis zur Klärung seiner Beziehung mit Marianne Schnitger aus dem Elternhaus auszuziehen; vgl. die beiden Briefe an Marianne Schnitger vom 16. und 23. Jan. 1893, oben, S.  3 05, und unten, S.  3 08. 5  Clara Weber hatte 1892 bei Clara Rohnert im nordhessischen Altmorschen Kochen und Haushaltsführung erlernt.

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Marianne Schnitger [23. Januar 1893]; o.O. Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum ist erschlossen aus der Tagesangabe „Montag“ und aus Marianne Webers Tagebuchnotiz (Weber, Marianne, Tagebuch Nr. IV, Bestand Max Weber-Schäfer, De­ ponat BSB München, Ana 446, S.  57 f.). Demzufolge bezieht sich der folgende Brief auf das erste Wiedersehen von Max Weber mit Marianne Schnitger am Sonntag, den 22. Januar 1893, nachdem sie am 17. Januar 1893 seinen „Verlobungsbrief“ erhalten hatte (vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Januar 1893, oben, S.  3 02–305).

Montag Ich habe, glaube ich, gestern Momente von Schwäche gezeigt und Dich dadurch beunruhigt. Aber das ist erledigt. „Mit lachendem Mund und fröhlichen Herzens“, wie es in dem alten Lied heißt,1 wollen wir dem Geschick, wie es auch fallen möge, entgegengehen. Nicht wahr? Max Aber überlege noch einmal, ob es für Dich nicht richtiger ist, ich zöge in die Stadt [.] 2

1  Als Liedzitat nicht nachgewiesen; es ähnelt allenfalls dem Chor „Unser Mund sei voll Lachens“ der gleichnamigen Bachkantate (Bach-Werke-Verzeichnis 110); Auskunft des Zentrums für populäre Kunst und Musik an der Universität Freiburg i. Br. vom 22. April 2015. 2  Max Weber erwog, bis zur Klärung der Beziehung nach Berlin zu ziehen; vgl. den vor­ ausgegangenen Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. und an Clara Weber vom 20. Jan. 1893, oben, S.  3 05 und 307.

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Clara Weber 27. Januar 1893; BK Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  20–21 Die Ortsangabe ist aus dem Briefkopf erschlossen. Max Weber benutzte Briefpapier mit einem Bildmotiv seines Elternhauses, Leibnizstraße 19, in Charlottenburg. An dessen Gartentor ist der Schriftzug „Villa Helene“ zu erkennen. – Clara Weber besuchte bis März 1893 das Mädchenpensionat von Julie Davida Fournier in Vevey am Genfer See.

Villa Helene, den 27. 1. 93 Liebstes Clärchen,

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sei nicht böse, daß es mit den Päckchen so lange gedauert hat und na­ mentlich nicht, daß Das, was darin ist, so wenig schön und vornehm ist. Ich weiß nicht, ob es noch an der Influenza-Dummheit lag, die mir im Kopf steckte, oder woran, – ich fand rein gar nichts hübsches. Ich glau­ be es ist noch zu kurz nach Weihnachten. Das kleine einfache Gestell­ chen,1 was ich Dir da schicke, ist wenigstens nicht geschmacklos, wie fast Alles, was mir gezeigt wurde. Nimm es einstweilen, bis Du hier bist, dann gehen wir zusammen auf die Suche. Hoffentlich schmeckt das Confekt nicht nach Cigarren, ich habe die Kiste mit Eau de Cologne parfümiert. – Danke schön für Dein allerdings nur sehr kleines Briefchen, hof­ fentlich kommt bald ein größeres. Nun sage aber einmal Kätzchen, wie alt ist denn der „alte“ Herr, mit dem Du immer läufst? Schon so alt wie ich? oder wie alt sonst? Und was sagt denn der verschmähte „Sprößling“ dazu? Kannst Du denn das Brusttuch zum Schlittschuhlaufen brauchen oder wozu brauchst Du es eigentlich. Die Mamsell, welche es mir vor­ führte (bei Gerson) 2 und mir sehr niedlich darin vorkam, hatte es in allen möglichen Lagen, als Schärpe, Kopftuch, Brusttuch, fliegend oder festgelegt etc. an. Was hast Du Dir denn, wie Du schreibst, bei mir gedacht? Heraus damit, ich kann es mir schon denken, aber ich weiß, daß es falsch ist. So ein alter Bär wie ich trottet am besten allein in seinem Käfig herum. Aber gestehe es mir einmal, was Du für unnütze Gedanken gehabt hast, hörst Du? 1  Es handelte sich um einen Bilderrahmen. 2  Das Kaufhaus Gerson in Berlin.

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Was machen denn die Stunden, und kriegst Du denn die Aufsätze allein fertig? Du warst dessen ja ganz entwöhnt. Mich wundert nur, daß Du noch immer Deutsch kannst. Nun adieu, avec un tendre prallinez3 – oder heißt es baiser? – ton Max

3  Möglicherweise Anspielung auf das mitgeschickte Konfekt (frz.: pralines).

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Clara Weber 31. Januar 1893; BK Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  22–23 Die Ortsangabe ist aus dem Briefkopf erschlossen. Max Weber benutzte Briefpapier mit einem Bildmotiv seines Elternhauses, Leibnizstraße 19, in Charlottenburg. An dessen Gartentor ist der Schriftzug „Villa Helene“ zu erkennen.

Villa Helene, den 31. 1. 93 Liebstes Clärchen,

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also etwas zornig bist Du doch über meine unartige Leimruthe gewe­ sen? Nun ich thue natürlich unterthänigst Abbitte und füge mich jeder Strafe, die Du über mich verhängst, – aber halt da haben wir’s, ich bin schon wieder unterm Pantoffel, ehe meine Tyrannin nun wieder da ist. Nun warte nur, hier wendet sich das Blättchen. Ich ziehe übrigens vor­ aussichtlich doch nicht in die Stadt. Zu Pfingsten wäre ich doch wieder herausgezogen und da lohnt es sich kaum, auch fand ich keine nette Wohnung, außer im französischen Dom |:(unten im Thurm):|, wo mein Freund Hirsch1 einige Zeit wohnte und sehr hübsch, – aber die Schat­ tenseite war, daß Jeder ihn für den Küster hielt und sämmtliche Mütter ihre kleinen Täuflinge zu ihm brachten etc. und das ist ja ganz interes­ sant, aber ich glaube ich wäre doch bald grob geworden. Deshalb werde ich wohl hier draußen bleiben, trotzdem es oft unbequem ist. – Am Sonnabend war Herrengesellschaft hier und da konnte man wieder se­ hen, was Ihr Frauenzimmer für Plaudertaschen seid, – Herr v. d. Leyen hat Deine Geschichte mit dem „Sprößling“2 natürlich von seinen ver­ ehrten Töchtern aufs Genauste erforscht und erzählte sie mit Hochge­ nuß der Mama, welcher ganz unheimlich dabei wurde, – nun ich habe sie beruhigt.1) Ich werde mich aber hüten, Dir ein Geheimnis anzuver­ trauen, falls ich einmal Eines haben sollte, wenn es nachher immer  

1) 

Was machen denn der „alte“a und der junge Anbeter?

a  Über das Wort „alte“ setzt Max Weber eigenhändig zwei Fragezeichen.   1  Wilhelm Hirsch. 2  Gemeint ist ein bereits in den Briefen an Clara Weber vom 7. und 27. Jan. 1893, oben, S.  299 und 309, erwähnter Begleiter beim Schlittschuhlauf.

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gleich das ganze Eisenbahnministerium weiß. Fritz v. d. L[eyen] treffe ich jetzt zuweilen auf der Bahn, 3 er ist aber – verzeih die Bemerkung, ich weiß nicht, wie nahe er Deinem Herzen steht – doch noch ein ziem­ licher Schlacks, der gut noch einige Zeit in der Couleur4 hätte bearbei­ tet werden dürfen. Seine Schwestern müßten ihn etwas mehr unterbut­ tern. – Nun aber, was machst Du denn eigentlich mit Deinen beiden Genos­ sinnen, – sie waren ja wohl so freundlich, mich grüßen zu lassen und ich bitte Dich meine verbindlichsten Empfehlungen ergebenst zu Füßen zu legen, – kratzt und beißt Ihr Euch oder was macht Ihr. Käthe Börner5 war in der Weihnachtszeit einmal hier, sagte aber nicht viel. Die Mut­ ter6 ist nicht grade mein Entzücken. Sie trifft sich mit Mama öfters. Was mag denn Frau v. Ahlefeldt7 mit einem feierlichen Besuch, den sie Mama machte, gewollt haben. Wie ist das doch, die Frida8 ist ja mehr in Deiner Nähe u. hat sie noch rundere Backen gekriegt und besitzt sie ihre Geisterseher-Augen noch? – Von den Carls’schenb Photographien wird wohl keine zu bekommen sein,9 das waren nur 2 Exemplare und wir haben davon nur 1, dagegen will ich versuchen, ob eine solche vom Haus zu haben ist, der Papa giebt uns nichts heraus resp. er vergißt es immer wieder und ist jetzt fast immer in der Stadt. Sieht denn das Frl. Fournier10 nicht immer, was Du geschickt bekommst? Sonst würde ich Dir ganz gerne öfter etwas schicken, aber das wäre doch zu unange­ nehm, wenn sie alle Augenblick Confekt-Sendungen constatierte. Das Geld (20 frcs) hattest Du doch seinerzeit bekommen? Es lag in dem b  Alternative Lesung: Carl’schen   3  Alfred von der Leyen war Geheimer Oberregierungsrat im Preußischen Ministerium für öffentliche Arbeiten, das für das Eisenbahnwesen zuständig war. Seine Töchter Elisabeth (Else) und Margarete waren im Alter von Clara Weber. Sein Sohn Friedrich (Fritz) von der Leyen promovierte bei dem Philologen Karl Weinhold an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. 4  Hier vermutlich im Sinne der geistigen Prägung seiner Persönlichkeit gemeint. 5  Katharina (Käthe) Börner und Clara Weber hielten sich 1892 zur gleichen Zeit bei der Familie von Clara und Ernst Rohnert im nordhessischen Altmorschen auf. 6  Anna Börner. 7  Elisabeth von Ahlefeldt. 8  Frieda von Ahlefeldt. 9  Der Sachverhalt ließ sich nicht klären. Ein Photograph oder photographisches Atelier in Berlin gleichen Namens ließ sich nicht ermitteln. Es könnte sich auch um Photographien von Max und Clara Webers Bruder Karl gehandelt haben. 10  Julie Davida Fournier leitete das im schweizerischen Vevey gelegene Mädchenpensionat, das Clara Weber bis März 1893 besuchte.

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p[st]-p[ßt]-Brief.11 Schreib mir bald, liebe Katze und sei schönstens gegrüßt von Deinem Max

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Hausraths Hochzeit12 ist, scheint es, Anfang April, ich reise vielleicht hin.

11  Vgl. den Brief an Clara Weber vom 9. Jan. 1893, oben, S.  3 01. 12  Es handelt sich um die Doppelhochzeit von Max Webers Cousinen Emilie (Mila) und Paula Hausrath mit Philipp Jolly bzw. Georg Benno Schmidt am 8. April 1893 in Heidelberg.

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Clara Weber 24. Februar 1893; BK Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  24–25 Die Ortsangabe ist aus dem Briefkopf erschlossen. Max Weber benutzte Briefpapier mit einem Bildmotiv seines Elternhauses, Leibnizstraße 19, in Charlottenburg. An dessen Gartentor ist der Schriftzug „Villa Helene“ zu erkennen.

Villa Helene, den 24. 2. 93 Liebes Kätzchen, anbei eine kleine Sendung, nun wirst Du ja wohl mit mir zufrieden sein und mir recht bald einmal schreiben, denn die winzigen Zettelchen, die jetzt immer von Dir kommen, rechne ich Dir nicht an, Du brauchst doch nicht immer alles Interessante Andern zu erzählen, sondern kannst mich auch etwas mit Neuigkeiten versehen. Die Heidelberger Hochzeit ist also wahrscheinlich am 11ten.1 Ziem­ lich sicher ist, daß Papa jedenfalls auf dem Rückwege beides München2 und Heidelberg nicht besucht |:sondern höchstens eins von beiden und:| nach München wahrscheinlich auf dem Hinwege geht. Er möchte |:aber auch:| gern mit Dir an die italienischen Seen reisen und schien ziemlich unglücklich bei dem Gedanken, daß ihm da die Hochzeit in die Quere kommen könnte. Nun könnte ich mir vielleicht denken, daß Du Dir mehr Plaisir von den Hochzeiten versprichst, aber ich glaube da irrst Du Dich, es ist bei solchen Gelegenheiten gar nicht immer für die Unbeteiligten so besonders gemütlich und obwohl es mir – falls ich hingehe – viel Spaß machen würde, wenn Du auch da wärest, meine ich doch, Du kannst dem Papa da nicht gut einen Strich durch die Rech­ nung machen. Auch die Mama hat glaube ich mehr davon, wenn sie allein in Heidelberg ist, sonst giebt es doch viel Unruhe, und sie glaubt doch, daß für den Sommer aus Heidelberg nichts wird. – Nun vielleicht kommt es so und läßt sich einrichten, daß Ihr doch noch rechtzeitig |:zur:| oder doch,a was beinahe gemütlicher wäre, gleich nach der Hochzeit kämt. Ich hatte schon daran gedacht, daß es doch nett sein a  〈fast〉   1 Die Doppelhochzeit von Max Webers Cousinen Emilie (Mila) und Paula Hausrath mit Philipp Jolly bzw. Georg Benno Schmidt fand am 8. April 1893 statt. 2  Möglicherweise beabsichtigte Max Weber sen., seinen Sohn Karl zu besuchen, der in München seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger ableistete.

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könnte, wenn wir dann vorausführen und einmal ein paarb Stunden in Altmorschen3 vorsprächen und die Eltern dann in Bebra4 wieder trä­ fen. Aber das muß sich noch finden, ob das geht. – Ich muß wieder in Gesellschaft, diese Woche schon das 4te Mal, nächste Woche jeden Tag, dann ist der Rummel zu Ende. Deshalb jetzt adieu, schreib bald, viel und oft Deinem Dich herzlich küssenden Max Eine Photographie von Lili schicke ich Dir. Du hast mir aber noch nicht einmal eine von Dir geschenkt! – aber bitte eine von den großen.

b O: par   3  Clara Weber besuchte bis März 1893 ein Mädchenpensionat in Vevey am Genfer See. Zuvor hatte sie im nordhessischen Altmorschen bei Clara Rohnert, der Frau des dortigen Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung erlernt. 4  Bebra war ein Eisenbahnknoten.

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Lujo Brentano 25. Februar 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl. 177–178

Charlottenburg Leibnizstr. 19. 25. 2. 93 Hochverehrter Herr Geheimrath! Ich befinde mich durch Ihre große Freundlichkeit in mehrfacher Bezie­ hung aufs Tiefste in Ihrer Schuld. Zunächst habe ich Ihren gütigen Brief, dessen Inhalt mich auf das lebhafteste interessierte, noch unbe­ antwortet gelassen. Dann gingen mir Ihre beiden freundlichen Sen­ dungen1 zu. Daß ich für die letzteren noch nicht gedankt habe, hat sei­ nen Grund darin, daß ich sie zunächst sorgfältig gelesen haben wollte. Mit ganz besondrer Genugthuung werden, glaube ich, auch wir Juristen es aufnehmen, daß in Ihrem Artikel in der Zeitschrift für Wirtschafts­ geschichte2 mit dem Unfug, der mit dem Gespenst des „Mutterrechts“ getrieben wird, so gründlich und wohl definitiv aufgeräumt wird3 und es ist zu hoffen, daß dann auch die lächerliche Überschätzung dieser Erscheinung, wie sie in der Behandlung in Lamprecht’s „Deutscher Geschichte“ zu Tage tritt,4 ein Ende nimmt. Aufs höchste gespannt bin ich, auch mit Rücksicht auf die Andeutungen in Ihrem Brief, auf die weitere Entwicklung und um so mehr, als ich bei Bearbeitung der „Handelsgesellschaften“5 s. Z. die allgemeineren Unterlagen noch viel 1  Es handelt sich um die im weiteren Verlauf noch explizit erwähnten Schriften: Brentano, Lujo, Die Volkswirthschaft und ihre konkreten Grundbedingungen. (Erstes Kapitel einer „Volkswirthschaftslehre“), in: Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte, Band 1, Heft 1, 1893, S.  77–148 (hinfort: Brentano, Volkswirthschaft); ders., Über das Verhältniß von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung, 2., völlig umgearbeitete Aufl. – Leipzig: Duncker & Humblot 1893 (hinfort: Brentano, Verhältniß). 2  Gemeint ist die „Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte“. 3  Brentano, Volkswirthschaft (wie oben, Anm.  1), S.  101–148. Das Kapitel trägt den Titel „Der Streit über den Ursprung der Gesellschaft“. 4 Lamprecht, Karl, Deutsche Geschichte, Band 1. – Berlin: R. Gaertners Verlagsbuchhandlung 1891, S.  81–121. In seiner Freiburger Antrittsvorlesung kommt Max Weber 1895 ironisierend erneut darauf zu sprechen, hier heißt es dann: „In hervorragenden Werken unserer historischen Kollegen finden wir da, wo uns früher von den Kriegsthaten unserer Vorfahren erzählt wurde, heute den Unhold des ,Mutterrechtes‘ sich in die Breite dehnen […]“; Weber, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik, MWG I/4, S.  535–574, hier S.  562. 5  Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  109–340.

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zu wenig beherrschte. Auch jetzt, wo ich von diesem Arbeitsgebiet et­ was abgedrängt bin, ist dies nur in geringem Maße der Fall, so daß ich der Kritik Goldschmidts in der „Universalgeschichte“,6 die mir juri­ stisch-formal scheint, noch nicht, wie ich wollte, entgegentreten konnte. Etwas überrascht hat mich, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf, diea große Schärfe Ihres Urteils über Rodbertus,7 oder vielleicht bezieht sich dasselbe nicht auf die historischen, speziell die auf Rom bezüglichen Arbeiten? So völlig falsch mir fast alle seine Aufstellungen auch hier scheinen, so glaube ich doch, daß er die Sache selbst mächtig gefördert hat. Er schlägt meist vorbei, aber nicht ins Blaue, sondern trifft fast stets auf einen Punkt, der in der That central liegt, und ich kann wohl sagen, daß mir auch seine crassesten Einseitigkeiten und Construktionen meist ungemein fruchtbar |:und anregend:| erschienen sind. Die so bedeutsamen Zusätze Ihrer Schrift über den Arbeitslohn gegenüber der früheren Auflage8 darf ich mit Rücksicht auf die freund­ lichen Bemerkungen in Ihrem Brief wohl zum Teil auch als gegen Das gerichtet ansehen, was ich auf Grund des Enquête-Materials am Schluß meiner Arbeit9 auszuführen versucht habe? Ich habe, wie Sie ersehen haben werden, das Referat über die Enquête auf der Generalversamm­ lung übernommen,10 obwohl ich mich dazu wenig berufen und qualifi­ ziert fühlte.11 Falls ich hoffen darf, daß Sie beabsichtigen, auch Ihrer­ seits in die Discussion einzugreifen, fördert es vielleicht die Debatte, wenn ich schon im Referat versuche, unter Bezugnahme auf Ihre a  〈G〉   6  Goldschmidt, Levin, Universalgeschichte des Handelsrechts, 1. Lieferung (Handbuch des Handelsrechts, 3. völlig neu umgearbeitete Aufl., 1.  Band: Geschichtlich-literärische Einleitung und die Grundlehren, 1. Abtheilung: Universalgeschichte des Handelsrechts, 1. Lieferung). – Stuttgart: Ferdinand Enke 1891, S.  271–290. 7  Brentano, Volkswirthschaft (wie oben, S.  316, Anm.  1), S.  92–101, setzt sich dezidiert kritisch mit der „sozialistisch-organischen Lehre“ von Johann Karl Rodbertus auseinander und bekämpft v. a. die Gleichsetzung von sozialen Gebilden mit physischen Organismen. Vgl. hierzu die Ausführungen von Deininger, Jürgen, Einleitung, in: MWG I/6, S.  8, Anm.  20. 8  Brentano, Verhältniß (wie oben, S.  316, Anm.  1). Die 1. Auflage war 1876 erschienen. 9 Da Brentanos Brief an Weber nicht mehr nachweisbar ist, muß offen bleiben, worauf Weber sich hier konkret bezieht. Vermutlich ist das Schlußkapitel von Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland, MWG I/3, S.  886–929, gemeint. 10  Gemeint ist Webers Referat auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik einen Monat später: Weber, Die ländliche Arbeitsverfassung, MWG I/4, S.  157–207. 11  Vgl. dazu den Brief Max Webers an Gustav Schmoller, vor dem 31. Mai 1892, oben, S.  272 f., in dem Weber einerseits seine Bereitschaft zur Übernahme des Referates signalisiert, aber auch auf Karl Kaerger verweist, der ihm wegen seiner nationalökonomischen Ausbildung der Geeignetere zu sein schien.

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Schrift die Einwendungen, die mir gegen die Anwendbarkeit des von Ihnen aufgestellten Prinzips auf die östliche Landwirtschaft noch ge­ blieben sind, zu formulieren.12 Ist auch für die agrarischen Verhält­ nisse der rationell geleitete capitalkräftige Großbetrieb ein wirtschaft­ licher und sozialer Fortschritt? Ich glaube, letzteres jedenfalls und er­ steres für unsre deutschen Verhältnisse zur Zeit verneinen zu sollen. Ist es nationalpolitisch zulässig, auch für die landwirtschaftliche Produk­ tion die „Verflechtung in die Weltwirtschaft“13 für absehbare Zeit in Aussicht zu nehmen? Ich glaube es nicht, halte es sogar für eine Culturgefahrb, so lange die natürlichen Produktionsbedingungen nicht mehr ausgeglichen sind. – Ein persönliches Verdienst habe ich den östlichen Junkern nicht zu­ schreiben wollen,14 nur – den Verhältnissen nach – ein relatives Ver­ dienst der Art der sozialen Organisation. Größere Capitalkraft der Großbesitzer hätte doch zweifellos schon bei den Regulierungen zur völligen Aufsaugung der Bauern geführt und uns noch weiter denatio­ nalisiert. Vielleicht bin ich ja eher etwas zu weit gegangen, – das hatte aber seinen Grund darin, daß ich im Interesse der Objektivität glaubte, die uns Liberalen naturgemäß innewohnende Abneigung gegen die östlichen Großbesitzer c unterdrücken zu müssen. Ich werde auf dem Congreß bestrebt sein, keinen Zweifel über die Bedingtheit dieser An­ erkennung bestehen zu lassen, um Ausbeutungen im agrarischen Inter­ esse, wie sie die Impertinenz der „Kreuzzeitung“ versucht hat, zu ver­ hüten.15 – b  O: zweifach unterstrichen.   c  〈zu〉   12  Weder eine solche Bezugnahme noch die Teilnahme Brentanos an der Diskussion auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik vom 20. März 1893 ist nachweisbar. 13  Wörtlich geht es bei Brentano, Verhältniß (wie oben, S.  316, Anm.  1), S.  33, um die „Verflechtung der Volk[s]wirtschaften in die Weltwirtschaft seit dem Beginn des Mercantil­ systems“. 14  Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland, MWG I/3, S.  922 f. 15  Max Weber bezieht sich hier auf eine kurze Kontroverse zwischen der liberalen „National-Zeitung“ und der konservativen „Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung“ im Februar 1893, in der letztere – ebenso wie zeitgleich der konservative Reichstagsabgeordnete Wilhelm von Hammerstein – versuchte, anhand von Webers Studie die „Vorteilhaftigkeit einer patriarchalischen Arbeitsverfassung für die Landarbeiter“ nachzuweisen (Riesebrodt, Martin, Einleitung, in: MWG I/3, S.  15 f.). Darauf bezugnehmend, äußerte sich Weber in seinem Vortrag auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik vom 20. März 1893 wie folgt: Dem Großgrundbesitz und seiner Arbeitsverfassung schulde die Nation keinen besonderen Dank, insbesondere einzelnen Personen nicht; wohl jedoch „der so­cia­ len Organisation, deren Produkte diese Personen gewesen sind.“ Weber, Die ländliche Arbeitsverfassung, MWG I/4, S.  181 f.

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In der Hoffnung, daß ich alsdann auch Gelegenheit haben werde, Ihnen mündlich für Ihr fortgesetztes freundliches und mich ehrendes Interesse für mich zu danken, verbleibe ich Ihr hochachtungsvoll und aufrichtig ergebener Dr Max Weber

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Friedrich Althoff 3. März 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, I. HA, Rep.  76, Va Sekt. 2, Tit. XIV, Nr.  11, Bd. V, Bl. 278 Dieser Brief an den preußischen Universitätsreferenten im Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten steht am Beginn der Phase in Max Webers akademischer Karriere, in der er sich zwischen einem Verbleib in Berlin und der Berufung an die Universität Freiburg i. Br. entscheiden mußte. In diesen Kontext gehören auch die weiteren Briefe an Friedrich Althoff vom 5. August, zwischen dem 8. und 24. Oktober, 25. Oktober 1893, 3. und 28. April 1894, unten, S.  4 50 f., 475 f., 481 f., 521 f. und 537, an Emmy Baumgarten vom 2. September 1893, unten, S.  4 54, an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. vor oder am 23. Mai 1894, unten, S.  543 f., an Gustav Schmoller vom 24. und 25. Oktober 1893, unten, S.  477 f. und 479 f., an Marianne Schnitger (Weber) vom 15., 22. und 25. April, 2., 9., 17. und 30. Mai, 6. und 20. bis 30. Juni, 14., 17., 22. bis 30. Juli 1893, 17. und 27. März 1894, unten, S.  346, 352, 359, 368, 380, 386 f., 392, 397, 405–416, 429, 432, 435–439, 441, 447 f., 509 und 517, an Emil Warburg vom 12. April 1894, unten, S.  527, an Clara Weber vom 28. März, 15. und 27. Juli 1893, unten, S.  329–331, 430 f. und 445 f., sowie an Helene Weber vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 42 f., 3. und 15. April 1894, unten, S.  523 und 530  f. Nach seiner Habilitation für Handelsrecht sowie Römisches Recht am 1. Februar 1892 (vgl. dazu den Brief an die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 22. Oktober 1891, oben, S.  254, mit Editorischer Vorbemerkung) hatte Max Weber als Privatdozent sogleich umfangreiche Lehrverpflichtungen an der Berliner Universität übernommen, seit Frühjahr 1892 noch zusätzlich handelsrechtliche Veranstaltungen seines Lehrers Levin Goldschmidt, der am 5. Mai 1892 einen Schlaganfall erlitten hatte und seither seinen Lehrverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte. Seit März 1893 belegen zahlreiche Briefe an seine Verlobte Marianne Schnitger, daß sich mit dieser Tätigkeit auch die Hoffnung auf eine Ernennung zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor verband, um finanziell unabhängig zu werden. Auf Grund verschiedener eingeholter Gutachten hatte ihm Althoff eine Ernennung noch im Laufe des Jahres 1893 in Aussicht gestellt (Brief an Clara Weber vom 28. März 1893, unten, S.  329–331; vgl. auch die Einleitung, oben, S.  6 f.). Die Zeit des Wartens belastete Weber, zumal die etatmäßige Bestallung u. a. an den Gesundheitszustand Goldschmidts gekoppelt war: Sollte dieser nicht mehr lehren können, wurde die Berufung wahrscheinlicher. Im Juni 1893 eröffnete sich jedoch unerwartet die Option, nach Freiburg i. Br. auf den zum Wintersemester 1893/94 vakant werdenden Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft berufen zu werden, der bislang von dem nach Wien wechselnden Eugen von Philippovich besetzt wurde. Nachdem erste Neubesetzungsversuche gescheitert waren (vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  7  f.), hatte die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg am 6. Juli 1893 eine neue Liste beschlossen, auf der Max Weber an erster Stelle geführt wurde, gefolgt von Carl Johannes Fuchs. Philippovich sollte als Vorsitzender der Kommission in einem privaten Begleitbrief an den zuständigen Ministerialrat Ludwig Arnsperger die Ansicht der Fakultät betonen, daß man Weber „entschieden für die geeignetste Persönlichkeit halte“ (UA Freiburg i. Br., B 38/19, Bl. 234 f.); Philippovich war wohl auch derjenige, der eine Berufung Webers angeregt hatte (dies geht aus einem Brief von Erich Marcks an Gustav Schmoller vom 11. Juli 1893 hervor; GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav von Schmoller, Nr.  134, Bl. 17–18). Im Anschluß an eine Sitzung des Senats der Universität Freiburg wurden am 14. Juli 1893 die Vorschläge der Philosophischen Fakultät an das zuständige Ministerium der Justiz, des Kultus und Un-

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terrichts in Karlsruhe weitergeleitet (GLA Karlsruhe, 235/43005). Bemerkenswert an dieser Senatssitzung ist das Votum der beteiligten Juristen, sollte doch ein Fachkollege auf eine nationalökonomische Professur berufen werden. Für den Fachwechsel sprach ihrer Ansicht nach Webers Habilitationsschrift über „Römische Agrargeschichte“ (MWG I/2), „obwohl dieselbe zunächst rechtshistorischen Charakters“ sei; zugleich erlaube sie jedoch „gerade in die wirtschaftlichen Verhältnisse einen seltenen Einblick“. Das Buch eröffne „auf Grund umfassender Verwertung des Quellenmaterials bedeutende neue Gesichtspunkte“ und lege Zeugnis ab „für eine hervorragende Begabung“ (Vorschläge vom 14. Juli 1893, ebd.). Freilich zeigte auch Webers umfängliche Arbeit „Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland“ (MWG I/3), die im Dezember 1892 erschienen war, seine ökonomischen Interessen und v. a. Fähigkeiten. Es ist daher nicht auszuschließen, daß auch diese Schrift bei Webers Berufung nach Freiburg eine Rolle ge­ spielt hat, in den Berufungsakten ist dies jedoch nicht nachweisbar. Der Historiker Erich Marcks hatte im Sommer im Auftrag der Philosophischen Fakultät mit Weber über dessen mögliche Berufung schriftlich verhandelt. Aus diesem Schriftwechsel ist der Inhalt eines Telegramms von Weber überliefert, den Marcks in der Dekanatssitzung vom 6. Juli mitteilte (UA Freiburg i. Br., B 38/19, Bl. 234 f.): Demnach habe sich Weber bereit erklärt, nach Freiburg zu wechseln; in Berlin sei er durch keinerlei Absprachen gebunden – es sei denn, es erfolge zuvor noch eine Ernennung in Berlin oder diese werde ihm wenigstens avisiert (vgl. auch den Brief an Clara Weber vom 15. Juli 1893, unten, S.  4 30 f.). Aus diesen beiderseitigen Absichten wurde jedoch einstweilen nichts. Die Briefe Max Webers an seine Verlobte Marianne Schnitger sowie an seine Mutter Helene Weber aus der zweiten Juli-Hälfte machen die Probleme deutlich: Einerseits befand sich der zuständige badische Minister Wilhelm Nokk noch im Urlaub, ohne den eine definitive Entscheidung undenkbar war. Schließlich fürchtete Weber auch zunehmende „Klatschereien“, da seine mögliche Berufung offensichtlich bekannt geworden war. Von offizieller Seite aus Berlin hatte Weber zu dieser Zeit noch keine Nachrichten, ging jedoch zum einen davon aus, daß die Juristische Fakultät eine Wegberufung wohl begrüßte, während Althoff oder Schmoller gegen ihn in Baden intrigieren würden (vgl. den Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 43). Am 27. Juli kam von Berliner Seite aus neue Bewegung in die Angelegenheit, wie Weber an seine Schwester Clara berichtet (unten, S.  4 45 f.): Die Juristische Fakultät sei zwar einstimmig für seine Ernennung zum Extraordinarius, wolle diese aus Rücksicht auf ältere Privatdozenten aber nicht selbst beim Ministerium beantragen, sondern lieber auf eine Initiative von dort warten. Zugleich erzählte Weber von einer „Vorladung“ seitens Friedrich Althoffs, den er daraufhin am 29. Juli aufsuchte. Am folgenden Tag schrieb er an seine Verlobte Marianne, daß Althoff ihn lediglich habe vertrösten wollen, worauf er direkt seine unbedingte Bereitschaft zur Annahme eines Rufes nach Freiburg telegraphiert habe (unten, S.  4 48 mit Anm.  3); aufgrund der „Klatschereien“ sah er seine Chancen jedoch gesunken. Am 5. August kam es zu einem erneuten Treffen mit Althoff. Weber bestätigte, wie von Althoff gewünscht, noch am selben Tag den Inhalt des Gesprächs (unten, S.  450 f.). Demnach solle Weber 1) auf Antrag des Ministeriums zum Extraordinarius ernannt werden, „mit der Verpflichtung zur Aushilfe in verschiedenen Fächern“, falls Levin Goldschmidt weiterhin ausfalle; 2) Weber selbst solle „auf die Freiburger Berufungsanfrage verneinend antworten“. Althoff nahm diese zweite Bedingung jedoch am folgenden Tag wieder zurück, er wolle Weber in Richtung Freiburg „vollständig freie Hand“ lassen (ebd., S.  4 50, Anm.  1). Laut Max Webers Brief an Friedrich Althoff zwischen dem 8. und 24. Oktober 1893 (unten, S.  475 f.) gelangte in diesem Zeitraum erneut eine Bitte aus der Philosophischen Fakultät an ihn, die Freiburger Professur anzunehmen. Dabei muß es sich jedoch um einen privaten und nicht mehr erhaltenen Schriftverkehr (wohl erneut mit Erich Marcks) gehandelt haben, da sich entsprechende Vorgänge in den Dekanats- und

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Ministerialakten nicht nachweisen lassen. Gegenüber Gustav Schmoller zeigte Weber Ende Oktober ein weiteres Problem auf: Im Juni war der gleichaltrige Nationalökonom Gerhart von Schulze-Gaevernitz zum Extraordinarius ernannt worden; die Philosophische Fakultät zeigte sich im Juli jedoch überzeugt, daß aus der Höherstellung Webers keine Schwierigkeiten erwachsen würden (UA Freiburg i. Br., B 38/19, Bl. 234 f.). Dennoch gab es laut Weber wohl gescheiterte Versuche seitens des Ministeriums, Schulze-Gaevernitz nach Heidelberg zu versetzen (vgl. den Brief an Gustav Schmoller vom 25. Oktober 1893, unten, S.  479 f.). Unterdessen war am 20. Oktober 1893 die von Weber erhoffte Initiative des preußischen Kultusministeriums an die Juristische Fakultät in Berlin ergangen, zu seiner möglichen Ernennung zum Extraordinarius Stellung zu nehmen; Levin Goldschmidt hatte zuvor erneut seine angekündigten Lehrveranstaltungen absagen müssen, zugleich jedoch Althoff gegenüber die Hoffnung ausgedrückt, daß „ein sehr begabter jüngerer Rechtslehrer unserer Hochschule erhalten bliebe“ (GStA PK, I. HA, Rep.  76, Va Sekt. 2 Tit. 4, Nr.  4 5, Bd. 5, Bl. 135). Am 31. Oktober teilte die Fakultät dem Ministerium ihre uneingeschränkte Zustimmung mit (ebd., Bl. 136–140), worauf Max Weber am 25. November 1893 (rückwirkend zum 1. Oktober 1893) zum außerordentlichen Professor an der Ju­ risti­schen Fakultät ernannt wurde (UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 494, Bl. 78). Rein fachlich war damit jedoch noch keine Festlegung getroffen, wie Weber schon Gustav Schmoller einen Monat zuvor signalisiert hatte: er gedenke sich zukünftig keineswegs „auf eine rein juristisch-formale Betrachtung der historischen Erscheinungen des Handelsrechts zu beschränken“ (vgl. den Brief an Gustav Schmoller vom 24. Oktober 1893, unten, S.  477). In Baden setzte man sich erst wieder seit November 1893 mit der Neubesetzung des Ordinariats für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft auseinander. Nicht nur die Philosophische Fakultät, auch die Juristische betonte nun im Senat die Dringlichkeit einer Neubesetzung, da für Juristen die Belegung nationalökonomischer Vorlesungen obligatorisch war. Am 21. Dezember 1893 wurde beim badischen Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts demnach seitens des Senats der Universität Freiburg der dringliche Antrag gestellt, zum kommenden Sommersemester einen neuen Ordinarius zu berufen; das Ministerium reagierte prompt und forderte die Philosophische Fakultät auf, eine Berufungsliste mit drei Namen aufzustellen (GLA Karlsruhe, 235/43005). Schon am 20. Januar 1894 hatte sich die Fakultät auf eine neue Liste geeinigt, die vier Tage später nach Zustimmung des Senats an das Ministerium weitergeleitet wurde (ebd.): Weber stand erneut an erster Stelle, gefolgt von Ludwig Elster (Karl Oldenberg als dritter Name kam nur als Extraordinarius infrage); schon der Beschluß der Fakultät hatte gezeigt, daß man im Falle einer erfolgreichen Berufung Webers sogar bereit wäre, bis zum Wintersemester 1894/95 zu warten (UA Freiburg i. Br., B 38/19, Bl. 250). Was in den folgenden Wochen geschah, entzieht sich unserer Kenntnis. Die universitäre und ministerielle Aktenüberlieferung setzt erst wieder im April 1894 ein. Max Weber selbst spricht erstmals wieder am 17. und am 27. März 1894 gegenüber Marianne Weber von einer eventuellen erneuten Berufung (unten, S.  509 und 517). Am 3. April 1894 berichtet er seiner Mutter dann (unten, S.  523), daß er „eben“ die Freiburger Berufung erhalten habe und nun nur noch die Ansicht Althoffs über seine Zukunft in Berlin hören möchte; nach Karlsruhe habe er in ähnlichem Sinne geschrieben, daß er lediglich noch auf Gewährung von Entschließungsfreiheit seitens des preußischen Ministeriums warte. Gleiches schreibt er am selben Tag an Althoff (unten, S.  521 f.), worauf dieser ihm am 4. April berichtet, daß er durch Ludwig Arnsperger längst von Webers Berufung unterrichtet sei und aus seinem Brief vom 3. April die Bereitschaft zur Annahme erkenne. So ungern er ihn verliere, so gut könne er ihn verstehen und betrachte persönlich die Erfahrung in

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Freiburg als förderlich für seine weitere Karriere (ebd., Anm.  1). Am 6. April 1894 teilte Weber dem Karlsruher Ministerium (vgl. die Karte an Fritz Baumgarten vom 6. April 1894, unten, S.  524) und am 12. April 1894 dem Dekan der Philosophischen Fakultät in Freiburg seine Annahme mit (unten, S.  527), die auch am 18. April in der „Badischen Zeitung“ vermeldet wurde (ein entsprechender Zeitungsausschnitt ist überliefert in: GStA PK, I. HA, Rep.  76, Va Sekt. 2 Tit. 4, Nr.  4 5, Bd. 5, Bl. 152). Bereits auf den 25. April 1894 ist Webers Ernennung zum ordentlichen Professor und die Bestallung im badischen Staatsdienst datiert (GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 6). Der offizielle Dienstantritt erfolgte zum Wintersemester 1894/95, genauer am 5. Oktober, den Diensteid legte er am 18. Oktober 1894 ab (ebd., Bl. 8–9). Der ausgebildete Jurist Max Weber war nun ordentlicher Professor der Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg i. Br. Mit dem im folgenden edierten Brief reagierte Max Weber auf eine nicht überlieferte Aufforderung Friedrich Althoffs vom 2. März 1893, Stellung zu seinen Forschungen und Publikationen zu nehmen. Zeitgleich war bei Althoff ein Gutachten von Gustav Schmol­ ler über Webers Arbeiten eingegangen und kurz zuvor Weber in einer Reihe juristischer Gutachten positiv hervorgehoben worden (vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  6 f.). Am Briefkopf finden sich einige Marginalien von der Hand Friedrich Althoffs, die hier nicht nachgewiesen werden.

Charlottenburg 3. III. 1893 Ew. Hochwohlgeboren

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geneigter Aufforderung vom 2. d. M. glaube ich am geeignetsten durch Überreichung je eines Exemplars meiner bisherigen größeren Arbei­ ten, nämlich 1) Zur Geschichte der Handelsgesellschaften |:im Mittelalter:| [,] Stuttgart 18891 2) Römische Agrargeschichte |:in ihrer Bedeutung für das Staatsund Privatrecht:| [,] Stuttgart 18912 3) Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland [,] Leipzig 1892 3 nachzukommen. – Außerdem habe ich nur Rezensionen4 und einige Artikel5 nicht fachwissenschaftlichen Inhalts verfaßt. Eine Arbeit, „Germanistische 1  Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  109–340. 2  Weber, Römische Agrargeschichte (MWG I/2). 3  Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (MWG I/3). 4  Weber, [Rezension von:] Friedrich Conze, Kauf nach hanseatischen Quellen, MWG I/1, S.  4 40–452; ders., [Rezension von:] A[nton] von Kostanecki, Der öffentliche Kredit im Mittelalter, ebd., S.  4 53–467. 5  Weber, „Privatenquêten“ über die Lage der Landarbeiter, MWG I/4, S.  71–105; ders., Zur Rechtfertigung Göhres, MWG I/4, S.  106–119; ders., Die Erhebung des Vereins für Sozialpolitik über die Lage der Landarbeiter (die ersten vier von sechs Folgen), MWG I/4, S.  120–

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Studien auf dem Gebiete des Concurs- und Handelsrechts“, die recht­ liche Construction des Commissionsgutes, Vermögens der civilrechtli­ chen Gesellschaften, Art.  4 4 der Konkursordnung und die germani­ stischen Grundlagen des Princips der direkten Stellvertretung behan­ delnd, welche ich behufs Erwerbung der venia legendi für deutsches Recht im Verlauf des Winters zu beendigen hoffte, mußte ich zurück­ legen und kann sie frühestens in der Mitte des Sommersemesters been­ digen,6 so daß ich in nächster Zeit nichts publicieren werde. – Ich verbleibe Ew. Hochwohlgeboren in Hochachtung sehr ergebenster Dr Max Weber Privatdozent Herrn Geheimen Oberregierungsrath Dr Althoff Hochwohlgeboren

143, sowie ders., Wie werden einwandfreie Erhebungen über die Lage der Landarbeiter angestellt?, MWG I/4, S.  154–156. 6  Eine solche Studie von Max Weber ist nicht nachgewiesen; die Venia legendi für Deutsches Recht erwarb er nicht.

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Clara Weber 16. März 1893; BK Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  26–27 Die Ortsangabe ist aus dem Briefkopf erschlossen. Max Weber benutzte Briefpapier mit einem Bildmotiv seines Elternhauses, Leibnizstraße 19, in Charlottenburg. An dessen Gartentor ist der Schriftzug „Villa Helene“ zu erkennen. – Clara Weber besuchte bis März 1893 das Mädchenpensionat von Julie Davida Fournier in Vevey am Genfer See.

Villa Helene, den 16. 3. 93 Liebes Clärchen!

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Also Du „sehnst“ Dich nach einem Briefe von mir? Wegen seines schriftlichen oder wegen seines eventuellen sonstigen Inhalts, kleine Heuchlerin? Nun jedenfalls anbei eine |:– und zwar Deinem Wunsch gemäß eine:| deutsche – Banknote, die hoffentlich so viel gilt, wie nötig ist, um Deine Schulden zu decken. Ich kam nicht vorher dazu, sie mir zu verschaffen, da das Semester zu Ende ging und ich tüchtig zu thun hatte, auch jetzt eklig erkältet war, und schließlich hattest Du es ja auch nicht so eilig, sonst hättest Du mir doch früher und überhaupt nicht so selten geschrieben, wie jetzt in letzter Zeit, wo Du wieder gänzlich un­ treu warst, nachdem Du mir nach Weihnachten so oft und nett |:von Euch:| erzählt hattest. Aber einen so langen Brief mit lauter Entschul­ digungen, daß Du Moneten brauchst, hättest Du mir auch nicht zu schreiben brauchen, Du weißt ja doch, daß ich Dir schicke, was Du haben willst. Jetzt wird es nun wohl mit dieser Correspondenz ein Ende haben, denn Du machst Dich nun schon allmälig reisefertig und kommst in einiger Zeit hierher zurück. Ob ich dann noch hier bin, ist fraglich, es könnte sein, daß ich – aber davon darfsta Du noch zu Niemand sprechen – schon als Professor in Marburg1 oder auch in Erlana  Unsichere Lesung: darfst > darfst   1  Es handelte sich um die Nachfolge des Marburger Verfassungshistorikers und Staatsrechtlers Hermann Rehm. Der preußische Hochschuldezernent Friedrich Althoff hatte in diesem Zusammenhang Gutachten von führenden Hochschullehrern angefordert, die über mögliche Nachfolger Auskunft geben sollten. Im Februar 1893 trafen im preußischen Kultusministerium die Gutachten von drei der renommiertesten Hochschullehrer aus dem Bereich der juristischen Germanistik ein: Otto Gierke und Heinrich Brunner (beide Berlin) und Richard Schröder (Heidelberg), alle drei Lehrer Max Webers, die ersten beiden waren an seinem Promotions- und seinem Habilitationsverfahren beteiligt. Alle drei äußerten sich

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gen2 säße, – d. h. es ist nicht grade sehr wahrscheinlich und ich reiße mich auch nicht darum. Wenn nicht, so ist es noch zweifelhaft [,] ob ich nach Berlin ziehe, geschieht es aber und möchtest Du gern in meine Stube ziehen, so soll es mir recht sein, ich glaube nur Mama wird sie als Fremdenzimmer benutzen wollen. Aus unsrem Besuch bei Rohnert’s wird nun wohl, falls Ihr über München zurückreist, nichts werden.3 Ob ich nach Chicago reise,4 hängt von meinen Sommereinnahmen ab, 5 es ist nicht sehr wahrschein­ lich. Jedenfalls aber danke vorläufig Deiner Freundin6 für ihr Ange­ bot, gehe ich hin, so werde ich um die Adresse ihres Bruders bitten. Nun adieu, kauf etwas schönes ein und vergiß nicht gänzlich Deinen Max

auch über Max Webers Qualifikation und mögliche Eignung; vgl. dazu ausführlich Dilcher, Gerhard, Einleitung, in: MWG I/1, S.  85–88. 2  An der Universität Erlangen kommt allein die Besetzung der außerordentlichen Professur für Staatswissenschaften und Statistik in Frage. Die Berufungsunterlagen (UA Erlangen, A2/1 Nr. N 8) geben keinen Hinweis auf Max Weber. Berufen wurde am 20. April 1894 der Nationalökonom Clamor Neuburg (Auskunft des Archivs der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vom 3. März 2015). 3  Max Webers Vorschlag, mit Clara Weber deren zeitweilige Gastfamilie Rohnert im nordhessischen Altmorschen zu besuchen, kollidierte mit Reiseplänen von Max Weber sen.; vgl. den Brief an Clara Weber vom 24. Febr. 1893, oben, S.  314 f. 4  Max Weber hatte mit seinem Freund Paul Göhre 1893 eine Reise zur Weltausstellung nach Chicago geplant. 5 Gemeint sind die Einnahmen aus Max Webers Lehrveranstaltungen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Sommersemester 1893. 6  Der Name konnte nicht ermittelt werden.

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Marianne Schnitger [26. März 1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Die nachträgliche Datierung „März“ auf diesem Brief stammt von der Hand Marianne Webers. Das Jahr und der Tag ergeben sich aus dem Briefinhalt – Max Weber hatte offensichtlich von seiner Tante Ida Baumgarten die erhoffte Nachricht erhalten, daß seine Verlobung mit Marianne Schnitger nicht die Gefühle ihrer Tochter Emmy verletze – und dem Brief an Marianne Weber vom 19. März 1894, unten, S.  511, aus dem Sonntag, der 26. März 1893, als Datum der zunächst inoffiziellen Verlobung von Max und Marianne Weber hervorgeht. Diesem Ereignis dürfte der folgende, auf „Sonntag Morgen“ datierte Brief unmittelbar vorausgegangen sein.

Charlottenburg Sonntag Morgen

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Hier mein Kind ein Brief meiner Tante, der die erwartete Lösung bringt. Ich habe mich nicht getäuscht: Alles war längst vorüber. Ich könnte abermals weich werden bei dem Gedanken, wieviel Anteil an den Herzen andrer mir zu teil wurde, ohne daß ich darnach suchte und ihn verdiente. Aber nun mein Kind komm an mein Herz – die erste, an deren Liebe ich mich frei und ganz freuen kann und darf. Jetzt gilt es nüchtern und ruhig unsre äußere Zukunft bauen und innerlich so klar und fest blei­ ben, wie wir es jetzt denke ich sind. Von Herzen Dein Max

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27. März 1893

Gustav Schmoller 27. März 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, I. HA, Rep.  196, Verein für Sozialpolitik, Nr.  67, Bl.  85 Zu Max Webers Kooptation und Mitarbeit im Ausschuß des Vereins für Socialpolitik vgl. die Einleitung, oben, S.  5 f.; Max Webers Beiträge in den Ausschußsitzungen sind in MWG I/13, S.  725–757, ediert.

Charlottenburg 27. III. 93 Hochgeehrter Herr Professor! Die auf mich gefallene ehrenvolle Wahl zum Ausschuß des Vereins für Sozialpolitik1 nehme ich, wie ich schon mündlich erklärt hatte, mit ver­ bindlichstem Danke an. In ausgezeichneter Hochachtung Ihr ganz ergebenster Dr Max Weber Privatdocent.

1  Max Weber wurde auf der Ausschußsitzung des Vereins für Socialpolitik am 19. März 1893 auf Vorschlag von Gustav Schmoller kooptiert. Vgl. den Bericht über die Ausschußsitzung vom 19. und 21. März 1893 (GStA PK, I. HA, Rep.  196, Nr.  67, Bl. 2 f.).

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28. März 1893

Clara Weber 28. März 1893; BK Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  28–29 Die Ortsangabe ist aus dem Briefkopf erschlossen. Max Weber benutzte Briefpapier mit einem Bildmotiv seines Elternhauses, Leibnizstraße 19, in Charlottenburg. An dessen Gartentor ist der Schriftzug „Villa Helene“ zu erkennen. Max Weber schrieb an seine Schwester Clara, die seit November 1892 das im schweizerischen Vevey gelegene Mädchenpensionat besucht hatte und im Anschluß an diesen Aufenthalt mit Max Weber sen. in Italien war. Der sprachliche Duktus des in einem humoristisch und Berlinerisch gefärbten Französisch geschriebenen Briefes wird im folgenden beibehalten und auf eine Korrektur grammatikalischer und orthographischer Fehler (wie dialect statt korrekt dialecte, sécrét statt secret, celà statt cela, peure statt peur und héritiere statt héritière) bewußt verzichtet. Ergänzend ist eine deutsche Übersetzung beigefügt.

Villa Helene, lea 28. III. 93 Ma chère petite,

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Sois bien remerciée de ta lettre suprême, mais – schockschwérenoth – qu’est ce que ce français schaudereux que tu parles? – Oh jéminé – ça semble être un dialect bien paysan qu’on a à Vevey, – laendli­ que-schaendlique comme nous disons. – Si je deviendrai professeur à Marbourg, |:tu veux savoir:|?1 Je? Pas du tout, mais – tu le peux ra­ conter à papa, mais tout-bas, parce que c’est un sécrét profond – à Berlin: professeur extraordinaire |:avec un „Lehrauftrag“:| du droit com­ mercial, comme – tu blui racontrasb aussi celà – m’ont dit Messieurs le Geh. Rath Althoff et Geh. Rath Eck; 2 – peut être déjà ce Mai, vraisem­ blablement plus tôt que fin de Juillet, certainement |:pendant:| l’hiver. La Faculté semble être unisono. Tu peux aussi raconter, que celà sera – comme Mr. Eck me dit – indépendant de l’état de santé de Mr. Gold­ schmidt.3 a  den > le  b–b  peux raconter > lui racontras   1  Max Weber hatte im Brief an Clara Weber vom 16. März 1893, oben, S.  325 f. mit Anm.  1, die Möglichkeit einer Berufung an die Universität Marburg erwähnt. 2  Der für das Hochschulwesen maßgebliche Beamte im preußischen Kultusministerium, Friedrich Althoff, und der Jurist Ernst Eck, zur Zeit von Max Webers Promotion Dekan der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und Gutachter von Max Webers romanistischer Exegese. 3 Max Webers Ernennung zum außerordentlichen Professor an der Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin war bislang vom Gesundheitszustand Levin Goldschmidts abhängig gewesen. Goldschmidt hatte am 5. Mai 1892 einen Schlaganfall erlitten und konnte seine Lehrverpflichtungen nicht mehr wahrnehmen; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320.

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Vois-tu cette noblesse magnifique? Il faudra que tu auras beaucoup plus de respect que jadis mais pas de peure je te traiterai avec Leut­ seligkeit et Herablassung. Mes chambres, desquelles tu veux être héri­ tiere, je te les laisse avec plaisir parceque je dois me procurer une Villa pour moi et deux ou trois Dienstspritzen4 à moindre. Conformément à ma lettre de Strasbourg5 jec partirai le Charfrei­ tag,6 serai Sonnabend à Dienstag en Strasbourg et peut-être Freibourg et alors à Heidelberg, Sonntag le 9te àd Montag à Frankfurt,7 alors à Jéna et Donnerstag le 13te ici de retour à la Centralversammlung.8 J’espère qu’aussi Mama sera un jour ou deux à Strasbourg, Tante Ida9 ne venant pas à Heidelberg. Travaille beau et avec plaisir, ma petite,e je dois aller souper chez M. Adolf Meyer10 et je suis du tout très-en-prédouille, de sorte que je ne peux plus écrire. M’écriras-tu un peu des lacs italiens? Beaucoup de saluts à papa et un baiser tendre à toi de ton frère – pas, comme tu écris, affecté, mais affectionné Max Pense! la pauvre M lle Dittmar11 est toute ébrulée,12 ça veut dire leur chambre est ruiné par l’eau de la Dampf-Spritze etc. etc. – elle-même ajournant à Drèsde.13 Le diable sait comme ça c’est fait et comme ça ira de plus. Mama est très capoutte de ça tort.

c  〈[??]〉  d  et > à  e  〈le〉   4  Berliner Ugs. für: Dienstmädchen. 5  Der Brief ist nicht nachgewiesen. 6  Karfreitag fiel 1893 auf den 31. März. 7  Zu Max Webers auf den 10. und 11. April 1893 fallenden Aufenthalt in Frankfurt/Main vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 10. und 11. April 1893, unten, S.  338–341. 8  Es handelt sich bei der „Centralversammlung“ um eine humoristische Anspielung auf die regelmäßige gesellige Zusammenkunft junger Nationalökonomen, Historiker und Juristen, den „Donnerstagskreis“. Vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  21–24. Die Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik, auf der Max Weber über die Ergebnisse der Landarbeiterenquete referierte, hatte bereits am 20. und 21. März 1893 in Berlin stattgefunden. 9  Ida Baumgarten. 10  Gemeint ist vermutlich der Porträtmaler Adolf Meyer. 11  Näheres konnte nicht ermittelt werden. 12  Vermutlich erfundenes Partizip Perfekt zu frz. brûler: anbrennen, verbrennen. 13  Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden. Vermutlich handelte es sich um ein Mißgeschick beim Putzen im Zimmer eines Gastes von Helene Weber.

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Meine liebe Kleine, Habe herzlichen Dank für Deinen herrlichen Brief, aber – schockschwerenot – was für ein schauderhaftes Französisch sprichst Du denn? – Oh, jemine, das scheint ein bäuerlicher Dialekt zu sein, den man in Vevey spricht, – ländlich–schändlich wie wir sagen. – Ob ich Professor in Marburg werde, willst Du wissen? Ich? Ganz und gar nicht, aber – Du kannst es Papa erzählen, aber ganz leise, weil es ein großes Geheimnis ist – in Berlin: außerordentlicher Professor mit einem „Lehrauftrag“ in Handelsrecht, wie – das kannst Du ihm auch erzählen – mir die Herren Geh. Rath Althoff und Geh. Rath Eck gesagt haben; – vielleicht schon diesen Mai, wahrscheinlich eher Ende Juli, sicher jedoch im Winter. Die Fakultät scheint einstimmig dafür zu sein. Du kannst auch erzählen, daß es – wie Herr Eck mir gesagt hat – unabhängig vom Gesundheitszustand von Herrn Goldschmidt sein werde. Siehst Du diese herrliche Würdigung? Du mußt zukünftig mehr Respekt vor mir haben als jemals zuvor, aber keine Angst, daß ich Dich mit Leutseligkeit und Herablassung behandeln werde. Meine Zimmer, die Du erben willst, ich lasse sie Dir mit Vergnügen, weil ich mir eine Villa beschaffen muß, für mich und mindestens zwei oder drei Dienstspritzen. Wie in meinem Brief über Straßburg schon geschrieben, werde ich Karfreitag abfahren, ich werde Sonnabend bis Dienstag in Straßburg sein und vielleicht in Freiburg und schließlich in Heidelberg, Sonntag, den 9ten bis Montag in Frankfurt, dann in Jena und Donnerstag, den 13ten hier zurück zur Centralversammlung. Ich hoffe, Mama wird auch einen oder zwei Tage in Straßburg sein, denn Tante Ida kommt nicht nach Heidelberg. Arbeite schön und mit Vergnügen, meine Kleine, ich muß zum Abendessen zu Herrn Adolf Meyer gehen und ich bin von dem Ganzen völlig in der Bredouille, so daß ich nicht mehr schreiben kann. Wirst Du mir ein wenig über die italienischen Seen schreiben? Viele Grüße an Papa und einen zärtlichen Kuß Dir von Deinem Bruder – nicht, wie Du schreibst, affektiert, sondern leidenschaftlich Max Stell’ Dir vor! das arme Frl. Dittmar ist völlig ausgebrannt, d. h. ihr Zimmer ist durch das Wasser der Dampf-Spritze etc. etc. ruiniert – sie selbst hält sich in Dresden auf. Der Teufel weiß, wie das passiert ist und wie das weitergehen soll. Mama ist sehr niedergeschlagen von diesem Unglück.

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Marianne Schnitger 2. April 1893; Straßburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber nutzte die Reise zur Doppelhochzeit seiner Cousinen Emilie (Mila) und Paula Hausrath mit Philipp Jolly bzw. Georg Benno Schmidt am 8. April 1893 in Heidelberg (vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 10. und 11. April 1893, unten, S.  338), um Ida Baumgarten in Straßburg zu besuchen. Von einem Gespräch mit seiner Tante erhoffte er sich Klarheit über die Gefühle ihrer Tochter Emmy. Max Weber war seiner Cousine Emmy Baumgarten seit einem von Ende Januar bis Ende März 1887 dauernden Aufenthalt in Straßburg innig zugetan gewesen und fürchtete, sie durch die geplante Hochzeit mit Marianne Schnitger zu verletzen.

Straßburg 2. April 93 Mein Herzenskind, gestern Abend war ich zum ersten Mal seit langer Zeit so totmüde, daß ich um 10 verschwand und meinen ersten Gruß an Dich bis heut mor­ gen aufschob. Vielleicht war eine lange Unterredung mit meiner Tan­ te,1 welche die ganze Vergangenheit wieder lebendig werden ließ, dar­ an schuld, teilweise wohl auch, daß es einige Anstrengung gemacht hatte, meinen Onkel, 2 der nervös sehr herunter ist, zu zerstreuen. – Du wirst nun auch abgereist und wohl schon in Hannover sein, von wo Du damals so Negersklaven-bedürftig das erste Mal nach Berlin kamst.3 Du hast Dich doch, wenn ich es recht überlege, seitdem merk­ würdig verändert, ich kann nur nicht definieren [,] in welcher Beziehung eigentlich. Nur Eins steht mir deutlich vor Augen: Du bist immer jün­ ger, d. h. jugendlicher meine ich, geworden, mein Liebling. – Aber zu­ erst noch von mir. Auf der Reise fand ich in meiner Manteltasche Münchhausen Bd II, der darin stecken geblieben war und statt aller vorgehabter Rezensionsschmiederei4 las ich die Geschichte der blon­ 1  Hier und im folgenden: Ida Baumgarten; vgl. zu dem erwähnten Gespräch die Briefe an Marianne Schnitger vom 7., 10. und 11. April 1893, unten, S.  335 und 339 f. 2  Hermann Baumgarten. 3  Marianne Schnitger war zu Besuch bei den Schwestern Heidsiek (Brief Marianne Schnitgers an Helene Weber vom 4. April 1893, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), deren Pensionat in Hannover sie von 1887 bis 1889 besucht hatte. Danach hatte sie als Haustochter bei ihrer Tante Alwine (Wina) Müller in Oerlinghausen gelebt. Anfang 1891 war sie zu einem ersten, sechswöchigen Besuch zu Familie Weber nach Charlottenburg gekommen; vgl. Weber, Marianne, Lebenserinnerungen. – Bremen: Storm 1948, S.  4 3–52. 4 Max Weber meint vermutlich die im August 1893 erschienenen Besprechungen; vgl.

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den Lisbeth.5 Wenn ich aber dabei an mein braunes westfälisches Mäd­ chen dachte, so wurde mir klar, daß Dua in manchen Stücken eine Lis­ beth, noch klarer aber, daß ich in keinem Stücke ein Oswald sei. Welch einen alten Junggesellen hast Du Dir zu eigen genommen, mein Kind – mir ist zuweilen noch ganz bedrückt zu Muth, ob ich das Objekt einer ungeheuerlichen „Geschmacksverirrung“ bei Dir wäre, die eines schö­ nen Tages verfliegen könnte. – Aber weiter. In Heidelberg wurde ich von Beneckesb Hause aus,6 an dem ich vor­ beifuhr, erkannt und ging zum Abendessen hinüber, mit der üblichenc wahrhaft rührenden Freude von diesen selten herzensguten Menschen empfangen, – nur Dora schien noch unter dem Druck der letzten Er­ eignisse zu stehen7 und war herzlich aber recht still. Auch mir wurde die Vergangenheit lebendig und ein längst nicht mehr gekanntes Ge­ fühl von Weichheit überkam mich, als ich am Neckar nach Hause ging. In unzähligen glitzernden Strahlen bricht sich das Mondlicht auf dem unaufhaltsam vorbeirauschenden Wasser und das Schloß, von hinten beleuchtet, blickt dunkel darüber,d die Conturen der Vorderfront un­ deutlich und unentwirrbar wie die Zukunft. Vom Bett aus sah ich auf diese dunkle große und drohende Masse inmitten des hellen Mond­ lichts – als ich aber aufwachte, sah ich in dem Grün, von welchem es umrankt ist, die fröhlichen Vorboten des Frühlings. – Es ist sehr warm hier und die Fahrt nach Straßburg war insofern fast sommerlich. Die Tante kam mir sehr herzlich entgegen und wir saßen nach Tisch lange Stunden im Garten zusammen und sprachen über Alles. Es ist in der Hauptsache gewesen wie ich mir gedacht habe, – ich schreibe Dir noch a  Unsichere Lesung: 〈kaum〉  b O: Benekes’  c  〈[??]〉  d  〈an seiner〉   ­ eber, Zwei neue Schriften zur Landfrage im Osten, MWG I/4, S.  220–228, und ders., W [Rezension von:] Th[eodor] Freiherr von der Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat, ebd., S.  238–252. 5  Vgl. Immermann, Karl Leberecht, Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken. Erster Teil (Immermanns Werke. Deutsche National-Litteratur, Band 3). – Berlin, Stuttgart: Spemann 1887. In diese Adaption der Lügengeschichten des Freiherrn von Münchhausen ist als selbständige Erzählung die die gesellschaftliche Schranken durchbrechende Liebesgeschichte des Grafen Oswald und des Findelkinds Lisbeth eingebunden. 6  Das Haus von Ernst Wilhelm Benecke lag ganz in der Nähe von Max Webers großelterlichem Haus in der Ziegelhäuser Landstraße. Der mit Max Webers Tante Emilie (Nixel) verheiratete Straßburger Ordinarius für Geologie verbrachte mit seiner Familie hier üblicherweise die Sommerzeit. 7  Dorothea (Dora) Benecke war eine Vertraute der gemeinsamen Cousine Emmy Baumgarten.

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darüber,8 wir sind noch nicht ganz am Ende. Mein Gefühl von Verant­ wortung ist nicht geschwächt, es bleibt mir dauernd, das sehe ich, aber sei ruhig, mein Kind, ich habe es verarbeitet, lange schon, und es ist keine Quelle der Erregung für mich mehr, Das war nur unter dem Druck der Situation in letzter Zeit so, – ich bin mir bewußt, schwere Fehler begangen zu haben, aber nichts, dessen ich mich zu schämen hätte. – Im Sommer mußt Du die Tante und Emmy9 in Stuttgart ken­ nen lernen, das habe ich mir ausbedungen und ich weiß ja, wie gern Du mir das zu Liebe thust. – Ich schreibe Dir übermorgen nach Lemgo10 weiter. Von Herzen Dein Max

8  Vgl. die Briefe an Marianne Schnitger vom 7., 10. und 11. April 1893, unten, S.  335 und 339 f. 9  Emmy Baumgarten lebte wegen eines Nervenleidens in einem Sanatorium in Stuttgart. 10  Marianne Schnitger besuchte in Lemgo ihre Tanten Florentine (Flora) und Marie Schnitger. Das angekündigte Schreiben ist nicht nachgewiesen; es folgt der Brief an Marianne Schnitger vom 7. April 1893, unten, S.  335–337.

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Marianne Schnitger 7. April 1893; Heidelberg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Heidelberg 7. IV. 93 Mein Herzenskind,

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Deine beiden lieben Briefe stecken noch unbeantwortet in meiner Ta­ sche; jetzt aber, wo ich in gewisser Weise mit der Vergangenheit abge­ schlossen habe, eile ich Dir zu sagen, wie sehr es mich [,] ich möchte fast sagen [,] erschreckt hat, daß Du glaubst, mich erst noch „gewinnen“ zu müssen, – in Deinem zweiten Brief legst Du mir dann dieses seltsame Rätselwort näher aus und ich sehe, daß es mir trotz Allem nicht gelun­ gen ist zu vermeiden, was ich am meisten befürchtete: daß Du, mein Mädchen, in das Gefühl hineinkommst, um etwas werben zu müssen, was Du längst besitzest und was Du als Dein Recht in Anspruch neh­ men nicht nur darfst, sondern mußt. Ich bitte Dich herzlich, laß ab von diesem Gedanken, sonst misverstehst Du mich weiter. Daß die Ver­ gangenheit und die schwere Verantwortung, welche meine Leiden­ schaftlichkeit auf mich geladen hat, mich belastet, ist wahr und ich glaube natürlich, – wie aber kommst Du zu dem sinnverwirrenden Glauben, „es falle mir schwer, an Dich als an meine Braut zu denken“? Niemals, mein Liebling, darf Dir ein solcher Gedanke nahe treten, wenn Du mich auch künftig zuweilen bedrückt und in die Vergangen­ heit versunken finden solltest, – sie war schön in ihrer Art, aber für­ wahr ich ersehne sie nicht zurück. Ich habe mich mit meiner Tante nach allen Richtungen ausgesprochen,1 wir hatten uns eigentlich, in Variationen, ja nur das zu sagen, was Du weißt [,] und schieden in herz­ lichster Freundschaft, in dem Bewußtsein, daß Emmy mir jetzt eben so nahe steht wie je, nur daß ich ihr keine Leidenschaft mehr zu bieten hatte, schon als ich sie das letzte Mal wiedersah. Ich wollte dann, unter dem Vorwand meinen Vetter dort zu treffen, nach Stuttgart fahren, 1  Max Weber hatte seine Tante Ida Baumgarten in Straßburg besucht, um sich Klarheit über die Gefühle seiner Cousine Emmy Baumgarten zu verschaffen. Er war seit einem Aufenthalt in Straßburg von Ende Januar bis Ende März 1887 Emmy innig verbunden gewesen und fürchtete, durch die geplante Heirat mit Marianne Schnitger ihre Gefühle zu verletzen. Wegen eines Nervenleidens lebte Emmy Baumgarten mittlerweile in einem Stuttgarter Sanatorium, dem von Adelheid Wildermuth und ihrem Bruder Hermann geleiteten „Ottilienhaus“; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 2. April 1893, oben, S.  332.

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7. April 1893

mußte mich indeß den Bedenken von Frl. Wildermuth wegen einer et­ waigen Beunruhigung E[mmy]’s fügen.a 2 Frl. W[ildermuth] befindet sich in dem gleichen oder einem ähnlichen Irrtum wie Du mein Kind. Sie meinte offenbar, ich wolle gewissermaßen losgebunden werden, um heiterer die Freuden unseres Brautstandes genießen zu können,b und das sei der Zweck meines Kommens. Ich habe ihr geschrieben, 3 daß ich es für mich nicht hoch veranschlagen könne, wenn mir die Jugend nach manchem Andren auch die unbefangene Heiterkeit im Genießen unsrer Liebe versagte; – ich sei aber verantwortlich für Dein Lebens­ glück und sie müsse als Weib verstehen, daß es für die Stellung einer Frau zu ihrem Mann nicht gleichgültig sei, ob er ihr frei entgegentreten könne, und sie müsse weiter auch fühlen, daß grade nach weiblichem Empfinden dies dann nicht der Fall sei, wenn so etwas wie ein Verzicht einer Andren dazu erfordert werde. Meine sichere – jetzt völlig sichere – Überzeugung, daß dies nicht, in keiner Beziehung mehr, der Fall sei, habe ich durch E[mmy]’s Anblick definitiv befestigen wollen. – Sieh, mein Herz, es scheint mir, daßc ich vorläufig bei Dir noch ge­ scheitert bin, aber ich hoffe zuversichtlich, daß Du Dich überzeugen wirst, daßd ich völlig frei bin und daß die Vergangenheit zwar eine Be­ lastung meines Gewissens enthält, die ich mit Dir zusammen tragen werde, daß aber dadurch nur die Fähigkeit unbefangner leidenschaft­ licher Äußerung, nicht aber die Stärke und Klarheit meines Empfin­ dens für Dich, mein Sonnenstrahl, gehemmt ist. – Genug davon, wir verstehen uns nun doch? – Also Du willst mit mir bei allerlei guten Freunden und getreuen Nachbarn Staat machen, mein Kind? Dazu muß ich freilich, wie Du schreibst, mich erst etwas embellierene.4 Allein wie? das ist die Frage. Vorläufig pflegen mich die Tanten und ich mich selbst, Deinem stren­ gen Befehl gemäß unter Vermeidung fettbildender Substanzen. Hier ist der Frühling um das Schloß mir gegenüber herum mit Gewalt durchge­ brochen und der Garten unsres alten Hauses, mit dem sich die tiefsten Eindrücke meiner frühsten Kindheit verbinden, hat seinen natürlichen

a  〈Die〉  b  〈Ich habe ihr〉  c  〈es mir〉  d  〈die〉  e O: enbellieren   2  Max Weber schob vermutlich ein Treffen mit Fritz oder Otto Baumgarten für die Reise nach Stuttgart vor. 3  Das Schreiben an Adelheid Wildermuth ist nicht nachgewiesen. 4  Frz. für: verschönern (embellir).

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Hochzeitsstaat5 angelegt. Die Verwandten von nah und fern treffen klumpenweise hier ein, – wenn nur nicht soviel Sachsen drunter wä­ ren,6 mir wird bei diesem Gott-verlassenen Dialekt immer ganz schwach im Magen und ich entweiche ihnen, wo ich kann, wenn sie ihrf „reenstes Deitsch schbrechen“. Leider hat man mich morgen bei der Tafel auch zwischen zwei solche heillose Sachsenweiber gesetzt. – Noch Eins mein Kind: meine Tante will im Juli, wo sie zu Emmy zieht, mit dieser einmal über die Vergangenheit sprechen und ich habe sie gebeten, ihr ausnahmslos Alles zu sagen, wie es sich zugetragen hat. Sie freut sich sehr, wenn Du dann einmal mit meiner Mutter herüber­ kommst [,] und wer weiß, vielleicht können wir dort zusammentreffen. Wenn es durchzuführen ist, möchte ich, daß wir versuchen, bis dahin unser Glück im Stillen zu behalten. – An Alwine habe ich, und zwar gänzlich „ungeschäftlich“, geschrie­ ben.7 Grüße sie Alle recht herzlich. – Meine Mutter ist noch nicht da, nur eine kurze Nachricht, daß sie nicht wisse wann sie komme. Mein Vater hat ihr zu meiner sehr gerin­ gen Freude von Italien aus8 die wenig angenehme Aufgabe aufgepackt, Arthur wenn möglich auswärts unterzubringen.9 Wann wird sie end­ lich Ruhe finden? Aber Heidelberg hat ihr noch stets wohl gethan, trotz allen Trubels. – Oh je! ich sehe, die Sachsen sind im Anmarsch, um mich zur Be­ sichtigung der Wohnungen zu verschleppen, ich entgehe ihnen nicht. Deshalb will ich den Brief morgen fortsetzen, aber diese Zeilen heute abschicken, ich komme mir jetzt schon seltsam vor, so lange geschwie­ gen zu haben. Für heute, mein Herzenskind, herzlichen Kuß von Deinem großen Elefanten Max f  Unsichere Lesung: 〈schau〉   5  Max Weber hielt sich wegen der bevorstehenden Doppelhochzeit seiner Cousinen Emilie (Mila) und Paula Hausrath mit Philipp Jolly bzw. Georg Benno Schmidt am 8. April 1893 in Heidelberg auf. 6  Georg Benno Schmidt stammte aus Leipzig. 7  Der Brief an Alwine (Wina) Müller, Max Webers Cousine väterlicherseits und zugleich Marianne Schnitgers Tante mütterlicherseits, ist nicht nachgewiesen. 8  Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Clara Weber vom 28. März 1893, oben, S.  329. 9  Der als schwierig und lernschwach geltende Arthur Weber wechselte Ostern 1893 auf das Domgymnasium in Naumburg/Saale (um 1940 verfaßter maschinenschriftlicher Lebenslauf Arthur Webers, Kopie Max Weber-Arbeitsstelle, Heidelberg).

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Marianne Schnitger 10. und 11. April 1893; Frankfurt am Main Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Hôtel Continental Am Hauptbahnhofsplatz. Frankfurt a. M., den 10. IV 1893 Mein Herzenskind, es geht mit solchen Festivitäten, wie ich sie jetzt hinter mir habe,1 fast immer gleich: erst freut man sich drauf und hintendrein ist man froh, daß sie vorbei sind. Ich habe die Müdigkeit noch in allen Gliedern: Freitag Polterabend mit einigen leidlich gelungenen Scherzen, Sonn­ abend früh Doppeltrauung, die mein Vetter Otto Baumgarten vollzog, dann Warten auf das Festmahl, sodann dieses selbst, bei ca 10 Gängen 4 Stunden bis zum Abend dauernd, endlich noch eine Weile Familien­ qualena und endlich ein Schlußschoppen, Nachts um 1 zu Bett. Sonn­ tag endlose Besprechungen wegen Artur, den ich nach Naumburg zu bringen habe2 (morgen Abend) auch mit Otto Baumgarten über die Art und den Zeitpunkt, wie und wann Emmy3 von allem Geschehenen benachrichtigt werden soll, ebenso lange Unterhaltungen mit den Cou­ sinen Lieserle Jolly und Dora Benecke über alles Geschehene, dann mit der Mama, ferner mit meinem Onkel4 über Universitätsangelegen­ heiten u.s.w., – endlich mußte ich noch den fremden Gästen gegenüber die Familie repräsentieren – Alles in Allem seit 5 Tagen zusammen ca 20 Stunden Schlaf, – heute Abreise von Mama und Beneckes nach Straßburg, von mir nach Frankfurt, hier Besprechungen mit diversen Leuten wegen einer demnächst zu veranstaltenden Versammlung – jetzt noch eine Abendeinladung zum Pfarrer Rade („Christliche a  Unsichere Lesung.   1  Max Weber hatte am 8. April 1893 die Doppelhochzeit seiner Cousinen Emilie (Mila) und Paula Hausrath mit Philipp Jolly bzw. Georg Benno Schmidt in Heidelberg besucht. 2 Arthur Weber sollte auf das Domgymnasium in Naumburg/Saale wechseln; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 7. April 1893, oben, S.  337 mit Anm.  9. 3  Otto Baumgartens Schwester Emmy war nervenleidend; Näheres unten, S.  339, Anm.  6. 4  Gemeint ist hier vermutlich der Brautvater Adolf Hausrath; er wirkte als ordentlicher Professor für Kirchengeschichte an der Universität Heidelberg.

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Welt“), dann eine Zusammenkunft mit einigen Sozialisten, 5 – Du siehst, mein Schatz, erstens: es ist fast unmöglich, Dir von allem Ge­ schehenen ausführlich zu berichten, – zweitens: ich bin noch nie in meinem Leben so müde gewesen, wie jetzt eben. Es trägt wohl auch dazu bei, daß die Straßburger Tage vorausgingen. Sie boten mir das Ungewohnte, daß ich nichts that, als still sitzen und imb fortgesetzten geistigen Verkehr mit meiner Tante Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges mehr vom Empfindungsstandpunkt aus, als mit einem praktischen Ziel erörtern.6 Das widerspricht meinen Gewohnheiten sehr und Du hast meinem Briefe die große Ermattung, die es mir brachte, wohl angemerkt. Trotzdem aber hat es ihr und mir auch wohl­ gethan und wenn ich auch jetzt das Gefühl habe, aus einer Art Kno­ chen- und Seelen-Mühle zu kommen, so wirst Du mein Liebling, wenn ich Dich erst wieder im Arm habe, wohl merken, daß ich einen Schritt weiter gekommen bin in der Verarbeitung alles Dessen, was die Ver­ gangenheit auf mich gelegt hat. Dann wirst Du auch nicht mehr mei­ nen, mein Kind, wie Du in Deinem letzten Brief schriebst, „ich hätte Dir etwas zu verbergen“.7 Was sollte das sein? Du kennst ja die Ver­ gangenheit und meine inneren Beziehungen dazu und weißt, daß mei­ ne Sorge allein dahin gerichtet ist, ein möglichst zugleich herzliches und natürliches Verhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen und uns so jede Möglichkeit einer c Empfindung, als sei unser Glück aufgebaut auf stummer und schmerzlicher Resignation Anderer, zud ersparen. Und weshalb hast Du jenes beklemmende Ge­ fühl, von dem Du schriebst [,] gehabt? Weil ich nicht sehr regelmäßig im Schreiben war? Das ist eine meiner ältesten Untugenden. Die Briefe an b  〈Zusammenhalt〉  c  der > einer  d  〈benehmen〉   5 Der Theologe Martin Rade war Herausgeber der Zeitschrift „Christliche Welt“, in der Max Weber am 1. Juni 1893 seinen Artikel „Die Erhebung des Evangelisch-sozialen Kongresses über die Verhältnisse der Landarbeiter Deutschlands“, MWG I/4, S.  208–219, veröffentlichte. Anders als bei der Erhebung des Vereins für Socialpolitik wurden bei der des Evangelisch-sozialen Kongresses keine ländlichen Arbeitgeber, sondern Landgeistliche befragt und so der wichtigste Kritikpunkt von sozialdemokratischer Seite an der Enquete entkräftet. Möglicherweise standen die Treffen in Frankfurt in diesem Zusammenhang. 6  Max Weber hatte seine Tante Ida Baumgarten in Straßburg besucht, um sich Klarheit über die Gefühle seiner Cousine Emmy Baumgarten zu verschaffen. Er war seit einem Aufenthalt in Straßburg von Ende Januar bis Ende März 1887 Emmy innig verbunden gewesen und fürchtete, durch die geplante Heirat mit Marianne Schnitger ihre Gefühle zu verletzen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 2. April 1893, oben, S.  332. 7  Marianne Schnitgers Brief an Max Weber ist nicht nachgewiesen.

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Dich, mein Kind, sind die ersten, die mir nicht eine unerträgliche Last, sondern ein Vergnügen ausmachen. Sei noch etwas nachsichtig, ich bes­ sere mich schon. – 11. IV. Hier mußte ich gestern notgedrungen abbrechen. Am Abend war ich zunächst mit meinen Pastoren, dann mit diesen und einem alten hie­ sigen Democraten in überaus lebhafter, teilweise leidenschaftlicher Er­ örterung beisammen bis spät in die Nacht.8 Jetzt bin ich im Begriff, nach Weimar zu fahren, wo ich Purgolde 9 treffe (der soll gleich erfah­ ren, was geschehen ist) und dann nach Naumburg, wo ich Artur heut Abend dem neuen Zuchthause zuführe.10 – Zunächst noch der Inhalt der inzwischen getroffenen Abmachungen. Emmy soll sobald als möglich unterrichtet werden, eventuell durch Dora,11 die ihr ja die ersten Andeutungen gemacht hat. Das sollen die Straßburger unter sich ausmachen, es kommt ja nur darauf an, daß sie nicht durch eine Anzeige überrascht wird. Den Zeitpunkt, wann wir dann unsre Verlobung öffentlich machen, müssen wir uns überlegen, wenn Du wieder in Berlin bist. Die Idee, daß Du im Sommer nach Hei­ delberg mitgingest, haben Alle mit Freude aufgenommen [,] und ist es Dir recht, so halten wir daran fest, Jedenfalls gehe ich Pfingsten nach Oerlinghausen. Wie es mit einem eventuellen Kochcursus für Dich am besten einzurichten, darüber mußt Du wohl am besten mit meiner Mutter sprechen, das hat ja keine Eile. Anfang August wollte ich dann auch nach Heidelberg kommen. Chicago habe ich natürlich aufgege­ ben, wir können in späteren Jahren einmal hinfahren,12 nicht wahr? – Hoffentlich finde ich in Charlottenburg von Dir ein paarf Zeilen mit guten Nachrichten, ich komme Mittwoch Abend dorthin zurück und e  Unsichere Lesung.   f O: par   8  Zum Zusammensein mit den „Pastoren“ vgl. oben, S.  338 f. mit Anm.  5. Um wen es sich bei dem „alten hiesigen Democraten“ handelt, konnte nicht ermittelt werden. 9 Max Weber wollte seinen Freund Wilhelm Purgold über die Verlobung mit Marianne Schnitger informieren; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 13. April 1893, unten, S.  342. 10  Vgl. dazu oben, S.  338, Anm.  2. 11  Dorothea (Dora) Benecke, eine gemeinsame Cousine von Emmy Baumgarten und Max Weber. 12 Max Weber hatte vorgehabt, die 1893 in Chicago stattfindende Weltausstellung zu besuchen. Erst elf Jahre später, 1904, besuchten er und Marianne Weber auf ihrer Reise durch die Vereinigten Staaten von Amerika die Stadt; vgl. MWG II/4, S.  261–407.

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schreibe Dir dann gleich, wie ich Alles gefunden habe. Arturs Fortge­ hen bedeutet eine starke Entlastung, aber auch noch weitere Entlee­ rung des Hauses von Objekten praktischer unmittelbarer Sorge, und wenn mein Vater nun beschäftigungslos zurückkommt,13 so ist es zwei­ felhaft, ob das für meine Mutter eine innerliche Erleichterung ist. Wir müssen das abwarten, und Du bist ja nun auch als vermittelndes Ele­ ment da, mein Kind. – Auf Clärchens Gesicht bin ich sehr neugierig, mein Vater hat ihr davon erzählt, aber Stillschweigen auferlegt. Er ist jetzt mit ihr in Florenz. – Die Uhr zeigt 3 /49, 9 Uhr 10 Min. geht der Zug. Leb wohl mein Lieb­ ling, was werden sie in Oerlinghausen mit Dir aufgestellt haben? Und zu Fuß bist Du dorthin gegangen?14 Du fängst an mir fürchterlich zu werden. Herzlichen Gruß und Kuß Dein Max

13  Die Amtszeit von Max Weber sen. als Stadtrat von Berlin war Ende Januar 1893 abgelaufen; vgl. den Brief an Clara Weber vom 17. Okt. 1892, oben, S.  286 f. mit Anm.  9. 14  Marianne Schnitger hatte zuvor ihre Tanten Florentine (Flora) und Marie Schnitger in Lemgo besucht.

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Marianne Schnitger 13. April [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Charl. 13. IV. Mein Herzenskind! Nach der Arbeit das Vergnügen: ich habe soeben 9 Briefe geschrie­ ben,1 in Erledigung der vorgefundenen Correspondenz. Das ist seit X Zeiten nicht dagewesen und war eine starke Strapaze. Jetzt nur auch einen kurzen Gruß an Dich als erfreulichen Abschluß, – Aus­ führlicheres nach Eingang Deines nach Heidelberg gegangenen „ellen­ langen“ Briefs. Zunächst habe ich Dir Gruß und Glückwunsch von – Purgolda 2 zu bestellen: ich machte mir das Vergnügen, ihn, der Alles vorauszuwis­ sen pflegt, aus den Wolken fallen zu sehen. Wir waren Dienstag Nach­ mittag und Mittwoch in Naumburg zusammen und ich fand ihn besser, als ich gedacht, namentlich resignierter, denn das ist bei ihm leider die einzige zunächst mögliche Form der Besserung. Artur brachte ich in seiner Pension unter und führte ihn in die Schule ein,3 er wird sich doch recht spanisch vorkommen zunächst bei 25 ₰ wöchentlichen Re­ venuen, 1/ 210 Zubettgehen und Keine-Manchetten-Tragen. Nur der steife Bibi4 sitzt als einzige „Säule von vergangner Pracht“5 auf seinem etwas melancholischen Kopfe. „Aber gut ists doch“ wie Bräsig von der Vaterkunst sagt.6 a  Unsichere Lesung.   1  Es ist kein weiteres Schreiben vom 13. April 1893 nachgewiesen. 2  Max Weber hatte den befreundeten Wilhelm Purgold in Weimar getroffen und über die Verlobung mit Marianne Schnitger informiert; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 10. und 11. April 1893, oben, S.  340. 3  Der als schwierig und lernschwach geltende Arthur Weber wechselte auf das Domgymnasium in Naumburg/Saale; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 10. und 11. April 1893, oben, S.  338 mit Anm.  2. 4  Synonym für: „Bowler hat“ bzw. „Melone“. 5  Anspielung auf den Vers „Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht“ aus der Ballade „Des Sängers Fluch“; vgl. Uhland, Ludwig, Gedichte (Uhlands gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 1). – Stuttgart: Cotta 1892, S.  265. 6  Max Weber zitiert die Romanfigur „Onkel Bräsig“; vgl. Reuter, Fritz, Ut mine Stromtid, Erster Theil (Olle Kamellen, Band 3). – Wismar: Hinstorff 1888, S.  123.

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Hier gehts gut, die regelmäßige Arbeit beginnt nun, Gott sei Dank wieder. Mein Vater und Clara kommen Dienstag,7 dann ist äußerlich Alles wieder wie zuvor, bis Du Wildfang wieder hier landest und das Haus oder doch mich auf den Kopf zu stellen beginnst. Hoffentlich hast Du dort Alles gut gefunden, namentlich Deinen Großvater.8 Siehst Du sie bald, so grüße sie Alle, namentlich auch Alwine9 mit Dank für ihren Brief. Sie beginnt bereits, mich schwiegermütterlich zu behan­ deln und hat sich als Einleitung dieses Beginnens bzu meinerb „Tante Wina“ ernannt. Laß Dich aber doch ja nicht bereden, fest darauf ein­ zugehen, daß Du bei ihr kochen lernst. Es ist furchtbar gut gemeint von ihr, aber unglaublich unzweckmäßig. Sie scheint zu meinen, das ginge nur sie an? Aber ich soll doch essen, was Du verbrichst. Bringe ihr nur die richtige Vorstellung davon bei, daß ich nicht sehr fügsam bin, – au­ ßer Dir gegenüber, – sonst fangen sie an, über meinen Kopf weg zu verfügen und da kämen sie an den Unrechten. Wir würden uns gegen­ seitig ärgern, und wozu das? Nun, das findet sich Pfingsten. Aber schil­ dere Du mich nur entsprechend schwarz. Mit herzlichster Umarmung Dein Max

b–b  zur > zu meiner   7 Max Weber sen. und seine Tochter Clara kamen von einer gemeinsamen Reise aus Italien zurück; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 18. April 1893, unten, S.  348 mit Anm.  2. 8  Marianne Schnitger besuchte ihre Oerlinghauser Verwandten, darunter ihren Großvater Carl David Weber. 9  Alwine (Wina) Müller war eine Tante von Marianne Schnitger mütterlicherseits und zugleich eine Cousine von Max Weber väterlicherseits. Die Halbwaise Marianne Schnitger hatte einige Zeit bei ihr als Haustochter gelebt.

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Marianne Schnitger 15. April 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 15. IV. 93 Mein Herzenskind, anbei zwei Briefe der mir nächst Emmy1 nächststehenden Cousinen, mit denen ich in Heidelberg über die Vergangenheit und Gegenwart gesprochen habe, – die eine, Dora, 2 kennst Du, und wenn Du die and­ re, Lieserle Jolly,3 kennen wirst, wirst Du nicht glauben, daß es von mir eine Indiscretion |:gegen Dich:| war, auch mit ihr über Alles zu sprechen. An unsre Unterredung, deren Inhalt Du kennst, knüpft das Gedicht an, welches diese feinbesaitete, mit eigenartiger Grazie ihr Empfindungsleben frei beherrschende Natur Dir deutlich zeichnet, so sehr ich glaube, daß sie sich in Bezug auf Eines, – das Gefühl, welches sie als „Selbsterniedrigung“ bezeichnet, in Bezug auf Dich täuscht, denn mein Kind [,] anicht wahra ? das trifft nicht zu? davon verspürst Du nichts? Wir stehen frei und gleich zu einander. Ich wollte anfangs, da ich heute Nachricht aus Stuttgart oder Straßburg erwartete, war­ ten, bis sie da sei. Ich kenne zwar ihren Inhalt, aber ich wollte ihn Dir doch gleich mitteilen können. Nun, wenn die Tante erst schreibt, nach­ dem sie zurück ist, kann es immerhin bis Montag dauern, ehe ihr Brief da ist.4 Im Übrigen wartete ich auf Deinen nach Heidelberg gegangnen Brief, der über Straßburg durch Dora an mich gelangte. Der aber, mein Kind, enthält Dinge, die für mich einige sehr ernste Seiten haben. Sel­ ten hat mich etwas so in Zorn versetzt, wie der Gedanke, daß Men­ schen, welche in der Vergangenheit keineswegs an den Tage gelegt haa–a O: nichtwahr   1  Emmy Baumgarten; vgl. dazu auch unten, Anm.  4. 2  Dorothea (Dora) Benecke. 3  Elisabeth (Lieserle) Heil, geb. Jolly. 4  Ida Baumgarten kehrte von einer Hochzeitsfeier in Heidelberg nach Straßburg zurück. Sie reiste offensichtlich über Stuttgart, wo ihre Tochter Emmy Baumgarten in einem Sanatorium für Nervenkranke untergebracht war. Max Weber wartete auf Nachricht, wie Emmy, der er seit einem Aufenthalt in Straßburg von Ende Januar bis Ende März 1887 innig verbunden gewesen war, auf die geplante Hochzeit mit Marianne Schnitger reagierte; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 22. April 1893, unten, S.  351.

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ben, daß sie irgend welchen Verständnisses Dessen, was uns bewegt und zusammenführt, fähig sind, sich herausnehmen, Dich, meine ver­ lobte Braut, über die „Correctheit“ Deines Verhaltens gegen mich zu examinieren, wie es offenbar geschehen ist. Die Meinung mag noch so gut sein, der Gedanke, daß Du auch nur einen Augenblick an einem Orte verweilen könntest, wo Du der Möglichkeit der Wiederholung solcher Indiscretionen gegen mich – denn auch als solche empfinde ich das – von Seiten Unberufener ausgesetzt bist, wäre mir unerträglich. Völlig unglaublich ist es mir ferner, daß Onkel und Wina, 5 nachdem sie in der Vergangenheit die ganze schwere Last der Verantwortung auf Dich, mein armer Liebling, abgewälzt haben, jetzt [,] wo ohne ihr Ver­ dienst die Lösung gekommen ist, glauben in beliebiger Weise über Dich verfügen zu können. – Oder ist es Deine selbstgewonnene Ansicht mein Kind, daß Du jetzt besser nicht hierher zurückkehrtest? Dann füge ich mich Dir –, wie das immer sein wird in Allem was Dein Emp­ finden angeht, – aber sage mir auch offen die Gründe, ich bitte Dich herzlich darum. Ebenso sage mir auch offen, weshalb Dein Großvater dieser Ansicht war. Ich werde dann nach Oerlinghausen schreiben, daß ich nicht mehr jung genug bin, um zu dulden, daß von ihnen dort über meinen Kopf weg etwas, was uns angeht, ausgemacht werde, ohne daß man mit mir darüber verhandelt und so, daß ich davon wie von einer beschlossenen Sache erfahre, und ferner, daß ich ein persönliches Zu­ sammentreffen mit ihnen dort, weil es sich sehr unfreundlich gestalten könnte, vermeiden würde, so lange nicht feststeht, daß sie in den bei­ den bisher berührten Beziehungen meinem Verlangen unbedingt nach­ kommen wollen. – Bitte schreibe mir doch namentlich, ob und in wel­ cher Weise etwa meine Beziehungen zu Emmy bei diesen Erörterungen und bei dem Verlangen, Du sollest dort bleiben, mit im Spiele gewesen sind. – Nicht wahr, Du sagst mir das Alles ganz offen, – ich merkte Deinem Brief die Erregung, in welche sie Dich versetzt haben, nur zu sehr an. Der heutige Tag verlief recht freundlich – gegen Abend mußte ich leider in eine nicht zu umgehende gleichgültige Gesellschaft. Von Freundinnen waren Frau Tiede, Frau Lucae, Frl. Albers, Frau Rösing,

5  Carl David Weber und seine Tochter Alwine (Wina) Müller waren sowohl Max Webers Onkel und Cousine väterlicherseits als auch Marianne Schnitgers Großvater und Tante mütterlicherseits.

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Frau (Julian) Schmidt da.6 Alfred hatte aufgebaut, ich legte nur einige „modernste“ Litteraturprodukte: Sudermann, „Heimath“7 und Haupt­ mann „die Weber“8 auf den Tisch. Von Emmy und Anna Baumgarten waren schon vorher zwei kurze Briefchen eingetroffen. Morgen geht nun das Arbeiten für das Colleg9 wieder los und dane­ ben mancherlei Rezensionen und ähnliches,10 immerhin doch weniger als mein früheres Quantum, aber Arbeit genug wirds wohl doch ma­ chen. Ich bin natürlich nicht wenig gespannt darauf, wannb sichc die Sache mit meiner Professur entscheiden wird,11 denn dann mein Kind wollen wir uns doch bald für immer vereinigen, nicht wahr? Nun schreib mir nur noch eins: ob Du eventuell gegen einen Aufenthalt bei Rohnertsd – Claras „Pensionsmutter“ – der edlen Kochkunst wegen etwas hättest,12 oder vielmehr ob Du dafür wärest oder was Du sonst davon gedacht hast. In irgend einer verwandten Familie ist so etwas, glaube ich, immer eine halbe Sache. Was meinst Du? – Was Du von unsren Beziehungen zur Vergangenheit sagst, ist ganz meine Auffassung bis auf Eins: Du meinst, ich könne mich unsrer Lie­ be nicht freuen, – aber mein Kind [,] welche sonstige so hohe Freude als diese hätte ich denn ine |:meinem:| Leben? Nein, es ist nur immer mein Bedenken, daß ich Dir nicht Das biete, was ich Dir so herzlich wünschte: einen jugendlichen Bräutigam, denn ich bin so gealtert in

b  Unsichere Lesung.   c  〈endl〉  d  Unsichere Lesung.   e  im > in   6  Helene Weber hatte am 15. April Geburtstag. Die genannten Geburtstagsgäste waren Helene Tiede, Sophie Lucae, Marie Albers, Clara Rösing und Elisabeth Schmidt. 7  Sudermann, Hermann, Heimat. Schauspiel in 4 Akten, 7.  Aufl. – Stuttgart: Cotta 1893. 8  Hauptmann, Gerhart, Die Weber, 3.  Aufl. – Berlin: Fischer 1893. 9 Es handelt sich um die Vorbereitungen auf die vierstündige Lehrveranstaltung „Handels- und Seerecht“; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1893, S.  4, ferner die Übersicht über die Lehrveranstaltungen Max Webers in: MWG III/1, S.  53. 10  Max Weber meint vermutlich die im August 1893 erschienenen Besprechungen (vgl. Weber, Zwei neue Schriften zur Landfrage im Osten, MWG I/4, S.  220–228, und ders., [Rezension von:] Th[eodor] Freiherr von der Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat, ebd., S.  238–252), sowie die Ankündigung der evangelisch-sozialen Kurse in der Zeitschrift „Christliche Welt; vgl. ders., Die Evangelisch-sozialen Kurse in Berlin im Herbst dieses Jahres, MWG I/4, S.  229–237. 11  Zu Max Webers Aussichten auf die Ernennung zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320 und 322. 12 Marianne Schnitger sollte vor der Heirat mit Max Weber im nordhessischen Altmorschen bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert, die auch schon Clara Weber unterrichtet hatte, Kochen und Haushaltsführung lernen.

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manchen Beziehungen in der Vergangenheit. Aber freilich, Du mein Herzenskind, nimmst ja Vorlieb mit Dem, was Dir zu bieten hat – in herzlicher Umarmung – Dein Max Empfiehl mich Deinen verehrten Tanten13 bestens.

13  Gemeint sind Marianne Schnitgers Lemgoer Tanten väterlicherseits, Florentine (Flora) und Marie Schnitger.

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Marianne Schnitger 18. April [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Charlottenburg 18. IV. Morgens Mein Herzenskind, ehe ich mich an die Ausarbeitung meines Collegs begebe, die nun drängt,1 wenigstens einige Zeilen. Heut morgen fühlte ich mich plötzlich durch einen heftigen Kuß – das versteht sie vorerst besser als Du – aus dem Schlafe gescheucht und als ich mich umblickte, fand ich Clara auf dem Rande meines Bettes sitzend, die mit meinem Vater in aller Frühe hier eingetroffen war.2 Sie sah sehr wohl aus, der Kopf hat mit den hochgebundenen Haaren eine gewaltige Dicke angenommen und das lange Kleid steht ihr nicht recht, – vorerst sieht sie mit ihren etwas heftigena Bewegungen Backfisch-ar­ tiger aus als früher, und macht auch den bei ihr üblichen Heidenspek­ takel, so daß das stille Haus ganz belebt worden ist. Sie ist bestrebt, die Stelle einer Braut bis zu Deiner Herkunft würdig auszufüllen. Näch­ stens wird sie Dir schreiben. – Lili teilte man heut morgen das Gescheh­ nis mit. Nachdem sie auf alle denkbaren hübschen Mädchen und schließlich auf Dich gerathen hatte und ihr zugenickt wurde, rief sie mit dem Ausdruck freudigsten Erstaunens: „und weiß sie es schon?“ – Nun mein Kind – die Briefe nach Lemgo3 scheinen sonderbarer Wei­ se langsamer zu gehen als die von dort – aber Du wirst jetzt wohl meine beiden letzten Briefe haben. Hoffentlich hat Dich der Ausbruch von Ingrimm gegen die Oerlinghäuser nicht zu sehr erschreckt.4 Es war a  Alternative Lesung: fahrigen   1  Max Weber hielt im Sommersemester, das offiziell am Vortag begonnen hatte, die vierstündige Lehrveranstaltung „Handels- und Seerecht“; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1893, S.  4, ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53. 2  Clara Weber hatte im Anschluß an ihre Pensionatszeit in der Schweiz Max Weber sen. auf eine Italienreise begleitet. 3  Marianne Schnitger war bei ihren Tanten Florentine (Flora) und Marie Schnitger in Lemgo zu Besuch. 4  Vgl. die Briefe an Marianne Schnitger vom 13. und vom 15. April 1893, oben, S.  343 und 344 f.

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mir wirklich zu gräßlich, zu denken, daß Du armer Liebling nach Allem, was Du durchgemacht hast, auch noch mit Fragen belästigt wer­ den solltest, die doch, mag sie stellen wer will, einen zudringlichen Charakter haben.5 Nun, aber – ich verstehe ja die Individualität dieser gutherzigen und seltsamen Spießbürger und Dein letzter lieber Brief klang ja auch ruhiger. Also beunruhige Dich nicht, ich hatte nur noch Manches gegen die dort auf dem Herzen aus der Vergangenheit. Ich werde ihnen nicht schreiben, sondern meine Mutter wird wegen der Koch-Geschichte bald mal an Wina6 schreiben und ihr den Plan, Dich dort zu halten, ausreden, dabei auch bitten, daß die Vergangenheit nun auf sich beruht. Ich komme also dann Pfingsten und werde Dir bis da­ hin, Deinem Befehl gemäß, regelmäßige Bulletins schicken. So sehr viel Interessantes passiert mir aber jetzt hier meiner Empfindung nach nicht, wenn Du nicht da bist. Frl. Schmidt7 hat meine Mutter Sonntag gesprochen, ich ignoriere vorläufig noch, daß sie es weiß, eigentlich weil ihre eventuellen kleinstädtisch-gutmütigen Scherze, die sie dann machen wird, nicht sehr nach meinem Geschmack sein werden. Von Straßburg resp. Stuttgart habe ich vor der Hand noch nichts Weiteres gehört.8 Es kommt nun darauf an, wann ich, was ich gern möchte, der Emmy schreiben darf. Mein Kind, schreibe mir auch, ob es Dich irgend betrübt oder ge­ niert, daß wir vorerst noch heimliche Brautleute sind? Das wäre mir unerträglich und ich würde dann dafür sein, daß wir Alles so bald ir­ gend möglich bekannt machen. Es ist jetzt eigentlich nur noch Be­ quemlichkeit, – man setzt sich nicht lästigen Fragen aus, ich spare es im Sommer mit Dir hier bei X Menschen herumzulaufen und wenn wir etwa, was ich fest hoffe, im Herbst schon heirathen könnten, so ent­ gingen wir allen den für ein Brautpaar so besonders lästigen geselligen 5  Marianne Schnitger versuchte Max Webers Empörung über das Interesse ihres Großvaters, Carl David Weber, der zugleich sein Onkel war, an den Umständen, wie sie sich näher gekommen waren, insbesondere über dessen Frage, ob sie [Marianne] sich „auch correct benommen habe“, zu zerstreuen (Brief Marianne Webers an Helene Weber, undat. [vermutlich vom 16. April 1893], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 6  Alwine (Wina) Müller. 7  Vermutlich: Käthe Schmidt. 8  Die erwartete Post von Ida und Emmy Baumgarten traf kurz darauf ein. Max Weber erhoffte sich Aufschluß, ob sich Emmy Baumgarten, mit der ihn eine langjährige innige Beziehung verbunden hatte, durch die geplante Hochzeit mit Marianne Schnitger in ihren Gefühlen verletzt fühlte; vgl. die Briefe an Marianne Schnitger sowie an Emmy Baumgarten, beide vom 22. April 1893, unten, S.  351 und 355–357.

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Pflichten. Emmy gegenüber bin ich nun ruhig, es ist eine Art gemüt­ liche Abspannung über mich gekommen, nachdem diese schwere Last der letzten 7 Jahre sich bis auf das, was an Gefühl der Verantwortlich­ keit dauernd bleibt, so ruhig gehoben hat. – Mein Vater ist seiner Natur entsprechend sehr wohl aufgelegt und macht allerlei Scherze, ist etwas einmal entschieden und abgeschlos­ sen, so existiert die Vergangenheit für ihn nicht mehr. Meine Mutter ist endlich einmal wieder frisch und still befriedigt, sie grüßt herzlichst. Alfred geht es gut. Er hat zu meiner Freude eine ihn befriedigende Arbeit übertragen erhalten, auf die hin er im nächsten Jahr promovieren kann9 und damit ist für ihn vorerst einmal die Bahn klar. So wirst Du, mein Herzenskind, wenn Du wiederkommst, in eine durch Spannung und Misverständnisse nach langer Zeit einmal nicht getrübte Umgebung treten. – Jetzt an die Arbeit, die nächsten Wochen wird es wieder heiß herge­ hen. Von Herzen Dein Max

9  Es handelt sich um Alfred Webers spätere Doktorarbeit über „Hausindustrielle Gesetzgebung und Sweating-System in der Konfektionsindustrie“ (erschienen: Leipzig: Duncker & Humblot 1897).

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Marianne Schnitger 22. April 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 22. IV. 93 Mein liebes „Mariännchen“,

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dieses fabelhafte Rosa ist eine Erfindung von Clara, welche mir das Papier eigens zu dem Behuf verehrt hat, zu welchem ich es jetzt gebrau­ che. Zunächst: schönsten Dank für Deinen ausführlichen lieben Brief und den wundervollen Kranz, der eben in Wasser wieder von der Reise hierher aufgethaut ist. Er kam heute – ich hatte mich gestern den Tag über bei dem Gedanken amüsiert, daß Du diesen Unglückstag, der mich nun schon ins 30te Lebensjahr überführt hat, nicht wüßtest und ich Dich damit ärgern könnte, daß Du vergessen hättest, daß ich ge­ boren bin. Ein von Clara gemalter Porzellan-Untersatz für die Thee­ kanne und ein Visitenkartenteller waren neben sehr schätzenswerthen materiellen Präsenten die wichtigsten, schon an den Hausstand erin­ nernden Zierden meines Tisches. Du mußt, wenn Du von Hochzeit sprichst, immer lachen? Eia ei, die Sache wird bald sehr ernst werden, denn da ich im Frühjahr wahrscheinlich 8 Wochen Soldat1 sein muß, bleibt zum Heirathen nur nächster Herbst und was muß noch Alles bis dahin besorgt werden! – Vor Allem aber, – sieh den anliegenden Brief, es war |:außer einem Brief meiner Tante Ida:| der einzige, der von auswärts kam, aber was sagt er uns nicht Alles. 2 Ich werde Emmy noch heute schreiben. 3 Es ist ihr erster Brief an mich seit bald 3 Jahren, und etwas wie ein Abschied klingt doch noch heraus. – Nun aber zur Zukunft: meine Mutter wollte zunächst einmal bei Rohnert’s anfragen, ob Du ca 8–10 Wochen dorthinkommen könna  〈Ei〉   1  Die letzte Militärübung, zu der Max Weber als Reserveoffizier eingezogen wurde, fand vom 1. März bis 25. April 1894 in Posen statt; vgl. unten, S.  490–536. 2  Max Weber hatte auf Post von Emmy und Ida Baumgarten gewartet; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 15. April 1893, oben, S.  344. Ohne Klarheit über die Gefühle seiner Cousine Emmy, die ihm seit Anfang 1887 sehr nahegestanden hatte, wollte er sich nicht endgültig und offiziell an Marianne Schnitger binden. 3  Vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom selben Tag, unten, S.  355–357.

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test.4 Dann können wir ja das Weitere noch besprechen. Nach Eingang der Antwort will sie bei Frl. Stiemerb 5 – Gott sei Dank bist Du dieses Ungetüm los, sollen wir uns nicht ihr Dir ja schon vertrautes Dienst­ mädchen engagieren? – die Sache ordnen. – Du bist wieder so schreck­ lich passiv und fügsam in Deinem Brief: Du sollst nicht so über Dich verfügen lassen, auch von uns nicht. Vorschlagen wollten wir Dir etwa folgendes Programm: Du könntest etwa nach Eurer Taufe6 (7 [.] Mai, nicht wahr?) nach Altm[orschen] gehen, Pfingsten holte ich Dich ab nach Lage, Lemgo, Oerlinghausen, Bielefeld, – dann brächte ich Dich zurück, Du gingst etwa gegen Ende Juli nach Heidelberg (die Meinigen Mitte Juli), späte­ stens nähme ich Dich am 3 [.] August und bis Mitte August dahin mit. Dann Besorgung der Aussteuer, Ende September, wenn ich bis dahin Professor bin, …!7 – wozu Du wieder lachen kannst. Oder aber Du gingst erst Pfingsten nach Altm[orschen]. Schwierig wird die Sache, wenn es Rohnerts, – ihres kleinen Kindes8 wegen, – nicht paßt. Alwine will meine Mutter den Plan plausibel machen. Was im Übrigen die Oerlinghäuser anbetrifft, mein Kind, so will ich mich ja gern beruhigen.9 Aber ich glaube Dir nicht ganz, daß die Sache so friedlich war, wie Du es jetzt darstellst. Denn Deinem Brief merkte man die Erregung wohl an. Aber ich füge mich Deinem Wunsch jetzt und auch für künftig, einmal um mich in Unterwürfigkeit zu üben, dann auch weil es ja richtig ist, daß die guten Leute für ihre Unbedarft­ heitc in manchen Dingen nichts können und in vielem Andren präch-

b O: Stiehmer  c  Unsichere Lesung: Unbedarwtheit   4  Marianne Schnitger sollte vor ihrer Heirat mit Max Weber Kochen und Haushaltsführung lernen. Als Lehrerin favorisierten Helene und Max Weber Clara Rohnert im nordhessischen Altmorschen, die bereits Clara Weber unterrichtet hatte; Alwine (Wina) Müller, Marianne Schnitgers Tante, wollte ihrerseits diese Aufgabe übernehmen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 13. April 1893, oben, S.  343. 5  Es handelt sich um die Inhaberin einer Pension, Berlin West, Magdeburger Platz 4, bei der Marianne Schnitger gewohnt hatte, seit sie im April 1892 nach Berlin gekommen war. 6  Gemeint ist die Taufe von Berthold Müller am 11. Mai 1893 in Oerlinghausen; der jüngste Sohn von Alwine (Wina) Müller war am 10. Februar 1893 geboren worden. 7  Max Weber hoffte auf die Ernennung zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320 und 322. 8  Die am 3. März 1893 geborene Dorothea Emma Lili Marianne Rohnert. 9  Zu Max Webers Verärgerung über Marianne Schnitgers Oerlinghauser Verwandte vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 15. April 1893, oben, S.  344 f.

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tige Menschen sind. – Glaubst Du wohl, daß Dein Vater10 erwartet, ich würde ihm jetzt schreiben? Ist es nicht nötig, so thue ich es nicht, denn ich weiß nicht recht was? ich kann ihn doch nicht „um die Hand seiner Fräulein Tochter bitten“, nicht wahr? Also Dir ist es gleich, wann wir öffentlich als Verlobte vor der Welt erscheinen? In diesem Fall möchte ich noch etwas warten, vielleicht bis Pfingsten |:jedenfalls:|. Auch in Rücksicht auf Göhre,11 wenigstens meint meine Mutter, daß es einigen Freunden von ihm gegenüber ange­ bracht wäre. So lange wir nicht beisammen sind, ist es ja wohl auch von nebensächlicher Bedeutung. Allerdings ist es vielleicht später Roh­ nerts gegenüber doch angenehmer, wenn kein Zwang mehr besteht. Das muß sich dann ja zeigen. Göhre läßt Dich übrigens herzlich grüßen und alles Gute wünschen, er hofft [,] daß der Zeitpunkt kommt, wo er uns ganz zwanglos zusammensehen kann. Von Lieserle’s Gedicht12 hätte meine Mutter gern eine Abschrift. Ich schreibe auch ihr und Dora13 heute. Das sind mit Emmy die mir nächst­ stehenden unter den Cousinen. Mein Herzenskind, Du verlangst ja fast in jedem Brief von mir eine Art Sündenregister – warte nur, das wird schon kommen, wenn wir uns erst wiedersehen. Diesem Rosa-Papier kann ich doch die abschre­ ckenden Eigenschaften Deiner schwarzen Seele nicht anvertrauen? Und ich kann überhaupt nicht sagen, daß mir jetzt graded eine Kritik meines Dickkopfs von Liebling das allerdringendste Bedürfnis wäre. Aber – um doch etwas zu sagen – was machen denn Deine Haare? Sind sie schon bald Frisör-fähig? – Du siehst, mein Herz, ich bin jetzt dem Philosophieren unendlich wenig geneigt, – das macht dies Gefühl der Lösung von der Vergangenheit. – Eine Photographie von mir wolltest Du neulich. Es sind außer den großen Scheusalen nur solche mit Lili da. Von früheren nur ein ewig lächelnder Referendar,14 stark embel­ liert. Ich glaube, die würde Dich nicht begeistern. – d  〈[??]〉   10  Eduard Schnitger lebte und arbeitete als Arzt in Lage. 11  Paul Göhre hatte um Marianne Schnitger geworben, sie hatte ihn zurückgewiesen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, oben, S.  3 03 mit Anm.  1. 12  Es handelt sich um ein Gedicht, das Elisabeth (Lieserle) Heil, geb. Jolly, verfaßt hatte; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 15. April 1893, oben, S.  344. 13  Dorothea (Dora) Benecke. 14  Max Weber war von 1886 bis 1890 Rechtsreferendar gewesen; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  113 f.

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Schreib doch noch einmal, was Du über den oben auseinanderge­ setzten Plan meinst und schreib mir auch – ich kann ihn hier absolut nicht mit Sicherheit ermitteln – Deinen Geburtstag.15 Für heut leb wohl und sei herzlich geküßt von Deinem Max Empfiehl mich Frau Dechantin16 und den andren Tanten.

15  Marianne Schnitger war am 2. August 1870 geboren worden. 16 Marianne Schnitgers Tante Florentine (Flora) Schnitger war Dechantin des Lemgoer Stifts St. Marien.

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Emmy Baumgarten 22. April 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München Wie aus dem Brief an Marianne Schnitger vom selben Tag (oben, S.  351) hervorgeht, schrieb er den Brief an Emmy Baumgarten erst danach.

Charlottenburg 22. IV. 93 Meine liebe Emmy,

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seit Jahren habe ich selten über einen Brief eine so reine Freude emp­ funden, wie gestern über Deine freundlichen Zeilen zu meinem Ge­ burtstag, denn sie zeigten mir, – was ich gehofft, – daß wir uns so nahe geblieben sind wie immer und daß ich die gleichaltrige Schwester, wel­ che ich stets schmerzlich entbehrt habe, in Dir behalten werde. Ich habe stets, – Du weißt es, – die Frauen und Mädchen, welche mir ent­ gegentraten, an a Deinem Wesena gemessen und es war für meine grob angelegte Natur ein gütiges Geschick, daß ich mich innerlich genötigt fühlte, das andre Geschlecht durch Deine Augen anzusehen: ich habe Das auch gethan gegenüber Derjenigen, für deren Lebensglück ich jetzt verantwortlich geworden bin, und ich denke, das bleibt so. Wir haben einander im Herbst nur flüchtig gesehen und gesprochen.1 Damals vermuthete ich noch nichts davon, daß es mir beschieden sein könnte, eine solche Verantwortung für ein fremdes Leben auf mich zu nehmen. Ich war – Du hast es, glaube ich, aus meinen früheren Briefen erkannt – in den letzten Jahren, an deren unerfreuliche Öde ich mit Grausen zurückdenke, in eine derart völlige, nicht von einer gewissen Bitterkeit freie, Resignation versunken, daß ichb, soweit nicht reiche und schöne Erinnerungen an frühere Jahre einen gewissen wehmü­ tigen Schein in mein Bücherstuben-Dasein warfen, ausschließlich in der, ich möchte sagen automatischen Fortsetzung meiner pflichtmä­ ßigen Berufsarbeit aufging, sehr zum Kummer – wie Du empfinden wirst – meiner Mutter. Ich weiß nicht, wie eingehend Deine Mutter Dir die Vorgeschichte meiner Verlobung bei ihrer kurzen Anwesenheit er­ a–a  Dir > Deinem Wesen  b  〈außer〉   1  Max Weber hatte Emmy Baumgarten, mit der er sich seit seinem Straßburger Aufenthalt von Ende Januar bis Ende März 1887 innig verbunden gefühlt hatte, im September 1892 in Stuttgart besucht, wo sie im „Ottilienhaus“, einem Sanatorium für Nervenkranke, untergebracht war; vgl. den Brief an Helene Weber vom 14. Sept. 1892, oben, S.  276–281.

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zählt hat, 2 – ob Du also weißt, daß ich durch diese Resignation auch Andren schweres Leid bereitet habe. Unfähig zu glauben, daß die Nei­ gung eines reichbegabten Mädchens mirc gelten könne, deutete ich die Neigung meiner Marianne auf einen meiner nächsten Freunde, der sei­ nerseits ein tiefes Interesse an ihr gewonnen hatte,3 – nicht ohne [,] daß ich dabei etwas zu überwinden gehabt hätte, was ich damals nicht ver­ stand. Erst die für meine Mutter wie für Marianne schwer erregende Katastrophe,4 welche das Ergebnis seiner von mir begünstigten Wer­ bung war, zeigte mir, daß meine Augen unnatürlich getrübt gewesen waren. Du siehst, es war ein für uns Alle in mancher Beziehung schwe­ rer Winter und ich gönne zumal meiner Mutter die herzliche Freude, welche ihr die endliche Lösung brachte. Die Rücksicht auf meinen Freund, – Du kennst ihn vielleicht dem Namen nach als Verfasser des vielbesprochenen Buchs „Drei Monate Fabrikarbeiter“, 5 – veranlaßte mich, obwohl er über sein Schicksal männlich hinweggekommen ist, mit der Veröffentlichung der Verlobung noch etwas zu warten. – Ich bin ein seltsam viel reflectierender und in manchen Beziehungen über meine Jahre hinaus alt gewordener Bräutigam, damit muß meine Braut, die das nach meiner Vergangenheit und nach diesen Ereignissen begreift, wie Du es auch begreifen wirst, vorerst etwas Nachsicht üben. Aber freilich ist es wahr, daß die Welt mir sehr anders aussieht als noch im letzten Herbst, denn es sind schwere und große Aufgaben rein menschlicher Art, denen ich nun entgegengehe und an die es sich lohnt, seine Kraft zu setzen, wenn sie auch äußerlich in unscheinbarerem Ge­ wande auftreten, als das, was derd auf dem lauten Markt des Lebens sich vollziehende Männerberuf uns sonst an Zielen zu bieten pflegt. Ich habe aber unter Andrem grade im letzten Herbst bei meinem wenn auch leider kurzen Aufenthalt im Ottilienhaus6 den ganzen innerlichen c  〈glaube〉  d  〈laute,〉   2  Ida Baumgarten hatte vermutlich auf der Heimreise von einer Hochzeit in Heidelberg (vgl. unten, S.  357, Anm.  8) ihre Tochter Emmy in Stuttgart besucht; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 15. April 1893, oben, S.  344 mit Anm.  4. 3 Zu Max Webers Vermutung, Marianne Schnitgers Neigung gelte seinem Freund Paul Göhre, vgl. den Brief an Clara Weber vom 9. Jan. 1893, oben, S.  3 01. 4  Marianne Schnitger hatte Paul Göhres Werbung um sie zurückgewiesen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, oben, S.  3 03 mit Anm.  1. 5 Göhre, Paul, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche. – Leipzig: Grunow 1891. 6  Vgl. oben, S.  355, Anm.  1.

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Reichtum und die stille Größe schätzen gelernt, die sich in die äußer­ lich so kleinen und unscheinbaren Dinge und Vorgänge des alltäg­ lichen Lebens hineinlegen läßt. Und ich habe, da ich dem Werthe der männlichen Berufef niemals eine mehr als äußerliche Achtung entge­ gengebracht habe, soweit eben nicht die Pflicht, „mit seinem Pfunde zu wuchern“,7 in Frage kam, eine tiefe Sehnsucht, daß mir solcheg alltäg­ lichen rein menschlichen Aufgaben gestellt werden möchten, und das ist ja, wie das Leben eingerichtet ist, für uns Männer – im Gegensatz zu Euch – nur im eignen Haushalt der Fall. – Glaubst Du nicht, daß derh Reichtum dieser Verinnerlichung des „Alltagslebens“, die Ihr, verste­ he ich es recht, im Ottilienhaus pflegt, auch mit beigetragen hat zu Dei­ ner Kräftigung, über die wir uns so herzlich gefreut haben? Leider konnte ich bei meiner jetzigen Anwesenheit im Süden Stuttgart nicht berühren,8 ich hoffe aber bestimmt, daß wir uns im Sommer dort sehen und daß Du das sehr eigenartige Mädchen, welches sich mir anvertraut, kennen und – ich glaube es – lieben lernen wirst. Sie kennt Dich durch mich längst. Sehr herzlich würde es mich freuen, könnten wir öfter von einander hören, – gewiß aber möchte ich Dich nicht drängen, mehr zu corre­ spondieren, als die Schonung, die Deine Kräfte doch gewiß noch be­ dürfen, gestattet. Meine Mutter grüßt herzlichst. Ich bitte Dich, mich Frl. Wildermuth, die sich meiner noch freundlich erinnert, zu empfehlen. Auf Wiedersehen! In brüderlicher Liebe und Freundschaft Dein Max

e  Gedanke > Werth  f  〈kei〉  g  〈männli〉  h  〈gleiche〉   7  Redewendung nach Lukas 19,12 ff. und Matthäus 25,14 ff. 8  Max Weber war zur Doppelhochzeit seiner Cousinen Emilie (Mila) und Paula Hausrath am 8. April 1893 nach Heidelberg gereist. Auf den bei dieser Gelegenheit geplanten Besuch bei Emmy Baumgarten hatte Max Weber auf Rat von Adelheid Wildermuth, der Leiterin des Ottilienhauses, verzichtet; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 7. April 1893, oben, S.  335 f.

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Marianne Schnitger 25. April [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt (der bevorstehenden Heirat mit Marianne Schnitger) erschlossen.

Charlottenburg 25. IV Mein liebstes Mariannchen, also einen „geschäftlichen“ Brief bekomme ich und den Text gelesen wegen seltenen Schreibens und weil trotz dem schönen Rosa1 die Poe­ sie ermangelt? Es ist aber eben damit nicht viel los bei mir und ich hatte Dich gleich vor dem alten Junggesellen gewarnt, mit dem Du Dich be­ schwerst. – Also zunächst: Du scheinst damit einverstanden, daß wenn es in Altmorschen geht, 2 Du dort Aufenthalt nimmst und ich Dich dort Pfingsten abhole – übrigens „fette“ Woche3 für die Zeit meines Aufent­ haltes bei Dir ist doch fast etwas anzüglich. Wird nun etwas draus – vor­ erst ist keine Antwort da – so schildere ich Dir die Leute dort noch des Näheren. Was Adolf Meyer4 anlangt, so habe ich bisher ihm gegenüber immer von „betrübenden häuslichen Verhältnissen“ gesprochen, wenn er fragte, Du kannst ja das „betrübend“ weglassen und einfach schrei­ ben, häusliche Verhältnisse zwängen Dich vorerst von der Rückkehr hierher abzusehen. Er wird mich dann ja fragen und ich werde ein mög­ lichst vielsagendes und betrübtes Gesicht machen. Dann mit Deiner Rückkehr hierher, um den Colleginnen5 die Zunge herauszustrecken, – das war doch hoffentlich der edlere Zweck des Wiedersehens? – oder halte ich Dich darin für zu hartherzig, aber geliebt hattest Du diese Colleginnen doch wahrlich nicht. Vielleicht ließe sich das unmittelbar 1  Max Weber benutzte rosafarbenes Briefpapier, das ihm seine Schwester Clara für die Korrespondenz mit Marianne Schnitger geschenkt hatte; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 22. April 1893, oben, S.  351. 2  Marianne Schnitger sollte vor der Heirat mit Max Weber im nordhessischen Altmorschen bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung lernen. 3  Anlehnung an die der österlichen Fastenzeit vorausgehende und im „fetten Dienstag“ gipfelnde Karnevalswoche mit üppigen Speisen. 4  Gemeint ist vermutlich der Porträtmaler Adolf Meyer; vgl. die folgende Anm.  5. 5  Gemeint sind die Teilnehmerinnen der Malkurse, die Marianne Schnitger bei Adolf Mey­ er und Marie Davids besucht hatte, wie sich aus dem Tagebuch Marianne Webers (Nr. IV, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), ergibt.

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nach Pfingsten machen oder zwischendurch einmal, denn mir will es, so sehr ich die Vernünftigkeit erkenne, doch auch immer wieder nicht in den Sinn, daß ich Dich so lange gänzlich entbehren soll. Warten wir zunächst den Brief von Frau Rohnert6 ab. – Die Geschichte der letzten Tage ist leicht erzählt. Sonntag war Karl Möller7 bei uns, unverändert wie immer[,] und als er durcha eine Äuße­ rung meiner Mutter auf das [,] was passiert war[,] aufmerksam wurde, hielt er bei Tisch einen weisen Toast und klopfte mir nachher mit der Bemerkung auf die Schulter, daß es „wirklich vorzüglich“ sei. Nichts destoweniger hatte sich der gute Mensch offenbar schrecklich gefreut. – Käthe Schmidt war „erkältet“8 und Du weißt ja, daß ich dagegen meist nichts einzuwenden habe. Gestern und heut fingen die Collegien an9 mit vorerst noch ziemlich mäßigem Besuch, je zwischen 30 und 40 Leuten, darunter wohl auch einige Neugierige. Ich bin nun nur ge­ spannt, wann das Ministerium mit meiner Ernennung zum Professor vorgehen wird.10 Hoffentlich dauert es nicht bis zum Winter. Es ist doch seltsam, ich muß irgendwie strahlen oder sonst Zeichen eines angehenden Ehemannes von mir geben, auf dem Sprechzimmer bin ich schon von zwei Seiten geheimnisvoll gefragt worden, obb mir etwas Erfreuliches widerfahren sei. Außerdem soll ich ungemein wohl aussehen. Innerlich bringt so eine Zeit des Abwartens nicht viel, ich sehe mir morgens beim Aufwachen Deinen Kranz11 und das grüne Band |:über mir:| an und komme mir dann so vor, als sei ich in einem Hotel oder irgendwo aufgewacht, wohin ich nicht mehr gehörte. Mit der Arbeit will es nicht recht, man fühlt sich so im Übergangsstadium und ich bin von einer unendlichen Denkfaulheit besessen, die Du meinen Briefen a  〈[??]〉  b  〈ich〉   6  Clara Rohnert; vgl. oben, S.  358, Anm.  2. 7  Karl Möller war mit Max Webers Cousine Hertha, geb. Weber, verheiratet, die zugleich eine Tante von Marianne Schnitger war. 8  Die im Hause Weber verkehrende Käthe Schmidt absolvierte eine Gesangsausbildung. 9  Max Weber hielt im Sommersemester 1893, das am 17. April begonnen hatte, Lehrveranstaltungen über „Handels- und Seerecht“ (montags, dienstags, donnerstags und freitags jeweils von 12 bis 1 Uhr mittags) sowie ein „Handelsrechtsprakticum“ (Montag abends von 6 bis 8 Uhr); vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1893, S.  4, ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53. 10  Max Weber wartete auf die Ernennung zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320 und 322. 11  Es handelte sich um Marianne Schnitgers Geburtstagsgeschenk.

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wohl anmerkst. Der Grund ist wohl einfach; – ich habe seit Jahren mit unendlicher Bitterkeit es empfunden, daß ich nicht zu einer mich selb­ ständig nährenden Stellung zu gelangen vermochte, irgend einen Re­ spekt vor dem Begriffe des „Berufes“ habe ich nie gehabt, da ich zu wissen glaubte [,] daß ich in eine ziemlich große Zahl von Stellungen einigermaßen hinein paßte, das Einzige was mich reizte, war das eigne Brot und daß es mir versagt blieb [,] machte mir das Elternhaus zur Pein. Nun ist ja das Ende abzusehen und anders, als ich, der ich mich als wandernden Junggesellen sah, es je gehofft hatte. Die Consequenz ist zunächst nichts als die Empfindung der Ungeduld, daß es endlich auch wirklich so weit sein möchte. – Ich muß mich doch noch ganz ge­ waltig umdenken in der Welt, mein Herzenskind, und damit bin ich in meiner langsamen Art jetzt beschäftigt. Wenn wir uns wiedersehen, wird diese „Mauserungs“-Prozedur, denke ich, beendet sein. – Ob Du denen in Oerlinghausen wohl von unsren nunmehrigen Plä­ nen erzählt hast? Und was sie dazu sagen mögen. Alwine ist hoffentlich nicht verletzt;12 aber sie ist doch von Allem abgesehen, jetzt auch, wie ich höre, so herunter, daß es schon deshalb kaum anginge, daß Du dort bliebest. Meine Mutter schreibt ihr in nächster Zeit. Heut war übrigens ein recht liebenswürdiger Brief von Hertha13 hier. Der Onkel ist ja an seinem Geburtstag14 – ich wußte leider nicht, daß der jetzt war, sonst hätte ich geschrieben – gänzlich verschwiegen gewesen. Von Karl sind keine, von Artur gute Nachrichten da.15 Alfred be­ ginnt jetzt mit seiner Arbeit16 und scheint, wie auch nicht anders zu erwarten, befriedigter als bisher. Clara vollführt nach wie vor einen Heidenspektakel im Haus und glänzt durch Koch- und Backkünste. Sie grüßt schönstens und meine Mutter dankt vielmals für Deinen Brief. Leb wohl mein Liebling, ich schreibe jetzt regelmäßiger, sei nicht böse Deinem Dich herzlich küssenden Max 12 Alwine (Wina) Müller hatte ihrerseits angeboten, ihrer Nichte, Marianne Schnitger, Koch­unterricht zu geben. 13 Hertha Möller war eine Cousine väterlicherseits von Max Weber und zugleich eine Tante mütterlicherseits von Marianne Schnitger. 14  Carl David Weber, Max Webers Onkel väterlicherseits und Marianne Schnitgers Großvater mütterlicherseits, hatte am 17. April Geburtstag gehabt. 15  Arthur Weber besuchte seit kurzem das Domgymnasium in Naumburg/Saale; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 7. April 1893, oben, S.  337 mit Anm.  9. 16 Alfred Weber hatte ein Dissertationsthema gefunden; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 18. April 1893, oben, S.  350 mit Anm.  9.

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Marianne Schnitger 26. April [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt (der bevorstehenden Heirat mit Marianne Schnitger) erschlossen.

Charlottenburg 26. IV. Mein Herzenskind,

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eben fällt mir ein, daß Du ja meinen gestrigen Brief,1 der nach Lemgo ging, erst nach einigen Tagen erhältst, da Du jetzt aschon in Oerling­ hausen bista , wie Du schriebst. Deshalb schicke ich gleich diesen Gruß hinterher. – Heute erschien Frl. Stiemerb (!) hier, die an der Welt verzweifelnd das Pensionsmutter-Spielen aufgiebt.2 Aber ei ei Du hast ja geplaudert – sie sagte wenigstens, die betrübten Verhältnisse schienen sich ja gut aufgelöst zu haben. Willst Du nun etwa Dolfmeyer3 Ähnliches andeu­ ten? Nun meinetwegen, ich werde meine eiserne Stirn schon bewahren. Näheres über Deine „geschäftlichen“ Auseinandersetzungen im letz­ ten Brief habe ich Dir nach Lemgo geschrieben. Die Voraussetzung in Deinem Brief an meine Mutter, daß ich „wie ein Pferd“ arbeitete,4 ist unrichtig, ich habe nur sehr beschränkt Arbeitslust und es geht lang­ sam damit. Ich genieße heute einen Colleg-freien Tag.5 –

a–a  nach Oerlinghausen gehst > schon in Oerlinghausen bist  b O: Stiehmer   1  Vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 25. April 1893, oben, S.  358–360. Marianne Weber besuchte nach Florentine (Flora) und Marie Schnitger, ihren in Lemgo lebenden Tanten väterlicherseits, ihre mütterliche Verwandtschaft in Oerlinghausen. 2  In der Pension von E. Stiemer, Berlin West, Magdeburger Platz 4, hatte Marianne Schnitger gewohnt, seit sie im April 1892 nach Berlin gekommen war. Näheres konnte nicht ermittelt werden. 3 Gemeint ist vermutlich der Porträtmaler Adolf Meyer, bei dem Marianne Schnitger Malunterricht genommen hatte. 4  Marianne Schnitger hatte in ihrem Brief an Helene Weber vom 24. April 1893 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) vermutet, Max Weber arbeite „wie ein Pferd“, also viel. 5  Mittwochs – und somit auch am 26. April 1893 – hatte Max Weber keine Lehrveranstaltungen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 25. April 1893, oben, S.  359 mit Anm.  9.

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Von Rohnerts ist noch keine Antwort da, sollten sie absagen so wird die Sache schwierig.6 Alwine7 kann unmöglich sich mit Dir abgeben, da sie ja wie ich höre ziemlich mitgenommen ist und dann des kleinen Kindes8 wegen. Und Emily,9 die ja wohl erhebliche Hausfrauen-Ta­ lente hat, stimmt wohl nicht so ganz mit Dir? Wenigstens habe ich von Deiner Seite den Eindruck. Und außerdem [,] wenn sie nicht selbst Lust dazu hätte und die Initiative ergriffe, würdest Du es wohl auch ungern thun. – Wären wirc ein amerikanisches Brautpaar, so nähmen wir uns vor, ins Chambre-garni zu gehen und im Hotel zu essen. Indessen ich gestehe, daß das nicht eben nach meinem Geschmack wäre. – Grüße Alle dort herzlich, sobald Nachricht aus Altm[orschen]10 da ist, schreiben meine Mutter oder ich selbst dorthin. Für heut küßt Dich Dein Max

c  〈nun〉   6  Marianne Schnitger sollte vor der Heirat mit Max Weber bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert in Altmorschen, die auch schon Clara Weber unterrichtet hatte, Kochen und Haushaltsführung lernen. 7  Alwine (Wina) Müller. 8 Berthold Müller, der jüngste Sohn von Alwine (Wina) Müller, war erst am 10. Februar 1893 zur Welt gekommen. 9  Emilie (Emily) Weber, Ehefrau von Marianne Schnitgers Onkel Carl (Carlo) Weber. 10  Vgl. oben, Anm.  6.

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Marianne Schnitger 29. April 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl 29. IV. 93 Mein Herzenskind,

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schnell ehe ich in die Arbeit gehe ein paara Zeilen zur Antwort auf Deinen lieben Brief. Ich habe immer auf die Antwort von Frau Roh­ nert gewartet, aber die guten Leute scheinen entsetzlich lange zur Überlegung zu brauchen, es ist noch nichts da.1 Nun möchte ich Dich bitten, Dich eventuell über eine noch weitere Möglichkeit zu äußern, nämlich: „Tante Ottilie“2 – ich glaube zu sehen, wie Du die „Unterlippe hängen“ läßt, mein Kind, aber der alten Tante würde es viel Freude machen, glaube ich [,] und meinem Vater würdest Du mit diesen Kenntnissen sehr imponieren1), glaube ich. Und wenn der Onkel3 ihr Pension zahlte, so glaube ich, thäte sie es gern. Sag mir bitte wenigstens Deine Meinung. – Also hat Hertha richtig ihrer Tochter4 gegenüber nicht dicht gehal­ ten, – und Lamping5 dürfte dann wohl auch eingeweiht sein. Nun mei­ netwegen. Schreib dem Dolfmeyer6 nur, was Dir richtig scheint, Kind, mir ists gleich. Was er freilich denken wird, wenn Du ihm von „betrübenden 1) 

Ich meinerseits bin bereit, Alles im Schweiße meines Angesichts zu verschlingen, was Du mir vorführst, wird es zu toll, dann gehe ich in die Kneipe und mache dann nicht das von Dir skizzierte Gesicht, sondern,b  

a O: par  b  In O folgt an Stelle des Satzendes eine Handzeichnung.   1  Marianne Schnitger, die ihre Verwandten in Oerlinghausen besuchte, sollte vor der Heirat mit Max Weber bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert im nordhessischen Altmorschen, Kochen und Haushaltsführung lernen. 2  Ottilie Weber, die Zwillingsschwester von Max Weber sen. 3  Gemeint ist Carl David Weber, Max Webers Onkel, der zugleich Marianne Schnitgers Großvater war. 4  Hertha und Eleonore (Nora) Möller. 5  Wilhelm Lamping hatte Marianne Schnitger Klavierstunden gegeben (vgl. Weber, Marianne, Lebenserinnerungen. – Bremen: Storm 1948, S.  50) und war mit der Familie ihrer Tante Hertha Möller befreundet. 6 Gemeint ist vermutlich der Porträtmaler Adolf Meyer, bei dem Marianne Schnitger Malunterricht genommen hatte.

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Familienverhältnissen“ schreibst und dann hinzufügst, daß er näch­ stens wohl etwas „Erfreuliches“ hören würde, bin ich begierig czu wis­ senc . Nun, er wird sich wohl bei Tante Albers7 oder im Donnerstag Abend8 bei mir Auskunft erbitten [.] Die Zuhörerzahl bleibt ziemlich mangelhaft und Seide werde ich da­ bei nicht spinnen; 9 wenn das später so weitergeht, müssen wir eine Eta­ ge höher ziehen und 1 Semester über nur saure Linsen futtern. Karl Möller10 ist ein rührender Mensch, – und dieser Brief an Dich!, – als ich ihn las, sagte ich mir: „siehste, so biste“.11 Du hast ihn ja aber gewaltig mit Fragezeichen verschönt, zu meiner Freude imponiere ich Dir also nicht mehr so gewaltig, wie zuerst. Das wird, glaube ich, noch weiter abnehmen und bis wir heirathen, bin ich „ganz klein“ geworden. Jetzt muß ich in die Arbeit, morgen ist Sonntag, da komme ich [,] denke ich [,] wieder zu einem Wort an Dich. Clärchen [,] die hier neben­ an klimpert [,] läßt schön grüßen, sie sei noch immer nicht zu einem Brief an Dich gekommen, – offenbar weiß sie nicht recht, was sie Dir schreiben soll, da sie Dich nun noch wenig kennt. Sie will aber gern. Eifersüchtig ist sie bisher nicht, nur hat sie offenbar die Befürchtung, ich möchte sie gar zu sehr „absetzen“ und ist deshalb von größerer Zärtlichkeit als das sonst ihre Art war. – Meine Mutter gab mir gestern Abend den beiliegenden Zettel an Dich, ebenso schicke ich Lieserles Gedicht12 mit zurück. Grüße Alle, – d. h., Du bist jetzt doch wohl wieder in Lemgo. Es küßt Dich herzlich Dein Max c–c  Fehlt in O; zu wissen sinngemäß ergänzt.   7  Marie Albers, eine Freundin von Helene Weber. 8  Zum „Donnerstag-Abend“ vgl. die Einleitung, oben, S.  21–24. 9  Gemeint sind die Einkünfte aus den beiden Lehrveranstaltungen („Handels- und Seerecht“ und „Handelsrechtsprakticum“), die Max Weber im Sommersemester an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin hielt; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 25. April 1893, oben, S.  359 mit Anm.  9. 10 Karl Möller war mit Max Webers Cousine Hertha verheiratet, die zugleich Marianne Schnitgers Tante war. 11  Zitat aus einem von Karl May unter dem Pseudonym „Hobble-Frank, früher Forschtgehilfe zu Moritzburg in Saxen“ und in sächsischem Dialekt verfaßten Antwortschreiben auf einen Leserbrief in „Der Gute Kamerad. Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung“; vgl. May, Karl, Der schwarze Mustang und andere Erzählungen und Texte für die Jugend (Karl Mays Werke. Historisch-Kritische Ausgabe für die Karl-May-Stiftung, Band III,7). – Bamberg, Radebeul: Karl-May-Verlag 2008, S.  411. 12  Es handelt sich um ein Gedicht von Elisabeth (Lieserle) Heil, geb. Jolly; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 22. April 1893, oben, S.  353.

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Marianne Schnitger 30. April 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 30. IV. 93 Mein Herzenskind,

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gestern sind, wie ich Dir von meiner Mutter auszurichten habe, Deine „Eingeweide“ zusammengepackt und in leidlicher Ordnung befunden worden, bis auf, – ich glaube, – einen Frisiermantel (wozu brauchst Du den? jetzt? mit dem Stiftkopf?)1 und noch irgend einem Objekt, die noch besonders folgen, einschließlich des Pelzes, ausschließlich von 2 sehr niedlichen Photographien von Dir aus Hannover und Bielefeld – letztere wohl Confirmationsphotographie? – die ich confisciert habe. Ich will aber auch ein Exemplar von dem „ekligen“ Bild haben, welches Du damals zerrissen hast, mein ungezogener Engel, denn grade dieses interessiert mich; – oder hast Du sie alle aus der Öffentlichkeit gezogen und vernichtet? Von Rohnert’s noch immer keine Nachricht, 2 es ist wirklich recht unangenehm und meine Mutter will jetzt einmal hinschreiben, viel­ leicht hat der Oberförster den Brief in seiner Jagdjoppentasche stecken behalten oder Ähnliches. Nicht wahr Du schreibst mir auch über die Eventualität mit Tante Ottilie?3 Aber ganz offen, ob es Dir unange­ nehm ist, ich merke es nachher doch, wenn es Dir eine Entsagung war und mir wäre es dann wirklich arg, wenn Du nicht gesagt hättest, was Dir am liebsten von den verschiednen Möglichkeiten war. Du bist mir mit diesen Entsagungskünsten jetzt immer etwas verdächtig, denn ich brauche eine Frau, die möglichst starke Ansprüche – nicht äußerlich, sondern innerlich – macht und nichts nur und allein deshalb thut, weil sie annimmt, ich wollte es gern. Sonst werde ich darin noch verwöhnter, als ich es nun einmal schon bin.

1  Ugs. für: kurzer Haarschnitt. 2  Marianne Schnitger sollte vor der Heirat mit Max Weber bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert im nordhessischen Altmorschen, Kochen und Haushaltsführung lernen. 3 Max Weber hatte in seinem vorausgegangenen Brief an Marianne Schnitger vom 29. April 1893, oben, S.  363, in Erwägung gezogen, daß Ottilie Weber, die Zwillingsschwester von Max Weber sen., Marianne Kochunterricht geben könne.

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30. April 1893

Heut über drei Wochen sind wir ja nun jedenfalls schon zusammen in Oerlinghausen, vielleicht gestern über drei Wochen schon zusammen in Lemgo und Lage gewesen und ich bin unendlich begierig auf diese Zeit, denn ich denke mir, daß sie bei Dir die letzte Vorstellung von Dem, was in Deinen früheren Briefen noch immer durchklang, – jetzt zu meiner herzlichen Freude nicht mehr, – als käme ich mir noch immer wie im Unrecht gegen Andre vor, wenn ich mit Dir glücklich bin, für alle Zeit beseitigen wird. Wenn wir uns dann für längere Zeit wieder trennen, so ist das in mancher Art auch gut, – ich bin etwas aus dem Gleichgewicht, in welches mich die resignierte Vorstellung einer fest gegebenen Situation im Leben (in menschlicher Beziehung) gesetzta hatte, gebracht und dadurch in meiner Arbeitsfähigkeit geschwächt, Das muß nun, indem ich mich in mich selbst als eine heirathsfähige Menschenseele umdenke, erst wieder beseitigt werden und meiner Na­ tur nach kann ich das Umkrempelungsgeschäft an mir selbst besser al­ lein vollziehen. Hoffentlich wird dann eine vielfach vermehrte und ver­ besserte Auflage meiner selbst daraus. – Daß ich nicht ohne Erfolg an mir herumdoktere und daß auch all die Schritte nach dem Süden doch nicht ohne Werth waren, controlliere ich daran, daß mir die schwierige Situation dieses Winters jetzt schon wie ein fremdes Erlebnis objekti­ viert ist.4 – Von Göhre soll ich Dir wiederum einen herzlichen Gruß mit den besten Wünschen sagen, er ist jetzt am Rhein und ich hoffe das thut ihm gut, er war recht nervös und was mir zeitweise recht besorglich war, am Halse und auf der Brust chronisch affiziert seit dem Tod seiner Schwester.5 Ich war zeitweise etwas besorgt, da die Anlage ja in der Familie liegt, es scheint aber, daß der Rhein ihm gut thut. – Eben werde ich zu Frl. Schmidt6 gerufen, – ich bin alleiniger Fami­ lienrepräsentant, die Andern sind spazieren gegangen, – da muß ich wohl hinunter. Du weißt, ich mag sie nun einmal nicht, aber ich weiß [,] daß Du |:auch hier:| verlangen würdest, ich solle mir ein Taubenfell überziehen, und darnach werde ich verfahren. Deshalb leb wohl mein Kind, in herzlicher Umarmung Dein Max a  gebracht > gesetzt   4  Anspielung auf jene die Verlobung von Max Weber und Marianne Schnitger erschwerenden Umstände: Paul Göhres erfolglose Werbung um Marianne Schnitger und Max Webers ungeklärtes Verhältnis zu seiner Straßburger Cousine Emmy Baumgarten. 5  Paul Göhres Schwester Martha war 1892 im Alter von 18 Jahren verstorben. 6  Die im Hause Weber verkehrende Käthe Schmidt, die eine Gesangsausbildung machte.

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Marianne Schnitger 2. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl 2. V. 93 Liebstes Mariannchen,

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Du bist ja ein ganz colossaler Hitzkopf, daß Du, wenn einmal der Brief einen Umweg macht und sich verspätet, gleich an die Schwiegermama gehst!1 Ich habe Dir aber schon zweimal seit Deinem letzten Brief ge­ schrieben, 2 und wollte, da ich heute einmal nicht den ganzen Tag in Berlin war, Dir ohnedies heute wieder schreiben. In den Tagen zwi­ schen Dienstag und Sonnabend ist das immer am schwierigsten zu ma­ chen, denn da gehe ich unter Umständen um 1/ 29 hier fort und komme spät Abends wieder, worauf dann noch die Colleg-Arbeit3 folgt. – Hier kommt nun der Brief von Rohnert’s, ich glaube eigentlich nach wie vor, daß es doch so das Richtige wäre, denn es ist, scheint mir, si­ cher nicht zutreffend, daß im Familienkreise einer Tante die Übersicht über den Haushalt ebenso leicht zu gewinnen ist, wie sonstwo, es er­ scheint da Manches, was man gewohnt ist, als selbstverständlich, was doch durchaus nicht selbstverständlich ist.4 Aber Du, mein kluges Mädchen, weißt das ja Alles viel besser als ich, also entscheide. Schick aber doch bitte den Brief lieber nicht an Wina, 5 sondern wenn Du uns­ 1  Max Webers Brief an Marianne Schnitger vom 25. April 1893, oben, S.  358–360, mußte von Lemgo, wo Marianne Schnitger ihre Tanten Marie und Florentine (Flora) Schnitger besucht hatte, nach Oerlinghausen, wo sie anschließend bei ihren Verwandten mütterlicherseits weilte, nachgeschickt werden; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 26. April 1893, oben, S.  361. Marianne Schnitger hatte sich inzwischen bei Helene Weber über die Verspätung beklagt. Dies geht aus einem undatierten Brief Helene Webers an sie (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) hervor. Helene Weber antwortete ihr auf ihre „beiden ‚Notschreie‘ denn als solche sind Karte und Briefchen doch wohl gemeint gewesen“. 2  Es handelt sich wahrscheinlich um die Briefe an Marianne Schnitger vom 29. und vom 30. April 1893, oben, S.  363 f. und 365 f. 3 Gemeint sind die Vorbereitungen für die Lehrveranstaltung „Handels- und Seerecht“ sowie das „Handelsrechtsprakticum“. 4  Geplant war, daß Clara Rohnert, die Frau des Oberförsters Ernst Rohnert im nordhessischen Altmorschen, Marianne Schnitger in Kochen und Haushaltsführung unterrichtete. Alwine (Wina) Müller hatte angeboten, ihrerseits diese Aufgabe zu übernehmen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 13. April 1893, oben, S.  343. 5  Alwine (Wina) Müller; vgl. oben, Anm.  4.

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rer Ansicht bist so laß meine Mutter ihr schreiben, um ihr den Fall plausibel zu machen. Zumal es nicht nötig ist, daß sie sieht, daß Frau Rohnert auch ein kleines Kind hat.6 Was Letztere anlangt, so bin ich fest überzeugt, daß Du sehr viel Gefallen an ihr finden wirst, sie hat etwas Jugendliches und sehr Anmutiges, ihr einziger Fehler, den Du ihr nicht nachmachen darfst, ist ihre zu große Hingabe und Nachgiebigkeit gegen ihren ein wenig grillenhaften, – übrigens sonst sehr braven und wohlmeinenden, – aber nervösen Mann, der ein Kerl ist, wie ich auch Einer zu wer­ den fürchten muß. – Daß Du vor Tante Ottilie7 ein gewisses Grauen empfandest, ist mir an sich sehr verständlich. Wie also die Sache jetzt liegt, treffe ich Dich Pfingsten in Oerlinghausen. – Noch Eins. Ich erhalte heute einen Brief, wonach man mich unter Umständen nach Chicago als Ausstellungs-Commissar schicken will,8 – d. h. wesentlich auf meine Kosten. Ich hatte natürlich diese Sache ganz aufgegeben,9 da ich weder Lust hatte, noch das Geld dazu verwen­ den wollte, Dir auszukneifen. Nur in einem Fall würde ich die Sache doch in Erwägung ziehen: wenn es die Ernennung zum Professor beschleunigte. Das wäre nicht unmöglich und dann hätte es doch viel für sich, da es uns das Heirathen vielleicht schon zum Herbst, wie ich so gern möchte, ermöglichte. Meinst Du nicht auch? Nun, ich hole Deine

6  Gegen Alwine (Wina) Müller hatte Max Weber deren Belastung durch ihren erst wenige Monate alten jüngsten Sohn Berthold angeführt, wobei auch Clara Rohnerts Tochter Dorothea Emma Lili Marianne ein Säugling war. 7  Ottilie Weber, die Max Weber in seinem Brief an Marianne Schnitger vom 29. April 1893, oben, S.  363, alternativ als Haushaltslehrerin ins Gespräch gebrachte hatte. 8  Einen Mittelpunkt des deutschen Beitrags zur Weltausstellung in Chicago 1893 bildete das Unterrichts- und Universitätswesen. Dieser Ausstellungsteil wurde für ganz Deutschland vom preußischen Kultusministerium organisiert, in dem der Ministerialbeamte und Mitarbeiter Friedrich Althoffs, Friedrich Schmidt-Ott, dafür verantwortlich zeichnete (vgl. Fuchs, Eckhardt, Gouvernementaler Internationalismus und Bildung: Deutschland und die USA am Anfang des 20. Jahrhunderts, in: Schriewer, Jürgen (Hg.), Weltkultur und kulturelle Bedeutungswelten. Zur Globalisierung von Bildungsdiskursen. – Frankfurt a. M., New York: Campus 2007, S.  4 5–73, bes. S.  47–57). Korrespondenzen Max Webers sind weder mit Friedrich Schmidt-Ott noch dem für die Entsendung von Delegierten zuständigen Reichskommissar für die Weltausstellung 1893, Adolf Wermuth, nachgewiesen. 9  Max Weber hatte ursprünglich geplant, 1893 gemeinsam mit seinem Freund Paul Göhre zur Weltausstellung nach Chicago zu reisen; vgl. die Briefe an Clara Weber vom 26. Nov. 1892 und vom 7. Jan. 1893, oben, S.  288 und 298 f.

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Erlaubnis jedenfalls erst noch ein, wenn die Sache Ernst wird. Ich will nächster Tage einmal im Ministerium hören.10 – So mein Kind, dieses ist der dritte Brief, den ich schreibe, seit ich zuletzt etwas von Dir gehört habe und willst Du mir nun mein Verse­ hen, die Briefe nach Lemgo zu schicken, vergeben? Jedenfalls laß Dich küssen und runzle weder die Stirn noch „laß die Unterlippe hängen“, (denn diese vorzügliche Terminologie Deiner Tante werde ich mir jetzt aneignen),11 sondern küsse wieder Deinen Max Die besten Empfehlungen an Deinen Herrn Vater,12 ich denke, daß es doch vielleicht möglich sein wird, daß wir gleich zuerst in Lage sind zu Pfingsten, liegt es nicht an der Bahn? dann könnten wir uns ja dort treffen und dann weiter gehen. Oder soll ich zuerst nach Lemgo?

10 Max Weber teilte Marianne Schnitger wenige Tage später am 9. Mai 1893 (unten, S.  380) mit: „Chicago ist erledigt, es ist kein Geld da.“ 11  Dieser Eigenart verdankte Marianne Schnitger vermutlich den ihr von Max Weber später in verschiedenen Variationen beigegebenen Kosenamen „Schnäuzchen“. 12  Eduard Schnitger lebte und arbeitete als Arzt in Lage.

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Marianne Schnitger 4. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 4. V. 93 Liebstes Mariannchen, für jetzt nur ein paara eilige Zeilen und schönsten Dank für Dein liebes Briefchen; und zunächst den Bericht über die Wohnungsenquête, die ich gestern mit Clärchen zusammen (auf deren Bitte) und nach vorgän­ giger Recognoscierung1 der „Schwiegermama“ – anders heißt meine Mutter jetzt hier nicht mehr – begonnen habe. Das billigste und in seiner Art preiswürdigste was ich gesehen habe, war – um damit zu beginnen – folgende Wohnung in der Kurfür­ stenstraße – zwischen Schillstr. und Zool[ogischem] Garten – im Gar­ tenhaus (Quergebäude) b 950 Mk2 3 Treppen über Hochparterre (also 4 Stiegen) recht hohe Treppen, auch steil.

a O: par  b  Schließende Klammer fehlt in O.   1  Erkundung (von lat. recognoscere, wiedererkennen, untersuchen). 2  Der Preis bezieht sich (wie im folgenden auch) auf die Jahresmiete.

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Das ist ein Zimmer zu wenig und sehr hoch, sonst äußerst behaglich, nur etwas eng zusammen.3 Zweite, preiswürdige Wohnung: Lutherstraße 14 (an der Bülowstraße,4 ca 12 Minuten vom Zool[o­ gischen] Garten – Bahnhof): c

also sehr bequem, luftig und hell, aber 2 Zimmer mehr u. deshalb 700 M. teurer.5 Diese beiden gefielen mir als Extreme bisher am besten. Nun suche ich noch nach einem Mittelding (Gartenwohnung in niedrigeren Regio­ nen und mit etwa 5 Zimmern). Nun was meinst Du denn, mein Kind, namentlich wegen Treppen? Es wäre ferner eventuell eine Wohnung |:ziemlich:| unmittelbar ne­ ben einem Stadtbahnbogen zu bekommen. Das wäre für Dich doch aber des Nachts wohl nichts? Für mich wären andrerseits eine Anzahl Wohnungen nicht brauchbar, welche in Häusern mit Musikern, Kla­ vierlehrerinnen und sogar Musikschulen (!) liegen. – Nun, wie gesagt, in den nächsten Tagen gehe ich noch einmal auf die Suche nach Wohnungen der oben bezeichneten Art. –

c  In O folgt ein erster, unvollständiger Grundrißentwurf, der von Max Weber gestrichen wurde.   3  Dem Grundriß läßt sich die Lage zwischen „Große[n] Gärten“ und „Grüne[m]“ entnehmen, sowie die Lage der Zimmer im einzelnen: Arbeitszimmer, Wohnzimmer, Eßzimmer, Küche, Toilette, Speisekammer (darüber mit Hängeboden), Fremdenzimmer und schließlich Schlafzimmer. 4  Max Weber meint offensichtlich die Kleiststraße, eine Verlängerung der Bülowstraße. 5  Dem Plan läßt sich der Preis (1650 Mark), die Lage der Wohnung (Parterre) sowie der einzelnen Zimmer entnehmen: Wohnzimmer, das zwei Flügel des Hauses (in der Regel Vorderhaus und Seitenflügel) verbindende sogenannte Berliner Zimmer, Bad, Fremdenzimmer, Mädchenzimmer, Schlafzimmer, Küche, Speisekammer und zwei Arbeitszimmer.

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Bebel ist nicht zu finden, ich beschaffe mir ihn nun beim Buchhänd­ ler, offenbar hat Carl6 ihn verschleppt oder er ist sonst irgendwie ab­ handengekommen. Ich schicke ihn Dir also noch und sende vorläufig nur einige andre Sachen, von denen ich freilich nicht mit Sicherheit weiß, ob sie Dich grade im ersten Anlauf interessieren werden. Es ist unglaublich, wie ich – wahrscheinlich von Carl – ausgeraubt worden bin. Fast nichts ist mehr da und wir werden gewaltig anzuschaffen ha­ ben, um nur die Lücken auszufüllen. Nun also Du bist mit dem Heirathen in der letzten Septemberhälfte zufrieden,7 und ich hoffe, daß auch Dein Großvater8 nichts dagegen hat. Meine Mutter wird nun nächstens einmal dorthin schreiben um wegen des Zeitpunktes von Wina’s9 Herkommen das Nähere auszuma­ chen. Es ist Alles noch sehr unbestimmt, hauptsächlich weil mein Va­ ter es – auch wo Andre ein dringendes Interesse daran hätten – nicht liebt Pläne zu machen außer im letzten Momente. Ich schreibe Dir dann noch näher darüber. Verzeih mein Kind diese für heut nur recht flüchtigen paard Zeilen, ich schreibe morgen Abend wieder und muß mich, da gestern die Woh­ nungssucherei die Arbeitszeiten absorbierte, jetzt an das Collegma­ chen10 begeben. Bis dahin küßt Dich Dein eiliger Max

d O: par   6  Max Weber vermutet, sein Bruder Karl habe das – hier wahrscheinlich gemeinte – Buch: Bebel, August, Die Frau und der Sozialismus. Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 13., unveränd. Aufl. – Stuttgart: Dietz 1892 (hinfort: Bebel, Die Frau und der Sozialismus) verlegt. 7  Die Wahl des Hochzeitstermins fiel schließlich auf den 20. September 1893. 8  Carl David Weber, Marianne Schnitgers Großvater, war zugleich Max Webers Onkel und lebte in Oerlinghausen. 9  Alwine (Wina) Müller. 10  Gemeint sind die Vorbereitungen für die Lehrveranstaltung „Handels- und Seerecht“ sowie das „Handelsrechtsprakticum“.

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Marianne Schnitger 5. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 5. V. 93 Mein Herzenskind,

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gestern konnte ich nicht mehr Deinen lieben letzten Brief beantwor­ ten, da ich Abends in der Stadt zum Donnerstag Abend1 blieb und eile es heute zu thun nachdem soeben Dein Brief an Clara angekommen ist und große Freude erregt hat. Nun bist Du also auf einmal ganz „ge­ knickt“? Das möchte ich doch gar zu gern einmal mit ansehen, denn in dieser Verfassung bist Du mir bisher noch völlig unbekannt. Aber be­ ruhige Dich, mir ist es lieber wenn Du Dich ärgerst einmal ameinen Brief nichta rechtzeitig zu bekommen und mir dann aufs Dach steigst als wenn es Dir „schnurz“ wäre. Meine Mutter hat inzwischen an Alwine2 geschrieben und sie gebe­ ten, daß Ihr Euch nun dort definitiv entscheiden möchtet und wenn die Entscheidung bejahend ausfällt, so werde ich dann an Frau Rohnert schreiben und fragen, ob ich Dich schon am 27ten (Sonnabend nach Pfingsten) dorthin begleiten dürfte, 3 – damit Du doch nicht ganz allein dort einrücken mußt. Meine Mutter meint, die Oerlinghäuser würden das |:näml. daß wir beide zus[ammen] reisten:| nicht für passend halten ohne Dame d’honneur, indessen ich gestehe [,] daß ich solche Vorsünd­ flutlichkeit nicht ganz respektieren könnte. Der „Grunewald“4 ist doch ein gefährlicheres Terrain als ein Nichtraucher-Coupé, wie? Aber äu­ ßere Dich darüber. – Nun also, in Deinem nächsten Brief wolltest Du ja die nötigen Befehle für meine Reise zu Dir austeilen. Ich bin Sonn­ abend vor Pfingsten frei, aller äußersten Falles ginge es vielleicht [,] daß ich schon Freitag Mittag (nicht vor 2) reiste, ich habe noch nicht nach­ gesehen, wie es mit den Zügen steht. Die Reihenfolge ist dann wohl: Lage, Lemgo, Oerlinghausen, oder Lemgo, Lage, Oerl[inghausen]? Es a–a  keinen Brief > meinen Brief nicht   1  Zum „Donnerstag-Abend“ vgl. die Einleitung, oben, S.  21–24. 2  Alwine (Wina) Müller. 3  Marianne Schnitger sollte vor der Heirat bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert im nordhessischen Altmorschen, Kochen und Haushaltsführung lernen. 4  Das zwischen Charlottenburg und Potsdam gelegene Forstgebiet.

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wäre denkbar [,] daß ich auf 11/ 2 Tage inzwischen nach Berlin zurück­ müßte des Evang[elisch]-Sozialen Congresses wegen, 5 dann würde es vielleicht richtig sein [,] Du kämst mit hierher und ich brächte Dich von hier aus hin. Aber erst schreibe Du einmal, was Du Dir ausgedacht hattest. – Von Straßburg hatten wir heut die betrübende Nachricht, daß es meinem Onkel wieder einmal recht schlecht geht und meine Cousine Anna (die jüngere) [,] die jetzt versuchsweise zu Haus ist [,] 6 die Influenza hat. Diese Häufung von unglücklichen Zufällen ist wirklich bedauernswerth. Emmy geht es nach wie vor gut. Göhre ist noch am Rhein und hat von da mehrfach recht frohe Briefe an Frl. Albersb 7 geschrieben, auch mir eine Karte. Ich habe auch jetzt nicht an Deinen Vater8 geschrieben, sage mir doch noch einmal ob Du den Eindruck hast, daß es vielleicht gut wäre und ihm lieber, – ich könnte mir ja denken, daß er vielleicht in dem Gedanken, einem unbekannten Menschen antworten zu müssen, ihm nicht einmal angenehm wäre, aber das müßtest Du ja wissen. – Eben lehne ich eine Tanzeinladung zu Prof. Pernice9 mit Genuß ab. Später werdec ich mich für die ganze Vergangenheit damit entschuldigen, daß ich schon bei Dir versorgt gewesen sei. Wenn Du erst mein tanzlustiges Frauchen bist, fange ich vielleicht doch auch wieder an, Geschmack daran zu finden, zumal es dann nicht von mir verlangt wird, sondern als Liebenswürdigkeit gilt, die Tyrannei und das „Soll“ war mir immer das Widerstrebende dabei. – Danke Carlo und Emily10 für ihre freundlichen Wünsche, an Wina schreibe ich vielleicht bald auch meinerseits wieder einmal,11 wenn die Sache jetzt entschieden ist. b  Alternative Lesung: Alber  c  Unsichere Lesung: 〈käm i〉   5  Der Evangelisch-soziale Kongreß fand am 1. und 2. Juni 1893 in Berlin statt; Max Weber nahm an ihm teil; vgl. Bericht über die Verhandlungen des Vierten Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten zu Berlin am 1. und 2. Juni 1893. Nach den stenographischen Protokollen. – Berlin: Rehtwisch & Langewort 1893 (hinfort: Bericht über die Verhandlungen des Evangelisch-sozialen Kongresses 1. u. 2. Juni 1893), S.  131. 6  Hermann Baumgartens Tochter Anna litt, wie ihre Schwester Emmy, an einem Nervenleiden; beide waren deshalb im Stuttgarter „Ottilienhaus“, einer Heilanstalt für Nervenkranke, untergebracht. 7  Paul Göhre verkehrte mit Marie Albers, einer Freundin von Helene Weber. 8  Der in Lage lebende Eduard Schnitger. 9  Alfred Pernice, Professor für Römisches Recht. 10  Carl (Carlo) Weber, der Sohn von Carl David Weber, Onkel von Marianne Schnitger und Vetter von Max Weber, und seine Frau Emilie (Emily). 11  Aus dieser Zeit ist kein Brief an Alwine (Wina) Müller, eine Tante Marianne Schnitgers

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Nun sei herzlich geküßt mein Liebling und schreibe bald – ich schrei­ be Sonntag wieder12 – Deinem Max

und zugleich eine Cousine Max Webers, nachgewiesen. Max Weber wollte nicht, daß seine Verlobte deren Angebot annahm, ihr das Kochen beizubringen, sondern hoffte auf einen Aufenthalt bei Clara Rohnert (vgl. oben, S.  373, Anm.  3). 12  Vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 7. Mai 1893, unten, S.  376–378.

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Marianne Schnitger 7. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 7. V. 93 Mein Herzenskind, eben ist mein Collegheft für morgen fertig1 und ich eile, Dir noch einen Gruß und die Bitte, meinen aallerdings zu früh kommendena Glück­ wunsch bei den Dortigen auszurichten1), zu schicken. Mein Vater wird, denke ich, heute telegraphiert haben [.] – Mit Deinen Rendez-vous-Plänen bin ich natürlich in allen Punkten völlig einverstanden und werde also am Rollkrug aus der Post steigen2 und mich Dir zu beliebiger Verwendung überliefern, man wird sich ja, denke ich nicht verfehlen. Eigentlich hätte ich mir gern erst die Schnu­ te gewaschen, ehe ich Dir einen Kuß gebe, aber dabei bist Du eigentlich mehr interessiert als ich und wenn Dub etwas Eisenbahnschmierage mit in den Kauf nimmst, so bin ich auch so zu allen Schandthaten be­ reit. Ich reise dann also Sonnabend früh um 8 Uhr hier ab. Wo soll ich denn bleiben? Hat irgend Jemand die liebenswürdige Absicht geäußert mich aufzunehmen, dann würde ich noch vorher schriftlich mich be­ danken. Am einfachsten bleibe ich vielleicht im Kruge. Nun das über­ lege Du Dir. Heut war Theodor Möller hier mit seinem zweitältesten übrigens an­ scheinend ganz netten Backfisch, 3 der demnächst von hier fortgeht. Ob sie informiert waren, weiß ich nicht, jedenfalls ließen sie sich nichts merken. –   1)  D. h. wenn ich Dienstag an Dich schreibe, kommt ja wohl der Brief auch noch hin. a–a  verspäteten > allerdings zu früh kommenden  b  〈mit〉   1 Max Weber hielt dienstags (also auch am 8. Mai) die Vorlesung über „Handels- und Seerecht“. 2  Max Weber plante die Reise nach Oerlinghausen, wo an Pfingsten, dem 21. und 22. Mai 1893, die offizielle Verlobung mit Marianne Schnitger gefeiert wurde. Der „Rollkrug“, ein Gasthof an der von Bielefeld nach Oerlinghausen führenden Chaussee, war zugleich Poststation. 3  Die 1877 geborene Hedwig Möller.

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Eben kommt meine Mutter herauf um mir zu sagen, daß mein Vater zur Taufe4 kommen wird, wenn nicht etwas mit dem Abg[eordneten-] Haus dazwischen kommt. Sie selbst will jetzt nicht mitkommen, da sie doch schwerlich eine ruhige Zeit zum Sprechen finden würde, sondern sie will von Heidelberg aus mit dorthin kommen. Während der Pfingst­ tage – woran ich ja auch gedacht hatte – kann sie jedenfalls nicht. Es handelte sich in letzter Zeit hier immer darum, ob Artur5 herkommen sollte oder nicht. Meine Mutter war sehr dagegen und wie ich glaube sehr mit Recht. Mein Vater dagegen bestand darauf ihn herkommen zu lassen. Jetzt scheint es, daß sie sich mit ihm in Thüringen treffen wer­ den; und Das ist zur Beruhigung meiner Mutter die beste Lösung. – Über die Einteilung der Pfingstwoche kann ich noch immer nichts be­ stimmtes sagen, da es noch ungewiß ist, ob der Evangelisch-soziale Congreß dann hier sein wird6 und ob ich dabei unentbehrlich bin. An­ dernfalls kümmere ich mich nicht um ihn. Wenn ich aber da sein muß, so möchte ich Dich gern mit hierhaben und brächte Dich von hier zu Rohnerts.7 – Aber das sind spätere Sorgen. – Clara möchte furchtbar gern auf irgend eine Weise auch zu einem Besuch bei Rohnerts gelan­ gen, an denen sie noch immer sehr hängt [,] und mich am liebsten dort­ hin begleiten, das wird sichc aber kaum arrangieren lassen. Sie sagte mir eben gute Nacht und läßt Dich vielmals grüßen. Die Briefe von Emmy,8 die ich erst heraussuchen muß, bringe ich Dir mit. Warum sollte mir das peinlich sein? Das ist jetzt Alles objektiviert und Gegenstand der Erinnerung [,] ohne daß eine schmerzliche Emp­ findung mitspräche. –

c  Unsichere Lesung: 〈über〉   4  Max Weber sen. nahm am 11. Mai 1893 in Oerlinghausen an der Taufe des am 10. Februar 1893 geborenen Berthold Müller teil, dem jüngsten Sohn seiner Cousine Alwine (Wina) Müller. 5 Arthur Weber besuchte seit April 1893 das Domgymnasium in Naumburg/Saale; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 7. April 1893, oben, S.  337 mit Anm.  9. 6  Zur Teilnahme Max Webers am Evangelisch-sozialen Kongreß, der am 1. und 2. Juni 1893 in Berlin tagte, vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 5. Mai 1893, oben, S.  374, Anm.  5. 7  Marianne Schnitger sollte vor der Heirat mit Max Weber im nordhessischen Altmorschen – wie schon Clara Weber – bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung lernen. 8  Emmy Baumgarten.

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Den „Oberhof“9 habe ich leider in Heidelberg liegen lassen, |:– glau­ be ich –:| ich kenne aber die Stelle [,] die Du meinst [,] mein Kind. Was magst Du jetzt den Tag über thun? Du schriebst mir früher einmal ich solle Dir Sachen zu lesen schicken oder mitbringen, – welcher Art denn etwa? Ich will dann sehen [,] was ich finde. Wenn nur nicht eine solche Unordnung unter meinen Büchern und Sachen wäre, es ist manchmal zum Erbarmen, was ich suchen muß. Das wird in unsrem Haushalt hof­ fentlich anders [,] aber Du lieber Gott! was werde ich zu lernen haben. Grüß dort herzlich, und den Glückwunsch zur Taufe schicke ich Dir Dienstag nochmal10 – damit Du nicht meinst, ich wollte Dir bis dahin nicht mehr schreiben. In herzlicher Umarmung Dein Max

9  Gemeint ist eine Erzählung aus: Immermann, Karl Leberecht, Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken. Erster Teil (Immermanns Werke. Deutsche National-Litteratur, Band 3). – Berlin, Stuttgart: Spemann 1887. Sie handelt von einem westfälischen Dorfschulzen, dem der älteste Bauernhof am Ort gehört und der den anderen Bauern mit Rat und Hilfe zur Seite steht. Max Weber verweist später auf diese Erzählung in einer 1897 gehaltenen Vortragsreihe, vgl. Weber, Agrarpolitik, MWG I/4, S.  826–841, hier S.  834 mit Anm.  10. 10  Vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 9. Mai 1893, unten, S.  379 f.

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Marianne Schnitger 9. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 9. V. 93 Mein Herzenskind,

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diese Zeilen werden kaum früher als mein Vater bei Euch eintreffen, aber ich möchte doch gern Dir für Deinen inzwischen eingetroffenen lieben Brief danken und einen herzlichen Gruß schicken, wenn auch nur einen kurzen, denn ich muß gleich noch an Frau Rohnert schrei­ ben.1 Ich halte es doch für richtig Das zu thun, da bisher nur meine Mutter mit ihr correspondiert hat. – Im Übrigen vorweg meine Glückwünsche, – nochmals – zu Eurem Fest dort, 2 ich freue mich aus Deinen Briefen zu sehen, daß es Alwine3 gut geht. Grüße sie speziell herzlichst von mir. Mit meinem Vater könnt Ihr ja, was an Exteriora4 für die nächste Zeit zu überlegen ist, bespre­ chen. Er scheint seinerseits den Wunsch zu haben oder es für zweck­ mäßig zu halten, daß wir die Publikation der Verlobung noch weiter hinausschieben. Ich meinerseits habe dagegen doch Bedenken und glaube namentlich, daß es für Dich manches gegen sich hätte. Sprich wenn möglich auch darüber mit ihm und den Dortigen. Sie werden, denke ich, ebenfalls für baldige Bekanntmachung sein. – Die Bekannt­ machung greift ohnedies rapide um sich. Die Benecke’sche und Haus­ rath’sche Familie weiß es nun schon in corporem – die Frauenzimmer haben in so was eine ganz feine Nase und haben es mir angemerkt, weiß Gott wie. Meinem Vetter Wilhelm habe ich in folge dessen heute geschrieben.5 Unsren Mädchen scheint die Sache auch schon bedenk­ lich deutlich zu sein. Wie sollte es auch anders sein? Bei Euch werden wohl auch schon die Spatzen von den Dächern davon piepen. – 1  Der angekündigte Brief an Clara Rohnert im nordhessischen Altmorschen, bei der Marianne Schnitger vor der Hochzeit Kochen und Haushaltsführung lernen sollte, ist nicht nachgewiesen. 2  Vgl. die Ankündigung der Glückwünsche zur Taufe von Berthold Müller am 11. Mai 1893 in Oerlinghausen im Brief an Marianne Schnitger vom 7. Mai 1893, oben, S.  378. 3  Alwine (Wina) Müller, die Mutter des Täuflings. 4  Lat. für: Äußeres, Äußerlichkeiten, hier im Hinblick auf die bevorstehende Hochzeit von Marianne Schnitger und Max Weber. 5  Das Schreiben an Wilhelm Benecke ist nicht nachgewiesen.

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Was mich anlangt, so bin ich jetzt mit den Collegien6 leidlich im Zuge und mit dem Besuch den Umständen nach nicht unzufrieden. Meine Ernennung zum Professor scheint sich bis zum Herbst zu ver­ schieben und das ist mir nicht eben angenehm. Ich werde demnächst noch einmal nachfragen. – Chicago ist erledigt,7 es ist kein Geld da. Meiner Mutter imponiertest Du mächtig dadurch, daß Du kein Veto einlegtest und auch ich bin Dir dankbar dafür mein Kind und freue mich, daß Du nicht zu den Angsthasen gehörst und nicht sentimental bist. Wenn Du manchmal Dich so schrecklich entschuldigst, daß Du „kratzig“ oder „trotzig“ gewesen seist, wird mir immer bange, Du sollst ein „Trotzkopf“8 sein, schon weil – es Dich besser kleidet. Mein Kopf ist, das wirst Du sehen, auch nicht aus Pappe. Ich frage also Frau Rohnert, ob ich mit Dir schon Sonnabend nach Pfingsten kommen kann. Nun also frohes Fest, sei vergnügt und schreib bald Deinem Dich herzlich umarmenden Max Kannst Du eigentlich meine Schrift lesen? Gut? Ich weiß das immer nicht.

6  Es handelt sich um das Kolleg „Handels- und Seerecht“ sowie das „Handelsrechtsprakticum“ (vgl. MWG III/1, S.  53). 7  Anspielung auf die für 1893 geplante Reise zur Weltausstellung nach Chicago; vgl. zuletzt den Brief an Marianne Schnitger vom 2. Mai 1893, oben, S.  369 mit Anm.  10. 8 Anklang an den gleichnamigen, 1885 erstmals erschienenen populären Mädchenroman von Emmy von Rhoden. Dessen Protagonistin lernt erst während ihrer Pensionatszeit, sich in die ihr zugedachte traditionelle Frauenrolle zu fügen.

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Marianne Schnitger 12. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenbg 12 V. 93 Mein Herzenskind,

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obwohl mit einem ganz abscheulichen Schnupfen behaftet, möchte ich auf Deinen heut morgen erhaltenen Brief doch gleich antworten. Ich sehe daraus mit Bedauern, daß sicha mein Vater wieder einmal, wie das seine Art ist, über Dinge, für die er weder Verständnis noch wahres inneres Interesse besitzt, in einer Art geäußert zu haben scheint, die mich aufs Äußerste erbittert |:und mir widerwärtig ist:|. Ich bedaure doch fast, daß ich damals nicht doch ein energisches Ersuchen an Al­ wine1 richtete, mit diesem Geklatsch – denn das ist es – über unser vergangenes und gegenwärtiges Verhältnis definitiv ein Ende zu ma­ chen. Ich bitte Dich, ihr Deinerseits von mir |:entweder gradezu:| zu sagen, daß das aufzuhören hat, wenn wir in ein irgend gutes persön­ liches Einvernehmen gelangen sollen, oder es ihr auf andre Weise bei­ zubringen, daß Das einfach nicht geht. Und was ist das für eine „geschäftliche“ Unterredung, die mein Va­ ter mit Deinem Großvater2 haben soll? Ich habe keine Ermächtigung dazu gegeben und würde mir sehr verbitten, daß Andre sich in Deine und meine Angelegenheiten unberufen hineinmischen. – Oder bezieht sich die Sache nur auf die Frage der Publication? Was meinen Vater gegen eineb baldige Bekanntgabe stimmt, ist nur – nach unser Aller Ansicht – Bequemlichkeit; – ich meinerseits würde ihm darin entge­ genkommen nur dann, wenn es für Dich und Euch in der That völlig gleichgültig, äußerlich und dem Empfinden nach, wäre, wie es für mich der Fall ist, nachdem die Menschen, deren Mitwisserschaft mir Be­ dürfnis war, sämmtlich informiert sind. Meine Mutter wünscht entschieden baldige Bekanntmachung. Und Du sprachst doch auch schon von Verwandten-Besuchen, die wir jetzt zu Pfingsten machen sollten, a  Fehlt in O; sich sinngemäß ergänzt.   b  〈vorzeitige〉   1  Alwine (Wina) Müller. 2  Carl David Weber, Marianne Schnitgers Großvater, war der älteste Bruder von Max Weber sen. Bei ihrem Treffen ging es augenscheinlich um die Aushandlung des Ehevertrags und der Mitgift; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  3 0–32.

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also nahmst Du doch auch an, wir wollten nicht weiter zurückhalten. – Also bin cich nach Allemc der Ansicht, daß wir jetzt zu Pfingsten die Anzeigen verschicken. Nun schreib mir bitte gleich, wie Du es mit der Form der Anzeige gehalten haben möchtest: ob nämlich Dein Vater formell mitanzeigt in der üblichen Weise, oder ob wir nur unsrerseits |:beide:| anzeigen, ebenso ob Du dort in Bielefeld bestellen willst oder ob ich das hier machen soll. Du mußt dann auch dafür sorgen, daß die erforderliche Liste aufgestellt wird, wir sind hier im Wesentlichen da­ mit fertig und kommen auf gegen 300. – Nun mein Kind, nicht wahr, Du nimmst Deinerseits diese Widerwär­ tigkeiten nicht zu tragisch. Den Wunsch, ich möge, wie Du Dich aus­ drückst, meinem Vater irgend einen „Einblick“ gewähren, kann ich Dir jetzt nicht erfüllen: es wäre werthlos, denn die Möglichkeit des Verständnisses und der Sympathie mangelt, |:letztres:| auf beiden Sei­ ten. Mein Vater hat eben andre Vorstellungen von einem Bräutigam und dessen Wesen, als er in mir verkörpert findet. Und da sich auch hier wieder – wie in dieser ganzen Angelegenheit, auch Göhre3 gegen­ über, schon mehrmals – zeigt, daß er nicht die Fähigkeit wirklich discreter d Behandlung solcher Dinge hat, so halte ich so viel Zurück­ haltung wie möglich für das Richtigste. – Schreib mir bitte bald, ob Du mit Obigem einverstanden bist und in welcher Form die Anzeige gemacht werden sollte. – Ich freue mich trotz dieser Ärgernisse doch sehr herzlich auf unser Beisammensein zu Pfingsten und ich hoffee, daß wir uns allseitigf ganz gut vertragen werden, vorausgesetzt, daß die Dortigen sich an den Ge­ danken gewöhnen, daß über mich und gmein Verhältnis zu Dirg ich die einzige geeignete Auskunftsperson bin und diese Pourparlers mit And­ren oder allerlei Herumfragen an Dir eine unzulässige Indiscre­ tion ist. Ich merkte Deinem Brief wohl an, daß Dich dieses Gebahren wieder bedrückt hatte. – Nun, mein Herz, in 8 Tagen ist das, so denke ich, Alles zu Ende. Laß Dich küssen und sei guten Muthes, wie es trotz Allem bleibt Dein Max

c–c O: zweifach unterstrichen.   d  〈Erörterung〉  e  〈[??]〉  f Unsichere Lesung: 〈verausg〉  g–g  Dein Verhältnis zu mir > mein Verhältnis zu Dir   3  Marianne Schnitger hatte Paul Göhre, der um sie geworben hatte, zurückgewiesen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, oben, S.  3 03 mit Anm.  1.

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Marianne Schnitger 16. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenbg 16. V. 93 Mein lieber Schatz,

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hoffentlich habt Ihr den Brief meiner Mutter noch rechtzeitig erhalten. Es fiel mir erst zu spät ein, daß durch die Änderung der Anzeige ja der Name Deiner Mutter,1 den ich doch auch so gern darin erwähnta sähe, verschwinden würde. – Vielen Dank für Deinen lieben Brief, es trennen uns ja jetzt nur noch 4 Tage von einander2 und Du wirst dann schon sehen, daß ich nach keiner Richtung, wie Du fürchtest, „dünn“ sein werde, weder körper­ lich noch moralisch andren gegenüber. Es giebt aber eben bei mir einige verwundbare Punkte. Dahin ge­ hört einmal der Gedanke, daß Dir mein Kind die Leute mit dem Ge­ danken entgegentreten könnten, es bestehe nicht das rechte Verhältnis zwischen uns [,] und daß sie Dich überhaupt mit den vergangnen Din­ gen noch weiter quälen könnten. Aber das ist vorübergehender Natur und wird ja jetzt bald nicht mehr in Betracht kommen. Dauernd aber bleibt der andre Punkt. Ich habe seit langen Jahren den Umstand, daß ich finanziell abhängig war, als das weitaus Peini­ gendste meiner Lage empfunden, es ist bei der absolut verschiednen Sinnesart meines Vaters gegenüber derjenigen meiner Mutter und der meinigen diese Seite der Sache stets die heikelste gewesen. Ich habe, aus allerhand Gründen, teilweise Vorurteilen, einen Beruf ergriffen, der sehr spät zur Selbständigkeit führt und dadurch meine Leistungs­ fähigkeit sehr geschwächt in den besten Jugendjahren, denn diese Si­ tua­tion lastete auf mir mehr als sich Dritte vielleicht denken konnten. Um keinen Preis der Welt möchte ich einen Schatten davon mit in den Hausstand hinübernehmen und uns damit in Zukunft belasten und deshalb habe ich eine sonst vielleicht nicht zu rechtfertigende Besorga  〈hätte〉   1  Anna Schnitger. 2  Anspielung auf Max Webers bevorstehende Reise nach Oerlinghausen zur offiziellen Verlobung mit Marianne Schnitger an Pfingsten, dem 21. und 22. Mai 1893.

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nis in jedem Fall, wo ich eine Einmischung meines Vaters in meine Angelegenheiten zu sehen glaube. Daß das jetzt nicht mehr zu Auf­ tritten zwischen uns führt, darüber kannst Du beruhigt sein, er kennt meine Ansichten in der Beziehung genau und hat mir deshalb hier gleich gesagt, was ihm Dein Großvater mitgeteilt habe.3 – Man muß nur, und deshalb habe ich in meinem letzten Brief so heftig reagiert, mit Äußerungen, die er misdeuten kann, ihm gegenüber so sehr vor­ sichtig sein, er kann sich gegebenen Falls nicht enthalten, auch Unberu­ fenen gegenüber davon zu sprechen und misdeutet sehr leicht Alles im egoistisch-materialistischen Sinne. Ich habe zuletzt in Bezug auf Göh­ re4 Erfahrungen mit ihm gemacht, die mich dringend zur Vorsicht mahnen. Genug davon mein Kind. Du wirst sehen, in Oerlinghausen geht Al­ les sehr gut. Also ich bringe dann, wenn es Euch recht ist, meine Liste von Re­ flektanten für Anzeigen dorthin mit und wir versenden die Karten von Euch aus Sonnabend und Sonntag und machen dann nach Deiner Dis­ position die „offiziellen“ Besuche. Deinem Vater werde ich doch noch von hier aus schreiben.5 Und ich komme dann Sonnabend mit dem ver­ abredeten Zuge. Leuten, die mich hier zu Pfingsttouren aufforderten, habe ich gesagt, ich hätte eine schwere Arbeit vor und bin darob sehr bedauert worden. – Anliegend übrigens ein Brief von „Wilhelmchen“.6 Du siehst, wie fein er sich wegen dieses despektierlichen Epithetons rächt durch die Reminiscenz an Jaffé’s7 Frage. Ich bin meine greuliche Verschnupftheit Gott sei Dank so ziemlich wieder los, so daß Du keine Ansteckung zu fürchten brauchst. Ehe ich komme, bekommst Du noch einen Brief. Meine Mutter möchte, daß Du Dir überlegtest, wie das Bett aussehen soll, dasb sie nach Altmor­ schen8 schickt: Nackenkissen? flach? etc. Wir sollen es ihr dann schrei­ ben. Sie läßt schön grüßen, ebenso Clärchen. b  daß > das   3  Zur Unterredung der Brüder Max Weber sen. und Carl David Weber, der zugleich Marianne Schnitgers Großvater war, vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 12. Mai 1893, oben, S.  381. Offensichtlich ging es bei dieser Unterredung um die Mitgift und die Aushandlung des Ehevertrags. 4  Max Webers Freund Paul Göhre. 5  Ein Schreiben an Eduard Schnitger ist nicht nachgewiesen. 6  Max Webers Vetter Wilhelm Benecke. 7  Vermutlich der zu Max Webers Berliner Freundeskreis gehörende Alfred Jaffé. 8  Marianne Schnitger sollte vor der Heirat mit Max Weber bei Clara Rohnert, der Frau des

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Grüß Alle dortigen schön, besonders auch Wina9 und freue Dich auf unser Wiedersehen ebenso wie Dein Dich herzlich küssender Max

Oberförsters im nordhessischen Altmorschen, Kochen und Haushaltsführung lernen. Diese hatte auch schon Clara Weber unterrichtet. 9 Alwine (Wina) Müller, Marianne Schnitgers Tante mütterlicherseits und zugleich Max Webers Cousine väterlicherseits.

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Marianne Schnitger 17. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenbg 17. V. 93 Mein liebes Herz, eben gehe ich mit Clärchen in die Stadt um 1) unsre Ringe zu besorgen, und 2) mir den Schädel abrasieren zu lassen, da mein Vater mir sagt, Deine Haartoura sähe zum Erbarmen aus, denn der schönere von uns beiden will ich doch jedenfalls nicht sein. – Heut hast Du Dich aber hart wegen meines mehrtägigen Schweigens gerächt:1 die unterstri­ chene Frau Stadtrath Weber stellte sich als die wirkliche heraus. Schmollst Du, meine Katze? – Ehe ich fortgehe nur diese Zeilen um zu sagen, daß es mir ganz gleich ist, wie Ihr die Anzeigen drucken laßt, ob von einer, ob von mehreren Sorten. Mir wird überhaupt Alles das im­ mer schnupp’er, je näher der Termin heranrückt, wo ich Dich mein Kind wieder im Arm habe.2 Zeit wird es, daß wir publizieren,3 denn die Spatzen pfeifen die Sache von den Dächern und ich werde überall teilnahmsvoll – es kommt einem immer so vor, wie: „mitleidig“ – ange­ sehen. – Aber das gemeinsame Photographieren müssen wir wohl auf­ stecken, wenn es mit Deinem Medusenhaupte wirklich so toll steht, oder ist das aufgeschnitten? Gern brächte ich auch schon sichere Nachricht mit, wann wir hei­ rathen können. – Allein es scheint, daß sich das noch nicht feststellen läßt. Meine Ernennung zum Professor hängt (mir sehr unsympathi­ scher Weise) vom Gesundheitszustand Goldschmidt’s ab4 und bevor feststeht, daß er im Winter nicht liest, wird damit nichts werden. Da jetzt noch nichts darüber bekannt ist, ob er Vorlesungen anzeigt, kann a  Unsichere Lesung.   1  Max Weber hatte Marianne Schnitger nach dem 12. Mai 1893 erst wieder am 16. Mai 1893 geschrieben; vgl. oben, S.  381 f. und 383–385. 2  Anspielung auf Max Webers bevorstehende Reise nach Oerlinghausen zur offiziellen Verlobung mit Marianne Schnitger an Pfingsten, dem 21. und 22. Mai 1893. 3  Gemeint ist: die Verlobung anzeigen. 4  Die Chancen für Max Webers Ernennung zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor stiegen, solange der an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin Handelsrecht lehrende Levin Goldschmidt krank war und vertreten werden mußte; vgl. dazu auch die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320 u. 322.

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ich auch jetzt noch nicht aufs Justizministerium gehen, um mich zu er­ kundigen. So verdrießlich Das ist, so müssen wir uns doch eben in Ge­ duld fassen. Unausstehlich wäre allerdings so ein „verlobter“ Winter, ich würde mich von schlechterdings Allem drücken. Nun, hoffentlich kommt es nicht so und wir verleben den Winter als „Flittermonate“. Clärchen will fort, ich schreibe morgen noch einmal um Dich in gnä­ dige Stimmung zu versetzen und küsse Dir einstweilen demutsvoll und reuig die Hand, und, wenn ich darf, auch den Mund. Dein Max Jedes Hornviech sieht mich hier bedeutungsvoll an und fragt ob mir etwas passiert sei, ich hätte nie gedacht so zu strahlen.

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Marianne Schnitger 18. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 18. V. 93 Liebstes Mariannchen, schönsten Dank für Dein Briefchen. Grade hatte ich gestern meinen Brief abgeschickt,1 in dem ich, nachdem am Morgen wieder telegra­ phiert war, nachgerade schrieb, daß Ihr doch machen möchtet [,] was Euch schiene, da kam Euer Telegramm. Mein Vater sprach dann im Anschluß daran nochmals den Wunsch aus, daß für diejenigen, welche ein näheres Interesse für uns haben, doch die erste Fassung benutzt werden möge und ich sah keinen Anlaß, mich dem zu widersetzen, zu­ mal ich selbst ja die Erwähnung Deiner Mutter2 gern sehen würde und nur nicht daran gedacht hatte, daß sie durch die Streichung fortfiele. Nun ist aber hoffentlich die Sache, wie immer, erledigt. Ich komme also Sonnabend um 3 nach Bielefeld und fahre mit der Post oder, wenn etwa morgen sich noch ein Zuhörer anmelden sollte (was ich nicht glaube) mit einem Wagen nach dem Rollkruge. 3 Dort schicke ich das aGepäck voraus, wenn Du wie ich hoffe da bista ; komme ich mit dem Wagen, so warte ich, wenn Du noch nicht da bist, jedenfalls, bis mich die Post einholt und fahre dann eventuell auch meinerseits weiter, wenn Du bis dahin nicht gekommen bist. Mit Essen u. dergl. wird doch nicht auf mich gewartet?! Ich esse in Hannover zu Mittag und futtre im Rollkrug noch etwas. Morgen Abend gehe ich mit Clärchen zum Trost dafür, daß sie nun nicht mehr „die erste Violine“ in meinem Inneren spielt, in die „Göt­ terdämmerung“‚4 – Kostenpunkt 1/ 2 Zuhörer. Du siehst, ich fange an zu rechnen. a–a  Gepäck, wenn es nicht mit [??] gießt, voraus, und wenn Du noch nicht da bist, so warte ich > Gepäck voraus, wenn Du wie ich hoffe da bist   1  Vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 17. Mai 1893, oben, S.  386, in dem sich Max Weber bereits – wie im folgenden – zur Abfassung der offiziellen Verlobungsanzeige äußert. 2  Anna Schnitger. 3  Ein an der Chaussee von Oerlinghausen nach Bielefeld gelegener Gasthof. 4  Richard Wagners Oper „Götterdämmerung“ aus dem Zyklus „Der Ring der Nibelungen“

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– Nach Tisch. Heute war ein Herr aus Magdeburg zu Tisch hier, alter Freund meines Vaters, 5 dem gegenüber er aber nicht dicht gehalten hat: der wußte also die Sache, und ich wußte [,] daß er sie wußte, aber bei­ derseits eisiges Schweigen. Das geht so nicht weiter. Also die Liste bringe ich mit. Die Briefe auch,6 ich habe aber nur einige herausgefunden, da meine Korrespondenz als wüster Klumpen eine Commodenschublade füllt. Den Rest später. Grüße Alwine,7 es umarmt Dich Dein Max NB! Ich brauche doch keinen Frack zu der gottverd… Besuchstour. Sonst telegraphiere! Andrenfalls bringe ich nur einen mit Benzin wie­ der fein hergerichteten Bratenrock8 mit. Cylinder wird mitgebracht.

wurde am Freitag, den 19. Mai 1893, im Berliner Opernhaus aufgeführt; vgl. die Rubrik: Theater, Concerte, Vergnügungen, in: Berliner Tageblatt und Handelszeitung, Jg. 27, Nr.  249 vom 18. Mai 1893, Morgenausg., S.  8. 5  Der Name des Magdeburger Freundes von Max Weber sen. konnte nicht ermittelt werden. Max Weber sen. hatte von 1879 bis 1881 den Wahlkreis Magdeburg-Stadt für die nationalliberale Partei im Reichstag vertreten. 6  Vermutlich die im Brief an Marianne Schnitger vom 7. Mai 1893, oben, S.  377, angekün­ dig­ten Briefe von Emmy Baumgarten. 7  Alwine (Wina) Müller. 8  Scherzhaft gebrauchtes Synonym für: Gehrock, der häufig zu festlichen (Essens-)Einladungen getragen wurde.

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Marianne Schnitger 30. Mai 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Marianne Schnitger hielt sich von Ende Mai bis Anfang August 1893 im nordhessischen Altmorschen auf, wo sie bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung lernte. Dieser und die folgenden Briefe an Marianne Schnitger bis zum 30. Juli 1893, unten, S.  4 48 f., stehen in diesem Zusamenhang.

Charl. 30. V. 93 Mein liebes Mariannchen, also wie Ariadne auf dem Felsen?1 und dabei noch von der Vorstellung geplagt, daß Theseus es sich hinter seinen Schmökern wohl sein läßt? und dann wie ein Teckel ohne krumme Beine? das sind ja melancho­ lische Bilder, mit denen Du Deine Lage illustrierst. Inzwischen las Theseus in dem Blitzzugcoupéa 3 Zeitungen in der Verzweiflung durch, futterte erst Butterbrode und dann das obligate Eisenbahn-Dinner, schlief, kam um 6 Uhr hier an u. traf Käthe Schmidt und den unendlich langstieligen Homeyer2 an. Abends ging es an die Arbeit. Die Bücher hatte der Ordnungssinn der dienstbaren Geister hoffnungslos durch­ einander geschichtet, so daß die Sache recht peu à peu in Fluß kam. Gestern 3 Stunden Colleg3 – die Zuhörerzahl ist übrigens doch ganz erfreulich, ich marschiere mit 60 und 40 immerhin an der Spitze der Collegen – und Abends Tante Albers,4 bei der ich in meinem Durst

a O: Blitzzugcupé   1  Nach der griechischen Mythologie verliebt sich Ariadne in den Helden Theseus und hilft ihm, den im Labyrinth auf Kreta gefangen gehaltenen Minotauros zu besiegen: Ariadne gibt ihm ein Knäuel selbst gesponnenen roten Fadens an die Hand, womit der Held, nachdem er Minotauros getötet hat, unversehrt aus dem Labyrinth heraus findet. Theseus hält sich jedoch nicht an das Ariadne gegebene Heiratsversprechen, sondern läßt sie auf Naxos zurück. Dort wird Ariadne auf einem Felsen am Strand schlafend von Dionysos gefunden, der sich in sie verliebt und schließlich zu seiner Braut macht. 2  Es handelt sich um einen Studienfreund Max Webers. 3  Im Sommersemester 1893 hielt Max Weber montags, also auch am 29. Mai, eine Stunde seines insgesamt vierstündigen Kollegs „Handels- und Seerecht“ sowie das zweistündige „Handelsrechtsprakticum“ ab; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1893, S.  4, ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53. 4  Marie Albers, eine Freundin von Helene Weber.

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eher zu viel als zu wenig Wein trank, wie ich glaube, zumal ich Lucae’s5 entsetzlich blödsinniges Politisieren anhören mußte und mich gar nicht um meine Damen, – Frau Baumeister Martens geb. Gropius6 (sehr nett) und Frl. v. Soden7 (doppelt so alt als Anna Möller!) 8 kümmern konnte. Göhre will Dir, sobald er Ruhe hat – nach Ende des Con­ gresses9 – schreiben, er war sehr herzlich. Frau Lucae10 gratulierte mir mit der Bemerkung: „da ich nun doch einmal nicht ihr Schwiegersohn geworden sei, so sei es doch sehr nett, daß ich wenigstens (!) eine And­ re glücklich (?) machte.“ Die Andern [,] die da waren [,] kennst Du noch nicht. Ich ging bald weg und in die Staatswiss[enschaftliche] Ges[ell­ schaft], wo der Vorsitzende, Evert,11 alsbald sein Resumé mit der Be­ merkung unterbrach, daß er die „geschäftliche“ Mitteilung von meiner Verlobung zu machen sich verpflichtet fühlte. Sattler läßt bestens grü­ ßen. Auf dem Sprechzimmer der Universität obligate Gratulation mit je nach der Individualität mehr oder weniger seltsamen Expektoratio­ nen und Nachfragen. – Die Brief-Ernte lege ich bei und die alten folgen dabei zurück. – Nächste Woche beginnt das Wohnung-Suchen. Meine Mutter hat heut einige gesehen: Lützowstraße am Platz: 7 Zimmer 3 Treppen 2050 M., 3 Zimmer 1700 M. Reimarus – Schwiegersohn Lucae’s, mit dem ich also unbewußt concurrierte – hat am Bahnhof Zool[ogischer] Garten 2 Wohnungen frei,12 die ich ansehen werde (im Gartenhaus). Clara will durchaus alles mit sehen, sie ist jetzt immer leicht etwas elegisch bei dem Gedanken, daß Du nun vorgehst, findet sich aber in die Situa­ tion [.] 5  August Lucae, Professor für Medizin und Direktor der Universitätspoliklinik für Ohrenkrankheiten. 6  Bertha Martens. 7  Es handelt sich möglicherweise um Anna oder Frieda von Soden, Schwestern des Theo­ logen Hans Karl Hermann von Soden. 8  Anna Möller war die älteste Tochter von Hertha Möller, Cousine väterlicherseits von Max Weber und Tante mütterlicherseits von Marianne Schnitger. 9  Paul Göhre war Generalsekretär des vom 1. bis 2. Juni 1893 in Berlin zu seiner vierten Jahrestagung in Berlin zusammentretenden Evangelisch-sozialen Kongresses. 10  Sophie Lucae. 11 Es handelt sich hier um die Staatswissenschaftliche Vereinigung, die sich alle zwei Wochen montags traf und der u. a. Georg Evert und der im folgenden genannte Heinrich Sattler angehörten; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  22. 12 Der mit Elisabeth Lucae verheiratete Regierungsbaumeister Georg Reimarus besaß das nahe dem Bahnhof Zoologischer Garten gelegene Haus Hardenbergstraße 24 in Charlottenburg.

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Das Arbeiten macht mir jetzt immer ziemlich wenig Spaß, ich weiß nicht warum, es „flutscht“b auch nicht recht, ich muß mich erst in Dei­ ner Pflege befinden, nach der ich mich, und wenn Du mich auch vergif­ ten würdest, doch recht sehne. Wir müssen die allerersten Tage des October in Aussicht nehmen,13 in der dritten Octoberwoche habe ich Evangelisch-sozialen Cursus.14 – Bücher suche ich Dir morgen aus, es geht in der Stube noch Alles zu sehr drunter und drüber. Dieser Tage muß sich auch entscheiden, ob schon jetzt an meine Ernennung zu den­ ken ist. Es ist ziemlich sicher nicht der Fall, da Goldschmidt jedenfalls anzeigen wird.15 Grüß mir die Dortigen, Herrn und Frau „Obf“16 und Fräulein Cosel17 herzlichst und sei geküßt von Deinem Max

b O: „fluscht“   13 Vermutlich meint Max Weber den Hochzeitstermin, für den er im Brief an Marianne Schnitger vom 4. Mai 1893, oben, S.  372, zunächst die zweite „Septemberhälfte“ in Aussicht genommen hatte. Die Wahl fiel schließlich auf den 20. September 1893. 14 Im Rahmen der vom Evangelisch-sozialen Kongreß in Berlin veranstalteten Evangelisch-sozialen Kurse, die vom 10. bis 20. Oktober 1893 stattfanden, referierte Max Weber zwischen dem 16. und 20. Oktober acht Stunden zum Thema Agrarpolitik; vgl. Weber, Die Evangelisch-sozialen Kurse in Berlin im Herbst dieses Jahres, MWG I/4, S.  229–237, sowie ders., Landwirtschaft und Agrarpolitik, ebd., S.  254–271. 15  Max Webers Ernennung zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin hing von Levin Goldschmidts Gesundheitszustand ab; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320 und 322. Trotz fortdauernder Beeinträchtigung durch einen Schlaganfall kündigte dieser für das Wintersemester 1893/94 Lehrveranstaltungen an; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, WS 1893/94, S.  3 f. 16 Gemeint sind Clara Rohnert und ihr Ehemann Ernst, der Oberförster im nordhessi­ schen Altmorschen war. 17  Anna Cosel war Gesellschafterin bei Familie Rohnert.

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Marianne Schnitger 2. Juni [1893]; BK Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt und die Ortsangabe aus dem Briefkopf erschlossen. Max Weber benutzte Briefpapier mit einem Bildmotiv seines Elternhauses, Leibnizstraße 19, in Charlottenburg. An dessen Gartentor ist der Schriftzug „Villa Helene“ zu erkennen.

Villa Helene, den 2. VI. Liebes Kind,

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vorerst scheint die Einsamkeit und „Langeweile“ ja einen ganz intensiv anregenden Einfluß auf verborgene Fähigkeiten bei Dir gehabt zu ha­ ben: vorgestern ein telegraphischer Gruß an meinen Vater in Reimen,1 gestern ein Rüffel an mich in Alliteration: ich sehe, daß ich armer Pro­ saiker eine mörderliche Keilerei mit allen 9 Musen, die Du auf mich loslassen wirst, zu bestehen haben werde. Und dabei soll ich Dir noch „geistige Nahrung“ verschaffen? Entschuldige, daß auch mit diesem Brief die Bücher noch nicht kommen; ich bin noch auf der Jagd nach Bebel, 2 den mir irgend Jemand ausgeführt hat. Morgen schicke ich dann die Pastete. Schönsten Dank für Dein liebes Briefchen: die Taube imponiert mir sehr, aber für unsern Tisch mußt Du am Ende noch das Ausnehmen eines Ochsen oder Schweines dazulernen, denn ich fürchte, Tauben können wir uns nur einmal an unsrem Verlobungstag oder bei ähn­ lichen Gelegenheiten leisten. Dein Gesicht, wie Du in der Taubenlei­ che herummanschtest, hätte ich gern gesehen. Welche philosophische Vorstellung hast Du als Gegengewicht in Dir hervorgerufen? Gestern und heute war hier der Evangelisch-soziale Congreß. Meine Mutter und Clara waren beide Tage etwa 3 /4 der Verhandlungen da, 3 ich nur bruchstückweise, da ich Colleg hatte.4 Es macht meiner Mutter 1  Marianne Schnitger hatte Max Weber sen. mit einem Gedicht zu seinem Geburtstag am 31. Mai gratuliert. 2 Gemeint ist wahrscheinlich: Bebel, Die Frau und der Sozialismus (wie oben, S.  372, Anm.  6). 3  Neben Max Weber sind seine Mutter Helene und seine Schwester Clara Weber („Frl. Weber“) im „Verzeichnis der Teilnehmer“ erwähnt; vgl. Bericht über die Verhandlungen des Evangelisch-sozialen Kongresses 1. u. 2. Juni 1893 (wie oben, S.  374, Anm.  5), S.  131. 4  Max Weber hielt freitags von 12 bis 13 Uhr die letzte von vier wöchentlichen Kollegstunden „Handels- und Seerecht“ ab; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1893, S.  8, ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53.

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immer viel Freude, die oft etwas naiven, meist aber originellen Pa­ storen sich umher katzbalgen zu hören. Es hat auch etwas Erfri­ schendes, wenn man sieht,a wie beneidenswerth leicht sie über wirt­ schaftliche Probleme, die uns das Hirn zermartern, im Vertrauen auf das bessere Verständnis des lieben Gottes hinwegkommen, ohne daß man sie eigentlich der Oberflächlichkeit zeihen könnte. Bei Clara war ja vielleicht etwas Neugierde im Allgemeinen der Ausgangspunkt, aber wo wäre das in so jungen Jahren nichtb die Begleiterscheinung auch eines aufkeimenden ernsteren Interesses? – In unsrem Hause hat frei­ lich das Interesse grade für diese Dinge besondre Schwierigkeiten sich zu bethätigen. Die Freidenkerei der älteren Generation ist im allgemei­ nen von einer äußerst bornierten Intoleranz begleitet und fühlt sich durch Alles was ihr nicht in die Schablone paßt, nicht nur abgestoßen sondern auch in eine Art nervöse Beunruhigung versetzt. Es giebt dann immer Conflikte und Vergewaltigungsversuche. Das Graulen vor dem „schwarzen Mann“ liegt unsren Liberalen nun einmal im Blut und läßt sie in jedem Pastor eigentlich einen zum Heuchler mindestens ver­ anlagten Menschen vermuthen. – Wir haben in den letzten Tagen viel hin und her überlegt, wie nun die Zukunft vom Anfang August an zu gestalten wäre. Meine Mutter möchte uns gern eine etwas längere Hochzeitsreise5 aufdringen und ich verstehe das ganz gut. Wir können ja auch die letzten Septembertage in Aussicht nehmen, da ich etwa am 15ten wieder da sein muß um mit den Pastoren einen Cursus über Landwirtschaft zu halten.6 Etwa 3 Wochen wollen wir doch herausschlagen, meinst Du nicht auch? Nun liegt die Sache so, daß mein Vater Clara und Lili noch nach Juist haben will. Meine Mutter dachte in folge dessen daran, daß wir Anfang August a  〈daß〉  b  〈mit den erst〉   5  Unmittelbar nach der Eheschließung und Feier am 20. September 1893 in Oerlinghausen gingen Max und Marianne Weber auf Hochzeitsreise nach England und Paris; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  25 f. 6 Im Rahmen der vom Evangelisch-sozialen Kongreß in Berlin veranstalteten Evangelisch-sozialen Kurse referierte Max Weber zwischen dem 16. und 20. Oktober acht Stunden zum Thema Agrarpolitik; vgl. Weber, Die Evangelisch-sozialen Kurse in Berlin im Herbst dieses Jahres, MWG I/4, S.  229–237, sowie ders., Landwirtschaft und Agrarpolitik, ebd., S.  254–271. Die Kurse sollten mit den Worten von Paul Göhre, der ebenso wie Max Weber an deren Planung beteiligt war, für „Geistliche, Candidaten, Arbeitervereinsführer, eben überhaupt für alle diejenigen sein, die sich sozial, vor allem natürlich evangelisch-sozial bethätigen wollen“, wozu ihnen „objektive nationalökonomische Kenntnisse“ vermittelt werden sollten; vgl. den Editorischen Bericht, ebd., S.  231.

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nicht, sondern erst auf der Hochzeitsreise nach Heidelberg etc. gingen und Du statt dessen hierherkämst um mit Wina die Aussteuer schon Anfang August zu besorgen.7 Oder daß sie Dich Anfang August nach Oerlinghausen abholte oder sonst etwas Ähnliches. Jedenfalls aber se­ hen wir beide uns am 6. oder 7. August, hier oder andernwärts, dabei bleibt es. Auf der Hinreise wollte sie eventuell Clara mit den Kleinen vorausschicken (1[.] Juli) und einige Tage in Altmorschen8 bleiben. Ich hoffe vorher noch einmal – vielleicht mit Clara – herüberzukommen. Wenn nur mein Vater schon Juli hier fortgehen möchte, ich wäre so gern einige Wochen noch einmal ganz einsam hier, wie früher meist. Das war nun einmal immer ein Sport von mir und ich freue mich sehr auf die in diesem Sinn auch „einsame“ Zeit zuerst in der Ehe – denn Du gehörst im Sinn dieses Einsamkeitsbedürfnisses zu mir wie ein Teil meiner selbst. – Anbei was von Glückwünschen noch einging. Einige ältere Briefe habe ich verlegt, wie es scheint, finde sie aber nächster Tage bei Ord­ nung meiner Papiere wohl wieder. – Grüße Herrn und Frau „Obf“ und Frl. Cosel9 bestens, bleib gesund, langweile Dich etwas – das ist gesund – bekomme Kräfte – ich schickte Dir am liebsten ein paarc Hanteln für die Armmuskeln – und laß Dich, mein liebes Cameel, drücken ans Herz Deines Max

c O: par   7  Die in Oerlinghausen lebende Alwine (Wina) Müller ersetzte bei den Hochzeitsvorbereitungen Marianne Schnitgers frühverstorbene Mutter Anna, ihre Schwester. 8  Marianne Schnitger war im nordhessischen Altmorschen, um bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung zu lernen. Die Frau des Oberförsters Ernst Rohnert hatte 1892 auch schon Max Webers Schwester Clara unterrichtet. 9  Anna Cosel war Gesellschafterin bei Familie Rohnert.

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Marianne Schnitger 6. Juni 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenbg 6. VI. 93 Liebstes Mariannchen, willst Du wohl Frau „Obf.“ fragen, ob es ihr und Herrn do. passen wür­ de, wenn ich mit Clara nächsten Sonnabend und Sonntag bei Euch in Altmorschen wäre?1 Wir würden dann Sonnabend möglichst früh kommen und Sonntag Abend spätestens zurückfahren. Eine andre Art, Clara, die darauf dringt, einmal hinzubringen, als so, giebt es für den Sommer schwerlich. Wir würden natürlich die eine Nacht bei Herrn Semlera logieren.2 Bitte sagt aber doch offen, ob es jetzt geht oder besser ein andermal unternommen wird. – Wir würden dann Clara bei „Obf’s“ an Deiner Stelle lassen und selbst die Zeit für uns benutzen. Auch brächte ich Dir ev. Bebel3 mit. – Es gäbe mancherlei zu besprechen und wäre also das Zusammentref­ fen an sich sehr nett, nicht wahr? Aber wenn es jetzt nicht |:oder doch nicht besonders:| paßt, machen wir es lieber ein andermal. Zu viel Un­ ruhe bringt es, wenn Clara bei Semlerb logiert – und darauf müßtest Du unbedingt bestehen – hoffentlich nicht hinein. Also schreibe bitte. Die Wohnungsenquête4 geht hier wie bisher weiter. Etwas besonders Nettes habe ich nicht gesehen, dagegen manche ganz behagliche Bu­ den. Ich warte nun erst einmal ab, was Du über Treppen, Zimmerzahl etc. sagst. Badestube halte ich für indispensabel, ohne „Überspülung“ bist Du ungenießbar. – a  Unsichere Lesung.   b  Unsichere Lesung.   1  Marianne Schnitger war im nordhessischen Altmorschen, um bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung zu lernen. Die Frau des Oberförsters Ernst Rohnert hatte 1892 auch schon Clara Weber unterrichtet. 2 Es handelt sich vermutlich um das Wirtshaus Semmler; vgl. Bergmann, Waltari, Tausendjähriges Morschen. Geschichte und Geschichten der Gemeinde Morschen und ihrer sieben Ortsteile. – Morschen: Gemeinde Morschen 1985, S.  406. 3 Gemeint ist wahrscheinlich: Bebel, Die Frau und der Sozialismus (wie oben, S.  372, Anm.  6). 4  Scherzhafte Titulierung der Wohnungssuche; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 4. Mai 1893, oben, S.  370–372.

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Eben kommt Dein Briefchen, – also gut, die kleine Wohnung ist er­ ledigt. Ich denke, ca 13–1400 M. können wir ruhig ausgeben, 1600 ist etwas viel und hat Consequenzen für den sonstigen Verbrauch. Mit dem zum Professorwerden ist es bis zum Herbst nichts und wer weiß wie lange sich die Sache dann noch hinzögert.5 – Für diesmal, damit der Brief schleunigst zu Dir gelangt, nicht mehr[,] es küßt Dich Dein Max in Erwartung der Antwort auf die Eingangs gestellte Frage.

5  Max Webers Ernennung zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin hing vom Gesundheitszustand Levin Goldschmidts ab; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 30. Mai 1893, oben, S.  392 mit Anm.  15.

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Emilie Benecke 14. Juni 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 14. VI. 93 Liebe Tante, ein Aufenthalt in Altmorschen bei Marianne mit Clara zusammen1 kam zwischen meine Absicht, Euch meinen herzlichen Glückwunsch auszusprechen2 und deren Ausführung. Ich bina mit meiner bösen Zunge dem Sachsenstamm gegenüber von unentrinnbarem Pech verfolgt, wie es scheint, – erst die berühmte Ge­ schichte mit Schulze-Gävernitz3 und nun diese Überraschung nach all meinen Ulkereien über Sachsen und Sachsenweiber in Heidelberg!4 Welche unerhörte Verstellung aber: die einzige, welche Entrüstung zeigte, war Gretchen, 5 während Mariechen6 die größte Gemütsruhe zur Schau trug. Nun ich hoffe, daß Euch mein unausrottbares Bedürfnis, die Sachsen „anzuulken“ – ich erkläre feierlich, daß ich davon auch nicht lassen werde, selbst wenn meine eigne Schwester gleichfalls diesem räube­ rischen und wie es scheint unwiderstehlichen Volksstamm zur Beute fallen sollte! – Euch nicht an der Aufrichtigkeit meines herzlichen Glückwunsches zweifeln läßt; – in Wahrheit sind meine vollkommene Hochachtung und meine Freude über einen Dir, liebe Tante, |:auch in­ nerlich offenbar:| so nahegekommenen Schwiegersohn dadurch ebenso a  habe > bin   1  Marianne Schnitger war im nordhessischen Altmorschen, um bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung zu lernen. Die Frau des Oberförsters Ernst Rohnert hatte 1892 auch schon Clara Weber unterrichtet. 2  Emilie (Nixel) Beneckes Tochter Marie hatte sich mit Arthur Benno Schmidt verlobt. 3  Max Weber hatte sich während seines Studiums in Heidelberg gegenüber seinem damaligen Kommilitonen Gerhart Schulze (seit 1888 von Schulze-Gaevernitz) über den Dialekt des dem sächsisch-thüringischen Sprachraum entstammenden Professors für Juris­ prudenz Hermann Schulze mokiert, ohne zu wissen, daß es sich um dessen Vater handelte; vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 17. Dez. 1885, MWG II/1, S.  575 mit Anm.  8. 4  Arthur Benno Schmidts Bruder Georg Benno hatte im April Max Webers Cousine Paula Hausrath geheiratet. Max Weber hatte sich damals über die sächsische Verwandtschaft des Bräutigams lustig gemacht; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 7. April 1893, oben, S.  337. 5  Margarete (Grete) Benecke. 6  Marie Benecke, vgl. oben, Anm.  2.

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wenig berührt, wie meine Verehrung für den als Menschen und Ju­ risten gleich vortrefflichen Hermann Schulze7 durch meine ehrliche Entrüstung über seinen schauderhaften Dialekt. Alles in Allem also: mein inneres Verhältnis zu Eurem Glück ist als eine in sehr herzliche Anteilnahme umgeschlagene starke Verblüfft­ heit zu definieren. Bitte empfiehl mich dem neuen Herrn Vetter ange­ legentlichst, ich hoffe bei der Hochzeit – wann ist sie? seine nähere Bekanntschaft an Stelle der bisherigen doch nur sehr oberflächlichen zu machen.8 Marianne befindet sich in Altmorschen recht wohl und manscht in Tauben- und Hühner-Leichen umher. Wir werden in der 2ten Hälfte September in Oerlinghausen heirathen und hoffen bestimmt auf Euch, d. h. so viele von Euch als denkbar. Dora9 kann ja bei der Gelegenheit Otto besuchen. Ich hoffe [,] daß Otto uns traut.10 Wohnung ist hier schon gemiethet, 2 Minuten von Station Thiergarten,11 wenn Ihr Euch auf deren Lage noch besinnt. Ich beeile mich in dem Bewußtsein, zum Ehemann besser als zum Bräutigam qualifiziert zu sein, – während ich mir Mariechen als Braut ebenso anmuthig vorstelle wie als junge Frau. Sie wird sicherlich heiter Freude künftig ebenso in das Haus ihres Gat­ ten wie jetzt in das Eurige bringen. Mit herzlichem Gruß an den Onkel und alle Cousinen Dein Max Weber Ein paarb Zeilen an Mariechen lege ich bei.12

b O: par   7  Zu Hermann Schulze vgl. oben, S.  398, Anm.  3. 8  Marie Benecke und Arthur Benno Schmidt heirateten am 8. März 1894. 9  Dorothea (Dora) Benecke, eine gemeinsame Cousine von Max Weber und Otto Baumgarten. 10  Der Theologe Otto Baumgarten, der Extraordinarius für Praktische Theologie in Jena, aber auch evangelischer Pfarrer war, traute Marianne Schnitger und Max Weber am 20. September 1893 in Oerlinghausen. 11  Die Wohnung im Haus Siegmundshof 6 lag im Hansaviertel, einem zwischen Tiergarten und Spreebogen gelegenen und durch die Station Bellevue ans Stadtbahnnetz angeschlossenen vornehmen Neubaugebiet; vgl. Tomisch, Jürgen, Donath, Matthias, Kaltenbach, Angelika u. a., Denkmale in Berlin. Bezirk Mitte; Ortsteile Moabit, Hansaviertel und Tiergarten. – Petersberg: Michael Imhof Verlag 2005, S.  59 f. 12  Die erwähnten Zeilen an Marie Benecke sind nicht nachgewiesen.

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Marianne Schnitger 14. Juni 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 14. VI. 93 Liebes Mariannchen, mit ein paara Zeilen möchte ich doch zeigen, daß ich die Wette wegen des längeren Nichtschreibens verloren gebe. Am liebsten hätte ich sie erst abgeschickt, nachdem mir Clärchen noch von Euch erzählt hätte,1 aber wir müssen dann gleich zu Mühlenbruchsb 2 und ich komme so erst morgen zu einem Brief an Dich. Hoffentlich habt Ihr Euch noch gut vertragen und kennen gelernt und hat sie Dich in Deinem Thaten­ drang nicht zu sehr gestört. – Nun erstens: soll ich Dir den Bebel3 noch schicken? Wenn Du willst, gleich, denn ich halte mich nicht zu Deinem Vormund berufen. Oder sollen wir ihn künftig zusammen lesen? Und wünschst Du jetzt noch andre Lektüre? Ich habe Paulsen’s Einleitung in die Philosophie4 für Dich zurückgelegt, die er mir zugehen ließ, ein gutes und nicht zu schweres Buch, in das ich eben Abends im Bett hineinzusehen pflege. Vor allen Dingen aber lebe jetzt Deinem Körper, Du mußt noch mehr Muskelkräfte bekommen und mehr nach Außen als nach Innen – sowohl in Dein als in mein Inneres – schauen, und darfst nicht mit solcher Verachtung von den „Neu-Hausfrauen“ denken. Das meine ich in Deinem Interesse: es giebt die nötige pièce de résistance, 5 denn Du a O: par  b  Alternative Lesung: Mühlenbuchs   1  Max Weber und seine Schwester Clara hatten Marianne Schnitger besucht, die im nordhessischen Altmorschen bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung lernte; vgl. den Brief an Emilie Benecke vom 14. Juni 1893, oben, S.  398. Clara Weber, die bereits 1892 von der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert unterrichtet worden war, war einige Tage später als Max Weber nach Charlottenburg zurückgekehrt; vgl. den Brief Marianne Schnitgers an Helene Weber, undat. [11. Juni 1893] (Bestand Max Weber-Schäfter, Deponat BSB München, Ana 446). 2  Im „Berliner Adreßbuch: für das Jahr 1893“ (Berlin: Loewenthal 1893) ist lediglich ein Namensträger für die Lesung „Mühlenbruch“ nachgewiesen: Der in der Kolonie Grunewald wohnhafte Historienmaler Johannes Mühlenbruch. 3 Gemeint ist wahrscheinlich: Bebel, Die Frau und der Sozialismus (wie oben, S.  372, Anm.  6). 4  Paulsen, Friedrich, Einleitung in die Philosophie. – Berlin: Hertz 1892. 5  Frz. für: Meisterstück, -werk.

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mußt ein Herrschaftsgebiet haben, auf welchem ich nicht, wie auf dem Gebiet des Denkens, mit Dir concurrieren kann. Du glaubst gar nicht, wie geringen Respekt ich vor der sogenannten „geistigen Bildung“ habe, kräftige Unbefangenheit der Empfindung und in praktischer Thätigkeit imponiert mir, – vielleicht weil sie mir selbst abgeht, – und ich habe das Bedürfnis mir imponieren zu lassen. Sieh, schon wieder eine Predigt, aber nimms nicht für ungut, Du weißt ja, daß ich durch­ aus verstehe, was Deine Eigenart ist, nicht wahr? Ich möchte nur gern, daß Du ein für mich unangreifbares Gebiet hättest, einen Dir nicht nur als unvermeidliches Übel erscheinenden hausfraulichen Pflichten- und Arbeitskreis, denn Du wirst es, das kann ich nur immer wiederholen, keineswegs so leicht mit mir haben, wie Dir vielleicht scheint. Und je mehr dann unser eigenstes Interessengebiet zusammenfällt und iden­ tisch ist, desto weniger unabhängig von mir stehst Du da und um so leichter verletzlich bist Du für mich. Verstehst Du das, was ich meine? Aber natürlich: nur kein künstliches Sich-selbst-Beschränken. – Die Tage dort waren doch eine große Erholung, trotz der zu weit gehenden Höflichkeit von Herrn „Obf.“6 Er ist doch ein gelungner Kauz von einem Pedanten. Auf der Rückfahrt schlief ich einige Stunden, wenn­ schon in verzweifelten Verkrümmungen auf den beiden mir zur Verfü­ gung stehenden Coupéeplätzen. Montag war recht anstrengend, ge­ stern habe ich die entstandene Arbeitslücke leidlich ausgefüllt.7 Jetzt bin ich wieder im Zuge. Besondres ist hier nicht passiert. Carl8 solltest Du – meiner Empfindung nach – doch nicht noch ein­ mal schreiben. Wir haben doch beide zu wenig Beziehung zu ihm. Das findet sich vielleicht später. Sein jetziges Stadium ist nicht angenehm. Sei nicht böse über den philiströsen Brief und laß Dich küssen von Deinem eiligen Max

6  Ernst Rohnert. 7  Max Weber hielt montags eine Stunde seines vierstündigen Kollegs „Handels- und Seerecht“ sowie sein zweistündiges „Handelsrechtsprakticum“ ab; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1893, S.  4 f., ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53. 8  Max Weber meint seinen Bruder Karl, der in München seine Militärzeit als Einjährig-Freiwilliger ableistete.

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Marianne Schnitger 16. Juni 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 16. VI. 93 Liebes Kind, der greuliche Wahlschwindel,1 der uns hier alle in Athem hält, ließ mich gestern nicht dazu kommen, für Dein Briefchen und Deine Sen­ dung zu danken. Inzwischen kam heute Dein Brief und so kann ich Dir jetzt gleich für beides dankend wenigstens einige Zeilen schreiben. Eine höchst betrübende Nachricht enthielt ja Dein Brief: die von Frl. Cosels2 Fortgehen. Wie ist es nur möglich, daß sie sich dazu ent­ schloß, da, wie mir schien, das Verhältnis sich in letzter Zeit doch für sie nur gebessert hatte und die Aufgabe mit den doch recht netten Kin­ dern in der That keine unlohnende war? Eine Erleichterung für sie wäre doch gewiß zu erzielen gewesen. Es scheint ein rein instinktiver und fast krankhafter Veränderungstrieb als Folge der Heimatlosigkeit zu sein. Auch für Dich ist die Situation recht peinlich und auch die große Unruhe, die nun eintritt, ist dem Zweck Deines Aufenthalts ge­ wiß nicht dienlich. Dein Tagebuch schicke ich Dir morgen zurück, ich lese noch darin. „Anders als in andren Köpfen“, 3 aber freilich etwas kraus malt sich darin ein Teil Deiner Backfisch- und Nach-Backfisch-Zeit. Clara sprach davon, Du habest mir auch einen noch neueren Brief von

1  Am 15. Juni 1893 hatte die Wahl zum 9. Deutschen Reichstag stattgefunden. Sie war notwendig geworden, nachdem Reichskanzler Leo von Caprivi mit seiner Heeresvorlage im Reichstag gescheitert und der Reichstag daraufhin am 6. Mai aufgelöst worden war. In 180 von insgesamt 397 Wahlkreisen waren jedoch Stichwahlen erforderlich, da kein Kandidat die erforderliche absolute Mehrheit erringen konnte. Es zeichneten sich Zugewinne für die Sozialdemokratie und die Antisemiten sowie Verluste für das Zentrum und noch mehr für die beiden Nachfolgeparteien der an der Heeresvorlage zerbrochenen Deutschen Freisinnigen Partei ab; vgl. Schulthess 1893, S.  72 f. 2  Anna Cosel war Gesellschafterin bei Familie Rohnert im nordhessischen Altmorschen und Patentante ihrer jüngsten Tochter Dorothea Emma Lili Marianne. Marianne Schnitger lernte bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung. 3  Zitat aus Schillers „Don Carlos“; vgl. Schiller, Friedrich, Kabale und Liebe, Don Karlos (Schillers Werke, Band 4). – Berlin: W. Spemann 1883, S.  243.

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Frl. Marenbacha 4 schicken wollen, der lag aber nicht bei und Du hast ihn wohl vergessen. – Also die „Predigt“5 hat Dich nicht weiter choquiert? Nun um so bes­ ser. Der „mangelnde Respekt vor geistiger Bildung“ sollte nur besagen, daß ich es für Niemanden für ein Glück halte, wenn er die Befriedi­ gung des Wissensdurstes für den eigentlichen Inhalt des Lebens und |:für:| das [,] „was den Menschen erst zum Menschen mache“6 – wie man früher sagte – erachtet und die wirtschaftlichen Aufgaben, vor die er gestellt wird, nur als unvermeidliche Bürde der Existenz. Es ist empfin­ dungsmäßig ein ganz gewaltiger Unterschied für das Verhältnis von Mann und Frau, ob das der Fall ist oder ob es vielmehr der Frau unbe­ wußt natürlich ist, in ihrer praktischen Stellung denb Schwerpunkt ih­ rer Existenz zu suchen. Was mich anlangt, so ist mein Sehnen von jeher auf eine wirtschaftlich selbständige und praktische Wirksamkeit ge­ richtet gewesen, die mir durch die Verhältnisse versagt blieb. Die wis­ senschaftlich brauchbarsten neuen Gedanken sind mir nach meiner Erfahrung stets gekommen, wenn ich mit der Cigarre im Munde auf dem Sopha lag und „con amore“7 dachte, |:also:| nicht als Ergebnis ei­ gentlicher Arbeit und ich betrachte deshalb diese eigentlich geistige Produktion im engsten Sinn nur als Produkt von Freistunden, als Bei­ werk des Lebens, und auch jetzt würde mir die Freude am gelehrten Beruf stets auf der praktisch-pädagogischen, nicht auf der eigentlich „gelehrten“ Seite liegen. Das große Glück der Ehen unsrer Westfä­ lischen Verwandten8 – Deines Großvaters, Brunos, Carlos, hat seinen Grund gleichfalls in dem ausfüllenden und befriedigenden praktischen Beruf des Mannes. – Nichts ist mir greulicher als der Hochmuth der „geistigen“ und gelehrten Berufe. – Das war es, was ich meinte und a O: Mahrenbach  b  das > den   4  Käthe Marenbach gehörte am 20. September 1893 zu den Hochzeitsgästen von Max Weber und Marianne Schnitger; vgl. Meurer, Bärbel, Max und Marianne Weber und ihre Beziehung zu Oerlinghausen. – Bielefeld: Aisthesis Verlag 2013, S.  88 f. 5  Max Weber bezieht sich auf den Brief an Marianne Schnitger vom 14. Juni 1893, oben, S.  400 f. 6 Zitat aus: Kant, Immanuel, Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft und Streit der Facultäten (Immanuel Kants Sämmtliche Werke, Band 10). – Leipzig: Leopold Voss 1838, S.  332. 7  Ital. für: mit Liebe; gebräuchlich als musikalische Anweisung für eine innige, zärtliche Spielweise. 8  Genannt werden im folgenden: Carl David Weber, sein Schwiegersohn Bruno Müller und sein Sohn Carl (Carlo) Weber.

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wenn ich sagte, Du würdest es mit mir nicht ganz leicht haben, so sollte das nur besagen, daß eben mein Pflichtenkreis mir nicht in dem Maße zusagt, daß ich Dir dieses unbewußte Glück ins Haus trüge, welches ein solcher bringt. Deshalb ist es eine Schwierigkeit |:für Dich:| daß Du so verhältnismäßig wenig naiv-praktisch, um es so auszudrücken, bist. Aber künstlich ist das nicht zu schaffen. – Aber nun genug. – Wina hat geschrieben und wegen Mädchen gefragt. Hier ist an diese Frage eher als 6 Wochen vor dem 1. Oct. nicht zu denken. Die dortigen bekommen, wie nach Winas Angabe das Beispiel von Nora zeigt, 9 leicht Heimweh. Hast Du Dir schon Gedanken darüber gemacht? Was ist denn das mit Deinem Asthma, liebes Kind, welches ich mit einiger Mühe aus Clara herausfragte? Aufregung oder Erkältung? Das sind doch recht bedenkliche Sachen, bitte schreib doch detailliert dar­ über. Die Schwiegermama und Clärchen grüßen bestens und ich verbleibe in herzlicher Umarmung Dein Max Käthe Marenbachsc Brief ist übrigens doch da.

c O: Mahrenbachs   9 Alwine (Wina) Müller hatte vermutlich Dienstmädchenprobleme ihrer Schwester Eleo­ nore (Nora) Müller angesprochen.

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Charlottenbg 20. VI. 93 Mein Herzenskind,

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gestern Abend fanden wir, nach einigen vorbereitenden Karten, die Schlimmes befürchten ließen, die Todesnachricht meines Onkels Her­ mann Baumgarten1 vor. Ich verliere in ihm einen sehr warmen väter­ lichen Freund von großer milder Herzensgüte. Sein Leben war nicht in jeder Beziehung für ihn befriedigend: er hatte ein starkes kritisches Bedürfnis und verdarb sich oft durch trübe Reflexion die Freude auch an Dingen, die dazu angethan waren sich zu freuen. Die letzten Jahre hatten ihm viel schweren Kummer und ein sehr lästiges und schmerz­ haftes Leiden gebracht. Ich freue mich doch sehr, daß ich ihn noch einmal gesehen habe. Wäre es irgend möglich gewesen, hätte ich mei­ nen Vater zur Beerdigung morgen begleitet, aber ich kann nicht, 2 und vielleicht ist es auch gut für Emmy,3 die in Begleitung einer Dame vom Ottilienhaus hingefahren ist und ihn noch lebend und klar getroffen hat, daß ich sie bei dieser Gelegenheit nicht sehe, denn sie ist doch kör­ perlich wieder recht herunter gewesen. Ich hoffe nur, daß sie Alle es guta überstehen. – All diese Dinge waren auch der Grund, daß ich auf Deinen Brief noch nicht antwortete. Bist Du denn wirklich durch meine „Predigt“4 wieder ins Grübeln gekommen, mein Kind? ob Du wohl auch die „Richtige“ seiest? ob ich an Dir etwas vermisse? etc. etc.? Dann muß ich doch lieber den Mund halten. Du weißt doch, daß das Herz nicht nach den Qualitäten fragt und unbelehrbar ist. Aber der Verstand sagt mir, daß Du künftig eine festere und für Dich leichtere Position haben wirst, wenn der Schwerpunkt Deiner Interessen nicht auf rein geistiga  〈über〉   1  Der Historiker Hermann Baumgarten war am 19. Juni 1893 in Straßburg verstorben. 2 Max Weber mußte seiner Lehrverpflichtung an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin nachkommen. 3  Hermann Baumgartens Tochter Emmy lebte im „Ottilienhaus“, einem Stuttgarter Sanatorium für Nervenkranke. Sie war Max Weber seit Anfang 1887 innig verbunden. 4  Max Weber bezieht sich auf den Brief an Marianne Schnitger vom 14. Juni 1893, oben, S.  400 f.

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philo­sophischem Gebiet, um es so auszudrücken, liegt, sondern wenn Du als Grundlage eine für mich unnahbare Domäne praktischen Wir­ kens hast. Ich fürchte fast, Du hast das so verstanden, daß ich meinen früheren Wunsch, Du mögest an mich in Bezug auf Mitteilung und Gemeinsamkeit geistiger Interessenb möglichst hohe Ansprüche stel­ len, zurücknehme oder abschwäche? Im Gegenteil mein Kind, die Sa­ che ist die: ich darf, damit ein solches Zusammenleben auf „geistigem“ Gebiet für Deine Stellung unbedenklich sei, niemals die – unbewußte – Empfindung gewinnen können, als seiest Du um deswillen, weil ich auf diesem Gebiet naturgemäß über reichere Mittel verfügen werde kraft längerer Arbeit in dieser Richtung, nun in jeder Beziehung ab­ hängig von mir, und eben Das könnte, scheint mir, leicht eintreten, wenn ich nicht das Bewußtsein gewinne, daß Du auf Deinem prak­ tischen Gebiet ebenso eine unabhängige, von Dir beherrschte und Dei­ ne praktischen Interessen ausfüllende Stätte des Wirkens hast, wie ich in meinem Lehrberuf oder einem andren, der etwa mir beschieden sein sollte. Verstehen wir uns nun? – Nun noch eine wichtige, aber vorerst vertrauliche Nachricht: ich wur­ de im Auftrag der Freiburger |:philosophischen:| Fakultät gefragt, ob ich mich verpflichten wolle, einen Ruf als ordentlicher Professor der Volkswirtschaft dorthin anzunehmen. Ich mußte alsbald antworten. Ich überlegte mir, was Du wohl dazu sagen würdest, aber nach allsei­ tiger Überlegung und da auch meine Mutter es sehr wünschte, habe ich „ja“ gesagt.5 Es ist natürlich noch sehr unsicher, ob dieser von mir kei­ neswegs erwartete Ruf wirklich an mich gelangt. Wenn es geschieht, bin ich in einer definitiven Position, von wo aus ich nachher in sehr freier Stellung abwarten kann, ob jemals in Berlin oder sonstwo etwas für mich sich aufthut, aber freilich ist es für Jahre. Freiburg ist eine prachtvolle Stadt und wenn ich an die dunklen Schwarzwaldberge denke, wird mir ganz warm zu Muth. Alle Verwandten sind nahe, das Leben höchst angenehm, ich bin sicher, daß Du Dich sehr wohl fühlen würdest. Vor Allem: wir hätten uns dort [,] und das wäre in Berlin, wie Du bald sehen würdest, nur sehr beschränkt der Fall. Freilich wäre b  〈geringere A〉   5 Das Schreiben an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. ist nicht nachgewiesen. Zur Vorgeschichte von Max Webers Berufung auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323.

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auch die Arbeit in dem ganz neuen Fach ganz gewaltig groß, aber ich werde dann arbeiten können und mit Freude. Vorerst aber sind Das Alles noch ungefangene Fische. Ich habe auf baldige Entscheidung ge­ drungen. – Schreib mir, liebes Kind, ob Dich die Eventualität betrübt, es war mir arg, Dich auch diesmal nicht vorher fragen zu können. – Und nun lebwohl, und also: keine solchen Spintisierereien über Deine Eigenschaften: das Herz sagtc : es kommt mir vor, als seiest Du eigens für mich auf die Welt gesetzt, – aber der Kopf fragt, ob ich wohl auch ebenso für Dich hingesetzt bin und da glaube ich eben unterschätzt Du die Schwierigkeit mit mir auszukommen. Und deshalb mußt Du in einem festen Pflichtenkreis, der Dir als solcher werthvoll ist, stehen, um nicht von meinen Temperamentsschwankungen abzuhängen. Es umarmt Dich in Liebe Dein Max

c  〈mir〉  

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Marianne Schnitger 23. Juni 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenbg 23. VI. 93 Mein Herzenskind, vielen Dank für Dein Briefchen, aus dem ich aber mit Betrübnis ersah, daß Du wieder nicht „auf dem Damm“ bist. Asthma – Migräne – Na­ sengeschichten, und Alles jetzt nach so langen Unterbrechungen kurz nacheinander – das ist doch fast angethan ernstlich besorgt zu machen und nicht wahr, Du schenkst mir doch reinen Wein ein? Hängt es mit irgend welchen Dingen zusammen, die Dich erregt haben? Denn ich bin jetzt doch geneigt das zu glauben und anzunehmen [,] daß Alles eine besondre Form von Nervenreizung ist. Zumal Du dabei von trü­ ben Gedanken sprichst, die Du loswerden müßest [.] Hoffentlich, mein Kind, hängen sie doch nicht mit Deinen Äußerungen von neulich in Deinem Brief zusammen, die ich für mindestens halb scherzhaft ge­ meint hielt? Bitte schreibe mir, ob Dich da etwas bedrückt. Sehr gefreut hat mich Dein eventuelles Einverständnis mit Freiburg.1 Nur glaube ich, daß die ganze Sache leider sehr unwahrscheinlich ist. Ich denke nächster Tage einmal vorläufig zu hören, wie ernsthaft davon überhaupt die Rede war. Die ganzen Pläne würden ja allerdings ein andres Gesicht bekommen und wir doch wohl schon einmal vor der Hochzeit2 nach dem Süden gehen müssen, wenn etwas aus der Sache würde. Mein Vater kommt morgen zurück, es kann sein, daß er noch etwas gehört hat. Wir haben bisher nur eine flüchtige Notiz von ihm über die Beerdigung [,] 3 aus der sich nicht viel sehen ließ. Dunkel ist mir[,] was die Hinterbliebenen mit dem Haus in Straßburg anfangen werden und ob meine Tante nicht ganz nach Stuttgart zu den Töchtern

1 Zu der sich eröffnenden Perspektive auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 20. Juni 1893, oben, S.  406 f., ferner die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 2  Die Hochzeit von Max und Marianne Weber fand am 20. September 1893 in Oerlinghausen statt. 3  Max Weber sen. war zur Beisetzung seines am 19. Juni 1893 verstorbenen Schwagers Hermann Baumgarten nach Straßburg gefahren.

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ziehen wird.4 Anna fand mein Vater, wie er schon schrieb, sehr verän­ dert, es ist mit ihr leider ein ziemlich hoffnungsloser Falla – da mache ich noch den Klecks, das kommt von der miserablen Füllfeder[.] – Meine Mutter bittet Dich für Beneckes5 um die Adresse Deiner Lei­ nenausstattungsfirma. M. W. wurde ja ein Teil bei Mezner,6 andres aber in Bielefeld – bei wem? – genommen. Hier ist jetzt in geistiger Beziehung nicht viel los, da die Wahlen Al­ les absorbieren [.]7 Wenn nur Göhres8 Gesundheit nicht so – nicht für jetzt, aber für später – besorgniseinflößend wäre. Diese ewige Heiser­ keit bei lungenkranken Verwandten ist doch nicht unbedenklich. Er war neulich hier zu meiner Freude draußen, – mein Vater hat aber – charakteristisch genug für ihn – den Geschmack an ihm, scheint mir, verloren und raisonniert im Wesentlichen auf ihn, d. h. nicht mir gegen­ über, da er wohl weiß, daß das keine ganz sanfte Auseinandersetzung gäbe. Wäre ich nur erst aus dieser mich fast permanent reizenden |:all­ täglichen:| Berührung mit ihm, vielleicht wäre das auch ihm gut, ob­ wohl ich glaube, dann reibt er sich an Andern um so mehr. Die Be­ schäftigungslosigkeit wird allmälig fühlbar9 und nicht zum Segen. Nun mein Kind leb für heute wohl, schreib mir, was das für trübe Gedanken waren aber vor Allen Dingen: laß sie Dir nicht nahekom­ men. – Diese Feder ist so schändlich, daß ich schon deshalb jetzt mit einem herzlichen Kuß schließe. Dein Max

a  In O folgt an dieser Stelle ein Tintenfleck.   4  Anna und Emmy Baumgarten, die Töchter von Hermann und Ida Baumgarten, lebten beide wegen eines Nervenleidens im „Ottilienhaus“, einem Sanatorium in Stuttgart. 5  Die Familie von Helene Webers Schwester Emilie (Nixel) Benecke. 6  Gemeint ist vermutlich die Berliner Firma E. E. Mezner „Magazin für Ausstattungen“ in der Markgrafenstraße. 7  Nach der Reichstagswahl am 15. Juni 1893 waren in 180 von 397 Wahlkreisen, in denen kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit hatte erringen können, Stichwahlen erforderlich; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Juni 1893, oben, S.  402 mit Anm.  1. Die Stichwahlen wurden innerhalb von 14 Tagen nach der Auszählung der Stimmen der Hauptwahlen angesetzt. 8  Paul Göhre. 9  Max Weber sen. hatte im Dezember 1892 die Wiederwahl zum Berliner Stadtrat verloren und war Ende Januar 1893 aus dem Amt geschieden.

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Marianne Schnitger 25. Juni [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Charlottenbg 25. VI Liebes Herz, ich erhalte soeben aus Freiburg die Nachricht, daß die Commission der Fakultät mich der Regierung entweder allein oder in erster Linie vor­ zuschlagen beabsichtigt.1 Ob die Fakultät selbst diesen Beschluß ac­ ceptiert, ist noch eine offene Frage. Wenn ja, so bleibt ferner fraglich, ob die Regierung darauf eingeht, da ich Jurist und jung (?) bin. Der Haupthaken ist, daß ein bekannter Fach-Nationalökonom, Herr v. Schulze-Gävernitz, in F[reiburg] Extraordinarius ist und man ihn nicht gut zurücksetzen kann. Er ist auch für mich eine Pille, denn er ist der­ jenige, mit welchem mir die berühmte Geschichte mit den „Piechern ieper das breißische Stootsrecht“, die Du kennst, passierte.2 Der Mensch wird immer an den Gliedern gestraft, mit denen er sündigte, sagt Zarathustra, 3 und ich erfahre diese Ironie des Schicksals an mei­ ner bösen Zunge: erst dieser „Penno“4 als Schwager und nun dieser Jüngling ev. als College. Nun, wenn, was nach wie vor äußerst unwahr­ scheinlich ist, aus der Sache etwas würde, müssen wir hier und in and­ rer Beziehung Vorsicht üben. –

1 Zu Max Webers Aussicht auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 2  Max Weber hatte sich während seines Studiums in Heidelberg gegenüber seinem damaligen Kommilitonen Gerhart Schulze (seit 1888 von Schulze-Gaevernitz) über den Dialekt des dem sächsisch-thüringischen Sprachraum entstammenden Professors für Juris­ prudenz Hermann Schulze mokiert, ohne zu wissen, daß es sich um dessen Vater handelte; vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 17. Dez. 1885, MWG II/1, S.  575 mit Anm.  8. Gerhart von Schulze-Gaevernitz war am 8. Juni 1893 zum Extraordinarius für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. ernannt worden (UA Freiburg i. Br., B 38/19, Bl. 234 f.). 3 Ein derart explizites Bekenntnis des altiranischen Religionsstifters Zarathustra zum Talions­prinzip (Wiedervergeltung durch Gleiches) konnte nicht ermittelt werden. 4 Der gebürtige Leipziger Georg Benno („Penno“ mit sächsischem Zungenschlag) Schmidt hatte Max Webers Cousine Paula Hausrath geheiratet.

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Mein liebes Kind, nicht wahr Du schreibst mir bald, wie es mit Dei­ ner Gesundheit steht [.] Mich beunruhigt diese Serie von Krankheitszu­ ständen doch recht, – und Du schreibst mir dann doch auch, ob Erre­ gung irgendwelcher Art, und worüber, etwa mitgewirkt hat. Nicht wahr, ich erfahre das rückhaltlos? Denn ich meinerseits habe ja auch den Mund nicht gehalten, nun aber auch Alles zum Besten gegeben, was ich auf dem Herzen hatte. – Was macht denn jetzt die HausfrauenPro­paedeutik?5 Carlo,6 der mit Karl Möller gestern hier war, sprach davon, Wina7 habe gedacht, schon im Juli hierherzukommen. Ich sagte, es sei besser, erst in der ersten Augusthälfte, zumal dann meine Mutter wieder hier ist, die Besorgungen vorzunehmen, – es empfiehlt sich das ja jetzt auch deshalb, weil eine Berufung nach Freiburg Alles umge­ stalten würde. An dem Termin: zweite Hälfte September, wollen wir aber doch festhalten. Eine Schwierigkeit ist, daß ich in der zweiten Ok­ toberhälfte auf ca 5 Tage in Berlin sein muß (Evangel[isch]-sozialer Cursus).8 Nun, das Weitere muß sich ja bald finden, denke ich, Eile hat man mir zugesagt. Einstweilen umarmt Dich von Herzen Dein Pannique Recusoonsa 9

a  Unsichere Lesung.   5  Anspielung auf Marianne Schnitgers Aufenthalt bei Clara Rohnert im nordhessischen Altmorschen, bei der sie Kochen und Haushaltsführung lernte. 6 Carl (Carlo) Weber war zugleich Max Webers Vetter väterlicherseits und Marianne Schnitgers Onkel mütterlicherseits. Seine Schwester Hertha war mit Karl Möller verheiratet. 7  Alwine (Wina) Müller war die Schwester von Carl (Carlo) Weber und Hertha Möller. Sie ersetzte bei den Hochzeitsvorbereitungen Marianne Schnitgers frühverstorbene Mutter Anna, ihre Schwester. 8 Im Rahmen der vom Evangelisch-sozialen Kongreß in Berlin veranstalteten Evangelisch-sozialen Kurse referierte Max Weber zwischen dem 16. und 20. Oktober acht Stunden zum Thema Agrarpolitik; vgl. Weber, Die Evangelisch-sozialen Kurse in Berlin im Herbst dieses Jahres, MWG I/4, S.  229–237, sowie ders., Landwirtschaft und Agrarpolitik, ebd., S.  254–271. 9  Die Bedeutung oder Anspielung ist unklar.

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Marianne Schnitger 29. Juni 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg 29. VI. 93 Mein liebes Kind, eine sehr herzliche Freude hat mir Deine Nachricht in Betreff des Briefs von Göhre gemacht, – willst Du mir ihn nicht gelegentlich schi­ cken? – d. h. ich kann ihn ja auch später lesen und Du behältst ihn jetzt wohl besser, da meine Mutter ihn gern lesen möchte.1 Wie diese sich einrichtet, schreibt sie Dir wohl noch, 2 nach vorläufiger Verabredung wollte sie die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag in Naumburg3 sein und Sonntag mit dem Leipzig-Frankfurter Zuge (zw. 4 u. 5 in Fr[ank-] f[ur]t) weiterfahren, – Clara mit den beiden Andren4 fährt dann gleich bis Heidelberg durch. Montag Abend wollte meine Mutter dann auch dort sein. Also das Wiedersehen ist kurz, aber doch besser als gar nichts, nicht? – Also Du hast Göhre geantwortet? Das ist sehr lieb von Dir, mein Herz [,] und wird ihm sehr wohlgethan haben, ich denke, er erzählt mir, wenn ich ihn morgen sehe, davon. Eine ganz besondre Freude ist all Das und auch die Art, wie Du es in Deinem Brief erwähnt hast, – denn in diesem Fall hätte ich ihn ihr nicht gern vorenthalten mögen, – mei­ ner Muttera gewesen, denn auf sie drückte die Vergangenheit noch im­ mer sehr. Hoffentlich weiß mir Göhre morgen auch Gutes über die ihm vom Arzt inbetreff seines Halses erteilte Auskunft zu sagen. – Also Du bist jetzt wieder einigermaßen wohler? und ruhiger? und die Unruhe a  〈gemacht〉   1  Helene Weber war dem mit Max Weber befreundeten Theologen Paul Göhre sehr zugetan. Sie war auch in seine Absicht eingeweiht gewesen, Marianne Schnitger am 11. Januar 1893 einen Heiratsantrag zu machen, den diese aber verhindert hatte; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, oben, S.  3 03 mit Anm.  1. Kurz darauf hatten sich Max Weber und Marianne Schnitger verlobt. 2  Helene Weber plante auf ihrer Reise nach Heidelberg, ihre zukünftige Schwiegertochter in Altmorschen, wo diese Haushaltsführung und Kochen lernte, zu besuchen; vgl. dazu auch den Brief an Marianne Schnitger vom 30. Juni 1893, unten, S.  415. Ein Brief von Helene Weber dazu an Marianne Schnitger ist nicht nachgewiesen. 3  Der Schulort von Arthur Weber. 4  Max Webers Geschwister Arthur und Lili.

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hat mit den verschiedenen körperlichen Zwischenfällen nichts zu schaffen? Das Letztere glaube ich noch nicht so ganz, aber es beunru­ higt mich jetzt mehr für die Gegenwart, als, wie anfangs, für die Zu­ kunft, und ich hoffe doch auch, daß es für die Gegenwart nicht allzu anhaltend bleibt. Ich habe mir ja nur Mühe gegeben, den bengalischen Lichtschimmer, in dem ich Dir, wie es mir nun einmal schien, noch immer vor Augen stand, wieder etwas abzuschwächen, denn ich bin mir – und Bescheidenheit ist mein geringster Fehler – nur zu sehr be­ wußt, daß sonst manche Enttäuschungen unausbleiblich wären, und mich beunruhigte in dieser Beziehung namentlich die Vorstellung von einem selbstlosen Idealisten, die Dir anscheinend beim Gedanken an mich noch immer vorschwebte. Nun aber, mein Kind, genug der Reflexionen, ich zweifle im Grunde genommen doch eigentlich nicht daran, daß Du ebenso fest und sicher in Deinem Pflichtenkreis stehen wirst, wie es bei mir, wie ich hoffe, bald der Fall sein wird, und darauf allein kam es ja bei der ganzen Aus­ einandersetzung an. Meine Situation ist ja jetzt eine seltsame: es wird noch mindestens 4–5 Wochen dauern, bevor ich höre, was die badische Regierung, wenn ihr demnächst der Vorschlag zugeht, zu machen gedenkt, und ich halte es auch nach wie vor für ganz außerordentlich unwahrscheinlich, daß sie sich darauf einläßt, und dennoch ist mir die so eröffnete unsichere Aussicht ein angenehmer Gedanke: 5 auch, und namentlich für Dich, denn ich glaube, daß wir dort ganz unvergleichlich viel mehr von ein­ ander haben werden. Andrerseits ist es freilich wohl in mancher Bezie­ hung an einem so ganz unbekannten Ort schwerer für Dich, – ich kann beides schwer gegen einander abwägen. In mir selbst ist namentlichb eine alte Zuneigung zu diesem Fach wieder erwacht, nicht zuletzt des­ halb, weil dessen Gegenstände Deinem Interessenkreis so viel näher ständen als die Juristerei. Aber allerdings: wie ich die Sache bewältigen soll, ist mir vorerst noch völlig dunkel, und das erste Ehe-Semester wird für Dich nicht eben die behaglichste Zeit deinesc Lebens sein, das ist leider schwer anders zu denken! Aber ich meine auch, das Heirathen

b  Unsichere Lesung.   c O: seines   5 Zu Max Webers Aussicht auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323.

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verschieben wir auf keinen Fall. Es ist mir seinerzeit etwas schwer ge­ worden, daß ich einen Hausstand begründen sollte, ehe ich in defini­ tiver Position derart war, daß ich Ruhe gehabt hätte, aber jetzt sage ich mir: der Verzicht auf das volle Ausgenießen gehört nun einmal zu uns­ rer modernen Art des Daseins. Die Mehrheit der Menschen kennt es nicht anders, warum wir? – Ich will den Brief noch vor Abend zur Post kommen lassen, deshalb lebwohl mein Herz. – Dein Buch6 hatte ich eingeschlossen und deshalb ganz vergessen, ich lege es bei. Vergebens versuchte ich, Dir ein paard Verse zu machen, – ich kann es nicht. Herzlichen Dank dafür, über den Inhalt sprechen wir wohl bald einmal, es ist mir nicht Alles, aber das Meiste, verständlich und entspricht meiner Vorstellung von Dir Herzlich küßt Dich Dein Max

d O: par   6  Vermutlich ist das im Brief an Marianne Schnitger vom 16. Juni 1893, oben, S.  402, erwähnte Tagebuch derselben gemeint.

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Marianne Schnitger 30. Juni [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen: dem Hinweis auf Max Webers bevor­ stehende Hochzeit mit Marianne Schnitger und einer möglichen Berufung nach Freiburg i. Br.

Charlottenbg 30. VI. Mein liebes Kind,

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anliegend einen Brief von Otto Baumgarten; ich habe ihn nun gebeten, uns doch, wenn es ihm äußerlich möglich, zu trauen, – bisher war ich noch immer etwas im Zweifel, ob es ihm innerlich Schwierigkeiten ma­ chen würde, aber das ist zweifellos nicht der Fall.1 – Die Oerlinghäuser waren ja damit im Ganzen einverstanden. Jetzt wird es ja nun hier leer werden: Sonntag kann meine Mutter Dir näher von unsrem Ergehen erzählen und ich hoffe, daß Ihr das Zusammensein recht genießt und Herr „Obf“2 sich diesmal nicht in demselben Umfang verpflichtet hält, als Ehrendame dabeizusein, denn eigentlich seid Ihr ja erst ein Minimum von Zeit seit unsrer Ver­ lobung zusammengewesen. Betrübend ist nur, daß der Mißton wegen Frl. Cosels die Zufriedenheit des Hauses stört.3 – Was Deine Fragen nach Emmy4 etc. anlangt, so hat mein Vater über ihr Befinden nicht allzu ausführlich erzählt. Sie habe nur der Feier im Haus beigewohnt. Mein Vetter5 schreibt von „körperlichen Rückschlä­

1  Otto Baumgarten war Theologe und der Bruder von Emmy Baumgarten, mit der Max Weber vor der Verlobung mit Marianne Schnitger sehr innig verbunden gewesen war. In dem anliegenden Brief vom 26. Juni 1893 (abgedruckt in: Roth, Familiengeschichte, S.  695 f.) gratulierte er Marianne Schnitger zur Verlobung und versicherte zugleich, daß auch er den Eindruck gewonnen habe, seine Schwester Emmy teile ihr Glück aus vollem Herzen. Max Weber sandte diesen Brief nach Altmorschen nach, wo Marianne Schnitger bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung lernte. 2 Ernst Rohnert, der Ehemann von Clara Rohnert, war Oberförster im nordhessischen Altmorschen 3  Anna Cosel, die Gesellschafterin bei Familie Rohnert, hatte gekündigt. 4  Die in einem Sanatorium für Nervenkranke in Stuttgart lebende Emmy Baumgarten war an das Sterbebett ihres Vaters, Hermann Baumgarten, nach Straßburg gereist. Dort war Max Weber sen. ihr bei den Trauerfeierlichkeiten am 21. Juni 1893 begegnet; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 20. Juni 1893, oben, S.  405. 5  Ob Fritz oder Otto Baumgarten gemeint ist, ließ sich nicht klären.

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gen“, welche eingetreten seien, sonst auch nichts Näheres. – Meine Mutter wird sie ja nun bald sehen und dann darüber schreiben. – Von Freiburg habe ich jetzt natürlich nichts weiter gehört und werde auch wohl einige Wochen nichts hören, – man muß sich eben in Geduld fassen, was mich anlangt, so glaube ich an die Sache nicht. Im Winter liest Goldschmidt [,] wie ziemlich sicher ist, nicht und dann kommt die Sache hier zum Klappen6 und wir werden wohl hier festgenagelt wer­ den. Nun, man muß sich auch dahinein denken. – Ich schreibe heute nicht weiter, da meine Mutter ja Alles Nähere er­ zählt. Herzlichen Kuß Dein Max Das Buch u. mein Brief sind doch angekommen?7

6 Zu Max Webers Aussicht auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. sowie zu einer möglichen, aber zu diesem Zeitpunkt unsicheren Ernennung zum Extraordinarius an der Universität Berlin, wo er bereits Lehrveranstaltungen seines schwer erkrankten Lehrers Levin Goldschmidt übernommen hatte, vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 7  Max Weber hatte dem Brief an Marianne Schnitger vom 29. Juni 1893, oben, S.  414, vermutlich ihr Tagebuch beigelegt.

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Marianne Schnitger 2. Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 2. VII. 93 Mein liebstes Mariannchen,

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ich maltraitiere Dich heute trotz Deines Protestes noch einmal mit dem Stylographic pen,1 weil es die letzte Hoffnung, die ich habe, ist, daß ich durch seinen Gebrauch zu einer größeren und dadurch deutli­ cheren Handschrift gezwungen werde. Perhorreszierst Du auch diese heutige Probeleistung, so gebe ich das Ringen darnach auf. Ich schreibe überhaupt nur, um Dir für Dein Briefchen zu danken und damit Du über die Trennung von der Schwiegermama getröstet wirst, 2 – soweit das möglich ist. Ich glaube immer noch und Deine Sehnsucht nach Berlin bestätigt es mir, daß Du eigentlich nicht mich, sondern sie heirathest und das kann ich Dir nicht verdenken. Es ist hier schon etwas einsamer geworden und ich hoffe nun bald ganz allein zu sein. Seltsam, wie das immer auf mich wirkt. Die Arbeitsunlust, die mich seit Monaten verfolgte, schwindet, ich habe heutea 100 Seiten Physiologische Psychologie, 100 Seiten Erkenntnistheorie und eine ita­ lienische juristische Schrift3 gelesen [,] ohne daß in meinem Hirn He­ ringssalat entstand [,] und bin überhaupt seit langer Zeit einmal wieder bei |:guten:| Geisteskräften. – Ob das nicht die Wirkung davon ist, daß man in meinem Alter nicht mehr in den Kreis des Elternhauses gehört? – Der Aufschwung war nötig, denn es liegen ca 30 zu recensierende Bücher seit 6 Monaten da,4 ich bekomme grobe Briefe und wenn ich sie a  〈ein〉   1  Eine Art Füllfederhalter. 2  Helene Weber hatte ihre Reise nach Heidelberg im nordhessischen Altmorschen unterbrochen, wo Marianne Schnitger bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung lernte. 3  Es handelt sich vermutlich um eine Abhandlung von Silvio Perozzi; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, [Rezension von:] Silvio Perozzi, Perpetua causa nelle servitù prediali romane, MWG I/6, S.  71–75, hier S.  72. 4  In Betracht kommen insbesondere die im August 1893 veröffentlichten Besprechungen: Weber, [Rezension von:] Th[eodor] Freiherr von der Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat, MWG I/4, S.  238–252; ders., Zwei neue Schriften zur Landfrage im Osten, ebd., S.  220–228, sowie die in dichter Folge zwischen Oktober 1893 und Anfang 1894 erscheinenden Rezensionen: Weber, [Rezension von:] Silvio Perozzi (wie oben, Anm.  3); ders., Monographien von Landgeistlichen, MWG I/4, S.  272–281; ders., [Re-

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auch grob beantworte, ärgert man sich doch, daß die Leute eigentlich Recht haben. Ich möchte diese Schuldenlast auch keinesfalls mit in die Ehe bringen, also muß sie bis Ende d. M. abgetragen sein. Dazu noch einige Artikel andrer Art.5 Aegidi’sb6 lassen grüßen. Mein Vater war heut bei ihnen, – sie hatten „befürchtet“, ich würde Käthe S.7 heirathen und deshalb einen Haß auf diese geworfen. – ! – Die Schwiegermama hat Dir wohl noch eine Rede wegen der Haus­ frauentugenden gehalten? Wie? Ich hätte das |:nur gleich:| ganz ihr überlassen sollen, dann wäre mein Küken nicht melancholisch gewor­ den.8 Nun, das ist doch vorbei, nicht? Herzlich küßt Dich Dein eben zu Bett gehender Max

b  Unsichere Lesung.   zension von:] Angelo Sraffa, Studi di diritto commerciale, und ders., La liquidazione delle società commerciali, MWG I/1, S.  475–489; ders., [Rezension von:] B[odo] Lehmann, Die Rechtsverhältnisse der Fremden in Argentinien, MWG I/4, S.  3 04–307, sowie ders., [Rezension von: Otto Thorsch,] Materialien zu einer Geschichte der österreichischen Staatsschulden vor dem 18. Jahrhundert, MWG I/5, S.  121–124. 5 Infrage kommt der zweiteilige Aufsatz: Weber, Argentinische Kolonistenwirthschaften, MWG I/4, S.  282–303. 6 Ludwig Aegidi, Professor für Staats-, Völker- und Kirchenrecht an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und einer von Max Webers akademischen Lehrern, und seine Frau Martha. 7  Gemeint ist wahrscheinlich die im Hause Weber verkehrende Käthe Schmidt. 8 Zum Gedankenaustausch über Marianne Schnitgers künftige Rolle vgl. die Briefe an Marianne Schnitger vom 14., 16. und 20. Juni 1893, oben, S.  400 f., 403 f. und 405 f.

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Marianne Schnitger 6. Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 6. VII. 93 Mein liebes Herz,

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gestern sind 2 Rezensionen1 fertig geworden, dadurch |:wurde:| aber die ganze Zeit, welche zum Schreiben an Dich zur Verfügung stand, absorbiert und ich kann Dir erst heut danken und G[öhre]’s prächtigen Brief2 zurückschicken, ich werde ihm gleich heut Abend danken. Von der „Schwiegermama“ hatte ich auch einen sehr glücklichen Brief über das Zusammensein mit Dir3 und von Otto B[aumgarten] eine Karte, worin er sehr freundlich zusagt, uns zu trauen.4 Erste Hälfte Sept[ember] ist aber unbedingt zu früh, 5 es geht nicht, daß ich mit so großen Schulden belastet verreise, und wenn ich nach Freiburg komme, was ich nicht glaube nach Allem, was ich höre, schon

1  Es handelt sich möglicherweise um die am 1. August 1893 in der Zeitschrift „Das Land“ erschienenen Besprechungen der Arbeiten von Goltz, Theodor Freiherr von der, Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat. – Jena: G. Fischer 1893, sowie von Max Sering, Die innere Kolonisation im östlichen Deutschland. – Leipzig: Duncker & Humblot 1893; vgl. Weber, Zwei neue Schriften zur Landfrage im Osten, MWG I/4, S.  220–228. Von der Goltz’ Schrift rezensierte Max Weber außerdem im Augustheft der Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik; vgl. Weber, [Rezension von:] Th[eodor] Freiherr von der Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat, ebd., S.  238–252. 2  Zu Paul Göhres Brief an Marianne Schnitger vgl. den Brief an dies. vom 29. Juni 1893, oben, S.  412 mit Anm.  1. 3 Helene Weber hatte auf der Reise nach Heidelberg im nordhessischen Altmorschen Station gemacht, wo Marianne Schnitger bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung lernte. 4  Otto Baumgarten, Max Webers Vetter, war Theologe. 5  Es ging um die Planung der Hochzeit mit anschließender Hochzeitsreise. Max Weber und Marianne Schnitger heirateten am 20. September 1893 in Oerlinghausen.

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lange nicht.6 Mitte ist der frühste Termin.1) Also Anfang August kommt Ihr her, bitte aber erst am 4 ten, denn erst dann schließe ich die Vorlesungen7 und vorher hätte es bei der Hetze, die das darstellt, gar keinen Zweck und würde nur die Heidelberger Erholung meiner Mut­ ter abkürzen. Am 4ten 1 Uhr bin ich ein freier und gemütlicher Mann, vorher ein Scheusal. – Nun schreib nur noch, ob Du gern hölzerne oder englische Bettstellen willst – letztere sind Eisenstiftstellen, besser luftig und m. E. praktischer als die großen Holzkästen, die dem Sarge so ähn­ lich sehen, wie der Schlaf dem Tod und mir unangenehme Symbolik haben, – aber mir ist es schließlich gleich. – Ich glaube, es würde Göhre sehr freuen, wenn Du seinen Bruder8 (ungezwungener Weise) sehen könntest. – Deine Befürchtungen wegen Clara werden sich, hoffe ich, nicht bewahrheiten; ich glaube es wird sich von selbst geben, daß sie nur des Abends oder gegen Abend oder sonst nur ganz kurz einmal zu uns kommt, so daß sie kaum auf die Idee einer Einmischung in die Wirtschaft verfallen wird. In gegebene Situationen findet sie sich meist ziemlich leicht, – und Du bist doch nicht eifersüchtig mein Schatz? Nie­ mand kann zween Herren, geschweige zween Frauen dienen,9 das weiß ich sehr gut [,] und daß ich es weiß [,] wirst Du schon sehen. Also mach Dir keine Sorge, ich glaube das findet sich leicht. Wahr ist aber, daß eine längere räumliche Trennung es vielleicht noch erleichterte. Auch deshalb wäre also die Aussicht mit Freiburg schön.10 Der Tag hat jetzt für mich fast doppelt so viel Arbeitszeit als bisher, es ist merkwürdig. Und ich sehne mich sehr darnach erst ganz allein zu sein, was Anfang nächster Woche eintritt. Z. B. das Essen dauert jetzt   1)  Es wäre auch für Dich mein Kind und für alle doch eine arge Het­ zerei und Dein Großvater11 schwerlich damit einverstanden.

6 Zu Max Webers Aussicht auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. sowie zu einer möglichen, aber zu diesem Zeitpunkt unsicheren Ernennung zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor an der Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 7  Gemeint ist die letzte Semesterstunde der Vorlesung „Handels- und Seerecht“ am Freitag, den 4. August 1893, von 12 bis 13 Uhr. 8  Paul Göhres Bruder Rudolph war Tierarzt in Rotenburg a.d. Fulda. 9  Aus Matthäus 6, 24 abgeleitete Redewendung. 10  Vgl. oben, Anm.  6. 11  Carl David Weber.

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noch immer 3 /4 Stunde vermöge der Art meines Vaters, – bei mir nur 10 Minuten. Geredet wird nicht allzu viel, aber doch ohne große Pau­ sen dabei, wesentlich Politisches. Ich passe gar zu schlecht in ein Haus, das er leitet und er paßt gar nicht zu einem erwachsenen Sohn, das ist die alte Sache. Unfreundlich ist das Verhältnis gar nicht. Wir müssen uns übrigens noch überlegen, was wir „Obf“s zum Abschied dedizieren. Schlag doch einmal etwas vor oder hole ausa Frl. Cosel raus, was sie brauchen können, nicht wahr?12 Leb wohl mein Herz, wieder einmal vertröste ich Dich auf morgen Abend, wo ich Ruhe habe, heut liefen 2 Drohbriefe wegen Rezensionen ein.13 Ich schicke Dir bmit gleicher Postb meine schnoddrige Rede vom Sozialpolit[ischen] Congreß14 und küsse Dich herzlich. Dein Max

a  Fehlt in O; aus sinngemäß ergänzt.   b–b  anbei > mit gleicher Post   12  Gemeint sind Ernst Rohnert, der Oberförster in Altmorschen war, und seine Frau Clara. Zu deren Haushalt gehörte die Gesellschafterin Anna Cosel. 13 Max Weber hatte neben den oben, S.  419, Anm.  1, genannten Besprechungen eine Vielzahl weiterer Rezensionen übernommen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 2. Juli 1893, oben, S.  417 f. mit Anm.  1. 14  Gemeint sind das Referat (samt Diskussionsbeiträgen) auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik am 20. und 21. März 1893; vgl. Weber, Die ländliche Arbeitsverfassung, MWG I/4, S.  157–207. Das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel zeigte das Erscheinen der gedruckten Protokolle am 8. Juli 1893 an; vgl. den Editorischen Bericht, ebd., S.  164.

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Marianne Schnitger [7.] Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Datum wurde vom 8. auf 7. Juli korrigiert anhand des Briefinhalts – die Einladung zu Adolf Meyer „gestern über 8 Tage“ – und den Hinweisen auf diese Einladung in den Briefen an Marianne Schnitger vom 14. und 17. Juli 1893, unten, S.  429 und 432.

Charl. 7.a VII. 93 Mein liebes Kind, den Brief von Göhre habe ich, wie ich sehe, gestern doch liegen lassen,1 ich füge ihn bei, ebenso den von Dir vermißten von Käthe Marenbachb. Meine Mutter wird nun von Donnerstag bis heut in Stuttgart gewe­ sen sein, zusammen mit ihren beiden Schwestern: Tante Ida und Nixel, 2 und ich denke daß wir dann einmal Nachricht über das Ergehen dort – ich fürchte keine besonders gute – bekommen werden. 3 Inzwischen werden Artur und Lili in Heidelberg wohl unter einem sehr autokra­ tischen Regiment zu schmachten haben, denn Clara war hier bereits in Sorge, daß ihre Machtbefugnisse irgendwelchen constitutionellen Schranken unterworfen werden könnten. Viel haben wir von ihnen Al­ len nicht gehört, gar nichts – außer glaube ich 1 Postkarte – von Alfred seit er fort ist. Er teilt meine Abneigung gegen das Correspondieren. Sonntag wollte er in Stuttgart sein und wir hoffen nur, daß meine Mut­ ter dann noch dort ist und nicht in dem Glauben, mein Vater komme schon am Sonnabend,4 wieder zurückreist. Er scheint am Dienstag rei­ sen zu wollen, doch ist eine Herausschiebung möglich, – ich zähle na­ türlich mit größter Ungeduld die Stunden bis ich endlich allein bin. –

a O: 8.  b O: Mahrenbach   1  Die Rücksendung hatte Max Weber im Brief an Marianne Schnitger vom 6. Juli 1893, oben, S.  419, angekündigt. 2  Helene Weber war mit den jüngeren Kindern nach Heidelberg gereist und hatte von dort aus alleine einen Abstecher nach Stuttgart gemacht. 3  Helene Weber reiste mit ihren Schwestern Emilie (Nixel) Benecke und Ida Baumgarten nach Stuttgart, um Idas Töchter Emmy und Anna Baumgarten zu besuchen, die dort im „Ottilienhaus“, einem Sanatorium für Nervenkranke, untergebracht waren. 4  Max Weber sen. hielt sich noch zu Hause in Berlin auf, wollte aber der Familie nach Heidelberg nachreisen (Brief Marianne Schnitgers an Helene Weber vom 9. Juli 1893, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

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Ich habe Göhre am Donnerstag sehr herzlich für seinen Brief an Dich gedankt und er gab mir den Deinen zu lesen, noch immer in ziemlicher Bewegung, aber im Ganzen doch ruhig und voll Vertrauen für die Zukunft. Er will in ca 8 Tagen nach Juist, nachdem der Arzt sein Heisersein als harmlosen Katarrh bezeichnet hat, – ich glaube [,] daß das für meinen Vater ein Grund sein könnte nicht hinzugehen, aber ich konnte ihn doch nicht gut ersuchen, sich einen andren Ort auszusuchen. – Mit seiner Anstellung zieht sich die Sache noch immer in die Länge. Das Wahrscheinlichste ist jetzt, daß er im Herbst in Frankfurt a /O gewählt wird, 5 aber das Consistorium wird wohl Schwie­ rigkeiten machen. – A[dolf] Meyer war übrigens Donnerstag in unsrem Bierklatsch6 und lud mich auf gestern über 8 Tage zu sich ein, – seine Frau scheint noch immer ganz stolz auf ihren klugen Gedanken zu sein, – er seinerseits äußerte sich übrigens sehr herzlich. Sein Bild auf der Ausstellung wird gut gefunden, nur daß er die Frau in diesem Anzuge darstellte, ist (auch mir scheint es) töricht.7 Bei Eck8 am vorigen Dienstag – der sich Dir unbekanntermaßen empfehlen läßt – lernte ich die mir noch unbe­ kannte Braut meines mir wenig erfreulichen Collegen Oertmann9 ken­ nen, ein sehr nettes Mädchen und sein bei weitem besseres 3 /4. Ich muß doch gestehen, daß ich der ganzen Juristengesellschaft hier gern ent­ rückt wäre, Mann und Weib sind mir im Allgemeinen mit wenigen Ausnahmen gleich uninteressant. Aus Freiburg höre ich nichts und kann auch noch nichts hören, – ich halte die ganze Sache wie gesagt für recht unwahrscheinlich. Die badische Regierung kann es nicht gut thun.10 –

5  Paul Göhre war von 1894 bis 1897 Pfarrer in Frankfurt/Oder. 6  Es handelt sich um den wöchentlich stattfindenden „Donnerstag Abend“; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  21–24. 7  Der Porträtmaler Adolf Meyer war auf der Großen Berliner Landesausstellung mit einem „Bildniss der Frau A. M.“ vertreten; vgl. Große Berliner Kunstausstellung 1893. 14. Mai bis 17. September im Landes-Ausstellungsgebäude am Lehrter Bahnhof. – Berlin: Schuster 1893, S.  59. – Der Name seiner im folgenden erwähnten Frau konnte nicht ermittelt werden. 8  Gemeint ist vermutlich der Jurist Ernst Eck, der zur Zeit von Max Webers Dissertation Dekan der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und Gutachter von Max Webers romanistischer Exegese war. 9  Paul Oertmann war seit dem Sommersemester 1892 Privatdozent für Bürgerliches und Römisches Recht an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Der Name seiner ersten Frau, die er 1893 heiratete, ist nicht überliefert. 10  Zu den Hindernissen der Berufung Max Webers auf den Lehrstuhl für Nationalökono-

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Nun wir müssen uns in Geduld fassen, in einiger Zeit schreibe ich noch einmal hin um zu hören wie die Sache steht, aber allzu eifrig möchte ich mich Denen dort auch nicht hinstellen; das ist mir zu unan­ genehm. Also mein Kind, nicht wahr, wir belassen es bei frühstens Mitte – 15–20 – September.11 Vorher kann ich nicht gut, ich würde nicht ruhig reisen, wenn nicht wenigstens noch Einiges erledigt ist, denn bisher ist noch Alles im Rückstand zufolge meiner bisherigen anhaltenden Ar­ beitsunlust. Wir haben dann ja immer noch 4 Wochen Reisezeit und Du weißt ja noch gar nicht, ob es so gemütlich ist mit mir zu reisen? Auch der Geldpunkt kommt in Frage; ich habe so viel Bücher ange­ schafft, daß ich meine Einnahmen so ziemlich aufgebraucht haben werde, aber einmal mußte das geschehen und später stört es die Wirt­ schaftsrechnung. – Die Hauptsache ist mir: die greuliche Hetze, die vorher eintreten würde, für Wina, meine Mutter,12 und schließlich auch uns beide. Es hat glaube ich doch wirklich keinen Zweck. Zum ruhigen Genießen unsres Glücks kommen wir doch erst in definitiven Verhält­ nissen, wenigstens ich. Das würde in Freiburg sein, und ist vielleicht auch in Berlin.13 Aber die Reiserei ist doch nur Durchgangsstadium. Laß Dirs gut gehen, erkälte Dich nicht und sei herzlich geküßt von Deinem Max

mie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 11  Max Weber und Marianne Schnitger heirateten am 20. September 1893 in Oerlinghausen. 12  Alwine (Wina) Müller ersetzte bei den Hochzeitsvorbereitungen Marianne Schnitgers frühverstorbene Mutter Anna, ihre Schwester. 13  Neben der Berufung nach Freiburg i. Br. (vgl. dazu oben, Anm.  10) war die Ernennung Max Webers zum außerordentlichen (etatmäßigen) Professor an der Universität Berlin in der Schwebe; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320 und 322.

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Marianne Schnitger 8. Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

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es wird wieder nicht viel werden, da es schon sehr spät Nachts ist. Von morgen an, wo ich (endlich!) allein bin, gehts wohl besser. Anbei kommt Emmy’s Bild zurück,1 ich danke Dir für die Übersendung, hat­ te inzwischen schon einen Brief von meiner Mutter. Kurz nach Abgang meines letzten Briefs2 kam Deiner und dann der Kuchen. Alle Wetter, ein schweres, süßes Geschöpf. In unsrem Haushalt müssen wir leich­ teren essen. Zu 3 /4 ist er vertilgt, mit großem Beifall. Was Clärchen anlangt mein Kind, so habe ich Dich keiner Eifersucht bezichtigen wollen, ich glaube nur, daß Du Dir die Sache schwieriger vorstellst als sie ist. Du weißt, daß sie mir sehr ans Herz gewachsen ist, aber darauf, daß sie nicht eine verkehrte Position zu unsrem Haushalt einnimmt, würde ich selbst halten, und ich glaube [,] daß sie das weiß, wenn sie Dich auch etwas neckt. Sie hat Dich übrigens sehr lieb und jetzt offenbar gar nicht mehr das Gefühl, als wäre es eine Verdrängung durch Dich, wenn Du mir näher stehst, wie es sich versteht. Wenn Du sie unbefangen und lustig nimmst, glaube ich nicht, daß sie ernstliche Dich beunruhigende Einmischungsversuche macht. Ich fühle mich gänzlich als für Dich „gesattelt“, um Deine Bezeichnung anzuwenden. Eben ist Göhre hier fort, nachdem er mit uns Abend gegessen hatte; ich denke doch, daß ihm Juist gut thun wird, er ist jetzt ganz unbefan­ gen und nach jeder Richtung gefestigt.3 – Diese fatale trockene Hitze – mich bedrückt sie sonst nicht beson­ ders – wirkt auf Ernte und Collegbesuch nicht günstig, es wäre Zeit [,] 1  Marianne Schnitger hatte ein Photo von Emmy Baumgarten, das sie von Helene Weber erhalten hatte, an Max Weber geschickt (Brief Marianne Schnitgers an Helene Weber vom 9. Juli 1893, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 2  Vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 7. Juli 1893, oben, S.  422–424. 3  Max Webers Freund Paul Göhre hatte im Januar 1893 vergeblich um Marianne Schnitger geworben; außerdem war er gesundheitlich angeschlagen. Politisch hatte ihn zuletzt die Sozialdemokratie angezogen (Brief Marianne Schnitgers an Helene Weber, undat. [vermutlich nach dem 9. Juli 1893], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

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daß es regnete, auch damit Ihr hier nicht soviel Staub vorfindet. Aus­ stellungsbesuch und Ähnliches verspare ich bis dahin. Dies ist heut Abend der 3te Brief, alle andren bezogen sich auf nicht abgelieferte Recensionen, eine heillose Wirtschaft.4 Ob Du wohl Göhres Bruder schon gesehen hast?5 Also Herr „Obf“6 ist wieder einmal so nervös, – nun ich hoffe Du wirst mich so unter der Knute haben, daß Ähnliches nicht vorkommt. Manchmal möchte ich auch ohne genügenden Grund des Teufels werden, zumal wenn die Denkwerkzeuge nicht rasch genug funktionieren. Wann geht eigentlich Frl. Cosel.7 Jetzt oder im Herbst? Ob ich mich „überspüle“? Ja täglich, bis das Wasser ausging. Die Schweinebande von Wasserwerken streikt fast ganz. Dafür saufe ich Terrinen-weise Kaltschale innerlich, Alles, Citronen etc. mit verschlu­ ckend. Und Abends unendlich Bier, wenn ich es auftreibe. Hoffentlich schmeckt der Kuß nicht darnach, den Dir sendet Dein treuer Max

4  Max Weber hatte eine Vielzahl von Rezensionen übernommen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 2. Juli 1893, oben, S.  417 f. mit Anm.  4. Weitere Briefe sind für den 8. Juli 1893 nicht nachgewiesen. 5  Rudolph Göhre war Tierarzt in Rotenburg a. d. Fulda. 6  Ernst Rohnert war Oberförster im nordhessischen Altmorschen. Bei seiner Frau Clara lernte Marianne Schnitger Kochen und Haushaltsführung. 7  Anna Cosel, die Gesellschafterin bei Familie Rohnert, hatte gekündigt.

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Marianne Schnitger [12.] Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Die ursprüngliche Datumsangabe – 13. Juli 1893 – wurde anhand des Briefinhalts korrigiert: Max Weber kündigt an, die Donnerstags-Runde „Morgen Abend“ [d.i. 13. Juli] zu besuchen (vgl. unten, Anm.  1) und am „Freitag“ [d.i. 14. Juli 1893] „bei Meyers“ zu sein.

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schnell jetzt noch ein paarb Worte, da ich morgen und übermorgen doch zu keinem Brief komme. Ich bin nämlich aus dem Haus geworfen und muß in der Stadt essen, da die Küche gestrichen wird. Morgen Abend bin ich überdies im Donnerstag,1 Freitag bei Meyers, 2 also da wird nichts. Es ist hier noch so schwül, daß ich heute wieder nichts ge­ than habe als Flüssigkeiten zu mir zu nehmen. Endlich kommen jetzt aber doch einige Gewitter in Sicht. Mein Vater ist gestern abgereist und ich bin allein als Junggeselle, das letzte Mal im Leben, hoffe ich. Du wirst es schon deshalb nicht so leicht mit mir haben, weil ich niemals eine eigentliche öde Junggesel­ lenperiode durchgemacht habe. Jetzt habe ich mir den Tag nach meinem chaque’vac 3 eingeteilt. Morgens 3 /4 8 wird aufgestanden u. ohne Mogeln! In kürzester Frist ist der Thee verschluckt, dann geht es ans Arbeiten. Punkt 1/ 2 2 komme ich aus dem Colleg oder bin ich sonst hier und wird gegessen. Um 2 Uhr ist der Bauch vollgeschlagen, 1/   2 Stunde auf dem Canapee gerekelt, dann Arbeit bis 8 Uhr mit Caffee-Unterbrechung. Das thut bei mir dem Geist und dem Körper gleich gut, ich fühle es ordentlich. Es ist nun einmal nicht jeder Körper so gebaut, daß er Bewegung etc. etc. braucht, der meine braucht nur geistige Arbeitsfähigkeit. Die kehrt mir jetzt endlich wieder.

a O: 13.  b O: par  c  Zu erwarten wäre: tout va   1  Zum „Donnerstag Abend“ vgl. die Einleitung, oben, S.  21–24. 2 Es handelt sich vermutlich um den im folgenden Brief an Marianne Schnitger vom 14. Juli 1893, unten, S.  429, erwähnten Besuch bei dem Porträtmaler Adolf Meyer und seiner Frau. 3  Frz. für: alles geht, alles ist möglich.

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Eine große Wohlthat ist es mir offen gestanden auch, daß ich Käthe S.4 nicht allsonntäglich erlebe, ich weiß nicht warum, aber ich habe sie schrecklich satt. Überhaupt die Frauenzimmer! Mit den Berlinerinnen ist doch weiß Gott blutwenig los. Das fiel mir schon früher jedesmal auf wenn ich aus dem Süden zurückkam. – Abends lese ich im Bett jetzt auch, um mich auf meine gelehrte Frau vorzubereiten, allerhand philo­ sophischen Krimskrams, dessen ich sonst ziemlich entwöhnt war. Dafür habe ich mir, wie es einem Philosophen zukommt, das Essen abgewöhnt und das thut mir ganz außerordentlich gut. Ich esse höch­ stens 1/4 von dem, was Du früher an mir schaudernd erlebtest, kann dabei besser arbeiten und fühle mich wohler. Also bankrott werde ich uns nicht fressen. Was macht Migräne, Asthma, Nase und Melancho­ lie? Du schweigst jetzt immer darüber. Wie oft hintereinander niesest Du allmorgendlich zur Begrüßung der rosenfingrigen Eos?5 Was macht das Haar? Was der Appetit? All dies wünscht möglichst genau von Dir zu wissen Dein Dich herzlich umarmender Max

4  Vermutlich die im Hause Weber verkehrende Käthe Schmidt. 5  Homer beschreibt die griechische Göttin der Morgenröte als rosenfingrig; vgl. Homers Ilias (Homerus. Poetische Werke, Band 4). – Berlin: Hempel 1879, S.  22.

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Marianne Schnitger 14. Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 14. VII. 93 Liebes Herz,

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sei nicht böse, wenn ich auch heute nur wenige Zeilen schreibe. Anbei ein mich sehr bewegender Brief der Tante. Ich schreibe ihr nächster Tage1 und freue mich, daß Du, wie Du schriebst, an Emmy2 schreiben willst. – Soeben die Nachricht aus Freiburg, daß meine Berufung ziemlich sicher ist, die Sache sich aber noch 14 Tage hinzieht. 3 Auch ein Grund, so spät wie möglich von Altmorschen4 abzureisen. – Morgen mehr, ich muß jetzt zu Dolfmeyers5 und kam erst eben nach Hause. Mit herzlichem Kuß Dein Max

1 Ida Baumgarten hatte sich mit ihrer nervenleidenden Tochter Emmy über die „Vergangenheit“ unterhalten, d. h. wohl über deren Beziehung zu ihrem Vetter, die seit Max Webers Anfang 1887 in Straßburg absolvierter Offiziersübung innig geworden war (Brief Marianne Schnitgers an Helene Weber vom 16. Juli 1893, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Der angekündigte Brief von Max Weber an seine Tante ist nicht nachgewiesen. 2  Emmy Baumgarten. 3  Zur der Max Weber in Aussicht gestellten Berufung auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 4  Marianne Schnitger lernte vor der Hochzeit mit Max Weber im nordhessischen Altmorschen bei Clara Rohnert, der Frau des Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung. 5  Es handelt sich um einen Besuch bei dem Porträtmaler Adolf Meyer, bei dem Marianne Schnitger Malunterricht genommen hatte, und seiner Frau; vgl. den Bericht Max Webers über den Besuch im Brief an Marianne Schnitger vom 17. Juli 1893, unten, S.  4 32.

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Clara Weber 15. Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl.  30–31

Charlottenbg 15. VII. 93 Liebes Clärchen, ich danke Dir vielmals für Dein Briefchen, welches ja allerdings durch seine Kürze erkennen ließ, daß Du schrecklich mit Deinen Hausmut­ terpflichten zu thun gehabt hast.1 – Antworten wollte ich Dir schon seit einigen Tagen, aber ich war auch nicht ganz unbeschäftigt. Auch heut schreibe ich nur kurz und hauptsächlich, damit Du den Eltern – aber bitte sonst lieber Niemand, nicht wahr? – erzählen kannst, daß nach den mir gestern zugegangenen Nachrichten die Fakultät in Freiburg |:am 6ten Juli:| mich |:zum Ordinarius:| vorgeschlagen und den Profes­ sor von Philippovich nach Karlsruhe geschickt hat, um |:dringend:| um meine Berufung zu bitten.2 Der Ministerialdezernent |:für Persona­ lien:| Arnsperger und die beiden Fachberather des Cultusministeri­ ums, Finanzminister Buchenberger und Geh. Rath Schenkel sind da­ für. Der Cultusminister |:Nokk:| ist noch verreist, doch scheint es ziemlich sicher, daß ich in 14 Tagen berufen werde |:resp. die Ernennung bindend zugesagt wird:|, nachdem |:inzwischen:| die Fakultät noch ein Gutachten des Dekans der Philosophen über meinen Geisteszustand und einen Brief von Prof. Knapp eingereicht und auf Beschleunigung gedrungen hat.3 Ich habe mich zur Annahme unter der Voraussetzung verpflichtet,4 daß nicht vorher noch, was ich nicht glaube, eine Ernen­ 1  Clara Weber hielt sich mit ihren Eltern und den jüngeren Geschwistern in Heidelberg auf. Dort hatte sie Helene Weber, während diese ihre Schwestern in Stuttgart traf, vertreten. Vgl. dazu den Brief an Marianne Schnitger vom 7. Juli 1893, oben, S.  422. 2  Zu der Max Weber in Aussicht gestellten Berufung auf den durch den Weggang von Eugen von Philippovich freiwerdenden Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. Die im folgenden namentlich genannten, in das Berufungsverfahren involvierten badischen Minister und Beamten waren: Ludwig Arnsperger, Adolf Buchenberger, Karl Schenkel und Wilhelm Nokk. 3  Weder das Gutachten von Emil Warburg, dem Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br., noch der Brief des Straßburger Professors für Nationalökonomie und Statistik Georg Friedrich Knapp sind nachgewiesen. 4  Ein entsprechender Brief Max Webers an die Freiburger Philosophische Fakultät oder das Badische Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts ist nicht nachgewiesen.

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nung in Berlin erfolgt oder bindend zu einem bestimmten Termina in Aussicht gestellt würde. Werde ich nach Freiburg berufen, so geheb ich sofort nach Schluß der Vorlesungen |:zum Wohnungsmiethen:| nach |:dort und auf dem Wege nach:| Heidelberg. Hoffentlich seid Ihr dann noch nicht fort (2ten oder 3ten August). O je! indem ich die Seite umdrehe, sehe ich, daß sie auf dem Tisch ganz schmutzig geworden ist. Nun, entschuldige diesmal. Also Du bist von den „Sachsen“5 allen so begeistert, daß ich sie not­ gedrungen Alle duzen muß? Nun ich sagte es ja, sie müssen ein unwi­ derstehlicher Volksstamm sein, und ich werde mich mit ihnen schon vertragen. Von Marianne kommen jetzt sehr vergnügte Briefe, Sie beklagt sich nur, daß sie von dem Einmachen jetzt immer Landestrauer an den Fin­ gernägeln hätte.6 – Der Tintenstift ist Alle, deshalb für heut adieu, schreib bald Deinem Max Der Mama schreibe ich nächster Tage.7

a  〈|:bindend:|〉  b  komme > gehe   5  Vermutlich Anspielung auf die Verwandtschaft von Arthur Benno Schmidt, des Bräutigams von Max Webers Heidelberger Cousine Marie Benecke; vgl. den Brief an Emilie Benecke vom 14. Juni 1893, oben, S.  398 f. 6  Marianne Schnitger lernte bei Clara Rohnert im nordhessischen Altmorschen Kochen und Haushaltsführung. 7 Der nächste überlieferte Brief an Helene Weber stammt vom 26. Juli 1893, unten, S.   4 42–444.

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Marianne Schnitger 17. Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 17. VII. 93 a Ich

habe nur solch ein großes Couvert! a

Liebes Herz, Du wirst sehr ungehalten auf mich sein wegen meiner Wortkargheit, aber neben den Rezensionen1 etc. nahm die Correspondenz nach Frei­ burg2 hin mich sehr in Anspruch. Zwar ist dort noch nichts definitiv entschieden, aber die Fakultät und die wesentlichen Personen im Mini­ sterium sind für meine Berufung und dieselbe ist also jedenfalls ziem­ lich wahrscheinlich, wenn nicht, was freilich aus 100 Gründen gesche­ hen kann, noch etwas dazwischen kommt. 3 Sobald etwas Bindendes da ist, würde ich alle Angebote für hier ausschlagen,4 denn ich bin fest überzeugt, daß wir uns dort, im Kreise von z. Teil sehr netten Collegen, sehr wohl fühlen würden. Freitag bei Adolfs5 war es ganz behaglich, ich war nur noch mit einem mir unbekannten fremden Herrn (aus der Schweiz) da. Die Frau freilich schwieg den ganzen Abend hartnäckig, bis auf einen Gruß, den sie Dir ausrichten ließ. Er (Adolf) ist doch ein wunderlicher, wenn­ gleich grundguter Kauz. a–a  Oberhalb des Briefanfangs vertikal eingefügt.   1 Im August 1893 erschienen: Weber, Zwei neue Schriften zur Landfrage im Osten, MWG I/4, S.  220–228, sowie ders., [Rezension von:] Th[eodor] Freiherr von der Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat, ebd., S.  238–252. 2 Ein Briefwechsel aus dieser Zeit ist weder in den Freiburger Dekanats- noch in den Karlsruher Ministerialakten nachgewiesen. 3  Zu Max Webers Aussicht auf eine Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 4  Außer einem Extraordinariat an der Friedrich-Wilhelms-Universität (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, ebd.) konnten keine weiteren Optionen ermittelt werden. Die Hoffnung, die Nachfolge Max Serings an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin antreten zu können (vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  7), hatte sich, nachdem Sering den Ruf nach Freiburg abgesagt hatte, zu diesem Zeitpunkt bereits zerschlagen. 5  Es handelt sich um die im Brief an Marianne Schnitger vom 14. Juli 1893, oben, S.  429, erwähnte Einladung bei Adolf Meyer, bei dem Marianne Schnitger Malunterricht genommen hatte, und seiner Frau.

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Von Heidelberg kommen spärliche, aber gute Nachrichten, mehrere Briefe meiner Mutter, neulich auch einer von Clärchen, und eine Karte meines Vaters. Die Sachsen beherrschen jetzt dort das Feld.6 Hier pflegen mich die Mädchen mit Kaltschale zu Mittag und Gur­ kensalat zu Abend nach Kräften, im Hause stinkt es nach Öl und fri­ schen Tapeten, das Wasser hat in den Wasserwerken versagt, es ist bei Strafe verboten nach Morgens 6 Uhr zu sprengen, – ein heitres Idyll. Bei der „Überspülung“ unter der Douche tröpfelt mühsam etwas brau­ ne Sauce auf Einen herunter. – Auch das Colleglesen ist kein Pläsier, – man schwitzt, die Zuhörer schlafen, das ist die ganze Bescherung. Heut endlich ist es etwas kühler geworden, gleich so, daß das Sitzen im Garten Abends mit der Lampe, was ich mit Vorliebe thue, Einem ver­ leidet wird. Kurzum, zu raisonnieren giebt es bei aller Behaglichkeit der Existenz genug. Wenn ich mir nur eine Vorstellung davon machen könnte, was Du jetzt schon alles für Künste in Dich aufgenommen hast, mein Schatz.7 Von Eingemachtem können wir ja auch nicht grad allein leben, nicht wahr? Aber was hilfts, ich überliefere Dir meinen armen Leichnam auf Gnade und Ungnade. Wenn nun aus dieser Freiburger Sache etwas wird, so ist das eine verzweifelte Geschichte mit den Projekten für die Aussteuer. Die Mö­ bel etc. werden dann doch besser im Süden (Frankfurt, Mainz, Carls­ ruhe, Stuttgart) besorgt. Ich will doch noch einmal nach Freiburg um Beschleunigung der Entscheidung schreiben.8 Die Sache hängt daran, daß der Cultusminister9 noch für 11/ 2 Wochen verreist ist und erst wie­ der da sein muß, bevor definitiv entschieden werden kann. – Ich will dieser Tage auch an Tante Ida B[aumgarten] schreiben, so daß sie den Brief, soweit sie will, Emmy vorlesen kann.10 Ich mußte nach ihrem Brief wieder all die Jahre zurückdenken: was ist doch ein 6  Vermutlich Anspielung auf die sächsische Verwandtschaft von Arthur Benno Schmidt, des Bräutigams von Max Webers Heidelberger Cousine Marie Benecke; vgl. den Brief an Emilie Benecke vom 14. Juni 1893, oben, S.  398 f. mit Anm.  8. 7  Marianne Schnitger war im nordhessischen Altmorschen, um bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung zu lernen. 8  Das angekündigte Schreiben ist nicht nachgewiesen. 9  Wilhelm Nokk. 10  Das angekündigte Schreiben an Ida Baumgarten ist nicht nachgewiesen. Ihre Tochter Emmy, mit der Max Weber seit seiner 1887 in Straßburg absolvierten Offiziersübung eine innige Beziehung verbunden hatte (vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, oben, S.  3 03 f. mit Anm.  2), war nervenleidend.

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solch armes Mädchenherz ärger dran als wir, denen der äußere Ar­ beitszwang Ableitung giebt. Ich habe doch in Allem so ziemlich recht gehabt in der Beurteilung ihrer Gedanken in unsrer Sache. – Nun, jetzt ist die offene geschwisterliche Freundschaft ohne jede Besorgnis, auf Punkte zub kommen, die man nicht berühren darf, hergestellt, wie ich sie auch für Dich, mein liebes Kind, immer von Herzen gewünscht habe. Laß Dich herzlich küssen und es Dir gut gehen in Gedanken an Deinen Max

b  〈berühren〉  

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Marianne Schnitger 22. Juli [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt (der möglichen Berufung Max Webers nach Freiburg i. Br.) erschlossen.

Ch. 22. VII. Liebes Herz,

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eben bin ich mit einem Artikel für Rade fertig,1 einige Rezensionen (nicht für Goldschmidt, 2 sondern für nationalökonomische Zeitschrif­ ten) 3 sind auch erledigt und ich eile, Dir, die Du gewiß und mit Recht auf mich zürnst, ein Lebenszeichen zu geben. Von Freiburg nichts Neues, die Sache ist natürlich noch immer zwei­ felhaft, da der Minister 4 noch fort ist. Wird sie, so gehe ich Ende der ersten Augustwoche (4, 5ten) nach Freiburg. Entweder hole ich Dich dann ab5 oder – wie Du willst – ich treffe Dich in Heidelberg. Das ein­ same Zusammensein mit der Schwiegermama gönne ich Dir sehr und denke, es wird sich arrangieren lassen. Aber definitiv denke ich können wir doch erst Pläne machen, wenn eine Entscheidung [,] auf die ich brieflich dringe,6 aus Freiburg da ist. So schnell geht das nun leider nicht, es ist schon bisher sehr beschleunigt worden. Also leider müssen wir noch immer etwas warten, ich hoffe aber, daß Mitte der Woche sich Bestimmtes sagen läßt. Bis dahin mußt Du Dich gedulden.

1 Am 3. August 1893 erschien in der von Martin Rade herausgegebenen „Christlichen Welt“ der Artikel: Weber, Die Evangelisch-sozialen Kurse in Berlin im Herbst dieses Jahres, MWG I/4, S.  229–237. 2  Max Weber meint die von Levin Goldschmidt herausgegebene „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“. 3  Zwischen August und November 1893 erschienen Rezensionen von Max Weber in der Zeitschrift „Das Land“, in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik sowie im Sozialpolitischen Centralblatt; vgl. MWG I/4, S.  220–228, 238–252, 272–281. 4  Wilhelm Nokk, der für das Hochschulwesen und damit auch die Besetzung der Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. zuständige Minister der Justiz, des Kultus und Unterrichts; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  321. 5  Marianne Schnitger hielt sich im nordhessischen Altmorschen auf, um bei Clara Rohnert, der Frau des dortigen Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung zu lernen. 6  Ein entsprechender Brief ist nicht nachgewiesen.

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Hast Du wohl über ein Geschenk für Rohnert’s7 nachgedacht? We­ nigstens so ungefähr, welcher Art es sein könnte? Ich bin mir darüber nicht im Klaren. Sehr gefreut hat mich, was Du über Dr Göhre schreibst. So viel ich weiß, ist er über das Vorgefallene nicht unterrichtet.8 Ich werde Göhre, der in Juist ist und nichts von sich hören läßt, doch nächstens davon erzählen. Aus Heidelberg hatte ich einen Brief meiner Mutter, der den Wunsch ausspricht, falls Freiburg wird, die Wohnung dort mit auszusuchen und dann mit Wina9 und Dir in Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe oder Mainz Möbel zu besorgen. Also kommt die Sache vielleicht darauf hinaus, – und ich werde ihr das vorschlagen, – daß Du am 2ten etwa nach Heidel­ berg gehst – Deine Sachen kannst Du ja vielleicht packen und in Alt­ m[orschen] stehen lassen, nur das Nötigste mitnehmen, Wina u. ich später, wenn Freiburg sicher werden sollte, nachkommen, – am 4ten oder 5ten etwa. Aber – leider – kann sich ja Alles noch verschieben. – Möglich ist auch, daß sie sich hier mehr beeilen und mich zum Professor machen, was ja schon lange schwebt. Ich weiß nicht, wie die Sache damit liegt. Hoffentlich dauert der Schwebezustand nicht mehr allzu lange. – Gestern war ich bei „Tante“ Tiede10 zu Tisch, die Dich sehr grüßen läßt, und traf dort eine Schülerin von Adolf Meyer,11 Frl. Dohn oder Döhn, ich weiß nicht, ob Du sie einmal kennen gelernt hast. Sie rekla­ mierte Deine Torte,12 von wegen der „Beförderung“ zur Braut, Na­ mens des Ateliers. – Alfred wird am 27ten nach Heidelberg kommen; und von dort wohl Ende der Woche oder am Sonntag hier wieder ein­ treffen. Dann habe ich also wieder Gesellschaft. Sonst ist es jetzt hier sehr still, von den Bekannten wagt sich keiner hierher und auch der Donnerstag Abend13 ist stark zusammengeschmolzen. Die Stille thut

7  Clara und Ernst Rohnert, vgl. oben, S.  4 35, Anm.  5. 8 Max Weber vermutet, daß Rudolph Göhre, der Tierarzt in Rotenburg a.d. Fulda war, nichts von dem mißglückten Heiratsantrag wußte, den sein Bruder Paul Göhre im Januar 1893 Marianne Schnitger hatte machen wollen. 9 Alwine (Wina) Müller ersetzte bei den Hochzeitsvorbereitungen Marianne Schnitgers frühverstorbene Mutter Anna, ihre Schwester. 10  Helene Tiede, eine Freundin von Helene Weber und Patentante von Alfred Weber. 11  Der Porträtmaler Adolf Meyer hatte auch Marianne Schnitger Malunterricht gegeben. 12  Vermutlich eine von Marianne Schnitger aus Altmorschen geschickte kulinarische Arbeitsprobe. 13  Zu der Runde um Max und Alfred Weber, die sich wöchentlich am Donnerstag traf, vgl. die Einleitung, oben, S.  21–24.

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aber doch auch recht gut, namentlich wenn nachher etwa eine ziem­ liche Hetzerei losgehen soll, denn für Freiburg müßte ich in den Ferien 2 Collegien von je 4 Stunden auf unbekanntem Terrain ausarbeiten. Weiß der Himmel, wie es gehen soll. Erhole Du Dich nur recht mein Herz, über die Nase hast Du keine Auskunft gegeben.14 Herzlich küßt Dich bis auf Weiteres Dein Max

14  Anspielung auf Marianne Schnitgers Schnupfen.

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25. Juli 1893

Marianne Schnitger 25. Juli [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt (der möglichen Berufung Max Webers nach Freiburg i. Br. und der bevorstehenden Hochzeit mit Marianne Schnitger am 20. September 1893 in Oerlinghausen) erschlossen.

Charl. 25. VII. Liebstes Mariannchen, vielen Dank für Deinen Brief. Ich bin jetzt wieder ein miserabler Cor­ respondent, heut habe ich eben 6 rückständige Briefe abgemacht.1 Nun kommt nach der Arbeit das Vergnügen. Aus Freiburg weiß ich nichts. Der Minister2 ist noch nicht zurück. Sicher ist die Sache keineswegs, zumal sie dort und in Heidelberg aus­ geplaudert worden ist3 und nun leicht andre Einflüsse dazwischen kommen können. Wahrscheinlich bleibt sie aber. Mich regt sie weiter nicht besonders auf, es ist nur lästig, daß wir noch immer keine Pläne machen können. Mach Du nun mit meiner Mutter ab, ob Du hinreisen sollst,4 das kann ja doch in jedem Fall geschehen; ob ich dann auch komme, hängt vom Verlauf der Sache ab. – Sonntag Abend war Adolf Meyer (allein, Frau war verhindert) 5 hier einige Stunden ganz behaglich. Ich habe ihn und sie |:zur Hochzeit:| eingeladen, er will, wenn irgend möglich [,] kommen, es ihr aber, da noch Manches dazwischen kommen kann, noch nicht sagen. Eventuell ist auch mein Freund Höniger nebst Frau6 zu kommen bereit. Das sind

1  Nachgewiesen ist lediglich der Brief an Lili Weber vom 25. Juli 1893, in dem Max Weber seiner jüngsten Schwester zum Geburtstag am 26. Juli gratulierte (unten, S.  440 mit Anm.  1). 2  Wilhelm Nokk, der für das Hochschulwesen und damit auch die Besetzung der Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. zuständige Minister der Justiz, des Kultus und Unterrichts; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  321. 3  Die Hintergründe sind nicht geklärt. Max Weber kommt im Brief an Marianne Schnitger vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 41, sowie an Helene Weber vom selben Tag, unten, S.  4 42, nochmals darauf zu sprechen. 4  Helene Weber verbrachte den Sommer in Heidelberg. 5 Der Porträtmaler Adolf Meyer, bei dem Marianne Schnitger Malunterricht genommen hatte. Der Name seiner Frau konnte nicht ermittelt werden. 6  Robert und Anna Gertrud Hoeniger.

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schon 4 Personen. Meinst Du denn, daß im Kruge7 in Oerlinghausen viele Leute unterkommen können? Und wieviele wohl? Sonst lade ich einen Hümpel8 ein, der nachher schon überzählig ist. Wilhelm Be­ necke lud ich jedenfalls ein. Thu Du das Gleiche mit Dora.9 Emmys10 Brief freute mich sehr herzlich. Ich schreibe morgen der Tante.11 – So hat sich nun doch Alles so gelöst, wie ich es mir immer als Ideal gedacht hatte. Von Göhre12 keine Nachrichten, ich denke er ruht sich gründlich aus [.] Jetzt geht das Semester und die Studenten auf die Neige. Freitag über 8 Tage, – 1–4ten – schließe ich spätestens. Hoffentlich weiß ich bis da­ hin, ob ich nach Heidelberg fahre oder nicht; – zweckloser Weise möch­ te ich es auch nicht thun. An Wina telegraphiere ich eventuell.13 – Weiß der Kuckucka, wie das Arrangement getroffen werden soll, wenn die Entscheidung, was möglich, wenngleich nicht wahrscheinlich ist, sich noch weiter verzögert. Das ist das Lästige an solchen Geschichten, aber es läßt sich nicht ändern. Herzlichen Kuß Dein Max Empfiehl mich doch bitte nach jedem Brief auch Obf’s14 bestens! Dei­ ne Kenntnisse imponieren mir schonb unbekannter- und unerprobter­ maßen gewaltig. Morgen ist Lilis Geburtstag, Alfreds am 30ten.15 Er wird dann wohl noch in Heidelberg sein, denke ich. Von dort sonst nichts Neues.

a O: Kuckuk  b  Unsichere Lesung.   7  Gemeint ist der Gasthof „Rollkrug“. 8  Norddt. für: große Menge, Haufen. 9  Dorothea (Dora) Benecke. 10  Emmy Baumgarten. 11  Der angekündigte Brief an Ida Baumgarten ist nicht nachgewiesen. 12  Paul Göhre war zur Erholung auf der Insel Juist. 13  Ein Telegramm an Alwine (Wina) Müller – vermutlich ging es um die Beschaffung von Marianne Schnitgers Aussteuer – ist nicht nachgewiesen. 14  Marianne Schnitger hielt sich im nordhessischen Altmorschen auf, um bei Clara Rohnert, der Frau des dortigen Oberförsters Ernst Rohnert, Kochen und Haushaltsführung zu lernen. 15  Lili und Alfred Weber feierten ihren 13. bzw. 25. Geburtstag.

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Lili Weber 25. Juli 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  26, Bl. 3–3a

Charlottenburg 25. VII. 93 Liebe Lili, zwar einen so ellenlangen Brief kann ich Dir nicht schreiben, wie ich nämlich einen von Dir bekam, aber da Du mir am Schluß, wenn ich nicht irre, einen Kuß geschickt hast, so muß ich Dir doch zu Deinem Geburtstag1 einen wieder schicken. – Was ich Dir nun aber außerdem noch schenke, das verrathe ich nicht und schicke es Dir auch nicht, denn es ist sehr zerbrechlich und könnte entzwei gehen, Du findest es dann, wenn Du wiederkommst, an der Wand Deines Salons oben. – Viel erzählt hast Du mir in Deinem Brief aber eigentlich nicht, liebe Lili, und ich hätte doch gern allerlei gewußt, wie es Euch und den And­ ren dort geht und was Ihr macht. – Sage doch bitte der Mama, Herr Prof. Dilthey habe mich schon ein­ mal und jetzt wieder gebeten, sie möge doch so freundlich sein und seiner Frau die allgemeine Natur von Frl. Fournier’s Pension, nament­ lich [,] was und wie dort von „gesellschaftl[icher] Form“ und so weiter beigebracht wird, schreiben, – ihrer Tochter wegen, die vielleicht, wenn noch Platz ist, hin soll.2 Vergiß es aber nicht. Vielleicht könnte ja auch Clara es ihr schreiben. – Nun adieu, laß Dir es im neuen Jahr gut gehen und vergiß nicht Deinen alten Bruder Max An Mama schreibe ich morgen.3

1  Max Weber gratulierte seiner jüngsten Schwester Lili zum 13. Geburtstag am 26. Juli, den sie mit ihrer Mutter Helene und ihren Geschwistern Clara und Arthur in Heidelberg verbrachte. 2  Wilhelm und Katharina Dilthey interessierten sich für das von Julie Davida Fournier geleitete Mädchenpensionat im schweizerischen Vevey, das Clara Weber von November 1892 bis März 1893 besucht hatte. Sie wollten gegebenenfalls ihre Tochter Clara dort anmelden. 3  Vgl. den Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 42–444.

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26. Juli 1893

Marianne Schnitger 26. Juli [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt erschlossen: der bevorstehenden Heirat mit Marianne Schnitger und der möglichen Berufung Max Webers nach Freiburg i. Br.

Charl, 26. VII. Liebes Herz,

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nur ein paara Worte zur Begleitung von Emmy’s1 anliegendem Brief, mit welchem ich auch den an Dich gerichteten, den ich gestern vergaß, zurückschicke. Nun ist auch die letzte Scheidewand gefallen, die noch immer zwischen der Gegenwart und Vergangenheit stand und Alles nach rück- und vorwärts liegt klar. Jetzt haben wir nur noch die Zu­ kunft. – Meine Mutter schrieb, daß sie Dir abgeschrieben habe.2 In der That haben die Heidelberger Klatschbasen, denen ich gern einen Tritt irgend wohin versetzte, die Sache ernstlich zweifelhaft gemacht.3 Wahrscheinlich ist sie nach meinen Nachrichten noch immer. Ich habe ihr geschrie­ ben, sie möge doch jedenfalls so lange wie möglich dort bleiben, da­ mit [,] wenn die Sache doch würde [,] ich sie noch anträfe. Aber ich muß es ihr überlassen und da mein Vater einmal wieder entgegengesetzten Launen nachgiebt, so ist in der That besser Du fährst nicht hin. Sonst kann man aber nichts thun als abwarten, so lästig grade das in unsrer Lage ist. Länger als bis zum Ferienanfang habe ich mich für Freiburg nicht gebunden und habe ich auch nicht die Absicht zu warten. Ich bin jetzt begierig, was aus uns wird. Nun, wie es auch gehe, es wird gut. Lebwohl mein Kind und schreib bald Deinem Max a O: par   1  Emmy Baumgarten, der Max Weber seit seiner Anfang 1887 in Straßburg absolvierten Offiziersübung innig verbunden gewesen war; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, oben, S.  3 03 f. mit Anm.  2. 2  Marianne Schnitger wollte aus dem nordhessischen Altmorschen, wo sie bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung lernte, zu Helene Weber nach Heidelberg reisen; vgl. den Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 42. 3  Es handelt sich um eine Anspielung auf die bereits erwähnten Indiskretionen in Bezug auf die mögliche Berufung Max Webers auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br.; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 25. Juli 1893, oben, S.  4 38.

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Helene Weber 26. Juli [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 159–160 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt (der möglichen Berufung Max Webers nach Freiburg i. Br.) erschlossen.

Charlottenbg 26. VII. Liebe Mutter, die Geschichte mit Freiburg ist durch die Klatscherei in der That er­ heblich unsicherer geworden,1 obwohl die Wahrscheinlichkeit noch im­ mera größer ist als das Gegenteil und die Fakultät, die Schulze-Gäv[er­ nitz] 2 keinesfalls als Ordinarius haben möchte, nach wie vor sehr rüh­ rig zu sein und den Cultusminister3 mit Briefen zu bearbeiten scheint. Nun, komme die Sache wie sie wolle, ich kann jetzt nichts thun als war­ ten. Leid täte es mir, wenn ich an die doch relativ öde Juristerei ge­ schmiedet bliebe.4 – Aber willst Du nicht jedenfalls so lange bleiben, 5 wie möglich und nicht nur bis zum 1ten. Nokk muß dieser Tage vom Urlaub kommen, dann wird die Sache wahrscheinlich sofort entschie­ den, denn ich habe mich nur bis zum Schluß des Semesters gebunden. Wenn – was Marcks |:bisher:| für wahrscheinlich erachtet – doch etwas daraus wird, so wäre es doch nett und auch gut, wenn ich Dich noch anträfe, denn ich führe dann selbstverständlich sofort hin. Es ist recht unangenehm, daß diese Ungewißheit so lange besteht. Wäre Nokk gleich dagewesen, so wäre ich, scheint es, alsbald berufen worden. a  〈[??]〉   1  Zu der möglichen Berufung Max Webers auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. und den Begleitumständen vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320– 323. 2  Gerhart von Schulze-Gaevernitz war seit kurzem Extraordinarius für Nationalökonomie an der Universität Freiburg i. Br. 3  Wilhelm Nokk, der für das Hochschulwesen und damit auch die Besetzung der ordentlichen Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. zuständige Minister der Justiz, des Kultus und Unterrichts. 4 Max Weber war von Friedrich Althoff, dem im preußischen Kultusministerium für die Hochschulangelegenheiten zuständigen Dezernenten, eine außerordentliche (etatmäßige) Professur für Handelsrecht an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin in Aussicht gestellt worden. 5  Helene Weber verbrachte den Sommer in Heidelberg.

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Was ev. hier wird, weiß ich nicht. Eck6 habe ich, nach Versprechen zu schweigen, gesagt, wie die Sache steht. Er hält es für eine bloße Bum­ melei von Althoff, sagte mir aber: „man würde mir nicht verdenken, wenn ich fortginge“, was ich verstehe: es wäre der Fak[ultät] nicht un­ bequem, wenn es geschähe. Sie haben Anciennitäts- etc. Bedenken. Ich werde mich jedenfalls als Anwalt eintragen lassen,7 denn diese gan­ ze Wirtschaft, wobei zu meinen Gunsten im Wesentl[ichen] die Angst vor Laband’s Berufung8 mitspielt, ist zu widerlich. Was Althoff anlangt, so steht fest, daß von ihm (oder was dasselbe ist, Schmoller) 9 in Freiburg u. Karlsruhe gegen mich geltend gemacht ist, ich würde, da mir eine „großartige“ juristische Carriere in Preußen bevorstehe, Fr[eiburg] doch nur als „Sprungbrett“ benutzen, es lohne sich also mit mir nicht. Ich schreibe Clara auf ihren netten Brief nächster Tage;10 sie fragt nach Mariannes Geburtstag: er ist am 2ten (nicht 4ten). Die Studenten beginnen schon wieder bedenklich dünn zu werden, bis jetzt war der Besuch leidlich, aber die Aufmerksamkeit gering, ich bin mit meinen Lehr-Erfolgen und -Talenten keineswegs zufrieden. Nun vielleicht bessert’s die Ehe (?). Von Marianne kommen jetzt im­

6  Der Jurist Ernst Eck war zur Zeit von Max Webers Dissertation Dekan der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und außerdem Gutachter von Max Webers romanistischer Exegese. 7  Es ist davon auszugehen, daß Max Weber seinen Vorsatz nicht in die Tat umgesetzt hat, da sein Name bis Jahresende 1893 nicht unter den regelmäßig im „Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger“ veröffentlichten Neuaufnahmen in die Anwaltsliste verzeichnet ist; ebensowenig in: Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1896. – Berlin: Decker 1895, S.  296 f. 8  Es handelt sich vermutlich um Friedrich Althoffs Bemühen, Paul Laband, der Ordinarius für Staatsrecht an der Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg war, an das preußische Oberverwaltungsgericht – verbunden mit einem Lehrdeputat als Honorarprofessor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin – zu berufen; vgl. Laband, Paul, Lebenserinnerungen, in: ders., Abhandlungen, Beiträge, Reden und Rezensionen (Opuscula Juridica, Band 1). – Leipzig: Zentralantiquariat der DDR 1980, S.  1–112, hier S.  9 6–99, darin allerdings auf die Zeit nach den „Osterferien 1894“ datiert. Bereits 1883 hatte Laband gegenüber Althoff seinen Wunsch signalisiert, „an eine große Universität der alten deutschen Lande zurückzukehren“; vgl. Schlüter, Bernd, Reichswissenschaft. Staatsrechtslehre, Staatstheorie und Wissenschaftspolitik im Deutschen Kaiserreich am Beispiel der Reichsuniversität Straßburg (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Band 168). – Frankfurt am Main: Klostermann 2004, S.  154 f. mit Anm.  249. 9  Gustav Schmoller setzte sich möglicherweise für die Berufung des Rostocker Nationalökonomen Wilhelm Stieda ein; vgl. den Brief an Gustav Schmoller vom 25. Okt. 1893, unten, S.  479 f. 10  Vgl. den Brief an Clara Weber vom 27. Juli 1893, unten, S.  4 45 f.

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mer recht vergnügte Nachrichten,11 die auch auf (im Allgemeinen) kör­ perliches Wohlbefinden schließen lassen. Mit herzlichem Gruß an Alle und – vielleicht doch noch in Heidel­ berg auf Wiedersehen. Dein Sohn Max

11  Marianne Schnitger, die am 2. August ihren 23. Geburtstag feierte, lernte vor der Heirat bei Clara Rohnert im nordhessischen Altmorschen Kochen und Haushaltsführung.

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Clara Weber 27. Juli [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 32–33 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt (der möglichen Berufung Max Webers nach Freiburg i. Br.) erschlossen.

Charl. 27. VII. Liebes Clärchen,

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ich danke Dir vielmals für Deinen netten Brief, ich dachte schon, Du vergäßest mich jetzt ganz. Also Du möchtest wirklich nicht gern, daß wir nach Freiburg gingen?1 Das ist ja auch sehr schade, daß wir dann nicht mehr so viel zusammenkommen, aber hoffentlich schreiben wir uns dann um so öfter, und Ostern müßte ich ja doch nach Berlin (Posen-Schrimm!) 2 u. brächte Marianne mit, wenns zu machen ist, und im Sommer kämst Du dann statt nach Heidelberg ein paara Monate zu uns nach Freiburg und sonst auch so oft Du Lust hättest, – das Reise­ geld für Dich würde ich dann schon an den Colleggeldern ersparen. Aber laß nur, es wird wohl nichts werden. Die Sache ist zu sehr ver­ tratscht.3 Erzähle den Eltern doch, daß ich heute Morgen eine Vorladung des Herrn Althoff erhielt. Ich gehe aber erst übermorgen hin, – wer weiß, was das alte Scheusal mir zu sagen hat, ich glaube kaum viel Neues. Ich habe sofort nach Freiburg telegraphiert um Nachricht,4 bis wann die Entscheidung möglich sei [,] und dem Bemerken, daß ichb eventuell mir von hier Bedenkzeit ausbitten würde. Denn wenn aus der Sache mit der Berufung etwas wird, gehe ich sicher hin. Herr Geh. Rath Eck, den ich zur Rede stellte5 – kannst Du ihnen weiter erzählen – hat mir gea O: par  b  〈, wenn möglich〉   1  Max Weber erwartete einen Ruf auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br.; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 2  Standort des 2. Niederschlesischen Infanterieregiments Nr.  47. Max Weber leistete dort vom 1. März bis 21. April 1894 eine Militärübung ab; vgl. unten, S.  490. 3  Anspielung auf Indiskretionen in Bezug auf die mögliche Berufung Max Webers nach Freiburg; vgl. die Briefe an Marianne Schnitger vom 25. und 26. Juli sowie an Helene Weber vom 26. Juli 1893, oben, S.  4 38, 441 und 442. 4  Ein entsprechendes Telegramm ist nicht nachgewiesen. 5  Zu Max Webers Gespräch mit dem Juristen Ernst Eck vgl. den Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, oben, S.  4 43.

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sagt, daß die Fakultät hier einstimmig damit einverstanden sei, daß ich hier Professor werde, – sie wollten mich aber nicht vorschlagen, son­ dern warten, daß es das Ministerium thut, damit sie den älteren Privat­ dozenten (Biermann6 etc.) sagen könnten, sie könnten nichts dafür. Mariannes Geburtstag ist also am 2ten. Ich bin noch auf der Um­ schau, was ich ihr schenken soll. Wärst Du jetzt hier, könnten wir zu­ sammen etwas aussuchen. Kleider kann ich als Bräutigam ihr doch un­ möglich schenken, das thut doch nur der Ehemann, – Schmuck wäre an sich, nachdem ich durch Dich darin etwas Übung habe, mir das Natür­ lichste, – aber mir schwebt immer vor, als müßte ich irgend etwas Reel­ leres nehmen. Nun, wir wollen sehen, – nachdem ich Sonnabend Herrn Althoff genossen habe, werde ich einmal wieder eine Wanderung an­ treten. Schade [,] daß Du nicht da bist, dann müßte ich doch Droschke 1. Güte fahren, so gehe ich zu Fuß. Hat Mama Frau Dilthey7 geschrieben? Ich hätte ja vielleicht ihr sagen lassen können, sie möge sich direkt an sie wenden, habe es nun aber einmal nicht gethan und bitte sie um die ja nicht sehr große Mühe. Oder kannst Du es thun? Sie will nur wissen, welche gesellschaftlichen Talente und wie sie gepflegt bzw. anerzogen werden. Das mußt Du ja wissen, denn Du bist ja eine solche ausgelernte Gesellschaftsdame (?). Schreib mir bald wieder, liebe Katze, ich muß jetzt noch an Mariannchen schreiben8 und bleibe deshalb mit schön­ stem Gruß und Kuß Dein Max

6  Johannes Biermann war seit dem Sommerhalbjahr 1890 Privatdozent an der FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin. 7  Katharina Dilthey, die Frau des Berliner Professors für Philosophie und Ästhetik Wilhelm Dilthey, hatte sich nach dem Schweizer Pensionat erkundigt, das Clara Weber von November 1892 bis März 1893 besucht hatte; vgl. den Brief an Lili Weber vom 25. Juli 1893, oben, S.  4 40. 8  Vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 26. Juli 1893, unten, S.  4 47.

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Marianne Schnitger 27. Juli [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt (der möglichen Berufung Max Webers nach Freiburg i. Br.) erschlossen. Vgl. auch die Ankündigung im Brief an Clara Weber vom selben Tag (oben, S.  4 46).

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heut nur ein paara Zeilen, um Dir schnell zu danken für Deinen lieben Brief. Ich erhielt eine Citation zu dem Schnösel von Geh. Rath Althoff hier, gehe aber erst Sonnabend hin, habe nach Freiburg telegraphiert um Entscheidung.1 Bis dahin muß also klar sein, was wird bzw. ob jetzt etwas aus uns wird. Sonst bleiben wir eben ganz gewöhnliche Dr.’s, – nicht? Meine Mutter will Dich scheints nicht in Heidelberg haben, – ich schrieb es wohl schon.2 Wird aber Freiburg, dann ist die Sache doch wieder anders. An Wina schreibe ich dann.3 Ich muß jedenfalls dann hin. Für jetzt adieu! Dies ist doch deutlich geschrieben?4 Wünschst Du es immer so? Herzlich küßt und umarmt Dich Dein Max Sonnabend mehr!

a O: par   1 Zur Vorladung von Friedrich Althoff, dem für die preußischen Hochschulangelegenheiten zuständigen Dezernenten, und zu Max Webers Telegramm an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. vgl. den Brief an Clara Weber vom 27. Juli 1893, oben, S.  4 45 mit Anm.  4. 2  Vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 26. Juli 1893, oben, S.  4 41. 3  Der angekündigte Brief an Alwine (Wina) Müller – vermutlich ging es um die Beschaffung von Marianne Schnitgers Aussteuer – ist nicht nachgewiesen. 4  Vermutlich ironisch gemeint, denn der Brief ist sehr schwer zu entziffern.

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Marianne Schnitger 30. Juli [1893]; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus dem Briefinhalt (der Weltausstellung in Chicago 1893 und der möglichen Berufung Max Webers nach Freiburg i. Br.) erschlossen.

Charl. 30/VII Liebes Herz Dein Brief eben mahnt mich an meine gestern unbeglichen gebliebene Schuld. Daß ich nicht gleich schrieb, kam daher, daß ich mich laut Ver­ abredung mit Alfred in der Stadt zum Essen traf und dann dort bis spät in den Abend mit nach Chicago1 reisenden Freunden zusammen blieb. – Übrigens war auch nichts zu berichten. Herr Althoff hat mich nur vertrösten wollen: „jetzt im Moment ginge die Sache hier nicht“ etc.2 und ich habe deshalb nach Freiburg telegra­ phiert, daß ich unbedingt bereit sei hinzukommen, falls sie mich berie­ fen.3 Ich glaube aber jetzt nicht, daß aus der Sache noch etwas wird, die Sache ist da herumgeklatschta worden und da machen sich allerhand Einflüsse, u.A. auch der des Großherzogs4 (vielleicht) zu meinen Un­ gunsten und zu Gunsten des ev. benachteiligten Herrn v. SchulzeGävernitz5 geltend. – Nun, wir müssen uns eben darüber trösten. –

a  Alternative Lesung: herumgetratscht   1  In Chicago fand bis zum 31. Oktober 1893 die Weltausstellung statt. Max Weber hatte zunächst geplant, zusammen mit Paul Göhre dorthin zu reisen. 2 Max Weber hatte Friedrich Althoff auf dessen Aufforderung am 29. Juli 1893 aufgesucht; vgl. den Brief an Clara Weber vom 27. Juli 1893, oben, S.  4 45. 3  Der Inhalt dieses Telegramms ist durch einen Bericht von Erich Marcks in der 13. Sitzung der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. am 31. Juli 1893 überliefert (UA Freiburg i. Br., B 38/19, Bl. 241): „Marcks theilt ein Telegramm des Dr. Max Weber – Berlin mit, nach welchem derselbe in Berlin sich zu nichts verpflichtet hat und bereit ist, einem Ruf hierher alsbald Folge zu leisten.“ 4  Friedrich I. von Baden. 5 Gerhart von Schulze-Gaevernitz, den Max Weber aus der Heidelberger Studentenzeit kannte, war seit kurzem Extraordinarius für Nationalökonomie an der Universität Freiburg i. Br. Eine Berufung Max Webers auf den dortigen Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft berührte damit die Frage der Anciennität; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  322.

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Alfred wird Dir höchst wahrscheinlich noch schreiben ehe Du her­ kommst, er ist recht wohl und vergnügt wieder hier angelangt und wir freuen uns Alle sehr auf das bevorstehende nette Beisammensein. Also am 2ten wollt Ihr kommen.6 Nun gut, es paßt ja ganz nett; ich habe nur noch einmal, am 4ten, Colleg zu lesen.7 Hoffentlich bessert sich das Wetter entsprechend, damit man doch nicht nur jetzt ans Zim­ mer gefesselt ist sondern von der Ausstellung etc. etwas haben kann. Wir wollen dann auch gleich für Obf.’s etwas aussuchen, 8 ich habe bis­ her nichts gefunden. Ich erfahre doch noch die Stunde Eures Kom­ mens? – Ich schreibe Dir morgen denke ich noch einmal,9 nun kommt ja wie­ der eine Zeit [,] wo man das Correspondieren bequemer hat. Von Herzen Dein Max

6  Helene Weber kehrte aus Heidelberg zurück und Marianne Schnitger aus dem nord­ hessischen Altmorschen, wo sie bei Clara Rohnert Kochen und Haushaltsführung gelernt hatte. 7  Im Brief an Marianne Schnitger vom 6. Juli 1893, oben, S.  420, hatte Max Weber darum gebeten, daß sie und seine Mutter erst nach Abschluß seiner Lehrverpflichtungen aus Altmorschen bzw. aus Heidelberg nach Charlottenburg zurückkehrten. Am Freitag, den 4. August 1893, hielt er die letzte Kollegstunde über „Handels- und Seerecht“ ab; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1893, S.  8, ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53. Das Semester endete formal am 15. August 1893. 8  Es handelt sich um ein Geschenk für Clara und Ernst Rohnert, den Oberförster von Altmorschen; vgl. oben, Anm.  6. 9  Ein Schreiben an Marianne Schnitger vom 31. Juli 1893 ist nicht nachgewiesen.

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5. August 1893

Friedrich Althoff 5. August 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Friedrich Theodor Althoff, Nr.  1005, Bl.  34–35 Zu Max Webers Ernennung zum Extraordinarius der Jurisprudenz in Berlin und dem erneuten Treffen mit Friedrich Althoff am 5. August 1893 sowie seiner Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323.

Charlottenburg Leibnizstr. 19 5. VIII. 93 Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich, Ihrem Wunsche gemäß den Inhalt der heutigen Be­ sprechung, gemäß der schriftlichen Formulierung dahin sehr ergebenst zu bestätigen, daß 1. Ew. Hochwohlgeboren in Aussicht stellten, daß „falls Herr G. J. R. Dr Goldschmidt auch im Wintersemester seine Vorlesungen nicht hält,1 von Seiten des hohen Ministeriums eine Anfrage an die Fakultät ergehen werde wegen meiner Beförderung zum Extraordinarius und ich dann bei günstiger Antwort zum Extraordinarius mit einer ange­ messenen Remuneration, so lange mir nicht ein Gehalt gewährt wer­ den könne und mit der Verpflichtung zur Aushilfe in verschiedenen Fächern ernannt werden solle,“ und daß 2, „ich auf die Freiburger Berufungsanfrage verneinend antworten werde.“2 In Gemäßheit der letzten Verpflichtung habe ich alsbald an die Frei­ burger Fakultät mit der Bitte um sofortige Bekanntgabe an den Herren

1  Levin Goldschmidt, der 1892 einen Schlaganfall erlitten hatte und seither von Max Weber vertreten wurde, hielt auch im Wintersemester 1893/94 keine Lehrveranstaltungen ab. 2  In seiner Antwort vom 6. August 1893 bemerkte Friedrich Althoff dazu: „Zu unserer gestrigen Unterredung erlaube ich mir noch nachzutragen, daß Sie an den Inhalt 2 der von mir aufgenommenen Notiz nicht gebunden sein sollen. Ich wünsche Ihnen vielmehr in Bezug auf Freiburg vollständig freie Hand zu lassen und bitte Sie also, in dieser Beziehung Ihre Entschließungen ganz nach Ihrem eigenen Ermessen zu treffen. Dagegen bleibt die Aussicht, die ich Ihnen unter 1 der Notiz gemacht habe, in jedem Falle bestehen.“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Friedrich Theodor Althoff, Nr.  1005, Bl. 36–37.)

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Ministerialdezernenten geschrieben, 3 daß ich bitte, eine Berufung nicht an mich gelangen zu lassen, da ich jedenfalls solange zu einer Ablehnung derselben genötigt sei, als nicht feststehe, daß Herr G. J. R. Goldschmidt im Wintersemester lesen werde. Sollte etwa, – was m. E. völlig ausgeschlossen ist, – jetzt bereits eine Berufung an mich unter­ wegs gewesen sein, so würde ich allerdings genötigt sein, sie anzuneh­ men, da ich, wie ich Ew. Hochwohlgeboren mitzuteilen mir gestattete, mich, als die Möglichkeit, daß ein Bedürfnis mich zu verwenden hier bestände, ausgeschlossen schien, brieflich ausdrücklich verpflichtet hatte, einen etwaigen Ruf anzunehmen,4 – eine Verpflichtung, die für die Zukunft nunmehr erledigt ist. Mit angelegentlichsten Empfehlungen und in ausgezeichneter Hochachtung verbleibe ich Ew. Hochwohlgeboren sehr ergebenster Dr Max Weber Privatdozent

3  Ein diesbezüglicher Brief Max Webers an die Freiburger Fakultät ist nicht nachgewiesen. 4  Weder die (vermutlich mündliche) Mitteilung an Friedrich Althoff noch die briefliche Verpflichtungserklärung gegenüber der Freiburger Philosophischen Fakultät sind nachgewiesen.

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2. September 1893

Emmy Baumgarten 2. September 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Eduard Baumgarten, Deponat BSB München, Ana 446

Charlottenburg, 2/9 1893 Meine liebe Emmy, längst hätte ich Deinen lieben, mich so tief bewegenden Brief beant­ wortet, hätte ich nicht bis vor Kurzem noch die Hoffnung gehabt, Dir persönlich für all das Liebe zu danken, was Du mir gesagt hast. Das muß ich nun bis auf die Hochzeitsreise aufschieben und deshalb schrei­ be ich Dir. Du kennst ja die Vergangenheit nun und weißt, weshalb es mir unmöglich gewesen wäre, nicht offen mit Dir über Alles mich aus­ gesprochen zu haben, bevor ich meiner neuen Aufgabe entgegengehe. Der Glaube, weder jemals aeiner Fraua angehören zu können noch be­ fähigt zu sein, einem Mädchen nahe zu kommen, war, Du weißt es, die Folge meines langjährigen ungelösten Zweifels darüber, wie Du zu mir gestanden habest und ständest und ich wäre über diese tiefe Resigna­ tion niemals hinausgekommen ohne Gewißheit über unser Verhältnis. Jetzt liegt die Vergangenheit klar vor uns, ich erkenne alle die Illu­sio­ nen, die ich mir gemacht, die Fehler[,] die ich begangen und meine Ver­ antwortung, und doch glaube ich fast, wir würden beide diese Ver­ gangenheit ungern nicht hinter uns haben, – ich möchte sie um keinen Preis der Welt aus meiner Erinnerung auslöschen, denn ich habe an ihr erkannt, daß es Empfindungen giebt, die sich wandeln, aber niemals im Leben rosten und verderben. Nächst dem Bilde meiner Mutter ist es das Deinige in den vergangenen oft öden und fast immer aussichtslosen Jahren gewesen, welches mir dasjenige Maß von Kraft zum Guten gab, welches ich |:besaß und:| mir erhalten habe, und ich danke es deshalb auch Dir, wenn ich mich jetzt stark genug fühle, um das große Maß von Verantwortung auf mich zu nehmen, welches in dem Bund mit einer Frau, die mir ihr Lebensglück anvertraut, für mich liegt. – Mit herz­ licher Freude sehen meine künftige Frau und ich dem Wiedersehen mit Dir entgegen. – Nun aber hast Du uns, und Anna1 mit Dir, noch durch ein Geschenk erfreut, und wenn ich mich auch fast schäme, daß ich die a–a  einem Mädchen > einer Frau   1  Emmy Baumgartens Schwester Anna.

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Veranlassung zu der großen Mühe, die dieses reizende Tablett Euch gemacht haben muß, war, so nehme ich es doch mit der herzlichsten Freude und vielem Dank an Euch liebe Schwestern, die Ihr mir gewor­ den seid, an und werde Euer dabei denken. Deiner Mutter danke ich nächster Tage selbst, 2 Anna sage Du bitte meinen herzlichsten brüder­ lichen Dank. Es ist mir eine große Freude gewesen, daß Otto,3 jetzt doch wohl ziemlich mein ältester Freund, bereit war, uns – in Oerlinghausen am 20. September – zu trauen. Die räumliche Trennung macht die Anlässe so viel seltener, uns unsre alte Freundschaft äußerlich zum Bewußtsein zu bringen, und überdies bedeutet mir nun einmal nicht jedes Predi­ gers Wort das, was mir das seinige stets war und bei diesem Anlaß in besondrem Maße sein wird. Marianne und ich werden Deiner und Euer aller an diesem Tage wohl mehr als irgend eines Andren Men­ schen gedenken. – Marianne hinterließ mir einen Brief an Dich, den ich beilege, sie ist jetzt nach Hause gereist,4 nachdem wir hier in den letzten Wochen uns­ re Ausstattung besorgt hatten. Es ist gut für alle Teile, daß diese ange­ strengte Zeit nun mit ihrer Zersplitterung vorbei ist. Nicht ganz unbesorgt sind wir um die Gesundheit meiner Mutter. Sie ist zwar frischer als vor einiger Zeit, aber es zeigen sich doch wieder diese Knoten, die wir erst für Blutstockungen hielten, die aber doch wohl auch nervöse Entzündungen als Folge von Überanstrengung be­ deuten. Wir hoffen sehr, daßb unser Vater einen Spezialisten zuzieht und das Notwendige, – wahrscheinlich Massage und ein Schwefelbad |:im Anschluß an die Hochzeit:|, – ihr aufgenötigt wird, denn sie selbst will natürlich von nichts wissen. – Wir wissen noch nicht, wohin wir reisen werden, denken aber jeden­ falls in der ersten Octoberwoche – etwa 3/4 – in Straßburg und dann – b  Unsichere Lesung: 〈unser〉   2  Ein Brief Max Webers an seine Tante Ida Baumgarten ist nicht nachgewiesen. 3  Emmys Bruder Otto Baumgarten war evangelischer Pfarrer und Extraordinarius für Praktische Theologie in Jena. 4  Die früh zur Halbwaise gewordene Marianne Schnitger war in Lemgo, wo sie bei ihrer Großmutter und ihren Tanten väterlicherseits aufgewachsen war, und in Oerlinghausen, wo ihre nächsten Verwandten mütterlicherseits – ihr Großvater Carl David Weber und ihre Tante Alwine (Wina) Müller – lebten, beheimatet. An beiden Orten hielt sie sich vor der am 20. September 1893 in Oerlinghausen stattfindenden Hochzeit mit Max Weber auf; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 2. Sept. 1893, unten, S.  4 55–457.

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etwa 6/7 – in Stuttgart zu sein. Am 9/10 etwa müssen wir spätestens wieder hier sein, da ich dann zunächst Evangelisch-Soziale Curse zu halten habe5 und dann das Semester anfängt. Aus meiner Berufung nach Freiburg, von der Ihr wohl gehört habt, wird für jetzt – leider! – wohl nichts werden.6 – Und nun leb wohl, Du kennst meine herzlichen Wünsche für Dich; – es ist mir noch nicht widerfahrenc, daß ich an einen Menschen mit einer so eignen Mischung schweren Verantwortlichkeitsgefühls und zu­ gleich Dankes und herzlicher Freude und Freundschaft gedacht habe, wie an Dich, mein Liebling, auf dessen Freundschaft ich so stolz gewe­ sen bin. |:Und das bleibt so, ich weiß es.:| Und wegen des „Sonn­ tagskleides“ sei unbesorgt, – auch mich kennt meine künftige Frau nur im Feiertagsgewande, trotz aller meiner Gegenanstrengungen. Mit herzlichem Gruß an Deine Mutter, Otto wenn er noch da ist und Anna in alter brüderlicher Liebe Dein Max

c O: wiederfahren   5 Im Rahmen der vom Evangelisch-sozialen Kongreß in Berlin veranstalteten Evangelisch-sozialen Kurse, die vom 10. bis 20. Oktober 1893 stattfanden, referierte Max Weber zwischen dem 16. und 20. Oktober acht Stunden zum Thema Agrarpolitik; vgl. Weber, Die Evangelisch-sozialen Kurse in Berlin im Herbst dieses Jahres, MWG I/4, S.  229–237, sowie ders., Landwirtschaft und Agrarpolitik, ebd., S.  254–271. 6 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  321 f.

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Marianne Schnitger 2. September 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 2/9 93 Liebes Herz,

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die Photographien sind zwar noch immer nicht da, – ich gehe ev. Mon­ tag hin und hole sie –, dennoch möchte ich Dir einen recht schönen Gruß schicken. Ich habe bisher an Weizsäcker1 und Purgold geschrieben, ob sie kommen können, an Sattler schreibe ich noch.2 Hast Du sonst noch Wünsche, so schreib sie mir bitte. Ich glaube, wir können kaum mehr einladen. Wina schrieb ich die Bitte, Hertha zunächst einmal zu fragen, ob sie wünsche, daß Anna Brautjungfer werde,3 – wenn nicht, so kommen wir ja ev. darum herum. Es geht doch wohl auch mit nur 2en? Nun noch eins. Das Wetter scheint erbärmlich kalt zu werden, ich fürchte fast, die Hebriden könnten schon eingefroren sein. Dann ist es ja auch etwas kurz 20ten Sept. bis spätestens 9/10 October, wenn auch Süddeutschland mit 5–6 Tagen in Frage kommen soll. Was meinst Du, wenn wir etwa nach Parisa führen, zurück über Straßburg? das liegt dann auf dem Wege.4 Mir thäte es nur leid, wenn Du nicht in die Natur, nach der Du Dich so sehnst kämst, aber vielleicht könnte es doch wirklich ungemütlich a  Längsstrich und Notiz von eigener Hand am Rand: Meine Mutter war auch eher dafür   1  Gemeint ist vermutlich der Jurist Hugo Weizsäcker oder dessen Bruder Heinrich, Direktor des Städelschen Museums in Frankfurt a. M. Beide waren Söhne des verstorbenen Berliner Historikers Julius Weizsäcker und gehörten auch zum Freundeskreis von Otto Baum­garten. Max Webers Brief ist nicht nachgewiesen. 2  Die Schreiben an Max Webers Freunde Wilhelm Purgold und Heinrich Sattler sind ebenfalls nicht nachgewiesen. 3  Der Brief an Alwine (Wina) Müller mit der Bitte zu sondieren, ob ihre Schwester Hertha Möller mit ihrer Tochter Anna als Brautjungfer bei der Hochzeit von Marianne Schnitger und Max Weber einverstanden sei, ist nicht nachgewiesen. 4  Zur Hochzeitsreise, die Max und Marianne Weber – im Anschluß an die Trauung in Oerlinghausen am 20. September 1893 – bis Anfang Oktober 1893 nach England und Paris führte, vgl. die Briefe an Helene Weber vom 27. oder 28. Sept. bis 2. Okt. 1893, unten, S.  467–474.

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kalt werden. Schreib mir jedenfalls, was Du denkst. An der Rivierab ist ja jetzt auchc nichts von nennenswerther Cholera, aber 1 Pärchen ne­ ben dem anderen, die reine Fabrik, ich kann mir nicht recht denken, daß das behaglich wäre. – Nun, was machst Du liebes Kind? Hat der Luftwechsel auch diesmal wieder Migräne zur Folge gehabt? Bitte grüße doch Deine Tanten5 herzlich und sage ihnen, daß ich mich sehr freue sie beide auf der Hoch­ zeit zu sehen. In Oerlinghausen wird nun wohl bald der T… los sein. Wir hätten doch vielleicht besser darauf bestehen sollen, daß die Hoch­ zeit klein und nur en famille gemacht würde. Wenn es auch Wina Spaß macht, so wird Dein Großvater6 doch den großen Klim-bim wahr­ scheinlich als groben Unfug empfinden. War denn Wina nun von der ganzen Berliner Sache befriedigt? Ich habe ihr noch geschrieben,7 sie möge sich doch auf nicht zu früh im October einrichten, eher erst von 8/9 ab, denn wenn sie kommt, hält es meine Mutter, falls sie wirklich ins Bad gehen sollte, wozu sie vielleicht breit zu schlagen ist, auch nicht länger dort aus. Vorläufig habe ich trotz des eifrigen Sprechens meines Vaters von diesem Plan noch keinen rechten Glauben an die wirkliche Ausführung.8 – Hier geht sonst Alles gut. Clara erzieht, seit Du fort bist, mit unge­ kanntem Eifer an mir, meiner Frisur, meiner Nase etc. herum. Sie ist gelegentlich noch immer etwas elegisch und meint, ich hätte sie auf dem Altare des Ehestandes geopfert. Nun das ändert sich. Lili liest mir eben ihren Aufsatz „Zerstören, verheeren, verwüsten, veröden“ vor zur Begutachtung, so daß der Brief über den elastisch formulierten Sentenzen nur holperig vorwärts kommt. Ich werde mor­ gen endlich mit dem Artikel fertig,9 es ist doch merkwürdig, was einen so eine Zeit arbeitsunlustig und dumm macht, es ist eine ganz nichtssa­ gende einfache Sache, die ich in einigen Tagen hätte absolvieren müs-

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b O: Rivièra  c  Alternative Lesung: noch   5  Marianne Schnitger war zu Besuch bei ihren Tanten Florentine (Flora) und Marie Schnitger in Lemgo. 6  Carl David Weber. 7  Alwine (Wina) Müller war Anfang August 1893 zur Besorgung von Marianne Schnitgers Aussteuer in Berlin gewesen. 8  Zu möglichen Maßnahmen, um Helene Webers angegriffene Gesundheit zu verbessern, vgl. den vorangehenden Brief an Emmy Baumgarten vom 2. Sept. 1893, oben, S.  4 53. 9  Es konnte nicht ermittelt werden, worauf sich Max Weber bezieht. Möglicherweise handelt es sich um einen Zeitungsbeitrag.

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sen, und wie lange habe ich daran geknackst. Nun, jetzt ist es ja bald zu Ende. Du fehlst mir mit Deinem spöttischen Gesicht hier gegenüber auch etwas. Vielleicht bin ich auch deshalb so dumm, denn: „|:bei:| einem Menschen dessen Herz verwüstet ist, kann keine höhere Regung keimen“ – bemerkte Lili soeben in ihrem Aufsatze. Nun bleib mir gesund, schlaf gut, bekomme zur Hochzeit keinen Schnupfen und behalte lieb Deinen Max

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Marianne Schnitger 5. September 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 5 IX 93 Liebes Herz, anbei die Photographien, – von beiden wird die obere am besten gefun­ den, untereinander die obere von den kleinen. Ferner anbei die verlorene Nadel, die im Hotel attrappiert worden ist. Nicht anbei der schwarze Kamma, der also futsch ist. Und das Rei­ sekleid wäre auch beinahe weg gewesen? Heut zu Clärchens Geburtstag kommt wieder ein ganzer WeiberCon ­fluxb hierher. Ich habe ihr die Cignani’sche Madonna1 aus den Uf­ fizien in Kohlendruck geschenkt, für Deinen Brief und Papier dankt sie schön, ebenso meine Mutter für den ihrigen. Daß Tante Flora nicht zur Hochzeit kommt, 2 ist wirklich sehr scha­ de, auch ich hätte ganz besonders gewünscht [,] daß meine Mutter sie kennen lernen möchte. Heut wirst Du nun wohl schon bei Deinem Va­ ter sein, ich schreibe ihm dieser Tage, um auch meinerseits ihm für sein Geschenk, welches ich ganz rührend finde, zu danken.3 Versagt er sich aber nicht etwa selbst eine Erholungsreise [,] die ihm doch recht zu gön­ nen wäre, uns zu Liebe, – das wäre doch wirklich unrecht. Wann mag sein Geburtstag sein? Bereite ihn nur darauf vor, daß er bald einmal uns zu besuchen kommen muß. Es ist doch eine eigne Entscheidung, Jemanden [,] dem man nun nahe steht, so in einer Art Wüste sitzen zu wissen. – Also mit 15   Kupfer ist Dir die Princeß unter die Augen gegangen?4 Nun ich werde künftig damit „hanteln“ [.] – Hier ists unverändert, – nur ist das Zusammenleben mit meinem Va­ ter offenbar ihm und jedenfalls mir, je näher dem Ende, desto weniger a  Unsichere Lesung.   b  Unsichere Lesung.   1  Gemeint ist vermutlich das Gemälde „Madonna del Rosario“ von Carlo Cignani. 2  Florentine (Flora) Schnitger konnte laut Marianne Schnitgers Brief an Helene Weber vom 4. September 1893 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) krankheitshalber nicht zur Hochzeit am 20. September 1893 nach Oerlinghausen kommen. 3  Ein Schreiben an Eduard Schnitger in Lage ist nicht nachgewiesen. 4  Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden.

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erträglich. Allerlei Scenen wegen Lappalien. Aus einer gründlichen Kur für meine Mutter, Befragung eines Spezialisten wird natürlich, wie ich gleich befürchtete [,] nichts, der Hausarzt hält es für Blutstockungen, die sich schon geben würden, etwas Massage und Solebäderc, das ist das Ganze. Sie selbst erklärt, da mein Vater behauptet, vor Geldsorgen nicht schlafen zu können, zuerst an sich sparen zu müssen. Diese ganzen Dinge können Einen furchtbar erbittern. Ich denke, das Ver­ hältnis bessert sich und ich kann nützlicher sein als jetzt, wenn wir erst getrennt leben. Der Artikel, ziemlich mangelhaft wie er ist, ist nun abgegangen.5 Jetzt muß ich auch etwas für die Curse im October arbeiten.6 Ich merke, wie abhängig ich doch im Lauf der Jahre in meinem Ge­ sammt-Befinden davon geworden bin, ob ich das Gefühl habe, mit Er­ folg zu arbeiten. Das war jetzt nicht der Fall und konnte es nicht sein. Aber mir ist nicht bange, das findet sich schon. Ich glaube, da es kalt bleibt, wirklich fast, daß es besser ist, nach Pa­ ris zu fahren, – die Natur brauchte dabei nicht zu kurz zu kommen, wir machten irgend einen großen Ausflug nach der Normandie oder wo es sonst schön ist.7 Du müßtest aber Deine französischen Kenntnisse gut auffrischen. Mit mir sieht es jammervoll aus in diesen Beziehungen. Die Isle of Wight hätte ja allerdings auch in Frage kommen können, dort sorgt der Golfstrom für milde Temperatur. Nun, da Du mir Voll­ macht giebst, werde ich mir die Sache jetzt einmal ordentlich überle­ gen. – Bleib Du nur gesund und frisch, das ist die Hauptsache. An Emmy habe ich Sonnabendd geschrieben,8 und uns für etwa 5/6 oder 7/8 Oc­ tober in Stuttgart angekündigt. Es wird dann wohl Alles „etwas plötz­ lich“ gehen, das ist nicht zu ändern [.] c O: Soolbäder  d  gestern > Sonnabend   5  Worauf sich Max Weber bezieht, konnte nicht ermittelt werden. Vermutlich handelt es sich um einen Zeitungsbeitrag. 6  Im Rahmen der vom Evangelisch-sozialen Kongreß in Berlin veranstalteten Evangelischsozialen Kurse, die vom 10. bis 20. Oktober 1893 stattfanden, referierte Max Weber zwischen dem 16. und 20. Oktober acht Stunden zum Thema Agrarpolitik; vgl. Weber, Die Evangelisch-sozialen Kurse in Berlin im Herbst dieses Jahres, MWG I/4, S.  229–237, sowie ders., Landwirtschaft und Agrarpolitik, ebd., S.  254–271. 7  Es handelt sich um Überlegungen zur Hochzeitsreise; zur Hochzeitsreise vgl. die Briefe an Helene Weber vom 27. oder 28. Sept. bis 2. Okt. 1893, unten, S.  467–474. 8  Vgl. den Brief an Emmy Baumgarten vom 2. Sept. 1893, oben, S.  4 52–454.

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Tante Idas Andenken aus meines Onkels Nachlaß,9 von dem sie schrieb, ist noch nicht gekommen. Von Dora10 noch keine Spur. Ich dachte, heut käme sie. Leb wohl, grüß den Papa und behalte lieb Deinen Dich herzlich küssenden Max

9  Der mit Max Webers Tante Ida verheiratete Hermann Baumgarten war am 19. Juni 1893 verstorben. 10  Dorothea (Dora) Benecke.

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Marianne Schnitger 8. September 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 8/9 93 Lieber Schatz,

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ich kam heut morgen wieder nicht zum Schreiben, da ich in Berlin mich ausstaffierte (Anzug, Hut etc., Frack pp.) und dann arbeitete. Jetzt schnell einen schönen Dank für Deinen Brief, ich sehe daraus [,] daß Du nicht mehr nach Lage1 gehst, sondern wohl gleich nach Oerl[ing­ hausen] 2 und das ist wohl auch besser. Gestern – es war schade daß Du nicht mehr da warst – kamen 2 wunderschöne Hochzeitsgeschenke: eine prachtvolle Schwarzwälder Kuckucksuhr von Wilhelm und ein großer Stich von Heidelberg von der Tante Benecke, 3 – letzterer wie geschaffen für über die Sopha-Garnitur bei mir: das ist etwas egoi­ stisch, aber dies Bild meiner zweiten Heimath glaube ich mit gutem Gewissen confiscieren zu können, nicht? Die – wirklich besonders hüb­ sche – Uhr sei Dir ausgeliefert, mir scheint, sie paßt für das Eßzimmer. Dirk Nasse und Karl Mommsen haben abgesagt, über die sonstigen Volkszählungs-Ergebnisse bin ich ohne Nachricht. Über die Hoch­ zeitsreise4 zerbreche ich mir noch etwas den Kopf, bin aber eigentlich zu der Ansicht gekommen, daß es mit Schottland nichts ist, bei dieser Kälte. Du würdest barbarisch frieren. Wenn Dir dagegen eine kleine wirkliche Seefahrt genehm ist, so können wir das recht nett eventuell einrichten und wenn Du mir da Vollmacht giebst, so werde ich Dich mit einer Reiseroute überraschen, die Du aber dann erst erfährst, wenn wir auf dem Schiff sind. Hast Du aber in der That keine Furcht vor Seekrankheit? So daß Du z. B. Dich getraust 2 Tage auf einem Schiff zu bleiben? Mit Deinem Migräne-Magen? Und in einer Cabine schlafen?

1  Es handelt sich um den Wohnort von Marianne Schnitgers Vater Eduard. 2  In Oerlinghausen fand am 20. September 1893 die Hochzeit von Marianne Schnitger und Max Weber statt. 3  Wilhelm Benecke und seine Mutter Emilie (Nixel). 4  Nach der Eheschließung am 20. September 1893 gingen Max und Marianne Weber bis Anfang Oktober 1893 auf Hochzeitsreise nach England und Paris; vgl. die Briefe an Helene Weber vom 27. oder 28. Sept. bis 2. Okt. 1893, unten, S.  467–474.

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Hier passiert nicht viel. Ich suche so etwas für die Curse vorzuarbei­ ten, 5 doch wird nicht sehr viel daraus. Weshalb dem Artikel der Erfolg fehle?6 meinst Du. Nun, weil ich finde, er taugt nicht so sehr viel, die „Vossische Zeitung“ würde mit einem neuerdings beliebten Wort sa­ gen: „er riecht nach gekauten Nägeln“,7 – er ist nicht sehr frisch, son­ dern etwas mühsam zusammengestoppelt. – Jetzt muß ich nun auch noch anfangen, meine verschiedenen Papiere und Geschichtena wenig­ stens etwas in Ordnung zu bringen. Die Hauptsache muß einmal später gethan werden. Die erste Zeit wirst Du glaube ich nicht so sehr viel Behagen empfinden bei dieser Hetzerei, mein armer Schatz, aber ich weiß nicht recht wie ich es ändern sollte. Die Photographien bestelle ich nach Deinem Wunsch. Also von den kleinen en face für Dich? Meine Mutterb findet – im Gegensatz zu mir – auch bei den kleinen die andren angenehmer. Nun ich nehme von je­ dem von beiden 1 Dutzend. Ich finde mich auch sehr schön darauf, aber denke freilich: „ach armer u. meiniger wie hast Du Dir verändert!“8 Man wird mich wohl kaum erkennen. Nun gute Nacht, meine Mutter ist leider zu Bett, ich bekomme keine Marke, der Brief kommt also erst morgen früh fort. Sei nicht zu böse, – es küßt Dich Dein Max

a  Unsichere Lesung.   b  Unsichere Lesung.   5 Es handelt sich um die Vorbereitung seiner achtstündigen Vortragsreihe über Agrar­ politik im Rahmen der Evangelisch-sozialen Kurse (vgl. zuletzt den Brief an Marianne Schnitger vom 5. Sept. 1893, oben, S.  4 59 mit Anm.  6) und den für die Teilnehmer ausgearbeiteten Grundriß; vgl. Weber, Landwirtschaft und Agrarpolitik, MWG I/4, S.  254–271. 6  Der Artikel konnte nicht ermittelt werden. Möglicherweise handelt es sich um einen Zeitungsbeitrag. 7  Als Redewendung oder Zitat nicht nachgewiesen. 8  Das Zitat ähnelt dem auf ein älteres ungarisches Bonmot zurückgehenden Ausspruch „Armer Vater, wie hast Du Dir verändert“, den Hans von Bülow angesichts einer Sammlung von Komponistenporträts, in der das Bild seines Schwiegervaters Friedrich Liszt durch jenes von Johannes Brahms ausgetauscht worden war, geäußert haben soll; vgl. Kalbeck, Max, Johannes Brahms, Band 3, 2. durchges. Aufl. – Berlin: Deutsche Brahms-Gesellschaft 1913, S.  541.

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Marianne Schnitger 11. September 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 11/9 93 Liebstes Mariannchen,

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Du bist ja totenstill geworden, – hat Dich mein letzter Brief nicht er­ reicht?1 Er ging nach Oerl[inghausen], da ich dachte, Du würdest nun direct von Lemgo aus dorthin gehen. Oder bist Du doch noch nach Lage gegangen?2 Die Photogr[aphien] kommen – und zwar erst ein Teil – in 8 Tagen nach O[erlinghausen] [,] ich habe von beiden kleinen Aufnahmen je 1 Dtzd. bestellt und von den großen 1/ 2 , – ein Heidengeld! Vor der sil­ bernen Hochzeit wird das nicht nochmal sich geleistet! – Die „Schnei­ derin“ erzählte heute, Du hättest mit Bezug auf die Schleppe gemeint: entweder fährst Du oder Du nötigsta Dich auf, – Du hast es ja riesig fein mit uns vor. – Hast Du Dir den schönen Ehevertrag schon angese­ hen? mit all seinen brutalen Klauseln?3 Jetzt ist hoffentlich Alles in Ordnung. – Von Beneckes kam ein herrlicher Stich von Heidelberg – d. h. das habe ich wohl schon geschrieben,4 – von Hausraths5 heute ein KrystallWasser-Service, vorher hatte die Tante für Dich schon ein |:selbst:| ge­ sticktes Deckchen und 2 Salznäpfe geschickt. –

a  Unsichere Lesung.   1  Es handelt sich wahrscheinlich um den Brief an Marianne Schnitger vom 8. Sept. 1893, oben, S.  461 f. 2  In Oerlinghausen sollte am 20. September 1893 die Hochzeit von Marianne Schnitger und Max Weber stattfinden. In Lemgo wohnten Marianne Schnitgers unverheiratete Tanten Florentine (Flora) und Marie und in Lage ihr Vater Eduard, die sie vorher noch besuchte. 3  Der Wortlaut des am 18. September 1893 vor dem Amtsgericht Oerlinghausen abgeschlossenen Erb- und Ehevertrages ist nach einer Abschrift des Originals wiedergegeben in: Buchholz, Ehegüterrecht (wie oben, S.  31, Anm.  53), S.  70–72. Ausgehandelt hatten den Vertrag Carl David Weber und sein Bruder Max Weber sen. 4  Das Geschenk von Emilie (Nixel) und Ernst Wilhelm Benecke hat Max Weber bereits im Brief an Marianne Schnitger vom 8. Sept. 1893, oben, S.  461, erwähnt. 5  Die Familie von Henriette und Adolf Hausrath.

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11. September 1893

Mommsens haben mir beide abgesagt,6 ebenso Dieterici7 in einem Brief, den ich zur Belehrung über die Schicksale der Ehemänner nach Oerl[inghausen] geschickt habe. – Nun sprich Dich über die Seefahrt aus,8 es kann ganz außerordent­ lich schön sein, nur fragt es sich wie es mit der Wirkung der Seekrank­ heit bei Dir ist. Dora9 ist von morgen an bei uns, bis jetzt war sie nur 2 Mal kurz da und höchst originell, wie immer. Sie und Clärchen lassen schönstens grüßen. Nun schreibe bald [,] was Dir fehlt oder weshalb Du schmollst, es küßt Dich trotzdem herzlich Dein Max

6  Gemeint sind vermutlich die Brüder Karl und Ernst Mommsen. 7  Wilhelm Dieterici, ein Freund von Max Weber. 8  Vgl. Max Webers Vorschläge für die Hochzeitsreise in den Briefen an Marianne Schnitger vom 5. und 8. Sept. 1893, oben, S.  4 59 und 461. Die Reise führte schließlich im Anschluß an die Trauung am 20. September 1893 bis Anfang Oktober 1893 nach England und Paris; vgl. die Briefe an Helene Weber vom 27. oder 28. Sept. bis 2. Okt. 1893, unten, S.  467–474. 9  Dorothea (Dora) Benecke.

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14. September 1893

Marianne Schnitger 14. September 1893; Charlottenburg Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Charl. 14. 9. 93. Liebes Herz,

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schönsten Dank für Deinen Brief, ich bin wieder sehr unpünktlich im Antworten, – das macht die Arbeit, aber heut Abend werde ich soweit fertig,1 als ich es eben vor der Hochzeit2 überhaupt habe durchsetzen können und dann geht es nun noch ans Ordnen und Packen. Ich kann also, wenn es paßt, schon Sonnabend Abend kommen, fahre aber wohl besser die Nacht durch, da ja bis Sonnabend Einquar­ tierung da ist. Also falls Ihr mich nicht schon Sonnabend Abend wünscht, auf Wiedersehen Sonntag früh. – Vorgestern kam als Geschenk der beiden verheiratheten Heidelber­ ger Cousinen eine reizende Radierung (Landschaft von Aix), – ich habe vorläufig gedankt.3 Eben war Karl Mommsen hier und läßt Dich grüßen. Alle eingeladenen Bekannten haben ausnahmslos abgesagt. Es ist sehr schade, daß nun grade nur Evert,4 den Ihr nicht mögt, da ist. Aber es war zu erwarten. Wenn Du also willst, bleiben wir bis gegen Abend in Oerlinghausen, aber bedenke: von Bielefeld kommen wir am andren Tag erst um 3 Uhr Nachm[ittags] fort, – ich finde den Gedanken nicht angenehm, glaube fast, es wird Dir selbst erst wohl sein, wenn wir das Ganze hinter uns haben. Nun, überlege es nochmal. Es paßt eben grade der Zug 1/ 27 Uhr ganz besonders gut. – Mit der Seefahrt scheint es Essig zu sein, es paßt mit keinem Schiff. Vielleicht fahren wir am besten gleich Donnerstag nach Paris und 1  Vermutlich meint Max Weber die Vorbereitung seiner achtstündigen Vortragsreihe zum Thema Agrarpolitik im Rahmen der Evangelisch-sozialen Kurse (vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 5. Sept. 1893, oben, S.  4 59 mit Anm.  6) und den für die Teilnehmer ausgearbeiteten Grundriß; vgl. Weber, Landwirtschaft und Agrarpolitik, MWG I/4, S.  254–271. 2  Marianne Schnitger und Max Weber heirateten am 20. September 1893 in Oerlinghausen. 3  Ein Dankesschreiben an die Schwestern Emilie (Mila) Jolly und Paula Schmidt ist nicht überliefert. 4 Georg Evert; vgl. das Faksimile des Eintrags ins „Gästebuch der Familie Weber“ am Hochzeitstag, 20. September 1893, in: Meurer, Bärbel, Max und Marianne Weber und ihre Beziehung zu Oerlinghausen. – Bielefeld: Aisthesis Verlag 2013, S.  88.

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14. September 1893

überlegen dann weiter. Für Nordengland ist es glaube ich unbedingt zu kalt. Ich hatte hier etwas Erkältung im Leibe, nun, das ist wesentlich vor­ bei, sieh Du nur, daß Dir nichts fehlt. – Also den Ehecontract5 haben sie Dir nicht gezeigt? Nun ich sage Dir dann, was darin steht. Es ist viel darin davon die Rede, was wird, wenn Einer von uns stirbt oder verrückt wird, sie dachten wohl, Du grusel­ test Dich [.] Herzlich küßt Dich Dein Max

5  Der Wortlaut des am 18. September 1893 vor dem Amtsgericht Oerlinghausen abgeschlossenen Erb- und Ehevertrages ist nach einer Abschrift des Originals wiedergegeben in: Buchholz, Ehegüterrecht (wie oben, S.  31, Anm.  53), S.  70–72. Ausgehandelt hatten den Vertrag Carl David Weber und sein Bruder Max Weber sen.

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27. oder 28. September 1893

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Helene Weber [27. oder 28. September 1893]; PSt Paris Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 164 Es handelt sich eigentlich um eine Postkarte, die Max Weber aber – wie er unten erläutert – als Brief verschickte. Die Karte wurde ursprünglich adressiert und trägt den Poststempel des Postamts auf der ersten Ebene des Eiffelturms „Tour Eiffel“, den Max und Marianne Weber am 27. oder 28. September 1893 besuchten (vgl. den Brief an Helene Weber vom 28. Sept. 1893, unten, S.  469 f.). Daraus und aus dem Hinweis auf die „anliegende Karte“ (ebd.) ergibt sich die Datierung. Der Brief enthält zwei Anmerkungen von der Hand Marianne Webers: auf der Seite mit einem Postkartenmotiv des Eiffelturms – „Ganz dumm von den vielen schönen Eindrücken bringe ich nur einen herzlichen Gruß an Dich fertig! Marianne“ – und auf der Rückseite mit dem Adreßfeld – „Wir vertragen uns fast traurig gut. – Max spricht viel!!!“.

Liebe Mutter!

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Nur einen kurzen Gruß in Ergänzung unsrer letzten Karte,1 denn wir sind fortwährend unterwegs. In London blieben wir, da Marianne et­ was erkältet war, 2 Tage, Sonntag in Windsor, dann waren wir auf Isle of Wight (Ventnor, Südseitea) und von da zur See nach Cherbourg. Die Gegensätze der Nationen zeigten sich |:dabei:| [.] Die Fahrt (Nachts) war stürmisch: ich wurde etwas schwindelig und bekam Vorgefühle der Seekrankheit, Marianne befand sich prachtvoll und büßte nachher da­ für mit Migräne. Hier logieren wir recht behaglich bHôtel du Pavillonb , Rue de L’Echiquier 36 und denken bis jedenfalls Dienstag zu bleiben. Bald ausführlicher. Es geht uns prachtvoll. Euer Max Wir sind heute beide etwas abattu, 2 teils vom Sehen, teils von Dejeuner à prix fixe. Marianne wünscht, daß ich noch constatiere: sie käme sich nicht verheirathet vor. Bei mir ist letzteres in ziemlich starkem Maß der Fall.

a  Unsichere Lesung.   b–b O: Hotel du Pavillion   1  Die Karte ist nicht nachgewiesen. 2  Frz. für: erschöpft, „erschlagen“.

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27. oder 28. September 1893

L. M. Ich vergaß beim Schreiben der Karte, daß ich sie nicht ins Ausland schicken kann, deshalb gelangt sie jetzt im Couvert an Euch. Sen­ dungen, die an mich kommen, schicke mir doch bitte, soweit sie nicht offenbar gleichgültig sind. Abends haben wir ja freie Zeit zum Lesen. Marianne wünscht, daß ich berichte, die bisherigen Ehezwistigkeiten hätten 3 Punkte betroffen. 1) Lawn Tennisc 2) daß sie bestimmen sollte, ob wir auchd nach Jersey führen und nicht wollte 3) ihre 5 Dut­ zend Taschentücher, von denen sie 1 stets in ihren verschiedenen Ta­ schen mit sich trägt. Ich habe selbstverständlich alle Feldzüge bisher verloren. Herzl. Gruß D. M.e

c O: Tennies  d  Alternative Lesung: noch  e  Unsichere Lesung.  

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28. September 1893

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Helene Weber 28. September 1893; Paris Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 163 Dem Brief lag der vorausgehende Brief (eigentlich eine Postkarte) an Helene Weber vom 27. oder 28. September 1893, oben, S.  467 f. bei; vgl. die Editorische Vorbemerkung, ebd.

Grand Hôtel Du Pavillon 36, Rue de l’Echiquier, 36 Paris Paris, le 28a /9 1893 Liebe Mutter,

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ich schicke anl[iegende] Karte, da Marianne es wünscht, trotz ihres Bierkartencharakters ab.1 Du siehst ja auch daran, wie wohl es uns geht. Sie hat sich eben, vor der Diner-Zeit, etwas hingelegt, ich bin im Übrigen erstaunt, wie gut sie Alles erträgt und kaum genug bekommen kann. Ich glaube [,] daß nicht viele Hochzeitsreisepaare so viel in Bewe­ gung auf allen denkbaren Vehikeln (und übrigens auch zu Fuß) gewe­ sen sind als wir. Westminster, British Museum, St Pauls, National Gal­ lery, Tower, die Fleet Street Restaurants etc wurden in London mit Underground, Dampfer, Hansam 2 und Omnibus angelaufen, ohne daß wir doch jemals das Gefühl gehabt hätten uns zu hetzen. Im Charing Cross Hotel waren wir ganz ausgezeichnet, freilich auch horrend teuer, wie sich nachher zeigte, aufgehoben. Prachtvolles Wetter hatten wir sowohl in Richmond, Windsor wie vorher in Ostende und nachher auf der Isle of Wight bei der Fahrt auf der Südküste von Ventnor nach den Needles zu (Black Gang etc). 3 Hier haben wir gestern und heute das Boulevard-Leben, den Louvre, Notre-Dame und die gänzlich ver­ rückte Tour d’Eiffel genossen, Mariannes post festum erschienene a  29 > 28   1  Vgl. zum Charakter der Karte die Editorische Vorbemerkung, oben, S.  467. 2  Ein nach seinem Erfinder benannter Kutschentyp. 3  The Needles, drei aus dem Meer aufragende Kreidefelsen, und Blackgang Chine, ein zum Meer führendes steiles Tal, gehören zu den Sehenswürdigkeiten der Isle of Wight; vgl. Baedeker, Karl, Großbritannien. England (außer London), Wales, Schottland und Irland. Handbuch für Reisende, 2.  Aufl. – Leipzig: Baedeker 1895, S.  50 f. und 53.

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28. September 1893

Seekrankheit hat sich über Erwarten schnell verloren. In London schwebte ich etwas in Angst, daß aus der Erkältung, die sie sich schon in Oerlinghausen zugezogen hatte und die ein Seebad in Ostende doch wohl gesteigert hatte, Asthma sich entwickeln könnte. Es zeigte sich aber, daß nur Wärme noth that und deshalb gingen wir nicht, wie wir wollten, gleich an die Südküste – es war dort einige Tage äußerst kalt gewesen – sondern frequentierten die geheizten Stuben des Hotels. Ich denke, daß wir Mittwoch von hier nach Straßburg fahren und werde den Tanten4 noch schreiben. Es schellt zurb Table d’hôte, ich muß M[arianne] wecken. Herzl. Gruß nochmals Dein Max

b  zum > zur   4  Helene Webers Schwestern Ida Baumgarten und Emilie (Nixel) Benecke lebten mit ihren Familien in Straßburg.

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29. September 1893

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Helene Weber 29. September 1893; Paris Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 161

Grand Hôtel Du Pavillon 36, Rue de l’Echiquier, 36 Paris Paris, le 29/9 1893 Liebe Mutter,

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heut Vormittag holten wir Deinen lieben Brief nebst Inhalt von der Post und ich schreibe hauptsächlich, damit Du siehst, daß wir ihn ha­ ben. – Die Correctur ist erledigt.1 – Marianne schläft, nachdem wir erst den Vormittag im Louvre, dann auf Père-la-Chaise2 gewesen sind, eben etwas, wir husten beide etwas und wenigstens sie ist es Nachts noch nicht gewohnt, daß neben ihr Jemand athmet und hustet. An die verschiedenen Schurkena schreibe ich möglichst noch heute, 3 – es reg­ net stark und man kann nicht viel unternehmen. – Ich denke noch im­ mer, daß wir am 8 oder jedenfalls am 9ten (Montag) zurück sind, und hoffe sehr[,] daß wir Wina4 noch treffen. – Ich war etwas im Zweifel, ob es wohl möglich sein würde, Otto oder etwa Herrn Voigt, an den ich erst dachte, bei uns Logis anzubieten?5 Es handelt sich schließlich um Bett und Caffee, Marianne behauptet es ginge, mir ist es etwas zweifel­ haft, doch wäre mir es sehr recht. Voigt geschähe glaube ich der größe­ re Gefallen dadurch, oder ist er schon anderweit untergebracht. Otto a  Unsichere Lesung.   1  Die Korrektur bezieht sich möglicherweise auf den in den Briefen an Marianne Schnitger vom 2., 5. und 8. September 1893, oben, S.  4 56, 459 und 462, erwähnten, aber nicht nachgewiesenen Artikel. 2  Der Friedhof Père Lachaise im Osten von Paris. 3 Weitere Schreiben vom 29. September 1893 sind nicht nachgewiesen. Wer mit den „Schurken“ gemeint ist, konnte nicht ermittelt werden. 4  Max Webers Cousine und Marianne Webers Tante Alwine (Wina) Müller. 5  Otto Baumgarten und Johannes Voigt, der ehemalige Hauslehrer der Familie Weber, waren vermutlich unter den zahlreichen Geistlichen, die vom 10. bis 20. Oktober an den u. a. von Max Weber gestalteten „Evangelisch-sozialen Kursen“ in Berlin teilnahmen; vgl. zum Teilnehmerkreis Kouri, Erkki I., Der deutsche Protestantismus und die soziale Frage 1870–1919. Zur Sozialpolitik im Bildungsbürgertum. – Berlin, New York: de Gruyter 1984, S.  124.

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29. September 1893

aufzunehmen würde uns selbstverständlich ein besonderes Vergnügen machen. Etwas stürmisch ist ja der Anfang ohnehin und wird es da­ durch noch mehr, aber ich kann eigentlich doch Marianne nur zustim­ men, die meint, man müsse sich nicht zu früh daran gewöhnen, daß dies oder jenes „nicht geht“. Über Tag wird sie die ersten 14 Tage von mir ja auch nicht viel erleben, sobald notdürftig eingeräumt ist. – Da Karl ja diese Tage zu Euch kommt, so danke ihm bitte vielmals von uns für sein Geschenk und die Aufmerksamkeit. – Marianne grüßt herzlichst, ich habe sie veranlaßt heut nicht zu schreiben, sondern zu schlafen, – sie ist doch recht zart, wie sich jetzt zeigt, die Verschleimungen machen ihr viel zu schaffen und mit dem Schlafen nachts ist es auch nicht berühmt, jede Bewegung weckt sie. Das wird wohl die Gewöhnung ändern. Die Betten sind hier auch so schmal à 2 Pers[onen] 1,35 Meter. Ich glaube, wir leben zu gut, in London in Bezug auf Quantität hier in Bezug auf Qualität, – Marianne behauptet zwar, daß ich in der Zeit nach irgend einer Mahlzeit am besten zu haben sei, aber diese Combi­ nation von enormem Appetit und noch viel enormerer Kost kann so doch nicht weitergehen, sonst werden wir banquerotteb. Hoffentlich ist Sonntag, wo wir in St Denisc und Versailles sein wollen, besseres Wet­ ter. Wenn möglich, gehen wir heut Abend ins Theater, sonst morgen. Das Leben hier ist reizend, Abends auf den Boulevards sp[eziel]ld, nur wird M[arianne] früh müde, – zuweilen ist es doch Abends noch etwas kühl, im Allgemeinen freilich aber eher heiß. Herzl. Gruß an Papa und Geschwister Dein Max

b Lies: banqueroute oder: bankrott  c O: Denys  d  Textverderbnis in O.  

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2. Oktober 1893

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Helene Weber 2. Oktober 1893; Paris Abschrift; maschinenschriftlich ohne Schlußformel, mit handschriftlichen Korrekturen von Marianne Weber GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  30, Bd. 4, Bl.  25–26

Paris, 2. 10. 93. Liebe Mutter!

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…a Deinen hierher berichteten Brief …b Weniger der Invalidendom mit der schönen Krypta und dem häßlichen Sarkophag als die gestrige bis 12 Uhr dauernde Vorstellung in der Comédie – eine ganz brillante Aufführung des albernen Ruy blas von V[ictor] Hugo1 – und heute der Besuch nacheinander des Printemps, des cBon Marchéc und des Maga­ sin du Louvre, 2 wo soeben die Nouveautées d’hiver eingetroffen wa­ ren [,] und wo bei diesem Wühlen der – buchstäblich – vielen Tausenden von Damen in den wirklich prachtvollen, mit orientalischer Farben­ pracht übereinander getürmten Seiden, Sammet und Pelzsachen ihre Wangen ganz gewaltig zu glühen begannen, haben sie etwas müde ge­ macht. Ich selbst habe in der Tat auch nur entfernt Vergleichbares, so­ wohl was Käufer als was Kaufobjekte anlangt, nie gesehen und bereue die mehrstündige Drängelei in den Riesenetablissements nicht. Heute Abend die Walküre3 in der Opera, morgen Abend ein Konversations­ stück, dann aber Schluß. Gestern vorher noch – alsod am ersten Sonn­ tag des Monats – die großen Wasser in Versailles unter Assistenz einer ganz unbeschreiblichen Menschenmenge. Es wird Zeit, daß dem Ver­ gnügen ein Ende gemacht wird, man verlernt ganz den Gedanken an die Arbeit … Von unserer Hochzeit hat uns ja Klara allerliebst erzählt, wofür ich ihr vorläufig durch Dich vielmals danke. – Was das heißen sollte: daß Marianne sich weniger verheiratet fühlte als ich; 4 – nun, sie behauptet es und begründet es damit, daß sie erstens noch keine Pflicha Auslassungszeichen in Abschrift.   b Auslassungszeichen in Abschrift.   c–c In Abschrift: Beaumarchais  d  In Abschrift: als   1  Am 1. Oktober 1893 wurde in der Comédie-Française das Theaterstück Ruy Blas von Victor Hugo aufgeführt; vgl. [Rubrik:] Programme des Théatres, in: Le Figaro, Jg. 39, Nr.  274 vom 1. Okt. 1893, S.  4. 2  Es handelt sich um berühmte Pariser Kaufhäuser. 3  Richard Wagners Oper „Die Walküre“. 4  Vgl. den Brief an Helene Weber vom 27. oder 28. Sept. 1893, oben, S.  467.

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2. Oktober 1893

ten übernommen habe, solange wir reisen, und zweitens hat sie an­ scheinend der Heirat mit geheimem Grauen entgegengesehen in der Meinung, wie sie behauptet, daß der Bräutigam als Ehemann schleu­ nigst die üblen Seiten seiner schwarzen Seele hervorkehre und bedeu­ tend verändert erscheinen werde – vorerst scheint sie noch angenehm enttäuscht und jedenfalls zufriedener als sie erwartet hatte; – während ich die große Veränderung meiner Lebensumstände sehr deutlich empfinde …e

e  Auslassungszeichen in Abschrift.  

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8. und 24. Oktober 1893

Friedrich Althoff [zwischen dem 8. und 24. Oktober 1893]; Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Friedrich Theodor Althoff, Nr.  1005, Bl.  32–33 Zu Max Webers Ernennung zum Extraordinarius der Jurisprudenz in Berlin sowie seiner Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. Die Datierung ist erschlossen aus dem Absendeort und dem Inhalt des Briefes. Die Wohnung im Siegmundshof bezogen Max und Marianne Weber nach ihrer Hochzeitsreise, von der sie frühestens am 8. Oktober 1893 nach Berlin zurückkehrten (vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  25 f. mit Anm.  26, sowie den Brief an Helene Weber vom 29. September 1893, oben, S.  471). Da Max Weber hier noch von den Schwierigkeiten der Ernennung zum Professor spricht, am 24. Oktober 1893 gegenüber Gustav Schmoller (unten, S.  477) diese jedoch als Faktum berichtet, muß der Brief vor diesem Datum abgefaßt worden sein. Am Briefkopf findet sich eine Marginalie von der Hand Friedrich Althoffs, deren Inhalt hier nicht mitgeteilt wird.

NW Siegmundshof 6II Ew. Hochwohlgeboren

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gestatte ich mir, im Vertrauen auf Ihr großes, mir wiederholt gezeigtes Wohlwollen, Nachfolgendes vorzutragen. Ich erhielt von Seiten der Fakultät in Freiburg eine erneute drin­ gende Aufforderung, mich zur Annahme der dortigen Stelle bereit zu erklären, da die Fakultät sich mit einer erneuten dringenden Eingabe an den Minister1 zua wenden und diesen persönlich um alsbaldige Be­ setzung der Stelle durch mich zu bitten beabsichtige. Ich habe darauf­ hin geantwortet, „daß ich mich nicht mehr in der Lage befinde, in ir­ gend welche Verhandlungen nach auswärts einzutreten“, 2 erhielt aber vor einigen Tagen einen abermaligen dringenden Brief, in welchem unter Hinweis darauf, daß meine Ernennung hier auf Schwierigkeiten zu stoßen scheine und jedenfalls noch nicht erfolgt sei, die gleiche Auf­ forderung wiederholt gestellt wird.

a  Fehlt in O; zu sinngemäß ergänzt.   1  Wilhelm Nokk. 2 Ein Brief Max Webers an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. in dieser Angelegenheit ist nicht nachgewiesen.

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8. und 24. Oktober 1893

Es würde nun für mich selbstverständlich von der größten Bedeu­ tung sein, falls thatsächlich Ew. Hochwohlgeboren auf Schwierigkeiten gestoßen sein sollten – da, wie mir mitgeteilt wurde, die Fakultät ihre Zustimmung nicht bedingungslos gegeben hat, so wäre dies ja nicht ausgeschlossen – und ich erlaube mir, auf Rath des Herrn Geh. Rath Eck, den ich über mein Verhalten in dieser für mich recht peinlichen Angelegenheit um seine Ansicht fragte,3 Ew. Hochwohlgeboren die er­ gebenste Bitte zu stellen, falls dies der Fall sein sollte, mir eine Andeu­ tung darüber freundlichst zukommen lassen zu wollen, da ich in die­ sem Fall selbstverständlich in meinem Interesse bemüht sein müßte, Berlin um jeden Preis baldmöglichst verlassen zu können. Im Fall keine Schwierigkeiten bestehen, bedarf ich selbstverständ­ lich einer Antwort auf diese Anfrage nicht, von der ich vertraue, daß Ew. Hochwohlgeboren sie nicht als einen Versuch, auf Beschleunigung der schwebenden mich betreffenden Angelegenheit zu drängen, deuten werden. Mit den angelegentlichsten Empfehlungen verbleibe ich Ew. Hochwohlgeboren in vorzüglicher Hochachtung aufrichtig ergebenster Dr Max Weber

3  Zu den Bedenken der Juristischen Fakultät und deren Mitglied Ernst Eck, den Max Weber um Rat gefragt hatte, vgl. die Briefe Max Webers an Helene Weber vom 26. Juli 1893, oben, S.  4 43, und an Clara Weber vom 27. Juli 1893, oben, S.  4 45 f.

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Gustav Schmoller 24. Oktober 1893; Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav von Schmoller, Nr.  186 Zu Max Webers Ernennung zum Extraordinarius der Jurisprudenz in Berlin sowie seiner Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323.

NW Siegmundshof 6 II 24. X. 93 Hochgeehrter Herr Professor, 5

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ich erhalte soeben die freundliche Zusendung des Sonderabzuges aus Ihrem „Jahrbuch“, die Handelsgesellschaften betreffend und beeile mich, auf das Verbindlichste dafür zu danken. Der Inhalt ist mir selbst­ verständlich nicht mehr unbekannt, da ich die einzelnen Abschnitte mit dem größten Interesse und dera reichsten Belehrung gelesen habe. Ich benutze nun diese Gelegenheit, nochmals für die freundliche Be­ rücksichtigung und wohlwollende Beurteilung meiner Anfänger-Ar­ beit auf diesem Gebiet zu danken.1 Obwohl mir soeben vom Dekan der Juristischen Fakultät2 meine Er­ nennung zum Extraordinarius notificiert wird,3 kann ich mich nicht entschließen, mich fortan auf eine rein juristisch-formale Betrachtung der historischen Erscheinungen des Handelsrechts zu beschränken. Anschließend an die Arbeit über Handelsgesellschaften beabsichtigte ich vielmehr die Antecedenzien der modernen Commissionsgeschäfte im Mittelalter zu untersuchen, wobei allerdings die für mich sehr a  Fehlt in O; der sinngemäß ergänzt.   1  Schmoller, Gustav, Die geschichtliche Entwickelung der Unternehmung, XII: Die Handelsgesellschaften des Mittelalters und der Renaissancezeit, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, N. F., 17. Jg., 2. Heft 1893, S.  359–391. Webers Dissertation (Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  109–340) wurde hier von Schmoller sehr positiv erwähnt (ebd., S.  373, 376 f., 382). Schmoller hatte sie bereits 1890 rezensiert, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, N. F., 14. Jg., 2. Heft, 1890, S.  389 f. 2  Rudolf von Gneist. 3 Hier handelte es sich um ein Mißverständnis, das Max Weber gegenüber Gustav Schmoller am nächsten Tag (vgl. unten, S.  479) aufklärte. Die offizielle Ernennung zum Extraordinarius erfolgte erst am 25. November 1893 (UA der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak. 494, Bl. 78). Weber wurde nur die bevorstehende Ernennung angezeigt.

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schwer erkennbare Technik des mittelalterlichen Handels mir bisher unübersteigliche Schwierigkeiten macht. Jedenfalls danke ich Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, verbind­ lichst für diese wie für andre Förderung und Belehrung und verbleibe Ihr in hochachtungsvoller Verehrung sehr ergebener Max Weber

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Gustav Schmoller [25. Oktober 1893]; Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav von Schmoller, Nr.  186 Zu Max Webers Ernennung zum Extraordinarius der Jurisprudenz in Berlin sowie seiner Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. Das Datum ist erschlossen aus dem Hinweis auf den Brief an Gustav Schmoller vom Vortag (24. Oktober 1893, oben, S.  477 f.) sowie der Mitteilung im folgenden Brief an Friedrich Althoff (unten, S.  481 f.), daß er Schmoller gegenüber die Nachricht seiner Berufung schriftlich widerrufen habe.

NW Siegmundshof 6II Hochverehrter Herr Professor,

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meine gestrige Mitteilung1 beeile ich mich dahin zu berichtigen, daß die gestrige Mitteilung des Dekans der Jurist[ischen] Fakultät, 2 wie ich heute aus dem amtlichen Schriftstück des Ministeriums3 ersehe, falsch bezw. in sofern verfrüht war, alsa lediglich die bevorstehende Ernen­ nung notificiert und die Fakultät zur Äußerung aufgefordert worden ist. Wenn mir nun auch versichert wird, daß, in Ermangelungb eines zu gewärtigenden Widerspruches, dies nur formelle Bedeutung habe, so muß ich doch meine gestrige Bemerkung entsprechend modificieren. Ich hätte sie überhaupt nicht gemacht, wüßte ich nicht, aus Äußerungen des Herrn Geh. Rath Wagner, daß er sowohl als Sie sich s. Z. für die Besetzung des staatswissenschaftlichen Ordinariats in Freiburg durch Herrn Prof. Stieda interessierten. Es wird Ihnen bekannt geworden sein, daß die Fakultät mich vorschlug. Als ich auf die erste Anfrage von dort aus auch meinerseits bemerkte,4 daß m. E. Herr Prof. Stieda in erster Linie in Frage kommen müsse, wurde mir geantwortet, der Mi­ nisterialdezernent5 in Karlsruhe sei dessen Berufung unbedingt abge-

a  〈sie〉  b  〈jed〉   1  Vgl. den Brief von Max Weber an Gustav Schmoller vom 24. Okt. 1893, oben, S.  477. 2  Rudolf von Gneist. 3  Dieses Schriftstück ist nicht mehr nachweisbar. 4 Ein Brief Max Webers an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. in dieser Angelegenheit ist nicht nachgewiesen. 5  Ludwig Arnsperger.

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25. Oktober 1893

neigt.6 Ich hatte dann zugesagt,7 wesentlich weil mangels Zustimmung meines Lehrers Goldschmidt mir die Übernahme einer Vertretung peinlich war und ich damals um jeden Preis gern hier fortgegangen wäre, obwohl die schweren Bedenken gegen Übernahme einer staats­ wissenschaftlichen Professur durch mich mir deutlich genug waren. Die Berufung erfolgte bisher nicht, weil es nicht gelang, die Versetzung des Extraordinarius v. cSchulze-Gävernitzc nach Heidelberg bei der dortigen Fakultät, speciell bei Geh. R[ath] Knies, durchzusetzen. Da die Dinge jetzt hier, nachdem Geh. Rath Goldschmidt den Wunsch, durch mich vertreten zu sein, geäußert hat, anders liegen, habe ich nach Freiburg geschrieben,8 daß ich für absehbare Zeit zu allen Verhand­ lungen nach auswärts außer stande sei. Ich gestatte mir, dies zur Erklä­ rung meines vielleicht auffälligen Verhaltens in dieser Angelegenheit mitzuteilen; im Sommer, wo ich Ihren Rath sehr gern eingeholt hätte, war mir Stillschweigen auferlegt. Ich verbleibe in hochachtungsvoller Verehrung Ihr stets ergebener Max Weber

c–c O: Schultze-Gävernitz   6  Wilhelm Stieda stand nicht auf den Berufungslisten der Philosophischen Fakultät. 7 Ein Brief Max Webers an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. in dieser Angelegenheit ist nicht nachgewiesen. 8 Ein Brief Max Webers an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. in dieser Angelegenheit ist nicht nachgewiesen.

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25. Oktober 1893

Friedrich Althoff 25. Oktober 1893; Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Friedrich Theodor Althoff, Nr.  1005, Bl.  38–39 Zu Max Webers Ernennung zum Extraordinarius der Jurisprudenz in Berlin sowie seiner Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. Eine Marginalie von der Hand Friedrich Althoffs am Briefkopf wird hier nicht nachgewiesen.

NW Siegmundshof 6II 25. X. 93 Ew. Hochwohlgeboren 5

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beehre ich mich das anliegende Schreiben des Herrn Dekans der Juri­ stischen Fakultät zu überreichen.1 Herr Geh. Rath v. Gneist gratulierte mir gestern mündlich in Gegenwart einer großen Zahl von Herren zur Ernennung, und als ich protestierend bemerkte, daß mir von einer sol­ chen nichts bekannt sei, auch äußerstenfalls doch nur eine Anfrage an die Fakultät in Frage stehen könne, bestritt er dies mit dem Bemerken, daß bereits die formelle Ernennung eingegangen sei.2 Ich meinerseits habe trotzdem – außer zu meiner Familie und zu Herrn Prof. Schmol­ ler, dem gegenüber ich sofort [,] nachdem ich mich überzeugt hatte, daß Herr Geh. Rath v. Gneist sich dennoch im Irrtum befunden hatte, |:brieflich:| diese Angabe widerrufen habe, 3 – Niemand Mitteilung gemacht. Ich erhalte aber von zahlreichen Seiten, die offenbar von and­ ren Herrn die irrtümliche Angabe übermittelt erhielten, Glückwunsch­ schreiben und habe die Befürchtung, daß womöglich etwas in die Pres­ se gelangen könnte. – Ich habe Ew. Hochwohlgeboren gegenüber lediglich den Wunsch, nicht in den Verdacht zu gerathen, die Indiscretion, welche durch das

1  Um welches Schreiben des Dekans Rudolf von Gneist es sich handelt, ist nicht ermittelt. Dem Brief Max Webers war keine Anlage beigefügt; auch unter den Korrespondenzen Rudolf von Gneists an Friedrich Althoff (GStA PK, VI. HA, Nl. Friedrich Theodor Althoff, Nr.  742) befindet sich kein Schreiben vom 25. Oktober 1893. 2  Vgl. zu diesem Irrtum den Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 24. Okt. 1893, oben, S.  477, Anm.  3. 3  Vgl. die Briefe Max Webers an denselben vom 24. und 25. Okt. 1893, oben, S.  477–480.

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Versehen des Herrn Dekans4 herbeigeführt worden ist, meinerseits verschuldet zu haben und verbleibe Ew. Hochwohlgeboren in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebenster Dr Max Weber Privatdozent. Ich habe sämmtliche „Glückwünsche“ alsbald ablehnend beantwortet.

4  Rudolf von Gneist.

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Gustav Schmoller 8. Dezember 1893; Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav von Schmoller, Nr.  186

NW Siegmundshof 6II 8. XII. 93 Hochgeehrter Herr Professor, 5

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ich habe Herrn Geheimrath v. Gneist alsbald mitgeteilt, daß ich die ehrenvolle Cooptation dankend annehme.1 Über die Arbeitsweise des Vereins bin ich nicht unterrichtet und weiß deshalb auch nicht, ob es mir möglich sein wird, in dem von Ihnen in so freundlicher Form be­ zeichneten Sinn etwas leisten zu können. Mit angelegentlichster Empfehlung verbleibe ich Ihr in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebener Max Weber

1  Max Weber wurde am 6. Dezember 1893 in den Ausschuß des „Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen“ kooptiert, in dem auch sein Vater seit 1869 Mitglied war. Aktiv wurde er jedoch nie und trat 1900 wieder aus. Vgl. die Angaben nach Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/4, S.  4 3 mit Anm.  154.

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23. Dezember 1893

Martin Rade 23. Dezember 1893; Berlin Brief; eigenhändig UB Marburg, Ms. 8391

NW Siegmundshof 6II 23 XII 93 Hochverehrter Herr Pfarrer, verzeihen Sie, wenn ich Sie in der Weihnachtszeit mit Correspondenzen behellige, – aber ich höre soeben von meiner Frau, die Göhre gespro­ chen hatte, daß Ihr Schwager Naumann1 aus seiner Stellung „entlas­ sen“ sei2 – ich muß annehmen unfreiwillig und seiner sozialpolitischen Stellungnahmea halber. Ist das in der That der Fall? und wenn ja, wer ist der Spiritus rector bei dieser Erbärmlichkeit? Und was gedenkt Ihr Herr Schwager zu thun? Meine Frau verstand, er wolle „Journalist“ werden. Was soll man sich darunterb vorstellen? Glauben Sie, daß ir­ gend Jemand mir oder meinen Freunden hier Zugängliches ihm irgend nützlich sein kann? Ich meine damit natürlich nicht, daß ihm die Un­ ehre einer „Verwendung für ihn“ angethan werden soll, sondern nur, daß ich nicht weiß [,] was er vorhat und ob ihm irgend welche persön­ lichen Anknüpfungen für seine, wie immer gearteten, Zwecke von Nutzen sein könnten, oder was sonst. – Es scheint, daß |:auch sonst:| das Zeitalter der Leisetreterei wieder begonnen hat. Der hiesigen Aktion in Bezug auf den Agendenent­ wurf,3 – Sie werden davon gehört haben –, die allerdings von der „Lina  Alternative Lesung: Stellungnahmen  b  darüber > darunter   1  Martin Rade war mit Friedrich Naumanns Schwester Dora verheiratet. 2  Es muß sich hier um einen Irrtum Webers handeln, da Naumann nicht von seiner damaligen Stellung als Geistlicher der Inneren Mission in Frankfurt/Main entlassen worden war. Naumann war lediglich auf einer Veranstaltung mit einem ehemaligen Kandidaten der Theo­logie aufgetreten, der sich mittlerweile der Sozialdemokratie angeschlossen hatte. Von den Kirchenbehörden erhielt er daraufhin eine Verwarnung; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, [Rezension von:] Was heißt Christlich-Sozial?, MWG I/4, S.  348, Anm.  15. 3  Mit der „Aktion“ bezieht sich Weber auf die vermutlich von Adolf Harnack verfaßte „Eingabe an den Evangelischen Oberkirchenrat zum Entwurf einer neuen Agende“, die im März 1894 zusammen mit den Namen von über 800 Unterstützern veröffentlicht wurde, zu denen auch Max Weber gehörte. Die „Eingabe“ richtete sich gegen die Ausarbeitung einer neuen Gottesdienstordnung (Agende), die 1893 auf Veranlassung der Generalsynode der evangelischen Landeskirche und im Einvernehmen mit dem Evangelischen Oberkirchenrat vorgelegt wurde. Kritiker wie Max Weber sahen in der impliziten Aufwertung des apo-

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ken“ zuerst insceniert wurde, wollen sich Herr v. Soden etc. nicht an­ schließen, unter dem Vorwande, die Persönlichkeit Schröder’s hindere daran.4 Nun hat man absichtlich vermieden, ihn irgendwie daran zu beteiligen, – absichtlich, um keinen Anstoß in der Person zu geben. Der wahre Grund ist einfach: als die Apostolikum-Bewegung5 begon­ nen wurde, taxierte man die Machtlage falsch, jetzt, wo man sie über­ sieht, verläßt Derjenige, welcher die Fanfare geblasen hat, die Fahne; das trat schon bei der Conferenz der „Freunde der Chr[istlichen] W[elt]“ hier im October6 zu Tage. Wie ist so etwas möglich und zu verantworten? Doch verzeihen Sie diese Abschweifung, ich hatte nur den Wunsch, über das Schicksal Ihres Herrn Schwagers eine kurze authentische Postkarten-Notiz zu erhalten, für die ich im Voraus danke. Meine Frau empfiehlt sich allen den Ihrigen und Ihnen herzlichst, so auch Ihr aufrichtig ergebener Max Weber

stolischen Glaubensbekenntnisses einen Angriff auf individuelle Glaubensansichten von Geistlichen und Gemeindemitgliedern. Beide Seiten einigten sich schließlich auf einen Kompromiß, der am 14. November 1894 von einer außerordentlichen Generalsynode angenommen wurde; vgl. den Editorischen Bericht und den Text der Eingabe, MWG I/4, S.  863–871. 4 Wahrscheinlich handelt es sich um den umstrittenen Theologen August Schröder. Er galt als Führer des kirchlichen Liberalismus in Nassau. 1871 war er vorübergehend abgesetzt worden, weil er die Rechtmäßigkeit der nassauischen Agende bestritten hatte. Vgl. dazu die Artikel: Schröder, August, in: RGG, Bd. 5, 1913, Sp.  400, sowie: Apostolikumsstreit, in: ebd., Bd. 1, 1909, Sp.  6 06. 5  Weber bezieht sich hier auf den sog. Apostolikumsstreit des Jahres 1892, in dem sich liberale Theologen, v. a. Adolf Harnack (zuerst in „Die christliche Welt“), für eine Reform des traditionellen Glaubensbekenntnisses (Apostolikum) für die evangelischen Landeskirchen ausgesprochen hatten. Am Ende wurde das Apostolikum nicht geändert, der Freundeskreis um die „Christliche Welt“, zu der auch Max Weber gehörte, hatte sich aber endgültig auf den Boden einer liberalen Theologie gestellt. 6  Max Weber hatte an diesem Oktober-Treffen der „Freunde der Christlichen Welt“ teilgenommen. Friedrich Naumann berichtete, daß die Besprechungen aber „mehr privater Natur“ gewesen seien; Die christliche Welt, Nr.  52 vom 21. Dez. 1893, Sp.  1251; Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/4, S.  3 0 mit Anm.  87.

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16. Februar 1894

Alfred Weber [vor dem 16. Februar 1894]; BK Berlin Visitenkarte; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  23, Bl. 35 Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen.

Professor Max Weber und Frau Berlin N. W.

Siegmundshof 6.

beehren sich 1. Herrn Referendar Weber 2. Fräulein Clara Weber auf Freitag dieser Woche den 16ten Februar 8 Uhr zu einem Brot­ abend und Glase Landwein im juristischen Collegenkreise ergebenst einzuladen.

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23. Februar 1894

Gustav Schmoller 23. Februar 1894; Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav von Schmoller, Nr.  186

NW 23 Siegmundshof 6 23. 2. 94 Hochgeehrter Herr Professor, 5

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ich danke auf das Verbindlichste für die überaus freundliche Zusen­ dung Ihres Artikels aus dem „Handwörterbuch“1 und der Einleitung in die mir bereits bekannten statistischen Materialien der Börsen-En­ quete-Commission.2 Ich konnte Ihre Gesichtspunkte alsbald in meinem Handelsrechts-Praktikum, 3 wo ich z. Z. die Börsen-Enquête tractiere, verwerthen. Ich verbleibe Ihr in ausgezeichneter Hochachtung sehr ergebener Max Weber

1 Schmoller, Gustav, Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und -methode, in: HdStW1, Band 6, 1894, S.  527–563. 2  Schmoller, Gustav, Einleitung, in: Börsen-Enquete-Kommission, Statistische Anlagen. – Berlin: Reichsdruckerei 1893, S. VII–XXVI. Die Börsenenquetekommission war 1892 nach einer Reihe von Finanzskandalen eingerichtet worden, um grundlegende Informationen über die Börse zu sammeln sowie Vorschläge zur reichseinheitlichen Regulierung und Aufsicht des Börsenhandels vorzulegen. Die Kommission selbst bestand aus Börsenfachleuten verschiedenster Bereiche wie Justiz, Verwaltung und Ökonomie, zu denen auch Gustav Schmoller zählte. Am 28. Dezember 1893 wurde von Reichskanzler Leo von Caprivi der Abschlußbericht vorgelegt. Das Börsengesetz selbst wurde dann bereits 1896 verabschiedet. Max Weber berichtete ausführlich über die Ergebnisse in einer vierteiligen Artikelfolge in der „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“: Weber, Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete, MWG I/5, S.  175–550. 3 Es handelte sich um die 2-stündige Lehrveranstaltung mit dem Titel „Handelsrechts­ prakticum“, die Max Weber in jedem seiner fünf Berliner Semester abhielt, so auch im Wintersemester 1893/94; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, WS 1893/94, S.  4, ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53 f.

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25. Februar 1894

Heinrich Sohnrey 25. Februar 1894; Berlin Abschrift; maschinenschriftlich ohne Grußformel und Unterschrift UA Freiburg i. Br., Nl. Otto Ammon, C75/0118 Die Abschrift endet mit der Zeile: „(Ohne Unterschrift. Brief von Prof. Dr. Weber.)“ Zum Hintergrund: Auf das Preisausschreiben der von Heinrich Sohnrey herausgegebenen Zeitschrift „Das Land“ waren bis November 1893 60 Arbeiten eingegangen. Das Preisgericht, dem neben Max Weber der Vorsitzende des Evangelisch-sozialen Kongresses Moritz August Nobbe sowie der Freiburger Volkskundler Fridrich Pfaff angehörten, bedachte die unter dem Motto „Urquell“ eingereichte Arbeit des Karlsruher Publizisten Otto Ammon mit dem ersten Preis; vgl. [Rubrik:] Preisgericht, in: Das Land, Jg. 2, Heft 13, 1894, S.  193, ferner Ammon, Otto, Die Bedeutung des Bauernstandes für den Staat und die Gesellschaft, ebd., S.  194–197, 209–212 und S.  225–228, sowie den Brief an Otto Ammon vom 14. Dezember 1894, unten, S.  585–587. Ammons preisgekrönter Beitrag erschien noch im selben Jahr als selbständige Schrift (Ammon, Otto, Die Bedeutung des Bauernstandes für den Staat und die Gesellschaft. – Berlin: Trowitzsch 1894).

Berlin NW, 23, Siegmundshofa 6 II 25/II. 94. Sehr geehrter Herr Sohnrey! Das Packet mit 26 gelesenen Arbeiten geht heut an Sie ab, mit 300 M. versichert. Entweder haben Sie meinen letzten Brief1 nicht erhalten oder ich Ihre Antwort nicht, denn ich fragte Sie nach der Adresse von Herrn Pfaff und habe darauf, wenn nicht irgend ein Versehen vorliegt, wie es nach Ihrer letzten Karte fast scheint, keine Auskunft erhalten. Nach Lage der Sache ist die beste Arbeit bisher zweifellos „Urquell“, – dessen Verfasser ich zu kennen glaube. Die nächstdem von mir be­ gutachteten sind erheblich schwächerb und stehen sich untereinander fast gleich, so daß m. E. sich eine Vertheilung des 2ten und dritten Preises unter sie empfehlen würde, – vorbehaltlich des Urteils über die Arbeiten, die ich noch nicht las. Falls die übrigen Preisrichter eine an­ dere Auswahl in der Rangfolge der Arbeiten, die ich für die besten halte (sehr viel taugen sie alle nicht) treffen wollen, so gebe ich im Vor­ aus meine Zustimmung.2 Das ist schließlich Geschmacksache. a  In Abschrift: Sigmundstraße  b  In Abschrift: schächer   1  Der Brief an Heinrich Sohnrey ist nicht nachgewiesen. 2  Den zweiten Preis erhielt Heinrich Wittenberg für seine Arbeit „Woran leidet der Landarbeiterstand in den östlichen Provinzen und wie ist ihm zu helfen?“ (erstmals abgedruckt in: Das Land, Nr.  16 vom 15. Mai 1894, S.  241–243; Nr.  17. vom 1. Juni 1894, S.  263–265;

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Übrigens werde ich mich vor Preisrichterämtern in Zukunft hüten wie vor der Cholera. Ich habe schlechterdings die Zeit dazu nicht, und es war unrecht, daß ich die Zusage s. Z. so leichtsinnig gab. Der Rest folgt in einigen Tagen, gelesen habe ich einen Teil auch davon schon.

Nr.  18 vom 15. Juni 1894, S.  275–277; Nr.  19 vom 1. Juli 1894, S.  290–292; Nr.  20 vom 15. Juli 1894, S.  396–308). Da sich das Preisgericht auf keine weiteren Preise einigen konnte, erhielten zwölf weitere Arbeiten lediglich eine lobende Erwähnung; vgl. [Rubrik:] Preisgericht (wie die Editorische Vorbemerkung, oben, S.  488).

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Marianne Weber 1. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber war vom 1. März bis 25. April 1894 als Reserveoffizier des 2. Niederschlesischen Infanterieregiments Nr.  47 zu einer Militärübung in Posen eingezogen worden.

Fritz Bremer Posen a bMylius Hôtel b Stadt Dresden. Posen, den 1/III 1894 Mein liebes Frauchen! Jetzt wirst Du wohl in Deiner Einsamkeit bereits sehnsüchtig dem Abend entgegensehen, wo Alfred’s Kommen Deine Strohwittwen­ schaft unterbricht. Wenn Du freilich denken solltest, daß ich hier in meiner Uncontrolliertheit und angenehmen Wittwerschaft schwelge, so würdest Du Dich bedenklich irren. Die Fahrt gestern Nacht war leidlich bis Frankfurt, dann bekam mein Vis-à-vis Magenkrämpfe und spie mir die Stiefel voll – nur mühsam entzog ich mich weiteren ähn­ lichen Vertraulichkeiten des armen Teufels. Bei strömendem Regen kam ich hier an und erreichte das Hotel und darin das letzte in ganz Posen verfügbare Nachtquartier. Irgend ein reiches polnisches Viech – ich glaube eine Gräfin Cegielskac 1 – hatte das Zeitliche gesegnet und die ganze polnische Aristokratie bevölkerte nebst zugehörigen Wan­ zen die Hotels, so daß einige mitangekommene Kameraden alle „Ho­ tels“ des Stinklochs vergeblich nach Unterkunft absuchten. Heute früh zwängte ich dann meinen Embonpoint in den bunten Rock, meldete mich bei den verschiedenen Chargen und Excellenzen und wurde mit großem Hurrah im Casino aufgenommen, wo man als meine einzige ins Gewicht fallende Eigenschaft meine Consumfähigkeit in Bezug auf alcoholische Getränke schätzte und schätzt. Ich habe das Meinige zu thun gehabt, diesen Ruf aufrecht zu erhalten, – daraus daß ich Dir jetzt a  O: eigenhändig unterstrichen.   b–b  O: eigenhändig unterstrichen.   c Unsichere Lesung.   1 Vermutlich handelt es sich um die am 24. Februar 1894 verstorbene Albertyna Ce­ gielska.

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– um 1/ 27 Uhr schon – in der Lage bin diesen interessanten Schreibe­ brief2 zukommen zu lassen, wirst Du zu Deiner Befriedigung ersehen, daß ich Dir in dieser Beziehung Ehre gemacht habe. Morgen geht die Dienst-Schweinerei schon kurz nach Mitternacht – irre ich nicht um 8 Uhr [–] los und ich werde mich daran gewöhnen, die frische Luft als Arbeits-Atmosphäred zu betrachten und mich darnach zu sehnen, wie­ der in gebildeter Stubenluft existieren zu können. Eine Wohnung habe ich auch schon, sie wird mir von einem abkom­ mandierten Cameraden abgetreten, die Adresse schreibe ich Dir mor­ gen. Man versetzt sich doch sehr schnell wieder in die eigentümliche Mi­ schung von Galgenhumor und Pomadigkeit hinein, welche die charak­ teristische Eigentümlichkeit der geistigen Atmosphäree in den Militär­ casinos des preußischen Osten bildet; die Zahl der mir bekannten Al­ tersgenossen ist betrüblich zusammengeschmolzen – leider! – und nur einige definitiv entgleiste Junggesellen bilden den Stamm, an den man sich anschließen kann. Im Übrigen ist die Aufnahme diesmal wie im­ mer unbefangen und naiv kameradschaftlich [.] Alles in Allem glaube ich vorerst, daß ich es zunächst besser habe, als Du, mein kleines „interessantes“ Strohwittwechen. Der hinkende Bote3 trostloser Langeweile kommt noch und leider (?) habe ich dann nicht die Zeit, das einzige Heilmittel zu brauchen: an den Suff zu kom­ men. Jetzt nur diesen Gruß. Wenn Briefe einlaufen, so öffne sie nach Dei­ nem Ermessen oder schicke sie mir nach, – sind sie eilig, antworte Du vorläufig, daß ich nicht da sei. Etwaige Telegramme telegraphiere mir wörtlich hierher, ebenso besonders exceptionelle Briefe dem Hauptin­ halt nach. Alles zunächst nach diesem Hotel. Laß Dirs gut gehen und die Zeit nicht lang werden und schreibe bald Deinem Max der Dich herzlich küßt.

d O: Arbeits-Athmosphäre  e O: Athmosphäre   2  Ugs. für: in angemessenem oder mahnendem Ton abgefaßter Brief. 3  Seit dem 16. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnung für eine zwar verspätet eintreffende, aber zuverlässige Nachricht.

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Marianne Weber 2. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Fritz Bremer Posen Mylius Hôtel Stadt Dresden. Posen, den 2/3 1894 Mein Herzenskind, wenn ich mir das Heulen nicht abgewöhnt hätte, so hätte ich es heute bei Empfang Deines lieben Briefes mit der Nachricht von diesem mär­ chenhaften Glück exerciert. Mir ist nur das Eine schmerzlich, daß ich fort bin und meinen kleinen Liebling nicht als heimlich verlobte Braut zu sehen bekomme,1 – denn so weit ist ja die Sache, scheint es, schon gediehen, daß man diesen Ausdruck gebrauchen darf? – Von Zeit zu Zeit fürchte ich immer wieder, es könnte sich um eine Mystification handeln, die Du mit mir vorgenommen hast, oder es könnte Alles un­ ter den Händen wieder zerrinnen. Es ist schön, einmal zu sehen, daß es in der Welt doch noch vorkommt, daß solch sonnige Naturen ungebro­ chen aus der Mädchenzeit das Höchstea an Glück finden, was das Le­ ben ihnen zu bieten hat, – Erfahrungen und Enttäuschungen hält das Leben für sie für später noch reichlich bereit, warum sollten sie in jun­ gen Jahren daran verkümmern? – Freilich: „etwas plötzlich“ habt Ihr den unbedachten jungen Mann „genagelt“, das muß ich sagen, – ihm gleich einen Kartellträger auf die Bude zu schicken2 –,b dessen versieht sich ein Liebhaber normalerweise wohl kaum. Aber nun schreibe mir sofort, wenn von der Mama Nachricht da ist, ich will ihr erst schreiben, wenn ich ihre Antwort kenne. Es wird, glaube ich, eine Wohlthat für

a  Alternative Lesung: Schönste  b  〈das〉   1  Ernst Mommsen hatte Clara Weber einen Heiratsantrag gemacht (Brief Marianne Webers an Helene Weber, undat. [vermutlich vom 1. März 1894], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 2  Gemeint ist vermutlich Alfred Weber, der Ernst Mommsen aufsuchte, um ihm das Jawort von Clara Weber zu überbringen (ebd.).

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sie sein, daß die Sache mit G[öhre] so klar liegt und erledigt ist, 3 – mir ging sie die ganze Reise über im Kopf herum, – es ist für sie auch ein unbefangenes Verhältnis zu ihm möglich, – – aber es ist mir nicht mög­ lich, heut mehr über das Alles zu schreiben, ich muß erst noch einmal schwarz auf weiß von Dir sehen, daß das Ganze kein verspäteter Fast­ nachtsschwank ist. Bitte schreib alsbald wenn Du es noch nicht gethan hast, noch einmal, – jetzt küßt Dich Dein gänzlich confus gewordener Max Adresse: Bäckerstraße 16 parterre

3  Die Familie Weber hatte vermutet, Clara sei in Paul Göhre verliebt, der seinerseits aber keine Gefühle für sie hegte (ebd.).

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Marianne Weber 5. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Posen 5/III 94 Mein liebstes Herz, nur mit einiger Mühe presse ich ein Viertelstündchen im Casino her­ aus, um Dir einen Gruß zu senden. Sonnabend war den Tag über und exceptionaler Weise auch noch Abends spät Dienst. Sonntag zog ich um in meine Wohnung. Sie ist für hiesige Verhältnisse gut, – Wohnund Schlafzimmer, Burschenstube und ein allerdings für unsre Be­ griffe abscheuliches „Grünberg“.1 – In den nächsten Tagen wird es nun wohl etwas stiller werden, heute mußte ich um 5! aufstehen, natürlich war kein Caffee erhältlich und ich blieb bis 12 nüchtern, um dann mit einem Frühschoppen den Tag zu beginnen. Jetzt habe ich schon seit Stunden hier herumzulungern, um einen Vortrag über Sanitätswesen entgegenzunehmen, der unendlich langweilig zu werden verspricht, und daran schließt sich ein formell freiwilliger, aber thatsächlich zwangsweiser „gemütlicher Herren­ abend“, vor dem ich mich gern drückte. Deshalb heut nur diesen Tropfen, morgen mehr. Von Clara kam heut aus Altmorschen ein Kärtchen voll Glück, sie wird gut zu ihrem Schwiegerpapa passen, 2 der niedliche Mädchen sehr gern hat. Herzlich freute mich das Glück der Mama. Ich schreibe auch ihr morgen.3 Dun­ kel ist mir noch, ob ich Karl um Ernst Mommsen schon etwa Notiz gebena soll.4 G[öhre] schreibe ich auch morgen [,] 5 bisher war das Alles a O: nehmen   1  Möglicherweise ein „Abtritt“, d. h. eine Art von Toilette, wie sie das durch den Baumeister Martin Grünberg (1655–1706) umgebaute Jagdschloß Grunewald besaß. 2  Clara Weber hatte am Vorabend einer Reise einen Heiratsantrag von Ernst Mommsen, einem Sohn von Theodor Mommsen, erhalten; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 2. März 1894, oben, S.  492. Sie besuchte Clara Rohnert in Altmorschen, bei der sie 1892 Kochen und Haushaltsführung gelernt hatte. 3  Max Weber kam erst später dazu, seiner Mutter zu schreiben; vgl. den Brief an Helene Weber vom 8. März 1894, unten, S.  499 f. 4 Vermutlich war sich Max Weber unschlüssig, ob er seinen Bruder Karl über Ernst Momm­sens Heiratsantrag informieren sollte; vgl. oben, Anm.  2. 5  Das angekündigte Schreiben an Paul Göhre unterblieb; vgl. den Brief an Helene Weber vom 8. März 1894, unten, S.  499.

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unmöglich. Ebenso muß ich Clara noch auf |:die:| Gratulation warten lassen. Grüße Du einstweilen Alles herzlichst. Von Arbeiten bisher keine Rede. Nun ich hoffe die Sache kommt bald anders. Für heut herzlichen Kuß Dein Max

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Marianne Weber 6. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Bäckerstraße 16 Posen 6/III 94 Mein liebes Herz, heut ist wenigstens so viel mehr Ruhe, daß ich meinem eiligen Gruß1 von gestern eine Ergänzung nachsenden kann. Ich finde eben auch ein sehr glückliches, aber doch freilich immer noch recht müdes Briefchen von der Mutter vor, die Dir mein Herz so tief dankbar ist für die hüb­ sche Art, wie Du das Alles wieder in die Wege geleitet hast. Nun wüßte ich nur zu gern, was Ihr denn nun eigentlich anfangt, wie weit z. B. der Duz-Commenta schon durchgedrungen ist mit den Schwägern und Schwägerinnen, ob Du Karlchen2 oder andre schon Abends bei Dir gesehen hast etc. Je mehr ich mich in die Sache vertiefe und hinein­ denke, desto unwahrscheinlicher kommt sie mir immer einmal wieder vor: nun ist ja das Gespenst in Unterhosen in Göttingen, der Wila­ mowitz,3 auch mein „Schwager“ – weiß Gott das ist des Seltsamen doch fast zu viel. Und Clärchen sich als Schwiegertochter von „Onkel Theo­ dor“4 oder wie man ihn jetzt nennen soll zu denken [,] übersteigt vorerst auch noch meine Fassungsgabe. Indessen – Ihr scheint ja praktisch mit diesen ganzen für mich so schwer auszudenkenden Situationen ganz gut auszukommen und ich möchte nur auch gern etwas mehr concretes Material haben, um mich an die Geschichte gewöhnen zu können. Aber mein liebes Frauchen schmollt wohl mit mir wegen des zweitä­ gigen Schweigens?

a O: Dutz-Comment   1  Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 5. März 1894, oben, S.  494 f. 2 Max Webers Freund Karl Mommsen war der Bruder von Ernst Mommsen, der Clara Weber einen Heiratsantrag gemacht hatte; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 2. März 1894, oben, S.  492 mit Anm.  1. 3  Max Weber spielt auf einen neun Jahre zuvor umständehalber mißglückten Besuch bei Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Professor für Klassische Philologie und Schwiegersohn von Theodor Mommsen, an; vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 1. Nov. 1885, MWG II/1, S.  552–554. 4  Theodor Mommsen.

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Das einzige in den ersten Tagen wirklich Unangenehme war, daß die ungewohnte frische Luft mir den Schlaf aufs äußerste beschnitt, ich glaubte, da zufällig gleich ein paarb klotzige Übungstage kamen, stets |:nachher:| totmüde zu sein und schlief dochc nur wenige Stunden in der Nacht aller Anstrengung ungeachtet [.] Übertrieben behaglich war es ja auch nicht: morgens konnte ich vor dem Dienst in den ersten Tagen keinen Kaffee bekommen, da die Wirtsleute5 schliefen und nicht zum früher-Aufstehen zu bewegen waren und alle Läden zu wa­ ren, – so daß ich bis zum Frühschoppen nüchtern blieb, mein Bursche6 ist ein Hornroß – ein ostelbischer Landarbeiter, mit dem mich die un­ dankbare Gegend straft, – in Folge dessen ist meine Höhle hier auch kein Ideal an Ordnung und würde Dir wenig imponieren. Zum Arbei­ ten komme ich hoffentlich endlich morgen etwas. Dabei ist ein Schwei­ newetter und ein Bä-bä!7 draußen, daßd Alles aufhört. Kurz ich glau­ be mit dieser Übung werde ich dem Vaterlande hinlängliche Dienste geleistet haben und mich in die Landwehr begeben, verheirathete Leu­ te werden eben doch verwöhnter und bequemer. Von den alten Kame­ raden ist auch nur noch ein Teil hier und dieser teilweise in recht ge­ drückter Stimmung, da man eben zwei recht beliebten und so viel ich weiß auch als tüchtig geltenden Hauptleutene den Hals umgedreht hat.8 Kurzum es ist diesmal hier eben noch weniger los als in früheren Jahren9 und ich freue mich deshalb aufrichtig auf das Ende, so fern es auch noch ist. Wann kommt denn meine Mutter eigentlich zurück? Das schrieb sie nicht, sondern nur, daß dann die Verlobung gefeiert werden sollte. – Leb wohl mein liebes Kind, was macht denn der Haushalt? Pflegst Du Dich auch entsprechend und suchst nicht etwa Schätze zu sam-

b O: par  c  〈aller〉  d O: das  e  Haupt[??] > Hauptleuten   5  Gemeint sind vermutlich der Besitzer des Hauses Bäckerstraße 16, Theophil Tannchen, und seine namentlich nicht zu ermittelnde Frau; vgl. Adress- und Geschäfts-Handbuch der Stadt Posen. – Posen: Decker 1894, S. *5. 6  Der Name konnte nicht ermittelt werden. 7 Eine Abscheu ausdrückende, aus der Kindersprache übernommene Interjektion; vgl. Meyer, Hans, Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten, 5.  Aufl. – Berlin: H. S. Hermann 1904, S.  12. 8  Die Namen der Hauptleute und der Sachverhalt konnten nicht ermittelt werden. 9 Max Weber hatte bereits 1888 und 1891 Militärübungen in der preußischen Provinz Posen absolviert; vgl. die Einleitung, oben, S.  19 f.

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meln? Wen siehst Du denn bei Dir? Frl. Heynsen?10 Käthe Schmidt? (Weiß die schon etwas? Wer weiß denn überhaupt von der Affaire?) Herzlich küßt Dich Dein etwas geödeter Mann

10  Die Konzertsängerin und Gesangslehrerin Lulu Heynsen.

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Helene Weber 8. März 1894; Posen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 165–166

Posen Bäckerstraße 16 pt 8/3 94 Liebe Mutter, 5

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ich bin eben von der Caserne zurück, die ich seit heut Vormittag nicht verlassen habe und habe schnell noch an Beneckes telegraphiert1 ob­ wohl es ja natürlich zu spät kommt. Selbsta das Briefchen an Clara, 2 das ich heut Vormittag in die Tasche steckte [,] ist nicht fortgekommen. Da nun morgen und übermorgen auch böse Tage sind, schreibe ich lie­ ber endlich heut noch ein kurzes Wort. Dies ganze fabelhafte und noch immer kaum zu glaubende Glück – ich habe wirklich noch kaum die Fähigkeit dazu innerlich wirklich Stellung zu nehmen – war doch wirk­ lich nach Allem, was Einem in der letzten Zeit durch den Kopf ging, eine Erlösungb wie sie sonst nicht von dieser Welt ist. Da Du G[öhre] schon geschrieben hast, habe ich es unterlassen, es könnte von ihm misdeutet werden, grade da er doch im Wesentlichen weiß, was wir zeitweise vermutheten.3 Aber diese Kleine! Sie hat mir ein sehr nied­ liches Kärtchen geschrieben und scheint sich mit der ihr eignen Unbe­ fangenheit in die Situation gefunden zu haben, und ich freue mich, daß meine Marianne dabei Deine Stelle als Vertrauensperson vertreten durfte.4 Manche Naturen bedürfen langen ungetrübten Sonnenscheins, damit sie gegen das Wetter fest werden und sich wirklich entfalten, und dazu gehört doch auch das Kind mit seiner noch ungebändigten Le­ benskraft. Auf der weiten Welt wüßte ich bei noch so genauer Übera  〈Clara〉  b  〈die〉   1  Das Telegramm, das Max Weber seiner Straßburger Cousine Marie Benecke zu ihrer Hochzeit mit Arthur Benno Schmidt am 8. März 1894 schickte, ist nicht nachgewiesen. 2  Der Brief an Clara Weber ist nicht nachgewiesen. 3  Die Familie Weber hatte vermutet, Clara Weber sei in Paul Göhre verliebt; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 2. März 1894, oben, S.  492 f. mit Anm.  3. 4  Clara Weber hatte zunächst Marianne Weber von Ernst Mommsens Heiratsantrag berichtet, da Helene Weber zur Hochzeit ihrer Nichte Marie Benecke nach Straßburg (vgl. oben, Anm.  1) gereist war. Marianne Weber hatte daraufhin Max Weber sen. eingeweiht (Brief Marianne Webers an Helene Weber, undat. [vermutlich vom 1. März 1894], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

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legung Niemand, der als Mann so für sie paßte wie dieser. Freilich, unter den Pantoffel wird er wohl gründlich kommen, etwas bedarf er dessen aber auch. – Nun liebe Mama, wenn Du auch, wie ich aus Deinem Briefe sehe, noch müde und abgespannt bist, so meine ich doch, wird Dir Das Alles, was da jetzt geworden ist, die trüben Gedanken verscheucht haben. Und für die nächste Zeit wird das Ereignis ja auch nicht ohne Folgen für Alles zu Hause sein. Grundsätzlich entgegengesetzte Ausgangs­ punkte der Lebensanschauung ergeben Gegensätze, die man zu über­ brücken gar nicht versuchen darf, weil es die Schlußaufgabe bedrohen würde und weil nun einmal auf der andren Seite die psychologische Möglichkeitc völlig und dauernd fehlt, den gegenteiligen Standpunkt wirklich aufrichtig anzuerkennen und dauernd zu achten. Aber das agressive Bedürfnis, fortwährend sich daran zu reiben, kann doch we­ sentlich gemildert werden, meines Erachtens allerdings nur, wenn die­ ser Standpunkt ruhig festgehalten wird. Jeder Versuch durch Aufgabe der inneren Selbständigkeit das frohe Gefühl der Einheit wiederzuge­ winnen, baut sicher – auf died Dauer gesehen – auf Sand. Das habe ich nur gerne noch einmal sagen wollen, weil Marianne mir gelegentlich schrieb, daß Du zuweilen, immer noch einmal darüber im Zweifel seiest.e Die Richtigkeit meiner Ansicht über diesen Punktf steht mir über jedem Zweifel. – – Es ist spät, ich will zu Bett, – morgen 3 /46 geht der Dienst los! Herzlichste Grüße an Alle – Otto5 wenn er nochg da ist – die Tanten, den Onkel und die Cousinen und Vettern Dein Sohn Max

c Unsichere Lesung: 〈der〉    d  〈Dauer〉    e Unsichere Lesung: 〈Nun〉    f  〈ist〉   g  Alternative Lesung: auch   5  Otto Baumgarten.

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Marianne Weber 8. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

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da ich vor übermorgen Abend wohl sicher nicht zu einem Gruß an Dich komme, schreibe ich lieber jetzt, obwohl es schon etwas spät ist, noch ein paara Worte um Dir vielmals für Deinen lieben letzten Brief zu danken. Also die Sache hat sich ja nun schon etwas anschaulicher für mich gestaltet, ich habe heute meiner Mutter und Clärchen1 geschrie­ ben, – mich zu einem Brief an den neuen „Schwager“ aufzuschwingen erschiene mir doch voreilig und aufdringlich [.] – Nun aber mein Kind Du bist gar nicht so geödet wie Du prophezeit hast, nach Deinen Brie­ fen wenigstens, scheint mir, nicht wahr? Die Speisekarte mit Men­ schenfleisch – hätte ich beinahe gesagt – ich meine aber – Geist, die Du Dir zurechtgestutzt hast, läßt meine kühnsten Hoffnungen hinter sich. Sogar Rösings2 figurieren darunter? Ist es richtig, daß Oldenberg und Alfred nächsten Donnerstag bei Dir zu Abend essen? Den O[lden­ berg] hätte ich nun für viel zu schüchtern gehalten, als daß er sich in die Nähe energischer Strohwittwen begeben hätte. Sattler 3 und Fritz Cohn4 hätte ich eher bei Dir vermuthet. Jedenfalls zeigt sich |:auch hier­in:|, daß O[ldenberg] ein Mann wird. Also Buchen5 ist endlich auch explodiert und expectoriert. Soll ich mich etwa bei den „geistrei­ chen Männern“ getroffen fühlen? Ich danke bestens! Wenn Du behauptest, alles Mögliche von Ungeheuerlichkeiten an Unordnung in meiner hiesigen Saubucht zu sehen, leidest Du an ei­ niger optischen Täuschung. Eine „Kaffeetasse“ z. B. und eine in deren a O: par   1  Vgl. den Brief an Helene Weber vom 8. März 1894, vgl. oben, S.  499 f.; der Brief an Clara Weber ist nicht nachgewiesen. 2  Die Familie von Clara und Johannes Rösing, ein Freund von Max Weber sen. 3  Der Jurist Heinrich Sattler gehörte wie der Nationalökonom Karl Oldenberg zum enge­ ren Kreis um Max Weber und Alfred Weber; er verkehrte auch am „Donnerstag“; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  21–24. 4  Der Verlagsbuchhändler Fritz Cohn war ein Schulfreund Max Webers. 5  Die Person konnte nicht ermittelt werden.

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„Nähe“ befindliche „Haarbürste“ existiert hier nicht.b Da bisher noch die Zeit zu eigner Montierungc mit Kaffeegeschirr fehlte, so kriegte ich auch heute noch keinen – ging vielmehr in die Casernenkantine und soff dort ein ungeheuerliches, Pot-de-chambre-artiges Gefäßd mit echter Cichorientunke aus. Du hast ganz recht, bei „Muttern“ ist es besser. Beiläufig, – Du wirst mir doch hoffentlich Oldenberg und Alfred und solche Hausfreunde anständig, nicht bloß mit 2erlei Wurst und dreckigem Käse, verpflegen? Bekommen wird mir die Sache hier schon und hört auch jetzt bald auf, so toll zu verlaufen wie jetzt einige Tage. Der Compagnieführer schien wie des T…’s geworden zu sein.6 Dann schreibe ich mehr, dies ist nur die Hälfte eines dann fortzuset­ zenden Briefs, – jetzt: zu Bett zu Bett wer Lasten hat pp.7 Mit herzl. Kuß Dein Max

b  Unsichere Lesung: 〈Den〉  c  Unsichere Lesung.   d O: Geväß   6  Zu Max Webers Querelen mit seinem namentlich nicht zu eruierenden Vorgesetzten vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 11. und 14. März 1894, unten, S.  505 und 506. 7  Nicht nachgewiesene Variation auf den preußischen Zapfenstreich „Zu Bett, zu Bett …“; vgl. z. B. Preußische Volksreime und Volksspiele, gesammelt und hg. von H. Frischbier. – Berlin: Th. Chr. Fr. Enslin 1867.

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Marianne Weber 11. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Posen Bäckerstr. 16 11/III 94 Mein liebes Herz 5

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Heut finde ich doch, – trotzdem ich sehr lange ausgeschlafen habe und Besuche machen muß, schon ama Vormittag einige Minuten mich mit Dir zu unterhalten, und ich thue das lieber, weil ich für den Nachmittag nicht bürgen kann. Ich entgehe dem Schicksal nicht, heut „eingeladen“, d. h. von einigen aktiven Kameraden, die dazu durch die Usance ver­ pflichtet sind, einiges von dem unsagbar scheußlichen „Sekt“, der hier für einen fast unter dem bairischen Bier stehenden Preis verzapft wird, bezahlt zu erhalten unter der fatalen Bedingung es auch zu trinken [.] Aus grundsätzlicher Anhänglichkeit gegenb einen Fundamentalgrund­ satz meines Lebens, – den der sogenannten „Bierehrlichkeit“ – dessen Bedeutung Du zu würdigen wissen wirst, – pflege ich diese strafbare Brühe denn auch vom Erdboden verschwinden zu lassen, und welches die Folgen für meinen Geisteszustand am Nachmittag sein werden, weiß der Himmel kaum, geschweige denn ich. Jetzt ist die Sache bei mir schon weit wohnlicher, erstens findest du das Lokal geheizt, zweitens einen Spirituskocher à 1 Mk und Cacao­ büchse, aus welcher den Cacao morgens mit seinen dreckigen Poten zu klauben ich meinem Burschen1 erst untersagen mußte, Du siehst ferner in meinem Schlafzimmer in einem Glasschrank eine Serie Grätzer Bie­ res, 2 und allerlei Herrlichkeiten von Spickgans (!) abwärts bis zur ganz gemeinen Artillerie-Pferde-Wurst. Mein eigner, heute durch ein rus­ sisches Bad wie eine Galatha – oder wie hieß dies Marmorweib, 3 ich verliere hier jede klassische Ader in der Schweinebucht – neu belebter Leichnam steckt sogar in einem Leinenhemd, was nur Sonntags pasa  Fehlt in O; am sinngemäß ergänzt.   b  〈die〉   1  Der Name des Burschen konnte nicht ermittelt werden. 2  Eine Spezialität aus der in der Provinz Posen gelegenen Stadt Grätz. 3 Anspielung auf die auf Ovid (Metamorphosen, Buch 10, Vers 243 ff.) zurückgehende mythische Erzählung des Bildhauers Pygmalion, der sich in eine von ihm erschaffene, lebensecht wirkende Elfenbeinstatue verliebt (auch Galatea genannt).

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siert. Ja ja, das alte verschmierte Commiß-Zweibein besinnt sich dar­ auf, daß es Mensch und sogar mit einem höchst appetitlichen Frauchen verheirathet ist und also wenigstens versuchen muß, von einem ge­ wöhnlichen Schwein wenigstens unter der Loupe unterscheidbar zu werden. Fatal ist die Sache nur mit den Betten: meinem guten Gewis­ sen wird kein entsprechend sanftes Ruhekissen geboten, ich finde in diesen viel zu kurzen und viel zu schmalen Kästen hier keine ausrei­ chende Stätte, auf welcher ich mein müdes Haupt und namentlich mein müdes Hinterteilchen entsprechend betten könnte: mein Vorgänger in der Wohnung, ein aktiver Kamerad,4 scheint in letzterer Beziehung mit einem höchst kümmerlichen Gewächs begabt gewesen zu sein und hat im Laufe langjähriger Thätigkeit – jetzt heirathet er – einen spitzen Winkel in die Matratze hineingelegen, den es mir noch nicht gelungen ist in einen meinen Verhältnissen entsprechend stumpfen zu regenerie­ ren. Nun das kommt wohl noch. Eigentliche Anstrengungen habe ich nicht, der Dienst nimmt mich in dieser Beziehung kaum ernstlich mit, so unglaublich übertrieben er ist, nur die greuliche Öde macht mich „schlapp [“] . Eben kommt Dein lieber Brief und die Zeitungen. Zur Frankierung der letzteren mußt Du aber künftig die Haushaltskasse um die Summe von |:mindestens:| je 10   in Anspruch nehmen, sonst habe ich Strafpor­ to zu zahlen. Laß sie lieber durchc Bertha5 auf der Post frankieren. – In den nächsten Tagen wird hier probeweise mobil gemacht. Dazu mußt Du mir meinen Tornister (er treibt sich im Schrank herum) und Tragriemen dazu (sie werden wohl daran befestigt sein) und ein Fern­ glas schicken, aber ein solches, welches einen Riemen zum Umschnal­ len hat (vielleicht hat Alfred ein solches, Dein Opernkucker hat ja kei­ nen Riemen, – oder tausche Du auf Rückgabe Deinen Opernkucker, wenn Du ihn jetzt nicht brauchst, gegen unser heimisches Instrument in Charl[ottenburg] aus) d. In den Tornister stopfe mir bitte das Soz[i­ al-]Pol[itische] Centralblatt6 und die neue Zeit7 seit der letzten Febru­ arnummer. – c  Alternative Lesung: doch  d  Schließende Klammer fehlt in O.   4  Der Name des Vormieters konnte nicht ermittelt werden. 5  Bertha Schandau, das Hausmädchen von Max und Marianne Weber. 6 Das „Sozialpolitische Centralblatt“ war eine von Heinrich Braun zwischen 1892 und 1895 herausgegebene Wochenzeitung, in der auch Max Weber publizierte. 7  Die seit 1883 zunächst als Monats- und seit 1890 als Wochenschrift erscheinende „Die neue Zeit“ war eine wichtige Plattform für Theoriedebatten der Sozialdemokratie.

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Heut komme ich das erste Mal etwas zum Arbeiten, aber auch mä­ ßig, da ich Ronde8 habe und also heut Abend lospatschen muß, um ei­ nige Forts 1/ 2 Meile von der Stadt zu revidieren.9 – Nachdem ich mich nach einer lebhaften Auseinandersetzung mit meinem Compagnie­ chef10 mit Erfolg über ihn beschwert habe, wird jetzt wohl die Sache etwas acceptabler werden. Ob ich schon morgen oder erst übermorgen Abend wieder schreibe, weiß ich noch nicht. Ich will jetzt einmal ernst­ lich versuchen, etwas Verständiges mit meiner Zeit anzufangen. Es küßt Dich deshalb herzlich Dein Max

8  Aus der Militärsprache: Runde, Rundgang; auch gebraucht für einen Wachen und Posten kontrollierenden Offizier. 9  D.h. kontrollieren, überprüfen. 10  Der Name konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war.

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Marianne Weber 14. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Posen Bäckerstr. 16 pt. 14/III 94 Liebes Herz, Du beschwerst Dich mit Recht. Den Brief, den ich Dir Sonntag schrieb,1 ließ ich liegen, Montag früh war Dienst, nachher ging ich zum Major, 2 mich über mein Roß von Compagniechef 3 zu beschwe­ ren, das Ergebnis war, daß ich 4 Fl. Ungarnwein mit ihm austrinken mußte und die Sache in Frieden geschlichtet wurde. Ich kam nicht dazu, Mittag zu essen, auf diese Weise, und als ich in den Dienst mußte, bestellte er mich |:auf 1/ 2 Stunde:| ab und verfügte in seiner Wuth über die Unterbrechung des Frühschoppens, daß ich fortan Nachmittags nur noch zu ganz bestimmten Diensten herangezogen, sonst aber frei sein solle. Diese Sitzung dauerte 31/ 2 Stunde, es flim­ merte mir etwas vor den Augen, als ich auf die Straße kam, denn der alte Knabe, ein angeblicher Abkömmling der alten Polenfürsten und Busenfreund Caprivis,4 ist ein fester Zecher und ich hatte Mühe, ihm um 2 Ungarweingläschen voraus zu kommen. Dann 11/ 2 Stunden Tur­ nen, 1 Stunde Instruction, rasender Durst, zu Abend gegessen und ge­ trunken und zu Bett. So bummelte sich mein Brief an Dich bis Diens­ tag hin, ich fand ihn – wir waren 3 /47 ausgerückt, – mit Entsetzen bei der Heimkehr noch auf meinem Tisch liegen. – Wenn bei Beneckes etwas los ist, so ist freilich wahrscheinlich wieder ein Schmidt im Spiele: der zweitjüngste und netteste von ihnen. Nur hatte man ihn auf Gretchen5 und nicht auf Gussy taxiert.6 Für Gussy 1  Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 11. März 1894, oben, S.  503–505. 2  Albert von Jabłonowski, vom 19. September 1891 bis 16. Juni 1894 Kommandeur des zweiten Bataillons des 2. Niederschlesischen Infanterieregiments Nr.  47; vgl. Voß, Das 2. Niederschlesische Infanterie-Regiment Nr.  47, S.  360, Nr.  254. Vgl. auch den Brief an Marianne Weber vom 19. März 1894, unten, S.  512. 3  Der Name konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war. 4  Der Reichskanzler und frühere preußische Ministerpräsident Leo von Caprivi. 5  Margarete (Grete) Benecke. 6  Martin Benno Schmidt und Auguste (Gussy) Benecke hatten sich verlobt. Arthur Benno Schmidt, ein älterer Bruder von Martin Benno Schmidt, hatte am 8. März 1894 Marie, die

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wäre jede Lösung ein Glück, ihre Vergangenheit geht ihr nach und zu Hause, wo Dora7 die Arbeit leistet, ist für sie keine Aufgabe. – Also Cohn8 war Sonntag Mittag da? Ich bin sehr stolz auf mein Frauchen, welche die gefährlichsten Schurken als Strohwittwe bei sich sieht. – Nach Kupferhammer reise doch ja.9 Wir kommen ja nun weder zu Großvaters Geburtstag10 noch (wahrscheinlich) Pfingsten11 hin. Ich fände es sehr nett [.] Geld hast Du doch noch? Das Geschenk besorge bitte. Ebenso lege bitte vorläufig die Zeitungen aus, wenn der Zettela 12 kommt. Herzlich küßt Dich (bis morgen) Dein Max

a  Alternative Lesung: Zekel   Schwester von Auguste Benecke, geheiratet. Ein weiterer Bruder, Georg Benno Schmidt, hatte 1893 Pauline (Paula) Hausrath, eine Cousine von Max Weber und den BeneckeSchwestern, geehelicht. 7  Dorothea (Dora) Benecke, die ältere Schwester von Auguste (Gussy) Benecke. 8  Fritz Cohn, ein Schulfreund von Max Weber. 9  In Kupferhammer bei Brackwede wohnte Max Webers Cousine und zugleich Marianne Webers Tante Hertha Möller mit Familie. Dort heirateten am 30. März 1894 deren Tochter Anna und Hermann Castendyk. 10  Carl David Weber, Marianne Webers Großvater und zugleich Max Webers Onkel, wurde am 17. April 1894 70 Jahre alt. 11  Zu Max und Marianne Webers Reiseplänen zu Pfingsten vgl. den Brief an Marianne Weber vom 1. April 1894, unten, S.  519 mit Anm.  5. 12  Der Sachverhalt konnte nicht ermittelt werden.

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Marianne Weber 17. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Posen Bäckerstr. 16 17/III 94 Mein liebes Herz, eben kommt Dein lieber Brief, der ja leider mancherlei Unerfreuliches zu berichten hat. Was Alfred anlangt, so habe ich mir die Sache ähn­ lich vorgestellt, halte aber die Lage nicht für so bedenklich, ich glaube, sobald er ein wirklich gutes Examen hinter sich haben wird – woran ich nicht zweifle – und festen Boden vor sich sieht, schwindet das Gefühl von Unsicherheit und der Mangel an Selbstvertrauen, auf dem doch Alles beruht und der die traurige Begleiterscheinung dieser widerwär­ tigen halbbeschäftigten Referendarsexistenz ist, die man so endlos lan­ ge zu führen hat.1 Es ist ein recht schwer zu ertragender und uner­ quicklicher Übergangszustand, den der arme Kerl durchzumachen hat, aber ich glaube [,] daß er darüber hinauskommt. Schlimmer ist, daß meine Mutter also noch immer nicht das Gefühl der Erholung hat, sondern offenbar zunehmende Abspannung, den Rückschlag langer Jahre übermäßiger krampfhafter Nervenanspan­ nung, fühlt. Man fühlt sich so vollkommen ratlos, was zu thun? Das ist ja Unsinn, daß ich ihr irgendwie ein Halt gewesen wäre; es ist nur mög­ lich, daß sie in dieser Beziehung eine Illusion gehabt hat, und auch da­ von lebt ja der Mensch. Aber im Übrigen hat die ganze Sache mit mei­ ner Person gar nichts zu thun, es ist einfach eine successive Verstär­ kung eines und desselben Übels, gegen welches ich ebensowenig etwas machen konnte resp. zu machen verstand wie dies, fürchte ich, andern so leicht gelingen wird. Ich hoffe da stark auf Ernst M[ommsen], 2 der naiver ist als wir und deshalb für sie eine größere Erfrischung bedeuten wird. – Ich habe ihr neulich geschrieben3 und geglaubt, ihr dringend 1  Alfred Weber war zwischen 1892 und 1896 Rechtsreferendar in Berlin; Max Weber hatte von 1886 bis 1890 das Rechtsreferendariat absolviert; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Geschichte der Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  113 f. 2  Der Verlobte von Clara Weber und damit Helene Webers zukünftiger Schwiegersohn war Arzt. 3  Vgl. den Brief an Helene Weber vom 8. März 1894, oben, S.  500.

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rathen zu sollen, sich nicht im vermeintlichen Interesse des Familien­ friedens selbst aufzugeben, – das Opfer wird nicht entsprechend ge­ würdigt und es wäre auf Sand gebaut. Vielleicht hat sie nun das auch wieder erregt. – – Also mit der Familie Mommsen im Übrigen seid Ihr – Du wenig­ stens – bisher nicht in Berührung gekommen. Wann findet denn nun die geplante officielle Verlobungsfeier4 eigentlich statt? Ich könnte ev. Ostern 1 Tag kommen, Du könntest mich dann bis Frankfurt a /O be­ gleiten und wir 1/ 2 Tag dort sein. – Nicht wahr? Geld für Oerlinghausen müssen wir haben, ich finde den Gedanken außerordentlich hübsch, namentlich daß es Dir anscheinend keine Überwindung ist. Schreib mir bitte den Tag der Hochzeita, Du schriebst von „Ende März“, – des Telegraphierens wegen.5 – Freiburg beginnt zu spuken.6 Von Otto7 einen Brief, worin er u.A. schreibt, die badische Regierung habe Julius Jolly8 beauftragt, mich zu „sondieren“. Ich werde mich auf solches Privatgekolke9 nicht einlassen. Hier ist ein so unglaublich scheußliches Wetter, daß das Exercieren heut physisch unmöglich war und wir nach Haus geschickt wurden, da­ her komme ich schon vor unsrem Casinoessen zu diesem Brief an Dich, den Du so wohl noch Sonntag früh erhältst. Der Dienst greift mich nach wie vor nicht an, nur habe ich etwas den Tatterich von der freien Luft und fresse maßlos, – in letzter Woche für 10 M. |:Mett-:|Wurst! Und dann der heillose Durst! Der wird aber fast ausschließlich mit Grätzer Bier10 gestillt, dessen Alcoholgehalt fast = 0 ist. Aber etwas dicker bin ich doch, glaube ich, geworden. Nun, das hanteln wir dann in Charlottenburg wieder herunter. a  〈noch einmal〉   4  Gemeint ist die offizielle Verlobung von Clara Weber und Ernst Mommsen. 5  Marianne Webers Cousine Anna Möller heiratete am 30. März 1894 in Kupferhammer bei Brackwede Hermann Castendyk. Ein Gratulationstelegramm von Max Weber ist nicht nachgewiesen. 6  Gemeint ist die ausstehende Berufung auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg i. Br.; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. 7  Max Webers Vetter Otto Baumgarten. 8  Max Webers Vetter Julius Jolly war Staatsanwalt und galt als Aspirant auf eine große Karriere im badischen Staatsdienst. 9  Kolken meint in der Berliner Ugs. soviel wie „reden“, „tratschen“; vgl. [Beitrag:] Kolken, in: Ising, Gerhard, Wiese, Joachim und Anneliese Bretschneider (Hg.), Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch, Band 2. – Berlin: Akademie-Verlag [u. a.] 1985, Sp.  1109. 10  Eine Spezialität aus der in der Provinz Posen gelegenen Stadt Grätz.

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Tornister nebst Einlage empfing ich richtig. Bitte schick mit den Zei­ tungen nächstens auch die Bibliographie („Wöchentl[icher] Litteratur­ bericht“), die Weberb schickt.11 Ich bat Dich, das Zeitungsabonnement s. Z. zu verauslagen,12 das scheint es gewesen zu sein, was Du nicht le­ sen konntest. Es schneit erbärmlich draußen, aber dennoch muß ich zu Tisch. Es küßt Dich herzlich Dein Max

b  Unsichere Lesung.   11 Ein entsprechend betitelter Literaturbericht konnte nicht nachgewiesen werden. Vermutlich handelt es sich um den monatlich erscheinenden Literaturbericht des Central­ blattes für Rechtswissenschaft, den Max Weber möglicherweise von der Buchhandlung Hermann A. Weber, Berlinerstraße 106, in Charlottenburg, bezog. 12  Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 14. März 1894, oben, S.  507.

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Marianne Weber 19. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

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vielen Dank für Dein liebes Briefchen. Ich werde also Sonntag und Montag, wenn nichts Unerwartetes dazwischen kommt, in Berlin sein, wahrscheinlich von Sonntag früh an. Länger Urlaub will ich nicht neh­ men, um möglichst durchsetzen zu können, daß ich einige Tage früher – etwa schon am 26ten April – bentlassen werdeb . Wir können ja Mon­ tag1 gleich unseren Verlobungstag in Berlin zusammen feiern. Falls das jetzige Brautpaar2 bis dahin schon Anzeigen verschickt, bitte sieh doch, daß Purgold (Lieutenant d. Landw[ehr]-Cavallerie, Jena) und Dieterici3 sowie meine näheren Bekannten (|:z. B.:| Höniger, Sattler, Cohn, Schellhaß) 4 nicht vergessen werden. Daß der Rö­ sing’schec Hühnerstall5 bei der Kunde verstummte, glaube ich wohl, – aber unter uns gesagt: der Mommsen’sche6 sitzt auch verdammt im Glashaus. Jetzt werden die Mutter und Clärchen wohl schon da sein, letztere hat mir von Straßburg aus noch einmal ein sehr nettes Kärt­ chen geschrieben.7 Wenn ich hier nur etwas mehr zum Arbeiten käme. Aber der immer noch schlechte Schlaf in meiner spitzwinkligen Bucht8 macht mich eka O: Bäckerst.  b–b O: entlassen zu werden  c  Unsichere Lesung.   1  Gemeint ist Ostermontag, der 26. März 1894. 2  Max Webers Schwester Clara und Ernst Mommsen, ihr Verlobter. 3  Wilhelm Purgold und Wilhelm Dieterici waren Freunde von Max Weber. 4  Robert Hoeniger, Heinrich Sattler, Fritz Cohn und Karl Schellhass. 5  Zur Familie von Clara und Johannes Rösing, einem Freund von Max Weber sen., gehörten die Töchter Clara, Anna, Luise und Helene Augusta. 6 Zu Theodor Mommsens zahlreichen Töchtern vgl. ausführlich den Brief an Marianne Weber vom 31. Juli 1894, unten, S.  567 mit Anm.  19. 7  Helene und Clara Weber hatten am 8. März 1894 in Straßburg die Hochzeit von Marie Benecke und Arthur Benno Schmidt mitgefeiert (Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 9. März 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Über den weiteren Verlauf der Reise ist nichts bekannt. 8  Gemeint ist das durchgelegene Bett in Max Webers Posener Unterkunft; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 11. März 1894, oben, S.  504.

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lig müde und auch arbeitsunlustig. Auch ist diese ewige Exerciererei denn doch gar zu öde, zu andren Jahreszeiten bietet der Dienst mehr Abwechslung. Von ernstlicher Anstrengung kann ich kaum reden, nur das frühe Aufstehen – 1/ 26 Uhr – ist recht lästig. Eine Erholung ist nur die ziemlich große Zahl von an Verrücktheit grenzenden Originalen, die man hier beim Civil und Militär trifft. Dahin zählt schon mein guter Freund, der Präsident der Ansiedelungscommission,9 der jeden Abend den ganzen Behälter voll Zahnstocher verbraucht, – er hat de­ ren immer zwei in seinen Mundwinkeln und zerkaut sie, von Zeit zu Zeit speit er davon das Gewölle von sich. Ein anderer ist mein Batail­ lonscommandeur,10 der verschrobene Polenfürst, der mich neulich wieder zum Ungarwein auf seine Bude schleppte und um das Mittages­ sen brachte. Was doch so ein Heiliger für eine Existenz führt: dieser steht etwa um 1/ 27 auf, begiebt sich auf den Exercierplatz, von da in die Cantine, wo für ihn ein Ungarwein eigens gehalten wird und er im Kreise seiner Officiere 1 Stunde sitzt, dann 1 Stunde auf das Büreau, darauf sendet er seine Häscher nach irgend einem Menschen, der mit ihm irgendwo einen famosen Ungarweinschoppen trinkt, bis ca 3 Uhr, dann geht er etwas spazieren, ißt um 1/ 25, bleibt lange beim Nachtisch­ schoppen sitzen und geht dann zum sog. Abendschoppen beim Bier, wo ich ihn auch zuweilen treffe, Punkt 8 Uhr nach Hause, ißt sein Wurstbutterbrod und liegt nach Lektüre einiger „französischer“ Ro­ mane um 1/ 210 im Bett. Auf seiner mit 1 Canapee und 3 Stühlen meu­ blierten Bude befinden sich an den kahlen Wänden 3 ganz nette Bilder, 1 Stich vom Kaiser,11 1 von Caprivi12 und 1 Bild einer stark decolle­ tierten Dame, auf deren „Vornehmheit“ er mich hinwies, sonst zeigte er noch einige Momentaufnahmend von Paraden etc. und zwei auf Leinwand gezogene Telegramme Caprivi’s an ihn, worin dieser ihn zum Abendessen nach Berlin einlud. Das war Alles, und dabei führt der stattliche und schöne Kerl ein mit sich und der Welt in gleichem d O: Momentaufnamen   9 Präsident der Königlich Preußischen Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen war vom 20. April 1891 bis 31. März 1903 Rudolf von Wittenburg. Diese Behörde hatte die Aufgabe, auf der Grundlage des Ansiedlungsgesetzes vom 26. April 1886 in den Provinzen Westpreußen und Posen polnischen Besitz aufzukaufen, zu parzellieren und an deutsche Bauern und Arbeiter zu vergeben. 10  Zu Albert von Jabłonowski vgl. den Brief an Marianne Weber vom 14. März 1894, oben, S.  506 mit Anm.  2. 11  Kaiser Wilhelm II. 12  Leo von Caprivi, Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident.

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Grade zufriedenes Dasein und erwartet mit Gelassenheit den Moment, wo man ihn zum Teufel jagen wird. Und ähnlich spielt sich die Existenz der meisten Junggesellen hier im Osten ab, nur in den kleinen Städten noch stumpfsinniger und nur durch „die Weiber“ verklärt! Ja, man hat es doch gut, das merkt man dann erst. – Ich bin hier um meiner mehr oder weniger faulen Witze wegen ganz wohl gelitten, – je derber desto besser[.] Nun, die Sache wird ja auch ihre Endschaft nehmen, morgen bin ich schon 3 Wochen hier, also schon bald die Hälfte der ganzen Zeit. Eben springt mit Knall mein unterster Knopf vom Überrock und gemahnt mich, daß ich zufolge des tollen Appetits, den ich entwickle, wieder dicker geworden bin. Nun getrost, bei „Muttern“ giebt sich das dann wieder. Laß Dirs gut gehen und schreibe bald – Zeitungen hast Du mir ja nicht geschickt – Deinem Dich herzlich küssenden Max

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Marianne Weber 22. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Posen Bäckerstr.a 16 22/III 94 Liebes Frauchen, nun trennen uns nur noch 2 Tage von einem wenn auch kurzen Wieder­ sehen, auf welches ich mich sehr freue – denn diese alte Schmiere hier ist auf die Dauer doch unausstehlich. Ich denke Sonntag früh in Berlin zu sein, – vielleicht auch schon Sonnabend Nacht, falls ich mich hier drücken kann. Montag früh könnten wir dann nach Frankfurt – ich werde G[öhre] eine Karte schreiben1 – und Du |:gegen:| Abend zu­ rück, während ich die Nacht durch hierher fahre [.] Hoffentlich haben wir dann dasselbe prachtvolle Wetter, welches heute herrscht, – obwohl es freilich etwas kalt ist. – Habe vielen Dank für Dein letztes Briefchen, Du wirst das meinige inzwischen erhalten haben. – Anzeigen von der Verlobung2 scheinen also noch nicht verschickt zu sein. Mir scheint, es müssen diejenigen meiner Freunde, die bei uns im Hause verkehrt haben, solche erhalten, also z. B. Evert und Sattler. Ebenso Biermann und Frau, Höniger und Frau, Weizsäcker sen. u. jun. 3 – nun aber: das kann ich ja schließlich auch noch besorgen, wenn ich hinkomme, vorausgesetzt, daß bis dahin die Sache noch nicht in der Zeitung ist.

a O: Bäckerst   1  Die angekündigte Karte an Max Webers Freund Paul Göhre, der zu diesem Zeitpunkt Pfarrer in Frankfurt/Oder war, ist nicht nachgewiesen. Zur fehlenden Überlieferung vgl. die Einleitung, oben, S.  34, Anm.  68. 2  Gemeint ist die Verlobung von Clara Weber und Ernst Mommsen. 3  Es handelt sich vermutlich um den Juristen Hugo und den Kunsthistoriker Heinrich Weizsäcker. Die beiden Brüder, deren verstorbener Vater Julius Weizsäcker Professor für Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin gewesen war, gehörten auch zum Freundeskreis von Otto Baumgarten; vgl. Baumgarten, Lebensgeschichte, S.  89 und 458. Sie sollten wie Max Webers Freunde Georg Evert und Heinrich Sattler eine Verlobungs­ anzeige erhalten, ebenso Johannes Biermann, Privatdozent für Römisches Recht an der Juristischen Fakultät, und seine Frau Emma sowie Robert und Anna Gertrud Hoeniger.

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Also es versorgt sich abermals ein Schmidt aus der Verwandtschaft. Diesmal ist es übrigens ein wirklich recht netter Kerl, nur für die dick­ köpfige Gussy4 viel zu wenig derb. Wenn sie nur bei Verstande bleibt bei diesem Evenement. So absolut ohne Sorge bin ich für diese Ehe nicht, aber ich begreife, daß meiner Mutter ein Stein vom Herzen fällt, weil damit ein dicker Strich durch die unerfreulichen Antecedenzien gemacht ist. – Von hier, mein Herz, giebt es weniger zu erzählen als je. Die Leute treten meist ihren Osterurlaub an, das Nest ist leerer von Soldaten als sonst und der Dienst noch einförmiger. Ich unternehme es gar nicht erst, Dich davon zu unterhalten, sondern verspare Alles auf unser bal­ diges Wiedersehen, bei welchem Dich wohl und munter anzutreffen, und wirklich, nicht nur in Gedanken wie jetzt [,] zu küssen hofft Dein Max

4  Auguste (Gussy) Benecke hatte sich mit Martin Benno Schmidt verlobt. Dessen älterer Bruder Arthur Benno Schmidt hatte am 8. März 1894 Marie, die Schwester von Auguste Benecke, geheiratet, und Georg Benno Schmidt, ein weiterer Bruder, 1893 Pauline (Paula) Hausrath, eine Cousine von Max Weber und den Benecke-Schwestern.

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Marianne Weber 27. März 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Posen Bäckerstr.a 16 27/III 94 Mein liebes Kind, heut Abend nur einen kurzen Gruß, da ich morgen nicht zum Schrei­ ben komme. – Schöner ist Posen in den 2 Tagen nicht geworden1 und das Exercieren, welches heut nach der Osterpause wieder begann, auch nicht. Den „Kerls“ steckt auch das Ostervergnügen noch im Bauche: das Erste, was ich heute |:beim Dienst:| dem Compagnieführer2 zu mel­ den hatte war: „Herr Lieutenant, zwei Mann haben soeben in die Hose gesch…“! Aus unseren Betten in die Saubucht hier zu kriechen war auch kein Genuß. Ich befinde mich aber sonst wieder wohl, die Halsge­ schichte ist wie weggeblasen, kaum daß man an meiner Stimme noch etwas merkt. Heute Nachmittag hatte ich schöne Arbeitszeit, morgen ist „Liebesmahl“: ein General, 3 dem man den Hals umgedreht hat, wird mit gemeinschaftlicher Bowle weggetrunken [,] und da hat man dann seine liebe Not, über den Durchschnitt und dadurch auf die Ko­ sten zu kommen. Hoffen wir, daß es gelingt. Jetzt wird es nun wohl etwas stiller bei Euch werden und das ist, glaube ich, gut für alle Teile. Ich bin begierig, was Ernst in Mamas In­ teresse fertig bringen wird.4 Es schädigt ja natürlich das Gewicht seines Einflusses etwas, daß er so vollständig mente captus ist. Der Himmel gebe ihm seine 5 Sinne wieder. –

a O: Bäckerst.   1  Max Weber hatte Ostern zwei Tage Urlaub genommen und gemeinsam mit Marianne Weber verbracht; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 22. März 1894, oben, S.  514 f. 2  Der Name konnte nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war. 3  Der Name des Generals konnte nicht ermittelt werden. 4  Max Weber erhoffte sich durch seinen künftigen Schwager Ernst Mommsen, der Arzt war, eine Verbesserung des angeschlagenen Gesundheitszustandes von Helene Weber; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 17. März 1894, oben, S.  508.

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Bitte schick mir doch, sobald Heinr[ich] Braun Abzüge meines Arti­ kels schickt, 5 diese hierher, ebenso wenn ein Buch dieses unleserlichen Dr Halbey6 oder wie er heißt vom Verleger7 eingeht. Ich bin jetzt nur begierig, ob überhaupt und wann ich etwas aus Karlsruhe höre, dieses heillose Verfahren dort ärgert mich dermaßen, daß ich schon deshalb allein ablehnen möchte.8 Du rüstest Dich nun wohl schon zur Reise nach dem Westen, bitte grüße mir Alle, besonders Großvater und Tante Wina, auch Bruno und Karl, aufs Herzlichste und amüsiere Dich recht gut.9 Wenn Du zurück­ kommst, sind es ja dann nur noch 21/ 2 Wochen, bis wir wieder ganz beisammen sind. – Übrigens ist wohl das Einfachste, wenn Du von jetzt ab einfach ver­ anlaßt, daß gleich auf der Post alle Sachen für mich hierher umadres­ siert werden, es geht schneller und ist |:ohnehin:| nötig, so lange Du fort bist. – Was wird Bertha10 während dieser Einsamkeitsperiode machen? Clärchen könnte wohl zuweilen nach ihr sehen, damit das gute Wurm nicht ganz in sich zusammensackt. Wann ist doch Großvaters Geburtstag. Am 17ten, glaube ich?11 Nun leb wohl für heut, nächstes Mal schreibe ich schon nach Kupfer­ hammer, – jetzt will ich noch 1 Schoppen trinken, um in meinem Mar­ terkasten12 schlafen zu können. Herzlich küßt Dich Dein Max

5  Es handelt sich um die erste Fassung von: Weber, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter, MWG I/4, S.  362–424. 6  Gemeint ist vermutlich: Halbey, Theodor, Die Preußische Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie vom 3. Juli 1891. – Berlin: Heymann 1892. 7  Otto Löwenstein, Buchhändler und Inhaber des Verlags C. Heymann. 8  Max Weber wartete auf eine Berufung auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg i. Br. und deswegen auf Nachricht vom Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe; vgl. zuletzt den Brief an Marianne Weber vom 17. März 1894, oben, S.  509. 9  Marianne Weber fuhr zur Hochzeit ihrer Cousine Anna Möller am 30. März 1894 nach Kupferhammer bei Brackwede. Dieses Familienfest bot Gelegenheit, ihren Großvater Carl David Weber sowie ihre mit Bruno Müller verheiratete Tante Alwine (Wina) und auch deren Bruder Carl (Carlo) Weber zu sehen. 10  Bertha Schandau, das Hausmädchen von Max und Marianne Weber. 11  Carl David Weber feierte am 17. April 1894 seinen 70. Geburtstag. 12  Gemeint ist das durchgelegene Bett in Max Webers Posener Unterkunft; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 11. März 1894, oben, S.  504.

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1. April 1894

Marianne Weber 1. April 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Posen, von jetzt an: St Martinstraße 67I Hof 1/IV 94 Liebes Herz, ich ziehe eben um, deshalb nur einen kurzen Gruß. Die Wohnung ist billiger und freundlicher, ich thue es hauptsächlich einem aktiven Ka­ meraden zu Liebe, dem sehr viel an meiner bisherigen Wohnung liegt. Du hast doch meinen noch nach Berlin adressierten Brief (vom Mitt­ woch) bekommen?1 Du bist ja tief verschwiegen, es scheint also, daß die Hochzeit sehr anstrengend gewesen ist2 und Deine ganzen Geistes­ kräfte verschlungen hat. Sehr gern wüßte ich namentlich, mit welchem Ergebnis Ernst3 mit meinem Vater gesprochen hat, und ob nun endlich irgend eine positive Maßnahme, sei es auch nur in Gestalt der Consul­ tation einer Berliner Autorität, in Aussicht steht. Ich traue der Sache nicht, ehe sie perfect ist. – Von hier ist nichts Sonderliches zu berichten. Dienstlich sind die Ver­ hältnisse jetzt wesentlich angenehmer, ich bin endlich wirklich etwas zum Arbeiten gekommen und kann über Überanstrengung im Dienst in keiner Weise klagen. Und wenn ich auch unleugbar etwas dicker ge­ worden bin, so bekommt mir die Sache, glaube ich, auf die Dauer doch ganz gut. Allerdings wünschte ich doch, sie ginge früher als erst in 3 Wochen zu Ende, denn die Langeweile ist trotz einiger ganz netter Leute, die man kennen lernt, doch ganz bedeutend [.] –

1  Vermutlich meint Max Weber den Brief an Marianne Weber vom 27. März 1894, oben, S.  516 f. Diesen verfaßte er zwar an einem Dienstag und bemerkte, „morgen“ (d. h. Mittwoch, den 28. März) keine Zeit zum Briefschreiben zu haben. Die Tagesangabe scheint sich auf den Tag der Zustellung zu beziehen. 2  Marianne Weber war zur Hochzeit ihrer Cousine Anna Möller mit Hermann Castendyk am 30. März 1894 nach Kupferhammer bei Brackwede gereist. 3  Ernst Mommsen, der Verlobte von Clara Weber, war Arzt und wegen Helene Webers Gesundheitsproblemen zu Rate gezogen worden.

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Wie Du wohl Deinen Vater4 getroffen hast. Pfingsten können wir ihn ja nun nicht bei uns sehen, da wir fort sind.5 Das hast Du ihm doch gesagt? Mir scheint überhaupt, daß er zunächst ernstlich nicht daran denkt, uns zu besuchen, obwohl es möglicherweise doch gut für ihn wäre. Denn es würde ja wohl gelingen, ihn aus der Nähe von Mädchen, von denen er glaubte, daß man es mit ihnen auf ihn abgesehen hättea, fernzuhalten. Vielen Dank für die Übersendung von Göhres Brief, ich werde ihm schreiben, daß wir am 21/22 bei ihm sein wollen. Ich denke, es wird so gehen, daß wir uns am 21ten Abends in Frankfurt treffen6 und am 22ten Nachmittags nach Berlin weiterreisen. Den Urlaub erhalte ich aller Voraussicht nach bewilligt. – Übrigens fällt mir eben ein: könntest Du nicht in Oerlinghausen ermitteln, ob Dieterici’s Brief7 noch dort ist, damit wir ihn uns aufheben können? Freilich wird ihn Wina8 auch nicht so leicht herausfinden können. Schreib mir doch auch, was sie dort über unsre Mutter erzählen, ich denke mir, sie muß sich doch diesmal mehr ausgesprochen haben als wohl sonst.9 Was macht ferner Dein Großvater? Es thut mir doch ei­ gentlich leid, daß wir nicht zum 17/IV – dann ist es doch? – hinüber­ können.10 Es ist 1 und Zeit, daß ich mich zum Casino zu Tisch verfüge, sonst muß ich Strafe zahlen. In den nächsten Tagen habe ich denke ich mehr Zeit, vernünftig zu schreiben.

a O: hätten   4  Marianne Webers Vater Eduard Schnitger lebte in Lage. 5  Max und Marianne Weber besuchten über Pfingsten Emmy Baumgarten in Stuttgart und reisten anschließend nach Heidelberg weiter (Brief Marianne Webers an Helene Weber von „Pfingstsonntag“ [13. Mai 1894], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Außerdem fuhren sie zur Wohnungssuche nach Freiburg i. Br.; vgl. die Ankündigung auf der Karte an Fritz Baumgarten vom 6. April 1894, unten, S.  524, sowie die Briefe an Emil Warburg vom 12. April 1894 und an Heinrich Rickert vom 28. April 1894, unten, S.  527 und 538. 6  Paul Göhre besetzte seit Februar 1894 die zweite Pfarrstelle an St. Gertraud in Frankfurt/ Oder. 7  Wilhelm Dieterici war ein Freund von Max Weber. 8  Alwine (Wina) Müller. 9  Helene Weber hatte kurz vor ihrer Schwiegertochter Marianne die Oerlinghauser Verwandtschaft besucht. 10  Carl David Weber, Marianne Webers Großvater und zugleich Max Webers Onkel, feierte am 17. April 1894 in Oerlinghausen seinen 70. Geburtstag.

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Grüße alle, den Onkel, Wina, Bruno, Carl und Emily11 herzlichst und laß Dich küssen von Deinem Max

11  Gemeint sind: Carl David Weber, seine mit Bruno Müller verheiratete Tochter Alwine (Wina) und sein Sohn Carl (Carlo) und dessen Frau Emilie (Emily) Weber.

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Friedrich Althoff 3. April 1894; Posen Brief; eigenhändig GStA PK, I. HA, Rep.  76, Va Sekt. 2, Tit. IV, Nr.  45, Bd. V, Bl. 154–155 Zu Max Webers Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. – Max Weber nahm seit dem 1. März an einer Militärübung in Posen teil.

z. Z. Posen beim Inf. Regt 47 St Martinstraße 67 3. IV. 94 Ew. Hochwohlgeboren 5

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beehre ich mich gehorsamst anzuzeigen, daß mir soeben eine Beru­ fung als ordentlicher Professor der Nationalökonomie in Freiburg zu­ gegangen ist und bitte gehorsamst mir deren eventuelle Annahme zum nächsten Herbst zu gestatten. Ew. Hochwohlgeboren sprachen s. Z. für den Fall einer Berufung den Wunsch aus, daß ich mich zuvor persönlich vorstellen möchte und würde ich mir, falls dies Ihrerseits nicht für überflüssig erachtet wird, ama Freitag,1 wo ich Urlaub zu erhalten hoffe, die Ehre geben, Ew. Hochwohlgeboren aufzusuchen. Ich gestatte mir noch, hervorzuheben, daß ich mich zu keinerlei An­ trägen behufs Besserstellung berechtigt oder veranlaßt glaube. Der einzige erhebliche Grund, welcher für mich für eine Annahme der Freiburger Stelle ins Gewicht fallen könnte und thatsächlich fällt, ist der problematische Charakter meiner zukünftigen Lage. Bei der Ei­ genart der Fächer, für welche combiniert ich mich interessiere, 2 kann a  mir > am   1  D.h. den 6. April 1894. Friedrich Althoff antwortete am nächsten Tag (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  322 f.) und zeigte dabei auch den Verzicht auf ein persönliches Gespräch an. Als Postscriptum setzte er jedoch hinzu: „Sollten Sie aber ohnehin gegen Ende d.M. hierher kommen, so wird mir Ihr Besuch natürlich äußerst angenehm sein.“ (Brief Friedrich Althoffs an Max Weber vom 4. April 1894, GStA PK, VI. HA, Nl. Friedrich Theodor Althoff, Nr.  1005, Bl. 42). Diese Nachricht erhielt Max Weber offensichtlich nicht rechtzeitig, denn er reiste, wie geplant, nach Berlin; vgl. die Karte an Fritz Baumgarten vom 6. April 1894, unten, S.  524. 2  Max Weber war für Handelsrecht und Römisches Recht habilitiert, seine wissenschaftlichen Interessen richteten sich aber schon seit längerer Zeit verstärkt auch auf national-

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ich mir nicht verhehlen, daß nicht leicht innerhalb der juristischen Fa­ kultäten ein als Lebensstellung auszugestaltender Platz jemals für mich zu finden bsein wirdb . – Ew. Hochwohlgeboren haben mit so außer­ordentlichem Wohlwollen mir die Möglichkeit eröffnet, mich auf dem mir nächstliegenden Gebiet als Dozent zu versuchen, daß ich mir gestattet habe, auch diesen freilich nur meine persönlichen Interessen berührenden Gesichtspunkt Ihnen vorzutragen und mir erlauben möchte, Ihren wohlwollenden Rath auch unter Berücksichtigung die­ ses Moments zu erbitten. Ich verbleibe in jedem Fall mit dem ergebensten Dank für das mir bisher in reichstem Maß erwiesene Wohlwollen Ew. Hochwohlgeboren in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebener Professor Max Weber

b  wäre > sein wird   ­ konomische Fragen, wie er etwa Gustav Schmoller gegenüber am 24. Oktober 1893, ö oben, S.  477 f., berichtet hatte. Die „relativ öde Juristerei“ schien ihm dagegen keine Zukunft zu bieten; Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893, oben, S.  4 42.

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Helene Weber 3. April 1894; Posen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 168

Posen St Martinstr. 67 3. IV. 94. Liebe Mutter, 5

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eben erhalte ich die Freiburger Berufunga. Ich habe Althoff geschrie­ ben1 und gesagt, daß ich ihn Freitag Mittag aufsuchen würde, Anträge auf Besserstellung etc nicht zu stellen hätte, sondern nur seine Ansicht über die künftige Gestaltung meiner weiteren Zukunft, die ja, da ich in kein juristisches Fach ganz hineinpaßte, etwas problematisch sei, hören möchte. Nach Karlsruhe habe ich geschrieben, 2 ich würde antworten, nachdem mir vom Ministerium Entschließungsfreiheit, um die ich ge­ beten hätte, gewährt sei. Marianne habe ich telegraphiert, 3 ich sei Donnerstag Abend in Ber­ lin. Alfred (und Ernst??) 4 sind doch dann non solito5 bei uns? Freitag komme ich dann hinaus.b In der Nacht muß ich dann zurück. Einstwei­ len herzl. Gruß Max

a  〈zum〉  b  〈Sonnabend〉   1  Vgl. den Brief an Friedrich Althoff vom selben Tag, oben, S.  521 f. 2  Das Schreiben an das badische Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts ist nicht nachgewiesen. 3  Das Telegramm an Marianne Weber ist nicht nachgewiesen. Doch berichtet Marianne Weber an Helene Weber am 4. April 1894: „gestern abend kam ein Telegramm von Max: ‚Bin nach Freiburg berufen, komme Donnerstag abend nach Berlin.‘“ (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Daraufhin brach Marianne Weber den Aufenthalt bei ihren Angehörigen in Oerlinghausen ab und reiste nach Berlin zurück (ebd.). 4  Ernst Mommsen, der Verlobte von Clara Weber. 5  Ital. für: nicht wie gewöhnlich. Max Weber spielt auf den „Donnerstag“ an, einen Freundeskreis, der sich um ihn und seinen Bruder Alfred gebildet hatte; dazu die Einleitung, oben, S.  21–24.

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Fritz Baumgarten [6.] PSt April 1894; Berlin Karte; eigenhändig Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe Das Datum ist erschlossen aus dem Freiburger Eingangsstempel vom 7. April 1894 und dem Briefinhalt: Max Weber hatte am 3. April 1894 der Ruf aus Freiburg i. Br. erreicht, weshalb er eine Militärübung in Posen für einen Aufenthalt in Berlin unterbrach, um am „Freitag Mittag“ (6. April) Friedrich Althoff aufzusuchen und „Entschließungsfreiheit“ zu erhalten; vgl. die Briefe an Friedrich Althoff vom 3. April 1894 sowie an Helene Weber vom selben Tag, oben, S.  521 mit Anm.  1, und S.  523.

Berlin NW 23 Siegmundshof 6 Lieber Fritz, ich habe den Freiburger Ruf erhalten und soeben angenommen,1 komme also am 1. October nach dort und werde zu Pfingsten einmal vorsprechen, um mich vorzustellen und eine Wohnung zu miethen. Siehst Du etwas Brauchbares, so bin ich Dir für Hinweis sehr dankbar. Wir möchten gerade in die Wohnung verhältnismäßig viel Geld anle­ gen, gerne 6 Zimmer (meine Frau hätte womöglich gern Douche im Haus wie ahier),a in hübscher Gegend, eventuell auch 5 große. Wir freuen uns ganz besonders auf das Zusammensein mit Euch. Herz­ lichen Gruß an Else2 und Dich, auch von Marianne Euer Max Könntest Du mir wohl nach Posen St Martinstraße 67 den Namen und Titel des philosophischen Dekans3 schreiben?

a–a O: hier).   1  Das entsprechende Schreiben an das Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe ist nicht nachgewiesen. 2  Fritz Baumgartens Frau Elisabeth (Else). 3 Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. war Emil Warburg, dem Max Weber im Brief vom 12. April 1894, unten, S.  527, mitteilte, daß er die Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg i. Br. angenommen habe.

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Marianne Weber 9. April 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber nahm seit dem 1. März 1894 als Reserveoffizier an einer Militärübung in Posen teil; am 3. April 1894 hatte ihn der Ruf aus Freiburg i. Br. auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft erreicht.

Posen St Martinstr. 67 9/IV 94 Liebes Herz, 5

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ehe ich zum Abendessen gehe, muß ich Dir doch einen herzlichen Gruß schicken. Zunächst habe ich natürlich den Katzenjammer zua überwinden, der, nachdem man sich entschieden hat, immer zu kommen pflegt. Alle die verschiedenen Bedenken, die gegen die Übernahme der Freiburger Stelle zu machen sind, kamen mir wieder und ich kam mir zeitweise so vor, als ob ich mit dem Weggange von Berlin mich „pensionieren“ lie­ ße. Nun das ist natürlich, wenn man so lange in B[erlin] gelebt hat [,] und es ist schon gesorgt, daß wir in Freiburg nicht das Gefühl haben werden, außerhalb der Welt zu sein. Ich bin jetzt auch schon wieder „auf Deck“ und sage mir erstens, daß das Scheiden uns später noch schwerer geworden wäre, wenn wir noch fester uns eingelebt haben würden [,] und dann, daß die Position in Freiburg eine klarere, meinen Interessen wahrscheinlich entsprechendere ist und Du also voraus­ sichtlich zwar einen zunächst recht arbeitsamen, aber auch befrie­ digteren und deshalb behaglicheren und weniger „reizbaren“ Mann haben wirst. Und ich glaube auch, daß es in Zukunft für meine Mutter wertvoller sein wird, die unbestreitbare Berechtigung zu einem län­ geren Aufenthalt bei uns im Süden zu haben, als die häufigeren, aber hastigeren und selten ungestörten Stunden jetzt. Ich habe Ernst eben kurz auf seinen Brief geantwortet.1 Meiner An­ sicht nach ist jetzt nichts weiter zu machen und nur dafür zu sorgen, daß in keiner Weise meinem Vater das Gefühl der Verantwortlichkeit, a  Fehlt in O; zu sinngemäß ergänzt.   1  Der Brief an Ernst Mommsen ist nicht nachgewiesen. Clara Webers Verlobter war Arzt und wegen Helene Webers angeschlagenem Gesundheitszustand zu Rate gezogen worden.

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welche er trägt, auch nur im mindesten erleichtert wird. Ich würde mei­ nerseits hartnäckiges Schweigen auf jede Bemerkung, die er etwa über das Befinden der Mama hinwirft, für das Richtige halten, jedenfalls darf er kein Einlenken herauslesen können. Hier hat sich nicht viel geändert.2 Leider ist der angenehme Haupt­ mann noch immer krank und der wenig erfreuliche Premierlieutenant3 führt noch die Compagnie, so daß wir uns nach wie vor „schneiden“ [.] In den nächsten Nächten wird sich nun wohl auch die „Probemobilma­ chung“ vollziehen, man ist immer seines Schlafes nicht sicher und ich bleibe deshalb immer sehr spät in der Kneipe, hoffend, daß mich der Allarm dort antreffen werde. Das Exercieren pp. hängt mir nachgerade zum Halse heraus, im Wiederholungsfall würde ich mich zweifellos zu dem weitaus lustigeren Manöver einziehen lassen. Im Übrigen genieße ich hier natürlich eine gesteigerte Hochachtung namentlich bei den jüngeren Herren, die sich herausrechneten, daß ich in meinen Civilver­ hältnissen jetzt mit den Majors rangierte.4 Was magst Du wohl machen? Diesmal ist Dir doch wohl nicht so plümerant zu Muthe gewesen beim Abschiede?5 – Wenn irgend zu ma­ chen [,] komme ich am 15ten,6 dann aber erst Morgens früh. – An dem Plan für den 22ten 7 halten wir fest. Herzlichen Kuß und Gruß Dein Max

2  Max Weber hatte zur Klärung der Berufungsfrage seine militärische Übung für wenige Tage unterbrochen, um nach Berlin zu reisen; vgl. die Karte an Fritz Baumgarten vom 6. April 1894, oben, S.  524, Editorische Vorbemerkung. 3  Die Namen des Hauptmanns und des Premierleutnants konnten nicht ermittelt werden, da nicht bekannt ist, welcher Kompanie Max Weber zugeordnet war. 4  Gemeint ist, daß Max Weber als ordentlicher Professor nach der Hofrangordnung einem Major gleichgestellt war. 5  Vgl. Anm.  2. 6  Zu Helene Webers Geburtstag am 15. April beabsichtigte Max Weber, nach Charlottenburg zu reisen; vgl. den Brief an Helene Weber vom 15. April 1894, unten, S.  530. 7  Max Weber wollte sich auf der Heimreise mit Marianne Weber in Frankfurt/Oder treffen und dort Paul Göhre besuchen; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 1. April 1894, oben, S.  519 mit Anm.  6.

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Emil Warburg 12. April 1894; Posen Brief; eigenhändig UA Freiburg i. Br., B 110/409 Zu Max Webers Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. – Max Weber nahm seit dem 1. März 1894 an einer Militärübung in Posen teil.

zur Zeit Posen St Marienstr.a 67 12. IV. 94 Hochgeehrter Herr Professor, 5

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bezugnehmend auf die Correspondenz, welche Herr Prof. Marcks im vorigen Jahre mit Kenntnis der Fakultät mit mir geführt hat,1 beehre ich mich Ihnen als derzeitigem Dekan anzuzeigen, daß ich die Seitens des Ministeriums nunmehr an mich ergangene Berufung als Nachfol­ ger des Herrn Prof. von Philippovich zum nächsten Herbst angenom­ men habe und verbleibe, bis ich, hoffentlich zu Pfingsten, Gelegenheit zu persönlicher Vorstellung haben werde, 2 mit angelegentlichster Empfehlung Ihr in vorzüglicher Hochachtung sehr ergebener Max Weber

a O: Marienst.   1  Erich Marcks hatte im Auftrag der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. die Korrespondenz mit Max Weber über seine Berufung geführt. Der Briefwechsel ist nicht mehr nachweisbar. 2  Zu Max Webers Reise an Pfingsten nach Freiburg vgl. den Brief an Heinrich Rickert vom 28. April 1894, unten, S.  538.

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Marianne Weber 12. April 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Max Weber nahm seit dem 1. März 1894 als Reserveoffizier an einer Militärübung in Posen teil; am 3. April 1894 hatte ihn der Ruf aus Freiburg i. Br. auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft erreicht.

Posen St Martinstr. 67 12/IV 94 Liebes Herz, ich habe heut 1/ 2 Dutzend Briefe1 hinter mir (an Goldschmidt, den Freiburger Dekan, Marcks, Fritz Baumg[arten], ferner Recensionen2 betr. etc. etc.) und werde deshalb kaum viel länger sein als Dein kleines Epistelchen, welches ja von einer bei meinem redegewandten und fe­ derschnellen Frauchen ganz ungewohnten Erschöpfung der grauen Substanz zeugt. Zunächst Geschäftliches: 1) ich bitte Dich mir das Soz[ial-]Pol[i­ tische] Centralblatt3 nächsten Sonntag (die letzten 2 Nummern) zu schicken, dabei auch die in den letzten Wochen gekommenen Litteratur­ übersichten4 und die „Neue Zeit“.5 2) ich werde zum 15ten leider doch wohl nicht kommen, da eine Pro­ bemobilmachung in einer der nächsten Nächte bevorsteht und ich bei der Ungewißheit: für welche? vor deren Erledigung nicht fort kann. 3) Könnte Bertha6 einmal auf dem Pferdebahnhof fragen, ob dort die „Denkschrift über das Ansiedelungsgesetz“, eine Drucksache des

1  Nachgewiesen ist lediglich der Brief an Emil Warburg, den Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br.; vgl. den Brief an denselben vom 12. April 1894, oben, S.  527. 2 Aus dieser Zeit ist lediglich die Besprechung einer Aufsatzsammlung Friedrich Naumanns nachgewiesen; vgl. Weber, [Rezension von:] Was heißt Christlich-Sozial?, MWG I/4, S.  346–361. 3 Das „Sozialpolitische Centralblatt“ war eine von Heinrich Braun zwischen 1892 und 1895 herausgegebene Wochenzeitung, in der auch Max Weber publizierte. 4  Vermutlich handelt es sich um den monatlich erscheinenden Literaturbericht des Centralblattes für Rechtswissenschaft; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 17. März 1894, oben, S.  510 mit Anm.  11. 5  Die seit 1883 zunächst als Monats- und seit 1890 als Wochenschrift erscheinende „Die neue Zeit“ war eine wichtige Plattform für Theoriedebatten der Sozialdemokratie. 6  Bertha Schandau, das Hausmädchen von Max und Marianne Weber.

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Abgeordnetenhauses,7 eingeliefert ist. Ich glaube ich habe sie in der Pferdebahn liegen lassen, – oder liegt sie etwa auf meinem Schreib­ tisch? Letzterenfalls bitte ich Dich sie mir zu schicken. 4) Beim 22ten bleibt es. Ich schreibe Göhre Anfang nächster Woche definitiv.8 Hier geht die öde Dienstzeit nun endlich mit Riesenschritten ihrem Ende entgegen. Noch 6 Diensttage, dann ist die „Vorstellung“ und der Schaf… ist aus. Man kommt bei der Langeweile ganz herunter und ist obendrein in der freien Zeit arbeitsunlustig. Es passiert schlechter­ dings gar nichts, denn dazu, hier ins Theater zu gehen, habe ich mich doch noch nicht aufgeschwungen und sonst sind nur die üblichen Casi­ no-Gespräche die geistige Nahrung des Tages. In der Kneipe ödet mich ein Kamerad9 Abend für Abend mit seinem Pferdeprozeß. Das ist aber auch Alles. Dabei steht man Morgens zu immer unglaublicheren Zeiten auf, ohne doch die geringste Garantie zu haben [,] daß von der so erwor­ benen Tugend demnächst in Berlin irgend welche bleibenden Früchte fühlbar sein werden. In Freiburg sollen nach einer Karte von Fritz die Wohnungen sehr rar sein, ich habe ihm Deine Badezimmerwünsche dringend ans Herz gelegt und ihn ersucht |:nur ruhig:| eine recht teure zu eruieren.10 Et­ was civilisierter als hier sind diese und manch andren Zustände aber hoffentlich doch. In Straßburg freilich war es auch gradezu fürchterlich in allen „diesen“ Hinsichten. Herzlichen Gruß und Kuß Dein verflucht hungriger Mann

7  Bei der erwähnten Denkschrift handelt es sich um die jährlichen Rechenschaftsberichte der preußischen Ansiedlungskommission. Zuletzt erschienen war: Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1893, in: Anlagen zu den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten während der 1. Session der 18. Legislatur-Periode 1894, Band 2. – Berlin: Moeser 1894, S.  1266–1391. Auf diese Denkschrift nahm Max Weber bereits Anfang 1894 Bezug; vgl. Weber, Argentinische Kolonistenwirthschaften, MWG I/4, S.  282–303, hier S.  298, Anm.  15. Wahrscheinlich benutzte er einen Separatdruck. 8  Der Brief an Paul Göhre zum geplanten Besuch von Max und Marianne Weber in Frankfurt/Oder ist nicht nachgewiesen. Vgl. dazu auch oben, S.  34, Anm.  68. 9  Der Name ist nicht zu ermitteln. 10  Vgl. die Karte an Fritz Baumgarten vom 6. April 1894, oben, S.  524.

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Helene Weber 15. April 1894; Posen Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl. 169–170

Posen St Martin 67 15/IV 94 Liebe Mutter, nun ist es doch nicht möglich gewesen, daß ich zum heutigen Tag her­ überkam und wie mir Marianne schreibt, hätte es ja auch keinen Zweck gehabt, da Du an Deinem Geburtstage gar nicht in Berlin bist.1 Meine herzlichen Glückwünsche treffen Dich deshalb auch erst nachträglich. Ich versuche es hier gar nicht, a Dir zu sagen,a was ich empfinde, wenn ich an die langen Jahre, während deren ich teils körperlich, teils geistig Dein Sorgenkind gewesen bin, zurückdenke und zumal an Das, was in den letzten 5 ⁄4 Jahren Du mit Marianne und mir innerlich durchlebt hast. Es ist mir ja nicht besonders verliehen, Derartiges in Worte zu kleiden [.] Ich hoffe Dich ja entweder wenn ich zurückkomme noch zu sehen ehe Du abreist oder recht bald einmal hinüberkommen zu kön­ nen, um Gelegenheit zu ruhiger Aussprache, die so lange gefehlt hat, zu haben. Das Erste, was wir Dir diesmal zu Deinem Geburtstage wünschen müssen, ist die volle Wiederherstellung Deiner Gesundheit, die doch hauptsächlich in der Sorge um uns aufgerieben worden ist. Wir hoffen Alle herzlich, daß wir Dich bald gekräftigt wiedersehen und daß Das, was ich Dich früher oft sagen hörte: „Du freutest Dich auf das ruhige Alter“ – in den kommenden Jahren zur Wahrheit wer­ den möchte. Mir ist die Trennung von Dir auch einer der Hauptmomente, die es mir doch recht sauer machen, im Herbst die Freiburger Stelle anzutre­ ten. Überhaupt kam natürlich der Katzenjammer nach gefaßtem Ent­ schluß, wie immer, etwas hinterher. Von Goldschmidt hatte ich auf meine Anzeige an ihn hin einen kurzen liebenswürdigen aber etwas

a–a O: Dir zu sagen, Dir zu sagen,   1  Helene Weber, die am 15. April Geburtstag hatte, befand sich zur Kur im Ort Schweizermühle in der Sächsischen Schweiz (Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 24. April 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

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betrübten Brief, 2 Marcks3 schrieb sehr herzlich. Fritz’ Wohnungsnoti­ zen habe ich bekommen; 4 ich würde in Mariannes Interesse schon da­ für sein, grade wegen der Ungewohntheit des Aufenthalts am kleineren Ort verhältnismäßig viel Geld auf die Wohnung anzuwenden. Das „Haus“ für 1800 Mk ist allerdings doch etwas teuer, kostete es 1600, würde ich unbedingt dafür sein, wenn es im Übrigen gut gebaut etc. ist. Nun, wir müssen das Pfingsten sehen. Ich sollte doch meinen, daß man auch dann schon Wohnungen für den Herbst bekommen kann, Fritz bezweifelt es. In Berlin habe ich ein Colleg abgesagt und lese also nur 10 Stunden,5 es wäre zu viel geworden und Althoff6 war damit einverstanden. Hier neigt sich die Sache endlich ihrem Ende zu.7 Daß es mir körper­ lich doch recht gut geht, sehe ich daraus, wie wenig mich die Geschich­ te anstrengt, weniger als viele der aktiven Officiere, auch das Laufen nicht. Nur habe ich einen entsetzlichen Hunger und werde in Folge des­ sen dicker. Am 21ten werde ich mit dem Ansiedlungspräsidenten8 eine Tour durch eine Anzahl Ansiedlungen machen, am 22ten bin ich in Frank­ 2  Das Schreiben an Levin Goldschmidt mit der Nachricht des von der Universität Freiburg i. Br. an Max Weber ergangenen Rufs auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaften ist nicht nachgewiesen; vgl. auch den Brief an Marianne Weber vom 12. April 1894, oben, S.  528. Goldschmidt hatte offenbar gehofft, Max Weber werde sein Nachfolger an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. 3  Erich Marcks hatte als Mitglied der Berufungskommission mit Max Weber über die Besetzung des Freiburger Lehrstuhls für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft korrespondiert; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  321. 4 Max Weber hatte sich zwecks Suche nach einer geeigneten Wohnung an seinen in Freiburg i. Br. lebenden Cousin Fritz Baumgarten gewandt; vgl. die Karte an denselben vom 6. April 1894, oben, S.  524. 5  Es handelt sich um das angekündigte Kolleg „Preußische Rechtsgeschichte“; vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1894, S.  4; ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  54 mit Anm.  11. 6  Friedrich Althoff war der für Hochschulangelegenheiten zuständige Referent im preußischen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. 7  Die Posener Militärübung, an der Max Weber seit dem 1. März 1894 teilnahm, endete offiziell am 25. April 1894. 8 Präsident der 1886 gegründeten Königlich Preußischen Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen, die im Sinne einer Germanisierungspolitik in polnischem Besitz befindliche verschuldete Güter aufkaufen und an deutsche Siedler verteilen sollte, war vom 20. April 1891 bis 31. März 1903 Rudolf von Wittenburg. Bereits während der 1888 in Posen abgeleisteten Militärübung hatte sich Max Weber solche Güter angesehen; vgl. die Briefe an Helene Weber vom 15. und 23. Aug. sowie vom 9. und 14. Sept. 1888, oben, S.  170, 174 und 176.

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furt a /O mit Marianne zusammen. Sobald ich definitiv Urlaub habe, schreibe ich Göhre.9 Abends kommen wir dann nach Berlin. Mit herzlichsten Wünschen und Grüßen auf baldiges, frohes und hoffentlich gesundes Wiedersehen, Dein treuer Sohn Max

9  Max und Marianne Weber wollten den befreundeten Paul Göhre, der Pfarrer in Frankfurt/ Oder war, besuchen.

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Marianne Weber 15. April [1894]; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Das Jahr ist aus der Ortsangabe und dem Briefinhalt erschlossen: Max Weber nahm seit dem 1. März 1894 als Reserveoffizier an einer Militärübung in Posen teil; am 3. April 1894 hatte ihn der Ruf aus Freiburg i. Br. auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft erreicht; vgl. die Briefe an Friedrich Althoff und an Helene Weber vom 3. April 1894, oben, S.  521 f. und 523.

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eben kam Dein Brief. Du hast Recht, wir entwickeln jetzt in der That keinen Glanz in unsrem geistigen Verkehr und es wird hohe Zeit, daß derselbe seines schriftstellerischen Charakters wieder entkleidet wird. Es ist hier aber auch weiß Gott gar nichts los, das Geistigste was man hat ist die Kneipe, in welcher ich allerdings mit ziemlicher Regelmäßig­ keit und zuweilen ziemlich spät noch anzutreffen bin, ohne doch des­ halb länger als bis 51/ 2 Uhr schlafen zu können. Nun: noch 3 Dienst­ tage, dann kommt die „Besichtigung“1 und am 21ten kann mich die ganze Sache …! Am 21ten werde ich wohl mit dem Präsidenten der Ansiedelungscom­ mission2 eine Tour über einige Ansiedelungsgüter machen und dann am 22ten in Frankfurt sein. Die Zeit muß ich Dir noch schreiben, vorher aber erst definitiv Urlaub haben, um welchen ich frühstens morgen bit­ ten kann. Dann schreibe ich auch an Göhre [.] 3 Daß Du für Großvater4 etwas besorgt hast, ist sehr schön von Dir, ich wußte nicht recht, wie wir uns verhalten sollten, aber so ist es ja sehr gut. Ich selbst wünsche mir höchstens Balcongarnituren: Marquisen 1 Es handelt sich vermutlich um eine „Besichtigung“, die in Zusammenhang mit Max Webers Regiment stand; Näheres konnte nicht ermittelt werden. 2  Max Weber wollte mit Rudolf von Wittenburg, dem Präsidenten der 1886 gegründeten Königlich Preußischen Ansiedlungskommission, Siedlungen deutscher Bauern und Landarbeiter auf vormals polnischem Besitz besuchen; vgl. den Brief an Helene Weber vom 15. April 1894, oben, S.  531 f. 3  Ein Brief an Paul Göhre, der Pfarrer in Frankfurt/Oder war und den Max und Marianne Weber besuchen wollten, ist nicht nachgewiesen. 4 Marianne Webers Großvater, Carl David Weber, feierte am 17. April 1894 seinen 70. Geburtstag.

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(diese besorgen wir wohl besser zusammen), einige Gartenstühle, ei­ nen nicht zu kleinen Balkontisch und Blumen. Wenn es Dir Spaß macht, die Sache einzurichten – eh bien – sonst können wir es ja auch nachher thun, wenn ich wieder da bin. Im Übrigen wünsche ich mir nur ein vergnügtes und wohles Mari­ annchen. Ein Colleg habe ich abgesagt, so daß ich nur 10 Stunden zu lesen habe, es wird aber auch wohl so das Wasser bis zum Halse stehen zu­ weilen.5 Goldschmidt6 schrieb mir etwas betrübt, wie ich es mir schon gedacht hatte. Daß Frau Brunner7 ein tapriges und eitles L… ist, war mir nicht verborgen, sie läßt sich gewohnheitsmäßig die Cour machen. Ich verstehe nicht, warum sie es auf Dich abgesehen hatte. Nun, – wir werden sie ja bald los. Von Frau Knaug-Gühne,8 – um mit Göhre zu sprechen, – schreibst Du ja gar nichts. Ist der Unsinn tot? – Auch Ernst9 schrieb mir einen recht netten Brief. Was bei dieser ganzen Herumfah­ rerei herauskommen wird? Nun es ist jedenfalls gut, daß die Mama dadurch dem Geburtstag entgeht.10 Das ist ja eine ganz verfl… Schw…ei mit Berthas Reinlichkeitsfana­ tismusa.11 Ich vermuthe aber, Du hast gehandelt wie die Königin Elisa­ beth in M[aria] Stuart?12 Wie? Nun wartet nur, Ihr werdet mir ein a  Unsichere Lesung.   5  Max Weber hatte für das Sommersemester 1894 insgesamt sechs Veranstaltungen angekündigt, von denen er das auf drei Wochenstunden angelegte Kolleg „Preußische Rechtsgeschichte“ letztlich nicht abhielt; vgl. den Brief an Helene Weber vom 15. April 1894, oben, S.  531 mit Anm.  5. 6 Levin Goldschmidt, Max Webers akademischer Lehrer, hatte am 4. Mai 1892 einen Schlaganfall erlitten und war seither nicht mehr in der Lage, seiner Lehrverpflichtung nachzukommen. 7  Anna Brunner, die Ehefrau des Rechtshistorikers Heinrich Brunner. 8 Max Weber persifliert den Namen der Frauenrechtlerin Elisabeth Gnauck-Kühne im sächselnden Tonfall seines Freundes Paul Göhre. Gnauck-Kühne wollte, wie Marianne Weber in ihrem Brief an Helene Weber vom 9. März 1894 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) erwähnt, die Zulassung von Frauen zum Evangelisch-so­ zia­len Kongreß erreichen und gründete 1894 die „Evangelisch-soziale Frauengruppe“ in Berlin mit. Zur Streitfrage um die Partizipation von Frauen am Evangelisch-sozialen Kongreß vgl. Der Briefwechsel zwischen Adolf von Harnack und Martin Rade. Theologie auf dem öffentlichen Markt, hg. von Johanna Jantsch. – Berlin, New York: de Gruyter 1996, S.  36 f. 9  Ernst Mommsen. 10  Die gesundheitlich angeschlagene Helene Weber befand sich zur Kur im Ort Schweizermühle in der Sächsischen Schweiz und verbrachte dort ihren Geburtstag am 15. April. 11  Bertha Schandau, das Hausmädchen von Max und Marianne Weber. 12  Anspielung auf das Drama „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller.

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schönes Chaos angerichtet haben. – Nimmt denn nun Bertha den Ruf nach Freiburg an? – Die Wohnungen scheinen ja also dort recht rar und verblüffend teuer zu sein. Das „Haus“ würde mir wenigstens sehr in die Augen stechen, wenn es 100–200 M. billiger wäre. Nun wir müssen Pfingsten eben sehen. Ich habe Fritz geschrieben,13 bis 1600 M. würden wir vielleicht gehen. Vor dem „Altmodischen“ graust es Dich? Das kann doch recht behaglich sein. Jetzt wirds Essenszeit, deshalb leb wohl mein Herz, laß Dirs gut ge­ hen die 8 Tage Einsamkeit hindurch noch, es küßt Dich herzlich Dein Max

13  Dieses Schreiben an Max Webers in Freiburg i. Br. lebenden Vetter Fritz Baumgarten ist nicht nachgewiesen.

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Marianne Weber 19. April 1894; Posen Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Posen 19/IV 94 Liebes Herz, also ich komme nun Sonntag1 früh 5 Uhr nach Frankfurt und gehe dort in ein Hotel. Du reisest am besten mit dem Zuge, der 7 Uhr 55 Morgens vom Zoolog[ischen] Garten geht, kommst um 10 Uhr nach Frankf[urt] und ich hole Dich am Bahnhofe ab. Sollte aus irgend einem Grunde sich die Sache bis auf den Nachmittag verschieben müssen, so telegraphiere ich Dir bis Sonnabend Mittag, 2 mit welchem Zuge ich Dich Sonntag erwarte. Ein Verfehlen ist ja nicht möglich, wenn Du, falls wir uns etwa auf dem Perron verfehlten, im Wartesaal bleibst, bis ich Dich finde [.] Göhre schreibe ich Dies gleichzeitig.3 Gott sei Dank, heut der letzte Exerciertag, morgen Vorstellung, dann die obligate Kneiperei [.] Es ist hohe Zeit, daß wir wieder zusam­ menkommen, denn aus diesem Stinkloch Briefe zu schreiben ist wahr­ haft eine Qual [.] Sehr freute mich, daß Du schriebst, Du habest doch etwas Interesse an den agrarischen Dingen gewonnen; nuna von Freiburg aus machen wir unsre Excursionen gemeinsam, um bei den Pisängen4 dort En­ queten zu machen. – Ich freue mich aufs ruhige Arbeiten [.] Je nach den Zügen werden wir, denke ich [,] Sonntag Abend in Berlin sein. Ich schreibe morgen noch eine Karte darüber.5 Jedenfalls bis da­ hin herzl. Gruß und Kuß Dein Max a  Unsichere Lesung.   1  Max und Marianne Weber trafen sich am 22. April 1894 in Frankfurt/Oder, um den dort als Pfarrer tätigen Paul Göhre zu besuchen. 2  Ein entsprechendes Telegramm an Marianne Weber ist nicht nachgewiesen. 3 Das angekündigte Schreiben an Paul Göhre ist nicht überliefert. Vgl. dazu auch die Einleitung, oben, S.  34, Anm. 68. 4  Verballhornung des französischen Wortes „paysan“ für Bauer; vgl. Das Rheinische Wörterbuch, bearb. und hg. von Josef Müller, Band 6. – Berlin: Erika Kopp 1941, Sp.  878 f. 5  Die angekündigte Karte ist nicht nachgewiesen.

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Friedrich Althoff 28. April 1894; Berlin Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Slg. Darmst. 2g, 1900, Max Weber Zu Max Webers Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323.

NW 23 Siegmundshof 6 28/4 94 Ew. Hochwohlgeboren 5

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beehre ich mich auf die geneigte Anfrage vom gestrigen Tage zu be­ richten, daß ich nach der letzten Unterredung,1 welche ich die Ehre hatte mit Ew. Hochwohlgeboren zu haben, geglaubt habe, nach noch­ maliger eingehender Überlegung, die Berufung nach Freiburg annehmen zu sollen und daß mir auf meine Dem entsprechende Erklärung seitens des badischen Herrn Ministerialdezernenten2 die Mitteilung gemacht wurde, daß meine Ernennung Höchsten Ortes ehestens bean­ tragt werden solle.3 Ich habe für den Winter die Ankündigung von Vor­ lesungen in Freiburg in Aussicht gestellt.4 Ich verbleibe Ew. Hochwohlgeboren in ausgezeichneter Hochachtung sehr ergebener Max Weber 1 Die Unterredung hat am 6. April 1894 stattgefunden. Vgl. Webers Brief an Friedrich Althoff vom 3. April 1894, oben, S.  521 mit Anm.  1, sowie die Karte an Fritz Baumgarten vom 6. April 1894, oben, S.  524. 2  Ludwig Arnsperger. 3 Bereits am 25. April 1894 erfolgte seine Ernennung. Aus dem in seiner Personalakte erhaltenen Entwurf seiner Ernennung und Bestallung gehen auch die konkreten Gehaltszahlen hervor (vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  9). Am 30. April informierte das Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts den Senat der Freiburger Universität über Webers Ernennung durch den Großherzog. Damit ging auch eine von Weber auszufüllende Standesliste an die Universität; der Senat sandte die ausgefüllten Blätter am 1. Juni 1894 an das Ministerium zurück. Der offizielle Dienstantritt fand am 5. Oktober 1894 statt (GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 6–8). 4  Max Weber hat im Wintersemester 1894/95 vier Lehrveranstaltungen angeboten: Zwei jeweils vierstündige Vorlesungen über „Allgemeine und theoretische Nationalökonomie“ (MWG III/1, S.  157–664) und „Finanzwissenschaft“ (MWG III/3), ein zweistündiges „Kameralistisches Seminar“ (mit Gerhart von Schulze-Gaevernitz) sowie ein zweistündiges „Handelsrechtspraktikum“. Vgl. Ankündigungen der Freiburger Vorlesungen, WS 1894/95, S.  17 f., ferner die Übersicht in: MWG III/1, S.  55.

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Heinrich Rickert 28. April 1894; Berlin Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  25, Bl. 1–2

NW 23 Siegmundshof 6 28/IV 94 Lieber Rickert, Ihr überaus liebenswürdiger Brief erfreute mich aufs herzlichste und läßt mich der Erneuerung unsrer lange unterbrochenen alten Bekannt­ schaft1 mit doppeltem Vergnügen entgegensehen. Ich hoffe Sie schon |:nach:| Pfingsten, wo ich mit meiner Frau auf einige Tage in Freiburg vorsprechen wollte, persönlich anzutreffen um mich Ihres freundlichst angebotenen Rathes in allerlei Angelegenheiten erfreuen zu dürfen. Haben Sie einstweilen vielen Dank namentlich für das Anerbieten, uns in der Wohnungsfrage unterstützen zu wollen. Mein Vetter, Gymnasi­ alprofessor F[ritz] Baumgarten, schrieb mir darüber ebenfalls bereits und es scheint ja in der That, als ob wir in dieser Richtung Schwierig­ keiten haben würden. Ein „Haus“ von 7 Zimmern nebst Zubehör wur­ de uns für 1800 M. offeriert – ich würde diesen Preis nicht scheuen, da ich schon meiner Frau zu Liebe, die sehr ungern hier fort geht, grade auf die Wohnung relativ viel verwenden würde. Sollte Ihnen zufällig irgend etwas vor Augen kommen, so wären wir Ihnen Pfingsten für ei­ nen Hinweis zu vielem Dank verpflichtet; ich würde aber diese Bitte nicht stellen, wenn ich voraussetzen müßte, daß Sie etwa irgend welche Recherchen oder besondren Schritte aus diesem Anlaß unternehmen. Ich bitte Sie, das jedenfalls nicht zu thun [.] Meine Mutter, der es in den letzen Monaten nicht nach Wunsch ging, ist in einem sächsischen Luftkurort, 2 sie hatte sich sehr über Ihren letz­ ten Brief gefreut. Meine Frau sendet Ihrer Frau Gemahlin3 und Ihnen beste Empfehlungen, denen ich mich anschließe und in der Hoffnung, Sie Pfingsten wohl anzutreffen, bis dahin bleibt mit herzlichem Gruß Ihr Max Weber 1  Die Familien Rickert und Weber pflegten schon länger freundschaftliche Beziehungen. Nicht zuletzt aufgrund der politischen Kontakte ihrer Väter waren Max Weber und Heinrich Rickert seit ihrer Kindheit miteinander bekannt. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S.  216. 2  Helene Weber befand sich zur Kur im Ort Schweizermühle in der Sächsischen Schweiz. 3  Sophie Rickert.

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Emilie Benecke 29. April 1894; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Berlin NW 23 Siegmundshofa 6 29/IV 94 Liebste Tante, 5

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ich hatte, als ich auf einem eintägigen Urlaub nach hier von Gussy’s damals eben angezeigten Verlobung hörte,1 Marianne gebeten, vorläu­ fig in unser beider Namen Euch unsre herzlichsten Glückwünsche dar­ zubringen, da es damals unmöglich war, zu einem Brief an Dich zu kommen. Jetzt wo ich endlich wieder zurück und über die ersten Col­ leg-Tage hinausbin, 2 möchte ich aber auch persönlich noch sagen, wie sehr mich für Gussy und Euch gefreut hat, daß sie an der Seite eines so überaus sympathischen und ernsten Mannes – Du weißt, daß ich hier keine Redensarten mache, sondern dieser Ansicht auch in Stadien war,b als noch keine Schatten des kommenden Ereignisses vorausfielen – durch das Leben gehen wird. Hoffentlich bleibt Euch der Schwie­ gersohn, den ich herzlichst zu grüßen bitte, wenigstens vorerst noch in Straßburg erhalten. – Wir hoffen uns bald von dem Wohlergehen des Brautpaares persönlich überzeugen zu können, da ich abgesehen von dem Frankfurter Kongreß3 auch zum Zweck des Wohnungsmiethens in Freiburg Pfingsten nach dem Süden komme und dann mit Marianne gern einen Tag Euch – sei es in Straßburg sei es in Heidelberg, wahr­ scheinlich seid Ihr wohl in letzterem – aufsuchen möchte. Von Herbst an sind wir uns ja dann bedeutend näher gerückt und werden wohl öf­ ter den Versuch machen, Euch die eine oder die andere Eurer Töchter auf Logierbesuch „auszuspannen“. Mit meiner bösen Zunge habe ich a O: Sigmundshof  b  Fehlt in O; war, sinngemäß ergänzt.   1  Auguste (Gussy) Benecke hatte sich mit Martin Benno Schmidt verlobt, der aus Leipzig stammte und Oberassistent am pathologischen Institut der Universität Straßburg war. 2  Max Weber war am 22. April 1894 von einer Militärübung, an der er seit dem 1. März 1894 in Posen teilgenommen hatte, zurückgekehrt. Das Sommersemester hatte offiziell am 16. April begonnen; vgl. das Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1894. 3  Gemeinsam mit Paul Göhre stellte Max Weber auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß am 16. Mai 1894 in Frankfurt/Main die ersten Ergebnisse der Befragung der evangelischen Pfarrer über die Lage der Landarbeiter im Deutschen Reich vor; vgl. Weber, Die deutschen Landarbeiter, MWG I/4, S.  3 08–345.

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doch übrigens fortgesetzt Pech |:speziell mit den Sachsen:|: jetzt ist der unglückselige Schulze-Gävernitz, mit dessen Vater mir die heillose Geschichte mit den „Piechern iper das breißische Schdoodsrecht“ pas­ sierte, nun mein Spezialcollege.4 – Nun trotz Allem freue ich mich, auch namentlich in Mariannes Interesse, die allerdings ihrerseits vor­ erst recht unglücklich über die Trennung von Schwiegermuttern ist, über die Veränderung: für ein junges Ehepaar ist ein kleinerer Ort mit weniger nervöser und zersplitterter Lebensweise doch das Richtige, hier komme ich über einen moralischen Katzenjammer über die unzu­ längliche Erfüllung meiner Pflichten als Ehemann kaum hinweg [.] Von hier ist nicht viel zu berichten, leider – abgesehen von dem herz­ erfreuenden, aber noch etwas exclusiven und stürmischen Glück unsres Brautpaars5 – auch nicht viel Gutes. Meine Mutter ist offenbar noch immer recht müde und abgespannt, es ist mir |:(und auch, wie ich sehe, ihr selbst):| auch recht fraglich, ob eigentlich der auf gut Glück gewähl­ te Luftcurort das richtige für sie ist.6 Leider kann man vorerst nur ab­ warten. Nun bitte ich Dich noch, Gussy und Ihrem Bräutigam meine herz­ lichsten Grüße und Wünsche, die ich bald mündlich zu wiederholen hoffe, auszurichten, ebenso dem Onkel,7 – hoffentlich nehmt Ihr die­ sen stark verspäteten, aber nicht minder herzlichen Glückwunsch noch als solchen an. Meine Frau grüßt herzlich und freut sich ebenfalls auf das Wiedersehen, bis dahin also Euer treuer Neffe und Vetter Max

4  Max Weber hatte sich während seines Studiums in Heidelberg gegenüber seinem damaligen Kommilitonen Gerhart Schulze (seit 1888 von Schulze-Gaevernitz) über den Tonfall des dem sächsisch-thüringischen Dialektkreises entstammenden Professors für Juris­ prudenz Hermann Schulze mokiert, ohne zu wissen, daß es sich um dessen Vater handelte; vgl. den Brief an Max Weber sen. vom 17. Dez. 1885, MWG II/1, S.  575 mit Anm.  8. Gerhart von Schulze-Gaevernitz war seit dem Wintersemester 1893 Extraordinarius für Nationalökonomie in Freiburg i. Br. 5  Max Webers Schwester Clara und ihr Verlobter Ernst Mommsen. 6  Die gesundheitlich angeschlagene Helene Weber hielt sich zur Kur im Ort Schweizermühle in der Sächsischen Schweiz auf. 7  Ernst Wilhelm Benecke.

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Ernst Schultze 6. Mai 1894; Berlin Karte; eigenhändig UB Basel, Nl. Arthur Spiethoff Ernst Schultze hatte Max Weber im Auftrag der Berliner „Sozialwissenschaftlichen Studentenvereinigung“ um einen Vortrag gebeten. Der Verein wollte Studenten aller Fakultäten grundlegende sozialwissenschaftliche und nationalökonomische Kenntnisse sowie Einblicke in sozialpolitische Fragen vermitteln. Max Weber kam der Bitte nach und hielt, vermutlich zwischen der zweiten Junihälfte und dem 15. August 1894, einen Vortrag über „Die landwirthschaftliche Arbeiterfrage“. Vgl. MWG I/4, S.  912 f.

Sehr geehrter Herr,

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ich kann an den beiden vorgeschlagenen Montagen nicht. Auch habe ich für die Zeit bis Mitte Juni schon andere ältere Ersuchen ähnlichen Inhalts ausgeschlagen und es wäre nuna nicht wohl möglich, daß ich auf das Seinige einginge. In der 2ten Hälfte Juni bin ich gerne bereit. Ihr sehr ergebener Max Weber NW 23 6/V 94

a  Alternative Lesung: mir  

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13. und 23. Mai 1894

Emmy Baumgarten [zwischen dem 13. und 23. Mai 1894]; o.O. Brief; eigenhändig Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe Es handelt sich um einen Zusatz auf einem fragmentarisch überlieferten Brief (es fehlt der Briefanfang) von Marianne Weber an Emmy Baumgarten. Das Datum ist aus dem Briefinhalt erschlossen: Der „soeben“ erfolgten Ernennung Max Webers zum Professor in Freiburg i. Br. (vgl. unten, Anm.  2) und der Erinnerung an den Besuch von Max und Marianne Weber bei Emmy Baumgarten am 13. Mai 1894 in Stuttgart (vgl. unten, Anm.  1). Spätestens am 23. Mai 1894 sandte Max Weber die Einstellungsunterlagen ausgefüllt nach Freiburg zurück (vgl. den Brief an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br., vor oder am 23. Mai 1894, unten, S.  543 f.).

Nur einen kurzen herzlichen Gruß, liebe Emmy, für heute, wir denken noch immer mit Freude an den schönen leider so kurzen Tag bei Euch1 und hoffen, daß im Sommer Gelegenheit zu einem Wiedersehen sich finden wird. Ich bitte Dich, noch Frl. Adelheid Wildermuth bestens von uns zu grüßen. Herzlich Dein Max Weber soeben ernannter Professor2

1  Max und Marianne Weber hatten Emmy Baumgarten am Pfingstsonntag, den 13. Mai 1894, in Stuttgart besucht, wo sie im „Ottilienhaus“, einem von Adelheid Wildermuth geleiteten Sanatorium für Nervenkranke, lebte (Brief Marianne Webers an Helene Weber von „Pfingstsonntag“ [13. Mai 1894], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Max und Marianne Weber trafen bei ihrem Besuch auch Adelheid Wildermuth. 2  Die Ernennungsurkunde ist auf den 25. April 1894 ausgestellt, das genaue Zustelldatum ist nicht bekannt; vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  323, sowie den Brief an denselben vom 28. April 1894, oben, S.  537 mit Anm.  3.

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Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. [vor oder am 23. Mai 1894]; Berlin Brief; eigenhändig UA Freiburg i. Br., B 110/409 Zu Max Webers Berufung zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  320–323. Die Datierung ist erschlossen aus dem handschriftlichen Eingangsvermerk „23/5 94“ am Briefkopf.

Berlin NW 23 Siegmundshof 6 Der Hohen Philosophischen Fakultät

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beehre ich mich unter Überreichung 1) der ausgefüllten Standeslisten1 2) meiner Vorlesungsanzeige für W/S 1894/5 den Antrag zu unter­ breiten2 1. sich damit einverstanden erklären zu wollen, daß das Direktorium des staatswissenschaftlichen Seminars von Herrn Prof. extr. von Schulze-Gävernitz und mir gemeinschaftlich und zwar alternierend ge­ führt und dies auch in dem Personal-Verzeichnis, und zwar bereits für das Wintersemester, ersichtlich gemacht wird durch eine Fassung, wel­ che etwa derjenigen [,] welche für das mathematische Seminar gewählt ist, entspricht, 3 sowie daß 2. Herr Prof. extr. von Schulze-Gävernitz an den staatswissenschaft­ lichen Promotionen und zwar grundsätzlich bei solchen von Candi­ daten beteiligt wird, welche die Arbeit unter seiner Leitung angefertigt haben. Ich habe den Wunsch, daß eine derartige Coordinierung eintritt, weil andernfalls die Seminar-Lehrthätigkeit des Herrn Prof. von 1  Diese sind erhalten (GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 1–5). 2  Max Weber hat im Wintersemester 1894/95 vier Lehrveranstaltungen angeboten: Zwei jeweils vierstündige Vorlesungen über „Allgemeine und theoretische Nationalökonomie“ (ediert in: MWG III/1, S.  157–664) und „Finanzwissenschaft“ (ediert in: MWG III/3), daneben ein zweistündiges „Kameralistisches Seminar“ (zusammen mit Gerhart von Schulze-Gaevernitz) sowie ein zweistündiges „Handelsrechtspraktikum“. Vgl. Ankündigung der Freiburger Vorlesungen, WS 1894/95, S.  17 f., ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  55. 3  Im Adreßbuch der Universität ist im Wintersemester 1894/95 für das „Cameralistische Seminar“ vermerkt: „Directorium (alternierend): Professor Weber und Professor von Schulze-Gaevernitz“ (UA Freiburg i. Br., D 81/73).

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Schulze empfindlich alteriert würde, was ich bei der erwünschten Er­ gänzung, welche sein Spezialarbeitsgebiet4 zu dem meinigen bildet, für nicht im Interesse des Lehrzwecks erachte; auch wäre es mir besonders unerfreulich, wenn – wie entgegengesetztenfalls zu erwarten – die Se­ minarhörer durch naheliegende rein äußerliche Gründe zu einer über­ wiegenden Bevorzugung meiner Person als Lehrer veranlaßt würden. Herr Prof. von Schulze und ich beabsichtigen um deswillen das Semi­ nar gemeinsam zu leiten und möchte deshalb der vorstehende Antrag, wie ich hoffe, auf keine Bedenken stoßen. – Professor Dr Max Weber

4 Die wissenschaftlichen Schwerpunkte von Gerhart von Schulze-Gaevernitz lagen auf Gewerbe- und Handelspolitik, Arbeiterfrage, Geschichte des Sozialismus und der Sozialreform.

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Ludo Moritz Hartmann 2. Juni [1894]; Berlin Brief; eigenhändig MWA, BAdW München (Fotokopie des Originals) Das Jahr ist aus dem Zusammenhang erschlossen.

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in Gemäßheita Ihres freundlichen Schreibens bin ich natürlich mit Ver­ gnügen bereit, auch ferner unter die Mitarbeiter Ihrer Zeitschrift1 zu zählen, für die ich leider bisher nichts leisten konnte. Ich bitte Sie, mir in betreff der Zusage eines Beitrags noch etwas Aufschub zu gewähren, da ich im Herbst ein neues Lehramt in Fächern, die mir z.T. fremd wa­ ren, übernehme2 und mich deshalb in publicistischer Beziehung für einige Zeit einschränken muß. Sobald es mir im Lauf des Winters ir­ gend möglich ist, werde ich Ihnen Inhalt und Zeitpunkt eines Beitrages mitteilen bzw. Ihnen einen solchen anbieten.3 Möglicherweise habe ich die Freude, im Herbst in Wien beim Verein für Sozialpolitik unsre flüchtige Bekanntschaft erneuern zu können.4 Mit bester Empfehlung Ihr hochachtungsvoll ergebener Max Weber

a  Unsichere Lesung.   1  Gemeint ist die „Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte“, die 1893 von Ludo Moritz Hartmann mitbegründet wurde. 2  Max Weber trat am 5. Oktober 1894 sein Lehramt an der Universität in Freiburg i. Br. an und wechselte damit von der Jurisprudenz zur Nationalökonomie und Finanzwissenschaft. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  323. 3  Weder sind aus diesem Zeitraum ein Brief Max Webers an Ludo Moritz Hartmann noch ein Beitrag Max Webers für diese Zeitschrift nachgewiesen. 4  Am 28. und 29. September 1894 fand die Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik in Wien statt, die Max Weber jedoch wegen des Umzugs nach Freiburg i. Br. nicht besuchen konnte.

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Friedrich Naumann 16. Juni 1894; Berlin Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr.  106, Bl. 118 In diesem sowie in den folgenden Briefen an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 31. Juli, 5. und 24. August sowie vom 16. Oktober 1894, unten, S.  563, 568, 571 und 577, geht es um die beiden Broschüren Max Webers über die Börse, die er auf Bitten von Friedrich Naumann für die „Göttinger Arbeiterbibliothek“ verfaßte (Weber, Max, Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation (Göttinger Arbeiterbibliothek, 1.  Band, 2. und 3. Heft, hg. von Friedrich Naumann u. a.). – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1894, S.  17–48, ediert in: MWG I/5, S.  127–174; ders., Die Börse. II. Der Börsenverkehr (Göttinger Arbeiterbibliothek, 2.  Band, 4. und 5. Heft, hg. von Friedrich Naumann u. a.). – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1896, S.  49–80, ediert in: MWG I/5, S.  614–657). Friedrich Naumann nannte Max Weber schon im Juli 1893 als potentiellen Autor für seine „Arbeiterbibliothek“ gegenüber dem Verleger Wilhelm Ruprecht (vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Die Börse I, MWG I/5, S.  127–134, hier S.  128). Max Weber hatte sich spätestens seit der Jahreswende 1893/94 intensiv mit dem Thema Börse auseinandergesetzt: Für Levin Goldschmidts „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“ sollte er eine umfassende Darstellung der Ergebnisse der Börsenenquetekommission liefern (vgl. den Brief an Gustav Schmoller vom 23. Februar 1894, oben, S.  487), die – in vier Teilen – zwischen den beiden Börsenbroschüren erschien (Weber, Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete, MWG I/5, S.  175–550). Ursprünglich hatte Weber gegenüber Naumann angekündigt, das Thema in drei Heften à 16 Druckseiten abzuhandeln. Diese Konzeption wurde jedoch immer wieder geändert und ergänzt, bis man sich schließlich auf zwei Doppelhefte à 32 Seiten einigte. Zu den Details der Konzeption vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Die Börse I, S.  131 f. Der grundsätzliche Vorschlag für das erste Doppelheft kam am 31. Juli 1894 von Max Weber selbst, als er das Manuskript zu Weber, Die Börse I, an den Verlag schickte. Dieser hatte den Inhalt der Erweiterung angeregt, nämlich die äußere Organisation der Börse mitzubehandeln. Für den Abschluß des Unternehmens ging Max Weber zu diesem Zeitpunkt wohl noch von einem Einzelheft aus, auch am 5. August spricht er noch von einem „Schlußheft“. Erst am 16. Oktober 1894 scheint dann klar zu sein, daß auch der zweite Teil wieder ein Doppelheft werden sollte. Zudem ist durch den Brief vom 24. August 1894 ersichtlich, daß es durchaus noch zu Änderungen am ursprünglichen Manuskript kam, mindestens durch Streichung von 29 Zeilen. Was Weber streichen wollte oder mußte, bleibt jedoch offen. Das erste Doppelheft (Weber, Die Börse I) erschien am 22. November 1894 als Heft 2 und 3 des ersten Bandes der Reihe. Die Fortsetzung (Weber, Die Börse II) kam erst zwei Jahre später im September oder Oktober 1896 als Heft 4 und 5 des zweiten Bandes heraus (vgl. zu dessen Entstehungskontext den Editorischen Bericht zu Weber, Die Börse II, MWG I/5, S.  614–618, sowie die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an den Verlag Vandenhoeck & Ru­ precht vom 5. Januar 1895, MWG II/3, S.  49).

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NW 23 Siegmundshof 6 16/VI 94 Lieber und verehrter Herr Prediger, 5

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besten Dank für Ihren Brief, auch für das freundliche Gedenken in der „Zukunft“. Ich schlage gegen diese Dreistigkeiten eventl. auch noch los.1 Der Artikel für die Arbeiterbibliothek ist in Arbeit, aber sehr schwierig kurz und doch nicht trivial zu gestalten. Möglich ist das nur bei einer Teilung in ca. 3 selbständige Einzelhefte: 1) Allgemeine Be­ deutung und Funktion der Börse – 2) Organisation der Börsen – 3) Die Börsengeschäfte – die ich hiermit vorschlage. Gehen Sie resp. der Ver­ leger darauf ein, so kann das erste Heft in 14 Tagen, die folgenden je nach 3 Wochen geliefert sein. Das erste ist zur Hälfte fertig. – Jedes würde allein ein geschlossenes Ganzes bilden und 16 Seiten Druck um­ fassen. Ich bitte sehr die Sache so zu machen, wenn irgend möglich. Dann kann sie wirklich brauchbar und belehrend werden. Sonst kann man auf 16 Seiten nur Redensarten machen. Herzlichen Gruß, bitte antworten Sie bald, ob es so geht Ihr aufrichtig ergebener Max Weber NB! Honorar nur wie für 1 Heft! da ich mich ja eigentlich verpflichtet hatte, die Sache in 1 zu leisten.

1  Max Weber bezieht sich hier auf Naumann, Friedrich, Offiziöses zum evangelisch-sozia­ len Kongreß, in: Die Zukunft, Band 7 vom 2. Juni 1894, S.  403–410. Webers eigener Artikel erschien am 12. Juli 1894 in der „Christlichen Welt“: Weber, Zum Preßstreit über den Evangelisch-sozialen Kongreß, MWG I/4, S.  463–479. Mit den „Dreistigkeiten“ bezieht sich Weber auf die Angriffe aus der konservativen Presse im Anschluß an sein und Paul Göhres Referat auf dem fünften Evangelisch-sozialen Kongreß Mitte Mai in Frankfurt am Main. Beide stellten die Vormachtstellung der ostelbischen Großgrundbesitzer in Frage, Weber forderte explizit die Anerkennung des Klassenkampfes als gesellschaftliche Realität sowie die Aufhebung des Koalitionsverbots für Landarbeiter. Die führenden konservativen Organe wie die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ und die „Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung“ lehnten dies als sozialistisch ab und schreckten auch nicht davor zurück, Göhre und Weber mit dem radikalen Antisemiten Hermann Ahlwardt zu vergleichen.

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Marianne Weber 12. Juli 1894; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Marianne Weber befand sich bis Anfang August 1894 mit ihren Schwiegereltern Helene und Max Weber sen. sowie deren Kindern Arthur, Clara und Lili auf der Insel Juist. Dieser und die folgenden Briefe an Marianne Weber bis zum 31. Juli 1894, unten, S.  564– 567, sind in diesem Zusammenhang entstanden.

Siegmundshof 6 Berlin 12/VII 94 Mein liebes Herz, also natürlich Migräne! das habe ich ja befürchtet, und noch dazu kein Sopha und Sturm, der auch hier so heftig war, daß der alte Wagner sich wegen seines auf dem Meer schwimmenden Sohnes ängstigte.1 Nun hoffentlich dringt das klarere Wetter, was nach einem großen Gewitter jetzt hier herrscht, auch bis zu Euch vor und Du fängst an, es zu genie­ ßen. – Ich bin neulich gleich nachdem ich nach Haus kam zu Bett ge­ gangen, allerdings kam ich nicht sehr früh nach Haus, da Ernst2 noch Bierdurst hatte und ich seinen Abschiedsschmerz nur durch innerliche Feuchtigkeit zu kurieren wußte. Mittwoch und gestern war tüchtig zu thun, dann gestern Abend die übrigens nicht sehr schreckhafte Knei­ pe, da Ernst Alles verbummelt hatte tranken wir nur ein paara Glas und gingen dann nach Haus. Heut sitze ich an der Besprechung der Agrarconferenz für Heinrich Braun3 und an der Börsen-Bancfibel4 für 10   . Morgen ist dann die 8-Mark-Fresserei5 – den alten berühmten

a O: par   1  Vermutlich sind der Nationalökonom Adolph Wagner und sein Sohn Friedrich (Fritz), ein Schulfreund von Alfred Weber, gemeint. 2  Ernst Mommsen, der Verlobte von Clara Weber. 3  Vgl. Weber, Die Verhandlungen der Preußischen Agrarkonferenz, MWG I/4, S.  480–499. Der Artikel erschien im August 1894 in dem von Heinrich Braun herausgegebenen „Sozialpolitischen Centralblatt“. 4  Es handelt sich um die auf Bitten von Friedrich Naumann für die „Göttinger Arbeiterbi­ blio­thek“ verfaßte und in zwei Doppelheften erschienene Broschüre: Weber, Die Börse I, MWG I/5, S.  127–174; vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, oben, S.  546. 5  Zu Max Webers Verabschiedung durch seine Kollegen von der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin vgl. den Brief an Marianne Weber vom 15. Juli 1894, unten, S.  551 f.

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Philosophen Zeller fressen sie über 8 Tage umb 1 Mk billiger fort: 6 so weit haben wir es schon gebracht! Ich werde in der Staatskalesche ab­ geholt und nach vollbrachter That einer Strandkanone7 ähnlich im Lei­ chenwagen vors Bett gefahren. Sonntag werde ich dann meinen Kat­ zenjammer mit Fritz Cohn, Ernst und Alfred hier bei Tisch restaurie­ ren. Hätte ich Zeit, würde ich doch irgend eines Abends in die „Gespenster“ gehen,8 aber es geht nicht, und außerdem käme ich mir doch sehr seltsam vor, nachdem wir zusammen mit dem Dorle9 zu nichts gekommen sind [,] jetzt alleine hinzulaufen. Nun will ich nur hoffen, daß Du eine anständige Wohnung findest und Dir die Sache behaglich machst, – „unsre Mittel erlauben uns das“10 ja vorerst noch; und sonst mache ich mir mit meinem Schlem­ merleben hier Gewissensbissec. Bertha11 tafelt nämlich im Eifer des Gefechts auf, als ob ein Menschenfresser zu versorgen wäre, und macht ihre Sache wirklich ganz brav. Montag werde ich in der Stadt mit Hirsch zusammen essen und Mittwoch mit Sattler,12 sonst werde ich doch wohl schon der Zeit und Geldersparniß halber hier essen, da es sich in der Stadt nur lohnt, wenn ich den ganzen Tag drin bleibe. Wolltest du eigentlich noch etwas zu lesen nachgeschickt haben? Oder plagt Dich der Übermensch13 vorerst genug? Es sind hier einige ziemlich törichted Sittlichkeits-Schriften für Dich angekommen, die b  〈7 M.〉  c O: Gewissensbissen  d  Unsichere Lesung; Textverderbnis in O.   6  Der 80jährige Professor für Philosophie Eduard Zeller wurde mit einem Bankett im Hotel Kaiserhof verabschiedet; vgl. Chronik der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für das Rechnungsjahr 1894/95. – Berlin: Julius Becker 1895, S.  9. 7  Anspielung auf die Redewendung: blau sein wie eine Strandkanone oder -haubitze. 8  Zu Max Webers Besuch von Henrik Ibsens Drama „Gespenster“ am 15. Juli 1894 im Berliner Theater vgl. den Brief an Marianne Weber vom 17. Juli 1894, unten, S.  554 mit Anm.  3. 9  Max Webers Cousine Dorothea (Dora) Benecke. 10  Anlehnung an eine wiederkehrende Redewendung der Figur Balthasar; vgl. Raeder, Gustav, Aladin oder die Wunderlampe. Zaubermärchen mit Gesängen und Tänzen in drei Akten […] (Des königlich sächsischen Hofschauspielers Gustav Raeder gesammelte komische Theaterstücke, Band 3). – Leipzig, Dresden: W. Bock 1860, S.  109 ff. 11  Bertha Schandau, das Hausmädchen von Max und Marianne Weber. 12  Wilhelm Hirsch und Heinrich Sattler, Freunde Max Webers. 13  Hier vermutlich mit Bezug auf die Begriffsauslegung in: Nietzsche, Friedrich, Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, Band 1, 3.  Aufl. – Leipzig: C. G. Naumann 1894, gebraucht. In dieser Schrift, die in der Bibliothek von Max und Marianne Weber nachgewiesen ist (Handexemplar Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München), hatte Nietzsche sein durch „Also sprach Zarathustra“ weithin bekannt gewordenes Konzept des Übermenschen bereits skizziert.

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ich Dir nur auf Verlangen zuschicke („Der Fluch der Mannheit“14 und Ähnliches). Vor allen Dingen schreib Deine Adresse, nudle Dich tüch­ tig und amüsiere Dich gut. Der Mama vielen Dank für ihre Karte, ebenso Dir Es küßt dich herzlich Dein Max

14  Es handelt sich um Varley, Henry, Der Fluch der Mannheit. Zwei Vorlesungen für Männer. – Leipzig: Werther 1887, eine Schrift über die vermeintliche Schädlichkeit und Verwerflichkeit der Onanie.

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Marianne Weber 15. Juli 1894; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Siegmundshof 6 Bln 15/VII 94 Liebes Kind, 5

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Dein Briefchen zeugt ja allerdings noch von starker Herabminderung des Jeistes,1 aber das ist gut und gesund und bleibt hoffentlich so bis Du wieder in cultivierte Gegenden hier bei mir zurückgelangst, damit die durch Enquete, S[øren] Kierkegaard, Nietzsche und Simmel malträ­ tierten |:Kopf-:|Nerven sich einmal etwas verpusten können.2 Gestern war also die 8-Mk.-Fresserei bei übrigens recht mäßigen materiellen Genüssen, was Speise und Trank anlangt, aber mit einigen recht netten Reden.3 Eck4 hielt einen für meinen Geschmack etwas zu panegyrischen Abschiedsspeech, auf den ich antwortete, dann bewill­ kommnete mich Adolf Wagner noch in der neuen Fakultät5 in der ihm eignen Aufrichtigkeit und Herzlichkeit, mit einigen Seitenhieben auf Schmoller6 (der anwesend war) und die Historiker, dann sprach der alte Meitzen7 auf Dich, mein Herz, in nicht eben besonders gewandter,

1  Berliner Ugs. für: Geist. 2  Marianne Weber war zur Erholung auf der Insel Juist. Dort sollte sie sich – wie Max Weber vermutlich meint – von der intellektuellen Beanspruchung durch seine für den Verein für Socialpolitik und den Evangelisch-sozialen Kongreß durchgeführten Landarbeiterenqueten (die zweite Fassung seines Artikels: Weber, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter, MWG I/4, S.  362–462, erschien im September 1894; vgl. ebd., S.  366) sowie der Beschäftigung mit den genannten Philosophen erholen. Marianne Weber unterstützte ihn bei der Auswertung von Fragebögen der Landarbeiterenquete des Evangelisch-sozialen Kongresses (Briefe Marianne Webers an Helene Weber, undat. [nach dem 9. März 1894] sowie vom 24. April 1894, beide Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 3  Am 14. Juli 1894 war Max Weber von seinen Berliner Kollegen verabschiedet worden. 4  Der Jurist Ernst Eck war zur Zeit von Max Webers Dissertation Dekan der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin gewesen und Gutachter von Max Webers romanistischer Exegese. 5  Mit der Annahme des Rufs nach Freiburg i. Br. wechselte Max Weber von der Juristischen zur Philosophischen Fakultät, der die Nationalökonomie sowohl in Berlin als auch in Freiburg zugeordnet war. 6  Gustav Schmoller, Nationalökonom und Professor an der Berliner Universität. 7  Der Agrarhistoriker August Meitzen hatte Max Webers Habilitationsschrift angeregt.

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aber sehr herzlicher Art – durch diesen Toast wurde Gierke,8 der sich speciell die Rede auf Dich ausgebeten hatte, eliminiert und außerdem eine Rede von Simmel,9 der wie er |:mir:| sagte auf die „leere Stelle“ an meinem Finger hatte sprechen wollen, da er mich für selbstverständlich unverheirathet ansah, verhindert, – endlich Brunner10 in übrigens recht hübscher Art auf die Eltern. Nachher fand noch eine Bierkneiperei statt, die ältesten, Wagner und Meitzen, blieben am längsten. Nun ist das „ausgestanden“ und das Schaufressen und -Saufen fängt erst in Freiburg wieder an, wenn wir bei den unvermeidlichen 60 Einladungen 60 Mal angespeecht werden. – Die „Christl[iche] Welt“ mit meinem groben Artikel wird Euch ja nachgeschickt worden sein, ich bin begie­ rig, ob das Schweinsvolk darauf etwas Neues grunzen wird.11 Sonst habe ich zur Zeit mein ziemliches Teil zu thun, abgesehen von den ge­ wöhnlichen kleinen Geschäftchen, Colleg, Praktikum etc.12 die ver­ schiedenen Artikel pp. und dann kommt der Anfang der Lektüre für die Wintercollegien.13 Fritz Cohn kann heut leider nicht, will aber nächstens bei uns essen. Also bleibe ich mit Alfred und Ernst14 alleine. Nun, so kann man ein­ mal allerlei Dinge in Ruhe besprechen. – Höniger15 sagte mir, als ich 8  Otto Gierke, Jurist und Professor an der Berliner Universität. 9  Der Philosoph und spätere Soziologe Georg Simmel. 10  Heinrich Brunner, Jurist und Rechtshistoriker, Professor an der Berliner Universität. 11  Es handelt sich um: Weber, Zum Preßstreit über den Evangelisch-sozialen Kongreß, MWG I/4, S.  463–479. Mit diesem Artikel – er war am 12. Juli 1894 erschienen – reagierte Max Weber auf Angriffe führender konservativer Presseorgane auf die Referate, die er und Paul Göhre Mitte Mai auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß in Frankfurt am Main zu den vorläufigen Ergebnissen ihrer Befragung der evangelischen Geistlichen zur Lage der Landarbeiter gehalten hatten; vgl. dazu auch den Brief an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, oben, S.  547 mit Anm.  1. 12 Max Weber hatte zunächst sechs Lehrveranstaltungen mit insgesamt dreizehn Wochenstunden angekündigt (vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1894, S.  4), aber angesichts der Arbeitsbelastung auf das dreistündige Kolleg „Preußische Rechtsgeschichte“ verzichtet; vgl. die Briefe an Helene Weber und Marianne Weber vom 15. April 1894, oben, S.  531 und 534; ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  54 mit Anm.  11. 13  Für das am 15. Oktober beginnende Wintersemester hat Max Weber die jeweils vierstündigen Vorlesungen „Allgemeine und theoretische Nationalökonomie“ (ediert in: MWG III/1, S.  157–664) und „Finanzwissenschaft“ (ediert in: MWG III/3) angekündigt; vgl. den Brief an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br., vor oder am 23. Mai 1894, oben, S.  543 f., sowie Ankündigung der Freiburger Vorlesungen, WS 1894/95, S.  17 f., ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  55. 14  Ernst Mommsen, der Verlobte von Max Webers Schwester Clara. 15  Der mit Max Weber befreundete Historiker Robert Hoeniger und seine Frau Anna Gertrud.

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ihm erzählte, daß wir über Wien fahren wollten,16 daß seine Frau dann auch mit ihm hingehen würde, da sie dann ja Gesellschaft habe. – Eben bittet mich Bertha, heut zu ihrer Schwester gehen zu dürfen,17 die in Folge einer Blutvergiftung durch Verletzung an der Hand sehr schwer krank war und noch ist. Sie ist operiert worden und noch immer sehr schwach. Das gute Geschöpf scheint sich nicht geringe Sorgen zu machen und wohl mit Grund, denn angeblich ist die Schwester (die im Krankenhaus liegt) noch immer kaum fähig, sie zu sehen. – Nun mein Herz, laß es Dir gut gehen, mein erstes Briefchen18 wirst Du ja bekommen haben, und schreib bald [.] Dein Max

16  Die geplante Fahrt nach Wien, wo am 28. und 29. September 1894 die Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik stattfand, mußten Max und Marianne Weber wegen des Umzugs nach Freiburg absagen. 17  Bertha Schandau war das Hausmädchen von Max und Marianne Weber. Der Name ihrer Schwester konnte nicht ermittelt werden. 18  Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 12. Juli 1894, oben, S.  548–550.

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Marianne Weber [17.] Juli 1894; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Die ursprüngliche Datierung auf den 16. Juli – das war ein Montag – wurde anhand des Briefinhalts korrigiert: Das erwähnte Essen am „Montag“ in Berlin und der Hinweis auf „morgen (Mittwoch)“ legen Dienstag, den 17. Juli 1894, als Tag der Abfassung nahe.

Berlin 17a /VII 94 Liebes Mariannchen, Du bist ja totenstill – hast Du meine Briefe1 nicht erhalten oder geht es Dir noch schlecht? Sonntag bekam ich Deinen Brief, es scheint ja noch immer nicht sehr viel los zu sein bei Euch, hoffentlich ruht Ihr Euch ordentlich aus wenigstens. Sonntag Mittag waren Ernst, 2 Alfred u. Karl bei mir, und da Nach­ mittag mit dem Arbeiten nicht viel wurde, entschloß ich mich und ging mit Alfred in die „Gespenster“3 – war aber froh, daß Du nicht dabei warst, denn wir kamen wie gerädert nach Haus. Das Haus war 3 /4 leer, die Darstellung z.T. gut (Ludw[ig] Stahl und Kraußneck), einiges ist ja großartig, aber der Schluß, wo der Sohn blödsinnig wird, ein grober Misbrauch der Kunst zum Zweck der Nervenschinderei. Ibsen ist bei aller Größe doch ein widerlicher Pedant, namentlich in der gesucht ehefeindlichen Tendenz, der Wahrheit, Schönheit und Alles geopfert wird in diesem Stück, unter der alleinigen Tendenz: die tragische Schuld liegt in dem Ehedrama. Wir waren zum Teil sehr degoutiert und ich habe nun genug davon. Montag aß ich mit Hirsch4 u. Graef5 zusammen, da ich den Tag in der Stadt arbeitete, morgen werde ich mit Sattler6 zusammen essen, um a O: 16   1  Vgl. die Briefe an Marianne Weber vom 12. und 15. Juli 1894, oben, S.  548–550 und 551–553. 2  Ernst Mommsen, der Verlobte von Clara Weber. 3 Es handelt sich um eine Aufführung des umstrittenen Schauspiels „Gespenster“ von Henrik Ibsen; vgl. die Anzeige unter der Rubrik: Theater, Concerte, Vergnügungen, in: Berliner Tageblatt, Jg. 23, Nr.  354 vom 15. Juli 1894, 2. Beibl., o.S. In der Inszenierung des Berliner Theaters wirkten die Schauspieler Ludwig Stahl und Arthur Kraußneck mit. 4  Wilhelm Hirsch. 5  Möglicherweise der Archäologe und Kunsthistoriker Botho Graef, der seit 1890 Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin war. 6  Heinrich Sattler.

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wieder in der Stadt zu arbeiten. Ich schicke Dir zugleich die „Frankfur­ ter Zeitung“, damit Du Dich an dem Artikel erfreust. Das Schweins­ volk schweigt vorerst noch. Dagegen bekam ich einige Zustimmungs­ karten von Theologen. Nun ich bin begierig, ob die „Norddeutsche“ nicht doch noch loslegt. Dann werde ich etwas weniger höflich antwor­ ten [.]7 Was macht denn die Mama? Grüße sie doch herzlich, zum Schreiben an sie komme ich keinesfalls vorerst, da stark zu thun ist. Ich merke doch, daß ich „Zweisiedler“ geworden bin, mein Herz, aber sonst bin ich sauwohl. Heut gut Nacht es ist sehr spät und morgen (Mittwoch) geht es früh los. Herzlich küßt Dich Dein Max

7  Max Weber und Paul Göhre waren von konservativen Presseorganen wegen der Referate, die sie Mitte Mai 1894 auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß in Frankfurt am Main zu den Ergebnissen ihrer Befragung der evangelischen Geistlichen zur Lage der Landarbeiter gehalten hatten, angegriffen worden. Max Weber antwortete darauf mit einem Beitrag in der „Christlichen Welt“ vom 12. Juli 1894; vgl. die Briefe an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, oben, S.  547 mit Anm.  1, sowie an Marianne Weber vom 15. Juli 1894, oben, S.  552 mit Anm.  11. Zu diesem Vorgang veröffentlichte die Frankfurter Zeitung, Nr.  194 vom 15. Juli 1894, 3. Mo.Bl., einen Leitartikel und stellte sich darin Max Weber zur Seite; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Zum Preßstreit über den Evangelisch-sozialen Kongreß, MWG I/4, S.  463–466, hier S.  465 f. Die von Max Weber erwartete Reaktion der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ beschränkte sich auf eine Notiz; vgl. [Rubrik:] Journal-Revue, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Jg. 33, Nr.  332 vom 19. Juli 1894, Mo.Bl., S.  3; ferner den Brief an Marianne Weber vom 20. Juli 1894, unten, S.  558 mit Anm.  10.

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Marianne Weber 20. Juli 1894; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

Bln 20/VII 94 Mein liebstes Mariannchen, ich hätte Deinen lieben Brief gern umgehend beantwortet, aber der böse Mittwoch kam dazwischen, – an dem wir Abends bei Ernst1 zu 11 im Schweiße unsres Angesichts 105 Flaschen Bier vertilgten (pst!) und dann der Donnerstag mit seiner Vorbereitung für 3 Stunden Col­ leg2 |:und seinem „Abend“:|.3 So komme ich erst jetzt dazu. Warum meinst Du denn, daß die Anrührung jenes Punktes „un­ zart“ wäre? und warum scheust Du Dich davor? Das ist doch zwischen Mann und Frau etwas, dessen Besprechung sich gehört, – es ist eher schwieriger darüber zu schreiben als zu sprechen. Mir geht es im Gesammtbefinden so ohne Vergleich besser als in den Jahren vorher, wie ich es nicht mehr – außer für ein viel höheres Alter – gehofft hatte und wie ich es auch während unserer für mich nach dieser Richtung sor­ genvollen Verlobungszeit nicht glaubte. Nachdem das Ersehnte einge­ treten und ich nach Jahre-langen Qualen widerwärtiger Art endlich von Innen heraus zum Gleichmaß gekommen war, fürchtete ich eine Depression schwerer Art. Sie ist nicht eingetreten, wie ich glaube weil ich das Nervensystem und das Gehirn durch anhaltendes Arbeiten nicht zur Ruhe kommen ließ. Deshalb u.A. auch – ganz abgesehen von dem Naturbedürfnis nach Arbeit – lasse ich so sehr ungern eine wirk­ lich fühlbare Pause in der Arbeit eintreten,a auch wenn die Arbeit kei­ ne erheblichen Resultate zu Tage förderte, wie im Winter meist – ich glaube [,] daß ich nicht riskieren durfte, die eintretende Nervenruhe – a  〈denn〉   1  Ernst Mommsen, der Verlobte von Clara Weber. 2  Max Weber hielt im Sommersemester 1894 freitags jeweils eine Stunde der folgenden Lehrveranstaltungen: „Handels- und Seerecht“ (11–12 Uhr), „Handels- und Handelsrechtsgeschichte“ (12–13 Uhr) sowie „Versicherungsrecht und Versicherungswesen“ (13–14 Uhr); vgl. Verzeichnis der Berliner Vorlesungen, SS 1894, S.  4; ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  54. 3  Zu der geselligen Runde um Max und Alfred Weber, die sich wöchentlich am Donnerstag traf, vgl. die Einleitung, oben, S.  21–24.

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denn die genieße ich mit dem Gefühl eines wirklich neuen Glücks – in Erschlaffung sich verwandeln zu lassen, so lange ich nicht unzweideu­ tig erkenne, daß das Reconvalescenten-Stadium definitiv überwunden ist. Deshalb erlege ich mir keine „Opfer“ auf, am wenigsten um Deinetwillen, mein Herzenskind, sondern verhalte mich so, wie es mir in unserem beiderseitigen Interesse zunächst richtig schien, aus einer ge­ wissen Scheu und Angst heraus, mich vorzeitig als normal zu gerieren. Aber Du mein Kind hast auf die Weise, und das war mir von Anfang an ein Hauptpunkt bei allen Bedenken, eben einen abnormen Mann bekommen. Ich habe ja als es mir im vorigen Jahre zuerst nach so lan­ ger Zeit dauernd besser ging, geglaubt in kürzester Zeit völlig normal zu sein, – nun so schnell ist es nicht gegangen, aber jetzt bin ich es scheinbar fast ganz, nur ist die Erinnerung an die Vergangenheit eine so abschreckende, daß ich mich selbst vorerst noch nicht so behandle. Wollen wir einmal davon reden, wenn wir uns wiedersehen? – Nun zu Deinen sonstigen Nachrichten und zu Dem, was ich durch Ernst höre. Liebes Herz, Ihr dürftet wirklich nicht dulden, daß Mama mit spazieren geht. Papa kann sich ja an Jung-Webers4 anschließen oder seine Autorität gegen Artur brauchen, aber das halte ich doch für arg, daß nun wieder nicht nach den strikten Vorschriften gehandelt wird, nur aus Rücksicht auf gewisse Bequemlichkeiten. Kannst Du das nicht auch etwas mit verhindern helfen? Bei Ernst war es Mittwoch Abend recht nett, wennschon ein Teil der Leute entsetzlich öde Mediciner waren. – Übrigens muß ich Dir doch erzählen: Mittwoch Mittag schleppte mich Meitzen5 in die Bauakade­ mie und wir ließen uns in der dortigen Sammlung von alten und neuen Musik-Instrumenten von einem musikhistorischen Collegen 11/ 2 Stun­ den demonstrieren: es ist das älteste bekannte Klavier, Klavicymbalo6 aus dem 16 [.] u. 17. Jahrhundert da und die Instrumente fast aller be­ kannten Komponisten von Bach bis Mendelssohn und Liszt.7 Die 4  Es handelt sich wahrscheinlich um Carl (Carlo) und Emilie (Emily) Weber, da auch Verwandte aus Oerlinghausen mit auf der Insel Juist waren (Brief Helene Webers an Alfred Weber vom 27. und 28. Juli 1894, BA Koblenz, N 1197, Nl. Alfred Weber, Nr.  21). 5  Der Agrarhistoriker August Meitzen war einer von Max Webers akademischen Lehrern. 6 Es handelt sich um eine Art Cembalo. Der Begriff stammt aus dem Italienischen „clavicembalo“ bzw. Lateinischen „clavicymbalum“; vgl. Sachs, Curt, Real-Lexikon der Musikinstrumente, zugleich ein Polyglossar für das gesamte Instrumentengebiet. – Berlin: J. Bard 1913, S.  74 f. 7  Es handelt sich um die Königliche Sammlung alter Musikinstrumente, die 1893 in der ehemaligen Bauakademie am Schinkelplatz unter der Leitung von Oskar Fleischer eröffnet

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Differenzen in der Klangfarbe etc. [,] die er uns an den Stücken dersel­ ben als Grund ihrer Eigenart vordemonstrierte, waren selbst einem so musikunverständigen Individuum wie mir gänzlich einleuchtend und ich sagte ihm, daß ich mit Dir s. Z. hinkommen wolle um es noch ein­ mal uns vormachen zu lassen. Donnerstag waren dann Ernst und Alfred Abends hier, Sonntag es­ sen sie mit Fritz Cohn hier u. Abends sind wir in Charlottenburg, – vielleicht auch Sattler.8 Mit Karl ist nicht viel los, er treibt sich umher, gelegentlich die Nacht durch, man weiß nicht wo, und hat sich überdies bei einer Rempelei so viel ich sehen kann recht kläglich benommen [.] Auch die Mädchen9 benehmen sich nach Alfreds Erzählungen nicht besonders. Davon er­ zähle aber bitte Mama nichts. Ich bin recht Semester-müde, namentlich weil ich doch diese Vorle­ sungen meist nicht noch einmal lesen werde und unwillkürlich deshalb mich weniger dafür interessiere während sie doch viel Arbeit machen. Nun heut über 14 Tage ist ja die Sache zu Ende, dann geht ein Arbeiten an, das sich schon |:der Mühe:| verlohnen soll. – Die Frankf[urter] Zeitung vergaß ich neulich zu schicken, jetzt hat sie Alfred, ebenso die Erwiderungb der Kreuzzeitung und Nordd[eut­ schen] Allgem[einen] [.] Ich schicke sie am Sonntag nebst Christl[icher] Welt an Dich ab. Die Erwiderungenc sind unerwartet schwach und kleinlaut. Ich brauche nicht darauf zu antworten.10 Nun leb wohl, mein liebes Herz, ich möchte, daß der Brief noch heut fortkäme und habe sonst auch nichts besondres zu berichten. Hoffentb O: Erwiederung  c O: Erwiederungen   worden war; vgl. Kunsthandbuch für Deutschland. Verzeichnis der Behörden, Sammlungen, Lehranstalten und Vereine für Kunst, Kunstgewerbe und Altertumskunde, 5., neubearb. Aufl. – Berlin: Spemann 1897, S.  61. 8  Heinrich Sattler. 9  Gemeint sind vermutlich die Dienstmädchen der Familie Weber. 10  Max Weber war Angriffen konservativer Presseorgane auf die Referate, die er und Paul Göhre Mitte Mai 1894 auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß in Frankfurt am Main zu den Ergebnissen ihrer Befragung von evangelischen Geistlichen zur Lage der Landarbeiter gehalten hatten, mit einem Beitrag in der „Christlichen Welt“ vom 12. Juli 1894 begegnet und hatte Unterstützung durch einen Leitartikel der Frankfurter Zeitung (Nr.  194 vom 15. Juli 1894, 3. Mo.Bl.) erhalten; vgl. den Brief an Marianne Weber vom 17. Juli 1894, oben, S.  555 mit Anm.  7. Von den erwähnten Stellungnahmen darauf war nur eine Notiz unter der Rubrik „Journal-Revue“ in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, Nr.  332 vom 19. Juli 1894, Mo.BI., S.  3, zu ermitteln; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Zum Preßstreit über den Evangelisch-sozialen Kongreß, MWG I/4, S.  463–466, hier S.  466, Anm.  19.

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lich kommt nun die Zeit, wo es Dir wirklich fühlbar gut bekommt. We­ gen Lektüre werde ich übermorgen mal bei Webers11 nachsehen, es war bis jetzt nicht möglich Laß Dich herzlich küssen von Deinem Max Viele Grüße an Mama und die Andern

11  Es handelt sich möglicherweise um die Buchhandlung Hermann A. Weber, Berlinerstraße 106 in Charlottenburg.

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Marianne Weber 28. Juli 1894; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

NW 23 Siegmundshof 6 28. VII. 94 Mein liebes Herz, endlich sind wieder ein paara Artikel abgestoßen und obwohl es schon spät ist, möchte ich Dir doch, nachdem ich weder wie ich hoffte Mitt­ woch Abend noch seitdem dazu gekommen bin, noch einen schönen Gruß schicken. – Die „Christl[iche] Welt“ hat Alfred noch, ebenso die Kreuzzeitung,1 die er verlegt hat, aber morgen mitbringen will, dann erhältst Du sie. Wollt Ihr auch die Protokolle des Evangelisch-Soz[ia­ len] Congresses haben?2 Sie sind endlich gekommen und ich schicke ein Exemplar nach Oerlinghausen. Vorgestern – Donnerstag – war also die Abschiedsfeierlichkeit, 3 wo­ bei Einige ziemlich stark in das Glas kuckten, Das läßt sich nicht leug­ nen, – ich ging früh, da ich am andern Morgen noch zu arbeiten hatte. Besonderes war nicht grade los, die gehaltenen Reden ohne Erheblich­ keit. Morgen wird wohl Sattler4 hier mit zu Tisch sein, Abends wünsch­ ten uns Mommsens5 bei uns zu sehen, was mir an sich schlecht paßt, da ich nun unmittelbar vor Semesterschluß stehe, wo der T… los ist. Ich bin deshalb auch gar nicht dazu gekommen Lili zum Geburtstag zu schreiben,6 wie ich gern wollte, sage ihr nur ich hätte sie nicht ver­ gessen aber es wäre nicht gegangen. Was ich mit Alfred beginne, weiß a O: par   1  Zum publizistischen Schlagabtausch um die Referate, die Max Weber und Paul Göhre Mitte Mai 1894 auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß in Frankfurt am Main zu den Ergebnissen ihrer Befragung von evangelischen Geistlichen zur Lage der Landarbeiter gehalten hatte, vgl. zuletzt den Brief an Marianne Weber vom 20. Juli 1894, oben, S.  558 mit Anm.  10. 2 Enthalten in: Bericht über die Verhandlungen des Fünften Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten zu Frankfurt am Main am 16. und 17. Mai 1894. – Berlin: Rehtwisch & Langewort 1894. 3  Es handelt sich vermutlich um die Verabschiedung durch die sich wöchentlich am Donnerstag treffende Runde, die sich um Max und Alfred Weber gebildet hatte; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  21–24. 4  Heinrich Sattler. 5  Die Familie des Historikers Theodor Mommsen. 6  Max Webers jüngste Schwester Lili hatte am 26. Juli ihren 14. Geburtstag gefeiert.

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ich noch nicht, ich wüßte nichts recht passendes für ihn, will eventuell einmal bei Amsler & Ruthardt nachsehen.7 Nun schreib mir aber vor allen Dingen, was sich denn Mariannchen zum Geburtstag wünscht?8 Ich ahne das nicht so recht, nur Hand­ schuhe schweben mir noch von früher her vor. Und dann mein Herz, wann denkst Du wieder zurückzukommen? Auch Bertha interessierte sich sehr dafür und scheint sehr einsam zu sein. – (Von der „Kusine“ hört man gar nichts mehr, neulich war eine „Nichte“ hier, die ziemlich stupide aussah.) 9 – Drängen möchte ich Dich nicht, ich glaube es ist Dir und namentlich der Mama, der bitte herzlich für ihr Briefchen danke, – wie aus diesem hervorging – sehr gut, wenn Du dort bist[,] und schließlich ist ja die Zeit des Beisammenseins mit ihr jetzt nicht mehr lang. Aber ich wüßte gern ungefähr, auf wie lange ich mich in Gedan­ ken noch einrichten soll. Vorerst habe ich ja noch stark zu thun, das Semester schließt Freitag, bis dahin ist die Sache noch sehr eklig, – dann sind einige eilige Arbeiten abzumachen, die aber sehr schnell ge­ hen – wenige Tage. Nachher geht dann das consequente und planmä­ ßige, nicht mehr so zersplitterte Arbeiten an, 3erlei umfassend: die Enquete,10 Börse für Goldschmidt11 und die Wintercollegien.12 Dann hätte ich Dich doch gern bald wieder hier. – Denn wir wollen doch hier auch noch etwas von einander haben und haben ja mancherlei zu spre­ 7  Max Weber überlegte, bei der Berliner Kunsthandlung Amsler & Ruthardt ein Geschenk für seinen Bruder Alfred zu besorgen, der am 30. Juli 1894 seinen 26. Geburtstag hatte. Alfred Weber erhielt, offensichtlich von Amsler & Ruthardt, eine Radierung Max Klingers (Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 6. Aug. 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 8  Marianne Weber feierte am 2. August ihren 24. Geburtstag. Max Weber schenkte ihr eine Sammlung von über vierzig handsignierten Radierungen Max Klingers, die er ebenfalls bei Amsler & Ruthardt erwarb (vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  33). 9  Die Verwandten von Bertha Schandau, dem Hausmädchen von Max und Marianne Weber, konnten nicht ermittelt werden. 10  Weber, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter, MWG I/4, S.  362–367, 425–462; ferner die weitere Auswertung der Fragebögen des Evangelisch-sozialen Kongresses dazu. 11  Vgl. Weber, Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete, MWG I/5, S.  175–550. Die erste von vier Folgen erschien in der von Levin Goldschmidt mitherausgegebenen Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht im Herbstheft 1894. 12  Max Weber hat für das am 15. Oktober beginnende Wintersemester die jeweils vierstündigen Vorlesungen „Allgemeine und theoretische Nationalökonomie“ (ediert in: MWG III/1, S.  157–664) und „Finanzwissenschaft“ (ediert in: MWG III/3) angekündigt; vgl. den Brief an die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br., vor oder am 23. Mai 1894, oben, S.  543 f., sowie Ankündigung der Freiburger Vorlesungen, WS 1894/95, S.  17 f., ferner die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  55.

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chen. Worüber Du noch Auskunft haben wolltest, darüber ist glaube ich wenig Besondres zu erzählen. Jedenfalls wäre es mir lieb, Du mach­ test Dir keine Sorge, das ist wirklich unbegründet, ich bin gänzlich fest überzeugt, daß ich mit der Entwicklung sehr zufrieden zu sein Ursache habe. Und was Du da Alles an Symptomen findest, ist Einbildung. Das „Alcoholbedürfnis“ – ja Du lieber Himmel, ein Selterwassermensch werde ich wohl nie, das wäre bei mir altem Couleurstudenten13 auch wunderlich und unnatürlich, und „stark“ ist es wahrlich nicht, wenn man meine verflossenen Heldenthaten kennt. Die Nachtarbeit wird wohl in Freiburg sich von selbst einschränken, hier paßt es zu schlecht in die Tageseinteilung und ich schlafe ja lange genug, – zumal jetzt, wo ich übrigens früher zu Bett gegangen bin, selten nach 1/ 21, und früher aufstand im Durchschnitt, freilich stark wechselnd. Ich fürchte, zum Muster-Ehemann bin ich verpfuscht. Jedenfalls fragt mich jetzt jeder, woher ich so wohl aussehe. – Bei Höniger neulich war nur eine ziemlich stupide Herrengesell­ schaft, Frau H[oeniger] ließ Dich bestens grüßen,14 – viel war nicht los. Ich führte als „Rangältester“ sie zu Tisch. Karl hat am letzten Sonntag entsetzlich schwadroniert, das habt Ihr richtig Daraus herausgelesen, daß er „auch einmal zu Wort gekommen“ sei, – über die wahre Moral nach Kant, Goethe u.Ä. etc. Es war ein höchst krauses Wortgeplänkel im Übrigen und Ernst saß brav und er­ staunt dabei und sagte gar nichts. Er will sich jetzt hier bei einer Orts­ krankenkasse melden, da Papa zu bequem gewesen ist, auch nur das Allerselbstverständlichste für ihn zu thun in der Erfurter Angelegen­ heit.15 Es ist gradezu skandalös. Er ist ein unglaublich guter Mensch – wäre er nur geistig bedeutender, Cl[ara] ist das ja auch nicht, aber klug und könnte das im Lauf der Zeit doch merken, wenn sie einige Jahre zusammengelebt haben. Doch bin ich im Ganzen dessenungeachtet au­ ßer Sorge. Für heut gute Nacht, mein Kind, es küßt Dich herzlich Dein Max

13  Max Weber war seit seiner Heidelberger Studienzeit Mitglied der Burschenschaft Allemannia. 14  Robert Hoeniger war ein mit Max Weber befreundeter Historiker. Er war verheiratet mit Anna Gertrud Hoeniger. 15  Der mit Clara Weber verlobte Ernst Mommsen suchte nach seiner Zeit als Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus am Urban in Berlin eine Stelle und hatte sich von Max Weber sen. eine Empfehlung erhofft (Brief Alfred Webers an Helene Weber vom 22. Juli 1894, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bestand N 1197/46).

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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 31. Juli 1894; Berlin Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 447 Zur Entstehungsgeschichte von Max Webers Broschüren „Die Börse“ im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, oben, S.  546. Auf dem Blatt finden sich Unterstreichungen und Berechnungen von dritter Hand über den voraussichtlichen Umfang des gedruckten Manuskripts, die hier nicht nachgewiesen werden.

Berlin NW 23 Siegmundshof 6II 31/VII 94 Sehr geehrte Herren, 5

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anbei sende ich – leider weit später als ich hoffte – den ersten der bei­ den Artikel über die Börse für die Evangel[isch]-Soz[iale] Arbeiterbi­ bliothek1 und bitte um Nachricht, wann der zweite gewünscht wirda (es genügen 14 Tage – 3 Wochen Zeit) [.] Ich hoffe mich nicht verzählt zu haben, so daß der Artikel nicht zu lang ist. Ist er nur wenig (1 Seite ca) zu lang, so streiche ich einige Absätze in der Correctur, ist er länger, so schlage ich vor, daß ich den zu einem Doppelheft fehlenden Rest nach­ liefere, was b6–7b Tage Zeit erforderte, und den Rest als besondres Heft. Ein Thema wie dieses kann ich nicht, ohne mich bloßzustellen, in gänzlich ungenügender Weise obenhin raisonnierend streifen. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Max Weber

a O: wird.  b–b  5–6 > 6–7   1  Es handelt sich um das Manuskript zu: Weber, Die Börse I, MWG I/5, S.  127–174.

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Marianne Weber 31. Juli 1894; Berlin Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446

NW Berlin 31/VII 94 Mein liebstes „kleines“ Mariannchen, eben ist endlich ein Stein von meiner Seele, der längst darauf ruhte aber zufolge allerlei anderer Sachen 2 Monate liegen blieb: der Artikel „Börse“ für Naumann1 – und ich stürze sehr erleichtert in Deine Arme, um mich mit Dir des Lebensjahres, 2 das hinter Dir liegt, wenn dieser Brief ankommt, zu freuen. D. h. hoffentlich treffe ich die Zeit diesmal richtig, so daß er richtig nicht vor aber auch nicht nach dem Tage hin­ kommt, für den er bestimmt ist und Du nicht wieder eine solche Karte, wie ich sie heute bekama, schreiben mußt. Beinah betrübt machte es mich, daß Du von „Stimmung“ schreibst – ja mein Herz, wenn Du ein­ mal Dich gar nicht mit Andren [,] die Du lieb hast, freuen kannst, wenn ein Gruß von mir sich einmal 2 Tage verspätet, das ist doch eine arge Abhängigkeit! Daß Du dann auf Deinen Knoten3 schimpfst, ist ja recht, aber die Stimmung dürfte es Dir nicht berühren. Du hast doch |:jetzt:| meine beiden Briefe – einen vom Dienstag, einen vom Sonn­ abend – 4 bekommen? Und nun mein Herz laß Dich zunächst sehr herzlichst küssen und Dir danken für all Das, was aus mir in diesem ersten Jahr unsrer Ehe schon geworden ist und was Du wohl kaum so siehst wie ich, wenn ich zurückschaue. Vorläufig bin ich nun einmal ausschließlich der empfan­ gende Teil gewesen und was ich Dir zum Geburtstag wünsche ist ei­ gentlich nur: daß Du allmälig einen Mann bekommst, |:nicht in erster Linie:| wie Du ihn haben möchtest, sondern wie Du ihn haben solltest und müßtest, meine einzige und große Frau. Es war wohl eins der gea  Unsichere Lesung.   1  Max Weber schickte das Manuskript für Friedrich Naumanns „Göttinger Arbeiterbibliothek“ (Weber, Die Börse I, MWG I/5, S.  127–174) am selben Tag an den Verlag; vgl. den Brief an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vom 31. Juli 1894, oben, S.  563. 2  Marianne Weber feierte am 2. August ihren 24. Geburtstag im Urlaub auf Juist. 3  Berliner Ugs. für: ungehobelter Mensch. 4  Von Dienstag, dem 24. Juli 1893, ist kein Brief nachgewiesen; von Samstag vgl. den Brief an Marianne Weber vom 28. Juli 1894, oben, S.  560–562.

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wagtesten Experimente, daß ich es wagte zu heirathen und ich habe genau gewußt, daß dabei Seele gegen Seele gesetzt wird und der Ein­ satz verloren gehen kann, und daß dieser Einsatz auch ungünstig stand, da ich noch Niemanden gekannt habe, der durch meine schwere und trockene Natur warm und lebensfreudig geworden wäre. Ich habe ganz bestimmte psychische Existenzbedingungen, die es mit sich bringen, daß ich nur sehr selten aus meinem Schneckengehäuse herauskommen kann, und auch dann nur gewissermaßen schüchtern, und die Berüh­ rung mit dem warmen Hauch einer Liebe wie der Deinigen scheucht mich zunächst wieder ins Innere zurück. Aber ich kannte Dich, mein Herz [,] auf das ich so stolz bin, als groß und entsagungsvoll und habe Dich noch weit mehr so erfunden wie ich es zu hoffen gewagt hatte. Was uns das neue Lebensjahr bringt, wissen wir jetzt nicht, aber mir wäre das gegenwärtige Glück nicht so groß |:wie ich es empfinde:|, wenn es nicht nach meiner festesten Überzeugung, die Bürgschaft noch größeren und immer wachsenden künftigen tiefinnerlichsten Glücks in sich trüge. Nun mein Herz, all so etwas macht sich so seltsam auf dem Papier, – ich wollte eigentlich nur sagen: sieh daß Du es ein weiteres Jahr mit Deinem wunderlichen Heiligen (?) von Mann aushältst, dann geht es, – ich will es mit meiner Frau schon aushalten. – Vergeblich besinne ich mich, was jetzt vor 2 Jahren war, ich denke aber, da warst Du doch wohl schon in Oerlinghausen? Es ist doch verfl… viel schöner jetzt als damals, auch für Dich, nicht? – Nun sag mir nur noch einmal: wann kommst Du denn wieder? Bertha5 meinte: „es is schon gor so longe“ – sie censuriert mich übrigens für Deine Rückkunft ganz angemessen – möglichst billig – die Sonntage sind ihr immer ein Stich ins Herz, – aber gut. Letzten Sonntag war also außer den 3 gewöhnlichen Gästen Sattler6 hier und sehr schnodderig, wie immer[,] Carl kam ziemlich angeheitert vom Frühschoppen [,] so daß wir ihn nicht mit zu Mommsens7 nahmen sondern nach Haus schickten. Bei M[ommsen]’s gab es natürlich wie­ der einen (diesmal milderen) Disput zwischen dem Alten8 und mir, so daß außer uns und gelegentlich Alfred kein Mensch redete. Indessen 5  Bertha Schandau, das aus Ostpreußen stammende Hausmädchen von Max und Marianne Weber. 6  Heinrich Sattler. 7  Die Familie des Historikers Theodor Mommsen. 8  Theodor Mommsen.

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lief die Sache in leidlicher Freundschaft ab. – Montag schloß ich mein Praktikum,9 morgen die Agrargeschichte, übermorgen sind 3 Stunden Colleg,10 Abends kommen Hirsch und Graef11 mich in den Donnerstag abholen,12 Freitag ist die letzte Collegstunde in Berlin,13 – Gott sei Dank, – es war so heiß zu Zeiten, daß ich immer eine bedenkliche Pfüt­ ze auf dem Kathederstuhl hinterließ, fast als hätte ein sehr junges Wunderkind dort vorgetragen. Dann werde ich gerührten Abschied von Biermann [,] Oertmann14 und Consorten nehmen – dies ohne Schmerz – wenns sonst hier nichts zu verlassen gäbe! Alfreds Geburtstag wird wohl übermorgen im Donnerstag Abend etwas fetiert werden15 in der üblichen Art, denke ich mir: Wann aber feiern wir denn Deinen? Wenn Du etwa, wie ich |:nach dem [,] was Du früher sagtest:| annehme, Sonntag noch nicht da bist, tröste ich mich mit Oldenberg und Hübner16 bei Tisch. Aber ein bischen „mager“ sind sie beide, als Trost sowohl wie im eigentlichen Sinne. – Ernst ist nach wie vor (mit Recht) ziemlich gereizt auf meinen Vater, der einfach gar nichts, nicht einmal [,] was er in Aussicht gestellt hatte, für ihn gethan hat.17 Ich glaube kaum, daß das mit einer Stellung so bald etwas wird, da ihn sein bisheriger Vorgesetzter, Dein Tischnach­ bar Körte,18 gleichfalls ziemlich schofel behandelt. Ich meine aber, 9  Gemeint ist das „Handelsrechtsprakticum“ mit zwei Wochenstunden. 10  Die Vorlesung „Agrarrecht und Agrargeschichte“ (ediert in: MWG III/5, S.  65–157) mit zwei Wochenstunden hielt Max Weber mittwochs ab. Freitags (nicht „übermorgen“, das war Donnerstag, der 2. August 1894) folgten direkt nacheinander drei Vorlesungsstunden; vgl. dazu den Brief an Marianne Weber vom 20. Juli 1894, oben, S.  556 mit Anm.  2. 11  Wilhelm Hirsch sowie möglicherweise der Archäologe und Kunsthistoriker Botho Graef, der seit 1890 Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin war. 12  Zu der Runde um Max und Alfred Weber, die sich wöchentlich am Donnerstag traf (der „Donnerstag Abend“), vgl. die Einleitung, oben, S.  21–24. 13  Formal endete das Sommersemester der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. August 1894. 14  Die Juristen Johannes Biermann und Paul Oertmann. 15  Alfred Weber hatte am 30. Juli Geburtstag. 16  Der Nationalökonom Karl Oldenberg und der Rechtshistoriker Rudolf Hübner. 17 Ernst Mommsen, der Verlobte von Clara Weber, hatte bei einer Bewerbung auf die Fürsprache von Max Weber sen. gehofft (Brief Alfred Webers an Helene Weber vom 22. Juli 1894, BA Koblenz, Nl. Alfred Weber, Bestand N 1197/46); vgl. auch den Brief Max Webers an Marianne Weber vom 28. Juli 1894, oben, S.  562 mit Anm.  15. 18  Der Chirurg Werner Körte, in dessen Abteilung Ernst Mommsen als Assistenzarzt im Städtischen Krankenhaus am Urban gearbeitet hatte; vgl. Mommsen, Ernst, Zwei Fälle gutartiger großer Schleimbeutelhygrome. Aus dem städtischen Krankenhaus am Urban in Berlin; Abtheilung des Herrn Dr. W. Körte, in: Deutsche Medicinische Wochenschrift, Jg. 20, Heft 107–109, 1894.

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wenn die beiden sich jetzt in ihrem Brautpaarverkehr etwas mäßigen, schadet das nichts, wenn es noch etwas länger dauert und Clara erst etwas älter wird. Sonntag fielen mir doch wieder die Mommsen’schen Mädchen – ich hätte beinahe gesagt: auf die Seele. Es ist doch verfl… wenig aus ihnen zu machen, und dabei [,] wenn sie geheiratet hätten, wären sie sämtlich gar keine üblen Hausfrauen geworden.19 Wenn nur der Alte etwas Ordentliches hinterließe, aber das glaube ich nicht. – Unsre Wohnung ist einige Male nahe am Vermiethet-Werden gewe­ sen, aber bisher noch nicht genommen, so viel ich weiß. Ich habe, wenn Jemand kam, das Blaue vom Himmel über ihre Vorzüge gelogen. Nun mein Herz, es ist 1/ 22, ich habe nur gern noch manches nachtra­ gen wollen, was ich das letzte Mal zu erzählen unterließ. Hoffentlich fängt das neue Jahr weder mit Migräne noch mit den sonstigen Herrlichkeiten, als da sind: Kopfweh, Schnupfen pp an. – Daß Du mit dem Papa spazieren gehst, ist sehr lieb von Dir, bitte laß Dir aber doch lieber keine Erziehungskünste gefallen, der Gedanke ist mir unangenehm. Grüß die Mama recht herzlich, sei von Herzen umarmt und denk ebenso an mich wie an Deinem Geburtstag an Dich denken wird Dein Max

19  Von Theodor Mommsens sieben Töchtern war nur die älteste, Marie (geb. 1855), verheiratet (mit Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff). Zwei von Mommsens ledigen Töchtern, Adelheid (geb. 1869) und Luise (geb. 1870), wurden Lehrerin; Anna (geb. 1872), wurde Krankenschwester. Eine weitere Tochter, Käthe, war bereits 1880 im Alter von 16 Jahren gestorben. Ohne Beruf blieben Lisbeth (geb. 1859) und Hildegard (geb. 1866); vgl. Wickert, Lothar, Theodor Mommsen. Eine Biographie, Band 4: Größe und Grenzen. – Frankfurt a. M.: Klostermann 1980, S.  243 mit Anm.  2.

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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 5. August 1894; Berlin Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 448 Max Weber bezieht sich hier auf einen nicht mehr vollständig erhaltenen Brief des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht vom 3. August 1894 (ebd., Copier-Buch vom 28.7.1893– 11.3.1897, Bl. 295). Darin wird die äußere Disposition des Manuskripts von Weber, Die Börse I, MWG I/5, S.  127–174, angesprochen und durch Umstrukturierung des Textes die Einrichtung eines Doppelheftes für den ersten Textteil vorgeschlagen. Zur Entstehungsgeschichte von Max Webers Broschüren „Die Börse“ im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, oben, S.  546.

Berlin NW 23 Siegmundshof 6 5/VIII 94 Sehr geehrte Herren, ich bin mit dem Vorschlag ganz einverstanden – und werde die äußere Organisation der Börse nocha in diesem Heft mitbehandeln. Ich bitte deshalb um Rücksendung der letzten ca 5 Blätter des Arti­ kels, um die jetzt einzusendende Partie daran anknüpfen zu können. Zu einer Kritik der Börse1 in der Art, daß sie den Lesern dieser Bro­ schüre geeigneten Stoff böte, halte ich mich nur in sehr bescheidenem Maß für legitimiert. Die Fehler liegen auf Gebieten, an die eine ev die Elemente behandelnde Erörterung nur eben streift. Ich fände es gut, wenn nach diesem Doppelheft zuerst einige andre und dann das Schlußheft kommen würden. Ich glaube, auch der Ver­ breitung des Doppelhefts thäte das gut. Und mir liegt an diesem viel mehr als an der „Kritik“. Mit bester Empfehlung – Ende der Woche ist denke ich der Schluß fertig – Ihr hochachtungsvoll ergebener Max Weber

a  Alternative Lesung: auch  

1  Es läßt sich nicht mit letzter Sicherheit klären, welche „Kritik“ hier gemeint ist. Weber bezieht sich aber eindeutig auf den in der Editorischen Vorbemerkung erwähnten Verlags-Brief vom 3. August, in dem gefragt wird, ob das erste Doppelheft „bereits einen kleineren Theil der Kritik enthalten“ werde. Am Ende des Doppelheftes äußerte Max Weber die Absicht, in der Fortsetzung darauf einzugehen, „welche Ziele der Reform auf dem Gebiete des Börsenwesens gesteckt werden können und sollen“; Weber, Die Börse I, MWG I/5, S.  174, Fn.  17.

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Martin Rade 17. August 1894; Berlin Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr.  106, Bl. 116–117 Im Zentrum dieses sowie des Briefes an Friedrich Naumann vom 4. November 1894, unten, S.  578 f., steht die Gründung von Naumanns Wochenschrift „Die Hilfe“ als publizi­ stischer Plattform für die nicht dem konservativen Lager angehörenden Christlich-So­ zia­len, zu denen auch Max Weber gehörte. Naumann war es gelungen, in kürzester Zeit einen großen Kreis von Gönnern aus der akademischen Welt zur ideellen und materiellen Unterstützung zu bewegen, zu denen neben Max Weber u. a. auch Hans Delbrück und Adolf Harnack gehörten. So konnte bereits am 2. Dezember 1894 die erste Probenummer der „Hilfe“ erscheinen, in der die Namen der prominenten Unterstützer aufgelistet wurden (vgl. Die Hilfe, 1. Jg., Probenr. 1 vom 2. Dezember 1894, S.  4). Max Weber wurde auch zu den zukünftigen Beiträgern gerechnet, es blieb jedoch bei der im Brief vom 4. November 1894 zugesagten Bürgschaft, deren genaue Höhe unbekannt ist. Unklar ist auch, welche Rolle Martin Rade bei der Gründung der Zeitschrift gespielt hat. Naumanns Schwager selbst hatte als Herausgeber der „Christlichen Welt“ keine institutionelle Bindung zur „Hilfe“; aufgrund der familiären Beziehungen ist jedoch anzunehmen, daß Rade seinem Schwager Naumann in der Startphase seine technischen und redaktionellen Erfahrungen als Herausgeber zur Verfügung stellte. Die Probenummer der „Hilfe“ lag dann auch der „Christlichen Welt“ vom 29. November bei, in Verbindung mit einem kurzen Geleitwort Rades, worin er das allgemein als groß erachtete Bedürfnis nach einer Wochenzeitung neben der „Christlichen Welt“ unterstrich (Die christliche Welt, 8. Jg., Nr.  48 vom 29. November 1894, Sp.  1157 f.). „Die Hilfe“ fand einen ausreichend großen Leserstamm und erschien bis 1919. Auf dem Blatt finden sich Bemerkungen von der Hand Martin Rades, die hier nicht nachgewiesen werden.

NW 23 Siegmundshof 6 17. VIII. 94 Verehrter Herr Pfarrer, 5

– zu einer sachlichen Prüfung des Zeitungsabos komme ich heute noch nicht, – darüber in ca 8 Tagen1 (ich habe einige Arbeiten2 fertigzustel­ len) a. – Zunächst nur die financielle Seite. Da N[aumann] die Sache offen­ bar (und aus begreiflichen Gründen) nicht in Verlag geben will3 – sind a  Schließende Klammer fehlt in O.   1  Ein weiterer Brief Max Webers an Martin Rade ist nicht nachgewiesen. 2  Zur vorrangigen Arbeit an Weber, Die Börse I, MWG I/5, S.  127–174, vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, oben, S.  546. Im September erschien zudem die zweite Fassung von: Weber, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter, MWG I/4, S.  362–462. 3  Friedrich Naumanns Zeitschrift „Die Hilfe“ erschien im Selbstverlag.

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17. August 1894

aber auch die Schwierigkeiten der Reklame und Verbreitung, die er sich auflud, bedacht? – so ist allerdings ein Kapitalist mit rein geschäft­ lichen Motiven sehr erwünscht oder vielmehr notwendig. Ist ihm nun nicht mit einer Bürgschaftsleistung gedient?b Ich bin zu einer solchen in Höhe von 3000 Mk ohne Weiteres bereit und würde dem Darlehen­ geber gern die Nachweise dafür schaffen, daß ich ev. zur Zahlung im Stande csein werdec . Ich schlage Dies vor, weil ich meinerseits zwar für die Zukunft unbedenklich Verpflichtungen übernehmen, aber jetzt nicht selbst bares Geld schaffen kann, und zunächst mir keine geeig­ nete Persönlichkeit in den Sinn kommen will. Ist es nötig, bürge ich auch für mehr, vorausgesetzt, daß ich im Fall der Inanspruchnahme in Jahresraten von nicht über 1000 Mk (unter Verzinsung des Rückstän­ digen) zahlen kann. Finden sich mehrere Bürgen, so wird, denke ich, N[aumann] unschwer das Erforderliche von einem gänzlich Uninteres­ sierten geliehen erhalten. Denn das will er doch – oder denkt er an ei­ nen Verleger oder verlangt dieser einen Capitaleinschuß? Die geschäft­ liche Seite ist mir noch nicht ganz deutlich und ich bitte Sie darüber um Auskunft. Über die Sache selbst, wie gesagt, nächstens. Vorstehendes schien mir umgehenden Abgangs bedürftig. Meine Frau und ich grüßen Ihre Frau Gemahlin, Fräulein Schwe­ ster4 und Sie selbst herzlich Ihr ergebener Max Weber

b O: gedient.  c–c  bin > sein werde   4  Dora Rade und ihre Schwägerin Marie-Elise Rade.

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24. August 1894

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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 24. August 1894; Berlin Karte; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl.  449 Zur Entstehungsgeschichte von Max Webers Broschüren „Die Börse“ im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, oben, S.  546.

24/8 94 Sehr geehrte Herren,

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Ich bitte um Zurücksendung der Correctura betreffsb Streichung der 29 Zeilen. Die 1 Zeile mehr auf der Seite scheint mir nicht allzu be­ denklich. – Teilweise wird die Verkürzung nur durch Veränderung von Teilen des Texts1 in Fußnoten zu erreichen sein, denn ich glaube nicht allzuviel Überflüssiges gesagt zu haben. Hochachtungsvoll Max Weber NW 23 Siegmundshof 6

a  Mscr. > Correctur  b O: betrefs   1  Es geht um das Manuskript: Weber, Die Börse I, MWG I/5, S.  127–174.

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21. September 1894

Fritz Baumgarten 21. September 1894; Berlin Brief; eigenhändig Privatbesitz Schoeppe-Baumgarten Max und Marianne Weber bereiteten den Umzug nach Freiburg i. Br. vor. Dort hatten sie in der Schillerstraße 22 eine Wohnung gemietet. Da die Zeit drängte, bat Max Weber seinen in Freiburg lebenden Vetter Fritz Baumgarten, der ihm schon bei der Wohnungssuche behilflich gewesen war, mit dem Vermieter Friedrich Häberle Kontakt aufzunehmen.

NW 23 Siegmundshof 6 21/IX 94 Lieber Fritze! Nun sind wir am Packen, fahren über Westfalen1 und kommen etwa am 3. X. nach dort. Darf ich nun wohl Deine Freundlichkeit – schon jetzt! – mit einer Bitte in Anspruch nehmen. Ich schreibe eben meinem Wirth, Herrn Schlossermeistera Häberle, 2 er möge mir die genauen Ausmaße der Breite der Fenster in allen Zimmern von Wand zu Wand schreiben, wegen der Gardinenstangen, die eventuell umgetauscht werden müßten. Darf ich Dich nun wohl bitten, bei ihm, wenn Dein Weg Dich vorbeiführt, etwas Dampf dahinter zu machen? Es ist deshalb etwas eilig, weil wir Montag den Packer hier haben, ich habe leider zu spät an die Sache gedacht! Herzlichen Dank im Voraus und herzlichen Gruß an Deine Frau3 und Dich von Marianne und Max

a O: Schloßermeister   1  Dort besuchten Max und Marianne Weber ihre Angehörigen in Oerlinghausen und Lemgo. Zuvor hatten sie Marie Heidsiek, Marianne Webers ehemalige Pensionatsleiterin, in Hannover getroffen (Briefe Marianne Webers an Helene Weber vom 29. und [30.] Sept. 1894, sowie undat. [5. Okt. 1894], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 2  Der Brief an Friedrich Häberle ist nicht nachgewiesen. 3  Elisabeth (Else) Baumgarten.

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Helene Weber [4. Oktober 1894]; [Freiburg i. Br.] Brief; eigenhändig Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 Es handelt sich um einen Zusatz auf dem Brief Marianne Webers an Helene Weber, undat. [4. Okt. 1894], 9 Uhr abends, ebd. Das Datum und der Ort ergeben sich aus dem Briefinhalt – der Nachricht von Paul Göhres Verlobung mit Luise Bischoff – in Verbindung mit Marianne Webers beiden Briefen an Helene Weber, undat. [4. Okt. 1894], 8 Uhr abends, und [4. Okt. 1894], 9 Uhr abends (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446): Nachdem Marianne Weber am „Donnerstag“, den 4. Oktober 1894, „8 Uhr abends“ Helene Weber umgehend von der Ankunft in Freiburg i. Br. berichtet hatte, reagierte sie um „9 Uhr abends“ auf den „eben“ erhaltenen Brief Helene Webers mit der überraschenden Nachricht von Paul Göhres Verlobung. Offensichtlich war Paul Göhres Karte an Max Weber vom 1. Oktober 1894 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) mit der Nachricht „meines Glücks. Endlich am Ziel“ und der Ankündigung, „über Eure Mutter [d.i. Helene Weber] einen ausführlichen Brief zu erhalten“ Max und Marianne Weber noch nicht zugestellt worden. Laut Marianne Weber schrieb Max Weber nach Erhalt der Verlobungsnachricht „sofort einige Zeilen“ an Paul Göhre und fragte in der Nachschrift: „Bleibst Du Prediger?“

L. M.   Morgen Abend mehr.1

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Wir müssen das Beste für G[öhre] hoffen, vielleicht führt ihn der Zu­ fall in bessere Hände, als er erwarten durfte.2 Er war eben, seiner ra­ send leidenschaftlich verlangten Natur nach, schon seit Monaten nicht mehr normal und in einer solchen abnormen Verfassung hat er gehan­ delt. Mich hat es nicht überrascht, aber natürlich auch betrübt. – Es wird darauf ankommen, wie er ist, wenn er zur Ruhe gekommen ist. Ich denke, es befreit Dich etwas von ihm.3 Man muß ihn jetzt aus den haltenden Armen lassen, ist er wieder normal, so – glaube ich, – kommt

1 Der Brief an Helene Weber vom darauf folgenden Tag ist nicht nachgewiesen. Der 5. Oktober 1894 war Max Webers offizieller Dienstantritt in Freiburg i. Br. (vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  323). 2 Luise Bischoff, Paul Göhres Verlobte, war die Tochter eines Hauptmannes aus München. 3 Helene Weber hatte sich Paul Göhres sehr angenommen. Sie hatte auch von seiner Absicht gewußt, Marianne Schnitger am 11. Januar 1893 einen Heiratsantrag zu machen; vgl. den Brief an Marianne Schnitger vom 16. Jan. 1893, oben, S.  3 03 mit Anm.  1.

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er wieder, denn er ist doch ein treuer Geselle, trotz allen tiefen Schat­ ten und einer argen Mitgift an Flüchtigkeit Herzlich Dein Max Was Pharisäer dazu sagen, darf Dich nicht innerlich berühren. Wir wußten – denke ich – daß er nicht fest stand und fallen konnte, thaten das unsre es zu hindern und werden ihm, steht er wieder auf, zur Seite stehen. Damit ist die Lage für uns klar.

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Gustav Schmoller 6. Oktober 1894; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav von Schmoller, Nr.  69, Bl.  201–202 Max Weber verwendete Briefpapier mit folgendem aufgedruckten Briefkopf: „Hôtel Sommer zum Zähringerhof Freiburg i/Baden“ sowie „Hôtel Sommer vormals Hôtel Karlsruhe Badenweiler i/Baden“.

Freiburg, Schillerstr.a 22 den 6. X. 1894 Hochverehrter Herr Professor!

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Indem ich um Entschuldigung bitte, daß ich im Interesse beschleu­ nigter Antwort das Papier des Hotels benutze,1 gestatte ich mir auf die Mitteilung von meiner Cooptation in den Ausschuß des Vereins für Sozialpolitik2 zu erwidernb, daß ich bereits zu Ostern 1893 cooptiert war, 3 allerdings anscheinend versehentlich mehrfach Mitteilungen, die für die Ausschußmitglieder bestimmt waren, nicht erhalten habe. Wenn es sich, wie ich annehme, um eine Wiederwahl handelt, so nehme ich dieselbe mit verbindlichstem Dank an. Gleichzeitig gestatte ich mir noch, da Sie bei meiner Abreise noch nicht nach Berlin zurückgekehrt waren und ich mich deshalb nicht per­ sönlich verabschieden konnte, auf diesem Wege meinen aufrichtigsten Dank für die vielfache direkte und indirekte Förderung auszuspre­ chen, die ich von Ihnen erfahren durfte. Wenn ich auch vorerst mit einem Gefühl einer gewissen Beängstigung an die etwas kühn über­ nommene verantwortungsvolle Aufgabe hier herantrete, so hoffe ich doch, auf Grund der Anregungen, die ich von Berlin mitnahm, mit der

a O: Schillerst.  b O: erwiedern   1  Max und Marianne Weber hatten im September in Freiburg i. Br. in der Schillerstraße 22 eine Wohnung gemietet. 2 Max Weber wurde in einer der Ausschußsitzungen des Vereins für Socialpolitik zwischen dem 27. und 30. September 1894 in Wien kooptiert. Vgl. dazu das Protokoll der Ausschußsitzungen (GStA PK, I. HA, Rep.  196, Nr.  67, Bl. 310–311). 3  Vgl. dazu den Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 27. März 1893, oben, S.  328.

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Zeit eine nach manchen Richtungen vielleicht nützliche Lehrthätigkeit entwickeln zu können. Ich verbleibe in Verehrung und Hochachtung Ihr sehr ergebener Max Weber

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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 16. Oktober 1894; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. 494 (Archiv des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht), G 1888–1936, Tasche 07, Bl. 450 Zur Entstehungsgeschichte von Max Webers Broschüren „Die Börse“ im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, oben, S.  546.

Freiburg i/Br. Schillerstr.a 22 16/X 94 Sehr geehrte Herren! 5

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Ich bitte Sie, meine Abhandlung „Die Börse. II. Der Börsenverkehr“ als Heft 9 u. 10 figurieren zu lassen. Es wäre mir lieb, könnte ich die Weihnachtsferien benützen, da ich z. Z. unerhört viel in dem nunb übernommenen Lehramt1 zu thun finde. Hochachtungsvoll Prof. Max Weber

a O: Schillerst.  b  Alternative Lesung: neu   1  Max Weber hatte am 5. Oktober 1894 seine Professur an der Universität in Freiburg i. Br. angetreten. Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Friedrich Althoff vom 3. März 1893, oben, S.  323.

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Friedrich Naumann 4. November 1894; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr.  60, Bl.  9 –10 Zur Gründung von Friedrich Naumanns Wochenschrift „Die Hilfe“ vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Martin Rade vom 17. August 1894, oben, S.  569.

Schillerstr.a 22 Freiburg i /B 4/XI 94 Verehrter Herr Pfarrer! Ich erhielt Ihren freundlichen Brief nebst dem Vertragsentwurf.1 Ich glaube aber, daß da irgend ein Misverständnis obwaltet, denn diesen Entwurf könnte ich auch in umgeänderter Form nicht unterschreiben. Ich möchte kurz wiederholen, was ich Herrn P. Rade seinerzeit schrieb.2 – Ich sagte, daß ich jetzt, d. h. in den nächsten Jahren, zu einer irgend erheblichen Capitaleinlage nicht imstande sein würde, – deshalb nicht, weil meine Verhältnisse so liegen, daß ich das – ca 18 000 Mk betra­ gende – |:großmütterliche:| Vermögen meiner Frau3 im Lauf von ca 10 Jahren allmälig aufzehren werde, was deshalb unbedenklich für sie ist, weil später die zweifellose Aussicht für uns besteht, ein verhältnis­ mäßig erhebliches Vermögen zu erwerben.4 Aber ich würde es meiner a O: Schillerst.   1 Offenbar hatte Naumann Vertragsentwürfe zur Einwerbung von Gründungs- und Betriebskapital vorbereitet. Der genannte Entwurf für Max Weber ist nicht nachgewiesen, wohl aber ist ein solcher, bereits geschlossener Vertrag mit dem Frankfurter Kaufmann und Mäzen Jakob Latscha im Archiv der Friedrich-Naumann-Stiftung überliefert (N 46–43, Bestand F. Naumann), datiert vom 31. Oktober 1894. Latscha schoß ein „Gründungs- und Betriebskapital“ in Höhe von 3000 Mark vor, das am 1. November 1894 bar auszuzahlen und mit 4 Prozent p.a. zu verzinsen war. Erst nach Ablauf von drei Jahren war Naumann berechtigt, jährlich 4500 Mark für seine redaktionelle Tätigkeit zu entnehmen; darüber hin­ ausgehende Gewinne sollten dann zur Rückzahlung der Vorschüsse dienen. Weitere Verträge dieser Art auch in BA Berlin, Nl. Friedrich Naumann, Nr.  6 0, Bl. 59–64. 2  Vgl. den Brief Max Webers an Martin Rade vom 17. Aug. 1894, oben, S.  569 f. 3  Marianne Weber hatte aus dem Vermögen ihrer 1871 verstorbenen Großmutter Marianne Weber, geb. Niemann, ca. 32 000 Mark geerbt, wie aus einem Brief von Carl David Weber an Max Weber vom [7.] Januar 189[4] (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446) hervorgeht. Bis zur Hochzeit waren davon Kosten für die Erziehung, Aussteuer und Vergleichbares abgegangen; vgl. Roth, Familiengeschichte, S.  549. 4 Gemeint ist vermutlich das Testament von Max Webers Onkel und Marianne Webers Großvater Carl David Weber, der am 21. Juli 1907 verstarb. Mariannes Erbteil belief sich auf ca. 350 000 Mark, die z.T. in der Oerlinghauser Firma angelegt waren. Vgl. zu den

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Frau gegenüber von mir nicht richtig finden (da mir ja etwas zustoßen kann), wenn ich den jetzt in unsrem Besitz befindlichen Kapitalbetrag um erhebliche Kapital-Beträge |:von z. B. 3 oder 4000 Mark:| kürzte. Dagegen könnte ich sehr gut Raten , – 300, 400, 500 Mark jährlich, je nach Bedarf, – zu den Kosten Ihres Unternehmens einschießen, denn das bestreite ich aus dem mir zufließenden Einkommen resp. ich ver­ brauche nur etwas mehr als sonst von dem Vorhandenen. Nun ent­ nehme ich aus P. Rades Brief, daß Ihnen damit für Ihr Unternehmen nicht gedient sei, da Sie Anlage-Capital für den Anfang |:– Rade schrieb von 10 000 Mk –:| brauchen. Da ich nun jetzt nur ein kleiner, später aber ein größerer Capitalist sein werde, so glaubte ich Ihnen am besten so dienlich zu sein, daß ich mich einem Geschäftsmann gegen­ über, der Ihnen ein verzinsliches Kapital leihen würde,b für die Rückzahlung für später (einschließlich Zinsen) verbürgte, so daß Sie also z. B. von einem Herrn X 10 000 Mk entleihen und ich diesem Herrn X verspräche, |:von:| denselben ihm, falls Sie mit Ihrem Unternehmen nicht prosperierten, einen Teilbetrag – 3000 Mk z. B., ist es nötig, auch mehr – im Jahre 1897 oder 1898 nebst den etwa rückständig gebliebe­ nen Zinsen zurückzuzahlen. |:Ich dachte [,] daß Andre dann weitere Teilbeträge übernehmen würden.:| Für „sicher“ würde mich jeder Ge­ schäftsmann wohl ansehen, auch könnte ich meine Verhältnisse gern noch näher darlegen, denn mir ist meinc Portemonnaie nicht so das Allerheiligste, daß nicht Jeder, für den ein Interesse daran hängt, ge­ trost hineinschauen dürfte. Bitte schreiben Sie mir doch, ob Ihnen damit nicht gedient wäre. Eventuell würden wir dann weiter überlegen, was zu machen ist. Vorerst herzlichen Gruß Ihr Max Weber

b  In O folgt: mich  c  das > mein   Testamentsbestimmungen den Brief von Max Weber an Marianne Weber vom 3. Sept. 1907, MWG II/5, S.  385 f.

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Fritz Baumgarten 19. November 1894; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig Privatbesitz Baumgarten-Schoeppe

Schillerstr.a 22 19/XI 94 Lieber Fritz! Ich habe den Gegenstand, den wir heut besprechen, mit Marianne noch einmal durchgesprochen. Damit durch Irrtümer über den Sach­ verhalt keine unbegründeten Misstimmungen sich einnisten und damit namentlich Frl. B[ertha]1 nicht in ein falsches Licht komme, diese Zeilen: Zunächst möchte ich nur nochmals betonen, daß von einem Sich-beklagen oder von einer Art des Erzählens, die auf ein Gefühl eines Mar­ tyriums oder Ähnliches schließen ließe, bei Frl. B[ertha] auch nicht im Entferntesten die Rede sein kann. Ihre Behauptung [,] daß sie – nicht weil es ausdrücklich von ihr |:ausdrücklich:| verlangt sei, sondern eben thatsächlich, im Dienst des Hauses bis 10–1/ 211 beschäftigt sei und regelmäßig deshalb auch nicht Zeit habe, ihre Sachen auszubessern, kam vielmehr im Lauf des Gesprächs ohne jeden irgend zu ver­ muthenden Zwecke, sich zu beklagen, zu Tage, als Marianne sich gele­ gentlich darüber verwunderte, weshalb sie denn von Auslagen, die sie für Wäscheflicken habe, spreche. Sie hatte dann ihr gesagt, daß doch Else2 Das gewiß nicht von ihr beanspruche, sieb brauche es ihr doch nur zu sagen, denn sie müsse doch natürlich ihre Zeit für sich haben. Frl. B[ertha] hatte dann gemeint, das werde, bei der vielen Arbeit, doch nicht zu machen gehen und sie glaube auch nicht, daß Else ihr Zeit für sich geben könne und wolle. Marianne hatte dann gemeint,c darum sie zu bitten sei sie verpflichtet und es sei nicht recht, daß sie a O: Schillerst.  b  〈[??]〉  c  〈daß〉   1  Das Fräulein Bertha, die belesene Tochter eines Volksschullehrers, war eine Hausangestellte von Fritz und Elisabeth (Else) Baumgarten. Während zwei Söhne Baumgartens an Scharlach erkrankt waren, war Fräulein Bertha mit den beiden anderen Kindern einige Zeit bei Max und Marianne Weber untergebracht (Marianne Webers Briefe an Helene Weber, undat. [vermutlich vom 19. Okt. 1894], und vom 27., 28., 29. und 30. Okt. 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). Weiteres ließ sich nicht ermitteln. 2  Fritz Baumgartens Frau Elisabeth (Else).

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voraussetze, man werde ihr berechtigte Wünsche nicht zugestehen. Ich hörte davon und habe – und wie ich Dir sagte, meine ich, mit Recht – ihr ebenfalls gesagt, sie dürfed solche Wünsche nicht für sich behalten, denn damit bringe sie Andre, die Das nicht wollten, in die Lage, sich gegen sie ins Unrecht zu setzen. Selbstverständlich ist ihr nicht in irgend einer Weise in Aussicht ge­ stellt worden, daß wir uns einmischen und uns zum Dolmetscher ihrer Wünsche machen wollten. Vielmehr fragte mich Marianne, ob ich mei­ ne, daß sie berechtigt sei, Else gelegentlich sich darüber auszusprechen. Sie hat dabei gewiß nicht die Ansicht gehabt, berufen zu sein, sich in Elses Haushaltung zu mischen. Sondern sie – und ich auch – fand, daß Else dem Mädchen, ganz unzweifelhaft ohne es zu wollen, doch nicht recht damit thue, und daß sie Else gegenüber ein befangenes und unan­ genehmes Gefühl behalten und ihr nicht nahe kommen würde, so lan­ ge sie ihr nicht offen gesagt habe, daß sie etwas nicht richtig finden könne, was sie bei ihr finde. Ich kann auch jetzt mich nicht überzeugen, daß Deine Meinung, man habe sich dazu erst näher kennen müssen, richtig ist. Das wäre der Fall, wenn es sich um einen Vorwurf gegen Elses Wollen handeln würde, und das ist nicht der Fall. Davon, daß Marianne im Gespräch mit Else jene Andeutung machte,e hätte Frl. B[ertha] niemals etwas erfahren, wenn Else sie nicht darauf ange­ sprochen hätte. Und nicht im Entferntesten ist daran gedacht worden, Else vorzuhalten, sie habe für das Bildungsbedürfnis Andrer, hier des Frl. B[ertha], keinen Sinn. Marianne hat, wie sie sich erinnert, das Wort „lesen“ etc. gar nicht gebraucht, sondern nur von „Zeit für sich haben“ gesprochen; sie meint auch, nicht lebhaft gewesen zu sein, zu­ mal die ganze Zeit, die sie für die Andeutung hatte, kaum 2–3 Minuten gewährt habe, bis Du kamst. Ich meine eben doch, wir sollten uns nicht mit solchem Mistrauen begegnen; wem man nicht zugethan ist und wen man nicht hochschätzt, dem gegenüber hat man ein Bedürfnis nach Aussprache nicht; – und vollends hätte man es dann nicht, wenn man dächte, der Andre wollte Jemandem Unrecht thun. Aber wir wissen von uns selbst, wie leicht man sich grade infolge langer Gewöhnung irren kann über dief Interes­ sen und Bedürfnisse Andrer, und ich kann nur sagen, daß wir von Else nicht nur jede Ansicht über Fehler in unserer Lebensführung gern ent­ gegennehmen, wo sie ihr auffallen, sondern glauben verlangen zu dür­ d  müsse > dürfe  e  〈ist〉  f  〈Bedü〉  

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fen. Ich meine, daß wir uns dabei doch nicht aufregen und nicht meinen sollten, man traue sich gegenseitig nicht das Beste zu. Und vor Allem darf Else uns nicht für „bildungsstolz“ halten. Was das Leben in der Beziehung dem Menschen auf den Weg giebt, ist nicht sein Verdienst und wir schauen wahrlich bei Denen, die uns nahestehen, auf ganz andre Dinge. Grade Offenheit ist es doch, die man am meisten von ein­ ander braucht. So meine ich, daß wir über diese Auseinandersetzung uns schon, und herzlich, vertragen werden. Es kommt doch vor, und Jeder erlebt es an sich, daß ein unbefangener Außenstehender Eineng einmal auf etwas aufmerksam machen kann, was man grade im täglichen Leben und Verkehr mit einander übersieht, – vielleicht denkt Else die Sache ein­ mal durch und findet, daß wir hier mit unsrer Ansicht Recht hatten, – vielleicht findet sie es nicht: – jedenfalls aber fand ich auch meinerseits, daßh Marianne damit nicht hinter dem Berge halten sollte. Denn das widerstrebte ihrer Natur, da wo sie meinte, daß einem Andren unbe­ wußt etwas Unrichtiges zugemuthet wurde, zu schweigen, und ich kann dies Gefühl nicht unrichtig und auch nicht mit der herzlichen Freund­ schaft zu Euch im Widerspruch stehend finden, und hoffe, daß Ihr, wenn wir die Sache ruhig überlegen, es auch nicht thun werdet. Ich denke, wir sprechen Freitag noch in Ruhe darüber und hoffent­ lich sehen wir Else bald einmal und können uns überzeugen, daß wir uns gegenseitig nicht so, wie es doch noch der Fall war, mistrauen. Dazu ist doch das Leben, meine ich, nicht lang genug, daß man erst Umwege einschlagen müßte, um zu gegenseitigem Verständnis zu ge­ langen. Es war uns eine unsrer besten Freuden hier, daß wir glauben konnten, dasi wäre zwischen uns 4 nicht der Fall. – Grüße Else einst­ weilen herzlich, |:von uns:,| wir sehen uns, wie gesagt, hoffentlich näch­ stens. Dein Max P. S. Ich habe, da man hier oben gehört hatte, daß wir unten sprachen, 3 Frl. B[ertha] gesagt, daß ich Dich getroffen und gesprochen habe und daß ich Dir gesagt hätte, daßj sie nicht etwa Euch bei uns verklagt hätte g O: Einem  h  〈man〉  i O: daß  j  〈nicht〉   3  Vermutlich hatte sich die Unterredung von Max Weber und Fritz Baumgarten lautstark auf der Straße zugetragen.

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– woran ihr viel zu liegen schien –; ich habe im Übrigen nur hinzuge­ fügt, daß ich meinte, sie solle Euch sagen, wenn sie für sich Wünsche hätte, Ihr würdet meiner Ansicht nach das beanspruchen und, wie ich glaubte, nur darüber ungehalten sein, wenn dadurch [,] daß sie das nicht thäte,k Veranlassungl |:dazu:| entstünde, daß Andre den Schein auf sich lüden, als wollten sie sich in Eure Angelegenheiten mischen. – Ich kann auch hier nur wiederholen, daß ich den Eindruck eines recht feinen Taktgefühls des jungen Mädchens hatte und es sehr schade fände, wenn bei Euch dieser Eindruck verwischt sein sollte. d. O.

k  〈und Andre〉  l  〈dazu〉  

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Juristische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. 22. November 1894; Freiburg i. Br. Brief; eigenhändig UA Freiburg i. Br., B 36/673, Bl. 143 Auf dem Blatt findet sich eine längere Anmerkung des Juristen und Kollegen Max Webers, Heinrich Rosin, die hier nicht nachgewiesen wird.

Freiburg i /B 22. XI. 94 Der hohen Juristischen Fakultät beehre ich mich die sehr ergebene Bitte zu unterbreiten, geneigtest sich damit einverstanden erklären zu wollen, daß ich für das nächste Semester ein zweistündiges „Handelsrechtspraktikum“ privatim, oder, falls dies bisher üblich war, privatissime oder publice ankündige.1 Die beiden Herren Fachvertreter des Handelsrechts2 habe ich vor Stellung dieser Bitte um ihre Zustimmung gebeten. Ich habe die Vorle­ sung in Berlin seit meiner Habilitation – 5 Semester – als Privatdozent bzw. Extraordinarius regelmäßig gehalten.3 Der Juristischen Fakultät in ausgezeichneter Hochachtung ergebenster Professor Max Weber An die Hohe Juristische Fakultät hierselbst.

1  Wie gewünscht, konnte Weber das Handelsrechtspraktikum für die Juristische Fakultät im Sommersemester 1895 abhalten. Aus den Zahlungslisten des Sommersemesters 1895 geht hervor, daß Max Weber das „Handelsrechtspraktikum“ nach Zahlung einer Hörergebühr von 12 Mark gegeben hat (UA Freiburg i. Br., B 17/18). Ob privatim (Honorar nach der Gebührenordnung) oder privatissime (Honorar im Ermessen des Hochschullehrers), ließ sich auch aus dem Vorlesungsverzeichnis nicht entnehmen (vgl. Ankündigung der Freiburger Vorlesungen, SS 1895, S.  5). In Berlin hat Weber die Veranstaltung privatim angeboten; vgl. die Übersicht über Max Webers Lehrveranstaltungen in: MWG III/1, S.  53–55. 2  Heinrich Rosin und Konrad Cosack. 3  Es handelte sich um die zweistündige Lehrveranstaltung mit demselben Titel „Handelsrechtsprakticum“, die Max Weber in jedem seiner fünf Berliner Semester abhielt, so auch letztmals im Sommersemester 1894. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Gustav Schmol­ler vom 23. Febr. 1894, oben, S.  487 mit Anm.  3.

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Otto Ammon 14. Dezember 1894; Freiburg i. Br. Abschrift; von unbekannter Hand UA Freiburg i. Br., Nl. Otto Ammon, C75/0118 Otto Ammon, Sozialanthropologe und Verfechter sozialdarwinistischer Gesellschaftstheorien, war der Gewinner eines in der Zeitschrift „Das Land“ ausgelobten Preisausschreibens; vgl. dazu den Brief an Heinrich Sohnrey vom 25. Februar 1894, oben, S.  488 f., sowie Mommsen, Wolfgang J., Einleitung, in: MWG I/4, S.  1–68, hier S.  54 f. Mit Max Weber, der dem Preisgericht angehört hatte, entwickelte sich eine Korrespondenz, die jedoch bis auf den folgenden Brief Max Webers und zwei Briefe Ammons an Max Weber vom 28. Juni bzw. vom 2. Juli 1895 (UA Freiburg i. Br., Nl. Otto Ammon, C75/0118) nicht nachgewiesen ist.

Schillerstr. 22 Freiburg i/B. 14 XII. 94. Sehr geehrter Herr! 5

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Ihr liebenswürdiges Angebot nehme ich mit verbindlichstem Danke an. Ich werde Ihre Schrift1 – ebenso wie Ihre früheren Publikationen – mit besonderem Interesse lesen und, sobald es mir möglich sein wird, micha auch damit literarisch auseinandersetzen. Freilich werde ich noch eines gründlichen Studiums der von Ihnen angewendeten Me­ thode bedürfen, um ein vollständiges, definitives Urtheil zu gewinnen. Für Ihre früheren Werke interessirte ich mich lebhaft und habe |:z. B.:| jetzt einen Herrn meines Seminars mit naturwissenschaftlicher Vorbildung beauftragt,b uns demnächst darüber zu referiren.2

a  Fehlt in Abschrift; mich sinngemäß ergänzt.   b  〈das〉   1  Es handelt sich vermutlich um: Ammon, Otto, Die natürliche Auslese beim Menschen. Auf Grund der Ergebnisse der anthropologischen Untersuchungen der Wehrpflichtigen in Baden und anderen Materialien dargestellt. – Jena: Gustav Fischer 1893. Max Weber erwähnt diese Schrift in der gedruckten Fassung seiner am 13. Mai 1895 gehaltenen Freiburger Antrittsrede; vgl. Weber, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik, MWG I/4, S.  535–574, S.  554, Anm.  4. Er verwies auf sie auch in seinen Vorlesungen über „Allgemeine (‚theo­retische‘) Nationalökonomie“ (MWG III/1, S.  350 f. und 357); vgl. auch Weber, Vorlesungs-Grundriß, ebd., S.  95. 2  Infrage kommt nur das Kameralistische Seminar, das Max Weber gemeinsam mit Gerhart von Schulze-Gaevernitz veranstaltete. Da es privatissime et gratis war, sind keine Zahlungs- bzw. Teilnehmerlisten überliefert, die Hinweise auf den Referenten geben könnten.

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Ebenso sprach ich schon mit Weismann3 und Ziegler4 darüber, auch mit Prof. Keibel, 5 der, wie Sie wissen, – bei übrigens wärmster Aner­ kennung des von Ihnen Erstrebten – zu den bisherigen Ergebnissen skeptisch steht. Ich selbst habe das Bedenken, daß die höchst frappan­ ten Zahlen, die Sie bieten, wie mir scheint, für so weitgehende Schlüsse doch regional etwas zu begrenzt sind, und doch auch bei Schädelmes­ sungen speziell die Korrektheit der Messung oft problematisch bleibt.6 Derc stark hypothetisched eCharakter manchere Ihrer Folgerungen und Ausführungen – denf Sie ja selbst nicht verkennen – hindert aber nicht, daß mir der Gedanke selbst, der Ihrer Methode zu Grunde liegt,7 im allerhöchsten Maße beachtenswerth und sympathisch ist. Ich selbst kam auf etwas andrem Wege zu dem Ergebniß, daß die im Osten zur Zeit sich vollziehenden nationalen Verschiebungen Auslese-Erschei­ nungen sind und werde ihng demnächst in einerh Ansichtsäußerung vertreteni ; 8 allein das Volkszählungsmaterial, welches hier allein zur

c  Den > Der  d  In Abschrift: hypothetischen  e–e  Bedenken werden > Charak­ ter mancher  f  die > den  g  Unsichere Lesung.   h  In Abschrift: eine  i  ver­ suchen > vertreten   3  August Weismann, Professor für Zoologie an der Universität Freiburg i. Br. 4  Ernst Ziegler, Professor für pathologische Anatomie an der Universität Freiburg i. Br. 5  Franz Keibel, Professor für Anatomie an der Universität Freiburg i. Br. 6  Um Kenntnisse über vorgeschichtliche Wanderungen und Besiedlungen zu gewinnen, hatte die Anthropologische Kommission des Karlsruher Altertumsvereins 1886 mit der Erfassung physiognomischer Merkmale von badischen Rekruten begonnen. Otto Ammon leitete aus Schädelmessungen unterschiedliche Kopfformen ab und setzte sie mit dem sozialen Status in Bezug; vgl. Ammon, Otto, Die Körpergröße der Wehrpflichtigen im Großherzogtum Baden in den Jahren 1840 bis 1864 (Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Baden, Band N. F. 5 (= 51 des Gesamtwerks). – Karlsruhe: C. F. Müller 1893, sowie Ammon, Otto, Anthropologische Untersuchungen der Wehrpflichtigen in Baden. – Hamburg: Verlagsanstalt- und Druckerei A.-G. 1890. 7  Otto Ammon interessierte sich in der Folge besonders für Vererbungsgesetze und entwickelte daraus eine Lehre von der „natürlichen Auslese beim Menschen“. Dem sog. „Ammonschen Gesetz“ zufolge differenziert sich ein beständiger Zustrom vom Land in der Stadt in zwei an Schädelform und Sozialstatus erkennbare Gruppen aus: die „rundköpfigen“ gewerbe- und handeltreibenden Bürger und Subalternbeamten sowie die „langköpfigen“ Gelehrten und höheren Beamten. Letztere stürben jedoch wegen einer niedrigeren Reproduktionsrate allmählich aus. Deshalb komme es laut Ammon zu einem weiteren Zufluß ländlicher Bevölkerung in die Städte und einem anhaltenden Selektionsprozeß. 8  Max Weber setzte sich 1895 in seiner Freiburger Antrittsrede mit Otto Ammons Schriften auseinander (vgl. oben, S.  585, Anm.  1). Neben Ammons Schrift „Die natürliche Auslese beim Menschen“ (ebd.) zitiert er dort auch die inzwischen erschienene Schrift über die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen (Ammon, Otto, Die Gesellschafts-

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Verfügung steht, bietet derartig exacte Ergebnisse, wie sie bei entspre­ chender Anwendung Ihrer Methode zu gewärtigen sind, natürlich nicht. Ich bin Ihnen für die Anregungen, die Ihre Schrift enthält, sehr dankbar, weil die Gesichtspunkte einem gewissen „sentimentalen“ Zug, der die neuere sozialpolitische Betrachtungsweise |:belastet,:| ent­ gegenarbeiten, und ganz gewiß besteht für mich nicht „die Welt aus bloßen Fabrikarbeitern“.9 Mit großem Interesse sehe ich daher Ihrer Schrift entgegen und ver­ bleibe mit verbindlichstem Dank und bester Empfehlung Ihr in vorzüglichster Hochachtung ganz ergebener Max Weber.

ordnung und ihre natürlichen Grundlagen. – Jena: Gustav Fischer 1895). In dieser Rede entwickelte Max Weber auch seine These von der Verdrängung deutscher Landarbeiter und Bauern durch die polnische Bevölkerung. 9  Als wörtliches Zitat nicht nachgewiesen. Max Weber betonte in seinen agrarpolitischen Aufsätzen die Bedeutung der Landarbeiterfrage und warf der Sozialdemokratie vor, deren Gewicht zu verkennen. Möglicherweise spielt er auch auf das durch Göhre, Paul, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche. – Leipzig: Grunow 1891, angestoßene große Interesse an den Lebensbedingungen der Industriearbeiterschaft an.

Verzeichnisse und Register

Personenverzeichnis

Dieses Verzeichnis berücksichtigt alle Personen, die in den Briefen Max Webers Erwähnung finden, mit Ausnahme allgemein bekannter Persönlichkeiten und solcher Autoren, die in bibliographischen Angaben ohne weitere Information genannt werden. Die Einträge erfolgen in der Regel in der Schreibung Max Webers.

Adalbert von Prag (um 956–23.4.997). Bischof und Missionar. 982 Bischof von Prag, 988 Rückzug als Mönch in das Kloster St. Bonifatius und Alexius in Rom, 992 Rückkehr nach Prag, 993 Gründung des Klosters Brˇevnov; 995/96 Missionstätigkeit in Ungarn, 996 wieder in Rom; Märtyrertod während einer Missionstätigkeit bei den Pruzzen, Bestattung seiner Gebeine in Gnesen, später nach Prag überführt, Reliquienreste verblieben im Dom zu Gnesen; 999 Heiligsprechung. Adalbert von Preußen (14.7.1884–22.9.1948). Prinz von Preußen. Dritter Sohn von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau → Auguste Victoria. Aegidi, Ludwig (10.4.1825–20.11.1901). Jurist, Politiker und Publizist. 1851 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen, 1853 Habilitation, 1854 a. o. Professor ebd., 1857–59 a. o. Professor in Erlangen; 1861–71 begründete und leitete er „Das Staatsarchiv, Sammlung der offiziellen Aktenstücke zur Geschichte der Gegenwart“; 1868 o. Professor für Staatsrecht in Bonn; 1871 Vortragender Rat im Auswärtigen Amt, Leiter des Pressewesens; 1877 Professor für Staats-, Völker und Kirchenrecht an der Universität Berlin. Einer der Begründer der freikonservativen Partei, 1867/68 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1869–70 MdR, 1873–93 MdprAH. Freund von → Maximilian (Max) Weber sen. und akademischer Lehrer von Max Weber in Berlin. Aegidi, Martha, geb. von Sanden-Tussainen (14.8.1844–?). Seit 1862 verheiratet mit → Ludwig Aegidi. Agnes (?–?). Dienstmädchen der Familie Weber in Charlottenburg. Ahlefeldt, Elisabeth Charlotte Louise von, geb. von Mengersen (22.9.1845– 2.8.1927). Ahlefeldt, Fri(e)da von (14.9.1875–21.6.1933). Tochter von → Elisabeth von Ahlefeldt. Albers, Marie (14.1.1839–?). Jugendfreundin der Schwestern → Ida Baumgarten und → Helene Weber.

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Althoff, Friedrich (19.2.1839–20.10.1908). Preußischer Ministerialbeamter und Jurist. 1872 nach Verleihung des Dr. jur. h.c. a. o. Professor in Straßburg, 1880 o. Professor für französisches und modernes Zivilrecht ebd., 1891 in Bonn, 1896 o. Honorarprofessor in Berlin; 1871 als Referent in der Verwaltung des Reichslandes Elsaß-Lothringen zuständig u. a. für die Neugründung der Universität Straßburg, 1882 Geh. Regierungsrat, zugleich als Vortragender Rat Leiter des Universitätsreferats im preußischen Kultusministerium, 1897–1907 als Ministerialdirektor Leiter der Ersten Unterrichtsabteilung, zuständig u. a. für alle Universitäten und den höheren Schulunterricht. Arendt, Otto (10.10.1854–28.4.1936). Politiker und Nationalökonom. 1878 Promotion zum Dr. phil. in Freiburg i. Br.; 1882 Mitbegründer des interna­ tionalen Vereins für Doppelwährung (Währung mit Gold- und Silbermünzen), 1887 Mitbegründer der Deutschen Kolonialgesellschaft und 1891 des Alldeutschen Verbandes, 1888–98 Herausgeber des „Deutschen Wochenblattes“; 1885–1918 MdprAH, 1898–1918 MdR (freikonservative Partei). Hauptvertreter der bimetallistischen Theorie in Deutschland. Arnsperger, Ludwig (3.9.1837–17.7.1907). Badischer Ministerialbeamter und Jurist. Nach der Zweiten Juristischen Staatsprüfung (1864) im Sekretariat des badischen Justizministeriums, 1865 Amtmann im Bezirksamt Heidelberg, 1871 Oberschulrat, 1877 Ministerialrat im badischen Innenministerium, 1881 Leiter des Referats für Wissenschaft und Künste im badischen Ministerium für Justiz, Kultus und Unterricht, 1895–1901 Direktor des badischen Oberschulrates; Förderung der Lehrerbildung und Mitwirkung an Gesetzen zum Elementarunterricht. Zuständiger Hochschulreferent während der Berufungen Max Webers nach Freiburg (1893/94) und später nach Heidelberg (1896/97). August Wilhelm von Preußen (29.1.1887–25.3.1949). Prinz von Preußen. Vierter Sohn von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau → Auguste Victoria. Auguste Victoria, geb. Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (22.10.1858–11.4.1921). Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen. Großnichte von Königin Victoria von Großbritannien und Irland; 1881 Heirat mit Kronprinz Wilhelm von Preußen, seit 15.6.1888 Kaiser Wilhelm II. Auhagen, Otto (10.11.1869–25.4.1945). Nationalökonom und Staatswissenschaftler. Studium der Rechtswissenschaften und Nationalökonomie in Göttingen, bei → Max Sering in Berlin und in Straßburg; 1892 Mitarbeit an der Auswertung der Landarbeiterenquete des Vereins für Socialpolitik; 1894 Promotion zum Dr. rer. pol. in Straßburg bei → Georg Friedrich Knapp; 1897 a. o. Professor für Staatswissenschaften in Breslau, 1906–27 o. Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin.

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Baumgarten, Adolf (1848?–?). Fabrikant. Seit 1876 Besitzer einer Porzellanmalerei in Weingarten (Baden); jüngerer Halbbruder des Historikers → Hermann Baumgarten. Baumgarten, Anna (18.10.1868–1.12.1943). Tochter von → Ida und → Hermann Baumgarten; Schwester von → Emmy, → Friedrich (Fritz) und → Otto Baumgarten. Aufgrund psychischer Probleme wiederholt in ärztlicher Behandlung; lebte zeitweise im „Ottilienhaus“, einem von → Adelheid Wildermuth geleiteten Sanatorium für Nervenkranke in Stuttgart. Cousine von Max Weber. Baumgarten, Elisabeth (Else), geb. Georgii (9.8.1859–24.8.1924). Seit 1885 verheiratet mit → Friedrich (Fritz) Baumgarten. Baumgarten, Elisabeth (Elschen) (24.7.1886–15.12.1969). Tochter von → Elisabeth (Else) und → Friedrich (Fritz) Baumgarten. Lebte als Malerin in Freiburg i. Br. Baumgarten, Emmy (18.2.1865–5.10.1946). Tochter von → Ida und → Hermann Baumgarten; Schwester von → Anna, → Friedrich (Fritz) und → Otto Baumgarten; mußte sich aufgrund psychischer Probleme in ärztliche Behandlung begeben, vor allem im „Ottilienhaus“, einem von → Adelheid Wildermuth geleiteten Sanatorium für Nervenkranke in Stuttgart. Cousine und Jugendfreundin von Max Weber. Baumgarten, Friedrich (Fritz) (14.7.1856–26.2.1913). Altphilologe. 1881 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1903 Habilitation in Kunstgeschichte in Freiburg i. Br.; Gymnasiallehrer für Altphilologie, Geschichte und Geographie an den Gymnasien in Wertheim, Offenburg und seit 1893 in Freiburg i. Br.; 1903 Honorarprofessor, seit 1911 o. Honorarprofessor für Kunstgeschichte an der Universität Freiburg i. Br.; seit 1912 Direktor des Gymnasiums in Donaueschingen. Sohn von → Ida und → Hermann Baumgarten. Vetter von Max Weber. Baumgarten, Hermann (28.4.1825–19.6.1893). Historiker und Publizist. 1848 zunächst Gymnasiallehrer, dann Redakteur der „Deutschen Reichs-Zeitung“ in Braunschweig; 1853–55 Mitarbeiter von Georg Gottfried Gervinus in Heidelberg, anschließend historische Studien in Heidelberg und München, 1859 als Publizist in Berlin; 1861 o. Professor für Geschichte und Literatur am Polytechnikum in Karlsruhe, seit 1872 o. Professor in Straßburg. Liberal-kleindeutsch, später Kritiker Otto von Bis­ marcks und der inneren Entwicklung des Deutschen Reiches. Verfasser mehrerer größerer Werke zur spanischen Geschichte und zu Karl V. Als sein Hauptwerk gilt „Der deutsche Liberalismus. Eine Selbstkritik“ (1866). Verheiratet mit → Ida Baumgarten, geb. Fallenstein, der ältesten Schwester von Max Webers Mutter → Helene Weber.

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Baumgarten, Hermann (jun.) (16.12.1887–19.3.1964). Versicherungskaufmann und Kunsthändler. Sohn von → Elisabeth (Else) und → Friedrich (Fritz) Baumgarten. Baumgarten, Ida, geb. Fallenstein (29.4.1837–18.6.1899). Älteste Schwester von → Helene Weber; seit 1855 verheiratet mit dem Historiker → Hermann Baumgarten; Mutter von → Anna, → Emmy, → Friedrich (Fritz) und → Otto Baumgarten. Lebte nach dem Tod ihres Mannes 1893 zeitweise in Straßburg und Stuttgart. Tante von Max Weber. Baumgarten, Marie (29.6.1830–8.12.1890). Schwester von → Hermann Baumgarten. Baumgarten, Otto (29.1.1858–21.3.1934). Evangelischer Theologe. 1882– 1887 im badischen Kirchendienst, 1888 Promotion zum Lic. theol. in Halle; 1888 Prediger am Waisenhaus in Berlin-Rummelsburg; 1890 Habilitation in Berlin und a. o. Professor in Jena; 1894–1926 o. Professor für Praktische Theologie in Kiel. 1912–21 Vorsitzender des Evangelisch-sozialen Kongresses; seit Ende 1918 Mitglied der DDP, 1919 Mitglied der Sachverständigen-Kommission für die Versailler Friedensverhandlungen. Sohn von → Ida und → Hermann Baumgarten, Bruder von → Anna, → Emmy und → Friedrich (Fritz) Baumgarten; im Januar 1883 Heirat mit seiner Cousine Emily Fallenstein, die mit dem gemeinsamen Sohn Eberhard im November desselben Jahres im Kindbett verstarb. Seinem Vetter Max Weber seit dessen Studienzeit in Heidelberg freundschaftlich verbunden und 1889 Opponent bei dessen Doktordisputation; wurde von Max Weber bei der Begründung und Herausgabe der dem Evangelisch-sozialen Kongreß nahestehenden Reihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“ unterstützt. Baumgarten, Theodor Max (26.8.1890–3.9.1981). Ingenieur. Sohn von → Elisabeth (Else) und → Friedrich (Fritz) Baumgarten. Bebel, August (22.2.1840–13.8.1913). Sozialdemokratischer Politiker. 1867–69 Mitglied des Norddeutschen Reichstags für die Sächsische Volkspartei; 1869 Mitbegründer und Führer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei; 1871−1913 MdR, ab 1875 Führer der vereinigten deutschen Sozialdemokratie; 1892−1913 Parteivorsitzender. Verfaßte u. a.: „Die Frau und der Sozialismus“ (1883). Bekker, Ernst Immanuel (16.8.1827–29.9.1916). Jurist. 1849 Promotion zum Dr. jur. in Berlin; 1853 Habilitation in Halle, 1855 a. o. Professor für Römisches Recht ebd., 1857 o. Professor in Greifswald, 1874 in Heidelberg; Herausgeber der „Kritischen Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ und des „Jahrbuchs des gemeinen deutschen Rechts“, neben juristischen Arbeiten („Die Aktionen des römischen Privatrechts“, 2 Bände,

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1871–73) breites publizistisches Wirken. Führender Pandektist. Akademischer Lehrer Max Webers in Heidelberg. Benda, Robert von (18.2.1816–16.8.1899). Nationalliberaler Politiker. Bis 1849 Regierungsassessor in Potsdam; als führender Vertreter der Nationalliberalen Partei zwischen 1877 und 1898 langjähriges Mitglied des Parteivorstands; 1859–98 MdprAH, 1878 dessen Vizepräsident; 1867 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–98 MdR, 1874–98 Vorstand der Reichstagsfraktion. Benecke, Auguste (Gussy) (25.11.1874–3.8.1952). Tochter von → Emilie (Nixel) und → Ernst Wilhelm Benecke; heiratete am 4.4.1895 → Martin Benno Schmidt. Cousine von Max Weber. Benecke, Dorothea (Dora) (4.6.1867–14.6.1951). Tochter von → Emilie (Nixel) und → Ernst Wilhelm Benecke. Cousine von Max Weber. Benecke, Emilie (Nixel), geb. Fallenstein (4.3.1846–14.12.1922). Schwester von → Helene Weber; seit 1866 verheiratet mit → Ernst Wilhelm Benecke. Lebte von 1872 bis 1919 in Straßburg und gelegentlich auch in dem ihrem Mann gehörenden Haus Ziegelhäuser Landstraße 56 (bis 1891 Nr.  2 9, später Nr.  1) in Heidelberg. Tante von Max Weber. Benecke, Ernst Wilhelm (16.3.1838–7.3.1917). Geologe und Paläontologe. 1862 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg, 1865 Habilitation, 1869 a. o. (Titular-)Professor ebd., 1872 o. Professor in Straßburg; Direktor der geologischen Landesuntersuchung von Elsaß-Lothringen. Verheiratet mit Max Webers Tante → Emilie (Nixel) Benecke. Benecke, Margarete (Grete) (19.8.1877–10.1.1960). Tochter von → Emilie (Nixel) und → Ernst Wilhelm Benecke. Cousine von Max Weber. Benecke, Marie → Schmidt, Marie Benecke, Wilhelm (23.9.1868–14.2.1946). Botaniker. 1892 Promotion zum Dr. phil. in Jena, 1897 Habilitation in Straßburg, 1900 Titularprofessor in Kiel, 1907 a. o. Professor für Botanik ebd., 1909 in Bonn, 1911 in Berlin; 1914 o. Professor ebd., 1916 o. Professor und Direktor des Botanischen Instituts in Münster. Sohn von → Emilie (Nixel) und → Ernst Wilhelm Benecke. Vetter von Max Weber. Bennigsen, Rudolf von (10.7.1824–7.8.1902). Liberaler Politiker und Jurist. 1859 zusammen mit → Johannes Miquel Begründer des „Deutschen Natio­ nalvereins“ und dessen Vorsitzender; 1867 Mitbegründer der Nationalli­ beralen Partei und 1871–91 deren Vorsitzender; 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags, 1871–83 und 1887–98 MdR, 1871–83 sowie

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1887–98 Fraktionsvorsitzender; 1867–83 MdprAH und 1873–79 dessen Präsident. Führender Repräsentant des um Ausgleich mit Otto von Bismarck bemühten Nationalliberalismus, lehnte 1877/78 aber ein von Bismarck angebotenes Ministeramt ab; 1888–97 Oberpräsident von Hannover; 1887, nach der von ihm und Miquel mitinitiierten Wahlabsprache mit den konservativen Parteien („Kartellwahlen“), Rückkehr in den Reichstag. Bergmann, Ernst von (16.12.1836–25.3.1907). Chirurg. 1860 Promotion in Dorpat, 1864 Habilitation, 1871 o. Professor ebd., 1878 in Würzburg, 1882 in Berlin, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik; entwickelte eine Methode zur Behandlung von Wundkrankheiten (Asepsis), eine der Voraussetzungen der modernen Chirurgie; einer der behandelnden Ärzte des an Kehlkopfkrebs erkrankten Kronprinzen Friedrich Wilhelm, später Kaiser → Friedrich III. Bertha (?–?). Dienstmädchen der Familie Weber in Charlottenburg. Bertha, Frl. (?–?). Hausangestellte von → Elisabeth (Else) und → Friedrich (Fritz) Baumgarten in Freiburg i. Br. Betz, Frl. (?–?). Bekannte der Familie Weber. Beyschlag, Willibald (5.9.1823–25.11.1900). Evangelischer Theologe und Kirchenpolitiker. 1850 Pfarrer in Trier, 1856 Hofprediger in Karlsruhe, 1860 Professor für Praktische Theologie in Halle; Kritiker der seines Erachtens sehr katholizismusfreundlichen preußischen Kirchenpolitik, setzte sich für die Union von Lutheranern und Reformierten ein; 1873 Gründung der „Evangelischen Vereinigung“ als „Mittlerpartei“ zwischen Liberalen und Neuorthodoxen; 1887 Gründung des „Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen“. Biermann, Emma Judith Eugenie Leontine, geb. Dernburg (28.11.1870– 19.6.1928). Heiratete am 16.12.1893 → Johannes Biermann. Biermann, Johannes (11.6.1863–19.6.1915). Jurist. Promotion zum Dr. jur. in Berlin, 1890 Habilitation, 1895 etatmäßiger a. o. Professor als Nachfolger von Max Weber ebd.; 1896–12 o. Professor in Gießen, 1912–14 in Halle; 1915 bei Lemberg gefallen. Arbeiten zum deutschen Privatrecht. Börner, Anna, geb. Epner (1836–1910). Mutter von → Katharina (Käthe) Börner; Witwe des Berliner Arztes Paul Börner. Börner, Katharina (Käthe) (4.10.1873–?.12.1961). Tochter von → Anna Börner.

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Braun, Heinrich (23.11.1854–8.2.1927). Sozialpolitiker und Publizist. 1881 Promotion zum Dr. phil. in Halle. 1883 mit Karl Kautsky und → Wilhelm Liebknecht Mitbegründer der „Neuen Zeit“; 1888–1903 Herausgeber des „Archivs für soziale Gesetzgebung und Statistik“ („Brauns Archiv“), das er 1903 an Edgar Jaffé verkaufte, der es mit Max Weber und Werner Sombart unter dem Titel „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ weiterführte; 1892–95 Herausgeber des „Sozialpolitischen Centralblattes“, 1905–07 der „Neuen Gesellschaft“ und 1911–13 der „Annalen für Sozialpolitik und Gesetzgebung“. 1903–04 MdR (Sozialdemokratische Partei). Max Weber veröffentlichte Beiträge sowohl im „Sozialpolitischen Central­ blatt“ als auch im „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“. Brentano, Lujo (Ludwig Josef) (18.12.1844–9.9.1931). Nationalökonom. 1866 Promotion zum Dr. jur. utr. in Heidelberg, 1867 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen, 1871 Habilitation in Berlin, 1872 a. o., 1873 o. Professor für Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und Wirtschaftsgeschichte in Breslau, 1882 in Straßburg, 1888 in Wien, 1889 in Leipzig und 1891–1914 in München. Mit seinen zahlreichen Arbeiten bedeutender Vertreter der jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie. 1872 Mitbegründer des Vereins für Socialpolitik und Mitglied in dessen Ausschuß, führender „Kathedersozialist“, unternahm den Versuch einer wissenschaftlichen Begründung von Sozialpolitik; gewerkschaftsfreundliche und freihändlerische Ansichten. Seit 1893 persönliche Beziehungen zu Max Weber, den er trotz eines Zerwürfnisses im Jahr 1912 als Nachfolger auf seinen Lehrstuhl vorschlug; 1919 trat Max Weber die Nachfolge an. Brunner, Anna, geb. von Tiedemann (13.4.1848–13.12.1912). Seit 1876 verheiratet mit → Heinrich Brunner. Brunner, Heinrich (21. oder 22.6.1840–11.8.1915). Österreichischer Jurist und Rechtshistoriker. 1861–63 Mitglied des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 1864 Promotion zum Dr. jur. in Wien, 1865 Habilitation und Privatdozent für Deutsches Privatrecht und Deutsche Rechtsgeschichte ebd., 1866 a. o. Professor, 1868 o. Professor in Lemberg, 1870 in Prag, 1872 in Straßburg und von 1873–1915 als Nachfolger Carl Gustav Homeyers in Berlin; seit 1887 Leiter der Leges-Abteilung der „Monumenta Germaniae Historica“ und seit 1887 Mitherausgeber der „Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte“. Führender Erforscher der germanisch-fränkischen und frühen deutschen Rechtsgeschichte; gilt als Begründer der modernen deutsch-rechtshistorischen Forschung. Akademischer Lehrer Max Webers in Berlin. Buchenberger, Adolf (18.5.1848–20.2.1904). Nationalökonom. Seit 1878 im Handels- und seit 1881 im Innenministerium von Baden tätig; auf seine Anregung hin wurde 1882 eine Erhebung über die Gesamtlage der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung durchgeführt; Neuordnung der Domä-

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nenpolitik; 1893–1904 badischer Finanzminister; Mitarbeit an → Adolph Wagners „Lehr- und Handbuch der politischen Ökonomie“. Bulle, Constantin (30.3.1844–31.7.1905). Pädagoge, Historiker und nationalliberaler Politiker. 1853–62 Studium der Philologie und Geschichte in Jena und Bonn, 1879–92 Gymnasiallehrer bzw. -direktor, 1892–1905 Schulrat in Bremen. 1872 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft; 1884 Mitbegründer der Deutsch-freisinnigen Partei; 1887–90 MdR; positionierte sich auf der Seite von → Hermann Baumgarten in dessen Kontroverse mit → Heinrich von Treitschke. Bunge, Eduard (Édouard-Gustave) (16.10.1851–18.11.1927). Kaufmann und Industrieller. 1884 Nachfolger seines Vaters Carl Gustav Bunge in der Leitung von Bunge & Co.; gründete Niederlassungen der Firma in Nord- und Südamerika, v. a. in Argentinien, engagierte sich geschäftlich im Kongo und diversifizierte das Geschäft (Transport, Agrarindustrie, Banken). Sohn von Max Webers Tante → Laura Bunge. Bunge, Laura, geb. Fallenstein (5.8.1820–21.8.1899). Tochter von Georg Friedrich Fallenstein aus dessen erster Ehe mit Elisabeth Fallenstein, geb. Benecke, und Halbschwester von → Helene Weber; verheiratet mit dem Kaufmann Carl Gustav Bunge (1811–1884). Tante von Max Weber. Caprivi, Leo Graf von (24.2.1831–6.2.1899). Politiker. 1871 Abteilungsleiter im Kriegsministerium, 1878 Brigadekommandeur, 1883–88 Chef der kaiserlichen Admiralität; 20.3.1890 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident; als Verfechter eines „Neuen Kurses“ setzte er zwischen 1892–94 eine Reihe von Handelsverträgen durch, die den Abbau des agrarstaatlichen Protektionismus und die industriestaatliche Entwicklung Deutschlands förderten; 22.3.1892 Rücktritt als preußischer Ministerpräsident; 26.10.1894 Rücktritt als Reichskanzler wegen Differenzen mit Wilhelm II. und dem hochkonservativen preußischen Ministerpräsidenten → Botho Graf zu Eulenburg über die sog. „Umsturzvorlage“. Carlowitz, Albrecht von (26.7.1837–25.3.1924). Militär. 1887 Oberst und Regimentskommandeur des 2. Niederschlesischen Infanterieregiments; 1889 Kommandant von Wesel, 1890 Generalmajor ebd. Carls oder Carl (?–?). Möglicherweise ein Photograph oder ein photographisches Atelier; im Adreßbuch weder für Berlin noch Charlottenburg nachgewiesen. Cartesius, Renatus (eigentlich: René Descartes) (31.3.1596–11.2.1650). Französischer Philosoph und Naturwissenschaftler. Begründer des frühneuzeitlichen Rationalismus („cogito ergo sum“). Neben seinen philosophi-

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schen Leistungen auch als Mathematiker bedeutsam (analytische Geometrie). Castendyk, Albert Hermann (12.10.1864–?). Offizier. Verheiratet mit → Anna Castendyk. Castendyk, Anna, geb. Möller (22.3.1873–7.9.1915). Heiratete am 30.3.1894 → Albert Hermann Castendyk; Tochter von Max Webers Cousine → Hertha Möller und ihrem Mann → Karl Möller. Cegielska, Albertyna Gräfin, geb. Niez´ychowska (1857–24.2.1894). Cignani, Carlo (15.5.1628–6.9.1719). Italienischer Barockmaler; gehörte zur Bologneser Schule. Cohn, Fritz (22.1.1864–14.2.1936). Verlagsbuchhändler. Kaufmännische Ausbildung in Hamburg und New York; 1893 Mitinhaber der Verlagsbuchhandlung F. Fontane & Co., gründete 1903 die Firma Egon Fleischel, die 1921 mit der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart-Berlin fusionierte. Schulfreund von Max Weber. Corvilain, Joseph Ferdinand (14.7.1829–18.4.1907). Belgischer Unternehmer. Inhaber einer Munitionsfabrik in Antwerpen. Cosack, (Carl Albrecht) Konrad (12.3.1855–27.12.1933). Jurist. 1882 Habilitation in Berlin, 1882–85 Landgerichtsrat und Vorsitzender der Kammer für Handelssachen in Bonn, 1885 a. o. Professor für Deutsches Recht in Berlin, 1889 o. Professor in Gießen, 1893 in Freiburg i. Br. und 1896–1915 in Bonn, seit 1918 Honorarprofessor in München. Lehrte in Freiburg auch Handelsrecht; Kollege Max Webers ebd. Cosel, Anna (?–?). Erzieherin. Arbeitete als Gesellschafterin bei der Familie von → Clara und → Ernst Rohnert; Patentante von deren Tochter → Dorothea Emma Lili Marianne Rohnert. Dernburg, Heinrich (3.3.1829–23.11.1907). Jurist. 1850 Promotion zum Dr. jur. in Gießen, 1851 Habilitation in Heidelberg, 1854 a. o. Professor in Zürich als Nachfolger → Theodor Mommsens, 1855 o. Professor ebd., 1862 o. Professor für Römisches Recht in Halle, 1873 o. Professor des Römischen und Preußischen Rechts in Berlin. Seit 1873 MdprHH auf Lebenszeit und Kronsyndikus. Einer der Begründer der „Kritischen Zeitschrift für die gesamte Rechtswissenschaft“; zahlreiche Arbeiten zum römischen, preußischen und deutschen bürgerlichen Recht. Akademischer Lehrer von Max Weber in Berlin. Descartes, René → Cartesius, Renatus

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Dieterici, Wilhelm Johannes (19.12.1861–?). Offizier. Schüler am Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Charlottenburg; Jugendfreund und 1882 Mitabiturient Max Webers. Dilthey, Clara (3.2.1877–1967). Tochter von → Katharina (Käthe) und → Wilhelm Dilthey; heiratete 1908 den Philosophen Georg Misch (1878–1965). Dilthey, Katharina (Käthe), geb. Püttmann (25.10.1854–?). Seit 1874 verheiratet mit → Wilhelm Dilthey; Mutter von → Clara Dilthey. Dilthey, Wilhelm (19.11.1833–1.10.1911). Philosoph. 1864 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1864 Habilitation ebd., 1866 o. Professor in Basel, 1868 in Kiel, 1871 in Breslau, 1882–1905 Professor für Philosophie und Ästhetik in Berlin; Arbeiten zur Geistesgeschichte der Neuzeit sowie zur Theorie der Geisteswissenschaften. Gehörte zum engeren Freundeskreis von → Maximilian (Max) Weber sen. Dittmar, Frl. (?–?). Nachbarin oder Hausangestellte der Familie Weber in Charlottenburg. Dohn oder Döhn, Frl. (?–?). Schülerin von → Adolf Meyer. Doll, Karl Wilhelm (10.9.1827–25.2.1905). Evangelischer Theologe. 1864 badischer Hofprediger, 1874 Oberhofprediger, 1877 Mitglied des Oberkirchenrats, Prälat, Hofdekan und Mitglied der Ersten Kammer des badischen Landtags; 1861–94 Mitglied und 1876–94 Vizepräsident der badischen Generalsynode. Dreyer, Selma Marie Friedericke Caroline, geb. Petersen (9.5.1840–?). Seit 1865 verheiratet mit dem Theologen Otto Dreyer, Superintendent in Gotha. Eck, Ernst (21.8.1838–6.1.1901). Jurist. 1860 Promotion zum Dr. jur. in Berlin, 1866 Habilitation für Römisches Recht in Berlin, 1871 a. o. Professor, 1872 o. Professor in Gießen, 1873 in Halle, 1877 in Breslau, 1881 in Berlin. Seit 1888 Mitglied der Berliner juristischen Gesellschaft, seit 1893 Mitglied des Vorstandes. Während Max Webers Promotionsverfahren Dekan der Berliner Juristischen Fakultät und Gutachter seiner romanistischen Exegese. Egidy, Christoph Moritz von (29.8.1847–29.12.1898). Preußischer Offizier und Publizist. 1890 Veröffentlichung seiner Schrift „Ernste Gedanken“, in der er die kirchlichen Dogmen und die christlichen Wundererzählungen verwarf; daraufhin im gleichen Jahr Ausschluß aus dem Militärdienst; andererseits wegen der darin enthaltenen Aufforderung zu einer religiösen Neubelebung des Christentums eine große Anhängerschaft, gerade in soziali­

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stischen und pazifistischen Kreisen. Herausgeber der Zeitschriften „Das einige Christentum“ (seit 1892) und „Versöhnung“ (seit 1894). Eitel Friedrich von Preußen (7.7.1883–8.12.1942). Prinz von Preußen. Zweiter Sohn von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau → Auguste Victoria. Elise (?–?). Pflegetochter von → Otto Baumgarten. Lebte später in der Gustav-Werner-Stiftung zum Bruderhaus in Reutlingen. Enke, Alfred (12.8.1852–4.5.1937). Verleger. Ausbildung zum Verlagsbuchhändler, Stationen bei verschiedenen Verlagen in Deutschland und Österreich; 1874 Übernahme des väterlichen Verlags Ferdinand Enke und Verlegung des Verlagssitzes nach Stuttgart; baute den Verlagsbereich Medizin aus und nahm u. a. die Sozialwissenschaften in das Verlagsprogramm auf. Erdmannsdörffer, Bernhard (24.1.1833–1.3.1901). Historiker. 1857 Promotion zum Dr. phil. bei Johann Gustav Droysen in Jena, 1858 Habilitation ebd., 1863 Lehrer und 1869 a. o. Professor an der Kriegsakademie in Berlin, 1871 o. Professor in Greifswald, 1873 in Breslau, 1874 als Nachfolger von → Heinrich von Treitschke in Heidelberg. Akademischer Lehrer von Max Weber ebd. Ernst, Friedrich (12.12.1840–27.9.1915). Jurist. Rechtsanwalt am Landgericht I und Notar in Berlin. Ernsthausen, Adolf Ernst von (14.3.1827–19.8.1894). Preußischer Beamter und Politiker. 1854 kommissarischer Landrat in Geldern, 1857 in Moers; 1866 Regierungsvizepräsident in Königsberg, 1870 Regierungspräsident in Trier; 1879 Oberpräsident der Provinz Westpreußen; am 10.9.1888 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Eulenburg, Botho Graf zu (31.7.1831–5.11.1912). Preußischer Politiker. 1869 Regierungspräsident in Wiesbaden, 1872 Bezirkspräsident von Lothringen, 1873 Oberpräsident von Hannover; 1878–81 preußischer Innenminister (maßgeblicher Anteil an der Ausarbeitung des Sozialistengesetzes), 1882 Rücktritt wegen Differenzen mit Otto von Bismarck hinsichtlich der Gemeindereform; 1881 Oberpräsident von Hessen-Nassau; von März 1892 bis 1894 preußischer Ministerpräsident, seit August 1892 zugleich preußischer Innenminister (1894 Mitwirkung an der sog. „Umsturzvorlage“). 1863–70 und 1879–81 MdprAH; 1867 Mitglied im Reichstag des Norddeutschen Bundes; seit 1899 MdprHH (Konservative Partei). Evert, Georg (4.11.1856–27.4.1914). Preußischer Verwaltungsbeamter und Statistiker. 1883 Regierungsassessor; 1885–1900 Mitglied des und 1900 Oberregierungsrat und stellvertretender Direktor im Kgl. Preußischen Statistischen Bureau (seit 1905 Preußisches Statistisches Landesamt), seit

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1911 dessen Präsident; Mitglied der „kleinen staatswissenschaftlichen Gesellschaft“ (Max Webers Berliner informeller Donnerstagskreis) und der Staatswissenschaftlichen Vereinigung; 1893 Gast bei der Hochzeit von Max und → Marianne Weber. Fabricius, Ernst (9.7.1858–22.3.1942). Althistoriker. 1881 Promotion zum Dr. phil. in Straßburg, 1886 Habilitation in Berlin, 1888 a. o. Professor, 1894– 1939 o. Professor für Alte Geschichte in Freiburg i. Br. Grundlegende Arbeiten zur Limesforschung und zur griechischen Frühgeschichte. Fallenstein, Emil (9.6.1849–23.12.1906). Kaufmann. In die Vereinigten Staaten ausgewanderter Sohn von → Helene Webers Halbbruder Roderich Fallenstein (sen.); lebte zunächst in Oak Ridge und Mount Airy, North Carolina, betrieb dann den Kurzwarenhandel „Fallenstein & Haralson“ in Austin, Texas. Fallenstein, Frank Theodore (21.6.1858–15.10.1929). Farmer, lebte in den Vereinigten Staaten. Sohn von → Helene Webers Halbbruder Otto T. Fallenstein; Bruder von → Laura von Klock, geb. Fallenstein. Fallenstein, Friedrich (Fritz) (23.4.1822–23.11.1897) → Miller, Francis Fallenstein, Friedrich (Fritz) (12.2.1847–27.5.1928). Kaufmann. Arbeitete seit 1879 als Prokurist in Amsterdam für das von → Eduard Bunge geleitete Unternehmen Bunge & Co.; Sohn von Roderich Fallenstein (sen.), einem Halbbruder von → Helene Weber; verheiratet mit seiner Cousine → Marie Fallenstein, geb. Jolly. Vetter von Max Weber. Fallenstein, Laura → Klock, Laura von Fallenstein, Marie, geb. Jolly (5.3.1859–19.4.1936). Tochter von → Elisabeth (Betty) und → Julius Jolly; Schwester von → Elisabeth Heil, geb. Jolly, → Julius Jolly (jun.) und → Philipp Jolly; verheiratet mit ihrem Vetter, dem Kaufmann → Friedrich (Fritz) Fallenstein. Cousine von Max Weber. Fleischer, Oskar (2.11.1856–8.2.1933). Musikwissenschaftler. Nach dem Studium der alten und neuen Sprachen, Literaturgeschichte und Philosophie 1882 Promotion zum Dr. phil. in Halle, anschließend Studium der Musikwissenschaft in Berlin; 1888 Leitung der Kgl. Sammlung alter Musikinstrumente, 1892 Privatdozent, 1895 a. o. Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin; 1899 Mitbegründer der „Internationalen Musikgesellschaft“. Fließ, Johanna (Hanna), geb. Nollau (27.9.1863–?). Älteste Tochter von → Johanna und → Otto Nollau; 1884 Heirat mit → Paul Fließ, 1902 Scheidung.

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Fließ, Otto (1.3.1885–14.9.1958). Militär. Sohn von → Johanna (Hanna) und → Paul Fließ. Fließ, Paul (?–?). Militär. Verheiratet mit → Johanna (Hanna) Fließ, Schwiegersohn von → Otto Nollau. Fournier, Julie Davida (16.9.1838–?). Pädagogin. Tochter des langjährigen Pfarrers der französisch-reformierten Gemeinde in Berlin Auguste Fournier. Leiterin eines Mädchenpensionats im schweizerischen Vevey, das → Clara Weber von Nov. 1892 bis März 1893 besuchte. Frensdorff, Anna Cäcilie, geb. Deutschmann (19.12.1848–14.5.1928). Verheiratet mit → Ferdinand Frensdorff. Frensdorff, Else (12.5.1869–16.2.1932). Älteste Tochter von → Anna Cäcilie und → Ferdinand Frensdorf. Frensdorff, Ferdinand (17.6.1833–31.5.1931). Jurist und Historiker. 1857 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen, 1860 Habilitation, 1863 Privatdozent, 1866 a. o. Professor und 1873 o. Professor für Deutsches Recht ebd. Mit­ herausgeber der älteren deutschen Stadtrechte in den „Monumenta Germaniae Historica“; Forschungen zur niedersächsischen und hanseatischen Rechtsgeschichte; Verfasser zahlreicher rechtsgeschichtlicher Arbeiten. Freund von → Maximilian (Max) Weber sen.; 1885/86 Lehrer Max Webers in Göttingen. Frensdorff, Käthe (1871–?). Jüngste Tochter von → Anna Cäcilie und → Ferdinand Frensdorff. Friedrich I. von Baden (9.9.1826–28.9.1907). 1852–56 Regent, 1856–1907 Großherzog von Baden. Friedrich III. (18.10.1831–15.6.1888). Deutscher Kaiser und König von Preußen. 1858 Heirat mit → Victoria von Großbritannien und Irland; mit der Thronbesteigung seines Vaters Wilhelm I. 1861 Kronprinz Friedrich Wilhelm. Gegner der Innenpolitik seines Vaters und des Ministerpräsidenten Otto von Bismarck; seit 9.3.1888 Deutschen Kaiser und König von Preußen; galt als die „liberale Hoffnung“ Preußens und des Deutschen Kaiserreiches nach 1871, hatte die Regentschaft jedoch nur drei Monate lang inne (darum genannt: der „99-Tage-Kaiser“). Gierke, Otto Friedrich (seit 1911) von (11.1.1841–10.10.1921). Jurist und Rechtshistoriker. 1860 Promotion zum Dr. jur. in Berlin, 1867 Habilitation; 1871 a. o. Professor ebd., 1872 o. Professor in Breslau, 1884 in Heidelberg, 1887 o. Professor für Deutsches Privat- und Staatsrecht in Berlin; galt als führender Theoretiker des deutschen Genossenschaftsrechts. Beurteilte

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Max Webers germanistische Exegese im Rahmen des Promotionsverfahrens und erstellte ein Zweitgutachten zu Webers „Geschichte der Handelsgesellschaften“ im Rahmen von dessen Habilitationsverfahren. Gnauck-Kühne, Elisabeth (2.1.1850–12.4.1917). Pädagogin, Schriftstellerin und Repräsentantin der Frauenbewegung. 1867 Lehrerin am Lehrerinnenseminar in Callnberg (Sachsen), 1875 Eröffnung eines Lehr- und Erziehungsheims in Blankenburg, 1890 nationalökonomische Studien bei → Gustav Schmoller in Berlin; 1894 Mitbegründerin der „Evangelisch-sozialen Frauengruppe“ in Berlin, 1900 Konversion zum Katholizismus, 1903 Mitbegründerin des „Katholischen Frauenbundes Deutschland“. Verfaßte zahlreiche Schriften zur sozialen Stellung der Frau und zur Arbeiterinnenfrage. Gneist, Rudolf (seit 1888) von (13.8.1816–22.7.1895). Jurist und nationalliberaler Politiker. 1839 Promotion zum Dr. jur. utr., zugleich Habilitation in Berlin; 1845 außerplanmäßiger a. o., 1858 o. Professor für Zivilrecht ebd.; 1841 Assessor am Berliner Kammergericht, 1847–49 Hilfsarbeiter beim preußischen Obertribunal, 1875–95 Rat am neu errichteten preußischen Oberverwaltungsgericht; 1845–49 und 1858–75 Stadtverordneter in Berlin. 1859–93 MdprAH zunächst für das Zentrum, seit 1870 für die Nationalliberale Partei; 1867–84 MdR für die Nationalliberalen. 1851 Mitglied und seit 1869 Vorsitzender des Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen; 1872/73 Mitbegründer und erster Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik. Führender liberaler Politiker und Verwaltungsjurist seiner Zeit. Untersuchungen über die englische Gerichts- und Verwaltungsorganisation. Lehrer von Max Weber in Berlin. Goedecke, Anna Ida Henriette → Marggraff, Anna Ida Henriette Göhre, Martha (27.12.1874–1892). Schwester von → Paul Göhre. Göhre, Paul (18.4.1864–5.6.1928). Evangelischer Theologe, christlich-sozialer, später sozialistischer Politiker. 1885–88 und 1890/91 Studium der Theo­logie und Nationalökonomie in Leipzig und Berlin, 1888 Erstes und 1891 Zweites Theologisches Staatsexamen; 1888–90 Pfarrgehilfe und Redaktionshelfer bei der von → Martin Rade herausgegebenen Zeitschrift „Die christliche Welt“; 1891–94 Generalsekretär des Evangelisch-sozialen Kongresses. 1891 erschien seine auf eigenen Beobachtungen beruhende Studie „Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche“, die ihm Angriffe von orthodoxer Seite eintrug, gegen die ihn Max Weber verteidigte; 1892–1894 Durchführung der Landarbeiterenquete des Evangelisch-so­ zialen Kongresses zusammen mit Max Weber; 1894–97 Pfarrer in Frankfurt (Oder); 1896 gemeinsam mit → Friedrich Naumann Begründer des Nationalsozialen Vereins und von 1897–99 dessen zweiter Vorsitzender. Seit 1899 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei; 1910–18 MdR; 1918–19

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Unterstaatssekretär im Kriegsministerium; 1919–23 Staatssekretär im preußischen Staatsministerium. Max Weber arbeitete bis Mitte der 1890er Jahre eng mit ihm in der evangelisch-sozialen Bewegung zusammen. Göhre, Rudolph (22.6.1866–?). Tiermediziner. Bruder von → Paul Göhre; Tierarzt in Rotenburg a. d. Fulda, später in Großenhain. Goldschmidt, Levin (30.5.1829–16.7.1897). Jurist und Handelsrechtler. 1851 Promotion zum Dr. jur. in Halle, 1855 Habilitation in Heidelberg; 1860 a. o. (Titular-)Professor für Handelsrecht, Römisches Recht und Rechtsenzyklopädie, 1866–70 o. Professor für Handelsrecht und preußisches Recht ebd.; 1870–75 Rat am Bundes- bzw. Reichsoberhandelsgericht in Leipzig; 1875–97 erster Ordinarius für Handelsrecht in Berlin. 1858 Begründer und Herausgeber, später Mitherausgeber der „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“: 1875–77 MdR (Nationalliberale Partei). Begründer der modernen Handelsrechtswissenschaft. Bedeutsam für die Forschung zum mittelalterlichen Recht der Handelsstädte ist seine „Universalgeschichte des Handelsrechts“ (1891). Befreundet mit der Familie Weber; akademischer Lehrer und Doktorvater von Max Weber. Goßler, Gustav von (13.4.1838–29.9.1902). Preußischer Politiker. 1865–74 Landrat des Kreises Darkehmen; 1879 Unterstaatssekretär im preußischen Unterrichtsministerium, 1881 Reichstagspräsident und preußischer Unterrichtsminister. Seit 1877 MdR (Deutschkonservative Partei). Graeber, Georg (8.7.1863–?.3.1945). Jurist. 1894 Amtsrichter in Graudenz, 1899 am Amtsgericht I in Berlin, 1907 Kammergerichtsrat ebd.; seit 1928 im Ruhestand. Graef, Botho (12.10.1857–9. 4.1917). Archäologe und Kunsthistoriker. Studium in Berlin und Greifswald, Forschungsreisen nach Italien, Griechenland, Kleinasien; 1890 Privatdozent in Berlin, 1904 a. o. Professor für klassische Archäologie und Kunstgeschichte in Jena. Grafe (?–?). Sohn von → Anna und → Eduard Grafe, Bruder von → Erich Grafe. Grafe, Anna, geb. Weidenbusch (1859–1938). Seit 1880 verheiratet mit → Eduard Grafe. Grafe, Eduard (12.3.1855–16.6.1922). Evangelischer Theologe. 1880 Promotion in Tübingen, 1884 Habilitation im Fach Neues Testament in Berlin, 1886 a. o. Professor in Halle, 1888 o. Professor in Kiel, 1889 in Straßburg, 1890–1913 in Bonn. Befreundet mit → Otto Baumgarten.

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Grafe, Erich (24.2.1881–16.5.1958). Mediziner. 1904 Promotion zum Dr. med. in Bonn, 1910 Habilitation in Heidelberg, 1916 a. o. Professor ebd.; während des Ersten Weltkriegs u. a. im Reservelazarett ebd. tätig; 1921 o. Professor in Rostock, 1926–45 und 1948–52 in Würzburg. Sohn von → Anna und → Eduard Grafe. Grimm, (Georg) Rudolf (31.3.1830–13.11.1889). Jurist, Philologe und Schriftsteller. Preußischer Regierungsrat; Sohn von Wilhelm Grimm. Gropius, Bertha Antonie → Martens, Bertha Antonie Groß, Ferdinand (1848–6.3.1907). Fabrikant, Kommerzienrat. Fabrikdirektor der Baumwollspinnereien in Kollnau (Baden) und Augsburg. Schwiegersohn von → Karl Wilhelm Doll. Großkreutz, Carl (Karl) (14.7.1868–12.11.1914). Jurist. Um 1907 kgl. Regierungsrat in Johannisburg, Ostpreußen, später Generalsyndikus der ostpreußischen Landschaftsbehörde in Königsberg. Mitschüler von → Karl Weber. Grotefend, Ernst Heinrich Hermann (18.1.1845–26.5.1931). Archivar und Historiker. 1870 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen. 1870 im Staatsarchiv Breslau, 1876 im Stadtarchiv Frankfurt a. M., seit 1887 Leiter des Staatsarchivs Schwerin; 1885–87 Vorstand des Frankfurter Vereins für Geschichte und Altertumskunde; seit 1888 erstmaliger Herausgeber von Archivinventaren. Bekannt durch sein „Handbuch der historischen Chronologie“ (seit 1872). Grunow, Johannes (11.10.1845–1.4.1906). Verlagsbuchhändler und Redakteur. Seit 1877 Leiter des von seinem Vater Friedrich Wilhelm Grunow ererbten Verlags, seit 1878 auch Redakteur der Zeitschrit „Die Grenzboten“; Verleger von Schriften → Paul Göhres und der von → Otto Baumgarten herausgegebenen Reihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“. Häberle, Friedrich (16.2.1842–4.8.1907). Schlossermeister. Eigentümer des Hauses Schillerstraße 22, in dessen Wohnung Max und → Marianne Weber in Freiburg i. Br. wohnten. Hagen, Anna Christina, geb. Claussen (15.7.1831–17.7.1905). Mutter von → Werner Hagen; Seit 1858 verheiratet mit dem langjährigen Berliner Stadtrat Adolf Hagen (1820–1894); Mutter von → Johanna und → Werner Hagen. Hagen, Johanna (4.3.1868–?). Schwester von → Werner Hagen, seit 1897 verh. Emck.

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Hagen, Werner (22.5.1864–9.1.1921). Jurist. Seit 1890 im preußischen Justizdienst, seit 1896 konsularische Laufbahn im Auswärtigen Dienst; seit 1898 als kommissarischer Leiter in Yokohama, 1902 Vizekonsul, 1905 Legationsrat, 1907 Konsul in Philadelphia, 1910 in London; 1911 Rückkehr in den preußischen Staatsdienst, Geh. Regierungsrat, 1915 Geh. Oberregierungsrat im Ministerium für Handel und Gewerbe. Gehörte zum Berliner Freundeskreis von Max Weber. Halbey, Theodor (14.7.1833–24.1.1896). Regierungsbeamter. Seit 1883 im Ministerium des Innern, 1884 Geh. Rat, 1888 Geh. Oberregierungsrat ebd.; Mitglied des Gerichtshofes zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten. Sein hauptsächliches Arbeitsfeld waren Angelegenheiten der Stadt- und Landgemeinden sowie die Organisation der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden. Hartmann, Ludo Moritz (2.3.1865–14.11.1924). Österreichischer Historiker und Politiker. 1887 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, Schüler von → Theodor Mommsen; danach am Institut für österreichische Geschichtsforschung in Wien, 1889 Habilitation und Ernennung zum Privatdozenten für Römische und Mittelalterliche Geschichte in Wien, 1918 a. o. Professor; 1918–20 österreichischer Gesandter in Berlin; 1922 o. Professor für Geschichte in Wien. 1893 Mitbegründer und wichtigster Herausgeber der „Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte“ (seit 1903: „Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“); Mitarbeiter der „Monumenta Germaniae Historica“; seit 1890 Mitglied im Verein für Socialpolitik. Befreundet mit → Alfred und Max Weber. Mit Max Weber über gemeinsame Interessen an der römischen Geschichte verbunden. Hauptmann, Gerhart (15.11.1862–6.6.1946). Dramatiker und Schriftsteller. Bedeutender Vertreter des Naturalismus; 1912 Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Literatur. Hausrath, Adolf (Pseudonym: George Taylor) (13.1.1837–2.8.1909). Evangelischer Kirchenhistoriker. 1861 Promotion zum Lic. theol., 1862 Habilitation in Heidelberg, Stadtvikar ebd.; 1864 Assessor beim Oberkirchenrat in Karlsruhe; 1867 a. o. Professor, 1871–1906 o. Professor für Kirchengeschichte in Heidelberg. Liberaler Theologe, Mitbegründer und zeitweiliger Sekretär des 1863 gegründeten Protestantenvereins; sein wissenschaftliches Interesse galt der „neutestamentlichen Zeitgeschichte“; Verfasser kulturhistorischer und psychologisierender Biographien (u. a. von Paulus, Luther und Jesus) und unter Pseudonym von Romanen. Seit 1864 verheiratet mit → Henriette Hausrath, einer Schwester von → Helene Weber; lebte mit seiner Familie in Heidelberg im Fallensteinschen Haus, Ziegelhäuser Landstraße 40 (bis 1891 Nr.  2 3, später Nr.  17). Onkel von Max Weber.

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Hausrath, August (20.6.1865–15.5.1944). Altphilologe. 1888 Promotion zum Dr. phil. in Bonn und Staatsexamen in Baden, danach als Hauslehrer und Privatgelehrter in Italien; 1896 Gymnasialprofessor für Latein und Deutsch in Karlsruhe, 1910 in Heidelberg; 1919 Gymnasialdirektor in Wertheim und 1921–30 in Freiburg i. Br.; Sohn von → Henriette und → Adolf Hausrath. Vetter von Max Weber. Hausrath, Emilie (Mila) → Jolly, Emilie (Mila) Hausrath, Hans (5.10.1866–29.8.1945). Forstwissenschaftler. 1891 Promotion zum Dr. rer. pol. in München, 1896 Habilitation für Forstwissenschaften an der TH Karlsruhe, 1898 a. o. Professor, 1904 o. Professor ebd. und 1920–34 an der Universität Freiburg i. Br.; Sohn von → Henriette und → Adolf Hausrath. Vetter von Max Weber. Hausrath, Henriette, geb. Fallenstein (15.7.1840–17.3.1895). Schwester von → Helene Weber; seit 1864 verheiratet mit dem Kirchenhistoriker → Adolf Hausrath. Lebte mit ihrer Familie in Heidelberg im Fallensteinschen Haus, Ziegelhäuser Landstraße 40 (bis 1891 Nr.  2 3, später Nr.  17). Tante von Max Weber. Hausrath, Pauline (Paula) → Schmidt, Pauline (Paula) Heil, Elisabeth (Lieserle), geb. Jolly (2.3.1864–25.2.1937). Tochter von → Elisabeth (Betty) und → Julius Jolly; Schwester von → Marie Fallenstein, geb. Jolly, → Julius (jun.) und → Philipp Jolly; heiratete 1889 den Ministerialdirektor im badischen Innenministerium Karl Heil, der nach längerer Krankheit 1906 starb. Cousine von Max Weber. Heinrich von Preußen (14.8.1862–20.4.1929). Prinz von Preußen. Sohn von Kaiser → Friedrich III. und seiner Frau → Victoria; jüngerer Bruder von Kaiser Wilhelm II. Verlobte sich am 22.3.1887 mit Irene von Hessen, Heirat am 24.5.1888. Herbert, Anna Bertha (24.3.1876–?). Besuchte zur selben Zeit wie → Clara Weber ein Mädchenpensionat im schweizerischen Vevey. Herder, Johann Gottfried (25.8.1744–18.12.1803). Dichter, Theologe und Philosoph. Hermann (?–?). Evangelischer Militärpfarrer. 1887 Divisionspfarrer in Straßburg. Herrfurth, Ernst Ludwig (6.3.1830–14.2.1900). Preußischer Politiker. Seit 1873 im preußischen Innenministerium, 1882 Unterstaatssekretär, 1888 preußischer Minister des Innern (als Nachfolger von → Robert Viktor von Puttkamer); 1891 Vorlage einer umstrittenen Landgemeindeordnung, 1892

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Rücktritt auf konservativen Druck und wegen des Gegensatzes zum Finanzminister → Johannes Miquel; 1888–93 MdprAH (parteilos). Hesse, Clara → Scheu, Clara Hesse, Emilie → Zumbusch, Emilie Heyden-Cadow, Wilhelm von (16.3.1839–20.6.1920). Preußischer Politiker. Seit 1861 im preußischen Justizdienst, 1868 Landrat in Demmin, 1873 Landesdirektor der Provinz Pommern, 1881 Regierungspräsident in Frankfurt (Oder); 1884 Berufung in den Staatsrat; 1890–94 preußischer Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. 1877–88 MdprAH (Deutschkonservative Partei). Unterstützte die von Max Weber scharf kritisierte Öffnung der Grenzen für polnische Wanderarbeiter, die → Leo Graf von Caprivi einführte. Heynsen, Lulu (1871?–23.1.1900). Konzertsängerin und Gesangslehrerin in Berlin. Hinck, Werner (?–?). Jugendfreund von → Karl Weber. Hinschius, Paul (15.12.1835–13.12.1898). Jurist, Kirchenrechtler und Politiker. 1855 Promotion zum Dr. jur. in Berlin, 1859 Habilitation ebd., 1863 a. o. Professor für Kirchenrecht, Deutsches Recht und Zivilprozeß in Halle, 1865 in Berlin, 1868 o. Professor für Kirchen- und Staatsrecht in Kiel, 1872 in Berlin. 1872–78 und 1889/90 MdR (Nationalliberale Partei), 1871/72 und 1889–98 MdprHH. Einflußreicher Berater der preußischen Regierung im „Kulturkampf“; gab die erste kritische Ausgabe der Pseudoisidorischen Dekretalen (1863) heraus und verfaßte ein vielbändiges, nicht abgeschlossenes Kirchenrechtslehrbuch sowie zahlreiche Studien zum Patronatsrecht, auf die sich Max Weber in seiner kanonistischen Exegese stützte. Hinzpeter, Georg Ernst (9.10.1827–29.12.1907). Pädagoge. 1847–50 Studium der Philosophie und klassischen Philologie in Halle und Berlin, Promotion in beiden Fächern; seit 1850 Hauslehrer, seit 1866 Erzieher von Prinz Wilhelm von Preußen, dem späteren Kaiser Wilhelm II.; 1888 Berater des Kaisers; Geh. Oberregierungsrat. Hirsch, Wilhelm (22.8.1861–1.10.1918). Wirtschaftsfunktionär und Politiker. 1895–97 Tätigkeit für den Centralverband Deutscher Industrieller in Berlin; 1897–1911 Geschäftsführer der Handelskammer Essen, 1911 Syndikus der Vereinigten Handelskammer für die Kreise Essen, Mülheim und Oberhausen sowie der Vereinigung der Handelskammern des niederrheinisch-westfälischen Industriebezirks. 1901–18 MdprAH, 1916–18 MdR (Nationalliberale Partei, Repräsentant des rechten, schwerindustriellen Flügels). Mit Max Weber während dessen Berliner Zeit befreundet und Mitglied der „kleinen

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staatswissenschaftlichen Gesellschaft“ (Max Webers Berliner informeller Donnerstagskreis). Trug mit bei zu der Reihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“. Hoeniger, Anna Gertrud, geb. Albrecht (?–?). Verheiratet mit → Robert Hoeniger, Mutter von → Walter Hoeniger. Hoeniger, Robert (27.6.1855–23.10.1929). Historiker und Publizist. 1881 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1885 Habilitation; 1888 Geschichtslehrer an der Kriegsakademie; 1894 a. o. (Titular-)Professor an der Universität in Berlin, 1906 Dozent an der Handelshochschule, 1920 o. Honorarprofessor für Geschichte an der Universität ebd. Befaßte sich mit der Erforschung des Deutschtums im Ausland. Bekannter Max Webers aus den 1880er Jahren in Berlin. Hoeniger, Walter (9.7.1890–1957). Jurist. Sohn von → Anna und → Robert Hoeniger. Hoffmann, Reinhold (10.11.1844–6.1.1910). Jurist. 1865 Kammergerichts-Auskulator beim kgl. Kreisgericht in Berlin, 1875 Wechsel zur allgemeinen Staatsverwaltung, 1875 Regierungsassessor in Schleswig und Danzig, 1887–89 ständiges Mitglied des Reichsversicherungsamtes Berlin, Geh. Regierungsrat. Wie Max Weber „Philister“ der Burschenschaft Allemannia. Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu (31.3.1819–6.7.1901). Politiker. 1842 Eintritt in den preußischen Staatsdienst, 1866–70 bayerischer Ministerpräsidenten und Außenminister, 1874 deutscher Botschafter in Paris, 1880 Staatssekretär im Auswärtigen Amt; 1885 kaiserlicher Statthalter für Elsaß-Lothringen; 1894–1900 deutscher Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. 1868–71 Mitglied des Zollparlaments, 1871–81 MdR (Liberale Reichspartei, ab 1874 Deutsche Reichspartei). Homeyer (?–?). Studienfreund und Teilnehmer an Max Webers Charlottenburger Skatrunde. Hübner, Rudolf (19.9.1864–7.8.1945). Rechtshistoriker. 1888 Promotion zum Dr. jur., 1895 Habilitation, a. o. Professor in Bonn, 1904 o. Professor in Rostock, 1913 in Gießen, 1918 in Halle, 1921 in Jena. Hauptwerk: „Grundzüge des deutschen Privatrechts“ (1908), Mitautor und -herausgeber der „Deutschen Rechtsaltertümer“. Bekannter von Max Weber, absolvierte seinen Vorbereitungsdienst wie dieser am Landgericht II Berlin. Huffmann, Moritz (21.2.1847–18.12.1921). Seit 1870 verheiratet mit Max Webers Cousine Marie Huffmann, geb. Bunge (1848–1934).

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Hugo, Victor (26.2.1802–22.5.1885). Französischer Dichter. Huth, Johanna → Nollau, Johanna Ibsen, Henrik (20.3.1828–23.5.1906). Norwegischer Dichter und Dramatiker. Nach romantischen, national betonten Dichtungen Wendung zum Naturalismus und zu radikaler Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und der bürgerlichen Moral. Jabłonowski, Albert (Albrecht) von (18.7.1844–?). Militär. 1891 Major und Bataillonskommandeur im 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47, dem Max Weber angehörte; 1894 Kommandeur des Landwehrbezirks Muskau, 1908 Oberleutnant a.D. Jaffé, Alfred Leopold (27.4.1859–27.5.1918) Kaufmann. Älterer Bruder des mit Max Weber später freundschaftlich und kollegial verbundenen Edgar Jaffé (1866–1921); entstammte wie dieser der zweiten Ehe von Isaac Joseph Jaffé mit Charlotte Rose Jaffé, geb. Beer. Mitglied der „kleinen staatswissenschaftlichen Gesellschaft“ (Max Webers Berliner informeller Donnerstagskreis). Jaffé, Helen, geb. Przedecka (3.8.1871–?). Seit 19.7.1891 verheiratet mit → Alfred Leopold Jaffé. Jastrow, Ignaz (13.9.1856–2.5.1937). Historiker und Nationalökonom. 1878 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen, 1885 Habilitation für Geschichte in Berlin und 1892 für Staatswissenschaften ebd.; 1895 Privatdozent in Berlin, 1905 a. o. Professor, 1920 o. Professor an der Handelshochschule Berlin, 1906–09 deren erster Rektor. Herausgeber und Begründer der Zeitschriften „Soziale Praxis“ und „Berliner Jahrbuch für Handel und Industrie“. Arbeiten zur Sozialpolitik und nationalökonomischen Theorie sowie zur Geschichte. Joachim von Preußen (17.12.1890–18.7.1920). Prinz von Preußen. Sechster Sohn von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau → Auguste Victoria. Jolly, Elisabeth (Betty), geb. Fallenstein (27.8.1827–1901). Halbschwester von → Helene Weber; seit 1852 verheiratet mit → Julius Jolly. Tante von Max Weber. Jolly, Elisabeth (Lieserle) → Heil, Elisabeth (Lieserle) Jolly, Emilie (Mila), geb. Hausrath (10.9.1870–25.2.1934). Tochter von → Henriette und → Adolf Hausrath; heiratete am 8.4.1893 → Philipp Jolly; seit 1905 nervenleidend. Cousine von Max Weber.

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Jolly, Julius (21.2.1823–14.10.1891). Badischer Politiker. 1866 badischer Innenminister, 1868–76 Ministerpräsident. Seit 1852 verheiratet mit → Elisabeth (Betty) Jolly. Onkel von Max Weber. Jolly, Julius (jun.) (5.1.1856–20.2.1898). Jurist und Publizist. 1884 Zweites Juristisches Staatsexamen, anschließend Amtsanwalt in Karlsruhe, dann Amtsrichter in Pforzheim, 1887–95 Staatsanwalt in Waldshut, Offenburg, Mannheim und Karlsruhe; seit 1896 Chefredakteur der Münchener „Allgemeinen Zeitung“. Sohn von → Elisabeth (Betty) und → Julius Jolly; Bruder von → Elisabeth (Lieserle) Heil, geb. Jolly, → Marie Fallenstein, geb. Jolly, und → Philipp Jolly; seit 1886 verheiratet mit Julie Jolly, geb. Nicolai. Vetter von Max Weber. Jolly, Ludwig (seit 1887) von (12.3.1843–30.7.1905). Jurist. 1869 Promotion zum Dr. jur. in München; 1874–1905 o. Professor für Verwaltungsrecht und Polizeiwissenschaft in Tübingen, 1890/91 Rektor der Universität ebd. Mitglied der Heidelberger Burschenschaft Allemannia; Neffe von Max Webers Onkel → Julius Jolly. Jolly, Marie → Fallenstein, Marie Jolly, Philipp (7.10.1857–19.11.1923). Badischer Verwaltungsbeamter. Oberamtmann in Heidelberg, Amtsvorstand in Alt-Breisach, Weinheim/Bergstaße und Pforzheim, Landrat in Heidelberg; 1909–22 Stadtdirektor in Heidelberg; Sohn von → Elisabeth (Betty) und → Julius Jolly; Bruder → Elisabeth Heil, geb. Jolly, → Marie Fallenstein, geb. Jolly, und → Julius Jolly (jun.); heiratete 1893 → Emilie (Mila) Jolly, geb. Hausrath. Vetter von Max Weber. Kablé, Jacques (7.5.1830–7.4.1887). Versicherungsdirektor, Jurist und Politiker. 1853 Rechtsanwalt am Landgericht Straßburg, 1859–81 Versicherungsdirektor; 1871 Mitglied der französischen Nationalversammlung, seit 1878 MdR für den Wahlkreis Elsaß-Lothringen 8 (Straßburg) und der Elsässischen Protestpartei; 1879 Gründung der „Presse für Elsaß und Lothringen“. Kaerger, Karl (2.10.1858–29.9.1903). Jurist und Nationalökonom. 1882 Promotion zum Dr. jur. in Straßburg, 1883/84 Eintritt in das Staatswissenschaftliche Seminar ebd.; 1886 Forschungsreise nach Südamerika, 1887 nach Ostafrika; 1891 Privatdozent an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin, 1892 Mitarbeit an der Auswertung der Landarbeiterenquete des Vereins für Socialpolitik, 1895 landwirtschaftlicher Sachverständiger bei der deutschen Gesandtschaft in Buenos Aires, 1899/1900 in Mexiko; 1900 Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin. Arbeiten zur ländlichen Arbeiterfrage, zur Saisonarbeit („Sachsengängerei“) sowie zu Landwirtschaft und Kolonisation in Lateinamerika und Mexiko. Gehörte zum Freundeskreis Max Webers in Berlin.

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Kawerau, Gustav (25.2.1847–1.12.1918). Evangelischer Theologe. Seit 1871 Pastor; 1886 o. Professor für Praktische Theologie in Kiel, 1894 in Breslau; seit 1901 Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte. Keibel, Franz (6.7.1861–27.4.1929). Anatom und Zoologe. 1887 Assistent am Anatomischen Institut in Straßburg, 1889 Habilitation und Prosektor am Anatomischen Institut in Freiburg i. Br.; 1892 a. o. Professor, 1900 planmäßiges Extraordinariat, 1912 o. Honorarprofessor ebd.; 1914–18 o. Professor in Straßburg, dann in München und Königsberg, 1922–29 Direktor des anatomisch-biologischen Instituts in Berlin. Bruder von → Sophie Rickert, geb. Keibel, und Schwager von → Heinricht Rickert; heiratete am 25.9.1887 → Susanna Keibel, geb. Wehrenpfennig. Keibel, Susanna, geb. Wehrenpfennig (11.6.1864–29.1.1919). Heiratete 1887 den Anatomen → Franz Keibel; älteste Tochter von → Wilhelm Wehrenpfennig; Schwägerin von → Sophie und → Heinrich Rickert. Kempner, Friederike (25.6.1828–23.2.1904). Schriftstellerin und Sozialreformerin. Tochter eines Gutsbesitzers in Schlesien, setzte sich erfolgreich für Reformen im Bestattungswesen und im Strafvollzug ein. Auch bekannt als Lyrikerin („Gedichte“, 1873) und als Verfasserin von Novellen und Trauerspielen. Wegen des Sprachstils ihrer Lyrik vielfach kritisiert und verspottet, aber auch populär. Kessel, Gustav von (6.4.1846–28.5.1918). Militär. 1883–89 Adjutant des Kronprinzen Friedrich Wilhelm und späteren Kaisers → Friedrich III. sowie von dessen Sohn, des späteren Kaisers Wilhelm II.; 1909–18 Oberbefehlshaber in den Marken und Gouverneur von Berlin. Keyßner, Hugo (17.11.1827–4.9.1905). Jurist und Handelsrechtler. Promotion zum Dr. jur., 1873 Kammergerichtsrat in Berlin; seit 1873 Mitherausgeber der „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“; 1892/93 Sachverständiger der Börsenenquetekommission (Handelsrecht). Kierkegaard, Søren (5.5.1813–11.11.1855). Dänischer Philosoph und Theologe. Klock, Laura von, geb. Fallenstein (30.5.1863–1930). Tochter von → Helene Webers Halbbruder Otto T. Fallenstein aus dessen zweiter Ehe mit Elisabeth Fallenstein, geb. Campbell; lebte nach dem Tod ihrer Eltern zeitweise bei der Familie von → Hermann und → Ida Baumgarten in Straßburg; emigrierte 1887 in die Vereinigten Staaten und heiratete am 31.8.1889 in Boston → Max Otto von Klock; Schwägerin von → Otto Baumgarten. Klock, Max(imilian) Otto (Johann Heinrich) von (17.1.1864–12.3.1934). Buchhändler, Übersetzer und Familienforscher. 1883–85 Studium der

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Medizin (bis zum Physikum) und der orientalischen Sprachen in Freiburg und Greifswald; 1885 Auswanderung in die Vereinigten Staaten, Buchhändler in Boston, 1891 in London, 1899 Gründung eines Übersetzungsbüros; 1909 Vizekonsul und 1913 Honorarkonsul von Uruguay, geschäftsführender Kanzler des Konsuls von Costa Rica, geschäftsführender Konsul von Ecuador u. a.; 1914 Sekretär des German Relief-Fund of Boston and Vicinity, Funktion in der National German-American Alliance. Seit 1889 verheiratet mit → Laura von Klock, geb. Fallenstein. Knapp, Georg Friedrich (7.3.1842–20.2.1926). Nationalökonom, Statistiker und Agrarhistoriker. 1865 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen; 1867 Direktor des Statistischen Bureaus der Stadt Leipzig, daneben seit 1869 a. o. Professor für Statistik an der Universität Leipzig, 1874−1918 o. Professor für Nationalökonomie und Statistik in Straßburg. Gründungsmitglied des Vereins für Socialpolitik; Vertreter der jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie. Aufgrund seines Werkes über die Bauernbefreiung (1887) galt er als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der preußischen Agrarentwicklung. Seit Beginn der 1890er Jahre mit Max Weber bekannt; 1896 zunächst, anstelle von diesem, als Nachfolger von → Karl Knies in Heidelberg vorgesehen. Knies, Karl (29.3.1821–3.8.1898). Nationalökonom. 1846 Promotion zum Dr. phil. und im selben Jahr Habilitation in Marburg, 1849 Dozent an der Polytechnischen Schule in Kassel, 1852 Lehrer an der Kantonsschule in Schaffhausen (Schweiz); 1855 o. Professor für Kameralwissenschaften in Freiburg i. Br., 1865–96 für Staatswissenschaften in Heidelberg. Zusammen mit Wilhelm Roscher und Bruno Hildebrand einer der Begründer der Historischen Schule der deutschen Nationalökonomie. 1861 Abgeordneter der Zweiten Badischen Kammer, 1882 Vizepräsident der Ersten Badischen Kammer. Max Weber übernahm 1897 seinen Lehrstuhl in Heidelberg. Kohler, Josef (9.3.1849–3.8.1919). Jurist. 1873 Promotion zum Dr. jur. in Heidelberg, 1873–78 Richter in Mannheim, 1878 o. Professor für Rechtsphilosophie in Würzburg, 1888 o. Professor für Bürgerliches Recht, Straf- und Prozeßrecht in Berlin, im WS 1891/92 Dekan der Juristischen Fakultät ebd. Verfasser von ethnologischen und rechtsvergleichenden Studien; u. a. Mitherausgeber der „Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft“ und der „Enzyklopädie der Rechtswissenschaft“. Einer der vielseitigsten Rechtsgelehrten seiner Zeit. Köppern, Wilhelm (28.2.1855–nach 1911). Bergwerksdirektor und Industrieller. Vater von → Bertha von Schubert, geb. Köppern, Schwiegervater von → Hans von Schubert. Körte, Werner (21.10.1853–3.12.1937). Chirurg. 1875 Promotion zum Dr. med. in Straßburg, 1877–79 chirurgische Ausbildung am Bethanien-Kran-

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kenhaus in Berlin, 1880 kommissarischer Leiter der Chirurgie, 1881 praktischer Arzt in Berlin, 1889 Direktor des Städtischen Krankenhauses Am Urban in Berlin. Kraußneck, Arthur (9.4.1856–21.4.1941). Schauspieler. 1884 Ensemblemitglied am Deutschen Theater in Berlin, 1889 am Berliner Theater, 1894 wieder am Deutschen Theater, 1897–1932 am Kgl. Schauspielhaus (seit 1919: Staatstheater). Kyllmann, Adolf (1.1.1870–?). Jurist. 1892 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen. Sohn des Berliner Architekten und Stadtverordneten Walter Kyllmann. Laband, Paul (24.5.1838–23.3.1918). Jurist (Staatsrechtler und Rechtshistoriker). 1858 Promotion zum Dr. jur. in Breslau, 1861 Habilitation in Heidelberg, 1864 a. o. Professor und 1866 o. Professor für Deutsches Recht in Königsberg, 1872–1918 o. Professor für Staatsrecht an der neugegründeten Universität Straßburg. 1880–1911 Mitglied des Staatsrats für Elsaß-Lothringen und seit 1911 der Ersten Kammer des neuen Landtags Elsaß-Lothringen. Führender Vertreter der sog. realistischen Rechtsschule; sein Hauptwerk „Das Staatsrecht des Deutschen Reiches“ stellte den Höhepunkt des staatsrechtlichen Positivismus dar; Mitherausgeber mehrerer juristischer Zeitschriften, u. a. der „Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht“. Lamping, Wilhelm (Willy) (21.5.1861–7.9.1929). Organist. Musikdirektor in Bielefeld. Freund der Familie Möller, deren Tochter → Eleonore (Nora) Möller er 1901 heiratete. Klavierlehrer von → Marianne Weber in Bielefeld. Lamprecht, Karl (25.2.1856–10.5.1915). Historiker und Geschichtsphilosoph. 1878 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1880 Habilitation in Bonn; 1885 a. o. Professor in Bonn, 1890 o. Professor für mittelalterliche und neuere Geschichte in Marburg, 1891–1915 in Leipzig. 1881 Mitbegründer der „Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde“, der ersten deutschen landesgeschichtlichen historischen Kommission. Arbeiten zur Landes-, National- und Universalgeschichte; die ersten Bände seiner „Deutschen Geschichte“ (12 Bände, 1891–1909) lösten in der Geschichtswissenschaft einen langen und erbitterten Methodenstreit (den sog. „Lamprecht-Streit“) aus. Lassalle, Ferdinand (11.4.1825–31.8.1864). Publizist, Philosoph und sozialistischer Politiker. Nach dem Studium der Geschichte, Philologie und Philosophie in Breslau und Berlin (1843–46) freier Schriftsteller, u. a. Mitarbeiter an der von Karl Marx herausgegebenen „Neuen Rheinischen Zeitung“; 1863 Hauptinitiator und erster Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins; 1863/64 Hauptphase seiner Agitation für die Arbeiterbewegung; demokratisch-sozialistisches Programm; geriet als Vertreter eines

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genossenschaftlichen und preußisch-nationalstaatlich orientierten Sozialismus in Gegensatz zu Karl Marx und Friedrich Engels. Tod nach Duell. Lehner, Hermann (10.9.1881–1916). Kaufmann. Pflegesohn von → Otto Baumgarten; arbeitete als Kaufmann in Antwerpen, später in Santiago de Chile; 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg vermißt gemeldet. Lenz, Max (13.6.1850–6.4.1932). Historiker. 1874 Promotion zum Dr. phil., 1876 Habilitation für Mittlere und Neuere Geschichte in Marburg, 1881 a. o. Professor, 1885 o. Professor ebd., 1888 o. Professor für Neuere Geschichte in Breslau, 1890–1914 in Berlin, 1914–22 o. Professor am Kolonialinstitut in Hamburg, an dessen Ausbau zur Universität er mitwirkte; seit 1896 Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften. Bruder von → Clara Rohnert, geb. Lenz. Leo XIII. (eigentlich: Vincenzo Gioacchino Pecci) (2.3.1810–20.7.1903). Papst (1878–1903). Strebte anfänglich nach einer Restauration der hochmittelalterlichen Ordnung von Kirche und Staat; in sein Pontifikat fällt 1887 die Beendigung des preußischen bzw. deutschen „Kulturkampfs“; begründete mit seiner Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ (1891) die moderne katholische Soziallehre. Leyen, Alfred von der (28.6.1844–25.9.1934). Jurist und Ministerialbeamter. 1865 Promotion zum Dr. jur. in Berlin; 1872 Syndikus der Handelskammer Bremen, 1876 Geh. Regierungsrat, später Vortragender Rat im Reichseisenbahnamt, 1880–1912 im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten, seit 1908 Wirkl. Geh. Oberregierungsrat; 1912 Honorarprofessor für Staatswissenschaften in Berlin. Veröffentlichungen und Herausgeberschaften v. a. zum Eisenbahnwesen in Deutschland und in Nordamerika. Schwiegersohn von Friedrich Kapp. Leyen, Elisabeth (Else) von der (13.10.1874–26.9.1908). Ärztin. Besuch der höheren Töchterschule in Charlottenburg, Gymnasialkurse bei Helene Lange; 1896–1901 Studium der Medizin, 1901–08 niedergelassene Ärztin in Berlin. Tochter von → Alfred von der Leyen; 1907 Heirat mit Oskar Rosenthal. Leyen, Friedrich (Fritz) von der (19.8.1873–6.6.1966). Germanist und Volkskundler. 1894 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1899 Habilitation in München; Schriftsteller, Journalist und Privatdozent ebd.; 1906 a. o. Professor ebd., 1920 o. Professor für Deutsche Philologie in Köln, 1937 von den Natio­ nalsozialisten vorzeitig in den Ruhestand vesetzt; Sohn von → Alfred von der Leyen. Leyen, Margarete von der (30.12.1875–1956). Tochter von → Alfred von der Leyen; heiratet 1901 den Philologen Felix Jacoby.

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Lieber, Ernst (16.11.1838–31.3.1902). Jurist und Politiker. 1861 Promotion zum Dr. jur. in Heidelberg. Mitbegründer des Zentrums, seit 1891, nach → Ludwig Windthorsts Tod, Parteivorsitzender; seit 1870 MdprAH, seit 1871 MdR; während des „Kulturkampfs“ redegewandter Gegner Otto von Bismarcks. Liebknecht, Wilhelm (29.3.1826–7.8.1900). Sozialdemokratischer Politiker und Journalist. Floh nach der Revolution 1848/49 zunächst in die Schweiz, um dort für eine Vereinigung der Arbeitervereine zu wirken; 1850 dort wegen „sozialistischer Umtriebe“ angeklagt und des Landes verwiesen; 1850−62 im Exil in London; gründete 1869 in Eisenach zusammen mit → August Bebel die Sozialdemokratische Arbeiterpartei 1867−70 und seit 1874 MdR, 1872−74 inhaftiert; war 1875 am Einigungsparteitag der Sozialistischen Arbeiterpartei in Gotha beteiligt. Als Redakteur u. a. des „Vorwärts“ (seit 1891 Chefredakteur) prägte der orthodoxe Marxist die Frühzeit der deutschen Sozialdemokratie. Liesegang, Erich (26.5.1860–26.3.1931). Historiker und Bibliotheksdirektor. 1885 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen, 1884 Assistent der Kgl. Bibliothek in Berlin, 1891 Habilitation in Berlin, 1897 a. o. (Titular-)Professor ebd.; 1899–1929 Leiter der Nassauischen Landesbibliothek in Wiesbaden; Geschäftsführer des Ostmarkenvereins; Arbeiten zur Verfassungsgeschichte der Städte im Mittelalter; Förderer des Volksbildungs- und Volksbibliothekswesens. Gehörte in den 1890er Jahren zum Freundeskreis von → Friedrich Althoff und → Heinrich von Treitschke. Lipsius, Richard Adelbert (14.2.1830–19.8.1892). Evangelischer Theologe. 1853 Promotion zum Dr. phil., 1855 Habilitation, 1859 a. o. Professor in Leipzig, 1861 o. Professor für Dogmatik in Wien, 1864 für Systematische Theologie in Kiel, 1871 für Neutestamentliche Exegese und Systematische Theologie in Jena. Seit 1875 Mitherausgeber der „Jahrbücher für protestantische Theologie“, seit 1886 Herausgeber des „Theologischen Jahresberichts“; 1884 Mitbegründer des Allgemeinen evangelisch-protestantischen Missionsvereins, 1886 des Evangelischen Bundes. Sein Hauptwerk „Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik“ wurde 1893 in 3.  Aufl. von → Otto Baumgarten herausgegeben. Lohmann, Friedrich Wilhelm (2.3.1853–1.4.1932). Kaufmann. Kaufmann in Rosario, Argentinien, später in Hamburg; seit 1888 verheiratet mit → Hedwig Emilie Lohmann, geb. Weber. Lohmann, Hedwig Emilie, geb. Weber (24.2.1867–29.9.1940). Tochter von → Otto Weber; seit 1.9.1888 verheiratet mit → Friedrich Wilhelm Lohmann. Cousine von Max Weber.

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Lotz, Walther (21.3.1865–13.12.1941). Nationalökonom. 1887 Promotion zum Dr. rer. pol. bei → Lujo Brentano in Straßburg, 1888/89 Praxis in Bankhäusern in Wien und Berlin; 1890 Habilitation als Assistent Brentanos in Leipzig; 1891 Honorarprofessor, 1892 a. o. Professor, 1897–1935 o. Professor für Finanzwissenschaft, Statistik und Nationalökonomie in München. Zusammen mit Brentano Herausgeber der „Münchener Volkswirtschaftlichen Studien“. Zahlreiche Arbeiten zum Finanz-, Geld- und Bankwesen. Seit der Studienzeit mit Max Weber befreundet, 1889 einer der Opponenten bei dessen Doktordisputation. Löwenstein, Otto (31.7.1841–28.10.1896). Buchhändler. Seit 1871 Inhaber des Carl Heymanns Verlags in Berlin. Lucae, August (24.8.1835–17.3.1911). Mediziner. 1859 Promotion zum Dr. med., 1866 Habilitation, 1871 a. o. Professor in Berlin, 1874 Direktor der Universitätspoliklinik für Ohrenkrankheiten, 1881 Leitung der von ihm mitbegründeten ersten stationären Universitätsklinik für Ohrenkrankheiten in Deutschland ebd., 1899 o. Professor für Ohrenheilkunde ebd. Lucae, (Johanne) Sophie Emilie, geb. Albers (vor dem 3.5.1848–?). Seit 1867 verheiratet mit → August Lucae. Lucius, Juliet Maria (seit 5.5.1888) Freifrau von Ballhausen, geb. Souchay de la Duboissière (26.7.1835–13.6.1921). Seit 1864 verheiratet mit → Robert Lucius (von Ballhausen). Cousine von → Helene Weber. Lucius, Robert (seit 5.5.1888) Freiherr von Ballhausen (20.12.1835– 10.9.1914). Politiker. 1858 Promotion zum Dr. med.; 1870–79 und 1882–93 MdprAH; 1870 Mitglied des Reichstags des Norddeutschen Bundes, auch des Zollparlaments; 1871–81 MdR (Deutsche Reichspartei), 1879 Vizepräsident des Reichstags; 1879–90 preußischer Landwirtschaftsminister; 1895 MdprHH. Verbindungen zu Otto von Bismarck. Lüttge, Albert Friedrich Carl (6.12.1836–nach 1898). Gymnasiallehrer. Studium in Halle und Erlangen, 1861 Examen „pro facultate docendi“, 1863 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen; 1861–63 Hilfslehrer in Nordhausen, 1863–73 Lehrer in Seehausen/Altmark, 1873–99 Oberlehrer für Latein, Geschichte und Französisch am Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Charlottenburg, das Max Weber und seine Brüder besuchten. Marcks, Albert (21.5.1890–1914). Kaufmann. Ältester Sohn von → Friederike und → Erich Marcks; fiel als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg. Marcks, Erich (17.11.1861–22.11.1938). Historiker. 1884 Promotion zum Dr. phil. in Straßburg, 1887 Habilitation in Berlin, 1892 o. Professor in Freiburg i. Br., 1894 in Leipzig, 1901 in Heidelberg, 1907–13 Stiftungsprofessur für

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Geschichte der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, 1913 o. Professor in München, 1922–28 in Berlin. Zahlreiche Arbeiten zur Geschichte des Deutschen Kaiserreichs, zur Reformation und Gegenreformation sowie biographische Schriften. Gehörte zum engeren Bekanntenkreis Max Webers in Berlin und Heidelberg; führte Mitte 1893 beim ersten Versuch, Max Weber nach Freiburg zu berufen, im Auftrag der Universität die Korrespondenz mit demselben. Marcks, Friederike, geb. von Sellin (1865–1951). Heiratete am 12.8.1889 → Erich Marcks. Marenbach, Käthe (?–?). Gehörte 1893 zu den Hochzeitsgästen von Max und → Marianne Weber. Marggraff, Anna Ida Henriette, geb. Goedecke (3.9.1865–?). Heiratete am 3.11.1892 → Eberhard Salomo Johannes Marggraff. Marggraff, Eberhard Salomo Johannes (4.2.1862–9.1.1907). Apotheker. Übernahm in den 1880er Jahren die „Rothe Apotheke“ seines Vaters, des Berliner Stadtrats Carl Arnold Marggraff (1834–1915); 1901–07 Vorsitzender des Berliner Apothekervereins. Martens, Bertha Antonie, geb. Gropius (2.4.1856–1941). Tochter des Architekten Martin Gropius (1824–1880); seit 1876 verheiratet mit dem Architekten Wilhelm Martens (1842–1910) und seit 1911 in zweiter Ehe mit dem Juristen Heinrich Delbrück. Meier, Hermann Heinrich (jun.) (21.12.1845–9.8.1905). Unternehmer. 1868 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen; 1872 Teilhaber in der väterlichen Firma H. H. Meier & Co. 1890 und 1895 Präsident der Bremer Handelskammer. Bekannter Sammler und Förderer der bildenden Künste. Meitzen, August (16.12.1822–19.1.1910). Jurist, Nationalökonom, Statistiker und Agrarhistoriker. 1846 Promotion zum Dr. jur. in Breslau, 1848 zum Dr. phil. ebd.; seit 1846 im preußischen Justizdienst tätig; 1853–56 Bürgermeister in Hirschberg (Schlesien), 1856 Kommissar bei der Generalkommission zu Breslau für gutsherrlich-bäuerliche Auseinandersetzungen, 1861 Regulierungskommissar bei der Einführung des preußischen Grundsteuergesetzes, seit 1868 Mitglied des Preußischen Statistischen Bureaus; 1872 Geh. Regierungsrat, 1872–82 Mitglied im Kaiserlichen Statistischen Amt des Deutschen Reiches; seit 1875 a. o. (Titular-)Professor für Staatswissenschaften in Berlin, seit 1892 o. Honorarprofessor ebd. 1868–1908 Herausgeber des agrarstatistischen Standardwerks „Der Boden und die landwirthschaftlichen Verhältnisse des Preußischen Staates“ im Auftrag des Landwirtschafts- und des Finanzministeriums; zur Zeit der Landarbeitererhebung Mitglied des Ausschusses des Vereins für Socialpolitik; Teilnehmer

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an der preußischen Agrarkonferenz von 1894. Akademischer Lehrer Max Webers, dessen Habilitationsschrift über die „Römische Agrargeschichte“ (1891) er betreute und die ihm Max Weber widmete; beeinflußte nachhaltig dessen agrarhistorische Studien. Meyer, Adolf (?–?). Porträtmaler. Unterrichtete Malerei in Berlin; zu seinen Schülerinnen gehörte → Marianne Weber. Meyer, Frau (?–?). Verheiratet mit → Adolf Meyer. Meyer, Hugo (seit 1901) von (17.2.1837–29.5.1902). Jurist. 1858 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen, 1860 Habilitation ebd., 1863 a. o. Professor in Halle, 1866 o. Professor ebd., 1871 in Erlangen, seit 1874 o. Professor für Straf- und Strafprozeßrecht in Tübingen, dort 1888/89 auch Rektor. Verfasser des ersten bedeutenden Lehrbuchs für Strafrecht (5 Aufl. bis 1895). Miller, Francis (vormals: Friedrich (Fritz) Fallenstein) (23.4.1822–23.11.1897). Farmer. Emigrierte im Alter von 15 Jahren in die Vereinigten Staaten; zunächst Tischler, dann Farmer in Mount Airy, North Carolina; Teilnehmer am amerikanischen Sezessionskrieg; County Commissioner und Sheriff. Halbbruder von → Helene Weber. Miquel, Elisabeth → Scheliha, Elisabeth von Miquel, Johannes (seit 1897) von (19.2.1828–8.9.1901). Jurist und Politiker. 1849 Anwalt in Göttingen; 1850–57 sympathisierte er mit den Ideen von Karl Marx und gehörte dem illegalen Bund der Kommunisten an; 1865–69 und 1876–80 Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister von Osnabrück, 1870–76 leitender Mitarbeiter der Berliner Diskontobank, 1880–90 Oberbürgermeister in Frankfurt a. M.; 1890–1901 preußischer Finanzminister und seit 1897 stellvertretender preußischer Ministerpräsident. 1859 Mitbegründer und Ausschußmitglied des Deutschen Nationalvereins; seit 1867 Mitglied der Nationalliberalen Partei und führender Vertreter des rechten, mit den Konservativen zusammenarbeitenden Parteiflügels, zwischen 1867 und 1890 mehrfach im Parteivorstand; 1867–82 MdprAH, seit 1882 MdprHH; 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags; 1871–77 und 1887–90 MdR und Vorstand der Reichstagsfraktion. Führte zu Beginn der 1890er Jahre eine grundlegende Neuordnung des preußischen Steuerwesens durch, deren Kernstücke die Einkommensteuer- und Kommunalsteuerreform waren. Möller, Anna → Castendyk, Anna Möller, Eleonore (Nora) (9.2.1879–1947). Tochter von → Hertha und → Karl Möller; heiratete 1901 → Wilhelm Lamping. Nichte von Max Weber und Cousine von → Marianne Weber.

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Möller, Hedwig (seit 1905) von (15.8.1877–6.10.1963). Zweitälteste Tochter von → Theodor Möller; heiratete 1920 ihren verwitweten Schwager → Hans Karl Hermann von Soden. Möller, Hertha, geb. Weber (20.2.1853–20.4.1934). Tochter von → Carl David Weber, dem Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen.; verheiratet mit → Karl Möller. Cousine von Max Weber und Tante von → Marianne Weber. Möller, Karl (1.5.1837–27.9.1918). Fabrikant. Studium der Naturwissenschaften und der Bergbautechnik, Promotion zum Dr. phil.; gründete 1862 mit seinem Bruder → Theodor Möller die Maschinenfabrik K. & Th. Möller in Kupferhammer (Brackwede bei Bielefeld), 1878 mit seinem Bruder Inhaber der väterlichen Lederfabrik ebd. Verheiratet mit → Hertha Möller. Möller, Theodor (seit 1905) von (10.8.1840–6.12.1925). Nationalliberaler Politiker und Fabrikant. Kaufmännische Ausbildung in Hamburg und Liverpool; gründete 1862 mit seinem Bruder → Karl Möller die Maschinenfabrik K. & Th. Möller in Kupferhammer (Brackwede bei Bielefeld), 1878 mit seinem Bruder Inhaber der väterlichen Lederfabrik ebd.; 1890–95 und 1898– 1901 MdprAH, 1893–1901 MdR (Nationalliberale Partei); 1901–05 preußischer Handelsminister. Schwager von → Hertha Möller. Mommsen, Adelheid (7.1.1869–14.10.1953). Lehrerin. Später Oberlehrerin und Schuldirektorin; Schülerin der Frauenrechtlerin Helene Lange. Tochter von → Theodor Mommsen. Mommsen, Anna (21.7.1872–11.1.1953). Krankenschwester. Tochter von → Theodor Mommsen. Mommsen, Ernst (8.7.1863–14.3.1930). Mediziner. 1890 Promotion zum Dr. med. in Berlin, Assistenzarzt des Städtischen Krankenhauses Am Urban, praktischer Arzt und Sanitätsrat in Berlin. Sohn von → Theodor Mommsen. Wie Max Weber Schüler des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums; verlobte sich 1894 mit → Clara Weber (Eheschließung 1896). Mommsen, Hildegard (10.6.1866–29.7.1951). Tochter von → Theodor Mommsen. Mommsen, Karl (19.4.1861–28.7.1922). Jurist, Bankdirektor und Politiker. 1890 Gerichtsassessor, 1891 Syndikus der Englischen Gasanstalt in Berlin, 1894 der Firma Siemens und Halske ebd., 1897 Direktor der Mitteldeutschen Creditbank ebd. Seit 1894 Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung; 1903–12 MdR (Freisinnige Vereinigung). Sohn von → Theodor Mommsen; seit der Schulzeit mit Max Weber befreundet und 1889 einer der Opponenten bei dessen Doktordisputation.

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Mommsen, Käthe (8.7.1864–10.11.1880). Tochter von → Theodor Mommsen. Mommsen, Lisbet (26.6.1859–28.8.1910). Tochter von → Theodor Mommsen. Mommsen, Luise (19.2.1870–11.12.1957). Lehrerin. Tochter von → Theodor Mommsen. Mommsen, Marie → Wilamowitz-Moellendorf, Marie von Mommsen, Theodor (30.11.1817–1.11.1903). Jurist, Historiker und Epigraphiker. 1843 Promotion zum Dr. jur. in Kiel; 1844–47 Studien in Frankreich und Italien; 1848 (etatmäßiger) a. o. Professor für Römisches Recht in Leipzig, 1851 wegen seiner Teilnahme an der demokratischen Bewegung entlassen; 1852 o. Professor für Römisches Recht in Zürich, 1854 in Breslau, 1858 an die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin berufen, 1861 o. Professor für Römische Altertumskunde an der Universität in Berlin. 1863–66 MdprAH (Deutsche Fortschrittspartei), 1873–79 MdprAH (Nationalliberale Partei), 1881–84 MdR (Liberale Vereinigung). 1902 Nobelpreis für Literatur in Würdigung seiner „Römischen Geschichte“ (Bände 1–3, 1854–1856, Band 5, 1885), außerdem Verfasser großer systematischer Gesamtdarstellungen des römischen Staatsrechts (3 Bände, 1871–1888) und des römischen Strafrechts (1899). Bedeutendster Kenner der Römischen Geschichte in Deutschland. Verkehrte im Elternhaus Max Webers; sein Sohn → Karl Mommsen war mit Max Weber befreundet, sein Sohn → Ernst Mommsen heiratete 1896 Max Webers Schwester → Clara. Bei der Doktordisputation Max Webers 1889 kritisierte Mommsen Webers Thesen zur römischen Agrargeschichte, bezeichnete ihn jedoch gleichzeitig öffentlich als seinen intellektuellen Nachfolger. Mühlenbruch, Johannes (1.8.1855–1932). Historienmaler. 1886 Auszeichnung für seine Entwürfe für die Wandgemälde des Berliner Rathauses (Ausführung bis 1895). Müller, Alwine (Wina), geb. Weber (10.10.1855–17.7.1936). Tochter von → Carl David Weber, Schwester von → Eleonore (Nora) Müller; verheiratet mit → Bruno Müller. Lebte in Oerlinghausen und bildete dort den Mittelpunkt der Familie; Cousine von Max Weber und Tante von → Marianne Weber, die einen Teil ihrer Jugend in ihrem Hause verbrachte. Müller, Berthold (10.2.1893–22.6.1979). Holzbildhauer, Metallbildner und Entwurfzeichner für Glasmalerei. 1912 Studium an der Kunstgewerbeschule in Bielefeld, 1914 an der Kunstgewerbeschule Berlin-Charlottenburg; 1936 Gründung einer Mosaikwerkstätte in Berlin; 1947 Gründungs-

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mitglied der Oberschwäbischen Sezession. Sohn von → Alwine (Wina) und → Bruno Müller. Müller, Bruno (31.10.1848–6.3.1913). Fabrikant. Leitete mit seinem Schwager → Carl (Carlo) Weber die von seinem Schwiegervater → Carl David Weber gegründete Leinenweberei Carl Weber & Co. in Oerlinghausen. Verheiratet mit Max Webers Cousine → Alwine (Wina) Müller. Müller, Eleonore (Nora), geb. Weber (10.8.1861–19.1.1948). Tochter von → Carl David Weber, Schwester von → Alwine (Wina) Müller; verheiratet mit Wilhelm Müller, einem Bruder ihres Schwagers → Bruno Müller. Cousine von Max Weber und Tante von → Marianne Weber. Nasse, Dietrich (Dirk) (5.11.1860–1.9.1898). Chirurg. 1882 Promotion zum Dr. med. in Bonn; Assistent in Genf bei dem Pathologen Friedrich Wilhelm Zahn, 1884–86 am pathologischen Institut in Göttingen, seit 1887 Assistent → Ernst von Bergmanns an der chirurgischen Universitätsklinik in Berlin, 1893 Habilitation für Chirurgie, seit 1896 a. o. Professor ebd. Nathan, Paul (25.4.1857–15.3.1927). Politiker und Publizist. 1881 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg; seit 1883 Mitglied der Nationalliberalen Partei; politischer Redakteur und 1885–1907 Mitherausgeber der von Theodor Barth gegründeten Wochenzeitung „Die Nation“. Naudé, Albert (13.11.1858–17.12.1896). Historiker. 1882 Promotion zum Dr. phil. und 1888 Habilitation in Berlin; seit 1882 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Acta Borussica, ebd.; seit 1882 Herausgeber der politischen Korrespondenz Friedrichs II. sowie seit 1890 Redakteur der Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; 1890 a. o. Professor in Berlin, 1893 o. Professor für Mittlere und Neuere Geschichte in Marburg, 1896 o. Professor für Neuere Geschichte in Freiburg i. Br.; Schüler u. a. von → Gustav Schmoller. Naumann, Friedrich (25.3.1860–24.8.1919). Evangelischer Theologe, sozialliberaler Politiker und Publizist. 1883–85 Oberhelfer im Rauhen Haus in Hamburg, 1886–90 Pfarrer in Langenberg (Sachsen), 1890–97 bei der Inneren Mission in Frankfurt a. M.; lebte seit 1897 als Publizist und Politiker in Berlin. 1894 Gründung der „Göttinger Arbeiterbibliothek“, für die Max Weber die Schrift „Die Börse“ verfaßte; 1894/95 Gründung der Wochenzeitschrift „Die Hilfe“; 1896 Austritt aus der christlich-sozialen Bewegung → Adolf Stoeckers und Gründung des Nationalsozialen Vereins; im selben Jahr Gründer der Tageszeitung „Die Zeit“. Seit 1907 MdR (Freisinnige Vereinigung, Fortschrittliche Volkspartei), 1918 Mitbegründer, 1919 Vorsitzender der DDP, Mitglied der Weimarer Nationalversammlung. Ausschußmitglied im Verein für Socialpolitik. Vertreter einer sozial-liberalen Innen- und

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machtstaatlichen Außenpolitik. Freundschaftliche Beziehungen zu Max Weber und seit den 1890er Jahren enger politischer Gedankenaustausch. Nokk, (Franz) Wilhelm (30.11.1832–13.2.1903). Jurist und Politiker. Seit 1860 im badischen Verwaltungsdienst, 1865–74 im Innenministerium; 1867–71 Mitglieder der Zweiten Kammer (Nationalliberale Partei); seit 1874 Direktor des badischen Oberschulrats, 1881–1901 Minister der Justiz, des Kultus und des Unterrichts, 1893–1901 Ministerpräsident. Nollau, Johanna, geb. Huth (22.6.1843–12.3.1910). Seit 1861 verheiratet mit → Otto Nollau; Jugendfreundin von → Helene Weber. Nollau, Johanna (Hanna) → Fließ, Johanna (Hanna) Nollau, Klara Helene (30.11.1864–?). Zweite Tochter von → Johanna und → Otto Nollau; 1895 Heirat mit Karl Funk, Direktor der Boden-Kreditbank in Mannheim. Nollau, Otto Wilhelm Hermann (4.3.1827–21.3.1895). Landrat. 1862–95 Landrat in Gnesen; Verfechter der „inneren Kolonisation“ der östlichen Provinzen Preußens. Nowack, Katharina (Käthe), geb. Niedlich (31.10.1847–31.3.1927). Seit 1877 verheiratet mit → Wilhelm Nowack. Nowack, Wilhelm (3.3.1850–28.5.1928). Evangelischer Theologe. 1875 Habilitation für Altes Testament in Berlin, 1880 a. o. Professor ebd., 1881 o. Professor in Straßburg. Oehlschläger, Otto (seit 1888) von (16.5.1831–14.1.1904). Jurist. 1874 Vortragender Rat im preußischen Justizministerium, 1885 Präsident des Kammergerichts in Berlin, 1889 Staatssekretär des Reichsjustizamtes, 1891– 1903 Präsident des Reichsgerichts in Leipzig. Mitherausgeber von „Die preußischen Forst- und Jagdgesetze“ (1878–80). Oertmann, Frau (?–?). 1893 Heirat mit → Paul Oertmann, Scheidung 1901. Oertmann, Paul (3.7.1865–22.5.1938). Jurist. 1884–87 Studium in Berlin, u. a. bei → Heinrich Dernburg, und in Freiburg, 1887 Promotion zum Dr. jur. in Berlin, 1891 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1892 Habilitation für Bürgerliches und Römisches Recht in Berlin; 1896 o. Professor in Leipzig, 1901 in Erlangen, 1917 in Göttingen. Max Webers Kollege in der Juristischen Fakultät Berlin. Oldenberg, Karl (23.9.1864–20.6.1936). Nationalökonom. 1888 Promotion zum Dr. phil. bei → Gustav Schmoller in Berlin, 1891 Habilitation für Staats-

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wissenschaften ebd.; 1888–97 Assistent Schmollers in der Redaktion des „Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich“; 1897 (etatmäßiger) a. o. Professor in Marburg, 1902 o. Professor für Nationalökonomie in Greifswald und 1914–29 für wirtschaftliche Staatswissenschaften in Göttingen. Beteiligte sich im Oktober 1893 am Evangelisch-sozialen Kursus in Berlin; Forschungen zur Arbeiterbewegung; später Vorkämpfer agrarischer Schutzzölle und Gegner einer übersteigerten Industrialisierung Deutschlands. Gehörte in den frühen 1890er Jahren zu Max Webers Bekanntenkreis und war Mitglied der „kleinen staatswissenschaftlichen Gesellschaft“ (Max Webers Berliner informeller Donnerstagskreis). Trug mit bei zu der Reihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen“. Oskar von Preußen (27.7.1888–27.1.1958). Prinz von Preußen. Fünfter Sohn von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau → Auguste Victoria. Pannier, Rudolf (31.8.1821–12.12.1897). Jurist. Kreisgerichtsrat und Gerichtsdirektor in Oranienburg und Berlin, anschließend Präsident des Landgerichts II Berlin. Mitbegründer der Nationalliberalen Partei; 1861–66 MdprAH, 1867 Mitglied des Konstituierenden Reichstags des Norddeutschen Bundes. Paulsen, Friedrich (16.7.1846–14.8.1908). Philosoph und Pädagoge, Publizist und Bildungspolitiker. 1870 Promotion zum Dr. phil., 1874 Habilitation in Berlin, 1878 a. o. Professor, 1894 o. Professor für Philosophie und Pädagogik ebd. Pernice, Alfred (18.8.1841–23.9.1901). Jurist. 1862 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1863 zum Dr. jur. in Halle, 1867 Habilitation und Privatdozent in Halle, 1870 a. o. Professor, 1871 o. Professor für Strafrecht ebd., 1872 o. Professor für Römisches Recht in Greifswald, 1874 in Heidelberg, 1877 in Halle, 1881 in Berlin; dort enger Kontakt zu → Theodor Mommsen. Sein Hauptinteresse galt der Rechtsgeschichte; seit 1880 Redakteur der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“ (Romanistische Abteilung). Lehrer Max Webers und einer der Gutachter in Max Webers Habilitationsverfahren (1891/92) in Berlin. Pestalozzi, Johann(es) (1837–1908). Kaufmann und Domänenpächter. Führte ein Seidenhandels- und Bankgeschäft in Zürich; Artilleriemajor und Quästor des Artilleriekollegiums; 1877 Verwalter der könglichen Domäne Haydau bei Alt-Morschen, später dort königlich-preußischer Oberamtmann. Kandidierte 1893 für die Nationalliberale Partei erfolglos für den Reichstag; auch publizistisch tätig. Verwandter des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827).

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Pfaff, Fridrich (21.11.1855–17.4.1917). Bibliothekar und Volkskundler. 1888 Universitätsbibliothekar in Freiburg i. Br., 1892 Herausgeber der „Alemannia“, 1902 Ernennung zum Professor, 1913 zum Hofrat. Gründer des Vereins für badische Volkskunde, Vorsitzender der Freiburger Abteilung des deutschen Sprachvereins, Vorstand der Gesellschaft für Geschichtskunde des Breisgaus. 1893 wie Max Weber Preisrichter eines Ausschreibens der Zeitschrift „Das Land“. Philippovich, Eugen Freiherr (seit 1860) von Philippsberg (15.3.1858– 4.6.1917). Österreichischer Nationalökonom und Sozialpolitiker. 1881 Promotion zum Dr. jur. in Wien, 1884 Habilitation für Politische Ökonomie ebd., 1885 a. o. Professor, 1888–93 o. Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg i. Br., 1893–1917 für Politische Ökonomie in Wien. 1896 Mitbegründer der Sozialpolitischen Partei Österreichs. Vermittler zwischen der österreichischen Grenznutzenschule und der deutschen jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie; Ausschußmitglied im Verein für Socialpolitik. Vorgänger Max Webers auf dem Freiburger Lehrstuhl. Potocki, Bolesław (1.12.1829–2.9.1898). Polnischer Graf. Ließ 1866 das in der Provinz Posen gelegene Schloß Be˛dlewo im neogotischen Stil erbauen. Przedecka, Helen → Jaffé, Helen Purgold, Carl Eduard (1.12.1823–2.3.1894). Rittergutsbesitzer. Vater von → Wilhelm Purgold. Purgold, Ida, geb. Scheibner (24.10.1832–12.10.1906). Mutter von → Wilhelm Purgold. Purgold, Wilhelm (29.5.1860–6.8.1897). Gutsbesitzer. 1884–85 Jurastudium in Halle und Berlin; 1893 Leutenant im Landwehrbezirk Weimar; starb 1897 als Patient der Heilanstalt Dr. Scholinus in Pankow bei Berlin. Puttkamer, Robert Viktor von (5.5.1828–15.3.1900). Preußischer Jurist, Verwaltungsbeamter und Politiker. Seit 1854 in der preußischen Verwaltung tätig, 1867–71 Vortragender Rat im Bundeskanzleramt, ab 1871 höhere Verwaltungslaufbahn, 1877 Oberpräsident von Schlesien, 1879 preußischer Kultusminister, seit 1881 preußischer Innenminister und Vizepräsident des Staatsministeriums. Verfolgte einen äußerst konservativen Kurs, ging rigoros gegen Staatsbeamte vor, die von der Linie der Regierungspolitik abwichen, sorgte für eine strenge Umsetzung des Sozialistengesetzes in Preußen, das er 1886 durch einen Streikerlaß auf die Gewerkschaften ausdehnte; 1888 von Kaiser → Friedrich III. entlassen; 1891–99 Oberpräsident von Pommern; 1874–84, 1890–91 MdR (Deutschkonservativ), 1879–85 MdprAH (fraktionslos), 1889–1900 MdprHH.

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Rade, Dora, geb. Naumann (1868–11.10.1945). Schwester von → Friedrich Naumann, seit 8.10.1889 verheiratet mit → Martin Rade. Rade, Marie-Elise (1867–1916). Schwester von → Martin Rade, die den Haushalt führte. Rade, Martin (4.4.1857–9.4.1940). Pfarrer und evangelischer Theologe, Publizist und Politiker. 1881 Promotion zum Lic. theol. in Leipzig, 1892–99 Pfarrer an der Paulskirche in Frankfurt a. M., 1900 Habilitation in Marburg, 1904 a. o. Professor, 1921–24 o. Professor für Systematische Theologie ebd.; 1886/87–1931 Herausgeber der von ihm begründeten Zeitschrift „Die christliche Welt“, um die sich die freie theologische Richtung gruppierte; Initiator des 1890 gegründeten Evangelisch-sozialen Kongresses; seit 1896 politischer Weggefährte → Friedrich Naumanns, mit dessen Schwester → Dora Rade er seit 1889 verheiratet war. Setzte sich 1892 im „Apostolikumsstreit“ zusammen mit seinem Lehrer Adolf Harnack für eine zeitgemäße Neufassung des apostolischen Glaubensbekenntnisses ein. Max Weber verfaßte für „Die christliche Welt“ zahlreiche Artikel. Räß, Andreas (6.4.1794–17.11.1887). Katholischer Theologe. 1816 Priesterweihe, bis 1836 Tätigkeit in der Priesterausbildung in Mainz und Straßburg, seit 1842 Bischof von Straßburg. Vertreter des Ultramontanismus; erkannte die Annexion von Elsaß-Lothringen durch das Deutsche Reich an und erlitt deshalb einen Populäritätsverlust; 1874–77 MdR (fraktionslos). Reimarus, Georg (1847–1919). Architekt. Regierungsbaumeister; Besitzer des in der Nähe des Bahnhofs Zoologischer Garten gelegenen Hauses Hardenbergstraße 24 in Charlottenburg. Verheiratet mit Elisabeth Reimarus, geb. Lucae (1867–1948), der Tochter von → August Lucae. Rickert, Heinrich (25.5.1863–25.7.1936). Philosoph. 1888 Promotion zum Dr. phil. bei Wilhelm Windelband in Straßburg, 1891 Habilitation in Freiburg i. Br., 1894 a. o. Professor, 1896 o. Professor für Philosophie ebd., 1916–32 in Heidelberg. Neben Windelband der Begründer der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus. Seit der Gymnasialzeit mit Max Weber befreundet. Rickert, Sophie, geb. Keibel (17.2.1864–1.11.1951). Bildhauerin. Schwester von → Franz Keibel; seit 1888 verheiratet mit → Heinrich Rickert. Gehörte mit ihrem Mann zum Freundeskreis von Max und → Marianne Weber. Rodbertus(-Jagetzow), Johann Karl (12.8.1805–6.12.1875). Nationalökonom und preußischer Politiker. 1827–32 im preußischen Justizdienst; 1848 Wortführer des Linken Zentrums in der preußischen Nationalversammlung, 26.6.–4.7.1848 preußischer Kultusminister; lebte nach der Revolution vorwiegend auf seinem 1836 erworbenen Gut Jagetzow in Vorpommern; trieb

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dort weitgespannte sozialwissenschaftliche Studien, darunter auch solche zur antiken Wirtschaftsgeschichte. Einer der profiliertesten konservativen staatssozialistischen Denker und Theoretiker; in der Agrarpolitik Befürworter des Rentenprinzips und der Einrichtung von Rentengütern; mit seiner Erfassung des „Oikos“ als wirtschaftlicher Einheit wichtiger Anreger für Max Webers Darstellung der antiken Wirtschaftsgeschichte. Seine Theorien beeinflußten die Staatswissenschaften nachhaltig. Roggenbach, Franz Freiherr von (23.3.1825–25.4.1907). Badischer Politiker. 1848/49 Sekretär im Reichsaußenministerium in Frankfurt a. M., 1849– 1851 Mitarbeiter der badischen Gesandtschaft in Bonn; seit 1861 badischer Minister des großherzoglichen Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten; zusammen mit → Julius Jolly Kampf für die deutsche Einigung unter preußischer Vorherrschaft; 1863/64 badischer Handelsminister; 1865 Rücktritt. Mitglied der badischen Kammer, 1868–70 Abgeordneter des Zollparlaments, 1871–74 MdR (liberale Reichspartei). Wirkte als Politikberater (u. a. für Kronprinz Friedrich Wilhelm, den späteren Kaiser → Friedrich III., und seine Frau → Victoria) und durch Denkschriften; entschiedener Kritiker Otto von Bismarcks. Rohnert, Clara, geb. Lenz (13.5.1856–15.10.1930). Schwester von → Max Lenz; seit 1880 verheiratet mit → Ernst Rohnert; unterrichtete 1892 → Clara Weber und 1893 → Marianne Weber in den Grundlagen der Haushaltsführung. Rohnert, Dorothea Emma Lili Marianne (3.3.1893–?). Jüngste Tochter von → Clara und → Ernst Rohnert. Patenkind von → Clara Weber. Rohnert, Ernst (18.5.1849–5.12.1918). Forstbeamter. 1875/76 sowie 1878/79 Studium in Berlin, 1880–84 Forsttechnischer Hilfsarbeiter bei der Regierung zu Magdeburg, seit 1884 Oberförster in Altmorschen, 1913 Umzug nach Kassel. Rosin, Heinrich (14.9.1855–31.3.1927). Jurist. 1875 Promotion zum Dr. jur. in Breslau, 1880 Habilitation für Staatsrecht und Deutsches Recht ebd., 1883 a. o. Professor, 1888–1920 o. Professor für die staatsrechtlichen und germanistischen Fächer in Freiburg i. Br. Führender Vertreter des Sozialversicherungsrechts, lieferte mit „Das Recht der Arbeiterversicherung“ (2 Bände, 1893–1905) die erste systematische Gesamtdarstellung der auf Bismarck zurückgehenden Sozialgesetzgebung. Lehrte in Freiburg auch Handels-, Wechsel- und Seerecht; Kollege Max Webers ebd. Rösing, Anna (1870–1945). Zweitälteste Tochter von → Clara und → Johannes Rösing.

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Rösing, Clara, geb. von Ammon (1843–1931). Verheiratet mit → Johannes Rösing; Mutter von → Clara, → Anna, → Luise und → Helene Augusta Rösing sowie von vier Söhnen. Rösing, Clara (1868–1955). Älteste Tochter von → Clara und → Johannes Rösing. Rösing, Helene Augusta (1884–1963). Jüngste Tochter von → Clara und → Johannes Rösing. Rösing, Johannes (5.5.1833–8.4.1909). Jurist und Diplomat. 1855 Promotion zum Dr. jur., 1856–60 Obergerichtsanwalt in Bremen; 1861–63 Attaché, 1863–65 Legationssekretär der bremischen, seit 1864 der hanseatischen Gesandtschaft in Washington, 1865–68 Geschäftsträger der Hansestadt ebd., 1868–74 Generalkonsul des Norddeutschen Bundes bzw. des Deutschen Reiches in New York, 1874–79 Geh. Oberregierungsrat und Vortragender Rat im Reichskanzleramt, 1880–91 im Reichsamt des Innern. Freund von → Maximilian (Max) Weber sen. Rösing, Luise (1873–1934). Drittälteste Tochter von → Clara und → Johannes Rösing. Rößel, Bruno (18.6.1841–?). Soldat. 16.4.1889–16.5.1891 Kommandeur des 2. Niederschlesischen Infanterieregiments Nr.  47, dem Max Weber in seiner aktiven Zeit von 1886 bis 1896 angehörte. Ruh, Luise (?–?). Haushälterin von → Otto Baumgarten. Rümelin, Max (seit 1905) von (15.2.1861–22.7.1931). Jurist. 1886 Promotion zum Dr. jur. in Tübingen, im selben Jahr Habilitation in Bonn, anschließend Privatdozent ebd., 1889 a. o. Professor in Halle, 1893 o. Professor für Römisches Recht ebd., seit 1895 o. Professor in Tübingen. Sattler, Heinrich (17.9.1869–22.4.1939). Jurist und Finanzwissenschaftler. Studium u. a. bei → Adolph Wagner in Berlin; 1890 Veröffentlichung seiner ersten Schrift „Die Effektenbanken“, zur wissenschaftlichen Behandlung des Banken- und Börsenwesens; Syndikus der Disconto-Gesellschaft Berlin. Mitglied der „kleinen staatswissenschaftlichen Gesellschaft“ (Max Webers Berliner informeller Donnerstagskreis). Schandau (?–?). Schwester von → Bertha Schandau. Schandau, Bertha (1867–1918). Dienstmädchen. Stammte aus Pasequick in Ostpreußen und war von 1893 bis 1917 bei Max und → Marianne Weber beschäftigt.

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Scheliha, Elisabeth von, geb. Miquel (1876–1942). Tochter von → Johannes Miquel; heiratete 1894 den schlesischen Rittergutsbesitzer Rudolf von Scheliha. Schellhass, Karl Emmanuel (24.2.1862–18.9.1942). Historiker. 1885 Promotion zum Dr. phil. in Berlin; 1886 Mitarbeit an der Edition der Reichstagsakten in Frankfurt a. M.; 1891 Zweiter Assistent im Preußischen Historischen Institut in Rom; 1898–1915 Zweiter Sekretär ebd. Mit Max Weber seit den 1880er Jahren befreundet. Schenkel, Karl (11.8.1845–2.2.1909). Badischer Ministerialbeamter und Politiker. 1866 Promotion in Heidelberg; 1871 Sekretär im Ministerium des Innern unter → Julius Jolly; 1873 Hilfsarbeiter im Handelsministerium, 1881 im Ministerium des Innern, 1899 Präsident des badischen Verwaltungsgerichtshofs, 1900–07 badischer Minister des Innern; 1907 Präsident der Oberrechnungskammer. Scheu, Clara, geb. Hesse (20.8.1857–?). Schwester von → Helene Webers Mitkonfirmandin → Emilie Zumbusch, geb. Hesse. Heiratete 1890 Heinrich Scheu, einen Funktionär der frühen österreichischen Arbeiterbewegung und späteren Sozialpolitiker. Schmidt (seit 1942: Schmidt-Brücken), Arthur Benno (20.5.1861–14.4.1940). Jurist. 1884 Promotion zum Dr. jur., 1887 Habilitation für Deutsches Recht in Leipzig, 1889 o. Professor für Deutsches und Kirchenrecht in Gießen, 1913 für deutsches, Handels- und Kirchenrecht in Tübingen. Bruder von → Georg Benno und → Martin Benno Schmidt; seit 1894 verheiratet mit Max Webers Cousine → Marie Schmidt, geb. Benecke. Schmidt, Elisabeth, geb. Fehsenfeld (1836?–25.5.1913). Verheiratet mit dem Publizisten und Literaturhistoriker Heinrich Julian Schmidt (1818– 1886), einem Freund von → Maximilian (Max) Weber sen. in Berlin. Schmidt, Georg Benno (18.3.1860–2.6.1935). Mediziner. 1884 Promotion zum Dr. med. in Leipzig, 1885–95 Assistent an der Chirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg, 1888 Habilitation ebd., 1902–32 etatmäßiger a. o. Professor, 1906–32 Leiter der Chirurgischen Abteilung der Universitäts-Kinderklinik ebd.; Bruder von → Arthur Benno und → Martin Benno Schmidt; seit 1893 verheiratet mit Max Webers Cousine → Pauline (Paula) Schmidt, geb. Hausrath. Schmidt, Käthe (3.9.1870–11.5.1953). Absolvierte in Berlin eine Gesangsausbildung und verkehrte im Hause Weber; heiratete am 8.11.1895 in ihrer Heimatstadt Schwerin den Kaufmann Adolph Krefft.

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Schmidt (seit 1942: Schmidt-Brücken), Marie, geb. Benecke (2.9.1873– 15.1.1956). Tochter von → Emilie (Nixel) und → Ernst Wilhelm Benecke; heiratete am 8.3.1894 → Arthur Benno Schmidt. Cousine von Max Weber. Schmidt, Martin Benno (23.8.1863–27.11.1949). Mediziner. 1887 Promotion zum Dr. med., 1887–89 Assistent am Pathologischen Institut in Heidelberg, 1889–90 Assistent in der Chirurgischen Klinik in Göttingen, 1890–1906 Assistent an der Universität Straßburg, 1892 Habilitation; 1906 o. Professor an der Düsseldorfer Akademie für praktische Medizin, 1907 für Pathologie in Zürich, 1911 in Marburg, 1913 in Würzburg. Bruder von → Arthur Benno und → Georg Benno Schmidt; heiratete am 4.4.1895 Max Webers Cousine → Auguste (Gussy) Benecke. Schmidt, Pauline (Paula), geb. Hausrath (11.3.1872–30.12.1958). Tochter von → Henriette und → Adolf Hausrath; heiratete am 8.4.1893 → Georg Benno Schmidt. Cousine von Max Weber. Schmöle, Christoph (19.2.1864–?). Jurist. 1888–96 Secondleutnant. Diente beim 2. Niederschlesischen Infanterieregiment Nr.  47, dem Max Weber in seiner aktiven Zeit von 1886 bis 1896 angehörte; später Amtsgerichtsrat in Neuwied. Bekannter von Max Weber. Schmoller, Gustav (seit 1908) von (24.6.1838–27.6.1917). Nationalökonom. 1861 Promotion zum Dr. oec. publ. in Tübingen, ohne Habilitation 1864 etatmäßiger a. o. Professor für Staatswissenschaften in Halle, 1865 o. Professor ebd., 1872 in Straßburg, 1882–1912 in Berlin, 1882–89 zugleich Professor der Nationalökonomie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. 1877–1912 Herausgeber des „Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich“ („Schmollers Jahrbuch“). Seit 1884 Mitglied des preußischen Staatsrates, seit 1899 Vertreter der Universität Berlin im MdprHH. Beeinflußte sowohl als Führer der jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie als auch als Mitbegründer und seit 1890 als Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik die staatliche Sozialpolitik und die Entwicklung der Nationalökonomie in Deutschland; verfügte über enge Beziehungen zur preußischen Staatsbürokratie. Schnitger, Anna, geb. Weber (9.4.1851–9.3.1873). Älteste Tochter von → Carl David Weber; 1869 Heirat mit → Eduard Schnitger; Mutter von → Marianne Weber. Schnitger, Eduard (28.10.1845–17.5.1903). Mediziner. 1869 Arzt in Oerlinghausen, 1873 in Lemgo, später in Lage; heiratete 1869 → Anna Weber; Bruder von → Florentine (Flora) und → Marie Schnitger; Vater von → Marianne Weber. Litt unter Depressionen und Verfolgungsvorstellungen, konnte aber seine ärztliche Praxis fortführen.

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Schnitger, Florentine (Flora) (6.7.1840–19.2.1907). Lehrerin. 1867 Hilfslehrerin an der Höheren Töchterschule zu Lemgo, seit 1868 in Lage tätig; 1874 Rückkehr an die Töchterschule zu Lemgo, 1876 dort Vorsteherin und erste Lehrerin; 1892 Dechantin im Stift St. Marien in Lemgo. Tante von → Marianne Weber. Schnitger, Marianne → Weber, Marianne Schnitger, Marie (23.3.1850–28.4.1913). Lehrerin. Tätigkeit als Lehrerin in London und seit 1892 in Lemgo, Nachfolgerin ihrer Schwester → Florentine (Flora) Schnitger als Vorsteherin und erste Lehrerin an der Höheren Töchterschule zu Lemgo. Tante von → Marianne Weber. Schröder, August (1832–1911). Evangelischer Theologe. 1855–1906 im Nassauischen Kirchendienst, dort Führer des protestantischen Liberalismus. Mitbegründer und Leiter des „Evangelischen Gemeindesblattes“ (seit 1880). Bestritt die Rechtmäßigkeit der Nassauischen Agende und lehnte deshalb das Apostolikum ab, was 1871 zu seiner zeitweiligen Absetzung führte (1873 Wiedereinsetzung). Schubert, Bertha von, geb. Köppern (10.5.1860–1946). Tochter des Indu­ striellen → Wilhelm Köppern; seit 1887 verheiratet mit → Hans von Schubert. Schubert, Gertrud von (1.3.1888–1971). Älteste Tochter von → Bertha und → Hans von Schubert; seit 1909 verh. Schoenborn. Schubert, Hans von (12.12.1859–6.5.1931). Evangelischer Kirchenhistoriker. 1884 Promotion zum Dr. phil. in Straßburg, 1885 Theologiestudium in Tübingen und Halle; 1887 Lehrer am Rauhen Haus in Hamburg; 1891 a. o. Professor für Kirchengeschichte in Straßburg, 1892 Promotion zum Dr. theol. ebd., im selben Jahr o. Professor in Kiel, 1906 Professor für Kirchengeschichte in Heidelberg. Mitinitiator der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; seit 1917 Mitglied der Kommission zur Erforschung der Geschichte von Reformation und Gegenreformation; 1918–31 Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte. Schüler von → Hermann Baumgarten und befreundet mit dessen Sohn → Otto Baumgarten. Schulte, Aloys (2.8.1857–14.2.1941). Historiker. 1879 Promotion in Münster; 1879–83 Bearbeiter des Urkundenbuchs der Stadt Straßburg und Lehramtsexamen, 1883 Archivsekretär in Donaueschingen, 1885 Archivrat in Karlsruhe; 1893 o. Professor in Freiburg i. Br., 1896 in Breslau und 1903–25 in Bonn; 1901–03 Leiter des Preußischen Historischen Instituts in Rom. Schultze, Ernst (14.12.1874–31.7.1943). Bibliothekar, Nationalökonom und Soziologe. 1897 Promotion in Freiburg i. Br., danach Tätigkeit als Bibliothekar und Publizist; 1918 Habilitation in Leipzig, 1922–40 o. Professor für

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Volks- und Weltwirtschaft an der Handelshochschule ebd.; während seiner Studienzeit in Berlin Mitbegründer und zeitweilig Vorsitzender der „Sozialwissenschaftlichen Studentenvereinigung“, für die Max Weber im Sommer 1894 einen Vortrag über „Die landwirthschaftliche Arbeiterfrage“ hielt. Schulze (?–?). Schuhmacher in der Potsdamerstraße 26 in Charlottenburg. Schulze, Hermann → Schulze-Gaevernitz, Hermann von Schulze-Gaevernitz, Gerhart von (bis zur Nobilitierung des Vaters 1888: Gerhart Schulze) (25.7.1864–10.7.1943). Nationalökonom. Zunächst Regierungsassessor in der Reichsverwaltung Elsaß-Lothringens; 1886 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen und 1891 zum Dr. phil. in Leipzig, im selben Jahr Habilitation für Nationalökonomie ebd.; 1893 etatmäßiger a. o. Professor, 1896–23 o. Professor in Freiburg i. Br.; 1912–18 MdR (Fortschrittliche Volkspartei), 1919/20 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung (DDP). Ausschußmitglied im Verein für Socialpolitik und Mitglied des Evangelisch-sozialen Kongresses. Arbeiten zur Sozialreform, Kreditwirtschaft und Weltwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung Englands, Rußlands und der USA sowie Studien zur Kulturgeschichte und zum Verhältnis von Kant und Marx. Sohn des Juristen → Hermann von Schulze-Gaevernitz; seit den gemeinsamen Jahren in Freiburg Max Weber freundschaftlich-kollegial verbunden. Schulze-Gaevernitz, Hermann von (bis 1888: Hermann Friedrich Schulze) (23.9.1824–27.10.1888). Jurist, Hofrat. 1846 Promotion zum Dr. jur., 1847 Habilitation in Jena, 1850 a. o. Professor ebd., 1857 o. Professor für Staatsrecht in Breslau, 1878 für Reichs-, Staats- und Verwaltungsrecht in Heidelberg. 1869–88 Kronsyndikus und MprHH; 1881–88 Vertreter der Universität Heidelberg in der I. Kammer der badischen Ständeversammlung. Arbeiten zum Staatsrecht des deutschen Reiches und Landesstaatsrechts, zur Rechtsgeschichte, zum Verwaltungsrecht und zur Polizeiwissenschaft. Vater von → Gerhart von Schulze-Gaevernitz; akademischer Lehrer von Max Weber in Heidelberg. Schwiertz, Jakob Hubert (19.5.1840–17.4.1906). Katholischer Pfarrer. 1866 Priesterweihe in Köln, 1868 Rektor in Burscheid, 1871 Ökonom am Albertinum in Bonn, 1876–78 Pfarrer ebd., 1885 Divisionspfarrer in Koblenz, seit 1887 in Straßburg. Sellin, Friederike von → Marcks, Friederike Sering, Max (18.1.1857–12.11.1939). Nationalökonom, Agrarwissenschaftler und Agrarpolitiker. 1881 Promotion zum Dr. rer. pol. in Straßburg, 1883 Habilitation in Bonn; ging 1883 im Auftrag der preußischen Regierung nach Nordamerika zum Zweck einer Studie über die überseeische Konkurrenz in

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der Landwirtschaft; 1885 a. o. Professor für Staatswissenschaften in Bonn, 1889–1906 o. Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin als Nachfolger → Gustav Schmollers, 1893 außerdem a. o. Professor, 1897– 1925 o. Professor an der Universität Berlin. Mitglied des Vereins für Socialpolitik und 1891/92 Mitinitiator der Landarbeiterenquete des Vereins für Socialpolitik, deren ostelbischen Teil Max Weber bearbeitete. Galt als der führende deutsche Agrarökonom und Agrarpolitiker, der nationale Ziele mit den sozialen Zielen des Erhalts und der Erweiterung des bäuerlichen Mittelstandes verband; Befürworter des Anerbenrechts. Schulfreund von → Otto Baumgarten; war Max Weber neben gemeinsamen wissenschaftlichen Interessen auch freundschaftlich seit den frühen 1890er Jahren eng verbunden. Simmel, Georg (1.3.1858–26.9.1918). Philosoph und Soziologe. 1881 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1885 Habilitation für Philosophie und Privatdozent ebd., 1901 etatmäßiger a. o. Professor ebd., 1914 o. Professor in Straßburg. Gehörte zu den Begründern der Soziologie. Seit den 1890er Jahren freundschaftliche Beziehung zu Max Weber. Simon, Marie (?–?). Lehrerin. Vorsteherin der „Simon‘schen Höheren Töchterschule“ in Charlottenburg und Lehrerin von → Lili Weber. Simonis, Jakob Ignatius (12.3.1831–11.2.1903). Katholischer Theologe und Politiker. 1854 Priesterweihe, Studienprofessor am Colmarer Gymnasium und am großen Seminar in Straßburg, Pfarrer in Bischheim; 1872 Superior der Niederbronner Schwestern. 1874–98 MdR (fraktionsloses Mitglied für den Wahlkreis Elsaß-Lothringen 5/Rappoltsweiler). Erklärter Gegner der Annexion Elsaß-Lothringens durch das Deutsche Reich. Simons, Eduard (27.5.1855–19.8.1922). Evangelischer Theologe. 1881 Pfarrer in Rheinfelden, 1883 in Leipzig, 1890 Promotion zum Lic. theol. in Straßburg, 1893 Habilitiation für Praktische Theologie in Bonn, 1895 Titular-Professor ebd., 1902 a. o. Professor in Berlin, 1911–20 o. Professor in Marburg. Seit dem Theologiestudium in Straßburg Bekannschaft mit → Otto Baumgarten, → Erich Marcks und → Hans von Schubert. Lernte Max Weber vermutlich im Haus von → Hermann Baumgarten kennen. Simson, August (seit 1888) von (17.9.1837–3.1.1927). Rechtsanwalt und Notar. Sohn des 1888 geadelten Reichsgerichtspräsidenten Eduard von Simson. 1880 Zulassung in Berlin am Landgericht I, 1883 Notar, 1886 Justizrat, in den 1880er Jahren bis 1890 Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins. Max Weber war Rechtsreferendar in dessen Berliner Kanzlei am Pariser Platz 1; 1892/93 Sachverständiger der Börsenenquetekommission (Handelsrecht).

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Soden, Anna von (22.12.1856–?). Diakonisse. Älteste Schwester von → Hans Karl Hermann von Soden. Soden, Frieda von (21.10.1858–?). Zweitälteste Schwester von → Hans Karl Hermann von Soden. Soden, Hans Karl Hermann Freiherr von (16.8.1852–15.1.1914). Evangelischer Theologe. 1889 Privatdozent, 1893 a. o. Professor, 1913 o. Professor in Berlin. Sohnrey, Heinrich (19.6.1859–26.1.1948). Publizist, Pädagoge, Heimatdichter, Sozialreformer. Nach Tätigkeit als Lehrer 1885 und Studium in Göttingen 1889 Redakteur in Northeim, 1890 Übersiedlung nach Freiburg i. Br., 1893 Begründung der Halbmonatsschrift „Das Land“, 1894 Übersiedlung nach Berlin-Steglitz, 1896 Begründung des „Ausschusses für Wohlfahrtspflege auf dem Lande“, des späteren Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege, gefördert durch das preußische Landwirtschaftsministerium (Hugo Thiel). Max Weber publizierte 1893 in Sohnreys Zeitschrift „Das Land“ und fungierte 1893/94 als Preisrichter in einem Preisausschreiben der Zeitschrift. Sommerfeld, Gustav von (9.3.1837–9.1.1905). Militär. 1883–86 persönlicher Adjutant des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers → Friedrich III.; 1886–88 Kommandant von Altona. Sophie (?–?). Köchin oder Dienstmädchen der Familie Weber in Charlottenburg. Spahn, Peter (22.5.1846–31.8.1925). Jurist und Politiker. 1874 Amtsrichter in Westpreußen, 1892 Oberlandesgerichtsrat in Berlin, 1898 Reichsgerichtsrat in Leipzig, 1905 Oberlandesgerichtspräsident in Kiel, 1910 in Frankfurt (Oder); 1917–18 preußischer Justizminister. 1882–88, 1891–98, 1904–08 MdprAH (Zentrum); 1884–1917, 1919–25 MdR (Zentrum, später DNVP), 1919 Mitglied der verfassunggebenden Nationalversammlung und der Verfassunggebenden Landesversammlung Preußen. Spinoza, Baruch (Benedictus) de (24.11.1632–21.2.1677). Philosoph. Springer, Emilie, geb. Koeniger (20.12.1855–15.3.1945). Seit 1887 in zweiter Ehe verheiratet mit dem Berliner Verleger und Buchhändler Ferdinand Springer; Stiefmutter von → Marie Springer. Springer, Marie (18.5.1876–1953). Tochter des Buchhändlers Ferdinand Springer und dessen erster Ehefrau Anna Sabine Springer, geb. Görz. Besuchte zur selben Zeit wie → Clara Weber ein Mädchenpensionat im schweizerischen Vevey.

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Stahl, Ludwig (eigentlich: Beer, Ludwig) (4.4.1856–24.8.1908). Schauspieler und Regisseur. Engagement in Bozen und Meran, 1880–84 am Wiener Stadttheater, 1884/84 am Carltheater, 1885/85 am Stadttheater Leipzig, 1886–88 am Hoftheater St. Petersburg, 1888 am Berliner Theater, 1896/95 am Thalia-Theater Hamburg, 1895–97 am Lessing-Theater Berlin, danach Rückkehr an das Berliner Theater, 1899 am Dresdner Hoftheater, 1907 Oberregisseur ebd., seit 1893 Ensemblegastspiele in St. Petersburg und in Paris. Steinwender, Julius (?–?). Evangelischer Pfarrer. Militäroberpfarrer in Straßburg. Stieda, Wilhelm (1.4.1852–21.10.1933). Nationalökonom und Historiker. 1875 Promotion zum Dr. rer. pol. in Tübingen, 1876 Habilitation für Staatswissenschaften in Straßburg; 1878 a. o. Professor, 1879 Promotion zum Dr. phil. und 1879–82 o. Professor für Nationalökonomie und Statistik in Dorpat, 1884 in Rostock, 1898–1924 in Leipzig; 1875/76 im Preußischen Statistischen Bureau in Berlin, 1882–84 Regierungsrat des Statistischen Amtes des Deutschen Reiches ebd. Arbeiten v. a. zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Wirtschaftsgeschichte und zur Nationalökonomie als Universitätsdisziplin. Ausschußmitglied im Verein für Socialpolitik. Stiemer, E. (?–?). Pensionsinhaberin. In deren Pension in Berlin West, Magdeburger Platz 4, 3. Stock, wohnte → Marianne Schnitger seit April 1892. Stoecker, Adolf (11.12.1835–10.1.1909). Evangelischer Pfarrer und Politiker. 1874–90 Hof- und Domprediger in Berlin; suchte die Arbeiterschaft im sozialkonservativen, monarchistischen Sinn zu beeinflussen und gründete 1878 die Christlich-soziale Arbeiterpartei; in der „Berliner Bewegung“ bekämpfte er das Judentum als Träger des Liberalismus; 1890 begründete er den Evangelisch-sozialen Kongreß, als dessen hochkonservativer Exponent er galt; 1896 schied er aus dem Kongreß wegen Differenzen mit der Gruppe der „Jungen“ um → Friedrich Naumann, → Paul Göhre und Max Weber aus und gründete daraufhin die Freie kirchlich-soziale Konferenz. 1879–98 MdprAH, 1881–93 und 1898–1908 MdR (Deutschkonservative Partei, Christlich-soziale Partei). Strauß, Otto (27.1.1861–24.11.1918). Evangelischer Militärpfarrer. 1887 Garnisons-Hülf-Prediger in Berlin, 1888 Divisionspfarrer der 4. Division in Gnesen, 1891 der 10. Division in Posen, 1894 Garnisonspfarrer von Thorn. Mitabiturient von Max Weber. Stumpf, Peter Paul (21.9.1822–10.8.1890). Katholischer Geistlicher. Koadjutor des Bischofs von Straßburg → Andreas Räß.

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Sudermann, Hermann (30.9.1857–21.11.1928). Schriftsteller. 1881 Mitarbeiter der „Liberalen Korrespondenz“, dann Chefredakteur der liberalen Zeitung „Das deutsche Reichsblatt“; seit 1882 Schriftleiter des „Reichsfreunds“ und Publikation erster Erzählungen und in der Folge von Dramen. Gilt neben → Gerhart Hauptmann als bedeutender Dramatiker des Naturalismus. Sybel, Heinrich von (2.12.1817–1.8.1895). Historiker, Archivar und Politiker. 1838 Promotion zum Dr. phil., 1840 Habilitation in Bonn, 1844 a. o. Professor ebd., 1845 o. Professor in Marburg, 1856 o. Professor in München und Gründung des Historischen Seminars; 1859 Gründung der „Historischen Zeitschrift“ und Mitbegründung der „Historischen Kommission“ bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der er bis 1886 vorstand; 1861 o. Professor in Bonn, 1875 Generaldirektor der preußischen Staatsarchive in Berlin; 1848 Mitglied des Vorparlaments in Frankfurt a. M., 1848/49 Mitglied der Kasseler Ständeversammlung; 1862–64 (Linkes Zentrum) und 1873–80 MdprAH (Nationalliberale Partei), 1867 im Reichstag des Norddeutschen Bundes. Tannchen, Theophil (?–?). Besitzer des Hauses Bäckerstraße 16 in Posen. Thiel, Hugo (2.6.1839–15.1.1918). Preußischer Beamter. 1865 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1867 Habilitation ebd. (Landwirtschaftliche Akademie, Poppelsdorf), 1869 o. Professor für Agrarwissenschaft am Polytechnikum in Darmstadt, 1872 in München; 1873 Generalsekretär des preußischen Landesökonomiekollegiums und Landesökonomierat im preußischen Landwirtschaftsministerium; 1897–1911 Ministerialdirektor der Domänenabteilung; seit ihrer Gründung im Jahr 1881 Vorsitzender des Kuratoriums der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. 1873–78 MdprAH, 1874–77 MdR (Nationalliberale Partei). Ausschußmitglied des Vereins für Socialpolitik, schon in den 1880er Jahren Organisator mehrerer Untersuchungen des Vereins zu agrarischen Themen, 1891/92 Organisator von dessen Landarbeiterenquete; Teilnehmer an der preußischen Agrarkonferenz von 1894; 1892/93 Mitglied der Börsenenquetekommission. Prägte die Agrarpolitik Preußens nachhaltig. Thielen, Karl (seit 1900) von (30.1.1832–10.1.1906). Preußischer Politiker. 1860 Regierungsassistent in Koblenz und Arnsberg, später Eintritt in die preußische Eisenbahnverwaltung; 1866/67 Mitglied der Eisenbahndirektion Breslau und der Rheinischen Eisenbahngesellschaft; 1887 Ernennung zum Präsidenten der Eisenbahndirektion Hannover; 1891–1902 Minister der öffentlichen Arbeiten und Chef des Reichseisenbahnamtes („Eisenbahnminister“). Tiede, Helene, geb. Richter (15.11.1833–21.6.1915). Freundin der Familie Weber und Patentante von → Alfred Weber; seit 1861 verheiratet mit August

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Tiede (1834–1911), zunächst Baurat in Erfurt und seit 1875 Baurat und Professor an der Bauakademie in Berlin. Treitschke, Heinrich von (15.9.1834–28.4.1896). Historiker, Publizist und Politiker. 1854 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1858 Habilitation ebd., 1863 a. o. Professor für Staatswissenschaften in Freiburg i. Br., 1866 o. Professor für Geschichte in Kiel, 1867 in Heidelberg, seit 1874 in Berlin; 1866– 1889 Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher“. Setzte sich für die deutsche Einheit unter preußischer Führung ein; führender Vertreter der Idee eines deutschen Machtstaats; 1886 Historiograph des preußischen Staates; seine zahlreichen Veröffentlichungen, vor allem seine „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“ sowie seine „Vorlesungen über Politik“, übten großen Einfluß auf das deutsche Bürgertum aus. 1871–84 MdR (zunächst für die Nationalliberalen, später parteilos). Gehörte zum Bekanntenkreis von → Maximilian (Max) Weber sen. Uhl, Carl (10.8.1841–?). Mediziner. Seit 1886 Militärarzt mit dem Rang eines Oberstabsarztes im 2. Niederschlesischen Infaterieregiment. Uhl, Frau (?–?). Verheiratet mit → Carl Uhl. Victoria, geb. Prinzessin von Großbritannien und Irland (21.11.1840– 5.8.1901). Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen. Älteste Tochter von Königin Victoria von Großbritannien und Irland, heiratete 1858 Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen, seit dem 9.3.1888 Kaiser → Friedrich III. Vietinghoff (genannt Scheel), Hermann Freiherr von (25.10.1851–27.5.1933). Militär. 1884–88 Adjutant des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers → Friedrich III.; Rechtsritter des Johanniterordens. Viktoria von Preußen (12.4.1866–13.11.1929). Prinzessin von Schaumburg-Lippe. Zweite Tochter von Kronprinz Friedrich Wilhelm, später Kaiser → Friedrich III., und dessen Frau → Victoria; jüngere Schwester von Prinz Wilhelm, später Kaiser Wilhelm II.; 1883–88 Verlobung mit Prinz Alexander von Battenberg (1857–1893), 1879–86 Fürst von Bulgarien; aus Gründen der Staatsräson gelöst; 1890 Heirat mit Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe (1859–1916), 1927 Skandalheirat mit Alexander Zoubkoff (1901–1936). Voigt, Johannes (24.6.1866–13.6.1932). Evangelischer Theologe. Schüler des Joachimsthaler Gymnasiums in Berlin; 1888 Studium der Theologie in Halle, seit 1888/89 in Kiel; Tätigkeit im Rauhen Haus in Hamburg, 1892 Ordination, 1894 Kompastor in Neumünster (Landkreis Kiel), 1911–28 Vereinsgeistlicher des Landesvereins für die Innere Mission in Rickling. Von Sommer 1885 bis April 1887 Tätigkeit als Nachhilfe- und Hauslehrer von → Karl Weber.

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Vollmar, Georg von (eigentlich: Georg Ritter von Vollmar auf Veldheim) (7.3.1850−30.6.1922). Sozialdemokratischer Politiker und Schriftsteller. Gemäßigter Führer der bayerischen Sozialdemokratie, Exponent des reformistischen Flügels; 1881–87 und 1890–1918 MdR; 1883–89 MdL in Sachsen, 1893–1918 MdL in Bayern. Gemeinsam mit Bruno Schoenlank und Max Quarck Initiator der Ausarbeitung eines sozialdemokratischen Agrarprogramms. Max Weber übersandte ihm Ende 1892, um auf die Debatte Einfluß zu nehmen, ein Exemplar seiner Auswertung der Erhebung über die Lage der ostelbischen Landarbeiter. Wagner, Adolph (Heinrich Gotthilf) (25.3.1835–8.11.1917). Staats-, Finanzwissenschaftler und Nationalökonom. 1857 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen, 1858 Dozent für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Handelsakademie in Wien, 1863 an der kaufmännischen Lehranstalt in Hamburg; 1864/65 o. Professor für Statistik an der Universität in Dorpat, 1868 o. Professor für Staats- und Kameralwissenschaften in Freiburg i. Br., 1870–1917 für Staatswissenschaften in Berlin; 1882–85 MdprAH (Deutschkonservative Partei), seit 1910 MdprHH; 1872 Mitbegründer des Vereins für Socialpolitik und Ausschußmitglied; 1881 Mitglied, 1896 Ehrenvorsitzender der von → Adolf Stoecker 1878 begründeten Christlich-sozialen Arbeiterpartei; 1890 Mitbegründer des Evangelisch-sozialen Kongresses; Begutachter des Fragebogens zur Erhebung des Evangelisch-sozialen Kongresses über die Lage der Landarbeiter, den Max Weber 1892 zusammen mit → Paul Göhre ausarbeitete. Führender deutscher Finanzwissenschaftler und deutscher Nationalökonom neben → Gustav Schmoller; gilt als Hauptvertreter der sog. Kathedersozialisten; später ging er hinsichtlich der Kritik an der Sozial- und Wirtschaftsordnung und wünschbaren Reformen eigene Wege („Staatssozialismus“). Wagner, Friedrich (Fritz) (9.1.1867–1943). Katholischer Theologe. 1894 Promotion zum Dr. phil. in Wien; nach Konversion zum Katholizismus 1904 Priesterweihe; 1910 Promotion zum Dr. theol. in Breslau, 1911 Habilitation ebd.; seit 1916 o. Professor für Moraltheologie ebd. Sohn von → Adolph Wagner; Jugendfreund von → Alfred und Max Weber. Warburg, Emil Gabriel (3.3.1846–28.7.1931). Physiker. 1867 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1870 Habilitation ebd.; 1872 a. o. Professor für Physik in Straßburg, 1876 o. Professor in Freiburg i. Br., im SS 1893 und WS 1893/94 Dekan der Philosophischen Fakultät ebd., 1895 o. Professor in Berlin. Arbeiten zur Akustik, Wärme und Elektrizität. Weber, Alfred (30.7.1868–2.5.1958). Nationalökonom und Soziologe, linksliberaler Politiker und Publizist. 1888 Abitur, SS 1888 und WS 1888/89 Studium der Archäologie und Kunstgeschichte in Bonn, SS 1889 Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, Oktober 1889 bis September 1890 Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger bei Tübingen, seit WS 1890 Fortset-

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zung des Studiums der Rechtswissenschaften und zunehmend auch der Nationalökonomie in Berlin; 1892 Erstes Juristisches Staatsexamen, 1892– 1896 Referendarzeit in Berlin, 1897 Zweites Juristisches Staatsexamen; 1897 Promotion zum Dr. phil. bei → Gustav Schmoller in Berlin, 1899 Habilitation für Nationalökonomie ebd.; 1904 o. Professor in Prag, 1908–33 und 1945–1955 o. Professor für Nationalökonomie, seit 1926 auch für Sozio­ logie in Heidelberg. Arbeiten zur Hausindustrie, Standorttheorie, Kultur­ soziologie und Geschichtsphilosophie, zudem politische Aufsätze. Ausschußmitglied im Verein für Socialpolitik. Bruder Max Webers. Weber, Arthur (1.2.1877–19.2.1952). Offizier. 1898 Leutnant, 1913 Hauptmann bei den Garde-Pionieren in Berlin, 1943 als Oberstleutnant pensioniert. 1903 Eheschließung mit Valborg Weber, geb. Jahn, Scheidung 1924; zweite Ehe mit Helene Weinstein. Jüngster Bruder von Max Weber. Weber, Carl (Carlo) (15.10.1858–24.4.1923). Fabrikant. Leitete mit seinem Schwager → Bruno Müller die väterliche Leinenweberei in Oerlinghausen; Sohn von → Carl David Weber; verheiratet mit → Emilie (Emily) Weber, geb. Brassert; Onkel von → Marianne Weber und Vetter von Max Weber. Weber, Carl David (17.4.1824–21.7.1907). Fabrikant. Gründer der Leinenweberei in Oerlinghausen; Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen.; Großvater von → Marianne Weber und Onkel von Max Weber. Weber, Clara (5.9.1875–14.1.1953). Verlobte sich 1894 mit → Ernst Mommsen (Eheschließung 1896). Schwester von Max Weber. Weber, Emilie (Emily), geb. Brassert (18.8.1860–1.3.1949). Verheiratet mit → Carl (Carlo) Weber. Weber, Georg (10.2.1808–10.8.1888). Gymnasiallehrer und Historiker. Nach Studium der Geschichte und klassischen Philologie im Lehramt, zuletzt bis 1872 als Direktor der Höheren Schule in Heidelberg; verheiratet mit Ida Weber, geb. Becher, einer Cousine und Freundin von Max Webers Großmutter Emilie Fallenstein. Weber, Hedwig Emilie → Lohmann, Hedwig Emilie. Weber, Helene, geb. Fallenstein (15.4.1844–14.10.1919). Tochter von Friedrich Georg Fallenstein und Emilie Fallenstein, geb. Souchay, seit 1863 verheiratet mit → Maximilian (Max) Weber sen. Zeitlebens ausgeprägtes religiöses und soziales Engagement; gründete den Charlottenburger Hauspflegeverein; 1894 Mitinitiatorin des „Jugendheim e.V.“ in Charlottenburg; ehrenamtlich in der Wohlfahrtszentrale für Charlottenburg tätig; unterstützte → Friedrich Naumann; 1903 als erste Frau in Preußen Mitarbeiterin der

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Charlottenburger Stadtverwaltung für das Armenwesen. Mutter von Max Weber. Weber, Karl (3.10.1870–22.8.1915). Architekt. Nach dem Abitur im September 1892 Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger in München; Studium der Kunstgeschichte und des Bauwesens in München, Karlsruhe und an der TH Charlottenburg; 1902 Regierungsbaumeister beim preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten; 1907 etatmäßiger Professor an der TH Danzig, 1913 an der TH Hannover; gefallen als Hauptmann der Reserve bei Brest-Litowsk. Bruder von Max Weber. Weber, Lili (26.7.1880–7.4.1920). Heiratete 1902 den Architekten Hermann Schäfer (1871–1914). Jüngste Schwester von Max Weber. Weber, Marianne, geb. Schnitger (2.8.1870–12.3.1954). Repräsentantin der Frauenbewegung, Schriftstellerin. Tochter von → Eduard Schnitger und Enkelin von → Carl David Weber; 1892/93 Malunterricht bei → Adolf Meyer und Marie Davids in Berlin; heiratete am 20.9.1893 Max Weber; 1894–97 Studien bei → Heinrich Rickert in Freiburg i. Br., nach 1897 in Heidelberg Gasthörerin bei Paul Hensel, Max Weber und Wilhelm Windelband, Emil Lask und Karl Jaspers. Publizierte 1900 die zunächst als Dissertation geplante Studie über „Fichtes Sozialismus und sein Verhältnis zur Marx’schen Doktrin“; 1897 Vorsitzende der neu gegründeten Heidelberger Abteilung des Vereins Frauenbildung-Frauenstudium, seit 1900 Vorstandsmitglied und 1919–21 Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine; 1919 Mitglied der verfassunggebenden Badischen Nationalversammlung (DDP); nach dem Tode Max Webers 1920 Rückkehr von München nach Heidelberg und Herausgabe der nachgelassenen Manuskripte zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ sowie der Aufsätze Max Webers in mehreren Sammelbänden; 1922 Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg für die Herausgabe der Schriften ihres Mannes und ihr Werk „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ (1907); 1926 Veröffentlichung von „Max Weber. Ein Lebensbild“ sowie von zahlreichen Aufsätzen und Büchern zur Frauenfrage und zur Neubestimmung weiblicher Leitbilder. Weber, Maximilian (Max) sen. (31.5.1836–10.8.1897). Jurist, nationalliberaler Politiker und Stadtrat. Studium in Göttingen und Berlin, 1858 Promotion zum Dr. jur. utr. in Göttingen aufgrund zweier Exegesen in lateinischer Sprache; 1859 bei der Pressestelle des preußischen Staatsministeriums tätig, 1862–69 Stadtrat in Erfurt, 1869–93 in Berlin; 1868–82 (Wahlkreis Erfurt 4) sowie 1884–97 (Wahlkreis Magdeburg 8: Oschersleben-Halberstadt-Wernigerode) MdprAH (Nationalliberale Partei); 1872–77 (Wahlkreis Sachsen-Coburg-Gotha 1: Coburg) und 1879–81 (Wahlkreis Magdeburg 4: Stadt Magdeburg) sowie 1881–84 (Wahlkreis Braunschweig 3: Holzminden-Gandersheim) MdR (Nationalliberale Partei); Mitglied der preußischen Staatsschulden- sowie der Reichsschulden-Kommission; führendes Mit-

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glied der Nationalliberalen Partei. Verheiratet mit → Helene Weber; Vater von Max Weber. Weber, Ottilie (31.5.1836–20.10.1912). Zwillingsschwester von → Maximilian (Max) Weber sen.; lebte unverheiratet in Oerlinghausen. Tante von Max Weber. Weber, Otto (26.10.1829–23.8.1889). Kaufmann. Bruder von → Maximilian (Max) Weber sen. Onkel von Max Weber. Wehrenpfennig, Anna (Helene Theodore), geb. Hoelzle (22.5.1830–1881?). Erste Ehefrau von → Wilhelm Wehrenpfennig (Heirat 1860); Mutter von → Susanna Keibel, geb. Wehrenpfennig. Wehrenpfennig, Else Johanna Ottilie (5.12.1871–?). Zweitjüngste Tochter von → Anna und → Wilhelm Wehrenpfennig; Schwester von → Susanna Keibel, geb. Wehrenpfennig. Wehrenpfennig, Emilie, geb. Kopp, verw. v. Breuls (1834–ca. 1910). Zweite Ehefrau von → Wilhelm Wehrenpfennig. Wehrenpfennig, Henriette Clara Bertha Elise Hedwig (8.9.1873–?). Jüngste Tochter von → Anna und → Wilhelm Wehrenpfennig; Schwester von → Susanna Keibel, geb. Wehrenpfennig. Wehrenpfennig, Johannes Friedrich Hermann (11.6.1869–?). Dritter Sohn von → Anna und → Wilhelm Wehrenpfennig; Bruder von → Susanna Keibel, geb. Wehrenpfennig. Wehrenpfennig, Max Franz Adolph Wilhelm (Taufe am 26.9.1861–?). Ältester Sohn von → Anna und → Wilhelm Wehrenpfennig; Bruder von → Su­ sanna Keibel, geb. Wehrenpfennig; vermutlich wurde er nach Brasilien gesandt. Wehrenpfennig, Susanna → Keibel, Susanna Wehrenpfennig, Wilhelm (25.3.1829–25.7.1900). Preußischer Beamter, Publizist und Politiker. 1853 Promotion zum Dr. phil. in Halle (Saale), 1857– 1860 Gymnasiallehrer in Berlin; 1859 zunächst Mitarbeiter, 1861–62 Direktor des Literarischen Büros (Pressestelle) des preußischen Staatsministeriums; 1863–67 Redakteur und 1867–71 neben → Heinrich von Treitschke Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher“, 1871 alleiniger Herausgeber; 1872–74 Chefredakteur der „Spenerschen Zeitung“; seit 1877 Geh. Regierungsrat zunächst im preußischen Handelsministerium, dann im Kultusministerium, 1879–99 zuständig für die Angelegenheiten der Technischen Hochschulen; 1899 Wirkl. Geh. Oberregierungsrat; 1868–79 MdprAH,

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1869–81 Mitglied im Norddeutschen Reichstag bzw. MdR (Nationalliberale Partei); u. a. Vater von → Susanna Keibel, geb. Wehrenpfennig. Weismann, August (17.1.1834–5.11.1914). Naturforscher, Mediziner, Zoologe und Evolutionsbiologe. 1858 Dr. med., 1863 Privatdozent in Freiburg i. Br., seit 1866 a. o. Professor, seit 1873 o. Professor für Zoologie ebd.; Veröffentlichungen zu Vererbungserscheinungen und zur Darwinschen Selektionstheorie; gilt als einer der Begründer des Neodarwinismus; lehnte die Lamarcksche Theorie von der Vererbung erworbener Eigenschaften ab und hob die Bedeutung der Selektion als entscheidenden Evolutionsfaktor hervor. Weizsäcker, Heinrich (18.10.1862–14.1.1945). Kunsthistoriker. 1885 Promotion zum Dr. phil., 1891–1904 Direktor des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt a. M., 1904 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart. Bruder von → Hugo Weizsäcker. Weizsäcker, Hugo (9.8.1861–4.11.1939). Jurist. 1888 Gerichtsassessor, 1894 am Amtsgericht in Köpenick, 1894 Amtsrichter in Oranienburg, 1900 Landrichter am Landgericht Marburg, 1900–1902 nebenamtlich Universitätsrichter, 1903 Landesgerichtsrat, 1906 Kammergerichtsrat in Berlin; 1914 Senatspräsident beim Kammergericht, seit 1921 am Oberlandesgericht Celle tätig, 1924 Senatsvorsitzender und Vizepräsident ebd. Bruder von → Heinrich Weizsäcker. Wendt, Marie, geb. Weber (11.7.1828–1911). Enkelin von David Friedrich Weber, einem Bruder von Max Webers Urgroßvater David Christian Weber. Über ihre Mutter Henriette Nottebohm auch verwandt mit der Familie Möller; seit 1847 verheiratet mit dem Hamburger Pastor Hans Hinrich Wendt (1813–1862). Werner, Anton von (9.5.1843–4.1.1915). Historienmaler. 1875 Direktor der Lehranstalt der Preußischen Akademie (Hochschule der Bildenden Künste) in Berlin und Mitglied der preußischen Landeskunstkommission. Widmete sich v. a. kriegerischen und zeremoniellen Szenen; bekannt ist sein Ölgemälde „Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches“ (1877). Wichern, Johannes (23.9.1845–1914). Evangelischer Theologe. 1870 Oberlehrer am Johannesstift zu Berlin, 1873 Direktor des Rauhen Hauses bei Hamburg, einer sozialen kirchlichen Einrichtung, die 1833 sein Vater Johann Hinrich Wichern (1808–1881) für verwahrloste Kinder und Jugendliche gegründet hatte. Wilamowitz-Moellendorf, Marie von, geb. Mommsen (28.6.1855–14.10.1953). Älteste Tochter von → Theodor Mommsen; seit 1878 verheiratet mit → Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf.

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Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich von (22.12.1848–25.9.1931). Klassischer Philologe. 1870 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1874 Habilitation ebd.; 1876 o. Professor für Klassische Philologie in Greifswald, 1883 in Göttingen, 1897–1922 in Berlin. Zu seiner Zeit weithin prägend für die Entwicklung der Griechischen Philologie in Deutschland und darüber hinaus; umfassendes Werk zur griechischen Kultur der Antike. Wildermuth, Adelheid (3.2.1848–18.2.1932). Leitete mit ihrem Bruder → Hermann Wildermuth das „Ottilienhaus“ in Stuttgart, ein Privatsanatorium für weibliche und jugendliche Nervenkranke; auch Schriftstellerin und Herausgeberin der Werke ihrer Mutter, der Erfolgsautorin Ottilie Wildermuth (1817–1877). Wildermuth, Hermann (28.4.1852–22.5.1907). Nervenarzt. 1876 Promotion zum Dr. med. in Tübingen, 1878 Assistenzarzt der Chirurgischen Abteilung des Stuttgarter Katharinenhospitals; 1879 psychiatrische Ausbildung in der Privatanstalt Christophsbad in Göppingen; 1880–89 ärztlicher Vorstand der „Heil- und Pflegeanstalt für Schwachsinnige und Epileptische“ in Stetten im Remstal, 1889 Niederlassung als Nervenarzt in Stuttgart; 1890– 1907 medizinischer Leiter des mit seiner Schwester → Adelheid Wildermuth geführten „Ottilienhaus“ in Stuttgart. Zahlreiche Arbeiten zu Epilepsie und „Idiotie“. Wilhelm von Preußen (6.5.1882–20.7.1951). (Kron-)Prinz von Preußen. Ältester Sohn von Kaiser Wilhelm II. und seiner Frau → Auguste Victoria. Wilhelm, Sylvester (29.4.1850–1.10.1925). Katholischer Militärgeistlicher. 1874 Priesterweihe, 1883 hauptamtlicher Divisionspfarrer in Straßburg, 1902–18 Militäroberpfarrer ebd. Windscheid, Bernhard (26.6.1817–26.10.1892). Jurist (Zivilrechtler). 1838 Promotion zum Dr. jur. in Bonn, 1840 Habilitation, 1847 a. o. Professor ebd., im selben Jahr o. Professor für Römisches Recht in Basel, 1852 in Greifswald, 1857 in München, 1871 in Heidelberg, seit 1874 in Leipzig. Mitglied der Kommission für die Ausarbeitung des Entwurfs eines BGB für das Deutsche Reich. Sein – in sieben Auflagen von ihm bearbeitetes – Pandektenlehrbuch faßt die Lehren der gemeinrechtlichen Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts zusammen und hat das deutsche BGB maßgeblich geprägt. Windthorst, Ludwig (17.1.1812–14.3.1891). Rechtsanwalt und Zentrumspolitiker. 1849–56, 1862–66 Abgeordneter der Zweiten hannoverschen Kammer; 1851–53 und 1862–65 hannoverscher Staatsminister der Justiz. Nach der Annexion Hannovers seit 1867 MdprAH, 1867–71 Mitglied des Norddeutschen Reichstags (fraktionslos); seit 1871 MdR (Zentrum), als dessen

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Führer Gegenspieler Otto von Bismarcks im „Kulturkampf“; einer der bedeutendsten Parlamentarier der Bismarckzeit. Wittenburg, Rudolf von (17.6.1842–14.5.1911). Preußischer Beamter, Geologe. 1864 Promotion zum Dr. phil.; 1872 Landrat in Oberschlesien; 1887 Eintritt in die Preußische Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen, mit Sitz in Posen, 1891 bis 1903 deren Präsident. Max Weber besuchte mit ihm während seiner militärischen Übung 1894 Ansiedlungsgüter in Posen. Wolfram, Georg (Karl) (3.12.1858–14.3.1940). Historiker und Bibliothekar. 1883 Promotion zum Dr. phil., danach Gymnasiallehrer in Straßburg; 1888– 1901 Kaiserlicher Archivdirektor in Metz, 1909–18 Direktor der Universitätsbibliothek Straßburg; 1913 Honorarprofessor für elsässisch-lothringische Landesgeschichte ebd., 1921 für Philosophie in Frankfurt a. M. Gründer des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich ebd. Herausgeber der „Jahrbücher für lothringische Geschichte und Altertümer“ sowie der „Urkunden und Akten der Stadt Straßburg“. Schüler von → Hermann Baumgarten. Yse, Frl. (?–?). Bekannte von → Clara Weber. Zarathustra (ca. 630–553 v.Chr.). Altiranischer Religionsstifter. Zedlitz-Trützschler, Robert Graf von (8.12.1837–21.10.1914). Preußischer Politiker. 1881 Regierungspräsident in Oppeln; 1884 Mitglied des Staatsrats; 1886 Oberpräsident von Posen, außerdem Vorsitzender der Ansiedlungskommission für Posen und Westpreußen; 1891/92 preußischer Kultusminister, 1892 Rücktritt nach Ablehnung des sog. „Zedlitzschen Volksschulgesetzes“ (dieses wollte die Religion als höchstes Bildungsziel und die Kirchen als wichtigste Bildungsinstitution festsetzen); seit 1898 Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau, 1903–09 Oberpräsident von Schlesien. Zeller, Eduard (22.1.1814–19.3.1908). Theologe und Philosoph. 1836 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen, 1840 Habilitation für Theologie ebd.; 1847 a. o. Professor, 1849 o. Professor für Theologie in Bern, im selben Jahr o. Professor für Philosophie in Marburg, 1862 in Heidelberg und 1872–92 in Berlin; 1864 Mitglied der Preußischen, 1873 der Bayerischen und 1890 der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Gehörte zu den ersten Vertretern des Neukantianismus und Neukritizismus. Bedeutender Philosophiehistoriker. Ziegler, Ernst (17.3.1849–30.11.1905). Schweizer Pathologe. 1872 Promotion zum Dr. med. in Bern, 1875 Habilitation in Würzburg, 1878 a. o. Profes-

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sor in Freiburg i. Br., 1881 o. Professor für Pathologie in Zürich, 1882 in Tübingen, 1889 in Freiburg. Zumbusch, Emilie, geb. Hesse (16.1.1844–13.1.1878). Mitkonfirmandin und Jugendfreundin von → Helene Weber.

Verwandtschaftstafeln

Die nachfolgenden Tafeln erfassen die Nachfahren von Georg Friedrich Fallenstein, dem Großvater Max Webers, und Carl David Weber, einem Onkel Max Webers und Großvater Marianne Webers. Vorangestellt ist eine vereinfachte Darstellung der Verwandtschaftsbeziehung zwischen Max und Marianne Weber, die die vier weiteren Geschwister von Max Webers Vater unberücksichtigt läßt. ln den Tafeln werden die Familienangehörigen im Generationszusammenhang von Max Weber vollständig aufgeführt: die nachfolgende Generation seiner Neffen und Nichten wird jedoch vernach­ lässigt. Die Angaben entstammen: Döhner, Otto, Das Hugenottengeschlecht Souchay de Ia Duboissière und seine Nachkommen, in: Deutsches Familienarchiv, Bd.   19. – Neustadt a.   d. Aisch: Degener 1961, S.   316 ff., und: Hamburgisches Geschlechterbuch, bearb. von Hildegard von March­ taler, 10. Hamburger Band (Deutsches Geschlechterbuch, Bd.  128). – Lim­ burg a.  d. Lahn: Starke 1962, S.  4 41 f. Darüber hinaus konnten durch Auskünfte von Standes- und Kirchenämtern, Stadt-, Landes- und Firmenarchiven sowie von Familienangehörigen zahlreiche weitere Angaben ermittelt werden. Nicht in jedem Falle war es möglich, die Lebensdaten festzustellen. Besonderen Dank schulden die Herausgeber Dr. Max Weber-Schäfer, Konstanz, Prof. Dr. Ernst Walter Zeeden, Tübingen, Frau Helen Fallenstein Carroll, Fort Lauderdale, Florida, Frau Erline Miller, Mount Airy, North Carolina, sowie Herrn Hans-Gerd Warneken, Oerlinghausen.

Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Max und Marianne Weber Karl August Weber (1796–1872)  Marie Lucie Wilmans (1804–1882) Carl David Weber (1824–1907)  Marianne Niemann (1831–1871) I Anna Weber (1851–1873)  Eduard Schnitger (1844–1903) I Marianne Schnitger

Max Weber (sen.) (1836–1897)  Helene Fallenstein (1844–1919) I Max Weber

Die vier weiteren Kinder von Karl August Weber und Marie Lucie Wilmans sind: Alwine Weber (1826–1864)  Werner Nasse (1822–1889); Otto Weber (1829–1889)  Emilie Röltgen (1836–1917); Leopold Weber (1833–1876)  Marianne Davies (1838–  ); Ottilie Weber (1836–1912).

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Verwandtschaftstafeln

Nachfahren von Carl David Weber Carl David Weber (1824–1907)  Marianne Niemann (1831–1871) Anna Weber Hertha Weber (1853–1934) (1851–1873)  Eduard Schnitger  Karl Möller (1837–1918) (1844–1903) Marianne Schnitger (1870–1954)  Max Weber (1864–1920)

Alwine Weber (1855–1936)  Bruno Müller (1848–1913)

Carl Weber (1858–1923)  Emilie Brassert (1860–1949)

Eleonore Weber (1861–1948)  Wilhelm Müller (1850–1915)

Anna Möller (1873–1915)  Hermann Castendyk (1864 –  )

Georg Müller (1878–1954)  Lili Tiemann (1887–1939)

Erich Müller (1883–1960)  Else Schulz (1896–1971)

Erwin Möller (1874–1927)

Richard Müller (1882–1937)  Traute Riedel (1889–1952)

lna Müller (1887–1947)  Max H. D. Pfeffer

Elfriede Möller (1877–1924)  Wilhelm Luyken (1875–1933) Eleonore Möller (1879–1947)  Wilhelm Lamping (1861–1929) Bruno Möller (1881–1914) Hildegard Möller (1883–1916)  Otto Luyken (1878–1929) Harald Möller (1894–1923)

Wolfgang Müller (1884–1958)  1. Elisabeth Huxholl (1884–1948)  2. Luise von Conta (1896–1975) Marianne Müller (1886–1934)  Konrad Zeeden (1879–1925) Roland Müller (1890–1916) Berthold Müller (1893–1979)  1. Jenny Wiegmann (1895–1969)  2. Emily Sturm (1901–1992)

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Verwandtschaftstafeln

Nachfahren von Georg Friedrich Fallenstein Georg Friedrich Fallenstein (1790–1853)  1. Elisabeth Benecke (1792–1831) Adalbert (Gustav) Roderich Fallenstein Otto T. Fallenstein Laura Fallenstein Fallenstein (1818–1865) (1820–1899) (1815–1890)  Henriette Hageböck  1. Alice Thompson  Carl Gustav Bunge (1811–  ) (1817–1889) (1830–1852) (1811–1884)  2. Elisabeth Beresford Campbell (1830–1878) Heinrich Fallenstein (1845–1882)  Auguste

Friedrich (Fritz) Elisabeth Fallenstein Fallenstein, (1827–1901) ab 1837 Francis Miller  Julius Jolly (1823–1891) (1822–1897)  Mary Ann Stoneman (1827–1894)

Frederick Fallenstein (1849–1849)

Betty Bunge (1842–1860)

James Miller (1845–1861)

Emily Fallenstein (1850–1883)  Otto Baumgarten (1858–1934)

Emilie Bunge (1843–1899)  Julius Bunge (1838–1908)

Jefferson Miller (1847–1932)  Amanda Hill (1849–1943)

Emil Fallenstein (1849–1906)  Mary Gelmer (1848–1881)

Frank T. Fallenstein (1858–1929)  1. Elisa Fleming (1861–1892)  2. Ellen E. Tickle (1858–1916)

Julia Bunge (1843–1876)  Alexander Bunge (1841–1911)

Alexander Miller (1849–1857)

Julius Fallenstein (1854–  )

Charles Fallenstein (1862–1862)

Laura Fallenstein (1854–1908)  Max Erbe

Laura Fallenstein (1863–1930)  Otto von Klock (1864–1934)

Friedrich (Fritz) Fallenstein (1847–1928)  Marie Jolly (1859–1936)

Roderich (Rodrigo) Fallenstein (1858–  )  Carolina Wendt Ottilie Fallenstein

Ernst Bunge (1846–1933)  Charlotte von Gemmingen (1860–1948)

Hugh Miller (1851–1925)  Mary J. Brindle (1856–  ) Julius Miller (1854–1870)

Marie Bunge (1848–1937)  Moritz Huffmann (1847–1921)

Elizabeth Miller (1856–1914)  Robert Rawley (1841–1926)

Eduard Bunge (1851–1927)  Sophia Maria Karcher (1863–1907)

Charles Miller (1858–1885)  Mary Lou Sousa George Miller (1862–1903)  Amanda King William (Bill) Miller (1866–1949)  Magnolia (Nola) Brittain (1871–1959) Emil James (Jim) Miller (1868–1918)  Maggie A. Johnson (1869–1941)

Julius Jolly (1856–1898)  Julie Nicolai (1859–1922) Philipp Jolly (1857–1923)  Emilie Hausrath (1870–1934) Marie Jolly (1859–1936)  Friedrich (Fritz) Fallenstein (1847–1928) Elisabeth Jolly (1864–1937)  Karl Heil (1848–1906)

650

Verwandtschaftstafeln

Nachfahren von Georg Friedrich Fallenstein Georg Friedrich Fallenstein (1790–1853)  2. Emilie Souchay (1805–1881) lda Fallenstein Henriette Fallenstein Carl Fallenstein Helene Fallenstein (1837–1899) (1840–1895) (1842–1843) (1844–1919)  Hermann Baumgarten  Adolf Hausrath  Max Weber (sen.) (1825–1893) (1837–1909) (1836–1897) Fritz Baumgarten (1856–1913)  Else Georgii (1859–1924) Otto Baumgarten (1858–1934)  Emily Fallenstein (1850–1883) Hermann Baumgarten (1861–1865) Elisabeth Baumgarten (1863–1864) Emmy Baumgarten (1865–1946) Anna Baumgarten (1868–1943)

August Hausrath (1865–1944)

Max Weber (1864–1920)  Marianne Schnitger (1870–1954)

Emilie Fallenstein Eduard Fallenstein (1846–1922) (1848–1871)  Ernst Wilhelm Benecke (1838–1917) Dora Benecke (1867–1951)

Anna Weber (1866–1866)

Wilhelm Benecke (1868–1946)  Martha Heseler (1877–1957)

Laura Hausrath (1867–1928)

Alfred Weber (1868–1958)

Helene Benecke (1870–1878)

Pauline Hausrath (1869–1869)

Karl Weber (1870–1915)

Elisabeth Benecke (1871–1872)

Emilie Hausrath (1870–1934)  Philipp Jolly (1857–1923)

Helene Weber (1873–1877)

Marie Benecke (1873–1956)  Arthur Schmidt-Brücken (1861–1940)

Hans Hausrath (1866–1945)  Martha Brauer (1879–1955)

lda Baumgarten (1870–1871)

Paula Hausrath (1872–1958)  Georg Schmidt (1860–1935)

Helene Baumgarten (1873–1880)

Ernst Hausrath (1873–1876) Maria Hausrath (1875–1894) Margarete Hausrath (1877–1965) Erich Hausrath (1878–1879) Lilli Hausrath (1882–1965)  Fritz Hermann (1871–1929)

Clara Weber (1875–1953)  Ernst Mommsen (1863–1930) Arthur Weber (1877–1952)  1. Valborg Jahn (1878–1959)  2. Helene Weinstein (1892–  ) Lili Weber (1880–1920)  Hermann Schäfer (1871–1914)

Auguste Benecke (1874–1952)  Martin Schmidt (1863–1949) Margarete Benecke (1877–1960)  Carl-August Beneke (1860–1929) Otto Benecke (1879–1903) Elfriede Benecke (1882–1940) Hans Benecke (1884–1898)

Register der Briefempfänger

Althoff, Friedrich 3. März 1893, 320–324; 5. Aug. 1893, 450 f.; zwischen dem 8. und 24. Okt. 1893, 475 f.; 25. Okt. 1893, 481 f.; 3. April 1894, 521 f.; 28. April 1894, 537 Ammon, Otto 14. Dez. 1894, 585–587 Baumgarten, Emmy 10. und 11. April 1887, 60–68; 8., 11. und 12. Mai 1887, 75–84; 31. Mai und 3. Juni 1887, 85–87; 5. und 12. Juli 1887, 96–106; 20. Aug. 1887, 116–120; 21. Okt. 1887, 128–139; 17. Febr. 1888, 142–144; 14. Juli 1889, 190–195; 14. und 17. Dez. 1889, 206–209; 18. Febr. 1892, 260–264; 22. April 1893, 355–357; 2. Sept. 1893, 452–454; zwischen dem 13. und 23. Mai 1894, 542 Baumgarten, Fritz 6. April 1894, 524; 21. Sept. 1894, 572; 19. Nov. 1894, 580–583 Baumgarten, Hermann 25. und 27. April 1887, 69–74; 29. Juni 1887, 90–95; 30. Sept. 1887, 121–127; 13. März 1888, 145–150; 30. April 1888, 151–159; 25. Juni 1888, 160 f.; am oder nach dem 25. Juni 1888, 162; 30. Mai 1889, 187 f.; 31. Dez. 1889, 210–213; 3. Jan. 1891, 225–232; 15. Febr. 1891, 233 f.; 20. Febr. 1891, 235–237; 28. April 1892, 265–269; 30. Nov. 1892, 290 f. Benecke, Emilie 20. Jan. 1887, 39–41; 14. Juni 1893, 398 f.; 29. April 1894, 539 f. Brentano, Lujo 25. Febr. 1893, 316–319 Eck, Ernst 15. Febr. 1889, 181–183; 27. April 1889, 185; 9. Mai 1889, 186; 12. Juli 1889, 189 Frensdorff, Ferdinand 22. Jan. 1887, 42–45; 16. Juni 1887, 88 f.; 11. Jan. 1888, 140 f.

Juristische Fakultät der Friedrich-Wil­ helms-Universität Berlin 16. Febr. 1889, 184; 22. Okt. 1891, 254–256 Juristische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. 22. Nov. 1894, 584 Kohler, Josef 18. Dez. 1891, 257; 12. Jan. 1892, 258 Liebknecht, Wilhelm 6. Dez. 1892, 292 f. Meier, Hermann Heinrich 10. Juli 1890, 214 f. Möller, Karl 21. Juli 1890, 218 f. Mommsen, Theodor 10. Febr. 1892, 259; 25. Dez. 1892, 297 Naumann, Friedrich 16. Juni 1894, 546 f.; 4. Nov. 1894, 578 f. Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. vor oder am 23. Mai 1894, 543 f. Rade, Martin 23. Dez. 1893, 484 f.; 17. Aug. 1894, 569 f. Rickert, Heinrich 28. April 1894, 538 Schmoller, Gustav vor dem 31. Mai 1892, 272 f.; 10. Juni 1892, 274; 27. März 1893, 328; 24. Okt. 1893, 477 f.; 25. Okt. 1893, 479 f.; 8. Dez. 1893, 483; 23. Febr. 1894, 487; 6. Okt. 1894, 575 f. Schnitger, Marianne → Weber, Marian­ ne Schultze, Ernst 6. Mai 1894, 541 Sohnrey, Heinrich 25. Febr. 1894, 488 f. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 31. Juli 1894, 563, 5. Aug. 1894, 568; 24. Aug. 1894, 571; 16. Okt. 1894, 577 Vollmar, Georg von 13. Dez. 1892, 294 Warburg, Emil 12. April 1894, 527

Hartmann, Ludo Moritz 2. Juni 1894, 545

652

Register der Briefempfänger

Weber, Alfred 30. Juli 1887, 109–111; 5. Aug. 1887, 112–115; 2. Aug. 1888, 166–168; 17. Dez. 1888, 178–180; 30. Juli 1889, 201 f.; 22. Aug. 1890, 223 f.; 22. April 1891, 238; 6. Juli 1891, 246–248; vor dem 16. Febr. 1894, 486 Weber, Clara 17. Juli 1889, 200; 14. Juni 1891, 239 f.; 16. Juli 1891, 253; 21. Mai 1892, 270 f.; 7. Sept. 1892, 275; 21. Sept. 1892, 282–284; 17. Okt. 1892, 285–287; 26. Nov. 1892, 288 f.; 20. Dez. 1892, 295 f.; 7. Jan. 1893, 298–300; 9. Jan. 1893, 301; 20. Jan. 1893, 306 f.; 27. Jan. 1893, 309 f.; 31. Jan. 1893, 311–313; 24. Febr. 1893, 314 f.; 16. März 1893, 325 f.; 28. März 1893, 329–331; 15. Juli 1893, 430 f.; 27. Juli 1893, 445 f. Weber, Helene 19. Febr. 1887, 46–53; 16. und 18. März, 54–59; 25. Juli 1888, 163–165; 15. Aug. 1888, 169–172; 23. Aug. 1888, 173 f.; 9. und 14. Sept. 1888, 175–177; 17. Juli 1889, 196–199; 16. Juli 1890, 216 f.; 30. Juli 1890, 220–222; 17. Juni 1891, 241–245; 6. und 8. Juli 1891, 249–252; 14. Sept. 1892, 276–281; 26. Juli 1893, 442–444; 27. oder 28. Sept. 1893, 467 f.; 28. Sept. 1893, 469 f.; 28. Sept. 1893, 471 f.; 2. Okt. 1893, 473 f.; 8. März 1894, 499 f.; 3. April 1894, 523; 15. April 1894, 530–532; 4. Okt. 1894, 573 f. Weber, Lili 24. Juli 1887, 107 f.; 25. Juli 1893, 440 Weber, Marianne 16. Jan. 1893, 302–305; 23. Jan. 1893, 308; 26. März 1893, 327; 2. April 1893, 332–334; 7. April 1893, 325–337; 10. und 11. April 1893, 338–341; 13. April 1893, 342 f.; 15. April 1893, 344–347; 18. April 1893, 348–350; 22. April 1893,

351–354; 25. April 1893, 358–360; 26. April 1893, 361 f.; 29. April 1893, 363 f.; 30. April 1893, 365 f.; 2. Mai 1893, 367–369; 4. Mai 1893, 370–372; 5. Mai 1893, 373–375; 7. Mai 1893, 376–378; 9. Mai 1893, 379 f.; 12. Mai 1893, 381 f.; 16. Mai 1893, 383–385; 17. Mai 1893, 386 f.; 18. Mai 1893, 388 f.; 30. Mai 1893, 390–392; 2. Juni 1893, 393–395; 6. Juni 1893, 396 f.; 14. Juni 1893, 400 f.; 16. Juni 1893, 402–404; 20. Juni 1893, 405–407; 23. Juni 1893, 408 f.; 25. Juni 1893, 410 f.; 29. Juni 1893, 412–414; 30. Juni 1893, 415 f.; 2. Juli 1893, 417 f.; 6. Juli 1893, 419–421; 7. Juli 1893, 422–424; 8. Juli 1893, 425 f.; 12. Juli 1893, 427 f.; 14. Juli 1893, 429; 17. Juli 1893, 432–434; 22. Juli 1893, 435–437; 25. Juli 1893, 438 f.; 26. Juli 1893, 441; 27. Juli 1893, 447; 30. Juli 1893, 448 f.; 2. Sept. 1893, 455–457; 5. Sept. 1893, 458–460; 8. Sept. 1893, 461 f.; 11. Sept. 1893, 463 f.; 14. Sept. 1893, 465 f.; 1. März 1894, 490 f.; 2. März 1894, 492 f.; 5. März 1894, 494 f.; 6. März 1894, 496–498; 8. März 1894, 501 f.; 11. März 1894, 503–505; 14. März 1894, 506 f.; 17. März 1894, 508–510; 19. März 1894, 511–513; 22. März 1894, 514 f.; 27. März 1894, 516 f.; 1. April 1894, 518–520; 9. April 1894, 525 f.; 12. April 1894, 528 f.; 15. April 1894, 533–535; 19. April 1894, 536; 12. Juli 1894, 548–550; 15. Juli 1894, 551–553; 17. Juli 1894, 554 f.; 20. Juli 1894, 556–559; 28. Juli 1894, 560–562; 31. Juli 1894, 564–567 Weber, Max sen. 13. Sept. 1889, 203–205

Personenregister

Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Her­ ausgeberrede. Max Weber wird nur im Zusammenhang mit seinen Schriften aufgeführt. Adalbert von Prag 169, 591 Adalbert von Preußen 251, 591 Aegidi, Ludwig 418, 591 Aegidi, Martha 418, 591 Agnes (Dienstmädchen) 220, 591 Ahlefeldt, Elisabeth von 312, 591 Ahlefeldt, Fri(e)da von 312, 591 Ahlwardt, Hermann 547 Albers, Marie 345 f., 364, 374, 390, 591 Aldenhoff-Hübinger, Rita 12, 14, 17, 219, 226 Alexander von Battenberg 153, 159 Althoff, Friedrich 4, 6 –10, 21, 33, 291, 320–324, 325, 329, 331, 346, 352, 359, 368, 386, 392, 406, 408, 410, 413, 420, 424, 429 f., 432, 435, 438, 442, 443, 445–448, 450 f., 454, 475 f., 477, 479, 481 f., 509, 521–523, 524, 527, 531, 533, 537, 542 f., 545, 573, 577, 592 Amira, Karl von 6, 291 Ammon, Otto 18, 34, 488, 585–587 Arendt, Otto 91, 592 Arnsperger, Ludwig 320, 322, 430, 451, 479, 537, 592 Ascheri, Mario 31 August Wilhelm von Preußen 251, 592 Auguste Victoria 149, 152, 592 Auhagen, Otto 274, 592 Bach, Johann Sebastian 308, 557 Baedeker, Karl 35, 204, 469 Bahr, Hermann 24 Banach, Sarah 173 Bassi, Hasko von 56, 191, 207 Baumgarten, Adolf 290, 593 Baumgarten, Anna 28, 51, 68, 120, 127, 133, 140, 159, 208, 225 f., 232, 269, 278, 283, 346, 374, 408 f., 422, 452–454, 593 Baumgarten, Eberhard 56, 133 Baumgarten, Elisabeth (Else) 226, 524, 572, 580–582, 593

Baumgarten, Elisabeth (Elschen) 226, 593 Baumgarten, Emily 51, 56, 133, 221 Baumgarten, Emmy 1, 15, 25–30, 32, 50, 57, 60–68, 71, 74–87, 90, 93, 94, 96–106, 108, 112, 116–120, 127–140, 142–144, 151, 159, 168, 188, 190–195, 197, 199 f., 206–209, 211, 224, 225, 260–265, 269, 276, 278 f., 283, 303 f., 320, 327, 332 f., 334–338, 339, 340, 344–346, 349–351, 353, 355–357, 366, 374, 377, 389, 405, 408 f., 415, 422, 425, 429, 433 f., 439, 441, 452–454, 456, 459, 519, 521, 524, 542, 593 Baumgarten, Friedrich (Fritz) 9, 26, 28, 59, 109, 112, 117–119, 123, 129, 132 f., 195, 226, 280, 323, 336 f., 415, 519, 528 f., 531, 535, 537, 538, 572, 580–583, 593 Baumgarten, Hermann 2– 4, 6, 10–15, 20–24, 27–29, 50–52, 56 f., 59, 69–74, 79, 90–95, 97, 99, 110, 118, 119–127, 128, 129, 133, 136, 139, 140, 144–162, 165, 170, 172, 174, 181, 187 f., 190, 195, 208–213, 225–237, 243, 249, 254, 261, 264–269, 280 f., 290 f., 332, 374, 405, 409, 415, 460, 593 Baumgarten, Hermann (jun.) 226, 594 Baumgarten, Ida 25, 28–30, 39, 46, 51, 52, 55–58, 60, 74, 78, 93 f., 99, 106, 127, 133, 134, 139, 151, 159, 165, 196, 232, 234, 263, 265, 269, 278, 280, 327, 330 f., 332–335, 337, 339, 344, 349, 351, 355, 356, 408 f., 422, 429, 433, 439, 453 f., 460, 470, 594 Baumgarten, Marie 165, 233, 235, 236 f., 290, 594 Baumgarten, Otto 10, 14, 23, 25, 27 f., 32, 34, 39, 40 f., 52, 56–61, 68, 77, 85 f., 106, 117 f., 123, 132–135, 148, 173, 181, 188, 190, 191, 192, 196–198, 201, 207 f., 211, 217–221, 226 f., 234, 262, 265–267,

654

Personenregister

277 f., 280, 284, 286, 336–338, 399, 415, 419, 453 f., 455, 471, 500, 509, 514, 594 Baumgarten, Theodor Max 226, 594 Bebel, August 372, 393, 396, 400, 594 Bekker, Ernst Immanuel 25, 280, 594 f. Benda, Robert von 73, 595 Benecke, Auguste (Gussy) 251, 506 f., 515, 539 f., 595 Benecke, Dorothea (Dora) 68, 138, 192, 199, 208, 289, 333, 338, 340, 344, 353, 399, 439, 460, 464, 507, 549, 595 Benecke, Emilie (Nixel) 24, 39–41, 46, 54, 60, 68, 87, 196, 251, 253, 275, 280, 281, 283 f., 333, 338, 400, 409, 422, 431, 433, 461, 463, 470, 539 f., 595 Benecke, Ernst Wilhelm 20, 41, 55, 68, 87, 251, 253, 277, 280, 281, 333, 338, 399, 463, 540, 595 Benecke, Margarete (Grete) 398, 506, 595 Benecke, Marie → Schmidt, Marie Benecke, Wilhelm 199, 207 f., 220–223, 379, 384, 439, 461, 595 Bennigsen, Rudolf von 73, 149, 152, 159, 595 f. Bergmann, Ernst von 92, 596 Bergmann, Waltari 396 Bernuth, August Moritz Ludwig von 190 Bertha (Dienstmädchen in Charlotten­ burg) 220, 596 Bertha, Frl. (Hausangestellte in Freiburg i. Br.) 580–583, 596 Beßlich, Barbara 24 Betz, Frl. 110, 596 Beyschlag, Willibald 61, 198, 596 Biermann, Emma 514, 596 Biermann, Johannes 446, 514, 566, 596 Bischoff, Luise → Göhre, Luise Bismarck, Otto Fürst von 12, 20, 42, 61, 70, 72 f., 92 f., 149, 151, 152–155, 156 f., 158 f., 200, 213, 229 f., 238, 269 Born, Karl Erich 93 Börner, Anna 286, 312, 596 Börner, Katharina (Käthe) 270, 276, 284–286, 312, 596 Bötticher, Karl Heinrich von 71 Boulanger, Georges 20, 42 f. Brahms, Johannes 462 Braun, Heinrich 517, 528, 548, 597 Brenning, Joachim 287 Brentano, Lujo 7, 16 f., 34, 316–319, 597 Bresslau, Harry 95

Bretschneider, Anneliese 509 Brunner, Anna 534, 597 Brunner, Heinrich 7, 187, 325, 534, 552, 597 Buchenberger, Adolf 430, 597 f. Buchholz, Stephan 31 f., 463, 466 Bulle, Constantin 51, 598 Bülow, Hans von 462 Bunge, Eduard 205, 598 Bunge, Laura 105, 205, 598 Bunge, Marie → Huffmann, Marie Buttmann, R. (Landgerichtsdirektor) 43, 66 Caprivi, Leo Graf von 12, 17, 268, 402, 487, 506, 512, 598 Carlowitz, Albrecht von 174, 598 Carls oder Carl (Photograph) 312, 598 Cartesius, Renatus (René Descartes) 110, 598 f. Castendyk, Albert Hermann 507, 509, 518, 599 Castendyk, Anna (geb. Möller) 391, 455, 507, 509, 517 f., 599 Cegielska, Albertyna Gräfin 490, 599 Chamba, Nathalie 23 Chamisso, Adelbert von 79 Charlotte von Preußen (Prinzessin) 200 Cicero 80 Cignani, Carlo 458, 599 Cohn, Fritz 501, 507, 511, 549, 552, 558, 599 Conrad, Johannes 73 Corvilain, Joseph 204, 599 Cosack, Konrad 584, 599 Cosel, Anna 276, 284 f., 287, 392, 395, 402, 421, 415, 426, 599 Craig, Gordon Alexander 149 Curtius, Friedrich 71 Davids, Marie 358 Deininger, Jürgen 3, 12, 180, 211, 317 Delbrück, Hans 569 Demandt, Alexander 269 Demm, Eberhard 23, 112, 166 Dernburg, Heinrich 11, 180, 187, 599 Descartes, René → Cartesius, Renatus Dieterici, Wilhelm 180, 464, 511, 519, 600 Dilcher, Gerhard 3, 7, 42, 326 Dilthey, Clara 440, 600 Dilthey, Katharina (Käthe) 440, 446, 600 Dilthey, Wilhelm 440, 446, 600

Personenregister Dittmar, Frl. 330 f., 600 Dohn (Döhn), Frl. 436, 600 Doll, Karl Wilhelm 56, 600 Donath, Matthias 399 Dove, Alfred 212 Dreyer, Selma Marie Friedericke Caroline 198, 600 Dümmler, Ernst 95 Ebel, Friedrich 31 Eck, Ernst 3, 140, 181–183, 184, 185 f., 187, 189, 190, 196, 201, 210, 254, 329, 331, 423, 443, 445, 476, 551, 600 Egidy, Christoph Moritz von 248, 250, 600 f. Eitel Friedrich von Preußen 251, 601 Elise (Pflegetochter) 221, 601 Elster, Ludwig 322 Enke, Alfred 238, 601 Erdmannsdörffer, Bernhard 25, 280, 601 Erk, Friedrich 79, 108 Ernst, Friedrich 290, 601 Ernsthausen, Adolf Ernst von 170, 601 Eulenburg, Botho Graf zu 267, 601 Evert, Georg 23, 219, 391, 465, 514, 601 f. Fabricius, Ernst 118, 602 Fallenstein, Elisabeth 50 Fallenstein, Emil 76, 94, 602 Fallenstein, Emilie 173 Fallenstein, Frank Theodore 51, 76, 99, 105, 133, 134, 602 Fallenstein, Friedrich (Fritz) → Miller, Francis Fallenstein, Friedrich (Fritz) (Vetter) 25, 203, 602 Fallenstein, Georg Friedrich 36, 94 Fallenstein, Laura → Klock, Laura von Fallenstein, Marie (geb. Jolly) 279, 602 Fallenstein, Otto Theodor 50 Fallenstein, Roderich 94 Fittig, Emma Adele 82 Fittig, Georgine Anna → Rasch, Georgine Anna Fittig, Rudolf 82 Fleischer, Oskar 557, 602 Fließ, Johanna (Hanna) 170, 176, 602 Fließ, Otto 176, 603 Fließ, Paul 170, 176, 603 Fournier, Julie Davida 285, 288, 299, 306, 309, 312, 325, 440, 603

655

Frensdorff, Anna Cäcilie 45, 89, 124, 136, 140, 160, 287, 603 Frensdorff, Else 45, 89, 124, 136, 140, 603 Frensdorff, Ferdinand 1 f., 11, 20, 34, 39, 42–45, 46, 53, 66, 75, 88 f., 109, 117 f., 119, 123 f., 136, 140 f., 160, 162, 181, 228, 287, 603 Frensdorff, Käthe 45, 89, 124, 136, 140, 287, 603 Freytag, Gustav 212 Friedrich I. von Baden 10, 448, 537, 603 Friedrich III. (deutscher Kaiser und König von Preußen) 13, 73, 92 f., 145, 148 f., 152, 153 f., 158, 160, 162, 212, 603 Frischbier, H. 502 Fuchs, Carl Johannes 272, 320 Fuchs, Eckhardt 368 Fuhrmann, Horst 95 Gaigl, Hartmut 205 Gerhards, Thomas 229 Gierke, Otto 7, 181, 228, 254, 325, 552, 603 f. Gnauck-Kühne, Elisabeth 534, 604 Gneist, Rudolf von 187, 477, 479, 481–483, 604 Goedecke, Anna Ida Henriette → Marggraff, Anna Ida Henriette Goethe, Johann Wolfgang von 78, 123, 562 Göhre, Luise (geb. Bischoff) 34, 573 Göhre, Martha 366, 604 Göhre, Paul 15, 25, 27, 30, 34, 266, 280, 287 f., 299, 301, 303, 306, 326, 353, 356, 366, 368, 374, 382, 384, 391, 394, 409, 412, 419 f., 422 f., 425 f., 439, 448, 484, 493 f., 499, 514, 519, 526, 529, 532, 533 f., 536, 539, 547, 552, 555, 558, 560, 573, 587, 604 f. Göhre, Rudolph 420, 426, 436, 605 Goldschmidt, Levin 2, 5, 8, 11, 18, 44, 94, 110, 122, 125, 128, 140, 181 f., 187 f., 189, 211, 228, 243, 254, 257, 265, 270, 288, 290, 298, 306, 317, 320, 322, 329, 331, 386, 392, 397, 416, 435, 450 f., 480, 528, 530 f., 534, 546, 561, 605 Goltschnigg, Dietmar 150 Goltz, Andreas 269 Goßler, Gustav von 231, 267, 268, 605 Graeber, Georg 197, 605 Graef, Botho 23, 554, 566, 605

656

Personenregister

Graf, Friedrich Wilhelm 24, 32 Grafe (Bruder von Erich Grafe) 61 Grafe, Anna 61, 198, 605 Grafe, Eduard 61 f., 77, 85, 173, 198, 605 Grafe, Erich 61, 606 Grimm, (Georg) Rudolf 95, 606 Grimm, Wilhelm 95 Gropius, Bertha → Martens, Bertha Groß, Ferdinand 56, 606 Großkreutz, Carl (Karl) 244, 606 Grotefend, Ernst Heinrich Hermann 89 Grünberg, Martin 494 Grunow, Friedrich Wilhelm 262 Grunow, Johannes 262, 606 Häberle, Friedrich 572, 606 Hagen, Adolf 217 Hagen, Anna Christina 217, 606 Hagen, Johanna 217, 606 Hagen, Werner 196, 217, 607 Hahn, Friedrich von 244 Halbey, Theodor 517, 607 Hammerstein, Wilhelm von 318 Hanke, Edith 24 Harnack, Adolf 484 f., 569 Hartmann, Ludo Moritz 545, 607 Hauptmann, Gerhart 346, 607 Hausrath, Adolf 51, 277, 338, 463, 607 Hausrath, August 51, 277, 280, 608 Hausrath, Emilie (Mila) → Jolly, Emilie (Mila) Hausrath, Hans 51, 277, 608 Hausrath, Henriette 51, 205, 252, 277, 463, 608 Hausrath, Pauline (Paula) → Schmidt, Pauline (Paula) Heckel, Martin 31 Heidsiek, Marie 29, 332, 572 Heidsiek (Schwester von Marie) 332 Heil, Elisabeth (Lieserle) (geb. Jolly) 51, 74, 76, 79, 84–86, 94, 99, 105, 109, 111, 279, 283, 338, 344, 353, 364, 608 Heine, Heinrich 150 Heinrich von Preußen 73, 608 Helfferich, Karl 23 Herbert, Anna Bertha 285, 608 Herder, Johann Gottfried 123, 207, 208, 211, 608 Hermann (Evangelischer Militärpfarrer) 48, 608 Herrfurth, Ernst Ludwig 230, 267 f., 608 f.

Hesse, Clara → Scheu, Clara Hesse, Emilie → Zumbusch, Emilie Heuss, Theodor 34 Heyden-Cadow, Wilhelm von 267, 609 Heynsen, Lulu 498, 609 Hinck, Werner 110, 609 Hinschius, Paul 187, 609 Hintze, Otto 23 Hinzpeter, Georg Ernst 153, 609 Hirsch, Wilhelm 23, 218 f., 311, 549, 554, 566, 609 f. Hoeniger, Anna Gertrud 438, 514, 552 f., 562, 610 Hoeniger, Robert 89, 110, 125, 217, 251, 438, 511, 514, 552 f., 562, 610 Hoeniger, Walter 21, 217, 610 Hoffmann, Reinhold 126, 610 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu 49, 71 f., 610 Homer 428 Homeyer (Studienfreund) 197, 390, 610 Honigsheim, Paul 228 Hübinger, Gangolf 12, 14, 20, 39 Hübler, Bernhard 181 Hübner, Rudolf 566, 610 Huffmann, Marie (geb. Bunge) 204 Huffmann, Moritz 204, 610 Hugo, Victor 473, 611 Huth, Johanna → Nollau, Johanna Ibsen, Henrik 549, 554, 611 Immermann, Karl Leberecht 333, 378 Irène von Hessen (Prinzessin) 73 Isacker, Karel van 204 Ising, Gerhard 509 Jabłonowski, Albert von 506, 512, 611 Jaffé, Alfred 23, 217, 238, 244, 384, 611 Jaffé, Edgar 23 Jaffé, Else 23 Jaffé, Helen (geb. Przedecka) 244, 611 Jantsch, Johanna 534 Jastrow, Ignaz 21, 125, 611 Joachim von Preußen 251, 611 Jolly, Elisabeth (Betty) 51, 278, 279, 611 Jolly, Elisabeth (Lieserle) → Heil, Elisabeth (Lieserle) Jolly, Emilie (Mila) (geb. Hausrath) 216, 289, 313 f., 332, 337 f., 357, 465, 611 Jolly, Johanna Julie Elisabeth 279 Jolly, Julius 10, 278, 279, 509, 612 Jolly, Julius (jun.) 279, 612

Personenregister Jolly, Ludwig von 202, 612 Jolly, Marie → Fallenstein, Marie Jolly, Philipp 279, 289, 313 f., 332, 337 f., 612 Kablé, Jacques 50, 612 Kaerger, Karl 22 f., 272, 317, 612 Kahlbeck, Max 462 Kaltenbach, Angelika 399 Kant, Immanuel 408, 562 Kawerau, Gustav 198, 613 Keibel, Franz 138 f., 195, 586, 613 Keibel, Susanna (geb. Wehrenpfennig) 138 f., 195, 613 Kempner, Friederike 223, 613 Kessel, Gustav von 73, 613 Keyßner, Hugo 244, 613 Kierkegaard, Søren 551, 613 Klinger, Max 33, 561 Klock, Laura von (geb. Fallenstein) 50 f., 76 f., 83 f., 94, 99 f., 105, 119, 133 f., 190 f., 277, 613 Klock, Max Otto von 190, 191, 613 f. Knapp, Georg Friedrich 25, 280, 430, 614 Knies, Karl 11, 480, 614 Kohler, Josef 4, 254, 257 f., 614 Kopisch, August 108 Köppern, Wilhelm 193, 614 Körte, Werner 566, 614 f. Kouri, Erkki I. 471 Kraußneck, Arthur 554, 615 Kyllmann, Adolf 199, 615 Kyllmann, Walter 199 Laband, Paul 443, 615 Lamping, Wilhelm (Willy) 363, 615 Lamprecht, Karl 178, 316, 615 Lassalle, Ferdinand 67, 615 f. Latscha, Jakob 578 Lehner, Hermann 221, 616 Leibfried, Stephan 214 Lenger, Friedrich 10 Lenz, Max 289, 616 Leo XIII. (Papst) 61, 616 Lepsius, Susanne 1, 3, 42 Leyen, Alfred von der 287, 311, 312, 616 Leyen, Elisabeth (Else) von der 312, 616 Leyen, Friedrich (Fritz) von der 312, 616 Leyen, Margarete von der 312, 616 Lieber, Ernst 92, 617 Liebknecht, Wilhelm 16, 34, 292 f., 294, 617

657

Liesegang, Erich 21, 125, 617 Lipsius, Richard Adelbert 277 f., 617 Liszt, Friedrich 462, 557 Lohmann, Friedrich Wilhelm 172, 173, 617 Lohmann, Hedwig (geb. Weber) 172 f., 617 Lotz, Walther 23, 181, 196–199, 201, 219, 618 Löwenstein, Otto 517, 618 Lucae, August 391, 618 Lucae, Elisabeth 391 Lucae, Sophie 345 f., 391, 618 Lucius, Juliet Maria 149, 153, 158, 618 Lucius, Robert 149, 153, 618 Luther, Martin 47 Lüttge, Albert Friedrich Carl 110, 618 Mackenzie, Morell 92 Marchtaler, Hildegard von 165, 216 Marcks, Albert 217, 618 Marcks, Erich 10, 23, 195, 212, 217, 280, 291, 320 f., 442, 448, 527 f., 531, 618 f. Marcks, Friederike (geb. von Sellin) 195, 212, 217, 619 Marenbach, Käthe 403 f., 422, 619 Marggraff, Anna Ida Henriette (geb. Goedecke) 287, 619 Marggraff, Eberhard Salomo Johannes 287, 619 Martens, Bertha (geb. Gropius) 391, 619 Martin, Ernst 284 Marx, Karl 294 May, Karl 364 Meier, Hermann Heinrich (jun.) 2, 214 f., 216, 228, 619 Meißner, E. (Landgerichtsdirektor) 43, 66 Meitzen, August 3, 11, 22, 211, 247, 249, 551 f., 557, 619 f. Mendelssohn Bartholdy, Felix 557 Meurer, Bärbel 30, 403, 465 Meyer, Adolf 23, 330 f., 358, 361, 363 f., 422, 423, 427, 429, 432, 436, 438, 620 Meyer, Frau 423, 427, 429, 432, 438, 620 Meyer, Hans 497 Meyer, Hugo 202, 620 Miller, Francis 76, 94, 135 Miquel, Elisabeth → Scheliha, Elisabeth von Miquel, Johannes 149, 231, 267 f., 300, 620

658

Personenregister

Möller, Anna → Castendyk, Anna Möller, Eleonore (Nora) 205, 363, 620 Möller, Hedwig 376, 621 Möller, Hertha 216, 217, 218, 219, 359, 360, 363, 364, 391, 411, 455, 507, 621 Möller, Karl 14, 24, 218 f., 226, 359, 364, 411, 621 Möller, Theodor 218, 376, 621 Mommsen, Adelheid 567, 621 Mommsen, Anna 391, 567, 621 Mommsen, Ernst 464, 492, 494, 496, 499, 501, 508 f., 511, 514, 516, 518, 523, 525, 534, 540, 548 f., 552, 554, 556–558, 562, 566, 621 Mommsen, Hildegard 567, 621 Mommsen, Karl 23, 110, 165, 167, 181, 196–198, 201 f., 217, 224, 461, 464 f., 496, 621 Mommsen, Käthe 567, 622 Mommsen, Lisbet 567, 622 Mommsen, Luise 567, 622 Mommsen, Marie → Wilamowitz-Moel­ lendorf, Marie von Mommsen, Theodor 3, 11, 34, 43, 259, 266, 269, 297, 299, 306, 494, 496, 511, 560, 565, 567, 622 Mommsen, Wolfgang J. 13–15, 17 f., 72, 483, 485, 585 Mühlenbruch, Johannes 400, 622 Müller, Alwine (Wina) 29, 205, 332, 337, 343, 345, 349, 352, 360, 362, 367 f., 372–374, 377, 379, 381, 385, 389, 395, 404, 411, 424, 436, 439, 447, 453, 455 f., 471, 517, 519 f., 622 Müller, Berthold 352, 362, 368, 377, 379, 622 f. Müller, Bruno 205, 403, 517, 519 f., 623 Müller, Eleonore (Nora) 404, 623 Müller, Josef 536 Napoleon Bonaparte 78 Nasse, Dietrich (Dirk) 197, 461, 623 Nathan, Paul 110, 623 Naudé, Albert 25, 283 f., 623 Naumann, Friedrich 15 f.,18, 153, 484 f., 528, 546 f., 548, 552, 555, 563, 564, 568, 569 f., 571, 577, 578 f., 623 f. Neuburg, Clamor 326 Neumann, Carl (Landgerichtsdirektor) 43, 66 Nicolai, Julie 279 Nietzsche, Friedrich 549, 551

Nobbe, Moritz August 488 Nokk, Wilhelm 321, 430, 433, 435, 438, 442, 475, 624 Nollau, Johanna (geb. Huch) 20, 160, 164, 169, 170, 176 f., 250 f., 624 Nollau, Johanna (Hanna) → Fließ, Johanna (Hanna) Nollau, Klara Helene 170, 176 f., 624 Nollau, Otto 20, 164, 167, 169, 170, 174, 176, 250 f., 624 Nowack, Katharina (Käthe) 192, 624 Nowack, Wilhelm 52, 192, 624 Oehlschläger, Otto von 182, 624 Oertmann, Frau 423, 624 Oertmann, Paul 423, 566, 624 Oldenberg, Karl 219, 243, 322, 501 f., 566, 624 f. Oskar von Preußen 251, 625 Ovid 503 Paasche, Hermann 73 Pannier, Rudolf 66, 625 Pappenheim, Max 214 Paulsen, Friedrich 400, 625 Pernice, Alfred 11, 43 f., 254, 374, 625 Pestalozzi, Johann Heinrich 286 Pestalozzi, Johann(es) 286, 625 Pfaff, Fridrich 488, 626 Philippovich, Eugen von 5, 7–10, 320, 430, 527, 626 Picht, Barbara 24 Poelaert, Joseph 205 Poschinger, Margaretha von 162 Potocki, Bolesław 175, 626 Preibusch, Sophie Charlotte 48 f. Przedecka, Helen → Jaffé, Helen Purgold, Eduard 250, 626 Purgold, Ida 250, 626 Purgold, Wilhelm 199, 226, 250, 263, 340, 342, 455, 511, 626 Puttkamer, Robert Viktor von 145, 149, 626 Pygmalion 503 Rade, Dora (geb. Naumann) 484, 570, 627 Rade, Marie-Elise 570, 627 Rade, Martin 15 f., 25 61, 153, 338 f., 435, 484 f., 569 f., 578 f., 627 Raeder, Gustav 549 Rasch, Georgine Anna (geb. Fittig) 82

Personenregister Räß, Andreas 49, 627 Rehm, Hermann 6, 325 Reimarus, Georg 391, 627 Reinbach, Wolf-Diedrich 126, 197 Reißiger, Karl Gottlieb 108 Reuter, Fritz 79, 144, 163, 282, 342 Rhoden, Emmy von 380 Rickert, Heinrich 519, 527, 538, 627 Rickert, Sophie (geb. Keibel) 538, 627 Riesebrodt, Martin 6, 292, 318 Rodbertus(-Jagetzow), Johann Karl 317, 627 f. Roggenbach, Franz Freiherr von 159, 628 Rohnert, Clara 262, 270, 275 f., 277, 282, 284, 285, 286 f., 289, 307, 312, 315, 326, 346, 351–353, 358, 359, 362 f., 365, 367 f., 373, 375, 377, 379 f., 384, 390, 392, 395 f., 398, 400, 402, 411, 415, 417, 419, 421, 426, 429, 431, 433, 435, 436, 439, 441, 444, 449, 494, 628 Rohnert, Dorothea 277, 352, 368, 402, 628 Rohnert, Ernst 262, 270, 275, 276, 282, 284, 285, 287, 289, 312, 315, 326, 346, 351–353, 358, 362, 363, 365, 367 f., 373, 377, 385, 392, 395 f., 398, 400, 401, 402, 415, 421, 426, 429, 435, 436, 439, 449, 628 Rosin, Heinrich 584, 628 Rösing, Anna 511, 628 Rösing, Clara (geb. von Ammon) 345 f., 501, 511, 629 Rösing, Clara 511, 629 Rösing, Helene Augusta 511, 629 Rösing, Johannes 44 f., 217, 501, 511, 629 Rösing, Luise 511, 629 Rößel, Bruno 223, 629 Roth, Guenther 28, 30–32, 51, 134, 161, 190, 287, 415, 578 Ruh, Luise 56, 57–59, 77, 221, 629 Rümelin, Max 178 f., 629 Ruprecht, Wilhelm 546 Saal, Georg Eduard 160 Sachs, Curt 557 Sattler, Heinrich 23, 391, 455, 501, 511, 514, 549, 554, 558, 560, 565, 629 Schäfer, Karl 214 Schandau (Schwester von Bertha) 553, 629 Schandau, Bertha 220, 504, 517, 528, 534 f., 549, 553, 561, 565, 629

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Scheliha, Elisabeth von (geb. Miquel) 300, 630 Schellhass, Karl Emmanuel 51, 61, 88 f., 511, 630 Schenkel, Karl 430, 630 Scheu, Clara (geb. Hesse) 66–68, 630 Schiller, Friedrich 77 f., 286, 402, 534 Schlange-Schöningen, Heinrich 269 Schlüter, Bernd 443 Schmidt, Arthur Benno 398 f., 431, 433, 499, 506, 511, 515, 630 Schmidt, Elisabeth 346, 630 Schmidt, Georg Benno 289, 313 f., 332, 337 f., 398, 410, 507, 515, 630 Schmidt, Käthe 263, 286, 349, 359, 366, 390, 418, 428, 498, 630 Schmidt, Marie (geb. Benecke) 289, 398 f., 431, 433, 499, 506, 511, 515, 631 Schmidt, Martin Benno 506, 513, 539 f., 631 Schmidt, Pauline (Paula) (geb. Haus­ rath) 52, 289, 313 f., 332, 337 f., 357, 398, 410, 465, 507, 515, 631 Schmidt-Ott, Friedrich 368 Schmöle, Christoph 164 f., 631 Schmoller, Gustav 5–7, 10, 12, 18, 22, 34, 214, 229, 272–274, 280, 300, 317, 320–323, 328, 443, 475, 477–481, 483, 487, 522, 546, 551, 575 f., 584, 631 Schnitger, Anna 29 f., 32, 383, 388, 395, 411, 424, 436, 631 Schnitger, Dora 29 Schnitger, Eduard 29, 32, 353, 369, 374, 382, 384, 458, 460, 461, 463, 519, 631 Schnitger, Florentine (Flora) 29, 334, 341, 347, 348, 354, 361, 367, 456, 458, 463, 632 Schnitger, Marianne → Weber, Marianne Schnitger, Marie 29, 334, 341, 347, 348, 361, 367, 456, 463, 632 Scholinus, Dr. 263 Schriewer, Jürgen 368 Schröder, August 485, 632 Schröder, Richard 7, 325 Schubert, Bertha von 193, 208, 632 Schubert, Gertrud von 193, 632 Schubert, Hans von 25, 191, 193, 208, 280, 632 Schulte, Aloys 280, 632 Schulthess, Heinrich 46, 49, 61, 71–73, 91 f., 126, 145, 152, 156, 159, 230 f., 267, 402

660

Personenregister

Schultze, Ernst 19, 541, 632 f. Schulze (Schuhmacher) 165, 633 Schulze, Hermann → Schulze-Gaever­ nitz, Hermann von Schulze-Gaevernitz, Gerhart von 10, 322, 398, 399, 410, 442, 448, 480, 537, 540, 543 f., 585, 633 Schulze-Gaevernitz, Hermann von 399, 410, 540, 633 Schumacher, Hermann 22 f. Schuster, G. 148 Schwentker, Wolfgang 14 Schwiertz, Jakob Hubert 47, 633 Sellin, Friederike von → Marcks, Friederike Sering, Max 7–10, 23, 25, 280, 283 f., 432, 633 f. Siber, Karl Heinz 149 Silcher, Friedrich 79, 108, 300 Simmel, Georg 551 f., 634 Simon, Marie 108, 634 Simonis, Jakob Ignatius 49, 634 Simons, Eduard 61, 634 Simson, August von 1, 245, 251, 266, 634 Soden, Anna von 391, 635 Soden, Frieda von 391, 635 Soden, Hans Karl Hermann Freiherr von 391, 485, 635 Soell, Hartmut 112, 166 Sohnrey, Heinrich 18, 34, 488 f., 585, 635 Sombart, Werner 10, 214 Sommerfeld, Gustav von 73, 635 Sophie (Köchin) 196, 635 Spahn, Peter 92, 635 Spinoza, Baruch (Benedictus) de 67, 635 Springer, Emilie 285, 635 Springer, Ferdinand 285 Springer, Marie 285, 635 Stahl, Ludwig 554, 636 Steinecke, Hartmut 150 Steinwender, Julius 48, 636 Stieda, Wilhelm 10, 443, 479 f., 636 Stiemer, E. 352, 361, 636 Stoecker, Adolf 14, 140 f., 152, 158, 196, 219, 226, 286, 636 Strauß, Otto 171, 636 Stumpf, Peter Paul 49, 636 Sudermann, Hermann 346, 637 Sybel, Heinrich von 212 f., 637 Tannchen, Frau 497 Tannchen, Theophil 497, 637

Tennstedt, Florian 214 Thiel, Hugo 272, 637 Thielen, Karl 267, 637 Thier, Andreas 268 Tiede, Helene 270, 345 f., 436, 637 f. Tomisch, Jürgen 399 Treitschke, Heinrich von 23, 69–71, 125, 156, 158, 212 f., 229, 638 Uhl, Carl 250, 638 Uhl, Frau 250, 638 Uhland, Ludwig 342 Uytven, Raymond van 204 Varley, Henry 550 Veltmann, C. (Landgerichtsdirektor) 43, 66 Victoria (deutsche Kaiserin und Königin von Preußen) 73, 148, 150, 153, 154, 158, 638 Vietinghoff, Hermann Freiherr von 73, 638 Viktoria von Preußen (Prinzessin) 93, 153, 159, 200, 638 Virchow, Rudolf 92 Voigt, Johannes 27, 52 f., 63–65, 90, 99, 107, 110, 173, 471, 638 Vollmar, Georg von 16, 34, 294, 638 Voß, Wilhelm von 54, 61, 164, 175, 250, 506 Wachler, L. (Staatsanwalt) 66, 76 Wagner, Adolph 11, 14, 22, 24, 479, 548, 551 f., 639 Wagner, Friedrich (Fritz) 21 f., 167, 224, 548, 639 Wagner, Richard 388, 473 Waitz, Georg 95 Warburg, Emil 5, 7, 9 f., 320, 430, 519, 524, 527 f., 639 Wattenbach, Wilhelm 95 Weber, Alfred 3 f., 21–23, 25–27, 32, 34, 36, 45, 64 f., 78, 83, 89, 105, 107, 108–115, 116, 119 f., 122, 124, 136, 150, 159, 161, 165–168, 172, 175, 178–180, 181, 198, 201 f., 206, 207, 211 f., 222 f., 238, 244–249, 262, 270, 295, 346, 350, 360, 422, 436, 439 f., 448 f., 486, 490, 492, 501 f., 504, 508, 523, 548, 549, 552, 554, 556 f., 558, 560 f., 562, 565 f., 639 f.

Personenregister Weber, Arthur 32, 36, 63, 107, 108, 109, 124, 136, 286, 337 f., 340–342, 360, 377, 412, 422, 440, 548, 557, 640 Weber, Carl (Carlo) 205, 362, 374, 403, 411, 517, 520, 557, 640 Weber, Carl August 216 Weber, Carl David 29–32, 36, 203, 205, 218, 343, 345, 349, 360, 363, 372, 374, 381, 384, 403, 420, 453, 456, 463, 466, 507, 517, 519 f., 533, 578, 640 Weber, Clara 5–9, 22, 25 f., 32, 34, 36, 59, 63, 107, 108, 109, 110, 175, 193, 196, 199 f., 238–240, 251, 253, 262 f., 266, 270 f., 275 f., 280, 282–289, 295 f., 298–301, 306 f., 308, 309–315, 320 f., 325 f., 329–331, 337, 341, 343, 346, 348, 351, 352, 356, 358, 360, 364, 368, 370, 373, 377, 385, 386–388, 391, 393–396, 398, 400, 402, 404, 412, 420, 422, 425, 430 f., 433, 440, 443, 445 f., 447 f., 456, 458, 464, 473, 476, 486, 492, 494–496, 499–501, 508 f., 511, 514, 517, 518, 523, 525, 540, 548, 552, 554, 556, 562, 566, 567, 640 Weber, David Friedrich 216 Weber, Emilie (Emily) 205, 362, 374, 520, 557, 640 Weber, Georg 173, 640 Weber, Hedwig Emilie → Lohmann, Hedwig Emilie Weber, Helene 2, 4, 6, 9–12, 14, 20–22, 25–27, 29–34, 36, 41, 45–59, 61, 63, 66, 68, 75–77, 85, 87, 89–90, 93, 94, 96–99, 105–109, 115–118, 123, 127, 129–131, 133 f., 135, 137 f., 141, 149, 150, 153, 156, 158, 160 f., 163–167, 168, 169, 173–177, 190, 193, 195–199, 200, 205, 216 f., 219–222, 234, 241–247, 248, 249–252, 259, 262, 266, 270, 275, 276–281, 282, 289 f., 295, 302 f., 304, 305 f., 311 f., 314 f., 320–322, 326, 330 f., 332, 337 f., 340 f., 346, 349–353, 355–357, 359–362, 364 f., 367 f., 370, 372 f., 377, 379, 381, 383 f., 391, 393–395, 400, 404, 406, 409, 411 f., 415–420, 422, 424, 425, 429, 430 f., 433, 435 f., 438, 440–447, 449, 452 f., 455, 458 f., 461, 462, 464, 467–474, 475 f., 492, 494, 496 f., 499–501, 508 f., 511, 515 f., 518, 519, 522, 523, 524, 525, 530–532, 533, 534, 538, 540, 542, 548,

661

550, 551 f., 555, 557–559, 561, 562, 566, 567, 572, 573 f., 580, 640 f. Weber, Henriette 216 Weber, Ida 173 Weber, Karl 27, 32, 36, 52, 90, 97–99, 107, 110, 124, 131, 136 f., 165, 172, 173, 198 f., 220, 262, 281, 312, 314, 360, 372, 401, 472, 494, 554, 558, 562, 565, 641 Weber, Lili 26, 32, 36, 59, 63, 83, 107 f., 109, 110, 172, 222, 238, 262, 286, 288, 295, 300, 315, 348, 353, 394, 412, 422, 438, 439, 446, 456 f., 548, 560, 641 Weber, Marianne (geb. Schnitger) 4, 8, 11–13, 17 f., 19, 21–36, 39, 205, 224, 244, 276, 286, 299, 301, 302–305, 306 f., 308, 320–322, 327, 330, 332–354, 356–429, 431–439, 441, 443–449, 452–474, 484 f., 490–520, 523–526, 528–536, 538–540, 542, 548–562, 564–567, 570, 572, 573, 575, 578–582, 641 Weber, Marianne, geb. Niemann 578 Weber, Maximilian (Max) sen. 11, 13 f., 25, 27–32, 36, 40 f., 44 f., 51, 53, 59, 62, 73, 105, 107 f., 109, 110, 117, 118, 123–125, 127, 129 f., 133, 136, 140, 146, 148, 149, 160, 166, 167, 168, 172, 174, 177 f., 190, 199, 203–205, 212, 217, 219, 224, 228, 244 f., 248, 259, 277, 281, 287, 289, 295, 299, 312, 314 f., 326, 329–331, 337, 341, 343, 348, 350, 363, 365, 372, 376 f., 379, 381–384, 388 f., 393–395, 398, 405, 408 f., 410, 415, 418, 421–423, 427, 430, 433, 441, 445, 453, 456, 458 f., 463, 466, 472, 483, 496, 499 f., 511, 518, 525, 540, 548, 557, 562, 566 f., 641 f. Weber, Max – Agrarpolitik (Vortragsreihe 1897) 378 – Agrarrecht und Agrargeschichte (Vorlesung SS 1894) 19, 566 – Allgemeine und theoretische National­ ökonomie (Vorlesung WS 1894/95) 19, 537, 543, 552, 561 – Allgemeine („theoretische“) National­ ökonomie (Vorlesungen 1894–98) 585 – Die landwirthschaftliche Arbeiterfra­ ge (1894) 19, 541 – Die ländliche Arbeitsverfassung (1893) 6, 272, 317 f., 421 – Argentinische Kolonistenwirthschaf­ ten (1894) 418, 529

662

Personenregister

– Die Börse I. und II. (1894/96) 16, 18, 546, 547 f., 563 f., 568 f., 571, 577 – Die deutschen Landarbeiter (1894) 539 – Deutschland unter den europäischen Weltmächten (1916) 13 – Eingabe an den Evangelischen Oberkirchenrat (Mitunterzeichner 1894) 16 – Entwickelung des Solidarhaftprinzips (1889) 181, 190, 196, 201, 210, 254, 256 – Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter (1894) 517, 551, 561, 569 – Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete (1894–96) 18, 487, 546, 561 – Die Erhebung des Evangelisch-sozia­ len Kongresses über die Verhältnisse der Landarbeiter Deutschlands (1893) 19, 339 – Die Erhebung des Vereins für Socialpolitik über die Lage der Landarbeiter (1893) 18, 292, 323 – Wie werden einwandfreie Erhebungen über die Lage der Landarbeiter angestellt? (1893) 323 f. – Die Evangelisch-sozialen Kurse in Berlin (1893) 346, 392, 394, 411, 435, 454, 459, 462 – Exegeticum zur Einführung in die römischen Rechtsquellen (Vorlesung SS 1892) 265 – Finanzwissenschaft (Vorlesung WS 1894/95) 19, 537, 543, 552, 561 – Zur Geschichte der Handelsgesell­ schaften im Mittelalter (1889) 2, 11, 42, 123, 125, 140, 141, 181, 182, 183, 185, 187, 189, 194, 201, 205, 207, 210, 214, 215, 217, 223, 225, 254, 255, 257, 304, 316, 323, 353, 477, 508 – Der Gesetzentwurf betr. die Gesell­ schaften mit beschränkter Haftpflicht 257 – Die Gewerbe-Gesellschaft ohne Firma in jetzigem Recht (Probevorlesung Berlin 1892) 254, 257 – Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische“) National­ ökonomie → Vorlesungs-Grundriß – Handelsrecht (Vorlesung WS 1892/93) 5, 290, 298 f.

– Handels- und Handelsrechtsgeschichte (Vorlesung SS 1894) 556 – Handels- und Seerecht (Vorlesung SS 1893, SS 1894) 19, 346, 348, 359, 367, 372, 376, 380, 390, 393, 401, 420, 449, 556 – Handelsrechtsprakticum (SS 1892) 4, 265, 359, 367, 372, 380, 390, 401, 487, 566 – Handelsrechtspraktikum (WS 1894/95) 537, 543, 584 – Kameralistisches Seminar (Vorlesung WS 1894/95) 537, 543 – Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (1892) 5–7, 17, 167, 266, 275, 280, 292, 294, 300, 317 f., 321, 323 – Landwirtschaft und Agrarpolitik (1893) 394, 411, 454, 459, 462, 465 – Monographien von Landgeistlichen (1893) 417 – Der Nationalstaat und die Volkswirt­ schaftspolitik (Akademische Antritts­ rede 1895) 316, 585 f. – Organisation der deutschen Börsen (1894) 19 – Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1918) 13 – Zur Polenfrage (Diskussionsbeitrag 1894) 17 – Zum Preßstreit über den Evange­ lisch-sozialen Kongreß (1894) 547, 552, 555, 558 – „Privatenquêten“ über die Lage der Landarbeiter (1892) 266, 287, 323 – Zur Rechtfertigung Göhres (1892) 323 – Rez. von: Friedrich Conze, Kauf nach hanseatischen Quellen (1890) 211, 323 – Rez. von: Th. Freiherr von der Goltz, Die ländliche Arbeiterklasse und der preußische Staat (1893) 332 f., 346, 417, 419, 432 – Rez. von: Wilhelm Kaufmann, Das internationale Recht der ägyptischen Staatsschuld (1893) 298 – Rez. von: A. von Kostanecki, Der öffentliche Kredit im Mittelalter (1890) 211, 323 – Rez. von: B. Lehmann, Die Rechtsver­ hältnisse der Fremden in Argentinien (1894) 417 f.

Personenregister – Rez. von: Silvio Perozzi, Perpetua causa nelle servitù prediali romane (1893) 417 – Rez. von: Angelo Sraffa, Studi di diritto commerciale, und ders., La liquidazione delle società commerciali (1894) 417 f. – Rez. von: Otto Thorsch, Materialien zu einer Geschichte der österreichi­ schen Staatsschulden vor dem 18. Jahrhundert (1894) 417 f. – Rez. von: Was heißt Christlich-Sozial? (1894) 484, 528 – Römische Agrargeschichte (1891) 2– 4, 11, 21, 26 f. 187, 211, 228, 238, 241, 243, 247, 249, 254, 256, 259, 321, 323 – Römische Rechtsgeschichte (Vorle­ sung WS 1892/93) 5, 290, 298 – Römisches Sachenrecht auf histo­ rischer und wirthschaftlicher Grundlage (Vorlesung SS 1892) 4, 265 f. – Zwei neue Schriften zur Landfrage im Osten (1893) 332 f., 346, 419, 432 – Thesen (Disputation, öffentliche, 1889) 3, 198 – Die Verhandlungen der Preußischen Agrarkonferenz (1894) 548 – Versicherungsrecht (und Versiche­ rungswesen) (Vorlesungen SS 1892 und SS 1894) 19, 265, 270, 556 – Vorlesungs-Grundriß (1898) 585 – Die Wandlung des ländlichen Arbeitsmarkts in der römischen Kaiserzeit (Die Wandlung in der Rechtslage der ländlichen Arbeiter in der römischen Kaiserzeit) (öffentliche Antrittsvorlesung Berlin 1892) 4, 254, 258, 260, 265 – Wechselrecht (Vorlesung WS 1892/93) 298 Weber, Ottilie 109, 172, 174, 177, 363, 365, 368, 642 Weber, Otto 172, 203, 642 Wehrenpfennig, Anna 138, 642 Wehrenpfennig, Else 138, 642 Wehrenpfennig, Emilie 138, 642 Wehrenpfennig, Henriette 138, 642 Wehrenpfennig, Johannes 138, 642 Wehrenpfennig, Max 138, 642 Wehrenpfennig, Susanna → Keibel, Susanna

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Wehrenpfennig, Wilhelm 138, 642 f. Weinhold, Karl 312 Weismann, August 586, 643 Weizsäcker, Heinrich 455, 514, 643 Weizsäcker, Hugo 455, 514, 643 Weizsäcker, Julius 455, 514 Wendt, Marie 165, 216 f., 643 Wermuth, Adolf 368 Werner, Anton von 160, 162, 643 Werner, Gustav 221 Wichern, Johann Hinrich 191 f., 208 Wichern, Johannes 25, 192 f., 197, 643 Wickert, Lothar 567 Wiedenfeld, Kurt 23 Wiese, Joachim 509 Wilamowitz-Moellendorf, Marie von (geb. Mommsen) 567, 643 Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich von 496, 567, 644 Wildermuth, Adelheid 276, 278 f., 335, 336, 357, 542, 644 Wildermuth, Hermann 276, 278, 335, 644 Wilhelm I. (deutscher Kaiser und König von Preußen) 13, 71, 145 f., 148, 151, 152 f. Wilhelm II. (deutscher Kaiser und König von Preußen) 12–14, 149, 152 f., 159, 175, 200, 213, 229–231, 250, 251, 267, 268, 512 Wilhelm von Preußen 251, 644 Wilhelm, Sylvester 47, 644 Windscheid, Bernhard 180, 644 Windthorst, Ludwig 238, 644 f. Wittenberg, Heinrich 488 Wittenburg, Rudolf von 21, 512, 531, 533, 645 Wohlers, Marie 224 Wolfram, Georg 79 f., 82, 100 f., 645 Yse, Frl. 286, 645 Zarathustra 410, 645 Zedlitz-Trützschler, Robert Graf von 267, 645 Zeiler, Frank 291 Zeller, Eduard 549, 645 Ziegler, Ernst 586, 645 f. Zitelmann, Ernst 178 Zolling, Susanne 221 Zumbusch, Emilie 66, 646

Ortsregister

Nicht berücksichtigt wurden die Absendeorte der Briefe sowie die im Personenverzeichnis genannten Orte. Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede. Abendberg (bei Interlaken) 118, 123, 136, 140 Afrika 197 → auch: Ostafrika Ägypten 62, 270 Alt-Moabit 66 Altmorschen 262, 270, 275 f., 282–284, 285, 307, 312, 315, 326, 346, 352, 358, 362, 363, 365, 367, 373, 377, 379, 384, 385, 390, 392, 395 f., 398 f., 400, 402, 411 f., 415, 417, 419, 421, 426, 429, 431, 433, 435, 436, 439, 441, 444, 449, 494 Amerika, amerikanisch 50, 76, 94, 99, 105, 135, 190 f., 362 → auch: Vereinigte Staaten von Amerika Amsterdam 25,203 f. Antwerpen 204 f. Austin (Texas) 94 Australien 50

461, 475, 476, 477, 479, 481, 487, 508, 511 f., 514, 518 f., 521, 523, 524, 525, 526, 529–532, 534, 536, 541, 548, 551 f., 554, 556, 562, 566, 575, 584 → auch: Charlottenburg Bielefeld 29, 32, 203, 352, 365, 376, 382, 388, 409, 465 Bonn 51, 150, 159, 161, 165, 166, 167 Boston 190 Brackwede 203, 218, 507, 509, 517 f. Brasilien 138 Braunschweig 234, 235, 236 Bremen 2, 51, 214, 216 f., 227 Breslau 214 Brügge 203 Brüssel 204 Buk 172 Bulgarien 153 Byk → Buk

Bad Rothenfelde → Rothenfelde Baden, badisch 10, 50, 56, 77, 106, 117, 159, 277–279, 321–323, 413, 423, 430, 509, 523, 537, 586 Bebra 275, 282, 284, 315 Bedle˛wo 175 Belgien, belgisch 25, 205, 288, 301 Berlin 1–3, 5, 7 f., 10 f., 13 f., 19, 21, 23 f., 26, 28–31, 33, 41 f., 43, 51 f., 53, 66, 69, 70, 75, 77, 79, 81, 83, 88, 95, 110, 112, 116, 125 f., 136, 141, 145, 146 f., 150, 152, 160, 170, 176, 181, 182, 184, 186 f., 188, 192, 199, 207, 208, 214, 220, 221, 228 f., 234, 237, 242, 245, 250 f., 254, 255, 257 f., 261, 269, 272, 279, 282 f., 286 f., 289, 301, 305, 307, 308 f., 312, 320–322, 325, 326, 329, 331 f., 340, 341, 346, 352, 359, 361, 364, 367, 374, 384, 386, 388, 390, 393 f., 397, 401, 405, 406, 409, 411, 416, 417, 418, 420, 422 f., 424, 430, 432, 442 f., 445, 446, 448– 450, 455, 456, 459,

Carlsruhe → Karlsruhe Celle 183 Charlottenburg 1, 13, 24, 30, 60, 85, 148, 158, 165, 169 f., 171, 177, 185, 205, 237, 281, 298, 309, 311, 314, 325, 329, 332, 340, 373, 391, 393, 400, 449, 504, 509, 510, 526, 558, 559 Cherbourg 26, 467 Chicago 25, 288, 299, 326, 340, 368, 369, 380, 448 China, chinesisch 282 Cybina 164 Da˛brówka 175 Den Haag 203 Deutsches Reich 42, 49, 246, 251 Deutschland, deutsch 12, 17 f., 20, 26 48, 94, 163, 170, 174, 176, 255, 291, 300, 325, 368, 443, 531, 533, 587 → auch: Norddeutschland, Süddeutsch­ land, Südwestdeutschland

Ortsregister Dresden 330 f. Dünkirchen 26 Düsseldorf 150 Eisenach 278, 284 Elm 275 Elsaß 20, 25, 39, 46, 48, 54, 61, 165, 171 Elsaß-Lothringen 43, 49 f., 71, 90 f., 126 → auch: Oberelsaß England, englisch 158, 394, 455, 461, 464 → auch: Großbritannien, Nordengland Erfurt 78, 149, 562 Erlangen 6, 325 f. Europa, europäisch 50, 134, 269 Florenz 277, 341 Frankfurt a. M. 15, 25 f., 60, 89, 125, 164, 275, 284, 330 f., 338, 339, 412, 433, 436, 455, 484, 539, 547, 552, 555, 558, 560, 578 Frankfurt a. d. Oder 287, 423, 490, 509, 514, 519, 526, 529, 531 f., 533, 536 Frankreich, französisch 20, 42, 48, 78, 126, 155, 285, 288, 300, 329, 459, 512 Freiburg i. Br. 1, 5–12, 19, 21 f., 24, 26, 28, 33, 52, 56, 61, 195, 280, 291, 320–323, 330 f., 406, 408, 410 f., 413, 415, 416, 419 f., 423 f., 429–433, 435–438, 441–443, 445, 447 f., 450, 451, 454, 475, 477, 479 f., 481, 488, 509, 517, 519, 521, 523–525, 527 f., 529 f., 531, 533, 535–539, 540, 542 f., 545, 551, 552, 553, 561, 562, 572 f., 575, 577, 585 Freienwalde 110 Genfer See 285, 288, 306, 309, 315, 325 Gent 205 Gnesen 164, 167, 169, 171, 174, 176, 250 Gotha 198 Göttingen 2, 25, 42, 45, 88 f., 109, 112, 116 f., 124, 136, 140, 181, 186, 214, 223, 228, 255, 496 Grätz 239, 503, 509 Griechenland, griechisch 67 Großbritannien 148 Haarlem 204 Haarlemer Meer 204 Hagen/Westfalen 193 Halberstadt 190 Halfweg 204

665

Halle a. d. Saale 56, 59, 61, 68, 77, 85, 95, 106, 117, 123, 148, 173, 221 Hamburg 25,165, 191–193, 197 f., 208, 216, 282 Hannover 29, 216, 332, 365, 388, 572 Harz 165 Heidelberg 7, 11, 25, 28, 39, 45, 51, 52, 66, 87, 90, 93, 99, 105, 107, 109, 117, 119, 126, 129, 160, 166, 173, 186, 196 f., 198 f., 201, 202, 214, 246, 247, 249, 251, 255, 276, 277, 279 f., 282 f., 289, 313, 314, 322, 325, 330 f., 333, 337, 338, 340, 342, 344, 352, 356 f., 377 f., 395, 398, 410, 412, 417, 419, 420, 422, 430, 431, 433, 435 f., 438 f., 440, 441, 444 f., 447, 448 f., 461, 463, 465, 480, 519, 539, 540, 562 Hessen → Nordhessen Holland → Niederlande Indien 203 Interlaken 118, 123, 136, 140 Irland 148 Isle of Wight 26, 459, 467, 469 Italien, italienisch 110, 122, 128, 138, 140, 141, 192, 277, 288, 314, 329, 330 f., 337, 343, 348 → auch: Unteritalien Jena 221, 227, 262 f., 277, 280, 284, 330 f., 399, 453, 511 Jersey 468 Jerusalem 171 Juist 394, 423, 425, 436, 439, 548, 551, 557, 564 Karlsbad 224 Karlsruhe 8, 276 f., 279 f., 283, 321–323, 430, 432, 433, 436, 443, 479, 488, 517, 523, 524, 586 Katwijk 204 Kiel 173, 192, 197 f. Köln 203 Konarzewo 175 Königsberg 160 Kosten 177 Kupferhammer 218, 507, 509, 517, 518 Lage 352, 353, 366, 369, 373, 374, 458, 461, 463, 519 Leiden 204 Leipzig 61, 228, 289, 337, 410, 412, 539

666

Ortsregister

Lemgo 29, 334, 341, 347, 348, 352, 354, 361, 364, 366, 367, 369, 373, 453, 456, 463, 572 London 26, 467, 469 f., 472 Lüneburg 159 Magdeburg 190, 389 Mainz 433, 436 Marburg 6, 325, 329, 331 Metz 48–50 Mount Airy (North Carolina) 94 München 51, 166 f., 202, 314, 326, 401, 573 Nassau 485 Naumburg/Saale 337, 338, 340, 342, 360, 377, 412 Neckar 333 Niederbronn 49 Niederlande, niederländisch 25, 203, 205 → auch: Nordholland, Südholland Norddeutschland 136 Nordengland 466 Nordhessen, nordhessisch 262, 270, 275 f., 282, 285, 312, 315, 326, 346, 352, 358, 363, 365, 367, 373, 377, 379, 385, 390, 392, 395 f., 398, 400, 402, 411, 415, 417, 419, 426, 429, 431, 433, 435, 439, 441, 444, 449 Nordholland 203 Normandie 459 Oberelsaß 48 Oerlinghausen 29 f., 32, 205, 340 f., 343, 345, 348, 352, 360 f., 363, 366, 367, 368, 372, 373, 376 f., 37, 383, 384, 386, 388, 394, 395, 399, 403, 408, 415, 419, 424, 438, 439, 453, 455, 456, 458, 461, 463–465, 470, 509, 519, 523, 557, 560, 565, 572, 578 Offenburg 280 Oldenburg 216 Oschersleben 190 Osnabrück 165 f. Ostafrika 192,197 Ostende 469 f. Österreich-Ungarn 42 Ostpreußen 565 Ostrumelien (osmanische Provinz) 153 Pankow 226, 263

Paris 26, 48, 394, 455, 459, 461, 464, 465, 471 Pleschen (Kreis) 250 Polen, polnisch 12, 17, 93, 163, 170, 174, 176 , 490, 506, 512, 531, 533, 587 Polnisch Lissa 176 Posen 4, 17, 19–21, 26 f. 40, 54, 61, 93, 140, 141, 163, 167, 169 f., 172, 173, 176, 192, 206, 223, 230, 239, 241, 242, 246, 251, 272, 351, 445, 490, 497, 503, 509, 511 f., 516, 517, 521, 524, 524, 527–529, 531, 533, 539 Potsdam 373 Prag 169 Preußen, preußisch 1, 5–7, 10, 16 –18, 20, 25, 91, 93, 149, 150, 176, 181, 223, 229–231, 246, 251, 322, 325, 329, 442, 443, 447, 491, 506, 529 → auch: Westpreußen Raon-sur-Plaine 126 Rappoltsweiler 49 Reutlingen 221 Rhein 204, 366, 374 Rheinland 164 Richmond 469 Riviera 456 Rom 93, 317 Rostock 10, 443 Rotenburg a.d. Fulda 420, 426, 436 Rothenfelde 165 f. Rotterdam 203 Rummelsburg (bei Berlin) 173, 188, 192, 196, 198, 221 Rummelsburger See 192 Rußland, russisch 42, 93, 153 Sachsen, sächsisch 337, 398, 410, 433, 540 Samter 172 Sangerhausen 62 Santomischel 246, 247, 249 Schottland 461 Schrimm 239, 241, 246, 445, 497 Schwarzwald 406, 461 Schweiz, schweizerisch 26, 118, 123, 136, 224, 285, 286, 288, 295, 299, 301, 312, 329, 348, 440, 446 Schweizermühle (sächsische Schweiz) 530, 534, 538, 540 Schwerin 263 Spanien, spanisch 122, 128, 140, 141

Ortsregister Straßburg 2, 12 f., 19 f., 25 f., 28 f., 39, 41 f., 46, 49–52, 54, 55, 60, 66 f., 69, 71, 77, 79, 82, 86, 93 f., 97, 99, 120, 132, 136, 138, 140, 151, 165, 171 f., 186, 191, 193, 195, 196, 199, 206 f., 210 f., 214, 223, 224, 242, 251, 255, 260, 275–277, 279 f., 282, 295, 303, 330 f., 332, 333, 335, 338–340, 344, 349, 355, 374, 405, 408, 415, 429 f., 433, 441, 443, 453, 455, 470, 499, 511, 529, 539 Stuttgart 25 f., 28 f., 276, 277, 279, 283, 285, 304, 334 f., 344, 349, 355, 357, 374, 405, 408, 409, 415, 422, 430, 433, 436, 454, 459, 519, 542 Südamerika 203 Süddeutschland, süddeutsch 28, 80, 455 Südholland 203 Südwestdeutschland 25 Texas 94 Thüringen, thüringisch 377, 410, 540 Tirol 224 Treptow (bei Berlin) 238 Tübingen 150, 166, 201 f., 207, 211, 223 Tyrol → Tirol

667

Ungarn, ungarisch 164, 462, 506, 512 Unteritalien 197 Utrecht 203 Ventnor 469 Vereinigte Staaten von Amerika 51, 119, 133, 135 Versailles 160 Vevey 285, 288, 295, 299, 306, 309, 312, 315, 325, 329, 331, 440 Vogesen 25, 280, 283 Waldkirch i. Br. 52, 56 f., 61, 77, 221, 263 Warthe 164 Weimar 340, 342 Weingarten (Baden) 290 Wernigerode 190 Wertheim 59, 109 Westfalen, westfälisch 193, 205, 333, 378, 403, 572 Westpreußen 17, 170, 512, 529, 531 Wien 59, 320, 545, 553, 575 Windsor 469 Zegrze 164 Zuidersee 203, 204

Seitenkonkordanzen

Die Seitenkonkordanzen beziehen sich auf die bisher gebräuchliche Ausgabe der in diesem Band edierten Briefe: Weber, Jugendbriefe, herausgegeben von Marianne Weber, aus dem Jahre 1936. Diese enthalten nur einen Teil der hier edierten Briefe, teilweise gekürzt und unter abweichenden Daten (vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  33 f.). Abweichende Daten in den „Jugendbriefen“ werden in eckigen Klammern wiedergegeben.

MWG II/2

Weber, Jugendbriefe

Brief an Ferdinand Frensdorff vom 22. Januar 1887 42 214 43 214/215 44 215/216 45 216 Brief an Helene Weber vom 16. und 18. März 1887 [16. März 1887] 54 217 55 217/218 56 218/219 57 219/220 58 220/221 59 221 Brief an Emmy Baumgarten vom 10. und 11. April 1887 [Ostersonntag 1887] 60 222 61 222/223 62 223/224 63 224–226 64 226/227 65 227/228 66 228/229 67 229/230 68 230 Brief an Hermann Baumgarten vom 25. und 27. April 1887 [25. April 1887] 69 231

MWG II/2

Weber, Jugendbriefe

70 71 72 73 74

231–233 233 233–235 235 –

Brief an Emmy Baumgarten vom 8., 11. und 12. Mai 1887 [8. Mai 1887] 75 235/236 76 236/237 77 237/238 78 238/239 79 239/240 80 240/241 81 241/242 82 242/243 83 243/244 84 244 Brief an Emmy Baumgarten vom 31. Mai und 3. Juni 1887 [31. Mai 1887] 85 245 86 245/246 87 246 Brief an Ferdinand Frensdorff vom 16. Juni 1887 88 247 89 –

669

Seitenkonkordanzen

MWG II/2

Weber, Jugendbriefe

Brief an Hermann Baumgarten vom 29. Juni 1887 90 248 91 248/249 92 249/250 93 250 94 – 95 – Brief an Emmy Baumgarten vom 5. und 12. Juli 1887 [5.Juli 1887] 96 251 97 252/253 98 253/254 99 254/255 100 255/256 101 256–258 102 258/259 103 259/260 104 260/261 105 261/262 106 262 Brief an Alfred Weber vom 5. August 1887 112 263 113 263–265 114 265 115 265/266 Brief an Emmy Baumgarten vom 20. August 1887 116 266/267 117 267/268 118 268/269 119 269 120 269/270 Brief an Hermann Baumgarten vom 30. September 1887 121 270/271 122 271/272 123 272 124 – 125 272/273 126 273 127 –

MWG II/2

Weber, Jugendbriefe

Brief an Emmy Baumgarten vom 21. Oktober 1887 128 273/274 129 274/275 130 275/276 131 276/277 132 277–279 133 279/280 134 280 135 – 136 280/281 137 281/282 138 282 139 282/283 Brief an Ferdinand Frensdorff vom 11. Januar 1888 140 283 141 283/284 Brief an Emmy Baumgarten vom 17. Februar 1888 142 284/285 143 285/286 144 286/287 Brief an Hermann Baumgarten vom 13. März 1888 145 287/288 146 288/289 147 289/290 148 290/291 149 291/292 150 292 Brief an Hermann Baumgarten vom 30. April 1888 151 292/293 152 293/294 153 294/295 154 295/296 155 296–298 156 298/299 157 299/300 158 300/301 159 301

670

MWG II/2

Seitenkonkordanzen

Weber, Jugendbriefe

Brief an Helene Weber vom 25. Juli 1888 163 302/303 164 303 165 303/304 Brief an Alfred Weber vom 2. August 1888 166 304 167 304/305 168 305 Brief an Helene Weber vom 15. August 1888 169 305/306 170 306 171 306/307 172 307 Brief an Helene Weber vom 23. August 1888 173 308 174 308 Brief an Helene Weber vom 9. und 14. September 1888 175 308/309 176 309 177 309/310 Brief an Alfred Weber vom 17. Dezember 1888 178 310/311 179 311/312 180 312 Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Mai 1889 [30. Juli 1889] 187 312/313 188 313 Brief an Emmy Baumgarten vom 14. Juli 1889 [14. August 1889] 190 313/314 191 314/315 192 315 193 315/316 194 316/317

MWG II/2

Weber, Jugendbriefe

195

317/318

Brief an Helene Weber vom 17. Juli 1889 [Sommer 1889] 196 178/179 197 179 198 179 199 – Brief an Clara Weber vom 17. Juli 1889 [August 1889] 200 318/319 Brief an Emmy Baumgarten vom 14. und 17. Dezember 1889 [14. Dezember 1889] 206 319/320 207 320/321 208 321 209 322 Brief an Hermann Baumgarten vom 31. Dezember 1889 210 322/323 211 323 212 323 213 323/324 Brief an Hermann Baumgarten vom 3. Januar 1891 225 324 226 324/325 227 325/326 228 326/327 229 327/328 230 328/329 231 329/330 232 330 Brief an Helene Weber vom 17. Juni 1891 241 330/331 242 331/332 243 332/333 244 333 245 –

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Seitenkonkordanzen

MWG II/2

Weber, Jugendbriefe

Brief an Alfred Weber vom 6. Juli 1891 [7. Juli 1891] 246 335/336 247 336/337 248 337 Brief an Helene Weber vom 6. und 8. Juli 1891 [6.Juli 1891] 249 333/334 250 334/335 251 335 252 – Brief an Emmy Baumgarten vom 18. Februar 1892 260 337/338 261 338/339 262 339–341 263 341 264 341/342 Brief an Hermann Baumgarten vom 28. April 1892 [18. April 1892] 265 343 266 343/344 267 344/345 268 345/346 269 346/347 Brief an Clara Weber vom 21. Mai 1892 [20. Februar 1892] 270 342 271 342 Brief an Helene Weber vom 14. September 1892 276 347/348 277 348 278 348/349 279 349/350 280 – 281 – Brief an Clara Weber vom 21. September 1892 282 350/351

MWG II/2

Weber, Jugendbriefe

283 284

351/352 352/353

Brief an Clara Weber vom 17. Oktober 1892 285 353/354 286 354 287 – Brief an Clara Weber vom 26. November 1892 288 354/355 289 355 Brief an Clara Weber vom 20. Dezember 1892 295 355/356 296 356 Brief an Clara Weber vom 7. Januar 1893 298 356/357 299 357/358 300 358 Brief an Clara Weber vom 9. Januar 1893 301 359 Brief an Clara Weber vom 20. Januar 1893 306 359/360 307 360 Brief an Clara Weber vom 27. Januar 1893 309 360/361 310 361 Brief an Clara Weber vom 31. Januar 1893 311 361/362 312 362 313 362 Brief an Lujo Brentano vom 25. Februar 1893 [20. Februar 1893] 316 363 317 363/364 318 364/365 319 365

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MWG II/2

Seitenkonkordanzen

Weber, Jugendbriefe

Brief an Clara Weber vom 16. März 1893 325 365/366 326 366

MWG II/2

Weber, Jugendbriefe

Brief an Helene Weber vom 26. Juli 1893 442 372/373 443 373 444 373

Brief an Clara Weber vom 28. März 1893 [28. April 1893] 329 369 330 369/370

Brief an Clara Weber vom 27. Juli 1893 445 371 446 371/372

Brief an Emmy Baumgarten vom 22. April 1893 355 366/367 356 367/368 357 368/369

Brief an Emmy Baumgarten vom 2. September 1893 452 373/374 453 374/375 454 375

Brief an Clara Weber vom 15. Juli 1893 430 370 431 370/371

Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe Abteilung II: Briefe

1.  Aufbau der Gesamtausgabe In der Max Weber-Gesamtausgabe werden die veröffentlichten und die nachge­ lassenen Texte und Briefe Max Webers mit Ausnahme seiner Exzerpte, Margi­ nalien, Anstreichungen oder redaktionellen Eingriffe in die Texte anderer wiedergegeben. Liegen mehrere Fassungen eines Textes vor, so werden diese sämtlich, gegebe­ nenfalls als Varianten, mitgeteilt. Editionen der Texte Webers, die er nicht selbst zum Druck gegeben hat, werden nur dann berücksichtigt, wenn dem betreffenden Herausgeber Manuskripte vorlagen, die uns nicht mehr überliefert sind. Die Max Weber-Gesamtausgabe gliedert sich in drei Abteilungen:       Abteilung I: Schriften und Reden       Abteilung II: Briefe       Abteilung III: Vorlesungen 2.  Aufbau der Abteilung II: Briefe In Abteilung II werden alle bislang bekanntgewordenen Briefe Max Webers veröffentlicht. Unter Briefen werden verstanden: Briefe im engeren Sinne, sowie Briefkonzepte, Postkarten und Telegramme. Sie werden vollständig aufgenommen. Briefe im Sinne dieser Definition, die nicht überliefert, aber nachgewiesen sind, werden im editorischen Apparat verzeichnet. Die an Max Weber gerichteten Briefe werden nicht abgedruckt, es wird von ihnen auch kein Verzeichnis erstellt. Die Briefe werden chronologisch nach den Schreibtagen ediert. Die einzelnen Bände umfassen geschlossene Jahrgänge, der jeweilige Zeitraum wird im Bandtitel angegeben. Die Bandfolge lautet: Band 1: Briefe 1875–1886 Band 2: Briefe 1887 –1894 Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit Thomas Gerhards und Sybille Oßwald-Bargende; 2017

Band 3: Briefe 1895–1902 Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit Uta Hinz; 2 Halbbände; 2015

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MWG Abteilung II · Aufbau und Editionsregeln

Band 4: Briefe 1903–1905 Hg. von Gangolf Hübinger und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Thomas Gerhards und Sybille Oßwald-Bargende; 2015

Band 5: Briefe 1906 –1908 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 1990

Band 6: Briefe 1909 –1910 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 1994

Band 7: Briefe 1911–1912 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2 Halbbände, 1998

Band 8: Briefe 1913–1914 Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2003

Band 9: Briefe 1915 –1917 Hg. von Gerd Krumeich und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2008 Band 10: Briefe 1918 –1920 Hg. von Gerd Krumeich und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Uta Hinz, Sybille Oßwald-Bargende und Manfred Schön; 2 Halbbände, 2012

Band 11: Nachträge und Gesamtregister In Band 11 werden als Nachträge auch solche Briefe aufgenommen, die nach Erscheinen der einschlägigen Bände noch aufgefunden werden oder die nicht datierbar sind. 3.  Aufbau der Bände Jeder Band enthält ein chronologisches Verzeichnis der edierten Briefe, eine Einleitung der Herausgeber, die historisch-kritisch bearbeiteten Briefe Max ­Webers sowie Verzeichnisse und Register. Die Briefe werden in chronologischer Folge abgedruckt. Läßt sich diese bei Briefen vom selben Tag nicht bestimmen, so gilt die alphabetische Ordnung nach Empfängern. Briefe, die nur annähernd datierbar sind, werden am Ende des fraglichen Zeitraums eingeordnet.

MWG Abteilung II · Aufbau und Editionsregeln

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4.  Chronologisches Verzeichnis der Briefe Das chronologische Verzeichnis informiert über Datum, Schreibort und Empfänger der Briefe. 5. Einleitung Die Einleitung der Herausgeber informiert über den biographischen Kontext sowie die Überlieferungslage der Briefe im jeweiligen Band sowie über band­ spezifische Editionsfragen. 6. Briefe Bearbeitung und Präsentation der Briefe folgen der historisch-kritischen Methode. Dies geschieht mit Hilfe eines Vorspanns und von drei Apparaten: dem Korrekturen- und dem Variantenapparat, die zum textkritischen Apparat zusammengefaßt sind, und dem Erläuterungsapparat. 6.1 Vorspann Jedem Brief werden Angaben über Empfänger, Datum, Schreibort und Fundort sowie Zeugenbeschreibungen vorangestellt. Abschriften und Vordrucke von Briefen werden nur nachgewiesen, wenn sie die Quelle der Edition darstellen. Ergeben sich Datierung oder Schreibort nur aus dem Poststempel oder einem Aufdruck des Briefes (Briefkopf), so wird dies durch ein vorgesetztes PSt oder BK kenntlich gemacht. Andere Ergänzungen oder Erschließungen von Datum oder Schreibort stehen in eckigen Klammern. Der Vorspann enthält außerdem ggf. eine Editorische Vorbemerkung, in der Erschließung und Ergänzungen von Datum oder Schreibort begründet und zusätzliche Informationen zur Zeugenbeschreibung gegeben werden. Liegen mehrere Fassungen eines Briefes vor, wird hier auch dargelegt, welche als Text abgedruckt und welche als Varianten mitgeteilt werden. Hier werden auch alle weiteren editorischen Entscheidungen in Hinsicht auf den edierten Brief begründet. Dazu gehört unter anderem die Behandlung von Eigentümlichkeiten des Briefes. Ferner umfassen die Editorischen Vorbemerkungen Regesten solcher Korrespondenda bzw. Kontextdarstellungen, deren Kenntnis für das Verständnis des Briefes notwendig ist. 6.2  Textkritischer Apparat Im textkritischen Apparat werden Textentwicklung und Texteingriffe nachgewiesen.

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MWG Abteilung II · Aufbau und Editionsregeln

6.2.1 Textentwicklung Liegt ein Brief in mehreren Fassungen vor, wird eine Fassung zum Edierten Text bestimmt. Dies ist in der Regel der eigenhändig niedergeschriebene Originalbrief. Der Originalbrief bzw. die abgedruckte Fassung trägt die Sigle O. Liegen parallele Ausfertigungen des Originalbriefs oder mehrere zu edierende Abschriften vor, werden diese mit O1, O2 usw. sigliert. Abschriften oder Nachdrucke werden nur berücksichtigt, wenn der Originalbrief fehlt. Jede zur Variante bestimmte Fassung wird im textkritischen Apparat mitgeteilt, in der Regel mit Hilfe eines negativen Apparats. Ebenso werden im textkritischen Apparat Webers Streichungen und seine Änderungen am Wortlaut der Briefe nachgewiesen. Wo es die Sachlage erfordert, insbesondere bei umfangreichen Varianten, ist der positive Apparat oder die synoptische Darstellung gewählt. 6.2.2   Texteingriffe Texteingriffe sind auf ein Minimum beschränkt. Sie werden bei Textverderbnissen vorgenommen. Als verderbt gelten Textstellen, die den Sinnzusammenhang zerstören, sowie fehlerhaft geschriebene Namen (Ausnahme: Tröltsch, Örlinghausen) und falsche Datumsangaben. Der Eingriff wird dadurch nachgewiesen, daß die verderbte Stelle im textkritischen Apparat mitgeteilt wird. Läßt sich eine unklare Stelle nicht eindeutig als verderbt erkennen, so wird sie unverändert gelassen. Je nach Sachlage bietet der Apparat dann Lesarten in Voreditionen oder andere Verständnishilfen an. Nicht als Textverderbnis gelten Spracheigentümlichkeiten, einschließlich regelwidriger, aber nicht sinnentstellender grammatischer Konstruktionen, nicht mehr gebräuchlicher Lautstand, veraltete Orthographie und Interpunktion. Nur in folgenden Fällen werden Texteingriffe ohne Nachweis im textkritischen Apparat vorgenommen: a) Bei der Gestaltung von Gliederungsmerkmalen (z.B. Paragraphen) sowie Hervorhebungen: Sie werden typographisch vereinheitlicht. b) Bei Umlauten: Sie werden der heutigen Schreibweise angeglichen (Ä statt Ae). Die Schreibweise ss für ß wird zu ß vereinheitlicht. c) Bei Abkürzungen: Sie werden, sofern sie schwer verständlich und heute nicht mehr üblich sind, in eckigen Klammern ausgeschrieben. Webers Abkürzungen in Datumszeile, Anrede und Schlußformel sind vieldeutig und werden daher nicht aufgelöst. d) Bei offensichtlichen Schreibfehlern: Sie werden korrigiert (z.B. „agarhistorischen“, „Lugenentzündung“). e) Bei der Numerierung von Webers Anmerkungen: Sie werden briefweise durchgezählt. 6.3 Erläuterungsapparat Der Erläuterungsapparat dient dem Nachweis, der Ergänzung oder der Korrektur der Zitate und der Literaturangaben sowie der Sacherläuterung und ent-

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hält Regesten solcher Korrespondenda, deren Kenntnis für das Verständnis einzelner Briefstellen notwendig ist. Jeder Brief wird dabei als ein selbständiger Text behandelt. Wiederholungen von Erläuterungen gleicher Sachverhalte in mehreren Briefen bzw. Rückverweise auf Erläuterungen sind daher nicht zu vermeiden. 6.3.1 Zitate Webers Zitate werden überprüft. Sind sie indirekt, unvollständig oder fehlerhaft, gibt der Apparat den richtigen Wortlaut wieder. Hat Weber ein Zitat nicht belegt, wird es im Apparat nachgewiesen. Ist ein Nachweis nicht möglich, so lautet die Anmerkung: „Als Zitat nicht nachgewiesen“. 6.3.2 Literaturangaben Webers Literaturangaben werden überprüft. Sind sie nicht eindeutig oder fehlerhaft, werden sie ergänzt oder berichtigt, wenn möglich, unter Verwendung der von Weber benutzten Ausgabe. Verweist Weber ohne nähere Angaben auf Literatur, so wird diese, wenn möglich, im Apparat nachgewiesen. 6.3.3 Sacherläuterung Erläutert werden Ereignisse und Begriffe, deren Kenntnis für das Verständnis des Briefes unerläßlich erscheint, soweit diese nicht in den Editorischen Vorbemerkungen behandelt worden sind. Informationen über Personen finden sich im Personenverzeichnis am Ende des Bandes. Erfordert eine Textstelle darüber hinausgehende Informationen über eine Person, so bietet sie der Apparat. Sachliche Fehler werden im Apparat berichtigt. Für Wörter aus fremden Schriftsystemen verwendet der Editor in seinen Erläuterungen die Transliteration nach den heute gültigen Richtlinien. 6.4 Präsentation Um die Benutzung der Ausgabe zu erleichtern, erscheinen Webers Briefe und die dazugehörigen Apparate in der Regel auf derselben Seite. Um die Herausgeberrede von Webers Text abzuheben, ist sie in anderer Schrifttype gesetzt. Die Briefe werden nicht abgebildet. Doch weist der textkritische Apparat Streichungen nach. Diakritische Zeichen machen von Weber nachträglich eingeschobene Wörter und Passagen kenntlich. Webers Randnotizen erscheinen – soweit sie weder als Textnachträge noch als Fußnoten zu verstehen sind – im textkritischen Apparat. Kursiver Druck charakterisiert unterstrichene Textstellen des Brieforiginals. Verwendet Weber vorgedrucktes Briefpapier, so werden diejenigen Teile des Briefkopfes, die er in seine Orts- und Datumsangabe integriert, in einer abweichenden, kursiven Schrifttype wiedergegeben. Edierter Text und Varianten sind gleichwertig. Die Varianten werden so präsentiert, daß der Leser die Textentwicklung erkennen kann. Kleine lateinische

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MWG Abteilung II · Aufbau und Editionsregeln

­ uchstaben verbinden den Edierten Text mit dem textkritischen Apparat. Sie B stehen hinter dem varianten oder emendierten Wort. Bezieht sich die textkritische Anmerkung auf mehr als ein Wort, so markiert ein gerade gesetzter Index den Anfang und ein kursiv gesetzter Index das Ende der fraglichen Wortfolge (amit Amerikaa). Die historisch-kritisch bearbeiteten Briefe Webers und die Erläuterungen des Herausgebers sind durch arabische Ziffern ohne Klammern miteinander verbunden. 7.  Verzeichnisse und Register Dem Band sind folgende Verzeichnisse und Register beigefügt: 1. Ein Inhaltsverzeichnis 2. Ein chronologisches Verzeichnis der edierten Briefe, geordnet nach Datum, Ort und Empfänger. 3. Ein Verzeichnis der Siglen, Zeichen und Abkürzungen. 4. Ein Personenverzeichnis: Aufgenommen sind alle Personen, die Weber erwähnt; ausgenommen sind allgemein bekannte Persönlichkeiten (z.B. Bismarck, Nietzsche, Wilhelm II.) und solche Autoren und Namen, die in bibliographischen Angaben ohne nennenswerte weitere Information genannt oder aufgezählt werden. Das Personenverzeichnis liefert die wichtigsten Lebensdaten, gibt die berufliche oder politische Stellung an und führt ggf. die verwandtschaftlichen oder persönlichen Beziehungen zu Weber auf. Das Personenverzeichnis hat den Zweck, den Erläuterungsapparat zu entlasten. 5. Verwandtschaftstafeln der Familien von Georg Friedrich Fallenstein und von Carl David Weber: Sie zeigen die Verwandtschaftsverhältnisse der Familie Max Webers. 6. Ein Register der Briefempfänger: Es dient dem Auffinden aller Briefe an einen bestimmten Empfänger. 7. Ein Personenregister: Es verzeichnet sämtliche von Weber und vom Editor erwähnten Personen einschließlich der Autoren der von Weber und vom Editor zitierten Literatur. 8. Ein Ortsregister: Es verzeichnet alle geographischen Namen, mit Ausnahme der Verlagsorte in Literaturangaben und der Archivorte. Es werden die Namen benutzt, die im deutschen Sprachraum vor 1920 üblich waren oder amtlich gebraucht wurden. Kann ein Ort nicht als bekannt vorausgesetzt werden, wird zur Erläuterung die Verwaltungseinheit (z.B. Kreis, Regierungsbezirk) und ggf. auch der heute amtliche Name beigefügt. Die Empfänger-, Personen- und Ortsregister erfassen Webers Texte und die Herausgeberrede. Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede.

MWG Abteilung II · Aufbau und Editionsregeln

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8.  Indices und Zeichen Folgende Indices werden verwendet: a) Arabische Ziffern mit runder Schlußklammer (1), 2), 3) …) kennzeichnen Webers eigene Anmerkungen. b) Arabische Ziffern ohne Klammern (1, 2, 3 …) und in von a) abweichender Schrift markieren die Erläuterungen des Editors. c) Kleine lateinische Buchstaben (a, b, c …) kennzeichnen eine textkritische ­Anmerkung. Folgende Zeichen werden verwendet: a) Im Text – .: :. charakterisieren, daß es sich um einen nachträglichen Einschub ­Webers in seinen Text handelt. – Das Zeichen [  ] markiert Hinzufügungen zum Text durch den Editor. – Das Zeichen [??] gibt an, daß ein Wort oder mehrere Wörter nicht lesbar sind; den Sachverhalt erläutert eine textkritische Fußnote. b) In den textkritischen Fußnoten – In k  l werden gestrichene Textstellen wiedergegeben. Diese Streichungen folgen im Brieforiginal unmittelbar auf die durch den Index (a, b, c …) ­bezeichnete Stelle. – Textersetzungen Webers werden mit > bezeichnet. Die Fußnoten geben die von Weber getilgte und seine endgültige Formulierung wieder. Die Indizierung im Text bindet an diese endgültige Formulierung an. – In [ ] stehen unsichere oder alternative Lesungen im Bereich der von Weber getilgten oder geänderten Textstellen. – Die Angabe „O:“ verweist bei Emendationen und sonstigen textkritischen Mitteilungen auf das Original der edierten Textvorlage.

Bandfolge der Abteilung I: Schriften und Reden

Band 1: Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter Schriften 1889 – 1894

Hg. von Gerhard Dilcher und Susanne Lepsius; 2008

Band 2: Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staatsund Privatrecht 1891

Hg. von Jürgen Deininger; 1986 (Studienausgabe: 1988)

Band 3: Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland 1892

Hg. von Martin Riesebrodt; 2 Halbbände, 1984

Band 4: Landarbeiterfrage, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik Schriften und Reden 1892 – 1899

Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Rita Aldenhoff; 2 Halbbände, 1993

Band 5: Börsenwesen Schriften und Reden 1893 – 1898

Hg. von Knut Borchardt in Zusammenarbeit mit Cornelia Meyer-Stoll; 2 Halbbände, 1999/2000

Band 6: Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums Schriften und Reden 1893 – 1908

Hg. von Jürgen Deininger; 2006

Band 7: Zur Logik und Methodik der Sozialwissenschaften Schriften und Reden 1900 – 1907 Band 8: Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik Schriften und Reden 1900 – 1912

Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Peter Kurth und Birgitt Morgenbrod; 1998 (Studienausgabe: 1999); Ergänzungsheft 2005

Band 9: Asketischer Protestantismus und Kapitalismus Schriften und Reden 1904 – 1911

Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Ursula Bube; 2014

Band 10: Zur Russischen Revolution von 1905 Schriften und Reden 1905 – 1912

Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Dittmar Dahlmann; 1989 (Studienausgabe: 1996)

MWG Abteilung I · Bandfolge

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Band 11: Zur Psychophysik der industriellen Arbeit Schriften und Reden 1908 – 1912

Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer; 1995 (Studienausgabe: 1998)

Band 12: Verstehende Soziologie und Werturteilsfreiheit Schriften und Reden 1908 – 1917 Band 13: Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik Schriften und Reden 1895 – 1920

Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Heide-Marie Lauterer und Anne Munding; 2016

Band 14: Zur Musiksoziologie Nachlaß 1921

Hg. von Christoph Braun und Ludwig Finscher; 2004

Band 15: Zur Politik im Weltkrieg Schriften und Reden 1914 – 1918

Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger; 1984 (Studienausgabe: 1988)

Band 16: Zur Neuordnung Deutschlands Schriften und Reden 1918 – 1920

Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Wolfgang Schwentker; 1988 (Studienausgabe: 1991)

Band 17: Wissenschaft als Beruf 1917/1919 – Politik als Beruf 1919

Hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod; 1992 (Studienausgabe: 1994)

Band 18: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus Schriften 1904 – 1920

Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Ursula Bube; 2016

Band 19: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus

Schriften und Reden 1915 – 1920 Hg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Zusammenarbeit mit Petra Kolonko; 1989 (Studienausgabe: 1991)

Band 20: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus 1916 – 1920

Hg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Zusammenarbeit mit Karl-Heinz Golzio; 1996 (Studienausgabe: 1998)

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MWG Abteilung I · Bandfolge

Band 21: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum Schriften und Reden 1911 – 1920

Hg. von Eckart Otto unter Mitwirkung von Julia Offermann; 2 Halbbände, 2005 (Studienausgabe: 2008)

Band 22: Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaft­ lichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß

Teilband 1: Gemeinschaften



Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Michael Meyer; 2001 (Studienausgabe: 2009)



Teilband 2: Religiöse Gemeinschaften



Hg. von Hans G. Kippenberg in Zusammenarbeit mit Petra Schilm unter Mitwirkung von Jutta Niemeier; 2001 (Studienausgabe: 2005)



Teilband 3: Recht



Hg. von Werner Gephart und Siegfried Hermes; 2010 (Studienausgabe 2014)



Teilband 4: Herrschaft



Hg. von Edith Hanke in Zusammenarbeit mit Thomas Kroll; 2005 (Studienausgabe: 2009)



Teilband 5: Die Stadt



Hg. von Wilfried Nippel; 1999 (Studienausgabe: 2000)

Band 23: Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie Unvollendet 1919 – 1920.

Hg. von Knut Borchardt, Edith Hanke, Wolfgang Schluchter; 2013 (Studienausgabe: 2014)

Band 24: Wirtschaft und Gesellschaft. Entstehungsgeschichte und Dokumente

Dargestellt und hg. von Wolfgang Schluchter; 2009

Band 25: Wirtschaft und Gesellschaft. Gesamtregister

Bearbeitet von Edith Hanke und Christoph Morlok; 2015

Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften

Band 1:

Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie. Vorlesungen 1894 – 1898



Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Cristof Judenau, Heino H. Nau, Klaus Scharfen und Marcus Tiefel; 2009

Band 2:

Praktische Nationalökonomie. Vorlesungen 1895 – 1899

Band 3:

Finanzwissenschaft. Vorlesungen 1894 – 1897



Hg. von Martin Heilmann in Zusammenarbeit mit Cornelia Meyer-Stoll; 2017

Band 4:

Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung. Vorlesungen 1895 – 1898



Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit Silke Fehlemann; 2009

Band 5:

Agrarrecht, Agrargeschichte, Agrarpolitik. Vorlesungen 1894 – 1899



Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger; 2008

Band 6:

Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Mit- und Nachschriften 1919 – 1920



Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Joachim Schröder; 2011

Band 7:

Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie). Mit- und Nachschriften 1920



Hg. von Gangolf Hübinger in Zusammenarbeit mit Andreas Terwey; 2009